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DIALOG
BEIDEN HAUPTSÄCHLICHSTEN WELTSYSTEME,
DAS PTOLEMÄISCHE UND DAS KOPERNIKANISCHE ,
GALILEO GALILEL
AUS DEM ITALIENISCHEN UBEESETZT UND ERLÄUTERT
EMIL STRAUSS,
OTID. LEHRER AN DER REALSCHULE „PHILÄNTHROPIn" IN FRANKFURT
|0 1 \
LEIPZIG,
DRUCK UND VEllLx\G VON- B. G. TKUBNEK.
1891.
Q3
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Gl iL
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Vorwort des Herausgebers.
Der Dialog Galileis über die beiden bauptsäcbliclisten Weltsysteme
darf als eines der merkwürdigsten Bücher bezeichnet werden^ die je
geschrieben worden: einerseits um der tragischen Schicksale willen,
die es über seinen Verfasser heraufbeschwor, andererseits und vor-
nehmlich aber wegen seines in anziehendster Form gebotenen Inhalts.
Das hauptsächliche, aber keineswegs einzige Interesse des Buches liegt
darin, dafs es in greifbarer Anschaulichkeit die Berührung moderner
Wissenschaft mit scholastischer Naturphilosophie und die daraus sich
ergebenden Reaktionen dem Leser enthüllt. Wie dem Geologen die
Kontaktstellen verschiedenartiger Gesteine und die dort eintretenden
Umwandlungen der Gesteinsnatur das Verständnis der Erdgeschichte
ermöglichen, so ist Galileis Buch für den Kulturhistoriker ein Schlüssel
zur Erfassung des Umschwungs in der Weltanschauung. Aus ihm kaim
er ermessen, was es heifst, eine neue Idee wie die kopernikanische für
weite Kreise fafslich und mundgerecht zu machen. Es kommt aber in
dem Buche keineswegs blofs die Frage der beiden Weltsysteme zur
Sprache, es handelt sich mehr noch um die ganze Methode wissen-
schaftlicher Forschung. Diese sollte von nun ab anscheinend bescheidener,
in Wahrheit aber mühevoller und fruchtbarer sein5 sie glaubt nicht mehr
alles a priori wissen zu können oder gar schon zu wissen, sie übernimmt
vielmehr die schwere Aufgabe, in scheinbar germgfügigen Indicien, in
alltäglichen und demioch unbeachteten Erscheinungen die Spuren folgen-
schwerer Gesetze zu finden. Das Buch Galileis belehrte seine Zeitge-
nossen — und diese Belehrung dürfte auch heute für weite und ein-
flufsreiche Kreise noch nicht überflüssig geworden sein — , dafs nicht
in logisch geschultem Denken und in einer Anzahl von fortigen Formeln
das Wesen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Erziehung sich
erschr»pft, dafs vielmehr die unendlich viel schwierigere Kunst, durch
Beobachtung und Versuche den Thatsacheu Rechnung zu tragen, das
Hauptmittel der Erkenntnis ist.
Bei dem grofsen Interesse, welches das Buch beansprucht, ist der
bisherige Mangel einer deutschen Ausgabe im Grunde verwunderlich.
IV Vorwort des Herausgebers.
Allerdings enväliut die im Jahre 1654 vou Viviani uiedergescliriebeiie
Biograj)liie Galileis eine deutsclie Übertragung des Dialogs; wenn diese
Angabe gegen alle Walirsclieiuliclikeit ihre Richtigkeit haben sollte,
so ist die Übersetzung heute gänzlich verschollen. Der Versuch eine
deutsche Ausgabe zu veranstalten bedarf sonach wohl keiner weiteren
Rechtfertigung. Die Schwierigkeiten des Unternehmens sind freilich
nicht gering: einmal ist es ohne Willkürlichkeiten der Übersetzung fast
unmöglich, jener Formschönheit des Originals gerecht zu werden, die
den Dialog zu einem klassischen Werke der italienischen Litteratur
stempelt; sodann aber sollte eine für weitere Kreise bestimmte Aus-
gabe — und eine solche zu veranstalten, war der Zweck, den ich mir
setzte — von Rechtswegen diejenigen Hinweise enthalten, die das
Verständnis und die Würdigung des Buches erleichtern, die es aus
seiner Zeit heraus nach seinen Vorzügen und Schwächen begreiflich
machen, und die dem Leser die Möglichkeit bieten, den Erkenntnis-
fortschritt zu verstehen, der sieh in ihm vollzieht. Nach beiden Rich-
tungen hin läfst die vorliegende Ausgabe, wie mir wohl bewufst ist,
manches zu wünschen übrig. Es rührt dies teils und vorwiegend da-
her, dafs meine Kräfte zu einer tadellosen Erfüllung der Aufgabe nicht
ausreichten, teils auch daher, dafs ein unerwünschtes Mifsverhältnis
zwischen dem Umfange der erforderlichen Auseinandersetzungen und
dem Texte des Dialogs vermieden werden sollte. Ob es mir gekmgen
ist, wenigstens einigermafsen dem mir vorschwebenden Ziele mich ge-
nähert zu haben, stelle ich dem Urteile des Lesers anheim.
Ich habe mich nicht entschliefsen können, so nahe dieser Ge-
danke lag, eine verkürzte Bearbeitung vorzunehmen; denn wenn-
gleich gewisse Partieen des Dialogs für unser Gefühl vielleicht allzu
eingehend sich mit der Widerlegung veralteter Ansichten beschäftigen,
so schien es mir doch nicht statthaft, derartiges zu unterdrücken. Der
Dialog ist eben mehr als ein Buch, es spielt sich in ihm ein Stück
Kulturgeschichte, ein Denkprocess der Menschheit ab. Wollte man
die sachlich minder wichtigen, aber historisch sehr wertvollen Epi-
soden von mehr scholastischem Gepräge oder die Kritik von Büchern,
die uns heute einer solchen nicht für wert erscheinen, in der Über-
setzung beseitigen, so würde allerdings das Werk vielleicht in noch
glänzenderem Lichte erscheinen, ohne dafs die materielle Belehrung,
die man auch jetzt noch aus ihm schöpfen kann, wesentlich beein-
trächtigt würde; aber das Verständnis für den bedeutsamen Umschwimg
in der Geschichte der Wissenschaft, den Galilei in so hervorragender
Weise herbeiführen half^ würde damit nur getrübt und erschwert. Die
Geschichte, namentlich die einer Wissenschaft, macht eben keine
Vorwort des Herausgebers. V
Sprünge: wie das Neue sclioii vor Galilei in Keimen angelegt war,
so ist das Alte in ihm imd um ihn noch nicht völlig erstorben, er
kämpft in sich dagegen an und doch übt es noch Einflnfs auf Stoff
und Form seiner Untersuchimgen. Die Spuren davon wegzutilgen
darf man sich meines Bedünkens nicht erlauben, wenn man Interesse
für die Wandlungen wissenschaftlicher Anschauungen erwecken, nicht
aber einen Heroenkultus fördern will, der auf keinem Gebiete Segen
stiftet.
Eine Geschichte des Buches, die bei dem Interesse, das sie von jeher
erAveckt hat, nicht wohl entbehrt werden kann, ist in der Einleitung
gegeben, die wichtigsten sonstigen Thatsachen aus Galileis Leben sind
mit hinein verflochten. Die Anmerkimgen, die zum Teil recht grofse
Mühe verursacht haben, enthalten teils historische, teils sachliche
Notizen; aufserdem berichtigen sie irrige Anschauungen Galileis. Da
ich mir die Ausgabe auch in Händen von Schülern unserer höheren
Schulen denke, wird man hoffentlich diese heutzutage nicht eben
schwierige Kritik immerhin als erwünschte Zugabe betrachten.
Der Übersetzung ist der Text der Editio princeps zu Grunde ge-
legt, wiewohl derselbe durch viele Druckfehler entstellt ist. Manche
derselben schleppen sich durch alle italienischen Ausgaben hindurch-,
in solchen Fällen habe ich wohl in den Anmerkungen auf die Unrichtig-
keit der Lesart aufmerksam gemacht; eine eigentliche Textkritik je-
doch einer Übersetzung beizufügen, erschien mir überflüssig und un-
zweckmäfsig.
Als einen besonderen Vorzug vor den verbreiteteren italienischen
Ausgaben möchte ich erwähnen, dafs die Randinhaltsangaben, die so-
genannten Postillen, der Editio princeps sich in vorliegender Aus-
gabe wirklich da befinden, wohin sie gehören. Hingegen ist die
alphabetische Zusammenstellung derselben am Schlüsse des Buches,
deren Wert in der Übersetzung noch problematischer sein würde als
im Original, durch ein Namen- und Sachregister ersetzt. — Die hand-
schriftlichen Zusätze Galileis zu dem in der paduanischen Seminar-
bibliothek aufloewahrten Exemplar des Dialogs sind fast vollständig
übersetzt und zwar auf Grund der Publikation Favaros.^) Dabei sind
diejenigen sechs Einschaltungen (p. 22, 32, 104, 2G0, 264, 343), welche
Galilei selbst an eine bestimmte Stelle des Dialogs verwies, in den
Text aufgenommen und durch lairsivcn Druck ausgezeichnet, die übri-
1) Le Aggiunte Autografe Di Galilei AI Dialogo Sopra I Due Massimi Sistemi
Neir Exemplare Posseduto Dalla Biblioteca Del Seniiuario Di Padova. Modena,
Societä Tipografica 1880.
VI Vorwort des Herausgebers.
gen au den Sclilurs des ganzen Werkes gestellt. Unübersetzt geblieben
sind nur abgerissene, mir unverständlich gewesene Sätze.
Von Galilei berrübrende oder auf ihn bezügliche Schriften sind
citiert, soweit sie dariu enthalten sind^ nach dem von Eugenio Alberi
veranstalteten Sammelwerke^): Le Opere Di Galileo Galilei. Prima
Edizione Completa etc. Firenze Societä Editrice Fiorentina 1842 — 1856
(15 Bde. und ein Supplementbd.). Um anderwärts sich findende Citate
auch in der Übersetzung leicht auffindbar zu machen, sind am Kopfe
jeder Seite die Alberischen Seitenzahlen angegeben. Die im Erscheinen
begriffene Edizione nazionale, bezw. die genaue Reproduktion derselben^
welche vom italienischen Unterrichtsministerium unter der Leitung des
um die Galileistudien hochverdienten Antonio Favaro, Professors in
Padua, veranstaltet wird, habe ich leider nicht mehr benutzen können,
da bis jetzt nur der erste Band erschienen ist.
Es erübrigt mir die überaus angenehme Pflicht, allen denen aufs
wärmste zu danken, die mich bei der Lösung meiner Aufgabe unter-
stützt haben, insbesondere dem eben geuaimten Herrn Ant. Favaro,
sowie Herrn Dr. Emil Wohlwill in Hamburg, die beide in liebens-
würdiger Weise jeder an sie gerichteten Bitte entsprachen, ohne die
damit verknüpfte, bisweilen recht erhebliche Mühe zu scheuen. In
den Anmerkmigen sind die Notizen, die ich diesen Herren verdanke,
als von ihnen herrührend kemitlich gemacht; der fördernde Eiuflufs
aber, den ich durch ihre Schriften sowohl wie durch briefliche Mit-
teilungen erfahren habe, erstreckt sich viel weiter, als danach scheinen
könnte. — Desgleichen sage ich wärmsten Dank der Verwaltung der
Biblioteca Nazionale zu Florenz, die mir durch gütige Vermittelung
der Königl. preufsischen Unterrichtsverwaltung zugänglich gemacht
wurde, sowie den Verwaltungen der Königl. Bibliothek zu Berlin, der
Bibliotheken zu München, Darmstadt, der Stadtbibliothek imd der
Freiherrl. Karl v. Rothschildschen Bibliothek zu Frankfurt a/M., des-
gleichen dem Lihaber der Firma Joseph Baer & Co. daselbst, der mir
aus seinem reichen Antiquariate mit gröfster Uneigennützigkeit das
für meine Zwecke Erforderliche zur Verfügung stellte. — Für das
bereitwillige Entgegenkommen des Herrn Verlegers gegenüber meinen
Wünschen in Bezug auf Ausstattung bin ich ihm von Herzen ver-
pflichtet.
Frankfurt a'M., September 1891.
E. Straiifs.
1) Die Citate aus dem Dialog selbst sind nach der Seitenzahl vorliegender
Übersetzung angeführt.
Einleitung.
Im folgenden soll eine kurze Darstellung der wichtigsten That-
sachen aus Galileis Leben gegeben werden unter Hervorbebung dessen,
was mit seiner Stellung zur kopernikanisclien Lebre und mit der Ge-
schichte des Dialogs zusammenhängt.
Galileo Galilei wurde im Jahre 1564 zu Pisa geboren, nach
der gewöhnlichen, nicht ganz verbürgten^) Annahme am 18. Februar
(a. St.). Sein Vater Vincenzio, Tuchhändler in Florenz, ein Mann
von feiner Bildung, Kenner der Mathematik imd noch mehr der Musik-
theorie, hatte sich mit seiner Gemahlin Giulia kurz vorher nach Pisa
begeben. Dort verlebte Galilei mindestens die ersten zehn Jahre seines
Lebens. Da die Mittel der Familie kärglich waren, konnte der Knabe
nicht eben eiaen hervorragenden Unterricht geniefsen. Doch erlangte
er bei seinen natürlichen Gaben schon frühzeitig eine grofse Fertig-
keit in den klassischen Sprachen und lernte die römischen und grie-
chischen Autoren gründlich kennen. Späterhin studierte er, wahr-
scheinlich in der Klosterschule von Vallombrosa, Logik und Dia-
lektik. Im Jahre 1580 oder 81 bezog Galilei die Universität seines
Geburtsortes Pisa — die Familie war inzwischen wieder nach Florenz
übergesiedelt — um dort nach" dem Wunsche des Vaters dem damals
einträglichsten Studium der Medicin obzuliegen. Indessen interessier-
ten ihn philosophische Studien mehr, wenngleich die herrschende Schule
ihn nicht befriedigen konnte. Diese nannte sich die peripatetische; sie
wollte damit ihre Verwandtschaft mit der von Aristoteles gegründeten
peripatetischen Schule des Altertums zum Ausdruck bringen. Doch
ist es keineswegs statthaft, alle von den Peripatetikern jener Zeit ver-
tretenen Meinungen als wirklich aristotelisch zu betrachten, da viel-
fach eine mifsverständliche Auffassung des Aristoteles dabei zu Grunde
lag. Galilei bekämpfte damals schon bei Gelegenheit akademischer
Disputationen die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Ansichten
1) Vgl. Favaro, Galileo Galilei e lo studio di l'adova. (Firenze 18831
Vol. I. p. 5.
VIII Einleitimg.
aufs lebhafteste. lu weit höherem Mafse als Aristoteles zog ihn Plato
an, von dem er — nicht immer richtig — manche Lehren, insbesondere
anf das Wesen der Erkenntnis bezügliche, auch im Dialoge mit Vor-
liebe zur Sprache bringt. Vor allem aber suchte er aus eigener
Kraft zur Erkenntnis durchzudringen, ohne auf die Worte eines Meisters
zu schwören; es dürstete ihn nach Ideen und Thatsachen, die Schul-
philosophie aber bot ihm nichts als Worte.
Zu jener Zeit soll er nach der Erzählung Vivianis^), als er im
Dome von Pisa das Schaukeln einer Lampe beobachtete, die Unab-
hängigkeit der Schwingungsdauer eines Pendels von der Gröfse des
Ausschlags, den sogenannten Isochronismus der Pendelschwingungen,
entdeckt und auf Grund dieser Entdeckung einen Apparat zin* Messung
der Häufigkeit des Pulsschlags ersonnen haben. Bis zu seinem neun-
zehnten Lebensjahre hatte Galilei noch keine Gelegenheit gehabt,
sich mathematische Kenntnisse anzueignen. Als ihm aber die ersten
Elemente der Geometrie durch Ostilio de' Ricci, einen Freund seines
Vaters, bekannt geworden waren, wurde er von glühender Begeisterung
für die Mathematik erfüllt, sodafs er, anfänglich gegen den Wunsch
seines Vaters, sich ihr ganz zu widmen beschlofs. Er studierte zvi-
nächst Euklid, später aber beschäftigten ihn besonders die Schriften
des Archimedes. Er konstruierte im Verfolg dieser Studien eine Art
hydrostatischer Wage, die auf dem archimedischen Satze von dem
Gewichtsverluste eines in eine Flüssigkeit eintauchenden Körpers be-
ruhend, das Mischungsverhältnis zweier Metalle zu bestimmen erlaubte. ^)
Da die archimedischen Grundsätze der Hydrostatik mit der Annahme
absolut leichter Körper, d. h. solcher Körper, die den „natürlichen
Trieb" haben sich vom Weltmittelpunkt zu entfernen, unvereinbar
sind, andererseits aber diese Lehre des Aristoteles von den sch^veren
und leichten Körpern einen Grundstein in dem Gebäude seiner Natur-
philosophie bildet, so trug sicherlich die Beschäftigung mit Archimedes
nicht wenig dazu bei, seine Abneigung gegen die peripatetische Schule
zu verstärken. — Aufserdem behandelte Galilei damals verschiedene Sätze
über den Schwerpunkt fester Körper, die er mehreren angesehenen
Mathematikern zur Begutachtung vorlegte, u. a. dem Lektor der Mathe-
matik in Padua, Moletti, dessen Nachfolger im Amte er später wer-
den sollte.
1) Op. XV, 332.
2) Wir besitzen über diesen Apparat eine kleine Abhandlung Galileis, die
erst nach seinem Tode gedruckt wurde: La bilancetta , nella quäle, ad imi-
tazione d'Archimede nel problema della Corona, s'insegna a trovare la proporzione
del misto di due metalli, e la fabbrica dello strumento. Op. XIV, 199 — 205.
Einleituno-. IX
Daneben fesselte ihn zu jener Zeit die Lektüre Dantes, wie denn
Galilei sein ganzes Leben hindurch ein begeisterter Verehrer der Dicht-
kunst, der Musik und der bildenden Künste blieb, der sich auf allen
diesen Gebieten auch mit Glück selbstthätig, wenngleich nur als
Dilettant, versuchte. Über Dantes Inferno hielt er, wahrscheinlich
1587 oder 1588, in der florentinischen Akademie zwei Vorträge, die
erst im Jahre 1855 gedruckt worden sind. Man hat aus einer Stelle
dieser Vorlesungen^) schliefsen wollen, dafs Galilei damals noch An-
hänger des ptolemäischen Systems war, insofern dort der Mittelpunkt
der Erde als identisch mit dem der Welt betrachtet wird. Obgleich
er nun damals thatsächlich noch nicht Kopernikaner war, wie wir
sehen werden, so reicht doch die angeführte Begründung nicht aus-,
denn Galilei konnte bei einer Erläuterung der Diviua Commedia sich
auf keinen anderen Standpunkt stellen als auf den Dantes. Ob er ihn
teilte, darüber sich bei solcher Gelegenheit auszulassen, wäre über-
flüssig, ja geschmacklos gewesen.
In dem gleichen Jahre 1587 betrat Galilei zum ersten Male den
Boden Roms, der späterhin der Schauplatz so denkwürdiger Erleb-
nisse für ihn werden sollte. Er suchte bei dieser Gelegenheit die
Bekanntschaft mit dem Jesuiten Clavius^), damals dem angesehen-
sten Astronomen und Mathematiker in Italien. Er stand mit ihm bis
zu dessen 1612 erfolgtem Tode in freundlichen Beziehungen, sie er-
litten freilich während Galileis paduanischer Professur eine Unter-
brechung, da dieser in Diensten der venetianischen Republik sich
gegenüber den Jesuiten, die im Jahre 1606 aus allen Territorien der
Republik vertrieben wurden, grofse Zurückhaltung auferlegen mufste.
Der Kommentar des Clavius zur „Sphaera" des Sacrobosco galt damals
— vom Standpunkte der Antikopernikaner mit Recht — als das beste
Lehrbuch der Elemente der Astronomie und erlebte zahlreiche Auf-
lagen.^) Selbstverständlich kannte und benutzte es Galilei, wovon
auch im Dialoge deutliche Spuren bemerkbar sind. — Als Galilei sich
mit Clavius in Rom in Verbindung setzte, war wohl sein Hauptzweck
durch Empfehlung seitens des einflufsreichen Mannes eine Professur
1) Op. XV, 15.
2) Christoph Cbivius, geboren lülM zu Bamberg, ist am bekanntesten durch
seine Wirksamkeit zu Gunsten der gregorianischen Kaleuderretbrm, die in Italien
im Jahre 1582 eingeführt wurde.
3) Der Titel der mir vorliegenden Ü. Auflage lautet: Christophori Clavii
Bambergensis ex societate Jesu in sphaeram loannis de Sacro Bosco Commen-
tarius. Nunc tertio ab ipso auctore recognitus, plerisque iu locis locupletatus.
llomae, ex officina Dominici Basae MDLXXXV.
X Einleitung.
an einer der italienisclien Universitäten zu erhalten. Wenigstens seilen
wir ihn vorher und nachher bemüht, eine solche Stellung zu erlangen,
die ihm bei seinen kärglichen Mitteln schon aus materiellen Gründen
höchst wünschenswert erscheinen mufste. Durch Vermittlung des zu
jener Zeit sehr angesehenen Mathematikers Marchese Guidobaldo del
Monte, der ihn dem Grofsherzog von Toskana, Ferdinand I, warm em-
pfahl, wurde denn in der That Galilei im Jahre 1589 für drei Jahre zum
Lektor der Mathematik in Pisa ernannt. Angenehm war diese Stellung
freihch nicht; abgesehen von dem kärglichen Gehalte, das er bezog,
stand er mit seinen Kollegen, zu denen der fanatische Gegner aller
Neuerungen Giulio Libri gehörte, auf dem denkbar schlechtesten Fufse;
nur zu Jacopo Mazzoni, unter dessen Leitung er philosophische Studien
trieb, stand er in freundschaftlichen Beziehungen. Die Lossagung von
der aristotelischen Naturphilosophie, die Anerkennung, welche G. den
bedeutsamen Ideen Benedettis*) zollte, das Avaren Dinge, welche die
herrschende Schule aus sachlichen und persönlichen Gründen nicht
verzeihen konnte.
Aus der Zeit der Pisaner Professur stammen verschiedene Ab-
handlungen über mechanische Fragen, in denen der jugendliche For-
scher noch mühsam mit dem Stoffe ringt. Die bekannteste ist eine
in dialogischer Form abgefafste Schrift, die Sermones de motu gravium.
Dieselbe ist zum ersten Male in der Alberischen Ausgabe der Werke
(XI, 9 — 55) im Jahre 1854 veröffentlicht worden; es sind ihr fünf
weitere kleine Abhandlungen beigefügt, die von dem Herausgeber offen-
bar irrig '^) in eben jene Zeit verlegt werden, während sie teilweise
augenscheinlich auf einem weit vorgeschritteneren Standpunkt stehen.
In der neuerdings erscheinenden Ausgabe der galileischen Werke, die
von Favaro besorgt wird, sind noch andere interessante, der pisanischen
Zeit angehörige Aufsätze über Bewegungs fragen enthalten. (I, 243
—366.) Die Sermones dürfen jedoch als das Reifste aus jener Periode
angesehen werden, wir beschränken uns daher auf deren Besprechung.
Zunächst erkennen wir aus der unbedingten Verehrung, mit der G.
im Gegensatz zu späteren Anfserungeu in dieser Schrift von Ptolemäus
spricht '% und aus der Bemerkung, der Erde sei die Ruhe „angenehmer"
1) Giovanni Battista Benedetti (1530 — 1590), Venetianer von Geburt, war in
wichtigen Tragen der Mechanik ein Vorläufer Galileis. Auch er war leidenschaft-
licher Gegner der Peripatetiker. Sein Hauptwerk: Diversarum speculationuin
math. et physicarum liber. Taurini 1585.
2) Darauf hat Wohlwill aufmerksam gemacht (Die Entdeckung des Be-
harrungsgesetzes, AVeimar 1884. p. 31 ff.), dem ynv uns in unserer Darstellung
auch sonst bisweilen anschliefsen. 3} Op. XI, 11.
Einleitung. XI
als die Bewegung'), dals er damals wirklich noch Anhänger des ptole-
mäischeu Weltsystems war. Weiterhin aber finden wir, dafs er in der
Bewegungslehre die Anschauungen Benedettis, der freilich in keiner
galileischen Schrift namentlich erAvähnt wird^), im wesentlichen sich
aneignet und in eigentümlicher Weise weiterbildet. In erster Linie
bekämpft er in ganz ähnlicher Weise wie im Dialog über die Welt-
systeme^) die sonderbare aristotelische Anschauung, dafs bei „ge-
waltsamen" Bewegungen (wie z. B. bei horizontalem und vertikalem
Wurfe) die Ursache des Andauerns der Bewegung in der Bewegung
des Mediums zu suchen sei; G. führt dasselbe vielmehr wie Bene-
detti auf eine virtus impressa, auf eine dem Körper von der ursprüng-
lichen Bewegungsursache fetwa dem schleudernden Arme) eingeprägte
Kraft zurück , mit anderen Worten auf das Beharrimgsvermögen.
Er hat über diese virtns impressa freilich noch sehr unrichtige
Anschauungen, nimmt namentlich an, dafs dieselbe mit der Zeit ab-
nehme und schliefslich erlösche; hingegen giebt er sich keiner Täu-
schung darüber hin, dafs dieses Wort das Wesen der Sache nicht ent-
hülle, wie gleichfalls im Dialog über die Weltsysteme ausgeführt wird.*)
Zu einem völlig konsequenten Standpunkte bezüglich des Beharrens
der Bewegung ist er, wie sich später zeigen wird, zeitlebens nicht ge-
langt, sodafs es nur sehr bedingt richtig ist, Galilei die Entdeckung
des Beharrungsgesetzes zuzuschreiben. — Auch die Unterscheidung
zwischen gewaltsamer und natürlicher Bewegung, die eines der schwer-
sten Hindernisse für den Fortschritt der Mechanik bildete, wird in
den Sermones beibehalten, und auch diese Fessel hat Galilei nie ganz
abgestreift. Mit Lebhaftigkeit bekämpft er hingegen unter Bezugnahme
auf seine Studien zu Archimedes die Existenz absolut leichter Körper,
während er wiederum die aristotelische Lehre von den über einander
geschichteten vier Elementarsphäreu und von deren Umschliefsung
durch die Mondsphäre anerkemit. Weiterhin folgt die Untersuchung,
ob bei Übergang einer Bewegung in die entgegengesetzte ein Ruhe-
zustand eintreten müsse; er verneint diese Frage im Gegensatze zu
Aristoteles. Auch im Dialoge über die Weltsysteme wird die Sache
gestreift, ohne aber ausführlichere Behandlimg zu finden.®) Sodann
1) Op. XI, 18.
2) Dagegen wird der averroistische Peripatetiker Girolamo Borro citiert; auf
ihn nimmt auch der Dialog über die Weltsysteme Bezug. Übrigens citiert Galilei
überhaupt wenig, und seine Citate sind nicht selten formell wie sachlich ungenau.
3) Man vgl. XI, 13—15 mit Dial. 157—1(31.
4) Vgl. Op. XI, 18 und Dial. :i4<)f.
5) Dial. p. '293.
XII Einleitung.
kommt G. auf die falsche, ja thörichte aristotelische Behauptung zu
sprechen, dafs die Fallgeschwindigkeit proportional dem Gewichte und
umgekehrt proportional der Dichtigkeit des Mediums sei. Neben vielen
zutreffenden und scharfsinnigen Bemerkungen über diesen Gegenstand
tritt doch noch eine völlig unzureichende Anschauung über den Ver-
lauf der Fallbewegung und die dabei wirksamen Ursachen hervor. G.
meint, die Verzögerung beim Emporsteigen eines in die Höhe gewor-
fenen Körpers rühre von der Abnahme der virtus impressa her; im
Augenblicke, wo diese sich bis zum Betrage der Schwere vermindert
habe, finde der Umschlag der Bewegung in die entgegengesetzte statt;
anfänglich sei dabei noch immer ein Rest derselben vorhanden, sodafs
aus diesem Grunde die Bewegung nach unten erst langsamer, dann
schneller erfolge; von dem Momente, wo die virtus impressa ganz auf-
gezehrt sei, werde die Bewegung gleichförmig. Diese letzteren An-
sichten stehen sogar hinter dem, was Beuedetti geleistet hatte, be-
trächtlich zurück, einen so grofsen Fortschritt gegen die herrschen-
den Anschauimgen andererseits schon die Art der Problemstellung, näm-
lich das Eingehen auf den faktischen Verlauf der Bewegung, bekundet.
Übrigens begnügte sich G. nicht mit diesen theoretischen Erörterungen,
er stellte auch wirkliche Fallversuche an und zwar von dem berühm-
ten schiefen Glockenturme von Pisa, der sich zu solchen ganz beson-
ders eignete. „Von der Höhe dieses Turmes erlitt die peripatetische
Philosophie einen Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte."^)
Der Hafs seiner Kollegen und eines Halbblutprinzen des Hauses
Medici, welchen er durch eine freimütige Kritik einer von diesem erfun-
denen Maschine sich zum Gegner gemacht hatte, zwang ihn nach Ablauf
des Trienniums im Jahre 1592 seine Stellung in Pisa aufzugeben. Galilei,
dessen Vater inzwischen gestorben war, und auf dem die Sorge für
seine Geschwister lastete, mufste sich nach einer anderen Stellung um-
sehen. Wiederum leistete ihm der Marchese del Monte vortreffliche
Dienste; durch seine Empfehlung gelang es Galilei, die seit vier Jahren
vacante Stelle eines Lektors der Mathematik in Padua zu erhalten.
Die Bestallungsurkunde ist datiert vom 26. September 1592, am 7. De-
cember hielt er in Padua seine Antrittsrede. — Eine glücklichere
Wahl hätte G. nicht treffen können, denn nirgends sonst in Italien
wurden der Forschung so wenig äufsere Hindernisse in den Weg ge-
legt als auf dem Boden der Republik Venedig. Die Jahre, die er in
Padua verlebte, waren denn auch seine glücklichsten und an wissen-
schaftlichen Ergebnissen reichsten. Zwar sind seine bedeutendsten
1) Favaro, Galileo Galilei e lo studio cli Padova I, 4;
Einleituug. XIII
Werke erst uacli Ablauf dieser Periode geschrieben, das Material dazu
aber liJitte er gröfstenteils in Padua gewonnen. Uns interessiert dabei
vorwiegend sein Verhältnis zur kopernikauischen Lehre und den sonst
im Dialoge behandelten Materien.
Wie und wann Galilei zuerst von der kopernikanischen oder der
„pythagoreischen"^) Lehre, wie man sie damals nannte, Kunde bekam,
steht nicht fest; auch ist dieser Frage eine besondere Wichtigkeit nicht
beizumessen. Denn mag auch die neue Lehre in jener Zeit Avenig An-
hänger auf italienischem Boden gezählt haben, bekannt war sie allent-
halben. Jeder Verfasser eines Lehrbuchs der Astronomie fühlte sich
verpflichtet von ihr zu reden, freilich nur um sie zu verurteilen, wo
nicht gar sie lächerlich zu macheu. Ja selbst vor den Zeiten des Koper-
nikus pflegte man die Unmöglichkeit einer Erdbewegung nach dem
Vorgange des Aristoteles, des Ptolemäus und speciell des Sacrobosco,
des Verfassers der oftmals kommentierten „Sphaera", zu beweisen. Es
lag also jetzt um so näher, auf die moderne Erneuermig und Ver-
tiefung des antiken Gedankens der Erdbewegung hinzuweisen, wie sie
von Seiten des Kopernikus stattgefunden hatte. Was in den früheren
astronomischen Komj)endien dem Leserkreise und selbst dem Verfasser
mehr als müfsiger Ballast, als übertrieben gewissenhafte Gründlichkeit
erscheinen mochte, insofern es sich um die Widerlegung einer Ansicht
handelte, die niemand mehr ernstlich teilte, das gewann immerhin,
seitdem wieder Vertreter dieser Ansicht unter den Lebenden geweilt
hatten, aktuelles Interesse. Freilich wurde die Bedeutung des Mannes
und seiner Sache in Italien, wenn wir von Giordano Bruno absehen,
verkannt") und die Argumente, die man gegen die neuerstandene Lehre
anzuführen hatte, waren noch immer die fadenscheinig gewordenen,
bis zum Überdrufs wiederholten der Vergangenheit. Aber der Name
des Kopernikus und die Schlagworte seiner Lehre, wenn auch nicht
immer die gründliche Detailausführung seines Systems, waren jedem
1) Einzelne Philosophen der pythagoreischen Schule, wie Philolaus, Hera-
clicles, Ecphantus sprachen allerdings von einer Bewegung der Erde, aber in so
unbestimmter Weise und in so ungenügender Begründung, dafs man sie als wirk-
liche Vorläufer des Kopernikus nicht ansehen darf, wiewohl Kopernikus selbst sie
als solche nennt. Anders steht es mit Aristarch aus Sanios, der in der That
das Richtige mit grofser Bestimmtheit aussprach und dessen Lehre daher auch
im Altertume ebenso verketzert wurde wie im Jahre IG IG die des Frauenburger
Domherrn. (Vgl. Plut. de fac. in orbe lunae VI, 3.)
2) Als kenntnisreicher Astronom, dessen Beobachtungen Beachtung verdien-
ten, wurde K. übrigens in Italien bisweilen anerkannt, so von Magini. {Ygl. Libri
bist, des sciences math. en Italic IV, 43.)
XIV Einleitung.
Faclimaime bekannt, nicht sowohl durcli das Studium seines Werkes*)
als in der Regel durch Darstellungen aus dritter und vierter Hand.
Danach ist die Frage, wer Galilei mit dem kopernikanischen Systeme
bekannt gemacht habe, ebenso unberechtigt, wie wenn man heutzutage
feststellen wollte, durch welchen Anlafs ein Gelehrter von der Descen-
denztheorie Kenntnis erhalten habe; er selbst würde wahrscheinlich
die Frage nicht beantworten können. Damit soll keineswegs behauptet
werden, dafs der Baseler Christian Wursteisen, möglicherweise
auch Mästlin, der Lehrer Keplers, von denen der eine gewifs, der
andere nach unverbürgten Nachrichten vielleicht, in Italien für das
System Propaganda machte, sich keine Verdienste um die Sache er-
worben hätten; aber anzunehmen, dafs Galilei durch Zufälligkeiten,
wie die Wandervorlesungen Wursteisens-) zu dem sein Leben und
Wirken beherrschenden Standpunkte gebracht worden sei, ist verfehlt.
Galilei war wahrlich nicht der Mann, der die Argumente gegen eine
Lehre immer wieder zu seinen Ohren dringen liefs, ohne eine selbst-
ständige vorurteilsfreie Prüfung derselben anzustellen. Er wird sehr
bald das Werk des Kopernikus zur Hand genommen haben, ob er nun
zu Füfsen Wursteisens gesessen, oder von dessen Vorträgen durch
Dritte Kunde bekommen hat, oder ob nichts derart geschehen ist. Da
Wursteisen schon 1588 starb, Galilei aber noch nach dieser Zeit, wie
wir sahen, dem kopernikanischen Systeme fremd gegenüberstand, so
ist eine unmittelbare Einwirkung des einen auf den anderen unglaub-
lich. Mau kann höchstens zugeben, dafs eine gewisse mittelbare An-
regung durch solchen äufseren Anlafs gegeben wurde. Genug, wir
wissen mit Bestimmtheit von keiner Lebeusperiode Galileis, in der er
beide Systeme kannte und dabei dem ptolemäischen vor dem koperni-
kanischen innerlich den Vorzug gegeben hätte. — Dafs ihn freilich
äufsere Rücksichten bewogen, seine wahi-en Überzeugungen zu ver-
schweigen, ja zu verleugnen, ist ebenso gemfs. In seiner Stellung als
Lektor der Mathematik in Padua, welche ihm die Kollegien „Sphaera"
imd „Theoricae planetarum'^ zur Pflicht machte, war es unvermeidlich
1) Der Titel des im Todesjahre des Verfassers erschienenen Werkes lautet:
Nicolai Copemici Torinensis De ReTolutionibus Orbium coelestium Libri VI.
Habes in hoc opere iam recens nato, et sedito, studiose lector, motus stellarum.
tarn fixarum quam errantium, cum ex ueteribus, tum etiam ex recentibus ob-
seruationibus restitutos: et nouis insuper ac admirabilibus hypothesibus ornatos.
Habes etiam Tabulas expeditissimas, ex quibus eosdem ad quoduis tempus quam
facillime calculare poteris. Igitur eme, lege, fruere. 'AytcofihQrjtog ovösig daCza.
Norimbergae apud Job. Petreium, Anno MDXLIII.
2) Vgl. Dial. p. 133 f.
Einleitung. . XV
in der Frage der Weltsysteme Partei zu ergreifen; in welchem Sinne
er es that, lehrt uns ein gedrängter, für die Hand seiner Schüler be-
stimmter Auszug seines Kollegs über sphärische Astronomie, der erst
nach seinem Tode im Jahre 1656 gedruckte Trattafo della Sfera o Cosmo-
cjrafia (Op. III, 1—52). Galilei behandelt darin in der damals üblichen
Weise, nur mit ganz besonderer Klarheit, den üblichen Stoff. Er be-
weist die Kugelgestalt und die kreisförmige Bewegung des
Himmels, die Kugelgestalt der Erde, ihre centrale Stellung, ihre
Kleinheit im Vergleich zu der Himmelskugel, ihre Unbeweglich-
keit, die doppelte Bewegung der Himmelskörper; er spricht dann
von den verschiedenen auf der Himmelskugel angenommenen Kreisen,
erläutert die ungleiche Tagesdauer, die V^erschiedenheit der Jahreszeiten
in den verschiedenen Erdzouen, die Mond- und Soimenfinsternisse, die
Mondphasen, die Präcession. Überall spricht er so, wie ein innerlich
überzeugter Anhänger des ptolemäischen Systems sich nicht anders
ausdrücken Avürde, ja man kann aus dieser Abhandlung die landläufigen
Ansichten, die Galilei später so energisch bekämpfte, vielleicht am
besten kennen lernen. Nur in der Frage der Achsendrehung der Erde
legt er sich eine gewisse Zurückhaltung auf, indem er nicht wie sonst
in dieser Schrift das althergebrachte Käsonnement ohne weiteres sich
aneignet, sondern die angeblichen Gründe des Ptolemäus gegen diese
Art der Bewegung nur als solche mitteilt und so diesem die Ver-
antwortung für ihre Richtigkeit überläfst. ^) Man mag daraus viel-
leicht schliefsen wollen, dafs Galilei noch nicht vollüberzeugter An-
hänger des Kopernikus war, dafs er einstweilen nur die Achsendrehung
der Erde billigte, als er die Schrift abfafste, was vermutlich in den
ersten Jahren seines Aufenthaltes in Padua geschah; sicher ist, dafs
dieselbe noch 1606 und später in den Händen seiner Schüler sich be-
fand, als er schon längst ins kopernikanische Lager übergegangen
war. Seine wahre Ansicht geht hervor aus den 1597 geschriebenen
Briefen, von denen der eine an den oben genannten Jacopo Mazzoni-),
der andere an Kepler gerichtet ist, welchem er für den ihm übersandten
Frodromiis dissertationum cosmographicaruin dankt. ^) Einen besonde-
ren Vorwurf kann man gegen Galilei wegen der Verheimlichung
seiner Überzeugung nicht erheben. Die Argumente, auf welche er in
späterer Zeit sich in erster Linie berief, standen ihm damals noch
nicht zu Gebote; seine Amtspflicht erheischte nichts weiter von ilim
1) (»p. III, IS.
2) Op. II, 1.
8) Op. VI, 11.
XVI . Einleitung.
als die Überlieferung des liergebrachten Stoifes, aucli seine Schüler
erwarteten von ihm schwerlich etwas Anderes. Jede erhebliche Neue-
rung, die er in seinem öffentlichen Unterrichte etwa vorzunehmen ge-
wagt hätte, würde seinen schon damals zahlreichen Gegnern will-
kommenen Anlafs geboten haben, ihn lächerlich und damit auf dem
Katheder unmöglich zu machen. Galilei mufste sich sagen — und
bei den unsittlichen Verhältnissen, den Kabalen und Ränken, die an
italienischen Universitäten der damaligen Zeit auch schon im Schwange
waren, kann man ihm nicht Unrecht geben — er mufste sich sagen,
dafs er durch vorzeitiges Aussprechen seiner Überzeugung das Ohr
seiner Schüler verheren werde, dafs er damit auch in Zukimft sich der
Möglichkeit beraubte, im Dienste der Wahrheit thätig zu sein, und
dafs es nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus sachlichen Grün-
den klüger sei zu warten, bis er ein die Gegner erdrückendes Beweis-
material aufgehäuft habe. Erhebt man doch noch heute zuweilen gegen
den Entdecker der Jupiterstrabanten und der Phasenänderung der Venus
den Vorwurf, er sei auch in der Folge noch mit ungenügenden Waffen
in den Kampf für die Lehre von der Erdbewegung ausgezogen.^) Ob
auch die Furcht vor einem Konflikt mit der Kirche ihn damals zurück-
hielt, läfst sich nicht mit Bestimmtheit sagen, so wahrscheinlich es
auch ist. Diese hatte noch keine entschiedene Stellung zu der Lehre
von der Erdbewegung genommen, wiewohl gerade zu der Zeit, wo
Galilei nach Padua übersiedelte, die Liquisition Hand an Giordano
Bruno, den begeisterten Anhänger des Koj)ernikus, legte. Da jedoch
hierbei wesentlich andere Motive mitwirkten, da Galilei selbst in seinem
Briefe an Kepler fvom 4. Aug. 1597)^), worin er seinem geprefsten
Herzen Luft macht, nur von Furcht vor dem Fluche der Lächerlich-
keit, nicht geradezu von Furcht vor der Kirche spricht, so braucht
man diese immerhin nicht für das damalige Verhalten Galileis ver-
antwortlich zu machen. — Der Brief an Kepler beweist nun aber,
dafs Galilei, mochte er sich äufserlich auch die gröfste Zurückhaltung
auferlegen, unablässig thätig war, die Lehre des Kopernikus, der er
„schon seit vielen Jahren" anhing, innerlich zu verarbeiten. Er er-
zählt, dafs er mittels derselben viele nach der anderen Hypothese vmver-
ständliche Naturerscheinungen habe erklären können, und dafs er Gründe
für die neue Lehre und Widerlegungen gegnerischer Gründe bereits
niedergeschrieben habe. Diese letztere Bemerkung ist für die Ent-
1) So der verdienstvolle .Jesuitenpater Angelo Secchi, so der Dominikaner
Olivieri (S. Favaro, G. G. e lo studio di Padova I, 1G6;.
2) Op. VI, 11.
Einleitung. XVII
stehuugsgescliichte des Dialogs über die Weltsysteme von besonderer
Wichtigkeit; deim die erwähnten Aufzeichnungen haben wir als den
ersten Keim des Dialogs zu betrachten. Auch läfst sich wohl ver-
muten, dafs u. a. zu diesen ältesten, später freilich umgearbeiteten Stücken
diejenigen Partieen des Dialogs gehören, welche zwar gegen die aristo-
telische Schule aufs schärfste Opposition machen, in welchen aber ein
scholastisches Gepräge, eine Verwandtschaft mit der Denkmethode der
bekämpften Schule unverkennbar ist. Dahin gehören die Stellen, wo
Galilei gewissermafsen ein Konkurrenzunternehmen dem Aristotelismus
entgegensetzen will, wo er aus metaphysischen Formeln, aus der Drei-
dimensionalität und der angeblich daraus folgenden Vollkommenheit
der Welt, oder aus Sätzen wie „die Natur unternimmt nichts Vergeb-
liches", aus der vermeintlichen Nutzlosigkeit der geradlinigen Bewegung
und verwandten Betrachtmigen die Erdbewegung wahrscheinlich zu
machen versucht.^) Es starren uns diese Teile seltsam entgegen aus
einem in vieler Beziehung so lebeiisfrisch und modern angehauchten
Werke. Sie zeigen, ebenso wie manche andere, dafs Galilei nicht nur,
als er sie in ihrer ersten Fassung niederschrieb, sondern auch weit
später noch, als er sie umarbeitete und veröffentlichte, keineswegs der
Fesseln ganz ledig war, deren er spottete. — Eine weitere Frage, zu
der der Brief an Kepler Anlafs giebt, ist die: welche auf andere Weise
unerklärlichen Naturerscheinungen konnte G. mittels der koperuikani-
schen Lehre damals schon erklären? Da er seine astronomischen Ent-
deckungen noch nicht gemacht hatte, da die Auffindung des Beharruugs-
gesetzes, soweit man von einer solchen sprechen darf, und die Unter-
suchungen über den Fall nicht unmittelbar mit der Frage der Weltsysteme
zusammenhängen, so kann nur eine Anspielung auf das Phänomen von
Ebbe und Flut uud die damit zusammenhängenden Probleme vorliegen.
Dies ist umsomehr anzunehmen, als Galilei auch in späterer Zeit von
allen Naturerscheinungen gerade diese, und diese allein, für absolut
unvereinbar mit dem ptolemäischen Systeme erklärte, wenn man nicht
zur Erklärung durch ein Wunder seine Zuflucht nehmen wolle. Es
steht sonach fest, wie ich glaube, dafs der im wesentlichen irrige Ge-
danke der Zurückführung von Ebbe und Flut auf die Erdbewegung
schon dieser frühen Lebensperiode Galileis angehört. Eine fertige
Formulierung seiner diesbezüglichen Ansichten liegt im Jahre IG 10
vor, denn er erwähnt eine Abhandlung de maris aestu in dem bekann-
ten Briefe vom 7. Mai jenes Jahres au Belisario Vinta.-) Daher ist
es auch begreiflich, dafs Galilei selbst dann noch, als der Dialog längst
1) Dial. 20ff. 2) Oj). VI, 98.
Galilei, Weltsysteme.
XVIII Einleitung.
auf viel breiterer Grundlage geplant und teilweise ausgeführt war, in
seiner vermeintlielien Erklärung der Gezeiten den Ausgangs- und Ziel-
punkt der ganzen Darstellung erblickt und dies auch im Titel zum
Ausdruck bringen will. Freilich mufs es auffallen, dafs wir bis zum
Jahre 1615, abgesehen von dem Schreiben an Vinta, ihn diesen Gegen-
stand weder brieflich noch sonstwie behandeln sehen. Da indessen
seine wissenschaftliche Thätigkeit in jenen Jahren voll und ganz dem
Fallprobleme, rein astronomischen Untersuchungen und etwa noch
hydrostatischen Fragen gewidmet war, so mag dadurch jener Gedanke
einstweilen in den Hintergrund gedrängt worden sein, abgesehen davon
dafs die Scheu vor einer öffentlichen Anerkennung der Lehre von der
Erdbewegung, die seiner Erklärung der Gezeiten zu Grunde lag, ihn
noch lange zurückhielt.
In den unvergleichlich fruchtbaren Jahren des paduanischen
Aufenthalts kam zu dem Material, das späterhin im Dialog verarbeitet
wurde, eine reiche Fülle hinzu. In jene Jahre fällt vor allem die
Fortsetzung der in der pisanischen Zeit begonnenen mechanischen
Untersuchungen. Erst in Padua, nicht schon in Pisa, wie seit Alberi
vielfach angenommen wurde'), gelangte Galilei zu dem wichtigsten
Forschungsergebnisse, das wir ihm überhaupt verdanken, zvi den Ge-
setzen der Fallbewegung. So war er im Jahre 1602, wie aus dem
Briefe an Guidobaldo del Monte vom 29. November 1602 hervorgeht"),
im Besitze des schönen Satzes, welcher die Gleichheit der Falldauer
längs sämtlicher, im tiefsten Punkte eines vertikalen Kreises endigen-
den Sehnen aussagt; es ist nicht wohl denkbar, dafs er zu diesem
auch im Dialoge und in den Discorsi^) behandelten Satze gelangte,
ohne zugleich das Gesetz der Fallbewegung zu keimen. Zwei Jahre
später spricht er in einem Briefe vom 16. Oktober 1604 an Paolo
Sarpi, den berühmten Geschichtsschreiber des tridentinischen Koncils,
das Gesetz mit deutlichen Worten aus*); freilich versucht er damals
noch, es aus einem falschen Princip abzuleiten, aus dem Princip, die
erreichten Geschwindigkeiten seien proportional den durchfallenen
Räumen. Eben deshalb mufs, Avie Wohlwill ^) hervorhebt, die klassische,
den Discorsi zu Grunde liegende Abhandlung de motu accelerato'^),
welche bereits die Proportionalität der Geschwindigkeiten mit den Fall-
zeiten lehrt, erst nach der Zeit des Briefes an Sarpi entstanden sein.
Wohl aber hatte Galilei schon in Pisa den annähernden Isochronismus
1) Vgl. oben p. X. 2) Op. VI, 20.
3j Dial. 471 und Op. XIII, 181. 4) Op. VI, 24.
5) S. oben p. X. 6) Op. XI, 74.
Einleitung. XIX
der Pendelschwingmigen entdeckt und mit dem Wesen der beschleu-
nigten Bewegung sicli insofern vertraut gemacht, als er die Notwen-
digkeit des Durchlaufens aller Geschwindigkeitsstufen zwischen der
Ruhe und einer erreichten Geschwindigkeit erkannt hatte. Diese Not-
wendigkeit wird späterhin im Dialog und in den Discorsi^) mit weit
gröfserer Bestimmtheit und Klarheit dargelegt und betont, als in den-
Sermones de motu gravkim, offenbar darum, weil das Verständnis
gerade dieses Punktes Galilei selbst und seinen Zeitgenossen besondere
Schwierigkeiten geboten hat. An und für sich haben diese Probleme
mit der Streitfrage der Weltsysteme wenig zu schaffen; da sie jedoch
als wichtige Episoden im Dialoge berührt werden, so hat es für den
Leser ein Interesse über die Entstehuugszeit der galileischen Unter-
suchungen orientiert zu sein.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Diskussion über das
kopernikauische System stehen dagegen die Erörterungen Galileis über
das Beharren der Bewegung; denn nur, wenn die von der Erdbewegung
einem irdischen Körper mitgeteilte Bewegimg diesem verbleibt, auch
nachdem er nicht mehr in Verbindung mit der Erde steht, läfst sich
das kopernikauische System mit den alltäglichen irdischen Vorgängen
in Übereinstimmung bringen. Lange Zeit hindurch war es üblich,
Galilei, eben weil er die Verträglichkeit der alltäglichen Erfahrung
mit der Erdbewegung so klar erläutert hat, ohne weiteres als den
Entdecker des Beharrungsgesetzes zu betrachten, desjenigen Teiles
des Beharrungsgesetzes wenigstens, der aussagt, dafs ein in Be-
wegung befindlicher, unter dem Einflüsse keiner bewegenden Kraft
mehr stehender Körper sich geradlinig mit gleichförmiger Geschwin-
digkeit ohne Ende weiterbewegt. So frühe nun auch Galilei, wie wir
sahen, in die Fufstapfen Beuedettis tretend, von der wunderlichen
aristotelischen Auffassmig sich losgemacht hatte, so hat er doch nie-
mals die erwähnte oder eine gleichwertige Formulierung des Beharrungs-
gesetzes ausgesprochen. Er kennt nur oder benutzt jedenfalls nur die eine
vermeintliche Thatsache, dafs ein Körper bei horizontaler Aufangs-
bewegung, unter welcher G. stets eine Kreisbewegung um den Erd-
mittelpunkt versteht, diese Kreisbewegung in gleichförmiger Geschwin-
digkeit beibehält. Die einzige im Dialog enthaltene Andeutung einer
allgemeineren Auffassung-) findet sich p. 184, wo gesagt wird, dafs die
aus einem schräg gerichteten Rohre abgeschossene Kugel in Richtmig
1) Dial. 22 ff und Op. XHf, 156.
2) Es käme allenfalls noch die Stelle Dial. 202 f. in Betracht, doch .sa>>t aiic
diese niclits ülier die Geschwindigkeit der Beliarrnngsbewegung aus.
1.*
XX Einleitung.
des Laufes weiterfliegen würde, wenn die Schwere sie nicht nach unten
ablenkte. Dabei ist aber weder von der Gleichförmigkeit der ferneren
Bewegung die Rede, noch wird eine allgemeine Formulierung ver-
sucht. Ebenso findet sich in den Discorsi eine lichtvolle Stelle'), wo
die begründete Vermutung" (odmochim rationahüc videbitur, si accipia-
mus . . .) des Beharrens auch in schiefer Richtung gelegentlich aus-
gesprochen wird, ohne dafs jedoch von dieser Erkenntnis in den späteren
Entwicklungen Gebrauch gemacht würde, so naheliegend dies nach
moderner Auffassung gewesen wäre. Am allerwenigsten hat Galilei
je die Fallbeschleunigung aus dem Zusammenwirken der einmal er-
reichten Geschwindigkeit mit dem in jedem Moment hinzutretenden
Impuls der Schwere abgeleitet. Näheres über das Verhältnis Galileis
zum Beharrungsgesetz enthält die mehrfach erwähnte vortreffliche Studie
Wohlwills; vgl. auch die Anmerkungen zu Dial. p. 20, 30, 148, 155
184, 187, 189. Hier sei nur bemerkt, dafs gerade der specielle An-
lafs zu der Beschäftigung mit der Frage der Beharrung, nämlich die
Vereinbarkeit der' täglichen Erfahrung mit dem kopernikanischen
System, ein Hindernis für die volle Erkenntnis war, insofern eben
hierdurch nahegelegt wurde, die Beharrung in der Kreislinie als Natur-
gesetz anzusehen. Hätten ausschliefslich seine mechanischen Unter-
suchungen Galilei auf die Spur des Beharrungsgesetzes gebracht, so
würde er schwerlich die reife Frucht migepflückt gelassen haben. Da
er aber um der kopernikanischen Lehre willen zunächst zu dem kreis-
förmigen Beharren um das Erdcentrum geführt wurde, und ein Zweifel
an der strengen Gültigkeit dieser Art der Beharrung nie in ihm auf-
stieg, und da jene Kreisbewegungen keine Verallgemeineniiig auf den
Fall eines Beharrens in beliebiger Richtung zuliefsen, so war es ihm
unmöglich einen festen unverrückbaren Standpunkt in dieser Frage zu
gewinnen. „Und doch genügte, als Galilei seine Forschmig abgeschlossen,
ein Geist vom Range Balianis, ein klarer Kopf ohne hervorragende
schöpferische Begabung, um den Worten des Meisters zu entnehmen,
was dieser unausgesprochen gelassen hatte. Es genügte, möchte man
sagen, dafs er als zweiter an die gleiche Gedankenfolge trat, dafs der
Ursprung und die Entwicklungsgeschichte des neuen Princips ihm
nicht ein innerlich Erlebtes waren und dafs eben deshalb jene be-
schränkenden Bestimmungen in der Formulierung und Auffassung für
ihn die Bedeutung verloren hatten".^) Trotzdem die Formulierung
des Gesetzes bei Galilei also nicht allgemein ist, da sie sich nicht auf
beliebig gerichtete Anfangsbewegungen bezieht, ja strenge genommen
1) Op. Xm, 201. 2) Wohlwill, 1. c. p. 112.
Einleitung. XXI
iiiclit richtig ist, insofern sie die Beharrung in der Kreislinie, nicht
die geradlinige Beharrung behauptet, so ist dennoch der Wert seiner
Ergebnisse nicht hoch genug anzuschlagen. Wenn es dafür noch des
Beweises bedürfte, so brauchte man blofs die staunende Bewunderuno-
in Betracht zu ziehen, mit der die Zeitgenossen die diesbezüglichen
Stellen des Dialogs entgegennahmen \\ die in der That nach Form und
Inhalt zu den glänzendsten Partieen desselben zu zählen sind. Bei
einigen der hierher gehörigen Betrachtungen läfst sich bis auf den
Tag genau angeben, wann die erste Idee derselben dem Verfasser kam;
so finden sich mitten zwischen Aufzeichnungen Galileis über Ausgaben
und Einnahmen unter dem Datum des 11. April 1607 Notizen über
die ruzsola (Rollscheibe) und über relative Bewegungen; es sind kurze
Andeutungen dessen, was Sagredo im Dialog ausführlich erörtert.^)
Ein weiterer im Dialog mehr episodisch behandelter Stoff'), dem
GaHlei in Padua seine vollste Aufmerksamkeit zuwandte, waren die
magnetischen Erscheinungen. Wir finden ihn sjjätestens seit 1602 mit
dem Studium derselben beschäftigt, angeregt offenbar durch das im
Jahre 1600 erschienene Buch Gilberts „De Magnete". Mit seinen
Freunden Fra Paolo Sarpi und Francesco Sagredo betrieb er gemein-
sam die Lektüre des von ihm hochbewuuderten Engländers, und wieder-
holte, ja überbot teilweise die Gilbertschen Versuche. Er adoptierte fast
durchweg die Ansichten Gilberts; namentlich glaubte er irrigerweise wie
dieser, dafs das ganze Erdinnere aus Magneteisen bestehe und dafs die
Unveränderlichkeit der Erdachsenrichtung eine Folge des Erdmagnetis-
mus sei; doch trat er anderen Irrtümern freimütig entgegen, wie der
Vermutung Gilberts, dafs eine freischwebende Magnetkugel von selbst
rotiere. Am Schlüsse der Gespräche des dritten Tags widmet Galilei
dem berühmten Zeitgenossen und seinen Leistungen eine ziemlich aus-
führliche Besprechung; er war sich bewufst, in ihm einen Mitstreiter
zu haben, nicht nur für die kopernikanische Sache, sondern überhaupt
für eine moderne Art des naturwissenschaftlichen Betriebs gegenüber
der vergilbten Papierweisheit der Peripatetiker.
So wenig Galilei schon vor der Zeit seines glänzenden Eroberungs-
zugs am Himmel die Wahrheit des kopernikanischen Systems be-
zweifelte, so sehr mufsten ihn doch die überraschenden Entdeckimgen,
die er mit Hilfe des von ihm verbesserten und zuerst für astronomische
Zwecke benutzten Fernrohres machte, in seinen Ansichten bestärken
1) Vgl. Wohlwill, Beharrungsgesetz p. 77.
2) Favaro, G. G. e lo studio di Padova H, 180. Dial. 10,5 ff., 180 f.
3) Dial. 418—433.
XXII Einleitung.
und ihm den Wunsch nahelegen, auch die Zeitgenossen von der Be-
deutuno- dieser Entdeckungen für die neue, scheinbar so phantastische
Lehre zu überzeugen. Im März 1610 erschien sein „Sternenbote", der
Sidereiis nuncius, der allenthalben bei Freund vmd Feind gewaltigsten
Aufruhr erregte. Vor allem waren es die im Januar desselben Jahres
zuerst aufgefimdenen Jupitersmonde, die mediceischen Gestirne, wie
Galilei sie nannte, die mit imerbittlichster Klarheit dem sinnlichen
Auge einerseits bewiesen, dafs das Centrum der Planetenbewegungen
nicht durchweg die Erde sein könne, und die andererseits den weite-
ren wichtigen Einwand gegen die koperuikanische Lehre hinfällig
machten, dafs ihr zufolge der Mond eine ungebührliche Sonderstellung
einnehme, da er allein von allen beweglichen Himmelskörpern nicht
die Sonne umkreisen sollte, sondern die Erde. Hatte man doch jetzt
einen gar von vier Monden umkreisten Planeten. Die Analogie zwischen
Erde und Himmelskörpern oder, wie man sich damals häufig ausdrückte,
der Umstand, dafs die Erde ein Stern sei war der von den Gegnern
vielleicht zumeist bestrittene Punkt der Diskussion; er wurde damit
verständlich. Galilei deutet dies selber am Schlüsse des Berichtes übei*
die von ihm gemachten Entdeckungen an*) und wagt damit zum ersten
Male öffentlich sich zu Gunsten der Lehre von der Erdbewegung aus-
zusprechen. Nachdem er so lange verschwiegen, wessen sein Herz voll
Avar, glaubte er durch die Wunderbotschaften, die er vom Himmel
brachte, endlich das Recht erwirkt zu haben, seine Stimme für die
fast greifbar gewordene Wahrheit zu erheben. Auch die gebirgige
Natur des Mondes, die durch das Fernrohr erschlossen war, und die
übrigen Analogieen zwischen Erde und Mond, welche ähnlich wie
später im Dialog^) schon im Sidereus nuncius hervorgehoben werden^
benutzte er als Argumente für die im wesentlichen gleichartige Natur
der Erde und der Himmelskörper. Betreffs ausführlicherer Erörterungen
verweist er wiederholt'') auf das Werk De systemate mundi.
Zum ersten Male seit dem Briefe an Ke^aler von Jahre 1597 hören
wir damit wieder von schriftlichen Aufzeichnungen, welche die Lehre
der Weltsysteme zum Gegenstande hatten. Was damals vermutlich
kürzere Notizen oder kleinere Abhandlungen gewesen waren, hatte sich
nunmehr ausgewachsen zu einem gröfseren Ganzen, das der Haupt-
sache nach wohl schon das enthalten sollte, was im Dialog uns vor-
liegt. Aus dem Briefe vom 7, Mai 1610 an den toskanischen Staats-
sekretär Belisario Vinta erfahren wir, dafs zu den "\A^erken, mit deren
Abfassung Galilei damals beschäftigt war, und für deren Vollendung
1) Op. m, 98. 2) Dial. 66 tf. 3) Op. III, 72, 73.
I
Einleitung. XXIII
er die nötige Mufse ersehnte, aucli zwei Bücher De systemate seu con-
stitutione universi gehörten-, er nennt sie eine „gewaltige Konception,
voll philosophischer, astronomischer nnd geometrischer Untersuchungen."
Soweit ihnen überhaupt damals eine fertige Gestalt zukam, scheinen
sie in lateinischer Sprache und in Abhandlungsform, nicht dialogisch
abgefafst gewesen zu sein.
Die Ruhe, die zur Fertigstellung dieses wie der anderen geplan-
ten Werke nötig war, hoffte Galilei nach 21-jähriger, von beispiel-
losem Erfolg begleiteter Lehrthätigkeit besser finden zu können, wenn
er von der Pflicht des Kollegienlesens entbunden würde. So bewarb
er sich denn um die Stellung eines Grofsherzogiich Toskanischen Mathe-
matikers und Philosophen, auf die er um so eher rechnen durfte, als
er dem Erbgrofsherzog Cosimo IL, der nimmehr seit 1609 den Thron be-
stiegen hatte, während der Uuiversitätsferien regelmäfsig mathematischen
Unterricht erteilt hatte. Es waren gewifs nicht blofs materielle Gründe
und ehrgeizige Absichten, die ihn zu diesem verhängnisvollen Schritte
bewogen. Er dachte sicherlich vor allem durch den vielbeneideten
Glanz, der den Hofmann nun einmal umstrahlte, hinreichende Autori-
tät zu gewinnen, um seine innersten Überzeugungen aussprechen zu
dürfen-, er holfte, dafs seine Feinde, die bornierten sowohl wie die bos-
haften, fernerhin nicht mehr wagen würden, die neuen von ihm ver-
tretenen Gedanken lächerlich zu machen oder zu ignorieren. Er hatte
empfunden, dafs zur Bekehrung der Massen gute Gründe nicht aus-
reichten; die Machtstellung des Mannes, nicht die Güte der Sache sah
er auch in wissenschaftlichen Fragen häufig den Ausschlag geben;
und da er endlich einen Erfolg seiner Mühen und Arbeiten sehen
wollte, trachtete er danach, seine goldenen Früchte auch in silbernen
Schalen aufzutischen. Aber es sollte die Zeit kommen, wo er nur
allzu schmerzlich fühlte, dafs die scheinbaren Annehmlichkeiten seiner
Stellung teuer erkauft waren durch Nachteile anderer Art. Der Ruhm
seiner astronomischen Entdeckungen würde ihm, wo immer er seiuen
Wohnsitz aufschlug, trotz aller Neider die Aufmerksamkeit der ganzen
wissenschaftlichen Welt gesichert haben. • Und wären ihm auf dem
Katheder zu Padua auch Kämpfe nicht erspart geljlieben, der starke
Arm der Republik Venedig, die selbst vor dem Bannstrahle des Papstes
sich nicht beugte, hätte ihn vor dem äufsersten geschützt, während
das toskanische Fürstenhaus unter jesuitischem Einflufs stand und
nimmer gewagt hätte sich mit Rom zu überwerfen, am wenigsten dem
Hofmathematikus zu liebe, mochte dieser auch ein Galilei sein.
Kurz vor seiner im September 1610 erfolgenden Übersiedlung
nach Florenz fügte Galilei seinen astronomischen Entdeckungen eine
XXIV Einleitung.
neue hinzu; er beobaclitete Ende Juli 1610 die auffallende Gestalt
des Saturn, den er für begleitet von zwei Nacbbargestirnen liielt. Die
wahre Figur zu ermitteln gelang ihm nicht, es blieb dies Huyghens
vorbehalten. — Endlich fallen vielleicht noch in die nämliche Zeit,
allerdings auf Grund von Zeugnissen, die aus bedeutend späterer Zeit
stammen, auch die ersten Beobachtungen der Sounenflecken, die in-
dessen einstweilen zu imbestimmten Ergebnissen geführt haben müssen.
Galilei würde sonst schwerlich verfehlt haben in seinem Briefwechsel
mit Kepler und Belisario Vinta davon zu sprechen. Er selbst datiert
in dem ersten Briefe an Welser diese Entdeckung vom November
1610, im Dialog aber schon aus der Zeit der paduanischen Professur.^)
Ein erbitterter Prioritätsstreit, auf den wir mehrfach zurückzukommen
haben, entspann sich später darüber und trug nicht wenig dazu bei,
die künftigen Schicksale über Galilei heraufzubeschwören.
Gleich nachdem Galilei festen Fufs in Florenz gefafst hatte, richtete
er von neuem sein Augenmerk auf die Litteratur über die Weltsysteme,
er bittet alsbald den toskauischen Gesandten in Prag, Giuliano de'
Medici, der mit dem gleichfalls dort weilenden Kepler engste Fühlimg
hatte, um Zusendimg einschlägiger Bücher.^) Aber mehr als durch
irgendwelches Bücherstudium förderte er seine Sache — denn als seine
Sache sah er nunmehr die Verteidigung der kopernikanischen Lehre
an, und der Volksmund bezeichnete bald die Kopernikaner als Gali-
leisten — durch eine neue Entdeckung von der gröfsten Tragweite.
Am 11. Dezember konnte er, zunächst noch in der Form eines Ana-
gramms, wie er sie ähnlich vorher bei VeröflFentlichung seiner Saturn-
beobachtungen benutzt hatte, nach Prag, bald darauf nach Rom an
Clav ins und nach Brescia an seinen treuen Schüler imd Freund
Castelli berichten, dafs Venus und wahrscheiulich auch Merkur eine
Phasenänderung durchmache ähnlich wie der Mond. Damit war im
wesentlichen jedweder Einwand gegen die centrale Stellung der Sonne
im Planetensystem entfallen, und der Beweis für die Dunkelheit der
Planeten erbracht, also eine neue Analogie zwischen Erde und Plane-
ten festgestellt. Nur die physikalischen Gründe, die Erscheinungen
auf der Erde selbst, durften den Verständigeren unter den Gegnern
noch Bedenken gegen die koperuikauische Lehre zurücklassen; denn
Galilei hatte noch nichts von der im wesentlichen schon fertigen neuen
Bewegungslehre, die auch diese Schwierigkeiten beseitigte, in weite-
ren Kreisen bekannt gegeben. Von astronomischer Seite stand der
1) Op. in, 382 und Dial. 361.
2) Op. VI, 124.
Einleitung. XXV
Erdbewegimg nichts mehr entgegen, wenn mau die mangelnde Parallaxe
der Fixsterne nicht etwa als Gegengrimd betrachten will.
Am Schlüsse dieses für ihn so ereignisreichen Jahres hätte Galilei
einen befriedigenden Rückblick auf die errungenen Erfolge werfen
können. Er hatte wissenschaftlich erreicht, was er ein Jahr zuvor in
seinen kühnsten Träumen nicht hoffen durfte; er hatte auch äufserlich
das erlangt, was er ersehnte. Aber ein Tropfen Bitterkeit vergällte ihm
den Freudenkelch. Er sah noch immer das Häuflein derer, die sich
um Kopernikus scharten, klein, verschwindend klein gegen die. Nach-
beter ererbten Formelkrams. Es ergriff ihn bisweilen eine verzweifelte
Hoffnimgslosigkeit, sodafs er seine eigenen Bestrebungen gleichsam
verhöhnte. So schreibt er am 30. Dezember 1610 an Castelli*): „Um
die eigensinnigen Gegner zu überzeugen, die einzig und allein auf den
eiteln Beifall der blöden dummen Menge Wert legen, wäre es auch
dann noch nicht genug, wenn die Sterne zur Erde herabstiegen und
von sich selber Zeugnis ablegten. Seien wir auf das eine bedacht,
selbst uns Erkenntnis zu verschaffen, und suchen wir in dieser unseren
einzigen Trost. In der Volksgunst uns weiter zu bringen oder den
Beifall der Büchergelehrten zu gewinnen, das zu wünschen und zu
hoffen, wollisn Avir unterlassen." Dieses Gefühl der Resignation aber, das
als vorübergehende Stimmung nur zu sehr begreiflich ist, war denn
doch nicht von langer Dauer. Es begann eine Periode, wo im Gegen-
teile Galilei in der mannhaftesten Weise die Pläne, die er bei Über-
nahme seiner neuen Stellung zweifelsohne im stillen gefafst, ins Werk
setzte. Auf dem Gipfel seiner geistigen Höhe stehend, entfaltete er
auch die höchste moralische Kraft, er legte alle Menschenfurcht bei-
seite und wirkte imverdrossen an der dornenvollen Aufgabe, den stei-
nigen unfruchtbaren Boden der herrschenden Naturphilosophie imizu-
pflügen und ihm als erste Frucht die allseitige Billigung, die Popu-
larisierung der Lehi-e von der Erdbewegung abzugewinnen.
Von dem Enthusiasmus für dieses Ziel erfüllt, reiste er am
23. März 1611 nach Rom, zunächst mit der Absicht, dort die Wahr-
heit seiner Entdeckungen, an der man vielfach noch ZAveifelte, zur
Anerkennung zu bringen. Gelehrten und geistlichen Würdenträgern
zeigte er die Jupiterstrabanten, die Mondgebirge, die Phasen der Venus
und die Sonnenflecken. An der Richtigkeit der Thatsachen liefs sich
fürder nicht mehr zweifeln, ja es wurde von dem berühmten, dem
Jesuitenorden angehörigen Kardinal Robert Bellarmin ausdrücklich
ein Gutachten des römischen JesuitenkoUegiums provociert, durch Avelches
1) Op. VI, 135.
XXVI Einleitung.
Clavius nebst drei anderen Professoren des Kollegiums die Wahrheit
der neuen Entdeckungen attestierten. Galilei erlebte Triumphe wie
wohl kein Astronom oder Mathematiker zuvor. Papst Paul V. empfing
ihn aufs gnädigste, mit Entzücken lauschten Kardinäle seinen durch-
sichtigen Vorträgen, in denen er sein unvergleichliches Lehrtalent zur
Geltung brachte. Er wurde zum Mitgliede der Accademia dei Lincei
(Akademie der Luchsäugigen) ernannt, die Fürst Federigo Cesi im
Jahre 1603 in Rom gegründet hatte; auf die Zugehörigkeit zu dieser
Akademie spielt er an, wenn er sich in seinen dialogischen Schriften
als den Akademiker bezeichnen läfst. — Der Hauptzweck seiner Reise
war diesmal gewesen, die Thatsachen zur Anerkennung zu bringen;
inwieweit er aus diesen in seinen Vorträgen Schlüsse auf die Gültig-
keit des kopernikanischen Systems zog, ist nicht genau bekannt. Er
scheint darin Vorsicht geübt zu haben, um das nächste Ziel, das er
erstrebte, nicht zu verfehlen. Aber welch tiefen Eindruck die Dar-
legungen Galileis oder die Thatsachen selbst auf einsichtige Hörer,
wie auf einen Clavius, machten, beweist eine schon von Kepler her-
vorgehobene Stelle') in der letzten Ausgabe des Gommentars von
Clavius zur Sphaera des Sacrobosco. Dort spricht am Schlüsse eines
75-jährigen Lebens derselbe Mann seine Zweifel an der Wahrheit des
ptolemäischen Systems aus, der während dieses ganzen Lebens jenen
Standpunkt vertreten und ihn nachdrücklich verteidigt hatte. Galilei
stand damals mit den römischen Jesuiten auf bestem Fufse; das gute
Verhältnis mag Avohl eben in Clavius, einem hochverdienten und für
seine Wissenschaft wahrhaft begeisterten Manne, eine wesentliche
Stütze gefmiden haben. Unglücklicherweise starb Clavius schon im
folgenden Jahre (am 6. Februar 1612), er hätte viel dazu beitragen
können, um in der Folge auf die Entschliefsungen der Kirche mäfsigend
einzuwirken.
Ob Galilei rückhaltslos seine innersten Überzeugungen in Rom
offenbarte oder nicht: bei seinen Freunden und Feinden stand es fest,
dafs er vollüberzeugter Kopernikaner sei. Da die Zahl sowohl seiner
principiellen Gegner als der persönlichen, deren Neid durch die ihm wider-
fahrenen Ehren wachgerufen war, sich stetig mehrte, so begann nun
bald ein Intriguenspiel, das den fürchterlichen Mann verderben sollte,
der die versteinerte Wissenschaft zu neuem Leben zu erwärmen, der
tote und lebende Autoritäten von ihrem Piedestal zu stürzen drohte.
Wissenschaftlich ihm beizukommen war schwer, man mufste also den
1) Kepler, Opera ed. Frisch. VI, 117; Chr. Clavii Opera mathematica. Mogunt.
1612. III, 75.
Einleitung. XXVI [
Kampf auf ein anderes Terrain hinüberspielen, auf das Gebiet des
Glaubens. Nicht als ob die kopernikaniscbe Lehre jetzt zum ersten
Male an dem Mafsstabe der heiligen Schrift gemessen worden wäre.
So sehr auch Kopernikus von vornherein in der Widmung seines Werks
sich gegen das Hereinziehen der Bibel verwahrt, so hatte doch schon
Luther den Narren Kopernikus verspottet, der die Welt auf den Kopf
stellen wollte und im Widerspruch zu der bekannten biblischen Er-
zählung im Buche Josua, die Sonne ruhen, die Erde sich bewegen liefs.
Einer der ersten Anhänger des Kopernikus, Joachim Rhäticus
(eigentlich Georg Joachim) hatte in einer eigenen Schrift Kopernikus
und Bibel in Einklang zu bringen versucht, Tycho de Brahe hatte in
seinem Briefwechsel mit Christoph Rothmann, dem Hofastronomen
des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Cassel, auf den Widerspruch
mit der heiligen Schrift hingewiesen, Kepler bemühte sich des öfteren
die Bibel im kopernikanischeu Simie zu interpretieren: kurzum die
übele Gewohnheit, die Bibel in den Streit auch über andere Materien
als über Glaubenswahrheiten hineinzuziehen, war zu jener Zeit allent-
halben im Schwange. Dabei war zweifelsohne die herrschende An-
schauung, dafs es wissenschaftlich nicht fair sei so zu verfahren: etwa
wie man heutzutage es mifsbilligt, in politischen Kämpfen die Ansicht
und Person des regierenden Fürsten als Kampfesmittel zu verwenden.
Die Verehrung und Rücksicht der Wissenschaft für die Bibel sollte
darin ihren Ausdruck finden, dafs man imabhängig von ihr die Wahr-
heit erforschte und nachträglich die heilige Schrift so auslegte — und
das war die Aufgabe der Theologen — dafs sie mit dem anderweitig
für wahr Erkannten übereinstimmte. So schwer das oft auch mög-
lich war, ein ultimum refiigium blieb stets, von dem man allerdings
nicht gerne Gebrauch machte; man sagte, die Bibel bequeme sich in
ihrer Ausdrucksweise dem Verständnis der grofsen Menge an. Nie-
mals hat Galilei, und schwerlich je ein anderer Kopernikaner, die Bibel
als Beweismittel für die Lehre der Erdbewegung anführen wollen. Es
ist darum einer der sinnlosesten, nichtsdestoweniger häufig gegen
Galilei ausgesprochenen Vorwürfe, dafs er nachmals nicht als schlech-
ter Astronom, sondern als schlechter Theologe verurteilt worden sei.
Anzunehmen, dafs ihn gar Feindseligkeit gegen die Kirche beeinflufst
hätte, wie es etwa bei Giordano Bruno der Fall war, ist völlig aus-
geschlossen. Er war ibr gegenüber voll kindlicher, echt katholischer
Fügsamkeit, die festhält an einer von frühester Jugend unauslöschlich
eingeprägten Ehrfurcht vor allem, was mit der Kirche zusammenhängt,
einer Ehrfurcht, die vielleicht etwas Aufserliches, Gewohnheitsmäfsiges
hatte, die aber ganz und gar mit ihm verwachsen, nicht künstlich ge-
XXVIIT Einleitung.
macht war. Bis zur genaimten Zeit hatte er sich über das Verhält-
nis der koperiiikanischen Lehre zur heiligen Schrift überhaupt nicht
geäufsert. Um so auffallender, dafs während seines römischen Aufent-
haltes seine Name zum ersten Male in den Akten der Inquisition er-
scheint. Es ist unbekannt, ob eine Denunciation eines seiner persön-
lichen Feinde vorlag, oder ob die Inquisition aus eigener Initiative dem
gefahrlichen Neuerer ihre Aufmerksamkeit schenkte. Denn gefährlich
waren in gewissem Sinne die Lehren Galileis doch, seine Bekämpfung
der Autorität des Aristoteles machte jede andere Autorität erzittern;
der Heide Aristoteles und die katholische Kirche hatten insofern soli-
darische Interessen. Man forschte damals, ob Galilei in den Inquisi-
tionsprocess CesareCremoninis, eines seiner ehemaligen päd uanischen
Kollegen, verwickelt gewesen sei. Cremonini galt damals als eine
Leuchte der Peripatetiker, äufserte aber bedenkliche Ansichten bei
seiner Interj)retation der aristotelischen Schriften über die Seele, und
stand im Gerüche atheistische Anschauungen zu verbreiten. Das per-
sönliche Verhältnis zwischen ihm imd Galilei war nicht imfreundlich
gewesen, wissenschaftlich aber waren sie Antipoden. Gehörte doch
Cremonini zu denen, die sich zeitlebens weigerten einen Blick durch
das Fernrohr zu werfen. Gegen ihn polemisiert Galilei mehrmals im
Dialog, teils mit teils ohne Nennung seines Namens.
Galilei hatte damals die Absicht sein Werk de systemate mundi,
das er im Sidereus nuncius angekündigt hatte, . fertig zu stellen und
zu veröffentlichen. Man erwartete dies allgemein von ihm, wie nicht
nur aus einem Briefe des Fürsten Cesi vom 4. August 1612^) sondern
auch aus den einleitenden Worten seiner 1612 erschienenen Abhand-
lung Trattato dei Gallcgiantl^) hervorgeht, beiläufig bemerkt, einer der
bedeutendsten Schriften Galileis. Er zögerte indessen sein Buch über
die Weltsysteme zu vollenden, stutzig gemacht nicht sowohl durch
seine Gegner als durch seine Freunde, die ihn wie z. B. Paolo Gualdo^)
warnten, mit einer so phantastischen Lehre vor die Öffentlichkeit zu
treten. Die Gründe, die er in der erwähnten Abhandlung für sein
Säumen anführt, sind schwerlich ernst zu nehmen; denn die Bewegungs- j
Verhältnisse der Jupitersmonde, die er angeblich erst sorgfältiger er-
forschen wollte, sind auch späterhin im Dialog nur ganz obenhin be-
sprochen'), imd über die Sonnenflecken war Galilei im Jahre 1612
soweit im klaren, dafs er mit ihrer Hilfe die Sonnenrotation für er-
wiesen ansah.-'') Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dafs er damals
1) Op. VIII, 224. 2) Op. XII, 9. 3) Op. VHI, 142.
4) Am eingehendsten Dial. 124.
5) S. Trattato dei Gallegianti Op. XII, 10.
Einleitung. XXIX
dem Werke über die Weltsysteme ein anderes Gejiräge zu geben ge-
dachte, als es nacbher erhielt. Er plante vielleicht ein mehr fach-
wissenschaftliches Buch mit gröfserem mathematischem Apparat, zu
welchem ihm dann allerdings noch manches Material gefehlt haben
mag. Immerhin bleibt es schmerzlich zu bedauern, dafs er sich durch
die Ängstlichkeit seiner Freunde oder durch Bedenken welcher Art
auch immer zurückhalten liefs. Seine Feinde und die immer mifs-
trauischer werdende Kirche gewannen infolgedessen Zeit ihm seine
Aufgabe mehr und mehr zu erschweren, nicht durch neugeschmiedete
Geisteswaffen, sondern durch Aufbietung der brutalen geistigen Polizei-
gewalt, über welche die Kirche ja verfügte. Schon wurden die theologi-
schen Argumente mit gröfserer Ungeniertheit gebraucht, schon schrieb
Lodovico delle Colombe eine von Unwissenheit strotzende, in an-
mafsendstem Tone abgefafste Brochüre gegen die Kopernikaner ^) — selbst-
verständlich war es allein auf Galilei dabei abgesehen — in der die hei-
lige Schrift das letzte Argument bildete; schon entstand eine Art von
Verschwörung gegen Galilei, deren Haupt sein ehemaliger Schüler, der
nunmehrige Erzbischof von Florenz Marzimedici war. Noch durfte
Galilei hoffen Sieger zu bleiben, wenn er jetzt in voller Rüstung auf
dem Kampfplatze erschien; er that es nicht und versäumte so den
entscheidenden Augenblick.
Zu den Widersachern Galileis gesellte sich in jener Zeit ein Mami,
der, wahrscheinlich in höherem Grade als sich im einzelnen nach-
weisen läfst, verhängnisvoll in sein Leben eingegriffen hat, der Jesuiten-
pater Christoph Scheiner. Bei Gelegenheit von Galileis römischem
Aufenthalte hatte der Ordensgenosse Scheiners, Faul Guldin, der be-
kannte angebliche — aber nicht wirkliche — Entdecker der nach ihm
benannten Regel, auch den Demonstrationen der Sonnenflecken seitens
G.s beigewohnt. Dieser erzählt nun später, dafs Scheiner durch ihn
zuerst von jener Entdeckung Galileis Kenntnis erhalten und infolge dieser
Anregung erst seine eigenen Beobachtungen angestellt habe.^) Die
Sonnenflecken waren inzwischen auch von Johann Fabricius be-
obachtet und jedenfalls von diesem zuerst in einer gedruckten Schrift er-
örtert worden, sodafs man heute nicht mit Unrecht ihn als den Ent-
decker zu bezeichnen pflegt, während weder Galilei noch Scheiner seines
Namens in der späteren litterarischen Fehde Erwähnung thun. Scheiner
giebt freilich bezüglich seiner ersten Beobachtungen später eine andere
Darstellung und behauptet bereits im März KUl und dann im Oktober
1) Abgedruckt Op. II, 339 ff.
2) Op. X, 67 u. 234.
XXX Einleitung.
desselben Jahres in Ingolstadt Fleckenbeobachtungen gemacbt zu haben,
ohne von anderen Bestrebungen dieser Art etwas zu wissen.^)
Wie dem auch sei, er schrieb im Jahre 1612 an den Augsburger
Patricier Markus Welser drei Briefe, in denen er seine Beobach-
tungen der Sonnenflecken und seine Ansichten über deren Natur mit-
teilt. Er hielt die Flecken damals für Planeten, die sich in engen
Kreisen um die Sonne bewegten, eine Ansicht, der man auch in Italien
später vielfach huldigte.^) Welser schickte die Briefe und ebenso
eine später geschriebene ausführlichere Abhandlung^) Scheiners, der
sich Äpelles post fabiilam nennt, zur Begutachtung an Galilei. Dieser
antwortete in drei Briefen (vom 4. Mai, 14. August imd 1. Dezember
1612), worin er anfänglich noch vorsichtig und zweifelnd, später aber
mit gröfserer Bestimmtheit über das Wesen der Flecken sich ausläfst.
Er erklärt sie, ähnlich wie in der Einleitung zu dem aus gleichem
Jahre stammenden Trattato dei Gallegianti, für unmittelbar mit der
Sonne in Verbindung stehende Gebilde, die entstehen und vergehen
und somit die peripatetische Doktrin von der Unveränderlichkeit des
Himmels widerlegten; er meint, sie liefsen sich noch am ehesten mit
den Wolken in unserer Atmosphäre vergleichen und folgert vor allem
aus ihren Bewegungen die Achsendrehung der Sonne. Auch auf die
kopernikanische Lehre kommt er wiederholt und so auch am Schlüsse
zu sprechen*), er hält mit seiner Hoffnung auf baldige allgemeine
Anerkennung derselben nicht zurück. Die Prioritätsfrage wird von
Galilei eben nur gestreift; er sagt beiläufig, er habe die Flecken seit
18 Monaten beobachtet^), eine Angabe, die, wie oben bemerkt, auf den
November 1610 zurückführt, also nicht im vollen Einklänge mit der
Datierung im Dialoge und anderweitigen, aus späterer Zeit stammen-
den Nachrichten steht, welche die Entdeckung noch weiter zurück-
verlegen. Scheiner kannte in der zuletzt geschriebenen Abhandlung
noch keinen der Briefe Galileis; deim obwohl der erste bereits ein-
getroffen war, verstand er ihn doch nicht, da er des Italienischen da-
1) Rosa Ursina (Bracciani 1626—30) Vorrede. — Neuerdings stellt v. Braun-
mühl (Christoph Scheiuer, Bamberg 1891) die Ansicht auf, dafs die Beobach-
tungen Sch.s im März unabhängig von Galilei angestellt wurden, die im Oktober
hingegen durch Guldins Nachrichten veranlafst wurden. — Seh. hat aber oifen-
bar jenen ersten Beobachtungen sehr wenig Beachtung geschenkt.
2) Vgl. Dial. 56 f. und Op. m, 501.
3) Diese Abhandlung setzt sich aus 3 weiteren an Welser gerichteten Briefen
(vom 16. .Januai", 14. April und 25. Juli 1612) zusammen.
4) Üp. ni, 507.
5) Op. III, 382.
I
Einleitung. XXXI
mals noch nicht mächtig war; Prioritätsansprüche erhebt er damals
(25. Juli IG 12) noch nicht. Galileis Anworten wurden 1613 zu Rom
von der Accademia dei Liucei mit einem Vorworte von Angelo de
Filiis herausgegeben, in welch letzterem konstatiert wird, dafs Galilei
in Rom verschiedenen mit Namen genannten Personen die Sonnen-
flecken im Jahre 1611 gezeigt, und ebenso schon mehrere Monate zuvor
in Florenz — aber nicht in Padua oder Venedig — vielen Freunden
Kenntnis davon gegeben habe. ^)
Inzwischen hatten die Gegner Galileis geschickt operiert, um ihn
auf den schlüpfrigen Boden theologischer Erörterungen zu locken;
man war sicher, dafs, wenn er erst diesen betreten, es ein leichtes sei
ihn zu Fall zu bringen. Die fromme Mutter des Grofsherzogs Cosimo IL,
Christina von Lothringen, spielte dabei, wohl mehr geschoben als
schiebend, eine Hauptrolle. Ein Tischgespräch über Galileis Ent-
deckungen und Ansichten wurde an der grofsherzoglichen Tafel insceniert
und zwar in Gegenwart des Galilei treuergebenen Castelli; dabei fiel
die Aufserung, die kopernikanische Lehre sei mit der heiligen Schrift
unvereinbar. Castelli nahm sich seines Lehrers an, die Grofsherzogin
Mutter widersprach, nach Castellis Emjifindung hauptsächlich, um Gegen-
gründe zu hören. Selbstverständlich liefs Castelli seinem Meister über
den Vorfall Bericht zugehen und dieser antwortete in einem längeren
Schreiben vom 21. Dezember 1613^), worin er eine ausführliche Dar-
legung seiner Ansichten über Bibelexegese gab und die so gewonnenen
Grundsätze auf die streitigen Stellen der heiligen Schrift anwendete.
So interessant es dem Theologen sein mag, diese Ansichten kennen zu
lernen, für die Geschichte der Wissenschaft sind sie nur insofern von
Wichtigkeit, als man aus jenen Sätzen, die von höchster Ehrfurcht
für die Bibel und die Kirche Zeugnis ablegen, die aber andererseits
mit einem für damalige Zeitläufte nicht genug zu bewunderndem Mute
für das Recht der freien Naturforschung plaidieren, einen Strick zu
drehen suchte, um ihren Urheber zu Fall zu bringen. Es ist wohl
überflüssig zu bemerken, dafs Galileis Versuche, die heilige Schrift mit
der kopernikanischen Lehre in Einklang zu bringen, Sophismen sind,
so ernsthaft er selbst von ihrer Beweiskraft überzeugt war. Die bibli-
schen Aufserungeu über den Bau des Weltalls geben in naiver ^^'eise
die Eindrücke eines Volkes wieder, dem es zwar nicht an Naturgefühl,
wohl aber an allen naturwissenschaftlichen Kenntnissen fehlte, imd
stehen daher wirklich in Widerspruch nicht nur mit dem koperni-
kanischen, sondern auch mit dorn ptoleinäischcn Systeme. Galilei aber
1) Op. Vi\ 0^71'. 2) Ol). II, 6 — 13.
XXXII Einleitung.
war niclit wenig stolz auf seine in der Tliat von subtilstem Scliarf-
siriTi zeugende Leistung ; er verscliickte Abschriften an seine Freunde
und hoffte nicht nur seine persönlichen Gegner abgefertigt zu haben,
sondern wahrscheinlich auch durch seine Argumente einen Druck auf
die Entschliefsungen der Kirche auszuüben.
Denn unabhängig von dem widerlichen Intriguenspiel gegen die
Person Galileis beschäftigte man sich im Schofse der Inquisition jetzt
ernsthaft mit der Frage, wie die Kirche sich zu der Lehre von der
Erdbewegung zu stellen habe. Das Werk des Kopernikus war zwar
mehr als 70 Jahre unbeanstandet geblieben, sei es, weil ein kirchlich
anstöfsiger Streit darüber sich nicht erhoben hatte, sei es, weil man
sich täuschen liefs durch die den Absichten des Kopernikus völlig
zuwiderlaufende Vorrede Osianders zu dem Werke des grofsen Refor-
mators, und dafs man daher des Glaubens lebte, es handle sich bei
jener Reform nur um eine mathematische Fiktion zur Erleichterung
der Berechnung der Planetenbewegungen. Seitdem aber diese „Fiktion"
ernst genommen und als Wahrheit verteidigt wurde, wie es allein dem
Sinne des Urhebers gemäfs war, seitdem die Feinde und infolge davon
auch die Freunde der Lehre immer wieder in theologische Erörte-
rungen verfielen, sah sich das heilige Officium veranlafst, Stellung zu
diesen Fragen zu nehmen. Vor allem war es der Kardinal Bellarmin,
der zu einer Entscheidung drängte; so grofs sein Interesse an den
neuen astronomischen Entdeckungen war, so sehr er Galilei persön-
lich schätzte und ihn zu schützen suchte, so unbeugsam war er in ]
kirchlichen Angelegenheiten. Er erkannte die ganze der Kirche drohende |
Gefahr, die nicht nur in dem Widerspruche der kopernikanischen "Lehre
mit der heiligen Schrift bestand — dieser liefs sich schlimmstenfalls
zwar nicht wirklich, aber für die Zwecke der Kirche in ausreichender
Weise, weginterpretieren, wie Bellarmin in einem Briefe an Foscarini
selbst zugab ^); aber die weitaus gröfsere Gefahr einer auf dem Boden
der astronomischen Reform neu emporspriefsenden Weltanschauung
wird dem weiten Blick des Kardinals gleichfalls nicht entgangen sein.
Auf diesen Mann einzuwirken, darauf war offenbar Galileis Wunsch
und Hoffnung gerichtet; ihm sollte der Brief an Castelli vom 21. Dez.
1613 in die Hände kommen.^)
Über die Erwägungen, die wahrscheinlich schon im Jahre 1614
1) Berti, Copernico e le vicende del sistema coi^ernicano in Italia nella
seconda meta del secolo XVI e nella prima del secolo XVII (Roma 1876) p. 121.
— Übersetzt bei Reusch, der Procefs Galileis imd die Jesuiten (Bonn 1879) p. G2ft'.
2) Op. II, 14.
Einleitung. XXXIII
im Schofse der Inquisition gepflogen wurden, verlautete zwar zunächst
iji Florenz noch nichts Bestimmtes; doch scheint man dort für die
liichtung, in welcher der Wind wehte, feinfühlig genug gewesen zu
sein^ um sich zur Anwendung gröberen Geschützes gegen Galilei er-
mutigt zu fühlen. Ahnlich wie ein Jahrhundert zuvor in Mantua der
Augustiuermönch Ambrogio Fiandino die Kanzel mifsbrauchte, um die
Ideen des grofsen Philosophen Pomponazzi zu bekämpfen, so wagte
es jetzt in Florenz der Dominikaner Tommaso Caccini, gerade ein Jahr
nach dem Briefe Galileis an Castelli, in der fanatischsten Weise gegen
die Kopernikaner und die Mathematiker überhaupt zu predigen. Wenn
die Absicht dabei war, einen Skandal zu provocieren, so wurde sie
auf das vollständigste erreicht. Alle Welt war zwar entrüstet, selbst
die Ordensgenossen Caccinis; aber probat war das Mittel doch gewesen,
insofern es unzweifelhaft dazu beitrug die Verhandlungen der Inqui-
sition in Flufs zu bringen. Unmöglich konnte man solche Vorfälle
sich des öfteren wiederholen lassen. Caccini imd seine Hintermänner
„wufsten, wie es gemacht wird." — Galilei rüstete sich zur Abwehr.
Dazu boten sich ihm zwei Wege: entweder er suchte, ohne auf theo-
logische Fragen einzugehen, mit dem Aufwände aller ihm zu Gebote
stehenden Hilfsmittel die Erdbewegung naturwissenschaftlich zu er-
weisen, mittelbar also eine etwaige kirchliche Verwerfung des Systems
in möglichst grellen Widerspruch zu allen Vernunftwahrheiten zu
bringen; oder er wies einerseits hin auf die kirchliche Unanstöfsigkeit
der Lehre, und hob andererseits die Gefahr hervor, die der Kirche aus
der Parteinahme gegen eine möglicherweise wahre Lehre erwachsen
könne. Der dem Naturforscher angemessenere Weg wäre, wie die
mafsgebenden Personen sehr wohl herausfühlten^), der erstere gewesen.
Aber sei es, dafs das Werk De systemate miindi noch nicht reif für
die Veröffentlichung war — und Eile that Not — oder dafs GaKlei,
der auf seine theologischen Erörterungen hohen W^ert legte, sich
gröfseren Erfolg von der anderen Taktik versprach, wie sie denn auch
anscheinend gefahrloser und versöhnlicher war: kurz, um die mittler-
weile akut gewordene Gefahr eines kirchlichen Verbots der Lehre ab-
zuwenden, entschlofs er sich, die in dem Briefe an Castelli ausge-
sprochenen Gedanken detaillierter auszuführen und zwar in Gestalt
eines Schreibens an die Grofsherzogin Mutter Christine (Op. II, 26—6-1:).
Was in dieser berühmten Schrift, wie auch in manchen Stellen des
Dialogs, besonders wohlthuend berührt, ist die scharfe Betonung des Ge-
dankens, dafs die beiden Systeme sich durchaus ausschüefsen, dafs es
1) Op. Vm, 352, 355.
Galilei, Weltsystonie.
XXXIV Einleitung.
keine Vermittlung gebe, dafs man niclit, wie in Fragen des Rechts,
der Politik u. dgl. ein Kompromifs schliefsen könne, bei dem ein Über-
gewicht der gröfseren Beredsamkeit oder selbst der gröfseren Intelligenz
Vorteile für die eine oder andere Seite herauszuschlagen vermöge.^)
Er zielt offenbar darauf ab, die Kirche zur Nichtintervention zu ver-
anlassen: denn diese mufste ungern zu einer profan-wissenschaftlichen
Frage Stellung nehmen, wenn ihr nicht durch anderweitige Deutung
der gefällten Entscheidung späterhin ein Rückzug in Aussicht gestellt
blieb. Galilei sagt sehr verständlich, wenn auch versteckt hinter ehr-
erbietigen Redewendungen: Hütet Euch die Bewegung der Erde als
Irrlehre zu verdammen, denn hier kann nicht, wie sonst so häufig,
eine nachträgliche Wortverdrehung den begangenen Fehler aus der
Welt schaffen wollen. Seine Warnung sollte ungehört verhallen,
aber er hat Recht behalten. Von seiten der katholischen Kirche
ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Mafsregel getroffen
worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die
in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nach-
gewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so
ohne weiteres zugegeben werden mufs und zugegeben wird.
Ungefähr zu derselben Zeit, wo Galilei mit der Ausarbeitung jener
denkwürdigen Schrift beschäftigt war, schickte der Dominikanerpater
Lorini dem Präfekten der Indexkongregation eine Abschrift des Briefes
an Castelli ein, nicht ohne einige bedenkliche Verstärkungen des Aus-
drucks anzubringen, mit der Aufforderung gegen die Kühnheit der
Galileisten einzuschreiten. Die Deuunciation Lorinis wurde dem hei-
ligen Officium übermittelt und dieses that sofort Schritte, um sich in
den Besitz des Originals von Galileis Brief zu setzen; trotz aller an-
gewendeten Schlauheit führten diese Bemühmigeu jedoch nicht zum
Ziele. Der Procefs der Inquisition war damit gegen Galilei eröffnet.
In die Einzelheiten desselben einzugehen ist an dieser Stelle nicht
nötig. Es genügt das Ergebnis, soweit es festgestellt ist, mitzuteilen.
Im Dezember 1615 war Galilei nach Rom gereist, sowohl um seiner
persönlichen Angelegenheit willen, als um das drohende Verbot der
kopernikanischen Lehre zu hintertreiben. Das gegen ihn eröffnete
Verfahren scheint ihn nicht sehr beängstigt zu haben; er mochte über
den vermutlichen Ausgang durch seine mit den Verhältnissen ver-
trauten Freunde beruhigt worden sein und in seinem heiligen Eifer
für die Sache der Wahrheit seine privaten Interessen fast vergessen
haben. Eine fieberhafte Thätigkeit, eine glänzende Beredsamkeit ent-
1) Op. n, 4.S, 45. Dial. 57.
Einleitung. XXXV
faltete er nach deu Scliildenmgen von Ohrenzeugen in jener Zeit; in
den Cirkeln, vor denen er mit den Gegnern disputierte, erzielte er
grofse moralische Erfolge; man ist entzückt über die feine Ironie, mit
der er anscheinend noch das Gewicht der gegnerischen Gründe ver-
stärkt, um sie dann in ihr Nichts zerfallen zu lassen, ganz wie es
Salviati im Dialoge thut; er trägt dem Kardinal Orsini seine Theorie
der Gezeiten vor und schickt ihm (am 8. Januar IG 16) eine schrift-
liche Ausarbeitung seines Vortrags zu, dieselbe Schrift, aus deren Um-
arbeitung und Erweiterung nachmals der vierte Tag des Dialogs her-
vorging. An dem Felsen der Kirche aber prallte ebenso seine irrige
Fluttheorie ab, wie bessere Argumente. Am 24. Februar 1616 gaben
die theologischen Konsultoren der Inquisition ihr Gutachten über die
beiden folgenden, ihnen vorgelegten Sätze ab: 1) Die Sonne ist der
Mittelpunkt der Welt und besitzt keinerlei Ortsbewegung. 2) Die
Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich, son-
dern bewegt sich als Ganzes sowie in täglicher Bewegung. ') Diese
sonderbar formulierten Sätze wurden folgendermafsen begutachtet.
Ad 1) Alle sagten, genannter Satz sei philosophisch thöricht und ab-
surd, aufserdem formell ketzerisch, insofern er ausdrücklich den an
vielen Stellen der heihgen Schrift sich findenden Lehren widerspricht,
hinsichtlich des Wortlautes sowohl als hinsichtlich der gemeinen Er-
klärung und Sinnesdeutung seitens der heiligen Väter und der Doktoren
der Theologie. Ad 2) Alle sagten, dieser Satz sei philosophisch ebenso
zu beurteilen, rücksichtlich seiner theologischen Wahrheit sei er zum
mindesten irrig im Glauben. — Am folgenden Tage, dem 25. Februar
1616 beschlofs das heilige Officium auf Grund dieses Gutachtens seiner
Konsultoren: Kardinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und
ihn ermahnen genannte Meinung aufzugeben; wenn er sich weigere zu
gehorchen, solle ihm der Kommissar der Inquisition vor Notar und
Zeugen den Befehl erteilen, dafs er sich durchaus enthalte, sothane
Lehre und Meinung zu lehren oder zu verteidigen oder über sie zu
handeln; wenn er sich dabei aber nicht beruhige, solle er eingekerkert
werden.^) — Aufserdem wurde (vermutlich in derselben Sitzung der
Inquisition) beschlossen, von dem ergangenen Gutachten der Index-
Kongregation Kenntnis zu geben, deren Aufgabe bekanntlich darin be-
steht, kirchlich anstöfsige Bücher zu verbieten oder zu suspendieren,
l)is das Anstöfsige entfernt ist, sowie die zu diesem Behufe notwen-
digen Korrekturen vorzunehmen.
1) Gebier, die Akten des galileisclien Processes. (Stuttgart 1877) p. 47f.
2) Gebier, Akten p. 48f.
c*
XXXVI Einleitung.
Was zunächst den letzteren BescKLufs betrifft, so erging am 5. März
1616 denn auch wirklich das berüchtigte Dekret dieser Behörde; in
demselben werden zunächst einige andere Bücher verboten, sodann
heifst es:^)
„Und weil ferner zur Kenntnis vorgenannter heiliger Kongregation
gelangt ist, dafs jene falsche, der heiligen Schrift durchaus wider-
sprechende pythagoreische Meinung von der Beweglichkeit der Erde
und UnbewegKchkeit der Sonne, welche Nicolaus Copernicus De revo-
lutionibus orhium coelestium, sowie Didacus Astunica in lob lehren,
sich jetzt verbreitet und von vielen gebilligt wird; wie zu ersehen ist
aus einem gedruckten Briefe eines gewissen Karmeliterpaters, dessen
Titel lautet: Lettera del R. Padre Maestro Paolo Antonio Foscarini,
Carmelitano, sopra l'opinione de Pittagorici, e del Copernico, della mo-
hilitä della Terra, e stahilitä del Sole, et il niiovo Pittagorico Sistema
del Mondo, in Napoli per Lazzaro Scoriggio 1615, worin genannter
Pater zu zeigen versucht, vorgenannte Lehre von der Unbeweg-
Hehkeit der Sonne im Mittelpimkte der Welt und von der Beweg-
lichkeit der Erde sei in Übereinstimmung mit der Wahrheit und
widerspreche nicht der heiligen Schrift: darum, damit sothane Mei-
nung nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit um sich greife, be-
schlofs man, genannten Nicolaus Copernicus de revolutionihns orhium und
Didacus Astunica in loh zu suspendieren, bis sie verbessert würden,
das Buch des Karmeliterpaters Paulus Antonius Foscarini aber ganz
zu verbieten und zu verdammen, und alle anderen Bücher, die dasselbe
lehrten, gleichermafsen zu verbieten. Wie sie denn durch gegenwär-
tiges Dekret alle respektive verboten, verdammt und suspendiert wer-
den. Zu ürkund dessen ist gegenwärtiges Dekret mit Unterschrift
und Siegel Sr. Erlaucht und Hochwürden des Herrn Kardinals von
S. Caecilia, Bischofs von Albano, unterzeichnet und ausgefertigt wor-
den am 5. März 1616."
Wir ersehen aus dem Wortlaute des Dekrets, dafs das Werk des
Kopernikus nicht ohne weiteres verboten wurde, dafs nur diejenigen
Bücher als verdammenswert bezeichnet werden, die wie das Foscari-
nische es sich zur Aufgabe machten die Wahrheit der Lehre und ihre
Konkordanz mit der heiligen Schrift zu erweisen. Es lag also nicht
in der Absicht der Kongregation, die Berechnung der Planetenbewegung
auf Grund der kopernikanischen Annahmen zu verbieten, nur durften
diese Annahmen nicht als Wahrheit, sie mufsten als mathematische
Fiktion gelehrt werden. Demgemäfs wurde denn auch Kopernikus in
1) Gebier, Akten p. 50.
Einleitung. XXX VI!
der Folge (1620) verbessert, d. h. alle die Stellen seines Werkes, die
apodiktisch von der Erdbewegung und dem Stillestehen der Sonne
reden, wurden auf eine hypothetische Forui gebracht. Die hypothe-
tische Behandlung seiner Lehre liefs man also im allgemeinen zu imd
von dieser Erlaubnis wurde Gebrauch gemacht.
Wie stand es nun aber mit der Ausführung des anderen, speciell
auf Galilei bezüglichen Beschlusses, der in der Sitzung vom 25. Februar
gefafst wurde? Durch WohlAvills scharfsinnige Studie „Der Inqui-
sitiousprocess des Galilei" ist diese Frage angeregt imd in zahlreichen
Schriften behandelt worden, sie ist noch immer kontrovers. — Am
26. Februar beschied nämlich Bellarmin Galilei zu sich, machte ihm
Mitteilung von dem bevorstehenden Dekret der Indexkongregatiou und
ermahnte ihn die kopernikanische Lehre aufzugeben. Soweit ist der
Thatbestand verbürgt; und wenn damit alles Vorgefallene wieder-
gegeben ist, wenn Galilei sich dabei beruhigte, so war zwar der Schlag
für ihn schmerzlich genug. Er durfte von nun ab an einer der
Lebensaufgaben, die er sich gestellt, nur mit gefesselten Händen ar-
beiten; denn von dem, was er als Wahrheit erkamite, mufste er wie
die ganze katholische Christenheit als von eiuer Hypothese reden.
Aber er durfte immerhin davon reden, und er konnte bei seiner Kmist
der Darstellung hoffen, dafs er auch so, trotz aller Erschwerung, dem
verständigen Hörer verständlich sein werde. Hat nun aber Galilei der
Ermahnung Bellarmins Widerspruch entgegengesetzt? wurde also auch
die im Beschlufs der Inquisition vorgesehene andere Möglichkeit aktuell?
Wenn dies geschah, so mufste der Kommissar der Inquisition ein-
schreiten, vor Notar und Zevigen Galilei verbieten, irgendAvie, auch
nur hypothetisch, über die kopernikanische Lehre zu handeln, und ihn
für den Fall der Widersetzlichkeit mit Einkerkermig bedrohen. Wenn
es soweit kam, war Galilei für alle Zeiten in Sachen der Erdbewegung
mundtot gemacht. Die Entscheidung der Frage ist von erheblicher
Wichtigkeit; denn einer der Rechtsgründe des zweiten Inquisitions-
processes gegen Galilei wurde durch die Annahme geschaffen, dafs er
das speciell ihm auferlegte Schweigen gebrochen habe. Ein von Notar
und Zeugen unterschriebenes Dokument über das Vorgefallene — und
ein solches mufs doch wohl ausgefertigt worden sein, wenn der
zweite Fall eintrat — liegt nicht vor; das Aktenstück, welches mau
früher dafür ansah, ist entweder eine sogenannte Registratur d. h.
„eine vom Notar der Inquisition gemachte und den Akten einverleibte
amtliche Aufzeichnung'^'), oder es verdankt einer im Jahre 1632 oder
1) Reusch, der Process GaHleis.p. 133, der seinerseits Grisar citiert.
XXXVIIl Einleitimg.
1633 gemachteu Fälschung seineii Ursprung. Gegen die Echtheit
sprechen gewichtige Gründe. Vor allem besitzen wir ein auf Wunsch
Galileis von Bellarmin ausgestelltes Zeugnis über das, was sich damals
ereignete*); darin ist von dem Sonderverbote keine Rede. Weiter ist
das ganze Verhalten Galileis in der Folgezeit und seine Aussage bei
dem zweiten Process, wie sich zeigen wird, kaum erklärlich, sobald
man das Sonderverbot als wirklich ergangen annimmt. Endlich ist
es trotz der üblichen Geheimhaltung aller Inquisitiousbeschlüsse un-
begreiflich, dafs die Sonderstellung Galileis zu dem Dekrete vom 5. März
auch der Behörde vinbekannt gewesen sein soll, die naturgemäfs in
erster Linie die Kontrolle über das Verhalten Galileis zu üben hatte,
d. h. der römischen Censur. Und doch erteilte diese späterhin dem
Dialog das Imprimatur, welches, wie es nachher hiefs, erschlichen sein
sollte, weil Galilei dem Ceusor von dem ihm speciell auferlegten
Schweigen keine Kenntnis gab. Trotz dieser und noch einiger anderer
Gründe kann man immerhin — wir kommen darauf zurück — die
Fälschung jenes Dokuments nicht mit voller Sicherheit erweisen. Und
so mag denn alles, was in der Folge geschah, so unwahrscheinlich
dies auch ist, in aller Form Rechtens geschehen sein. Die späteren
Richter Galileis mögen dann persönlich entlastet sein, aber das System
ist nur um so schlimmer gerichtet; die späterhin begangene Barbarei
war dann ganz in der Ordnung.
Die Scene vom 26. Februar 1616 bildete den Abschlufs des ersten
gegen Galilei angestrengten Processes. Gegen seine Person war man,
sehr entgegen den Wünschen seiner Feinde, glimpflich verfahren; seine
künftige Thätigkeit hatte man ihm freilich mindestens sehr erschwert.
Die nächstfolgenden Jahre weisen denn auch hervorragendere Leistungen
Galileis nicht auf; eine gewisse Entmutigung hatte sich seiner be-
mächtigt, nach den vergeblichen Mühen und Kämpfen der letzten Jahre
wollte er ruhigere Tage verleben.-) Namentlich konnte er das Werk
De systemate miindi in der Form, die vor Erlafs des Indexdekrets
geplant war, nicht veröffentlichen. Dafs er schon damals an eine Um-
arbeitung dachte, wie sie uns im Dialog vorliegt, ist nicht anzunehmen.
Indessen zeigt der Brief^), den er einer Abschrift seiner Abhandlung
über die Erklärung der Gezeiten beifügte, als er dieselbe an den Erz-
herzog Leopold von Österreich übersandte (23. Mai 1618), wie er sich
die Möglichkeit vorstellte, seine Gedanken auszusprechen, ohne die
notwendige Rücksicht auf die Kirche zu verletzen. Er nennt darin
seine Ansicht eine Dichtung, einen Traum, giebt aber vor, auf diese
I
1) Gebier, Akten p. 91. 2) Op. IV, 154. 3) Op. VI, 278.
Einleitung. XXXIX
denselben Wert zu legen, wie ein Dichter auf seine Dichtung. An die
Richtigkeit seiner Erklärung glaube er nicht, seitdem eine himmlische
Stimme ihn aufgeklärt habe. Man kann zweifeln, ob diese auch im
Dialoge angewendete Manier mit dem Dekrete sich abzufinden als statt-
haft gelten konnte, ob das die hypothetische Form war, wie sie dem
Dekrete und der in den nächsten Jahren üblichen Praxis entsprach;
man kann aber nicht zweifeln, dafs sie dem etwaigen verschärften
Verbote, dafs nur für Galilei galt, aufs bestimmteste widersprach. In
demselben Schreiben findet sich auch zum ersten Male der in der
Vorrede zum Dialog wiederkehrende Gedanke, dafs er seinen Einfall
veröffentliche, damit kein Fremder oder aufserhalb der katholischen
Kirche Stehender sich desselben bemächtigen und Prioritätsansprüche
darauf erheben könne. Der unausgesprochen bleibende Nebengedanke
ist: seht, wie schwer durch Euere Schuld der katholische Gelehrte im
Wettbewerb mit den Ketzern benachteiligt ist. Es liegt darin eine
ähnliche agitatorische Absicht, wie wenn Campanella später sagte ^),
dafs er einige deutsche Edelleute beinahe zum Katholicismus bekehrt
habe, dafs sie ihn aber entrüstet verlassen hätten, als sie von dem
Verbote der kopernikanischen Lehre gehört hätten.
Im Jahre 1617 nahm Galilei die Verhandlungen mit Spanien
wieder auf, die schon vier Jahre zuvor gespielt hatten und die auch
später wiederholt in Gang gebracht Avurden, ohne je zu einem Ziel zu
führen. Es handelte sich dabei um eine Methode der geographischen
Längenbestimmimg mittels der Jupiterstrabanten, eine Methode, auf
die Galilei ungemeinen Wert legte, und auf deren Vervollkommnung
er unsägliche Mühe verwendete. Er beabsichtigte dieselbe an Spanien,
später an die Niederlande zu verkaufen, doch zerschlugen sich, wie
gesagt, die Verhandlungen stets.
Im Jahre 1619 begann eine litterarische Fehde, die für Galilei
verhängnisvoll werden sollte, da sie ihm die Feindschaft der Jesuiten
zuzog. Bis dahin hatte er, Avenigstens zu den Jesuiten in Rom, iu
einem leidlichen Verhältnis gestanden. Die Briefe über die Sonnen-
flecken mufsten zwar den deutschen Jesnitenpater Scheiner verdriefsen,
da namentlich in der von Angelo de Filiis geschriebenen Vorrede die
Priorität der Entdeckung sehr energisch für Galilei in Ans])ruch ge-
nommen wurde. Indessen hat Scheiner damals kaum Widerspruch er-
hoben; ja in dem von ihm inspirierten Büchlein Disqw'sitiones matlie-
maticae de controversiis et novitatibus astronomicis seines Schülers Locher,
welches 1614 zu Ingolstadt erschien, Avird an mehreren Stellen von
1) Op. IX, 176.
XL Einleitung.
Galilei mit liöchster AcMung gesproclien und nur schüclitern die Be-
merkung gemacht^): „Diese [Erscheinungen an der Sonne] wurden vor
einigen Jahren zuerst durch Apelles in zwei Gemälden, sodami auch
durch den Herrn Galilei bekannt", — Die drei Kometen des Jahres
1618 hingegen sollten Galilei schwere Kämpfe mit den Jesuiten bringen,
Kämpfe, bei welchen wissenschaftlich in der Hauptsache das Recht
nicht auf seiner Seite war. Über diese Kometen nämlich hielt Orazio
Grassi, Professor am römischen Jesuitenkolleg, einen Vortragt), worin
er im wesentlichen richtige Ansichten über die Natur der Kometen
entwickelt, ähnlich denen, die Tycho de Brahe früher aufgestellt hatte.
Er erklärt sie für dunkele, vom Sonnenlicht erleuchtete Körper, ver-
gleicht ihre Bewegung mit derjenigen der Planeten und versetzt -sie
vermutungsweise in die Sphäre zwischen Mond und Sonne. Diese An-
sichten bekämpfte ein Schüler Galileis Mario Guiducci in einem in
der Florentiner Akademie gehaltenen Vortrage, welcher im Juni 1619
durch den Druck veröffentlicht wurde unter dem Titel: Discorso delle
Coniete di Mario Guiducci.^) Die darin aufgestellten Ansichten rührten
von Galilei her, auch die Redaktion im einzelnen war grofsenteils
sein Werk. Neben Ausfallen auf Scheiner '^) und vorsichtigen An-
spielungen darauf, dafs zur vollen Erklärimg des Kometenphänomens
die Lehre von der Erdbewegung herangezogen werden müsse ^), findet
sich als wahrscheinlich ausgesprochen, dafs die Kometen nichts Reales
seien, sondern eine blofse optische Erscheinung, hervorgebracht durch
Brechung und Reflexion an den von der Erde emporsteigenden, mög-
licherweise bis in die Himmelsräume sich erhebenden Dünsten. Es
werden aber beiläufig auch mancherlei beachtenswerte Erörterungen
angestellt; so über die Irradiation, die minder ausführlich schon im
Nuncius Sidereus sich finden und im Dialoge sich wiederholen.") Auf
den Discorso Guiduccis erschien 1619 eine Entgegimng, angeblich von
einem Schüler Grassis, Lotario Sarsi, in Wahrheit aber von Grassi
selbst verfafst: Libra astronomica ac philosophica qua GaUlaei Galilaei
opiniones de cometis a Mario Guiduccio in Florentina Academia ex-
positae atque in hicem niiper editae examinantnr a Lotliario Sarsio Sigen-
sanoJ) Darin wird, wie der Titel bereits andeutet, Galilei selbst, nicht
Guiducci — und zwar in sehr boshafter Weise — angegriffen. Die
Diskussion dreht sich vielfach nicht mehr um die Hauptfrage, sondern
um gelegentlich zur Sprache gekommene Dinge: ob das Fernrohr nahe
1) Disq. math. p. 65. 2) Abgedruckt Op. IV, 1—14.
3) Abgedruckt Op. IV, 15—60. 4) Op. IV, 20. 5) Op. IV, 52; 54.
6) Op. IV, 40; m, 73; Dial. 80f., 350ff. 7) Abgedruckt Op. IV, 61—121.
Einleitung. XLI
und entfernte Objekte gleicli stark vergröfsere, ob ein rotierendes Ge-
fäfs die darin enthaltene Luft in Bewegung versetze, ob die Reibung
der Luft Wärme erzeuge, wie die Irradiation kleiner leuchtender Kör-
per zu erklären sei, ob Flammen durchsichtig seien oder nicht. —
Galileis Freunde waren über die Händel, in die er sich eingelassen
hatte, nicht erbaut; sie schAvankten lange, wie am besten auf Pseudo-
Sarsis Schrift zu reagieren sei. Die Ängstlichkeit, mit der man die
notwendigen Mafsregeln erwog, ist höchst charakteristisch; wufste man
doch nur zu gut, dafs es unberechenbare Folgen haben könne, sobald
man die allmächtigen, vor keinem Mittel zurückschreckenden Jesuiten
zu Gegnern habe. So kam es, dafs Galilei von seineu Freunden zu
einer Entgegnung gedrängt und gleichzeitig zur Vorsicht gemahnt wurde.
Erst im Oktober 1622 beendigte er seine Arbeit, welche in Form
eines Briefes an Don Virginio Cesarini abgefafst war. Er schickte
sie nach Rom, um vor der Drucklegung das Urteil der Mitglieder der
Accademia dei Lincei, auf deren Kosten die Veröffentlichung stattfand,
einzuholen. Dieses fiel sehr günstig aus, nur an wenigen Stellen hielt
man es für zweckmäfsig Änderungen anzubringen. Der Saggiatore
(Goldwäger) — dies war der Titel der Schrift — sollte namenthch
deshalb in Rom gedruckt werden, damit durch die ausdrückliche Ge-
nehmigung der römischen Censur die von Galilei ausgesprochenen An-
sichten vor nachträglicher kirchhcher Verfolgung um so sicherer
seien. An der Spitze dieser Censurbehörde steht der sogenannte Ma-
gister Sacri Palatii; in diesem Falle nahm jedoch die Prüfung des
Buches nicht der Palastmeister selbst vor, sondern der durch seine
migewöhnliche Gelehrsamkeit bekannte Dominikaner Nie colö Riccardi,
genannt Padre Mostro. Am 2. Februar 1623 stellte dieser dem Werke
ein höchst schmeichelhaftes Zeugnis aus; er wurde kurz darauf in
Florenz auch persönlich mit Galilei bekannt und spielte späterhin, als
er selbst Magister Sacri Palatii geworden war, in dessen Leben noch
eine wichtige Rolle. Während des Drucks des Saggiatore trat ein
Wechsel im Pontificat ein; der Kardinal Maffeo Barberini, der sich
nunmehr Urbau VIII. naimte, wurde am 6. August 1623 zum Papste
gewählt. Er war mit Galilei persönlich bekannt, schätzte ihn hoch,
ja er hatte seine astronomischen Entdeckungen vormals in schwung-
vollen Oden besungen. Ihm wurde die Widmung des Saggiatore an-
geboten und er nahm sie an. Im Oktober 1623 erschien der „Gold-
wäger" auf dem Büchermarkte. Er erregte schon durch die klassische
Form, die ihn zu einem Meisterwerke italienischer Prosa stempelt,
grofses Aufsehen; aber auch wissenschaftlich interessante Einzelheiten
bringt er in grofser Zahl, zum Teil solche, die im Dialog citiert mid
XLII Einleitung.
uoclimals besprochen wercleu. ') Besondere BeacMung verdienen wieder-
liolte Äufserimgen über die Frage der Weltsysteme^ die einer bos-
haften Provokation der Libra astronomica ihren Ursprung verdanken-)
und die wiederum mit dem Tndexdekret allenfalls vereinbar sind, nicht
aber mit einem an Galilei ergangenen Sonderverbote. Namentlich
wird an einer Stelle (Op. IV, 304) die von Kopernikus angenommene
„dritte" Bewegung, die sogenannte Deklinationsbewegung, welche viel-
fach besonderen Anstofs erregt hatte, in ihrer Bedeutung klargelegt
und durch Hinweis auf einen Versuch, ganz wie im Dialog^), erläu-
tert. In der Einleitung finden sich scharfe Ausfälle gegen Scheiner,
ohne dafs dessen Name genannt würde; gerade um jene Zeit war der-
selbe aus Deutschland nach Kom gekommen und hatte dort wahr-
scheinlich sich als ersten Entdecker der Sonnenflecken geriert. Wie
wütend die Jesuiten über das neu erschienene Werk Galileis waren,
so sehr auch Grassi seinen Zorn zu verbergen suchte, geht nament-
lich daraus hervor, dafs man trotz der Approbation durch die römische
Censur, trotz der Widmung an den Papst, das Buch zu denunzieren
wagte, dafs man darauf hinarbeitete, Galilei abermals in einen Inqui-
sitionsprocefs zu verwickeln und sein Buch verbieten zu lassen; diese
Machinationen blieben indessen für jetzt erfolglos.
Das anstandslos dem Saggiatore erteilte Imprimatur und die
freundliche Gesinnung des neuen Papstes, der als Freund und Be-
schützer von Künsten und Wissenschaften bekannt war, und der auch
als Kardinal Galilei seine Gewogenheit mehrfach nicht nur mit Wor-
ten versichert, sondern auch durch die That bewiesen hatte, belebten
dessen Hofihungen. Er hatte schon einige Zeit vor der Neubesetzung
des päpstlichen Stuhles an einer Erweiterung seiner Abhandlung über
Ebbe und Flut gearbeitet."*) Da jetzt die Verhältnisse äufserst günstig
zu liegen schienen, da Galileis Freunde Cesarini und Ciampoli, beide
Mitglieder der Akademie dei Lincei, mit einflufsreicheu Stellungen am
päpstlichen Hofe bedacht wurden, da ebenso Cesi, der Begründer und
Leiter der Akademie hoch in der Gunst Urbans stand, so konnte
Galilei au die Fertigstellung seines immer wieder aufgeschobenen
Werkes über die Weltsysteme denken. Es schien der Zeitpunkt ge-
kommen, wo man versuchen durfte, das Verbot der kopernikanischen
Lehre rückgängig zu machen; denn Urban war zwar nie ein Kopernikaner
gewesen, billigte aber, wie aus späteren Äufserungen hervorgeht ^), das
Indexdekret keineswegs. Die Freunde bestürmten daher Galilei —
1) Vgl. Dial. 75. 351. 463. 2) Op. IV, 172, 182, 278, 304.
3) Dial. 417. 4) Op. IX, 25. 5) Op. IX, 176.
Einleitung. XLIII
lind sie gössen damit nnr Ol in das Feuer, das in ihm nie erloschen
war — nach Rom zu kommen, um dem Papste persönlich seine Hul-
digung darzubringen und bei dieser Gelegenheit für die Aufhebung
des Dekrets vom 5. März 1616 thätig zu sein. Galilei ging denn
auch wirklich im April 1624 nach der ewigen Stadt, wurde vom Papste
sehr freundlich empfangen, scheint aber nicht direkt mit demselben
über Kopernikus und seine Sache verhandelt zu haben, sondern nur
durch Vermittlung des Kardinals Hoheuzollern. Ein sachliches Ergeb-
nis erzielte er nicht, wenngleich ihm die Genugthuung wurde, in einem
Breve des Papstes an den Grofsherzog — im Jahre 1621 war auf
Cosimo II. der minderjährige Ferdinand IL gefolgt — sein Lob in
übers chwänglicher Weise erschallen zu hören.
Da eine Aufhebung des Verbots der Lehre von der Erdbewegung
nicht zu erreichen war, so hatte sich Galilei von neuem die Frage
vorzulegen, wie er über die Weltsysteme sich äufsern kömie, ohne
wider das Dekret zu verstofsen. Noch während seines Aufenthaltes
in Rom machte er einen Versuch in dieser Richtung. Es bot sich
ihm dazu folgender Anlafs. Im Jahre 1616 hatte Francesco Ingoli,
Rechtsanwalt aus Ravenna, an Galilei, der damals in Rom weilte und
für Kopernikus agitierte, eine Schrift in Briefform geschickt'), worin
er unter Versicherung seiner Hochachtimg für den Entdecker der Ju-
piterstrabanten die kopernikanische Lehre bekämpfte. Abgesehen von
einigen plumpen, dem Verfasser speciell eigentümlichen Schnitzern ent-
hielt die Brochüre nur die landläufigen, Ptolemäus und Tycho ent-
lehnten Argumente. Galilei hatte damals entweder das Schreiben für
unwert einer Antwort gehalten oder den Zeitpunkt für wenig geeignet
geachtet: kurz, er schwieg 8 Jahre. Bei seiner diesmaligen Anwesen-
heit in Rom aber entschlofs er sich dem Verfasser, der inzwischen
Sekretär der Cougregation de propaganda fide geworden war, zu ant-
worten, hauptsächlich wohl, wie gesagt, um sich einen modus scrihendi
zu eigen zu machen, wie er ihn in der Folgezeit brauchte, wenn er
das lang geplante Werk über die Weltsysteme zur Ausführung bringen
wollte. Dies Antwortschreiben, welches das Datum: „Rom, im Früh-
jahr 1624" trägt, ist für uns insofern von Wichtigkeit, als es eine
Vorstudie zum Dialoge bildete. Als Zweck seiner Erörterungen Avird
von Galilei dabei — in ähnlicher Weise wie in dem Briefe an den
1) Diese bisher noch imgedruckte, als Manuskript in der Vaticanbibliothek
aufbewahrte Schrift führt den Titel: De situ et quiete Terrae contra Copemici
systema disputatio. Ihre Verötfentlichung durch Favaro steht bevor, der auch
eine Entgegnung Keplers auf die Schrift Ingolis herausgeben -wird. Rendi conti
della R. Accademia dei Lincei 1891. vol. VII, 18.
XLIV Einleitung.
Erzherzog Leopold und wie später in der Vorrede zum Dialog — die
Absicht angegeben, den ausländischen Ketzern zu zeigen, dafs man die
uaturwissenschaftHchen Gründe zu Gimsten der kopernikanischen Lehre
in Italien sehr wohl kenne, dafs also das Lidexdekret nur aus theo-
logischen Gründen erlassen worden sei. Auch sonst finden wir hier
vielfach dieselben Gedanken, zum Teil mit fast denselben Worten aus-
gedrückt, wie im Dialog. Andererseits kommt auch manches zur
Sprache, was verwunderlicherweise und wohl nur aus Versehen in dem
gröfseren Werke fehlt, wie die ptolemäischen Gründe für die centrale
Stellung der Erde im Weltall, über welche Galilei schon in dem
Briefe an Mazzoni vom Jahre 1597, wiewohl von etwas anderen Ge-
sichtspunkten aus, gehandelt hatte. Andere Erörterungen freilich hat
Galilei im Dialog offenbar mit Absicht unterdrückt, weil sie sich gegen
gar zu kindische Fehler Ingolis richten. So hatte dieser gemeint, dafs
die kleinere Parallaxe der Sonne, die gröfsere des Mondes mit der
kopernikanischen Lehre unvereinbar sei, weil ihrzufolge die Sonne als
Weltcentrum vom Firmamente weiter abstehe als der Mond; je ent-
fernter aber ein Himmelskörper vom Firmament sei, um so gröfser
müsse seine Parallaxe ausfallen. Was die Übereinstimmungen zwischen
dem Schreiben an Ligoli und dem Dialoge betrifft, so ist z. B. zu er-
wähnen, wie in beiden die Hinneigung des Verfassers zu der Annahme
einer unendlich ausgedehnten Welt hervortritt^), jener gefährlichen
von Giordano Bruno vertretenen Lehre, die Kopernikus selbst und
ebenso Kepler nicht billigten. Ein anderer Punkt ist der Hinweis auf
die ungeheuere Überschätzung der scheinbaren Fixsterngröfse, wie sie
alle Astronomen, Tycho nicht ausgenommen, sich zu schulden hatten
kommen lassen; eine falsche Grundlage, auf der ein ganzes Gebäude
falscher Folgerungen errichtet worden war.'^) Mit verdientem Spott
überschüttet Galilei den häufig von seinen Gegnern ausgesprochenen
Gedanken, dafs nach kopernikanischer Lehre das Firmament unverhält-
nismäfsig grofs sei, dafs bei einer solchen Entfernung desselben die
Fixsterne nicht die Einwirkung auf die Erde üben könnten, die sie
faktisch üben. Wie es Galileis durchweg festgehaltener Brauch ist,
nur das Nächstliegende, das für den unmittelbaren Zweck Notwendige
anzuführen, so spricht er auch hier nicht etwa den Zweifel aus —
den er gewifs als berechtigt ansah — ob die Einwirkung der Fix-
sterne auf die Erde überhaupt in etwas anderem bestehe als in der
geringen Lichtwirkung; er weist vielmehr nur den logischen Fehler
1) Vgl. II, 73 mit Dial. 39, 334.
2) Vgl. II, 79 mit Dial. 375 ff.
Einleitung. XLV
eines derartigen Räsonnements nach^ er sagt: um behaupten zu können,
dafs die kopernikauische Entfernung der Fixsterne zu grofs sei, müsse
man zuvor wissen, dafs die thatsäclilicli geübte Wirkung nicht bei der
kopernikanischen, sondern bei der ptolemäiscbeu Entfernung zustande
komme. ') Im Dialog wird das Argument iLgoiIs" iki ganz ähnlicher
Weise abgethan, nur dafs sieh dort die WicerWgung gegen Scheiner
richtet, der schon vor Ingoli in seinen Disquisitiones mathematicae
dieselbe Überlegung angestellt hatte. -) Ferner kommt, wie nicht anders
zu erwarten, der senkrechte Fall als Scheinargument der Peripatetiker
gegen Kopernikus zur Si^rache, und wie im Dialog richtet Galilei seine
Angriffe sowohl gegen die zu Grunde liegende falsche Logik, wie gegen
die unrichtigen von den GegTiern angeführten Thatsachen. ^) Dabei
geschieht auch des oft citierten Versuches Erwähnung, der nach Wohl-
will*) vermutlich zuerst von Giordano Bruno erörtert wurde, nämlich
des Fallversuchs mit einem Steine, der einmal auf ruhendem, einmal
auf bewegtem Schiffe von der Mastspitze abgelassen wird. Die Aristo-
teliker versicherten, ohne den Versuch je ausgeführt zu haben, der Stein
falle auf bewegtem Schiffe nicht am Fufse des Mastes nieder, sondern
um ebensoviel davon entfernt, wie das Schiff während des Falles sich
bewegt habe. Die Kopernikaner, welche meist auch den Versuch nicht
anstellten, gaben in der Regel die Richtigkeit dieser Behauptung zu,
leugneten aber, dafs die „natürliche" Drehungsbewegung mit der „ge-
waltsamen" des Schiffes in Parallele gestellt werden dürfe. Galilei hält diese
Verteidigung nicht etwa für gänzlich unrichtig, auch er hat die tausend-
jährige Unterscheidung von natürlichen und gewaltsamen Bewegungen
nicht ganz verworfen; den Hauj)tnachdruck aber legt er auf die üm-ichtig-
keit der Thatsache, die er einerseits theoretisch mittels seines Beharrmigs-
gesetzes, andererseits empirisch durch Hinweis auf den Ausfall des Ver-
suchs widerlegt. Galilei sagt in dem Briefe an Ingoli bestimmt aus,
dafs er den Versuch ausgeführt habe und zwar mit dem Erfolge, wie
er seiner vorher durch Vernunftschlüsse gewonnenen Überzeugung ent-
sprach.^) Im Dialog ist die Darstellung so gehalten, dafs man eher
an die Nichtausführung des Experiments glauben möchte")-, da uns
Details der Ausführung nicht mitgeteilt werden, so scheint diese nicht
eine sehr sorgfältige gewesen zu sein. — Fast wörtlich stimmen im
Briefe an Ingoli und im Dialoge diejenigen Partieen überein, welche die
1) Op. II, 86. 2) Disq. math. p. 28; Dial. 388.
3) Vgl. II, 96—103 mit Dial. 14.5 ff.
4) Wohlwill, Ueharrungsgesetz p. 71.
5) II, 99. 6) Dial. 151 f.
XLVI Einleitung.
Bewegungserscliemimgen unter Deck eines Scliiffes scliildem. ^) —
Ein weiteres, gänzlich verfeliltes Argument Ingolis, das Galilei —
aber wohl mit Uni-echt — auch bei Tycho finden will"), bestand darin,
dafs infolge der jährlichen Erdbewegung die Polhöhe eines Ortes eine
bedeutende Ände-^JiJQCf, «^3'iidden müsse: wenn schon die Bewegung auf
der Erde um eine K.Strec.fe von 60 Miglien (= 1") eine Veränderung
der Polhöhe um 1^ hervorrufe, was müsse da erst bei der so viel
ausgiebigeren Bewegung der Erde im Weltenraum eintreten? — Dieser
Unsinn findet sowohl im Dialoge wie im Briefe an Ingoli ausführliche
Widerlegung.^) — Auch der im Saggiatore bereits erwähnte Versuch
zur Klarstellung der sogenannten Deklinationsbewegung der Erdachse
wiederholt sich hier und im Dialoge/) — Die wahrscheinlich schon
aus weit früherer Zeit^) stammenden Bemühungen Galileis, in Kon-
kurrenz mit der aristotelischen Begründung einer einheitlichen Natur-
auffassimg ein eigenes, recht seltsames System aufzustellen, wonach
die geradlinige Bewegung aus der wohlgeordneten Welt verbannt wird,
werden uns in dem Schreiben an Ingoli zum ersten Male vorgeführt;
sie nehmen sich im Rahmen des Dialogs noch bizarrer aus als in einer
Polemik gegen einen unwissenden Schwätzer.") — Den Schlufs des
Briefes bildet der Hinweis auf die Thatsache, dafs, abgesehen von
Sonne und Erde, wo die Sache streitig ist, die nichtleuchtenden
Weltkörper sämtlich Planeten sind, die leuchtenden Fixsterne, dafs also
auch wahrscheinlicherweise die Sonne zu diesen, die Erde zu jenen
gehört. '')
Der Brief an Ingoli wurde zwar bei Lebzeiten Galileis nicht ge-
druckt*), er gelangte jedoch zur Kenntnis kleinerer Kreise. Ciampoli
las daraus dem Papste vor, dem Erzbischof Corsini von Bologna wurde
ein Exemplar zugeschickt. Von einer weiteren Verbreitung sah man
zum Teil auch deswegen ab, weil eine neue antikopernikanische Schrift
in Aussicht stand, die, wie es hiefs, auch gegen die galileische Ab-
handlung über Ebbe und Flut sich richten sollte. Es war ein ehe-
maKger Freund Galileis, der Ritter Scipione Chiaramonti, der gegen
ihn zu Felde ziehen wollte. Sein Buch erschien jedoch erst 1628 und
bekämpfte zwar die kopernikanische Lehre, aber ohne specielle Be-
ziehung auf Galilei imd dessen Theorie von Ebbe und Flut. j
1) n, 101 f. und Dial. 197 f. 2) Vgl. zu Dial. 390.
3) Vgl. Op. IT, 105—107 mit Dial. 390—394.
4) Op. II, 108- IV, 304; Dial. 417. 5) Vgl. oben p. XVII.
6) Op. n, 112; Dial. 20 ff. 7) Op. ü, 114 und Dial. 282.
8) Die erste Veröffentlichung fand erst im Jahre 1812 im Giornale Enciclo
pedico di Firenze statt.
Einleitung. XL VIT
Galilei hatte bald nach seiner Rückkelir von Rom nun ernstlich
begonnen, das Werk über die Weltsysteme in die Form zu bringen,
in der es späterhin vollendet wurde; sechs Jahre hatte er daran zu
arbeiten. In welcher Weise er die kopernikanische Lehre vorzubringen
habe, stand ihm nunmehr fest. Er wufste, dafs dies nur in hypothe-
tischer Form geschehen dürfe, und wiewohl es noch immer zweifelhaft
sein konnte, was unter hypothetischer Form zu verstehen sei, so zog
er doch aus der Aufnahme, die der Saggiatore und der Brief an Ingoli
bei dem Papste und bei anderen mafsgebenden Persönlichkeiten ge-
fanden hatte, den Schlufs, dafs er die stärksten Gründe für die Wahr-
heit der kopernikanischen Lehre vortragen könne, wenn er nur nicht
vergafs hinzuzufügen, dafs diese Gründe durch die kirchliche Entschei-
dung ihren Wert einbüfsten. Er stellte sich dabei keineswegs auf den
Standpunkt derer, die zwar auf Grund der kopernikanischen Lehre eine
einfachere Berechnung der scheinbaren Gestirnsbewegungen für mög-
lich hielten, aber aus physikalischen oder sonstigen Gründen die Erd-
bewegung für absurd erklärten. Es ist ihm also nicht darum zu thim,
dieser gemäfsigten Ansicht Anhänger zuzuführen, in der Hoffnung
etwa, dafs damit wenigstens eine Zwischenstation zur Wahrheit er-
reicht sei, dafs, mit anderen Worten, die Duldung gegenüber einer
solchen hypothetischen Verwertung des Systems dessen Vorzüge im
Laufe der Zeit in immer helleres Licht stellen und dafs infolge da-
von der hypothetischen Anerkennung früher oder später die volle,
ungeteilte folgen werde. Trotz aller Maskierung, welche eine äufser-
liche Unterwerfung unter die Kirche dokumentieren sollte, war es G.
heiligster Ernst um die Erringung des vollen Siegerpreises. Mit fein-
ster Ironie wendet er sich gegen die Leute des wissenschaftlichen
Kompromisses, indem er den Spiefs umdreht und umgekehrt von den
Astronomen der alten Schule behauptet, es sei ihnen nur um irgend-
welche Hypothese zu thun, auf Grund deren die Berechnung der schein-
baren Planetenbewegungen ermöglicht werde, während es ihnen gleich-
gültig sei, ob dabei nach anderen Seiten hin migeheuerliche Annahmen
mit unterliefen.^) Nichts mufste den Lesern Galileis paradoxer er-
scheinen, als eine solche Auffassung. War man doch gewohnt das
genaue Gegenteil in unzähligen Schriften mit wenig Witz und viel
Behagen vorgetragen zu hören. Aber je paradoxer Galileis Worte
klangen, um so kräftiger mufste die darin liegende W^ahrheit agita-
torisch wirken, nachdem sie einmal als solche erkannt war. Dafs für
ihn speciell ein Hinderungsgrund vorliege, sich über diese Fragen so
1) Dial, 356.
XLVIII Einleitung.
auszulassen, wie es jeder andere Katliolik durfte, daran dachte er nie
im entferntesten; und wäre dieser Gedanke in ihm aufgestiegen, so
mufsteu seine Besorgnisse schwinden, wo er sich im Besitze des von )
Bellarmin ausgestellten Zeugnisses wuCste. Nur in einer Beziehung
ist die Stellung zu dem Indexdekrete gegenüber den seither verfafsten j
Schriften eine etwas veränderte. Durchweg nämlich wird zwar auch '
im Dialog über die Weltsysteme die etwaige kirchliche Entscheidung
als mafsgebend anerkannt, aber sie wird — aufser in der Vorrede —
mehr als bevorstehend wie als wirklich ergangen hingestellt. ^) Woraus t
Galilei die Berechtigung herleitet so zu sprechen, ist schwer zu sagen, j
Man darf wohl annehmen, dafs er, wie auch mancher moderne katho- )
lische Schriftsteller der Ansicht war, es sei im Jahre 1616 nur das )
Buch des Koperuikus verurteilt worden, über die Zulässigkeit der
Lehre selbst aber sei nichts entschieden worden. Indessen mag ihm
auch als Rechtfertigung vorgeschwebt haben, dafs der Dialog in der
Zeit vor dem Indexdekrete spielt, wie daraus hervorgeht, dafs einer
der Interlocutoren, Salviati, schon vor Erlafs desselben gestorben war.
Freilich bindet sich Galilei in seinem Werke sonst durchaus nicht
daran, nur solcher Thatsachen Erwähnung zu thun, die vor Salviatis!
Tode spielen. Immerhin mag er die dialogische Form des Werks undj
die Person des Vertreters der kopernikanischen Lehre mit aus diesemj
Grunde so gewählt haben, wie es thatsächlich geschah. Allem Anscheine|il
nach hat sich Galilei zu der Gesprächsform erst nach seiner Rückkehr
aus Rom entschlossen; wir finden sie zum ersten Male in einem Briefe!
vom 7. Dezember 1624 an Cesare Marsili in Bologna erwähnt^) Welche;!
Vorteile sie ihm bot, abgesehen davon, dafs die kirchliche Entschei-
dimg als noch nicht gefallen bezeichnet werden konnte, liegt auf der
Hand. Der Autor selbst entzog sich, formell wenigstens, einiger-!
mafsen der Verantwortung für das, wozu die Personen seines Dramasj
sich bekennen; und wiewohl kein Leser zweifeln kann, dafs in allen]
wesentlichen Stücken Salviati der Träger der vom Autor gebilligtenj
Ansichten ist, so scheint Galilei doch an einigen Stelleu, wo es sichl
um minder wichtige Fragen handelt, die Rolle des Belehrenden nuif
darum Sagredo zugewiesen zu haben, um die Fiktion zu unterstützen.!
dafs er sich nicht ohne weiteres mit Salviati identificiere.^) Aufsei]
diesen in erster Linie mafsgebenden Gründen bewogen auch ästhetischelj
und didaktische Rücksichten Galilei zu der Wahl der Dialogform, die]
er schon in seinem Jugendwerke, den Sermones de motu gravium, an
1) Vgl. z. B. Dial. 372.
2) Op. VI, 300. 3) Dial. 186, 188, 265 ff.
Einleitung. XLIX
gewendet liatte und von der er später aucL. in seinem wichtigsten
Werke, den Dlscorsi, Gebraucli maclite. Die treffliche Charakteristik,
die psychologischen Feinheiten, die dramatische Kunst, welche mit
höchster Spannung der Lösung eines Rätsels entgegensehen läfst, der
kunstvoll geschlungene und dann entwirrte Knoten des Paradoxons,
all das mufs selbst das Interesse des stumpfsten Lesers erwecken,
mufs ihn durch die Form für den Inhalt gewinnen. Die platonische
Lehre von dem unbewufsten Wissen mid der Wiedererinnerung, die
Galilei mit besonderer Vorliebe erwähnt, beeinflufst seine Darstellung;
er will nicht nur die erkannte Wahrheit überliefern, auch den psycho-
logischen Vorgang bei dem Akte der Erkenntnis veranschaulicht er, er
giebt uns ein litterarisches Gegenstück zu der berühmten Mathematiker-
gruppe der Raphaelischen „Schule von Athen", welche malerisch die
Stufen der Erkenntnis darstellt. — Die ganze Inscenierung, die an die
platonischen Dialoge erinnert und erinnern will, legt ein rühmliches
Zeugnis für die künstlerische Befähigung Galileis ab-, auch hat er
nicht geringen Wert auf die gewählte Einkleidung gelegt, wie er selbst
in einem Briefe vom 24. Dezember an den Fürsten Cesi zu erkemien
giebt'); und wenn er dabei die Absicht ausspricht, den Rat und die
Hilfe der Freunde für diesen Zweck in Anspruch zu nehmen, so ist
das als blofse Höflichkeitsformel aufzufassen; geht ja doch sein dra-
matisches Talent zur Genüge aus dem Lustspielentwurf hervor, den wir
von ihm besitzen. — Der Schauplatz des Gespräches ist der am Canale
grande gelegene Palast Sagredos in Venedig; den im Dialog wieder-
gegebenen Erörterungen hat man sich andere als vorausliegend zu
denken, die ihren Ausgang von der Besprechung des Gezeitenphäno-
mens genommen haben. Ein bestimmter Zeitpunkt, in dem die Unter-
redungen stattfänden, ist nicht fingiert, wie denn z. B. das oben er-
wähnte Buch Chiaramontis kritisiert wird, obgleich es 14 Jahre nach
dem Tode Salviatis erschien.
Was die Personen unseres didaktischen Dramas betrifft, so sind
Salviati und Sagredo historische Figuren, deren äufsere Lebensverhält-
nisse im allgemeinen der Wirklichkeit entsprechend geschildert sind;
ihr Andenken ist durch den Dialog und die Discorsi unvergänglich
geworden. Filippo Salviati wurde geboren am 28. Januar 1583; er
ging aus einer der zahlreichen florentinischen Kaufmannsfamilien her-
vor, welche es xur Zeit der Republik zu hohem Reichtum und An-
sehen gebracht hatten; Vater, Grofsvater und Urgrofsvater hatten
Senatorenrang. Mit Galilei wurde Filippo wahrscheinlich in Padua
1) Op. VI, sas.
Galilei, WeltsystemB.
L Einleitung.
bekannt, wo er dessen Unterriclit genofs. Seine Verehrung für den
grofsen Landsmann bewog ikn, nachdem Galilei Padua verlassen
und sich wieder in seiner Heimat angesiedelt hatte, diesem seine in
der Nähe von Florenz gelegene Villa dclh Sehe zum Wohnsitz an-
zubieten. Galilei machte in der That von diesem Anerbieten seit An-
fang des Jahres 1611 oftmals Gebrauch; viele seiner Beobachtungen
mag er auf der Kuppel des wundervoll gelegenen Landhauses, die einen
Ausblick bis in die karrarischen Berge bietet, gemeinsam mit dem
Freunde angestellt haben. Im Jahre 1612 wurde Salviati, jedenfalls
auf Fürsprache Galileis hin, zum Mitglied der Accademia dei Lincei
ernannt. Doch im folgenden Jahre schon mufste er infolge eines
Etikettenstreites mit einem Angehörigen der Medicäerfamilie die Heimat
verlassen') und fand in Barcelona am 22. März 1614 einen frühzeitigen,
von Galilei tiefbeklagten Tod. Im Dialog schildert Galilei in der
Person Salviatis wohl mehr sich selbst als seinen Freund; nur wo es
sich um besonders wichtige Entdeckungen handelt, wird zur Vermei-
dung jedweden Mifsverständnisses zwischen Salviati und dem „Aka-
demiker" unterschieden; unter letzterem ist dann eben Galilei selbst
verstanden.
Giovan Francesco Sagredo wurde am 19. Juni 1571 in Venedig
geboren als Sohn des hochangesehenen Patriciers Nicolö Sagredo, der
sich vielfach im Dienste der Republik auszeichnete. Francesco war
seit 1597 oder 1598 gleichfalls Schüler Galileis in Padua. ^) Trotz
seines lebhaften Interesses für die Naturwissenschaften und die Mathe-
matik und trotz mancher bemerkenswerten Leistungen auf diesen Ge-
bieten wollte er nicht als Gelehrter gelten; sein ausgeprägtes Standes-
bewufstsein wies ihm seine Laufbahn an, die nur den Staatsgeschäften
der Republik gewidmet sein konnte. Seine schnelle Fassungsgabe, sein
gesundes Urteil, sein feines Verständnis befähigten ihn, über wissen-
schaftliche wie praktische Fragen sich eine bestimmte Ansicht zu bilden;
Autoritäten vermochten nicht ihn einzuschüchtern, auch Gahlei gegen-
über hielt er gelegentlich an seiner Meinung fest, und nicht immer
war das Unrecht auf seiner Seite. In allen Lebenslagen bewährt er
sich als teilnehmendster Freund Galileis, er hilft ihm aus finanziellen
Verlegenheiten, er lädt ihn zur Teilnahme an Erholungsreisen ein, er
bietet seinen Einflufs auf, um bei den „Reformatoren" der Universität
Padua eine Gehaltserhöhung seines Lehrers und Freundes durchzusetzen,
er giebt ihm hygienische Ratschläge und sucht ihn zu seiner Lebens-
1) Favaro, Gal. Galilei e lo stud. di Padova II, 426.
2) Favaro, 1. c. I, 195; Op. XI, 377.
Einleitung. LI
führuiig zu bekehren, welche die eines geistreichen Weltmannes war.
Im Jahre 1609 ging Sagredo als Konsul der venezianischen Republik
nach Aleppo in Syrien, wo er bis 1(311 verweilte. Er war also
während der Übersiedlung Galileis nach Florenz abwesend; zweifellos
würde er ihm aufs entschiedenste widerraten haben, Padua zu ver-
lassen, wie er denn ganz bestürzt war, als er bei seiner Rückkehr von
dem Geschehenen Kenntnis erhielt. Am 1. März 1620 starb er, eine
der liebenswürdigsten und charakteristischsten Erscheinungen aus Gali-
leis Bekanntenkreis. — Im Dialog steht Sagredo zwischen den Fach-
männern Salviati und Simplicio als der gebildete Laie; er ist günstig
prädisponiert für die neuen Lehren, und wenn er durch die gepflo-
genen Erörterungen erst völlig für sie gewonnen ist, so kennt sein
Enthusiasmus keine Grenzen. Er rekapituliert öfters die schwerer
verständlichen Argumente, um sie in populärere Form zu bringen,
greift übrigens auch häufig mit eigenen Gedanken in die Debatte ein;
namentlich werden ihm diejenigen Einlulle in den Mund gelegt, für
die der Autor nicht die volle Verantwortung übernehmen mag, die er
aber doch für bedeutend genug hält, um sie nicht verloren gehen zu
lassen.
Die dritte im Dialoge auftretende Person, Simplicio, ist der
Repräsentant der konservativen, autoritätengläubigen Wissenschaft, der
Büchergelehrsamkeit. Der Name spielt einerseits auf die Einfalt des
guten Mannes an, andererseits ist er in Erinnerung an den bekannten,
dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert angehörigen Kommentator
der aristotelischen Schriften gewählt. Dafs in ihm eine bestimmte
Person porträtiert wird, ist nicht wahrscheinlich. Es werden wohl
Züge verschiedener Peripatetiker zu dieser typischen Figur, einem köst-
lichen Gegenstücke des goetheschen Wagner, verschmolzen worden
sein. Dafs Simplicio nicht etwa, wie Galileis Gegner vorgaben, Papst
Urban VIII. sein solle, wenngleich Galilei notgedrungen ihm auch
dasjenige Argument in den Mund legte, welches ürban mit Vorliebe
anzuwenden pflegte, bedarf kaum der Widerlegung. Abgesehen davon,
dafs der Papst im übrigen durchaus nicht den Standpunkt Simplicios
teilte, würde man Galilei wahrlich eine arge Thorheit zumuten, wenn
man glauben wollte, er habe zu den ohnehin schon zahlreichen äufsereu
Schwierigkeiten sich mutwillig eine weitere in den Weg gelegt. Sim-
plicio sollte eben alle Gründe der Antikopernikaner ins Gefecht führen,
und so mufste ihm auch das Argument des Papstes in den Mund ge-
legt werden. — Die Charakteristik Simplicios im Dialog zeugt von
dem wahrhaft genialen dichterischen Vermögen Galileis. S. ist ein
Büchermensch ohne Falsch und Tücke, der hierdurch gegen viele
d*
LH Einleitung.
seiner realen Gesinnungsgenossen vorteilhaft absticht. Zwar zeigt er
hie und da Spuren von Eigensinn ujid rechthaberischem Wesen, giebt
sich aber doch alle erdenkliche Mühe, so sauer es ihm wird, für den
Standpunkt seines mit so fremdartigen Mitteln operierenden Gegners
Verständnis zu gewinnen. Die neuen Lehren hält er anfänglich für
ein unheilvolles, auf die Untergrabung aller Wissenschaft gerichtetes
Unterfangen; doch aber möchte er sie kennen lernen, schon um dar-
über mitsprechen zu können. Schliefslich aber kann er sich dem
starken Eindruck, den sie auf ihn machen, kaum entziehen, und selbst
seine Nachtruhe leidet darunter. Die Hoffnung aber, dafs alles doch
noch beim alten bleiben könne, verläfst ihn bis zuletzt nicht und ge-
währt ihm Trost.
Welches ist nun die eigenthche Absicht, die Galilei mit dem
Dialog zu verwirklichen versuchte? Mancher moderne, vielleicht auch
mancher zeitgenössische Leser mag von einem Werke, das über die
beiden hauptsächlichsten Weltsysteme zu handeln versprach, ganz
etwas anderes erwartet haben, als er thatsächlich vorfindet. Yor allem
scheint der Titel einerseits eine ins Detail gehende Auseinandersetzung
über die Erklärung der astronomischen Erscheinungen durch die kom-
plizierte Epicykeltheorie des Ptolemäus und seiner Nachfolger zu
versprechen, andererseits hofft man im Gegensatze dazu die ver-
einfachenden, aber noch immer nicht ganz einfachen Annahmen des
Kopernikus in ähnlicher Durchführimg wie in dessen klassischem
Werke, nur vielleicht in anmutigerer Form erörtert zu finden. Man
vermutet wohl auch eine lichtvolle Auseinandersetzung über die in
den Jahren 1609 und 1619 veröffentlichten keplerschen Gesetze, welche
die noch übrig bleibende Komplikation des kopernikanischen Systems
auf bewundernswerte W^eise beseitigten: aber von alle dem findet sich
im Dialog kaum eine Andeutung. Man kann das Werk gelesen haben
und dabei zu der Meinung gelaugt sein, Kopernikus lasse die Planeten
in exakten Kreisen wandeln, deren Mittelprmkt die Sonne sei, und
man kann glauben, dafs der Autor diese Ansicht billige. In dieser
Beziehung führt das Buch den unvorbereiteten Leser geradezu irre,
sodafs man nicht umhin kann, darin einen bedeutenden Fehler des-
selben zu sehen. Ob der ursprüngliche Plan des Werkes de systemate
mimdi diesen Fehler nicht vielleicht ausgeschlossen hätte, steht dahin.
Die Erklärung dieser anfänglich sehr befremdenden Erscheinung
ist nicht schwer zu geben. Galilei wollte kein astronomisches
Lehrbuch schreiben, keine Anleitung zur Berechnung der Planeteu-
bahnen geben, er wollte nur eines: die mehr oder weniger thörichten
Vorurteile gegen jede Erdbewegung ihres Scheines entkleiden,
Einleitung. LIII
mochteu diese nun im Kreise von Dilettanten oder Gelehrten, von
Philosophen oder Astronomen herrschend sein. Von allen diesen Vor-
urteilen waren es nun aber die physikalischen Einwände fast aus-
schliefslich, welche ernsthafte wissenschaftliche Widerlegung erforderten.
Daher interessiert die physikalische Seite des kopernikanischen Systems
Galilei vorwiegend, und die Partieen des Dialogs, die sich mit
dieser beschäftigen, sind bei weitem die wertvollsten. Wäre ihm
der Titel nicht aufgenötigt worden, so würde dieser die Absicht des
Buches deutlicher kundgegeben haben. Den physikalischen Beweis
für die Erdbewegung wollte G. erbringen und zwar in so gemeinver-
ständlicher Weise, als nur eben angängig war, er wollte diese als
Extravaganz verschrieene Lehre popularisieren und gleichzeitig eine
Vorstellung vo]i dem geben, was er für die wahre Methode der Natur-
forschung erkannt hatte. Die Form der Darstellung ist darauf be-
rechnet, einen möglichst grofseu Leserkreis zu gewinnen, aber freilich
war zu jener Zeit nicht daran zu denken, breiten Volksmassen derlei
Dinge zugänglich zu machen. Es konnte sich nur um die verhältnis-
mäfsig kleine Schar der Gebildeten handeln, obgleich auch diese, da-
mals wie allezeit, zähe an den von Jugend auf eingeimpften Vor-
urteilen hingen, und man auch ihnen die plumpsten logischen Schnitzer,
die gröbste Unkenntnis der Thatsachen zutrauen durfte. — Ob in
Einzelheiten Kopernikus nicht vielleicht geirrt habe, erörtert Galilei
im Dialoge nicht. Wie er über gegnerische Argumente dachte, die
von dieser Seite her Kopernikus angriffeji, erfahren wir z. B. aus dem
Briefe an Ingoli: er vergleicht dort den Antikopernikaner, welcher
solche Gründe anführt, mit dem Manne, der ein schönes neuerbautes
Haus niederreifseu will, weil der Ofen raucht. Alle quantitativen Be-
wegungsverhältnisse der Himmelskörper werden demgemäfs im Dialog
nur flüchtig besprochen; blofs in den grofsen Grundzügen werden
die beiden einander gegenüberstehenden Systeme charakterisiert. Eine
solche Beschränkung der Aufgabe ist an und für sich vollkommen
berechtigt; aber man erwartet von Anfang an einen nachdrücklichen
Hinweis darauf, dafs die thatsächlichen Vorgänge viel verwickelter sind,
als das im Dialoge gegebene Schema der kopernikanischen Lehre
andeutet. Dieser Hinweis fehlt, erst am vierten Tage des Dialogs
findet sich eine beiläufige Andeutimg von einer möglicherweise vor-
handenen Ungleichmäfsigkeit der Erdbewegung.') Von Keplers Riesen-
arbeiten ist keine Rede, seinen Namen nennt zAvar Galilei einige
Male, einmal aus ziemlich geringfügigem Anlafs bei einer Polemik
1) Dial. 473 ff.
LIV Einleitung.
un-
gegen Cliiaramonti, eiu anderes Mal um ihm eine milde, aber
berechtigte Eüge wegen seiner Ansichten über die Anziehung des
Mondes zu erteilen.^) Ja es scheint, dafs Galilei die Hauptwerke
Keplers, die Astrouomia nova seu de motibus stellae Martis und die
Harmonice mundi nie gelesen hat; wenigstens spricht er nirgends,
weder im Dialog noch sonst wo, von den mühevollen und grofsartigen
Entdeckungen imseres Landsmannes, und wiewohl er seinen Namen
mit Achtung nennt — wenigstens in den für die Öffentlichkeit be-
stimmten Schriften, nicht stets in seinen Briefen — so hat er doch
die ganze Geistesgröfse des Mannes nicht anerkannt, der unzweifelhaft
als Astronom, wenngleich nicht als Physiker und als Reformator der
herrschenden Weltanschauung, den Vorrang vor dem grofsen toskani-
schen Philosophen hat.
Die Aufgabe, die sich Galilei stellte, bestand also darin, die Lehre
von der Erdbewegung auf ihre Wahrheit hin zu prüfen; dafs sie die
scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper im allgemeinen hin-
reichend zu erklären vermöge, stand bei den einsichtigeren antikoper-
nikanischen Astronomen, wie Magini imd anderen, im grofsen und
ganzen fest. Diese Seite der Frage erfährt daher keine sehr ausführ-
liche Besprechung. Anders verhielt es sich mit den physikalischen
Thatsachen, denen gegenüber das kopernikanische System allerdings
absurd erscheinen mufste, solange das Beharnmgsgesetz nicht bekannt
war; und anders stand es auch mit dem Verhältnis jener Lehre zu
den herrschenden naturphilosophischen Anschauungen, die von Aristo-
teles ererbt und durch jahrhundertelange Geistesarbeit assimiliert, mit
einer heutzutage fast unvorstellbaren Allgewalt die Geister beherrschten.
Ein grofser Teil der Anziehungskraft, die der Dialog noch heute un-
vermindert auf den Leser übt, beruht gerade darauf, dafs er uns die
Macht der überkommenen Lehren in anschaulichster Weise schildert,
indem er ihnen zugleich einen tödlichen Schlag versetzt. Alle die
Männer, die vor Galilei im 16. Jahrhundert Aristoteles bekämpften,
stehen doch noch immer im Banne seiner Formeln. Was wollte die'
Losbröckelung einzelner Bausteine besagen? was war es, wenn Car-
danus einzelnen Punkten der aristotelischen Lehre von den Elementeni
seine Anerkennmig versagt, oder Avenn Tycho de Brahe die Realität'
der Himmelssphären bestreitet, wobei dahingestellt bleiben mag, inwie-|
weit Aristoteles für diese ihm zugeschriebene Ansicht verantwortlich!
ist? Trotz der geharnischten Worte, die dabei gegen Aristoteles falleuji
fanden die Denkmittel, die Forschungsmethode und überwiegend auch!
1) Dial. 285, 483.
Einleitung. LV
die positiven Ergebnisse seiner Philosophie bei diesen sich selbst sehr
kühn erscheinenden Neuerern keinen Widerspruch. Aber an die
Wurzel des scheinbar noch immer so triebkräftigen Baumes der
peripatetischen Wissenschaft legte in wirksamer Weise zuerst Galilei
die Axt.
Die neue Philosophie lehrte , die Erde sei ein Stern wie andere
Sterne, die Sterne seien Erden wie unsere Erde. Gegen diese Er-
kenntnis sträubte sich die herrschende Schule, und dieser Satz war es
auch im Grunde, gegen den die Kirche sich wehrte. Bisher galten
die Himmelskörper als ewig unveränderlich, als unvergleichlich er-
haben über die schmutzige Hefe des Weltalls, die Erde. Man sah in
ihnen, wenn auch nicht mehr Götter, so doch englische Intelligenzen
(mtelligentiae assistcntes oder informantes), und doch liefs man sie um
die Erde kreisen, und doch sollten sie geschaffen sein, um dieser zu
dienen. Von diesen teleologischen und anthropocentrischen Anschau-
vmgen die Geister zu befreien, zu lehren, dafs die Himmelskörper zwar
nicht wesensgleich, aber doch vergleichbar mit der Erde sind, war
der erste Schritt zu der gefährlichen Erkenntnis — und dies fühlten
die konservativen Mächte instinktiv heraus — dafs auch der Mensch
nicht um irgend wacher Gespenster willen, dafs keine Gespenster um
seinetwillen thätig sind, dafs er seine eigenen Bahnen zu wandehi hat,
wie sie seiner Natur gemäfs sind.
Mit der Widerlegung der aristotelischen imd sonstigen Beweise
für die grundverschiedene Natur von Himmel und Erde und mit den
Argumenten für die Verwandtschaft zwischen beiden beschäftigt sich
der erste Tag des Dialogs. — Die Vereinbarkeit der alltäglichen Be-
wegungserscheiuungen auf der Erde mit deren Achsendrehung bildet
der Hauptsache nach den Inhalt des zweiten Tages. Hier sowohl wie
in den Gesprächen des ersten Tags wird die Bewegimgslehre des
Aristoteles, die das Fundament für seine ganze Naturphilosophie bildet,
einer eingehenden Kritik unterworfen. Hier finden sich jene Stellen
über die Wirksamkeit der Beharrung, die bei den Zeitgenossen so
grofses Aufsehen erregten. Die allgemeine Erkenntnis freilich ist in
ihnen, wie früher bemerkt, noch nicht enthalten. — Das dritte Buch
handelt von der Bewegung der Erde um die Sonne, enthält aber auch
einen langen Abschnitt über den im Jahre 1572 neuerschienenen Stern
in der Cassiopeja, worin gegen Chiaramouti bewiesen werden soll,
dafs auch der Himmel Veränderungen unterworfen ist. Er würde also
im Grunde besser in den Rahmen des ersten Tages sich gefügt haben.
— Der vierte Tag endlich behandelt das Problem, das den Ausgangs-
punkt der Gespräche gebildet hat, die Frage, wie mit Hilfe der Erd-
LVI Einleitung.
bewegung die Gezeiten zu erklären seien. — Auf die vielen episodi-
schen, zum Teil höclist bedeutsamen Erörterungen hier einzugehen,
dürfte um so weniger nötig sein, als in den Anmerkungen sich hin-
reichend Gelegenheit dazu bietet. Dafs zahlreiche Irrtümer bei diesen
Erörterimgeu unterlaufen, wird niemand auffällig finden, der Schriften
aus der vorgalileischen Zeit kennt; bei Leonardo da Vinci, bei Tar-
taglia, bei Nicolas Cusanus, bei Giambattista Porta u. a., in geringerem
Grade auch bei Benedetti, heilst es mühsam das Körnchen AVahrheit
aus der Spreu des Irrtums herauslesen, bei Galilei berührt der Irrtum
unangenehmer, weil die Wahrheit überwiegt.
Der Dialog ist grofsenteils entstanden aus der Umarbeitung imd
Verwebung einzelner vorrätig gewesener Stücke. Wie man sich diese 'j
Umarbeitung zu denken habe, geht am deutlichsten hervor aus der |
Vergleichung der entsprechenden Partieen des Dialogs mit dem Briefe
an Ingoli und mit dem im Jahre 1616 an Orsini gerichteten Discorso
sopra ü flusso e reflusso del niare. Es rühren daher manche Uneben-
heiten der Komposition: so sind z. B. die Abschnitte p. 335 f. und
348 ff. zwei verschiedene Bearbeitungen desselben Gegenstandes, deren
jede für sich berechtigt wäre, die aber als Teile eines und desselben
Ganzen im Widerspruch miteinander stehen. Deim nachdem in der
ersteren Partie schon der bedeutende Wechsel in der scheinbaren
Gröfse des Mars imd der Venus, sowie die Phasenänderung der Venus
gelehrt worden ist und zwar in der Weise, dafs gerade auf Grund;
dieser Thatsachen eine Skizze des kopernikanischen Systems kon
struiert wird, hebt die zweite Partie damit an, dafs als Haupteinwand
gegen das System das scheinbare Fehlen dieser Erscheinungen be
zeichnet wird. Dieser Widerspruch tritt in den modernen Ausgabeij
des Dialogs noch nicht einmal so grell hervor wie in der editio jynnj
ceps, weil in jenen ZAvischen den genaimten Abschnitten ein nachträgl
liches Einschiebsel Galileis aus dem paduanischeu Exemplar (siehd
p. Lxxvi) untergebracht ist. Es scheint sogar, dafs Galilei diesen Zusat;|
später hauptsächlich darum an jener Stelle einschaltete, um di<
inconcinne Darstellung einigermafsen zu verdecken. — Auch sonsl
findet sich im Dialog mehrfach ein und dieselbe Sache an verschiedene!
Stellen besprochen, ohne dafs an der späteren Stelle auf die früher'
Bezug genommen würde; oder es wird diese Beziehung auf ganz äufsei
liehe Weise dadurch hergestellt, dafs es am Schlüsse heifst, man eif
innere sich, darüber schon einmal diskutiert zu haben. Bisweilen hail
Galilei Ausarbeitungen, die er seit langem fertig liegen hatte, a]|
deren völlige Richtigkeit er aber nicht mehr glaubte, gleichwohl deni
Dialoge einverleibt; mit ein paar der letzten Redaktion angehörige
Einleitung. LYll
Worten wird dann gewissermafsen ein Strich durch die unmittelbar
zuvor gepflogenen Erörterungen gemacht. Dahin gehört z. B., was über
die angebliche Praxis und Theorie des Schiefsens der Vögel im Fluge
(p. 188) mitgeteilt wird. Dahin gehört auch die noch weit auffälligere
Verteidigung eines Satzes, der aus früher Zeit stammend Galilei so
wohl gefallen haben mufs, dafs er ihn trotz nunmehriger besserer Er-
kenntnis nicht unterdrücken mag und ihn noch immer als wahr-
scheinlich hinstellt. Es ist der Satz, dafs ein auf der rotierenden Erde
fallender Körper sich, absolut genommen, möglicherweise in einer
Kreisbahn bewege.^)
Aus welcher Zeit die verschiedenen Partieen des Dialogs stammen,
wird sich im einzelnen schwerlich ermitteln lassen, Avenn auch manches
mit Gewifsheit, manches vermutungsweise darüber angegeben Averden
kann. So scheint der Schlufs des dritten Tages, der von dem Magne-
tismus handelt, im Jahre 162G geschrieben zu sein, da Galilei damals
sich wieder mit diesem Gegenstände zu beschäftigen begann.-) — Die
auf Cesare Marsili bezügliche Stelle am Ende des ganzen Werks
wurde noch 1631 hinzugefügt, als schon sechs Bogen des Buches ge-
druckt waren. Ferner mufs der erste Tag vor der Veröffentlichimg
des chiaramontischen Werkes De tribus novis atellis, also vor dem
Jahre 1628 geschrieben worden sein, da Galilei dort von demselben keine
Kenntnis verrät. Es ist sogar auffallend, dafs er den p. 56 aus-
gesprochenen Tadel, Ch. habe im Antitycho den neuen Sternen nicht
die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, bei einer späteren Revision
nicht zurücknahm, nachdem Ch. ein umfangreiches Buch über den
Gegenstand verfafst hatte. Die sehr ausführliche Kritik dieses späteren
Werkes ist im ZAveiten und dritten Buche des Dialogs enthalten. Ob-
gleich Galilei, Avie es scheint, den auf die kopemikanische Lehre be-
züglichen Teil des Über de tribus novis steUis schon im Jahre 1626
vor dem Erscheinen des Buchs kannte"), so Avird doch die Polemik
dagegen am Schlüsse des zAveiten Tages erst nach der Veröffentlichung
des Buches verfafst Avorden sein. Mit Gewifsheit ist dies anzmiehmen
von der Widerlegung der chiaramontischen Rechnungen bezüglich des
neuen Sternes von 1572, mit der die Erörterungen des dritten Tages
anheben. — Bei diesem Anlafs sei es gestattet, über das Verhältnis
von Ch. zu G. einiges mitzuteilen. Der Cavaliere Scipione Chiaramonti
aus Cesena war mit Galilei seit 1592 bekannt, stand aber lauge Zeit
aufser Verbindung mit ihm. Im Jahre 1613, als es sich um den An-
1) Näheres darüber zu Dial. p. 173. 2^ Op. VI, 314.
3) Vgl. Op. VI, 309. Die Note Alberis ist unrichtig.
LVIII Einleitung.
kauf einer künstlichen Uhr für den Grofsherzog handelte, fand wieder
eine Annäherung statt; Galilei gab bei dieser Gelegenheit den Rat,
das Gutachten des von ihm mit warmen Worten empfohlenen Ch. ein-
zuholen, den er als verständigen Mathematiker kennen gelernt habe
und der Gelegenheit hätte, die Uhr in Cesena zu besichtigen.^) Dieser
dankte für Galileis Freundlichkeit in überschwänglichen Worten, es
war eben damals noch nicht kompromittierend, mit Galilei auf gutem';
Fufse zu stehen. Chiaramonti nämlich war einer jener geschmeidigen,|
talentvollen Mämier, die sich für eine Sache nicht um der Sachelj
willen erwärmen und denen der Gedanke ferne liegt, dafs es um eine
mühsam erworbene, festbegründete Überzeugung doch ein schönes Ding
sei. Das orthodoxe Peripatetikertum war nun einmal der angemessene
Standpunkt für den Professor in Perugia — diese Stellung bekleidete
damals Chiaramonti — und da er auch weiterhin Carriere zu machen
gedachte, so galt es selbstverständlich in seinen Augen als ein ver
dienstliches W^erk, gegen alle Neuerer zu Felde zu ziehen. Als erstenj
ersah er sich Tycho de Brahe aus, welcher im Widerspruch mii
Aristoteles behauptet hatte, die Kometen und der neue Stern von
1572 gehörten nicht der elementaren, sondern der Himmelsregion an
So entstand der Aiditycho, der im Jahre 1621 erschien, und der ei
sich zur Aufgabe machte, die subluuare Natur der Kometen zu er-
weisen. In dieser Frage stand Ch. in keinem Gegensatze zu Galilei
Dieser nämlich beurteilte ungerechterweise Tycho ebenfalls sehr un
günstig und nahm in der Kometenfrage einen Standpunkt ein, der siel
mit dem Chiaramontis vereinigen liefs; ja G. spricht noch im Saggia
tore^) von dem Antitycho mit lobenden Worten. Wohl aber nahn
er Anstofs an der weitergehenden Absicht seines ehemaligen Freun
des, die modernen Lehren von der Veränderlichkeit des Himmelt
überhaupt als unbegründet zu erweisen und zu zeigen, dafs auch dii
neuen Sterne von 1572, 1600 und 1604 mit den peripatetischei
Lehren in keinem Widerspruch stünden. Durch den Antitycho gerie
Ch. zunächst in eine heftige litterarische Fehde mit Kepler, der siel
in seinem 1625 veröffentlichten Tyclionis Brahel JDanl Hypcraspistc
seines verstorbenen Lehrers Tycho aufs ritterlichste annahm und ij
einem Anhang auch gegen Galileis Saggiatore einige nicht sehr wesent
liehe, sachlich wohlbegründete, in der Form überaus freundliche Ein
Wendungen machte. Chiaramonti antwortete in seiner Apolo<jia Si
Claramonüi pro Anüfychone suo adversus Hyperaspistem lo. Keplev
(Ven. 1626). Galilei hatte die Absicht, auf jenen Anhang im Dialo:
1) Op. VF, 202. 2) Op. IV, 171. Vgl. Dial. 294.
Einleitung. LIX
zu erwidern; es imterblieb dies aber, einmal wohl, weil es sich um
ziemlich unwichtige Dinge handelte, sodann Aveil trotz der gegenteiligen
Äufserung Galileis^) wenig darauf zu erwidern war. Hatte Chiara-
monti im Antitycho die Frage der neuen Sterne nur gestreift, so
wollte er nun darüber ex professo handebi, und damit auch das be-
rühmteste Werk Tychos, die Progymnasmata , worin der neue Stern
von 1572 in Verbindung mit vielen anderen wichtigen astronomischen
Fragen ausführlich besprochen wird, vernichten; zugleich bot sich
ihm willkommener Anlafs, noch einmal gegen Kepler zu polemisieren,
denn dieser hatte in seiner Schrift De Stella nocet in pede Scujittaril
über den neuen Stern von 1G04 ganz ähnliche Ansichten aufgestellt,
wie Tycho über den von 1572 in den Progymnasmata. Das Buch
Chiaramontis ist das mehrfach erwähnte, dessen vollständiger Titel
lautet: De Tribus Novis StelHs Quae Annis 1572. 1600. 1G04 Com-
paruere Libri Tres Scipionis Claramontii Caesenatis In quibus demon-
stratur rationibus, ex Parallaxi praesertim ductis Stellas eas fuisse Su-
blunares, et non Caelestes Adversus Tychonem, Gemmam, Maestlinum,
Digesseum, Hagecium, Santucium, Keplerum, aliosque plures Quorum
Ratioues in Contrarium adductae solvuntur. Illustriss. Ac Reverendiss.
Francisco Card. Barberino. Caesenae: Apud losephum Nerium Impress.
Cameralem 1628. Darin soUte die sublunarische Natur der neuen
Sterne, wie im Antitycho die der Kometen, erwiesen und neben-
bei in einem besonderen Kapitel die kopernikauische Lehre widerlegt
werden. Wie früher angegeben, hatte Galilei das Manuskript des auf
die kopernikauische Lehre bezüglichen Teiles schon 162ö, also zwei
Jahre vor dem Erscheinen des Buches, in Händen gehabt, sodafs also
der Schluis des zweiten Tages des Dialogs, der sich mit diesem Teile
beschäftigt, kurz darauf entstanden sein könnte. Da aber der übrige
Teil des chiaramontischen Buchs erst während des Drucks Galilei be-
kannt wurde, so ist die Kritik desselben zu Beginn des dritten Tags
jedenfalls nicht vor 1628 verlafst, wie übrigens auch aus einem Brief
Castelhs vom 5. August 1628 hervorgeht.-) Im gleichen Jahre, wo
das Buch von den neuen Sternen erschien, avancierte sein Verfasser
zum Professor in Pisa, ein Beweis von der Stärke der gegen Galilei
in seiner eigenen Vaterstadt gerichteten Strömung.
Auch die im Dialog enthaltene Polemik gegen Scheiners Lisqnisl-
tlones scheint erst spät, wahrscheinlich im Jahre 1629 niedergeschrieben
worden zu sein. Denn ohne besonderen Anlafs würde G. dem herzlich
unbedeutenden Büchlein, das schon 1614 erschienen Avar und keineswegs
1) Op. VI, 310. 2) Op. Suppl. 2:
LX Einleitung.
grofses Aufsehen erregt hatte, schwerlich solche Aufmerksamkeit ge-
widmet haben. Ein solcher Anlafs lag aber für ihn doch wohl erst vor,
als er im Jahre 1629 hörte, dafs Scheiner ein grofses Werk über die
Sonnenflecken, die Bosa Ursina, drucken lasse. ^) Es steht zwar nicht
fest, wieviel Galilei von dem polemischen und sachlichen Inhalt der Rosa
vor ihrem Erscheinen wufste, aber dafs Angriffe gegen ihn und gegen
seine Prioritätsansprüche auf die Sonnenfleckenentdeckung zu erwarten
waren, konnte nicht zweifelhaft sein. So versuchte denn Galilei dem
Gegner im Dialog zuvorzukommen mid dazu bot sich kein besserer
Anlafs als eine Besprechung des Werkchens, das u. a. auch die ko-
pernikanische Lehre bekämpfte. Eine Anspielung auf die 1630 voll-
endete Rosa Ursina findet sich hingegen nicht im Dialog. Da nun
Galilei, wäre ihm Scheiners Werk bekannt gewesen, den triftigsten
Grund gehabt hätte, auf den von ihm vorausgesagten Umschwmig in
den Ansichten Scheiners, der zwar teilweise schon in den letzten
Briefen an Welser, mit voller Deutlichkeit aber erst in der Rosa sich
dokumentiert, triumphierend hinzuweisen, so haben wir anzunehmen,
dafs der 1632 veröffentlichte, aber schon im Mai 1630 druckfertig ge-
wordene Dialog an den auf Seh. bezüglichen Stellen seit 1630 keine
Ändenmg mehr erfuhr. Das Erscheinen der Rosa Ursina rechtfertigte
die Erwartungen Galileis und seiner Freunde-, sie brachte wirklich
eine äufserst erbitterte Polemik, deren Ausgangspunkt die Stelle in
der Einleitung des Saggiatore bildet^), avo sich Galilei beklagt hatte,
dafs ihm andere den Ruhm der Sonnenfleckenentdeckung streitig
machten. Ein ganzes äufserst weitschweifiges und langweiliges Buch
des dickleibigen Folianten ist mit dieser Polemik angefüllt. Was die
Prioritätsfrage betrifi't, so sind Scheiners Ansprüche Galilei gegenüber,
wie oben bemerkt, zwar nicht berechtigt, sie können aber, obgleich
dies nicht wahrscheinlich ist, bona fidc erhoben sein;' in der Ver-
öftentlichung durch den Druck ist ja Seh. unzweifelhaft Galilei zuvor-
gekommen, während Fabricius ihnen beiden voranging. Hingegen
spricht Seh. nirgends davon, dafs seine seit 1612 völlig veränderten
Anschauungen über die Natur der Sonnenflecken nur durch die Aus-
einandersetzungen Galileis in den Lettere intorno edle macclüe solari
veranlafst sind, und dieses Schweigen ist es, was auch die Aufrichtig-
keit seiner übrigen, zum Teil unkontrollierbaren Behauptungen ver-
dächtig erscheinen läfst. Andererseits ist aber in der Rosa viel sach-
lich Neues und Richtiges enthalten, vor allem die genauere Festlegung
des Sonnenäquators und die damit zusammenhängende Erkenntnis von
1) Op. YI, 327; IX, 147. 2) Op. IV, löO.
Einleitung. LXI
der periodischen Formveräuderuiig der scheinbaren Fleckenbahnen*, aber
auch sonst eine Menge auf die Flecken bezüglichen dankenswertesten
Details, das zum Teil in imserer Zeit neu entdeckt werden mufste, da
es in Vergessenheit geraten war. Nun j&ndet sich auch im Dialog,
der zwei Jahre nach der Rosa erschien, die Neigung der Sonnenachse
gegen die Ekliptik nebst den daraus fliefsenden Folgerungen erörtert^),
und zwar in einer Weise, die offenbar darthun soll, Galilei habe schon
vor IG 14 von dieser Thatsache Keimtnis gehabt. Es läfst sich nicht
leugnen, dafs diese Darstellung sehr auffiillig ist'-) und mindestens den
Schein gegen sich hatte. Die Empfindimgen Scheiners, als ihm der
Dialog zuerst zu Gesichte kam, sind daher nicht ganz unerklärlich:
die vernichtende Kritik der Disquisitiones und gleichzeitig der schein-
bare Raub an der Rosa versetzten ihn und das ganze jesuitische Lager
in grenzenlose Wut, die nur um so gefährlicher war, weil sie sich zu-
nächst nicht litterarisch austobte.
Das Erscheinen des Dialogs schob sich infolge einer Menge von
äufseren Schwierigkeiten lange hinaus. Am 24. Dezember 1629 hatte
Galilei an Cesi geschrieben, er sei im wesentlichen fertig, er habe fast
nur noch die Verbindungsglieder zwischen die einzelnen Erörterungen
einzuschieben und die Einleitung abzufassen. Gleichzeitig spricht er
die Absicht aus, nach Rom zu kommen, um den Druck, der aus den
gleichen Gründen wie beim Saggiatore dort stattfinden sollte, selbst zu
überwachen. Am 12. Januar 1630 schreibt er au Marsili, er sei mit
der Revision des Manuskripts beschäftigt; am 16. Februar teilt er ihm
mit, dafs er Ende des Monats nach Rom abzureisen gedenke. Die
Aussichten auf die Erlangung der Druckerlaubnis schienen günstig zu
sein, da einerseits Gahleis einflufsreicher Freund und Fürsprecher
Ciampoli den Papst zu gewinnen suchte, andererseits seit 1629 der-
selbe Riccardi als Magister Sacri Palatii an der Spitze der römischen
Censur stand, der das Imprimatur für den Saggiatore in so schmeichel-
haften Ausdrücken abgefafst hatte. Vor allem sah Castelli, der sich
inzwischen in Rom niedergelassen hatte, die Dinge im rosigsten Lichte
und hoffte, dafs sich auch die letzte Schwierigkeit durch Galileis
persönliche Anwesenheit in Rom beseitigen lasse.
Die Abreise Galileis verschob sich indessen bis zum Begimie des
Mai. In Rom angekommen, wurde er wiederum vom Papste huldvoll
empfangen. Auch Riccardi, dem das Manuskript übergeben wurde,
machte anfänglich keine erheblichen Schwierigkeiten; er meinte zAvar,
die hypothetische Auffassmig der koperuikanischen Lehre im Dialog
1) Dial. 362 ff. 2) Vgl. zu Dial. 362.
LXIT Einleitung.
sei niclit dieselbe, welche bei der Korrektur des Bucbes von Koperni-
kus im Jahre 1620 für die Indexkongregation mafsgebeiid gewesen
sei, aber er hielt es für möglich, durch Beifügung einer geeigneten
Einleitung und Schlufsbetrachtung und durch Korrekturen im einzelnen
das Werk auf diesen hypothetischen Standpunkt zu bringen. Zu diesem
Behufe wurde die Korrektur des Dialogs dem Dominikanerpater Raffaello
Visconti, dem sachverständigen Kollegen Riccardis, aufgetragen. Nach-
dem dieser die notwendig scheinenden Änderungen vorgenommen und
seine Approbation ausgesprochen hatte, welche noch der Bestätigung von
Seiten des Magister Sacri Palatii bedurfte, versprach Riccardi den Papst
zu Gunsten Galileis zu stimmen. Der Widerstand des Papstes war haupt-
sächlich gegen die Zurückführung der Gezeiten auf die Erdbewegung
gerichtet; er hatte dafür nämlich eine eigene Theorie, er meinte, man
dürfe die göttliche Allmacht nicht beschränken wollen, es müsse für
Gott auch auf anderem Wege als auf dem von Galilei gelehrten mög-
lich sein jene Erscheinungen hervorzurufen. Galilei mufste sich darum vor
allem dazu verstehen, den beabsichtigten Titel des Buches, der Ebbe und
Flut ausdrücklich erwähnte, abzuändern. Abgesehen davon, so meinte
Riccardi, werde es sich nunmehr nur um Kleinigkeiten handeln. Um in-
dessen schon jetzt wegen des Drucks mit einem Verleger verhandeln
zu können, bemühte sich G. mit Erfolg, dafs Riccardi die formelle
Approbation für den Druck in Rom ausstellte, mit der Klausel frei-
lich, dafs jeder Bogen noch einer Durchsicht unterworfen werden sollte,
ehe er der Presse übergeben würde; aufserdem wurde die Vorrede
skizziert, die in ihrer fertigen Gestalt zwar als ein Werk Galileis zu
gelten hat, die aber den Weisungen Riccardis in dem, was sie aus-
spricht und noch mehr in dem, was sie verschweigt, durchweg Rech-
nung trägt. Mitte Juni kehrte Galilei nach Florenz zurück, nachdem die '| •
Verabredung getroffen worden war, Galilei solle dort Widmung, Register
u. s. w. fertig stellen und im Herbste sich nochmals in Rom einfinden.
Inzwischen aber hatten die Verhältnisse sich in der Weise ge-
ändert, dafs es Galilei wünschenswert erschien, sein Buch in Florenz
statt in Rom drucken zu lassen. Angeblich und zum Teil auch wirk-
lich war es die mittlerweile ausgebrochene, allen Verkehr zwischen
Florenz und Rom erschwerende Pest, welche die Übersendinig
des Manuskripts oder gar eine abermalige Reise Galileis verhinderte.
Noch mehr aber mag der Tod des allezeit für Galilei thätig ge-
wesenen Fürsten Cesi, des Begründers der Accademia dei Lincei, so-
wie die in Rom beginnende Verfolgung der Astrologen, mit welchen
die Astronomen vielfach in einen Topf geworfen wurden, zu jenem
Entschlüsse beigetragen haben. Dadurch aber entstanden fernere Weite-
i
Einleitung. LXIII
rungeu. Galilei faud zwar in Landini mit Leichtigkeit einen floren-
tinischen Verleger, auch die Approbation der geistlichen und welt-
lichen Censur für Florenz scheint ohne Schwierigkeit erlangt worden
zu sein; denn bereits am 11. September 1G30 erteilte der Generalvicar
des Erzbischofs von Florenz, Pietro Nicolino, und der Generalinquisitor
von Florenz Clemente Egidio, am Tage darauf auch der grofsherzog-
liche Censor Niccolö Antella das Imprimatur.^) Galilei und sein Ver-
leger wären damit rechtlich befugt gewesen den Druck in Florenz
vorzunehmen. Indessen schien es rücksichtsvoller und sicherer, von
dem veränderten Vorhaben dem römischen Obercensor, der sich so
eingehend mit der Sache beschäftigt hatte, Kenntnis zu geben; ein
zwingender Grund zu diesem Verhalten lag aber durchaus nicht vor,
und die Folge lehrte, dafs eine solche Rücksicht im Interesse Riccardis
besser unterbheben wäre. Wenn Riccardi jetzt streng korrekt ver-
fahren wollte, mufste er es ablehnen, sich mit der Censur eines in
Florenz erscheinenden Buches zu befassen; es fehlte ihm dazu an jeder
Kompetenz; dafs Galilei anfänglich das Werk in Rom wollte drucken
lassen, koimte ihm doch unmöglich eine solche verleihen. Ging er
also gleichwohl auf Unterhandlungen ein, so konnte dabei nur die Ab-
sicht ausschlaggebend sein, durch Abdruck seiner besonders wertvollen
Anerkennung der Ungefährlichkeit des Buches diesem den Weg zu er-
leichtern. Es ist daher schwer begreiflich, wie man aus dem Abdruck
dieser Approbation Galilei später einen Vorwurf machen konnte, wie-
wohl man ja zugeben mufs, dafs dieselbe rechtlich wertlos war. ^)
Irrig ist es also, wenn man sagt, Galilei sei nicht befugt gewesen, das
Imprimatur Riccardis dem Dialog beizufügen; vielmehr war Riccardi
nicht befugt, den Druck in Florenz zu begutachten. Wenn er dies
dennoch that, und wenn der römische Obercensor das Censurrecht selbst
nicht kannte oder es nicht strenge handhabte, so brauchte Galilei ge-
wifs nicht ihn an Korrektheit zu überbieten. Riccardi also lehnte
die Einmischung in die Sache nicht ab, sondern stellte verschiedene
Forderungen auf; namentlich handelte es sich um Einleitung inid
Schlufs, die nochmals zur Begutachtung nach Rom geschickt Averdeu
mufsten. Im übrigen wurde nach etlichem Hin- und Widerreden auf
Verwendung Nicolinis, des grofsherzogiichen Gesandten in Rom, und
seiner Gattin Caterina die erneute Durchsicht des Dialogs dem Domi-
nikanerpater Giacinto Stefani übertragen. Gab dieser seine Zustimmung
1) Vgl. das Facsimile des Titelblattes der Originalausgabe.
2) Die reclitliflic Ungültigkeit des römischen lini)riinatur dokumentiert sich
schon in dem Mangel des Datums.
LXIV Einleitung.
und war der Padre Maestro mit Einleitung und Schlufs zufrieden, so
trat damit, vom Standpunkte Galileis betrachtet, das schon früher
erteilte Imprimatur des römischen Obercensors in Kraft. Denn an Stelle
der oben erwähnten Klausel, von welcher die Gültigkeit des römi-
schen Imprimatur abhängig gemacht worden war, trat nunmehr die
Approbation Stefanis und die Billigung von Vorrede und Schlufs
durch den Magister Sacri Palatii. Was konnten alle diese Förmlich-
keiten, die an und für sich überflüssig waren, anderes bedeuten, als ,
dafs durch ihre Erfüllung Galilei das Recht erhielt, auch die Druck- j
erlaubnis Riccardis dem Dialoge beizufügen? Trostlos ist es freilich |
die Konfusion des armen Paters zu sehen, der in einer Zeile schreibt, ,
er sei nicht kompetent die Druckerlaubnis zu erteilen und gleichwohl
in der nächsten verspricht, ein Zeugnis darüber auszustellen, dafs er
das Buch approbiere, wofern er nur Einleitung und Schlufs zuge-
schickt erhalte^); dabei hatte er diese Stücke auf seinen Wunsch min-
destens seit einem Vierteljahre in Händen.'') Am 24. Mai 1631 end-
lich setzte sich Riccardi in Verbindung mit dem florentinischen In-
quisitor demente Egidio, der in Wahrheit schon vor drei Viertel-
jahren das Imprimatur erteilt hatte. Er schreibt^): „Da der Verfasser
dort [in Florenz] die Sache zu erledigen wünscht, so kaim Euer Hoch-
würden von Ihrer Autorität Gebrauch machen und das Buch unab-
hängig von meiner Revision approbieren oder nicht approbieren; wobei
ich jedoch in Erinnerung bringe, dafs es die Meinung unseres Herrn
[des Papstes] ist, dafs als Titel und Gegenstand des Buches nicht
Ebbe und Flut gelten soll, sondern unbedingt nur die mathematische
Erörterung der kopernikanischen Lehre von der Erdbewegung; diese
soll den Zweck haben zu beweisen, dafs abgesehen von der göttlichen
Offenbarung und der Kirchenlehre die Erscheinungen von jenem Stand-
punkte aus sich erklären lassen, unter Widerlegung aller gegenteiligen
Überzeugungen, welche die Erfahrung und die peripatetische Philo-
sophie an die Hand geben: in der Art, dafs niemals jener Meinung
die absolute Wahrheit, sondern nur die hypothetische, und zwar ohne
Bezugnahme auf die heilige Schrift, zugestanden werden darf. Auch
mufe darauf hingewiesen werden, dafs das Buch blofs geschrieben
wird, um zu zeigen, dafs man alle Gründe kenne, die für diesen Stand-
punkt sich anführen lassen, und dafs man nicht aus mangelnder Kennt-
nis derselben diese Ansicht verurteilt habe, entsprechend dem Anfang \
1) Vgl. den Brief Riccardis an den toskanischen Gesandten Niccolini vom
28. April 1631. Op. IX, 243.
2) Op. VI, 375 und IX, 209. 3) Gebier, Akten p. 57.
Einleitung. LXV
•
und Schlufs des Buches, welche ich später korrigiert übersenden werde.
Unter diesen Vorsichtsmafsregeln wird dem Buche hier in Rom nie-
mand etwas in den Weg legen."
Nachdem der Inquisitor Egidio am 31. Mai auf dieses Schreiben
erwidert hatte, Galilei gehe mit voller Bereitwilligkeit auf alle Korrek-
turen ein^), schickte Riccardi endlich am 19. Juli die fertiggestellte
Vorrede aus Rom. In dem Begleitschreiben gestattet er zwar, sti-
listische Änderungen daran vorzunehmen, nicht aber sachliche. „Am
Schlüsse", heifst es sodann, „mufs die Peroration des Werkes {delle
opere?) dieser Vorrede entsprechen, indem Signore Galilei die ihm
von unserem Herrn [dem Papste] mitgeteilten Gründe bezüglich der
göttlichen Allmacht hinzufügt, die den Geist beruhigen sollen, wemi-
gieich man deu pythagoreischen Gründen sich nicht entwinden könnte." "-)
Die Entstehungsgeschichte dieser nun endlich eingetroffenen Vor-
rede läfst nichts Günstiges von ihr erwarten; sie bietet denn in der
That ein überaus klägliches Schauspiel. Man sieht Galilei sich drehen
und winden, um einerseits alles kirchlich Anstöfsige zu vermeiden
und andererseits nicht geradezu zu lügen. Er nennt das gegen die
kopernikanische Lehre gerichtete Dekret zwar nützlich und opportun,
aber ob es sachlich gerechtfertigt sei, darüber mufs er vermeiden sich
zu äufsern. Er nennt die Gegner des Edikts zwar leichtfertig, aber
wiederum bekennt er sich sachlich weder für noch gegen sie. Das Edikt
sei nicht ohne sein Vorwissen veröffentlicht worden; man sollte danach
beinahe glauben, es sei auf seinen Rat geschehen. Er fügt hinzu, mau
habe seine eigenen Untersuchungen seiner Zeit sehr wohl gekannt,
keineswegs also habe, wie behauptet worden sei, mangelhafte Kennt-
nis das Zustandekommen des Edikts verschuldet. Der Zweck des
Buches sei, den fremden Nationen gerade das Falsche dieser Beschuldi-
gung nachzuweisen. Selbstverständlich ist zwischen den Zeilen zu
lesen: um so schlimmer, wenn man nach so überzeugenden Unter-
suchungen dennoch die Lehre des Kopernikus ächtete. Fast jeder
Satz enthält in ähnlicher Weise einen unausgesprochenen Hinter-
gedanken; die unleugbare Geschicklichkeit, mit der dieser Eiertanz
ausgeführt wird, verdient zwar in gewisser Weise Bewimderung, aber
das Unbehagen, einen Geist wie den Galileis zu so unwürdigen
Sprüngen genötigt zu sehen, verläfst den Leser nicht.
Die Vorrede traf in Florenz ein, nachdem der Druck des Textes
bereits begonnen hatte — am 20. März 1631 waren schon 6 Bogen
fertig gestellt — sie mufste daher später auf einem besonderen Bogen
1) Gebier, Akten p. 58. 2) Gebier, Akten p. C2.
Galilei, Wsltgysteine.
LXVI Einleitung.
hinzugefügt werden: unglücklicherweise wurden überdies andere Typen
gewählt als die für den Text verwendeten. Auch daraus schmiedete
man nachher Waffen gegen den Verfasser. Was die „Peroration" be-
trifft, die das mehrfach erwähnte Argument des Papstes bringt, so
mufste Galilei glauben, den Wunsch des Pajjstes mit der von ihm ge-
wählten Wendung erfüllt zu haben. Die mafslose Eitelkeit Urbans
versprach sich zwar aller Wahrscheinlichkeit nach eine ausführlichere
Behandlung, in Wahrheit aber läfst die Ehrerbietung, womit am
Schlüsse des Dialogs allseitig die dem Simplicio in den Mund gelegte
Betrachtung aufgenommen wird, nichts zu wünschen übrig. — Das
Titelkupfer, welches Aristoteles, Ptolemäus und Kopernikus im Ge-
spräche mit einander darstellt, und das Titelblatt beanspruchen gleich-
falls ein gewisses Interesse. Die zweimal verwendete Vignette von
drei wechselseitig sich beifsenden Delphinen wurde nämlich später für
anstöfsig befunden, weil ihr irgend eine geheimnisvolle oder boshafte
Anspielung zu Grunde liegen sollte — welche, wird nicht gesagt.')
Als sich dann freilich herausstellte, dafs dieselbe Vignette auch bei
anderen Werken des Landinischeu Verlags Verwendung gefunden hatte,
mufste man dieses Bedenken fallen lassen. — Der italienische Titel
ist aus dem unserer Ausgabe beigefügten Facsimile des Titelblattes
ersichtlich; in wörtlicher deutscher Übersetzmig lautet er: Gcsprc
von Galileo Galilei, Mitylicde der AJcademie dei Lincei, au fser ordentlich
Mathematiker der Universität Fisa, erstem PhilosopJien und Mathematike:
des DurchlaucJdigsten Grofsherzogs von Toskana. Barin wird in Sitzungeii
an vier Tagen über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das jotole-
mäische und das kopernikamsehe , gehandelt; mit unparteiischer Vorfüh-
rung der philosophischen und der natürlichen Gründe sowohl für den einen
als für den anderen Standpunkt. — Das Format der Originalausgabe
ist Oktav, nicht, wie meist angegeben wird, Quart. Der eigentliche
Text des Dialogs ist auf 458 Seiten enthalten; davor befinden sich
unpaginiert Titelkupfer und Titelblatt, die Widmung an den Grofs-
herzog und die Vorrede; dahinter zwei Seiten Druckfehlerverzeichnis,
sowie die (nicht vollständige) alphabetische Zusammenstellung der im
Buche vorkommenden Randinhaltsangaben (Postillen).
Im Februar IG32 war der Druck beendigt, am 22. überreichte
Galilei dem Grofsherzog Ferdinand II. das erste Exemplar des ihm
gewidmeten Buches, Tags darauf sandte er an Cesare Marsili in Bolognaj
32 Exemplare. Die Erwartungen, mit denen man dem Dialog ent
gegensah, waren allseitig aufs höchste gespannt, und sie wurden nicht
1) Vgl. das beigegebene Facsimile.
Einleitung. LXVII
enttäusclit. Mit den überscliwäiigliclisteu Ausdrücken des Entzückens be-
grüfsten die Freunde Galileis das Erscheinen des Werks. Castelli hatte
schon A^or Fertigstellung desselben geschrieben, er werde von nun ab
nur noch zwei Bücher lesen, das Brevier und den Dialog, und in ähn-
lichem Stile ergeht er sich, nachdem er es gelesen. Fulgenzio Mican-
zio in Venedig, Campanella und der 24-jährige Torricelli in Rom,
Baliani in Genua, Alfonso Antouini in Verona, Gassendi in Lyon sind
des Lobes voll; und so lebhaft die Freunde des Fortschritts den Dialog
willkommen hiefsen, ebenso niederschmetternd wirkte er auf die Feinde,
vor allem auf die Jesuiten. Von der Möglichkeit, dafs eine von dem
Magister Sacri Palatii und von der florentinischen Censur gebilligte
Schrift ernstlich beanstandet oder gar der Verfasser zur Verantwor-
tung gezogen werden könne, sprach niemand.
Aber das Unerwartete geschah. Im August 1632 ging auf
päpstliche Anordnung dem Verleger die Weisung zu, den Verkauf
des Dialogs zu sistieren. ') Eine eigens zu diesem Zwecke berufene
Kongregation gab ihre Meinung dahin ab, dafs die Inquisition gegen
Galilei wegen Veröffentlichung seines Buches einzuschreiten habe. Am
2.3. September beschlofs demgemäfs das h. Officium, Galilei für den
Oktober nach Rom vor seinen Richterstuhl zu eitleren; die Vorladung
wurde Galilei am 2. Oktober vom Inquisitor in Florenz bekannt ge-
geben, er mufste sie vor Notar und Zeugen eigenhändig unterschreiben.
Wie das gekommen war, läfst sich unschwer erraten. Die Jesuiten
hatten meisterhaft operiert; sie hatten den Papst so geschickt bei
seiner schwächsten Seite, der Eitelkeit, zu fassen gewufst, indem sie
das Buch als eine gegen ihn gerichtete Verhöhnung darstellten, dafs
Urban von nun ab ein harter grausamer Gegner des von ihm früher so
hoch bewunderten und so schwungvoll besungenen Galilei wurde. Dafs
nur die Machinationen der Jesuiten, in erster Linie jedenfalls Scheiners
und Grassis, die nun anhebende Verfolgung ins Leben gerufen hatten,
geht unter anderem aus den eigenen Geständnissen ihrer Ordensbrüder
hervor. ")
Auf die Einzelheiten des Processes, eines der denkwürdigsten der
Geschichte, an dieser Stelle einzugehen ist unmöglich; es knüpft sich
daran eine reiche Litteratur, aus welcher wir die nachstehenden, sehr
verschiedene Standpunkte vertretenden Schriften hervorheben: Wohl-
will, Der Inquisitionsprocess des Galileo Galilei (Berlin 1870);
V. Gebier, Galileo Galilei und die römische Curie (Stuttgart 1876);
Wohlwill, Ist Galileo Galilei gefoltert worden? (Leipzig 1877)-
1) Op. Vn, S. 2) Op. VII, 47.
LXVni Einleitung.
Reusch, Der Proeess Galileis und die Jesuiten (Bonn 1870); Grisar,
Galileistudieu. Historisch- theologische Untersuchungen über die Ur- »j
teile der römischen Kongregationen im Galileiprocess (Regensburg 1882). m\
Anscheinend konnte gegen den Verfasser des Dialogs noch am
ersten einfach auf Grund des Indexdekrets vorgegangen werden, da
unzweifelhaft Galilei die hypothetische Zulässigkeit der kopernika-
nischen Lehre in einem wesentlich anderen Sinne aufgefafst hatte, . ,
als es bestenfalls statthaft war. Dies Verfahren war jedoch darum |
nicht wohl angängig, weil wegen eines etwaigen Verstofses gegen
das Dekret der Dialog zwar verboten werden konnte, im übrigen
aber der Censor die Hauptverantwortung trug. Um also Galilei selbst
zu fassen und Riccardi möglichst zu schonen, mufste eine andere
Grundlage für den Proeess geschaffen werden. Man suchte daher in i
erster Linie als gravierendes Moment den Beweis zu erbringen, dafs
Galilei das Imprimatur auf unredlichem Wege erlangt habe, insofern
er von dem specielleu, nur auf ihn bezüglichen Verbote vom 25. Febr.
1616 dem Censor keine Kenntnis gegeben habe. Wie oben angegeben
liegen gewichtige, wenngleich nicht absolut beweisende Gründe dafür
vor, dafs Galilei keinerlei Sondervorschriften gemacht wurden, dafs
also das entscheidende Aktenstück, welches das Gegenteil beurkundet,
sachlich Falsches enthält, wo nicht gefälscht ist. Die wenigst mifs-
lungenen Versuche, das Aktenstück zu rehabilitieren, laufen im wesent-
lichen darauf hinaus, dafs einerseits der Vorgang im Jahre 1616
etwas formlos war und die Beteiligten infolge dessen selbst nicht
ganz klar über seine Bedeutung waren, und dafs andererseits die Deu-
tung des Aktenstücks als eines Sonderverbots fälschlich erst von
Riccardi 1632 aufgebracht worden sei.
In der vorberatenden Kongregation wurden offenbar auf Riccardis
Initiative nachstehende Belastungsmomente gegen den Dialog hervor-
gehoben : ^)
1 ) Die ordnungswidrige Beifügung des Imprimatur für Rom. 2) Die
Loslösung der Vorrede vom Texte durch Druck mit anderen Typen,
sowie die geringschätzige Behandlung des [vom Papste herrührenden]
Schlufsargumentes gegen die kopernikanische Lehre. 3) Das häufige
Verlassen des hypothetischen Standpunktes bei Behandlung der koper-
nikanischen Lehre. 4) Die Fiktion, als sei eine [kirchliche] Entschei-
dung gegen diese Lehre noch nicht ergangen, sondern erst zu erwar-
ten. 5) Die scharfe Polemik gegen antikopernikanische, von der Kirche"
hochgeschätzte Schriftsteller. 6) Die Behauptung, zwischen göttlicher
1) Gebier, Akten p. 56.
Einleitung. LXIX
1111(1 menschlicher Auffassung mathematischer Wahrheiten bestehe eine
gewisse AhnHchkeit. ^) 7) Das Argument, dafs zwar Ptolemäer Koper-
nikaner würden, aber nicht umgekehrt.-) 8) Die Zurückführung von
Ebbe und Flut auf die Erdbewegung. 9) Die Überschreitung des
Verbots vom 25. Februar 1616. Die 8 ersten Punkte könnten, wde
es in dem Aktenstück heifst, verbessert werden, wenn man sich von
dem Buche irgendwelchen Nutzen verspräche; es blieb also in Wahr-
heit nur der letzte Anklagepmikt übrig. In der Folge freilich ver-
schob sich der Standpunkt der Inquisition, und die Verfolgung wegen
ketzerischer Gesinnung trat zu der wegen Ungehorsams hinzu. Die
Gestellung Galileis in Rom war zwar für den Oktober 1632 befohlen
worden, aber Gesundheitsrücksichten ermöglichten dem 69-jährigeu
Greise die Abreise von Florenz erst am 20. Januar 1633. Dafs der
Grofsherzog seinen Unterthan und Schützling auszuliefern sich weigern
werde, wie es vielleicht die venetianische Republik gethan haben würde,
daran war nicht zu denken. Nach Galileis Ankunft in Rom verstrichen
zwei Monate, während deren er aus besonderer Vergünstigung im Palaste
des toskanischen Gesandten Niccolini wohnen durfte, ohne dafs er
irgend\vie amtliche Kenntnis von dem Fortgange des gegen ihn ein-
geleiteten Verfahrens erhalten hätte. Da er nicht unfreundlich be-
handelt wurde, sah er dem Ausgang zuversichtlich entgeo-en, und diese
Hoffnung auf eine glückliche Wendung verliefs ihn bis zuletzt nicht.
Am 12. April 1633 fand das erste Verhör statt, es bezog sich haupt-
sächlich auf das Verbot des Jahres 1616. Die Aussagen Galileis, zu
deren Bekräftigung er das Zeugnis Bellarmins zunächst abschriftlich
vorlegte, gipfeln darin, dafs er von einem speciellen Verbote nichts weifs.
Die ferneren Verhöre fanden am 30. April, am 10. Mai, das letzte
vielbesprochene am 21. Juni 1633 statt. Während der Zeit zwischen
dem ersten und dem zweiten Verhör wurde Galilei in einem Zimmer
des Inquisitionsgebäudes in Haft gehalten. Soweit es sich um That-
sächliches handelte, sind Galileis Angaben durchweg als völlig auf-
richtig wenigstens der Absicht nach zu betrachten, während er kein
Bedenken trägt, seine inneren Überzeugungen zu verleugnen. Mau
hat sich die Frage vorzulegen, was denn geschehen wäre, wenn Galilei
seine Avahren Gesinnungen zum Ausdruck gebracht imd standhaft an
ihnen festgehalten, also trotz aller Einwirkungen sich geweigert hätte,
die kopernikanische Lehre abzuschwören. Em Zweifel ist kaum mög-
lich, er würde entweder das Schicksal Giordano Brmios geteilt haben,
der am 17. Februar 1600 den Feuertod erlitt, oder bestenfalls sein
1) Dial. p. 108 f. 2) Dial. p. 134 f.
LXX Einleitung.
Leben laug im Kerker der Inquisition haben sclimaebteu müssen.^)
Wollte der 70-jälirige Greis, der die Freuden und die Schönheit der
Welt in so vollen Zügen zu geniefsen und mit so glühenden Farben zu
schildern wufste, dies Martyrium nicht auf sich nehmen, wollte er die
"Wissenschaft nicht des Besten verlustig gehen lassen, was er ihr
geben konnte — die Discoisl waren noch ungeschrieben — so mufste
er abschwören, und wenn er den falschen Schwur zu leisten sich be-
quemte, so dünkte es ihm nicht in höherem Mafse raisittlich, wohl
aber voraussichtlich klüger, schon in den Verhören seine Überzeugung
zu verleugnen. Ob er dabei so weit gehen mufste zu behaupten, der Dia-
log sei geschrieben worden, um die Gründe für die kopernikanische Lehre
als nicht stichhaltig nachzuweisen, ob es gerechtfertigt war, als Motiv
für die „scheinbare" Bevorzugung jener Lehre im Dialog die Eitelkeit
eines Autors auf seine ungewöhnlich scharfsinnigen Einfälle anzugeben,
ob er sich bereit zu erklären brauchte, in einer späteren Schrift ein-
gehender imd deutlicher die Unhaltbarkeit jener Gründe aufzudecken,
läfst sich freilich mit gutem Grunde bezweifeln. Aber darf man sich
wundern, dafs das verderblichste aller Gifte, die Unfreiheit des Denkens,
auch gut und grofs angelegte Naturen in den Staub wirft?
Die Befragung Galileis über seine Gesinnung {super hdantionc) fand
im vierten und letzten Verhöre vom 21. Juni 1033 statt. Er blieb
bei seiner Aussage: „Ich halte an jener koperuikanischen Ansicht nicht
fest und habe nicht an ihr festgehalten, seitdem mir der Befehl mit-
geteilt worden ist, sie aufzugeben; im übrigen bin ich in Ihren Hän-
den, thun Sie, wie Ihnen beliebt."-) Das Aktenstück fährt fort: „Und
als man ihm gesagt hatte, dafs er die Wahrheit sagen möge, sonst
werde er der Folter unterworfen werden, antwortete er: „„Ich bin hier,
iTm Gehorsam zu üben, ich habe an jeuer Meinung, wie gesagt, nicht
festgehalten."" Und da nichts weiter aus ihm herauszubringen war,
wurde er in Ausführung des Dekrets [der Inquisition vom 16. Juni]
nach Bewirkung seiner Unterschrift an seinen Ort zurückgeschickt."
Unter dem Aktenstücke steht der mit zitternder Hand geschriebene
Namenszug Galileis. Wenn der Schlufs des Aktenstücks echt ist,
so hat also Galilei keine physische Folter erdulden müssen^ sondern
nur die sogenannte leichte Schreckung {territio levis oder verhaltsX
Im Widerspruch damit steht allerdiugs, dafs in dem nachstehend aus-
zugsweise mitgeteilten Urteile gesagt wird, es habe ein peinliches
i
1) Reusch citiert J. Clarus L. V. § Haeresis p. 368: Si haereticus nolit ad
fidem ecclesiae redire, tunc de consuetudine igne comburitur.
2) Gebier, Akten p. 114.
Einleitimg. LXXI
Verhör {rujoroso csame) stattgefvmden. Dem lierrschenden Spracli-
gebrauche gemäfs scheint ein solches die wirkliche Folterung oder
doch die „schwere Schreckung" (tcrntio f/ravis oder realis) in sich
schliefsen zu müssen. Letztere bestand darin, dafs dem Verhörten
nach Abführung in die Folterkammer die Anwendung der Folterin-
strumente erläutert wurde; unter Umständen wurden dabei auch die
Vorbereitungen zur wirklichen Folterung getroffen, der Angeklagte
mufste sich entkleiden, er wurde gebunden u. s. w. Ob Galilei, wie
nach dem Texte des Urteils im Grunde anzunehmen ist, dieser tcrritio
realis unterworfen wurde, steht trotz des Wortlauts in der Urteils-
formel dahin; denn es ist nicht ausgeschlossen, dafs auch das Schlufs-
verhör selbst, von welchem bei nichtgeständigen Angeklagten allerdings
die Folterung in der Regel ein Teil ist, rigoroso csauie genannt werden
kann. Zur wirklichen Ausführung der Folterung kam es schwerlich.
Den 22. Juni hatte Galilei im Dominikanerkloster Santa Maria
sopra Minerva in Gegenwart der Kardinäle und Prälaten des heiligen
Officiums der Verlesung des in italienischer Sprache abgefafsten Ur-
teils beizuwohnen. Die Urteilsformel beginnt mit Nennung der zehn
Kardinäle, die als Richter fungiert hatten, von denen aber nur sieben
das Urteil unterschrieben. ^) Darauf folgt eine Rekapitulation des frühe-
ren luquisitiousprocesses, in der das Sonderverbot des Jahres 1616 als
thatsächlich ergangen betrachtet wird. Dann heifst es weiter^): „Da
nun unlängst hier ein Buch erschien, welches im vorigen Jahre in
Florenz gedruckt ist und dessen Aufschrift zeigte, dafs du der Ver-
fasser desselben seiest, da der Titel lautet: Biahc/o di Galileo Galilei
ddU due massimi sisfcmi del niondo, Tolomaico e Copernicano, und da
der h. Kongregation mitgeteilt wurde, dafs infolge der VeröfFentlichuug
besagten Buches die falsche Meinung von der Bewegung der Erde und
dem Stillestehen der Sonne alle Tage mehr Fufs fasse: so wurde
besagtes Buch sorgfältig geprüft und in demselben eine offenbare tTber-
tretung des oben erwähnten, dir erceilten Befehles gefunden, indem du
in diesem Buche die früher verdammte und dir ausdrücklich als ver-
dammt bezeichnete Lehre verteidigt hast, wiewohl du in besagtem
Buche durch verschiedene Wendmigen die Meinung zu erwecken dich
bemühest, du stelltest sie als unentschieden und ausdrücklich nur als
probabel hin, was aber auch ein sehr schwerer L*rtum ist, da eine
1) Darauf hat zuerst M. Cautor aufmerksam gemacht. Zeitschrift f. Math.
u. Phys. 9. Jahrg. .-5. Heft. p. 11)4.
•2) Die Übersetzung nach Reusch, der Procefs Galileis und die Jesuiten (Bonn
1879) p. 325ff.
LXXII Einleitung.
Meinung, von welcher erklärt und definiert worden ist, sie wider-
spreche der h. Schrift, in keiner Weise probabel sein kann.
„Demgemäfs wurdest dii auf unseren Befehl vor dieses h. Offi-
cium beschieden, wo du bei deiner eidlichen Vernehmung das Buch
als von dir verfafst und in Druck gegeben anerkanntest. Du ge-
standest ein, dafs du vor etwa zehn oder zwölf Jahren, nachdem dir
der oben erwähnte Befehl bereits erteilt worden war, besagtes Buch
zu schreiben angefangen und dafs du die Erlaubnis zum Drucke des-
selben nachgesucht habest, ohne denjenigen, welche dir diese Erlaub-
nis gaben, mitzuteilen, dafs dir der Befehl erteilt worden, die fragliche
Lehre nicht für wahr zu halten, zu verteidigen, noch in irgend einer
Weise zu lehren.
„Du hast ferner eingestanden, besagtes Buch sei an mehreren
Stellen so gehalten, dafs der Leser sich die Meinung bilden könne,
die für die falsche Meinung vorgebrachten Gründe seien so vorgetragen,
dafs sie eher durch ihre Beweiskraft geeignet zu überzeugen als leicht
zu widerlegen seien, — indem du zu deiner Entschuldigung angäbest,
du seiest in einen, wie du sagtest, deiner Absicht so fern liegenden
L-rtum verfallen infolge der Abfassung des Buches in dialogischer
Form und infolge des natürlichen Gefallens, welches jeder an seiner
eigenen Spitzfindigkeit und daran findet, sich scharfsinniger als die
meisten Menschen zu erweisen, dadurch dafs er auch für die falschen
Sätze ingeniöse und blendende Wahrscheinlichkeitsgründe zu finden wisse.
„Und nachdem dir eine angemessene Frist für deine Verteidigung
gesetzt worden war, hast du ein von der Hand Seiner Eminenz des
Herrn Kardinals Bellarmin geschriebenes Zeugnis produciert, welches
du, wie du sagtest, dir verschafft hattest, um dich gegen die Ver-
leumdungen deiner Feinde zu verteidigen, welche von dir sagten, du
hättest abgeschworen und seiest von dem h. Officium zu einer Bufse
verurteilt worden. In diesem Zeugnisse wird gesagt, du hättest nicht
abgeschworen und seiest auch nicht zu einer Bufse verurteilt, sondern
es sei dir nur die von unserem Herrn abgegebene und von der h.
Kongregation des Lidex publicierte Erklärung mitgeteilt worden, des
Inhalts, dafs die Lehre von der Bewegung der Erde und dem Stillestehen
der Sonne der h. Schrift widerspreche und darum nicht verteidigt und
nicht für wahr gehalten werden dürfe. Da nun in diesem Zeugnisse
die beiden Ausdrücke des Befehles, docere und quovis modo, nicht er-
wähnt werden, so müsse man glauben, sagtest du, dafs du im Ver-
laufe von 14 oder 16 Jahren diese ganz aus dem Gedächtnisse ver-
loren, und dafs du aus diesem Grunde über den Befehl geschwiegen
hättest, als du die Erlaubnis zum Drucke des Buches nachsuchtest.:
\
Einleitung. LXXllI
Alles dieses sagtest du niclit, um deinen Irrtum zu entsckuldigen,
sondern damit er nicht bösem Willen, sondern eitelem Ehrgeiz zu-
geschrieben werde. Besagtes, von dir zu deiner Verteidigung vor-
gebrachtes Zeugnis aber ist nur geeignet, dich noch mehr zu gravieren,
nidem du, obschon in demselben besagte Meinung als der h. Schrift
widersprechend bezeichnet wird, nichts destoweniger gewagt hast, sie
zu erörtern, zu verteidigen und als probabel darzustellen. Auch dient
dir nicht zur Rechtfertigung die Erlaubnis, welche du auf geschickte
und schlaue Weise erschlichen hast, indem du von dem dir erteilten
Befehle nichts sagtest.
„Da es nun schien, dafs du bezüglich deiner Intention nicht ganz
die Wahrheit gesagt, erachteten wir es für nötig, das peinliche Ver-
hör mit dir anzustellen. Bei diesem hast du, — jedoch ohne irgend
welches Präjudiz für das, was bezüglich deiner Intention von dir ein-
gestanden oder gegen dich, wie oben erwähnt, erwiesen worden, —
katholisch geantwortet. Deshalb sind wir, nachdem wir diese deine
Sache nach allen Seiten samt deinen oben besagten Geständnissen imd
Entschuldigungen und allem, was von Rechtswegen einzusehen und zu
erwägen war, eingesehen und reiflich erwogen haben, zu dem unten
stehenden definitiven Urteile gegen dich gelangt.
„Nach Anrufung also des allerheiligsten Namens unseres Herrn
Jesu Christi und seiner glorreichen allzeit jungfräulichen Mutter Maria
sprechen wir, als Gerichtshof sitzend, nach dem Rate und Gutachten
der Hochwürdigen Magister der h. Theologie und der Doktoren beider
Rechte, die unsere Konsultoren sind, in dieser Schrift unser definitives
Urteil in der Streitsache und den Streitsachen, die uns vorliegen,
zwischen Seiner Magnificenz Carlo Sincero, beider Rechte Doktor,
Fiskal. Prokurator dieses h. Officiums einerseits, und dir, Galileo Galilei,
als hier gegenwärtigem und, wie oben gesagt, processiertem und ge-
ständigem Angeklagten andererseits, indem Avir sagen, aussprechen,
urteilen, erklären: dafs du, oben besagter Galileo, durch die, wie oben
erwähnt, im Processe erwiesenen und von dir eingestandenen Dinge
dich diesem h. Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht hast,
nämlich (verdächtig), dafs du die falsche und den heiligen und gött-
lichen Schriften widersprechende Lehre, die Sonne sei der Mittelpunkt
der Welt') und bewege sich nicht von Osten nach Westen, und die
Erde bewege sich und sei nicht der Mittelpunkt der Welt, geglaubt
und für wahr gehalten, und (dafs du geglaubt und für wahr gehalten"),
es dürfe eine Meinung, auch nachdem sie als der h. Schrift wider-
1) Im Original «tekt „der Erde".
LXXIV Einleitung.
sprechend erklärt und definiert worden, als walirschemlieh festgelialten
nnd verteidigt werden; — und dafs du infolgedessen in alle Cen-
suren luid Strafen verfallen bist, welclie durcli die h. Canones und
andere allgemeine und besondere Konstitutionen gegen solclie, die sicli
in ähnlicher Weise verfehlt haben, festgesetzt und promulgiert worden
sind. Wir genehmigen, dafs du von diesen (Censuren und Strafen)
freigesprochen werdest, vorausgesetzt, dafs du zuvor mit aufrichtigem
Herzen und ungeheucheltem Glauben die oben besagten Irrtümer und
Ketzereien, und alle anderen der katholischen und apostolischen
Römischen Kirche zuwiderlaufenden Irrtümer und Ketzereien in der
Weise, die dir von uns wird angegeben werden, vor ims abschwörest,
verfluchest und verwünschest.
„Und damit dieser dein schwerer vmd verderblicher Irrtum und
Fehltritt nicht ganz ungestraft bleibe imd du in Zukunft vorsichtiger
seiest, und zum Beispiel für die Anderen, dafs sie sich vor ähnlichen
Vergehen hüten, verordnen wir, dafs das Buch Dialoghi di Galileo
Galilei durch einen öffentlichen Erlafs verboten werde. Dich ver-
urteilen wir zu förmlicher Kerkerhaft in diesem h. Officium für eine
nach unserem Ermessen zu bestimmende Zeit, imd legen dir als heil-
same Bufse auf, drei Jahre lang wöchentlich einmal die sieben Bufs-
psalmen zu beten, indem wir uns das Recht vorbehalten, besagte
Strafen und Bufsen zu ermäfsigeu, umzuwandeln oder ganz oder teil-
weise zu erlassen.
„Und so sprechen, verkündigen, verordnen, befehlen, verurteilen
und behalten wir uns vor, in dieser und in jeder anderen besseren
Weise und Form, wie wir von Rechtswegen können imd müssen."
[Folgen die Unterschriften.]
Darauf verlas Galilei knieend die folgende AbschwörungsformeP):
„Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzo Galilei aus
Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Gericht gestellt und knieend
vor Eueren Eminenzen, den Hochwürdigsten Herren Kardinälen General-
Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen
Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich
mit meinen Händen berühre, schwöre, dafs ich immer geglaubt habe, jetzt
glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die
h. katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält,
predigt und lehrt. Da ich aber, — nachdem mir von diesem h. Of-
ficium der gerichtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die
falsche Meinung, dafs die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbe-
1) Die Übersetzung im wesentlichen nach Reusch, a. a. 0. p. 329 fF.
Einleitung. LXXV
weglicli und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz
aufgeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, ver-
teidigen, noch in irgend welcher Weise lehren, weder mündlich noch
schriftlich, und nachdem mir eröffnet worden, dafs diese Lehre der
h. Schrift widerspreche, — ein Buch geschrieben und in Druck gegeben,
in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit
vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Wider-
legung derselben beizufügen, — und da }ich mich dadurch diesem
h. Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, nämlich (ver-
dächtig) für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dafs die Sonne der
Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittel-
punkt sei und sich bewege: — darum, da ich wünsche. Eueren Emi-
nenzen und jedem Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht ge-
fafsten starken Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und
verwünsche ich mit avifrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben
besagte L-rtümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden
anderen der besagten h. Kirche widersprechenden Irrtum und Sektierer-
glauben. Und ich schwöre, dafs ich in Zukunft niemals mehr etwas
sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus mau einen
ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dafs ich, weim
ich irgend einen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennen lerne,
denselben diesem h. Officium oder dem Inquisitor und Ordinarius des
Ortes, wo ich mich befinde, denuncieren will. Ich schwöre auch und
verspreche, alle Bufsen pünktlich zu erfüllen und zu beobachten, welche
mir von diesem h. Officium sind aufgelegt worden oder werden aufgelegt
werden. Und sollte ich, was Gott verhüten Avolle, irgend einer meiner
besagten Versprechungen, Beteuerungen oder Schwüre zuwiderhandeln,
so unterwerfe ich mich allen Strafen und Züchtigungen, welche durch
die h. Canones und andere allgemeine imd besondere Konstitutionen
gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und pro-
mulgiert worden sind. So Avahr mir Gott helfe und diese seine
h. Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.
„Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen
und versprochen und mich verpflichtet, wie vorstehend, und zur Be-
glaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort
für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben.
„Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
„Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit
eigener Hand."
Mit diesem erzwungenen Meineide, den Galilei selbstverständlich
nicht, wie die Sage erzählt, durch ein „Und sie bewegt sich doch"
LXXVI Einleitung.
zurückualim^ erreichte die Seene eiu Ende, eine der barbarisclisten,
welche in der Weltgeschichte aufgeführt wurden. Galilei wurde darauf
wieder im Inquisitionsgebäude inhaftiert, wo er sich seit dem Tage
des Schluisverhörs aufgehalten hatte. Er verblieb dort bis zum
24. Juni und wurde dann zunächst wieder in den toskanischen Ge-
sandtschaftspalast gebracht. Bald darauf entliefs man ihn nach Siena,
wo er bei dem Erzbischofe Ascanio Piccolomini, einem seiner früheren
Schüler, bis zum Dezember 1633 verblieb, um dann auf eine Villa bei
Florenz stets unter Aufsicht der Inciuisition überzusiedeln. Diese lag
nahe bei dem Kloster S. Matteo in Arcetri, wo Galileis beide Töchter
als Nonnen lebten.^)
Inzwischen wurde allenthalben inner- und aufserhalb Italiens das
gegen Galilei ergangene Urteil publi eiert; der Dialog wurde auf den
Index gesetzt. Als man endlich im Jahre 1757 die Bücher, welche 4
die koperuikanische Theorie lehrten, freigab, hielt man gleichwohl das
Verbot des Dialogs aufrecht. Die Index- Ausgabe vom Jahre 1819 ent-
hielt es noch, erst am 25. September 1822 wurde es aufgehoben; die
erste Ausgabe des Index, welche den Dialog nicht mehr erwähnt,
ist die vom Jahre 1835. Die natürliche Folge des Verbots war,
dafs man sich heimlich vielfach bemühte, Exemplare aufzutreiben;
4—6 Scudi wurden für das Buch bezahlt, für damalige Zeit ein sehr
hoher Preis. Die Inquisition ging noch weiter, sie untersagte Galilei
auch, irgendwelche früheren Schriften neu auflegen zu lassen oder
eine neue zu veröffentlichen. Glücklicherweise fand Galilei Mittel, diese
Anordnimg zu umgehen.
Was den Dialog betrifft, so beschäftigte sich Galilei auch nach
der Veröffentlichung desselben und nach seiner Verurteilung mit den
darin behandelten Gegenständen. Wie er es bei fremden Schriften zu
thun pflegte, so schrieb er auch zu seinem eigenen Werke Randbe-
merkungen. Die Seminarbibliothek zu Padua besitzt noch heute ein
Exemplar der editio princeps mit handschriftlichen Bemerkungen Gali-
leis; diese sind teilweise in die späteren Ausgaben, freilich oft an
unpassende Stelle, aufgenommen worden, zuerst in die von Toaldo be-
sorgte paduauische Ausgabe vom Jahre 1744. Vollständig herausgegeben
wurden diese Zusätze von Favaro^), die wichtigsten sind auch in unserer
Ausgabe übersetzt. Einige derselben scheinen gegen den Tractatus
1) Galilei hatte drei uneheliclie Kinder, einen Sohn Vincenzo und zwei
Töchter.
2) Antonio Favaro, Le Aggiunte Autografe di Galileo al Dialogo sopra
i due Massimi Sistemi nell' Exemplaxe posseduto dalla Biblioteca del Seminario
di Padova. Modena 1880.
Einleitung. LXXVII
syllepticus (Rom 1633) des Jesuiten Melchior Inchofer gerielitet zu
seiii^ eines wütenden Gegners Galileis, der als Begutachter des Dialogs
loci dem Processe mitgewirkt hatte und der in der genannten Schrift
behauptete, die koperuikanische Lehre sei eine ärgere Ketzerei als die
Leuguung der Unsterblichkeit der Seele und der Schöpfung.')
Der Dialog rief eine grofse Zahl von Gegenschriften hervor. Zu-
nächst erhob der s ehr iftge wandte Chiaramonti, der es seit 1628 zum
Professor in Pisa gebracht hatte, Protest gegen die ihm widerfahrene
niederschmetternde Kritik. Seine Schrift führt den Titel: Difesa dl
Scipione Chiaramonti da Cesena al suo AntUicone e Libro delle tre nuove
Stelle dair Oppositioni ddV Autore de' Diie massimi Sistemi Tolemaico,
e Copernicano. In Firenze appresso il Landini 1633. Die Antwort ist
betreffs der meisten Punkte ungemein schwach, in manchen Fällen
geradezu komisch. Indessen ist auch einiges Richtige darin; nament-
lich hebt Ch. hervor, dafs sein erstes Argument gegen die koperui-
kanische Lehre in dem liber de trihiis novis stellis von Galilei nicht
beantwortet worden sei. Es war dies der Einwurf, dafs Kopernikus
nicht, wie er es in Aussicht stelle, alle Bewegungen der Himmels-
körper aus gleichförmigen Kreisbewegungen zusammensetze. Dieser
Einwurf gehörte freilich zu jenen, die „das Haus niederreifsen, weil
der Ofen raucht", und mit diesen beschäftigte sich Galilei im Dialoge
überhaupt nicht.
Scheiner liefs zwar gleich nach dem Erscheinen des galileischen
Buches, in welchem er so heftig angegriffen wurde, eine Gegenschrift
ankündigen. Dieselbe erschien aber erst "nach seinem Tode; sie führt
den Titel Christophorl Scheinerl Prodromus pro Sole mohili et Terra
staUli contra Galilaeum a Galäaeis (Pragae 1651). Er scheint es vor-
gezogen zu haben, den Angriffen Galileis mit fühlbareren Waffen als
der Feder entgegen zu treten. — AVeitere Gegenschriften wurden von
Antonio Rocco, Giovanni Barenghi, dem obengenannten Melchior
Inchofer und anderen verfafst; bis in unser Jahrhmidert hinein reichen
die letzten Spuren des Kampfes gegen die kopernikanische Lehre.
Galileis letzte Lebensjahre waren von Bitterkeit und Leiden ver-
giftet. Man behandelte ihn auch nach seiner Verurteilung hart; sein
Gesuch, wegen körperlicher Leiden von Arcetri nach Florenz ziehen
zu dürfen, wurde abgelehnt; der Inquisitor von Florenz mufste Galilei
bedeuten, er solle sich solcher Gesuche in Zukunft enthalten, sonst
werde man ihn in den Kerker der Inquisition zurückbringen müssen.
Dieser Bescheid ging ihm in dem Augenblicke zu, wo er von seiner
1) Op. VII, 49.
LXXVIII Einleitung.
mit dem Tode kämpfenden Tochter zurückkehrte, die denn auch kurz
darauf verstarb. Seine sehr ausgebreitete Korrespondenz wurde über-
wacht, imd was uns davon erhalten ist, ist unsäghch rührend. Schon
längst war sein Augenlicht geschwächt, im Dezember 1637 erblindete
er gänzlich. Da endlich im März 1638 wurde ihm gestattet, sein
Haus in Florenz wieder zu beziehen; unter Androhung jedoch von
schweren Strafen, wenn er in die Stadt ginge oder mit irgend jemand
über die koperuikanische Lehre spräche. Meist zog indessen Galilei
selbst den Aufenthalt in Arcetri vor. — Aber trotz aller nieder-
schmetternden Erlebnisse gab er sich nicht müfsigen Klagen hin; er
führte vielmehr, wie gesagt, einen lebhaften Avissenschaftlichen Brief-
wechsel und vollendete in unverwüstlicher Geistesfrische sein herr-
lichstes Werk, die Discorsl delle nuovc seiende, durch welche er der Be-
gründer der theoretischen Physik geworden ist; diese Geistesschöpfuug
ohne gleichen mufste sich auf Schleichwegen in die Litteratur stehlen.
Nach mancherlei Schwierigkeiten nämlich wurden die Discorsi durch
Vermittlung des Grafen Noailles 1638 im Elzevirschen Verlage ge-
druckt. Da man aber Galilei verboten hatte, irgend welche Schriften
zu veröffentlichen, so war er genötigt, sich den Anschein zu geben,
als sei die Drucklegung ohne sein Wissen erfolgt. — Ähnlich war es
mit der lateinischen Übersetzung des Dialogs von Bernegger^) und der
des Briefes an Christina von Elia Diodati (unter dem Pseudonym
Robertus Robertinus) gegangen. Auch eine flämische Übersetzung
des Dialogs von de Weerdt sollte bei den Elzevir erscheinen, es
ist dieser Plan aber nicht zur Ausführung gekommen (Op. X, 252).
Hingegen wurde wirklich eine Übertragung ins Englische vorgenommen ;
ob es dieselbe ist, die 1661 — 1665 von Thomas Salusbury in London
veröffentlicht wurde, ist zweifelhaft. (Vgl. Favaro, Sopra una tradazioue
inylese lU alcune opere di Galileo in der Rivista delle BiUioteche man. 18
und 19, sowie Op. VH, 140.) Viviani erwähnt in seiner Biograj)hie
Galileis aufserdem eine französische und eine deutsche Übersetzung;
indessen ist diese Angabe aller Wahrscheinlichkeit nach irrig, wenigstens
ist es mir nicht gelungen, irgend welche Spur von ihnen zu entdecken.
1) Systema Cosmicum, Authore Galilaeo Galilaei Lynceo, Academiae Pisanae
Mathematico extraordinario, Serenissimi Magni-Ducis Hetruriae Philosopho et
Mathematico Primario. In quo Quatuor Dialogis, De Duobus Maximis Mundi
Systematibus, Ptolemaico & Copemicano, Utriusque rationibus Philosophicis ac
Naturalibus indefinite propositis, disseritur. Ex Italica lingua Latine conuersum.
Accedit Appendix gemina, qua SS. Scripturae dicta cum Terrae mobilitate con-
ciliantur. Augustae Treboc. Impensis Elzeviriorum , Typis Davidis Hautti.
Anno 1G35. Dieselbe Übersetzung erschien mehrfach mit veränd^tem Titel.
Einleitung. LXXIX
Bis in die letzten Lebensjahre blieb Galilei wissenscbaftlich tbätig.
Da er nicht mehr schreiben konnte^ diktierte er oder machte münd-
liche Mitteilnngen. Namentlich war es der junge Viviani^ der ihm bis
zuletzt treu zur Seite stand, dem wir seine erste Biographie ver-
danken, und der noch manchen bedeutsamen Gedanken des grofsen
Mannes der Vergessenheit entrifs. Am 8. Januar 1G42, in dem Jahre,
wo Newton geboren wurde, starb Galilei in Gegenwart seines Sohnes
Vincenzo, seiner Schwiegertochter, seiner Schüler Viviani und Torricelli,
des Pfarrers und zweier Vertreter des h. Officiums. Auch über seine
Bestattmig entspann sich noch ein häfslicher Streit; schliefslich wurde
er in aller Stille in einer Nebenkapelle der Kirche Santa Croce zu
Florenz beigesetzt. Im Jahre 1737 wurden seine Gebeine in das linke
Seitenschiff der lürche übergeführt, wo sie neben denen Vivianis
ruhen; ein prächtiges Denkmal entschädigt den Toten für die grau-
same Verfolffung, die er als Lebender erlitten.
l
^
1
^■1
D I A LOGO
D I
GALILEO GALILEI LINCEO
MATEMATICO SOPRAORDINARIO
DELLO STVDIO DI PISA.
R Filo/ofo, e Matematico primär io del
SERENISSIMO
GR. DVCA DI TOSCANA.
Doue ne i congrefli di quattro giornate li difcorre
fopra i due
MASSIMI SISTEMI DEL MONDO
TOLEMAICO, E COPERNICANO;
Propoyiendo indeterminatmnente le ragmii Filofofiche, c Natiirali
tanto per Pvna , quavto per Paltra parte.
CON PRI XfM^^TW^ VILEGI
IN FIORENZA, Per GioiBatifta Landini MDCXXXII.
CON LICENZA DE' SVPERIORl
Imprimatur ü videbitur Reuerendifs. P. Magiftro Sacri
Palatij Apoftolici.
A. Epifcopus Bellicaftenfis Vicesgerens.
Imprimatur
Fr. Nicolaus Riccardius
Sacri Palatij Apoftolici Magifter.
Imprimatur Florentiae ordinibus confuetis feriiatis.
II. Septembris i6jo.
Petrus Nicolinus Vic. Geuer. Florentiae.
bnprimatur die ii . Septembris löjo.
Fr. Clemens Fgidius Inxjn. Gener. Florentiae.
Stainpiß adi 12. di Seftembre i6jo.
Niccolö de IT Altella.
h^-l
Durchlaiiclitigster Grof sherzog. ')
So selir der Mensch von jeglichem anderen i\e-
schüpfe sich miterscheiden mag, so wäre doch die
Behauptung nicht eben ungereimt, dafs die Menschen
unter einander kaum minder verschieden sind. Was will
Eins gegen Tausend heifsen? Doch aber püegt man zu
sagen, dafs ein Mann für tausend gilt, wo tausend nicht
für einen gelten. Solche Wertverschiedenheit schreibt sich
her von der Ungleichheit in der geistigen Befähigung des
Menschen; oder, was meines Bedünkens dasselbe ist. davon,
ob man Philosoph ist oder nicht: denn die Philosophie, als
eigentliche Geistesnahrung, erhebt den, der sie geniefsen
kann, mehr oder minder hoch über den gemeinen Haufen
des Volks, je nach der verschiedenen Beschaffenheit dieser
Speise. Wer nach höherem Ziele trachtet, nimmt den
höheren Eang ein; das rechte Mittel aber den Blick auf-
wärts zu lenken, liegt in der Beschäftigung mit dem
grofsen Buche der Natur, dem eigentlichen Gegenstande
der Philosophie. Obgleich alles, was in diesem Buche
zu lesen steht, das Erzeugnis eines allmächtigen Künstlers
und somit aufs angemessenste gegliedert ist, so ist doch
Galilei, Weltsysteme. 1
2 [9. 10.]
dasjenige das Nächste und Erforsch enswerteste. was uns
das Werk und die darauf verwendete Kunst von der er-
habensten Seite zeigt. Der Bau des Weltalls verdient
daher nach meiner Ansicht an erster Stelle genannt zu
werden. Denn wie er allumfassend alles Andere an Grüfse
übertrifft, so mufs er auch, als Kichtschnur und Stütze
für jegliches Einzelding, dem Range nach diesen voran-
gehen. Wenn es daher je einem Menschen gelang, sich
geistig vor der übrigen Menschheit ungewöhnlich hervor-
zuthun, so war dies mit Ptolemäus mid Kopernikus der
Fall, die so erhabene Gedanken im Weltenbau zu lesen,
zu schauen, zu erforschen wufsten. Um die Werke dieser
Männer drehen sich wesentlich meine vorliegenden Ge-
spräche; ich glaubte daher, sie keinem Anderen widmen
zu dürfen als Euerer Hoheit. Gleichwie ihr Inhalt nämlich
auf den Leistungen dieser Beiden beruht, meines Erachtens
der gröfsten Geister, welche uns in ihren Werken der-
gleichen Untersuchungen hinterlassen haben, so ziemte es
sich, um der Bedeutung des Gegenstandes nicht Abbruch
zu thun, sie zu stützen auf die Gunst des Gröfsten, den
ich kenne, auf dafs sie Ruhm und Schutz durch ihn
gewinnen möchten. Und wenn jene beiden mein Denken
so erleuchtet haben, dafs mein vorliegendes Werk grofsen-
teils als das ihre gelten kann, so darf es auch als geistiges
Eigentum Euerer Hoheit angesehen werden, die in der
Fülle Hirer Grofsmut mir Mufse und Ruhe zur Abfassung
meines Buches gegeben und, nimmer müde mich zu
ehren, mit wirksamer Unterstützung schliefslich die Ver-
öffentlichung desselben ermöglicht hat. Möge daher Euere
Hoheit es mit gewohnter Güte entgegennehmen, und
|io.] 3
wenn sich etliches darin findet, was den Freunden der
Wahrheit Erkenntnis und Vergnügen bereiten sollte, so
möge solches gelten als das Werk Euerer Hoheit, die
durch Ihre Hilfsbereitschaft bewirkt hat, dafs in Dero
glücklichem Reiche Niemand etwas verspürt von den ge-
wöhnlichen iNöten der Welt. Indem ich den Segen des
Himmels auf Euere Hoheit herabflehe, auf dafs diese
fromme und hochherzige Gepflogenheit allezeit mehr sich
l)ewähren könne, versichere ich Euere Hoheit meiner
demütigsten Ergebenheit.
Euerer Durchlauchtigsten Hoheit
demütigster und ergebenster Diener und Yasall
Galileo Galilei.
[11.]
All den geneigten Leser.-)
In den letzten Jahren erliefs man in Rom ein heilsames
Edikt, welches den gefährlichen Ärgernissen der Gegenwart
begegnen sollte und der pythagoreischen Ansicht, dafs die
Erde sich bewege, rechtzeitiges Schweigen auferlegte. Es fehlte
nicht an Stimmen, w^elche in den Tag hinein behaupteten,
jener Beschlufs verdanke seine Entstehung nicht einer sach-
verständigen Prüfung, sondern sei hervorgegangen aus Partei-
leidenschaft, der nicht genügende Kenntnisse zur Seite stünden.
Es wurden Klagen laut, dafs Konsultoren, welche mit dem
Stande der astronomischen Wissenschaft völlig unbekannt
seien, durch ein plötzliches Verbot den forschenden Cleistern
die Flügel nicht hätten stutzen sollen. Unmöglich konnte
mein Eifer beim Anhören so leichtfertiger Beschwerden stille
bleiben. Wohlvertraut mit jenem so weisen Beschlüsse, ent-
schied ich mich dafür auf der Schaubühne der Welt als Zeuge
aufrichtiger Wahrheit aufzutreten. Ich w^ar damals in Rom
anwesend; ich hatte die höchsten geistlichen Würdenträger
des dortigen Hofes nicht nur zu Zuhörern, sondern fand auch
ihren Beifall. So erfolgte denn die Veröffentlichung jenes
Dekrets nicht, ohne dafs man mich vorher einigermafsen davon
in Kenntnis gesetzt hätte. Darum ist meine Absicht in vor-
liegender mühevoller Arbeit den fremden Nationen zu be-
M«-] • 5
weisen, dafs man in Italien und insbesondere in Rom ül)er
diese Materie ebenso viel weifs, als nur immer die Forschung
des Auslandes darüber ermittelt haben mag. Durch Zusammen-
stellung aller eigenen Untersuchungen über das kopernika-
nische System will ich zeigen, dafs die Erkenntnis von alle
dem der römischen Zensur voranging, dafs mithin dieser
Himmelsstrich nicht nur die Heimat der Dogmen für das
Seelenheil ist, sondern dafs auch die scharfsinnigen Ent-
deckungen zur Vergnügung der Geister von ihm aus-
gehen.
Zu diesem Zwecke habe ich im Laufe der Unterredung
die Partei des Kopernikus ergriffen, wobei ich von seinem
System ganz nach mathematischer Weise als von einer Voraus-
setzung ausgehe und mit Hilfe aller möglichen Kunstgriffe
nachzuweisen suche, dafs dieses System dem von der Unbe-
wegtheit der Erde zwar nicht schlechthin überlegen ist,
wohl aber in Ansehung der Gegengründe, die von den zünf-
tigen Peripatetikern vorgebracht werden. Diese Leute geben
sich zufrieden, im Widerspruch mit ihrem Namen ^), Gespenster
zu verehren, ohne umherzu wandeln; sie suchen nicht vermöge
eigenen Nachdenkens die Wahrheit zu erforschen, sondern
einzig und allein mittels der Erinnerung an vier mifs ver-
standene Principien.
Drei Hauptpunkte werden erörtert werden. Zuerst werde
ich zu beweisen suchen;, dafs alle auf Erden anstellbaren
Versuche ungenügende Mittel sind, um deren Bewegung dar-
zuthun, dafs solche vielmehr unterschiedslos ebensowohl mit
der Bewegung wie mit der Ruhe der Erde vereinbar sind;
bei diesem Anlafs werden^ wie ich hoffe, viele dem Altertum
unbekannte Beobachtungen zur Sprache kommen. Zweitens
werden die Himmelserscheinungen einer Prüfung unterzogen
werden, welche so sehr zu Gunsten der kopernikanischen
6 ^ [11- 12.]
Annahme ausfällt, als ob diese durchaus siegreich daraus
hervorgehen sollte; dabei werden neue Forschungen vorgeführt
werden, die als astronomische Hilfsmittel zu betrachten sind,
nicht aber als thatsächlich gültige Naturgesetze. Drittens
werde ich eine geistreiche Phantasie zur Sprache bringen.
Ich habe vor vielen Jahren einmal ausgesprochen, dafs auf
das dunkle Problem von Ebbe und Flut einiges Licht fallen
könnte, sobald man die Bewegung der Erde einräumen wollte.
Dieser mein Ausspruch verbreitete sich von Mund zu Mund,
und es fanden sich barmherzige Pflegeväter^), welche die
arme Waise als Kind ihres eigenen Geistes annahmen. Damit
nun nicht dereinst ein Fremder, mit unseren eigenen Waffen
kämpfend, vor uns hintrete und uns schelte wegen der ge-
ringen Aufmerksamkeit, die wir einer so wichtigen Natur-
erscheinung gewidmet hätten, hal^e ich es für richtig gehalten,
die Gründe darzulegen, welche die Sache plausibel machen
unter der Annahme, dafs die Erde sich bewege. Diese Unter-
suchungen werden hoffentlich der Welt beweisen, dafs andere
Nationen zwar in gröfserem Umfange Schiffahrt betreiben
mögen, dafs wir ihnen aber in wissenschaftlicher Forschung
nichts nachgeben; dafs, wenn wir uns bescheiden die Unbe-
weglichkeit der Erde zu behaupten und die gegenteilige An-
nahme nur als eine mathematische Grille betrachten, dies
nicht aus Unkenntnis der Ideen anderer geschieht; dafs wir
vielmehr, von anderem abgesehen, dies aus den Gründen thun,
welche die Frömmigkeit, die Religion, die Erkenntnis der
göttlichen Allmacht und das Bewufstsein von der Unzuläng-
lichkeit des Menschengeistes uns an die Hand geben.
Ich dachte weiter, es sei von grofsem Vorteil diese Ge-
danken in Form eines Gesprächs zu entwickeln, weil ein
solches nicht an die strenge Innehaltung der mathematischen
Gesetze gebunden ist und hie und da zu Abschweifungen
[12.] 7
(Jelegenheit Ijietot, die iiichtj iiiiiickT interessant sind als der
Hauptgegenstand.
Ich besuchte vor vielen Jahren des öfteren die Wunder-
stadt Venedig und verkehrte daselbst mit dem Signore Giovan
Francesco Sagredo''), einem Manne von vornehmster Abkunft
und ausgezeichnetem Scharfsinn. Eben dahin kam aus Florenz
Signore Filippo Salviati, dessen geringster Ruhm sein edeles
Blut und sein glänzender Reichtum war; ein erhabener Geist,
der nach keinem Genüsse mehr trachtete als nach dem des
Forschens und Denkens. Mit diesen beiden unterhielt ich
mich oft über die erwähnten Fragen und zwar im Beisein
eines peripatetischen Philosophen, dem scheinbar nichts so
sehr die Erkenntnis der Wahrheit erschwerte, als der
Ruhm, den er durch seine Auslegungen des Aristoteles er-
worben hatte.
Jetzt, nachdem der grausame Tod den Städten Venedig
und Florenz jene beiden erleuchteten Männer in der Blüte
ihrer Jahre geraubt hat, habe ich versucht, soweit meine
schwachen Kräfte es vermögen, sie zu ihrem Ruhme auf
diesen Blättern fortleben zu lassen, indem ich sie als redende
Personen an den vorliegenden Gesprächen sich beteiligen
lasse. Auch der wackere Peripatetiker soll nicht fehlen;
wegen seiner übermäfsigen Vorliebe für die Kommentare des
Simplicius, schien es passend unter Verschweigung seines
wahren Namens ihm den seines Lieblingsautors zu belassen.
Mögen die Seelen jener beiden grofsen Männer, die meinem
Herzen stets verehrungs würdig bleiben werden, das offen tliche
Denkmal meiner nie ersterbenden Liel)e hinnehmen; mö<^e
das Andenken an ihre Beredsamkeit mir behülflich sein, der
Nachwelt die versprochenen Untersuchungen klar darzulegen.
Es hatten gelegentlich allerlei Unterredungen zwischen
genannten Herren stattgefunden, die, wie es zu gehen pflegt,
8 [12.J
willkürlich heransgegriffeDe Punkte betrafen. Dadurch aber
wurde der Durst nach Erkenntnis in ihren Geistern nur
entflammt, nicht gelöscht. Sie fafsten daher den klugen Ent-
schlufs sich an einigen Tagen zusammenzufinden, um unter
Ausschlufs jedes anderen Geschäftes in geordneterer Weise
der Betrachtung und Verehrung der himmlischen und irdischen
Wunderwerke Gottes obzuliegen. Als die Gesellschaft im
Palaste des erlauchten S, Sagredo beisammen war, hub nach
den üblichen, aber kurzen Begrüfsungsceremonien S. Salviati
folgendermafsen an:
I i;i 14.
Erster Tag.
Personen: Salviati, Sagredo und Simplicio.
Salv. Bei unsereu gestrigen Gesprächen sind wir sclilieislicli
übereingekommen, heute so klar und eingehend als möglich diejenigen
natürlichen Gründe*^) auf ihre Beweiskraft hin zu prüfen, welche zu
(hmsten der einen und der anderen Ansicht von den Verehrern der
aristotelisch-ptolemäischen Lehre einerseits und von den Anhängern des
kopernikanischen Systems andererseits bisher vorgebracht worden sind.
Da nun Kopernikus die Erde zu den bewegten Himmelskörpern rechnet beuachtct''"dic
und demgemäfs sie als einen Ball gleich den Planeten betrachtet, so 3^^^ fi^ch'den
werden wir zweckmäfsig zunächst untersuchen, wie es um die Triftig- Planeten,
keit und Überzeugungskraft derjenigen peripatetischen Schlüsse steht,
welche erweisen sollen, eine solche Amiahme sei schlechthin unmöglich,
insofern in der Natur zweierlei verschiedene Substanzen zu imter-
scheiden seien, eine himmlische und eine elementare''), jene unver- sSsTa'^lennot-
äuderlich und unzerstörbar, diese veränderlich und vergänglich. Diesen rnderifch^^eie-
Gegenstand behandelt er«) in der Schrift „Über den Himmel", indem Xuch tacl"
er zuerst seine Ansicht von gewissen allgemeinen Gesichtspunkten aus "'^"^s't^Ieies.^"'
wahrscheinlich zu machen sucht und sie dann durch speciellere Er-
fahrungen und Beweise stützt. Ich will den Gegenstand in der näm-
lichen Reihenfolge behandeln und dann meine Ansicht freimütig mit-
teilen; ich lasse mir dabei gerne Euere Kritik gefallen, insbesondere
die des Signore Simplicio, eines so eifrigen Ivämj)en und Verteidigers
der aristotelischen Lehre.
Das erste Glied in der Schlufskette der Peripatetiker besteht dariu,
dafs Aristoteles die Vollständigkeit und Vollkommenheit der Welt
durch den Hinweis darthut, dieselbe sei nicht eine einfache Linie,
noch auch eine blofse Fläche, sondern ein Körper mit Länge, Breite ^l^^^'^ll^ ^fH
und Tiefe: da es nun nicht mehr als diese drei Ausdehnungen gebe ^"iikommen,
' 00 weil sie arei-
und die Welt dieselben besitze, so besitze sie alle und sei aus eben '"'"^""°°''' '^*-
diesem Grunde vollkommen. — Dafs nun aber aus der Linie, welche
definiert ist als eine blol's der Länge nach ausgedehnte Gröfse, durch
IQ Dialog über die Weltsysteme. [14.]
Hinzufügimg der Breite sich die Fläche ergiebt und durch weitere
Hinzufügung der Höhe oder Tiefe daraus der Körper entsteht, dafs so-
dann über diese drei Ausdehnungen hinaus kein Übergang zu einer
weiteren möglich ist, mit diesen dreien also die Vollständigkeit, ich
möchte sagen die Allheit, erschöpft ist: dafür hätte ich von Aristo-
teles gerne einen strengen Beweis gehört, umsomehr als sich ein solcher
recht klar und ohne Schwierigkeit führen läfst.
Simpl. Was habt Ihr deiui an den wunderschönen Beweisen aus-
k'weise^^drfür zusctzcu, die im zweiten, dritten und vierten Paragraphen gleich auf
alhr ""als' frei ^^^^ Definition der Stetigkeit folgen? ') Steht da nicht erstlich, dafs
'^"^'^giXr^'^^" es keine anderen als jene drei Ausdehnungen giebt, weil die Drei alles,
die Dreiheit allseitig ist?^^) Wird dies nicht durch die i^utorität und
le^DreiTahf bei ^^^ Lchrc der Pjthagorcer bekräftigt, wonach alles durch die Drei,
'^^"^ r^ern""^" nämlich durch Anfang, Mitte und Ende bestimmt ist, diese also anzu-
sehen ist als die Zahl der Allheit? Und vergefst Ihr denn ganz den
weiteren Grund, dafs nämlich gewissermafsen nach einem Naturgesetz
besagte Zahl bei den Opfern für die Götter Anwendung findet, dafs
man, der Weisung der Natur vollkommen entsprechend, bei Dingen,
die in der Dreizahl vorkommen, nicht aber bei einer geringeren Zahl,
von allen spricht? Denn wenn es sich um zwei Dinge handelt, sagt
man beide und nicht alle; wohl aber sagt man so bei dreien. Diese
ganze Entwicklung findet Ihr im zweiten Paragraphen. Im dritten
liest man ad pleniorem scientiam^^), dafs die Begrifi'e Jedes, All und
Vollkommenes begrifflich identisch sind, dafs also von den ausge-
dehnten Gröfsen der Körper allein vollkommen ist, da nur er durch
die Drei bestimmt ist, welche der Ausdruck der Allheit ist. Da er
ferner in dreierlei Richtung geteilt werden kann, so ist er in allen
Richtungen teilbar, während von den beiden anderen Gröfsen die eine
blofs auf eine, die andere auf zwei Weisen teilbar ist. Es entspricht
nämlich die Teilbarkeit und Stetigkeit der Zahl der Dimensionen 5
daher ist die Linie nur in einer Richtung, die Fläche in zweien stetig,
der Körper hingegen in allen. Giebt er sodann für die in Rede
stehende Behauptung im vierten Paragraphen, nach einigen anderen
Lehrsätzen, nicht noch einen weiteren Grmid an? Jeder Fortschritt,
sagt er, hat einen bisher vorhandenen Mangel zur Voraussetzung — und
daher ist es ein Fortschritt, wenn man von der Linie zur Fläche über-
geht, da jene der Breite ermangelt — das Vollkommene kann aber
nicht mangelhaft sein, da es allseitig ist; man kann also unmöglich
von den Körpern zu einem höheren Gebilde fortschreiten. Scheint
Euch nun nicht von all diesen Gesichtspunkten aus zur Genüge er-
wiesen, dafs es über die drei Ausdehnimgen der Länge, Breite und
[15.] Erster Tag. H
Tiefe hinaus einen Übergang zu einer weiteren nicht giel)t und dals
darum der Köqier, der sie sämtlich besitzt, vollkommen istV
Salv. Bei all diesen Erörterungen habe ich mich, offen gesagt,
liöchstens zu dem einen Zugeständnis bewogen gefühlt, dafs dasjenige,
was Anfang, Mitte und Ende hat, vollkommen zu nennen ist. Dafs
aber darum, weil Anfang, Mitte und Ende eine Dreiheit bilden, die
Zahl Drei vollkommen wäre imd die Fähigkeit besäfse, diese Voll-
kommenheit auf jede Dreiheit von Dingen zu übertragen, dies zuzugeben
fühle ich mich nicht im mindesten bewogen. Ich kann z. B. nicht
fassen und verstehen, dafs etwa in Ansehung der Beine die Zahl Drei
vollkommener wäre, als Vier oder Zwei, oder dafs die Zahl Vier als'
Zahl der Elemente imvollkommen sei, der Drei hingegen eine höhere
Vollkommenheit zukäme. Besser wäre es also, man überliefse derlei
Nichtigkeiten Schönrednern und begründete seine Behauptung mit
einem strengen Beweise, wie es sich in den deduktiven Wissenschaften
gehört.
Simpl. Ihr nehmt wohl diese Gründe nicht ernsthaft, und doch
gehen all derartige Betrachtungen auf die Pythagoreer zurück, die den
Zahlen eine so hohe Bedeutimg beilegten. Es scheint, als ob Ihr, der
Ihr Mathematiker seid imd, wie ich gla.ube, in vielen Fragen Anhänger
der pythagoreischen Schule, auf einmal deren Mysterien geringschätzig
behandelt.
Salv. Dafs bei den Pythagoreern die Wissenschaft von den Zahlen
im höchsten Ansehen stand, imd sogar Plato^^) den menschlichen Iw- ^j||"//^g^,ifj^e®^
tellekt blofs darum bewunderte und ihn als gleichartig mit der gött- erdtswesendw
liehen Vernunft betrachtete, weil er das Wesen der Zahlen begreife, ^^alT^l^cht'
ist mir wohlbekannt, ja ich neige der nämlichen Ansicht zu. Aber ^latos.
ich bin weit davon entfernt zu glauben, dafs die geheinmisvoUen Eigen- ^chen^^za^en-
schaften, derentwegen Pythagoras und seine Schule die Zahlenlehre so ,i^*d Mädchen.
hoch schätzten, jene Albernheiten sein sollten, die im Volksmunde und
in den landläufigen Büchern spuken. Ich weifs vielmehr, dafs sie jene
Wimder nicht den Schmähungen und der Verachtimg des grofsen
Haufens preisgeben wollten, dafs sie die Veröffentlichung der tief ver-
borgenen Zahleneigenschaften imd der von ihnen entdeckten inkommen-
surabeln und irrationalen Gröfsen als eine Profanation verurteilten imd
lehrten, dafs, wer sie offenbare, dafür im Jenseits zu büfseu habe.
Einer oder der andere mag daher, um den gemeinen Mann abzuspeisen
und sich seinen Fragen zu entziehen, ihm gesagt haben, die Zahlen-
geheiimiisse bestünden in jenen Spielereien, die sich nachher im Volke
verbreiteten. Es Avar das ebenso vorsichtig mid bedacht, wie das
Verfahren jenes klugen jimgeu Mannes, der seiner Mutter oder seiner
12 Dialog über die Weltsysteme. [16.]
neugierigen Frau — ich weils nicht mehr sicher — die ihn bestürmte,
ihr die geheimen Verhandkmgen des Senats mitzuteilen, ein Märchen
aufband, um ihre lästigen Fragen los zu werden, so dafs sie nebst
vielen anderen Weibern vor selbigem Senate sich aufs höchste lächer-
lich machten.'^)
Simpl. Ich gehöre nicht zu denen, welche nach den Mysterien
der Pythagoreer sonderlich lüstern sind. Aber ich entgegne, um auf
miseren Gegenstand zurückzukommen : die von Aristoteles vorgebrachten
Gründe dafür, dafs die Anzahl der Dimensionen mehr als drei weder
beträgt, noch betragen kann, erscheinen mir zwingend; auch glaube
ich, dafs wenn es einen strengeren Beweis gäbe, Aristoteles ihn nicht
verschwiegen hätte.
Sagr. Setzt wenigstens hinzu, wenn er ihn gekannt oder sich
seiner erinnert hätte. Aber Ihr, Signore Salviati, würdet mir einen
grofsen Gefallen thmi, wenn Ihr einen augenscheinlichen Beweis bei-
bringen wolltet; nur mufs er so fafslich sein, dafs ich ihn ver-
stehen kami.
Salv. Nicht nur Ihr, auch Signore Simplicio wird ihn verstehen,
ieometrischer ^^ ^j. jg^ Euch, wcuu aucli unbewufsterweisc längst bekannt. ^^) Zu
eweis lur die J / o /
'"^^naiuä""" besserem Verständnis wollen wir Papier und Feder benutzen, die ich
für solche Gelegenheiten hier schon bereit sehe, und eine kleine
Zeichnung entwerfen. Wir markieren
zimächst zwei Punkte A und B-^
verbinde ich dieselben einmal durch
die krummen Linien AGB und ABB,
dann durch die Gerade AB, so frage
ich Euch, welche dieser Linien nach
Euerer Meinung die Entfernung zwischen den Endpimkten A imd B
bestimmt und weshalb?
Sagr. Nach meiner Meinung die gerade Linie und nicht die
krummen, teils weil jene die kürzeste ist, teils weil sie einzig in ihrer
Art und bestimmt ist, während es von den anderen unzählige giebt,
die unter einander ungleich und länger als die gerade Linie sind; jede
Messung aber mufs nach meiner Ansicht von dem ausgehen, was
einzig in seiner Art und selber bestimmt ist.
Salv. Wir haben also in der geraden Linie ein Mafs für die
Strecke zwischen zwei Pimkten. Fügen wir jetzt eine andere gerade
Linie hinzu, welche der Linie AB parallel ist und CD heifsen
möge, so dafs zwischen beiden eine Fläche gelegen ist; ich möchte,
dafs Ihr mir die Breite derselben angeben wolltet. Sagt mir also,
nach welchem Punkte und in welcher Weise Ihr, von dem End- |
|ir,. 17.] Erster Tag. 13
punkte A ausgehend^ zu der Linie CD gelangen wollt, um mir die
1^) reite des zwischen beiden Linien enthaltenen Flächenstücks anzu-
t^eben-, ich meine, ob Ihr dieselbe be-
stimmen wollt mittels der Länge der
Kurve ÄE oder der Geraden AF
oder ....
Simpl. Mittels der Geraden AF
und nicht mittels der krummen Linie,
da die krummen Linien zu solchem
Zweck bereits als untauglich sich erwiesen haben.
Sagr. Was mich betrifft, so würde ich weder die eine noch die
andere benutzen; denn, wie ich sehe, geht die Gerade AF in schiefer
Richtung. Ich möchte vielmehr eine Linie ziehen, die rechtwinklig
auf CD steht; denn diese und diese allein scheint mir die kürzeste zu
sein im Gegensatz zu den unendlich vielen gröfseren und imter sich
ungleichen, welche von dem Endpmikte A nach anderen und anderen
Punkten der gegenüberliegenden Linie CD sich ziehen lassen.
Salv. Euere Wahl und der Grund, den Ihr dafür anführt, scheint
mir vortrefflich. Wir haben also bis jetzt das Ergebnis, dafs die erste
Dimension durch eine gerade Linie bestimmt wird; die zweite, nämlich
die Breite, ebenfalls durch eine gerade Linie, die mit jener anderen,
die Länge bestimmenden einen rechten Winkel bildet. So also haben
wir die zwei Dimensionen der Fläche bestimmt, die Länge und Breite.
Wenn Ihr nun aber eine Höhe zu bestimmen habt, wie hoch z. B. die
Decke dieses Zimmers über dem Fufsboden sich befindet, so kann man
doch von einem beliebigen Punkte der Decke luiendlich viele teils
gerade, teils krumme Linien, alle von verschiedener Länge, nach im-
endlich vielen Punkten des darunter befindlichen Bodens ziehen. Welche
von geuaimten Linien würdet Ihr nun zu Euerem Zwecke benutzen?
Sagr. Ich würde an der Decke einen Faden befestigen und ihn
durch eine daran hängende Bleikugel sich ungehindert ausdehnen lassen,
bis er den Boden berührt. Die Länge dieses Fadens, als einer geraden
Linie und zwar der kürzesten von allen Linien, die von selbigem
Punkte nach dem Boden sich ziehen lassen, würde ich als die wahre
Höhe des Zimmers betrachten.
Salv. Ganz richtig. Wemi Ihr daim von dem Punkte des Fufs-
bodens, der durch das Ende des hängenden Fadens bezeichnet ist
— der Boden als wagrecht angenommen, nicht etwa als geneigt —
zwei andere gerade Linien ausgehen lasset, eine in Richtung der Länge,
die andere in Richtung der Breite des Bodens, welche AVinkcl werden
diese mit dem Faden bilden?
14 Dialog über die Weltsysteme. [17. 18.]
Sagr. Sie werden selbstverständlich rechte Winkel bilden, wenn
der Faden lotrecht und der Boden ganz eben und genau wagrecht ist.
Salv. Wenn Ihr also irgend einen Punkt zum Anfang und Aus-
gangspunkt der Messung macht und von ihm eine gerade Linie aus-
gehen lafst, die zur Bestimmung der ersten Ausdehnung, der Länge,
dienen soll, so wird notwendigerweise diejenige, welche die Breite
definieren soll, rechtwinklig zur ersten abgehen und die, welche die
Höhe, also die dritte Ausdehnung, bezeichnet, ebenfalls mit den beiden
anderen nicht schiefe, sondern rechte Winkel bilden. So seht Ihr
denn durch die drei Perpendikel, als drei in ihrer Art einzige, be-
stimmte und kürzeste Linien, die drei Dimensionen festgesetzt: AB die
Länge, AC die Breite, AD die Höhe.
Da nun offenbar durch denselben Punkt
keine weitere Linie gehen kann, welche
mit diesen rechte Winkel einschliefst und
^^ ^ die Dimensionen doch allein durch gerade,
^^•^ — ß auf einander recht^vinklige Linien be-
stimmt werden dürfen, so giebt es nicht
mehr als drei Dimensionen. Ein Ding also, das diese drei besitzt,
besitzt sie alle, mid wenn es alle besitzt, ist es nach allen Richtungen
teilbar, und wenn dem so ist, ist es vollkommen u. s. w.
Simpl. So? Wer sagt denn, dafs man keine anderen Linien ziehen
kann? Warum sollte es denn unmöglich sein, von unten her noch eine
weitere Linie im Punkte A anlangen zu lassen, die mit den übrigen
rechte Winkel bildet?
Salv. Ihr könnt doch wahrhaftig nicht durch einen Punkt mehr
als drei auf einander rechtwinklige Linien legen.
Sagr. Ja; denn die, welche Signore Simplicio :^eint, scheint mir
dieselbe Linie wie DAzxa sein, nur nach unten verlängert. Auf diese
Art könnte man noch zwei andere ziehen; es wären aber die nämlichen
drei wie zuvor, nur mit dem^Unterschiede, dafs sie dann sich schnitten,
während sie jetzt sich blofs berühren. Neue Dimensionen würde man
aber dadurch nicht erhalten.
Beinaturwis- Simpl. Ich wiU uicht sagcu. dafs dieser Euer BeAveis der Strenge
lenschaftlichen ^ . . , ?
Beweisen ist ermaugclc; wohl aber kann ich mit Aristoteles^^) sagen, dafs man in
mathematische -, -.^ • ' i f • i • t^ i • i
strenge nicht deu Naturwisseuschafteu nicht immer Beweise von mathematischer
erforderlich.
Strenge zu suchen braucht.
Sagr. Allerdings vielleicht dann nicht, wenn sie unerreichbar ist;
wenn sie hier aber möglich ist, warum nicht Gebrauch von ihr machen?
Doch es wird gut sein, auf diese Einzelheit nicht noch mehr Worte zu
verschwenden, weil meiner Meinuns; nach Siijnore Salviati dem Aristoteles
[18. 19.] Erster Tag. 15
und Eucli oline jeden Beweis zugegeben hätte, dafs die Welt ein
Körper sei und dafs sie Vollkommenheit und zwar die höchste Voll-
kommenheit besitze, wie sie ja das höchste Werk Gottes ist.
Salv. So ist es in der That. Lassen .wir also die allgemeinen
Betrachtungen des Weltganzen und gehen wir über zu der Betrachtung
seiner Teile, deren Aristoteles im ersten Abschnitt zwei sehr verschie- ^i^^^-^^l^aij^^.'
dene, gewissermafsen einander entgegengesetzte annimmt, nämlich einen ^g^setzte^TeuT
himmlischen und einen elementaren: jener unentstanden, unzerstörbar, '^hTm^uschir'
unveränderlich, unbeeinflufsbar; dieser beständigem Wechsel und fort- "J^f^^tarer''''
währender Änderung unterworfen. Diesen Unterschied schöpft er aus
seinem Grundprincipe, nämlich aus der Verschiedenheit der Orts Ver-
änderungen. ^') Seine Schlüsse sind dabei folgende:
Aus der sinnlichen Welt sozusagen heraustretend und in eine
ideale sich versetzend, unternimmt er es, den Bauplan des Weltalls
zu entwerfen und demgemäfs zu erwägen, dafs die Natur die Ur-
sache der Bewegung ist^''), die Naturkörper mithin der Ortsverände- q'^^^^-^^'®''^^®''
rung fähig sind. Er erklärt sodann, dafs die Bewegungen von dreierlei j^feis^i^f^e
Art sind, nämlich kreisförmig, geradlinig oder aus diesen gemischt. ^^"^ gemischte.
Die beiden ersten Bewegungsarten nennt er einfach, weil von allen '^®]J^^4g'j.°^^^j""'^
Linien der Kreis und die Gerade allein einfach sind. Hierauf definiert ^jn^^cf^^feu
er, die bisherige Allgemeinheit bedeutend einschränkend, von den ein- läiig» eiufacher
7 o o 7 Liinieu er-
fachen Bewegungen sei die erste die Kreisbewegung, d. h. die um die folgend.
Mitte stattfindende, die beiden anderen seien gerade nach oben und
nach unten gerichtet, nämlich nach oben die von dem Mittelpunkt
sich entfernende, nach unten die dem Mittelpunkt zustrebende. Daraus
nun schliefst er, dafs notwendigerweise die einfachen Bewegmigen mit
diesen drei Arten erschöpft sind, dafs es also nur Bewegungen nach
der Mitte, von der Mitte und um die Mitte gebe. Dieses steht, wie
er sagt, in schönem Einklänge mit dem früher über den Körper Ge-
sagten, der ganz wie die ihm zukommende Bewegmig in dreierlei
Hinsicht vollkommen sei. Nach Feststellung dieser Bewegmigsarten
fährt er fort und sagt: da von den Naturkörpern einige einfach, andere
aus diesen zusammengesetzt seien — und zwar nemit er einfache
Körper solche, die von Natur einen Antrieb zur Bewegung haben, wie
das Feuer und die Erde — so müssen die einfachen Bewegungen den
einfachen Körpern, die gemischten den zusammengesetzten Körpern
zukommen, derart jedoch, dafs die zusammengesetzten dem vorlu'rr-
schenden Bestandteile folgen.
Sagr. Haltet gütigst einen Augenblick ein, Signore Salviati. Demi
ich verspüre in mir eine solclie Menge von Zweifebi sich regen, dafs
ich mich ihrer entledigen mufs, wenn ich Euerem ferneren Vortrag auf-
16 Dialog über die Weltsysteme. [19. 20.]
merk.sam soll folgen können; ich müfste .sonst, um meine Einwürfe
nicht zu vergessen, darauf verzichten, dem folgenden meine Aufmerk-
samkeit zu widmen.
Salv. Ich mache sehr gern eine Ruhepause; denn auch mir ergeht
es ähnlich. Ich laufe jeden AugenbHck Gefahr, mich zu verirren, während
ich durch Klippen und stürmische Wogen segeln soll, die mich, mit
dem Sprichwort zu reden, den Kurs verlieren lassen. Bringt also nur
Euere Einwürfe vor, ehe ihre Menge zu grofs geworden ist.
Sagr. Dem Beispiele des Aristoteles folgend, habt Ihr mich zuerst
der sinnlichen Welt weit entrückt, um mir den Bauplan zu zeigen,
nach dem sie ausgeführt werden soll. Ihr ginget zu meiner Zufrieden-
heit von dem Satze aus, dafs die Naturkörper von Natur aus beweg-
lich sind, da anderwärts die Natur als Ursache der Bewegung definiert
tliesTuf^steiue^^^^'^®^ ^^^* Hier kam mich ein kleines Bedenken an: warum nämlich
xi^turemweder sagtc Aristotclcs richt, dafs von den Naturkörpern einige von Natur
™ur u!i^eit°an-^^-*^^®olich, andere unbeweglich sind, während es doch in der Definition
gewandt. hcifst, die Natur sei die Ursache der Bewegung und der Ruhe? Wenn
die Naturkörper alle den Trieb zur Bewegung haben, so war es ent-
weder unstatthaft, die Ruhe in die Definition der Natur mit aufzu-
nehmen oder es war unstatthaft, eine solche Definition an dieser Stelle
einzuführen.^') Wenn er mir nachher auseinandersetzt, was er unter
einfachen Bewegungen verstanden wissen will und wie er diese nach
den zurückgelegten Wegen bestimmt, indem er nämlich einfache Be-
wegungen diejenigen nennt, die längs einfacher Linien stattfinden,
wenn er femer sagt, dafs solche einfache Linien blofs der Kreis und
die gerade Linie sind, so will ich das ruhig hinnehmen und nicht
Schraubenlinie Spitzfindig ihm das Beispiel der um einen Cylinder gewundenen
fa^he^Linie Schraubeulinic entgegenhalten, wiewohl diese wegen der Gleichartig-
(
gelten.
keit ihrer Teile auch, wie mir scheint, zu den einfachen Linien ge-
rechnet werden könnte. Hingegen will es mir gar nicht gefallen, dafs
ich ihn plötzlich unter Beeinträchtigung der Allgemeinheit — während
er scheinbar die nämlichen Definitionen nur mit anderen Worten
wiederholt — die eine Bewegimg eine solche um den Mittelpunkt
nennen höre, "die anderen sursum et deorsum, d. h. aufwärts und ab-
wärts gerichtet, alles Ausdrücke, die sich nicht aufserhalb der schon
fertigen Welt anwenden lassen, sondern diese als schon geschaffen, ja
sogar als schon von uns bewohnt voraussetzen. Wenn aber die gerad-
linige Bewegung einfach ist blofs wegen der Einfachheit der geraden
Linie und wenn die einfache Bewegimg natürlich ist, nach welcher
Seite sie auch gerichtet sei, aufwärts oder abwärts, vorwärts oder
rückwärts, nach rechts oder nach links oder nach irgend einer anderen
[20. 21] Erster Tag. 17
denkbaren Iliclitung, vorausgesetzt nur, dafs sie geradlinig ist, so wird
auch eine solclie Bewegung manchen Naturkörpern zukommen müssen,
wenn anders nickt die Grundannahme des Aristoteles mangelhaft ist.
Überdies deutet Aristoteles offenbar an, es gebe in der Welt nur eine
einzige kreisförmige Bewegung und demzufolge nur einen einzigen
Mittelpunkt, auf welchen allein die auf- und abwärts gerichteten Be-
wegungen sich beziehen: alles Anzeichen, dafs er die Absicht hat, uns
falsche Karten in die Hände zu spielen, den Bauplan dem fertigen Gebäude Aristoteles pafst
anzupassen, nicht aber das Gebäude nach den Vorschriften des Planes dem weitge-
aufzurichten. Sobald ich nämlich sage, dafs im Weltall tausenderlei das Gebäude
Kreisbewegungen möglich sind und folglich tausend Mittelpunkte, so
wird es auch tausenderlei auf- und abwärts gerichtete Bewegungen
geben. Aufserdem nimmt er, wie wir hörten, einfache und gemischte Be-
wegungen an, indem er als einfach die kreisförmige und die geradlinige
Bewegimg bezeichnet, während er gemischt die aus jenen zusammen-
gesetzte nennt. Entsprechend nennt er von den Naturkörpern die einen
einfach — nämlich die, welche von Natur einen Trieb zu den einfachen
BcAvegungen haben — andere zusammengesetzt. Dabei weist er die
einfachen Bewegungen den einfachen Körpern zu, die zusammengesetzte
den zusammengesetzten. Unter zusammengesetzter Bewegmig versteht
er aber nun nicht mehr die Mischung geradliniger und kreisförmiger
Bewegung, wie eine solche thatsächlich stattfinden kann; er führt viel-
mehr eine neue völlig mimögliche gemischte Bewegung ein: so wenig
möglich, als es möglich ist entgegengesetzte Bewegungen innerhalb der-
selben geraden Linie derart zu mischen, dafs daraus eine teils nach
oben, teils nach unten gerichtete Bewegung hervorginge. Um das
Unpassende und die Unmöglichkeit dieser Behauptungen zu mildern,
beschränkt er sich darauf, derartige gemischte Körper sich dem vor-
waltenden Bestandteil gemäfs bewegen zu lassen. Man sieht sich
schliefslich also genötigt, auch die Bewegung längs derselben geraden Die geraduuige
o n ? D o o j • -TT Bewegung uach
Linie bald als einfach, bald als zusammengesetzt anzusehen; die Jljin- Aristoteles bia-
1->T1J1J' wilP" einfacb,
fachheit der Bewegung ist also nicht mehr ausschlielslich durch die bisweilen ge-
'=' ^ . mischt.
Einfachheit des zurückgelegten Weges bedingt.
Simpl. Haltet Ihr es demi nicht für einen ausreichenden Unter-
schied, wenn die absolut einfache Bewegung sehr viel schneller vor
sich geht als die durch den vorwiegenden Bestandteil bedingte? Wie-
viel schneller bewegt sich ein Stück reiner Erde abwärts als ein
Stückchen Holz!
Sagr. Gut, Signore Simplicio; wenn mm aber aus diesem Grimde
der Begriff' der Einfaclilieit anders gefafst werden mufs, so werden
erstlich himderttausenderlei gemischte Bewegimgen existieren; sodann
ü.\i.ii.Ki, WeltSistemo. 2
28 Dialog über die Weltsysteme. [22].
aber werdet Ikr nicht mehr imstaude sein, die einfache zu definieren.
Ja noch mehr: wenn die gröfsere oder geringere Geschwindigkeit die
Einfachheit der Bewegung beeinflufst, so wird niemals ein einfacher
Körper eine einfache Bewegung ausfuhren. Demi bei allen natürlichen
geradlinigen Bewegungen nimmt die Geschwindigkeit fortwährend zu
und ändert folglich ihre Einfachheit, die, um Einfachheit zu sein, doch
unveränderlich sein müfste. Was noch wichtiger ist, Ihr heftet dem
Aristoteles einen weiteren Tadel an, dafs er nämlich bei der Definition
der zusammengesetzten Bewegung der Langsamkeit und Schnelligkeit
keine Erwähnung thut, welche Ihr jetzt als ein notwendiges und
wesentliches Erfordernis hinstellt. Ein solches Kriterium läfst sieh
überdies nicht fruchtbar verwerten, weil es gemischte Körper, und zwar
recht zahlreiche, geben wird, die sich teils schneller, teils langsamer
bewegen als ein einfacher, wie z. B. das Blei und das Holz im Ver-
gleich zur Erde. Welche dieser Bewegungen wollt Ihr da einfach,
welche zusammengesetzt nennen?
Simpl. Einfach soll die heifsen, welche von einem einfachen
Körper, und gemischt die, welche von einem, zusammengesetzten Körper
ausgeführt wird.
Sagr. Ausgezeichnet fürwahr, was Ihr da sagt, Signore Simplicio!
Vor einer Weile habt Ihr festgesetzt, dafs die einfache und die zu-
sammengesetzte Bewegung mir darüber Auskunft geben sollen, ob ein
Körper einfach oder zusammengesetzt sei und jetzt soll ich aus der
Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Körper mir Aufschlufs über
die Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Bewegungen verschaffen :
eine vortreffliche Regel, um schliefslich weder über die Bewegungen
noch über die Körper zur Klarheit zu gelangen. Es genügt Euch nun
auch zur Feststellung des Begriffs der einfachen Bewegung nicht mehr
die gröfsere Geschwindigkeit; Ihr geht vielmehr so weit, dafs Ihr
noch eine dritte Bedingung erfüllt wissen wollt, während Aristoteles
sich zu diesem Zwecke mit einer einzigen begnügt, nämlich der Ein-
fachheit des zurückgelegten Weges. Nach Euerer Ansicht nämlich ist
nunmehr die einfache Bewegung eine solche, welche längs einer ein-
fachen Linie, mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit von einem
einfachen beweglichen Körper ausgeführt wird. Nun mag meinetwegen
Euere Ansicht richtig sein; wenden wir uns aber zu Aristoteles zurück,
der mich belehrt hat, die gemischte Bewegimg sei diejenige, welche sich
aus der geradlinigen und kreisförmigen zusammensetze, der mir dann
aber keinen Körper hat ausfindig machen können, der von Natur eine
solche Bewegung ausführte.
Salv. Ich kehre also zu Aristoteles zurück, der seine Unter-
[22. 23.] Erster Tag. 19
suchung so scliön und methodiscli begomieu hat. Da er aber mehr
die Absicht hatte, auf ein seinem Geiste schon vorschwebendes Ziel
loszusteuern und es zu erreichen, als dahin zu gelangen, wohin ihn
geradewegs seine Schlüsse führten, reifst er den Faden ab und schlägt
einen Seitenpfad ein. Er teilt uns als etwas allgemein Bekaimtes und
Zugestandenes mit, dafs die auf- und abwärts gerichteten Bewegungen
dem Feuer und der Erde eigen sind-, es müsse also notwendigerweise
aufser jenen ims zugänglichen Körpern noch ein anderer in der Natur
vorhanden sein, dem die Kreisbewegung zukomme. Dieser sei sodann
in demselben Mafse vollkommener, als die Kreisbewegimg im Vergleich
zu der geradlinigen vollkommener sei. Wievielmal aber jene die
letztere an Vollkommenheit übertreffe, bemifst er nach der Vollkommen-
heit des Kreises gegenüber der geraden Linie, wobei er jenen voll-j^^^j^^^j^^J;^^^^^^
kommen, diese unvollkommen nennt: darum nämlich unvollkommen,^°"^°°j'^^ ^^^^
weil sie entweder im Falle der Unendlichkeit keinen Abschlufs und''"^^^''^"^;^*^^""'^
keine Grenze hat, oder im Falle der Endlichkeit nach einem aufser-
halb derselben gelegenen Punkte verlängert werden kann. Das ist
der Grundstein, die Basis, das Fundament des ganzen aristotelischen
Weltgebäudes, worauf sich alle die übrigen Merkmale gründen, des
Nicht-Leichten und Nicht-Schweren, des Unentstandenen, des Unver-
gänglichen und - — abgesehen von der Ortsveränderung — des Unver-
änderlichen u. s. w. Alle diese Eigenschaften, versichert er, kommen
dem einfachen, kreisförmig sich bewegenden Körper zu, während er
die entgegengesetzten Affektionen der Schwere, Leichtigkeit, Ver-
gänglichkeit u. s. w. den von Natur sich geradlinig bewegenden Kör-
pern zuweist. Sobald also in dem bisher Festgestellten sich ein
Mangel zeigt, darf man begründeterweise an allem Übrigen, das sich
darauf aufbaut, Zweifel hegen. Ich stelle nicht in Abrede, dafs die
von Aristoteles bisher aus allgemeinen Grundprincipien gewonneneu
Ergebnisse im weiteren Fortgang durch specielle Gründe imd Erfah-
rungen nochmals bekräftigt werden; diese müssen sämtlich einzeln
geprüft und erwogen werden. Da aber schon bei dem bisher Vorge-
brachten sich viele nicht unbedeutende Schwierigkeiten in den Weg
stellen — und doch sollten die ersten Principien und Grmidlagen
unerschütterlich fest und sicher sein, damit man olme Zagen auf ihnen
weiterlmuen kann — so wird es wohl am geratensten sein, bevor die
Menge der Zweifel zu sehr anwächst, einmal auf gut Glück zu ver-
suchen — und ich glaube, es ist möglich — auf anderem Wege vor-
zudringen, auf dem es sich kürzer und sicherer geht, und nach besser
erwogenen Bauregeln die ersten Fimdamente zu legen. Li dem Augen-
blicke jedoch, wo wir einstweilen die Entwicklungen des Aristoteles
20 Dialog über die Weltsysteme. [24. 25.]
verlassen, um sie seiner Zeit wieder aufzunehmen und eingehend zu
prüfen ^^), erkläre ich mich einverstanden mit einer seiner bisherigen
Behauptungen, dafs nämlich die Welt mit allen Dimensionen ausge-
stattet und darum von höchster Vollkommenheit ist. Ich setze hinzu,
dafs sie als solche durchaus gesetzmäfsig ist, d. h. aus Teilen besteht,
Der Verfasser (]jg j^^^]^ höchstcn imd vollkommensteu Gesetzen angeordnet sind. Ich
nimmt an, die ~
k Jmme^n^ eord- §^^^^^ ' dicscr Amiahmc werdet weder Ihr, noch sonst jemand wider-
°®*- sprechen.
Slmpl. Wer sollte da widersprechen! Deun erstens rührt sie
von Aristoteles selbst her; dann aber scheint schon der Name Kosmos
von nichts Ajiderem hergenommen zu sein, als von der im Weltall
herrschenden höchsten Ordnung. '-')
Salv. Nach Feststellung eines solchen Princips läfst sich ohne
weiteres schliefsen, dafs, wenn die Hauptmassen des Weltalls vermöge
^dueten^wfit^^^'®^' Natur bewcglich sind, ihre Bewegungen unmöglich geradlinig
uch^eSe'^OTad- ^^^^ audcrs als kreisförmig sein können. ^'^) Der Grund ist ganz ein-
linige Bewegungfg^gj^ ^^j^^j Hcgt auf dcr Hand. Denn was sich geradlinig bewegt, ver-
ändert seinen Ort und entfernt sich im Fortgang der Bewegung mehr
und mehr von dem Ausgangspunkt und von allen im Lauf der Be-
wegung erreichten Punkten. Käme nun einem Körper solche Be-
wegung von Natur aus zu, so wäre er von Anfang an nicht an seiner
natürlichen Stelle, mithin die Anordnung der Teile der Welt keine
vollkommene. Wir setzen aber voraus, dafs ihre Ordnung vollkommen
sei, demgemäfs köimen sie nicht von Natur dazu bestimmt sein, ihre
Stelle zu wechseln imd folglich auch nicht, sich geradlinig zu be-
Be^"aung"fhrer^^^o6^- ^^ aufscrdcm die geradlinige Bewegung' ihrer Natur nach
""^ ''^''eud'ifch """ unendlich ist — denn die gerade Linie ist unendlich und von unbe-
stimmter Länge — so kann kein beweglicher Körper den natürlichen
^we^gli^T^n ^^'^®^ haben, sich in gerader Linie dahin zu bewegen, wohin er un-
'^mögiich' niögiich gelangen kami, insofern einer solchen Bewegung kein Ziel
TO» xr * gesetzt ist. LTnd die Natur, wie Aristoteles selbst sehr richtig bemerkt,
Die Natur ver- O 7 O 7
leisten ''wasun-'^®^^^^^^ nicht, was Unmöglich zu leisten ist, versucht also nicht dahin
uiatl^M ^^^ treiben, wohin zu gelangen unmöglich ist.^') Wollte man aber
behaupten, die Natur habe, obgleich die gerade Linie imd die gerad-
linige Bewegung ins Unendliche, d. h. ins Ziellose, fortsetzbar ist,
dennoch gewissermafsen willkürlich ihr bestimmte Grenzen gesteckt und
den Naturkörpern den natürlichen Trieb eingepflanzt, sich zu diesen hin
^wegulf-''"^^-'' ^^^ bewegen, so entgegne ich, dafs man vielleicht in Phantasieen sich er-
^'^'^ chalTs ^^' ,§6lien darf, die Sache habe sich in dieser Weise aus dem Urchaos ent-
wickelt, wo verschwommene Materien verworren imd ungeordnet um-
herschwebten. Um diese zu ordnen, mag dann die Natur sich sehr
|25.J Erster Tag. 21
uc'scliickt der geradlinigen Bewesungen bedient haben: wie diese Geradlinige Be-
., 11 1 . T— -TT 1 1 • vregung geeig-
iiiimlicn einerseits wohlgeordnete Korper in Unordnung zu brmgennet, die verkehr
. j~. •! • T 11 angeordneten
vermögen, so sind sie im Gegenteile geeignet, die verkehrt ange- Körper zu ord-
ordneten in Ordnung zu bringen, Ist aber einmal die beste Verteilung
lind Stellung herbeigeführt, so kann unmöglich in ihnen die natürliche
Xeigimg bestehen bleiben, sich auch fernerhin in gerader Linie zu be-
wegen, was nunmehr blofs die Wiederentfernung vom gehörigen luid
natürlichen Orte, also die Unordnimg im Gefolge haben würde. ^-)
Wir können demnach sagen, es diene die geradlinige Bewegmig dazu,
lue Baustoffe für das Werk herbeizuschaffen; ist dieses aber einmal
fertig gestellt, so bewegt es sich entweder nicht, oder wenn es sich
bewegt, so bewegt es sich kreisförmig. Es sei denn, dafs wir noch nie weitkörper
° ' ° . nach Plato an-
weiter gehend mit Plato ^^) sagen wollten, dafs auch die Weltkörperfangs geradlinig,
° : " . . . später kreisför-
nach ihrer Schöpfung imd ihrer endg'ültigen h ertigstellung eme gewisse mig bewegt.
Zeit hindurch von ihrem Schöpfer in gerader Linie bewegt Avurden,
dafs sie aber, angelangt au dem bestimmten, ihnen zugewiesenen Orte,
der Reihe nach in Drehung versetzt wurden und so von der geraden
Bewegung zur kreisförmigen übergingen, in welcher sie sich dann be-
hauptet haben imd bis auf den heutigen Tag beharren. Ein erhabener
Gedanke imd Piatos wohl würdig. Ich entsinne mich darüber unseren
gemeinsamen Freund von der Accademia dei Lincei^*) reden gehört zu
haben und, wenn ich mich recht erinnere, war seine Ansicht diese.
Jeder von Natur bewegliche Körper, der durch irgendwelche Ursache
in den Zustand der Ruhe gebracht worden ist, wird freigelassen sich Ein in Kühe bc-
. . . findlicher Kör-
iii Bewegimg setzen; freilich nur dann, wenn er von Natur eme Vor- per wird sich
, , • 11 "icht bewegen,
liebe für irgend einen besonderen Ort hat. Denn wenn er sich allen wenn er nicht
° ••-Oll Vorliebe für ir-
gegenüber gleichmäfsig verhielte, würde er in seiner Ruhe verharren, gend einen be-
f^ O b o } _ ■'sonderen Ort hat.
da er nicht mehr Ursache hat nach diesem als nach jenem sich hm zu
bewegen. Hat er aber diesen Trieb, so ergiebt sich mit Notwendig- Der bewegliche
1 , O , _ . . Körper beschleu-
keit, dafs er bei seiner Bewegung eine fortwährende Beschleuniguug «igt seine Be-
, , . . wegung, wenn er
erfährt. Da er nämlich mit der langsamsten Bewegung beginnt, wird sich nach dem
» . ° j 1 OrteseinerWahl
er keine Stufe der Geschwindigkeit erreichen, er sei denn zuvor durch begiebt.
alle Stufen geringerer Geschwindigkeit oder meinethalben gröfserer Der vom Kuhe-
O n O ^11 zustand aus-
Langsamkeit hindurchgegangen. Denn da er vom Zustand der Ruhe, als gehende Körper
von der Stufe imendlicher Langsamkeit, ausgeht, so ist kein Grund für stufen der Lang-
. .... sanikoit hin-
ihii vorhanden, in die imd die bestimmte Stufe der. Geschwindigkeit em-durch.uerRuhe-
.... . , . . zustand ist die
zutreten, ohne zuvor in eine niedrigere einzutreten imd m eine noch stufe mieud-
' " lieber liangsam-
niedrigere, bevor in diese. Es ist vielmehr nur vernünftig auzu- toit.
nehmen, dafs er erst durch die Stufen hindurchgeht, die der Anfangs-
stufe zunächst liegen, und von diesen aus erst zu den entfernter
liegenden gelaugt; die Stufe aber, mit der er seine Bewegimg begimit.
22 Dialog über die Weltsysteme. [26.]
Der Körper be- ist cüe der böcbsteu Langsamkeit, nämlich die der Rulie. Nim kami
Bewegung nur, aber diese Bescbleunigimg nur zustande kommen, wenn der Körper
dem Ziele r'ückt.bei Seiner Bewegung eine Förderung erfäbrt und diese Förderung
bestebt in nicbts Anderem als in der Annäberung an das angestrebte
Ziel, d. b. au denjenigen Ort, wobin ibn der natürlicbe Trieb ziebt;
dabei wird er sieb auf dem kürzesten, also dem geraden Wege dortbin
begeben. Wir können mitbin die begründete Vermutung aussprechen.
Um dem Körper dafs die Natur, um einem beweglichen Körper, der zuvor sich in Ruhe
Grad von Ge- befand, cinc bestimmte Geschwindigkeit mitzuteilen, sich des Mittels
eiuzupflcanzen, bcdicut, ilui ciuc gcwissc Zeit und eine gewisse Strecke hindurch in
tur sich gerad- gerader Richtung zu bewegen. Besteht diese Erörterung zu Recht,
so dürfen wir uns vorstellen, Gott habe die Masse z. B. des Jupiter
erschaffen und wolle ihm nunmehr eine so und so grofse Geschwindig-
keit verleihen, die er alsdann gleichförmig in alle Ewigkeit bewahren
soll; wir werden dami mit Plato sagen können, dafs er ihm anfangs
verstattete in geradlinig beschleunigter Bewegung fortzuschreiten und
dafs er dann, auf der vorgeschriebenen Stufe der Geschwindigkeit an-
Gicichfiirraige gelangt, dic gerade Bewegung in die kreisförmige verwandelte, deren
komiiit der kreis Geschwindigkeit dann natürlich einförmig sein mufs.
gung zu. Sagr. Ich höre von dieser Ansicht mit grofsem Vergnügen, glaube
aber, das wird in noch höherem Mafse der Fall sein, wenn Ihr mir
erst ein Bedenken beseitigt habt; ich begreife nämlich nicht recht,
wieso notwendig ein beweglicher Körper, der aus dem Zustande der Ruhe
Zwischen der in eiuc Bcwcgung eintritt, zu der ein natürlicher Hang ihm innewohnt,
ade alle vorhergehenden Grade der Schnelligkeit durchmachen mufs, deren
digkeit liegen es zwischcu ciucm beliebig vorgeschriebenen Grade und dem Zustande
Grade geringererder Rubc uueudlicb viclc gicbt: als wenn die Natur der Masse des
Jupiter nicht gleich nach ihrer Schöpfung die kreisförmige Bewegung
nebst der betreffenden Geschwindigkeit hätte zuerteilen können.
Salv. Ich habe nicht gesagt und möchte mich nicht erdreisten
Die Natur ver- ZU sageu, dafs CS der Natur und Gott unmöglich wäre, iene Geschwin-
leiht nicht un- P . .
mittelbar einen digkcit, vou dcr Ihr sprccbt, auch unmittelbar zu verleiben-, wohl aber
bestimmten Grad . in • ^ pi t-i* iitt
von Goschwin- sagc ich, dafs die Natur de facto nicht so verfährt. Em solcher Vor-
sie es' könnte, gang käme also auf eine Wirkung hinaus, Avie sie aufserbalb des
natürlichen Verlaufs liegt, also auf ein Wunder.*)
*) Es möge sich ein beiveglicher noch so iviichtiger Körper mit beliebiger Ge-
schtvindigkeit bewegen und auf einen beliebigen ruhenden Körper treffen, so wird
letzterer, und sei er noch so schwach und widerstandsunfähig , niemals sofort im
Augenblicke des Zusammentreffens die Geschwindigkeit des anderen annehmen. Ein
deutliches Zeichen, dafs dem so ist, besteht in der durch den Stofs hervorgerufenen
Schallwirkung, die man nicht vernehmen oder die, besser gesagt, gar nicht statt-
[27.] Erster Tag. 23
Sagr. Ihr glaul^t also, ein Stein, der aus der Ruhelage in die
ihm natürliche Bewegung nach dem Mittelpunkt der Erde eintritt,
müsse durch alle Stufen der Langsamkeit hindurchgehen, die unter-
halb einer beliebigen Stufe der Geschwindigkeit liegen?
Salv. Ich glaube es, ja ich bin dessen sicher und zwar mit solcher
Zuversicht, dafs ich auch Euch darüber völlig vergewissern kann.
Sagr. Wenn ich bei allen unseren heutigen Untersuchungen auch
nur diese eine Erkenntnis gewämie, würde ich das als eine bedeu-
tende Errungenschaft betrachten.
Salv. Soweit ich Euch verstanden zu haben glaube, richtet sich
Euer Haupteinwurf gegen die Vorstellung, dafs ein Körper durch jene
unendlich vielen vorangehenden Stufen der Langsamkeit und noch dazu
in kürzester Frist hindurchgehen soll, bis er die nach dieser Frist ihm
zukommende Geschwindigkeit erreicht. Darum will ich, bevor ich
weiter gehe, dieses Bedenken zu beseitigen suchen, was nicht schwer
ist. Ich brauche Euch blofs zu entgegnen, dafs der Körper zwar durch
die o-enannten Stufen hindurchgeht, aber ohne bei diesem Durchgang Der vom Kuhe-
^ o 7 . stand ;ms-
auf irgend einer Stufe zu verweilen. Da denmach der Durchgang nicht gehende Körper
o . . geht durch alle
mehr als einen einzigen Augenblick erfordert, aber iede noch so kleine stufen der oe-
o ~ . . schwuidigkeit
Frist unendlich viele Augenblicke enthält, so werden wir eine genügende hindurch, ohne
~ ^ . . auf irgend einer
Menge von Augenblicken zur Verfügung haben, um den unendlich vielen zu verweuen.
verschiedenen Stufen der Langsamkeit je einen bestimmten Zeitpunkt
zuzuordnen, mag die Frist auch noch so klein sein.
Sagr. Soweit folge ich; gleichwohl kommt es mir auffällig vor,
wemi eine Kanonenkugel, — als solche will ich mir den fallenden
Körper vorstellen — • die doch mit solchem Ungestüm niederfällt, dafs
sie in weniger als zehn Fulsschlägen mehr als zweihundert Ellen-*')
zurücklegt, im Laufe ihrer Bewegung einen so geringen Grad von Ge-
schwindigkeit soll besessen haben, dafs, weim sie diesen beibehalten
und keine weitere Beschleunigung erfahren hätte, sie die Strecke nicht
in einem ganzen Tage zurückgelegt haben würde.
Salv. Ihr dürft ruhig sagen, in einem ganzen Jahre nicht, noch
auch m zehn oder in tausend Jahren. Ich verbürge mich. Euch davon
zu überzeugen, ohne dafs Ihr vielleicht gegen eine der einfachen Fragen
Einspruch erhebt, die ich an Euch richten werde. Sagt mir also, ob
Ihr ohne weiteres zugebt, dafs jene Kugel beim Fallen immer gröfseren
Antrieb und Geschwindigkeit erlangt.
Sagr. Dessen bin ich völlig gewifs.
finden imirde, tvenn der vorher ruhende Körper hei Ankunft des bewegten dieselbe
Geschwindigkeit empfinge ivie dieser. '^^)
24 Dialog über die Weltsysteme. [28.]
Salv. Und wenn ich behaupte, clals der an irgend einer Stelle
erreichte Antrieb der Bewegung gerade grofs genug ist, um die Kugel
wieder zu der Höhe zurückzubringen, von der sie ausging, werdet Ihr
mir Recht geben?
Sagr. Unbedingt, sobald sie imgehindert ihre volle Kraft für den
einen Zweck verwenden kami, um selbst wieder zur früheren Höhe zu
gelangen oder um einen anderen ihr gleichen Körper dahin zu bringen.
Der schwere Kör- Ware z. B. die Erde durch den Mittelpunkt hindurch durchbohrt und
per erlangt beim .__
Fall einen An- hefsc man die Kugcl aus einer Höhe von hundert oder tausend Ellen
reichend ist, umfallen, SO bin ich überzeugt, dafs sie jenseits des Mittelpunktes sich
ihn wieder auf . . . pii-ti
dieselbe Höhe ebcuso wcit übcr dicscu erhöbe, als sie zuvor gefallen ist. Eben das-
ZU bringen.
selbe ist der Fall, wie der Versuch mich lehrt, bei einem an einem Faden
aufgehängten Gewichte. Entfernt man dieses aus der Ruhelage, also
der lotrechten Richtung, und überläfst es sich selbst, so fällt es in die
lotrechte Lage zurück und überschreitet sie um ebensoviel oder doch
nur um soviel weniger, als der Widerstand der Luft und des Fadens
oder anderer Nebenumstände dies bewirken. Auch beim Wasser, wel-
ches in eine Röhre gegossen ebenso weit steigt, als die Höhe seines
Falls betrug, zeigt sich mir das nämliche.^')
Salv. Euere Schlüsse sind untadelig. Ihr werdet auch sicherlich
damit einverstanden sein, dafs die Ursache des erlangten Antriebes die
wachsende Entfernung des Körpers vom Ausgangspunkte und die An-
näherung an den bei der Bewegung erstrebten Mittelpunkt ist. Werden
aber auch zwei gleiche Körper, wenn sie, ohne Widerstand zu finden,
längs verschiedener Linien sich abwärts bewegen, dennoch gleiche An-
triebe erlangen, die Annäherung an den Mittelpunkt in beiden Fällen
als gleich vorausgesetzt? Räumt Ihr das gleichfalls ein?
Sagr. Ich verstehe die Frage nicht recht.
Salv. Ich werde mich besser mit Hilfe einer kleinen Zeichnung
verständlich machen. Ich ziehe
^ also diese Linie AB m hori-
zontaler Richtung, errichte
im Punkte .B die Senkrechte
CB und ziehe dann die schiefe
Verbindungshnie CA. Wenn
ich mir nun unter der Linie
CA eine geneigte Ebene von
ausgezeichneter Glätte mid
Härte vorstelle, auf welcher
eine vollkommen runde Kugel von härtestem Stoff sich abwärts bewegt;
wenn ferner eine zweite derartige Kugel längs der Senkrechten CB in
[28. 29.J Erster Tag. " 25
freiem Falle sich bewegt^ so frage ich: Räumt Ihr ein, dafs der Antrieb
der Kugel, welche längs der geneigten El)ene fällt, nach Ankunft in Ä
gleich dem Antriebe sein kann, welche die andere im Punkte B er-
langt, nachdem sie die lotrechte Strecke CB passiert hat?
Sagr. Ich glaube bestimmt: ja. Denn schliefslich haben sich beide
dem Mittelpunkt gleichviel genähert und nach dem, was ich soeben nie Antriebe
eingeräumt habe, würde der Antrieb einer jeden von beiden genügen, dirsich gieich-
• 1 11 1 • 1 1 • 1 TT..1 1 1 ^öl <ie™ Mittel-
um Sich selbst wieder zu gleicher Hohe zu erheben. punkt genähert
Salv. Sagt mir nun noch, wie sich Euerer Ansicht nach die näm- ^gleich.
liehe Kugel verhielte, wenn man sie auf die wagrechte Ebene AB
legen würde?
Sagr. Sie würde ruhig liegen bleiben, da die Ebene nach keiner Auf der wag-
Ci • , • I • 1 rechten Ebene
Seite geneigt ist. bleibt der Körper
Salv. Auf der geneigten Ebene CA hingegen würde sie sich ab- "^""'^ "'^*°'
wärts bewegen, aber langsamer als längs der Senkrechten CB, nicht
wahr?
Sagr. Ich habe eben unbedenklich zustimmen wollen, demi dem
Anschein nach ist allerdings die senkrechte Bewegung CB notwendig
rascher, als die schiefe CA. Wie kann aber dann der auf der schiefen
Ebene fallende Körper nach seiner Ankunft im Punkte A ebensogrofsen
Antrieb, also auch die nämliche Geschwindigkeit, besitzen, wie der senk-
recht herabfallende im Punkte B? Diese Sätze scheinen sich zu
widersprechen. ^'^)
Salv. Umsomehr wird es Euch unrichtig vorkommen, wenn ich
behaupte, dafs die Geschwindigkeit des senkrecht und des schief fallen-Geschwindigkeit
den Körpers genau gleich sind. Und doch ist dies vollkommen richtig, neigten Ebene
ebenso richtig wie die Behauptung, dafs der Fall längs der Senkrech- schwindigkeit
ten rascher erfolgt als längs der schiefen Ebene. rechten, und Be-
Sagr. In meinen Ohren klingt das wie ein schroffer Widerspruch, der sonkrechteu
Was meint Ihr, Signore Simplicio? längs der go-
Simpl. Auch mir kommt das so vor.
Salv. Ich glaube, Ihr habt mich zum besten und stellt Euch, als
ob Ihr nicht verstündet, was Ihr besser versteht als ich. Sagt mir
doch, Signore Simplicio, wenn Ihr Euch vorstellt, ein bewegter Körper
übertreffe einen anderen an Geschwindigkeit, Avelchen Begriff' verbindet
Ihr damit?
Simpl. Ich stelle mir vor, der eine lege in der nämlichen Zeit
eine gröfsere Strecke als der andere zurück, oder die gleiche Strecke,
aber in kürzerer Zeit.
Salv. Sehr wohl, und was stellt Ihr Euch unter gleichen Ge-
schwindigkeiten zweier Körper vor?
26 Dialog über die Weltsysteme. [29. 30.]
Simpl. Ich stelle mir darunter vor, dafs sie gleiche Strecken in
gleichen Zeiten zurücklegen.
Salv. Sonst nichts als das?
Simpl. Es scheint mir dies die richtige Definition gleicher Be-
wegungen zu sein.
Sagr. Wir können doch noch eine andere aufstellen: es heifsen
Gesciiwiudig- die Geschwindigkeiten auch dann gleich, wenn die zurückgelegten Wege
gleich, wenn die Sich Verhalten wie die Zeiten, m welchen sie zurückgelegt Avorden sind.
Wege den zeiteuDiese Dcfinition ist eine allgemeinere.
proportional
Bind. Salv. So ist es; denn sie umf'afst sowohl den Fall, wo gleiche
Strecken in gleichen Zeiten, als auch den, wo ungleiche Strecken in
ungleichen, aber den Strecken jjroportionalen Zeiten durchlaufen wer-
den. Nehmt nun dieselbe Figur noch einmal vor und sagt mir so-
dann, unter Benutzung des Begriifs der rascheren Bewegung, warum
Ihr die Geschwindigkeit des längs CB fallenden Körpers für gröfser
haltet als die Geschwindigkeit des längs CA fallenden.
Simpl. Ich glaube darum, weil der frei fallende Körper in einer
Zeit die ganze Strecke CB zurücklegt, in welcher der andere auf CA
eine kleinere Strecke als CB zurücklegt.
Salv. So ist es. Es hat demnach seine Richtigkeit, dafs der
Körper schneller in der senkrechten Richtung als in der geneigten
sich bewegt. Überlegt nun, ob in dieser nämlichen Figur nicht auch
der andere Satz zu seinem Recht gelangen kann, und ob sich nicht
ei^eisen läfst, dafs die Körper auf beiden Linien CA und CB gleiche
Geschwindigkeiten besitzen.
Simpl. Ich kann nichts derartiges entdecken; es scheint mir im
Gegenteil darin ein Widerspruch mit dem eben Gesagten zu liegen.
Salv. Was meint Ihr, Signore Sagredo? Ich möchte Euch
nicht erst lehren, was Ihr schon wifst, imd was Ihr mir noch eben
ganz richtig definiert habt.
Sagr. Die Definition, die ich angefühi-t habe, lautete, dafs die
Geschwindigkeiten der Körper gleich genannt werden dürfen, wenn die
von ihnen zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in wel-
chen sie zurückgelegt werden. Soll also diese Definition hier gelten,
so müfste die Zeit für das Fallen längs CA zu der Zeit des freien
Falls längs CB dasselbe Verhältnis haben, wie die Linie CA selbst
zur Linie CB. Nur begreife ich nicht, wie dies möglich ist, sobald
die Bewegung längs CB rascher ist als längs CA.
Salv. Und gleichwohl sollt imd müfst Ihr es begreifen. Sagt
mir doch: findet bei diesen Bewegungen nicht eine fortwährende Be-
schleunigung statt?
[30. 31,] Erster Tag. 27
Sagr. Ja; aber eine gröfsere ßeschleimigung in der senkrechten
als in der schiefen Richtung.
Salv. Ist mm aber jene Beschleunigung in der senkrechten Rich-
tung so grofs im Vergleich zu der in schräger Richtung stattfinden-
den, dafs, an welcher Stelle auch immer auf den beiden Linien gleiche
Stücke angenommen werden, die Bewegung längs des senkrechten
Stücks rascher sein muTs als längs des schiefen?
Sagr. 0 nein. Ich kann vielmehr auf der schrägen Linie eine
Strecke annehmen, auf welcher die Geschwindigkeit sehr viel gröfser
ist als auf einer anderen ebenso grofsen Strecke der senkrechten Linie.
Ich brauche nur die Strecke auf der senkrechten Linie in der Nähe
des Endpunktes C, die Strecke auf der schiefen Linie hingegen recht
Aveit davon entfernt anzunehmen.
Salv. Die Behauptung also, die Bewegung längs der Senkrechten
sei schneller als längs der schiefen Linie, erweist sich nicht als all-
gemein richtig, wie Ihr seht. Sie gilt nur bei Bewegungen, die vom
Anfangspimkte, also von der Ruhelage, ihren Ausgang nehmen. Ohne
diese Klausel wäre die Behauptung dermafsen falsch, dafs ihr Gegen-
teil ebenso gut wahr sein könnte, nämlich dafs die Bewegmig auf der
schiefen Ebene schneller ist, als in senkrechter Richtung: denn man
kann auf der schiefen Linie eine Strecke annehmen, die in kürzerer
Zeit durchlaufen wird, als eine ebenso grofse Strecke auf der Senk-
rechten. Da also die Bewegung auf der schiefen Ebene an einigen
Stellen schneller, an anderen weniger schnell ist als auf der Senk-
rechten, so wird an gewissen Stellen der schiefen Ebene die Zeit der
Bewegimg des Körpers zu der Zeit der Bewegung des Körpers an ge-
wissen Stellen der Senkrechten ein gröfseres Verhältnis haben als die
entsprechenden zurückgelegten Wege; an anderen Stellen hingegen
wird das Verhältnis der Zeiten
kleiner sein als das der zu-
gehörigen Wege. Es mögen
z. B. von der Ruhelage, also
vom Pmikte C aus zwei be-
wegliche Körper sich in Be-
wegung setzen, der eine längs
der Senkrechten CB, der
andere längs der schiefen Linie
CA. Li der Zeit, wo der eine Körper die ganze Strecke CB zurück-
gelegt hat, wird der andere das kleinere Stück CT zurückgelegt haben.
Die Dauer der Bewegung auf CT Avird also zur Dauer der BeAvegimg
auf CB — weil diese beiden Zeiten gleich sind — ein gröfseres Ver-
28 Dialog über die Weltsysteme. [31. 32.]
liältuis haben als die Linie CT zu CB, da eiu imd dieselbe Gröfse zu
einer kleineren ein gröfseres Verhältnis hat als zu einer gröl'seren. 2'^)
Wenn man umgekehrt auf der nötigenfalls zu verlängernden Linie CA
eine Strecke gleich CB annimmt, die aber in kürzerer Frist passiert
Avird, so würde die Zeit für Durchmessung der schiefen Strecke zu der
für Zurücklegung der senkrechten ein kleineres Verhältnis haben als
jene Strecke zu dieser. Da wir mis also auf den beiden Linien Strecken
nebst den entsprechenden Geschwindigkeiten denken können derart,
dafs die Verhältnisse der Strecken zu einander teils kleiner teils gröfser
sind als die Verhältnisse der entsprechenden Zeiten, so können wir
wohl vernünftigerweise zugeben, dafs auch Strecken vorhanden sind,
auf welchen die zur Bewegung erforderlichen Zeiten dasselbe Verhält-
nis bewahren wie die Strecken selbst.
Sagr. Mein gröfstes Bedenken ist jetzt gehoben und ich begreife
nicht blofs die Möglichkeit, sondern geradezu die Notwendigkeit dessen,
was mir vorher ein Widerspruch schien. Ich verstehe aber einstweilen
noch nicht, dafs zu diesen möglichen oder notwendigen Fällen der hier
vorliegende gehört. Es müfste sich herausstellen, dafs die Fallzeit
längs CA zur Zeit des freien Falls längs CB sich ebenso verhält wie
die Linie CA zu CB, damit man ohne Widerspruch soll sagen können,
die Geschwindigkeiten längs der schiefen Linie CA und längs der
senkrechten CB seien gleich.
Salv. Seid einstweilen zufrieden, dafs ich Euch den Unglauben
benommen habe; die volle Erkenntnis erwartet ein anderes Mal, wenn
Euch die Untersuchungen unseres Akademikers über die räumlichen
Bewegungen vorliegen. ^'^) Ihr werdet dort bewiesen finden, dafs, wenn
der eine Körper die ganze Linie CB durchfallen hat, der andere am
Fufspunkte T des von B auf CA gefällten Perpendikels angelangt ist.
Um andererseits den Ort des nämlichen senkrecht fallenden Körpers
zu finden in dem Augenblicke, wo der andere in A ankommt, errichtet
blofs im Punkte A ein Perpendikel auf CA und verlängert es bis
zum Schnitt mit CB-^ dort wird der gesuchte Punkt liegen. Inzwischen
werdet Ihr bemerken, dafs es völlig richtig ist, die Bewegung längs
CB als rascher zu betrachten wie die längs der schiefen Linie CA —
die zu vergleichenden Bewegimgen immer vom Ausgangspunkte C an
gerechnet — denn die Linie CB ist gröfser als CT, und ebenso ist
die Linie von C bis zum Schnitt mit dem im Punkte A auf CA er-
richteten Perpendikel gröfser als CA: darum ist also die Bewegung
auf jener rascher als längs CA. Vergleichen wir aber die über die
ganze Linie CA erstreckte Bewegung nicht mit der ganzen gleichzeitig
stattfindenden Bewegung längs der verlängerten Senkrechten, sondern
[32. 33.] Erster Tag. 29
blofs mit dem schon in kürzerer Zeit zurückgelegten Teile CB, so
ist es sehr wohl angängig, dafs der längs CA über T hinaus weiter
fallende Körper nach einer solchen Frist in Ä ankommt, dafs, wie CA
zu CB, so auch die eine Zeit zur anderen sich verhält.
Wir wollen mm wieder unser erstes Ziel ins Auge fassen und
beweisen, dafs ein schwerer Körper, der von der Ruhelage ausgeht, bei
seinem Falle durch alle die Stufen der Langsamkeit hindurchgehen
mufs, welche einer später von ihm erreichten Stufe der Geschwindig-
keit vorangehen. Wir nehmen dieselbe Figur wiederum vor und er-
innern uns, dafs nach beiderseitigem Zugeständnis der senkrecht längs
CB fallende Körper und der schief längs CA fallende in den End-
punkten B imd A mit gleichen Stufen der Geschwindigkeit eintreffen.
Wir gehen nun weiter, imd ich glaube, Ihr werdet ohne jedes Be-
denken zugeben, dafs auf ^
einer Ebene, die weniger
steil ist als A C , etwa
auf AD die Abwärtsbewe-
gung noch langsamer als
auf der Ebene AC statt-
finden wird. Daher lassen
sich, wie nicht im minde-
sten zu bezweifeln ist, Ebe- ^ ^
nen von so geringer Neigimg gegen den Horizont angeben, dafs der
bewegte Körper, also die von Anfang an betrachtete Kanonenkugel,
erst nach einer vorgegebenen beliebig grofsen Zeit den Weg bis zum
Endpunkte A zurücklegen würde. Um nämlich längs BA dorthin zu
kommen, reicht auch unendliche Zeit nicht aus, und die Bewegung
wird um so langsamer, je geringer die Steilheit ist. Man mufs also
unbedingt zugeben, es lasse sich über dem Punkte B ein Punkt in
solcher Nähe annehmen^ dafs die durch ihn und den Punkt A gelegte
Ebene von der Kugel auch nicht in einem Jahre zurückgelegt würde. —
Nun mülst Ihr noch folgendes wissen. Der Antrieb, mithin der Grad
der Geschwindigkeit, welchen die Kugel bei ihrem Eintrefien im Punkte
A erreicht hat, ist eine solche, dafs, wemi sie von nun ab mit diesem
Grade von Geschwindigkeit sich weiter bewegte, d. h, ohne eine Be-
schleunigung oder eine Verzögerung zu erfahren, sie die doppelte Länge
dieser Ebene in einer Zeit zurücklegen würde, die gleich ist der auf der
schiefen Ebene verbrachten.^") Wenn nämlich die Kugel etwa in einer
Stunde die Ebene passiert hätte imd sodaim mit dem im Endpunkte
A erreichten Grad von Geschwindigkeit fortführe sich zu bewegen, so
würde sie in einer weiteren Stunde eine Strecke zurücklegen gleich
30 Dialog über die Weltsysteme. [33. 34.]
dem doppelten von DA. Nun sind aber, wie wir festgestellt haben, die
von den Körpern in B und Ä erreichten Geschwindigkeitsgrade stets
gleich, vorausgesetzt, dafs diese von einem beliebigen auf CB ange-
nommenen Punkte ausgehen und sich abwärts bewegen, der eine längs
der schiefen Ebene, der andere längs der Senkrechten. Der senkrecht
fallende Körper kann also von einem so nahe bei B gelegenen Punkte
ausgehen, dafs die in B erreichte Geschwindigkeitsstufe nicht aus-
reichend wäre — wenn sie von nun au beibehalten würde — um den
Körper über eine Strecke von der doppelten Länge der schiefen Ebene
in einem Zeiträume von einem Jahre oder von zehn oder von hundert
Jahren zu befördern. Wir können also folgendermafsen schliefsen:
wemi wirklich im gewöhnlichen Laufe der Natur ein Körper nach
Entfernung aller äufseren und zufälligen Hindernisse sich auf einer
schiefen Ebene mit um so gröfserer Langsamkeit bewegt, je geringer
die Schiefe ist, so dafs schliefslich die Langsamkeit unendlich grofs
wird, sobald nämlich die Schiefe aufhört und die Ebene in eine wag-
rechte Ebene übergeht, und wenn wirklich die in irgend einem Punkte
der schiefen Ebene erreichte Geschwindigkeitsstufe gleich ist der Ge-
schwindigkeitsstufe, die der senkrecht fallende Körper an einer ebenso
hochgelegenen Stelle erreicht, so mufs man auch notwendig unserer
Behauptung beistimmen, dafs der von der Ruhelage aus fallende Kör-
per durch alle die unendlich vielen Stufen der Langsamkeit hin-
durchgehen und folglich, um einen bestimmten Grad von Geschwin-
digkeit zu erlangen, sich zuerst in gerader Linie bewegen mufs^')
und zwar eine kürzere oder längere Strecke, je nachdem die zu er-
reichende Geschwindigkeit kleiner oder gröfser sein soll und je
nachdem die Ebene, auf der er sich abwärts bewegt, weniger oder
mehr geneigt ist. Es läfst sich also auch eine Ebene mit so geringer
Neigung angeben, dafs der Körper, um auf ihr den vorgeschriebenen
Grad von Geschwindigkeit zu erlangen, längs einer aufserordentlich
grofsen Strecke und während einer aufserordentlich langen Zeit sich
bewegt haben mufs; auf der wagrechten Ebene wird er also von
Natur aus niemals auch nur die geringste Geschwindigkeit erlangen,
da er sich auf ihr ja überhaupt nicht bewegen wird. Die Bewegung
gimg^kann^nie- ^^^^1»^ ^^^ horizontaleu Linie, die keine Schiefe oder Steilheit besitzt, |
iich!fweisTo*mei^^ ^^^^ uiclits Audcrcs als die Kreisbewegung um den Mittelpunkt.
glrlduligrBe- ^^^^^™^ ^^^^ ^1^0 ^^^ Kreisbewegung niemals ohne vorangehende gerad-
standf Tomren. I"iig6 Bcwcgung zustaudc kommcn-, ist sie aber einmal zustande ge-
Kreisbewegung kommen, so wird sie in Ewigkeit mit oieichförmiger Geschwindigkeit
ist iu Ewigkeit ^ ^ =" • 1 ITT 1 I • 1
gleichförmig, fortdauern. ^^) Ich kömite Euch diese nämlichen Wahrheiten noch
durch andere Erwägungen erläutern und sogar beweisen; aber ich jj
[34. 35.] Erster Tag. 31
möchte nicht so weit von unserem Hauptgegenstande abschweifen
und lieber bei einer anderen Gelegenheit darauf zurückkommen,
umsomehr als wir jetzt auf dieses Thema nicht gekommen sind zum
Zwecke eines strengen Beweises, sondern nur um einen Gedanken
Piatos ^^) weiter auszuführen. — Ich will daran noch eine eigentümliche
Beobachtung unseres Akademikers reihen, die ans Wunderbare grenzt. •
Stellen wir uns vor, der göttliche Baumeister habe neben anderen
Entwürfen den Plan gehegt, im Weltall jene Kugeln zu schaffen, die
wir beständig im Kreise sich drehen sehen; er habe den Mittelpunkt
ihres Kreislaufs bestimmt und in diesen unbeweglich die Sonne ver-
setzt, habe dann alle die genamiten Kugeln am nämlichen Orte ver-
fertigt und ihnen den Trieb eingepflanzt, von hier aus sich abwärts
nach dem Mittelpunkte hin zu bewegen, bis sie den Grad von Ge-
schwindigkeit erlangt hätten, der dem göttlichen Geiste gut schien;
als sie diesen erlangt, seien sie sodann in Drehung versetzt worden,
jeglicher in seinem Kreise die zugewiesene Geschwindigkeit bewahrend.
Es fragt sich nun, in welcher Höhe und welcher Entfernung von der
Sonne der Ort gewesen ist, wo zu Anfang jene Kugeln geschaffen
wurden und ob möglicherweise die Schöpfung von allen an einem Orte
stattgefunden hat. Zur Lösung dieser Frage hat man nach den An-
gaben der sachverständigsten Astronomen die Gröfse der Kreise zu
Grunde zu legen, in welchen die Planeten umlaufen, sowie die Dauer
dieser Umläufe. Aus diesen beiden gegebenen Gröfsen berechnet man,
wievielmal schneller z. B. die Bewegung des Jupiter als die des Saturn
ist. Findet man dann, wie es thatsächlich der Fall ist, dafs Juiiiter
sich schneller bewegt, so mufs, da beide von gleicher Höhe ausgegangen
sind, Jupiter tiefer gefallen sein als Saturn, wie es denn bekanntlich
auch wirklich sich verhält, da ja seine Bahn innerhalb der Saturnbahn
liegt. Geht man aber weiter, so kann man aus dem Verhältnis der
Geschwindigkeiten des Jupiter und Saturn, aus dem Abstand ihrer
Bahnen und aus dem Mafse der Beschleunigung bei der natürlichen
Bewegung, wieder auffinden, in welcher Höhe imd Entfernung vom
Mittelpunkte ihrer Umdrehungen der Ort sich befunden hat, von dem
sie ausgingen. Ist dieser aufgefunden und festgelegt, so fragt es sich. Die Orofse der
ob bei Mars, wenn er gleichfalls von dort bis zu seiner jetzigen BahnGe*ch«'iiXgkVit
hinabgestiegen ist, die Gröfse der Bahn und seine Geschwindigkeit mit wegunt^haben'
dem durch Rechnung gefundenen Ergebnis stimmt; ähnlich steht es hHUnis^'^weiches
mit der Erde, mit Venus und mit Merkur, bei welchen die Gröfse der wegung von
Kreise und die Geschwindigkeiten der Bewegung so nahe mit dem /u^auss'^iukt
Resultate der Rechnung überoinstimmon, dafs man sich nicht geiuig *'"''*i'"'^ ''•
darüber wundern kami.
32 Dialog über die Weltsysteme. [35. 36.]
Sagr. Ich bin mit gröfstem Vergnügen diesen Erörtermigen ge-
folgt; wenn ich nicht glaubte, die genaue Ausführung der Rechnungen
sei eine weitläufige, mühevolle und vielleicht mein Verständnis über-
steigende Sache, so würde ich Euch darum bitten.
Salv. Das Verfahren ist wirklich weitläufig und schwierig, auch
bin ich nicht sicher, es so ohne weiteres vortragen zu kömien; wir
wollen die Sache darum auf ein anderes Mal verschieben.
Simpl. Haltet es, hüte, meiner geringen Übung in den mathemati-
schen Wissenschaften zu gute, wenn ich offen gestehe, dafs Euere Unter-
suchungen, die sich auf gröfsere oder Meinere Verhältnisse gründen und auf
ähnliche für mich nicht hinreichend klar verständliche Begriffe, mir meine
Bedenken oder, besser gesagt, meinen Unglaid)en nicht benommen haben. Es
soll notwendigenveise jene schivere Bleikugel von 100 Pfund Gewicht, wenn
man sie von der Ruhelage aus fallen läfst, jede noch so hohe Stufe der
Langsamkeit passieren, tvährend sie doch augenscheinlich in vier Puls-
schlägen mehr als hundert Ellen Wegs zurücklegt: ein Picsultat, das
meiner Überzeugung nach völlig unverträglich damit ist, dafs sie einmal
eine solche Langsamkeit soll besessen haben, wie sie nicht genügen würde,
um jene in tausend Jahren auch nur einen halben Zoll weiter zu bringen,
wenn nämlich jene Langsamkeit beibehalten würde. Wenn es aber dennoch
so ist, möchte ich es auch gerne begreifen können.
Sagr. Signore Salviati, als gründlicher Fachmann, meint gar manch-
mal, die Kimstausdrücke, die ihm selbst sehr geläufig und vertraut sind,
müfsten es auch anderen sein, er vergifst daher bisweilen, ivenn er zu uns
spricht, dafs er mit weniger gelehrten Erörterungen unserer mangelhaften
Fassungsgabe entgegen kommen sollte; darum will ich mit seiner Erlaub-
nis, ohne mich in solche Höhen zu versteigen, versuchen wenigstens teil-
weise dem Signore Simplicio den Unglauben durch plausible Gründe zu
benehmen. Um wieder auf den Fall der Geschützkugel zurückzidcommen,
sagt mir, bitte, Signore Simplicio, wollt Ihr nicht einräumen, dafs beim
Übergang von einem Zustande zu einem anderen der Fortgang zu einem
näheren naturgemäfs leichter und bequemer ist als zu einem entfernteren?
Simpl. Dies verstelle ich und räume ich ein. Ich zweifle nicht daran,
dafs z. B. ein glühendes Stück Eisen beim Erkalten von zehn Grad Wärme
eher auf neun Grad sinkt, als von zehn auf sechs.^^)
Sagr. Sehr wohl. Sagt mir sodann: wenn jene Kanonenkugel von
der Kraft des entzündeten Pidvers senkrecht in die Höhe geschossen wird,
bewegt sie sich dann nicht fortwährend mit abnehmender Geschwindigkeit,
bis sie den höchsten Punkt erreicht und damit zur Ruhe gelangt? Und
soll man nicht vernünftigerweise annehmen, dafs bei der Almahme der
Geschwindigkeit oder, wenn Ihr lieber wollt, bei der Zunahme der Lang-
[36. 37.] Erster Tag. » 33
samJmt der Übergang von 10 Grad auf 11 eher stattfindet als von 10
auf 12? und von 1000 auf 1001 eher als von 1000 auf 1002? hirg von
einem heliehigen Grad eher auf einen henachharten als auf einen ent-
fernten?
Simpl. Freilich ist das vernünftig.
Sagr. Welche Stufe der Langsamlceit liegt aher irgend welcher Be-
ivegung so ferne, dafs nicht der Zustand der Buhe, also der unend-
licher Langsamlceit, nicht noch weiter ah von ihr läge? Darum darf
man nicht in Ztveifel ziehen, dafs besagte Kugel, bevor sie schliefslich in
den Endzustand der Ruhe gelangt, alle Stufen immer gröfserer Langsam-
keit durchmacht, folglich auch eine solche, bei welcher sie in tausend Jahren
Iceinen Zoll weiterrücken würde. Ist dies aher der Fall — und es ist
der Fall — so ivird es Euch nicht wundern dürfen, ivcnn bei der Um-
Jcehr nach unten dieselbe Kugel vom Zustande der Ruhe aus ihre Ge-
schwindiglceit dadurch wieder erlangt, dafs sie durch die nämlichen Grade
der Langsamlceit hindurchgeht, die sie hei der Bewegung nach oben durch-
gemacht hat, nicht aber dadurch, dafs sie alle anderen höhe^'cn Stufen der
Langsamlceit^^), die dem Zustande der Ruhe näher liegen, ausläfst und
sjirungiveise zu einer entfernteren übergeht.
Simpl. Aus dieser Erklärung bin ich weit eher klug geworden, als
aus den früheren mathematischen Spitzfindigkeiten. Signore Salviati mag
daher seinen Faden wieder aufnehmen und seine Scldu ßfolgerungen fort-
setzen.
Salv. Wir werden also zu unserem ursprüngliclien Gegenstande
zurückkehren und da wieder anknüpfen^ wo wir abgeschweift sind.
Wenn ich mich recht erinnere, waren wir dabei, festzustellen, dafs die
geradlinige Bewegung unter Voraussetzung einer wohl geordneten Welt
nutzlos sein mufs; wir haben weiter hervorgehoben, dafs die Sache
bei den kreisförmigen Bewegungen anders liegt: denn die Bewegung
des Körpers um sich selbst hält ihn ja stets an derselben Stelle fest,
und die Bewegung auf dem Umfange eines Kreises um dessen un-
verrückt festes Centrum hat keine Aufhebung der Ordnmig weder fürgungeu brhigeu
ihn selber noch für benachbarte Körper im Gefolge. Eine solche Be-keitn.Begreuzt-
wegung ist nämlich endlich und begrenzt, und nicht blofs das, es giebt Teiie^'d«^ weu
auch keinen Punkt auf dem Umfang des Kreises, der nicht zugleich '"'' n^ng."""^'
Anfano;s- und Endpunlvt der Kreisbewegmig wäre: beim Fortgang seiner Bei der Krois-
O ^ _ P . , bewegung ist
Bewe«cimo- auf dem ihm zugewiesenen Kreise läfst der Körper allen jeder Punkt «los
übrigen Raum imierhalb und aufserhalb desselben frei für die Bedürf-faiigs-uudEi.d-
nisse anderer Körper, ohne ihnen jemals hinderlich oder störend zu
werden. Da es sich hier um die Bewegung handelt, die den Körper
beständig vom Ziele entfernt und ihn beständig zu ihm hinführt, so
Ualilei, Wultsystemo. 3
34 ' Dialog über die Weltsysteme. [37. 38.]
kann znnäclist nur sie gieicliförmig sein; denn die Beschleunigung
der Bewegung entstellt, wenn sich der Körper nach einem erstreb-
ten Ziele hin bewegt und die Verzögerung tritt ein durch die Ab-
Kreisbewegung ueiguug sich von jenem Ziele zu trennen mid zu entfernen. Da er
^ ? "rmig!'' aber bei der Kreisbewegung sich stets von dem natürlichen Ziele trennt
imd wieder zu ihm hinbewegt, so sind bei ihm Abneigung und Nei-
gimg gleich; aus dieser Gleichheit geht eine weder verzögerte, noch
beschleunigte Geschwindigkeit hervor, d. h. eine gleichförmige Bewegung.
Aus dieser Gleichförmigkeit und Begrenztheit ergiebt sich die Mög-
Kroisbewegung lichkeit ciuer ewigen Fortdauer, indem die Umläufe sich stets wieder-
dauem. holcu; auf ciucr unbegrenzten Linie hingegen und bei einer fortwäh-
Geradiinige Be-rcud Verzögerten oder beschleunigten Bewegung, ist von Natur aus
von Nauir aus eine solchc Fortdauer unmöglich. Ich sage: von Natur aus; denn die
verzögerte gradlinige Bewegung ist gewaltsam, kann also nicht von
ewiger Dauer sein^-''); die beschleunigte Bewegung hingegen gelangt
notwendig einmal ans Ziel, wenn ein solches vorhanden ist; ist aber
keines vorhanden, so kaim auch keine Bewegung zu stände kommen,
weil die Natur niemals dahin treibt, wohin es unmöglich ist zu ge-
langen. Demgemäfs schliefse ich, dafs nur die Kreisbewegung von
Natur aus den das Weltall zusammensetzenden NaturkörjDern zukommen
kann, sobald diese sich in vollkommener Ordnung befinden; die gerad-
Geradiinige Be-linige Beweguug hingegen kann höchstens dann von der Natur ihren
Bestimmung, dieKörpem uud dcrcu Teilen zugewiesen werden, sobald sie sich aufser-
voiikommene halb der ihucu vorgeschriebenen Plätze in verkehrter Anordnimg be-
bringeu, wenn finden uud daher auf dem kürzesten Wege in die natürliche Lage
entfernt wurden, zurückgebracht werdcu sollen. Danach scheint mir der 8chlufs völlig
Biofs Kühe und gerechtfertigt, dafs behufs Aufrechterhaltung der vollkommenen Ord-
sind geeignet zurnung die bewegHcheu Teile der Welt notwendig sich kreisförmig be-
tung d. Ordnung, wegen, die etAva nicht kreisförmig bewegten notwendig unbeweglich
sein müssen; denn nur die Ruhe und die Kreisbewegung sind geeignet,
die Ordnung aufrecht zu erhalten. Auch wundere ich mich sehr, dafs
Aristoteles, der doch glaubte, die Erdkugel sei in den Mittelpunkt der
Welt gesetzt imd verharre dort unbeweglich, die natürlichen Körper
nicht eingeteilt hat in von Natur bewegliche und von Natur unbeweg-
liche, zumal da er früher die Natur als Ursache der Bewegung und
der Ruhe definiert hat.^")
Simpl. Aristoteles, der trotz seines ungemeinen Scharfsinnes seinen
Sinnliche Er- , . -^ / »
fahrungen ver- Gcist uicht uugebührlich überschätztc, glaubte , dafs die sinnliche Er-
dienen den Vor- ; o 7
zug vor menschfahrung vor ieder vom Menschengeiste angestellten Spekulation den
hohen Spekula- -r^.. .. ..
tionen. Vorzug verdicne^^) und sagte, diejenigen, welche die Siimeserfahrimgen
erfahrungen Icugueten, scicu würdig, dafür mit dem Verlust ihrer Sinne zu büfsen.
[38. 39.] Erstei- Tag. 35
Wer ist mm so blmd, dafs er nicht die Teile der Erde und des Wassers, leugnet, ist wert
der Sinne ver-
als schwere Körper sich von Natur abwärts bewegen sähe, d. h. iniuattg zu gehen.
der Richtung nach dem Mittelpimkte des Weltalls, welcher von der
Natur selbst der geradlinigen Bewegung deorsum als Ende und Ziel
angewiesen ist? wer sähe nicht gleichfalls, dafs das Feuer und die Die sinneser-
fahrung zeigt,
Luft sich gerade nach oben bewegen zu der Wölbung der Mondsphäre^afs das Schwere
sich nach der
hin, dem natürlichen Ziele der Bewegung siirsiim? Wo nun dies soMitte, d. Leichte
11 m T • • 1 r 7 ■ • nach der Wöl-
klar am Tage liegt, und wo wir wissen, dafs eaaem est ratio totms^ung der Mond-
en partium, wie kann man da in Abrede stellen, dafs die Lehre von
der natürlichen geradlinigen Bewegung der Erde ad medium und des
Feuers a medio eine offenbar richtige Behauptung sei?
Salv. Vermöge des von Euch Bemerkten könntet Ihr allerhöch-
stens auf das Zugeständnis Anspruch erheben, dafs, gerade wie die
Teile der Erde nach ihrer Trennung vom Ganzen, d. h. nach ihrer
Entfernung von der ihnen gebührenden Stelle, mit anderen Worten
nach Aufhebung und Störung der natürlichen Ordnung, freiwillig von
Natur aus zu ihr auf geradem Wege zurückkehren, so auch die An-
nahme gerechtfertigt sei — vorausgesetzt, dafs eadcm est ratio totius
et partium — es werde die Erdkugel in ihre natürliche Lage in gerad-
liniger Bewegung zurückkehren, sobald sie daraus gewaltsam entfernt
würde. Dies, wie gesagt, wäre das Einzige, was mau Euch einräumen
könnte, wenn man Euch sehr entgegenkommen wollte. Wollte man
aber strengere Kontrolle üben, so könnte man erstens in Abrede stellen, ob die fallenden
schweren Körper
dafs die Teile der Erde nach ihrer Trennung vom (ranzen zu diesemeine gerade Linie
in geradHniger Bewegung zurückkehren und nicht etwa in kreisförmiger zweifelhaft.
oder in gemischter; es sollte Euch schwer genug fallen, das Gegenteil
zu beweisen, wie Ihr deutlich aus den Erwiderungen auf die von
Aristoteles und Ptolemäus angeführten speciellen Gründe und Erfah-
rungen ersehen werdet. ^^) Wenn zweitens jemand behaupten wollte,
dafs die Teile der Erde sich nicht bewegen, um sich nach dem Mittel-
punkte der Welt zu begeben, sondern um sich mit dem Ganzen zu
vereinigen, zu dem sie gehören, dafs sie also den Trieb nach dem Die Erde ist
Mittelpunkte der Erde haben, welchem einmütigen Trieb zufolge sie folge des zu-
TT11 -nii 11 1-1 11 sammenstrebens
deren Bildung und Erhaltimg überhaupt erst ermöglichen: wo wolltet der Teile nach
Ihr da ein anderes Ganzes imd einen anderen Mittelpunkt auftreiben, Mn.
nach welchen die gesamte Erdkugel bei einer etwaigen Störiing ihrer
Lage zurückkehren sollte, damit das Verhalten des Ganzen mit dem
seiner Teile übereinstimme? Nehmt hinzu, dafs weder Aristoteles
noch Ihr jemals beweisen werdet, die Erde befinde sich de facto im
Mittelpunkte des Weltalls-, wenn man vielmehr dem Weltall überhauptoie Somie steht
einen Mittelpunkt zuschreiben kann, so liefse sich eher die Sonne alswahrscheiuuch-
36 Dialog über die Weltsysteme, [39. 40.]
keit im Mittel- solchei' betrachten, wie Ihr im Verfolg imserer Erörterungen ersehen
punkte der Welt
als die Krde. werdet.
Wie nun aus dem übereinstimmenden Streben aller Teile der Erde
zum Ganzen sich ergiebt, dafs diese von allen Seiten mit gleichem
Triebe zu ihr hineilen und, um sich so eng als möglich mit ihr zu
vereinigen, sich ihr kugelförmig anlagern, warum sollen wir nicht an-
nehmen, dafs der Mond, die Sonne und die anderen Weltkörper gleich-
falls nur wegen des übereinstimmenden Triebes imd des natürlichen
Zusammenstrebens aller sie zusammensetzenden Teile von runder Ge-
stalt sind? Wenn irgend einmal durch irgendwelche Gewalt ein Teil
Natürlicher vou sciuem Gauzcu losgerissen würde, wäre es nicht vernünftig an-
einesjedenweit-zunehmen, dafs er von selbst durch natürlichen Trieb dahin zurück-
körpers nach , , r^ ,
dessen Mittel- kehrte? und in diesem Sinne zu behaupten, dafs die geradlinige Be-
punkt hin sich
zu begehen, weguug allen Weltkörpern zukommt ? ^)
Simpl. Sicherlich werdet Ihr niemals überzeugt oder von irgend
einer vorgefafsten Meinung abgebracht werden können, da Ihr die
Axiome der Wissenschaften nicht nur, sondern sogar handgreifliche
Erfahrungen und die Sinueswahrnehmungen selber leugnen wollt. Nicht
sowohl vermöge Euerer Beweise werde ich meinen Widerstand auf-
geben, als vielmehr weil contra negantes principia non est disputan-
di(m.^^) Um auf das soeben von Euch Vorgebrachte einzugehen, so
frage ich Euch — da Ihr gar in Zweifel zieht, ob die Bewegung der
schweren Körper geradlinig sei oder nicht — wie könnt Ihr ver-
Geradiinige Be-nüuftigerweise leugnen, dafs die Teile der Erde, d. h. die allerschwer-
wegung schwerer J^ . - -^. , . .
Körper durch diesten Stoffc, sich abwärts gegen den Mittelpunkt hm m gerader Linie
Sinne wahrge- ' ^ O O J: ö
nommen. bcwegeu. Wcuu Ihr solche von einem sehr hohen Turme, dessen
Wände genau eben und senkrecht gebaut sind, herabfallen lafst, so
streichen sie doch dicht an diesen Wänden hin und treffen aufs Haar
in demselben Punkt auf die Erde, wo sich der Fufspunkt eines Blei-
lotes befinden würde, welches genau an der Stelle oben befestigt ist,
von wo aus man den Stein fallen liefs? Ist das nicht ein mehr als
evidenter Beweis, dafs solche Bewegung geradlinig und gegen den
Mittelpunkt hin gerichtet ist? Ferner zieht Ihr in Zweifel, dafs die
AristoteUscher Teile der Erde sich deshalb bewegen, um, wie Aristoteles behauptet,
Beweis dafür, . o 7 7 x 7
dafs die schwerenuach dem Mittelpunkte der Welt zu ffelano;en: als hätte er es nicht
Körper sich he- . z-i • o o
wegen, um nachmit triftigen Grüudcu durch die Lehre von den entgegengesetzten Be-
dem Mittel- ^ . . . • .hn t^-
punkte des weit-wegungen bewiesen, indem er m folgender Weise argumentiert.''") Die
alls zu gelangen. , ' ^^ ^ . ^ -^
Bewegung der schweren Körper ist der der leichten entgegengesetzt;
die Bewegmig der leichten findet aber, wie man sieht, geradewegs
nach oben statt, d. h. nach dem Umfange der Welt zu, also ist die
Bewegung der schweren gerade nach dem Mittelpunkte der Welt ge-
[40. 41.] Erster Tag. 37
richtet; und per accideiis'^^) geschielit es, dals sie nach dem Mittel- i>ie schweren
Körper bewegen
pimkte der Erde berichtet ist, da dieser thatsächlich mit ienem zu-sichperaccidens
" ' • • rr, -1 1 °="=^ •*®'" ^^''•l-
sammenfcillt. Dann aber gar mitersuchen zu wollen, wie em Teil des mitteipunkte.
Mond- oder Somienballs sich verhielte, wenn er von dem ganzen Balle Die Folgen einer
. .. II- 11T unmöglichen
losgelöst würde, ist em eiteles Unternehmen; denn das heilst doch die Annahme zu
Folgen einer mimöglichen Annahme untersuchen. Sind ja doch, wieein eiteieaunter-
Aristoteles gleichfalls beweist, die Himmelskörper unveränderlich, un-
durchdringlich, unzerbrechlich, so dafs Euere Annahme sich nicht ver-
wirklichen kann. Geschähe es aber dennoch, und der losgerissene Teil
kehrte zum Ganzen zurück, so würde er es nicht, insofern er schwer
oder leicht ist, thun; denn wiederum beweist Aristoteles, dafs die Himmelskörper
Himmelskörper weder schwer noch leicht sind. weder schwer
Salv. Wie begründet mein Zweifel ist, ob die schweren Körper
sich in gerader oder senkrechter Richtmig bewegen, sollt Ihr, wie ge-
sagt, schon merken, weim ich diesen besonderen Gegenstand einer Prüfung
unterziehen werde. Betreffs des zweiten Pimktes wundere ich mich,
dafs Euch noch erst der Fehlschlufs des Aristoteles nachgewiesen werden
soll, der doch so klar zu Tage liegt, und dafs Ihr nicht seht, wie Aristo-
teles schon voraussetzt, was erst ermittelt werden soll. Merkt also auf.
Simpl. Thut mir die Liebe, Signore Salviati, und sprecht mit
gröfserer Achtung von Aristoteles. Wen wolltet Ihr jemals glauben
machen, dafs er, der erste, einzige, nicht genug zu bewimdernde Er-
forscher der syllogistischen Figuren, des Beweises, der Widerlegung,
der Methoden die Trug- und Fehlschlüsse aufzudecken, kurzum der
Vater der Logik, einen solchen Denkfehler soll begangen haben, dafs Aristoteles kann
1 I 1 f • -, ■ A^\ ir • keinen Denk-
er das als bekannt voraussetzte, was erst zu ermitteln ist? ) Meme fehler macheu,
TT f> •! 1 1 1 11 da er der Er-
Herren, man muls ihn vorher recht verstehen, und dann erst versuchen, ander der Logik
gegen ihn anzukämpfen.
Salv. Signore Simphcio, wir pflegen hier vertrauliche Erörtenuigen,
um gewissen Wahrheiten auf die Spur zu kommen. Ich Averde es nie-
mals übel nehmen, wenn Ihr meine Irrtümer aufdeckt; wenn ich den
Sinn des Aristoteles nicht gefafst habe, so rückt mir das freimütig
vor, ich werde Euch dankbar dafür sein. Vergönnt mir dagegen, meine
Bedenken auseinanderzusetzen und auch Einiges auf Euere letzten AVorte
zu erwidern. Die Logik ist, wie Ihr sehr wohl wifst, das Instrument
der Philosophie. Aber wie jemand ein vortrefflicher Instrumenten-
macher sein kann, ohne die Instrumente spielen zu können, so kann
man ein grofser Logiker sein, ohne genügende Fertigkeit in Anwen-
dung der Logik zu besitzen: gerade wie es viele giebt, die die Regeln
der Poetik Euch an den Fingern herzählen können, während es ihnen
nicht gelmgt, auch nur vier Verse zusammenzubrino-en. Andere kennen
38 Dialog über die Weltsysteme. [42. 43.]
alle Vorschriften Leonardo da Vincis •^^) imd kämen in Verlegenheit,
wenn sie einen Schemel abmalen sollten. Ein Instrument zu spielen
lernt man eben nicht von dem, der es zu bauen, sondern von dem, der
es zu spielen versteht; die Dichtkunst erlernt man durch die be-
ständige Lektüre der Dichter; die Fähigkeit zu malen erlangt man
durch fleifsiges Zeichnen und Malen; imd so lernt man das Beweisen
aus der Lektüre der Bücher, die zahlreiche Beweise enthalten, also aus
den mathematischen, nicht aber aus den logischen. — Um nun zu
imserem Gegenstande zurückzukehren, so behaupte ich: was Aristoteles
bei der Bewegung der leichten Körper wahrnimmt, besteht darin, dafs
das Feuer von einem beliebigen Punkte der Erdoberfläche aus in
gerader Linie von dieser sich entfernt und in die Höhe steigt, dies
heifst eigenthch sich gegen eine gröfsere Kugeloberfläche als die der
Erde hin bewegt, wie ja Aristoteles selbst es sich zu der Wölbimg
der Mondsphäre hinbewegen läfst. Dafs nun aber diese Kugelfläche
mit dem Umfange der AVeit zusammenfalle oder, mit ihm konzentrisch
sei, mithin die Bewegung nach jener auch eine Bewegimg nach dem
Umfange der Welt sei, läfst sich nicht behaupten, wenn man nicht
FehiscMufs des schon voraussctzt, der Mittelpunkt der Erde, von dem das aufsteigende
^"mBeweiB^e^^ Leichte sich entfernt, sei gleichzeitig auch der Mittelpunkt der Welt.
jiiueipunkte des Dies aber heifst doch, der Erdball stehe im Mittelpunkte und dies ist
s ste t. ^^ doch, was wir bezweifeln und was Aristoteles zu beweisen be-
absichtigt. Und das sollte nicht ein offenbarer Fehlschlufs sein?
Sagr. Dieser Beweisgrund des Aristoteles ist mir noch aus anderem
Betracht mangelhaft und nicht zwingend erschienen, selbst wenn man
ihm zugäbe, dafs jene Kugelfläche, nach der das Feuer sich geradewegs
begiebt, dieselbe ist, welche die Welt einschliefst. Denn betrachtet
man innerhalb eines Kreises einen beliebigen vom Mittelpunkt ver-
schiedenen Punkt, so wird jeder bewegliche Körper, der sich von diesem
nach beliebiger Richtung in gerader Linie bewegt, sich ohne jeden
Zweifel nach dem Umfange begeben und bei fortgesetzter Bewegung
auch dahin gelangen, so dafs man mit vollem Rechte sagen kann, er
bewege sich nach dem Umfange hin. Aber daraus darf man keines-
wegs schliefsen, dafs eine längs dieser Linien stattfindende Bewegimg
in entgegengesetzter Richtung nach dem Mittelpunkte gerichtet sei,
wenn nicht der angenommene Punkt selbst das Zentrum ist oder die
Bewegung blofs längs der Verbindungslinie des angenommenen Punktes
Der Fehischiurs mit dem Zentrum stattfindet. Wenn man daher sagt: das Feuer be-
nach anderer wegt sich gcradewcgs nach dem Umfange der Welt, also bewegen sich
aufg^fckt'' die Teile der Erde, welche die genau entgegengesetzte Richtung ein-
schlagen, nach dem Mittelpunkte der Welt, so ist dieser Öchlufs nur
[43. 44.] Erster Tag. 39
gültig unter der Voraussetzimg, dafs die Verlängerung der vom Feuer
eingeschlagenen Wege durch den Weltmitteli^unkt geht. Da wir aber
andererseits sicher wissen, dafs sie durch den Mittelpunkt der Erde
führen — denn sie stehen senkrecht und nicht schief zur Erdober-
fläche — so mufs man zur Rechtfertigung des Schlusses die Identität
des Erd- imd Weltmittelijunktes voraussetzen oder zum mindesten an-
nehmen, dafs die Teile der Erde und des Feuers nur längs einer ein-
zigen, durch den Mittelpunkt der Welt führenden Linie auf- und ab-
steigen. Dies ist aber falsch und widerstreitet der Erfahrung, welche
uns im Gegenteile lehrt, dafs die Teile des Feuers nicht nur längs
einer Linie, sondern längs der unendlich vielen, vom Erdzentrum nach
beliebiger Richtung gezogenen Linien aufsteigen, welche alle senkrecht
auf der Erdoberfläche stehen.
Salv. Ihr, Signore Sagredo, bringt auf sehr sinnreiche Weise den
Aristoteles in dieselbe Verlegenheit, indem Ihr sein offenbares Mifs-
verständnis nachAveist; Ihr macht aber noch auf einen weiteren Übel-
stand aufmerksam. Wir sehen, dafs die Erde kugelförmig ist und
sind darum von der Existenz ihres Mittelpunktes überzeugt; nach ihm
hin sehen wir alle ihre Teile eilen, wie daraus folgt, dafs deren Be-
wegungen stets senkrecht auf der Erdoberfläche stehen; wir begreifen,
dafs sie bei der Bewegimg nach dem Erdmittelpunkte ihrem Ganzen, Beweis, dafs es
T,r -1 -VT 11 • 'gerechtfertigter
ihrer gemeinsamen Mutter entgegeneilen. Nun soUten Avir uns so gut-istzuijehaupten,
. . . . . . ^ die schweren
willig eini'edeii lassen, ihr natürlicher Trieb führe sie nicht nach dem Körper strebten
111 nach dem Mittel-
Mittelpunkt der Erde, sondern nach dem des Weltalls, von dem wirp^u^kte der Erde
. . . V als nach dem des
nicht wissen, wo und ob er überhaupt existiert?'*'') oder gesetzt auch, weitaiis.
er existiere, so ist er nur ein gedachter Punkt, ein Nichts ohne irgend
welche Wirkungsfähigkeit. — Wenn dann Signore Sim23ncio zuletzt
sagte, es sei nichtig zu behaupten, die Teile der Soune oder des Mondes
oder eines anderen Himmelskörpers kehrten nach ihrer gewaltsamen
Loslösung zu dem Ganzen zurück, dem sie angehören; der Fall sei
nämhch unmöglich, da, wie Aristoteles beweise, die Himmelskörper
unveränderlich, undurchdringlich, unteilbar seien, so mufs ich darauf
erwidern: keine der Eigenschaften, durch welche Aristoteles die Himmels- Die unterschei-
. o / denden Merk-
körper sich von den elementaren unterscheiden läfst, ruhen auf einem ^^le der himm-
_ ... lischen und irdi-
anderen Grunde, als auf den Schlüssen aus der Verschiedeuartigkeit »cheu Körper
' _ _ ^ " sind bedingt
der Ortsveränderungeii bei diesen oder ieueu. Bestreitet mau also, «iwrch die ihnen
- , ^ von Aristoteles
dafs die Kreisbewegung ausschliefslich den Himmelskörpern zukomme zugeschriebenen
. Bewegungen.
und schreibt sie allen beweglichen Naturkörpern zu, so mufs man
folgerichtig auch die Attribute des Erzeugbaren und Uuerzeugbareu;
des Veränderlichen oder UnveränderHchen, des Teilbaren oder Unteil-
baren in gleicher Weise allen Weltkörperii gemeinschaftlich ab- oder
40 Dialog über die Weltsysteme. [44. 45.]
zusprechen, den himmlisclien also ebenso gut wie den elementaren-,
es sei denn, dafs Aristoteles fälsclilieli und irrtümlicli die den Himmels-
körpern beigelegten Attribute aus der Kreisbewegung abgeleitet habe.
Simpl. Diese philosophische Methode führt zur Untergrabung aller
Naturphilosophie, zur Verwirrung und Erschütterung von Himmel,
Erde und Weltall. Ich glaube, die Zuverlässigkeit der Grundlagen der
peripatetischen Philosophie läfst die Besorgnis nicht aufkommen, dafs
nach deren Sturz ein neuer Aufljau der Wissenschaften möglich sei.'^)
Salv. Seid doch nicht bange um Himmel imd Erde und fürchtet
ihren Untergang so wenig wie den der Philosophie. Denn was den
Himmel betrifft, so ist die Furcht für ihn, den Ihr selber für vmver-
änderlich und unbeeinflufsbar haltet, doch unbegründet; was aber die
Erde betrifft, so ist es eine Veredelung und Vervollkommnung, wenn
wir versuchen, sie als ähnlich den Himmelskörpern hinzustellen, sie
gewissermafsen an den Himmel zu versetzen, von dem Euere Philo-
Die Philosophie sophcu sic vcrbaunt haben. Die Philosophie selber kann von unseren
Erörterungen Erörterungen nur Vorteil haben; denn sind unsere Ansichten richtig,
der Philosophen so dicut das zur Bereicherung der Philosophie; sind sie irrig, so wer-
den durch ihre Widerlegung die früheren Lehren umsomehr befestigt.
Seid lieber bange um gewisse Philosophen und sucht ihnen zu helfen,
sie zu stützen; denn die Wissenschaft selber kann nur Fortschritte
machen. Um zu unserem Gegenstande zurückzukehren, so bringt frei-
mütig vor, was Euch zur Verteidigung der aristotelischen Lehre von
der Verschiedenheit der himmlischen und irdischen Substanz eriuner-
lich ist: der Lehre, dafs jene unerzeugbar, imzerstörbar, unveränderlich
sei, diese hingegen erzeugbar, zerstörbar, veränderlich.
Simpl. Einstweilen sehe ich noch nicht, dafs Aristoteles des Bei-
standes bedarf, da er unerschüttert und fest seinen Standpunkt be-
hauptet, ja nicht einmal von Euch angegriffen, geschweige denn zu
Boden geworfen ist. Wogegen soll bei diesem ersten Angriff' Euer
Aristoteles, um Hieb sich richteu? Aristoteles schreibt:*'') Alles Entstehen kommt
barkeit des zustaudc durch einen Gegensatz an irgendwelchem Subjekte, mid
weisen. ebcnso alles Vergehen in einem Subjekte durch den Übergang von
Entstehen und einem Gegensatz zum anderen, so dafs ein Entstehen und Vergehen,
Vergehen finden o ' o 7
nach Aristoteles jj^gj.]^!; wohl auf, uur bei vorhandenen Gegensätzen stattfindet. Ent-
uur bei vorhan- ' °
denen Gegen- cregeugesetzte Diugc aber müssen entgegengesetzte Bewegungen haben.
Sätzen statt.
"O^D^
Der Kreisbe- Da sich also ZU ciuem Himmelskörper nichts Entgegengesetztes nach-
andere Be- weisen läfst — denn der Kreisbewegung ist keine andere Bewegung
gegengesetzt, entgegengesetzt — so hat die Natur es vortrefflich eingerichtet,
dafs sie das Unerzeugbare und Unzerstörbare den Gegensätzen ent-
rückte. Ist nun diese erste Grundlage geschaffen, so folgt daraus
I 15. 46.J Erster Tag. 41
mit Leichtigkeit, dafs es mivermehrbar , uuverHuderlich , uubeein-
rtiiTsbar und endlich ewig sei und der angemessene Aufenthaltsort »er Himmel die
"... . . . . Wohnung für
der unsterblichen Götter, in Ubereinstimmuno- mit der Meinung der die unsterb-
... , i-i üchen Götter.
gesamten Menschheit, soweit sie die Vorstellung von Göttern be-
sitzt. Er bestätigt sodann das nämliche auch mittels der Sinnes- t'nveränderiich-
• 1 1 • 1 T Ti TP 1 -n • ^®^* ^^^ Himmels
Wahrnehmung, da, soweit menschliche Überlieferungen und Erinne-von den sinnen
rungen reichen, zu keiner Zeit sich irgend etwas rücksichtlich der
oberen Himmelsregionen im ganzen, noch auch rücksichtlich irgend
eines dazu gehörigen Teiles verändert hat. Dafs sodann der Kreis-
bewegung keine andere entgegengesetzt sei, beweist Aristoteles auf Beweis, dafs der
vielerlei Weisen. Um sie aber nicht alle zu wiederholen, will ich nur keine andere Be-
den einen offenkundigen Beweis anführen: Da es nur drei einfache gege°ngesetzt ist.
Bewegimgen giebt, nach der Mitte, von der Mitte und um die Mitte,
von denen die beiden geradlinigen sursum et deorsum augenscheinlich
einander entgegengesetzt sind, und da zu einem Begriffe nur ein Gegen-
satz existiert, so bleibt demnach keine sonstige Bewegung übrig, die
der Kreisbewegung entgegengesetzt sein könnte. Dies ist das höchst
scharfsinnige und überzeugende Beweisverfahren des Aristoteles, durch
welches die Unvergänglichkeit des Himmels dargethan wird.
Salv. Das ist nichts weiter als die von mir schon angedeutete
Schlufskette des Aristoteles, bei welcher das Ergebnis in nichts zu-
sammenfällt, sobald ich bestreite, dafs die den Himmelskörpern zu-
geschriebene Bewegung nicht auch der Erde zukomme. Daraus aber
— gesetzt, der übrige Teil Euerer Erörterung sei einwandsfrei — folgt
eine der drei Möglichkeiten, die ich vor einer Weile aufgestellt habe
und nochmals anführen will: dafs nämlich entweder die Erde gleich-
falls unerzeugbar und unvergänglich sei wie die Himmelskörper, oder
dafs die Himmelskörper, ebenso wie die elementaren, erzeugbar und
veränderlich seien, oder dafs die Verschiedenheit der Bewegungen nichts
mit dem Entstehen und Vergehen zu thun habe. Der Beweis des
Aristoteles und der Euere enthält viele, nicht ohne Aveiteres zulässige
Behauptungen; um ihn besser prüfen zu können, wird es gut sein, ihn
auf eine möglichst gedrimgene und deutliche Form zu bringen. Ich
bitte Signore Sagredo um Entschuldigung, wenn es ihn etwa lang-
weilt, immer wieder dieselben Dinge wiederholen zu hören; er mag
sich denken, er höre die Argumente der Gegner bei öffentlichen Dis-
putationen. Ihr sagt: ein Entstehen imd Vergehen findet nur statt,
wo Gegensätze vorhanden sind; Gegensätze sind nur vorhanden bei
den einfachen Naturkörpern, welche entgegengesetzter Bewegungen
fähig sind; entgegengesetzte Bewegungen sind blofs solche, welche
längs gerader Linien zwischen entgegengesetzten Endpunkten statt-
42 Dialog über die Weltsysteme. [46. -i 7.]
finden; deren giebt es aber blofs zweie, von der Mitte imd nach der
Mitte; nun werden solche Bewegungen von keinen andern Naturkörpern
ausgeführt, als von der Erde, dem Feuer und den beiden anderen
Elementen; also findet ein Entstehen und Vergehen nur bei den Ele-
menten statt. Da hingegen die dritte einfache Bewegungsart, nämlich
die kreisförmige um die Mitte, keinen Gegensatz hat — die beiden
anderen sind nämlich wechselseitig entgegengesetzt, ein einzelnes aber
hat keinen Gegensatz — darum fehlt es an einem Gegensatze zu dem
Naturkörper, dem diese Bewegungsart zukommt; hat er aber keinen
Gegensatz, so erweist er sich als unerzeugbar und unzerstörbar. Eine
derartige Bewegung kommt aber nur den Himmelskörpern zu, also
sind blofs diese unerzeugbar und unzerstörbar. ■ — Nun scheint es mir
zunächst sehr viel leichter, sich zu vergewissern, ob die Erde, ein so
Es ist leichter orrofser uud ihrer Nähe wegen uns so leicht zugänglicher Körper, eine
festzustellen, ob» » _ , . .
die Erde sich go bedeutende Bewegung besitzt, wie es die Drehung um sich selbst
bewegt, als ob _ _ ? -, .
die Zerstörung innerhalb vierundzwanzig Stunden wäre, als zu begreifen und festzu-
durcb vorhaii- '^ .
dene Gegensätze stellen, ob das Entstehen und Vergehen durch vorhandene Gegensätze
bedingt ist. ' " ^
bedingt sei und ob es überhaupt in der Natur ein Entstehen und Ver-
gehen und Entgegengesetztes giebt. Wenn Ihr, Signore Simplicio,
mir anzugeben wifst, wie die Natur bei der Erzeugung der Hundert-
tausende von FKegen aus ein wenig Mostdunst zu Werke geht'*^), wenn
Ihr mir nachweist, welches dabei die Gegensätze sind, was vergeht
und wie es vergeht, so würde meine ohnehin so grofse Hochachtung
vor Euch noch steigen, denn ich begreife von alle dem nichts. Und
wie gerne würde ich erfahren, inwiefern und weswegen die zerstören-
den Gegensätze so freundhch gegen die Krähe, so unerbittlich gegen
die Taube, so duldsam gegenüber dem Hirsch, so ungestüm bei dem
Pferd sind, so dafs sie jene mehr Jahre am Leben, mithin unzerstört
lassen, als diese Wochen. Die Pfirsich- und die Olivenbäume wurzeln
doch in demselben Erdreich, sind derselben Kälte und derselben Hitze
ausgesetzt, denselben Regengüssen und Winden, kurzum denselben
Gegensätzen: und doch werden jene in kurzer Zeit zerstört und diese
leben viele Hunderte von Jahren. Überdies habe ich niemals — ich
spreche nur von Dingen, die innerhalb des Bereichs der Natur liegen'^*')
— eine Umwandlung der Substanzen in einander begreifen können, ver-
möge welcher ein Stoff derartig verwandelt wird, dafs er notwendig
als völlig vernichtet zu gelten habe, ohne irgend ein Spur seines frühe-
ren Wesens zu hinterlassen, und dafs ein völUg verschiedener Körper
aus ihm hervorgegangen sein sollte. Wenn ein Körper mir jetzt diesen
Anblick gewährt und ein wenig später einen anderen sehr verschie-
denen, so halte ich es für nicht unmöglich, dafs dies durch eine blofse
[47. 48.] Erster Tag. 43
Veränderung in der Auorduims der Teile geschieht, ohne dafs etwas Einfache um-
^ ° ^ ' lagerung der
vernichtet oder etwas Neues erzeugt würde; solche VerwandkmgenTeiie eines Kör-
... pers kann ihm
sind ia etwas ganz Alltägliches. Darum wiederhole ich nochmals : sehr verscMe-
. . . . f. . deuartiges AuB-
da Ihr mich überzeugen wollt, die Erde könne sich nicht kreisförmig sehen verleihen,
bewegen infolge ihrer Zerstörbarkeit imd Erzeugbarkeit, so werdet Ihr
viel mehr Arbeit haben als ich, der ich Euch mit allerdings schwie-
rigeren Beweisgründen, aber mit nicht minder triftigen, das Gegenteil
beweisen werde.
Sagr. Signore Salviati, verzeiht mir, wenn ich Euere Erörterung
imterbreche, die mir zwar aufserordentlich gefällt, weil auch ich in
diese Zweifel verstrickt bin, die uns aber schwerlich zu einem Ziele
führen wird, wenn wir nicht ganz und gar unseren Hauptgegenstand
•fallen lassen wollen. Kömiten wir daher unseren ursprünglichen Gegen-
stand weiterführen, so würde ich es für zweckmäfsig halten, die Frage
des Entstehens und Vergehens ein anderes Mal einer besonderen und
eingehenden Prüfung zu unterwerfen, und, wenn es Euch und Signore
Simplicio genehm ist, wollen wir es auch mit den anderen speciellen
Fragen so halten, die im Laufe imserer Überlegimgen auftauchen. Ich
will mir diese sorgfältig merken, um sie künftig einmal zur Sprache
zu bringen und sie gründlich zu untersuchen. Was nun den vorliegen-
den Fall anlangt, so sagt Ihr ja, wenn man dem Aristoteles bestreite,
dafs im Gegensatze zu den anderen Himmelskörpern die Erde der
kreisförmigen Bewegung unteilhaftig sei, dafs dann das Verhalten der
Erde bezüglich des Entstehens, der Veränderungen u. s. w. auch auf
die Himmelskörper auszudehnen sei. Wir können also dahin gestellt
sein lassen, ob ein Entstehen und Vergehen in der Natur thatsächlich
vorkomme und wollen zu ergründen versuchen, was die Erde thut-
Slmpl. Ich kann unmöglich ohne Widerspruch mit anhören, Avenii
das Vorhandensein von Entstehung imd Vernichtung in der Natur in
Zweifel gezogen wird, von Dingen, die ^vir fortwährend vor Augen halben
und über die Aristoteles zwei ganze Bücher geschrieben hat.^'^) Wemi
man freilich die Axiome der Wissenschaften bestreiten imd die offen- wenn man die
. . . Axiome bestrei-
kundigsten Thatsachen in Zweifel ziehen will, so kann man — wer tet, läfst sich
• -n 1 • 1 1 T 1 • •i®'^® wider-
wüfste das nicht? — alles beweisen, was man will, und jeden beliebigen sinnige Behaup-
,., f„ • T' •• i. tung verteidigen.
Unsinn verteidigen. Und wenn Ihr nicht lag aus, Tag em Kräuter,
Bäume imd Tiere entstehen imd vergehen seht, so weifs ich nicht, was
Ihr seht. Seht Ihr denn nicht, wie fortwährend die Gegensätze mit
einander ringen, wie die Ei'de sich in Wasser verwandelt, das Wasser
zu Luft wird, die Luft in Feuer übergeht und wie wiederum die Luft
sich verdichtet zu Nebeln, Regen, Hagel und Gewitter?
Sagr. Ja, gewifs sehen wir alles das und darum wollen wir der
44 Dialog über die Weltsysteme. [48. 49.]
aristotelischen Untersucliimg in diesem Punkte, nämlich dem Bedingt-
seiu von Entstehen und Vergehen durch die Gegensätze, beipflichten.
Wenn ich Euch aber auf Grund eben dieser dem Aristoteles zuge-
standenen Prämissen beweisen werde, dafs die Himmelskörper ihrer-
seits, ebenso gut wie die elementaren, gleichfalls erzeugbar und zer-
störbar sind, was werdet Ihr dann sagen?
Simpl. Dann werde ich sagen, dafs Ihr das Unmögliche möglich
gemacht habt.
Sagr. Sagt mir doch, Signore Simj)licio: sind nicht jene Eigen-
schaften einander entgegengesetzt?
Simpl. Welche?
Sagr. Ich meine: veränderlich, imveränderlich, beeinflufsljar, uu-
beeinflufsbar, zerstörbar, unzerstörbar?
Simpl. So entgegengesetzt, wie möglich.
Sagr. Wenn dies der Fall ist imd wenn es aufserdem richtig ist,
dafs die Himmelskörper unerzeugbar und unzerstörbar sind, so beweise
ich Euch mit zwingenden Gründen, dafs die Himmelskörper erzeugbar
imd zerstörbar sind.
Simpl. Das kann nur durch einen Sophismus geschehen.
Sagr. Hört den BeAveis mit an, dann mögt Ihr ihm einen Namen
Himmelskörper oreben imd ihn vsaderlesjen. Zu den Himmelsköriiern, da sie imerzeug-
erzeugbar und '^ ....
zerstörbar, weu bar Und imzerstörbar sind, existieren in der Natur Gegensätze, näm-
sie unerzeugbar _ _ ' .
und unzerstür- üch die crzeugbaren und zerstörbaren Körper. Wo aber ein Gegen-
bar sind. ° _ ^ ~
satz vorhanden ist, giebt es ein Entstehen und Vergehen. Also sind
die Himmelskörper erzeugbar imd zerstörbar.
Simpl. Sagte ich Euch nicht, dafs Euer Beweis nur auf einem
Scheinbeweis, Sophismus beruhen könne? Es ist das einer iener Scheinbeweise, die
sonst Sorites -^ _ J , 7
genannt, man soust wohl Sorites nennt, Avie der vom Kreter. •''°) Ein Kjreter
sagte, alle Kreter seien Lügner; daher mufste er, da er selbst ein
Kreter war, eine Lüge gesagt haben, als er sagte, die Kreter seien
Lügner-, also müssen die Kreter die W^ahrheit sagen; folghch mufste
er, als Kreter, die Wahrheit gesagt haben; daher war sein Aussj)riich,
dafs die Kreter Lügner seien, die Wahrheit; und da er, als Kreter,
von diesem Ausspruch mitbetroffen war, so mufste er ein Lügner sein.
So köimte man in E^vigkeit mittels dieser Art von Trugschlüssen
Aveiter sich im Kreise drehen, ohne jemals zum Ziele zu gelangen.
Sagr. Bis jetzt habt Ihr der Sache nur einen Namen gegeben;
es erübrigt noch, den Trugschlufs zu Avideriegen, indem Ihr den Fehler
nachAveist.
Simpl. Was die Widerlegung und den NachAveis der Fehlerhaftig-
keit betrifl:t, merkt Ihr denn nicht erstens den offenkundigen Wider-
welches Euerer Ansiclit nach die ursprünglichen Gegensätze sind^ ^j^.suz nicht in dem
|4 9. 50.] Erster Tag. 45
>l)ruch: die Himmelskörper sind unerzeugbar und unzerstörbar, also
-iud die Himmelskörper erzeugbar und zerstörbar? Sodann hat der
< ieo-ensatz nicht unter den Himmelskörpern seinen Sitz, sondern unter Unter den mm-
^ melskörpern
ilini Elementen, welchen die Gegensätze der Bewegungen nach oben herrschen keine
' ^ ° • r( Gegensätze.
und nach unten, sowie die Gegensätze des Leichten und Schweren
/.nkommen. Der Himmel hingegen, welcher sich kreisförmig bewegt,
also in einer Weise, zu der kein Gegensatz vorhanden ist, entbehrt
des Gegensatzes und ist also unzerstörbar.
Sagr. Sachte, Signore Simplicio; hat jener Gegensatz, vermöge
il essen Ihr gewissen einfachen Körpern Vergänglichkeit zuschreibt,
seinen Sitz in dem vernichteten Körper selbst oder bezieht er sich
auf einen fremden Körper? Ich meine, ob z. B. die Feuchtigkeit,
durch die ein Teil der Erde zerstört wird, ihren Sitz in der Erde
selbst hat oder vielmehr in einem anderen Körper, etwa der Luft oder
dem Wasser? Ich glaube doch, dafs Ihr, ebenso wie bei den auf- und ^^^«^g'g«"«!*;«-
aljwärts gerichteten Bewegimgen, wie bei der Schwere und Leichtigkeit, ^e^Xhenlh^n
tz nicht in den]
Cörper selbst,
ler der Zer-
irung anheiiu-
Warme mid Kalte an demselben Subjekte auftreten. Ihr müfst also ^^i"-
notgedrungen annehmen, dafs, wenn ein Körper zerstört Avird, dies
durch den Gegensatz der eigenen Eigenschaft zu der eines fremden
Körpers geschieht. Damit demnach die himmlische Substanz zerstör-
bar sei, genügt die Existenz von Körpern in der Natur, die im Gegen-
satz zu der himmlischen Substanz stehen; solche aber sind die Elemente,
wenn es wahr ist, dafs Zerstörbarkeit und Unzerstörbarkeit Gegen-
sätze sind.
Simpl. Nein, das genügt nicht, lieber Herr. Die Elemente sind
nur deshall) Veränderungen und der Zerstörung ausgesetzt, weil sie
in gegenseitiger Berührung und Mischung sind und so ihre Gegensätze
auf einander wirken lassen köimen. Die Himmelskörper aber sind
von den elementaren getrennt: sie werden von diesen nicht berührt. Die Himmeis-
" ' . körper berühren
obgleich sie wohl die Elemente berühren. Wenn Ihr ein Entstehen die Elemente,
*-^ _ _ ^ .11 werden aber
und Vergehen bei den Himmelskörpern nachweisen wollt, müfst Ihr nicht von diesen
zeigen, dafs die Gegensätze bei ihnen ihren Sitz haben. ^^)
Sagr. Hört, wie ich Euch die Gegensätze auch bei ihnen nach-
weise. Die erste Quelle, aus der Ihr die Gegensätze der Elemente
schöpft, ist der Gegensatz ihrer Bewegungen nach oben und nach
unten. Also müssen notwendigerweise auch diejenigen Princii)ien im
Gegensatze zu einander stehen, von welchen diese Bewegungen bedingt
werden. Da nmi die Aufwärtsbewegung des einen eine Folge seiner
Leichtigkeit, die Abwärtsbewegung des anderen eine Folge seiuer
46 Dialog über die Weltsj'steme. [50. 51.]
Schwere ist, so sind notwendig Leichtigkeit und Schwere einander
entgegengesetzt. Mit demselben Rechte muXs man weiter annehmen,
dafs diejenigen Principien, welche wiedernm die Ursache für die
Schwere und gchwcrc dcs einen und die Leichtigkeit des anderen abgeben, zu ein-
Leichtigkeit, ^ ^ .
Dünne und ^udcr im Gegeusatzc stehen. Nach der Ansicht Euerer eigenen Schule
Dichtigkeit sind » ^ o
entgegenge- ^-\^qj. ^ülirt Leichtigkeit und Schwere von Düime und Dichtigkeit her:
setzte Quali- ... - . .
täten. ^igQ werden Dichtigkeit und Dünne gleichfalls Gegensätze bilden.
Diese letzteren Eigenschaften haben aber in so ausgedehnter Weise
bei den Himmelskörpern statt, dafs Ihr die Sterne für nichts Anderes
Sterne an als für dichtcrc Tcilc ihrer Himmelssphären haltet. Dies zugegeben,
übrigen Himmel mufs die Dichtigkeit der Sterne sozusagen unendlich mal gröfser sein,
"""""legen.'' als der Rest der Himmelssphäre. Es geht dies aus der aufserordent-
lichen Durchsichtigkeit des Himmels gegenüber der völligen Uiidurch-
sichtigkeit der Sterne hervor, sowie aus dem Umstände, dafs in jenen
Höhen aufser der gröfseren oder geringeren Dichtigkeit, beziehungs-
weise Dünne, keine sonstigen Eigenschaften sich finden, welche die
Ursache für die gröfsere oder geringere Durchsichtigkeit abgeben
könnten. Finden sich also solche Gegensätze unter den Himmelskörpern,
so müssen auch sie notwendigerweise erzeugbar und zerstörbar sein in
derselben Weise, wie es die elementaren Körper sind, oder aber es ist
nicht das Vorhandensein der Gegensätze die Ursache der Zerstörbarkeit.
Simpl. Keines von beiden braucht der Fall zu sein; denn Dich-
tigkeit und Dünne sind bei den Himmelskörpern keine Gegensätze,
wie sie es bei den elementaren Körpern allerdings sind; sie werden
Dünne und doi't iiämlich uicht von den ursprünglich einander entgegengesetzten
Himmelskörper Eigenschaften des Warmen mid Kalten hervorgerufen, sondern von
Elemente ver- der im Verhältnis zum Umfange gröfseren oder geringeren Menge von
cremonini') Materie. Nun sagen Viel und Wenig nur eine relative Verschiedenheit
aus, dies ist aber der geringste Grad von Verschiedenheit und hat mit
der Erzeugung und Zerstörung nichts zu thun.
Sagr. Danach ist Euere Ansicht diese :^^J damit die Dichtigkeit
und Dümie, welche die Schwere und Leichtigkeit der Elemente ver-
ursachen, die entgegengesetzten Bewegungen sursum et deorsum be-
wirken können, welche ihrerseits wieder die zur Erzeugung und zur
Vernichtung notwendigen Gegensätze hervorrufen, genügt es nicht, dafs
das Dichte und Dünne blofs durch die in ein und demselben Um-
fange oder, besser gesagt, in ein und demselben Volumen enthaltene
Menge von Materie gekennzeichnet sei als dicht und dünn; sondern
die Dichtigkeit und Dünne mufs eine Folge der ursprünglichen
Gegensätze von Kalt und Warm sein, andernfalls würden sich nicht
die angegebenen Folgen einstellen. Wenn dies wirklich der Fall ist,
und Zeratörbar-
keit der Ele-
mente lujge-
[51. 52.] Erster Tag. 47
sö hat uns Aristoteles hintergangen, da er uns das von Anfang an Aristoteles' Er
1 lütte sagen sollen. Es müfste dann so hei ihm heifsen: erzeughar Erzeugbarkeit
lind zerstörbar sind diejenigen einfachen Körper, die einfacher Be- teit der Eie
wpgimgen nach oben und nach unten fähig sind, welche Bewegungen
durch die Leichtigkeit und Schwere bedingt sind, welch letztere durch
die Dichtigkeit und Dünne verursacht werden, welche ihrerseits von
dem Mehr oder Weniger des Stoffes herrühren und zwar vermöge
des Warmen mid Kalten. Nicht aber hätte er bei der einfachen Be-
wegung nach oben und nach unten stehen bleiben dürfen; denn ich
kann Euch versichern, dafs, um die Körper schwer oder leicht zu
machen und sie infolge dessen zu entgegengesetzten Bewegungen zu
veranlassen, jede beliebige Art von Dichtigkeit und Dümie genügt,
mag sie durch Wärme und Kälte hervorgerufen sein oder durch irgend
sonst etwas; Kalt und Warm haben mit dieser Erscheinung nichts zu
thmi. Ihr werdet finden, dafs ein glühendes Stück Eisen, das doch
gewifs warm genannt werden darf, ebenso schwer ist und sich ebenso
bewegt, wie ein kaltes. Aber auch abgesehen davon: woher wifst Ihr,
dafs die Dichtigkeit und Dünne bei den Gestirnen nicht durch Kälte
und Wärme bedingt sind?
Simpl. Daher, weil solche Eigenschaften im Reiche der Himmels-
körper nicht existieren, weil diese weder warm noch kalt sind.
Salv. Ich sehe, dafs wir abermals von einer Flut von Schwierig-
keiten auf Nimmerwiedersehen verschlungen werden; denn wir fahren
einher ohne Kompafs, ohne Sterne, ohne Ruder, ohne Steuer; da ist
es natürlich, dafs wir von Klijipe zu Klippe geworfen werden, auf
Sandbänke auflaufen oder ziellos ohne Ende einhersegeln. Wenn wir
also. Euerem Rate folgend, in unserem Hauptgegeustande weiter kommen
wollen, müssen wir einstweilen diese allgemeine Erörterung fallen
lassen, ob die geradlinige Bewegung in der Natur notwendig sei und
gewissen Körpern zukomme; wir müssen vielmehr zu den speciellen
Beweisen, Beobachtungen und Versuchen übergehen. Zuerst wollen
wir alles das, was Aristoteles, Ptolemäus und andere bisher für die
Unbeweglichkeit der Erde angeführt haben, zur Sprache bringen;
zweitens versuchen, dies zu widerlegen; endlich solche Thatsachen
beibringen, auf Grund deren man zur Überzeugung gelangen kann,
die Erde sei, so gut wie der Mond oder ein anderer Planet, imter die
von Natur kreisförmig bewegten Körper zu rechnen.
Sagr. Ich gehe um so lieber darauf ein, als ich weit mehr mit
Euerer grundlegenden allgemeinen Erörterung einverstanden bin, als
mit der des Aristoteles: die Euere befriedigt mich, ohne mir irgendwie
Anstofs zu geben, die andere läfst mich bei jedem Schritte straucheln.
48 Dialog über die Weltsysteme. [52. 53.]
Aucli weifs ich niclit, warum Siguore Simplicio nickt gleich durch
den einen von Euch angeführten Beweisgrund für die Unmöglichkeit
der geradlinigen Bewegung überzeugt worden ist, dafs nämlich diese
Bewegung unverträglich ist mit der Annahme, die Teile der Welt
seien in bester Verteilung und vollkommener Ordnimg.
Salv. Bitte, haltet ein, Signore Sagredo, •''^) demi soeben fällt mir
ein Weg ein, mit dem auch Signore Simplicio einverstanden sein
könnte, freilich nur dann, wenn er sich nicht dergestalt an jedes Wort
des Aristoteles bindet, dafs er es für einen Frevel hält, auch nur von
einem einzigen abzugehen. Unzweifelhaft giebt es, um die beste Ver-
teilimg imd die vollkommene Ordnung der Teile der Welt aufrecht zu
erhalten, keine anderen Mittel als die Kreisbewegung und die Ruhe.
Die geradlinige Bewegung hingegen kann, soviel ich sehe, zu nichts
anderem dienen, als irgend ein Teilchen der Hauptkörper, das durch
irgendwelchen Zufall von seinem Ganzen getrennt imd losgelöst wurde,
zu diesem Ganzen zurückzubringen, wie wir früher bemerkten. Be-
trachten wir nun den ganzen Erdball und überlegen, wie es mit ihm
stehen kann, sobald er und die anderen Weltkörper in bester und
natürlicher Ordnung beharren sollen. Man mufs notgedrungen sagen,
dafs er entweder ruhe und unbeweglich an seinem Orte beharre oder
dafs er, gleichfalls an derselben Stelle bleibend, sich um sich selber
drehe, oder endlich, dafs er um einen Mittelpunkt auf der Peripherie
eines Kreises herumlaufe. Betreffs dieser Möglichkeiten sagen Aristo-
Aristoteies und teles, Ptolemäus uud alle ihre Anhänger blofs, dafs er stets die erste
haupten die Vi'eise üme gehalten hat und sie in Ewigkeit beibehalten wird, näm-
des Erdbaua. Hch eine beständige Ruhe an demselben Orte. Warum also nicht
lieber von vornherein sagen, dafs seine natürliche Eigenschaft die
Natürlicher Zu- Unbewcglichkeit ist, als die Beweo;uug nach unten für die natürliche
stand des Erd- , • t. t ■ -, n i i • i
baiis verdient ausgebcu, cme Bewegung, die er memals ausgeführt hat und luemals
als die gerad-' ausführcii wird? Die geradlinige Beweguiio- aber, man gestehe es ein,
linige Bewegung . OOoO? O ■;
nach unten zu benutzt die Natur nur, um die Teile der Erde, des Wassers, der Luft
und des Feuers und jedes anderen Hauptweltkörpers zu ihrem Ganzen
zurückzuführen, sobald einer von ihnen zufällig von ihm getremit und
also an imgehörige Stelle versetzt ist: es sei denn, dafs auch in diesem
Falle zur Wiederherstellung der Ordnung eine Art von Kreisbewegung
sich zweckmäfsiger erwiese. Mir scheint, dafs diese ursprüngliche An-
nahme auch vom Standpunkte des Aristoteles den sämtlichen übrigen
Folgermigen sich weit besser anpafst, als werm man die geradlinigen
Bewegmigen für das den Elementen iimewohneude ursprüngliche
Princip ausgiebt. Dies ist augenscheinlich der Fall; deim wemi ich
den Peripatetiker frage, ob er, der die Himmelskörper für unzerstörbar
[53. 54.] Erster Tag. 49
und ewig hält, der Meinung sei, dafs die Erde das nicht ist, sondern
vergänglich und dem Untergang geweiht, und ob er glaube, es werde Geradlinige Be-
". " . . C3 o O ; o 7^ ^ wegungen eher
dereinst eine Zeit kommen, wo zwar Sonne, Mond und die übrigen ^eu Teilen als
' -^ .... '^^^ Elementen
Uestirne noch immer, die Erde aber nicht mehr existiere, diese viel- i™ ß=i"^en zu-
' ' zuschreiben.
mehr samt den übrigen Elementen zerstört und in nichts aufgelöst
sei, so bin ich fest überzeugt, er wird dies verneinen. Die Zerstörung
und Erzeugung betrifft also nur die Teile und nicht das Ganze und
/war die allerkleinsten, oberflächlichen Teile, die fast unmerklich sind
im Vergleich mit dem Gesamtvolumen. Da Aristoteles die Erzeugung
und Vernichtung aus dem Gegensatz der geradlinigen Bewegungen
erklärt, nun so lasse man diese Bewegungen den Teilen, die allein
sich ändern und zerstört werden, dem ganzen Ball, der ganzen Sphäre
der Elemente aber schreibe man entweder die Bj-eisbewegimg oder
eine fortwährende Ruhe an demselben Orte zu, Eigenschaften, die
allein zur Bewahrung und Aufrechterhaltung der vollkommenen Ord-
nung geeignet sind. Was von der Erde gilt, gilt mit demselben
Rechte vom Feuer und dem gröfsten Teile der Luft. Nach peripate- Peripatetiker
• 1 -IT T-ii IT- T 1 schreiben unbe-
tischer Ansicht wird diesen Elementen als immanentes natürliches gründeterweise
den Elementen
Princip eine Bewegung zugeschrieben, die sie niemals ausgeführt haben ^is natürliche
sie niemals aus-
die Bewegung nennt, die sie ausführen, ausgeführt haben und in ^jf^®^"^ ^^li^i^g
Ewigkeit ausführen werden. Die Peripatetiker weisen nämlich der ^"i^mer^aus-^
Luft mid dem Feuer die Aufwärtsbewegung zu, in welcher diese fahren.
Elemente sich niemals befunden haben, sondern nur eines ihrer
Teilchen, imd auch dies nur darum, um sich an die ihm natürliche
Stelle zurückzubegeben, nachdem es an einer unnatürlichen sich be-
funden hat. Andererseits betrachten sie die Kreisbewegung als ihrer
Natur widersprechend, während sie doch diese fortwährend ausführen;
sie vergessen gewissermafsen den öfters wiederholten Ausspruch des
Aristoteles, ein Gewaltsames könne niemals lange währen.
Simpl. Auf all das haben wir die schlagendsten Entgegnimgen
bereit-, doch will ich sie für jetzt unterdrücken, um auf die specielleren
Gründe und sinnlichen Erfahrungen zu kommen, welche schliefslich,
wie Aristoteles mit Recht sagt, den Vorzug verdienen vor allem, was fabrSngen .^er"
«lurch menschliche Spekulation uns an die Hand gegeben werden kann.^ög"v", menlch-
Sagr. Die bisher vorgebrachten Argumente mögen uns also dienen ''"''tuiuen.''"'''"
*als Anregimg zu der Erwägung, welche von den beiden allgemeinen
Erörterungen gröfsere Wahrscheinlichkeit besitzt, die des Aristoteles,
welche uns erweisen soll, dafs die Natur der sublunarischen Körper
erzeugbar, vergänglich u. s. w. ist mid deshalb ganz verschieden von
dem Wesen der Himmelskörper, welche unbeeinflufsbar, imerzeugbar,
Galilki, Weltsysteme. 4
50 Dialog über die Weltsysteme. [54. 55.]
unvergänglich sind, wie aus der Verscliiedenlieit der einfaelien Be-
wegungen sich ergiebt; oder die des Signore Salviati, der infolge
seiner Voraussetzung, die Hauptteile der Welt seien bestens geordnet,
folgerichtig den Naturkörpern die geradlinige Bewegung als völlig
nutzlos abspricht und der Meinung ist, auch die Erde sei ein Himmels-
körper und sei mit allen Vorzügen ausgestattet, die diesen zukommen.
Diese Auffassung steht mir bis jetzt weit mehr an^ als die andere.
Signore Simplicio mag also die Güte haben, alle die besonderen
Gründe, Versuche, Natur- und Himmelsbeobachtungen vorzubringen,
welche die Ansicht bestätigen, die Erde sei von den Himmelskörpern
verschieden, unbeweglich, in den Mittelpunkt der Welt gestellt oder
aus irgend sonst einem Grunde verhindert sich zu bewegen nach Art
der Planeten, wie der Jupiter oder der Mond; Signore Silviati hingegen
wird die Güte haben, Punkt für Punkt zu beantworten.
Simpl. Hier hört zunächst zwei sehr schlagende Beweise dafür,
dafs die Erde grundverschieden von den Himmelskörpern ist. Erstens:
die Körper, die erzeugbar, vergänglich, veränderlich u. s. w. sind, sind
grundverschieden von den unerzeugbaren ,• unvergänglichen , unver-
änderlichen u. s. w.; die Erde ist erzeugbar, vergänglich, veränder-
lich u. s. w., die Himmelskörper sind unerzeugbar, unvergänglich,
imveränderlich u. s. w.; also ist die Erde von den Himmelskörpern
grundverschieden.
Sagr. Als erstes Argument tischt Ihr uns das nämliche Gericht
auf, das heute schon einmal da war und eben erst abgetragen worden ist.
Simpl. Nicht so hitzig, mein Herr! Hört mich zu Ende, und
Ihr werdet die Verschiedenheit schon merken. Vorher wurde der
Untersatz a priori gefunden, jetzt werde ich ihn a posteriori beweisen.
Seht zu, ob das nicht etwas Anderes ist. Ich beweise also den Unter-
satz, denn der Obersatz ist ganz offenbar. Die sinnliche Erfahrung
lehrt uns, dafs auf Erden ein beständiges Entstehen, Vergehen, Ver-
weü^nfJmau üoch uach Überlieferungen und Berichten unserer Vorfahren jemals
*^ruug arihm am Himmel beobachtet wurde. Also ist der Himmel imveränder-
'*'° 'den ist.^"*^ lieh u. s. w., die Erde aber veränderlich u. s. w. und darum vom
Himmel verschieden. — Den zweiten Beweis entnehme ich einer fun-
damentalen und wesentlichen Thatsache, der folgenden nämlich: ein
von Natur dunkler, des Lichts ermangelnder Körper ist von jedem
Von Natur leuchteuden und slänzenden verschieden: die Erde ist ohne Licht und
leuchteuaeKör- _ _ ö 5
per siud von finstcr, die Himmelskörper glänzend und voll Lichtes, also u. s. w. Man
linsteren ver- ' i » ;
schieden, möge mir vorerst darauf antworten, um die Menge des Stoffes nicht
zu sehr anwachsen zu lassen, dami werde ich noch anderes beibringen.
[55. 56.] Erster Tag. 51
Salv. Den ersten Beweisgrund anlangend, dessen Kraft auf der
Erfahrung beruht, möchte ich bitten, dafs Ihr mehr ins einzelne die
Änderungen aufführtet, die Ihr auf Erden, nicht aber am Himmel vor
sich gehen seht, und derentwegen Ihr die Erde als veränderlich be-
trachtet, den Himmel aber nicht.
Simpl. Ich sehe auf Erden beständig Kräuter, Bäume, Tiere ent-
stehen und vergehen; Winde, Regen, Gewitter und Stürme sich er-
heben; kurz das Aussehen der Erde in fortwährendem Wandel be-
griffen. Von allen diesen wechsekiden Erscheinungen aber ist bei den
Himmelskörpern nichts zu sehen; ihre Stellung und Gestalt ist seit
Menschengedenken aufs genaueste sich gleich geblieben, ohne dafs
etwas Neues erzeugt, noch von Früherem etwas zerstört worden ist.
Salv. Nun, da für Euch die blofse Wahrnehmbarkeit oder, besser
gesagt, die wirkhche Wahrnehmung der Erscheinungen entscheidend
ist, so müfst Ihr notwendig China und Amerika für Himmelskörper
halten; demi zuverlässig habt Ihr dort niemals jene Änderungen beob-
achtet, die Ihr hier in Italien beobachtet; sie müssen demnach, soweit
Euere Wahrnehmung reicht, unveränderlich sein.
Simpl. Wenn ich auch diese Veränderungen an jenen Orten nicht
sinnlich wahrgenommen habe, so giebt es doch zuverlässige Berichte
darüber, abgesehen davon, dafs nach dem Satze eadem est ratio totius
et iMTtium, diese Länder ebenso gut wie die unsrigen notwendig ver-
änderlich sind, da sie, ebenso gut wie diese, Teile der Erde sind.
Salv. Und warum habt Ihr nicht selbst mit eigenen Augen diese
Vorgänge beobachtet und wahrgenommen, ohne Euch erst auf die
Glaubwürdigkeit fremder Berichte verlassen zu müssen?
Simpl. Abgesehen davon, dafs jene Länder unseren Blicken ent-
zogen sind, ist ihre Entfernung so grofs, dafs die Sehkraft nicht aus-
reichen würde, um dergleichen Änderungen zu entdecken.
Salv. Da seht, wie Ihr von selber beiläufig das Trügerische
Eueres Beweisgrundes aufgedeckt habt. Denn wenn Ihr zugebt, dafs
man die bei uns auf Erden wahrnehmbaren Änderungen in Amerika
wegen der grofsen Entfernung von hier aus nicht bemerken kann, so
könnt Ihr sie noch viel weniger auf dem Monde sehen, der soviel
hundertmal weiter entfernt ist. Wenn Ihr aber an die Veränderungen
in Mexiko auf Grund der Nachrichten von dort glaubt: welche Kmide
ist Euch vom Monde zugegangen, die Euch meldet, dort gingen keine
Veränderungen vor sich? Daraus also, dafs Ihr am Himmel keine
Änderungen seht, während Ihr die etwa stattfindenden wegen der zu
grofsen Entfernung nicht bemerken würdet oder daraus, dafs Ihr
keinen Bericht von ihnen habt, wo ein solcher doch unmöglich ist.
52 Dialog über die Weltsysteme. [56. 57.]
könnt Ihr nicht schliefsen^ dafs sie nicht statttinden; wie Ihr anderer-
seits ganz richtig aus dem Gesehenen und Gehörten auf Veränderungen
unserer Erde schliefsen dürft.
Simpl. Ich will Euch auf Erden stattgefundene Änderungen aus-
findig machen, die so grofs sind, dafs, fänden sie auf dem Monde statt,
sie sehr wohl Yon hienieden beobachtet werden könnten. Wir wissen
Entstehung des auf Gruud Uralter Überlieferungen, dafs einst an der Meerenge von
%'ieeres''du^ch''"Gibraltar die Felsen Abila und Calpe durch andere kleinere Berge
von Abila und Zusammenhingen, welche einen Damm gegen den Ocean bildeten. ^^)
Da sich aber, aus welcher Ursache auch immer, die beiden Berge
trennten, und den Wassern des Meeres der Zutritt geöffnet wurde,
strömten diese in solcher Menge ein, dafs sie das ganze mittelländische
Meer bildeten. Ziehen wir dessen Gröfse in Betracht und das ver-
schiedenartige Aussehen zwischen einer aus der Ferne beobachteten
Fläche von Wasser und Land, so hätte unzweifelhaft ein solcher Vor-
gang sehr wohl von jemand, der auf dem Monde gewesen wäre, be-
obachtet werden können, ebenso wie wir Erdbewohner dergleichen
Äuderungen auf dem Monde bemerken müfsten. Es verlautet aber
nichts davon, dafs man je so etwas gesehen hätte. Also haben wir
keinen Anhalt, um einen der Himmelskörper für veränderlich u. s. w.
erklären zu dürfen.
Salv. Dafs so weitgreifeude Veränderungen auf dem Monde
stattgefunden haben, will ich mich nicht erkühnen zu behaupten; aber
ebensowenig bin ich überzeugt, dafs solche nicht stattgefunden haben
können. Eine solche Umwälzung würde uns nur als eine veränderte Ab-
stufung von Helligkeit und Dunkelheit gewisser Mondpartieen erscheinen
und doch weifs ich nichts von wifsbegierigen Selenographen auf Erden,
die eine sehr lange Reihe von Jahren hindurch uns so genaue Mond-
beschreibungen geliefert hätten, dafs man auf ihre Aussage hin mit
Bestimmtheit die Thatsache einer solchen Veränderung der Mond-
oberfläche in Abrede stellen könnte. Über das Aussehen der letzteren
finde ich keine eingehenderen Angaben, als dafs der eine sagt, sie
stelle ein menschliches Gesicht vor, der andere, sie gleiche einer Löwen-
schnauze und der dritte, man erblicke auf ihr Kain mit einem Bündel
Reisig auf der Schulter. Die Unveränderlichkeit des Himmels also
darauf zu gründen, dafs man auf dem Monde oder auf einem anderen
Himmelskörper keine von der Erde aus sichtbaren Anderimgen wahr-
genommen hat, ist ein gänzlich unzuverlässiger Schlufs.
Sagr. Mich beschäftigt noch ein anderes Bedenken gegen diesen
Beweis des Signore Simplicio, welches ich gerne beseitigt sähe. Darum
frage ich ihn, ob die Erde vor dem Einbruch des mittelländischen
I 57. 58 ] Erster Tag. 53
Meeres erzeugbar und zerstörbar war, oder ob sie damals erst anfing
es zu sein.
Simpl. Ohne Zweifel war sie schon vorher erzeugbar und zer-
störbar; dieses war nur eine so gewaltige Katastrophe , dafs sie auch
iiuf dem Monde hätte beobachtet werden können.
Sagr. 0, weim die Erde vor besagter Überschwemmung schon
crzeugbar und zerstörbar war, was steht im Wege, dafs der Mond
('S gleichfalls ist, auch ohne eine solche Umwälzung? A¥arum soll auf
dem Monde das unbedingt erforderlich sein, was auf Erden nicht von
entscheidender Bedeutung war?
Salv. Ein sehr scharfsinniger Einwurf. Ich möchte aber glauben,
dafs Signore Simplicio in die Stellen bei Aristoteles und den anderen
Peripatetikern einen etAvas veränderten Sinn hineinlegt. Diese sagen,
dafs sie darum den Himmel für unveränderlich halten, weil an ihm
niemals die Entstehung oder Zerstörung irgendwelchen Sternes beob-
achtet worden ist, der im Vergleich zum ganzen Himmel vielleicht
kleiner sei als eine Stadt im Verhältnis zur Erde; und doch seien
von diesen letzteren unzählige so völlig zerstört worden, dafs keine
Spur von ihnen übrig geblieben.
Sagr. Ich war vom Gegenteile überzeugt und glaubte, Signore
Simplicio verleugne diese Auslegung des Textes, um seinen Meister
und seine Mitjünger nicht mit einem Vorwurf zu belasten, der noch
häfslicher ist als der andere. Wie nichtig ist doch die Behauptimg:
der Himmel ist unveränderlich, weil keine Sterne an ihm entstehen
und vergehen! Giebt es etwa jemanden, der einen Erdball hätte ver-
gehen und einen neuen entstehen sehen? Wird nicht von allen Philo-
sophen zugegeben, dafs nur ganz ^wenige Sterne am Himmel kleinerantergang eines
sind als die Erde, wohl aber sehr viele weit, weit gröfser? Der unmögiicii wie
TT • Oi TT* 1 • T 1 • 1 I /^ ■ ''^"^ '^'''' g'^'l^'Ö'^
Untergang eines Sternes am Himmel ist demnach nichts Germgeres Erdballs.
als die Zerstörung des gesamten Erdballs. Wenn daher notwendig so
gewaltige Körper wie ein Stern vergehen und wieder entstehen müssen,
um ein Entstehen und Vergehen im Weltall mit Recht behaupten zu
können, so lafst nur diesen Gedanken ganz fallen, denn ich versichere
Euch, die Zerstörung des Erdballs oder eines anderen Hauptwelt-
körpers wird niemals beobachtet werden; niemals wird ein solcher,
nachdem man ihn viele verflossene Jahrhmiderte hindurch beobachtet
hat, sich auflösen und spurlos verschwinden.
Salv. Um aber den Wünschen des Signore Simplicio noch mehr
als nötig entgegenzukommen und ihn, wo möglich, von seinem Irrtum
zu überzeugen, bemerke ich, dafs wir in unserer Zeit neue Vorgänge
die, wie ich nicht bezweifele, Aristoteles
54 Dialog über die Weltsysteme. [58. 59.]
Aristoteles umstimmeu würden, wenn er heutigen Tages lebte. Dies geht aus
Grund der neuen seiner eigenen Weise zu philosophieren hervor. Denn, wenn er schreibt,
Entdeckungen , ,^ ", „• ^ o-- •• J T l M • 1
in unserer Zeit er halte den Himmel lur unverauderlich u. s. w., weil man niemals
seine Ansicht -r\ i i •
ändern. (Jort etwas Neues hätte entstehen oder etAvas Früheres vorschwmden
sehen, so deutet er implicite an, dafs er im Falle einer solchen Be-
obachtimg zur gegenteiligen Ansicht sich bekennen würde und der
sinnlichen Erfahrung mit Recht Tor naturphilosophischen Erwägungen
den Vorzug gegeben hätte. Wenn er den sinnlichen Beobachtungen
keinen Wert beigelegt hätte, würde er die Unveränderlichkeit jedenfalls
nicht aus den fehlenden Beobachtungen über irgend welche Verände-
rung geschlossen haben.
Simpl. Als wichtigste Grundlage betrachtete Aristoteles seine
apriorischen Erwägungen, indem er die Notwendigkeit der Unver-
änderhchkeit des Himmels durch seine einleuchtenden, klaren Natur-
principien darthut; nachher befestigte er a posteriori seine Theorie
durch die sinnliche Wahrnehmung und die alten Überlieferungen.
Salv. Diese Euere Angaben beziehen sich auf die Art und Weise,
wie er seine Lehre niederschrieb, aber ich glaube nicht, dafs er auf
diesem Wege zu ihr gelangte. Vielmehr halte ich es für ausgemacht,
dafs er zuerst mittels der Sinne, der Erfahrung und der Beobachtung,
soviel als möglich, von der Richtigkeit der Schlufsfolgerung sich zu
überzeugen versuchte und dann erst sich nach Mitteln umthat, sie zu
beweisen-, so nämlich verfährt man gewöhnlich in den deduktiven
T.- r. r, , Wissenschaften: und zwar darum, weil, wenn die These richtig ist,
Die Gewifsheit ' " n }
'^M^iörTe^hoh ™^^ ^^i Benutzung der analytischen Methode leicht auf irgend welchen
'^duifg^d^s^Be'- schon bewiesenen Satz oder zu einem selbstverständlichen Axiome ge-
dManai^ischeiJangt; ist aber die Behauptung falsch, so kann man ins unendliche
Methode, weitergehen, ohne je auf irgend eine bekannte Wahrheit zu treffen,
wenn man nicht gar auf eine offenbare Unmöglichkeit oder etwas
pythagoras Widersinniges stöfst. Zweifelt nicht, dafs Pythagoras, lange bevor er
opferte eine . '^ . ' ./ O > O
Hekatombe um dcu Bewcis gefunden, um dessentwillen er die Hekatombe opferte, sich
der Auffindung ^ ^ ' , ■ • ■ ym
eines geometri- vcrgcwissert hat, ob das Hyjjotenusenquadrat im rechtwinkligen Dreieck
willen. den Quadraten der beiden anderen Seiten gleich sei. Das Zutrauen
zur Richtigkeit der Behauptung trägt nicht wenig zur Auffindung
des Beweises bei, in den deduktiven Wissenschaften wohlverstanden.
Aber mag das Schlufsverfahren des Aristoteles von apriorischen Er-
wägungen zu aposteriorischer Sinneswahrnehmung fortgeschritten sein
oder umgekehrt, sicher ist, dafs eben jener Aristoteles, wie mehrfach
erwähnt, den similichen Erfahrungen vor allen Spekulationen den
Vorrang einräumt, abgesehen davon, dafs wir schon geprüft haben,
wie es mit der Beweisführung dieser apriorischen Erörterung steht.
[59. 60.] Erster Tag. 55
Indem ich micli zu imserem Gegenstande wende, bemerke ich: die am
Himmel in neuerer Zeit gemachten Entdeckungen sind und waren der-
art, dafs sie alle Philosophen vollauf befriedigen kömiten. Denn sowohl
bei einzelnen Körpern als am gesamten Himmelsgewölbe hat man ge-
sehen und sieht man noch immer Vorgänge ähnlich denen, die wir bei
ims Erzeugung imd Vernichtung nennen. Es ist nämlich von ausge-
zeichneten Astronomen die Entstehung und Vernichtung vieler Kometen
in Regionen oberhalb der Mondsphäre beobachtet worden, abgesehen
von den beiden neuen Sternen von 1572 und 1604, die ohne jeden Erscheinung
Zweifel einer weit höheren Sphäre angehörten als alle Planeten. Ja am Himmel,
auf der Oberfläche der Sonne sogar sieht man mit Hilfe des Fern-piecken, weiche
rohrs dichte dunkle Gebilde entstehen und sich wieder auflösen, dem oberfläch°e°"ut°-'
Aussehen nach ganz ähnlich den Wolken der Erdatmosphäre; viele ^ " ^geh^n. '^'"''
derselben sind so umfangreich, dafs sie nicht nur das mittelländische sonnenflecken,
Meer, sondern auch ganz Afrika und Asien bei weitem an Gröfse über- lil |l°/rAsie°n^
treffen.''^) Nun, wenn Aristoteles diese Dinge sähe, was meint Ihr, "°^ '^^"^^•
Signore Sim^^licio, würde er sagen und thun?
Simpl. Ich weifs nicht, was Aristoteles, der Schutzherr der Wissen-
schaften, thun oder sagen würde; allerdings aber weifs ich einiges
von dem, was seine Anhänger thun und sagen, und was sie thun und
sagen müssen, um nicht des Wegweisers, Führers und Hauptes der
Philosophie verlustig zu gehen. Was die Kometen angeht, sind denn Widerlegung
nicht jene modernen Astronomen, die sie zu Himmelskörpern machen '^^ ^durch"™^"
wollten, von dem Antitycho widerlegt worden imd zwar widerlegt mit '^°''*y'=*'"-
ihren eigenen Waffen, mittels Parallaxen"^) und hundertfältig ver-
schkmgenen Rechnungen, die schliefslich in Übereinstimmung mit
Aristoteles ergaben, dafs sie sämtlich elementaren Ursprungs sind?
Und nachdem dieses Fundament der Anhänger der neuen Theorieen
erschüttert ist, was bleibt ihnen noch, um sich auf den Füfsen zu
erhalten?
Salv. Gelassen, Signore Simplicio! Was sagt Euer moderner
Autor über die neuen Sterne von 1572 und 1604 und über die Sonnen-
flecken? Denn betrefl's der Kometen würde ich meinerseits wenig da-
gegen haben, man mag sie nmi als unter oder über dem Monde ent-
standen denken; auch habe ich niemals grofsen Wert auf die Red-
seligkeit Tycho's gelegt und bin gern geneigt zu glauben, dafs ihre
Substanz elementaren Ursprimgs sei, dafs sie sich aber soweit erheben
können, als ihnen gefällt, ohne an der Undurchdringlichkeit des peri-
patetischen Himmels Widerstand zu finden, den ich für sehr viel
dümier, nachgiebiger und feiner halte als misere Atmosphäre. Die
Berechnung der Parallaxen anlangend, so bewirken einerseits der
56 Dialog über die Weltsysteme. [60. 61.]
Zweifel, ob die Kometen eine solche besitzen, andererseits die mangel-
bafte Übereinstimmung der Beobachtungen, auf welche die Rechnungen
sich stützen, dafs mir die eine wie die andere Meinung verdächtig
vorkommt, namentlich da der Antitycho die seinem Zweck zuwider-
laufenden Beobachtungen auf seine Weise zuzustutzen oder für irrig
auszugeben scheint.
Simpl. Was die neuen Sterne betrifft, so entledigt der Antitycho
sich derselben aufs beste mit vier Worten:"') die neu aufgetauchten
Sterne machten nicht einen Teil der Himmelskörper aus; die Gegner
müfsten, wenn sie dort oben ein Entstehen und Vergehen darthun
wollten, Änderungen an den Sternen nachweisen, die schon so lange
Zeit hindurch beschrieben worden sind und von denen niemand be-
zweifele, dafs sie Himmelskörper seien-, das aber könnten dieselben
keineswegs. Über die Gebilde sodann, welche nach einigen auf der
Sonnenoberfläche entstehen und vergehen, spricht er gar nicht; daraus
entnehme ich, dafs er sie für eine Fabel hält oder für teleskopische
Täuschungen oder bestenfalls für atmosphärische Trübungen, kurz für
alles eher als für himmlische Substanzen.
Salv. Ihr selbst aber, Signore Simplicio, was für eine Antwort
habt Ihr Euch ausgedacht, wenn Euere Gegner Euch diese lästigen
Flecken vorhalten, die erschienen sind, um den Himmel in Verwirrung
zu bringen und mehr noch die peripatetische Philosophie? Als deren
unerschro"ckener Verteidiger müfst Ihr notgedrungen irgend welchen
Ausweg, eine Lösung der Schwierigkeiten gefunden haben, und diese
dürft Ihr uns nicht vorenthalten.
Simpl. Ich habe über diesen besonderen Pimkt verschiedene An-
sichten gehört.''*) „Die einen sagen, es seien Sterne, die in ihren
Verschiedene eigenen Bahnen, ähnlich wie Venus und Merkur, sich um die Sonne
Ansichten über " » ' '
"^^fle^cken^" „drehen luid uns bei ihrem Vorübergange vor der Sonne dunkel er-
„scheinen; da ihrer eine grofse Zahl sei, so geschehe es häufig, dafs ein
„Teil derselben sich anhäufe mid dafs sie dann sich wieder trennen;
„andere halten sie für atmosphärische Vorgänge, andere für Täuschmigen,
„verursacht durch die Fernrohrlinsen u. dgl. m. Ich aber neige der
„Ansicht zu, bin sogar fest überzeugt, dafs sie ein Haufen von vielen
„verschiedenartigen undurchsichtigen Körpern sind, die gewissermafsen
„zufällig zusammentreffen; darum lassen sich oft in einem Flecken
„zehn und mehr solcher winzigen Körperchen zählen, welche, von un-
„regelmäfsiger Gestalt, wie Schnee- oder Wollflocken oder wie schwir-
„rende Mücken erscheinen. Sie ändern ihre gegenseitige Lage, trennen
„sich bald von einander, bald nähern sie sich, besonders vor der Sonne,
„um welche sie sich, als um ihren Mittelpunkt, bewegen. Darum
[61. 62.] Erster Tag. 57
„braucht man aber nicht anzunehmen, dafs sie entstehen oder ver-
„gehen, sondern nur, dafs sie sich bisweilen hinter dem Sonnenball
„verbergen, bisweilen aber, wiewohl von ihm getrennt, wegen der Nähe
„des übermäfsig hellen Sonnenlichtes unsichtbar sind. In die excen-
„trische Sphäre der Sonne sind, ähnlich wie Zwiebelhäute, Schichten
„von verschiedener Dicke in einander geschachtelt, von denen jede, mit
„einigen kleinen Flecken behaftet, sich bewegt. Wiewohl anfänglich
„ihre Bewegung veränderlich imd imregelmäfsig aiissah, sollen deimoch
„nach den neuesten Beobachtungen genau dieselben Flecken innerhalb
„bestimmter Fristen wiedergekehrt sein." Dies scheint mir der zweck-
mäfsigste Ausweg, den man bis jetzt gefmiden hat, um Rechenschaft von
besagter Erscheinung zu geben, ohne doch die Unzerstörbarkeit und
Unerzeugbarkeit des Himmels fallen zu lassen. Und wenn er wirklich
nicht genügen sollte, so wird es nicht an erleuchteten Geistern fehlen,
welche andere bessere finden werden.
Salv. Wenn der Gegenstand unseres Streites eine Frage der
Jurisprudenz oder einer anderen, meuschl che Dinge behandelnden
AVissenschaft wäre, in welchen es nicht Wahrheit, noch Irrtum giebt, in deu xntur-
. Ol- • 07 -Wissenschaften
SO könnte man zuversichtlich emen gröfseren Scharfsinn, eine schlag- erreicht biorse
'^ _ ' " Beredsamkeit
fertigere Beredsamkeit, eine ausgedehntere Belesenheit erwarten und nichts.
hoffen, dafs, wer sich durch solche Gaben auszeichnet, hier die Über-
legenheit seines Geistes an den Tag legen und Ruhm dafür ernten
würde. In den Naturwissenschaften aber, deren Schlüsse wahr und
notwendig siud, und wo menschliche Willkür keine Stätte hat, mufs
man sich hüten, sich auf selten des Irrtums zu schlagen; denn tausend
Männer wie Demosthenes und Aristoteles würden von jedem mittel-
mäfsigen Geiste aus dem Sattel gehoben, wenn dieser das Glück ge-
habt, die Wahrheit aufzufinden. Darum, Signore Simplicio, entschlagt
Euch nur der HoflPuung, dafs soviel kenntnisreichere, gelehrtere und
belesenere Männer, als wir es sind, der Natur zum Trotz den Irrtum
als Wahrheit erweisen könnten. Wenn also von allen bisher vorge-
brachten Ansichten über das Wesen der Sonne nflecken, die soeben
von Euch auseinandergesetzte Euch richtig erscheint, so müssen, wenn
Ihr Recht habt, alle anderen notAvendig falsch sein. Um Euch mm
den Glauben auch an diesen völlig grundlosen Wahn zu benehmen,
will ich, ganz zu geschweigen von tausend anderen Unwahrscheinhch-
keiteii, blofs zwei entgegenstehende Beobachtungen anführen. Erstens
sieht man viele von diesen Flecken vor der ]VIitte der Sonnenscheibe
entstehen und ebensoviele gleichfalls vom Umfange der Sonnenscheibe zwingender Be-
entfernt sich wieder aufl(>sen und verscliwinden: ein zwingender Grund, sonneutiecken
*- . eutstehoD und
dafs sie wirklich entstehen und sich auflösen; denn wenn sie, ohne zu vergehen.
58 Dialog über die Weltsysteme. [62. 63.]
entstehen imd zu vergehen, blofs infolge ihrer Bewegung sichtbar
würden, so sähe man sie sämtlich am änfsersten Rand der Sonne ein-
imd austreten. Die zweite Beobachtung beweist für diejenigen, welche
Schlagender Bo- nicht ganz und gar der Lehre von der Perspektive unkundig sind, aus
unmittelbare den Scheinbaren Gestalts- und Geschwindigkeitsänderungen der Flecken
Berührung der _ ...
Flecken mit der i32it Notwendigkeit, dafs sie dem Sonnenkörper anhaften und mit
diesem oder über ihn hin in dichter Berührung mit seiner Oberfläche
sich bewegen, keineswegs aber sich in Kreisen drehen, die von ihm
einen gewissen Abstand haben. Es folgt dies aus der scheinbaren
Bewegung der Verzögerung der Bewegung in der Nähe des Sounenrandes und der
Flecken in der '=' ti i i . • , -vy i i r, • p i
Nähe des scheinbaren Beschleumgung in der JNahe der Sonnenmitte: es folgt
Sonnenrandes o o ^ j o
scheinbar lang- dies feriicr aus der Form der Flecken, welche in der Nähe des Randes
sam.
Form der lauggestrcckt im Vergleich zu den in der Mitte befindlichen erscheinen,
Nähe dTs KaudesHud zwar darum, weil sie in der Mitte in voller Gröfse erscheinen
schTibeTa°n*^gge- und SO, wic sie wii'klich beschaffen sind; in der Nähe des Randes hin-
die"*!: Schein gcgcn zeigcu sie sich infolge des Zurttcktretens der Kugeloberfläche
verkürzt. Beide scheinbaren Änderungen, der Gestalt soAvohl wie der
Bewegung, entsprechen, wie bei sorgfältiger Beobachtung und Rechnung
sich herausstellt, genau dem, was man erwarten mufs, wenn die
Flecken mit der Sonne zusammenhängen, sind hingegen völlig unver-
einbar mit der Annahme einer Bewegung in Bahnen, welche eine ge-
wisse, wenn auch nur geringe, Entfernung von der Sonne besitzen;
wie denn dieses weitläufig von unserem Freunde in den Briefen über
die Sonnenflecke an den Herrn MarMs Welser bewiesen worden ist.^^)
i)ie Sonnen- j^y ergicbt sich aus eben dieser Gestaltsveränderung, dafs von jenen
flecken sind ö ö? J
gistIu°so?dfrn ^^"^^^^^ keiner ein Stern oder sonst ein kugelförmiger Körper ist;
gieichsamdüune*^^^!!^ "^^^ allen Körpern erscheint die Kugel allein niemals verkürzt
Schichten, ^^^j uicmals anders als vollkommen rund. Wäre also irgend ein
einzelner Fleck ein runder Körper, wie dies von allen Sternen ange-
nommen wird, so würde er ebenso rund vor der Mitte, wie vor dem
Rande der Sonnenscheibe erscheinen müssen, während doch die bedeu-
tende Verkürzimg und das scheinbare Schmälerwerden nach besagtem
Rande hin, die gröfsere Breite und Ausdehnung hingegen nach der
Mitte zu uns vergewissert, dafs es sich um Schichten handelt, die im
Verhältnis zu ihrer Länge und Breite nur geringe Tiefe oder Dicke
besitzen. Dafs endlich die Flecken in bestimmten Perioden völlig
unverändert wiederkehrten, glaubt nicht, Signore Simplicio; wer es
Euch gesagt hat, will Euch hintergehen. Dafs dem wirklich so ist,
könnt Ihr daraus ersehen, dafs er die Flecken tot geschwiegen hat,
welche auf der Sonnenfläche selbst in beträchtlicher Entfernung vom
Rande entstehen und sich auflösen; ferner daraus, dafs er kein Wort
[63. 64] Erster Tag. 59
über die perspektivische Verkürzvuig spricht, welche ein zwingendes
Argument für den Zusammenhang der Flecken mit der Sonne ist.
Was an der Wiederkehr der nämlichen Flecken Wahres ist, steht
gleichfalls in den obengenannten Briefen: nämlich, dafs einige von
ihnen lange genug andauern, um während einer vollen Umdrehung um
die Sonne, welche etwas weniger als einen Monat dauert, noch nicht
verschwunden zu sein.
Simpl. Ich habe, offen gestanden, nicht lange und sorgfältig
genug beobachtet, um in dieser Frage den Thatbestand völlig zu be-
herrschen; doch will ich auf alle Fälle Beobachtungen anstellen und
dann versuchen, ob es mir gelingt, die Ergebnisse der Erfahrung mit
den aristotelischen Lehren in Einklang zu bringen; denn es ist klar,
dafs zwei Wahrheiten einander nicht widersprechen köimeu.
Salv. Sobald Ihr die sinnlichen Beobachtungen mit den bestbe-
gründe teu Lehren des Aristoteles in Einklang bringen wollt, wird
Euch das keine grofse Mühe machen; zum Beweise: sasrt nicht Aristo- wegen der
, -, -, • 1 /-< grofsen Entfer-
teles , dafs über astronomische Gegenstände wegen der grofsen Ent- """g des Him-
' . . , ^ . r ™'''ä kann von
fernung des Himmels nicht mit voller Entschiedenheit gehandelt ihm nach
" ~ Aristoteles nicht
werden könne ?f°) mit voiier Be-
^ stimmtheit ge-
Simpl. Gewifs sagt er das. handelt werden
Salv. Versichert er nicht auch, dafs die Erfahrimg und die sinn-
liche Wahrnehmimg vor aller Spekulation den Vorzug verdient, mag Die sinniiciie
diese auch noch so wohlbegründet erscheinen? und sagt er dies uichtist na'ch Aruto-
mit voller Entschiedenheit, ohne zu schwanken? lation vorzu-
Simpl. Das thut er.
Salv. Von diesen beiden Behauptungen, welche beide von
Aristoteles aufgestellt sind, ist die zweite, welche den Vorrang der
sinnlichen Erfahrimg vor der Spekulation aussagt, weit bestimmter
und entschiedener, als die erstere, welche den Himmel für unver-
änderlich ausgiebt. Daher verfahrt Ihr mehr im Sinne des Aristoteles,
wenn Ihr den Himmel für veränderlich ausgebt, weil dies der sinn- Der Himmel
. ^. , . darf im Geiste
liehen Erfahrimg entspricht, als wemi Ihr sagt, der Himmel sei miver- Jer aristoteii-
. . . . . sehen Lehre eher
änderlich, weil Aristoteles durch Spekulation zu dieser Ansicht ge- f^^ veränder-
' ^ " höh als für un^-
langte. Nehmt hinzu, dafs wir weit besser als Aristoteles über veränderlich
O ' gelten.
astronomische Dinge urteilen können; demi er gesteht ja selbst, die wir können
Erkeimtnis derselben sei wegen ihrer Sinnenentrücktheit für ihn schwerrohrebeMerüber
und räumt damit ein, dafs, wessen Sinne schärferer ^Vahrnehmungen ping°e°urtenen
fähig sind, sich ein sichereres Urteil würde bilden können. Vermöge
des Ferm'ohrs ist uns nun aber der Himmel dreifsig- bis vierzigmal
näher gerückt, als er dem Aristoteles war, so dafs wir an ihm hundert
Dinge imterscheiden können, von denen er nichts wufste, unter anderen
60 Dialog über die Weltsysteme. [64. 65.]
auch jene Sonnenflecken, die für ihn durchaus unsichtbar waren. Des-
wegen können wir uns ein begründeteres Urteil über den Himmel und
die Somie bilden als Aristoteles.
Sagr. Ich versetze mich in den Geist des Signore Simplicio und
weifs, dafs die Kraft dieser nur allzu überzeugenden Gründe Eindruck
auf ihn macht. Wenn er andererseits aber das grofse Ansehen in
Betracht zieht, das Aristoteles sich beim Publikum erworben, wenn er
die Zahl der berühmten Ausleger in die Wagschale wirft, die sich
abgemüht haben, seine Meinimg zu erforschen; wenn er bedenkt, wie
so nützliche und notwendige Wissenschaften einen grofsen Teil der
ihnen gezollten Achtung blofs dem Ansehen des Aristoteles verdanken,
so bringt ihn alles das aufser Fassimg und erschreckt ihn. Ich meine,
ich höre ihn es selber sagen: Zu wem sollen wir künftig unsere Zuflucht
nehmen, der unsere Streitigkeiten entschiede, wenn Aristoteles ent-
thront ist? Zu welchem anderen Autor sollen wir ims in den Schulen,
Ergüsse sim- den Akadcmicen, den Wissenschaften bekennen? Welcher Philosoph
hat alle Teile der Naturphilosophie abgehandelt und zwar in so konse-
quenter Durchführung, ohne eine einzige Lücke in den Schlufsketten?
Und so soll jener Bau veröden, in dem so viele Wanderer ein Obdach
gefunden? jene Zuflucht, jenes Heiligtum zerstört werden, wo so viele
Wissensdurstige behaglich sich erquicken, wo, ohne den Unbilden der
Witterung sich auszusetzen, man Naturerkenntnis gewinnt, wenn man
nur ein paar Blätter umzuwenden versteht? Soll jenes Bollwerk ge-
schleift werden, wo man geschützt war vor jeglichem feindlichen An-
grifl"? Ich fühle Mitleid mit ihm, wie mit jenem Manne, der unter
ungeheuerem Zeit- imd Geldaufwand mit Hilfe von hundert und aber
hundert Werkleuten einen herrlichen Palast hat aufführen lassen und
daim sehen mufs, wie er der mangelhaften Grundmauern halber einzu-
stürzen droht. Um nicht zu seinem Herzeleid die Mauern zerstört zu
sehen, die mit reizenden Bildern geschmückt sind; die Säulen zer-
trümmert, welche die prächtigen Galerieen stützen; die vergoldeten
Decken eingestürzt, die Giebel und den Marmorfries zerfallen, sucht er
dami wohl mit Ketten, Pfosten, Pfeilern, Stützmauern und Streben
dem Einsturz vorzubeugen.
Salv. Nein, solchen Zusammenbruch braucht Signore Simplicio
noch nicht zu fürchten; ich würde mit viel geringerem Aufwände es
übernehmen, ihn vor Schaden sicher zu stellen. Die Gefahr liegt
laicht vor, dafs eine so grofse Menge gescheiter und scharfsinniger
Philosophen von ein paar Lärmmachern sich ins Bockshorn jagen
peripatetischo lasscu. Sie braucheu gegen diese nicht einmal die Spitzen ihrer Federn
^YeräuderTich'r ZU richten, ihr blofses Stillschweigen genügt, um sie der Verachtung
[65. 66.] Erster Tag. 61
und dem Geläcliter des Publikums preiszugeben. Wie eitel ist doch
der Glaube, man könne einer neuen Wahrheit Eingang verschaffen
durch Widerlegung des und jenes Autors. Erst mufs man verstehen,
die Köpfe der Menschen umzuformen und sie fähig machen zwischen
Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden; das aber vermag blofs Gott
allein. — Doch wohin sind wir von einem Gegenstand zum anderen
geraten? Ich finde meinen Weg nicht zurück, wenn Euer Gedächtnis
mir ihn nicht zeigt.
Simpl. Ich erinnere mich sehr wohl. Wir waren bei den Eut-
gegnungen Antitychos auf die Einwände gegen die Unveränderlichkeit
des Himmels stehen geblieben; Ihr brachtet dabei die von ihm nicht Ije-
rührte Frage der Somientlecken zur Sprache. Ihr wolltet dann, glaube
ich, seine Erwiderung auf den Einwand der neuen Sterne in Erwägung
ziehen.
Salv. Jetzt besinne ich mich, was noch zu thun ist. Um also
fortzufahren, so glaube ich, dafs an den Entgegnungen Antitychos
mancherlei auszusetzen ist. Erstens: wenn die beiden neuen Sterne,
die er nicht umhin kann an die höchsten Teile des Himmels zu ver-
setzen, die ferner von langer Dauer waren und schliefslich ver-
schwanden, ihn an der Unveränderlichkeit des Himmels nicht irre
machen, weil sie nicht festbestimmte Teile desselben seien, noch auch
Veränderungen an altbekamiten Sternen, wozu dami diese Angst und
Sorge wegen der Kometen und das Bemühen, sie mit aller Gewalt
von den himmlischen Regionen auszuschliefsen ? War es nicht genug,
wenn man von ihnen dasselbe wie von den neuen Sternen sagte? weil
sie nämlich keine festbestimmten Teile des Himmels sind, noch Ver-
änderungen an einem der himmlischen Sterne, so können sie weder
dem Himmel, noch der Lehre des Aristoteles Abtrag thun. Zweitens
kann ich mich nicht in seine Auffassung hineindenken, wenn er auf
der einen Seite zugiebt, dals etwaige Verändermigen der Sterne aller-
dings die Sonderrechte des Himmels aufheben würden, wie die Unzer-
störbarkeit u. s. w. und zwar deswegen, weil die Sterne einstimmig
für himmlische Gebilde gehalten werden; wemi er demgegenüber aber
keinen Anstofs an der Unveränderlichkeit desselben nimmt, sobald die
nämlichen Änderungen aufserhalb der Gestirne an dem übrigen Himmels-
gewölbe vor sich gehen. Hält er den Himmel etwa nicht für ein
himmlisches Gebilde? Ich wenigstens glaubte immer, die Sterne hiefsen
Himmelskörper wegen ihrer Stellung am Himmel, oder weil sie aus
der nämlichen Substanz wie der Himmel bestünden, und meinte dem-
gemäfs, dafs der Himmel himmlischer sei wie sie, ebenso wie es nichts
Irdischeres oder Feurigeres giebt als die Erde imd das Feuer selbst.
62 Dialog über die Weltsysteme. [66. 67.]
Wenn er sodami der Somienfleckeii keinerlei Erwähnung tliut, von
welchen klar bewiesen ist^ dafs sie entstehen und sich wieder auflösen,
dafs sie in immittelbarer Nähe des Sonnenkörpers sich befinden und
mit ihm oder um ihn sich drehen, so erweckt mir dies den Verdacht,
jener Autor schreibe wahrscheinlich mehr anderen zu liebe, als zu
eigener Befriedigung. Ich glaube das, weil er sich als Keuner der
Mathematik zeigt und darum immöglich die Beweise unterschätzen
kann, dafs besagte Gebilde der Sonnenoberfläche augehören und in so
gewaltigem Umfange ein Entstehen und Vergehen darthun, wie es
auf Erden niemals stattfindet. Wenn nun dergleichen Veränderungen
in solchem Mafse und in solcher Häufigkeit auf dem Sonnenballe
selbst vor sich gehen, der mit Recht für einen der vornehmsten Teile
des Himmels gelten kann, welcher Grund soll dann ausreichen, um
uns von der Unmöglichkeit ähnlicher Vorgänge auf anderen Welt-
körpern zu überzeugen?
Sagr. Ich kann nur mit gröfster Verwunderung, ja mit gröfstem
innerem Widerstreben anhören, dafs die Eigenschaften des Unbeein-
fiufs baren. Unveränderlichen, Unwandelbaren u. s. w. den Naturkörpern,
welche das Weltall zusammensetzen, als etwas Vornehmes und Voll-
Erzeugbarkeit '
und verände- kommeucs zugeschriebeu werden, imd im Gegensatze dazu die Wandel-
rung bedingen ~ 7 O
"der weukörpe?^^^'^^*^^^> Erzcugbarkcit, Veränderlichkeit u. s. w. als etwas sehr UnvoU-
"esetzten^ififen-^*^^^!^^^*^ gelten sollcu. Ich für mein Teil halte die Erde für höchst
Schäften, yornehm imd bewmidernswert gerade wegen der vielen verschieden-
Die Erde vor- _ ^ o O .
deTvi^ielauMbr^^^^o^^^ Wandeliingcn, Veränderungen, Erzeugungen u. s. w., die ohne
Veränderungen. U^f ©rlafs auf ihr sich abspielcii. Wäre sie im Gegenteil keiner
Erde unnütz uudAnderimg unterworfen, sondern nichts als eine Sand wüste oder eine
müfsig ohne '^ '
Veränderungen. Jaspiskugel, odcr wärcu zur Zeit der Sintflut die Gewässer, welche
sie überfluteten, gefroren imd hätte sie sich in eine imermefsliche Eis-
kugel verwandelt, wo nichts entsteht, noch vergeht, noch sich ver-
ändert, so würde ich sie für ein auf der Welt unnützes Ding, für
müfsig und, um es herauszusagen, für überflüssig erachten, so gut als
wäre sie in der Natur gar nicht vorhanden; sie würde mir wie ein ^^_^
totes Wesen verglichen mit einem lebenden erscheinen. Dasselbe gilt
auch vom Monde, vom Jupiter und allen anderen Weltkugeln. Je
eingehender ich mich in die Nichtigkeiten der landläufigen Denkweise
liineinversetze, um so leichtfertiger und thörichter finde ich sie. Welche
gröfsere Thorheit kann man sich vorstellen, als wenn man Edelsteine,
Silber mid Gold für Kostbarkeiten erklärt, die Erde und den Schlamm
aber für völlig wertlose Dinge? Kommt es denn solchen Leuten gar
Die Erde vor- nicht in den Sinn, dafs, wäre die Erde so selten, wie die höchst ge-
nehmer ais Goid , , T^i • T 1 /r 1-1
und Edeisteiue. schätztcu Kleiuodicn imd Metalle, es keinen Fürsten gäbe, der nicht
|(;7. 68.] . Erster Tag. 63
ntTiie eine Menge von Diamanten imd Rubinen und vier Fuhren
<iuldes hingäbe, um nur soviel Erde zu erkaufen, als man braucht,
um einen Jasminstrauch in ein kleines Gefafs zu pflanzen oder einen
chinesischen Pomeranzenstrauch ''^) zu säen, um zu beobachten, wie er
Ivcimt, wächst, so schönes Laub hervorbringt, so duftende Blüten und
>(> liebliche Früchte! Also nur die Seltenheit oder Häufigkeit verleiht Seltenheit und
" . Häufigkeit ver-
iu den Augen der Menge einer Sache Wert oder Unwert: sie nennt leihen den
^ P _ _' _ Dingen Wert
• inen Diamanten herrlich, weil er klarem Wasser ähnlich ist mid ^^ unwert.
würde ihn doch nicht gegen zehn Tonnen Wassers hingeben. Wer die
I nvergänglichkeit, die Unveränderlichkeit u. s. w. so hoch schätzt, fühlt
sich, wie ich glaube, durch den lebhaften Wunsch, recht lange in cnzerstürbar-
(lieser Welt zu weilen und durch die Furcht vor dem Tode dazu ge- Leuten aus
Furcht vor dem
(h'ängt. Man bedenkt nicht, dafs, wenn die Menschen unsterblich Tode hochge-
» _ _ ' ' ^ schätzt.
wären, ihnen nichts daran läge auf die Welt zu kommen. Solchewerdiezerstör-
Leute verdienten durch den Anblick eines Medusenhauptes in eine verdient in eine
lUldsäule von Jaspis oder Diamant verwandelt zu werden, um höhere wandelt zu
werden.
\'ollkommenheit zu erlangen.
Salv. Vielleicht wäre ihnen eine solche Metamorphose ganz vor-
teilhaft; denn besser ist es meines Dafürhaltens gar nicht zu denken
;il.s verkehrt zu denken.
Simpl. Unzweifelhaft ist die Erde viel vollkommener, wenn sie,
wie es wirklich der Fall, wandelbar und veränderlich ist, als wenn sie
i'ine Steinmasse wäre selbst von härtestem und xmempfindlichstem
Diamant. Aber ebensosehr, wie die Eigenschaften der Erde ihr Vor- Die Himmeis-
' _ ° körper sind zum
nrhmheit verleihen, würden sie die Himmelskörper unvollkommener Dienste der Erde
' ^ bestimmt und
machen, an welchen sie überflüssig wären. Haben doch die Himmels- '''■»"cheu daher
' ~ nur BeweRung
k(")rper wie die Sonne, der Mond und die übrigen Gestirne, welche '^teliuen ^"^
nur zu Dienstleistungen für die Erde bestimmt sind, für diesen Zweck
nichts weiter nötig als ihre Bewegmig und ihr Licht.
Sagr. Also hat die Natur so mächtige, vollkommene und edele
Himmelskörper nur darum unveränderlich, unvergänglich, göttlich ge-
schaffen und hingestellt, um der veränderlichen, hinfälligen und ver-
gänglichen Erde zu dienen? dem zu dienen, was Ihr die Hefe der
Welt, den Bodensatz alles Um-einen nennt? Und wozu den Himmels-
körpern Unsterblichkeit verleihen, um einem Vergänglichen zu dienen?
Nehmt die einzige nützliche Dienstleistung der Erde gegenüber hin-
weg, so fehlt der unzähligen Schar der Himmelskörper jeder Nutzen,
jeder Zweck; denn sie haben miter einander keine Wechsehvirkung
und können keine haben, da sie sämtlich unwandelbar, unveränderlich, ^^i^. Himmels-
unempfindlich sind. Ist z. B. der Mond imempfindlich, was soll die kefne wechsTi-
Suniie oder sonst ein Gestirn an ihm wirken? Sicherlich weit weniger, '"einander.*"
64 Dialog über die Weltsysteme. [68. 69.]
als wer durch den blofsen Blick oder Gedanken eine grofse Masse
Goldes schmelzen wollte. Ferner, meine ich, müssen die Himmels-
körper, um zum Entstehen und zum Wechsel auf Erden beizutragen,
notwendig selbst veränderlieh sein. Denn meiner Auffassung nach
wäre sonst das Eingreifen des Mondes oder der Sonne in irdische
Verhältnisse dasselbe, als wenn man der Braut einen Bräutigam von
Marmor gesellte und aus solcher Verbindimg Nachkommen erwartete.
Die Teräiider- Simpl. Die Vergänglichkeit, die Veränderung, der Wechsel u. s. w.
lichkeit hnftet \ o o ? O! ^ ^
nicht an dem haften nicht an dem gesamten Erdball, der als Ganzes nicht weniger
KrdbaU im o 7 o
ganzen, sondern g^jor ist als Somie Und Mond: Erzcuguug und Untergang kommen nur
au gewissen O 700 00
Teilen. seinen äufseren Teilen zu. Allerdings aber sind Entstehen und Ver-
gehen an diesen beständig und bedürfen demgemäfs ewiger Einwirkung
seitens der Himmelskörper; darum müssen notwendig die Himmels-
körper ewig sein.
Sagr. Alles sehr wohl; Avenn aber durch die Vergänglichkeit der
oberflächlichen Teile der Ewigkeit des ganzen Erdballs kein Eintrag
geschieht, wenn ihm vielmehr diese Erzeugbarkeit, Vergänglichkeit,
Himmelskörper Veränderlichkeit u, s. w. zur Zierde und Vollkommenheit gereicht,
an ihrer Ober- .
flache veränder- warum kömit Und dürft Ihr nicht Veränderungen, Erzeugungen u. s. w.
lieh. _ , , o ? O &
gleicherweise an den äufseren Teilen der Himmelskörper zugeben? Ihr
verleiht ihnen damit einen Schmuck, ohne ihre Vollkommenheit zu
verringern oder ihren Einflufs aufzuheben; ja Ihr werdet ihn noch
vergröfsern, wenn Ihr ihn nicht auf die Erde beschränkt, sondern sie
auch unter einander wirken lafst und umgekehrt auch die Erde auf sie.
Simpl. Das ist unmöglich, weil das Entstehen, die Veränderung
u. s. w., die etwa auf dem Monde stattfände, minütz und vergeblich
wären et natura nihil frustra facit.
Sagr. Und warum wären sie unnütz und vergeblich?
Simpl. Weil wir deutlich sehen und mit Händen greifen könuen,
Erzeugung und dafs alle auf Erden stattfindenden Veränderungen ohne Ausnahme
\ eranderung aut _ O
w^"? sind zum mittelbar oder unmittelbar zum Nutzen, zur Annehmlichkeit, zum Vor-
Wolile des Meu- / '
sehen bestimn.t.^gii jg^ Mcnscheu bestimmt sind. Zur Annehmlichkeit des Menschen
entstehen Pferde, zur Speise der Pferde bringt die Erde Gras hervor
imd die Wolken bewässern es. Zur Annehmlichkeit und Nahrung des
Menschen werden Kräuter, Feldfrüchte, Obst, wilde Tiere, Vögel, Fische
erzeugt; kurz, wenn wir alles das sorgfältig prüfen und zergliedern,
werden wir als Zweck, zu dem sie bestimmt sind, das Bedürfnis, den
Nutzen, die Annehmlichkeit und das Vergnügen des Menschen erkennen.
Nun, welchen Nutzen könnten jemals dem Menschengeschlecht die
Produkte des Mondes oder eines anderen Planeten bringen? Ihr
müfstet denn sagen, dafs auch auf dem Monde Menschen wohnen.
[70. 71. T Erster Tag. 65
die seine Früclite genössen; ein märchenhafter, wo nicht gottloser Ge-
danke.«-)
Sagr. Dafs der Mond oder ein anderer Planet Kräuter, Bäume Der Mond bringt
. 1P1 Ti TXT- 1 keine den unsri-
und Tiere ähnlich den imseren hervorbringt, dafs dort Hegen, Winde, gen ähnliche
_ .. ,..f-,.. . Krzeugniäseher-
GeAvitter hausen wie rings um die Erde, weifs ich nicht und glaube^or und ist nicht
'^ ' '^ von Menschen
ich nicht; noch viel weniger, dafs er von Menschen bewohnt ist. Nur bewohnt,
verstehe ich nicht, Avarum man notwendig schliefsen soll, dafs, sobald Auf dem Monde
' o / 7 möglicherweise
dort keine den irdischen ähnliche Dinge erzeugt werden, überhaupt i^f^uK^isse, die
'-' <~^ ' A von den unseren
keine Erzeugung auf ihm stattfindet, dafs nicht andere Dinge dort sein^e^chiedensind.
können, die sich verändern, entstehen, sich auflösen, die nicht nur
von den unsrigen verschieden, sondern auch imserer Phantasie völlig
entrückt und für uns geradezu unvorstellbar sind. Gleichwie sicher-
lich jemand, der in einem ungeheueren Walde geboren und unter Raub-
tieren imd Vögeln aufgewachsen ist, der aber niemals das Element wer das Eie-
° " . . T ment des
des Wassers hat kennen lernen, unmöglich eine Vorstellung davon Wassers nicht
<■ . . . kennt, kann sich
haben kann, dafs es in der Natur eine andere Welt giebt, verschieden ^^eder schiffe
"^ ; noch Fische
von der Erde, angefüllt mit Tieren, welche sich ohne Beine und ohne vorstellen.
Flügel geschwind bewegen und zwar nicht blofs über die Oberfläche
hin, wie die vierfüfsigen Tiere über die Erde, sondern durch alle Höhen
und Tiefen; die nicht nur sich bewegen, sondern an jeder beliebigen
Stelle sich ausruhen können, ohne sich zu bewegen, was die Vögel in
der Luft nicht zu thun imstande sind; dafs ferner dort auch Menschen
wohnen, die Paläste und Städte bauen, die ganz bequem ohne Ermü-
dung mit Kind und Kegel, Haus und Hof in die entferntesten Länder
reisen können; gleichwie sicherlich jemand in dieser Lage, und habe
er die mächtigste Einbildungskraft, niemals Fische, Ocean, Schiffe,
Flotten, eine bewaffnete Seemacht sich vorstellen könnte, ebenso und
in noch höherem Grade kann es auf dem Monde, der so weit von uns
entfernt ist nnd möglicherweise aus einem von der Erde ganz verschie-
denen Stoffe besteht, Substanzen geben und kömieu dort Vorgänge
sich abspielen, die nicht nur weit ab von unserem Vorstellungskreise,
sondern völlig aufserhalb desselben liegen, weil sie nicht die geringste
Verwandtschaft mit irdischen Verhältnissen aufweisen und darum völlig
miausdeukbar sind. Mufs ja doch jedes Phantasiegebilde entweder ein
schon wahrgenommenes Ding wiedergeben oder eine Verbindung von
früher Avahr genommenen Dingen und Teilen sein, wie die Sphinxe,
Sirenen, Chimären, Centauren u. s. w.
Salv. Ich habe mich oft in Phantasieen ergangen über dergleichen
Dinge und schliefslich glaube ich wohl manches ausfindig machen zu
können, was auf dem Monde nicht ist und nicht sein kann; aber auch
nicht das Geringste, wovon ich glaubte, es sei dort oder könn(^ auch
Galilei, AVeUsysteme. 5
66 Dialoof über die Weltsysteme. [71. 72.]
nur dort sein, es sei denn nur ganz im allgemeinen Geschöpfe, die ihm
zum Schmucke gereichen, indem sie wirken, sich bewegen und leben.
Auf dem Monde vielleicht gauz andcrs wie wir, die die Gröfse und Schönheit der Welt
geben, die von und ihrcs Schöpfers und Lenkers mit Staunen schauen und mit unauf-
unseren ver-
schieden sind, hörlichem Preisen seinen Ruhm singen, kurz nach meiner Auffassung,
das bethätigen, was in den heiligen Schriften so häufig versichert wird,
die beständige Verherrlichung Gottes durch alle Geschöpfe.
Sagr. Dies sind Dinge, die, ganz allgemein zu reden, auf ihm
möglicherweise vorhanden -sind. Doch möchte ich gerne solche erwähnen
hören, die nach Ihrer Ansicht dort nicht sind und nicht sein können
und die sich gewifs mehr ins einzelne aufzählen lassen.
Salv. Merkt, Signore Sagredo, dafs wir nun zum dritten Male
Schritt für Schritt, ohne es zu merken, von unserem Hauptvorhaben
abgekommen sind und dafs wir bei dergleichen Abschweifungen spät
mit unserer Untersuchung zu Ende kommen werden. Wenn wir also
diesen Gegenstand aufsparen wollen, ebenso wie die übrigen, die wir
für eine besondere Sitzimg aufzuschieben beschlossen haben, so wird
es wohl das Beste sein.
Sagr. Da wir gerade beim Monde sind, erledigen wir, bitte, das,
was hierher gehört, um nicht noch einmal einen so weiten Weg zurück-
legen zu müssen.
Salv. Euer Wille geschehe. Um mit ganz allgemeinen Verhält-
nissen zu begiimen, so glaube ich, dafs der Mondball trotz mancher
Übereinstimmmig mit der Erde dennoch von ihr sehr verschieden ist.
Ich will zuerst die Ähnlichkeiten, dann die Verschiedenheiten nennen.
Sicher ist der Mond hinsichtlich der Gestalt der Erde ähnlich; denn
Erste Ähnlich- diese ist unzweifelhaft kuo-elförmig, wie sich mit Notwendic^keit aus
keit zwischen i-n.-. i -i • ia
Mond und Erde seinem stcts kreisförmig;en Aussehen ersfiebt, sowie aus der Art und
die der Geslalt. ^ _ 07
Beweis durch Wcisc scincr Beleuchtuus' seitens der Sonne. Wäre nämlich seine
die Art der Be- ...
leuchtung sei- Oberfläche eben, so würde sie in einem und demselben Auo-enblicke in
tens der Sonne. ' _ '='
ihrer ganzen Ausdehnung vom Sonnenlichte getroffen, wie auch später
auf einmal des Lichtes beraubt werden, nicht aber die Teile zuerst,
welche nach der Sonne gekehrt sind und dann allmählich die benach-
barten, so dafs erst in der Opposition ^^) die ganze scheinbare Scheibe
erleuchtet wird. Gerade das Gegenteil davon würde stattfinden, wemi
die sichtbare Oberfläche konkav wäre; in diesem Falle nämlich müfste
die Beleuchtung auf der von der Sonne abgewendeten Seite beginnen.
Zweitens ist der Mond, wie die Erde, an und für sich dunkel und un-
Die zweite Äbn-durchsichtio', durch welch letztere Eigenschaft er imstande ist, das
lichkeit ist die TIPP 1 ■, r. 1 f n ••'
Dunkelheit des boniienlicht aufzufaugeu und zurückzuwerfen, was anderenialls unmog-
Mondes und der "
Erde. lieh wäre. Drittens halte ich seine Substanz für sehr dicht und fest.
[72. 73.] Erster Tag. 67
ebenso sehr wie die der Erde, was deutlich erhellt aus der gröfsteu- Drittens: me
teils imebenen Oberfläche, die, mit dem Fernrohr betrachtet, zahlreiche Mondes wie die
. . der Erde dicht
Erhabenheiten und Vertiefungen aufweist. Solcher Erhabenheiten giebt «"»^ gebirgig,
es viele, welche in aller und jeder Beziehung unseren rauhesten imd
abschüssigsten Gebirgen ähneln. Etliche darunter sind langgestreckt
und ihre Ausläufer sind Hunderte von Meilen lang; andere sind in
gedrängteren Gruppen; auch giebt es viele abgesonderte und isolierte
Klippen von ungeheuerer Steilheit und Schroffheit. Was man aber
in gröfster Zahl wahrnimmt, sind gewisse sehr hohe Dämme — ich
gebrauche diesen Ausdruck, weil mir kein anderer bezeichnenderer em-
fällt — welche Plateaus von verschiedener Gröfse einschliefseu imd
umgeben und mannigfaltige Formen besitzen, vornehmlich aber kreis-
förmige. Bei vielen befindet sich in der Mitte ein Berg von bedeuten-
der Höhe; einige wenige sind mit einer ziemlich dunkeln Masse
erfüllt, ähnlich der, welche die mit blofsem Auge sichtbaren Flecken zu-
sammensetzt; diese letzteren sind die gröfsten Flächen. Die Zahl der
kleinen und ganz kleinen ist aufserordentlich grofs, und auch sie sind
alle kreisförmig. Viertens: wie die Oberfläche unseres Erdballs in viertens: Der
zwei Hauptpartieen zerfällt, nämlich in Land imd Wasser, so sehen zwei Teile, einen
wir auf der Mondscheibe einen bedeutenden Unterschied zwischen mehreinen dunkleren,
. iT-iiT T-w- ^ • -n "^^^ ^^^ Erdball
und minder crlänzenden Feldern. Damit würde meines Erachtens das « Meer und
^ .. , , _ , Land zerfällt.
Aussehen der Erde grofse Ähnlichkeit haben, wenn man sie vom
Monde oder aus ebenso grofser Entfernung vom Sonnenlichte beleuchtet
beobachten könnte; und zwar würde che Meeresoberfläche dunkeler, die Meeresober-
des Landes heller erscheinen.''^) Fünftens: gerade wie wir von der von weitem
Erde aus den Mond bald voll erleuchtet erblicken, bald nur zur Hälfte, sehen au Land,
bald mehr, bald weniger, bisweilen sichelförmig und gerade wie er Fünftens: pha-
manchmal ganz unsichtbar wird, nämlich dann, wenn die Sonnenstrahlen^^Krde "hnifch^'
seine Rückseite treffen, so dafs die der Erde zugewandte Seite finster und in sieichen
bleibt, ganz ebenso würde vom Monde aus, mit aufs Haar gleichen
Perioden und denselben Phasenunterschieden die Beleuchtung der Erd-
oberfläche durch die Sonne sich ausnehmen. Sechstens . . .
Sagr. Etwas langsamer, Signore Salviati; dafs die Beleuchtung
der Erde hinsichtlich der Phasenverschiedenheiten dem Beobachter auf
dem Monde einen ähnlichen Anblick gewährt, wie ihn ims der Mond
darbietet, verstehe ich sehr wohl, aber ich begreife noch nicht, warum
diese Phasenänderungen sich in derselben Periode vollziehen. Bewirkt
doch die Beleuchtung der Sonne auf Erden dasselbe in 24 Stunden,
was auf der Mondoberfläche in einem Monate vor sieh geht.
Salv. Allerdings gel)raucht die Sonne, um diese beiden Körper
zu erleuchten und die gesamte Oberfläche mit ihrem Lichte zu treÖen,
QP, Dialog über die Weltsysteme. [73. 74]
bei der Erde einen gewöhnliclien Tag, bei dem Monde einen Monat;
davon allein aber hängen die Gestaltsverschiedenbeiten nicht ab, welche
die beleuchteten Teile der Erde dem Beobachter auf dem Monde zeigen
würden, sondern auch von der relativen Stellung des Mondes zur Soime.
Würde z. B. der Mond genau der Bewegung der Sonne folgen und
etwa stets in gerader Linie zwischen ihr und der Erde stehen in demjeni-
gen Aspekte, den wir Konjunktion neimen, so würde er stets die der
Sonne zugewendete Seite erblicken, sie also beständig in voller Be-
leuchtung vor sich haben. Wemi der Mond im Gegenteil stets mit der
Somie in Opposition sich befände, so würde er niemals die Erde sehen,
da deren unbeleuchtete, also unsichtbare Seite beständig gegen den-
selben gekehrt wäre. Befindet sich aber der Mond in Quadratur mit
der Sonne, so wird von der dem Monde zugekehrten Erdhalbkugel die
der Sonne zugekehrte Hälfte beleuchtet, die andere von der Sonne
abgewendete hingegen dunkel sein; es würde also der beleuchtete Teil
der Erde vom Monde aus in Gestalt eines Halbkreises erscheinen.
Sagr. Jetzt verstehe ich alles sehr wohl; ich begreife nun voll-
ständig, dafs der Mond, wenn er die Opposition zur Sonne verläfst, in
welcher er von dem erleuchteten Teile der Erde nichts sehen konnte,
und wenn er dann von Tag zu Tag der Sonne sich nähert, allmählich
anfängt einen kleinen Teil der beleuchteten Erde zu erblicken, und
zwar sieht er diesen in Form einer schmalen Sichel wegen der Kugel-
gestalt der Erde. Indem der Mond dami bei seiner Bewegung von
Tag zu Tag in gröfsere Nähe zu der Sonne gelangt, erblickt er immer
mehr von der beleuchteten Erdhalbkugel, sodafs er in der Quadratur
gerade die Hälfte derselben sieht, wie wir ebensoviel von ihm erblicken.
Wenn er sodami sich der Konjunktion nähert, wird für ihn allmählich
ein gröfserer Teil der beleuchteten Oberfläche sichtbar; schliefslich in
der Konjunktion sieht er die vollständige Hemisphäre beleuchtet. Kurzum
ich sehe vollständig ein, dafs die gleichen Veränderungen, welche die Erd-
bewohner am Monde wahrnehmen, dem Beobachter der Erde vom Stand-
punkte des Mondes aus erscheinen würden, nur in umgekehrter Reihen-
folge. Wenn nämlich der Mond uns voll erscheint und in Opj)osition
zur Sonne, so würde für ihn die Erde in Konjunktion mit der Soime
sich befinden, also dunkel erscheinen und imsichtbar sein. Der Zu-
stand hingegen, der für uns eine Konjunktion des Mondes mit der
Somie ist, wo wir also Neumond haben und den Mond nicht sehen, ist
vom Standpimkte des Mondes Opposition der Erde zur Sonne, gewisser-
mafsen Vollerde, d. h. die Erde erscheint voll beleuchtet. Mit einem
Worte: ein so grofser Teil der Mondoberfläche uns jeweilig erleuchtet '
erscheint, ein ebenso grofser Teil der Erde würde gleichzeitig vom
[74. 75.] Erster Tag. 69
Monde aus dunkel aussehen, und soviel für uns vom Monde un-
beleucMet bleibt, soviel von der Erde ist für den Mond beleuchtet,
sodafs nur bei den Quadraturen gleichzeitig wir den Mond als Halb-
kreis, und ein Beobachter auf dem Monde die Erde als Halbkreis er-
blicken würde. In einer Hinsicht nur scheinen mir diese wechsel-
seitigen Beziehungen sich von einander zu unterscheiden: angenommen
nämlich, nicht zugegeben, es befände sich jemand auf dem Monde, der
von dort aus die Erde betrachten kömite, so würde er jeden Tag die
ganze Erdoberfläche zu Gesicht bekommen vermöge der 24- oder
25-stündigen Dauer der Bewegmig des Mondes um die Erde. ''■'') Wir
aber sehen niemals mehr als die Hälfte des Mondes, da er sich nicht
um seine Axe dreht, wie er es müfste, um sich uns von allen Seiten
zu zeigen.
Salv. Es sei demi, dafs umgekehrt gerade durch eine Drehimg
um sich selber die Unsichtbarkeit der anderen Hälfte bewirkt wird;
deiui diese Aimahme wäre für den Fall der epicyklischeu Bewegung
zu machen. '''''') Aber Ihr vergefst einen anderen Unterschied, der eine
Art von Gegenstück zu dem von Euch hervorgehobenen bildet.
Sagr. Welchen? mir fällt augenblicklich kein anderer ein.
Salv. Es ist der folgende. Wenn die Erde, wie Ihr mit Recht
bemerkt, nur die Hälfte des Mondes erblicken kann, so sieht dafür Die ganze Krde
' . sieht nur die
ieder Teil der Erde den Mond: hingegen kann man nur von der einenfäute des mou-
•' 7 o o (jgg^ „ml nur die
Hälfte des Mondes aus die Erde erblicken. Deim die Bewohner derHauto des Mon-
des siebt die
oberen für ims unsichtbaren Mondhemisphäre — wenn dieser Aus- s^'^^e Krde.
druck gestattet ist — entbehren des Anblicks der Erde-, es sind dies
vielleicht die Antichthonen. ") — Bei dieser Gelegenheit fiillt mir eine
neuerdings von unserem Akademiker am Monde gemachte Beobachtimg
ein, die notwendig zu zwei Folgerungen Anlafs giebt.'''^) Die eine ist
die, dafs wir ein wenig mehr als die Hälfte des Mondes erblicken; die
andere, dafs die Bewegimg des Mondes genauen Bezug zum Mittelpunkt
der Erde hat. Der Vorgang und die Beobachtung bestehen in folgen-
dem. Wenn der Mond eine Korrespondenz und natürliche Sympathie vou der Krde
. aus sielit mau
mit der Erde haben sollte, sodafs er mit irgendeinem ganz bestimmten mehr ais die
' . . HiilftedcsMoud-
Teile seines Körpers gegen sie hingerichtet ist, so miü's notwendig die ^aiis.
gerade Linie, welche die beiden Mittelpmdite verbindet, immer durch
denselben Punkt der Mondoberfläche gehen. Wer somit vom Erd-
mittelpimkte aus den Mond beobachtete, würde immer genau dieselbe
Scheibe erblicken, von stets gleicher Grenze umzogen. Befindet sich
aber jemand auf der Erdoberfläche, so wird der Strahl, der vou seinem
Auge zum Centrum der Mondkugel geht, nicht durcli denselben Punkt
der Mondoberfläche gehen, durch welchen die Verbindungslinie der
70 Dialog über die "Weltsysteme. [75. 76. J
Centreu läuft, es sei deuii der Moud im Zeuitli des Beobachters; wenn
derselbe jedoch im Osten oder Westen steht, liegt auf ihm der Fufs-
punkt der Gesichtslinie über dem Fulspunkte der Centrallinie, und
darum wird ein Teil der Mondkugel gegen den oberen Rand hin sicht-
bar, während ebensoviel vom unteren Teil verschwindet. Ein Teil
wird sichtbar, sage ich, und ein Teil verschwindet, verglichen mit der
Halbkugel, welche man vom Erdmittelpunkte aus erblicken würde.
Da nun der Teil des Mondes, der beim Aufgange sich oben befindet,
beim Untergange unten ist, so wird ein recht deutlicher Unterschied
im Aussehen dieser oberen und unteren Teile sich bemerkbar machen,
indem von den Flecken und den übrigen bemerkenswerten Eigentüm-
lichkeiten dieser Teile einige hervortreten, andere verschwinden. Eine
ähnliche Veränderung müfste man auch am nördlichen und südlichen
Ende derselben Scheibe bemerken, je nachdem der Mond sich in dem
oberen oder unteren Teile seines Drachens befindet. Wenn er nämlich
mehr nach Norden steht, so wird uns ein Teil seines nördlichen Randes
verborgen, und ein Stück am südlichen taucht auf; und ebenso um-
gekehrt. Dafs nun diese Folgen sich thatsächlich einstellen, darüber
Zwei Flecken vergewissert uns das Fernrohr. Es befinden sich zwei besondere Flecke
deren Boobach- auf dem Moudc, vou dcueu der eine, wenn der Mond den Meridian
dafs er bei seinerpassiert, uach Nordwcstcu gcwcndct ist, der andere ihm fast diametral
Bewegung naoli ^ ' ° _
dem Erdmittel- gegenüber lieg't. Der erste ist auch ohne Fernrohr sichtbar, nicht so
punkt hin ge- O o _ ^ . . . . ^
richtet bleibt, ^^y zwcitc. Der gcgcu Nordwcsteu gekehrte ist ein eiförmiges Fleck-
chen, abseits von den anderen ganz grofsen gestellt; der gegenüber-
liegende ist kleiner, gleichfalls von den gröfsten abgesondert und in
sehr hellem Felde gelegen. An diesen beiden nun lassen sich sehr
deutlich die schon genamiten Veränderungen beobachten; sie zeigen
sich abwechselnd bald nahe dem Rande der Mondscheibe, bald soweit
davon entfernt, dafs der Zwischenraum zwischen dem nordwestlichen
und dem Umfange der Scheibe das eine Mal mehr als doppelt so grofs
ist wie das andere Mal. Bei dem anderen Fleck macht besagte
Schwankung, weil er dem Umfange näher steht, von einem Male zum
anderen mehr als das Dreifache aus. Daraus ergiebt sich, dafs der
Mond, wie durch magnetische Kraft gebannt, stets mit seiner einen
Fläche der Erde zugekehrt ist und niemals den Blick von ihr wendet.
Sagr. Wann werden die neuen Beobachtungen und Entdeckimgen
mit diesem wunderbaren Werkzeuge- ein Ende nehmen?
Salv. Wenn die Fortschritte auf diesem Gebiete gleichen Schritt
mit anderen grofsen Erfindungen halten, ist zu hoffen, dafs man im
Verlauf der Zeit dahin gelangt, Dinge zu sehen, die sich unsere
Phantasie vorläufis; nicht ausmalen kann. Um aber zu unserem Gegen-
II
|76. 77.) Erster Tag. 71
stände zurückzukehren, nenne ich als sechste Übereinstimmunc? zwischen sechstens: Erde
' , , " , und Mond be-
Mond und Erde, dafs ebenso wie der Mond einen grofsen Teil der leuchten sich
•' ~ wechselseitig-.
Zeit uns die mangelnde Sonnenbeleuchtung ersetzt und unsere Nächte
durch Zurttckwerfimg des ihm von der Sonne zugesandten Lichtes er-
hellt, so auch die Erde zur Vergeltung durch Reflexion der Sonnen-
strahlen auf ihm, weim er es am nötigsten hat, eine sehr lebhafte
Beleuchtung bewirkt, meiner Meinung nach viel lebhafter als die, welche
wir von ihm erfahren, um soviel lebhafter nämlich als die Oberfläche
der Erde gröfser ist als die des Mondes.
Sagr. Nicht weiter, nicht weiter, Signore Salviati! Göiuit mir
die Freude, Euch zu zeigen, wie ich nach dieser ersten Andeutung die
Ursache einer Erscheinung begrifl'en habe, über die ich tausendmal
nachgedacht habe, ohne sie begreifen zu kömieu. Ihr wollt sagen,Die Erde reflek-
dafs ein eigentümliches zerstreutes Licht auf dem Monde, namentlich dem Monde.
wenn er die Sichelform hat, von der Reflexion des Sonnenlichtes an
der Erde und dem Meere herrührt ''^)-, und dieses Licht ist um so
heller, je schmäler die Sichel ist, weil alsdann der beleuchtete Teil
der Erde, welcher vom Monde aus gesehen werden kann, nach dem
eben Bewiesenen gröfser ist. Der beleuchtete Teil der Erde, soweit
er dem Monde sichtbar ist, ist nämlich so grofs als der dunkle Teil
des Mondes, der gegen die Erde gerichtet ist. Wenn also der Mond
eine schmale Sichel bildet und folglich der finstere Teil grofs ist, so
ist auch der vom Monde aus sichtbare beleuchtete Teil der Erde grofs
und um so wirkungsvoller die Reflexion des Lichtes.
Salv. Genau das wollte ich sagen. Wirklich, es ist ein hoher
Genufs, mit urteilsfähigen Leuten von guter Fassmigsgabe zu sprechen,
namentlich wemi man zwischen gegenüberstehenden Wahrscheinlich-
keiten schwankt und eine Entsdieidung sucht. Ich habe öfters mit
so harten Köpfen zu thmi gehabt, dafs, wenn ich zum tausendsten Male
ihnen das von Euch selber so rasch Begriftene auseinandergesetzt habe,
sie es noch immer nicht verstanden.
Simpl. Wenn Ihr damit sagen wollt, dafs Ihr ihnen das Ver-
ständnis dessen, was Ihr meint, nicht habt beibringen können, so
wundere ich mich sehr und bin sicher, dafs, wer es bei Euerer Er-
klärimg nicht versteht, es schwerlich bei einer anderen verstehen wird:
denn Euere Ausdrucksweise scheint mir aufserordentlich klar. Meint
Ihr aber, Ihr hättet sie nicht zu Euerer Überzeugung umgestimmt,
so wundert mich das gar nicht; denn ich selbst gestehe zu denen zu
gehören, die Euere Auseinandersetzimg verstehen, sie aber nicht
billigen. Es verbleiben mir vielmehr sowohl hierbei, als teilweise
bei den übrigen sechs Ähnlichkeiten vielerlei Bedenken, welche ich
72 Dialog über die Weltsysteme. [77. 78 ]
vorbriugeu werde ^ sobald Ihr mit Euerer Aufzählung ganz zu Ende
sein werdet.
Salv. Der Wunsch, der mich beseelt, einer Wahrheit auf die
Spur zu kommen, wobei mir die Einwürfe verständiger Menschen, wie
Ihr es seid, sehr förderlich sein können, wird mich sehr kurz sein
lassen in dem, was noch erübrigt. Mag daher als siebente Überein-
siebenteiis: Erdestimmung gelten, dafs sich beide ebensosehr die gegenseitigen Unbil-
und MoEd ver- » ^ \ , . -. , .
finstern sich (|eu Vergelten, wie die erwieseneu Fremidlichkeiten: so kommt es, dafs
wechselseitig. o / i ^ /
der Mond, der recht oft in dem vollsten Glänze seiner Beleuchtung
durch das Dazwischentreten der Erde zwischen ihn und die Sonne des
Lichtes beraubt und verfinstert wird, nun auch seinerseits aus Rache
sich zwischen Erde imd Sonne stellt und mit seinem Schatten die
Erde verdunkelt. Obgleich zwar die Genugthuung die Beleidigung
nicht aufwiegt — denn der Mond wird recht oft und sogar recht lange
Zeit völlig umnachtet von dem Erdschatten, niemals aber ist die ganze
Erde und niemals ist sie für sehr lange von dem Monde verfinstert
— so kann man dennoch nicht umhin, in Anbetracht der Kleinheit
des Mondes verglichen mit der Gröfse der Erde, gewissermafsen die
Tapferkeit seiner Gesinnimg anzuerkennen. Soweit die Ähnlichkeiten;
es käme jetzt die Reihe an die Unterschiede. Da aber Signore Simplicio
uns seine Bedenken gegen jene vorzuführen die Güte haben will, so
wird es zweckmäfsig sein, diese zuerst zu hören und zu erwägen, bevor
wir weiter gehen.
Sagr. Ja; denn vermutlich wird Signore Simplicio betrefis der
Abweichungen imd Unterschiede zwischen der Erde und dem Monde
weniger heikel sein, da er ihre Substanz für so völlig verschieden hält.
Simpl. Von den Euererseits angeführten Übereinstimmungen, die
Ihr bei dem Vergleich zwischen Erdft und Mond hervorhebt, kami ich
nur die erste und zwei andere mibeanstandet lassen. Ich gebe die
erste zu, nämlich die Kugelgestalt, obgleich auch hierbei ein Haken
ist, da ich glaube, dafs die Kugel des Mondes völlig glatt und Avie
ein Spiegel geschliffen ist, während die Erdkugel, wie wir mit Händen
greifen können, ganz rauh und uneben ist. Was jedoch diese Uneben-
heiten der Oberfläche anlangt, so wird das bei einer anderen der von
Euch aufgezählten Ähnlichkeiten in Betracht gezogen; ich behalte mir
daher vor, darüber meine Meinung zu änfeern, wenn auf diese die
Rede kommt. Dafs der Mond sodann, wie Ihr als zweite Überein-
stimmung anführt, undurchsichtig und an und für sich dunkel sei wie
die Erde, gebe ich nur bezüglich der Undurchsichtigkeit zu, worüber
mir die Sonnenfinsternisse Gewifsheit geben. Wäre nämlich der Mond
durchsichtig, so würde der Himmel bei einer totalen Sonnenfinsternis
[78. 79.] Erster Tag. 73
iiiclit so dunkel werden, wie er es tliat.süclilicli wird; es würde viel-
mehr infolge der Durchsichtigkeit des Mondkörpers ein gebrochenes
Licht durch ihn herabstrahlen, wie wir es bei sehr dichten Wolken
])eobachten. Die Frage der Dunkelheit hingegen anlangend, so glaube
ich nicht, dafs der Mond ganz und gar der Leuchtkraft ermangelt wie die
Erde: vielmehr ist meines Dafürhaltens iene Helligkeit, welche man sekundäres
J o 7^ Licht ist das
aufserhalb der schmalen, von der Sonne beleuchteten Sichel an demeigene Licht des
. . . . . Mondes.
Übrigen Teile der Scheibe bemerkt, sein eigenes natürliches Licht und
nicht ein Reflex der Erde: diese halte ich wegen ihrer aulserordent- »ie Erde un-
' '^ fähig die Sonnen-
lichen Rauhigkeit und Dunkelheit für unfähig, die Soiuienstrahlen zu «t'^ä^Jen zu re-
o "' flektieren.
reflektieren. Bei der dritten Parallele stimme ich teilweise mit Euch
überein, teilweise bin ich anderer Meinung. Ich bin damit einver-
standen, dal's man den Körper des Mondes für sehr fest und hart wie
den der Erde zu halten habe, ja für noch weit härter. Denn wenn
wir dem Aristoteles entnehmen, der Himmel sei von undurchdring- Himmeissub-
. . . . . • 1 •■ i\ stanz undurch-
licher Härte und die Gestirne die dichtesten Teile des Himmels ' ), so dringlich nach
^[ Aristoteles.
ist wohl notwendig, dal's sie höchst fest und völlig midurchdring-
lich sind.
Sagr. Wenn man doch ein so hartes und durchsichtiges Bau-
material für Paläste auftreiben kömite, wie es dieser Himmelsstofl^ ist,
wie herrlich wäre das!
Salv. Im Gegenteil, es wäre sehr ungeeignet; denn da die Himmels-
substanz ihrer vollkommenen Durchsichtigkeit wegen ganz und gar
unsichtbar ist, so würde man stets in der gröfsten Gefahr schweben,
gegen die Pfosten zu stofsen und sich den Schädel zu zertrümmern,
wenn man sich durch die Zimmer bewegt.
Sagr. Dieser Gefahr würde man doch nicht ausgesetzt sein, wenn
es wahr ist, was einige Peripatetiter versichern, dafs sie unberührbar HimmeisBub-
^ o r 7 stanz unberühr-
sei; wenn mau sie nicht einmal berühren kann, so kami man noch »'»r.
weniger gegen sie anstofsen.
Salv. Dies würde die Sache nicht bessern; demi mag auch die
himmlische Substanz nicht berührt werden kömien, weil sie aller greif-
baren Eigentümlichkeiten ermangelt, so kami doch umgekehrt sie die
elementaren Körper berühren; und um uns zu verletzen, kommt es
auf dasselbe hinaus, wemi sie auf uns stöfst; ja es ist noch schlim-
mer, als wemi Avir gegen sie stiefsen. Aber lassen wir diese Paläste
oder richtiger diese Luftschlösser, und halten wir Signore Simplicio
nicht auf.
Simpl. Die Frage, die Ihr da beiläufig aufgeworfen habt, ]>ildet
ein schwieriges Kapitel der Philosophie und ich kenne darüber sehr
schöne Gedanken eines hervorragenden Professors von Padua"'); es ist
keit.
74 Dialog über die Weltsysteme. [79. 80.]
aber hier iiiclit der Ort darauf eiuzugelieu. Um also wieder zur Sache
zu kommen, entgegne ich, dafs meiner Meinung nach der Mond sehr
fest ist, fester als die Erde; ich schliefse dies aber nicht mit Euch
aus der Rauheit und Unebenheit seiner Oberfläche, sondern gerade um-
gekehrt daraus, dafs er, gleich unseren härtesten Edelsteinen, fähig
Mondoberfläche ist, eine Glätte und einen Glanz anzunehmen, wie sie der bestgeschliffene
glatter wie ein . . . p • r\
Spiegel, bpiegel nicht besitzt; denn derartig mufs seine Oberfläche beschafli'en
sein, um uns eine so lebhafte Reflexion der Sonnenstrahlen zukommen
zu lassen. Jene Erscheinungen sodann, die Ihr Berge, Klippen, Dämme,
Thäler u. s. w. nennt, sind alles Täuschungen. Ich bin bei öffent-
lichen Disputationen zugegen gewesen, wo geradezu gegen solche
Krhöhuugen undjjeuerer angeführt wurde, dafs derlei Erscheinungen nur von dem
Vertiefungen . ...
auf dem Monde cfröfseren oder g;erino;eren Grade der Durchsichtigkeit der einzelnen
sind Tau- o o o O
^'^vorgeTuf^" ^®^^® herrühren, aus welchen innen und aufsen der Mond zusammen-
"^Tchiedene^ir S^^®^^^ ist. ^-) Ahnlichcs sehen wir oft beim Glase, beim Bernstein und
Dur'ifhsichug- ^^ßi vielen gutgeschliffenen Edelsteinen, bei welchen durch die Undurcli-
sichtigkeit einiger Teile und die Durchsichtigkeit anderer scheinbare
Vertiefungen imd Erhöhungen auf denselben wahrzunehmen sind. Bei
dem vierten Punkte gebe ich zu, dafs die Oberfläche des Erdballs von
weitem gesehen zweierlei Eindrücke hervorruft, ich glaube aber, dafs
dieselben gerade entgegengesetzt den von Euch namhaft gemachten
sind; meiner Meinung nach würde nämlich die Oberfläche des Wassers
glänzend erscheinen, weil sie glatt und durchsichtig ist, die der Erde
hingegen würde sich dunkel ausnehmen wegen ihrer Undurchsichtig-
keit und Rauheit, die sie für die Reflexion des Sonnenlichtes wenig
geeignet machen. Die fünfte Verwandtschaft anlangend, so gebe ich
sie vollständig zu und begreife, dafs, wenn die Erde gleich dem Monde
glänzte, sie demjenigen, der sie von dort oben aus betrachtete, unter
Formen erscheinen würde, ähnlich denen, welche wir am Monde er-
blicken; ich begreife auch, wieso die Periode ihrer Beleuchtung und
ihres Formenwechsels einen Monat betragen müfste, obgleich die Sonne
sie allseitig innerhalb 24 Stunden bestrahlt. Schliefslich habe ich
nichts gegen die Behauptung einzuwenden, dafs blofs der halbe Mond
die ganze Erde zu Gesicht bekommt, während die ganze Erde blofs
die Hälfte des Mondes erblickt. Im übrigen halte ich es für grund-
falsch, dafs der Mond Licht von der Erde empfangen kann, die stock-
flnster ist, imdurchsichtig und völlig aufser stände, Sonnenlicht zurück-
zuwerfen, während der Mond solches allerdings zu uns zurückwirft.
Wie gesagt, halte ich das Licht, welches man auf der übrigen Mond-
fläche aufserhalb der durch Somienlicht glänzend erhellten Hörner
wahrnimmt, für das dem Monde eigentümliche und natürliche Licht;
[80. 81.] Erster Tag. 75
es müfste sonderbar zugehen, wenn uiicb jemand zu anderer Meinung
brächte. Der siebente Punkt, die wechselseitigen Verfinsterungen,
mag auch zugegeben werden, wiewohl man eigentlich Somienfinster-
nisse zu nennen pflegt, was Ihr Erdfinsternisse nennen möchtet. Das
wäre etwa, was mir vorläufig als Entgegnung gegen Euere sieben
Übereinstimmungen in den Sinn kommt. Wenn es Euch beliebt auf"
diese Einwände etwas zu erwidern, so werde ich es gerne hören.
Salv. Wenn ich Euere Antwort recht verstanden habe, so sind,
wie mir scheint, zwischen Euch und uns noch einige Eigenschaften
sti'eitig, die ich der Erde und dem Monde gemeinsam beigelegt habe;
es sind dies die folgenden. Ihr haltet den Mond für glatt und eben
wie einen Si^iegel und aus diesem Grunde für geeignet, das Somieu-
licht zu uns zurückzuwerfen, die Erde im Gegenteil, ihrer Rauheit
wegen, für unfähig zu einer solchen Refiexion. Ihr gebt zu, der Mond
bestehe aus fester harter Masse und folgert dies aus seiner Politur
und Glätte und nicht aus seiner gebirgigen Beschaffenheit 5 als Grund
der scheinbaren Gebirgigkeit betrachtet Ihr die gröfsere oder geringere
Undurchsichtigkeit oder Durchsichtigkeit seiner Teile. Schliefslich
haltet Ihr jenes sekundäre Licht für das eigene Licht des Mondes und
glaubt nicht, dafs es von der Erde reflektiert sei. Ich habe wenig
Hoffnimg, Euch den Irrtum zu benehmen, dafs die Reflexion am Monde
mit der eines Spiegels zu vergleichen sei, da ich sehe, dafs die hierauf
bezüglichen Stellen des „Goldwägers" und der „Briefe über die Sonne''
unseres gemeinsamen Fremides an Euerer Meinung nichts geändert
haben, wenn Ihr anders aufmerksam gelesen, was über diesen Gegen-
stand darin steht. ^^)
Simpl. Ich habe es nur ganz obenhin überflogen, weil mir wich-
tigere Studien so wenig Zeit übrig lassen. Wemi Ihr aber einige
dieser Gründe wiederholen AvoUt oder andere anführen und dadurch
meine Bedenken zu überwinden hofi't, will ich sie aufmerksauier mit-
anhören.
Salv. Ich werde angeben, was mir augenblicklich gerade beitallt;
möglicherweise ist es eine Mischung meiner eigenen (bedanken und
dessen, was ich in genannten Büchern gelesen habe. Ich liin durch
sie, wie ich mich sehr wohl eriimere, völlig überzeugt worden, wie-
wohl die Schlüsse beim ersten Blick mir sehr paradox vorkamen. AV^ir
wollen feststellen, Signore Simplicio, ob, um eine Reflexion des Lichtes
zu bewirken ähnlich derjenigen des Mondes, notwendig die reflektierende
Oberfläche glatt und eben wie ein Spiegel sein mufs, oder ob zu diesem
Zwecke eine nicht glatte mid ebene, sondern rauhe luid imebene Fläche
geeigneter sei. Wemi nun zwei verschiedene Reflexe von zwei uns
76 Dialog über die Weltsysteme. [81. 82.]
gegenüberliegenden Flächen zu uns gelangten, wovon der eine glänzen-
der, der andere weniger glänzend ist, welche der beiden Flächen, glaubt
Ihr, erscheint unseren Augen heller und welche dunkler?
Slmpl. Ohne Zweifel würde meiner Meinung nach diejenige
heller erscheinen, welche mir lebhafteres Licht zusendet, die andere
hingegen dunkler.
Salv. Habt nun die Güte und nehmt den Ö^^iegel, der dort an
der Wand hängt und lafst uns hinaus in den Hof gehen. Kommt,
Btweis,''darsfie^^giiore Sagrcdo ! Hängt den Spiegel dort an die Mauer, wo die Sonne
^°"/a°u'h 'i^t!''*' l^"i scheint. Entfernen wir uns jetzt und ziehen uns in den Schatten
zurück. Hier haht Ihr nun zwei vom Sonnenlicht getroffene Flächen,
die Mauer und den Spiegel. Sagt mir mm, welche erscheint Euch
heller, die Mauer oder der Spiegel? Ihr antwortet nicht?
Sagr. Signore Simplicio mag antworten, er hat den Einwand ge-
macht; was mich nämlich betrifft, so bin ich durch diesen ersten An-
fang des Versuchs überzeugt, dafs notwendigerweise die Oberfläche des
Mondes von unvollkommener Glätte sein mufs.
Salv. Sagt, Signore Simplicio, sobald Ihr diese Mauer mit dem
daran befestigten Spiegel zu malen hättet, würdet Ihr dunklere Farben
benutzen, Avemi Ihr die Mauer oder wemi Ihr den Spiegel malt?
Slmpl. Sehr viel dunklere, wenn ich den Spiegel male.
Salv. Wenn nun an der Oberfläche^ die sich heller ausnimmt,
die Reflexion des Lichtes kräftiger ist, so mufs die Mauer die Sonnen-
strahlen kräftiger zurückwerfen als der Spiegel.
Simpl. Sehr schön, mein lieber Herr! Habt Ihr keine besseren
Versuche als diese? Ihr habt mis auf einen Fleck gestellt, wohin der
Reflex des Spiegels nicht fallt. Aber kommt nur mit mir ein wenig
mehr herüber; nun, so kommt doch!
Sagr. Sucht Ihr vielleicht die Stelle, wohin der Spiegel seineu
Reflex wirft?
Simpl. Ja, mein Herr.
Sagr. 0, seht ihn dort an der gegenüberliegenden Mauer; er ist
gerade so grofs, wie der Spiegel uiul fast so hell, wie wenn die Sonne
unmittelbar hinschiene.
Simpl. Kommt also hierher und betrachtet die Oberfläche des
Spiegels von da aus; wagt dami noch immer zu behaupten, sie sei
dunkler als die der Mauer.
Sagr. Betrachtet sie nur selber, ich habe vorläufig keine Lust
mich blind zu machen; ich w^eifs sehr wohl, ohne sie zu betrachten,
dafs ihre Helligkeit an Intensität der Sonne gleichkommt oder wenig
nachsteht.
[82. 83.] Erster Tag. 77
Simpl. Wie könnt Ihr also sagen, der Reflex an einem Spiegel
sei weniger lebhaft, als der an einer Mauer? Ich sehe, dafs an der
Mauer drüben, wohin sowohl der Reflex der anderen beleuchteten
Wand als der des Spiegels gelangt, dieser weit heller ist als jener;
ebenso sehe ich, dafs der Spiegel selbst von hier aus mir heller er-
scheint als die Mauer.
Salv. Euer Scharfsinn ist mir zuvorgekommen; denn gerade dieser
Beobachtung bedurfte ich zur Erklärung dessen, was noch fehlt. Ihr
bemerkt also den Unterschied, der zwischen den beiden Reflexen an
der Fläche der Mauer imd an der des Spiegels stattfindet, wiewohl
beide genau in der gleichen Weise von den Sonnenstrahlen getroffen
werden. Ihr seht, dafs der von der Mauer herrührende Reflex sich
nach allen gegenüberliegenden Punkten ausbreitet, der des Spiegels
hingegen blofs nach einer Richtung hin stattfindet, so dafs nur ein
Flächenstück von der Gröfse des Spiegels selbst durch ihn beleuchtet
wird. Ebenso seht Ihr, wie die Fläche der Mauer, von einem beliebigen
Orte aus betrachtet, in ihrer Helligkeit sich gleich bleibt, und zwar
überall sehr viel heller erscheint als die Fläche des Spiegels, mit Aus-
nahme der einzigen kleineu Stelle, wohin der Reflex des Spiegels ge-
langt; von dort aus nämlich erscheint allerdings der Spiegel viel heller
als die Mauer. Mittels dieser sinnlich so leicht wahrnehmbaren und
greifbaren Versuche kann man sich, wie mir scheint, mit Leichtig-
keit Gewifsheit verschaffen, ob das vom Monde zu uns gelaugende
reflektierte Licht wie von einem Spiegel oder wie von einer Mauer
zurückgeworfen wird, d. h. von einer glatten Fläche oder von einer
rauhen.
Sagr. Wenn ich auf dem Monde selber wäre, so könnte ich
schwerlich noch deutlicher die Rauheit seiner Oberfläche mit Händen
greifen, als sie mir jetzt infolge unserer LTntersuchung zum Bewufst-
sein kommt. In jeder beliebigen Stellung zur Sonne und zu uns be-
trachtet, zeigt uns der Mond seine von der Sonne getroffene Oberfläche
stets gleich hell, eine Erscheinimg, die aufs Haar dem entspricht, was
die Mauer zeigte, die von jeder beliebigen Stelle aus gesehen, gleich
hell erscheint, ganz anders als bei dem Spiegel, der nur von einer
Stelle aus glänzend hell sich zeigt, von jeder anderen aber dunkel.
Ferner ist das Licht, das vermöge der Reflexion an der Mauer zu mir
gelangt, erträglich und schwach im Vergleich zu dem äufserst grellen
und blendenden des Spiegels, das fast dem ursprünglichen und direkten
»Sonnenlichte gleichkommt. So kömien wir demi auch ohne uniuige-
nt^hme Empfindung das Antlitz des Mondes betrachten, während bei
der Annahme, dafs er eine spiegelnde Ober Hache besitze, die noch
78 Dialog liier die Weltsysteme. [83. 84.]
dazu ihrer Nähe wegen dieselbe scheinbare Gröfse hat wie die Sonne,
sein Glanz unerträglich wäre; wir würden fast glauben eine zweite
Sonne vor uns zu haben.
Salv. Bitte, Signore Sagredo, folgert aus meiner Beweisführung
nicht mehr, als sich daraus folgern läfst. Ich will Euch einen Ein-
wand machen, der nicht so leicht zu widerlegen sein dürfte. Ihr be-
trachtet als Hauptunterschied zwischen dem Monde und dem Spiegel,
dafs jener das Licht nach allen Seiten gleichmäfsig reflektiert, wie die
Ebene Spiegel Maucr, der Spiegel hingegen blofs nach einem bestimmten Orte hin.
flex nach biof=l]2r folgert daraus, der Mond sei der Mauer ähnlich, nicht dem Spiegel.
einer Stelle, ^ / . . . ' . r o
sphärische Darauf entgegne ich, der Spiegel wirft seinen Widerschein darum blofs
überallhin. . . /
nach einem Orte hin, weil seine Oberfläche eben ist. Da nun die Re-
flexion der Strahlen unter demselben Winkel erfolgt wie das Einfallen,
so müssen allerdings diese notwendig vereint nach derselben Stelle
hin geworfen werden. Die Mondoberfläche ist aber nicht eben, son-
dern kugelförmig, die auf eine solche Fläche treffenden Strahlen werden
gemäfs dem Gesetze von der Gleichheit des Einfalls- und Reflexions-
winkels nach allen Seiten hin zurückgeworfen wegen der nach unend-
lich vielen Richtungen geneigten Oberflächenteilchen der Kugel; also
kann der Mond das reflektierte Licht überallhin entsenden und ist nicht
genötigt es nur an eine einzige Stelle zu werfen wie jener Spiegel,
der eben ist.
Simpl. Das ist gerade eine der Einwendungen, die ich dagegen
erheben wollte.
Sagr. Da es eine ist, so müfst Ihr noch mehrere in Bereitschaft
haben; nennt sie also, denn diese erste spricht meiner Meinung nach
eher gegen als für Euch.
Simpl. Ihr habt als etwas Selbstverständliches hingestellt, dafs
der Reflex an dieser Mauer so hell und leuchtend sei wie der vom
Monde zu uns gelangende; ich halte ihn für verschwindend im Ver-
Die wirkungs- gleich mit diesem. „Denn bei dieser Frage der Beleuchtung mufs
Himmelskörper „man bchutsam sein und die Wirkungssphäre unterscheiden. Und wer
gröfser als die ' ....
der eieraentaren.^^wollte zweifclu, dafs die himmlischen Körper eine grölsere Wirkungs-
„sphäre haben als unsere irdischen, die so hinfällig und vergänglich
„sind? Was ist schliefslich diese Mauer Anderes als ein wenig dunkle
„Erde, mifähig Licht auszustrahlen?"^^)
Sagr. Auch hierin irrt Ihr Euch sehr, glaube ich. Ich gehe aber
auf den ersten von Signore Salviati erhobenen Einwand ein. Ich über-
lege mir, dafs es nicht ausreichend ist, um einen Körper sichtbar zu
machen, wenn die Strahlen des leuchtenden Körpers auf ihn fallen;
es müssen auch die reflektierten Strahlen in unser Auge gelangen, wie
[84. 85.1 P^'stev Tag. 79
sicli deutlicli an dein Beispiel jenes Spiegels zeigt. Unzweifelhaft treffen
ihn die Lichtstrahlen der Sonne; trotzdem erscheint er uns nur hell
und erleuchtet, sobald wir das Auge an einen ganz bestimmten Ort
bringen, nach welchem hin die Reflexion stattfindet. Überlegen wir
uns jetzt, was eintreten würde, Avenn der Spiegel kugelförmig gekrümmt
wäre. Unfehlbar werden wir finden, dafs von dem Reflex, der von der
ganzen beleuchteten Fläche ausgeht, nur ein ganz kleiner Teil in. das
Auge eines einzelnen Beobachters gelangt, weil nur ein winziges Teil-
chen der Gesamtoberfläche der Kugel diejenige Lage hat, welche den
Strahl gerade dem Orte des Auges zusendet. Es ist daher nur ein
ganz kleiner Teil der Kugelfläche, der dem Auge glänzend erscheint,
während alles Übrige sich dunkel ausnimmt. Wenn also der Mond
U'latt wie ein Spiegel wäre, so würde nur ein ganz kleiner Teil sich wenn der Mond
» . . einem sphäri-
den Augen eines einzelnen Beobachters von der Sonne beleuchtet zeigen, fpben spiegei
ö D 7 gliche, wUre er
trotzdem eine vollständige Halbkugel den Sonnenstrahlen ausgesetzt ""Sichtbar.
wäre; der Rest wäre für das Auge des Beschauers so gut wie unbe-
leuchtet, also unsichtbar; schliefslich überhaupt der ganze Mond un-
sichtbar, da jenes Teilchen, von dem der Reflex herrührt, wegen seiner
Kleinheit und grofsen Entfernung sich der Wahrnehmung entziehen
würde. Und wie er selbst unsichtbar bliebe, würde auch die von ihm
herrührende Beleuchtung verschwindend sein; denn es ist doch wohl
unmöglich, dafs ein leuchtender Körper durch seinen Glanz unsere
Dunkelheit erhellt, ohne dafs wir ihn sähen.
Salv. Haltet, bitte, ein, Signore Sagredo; denn der Gesichtsaus-
druck und die Gesten des Signore Simplicio verraten mir, dafs er ent-
weder nicht recht versteht, was Ihr vollkommen klar und durchaus
richtig bemerkt habt, oder es doch nicht billigt. Es fällt mir jedoch
eben ein, wie ihm durch einen anderen Versuch jeder Zweifel be-
nommen werden kann. Oben habe ich in einem Euerer Zimmer einen
grofsen Kugelspiegel gesehen; lassen wir ihn hierher schaffen und
während er gebracht wird, mag Signore Simplicio noch einmal erwägen,
wie grofs die Helligkeit ist, die hier an der Wand unter dem Balkon
von dem Reflex des ebenen Spiegels herrührt.
Simpl. Ich sehe, dafs sie nicht viel geringer ist, als wenn die
Sonne unmittelbar hinschiene.
Salv. So ist es in der That. Nun sagt mir, wenn wir den kleinen
ebenen Spiegel wegnehmen und an seine Stelle den grofsen sphärischen
setzen, welche Wirkung glaubt Ihr, werde sein Reflex au der näm-
lichen Wand hervorbringen?
Simpl. Ich glaube, er wird eine weit stärkere und ausgielugere
Beleuchtinig hervorbringen.
80 Dialog über die Weltsysteme. [86. 87.]
Salv. Wenn aber keine Beleuchtimg stattfindet oder eine so
geringe^ dafs Ihr sie kaum bemerkt, was werdet Ihr dann sagen?
Simpl. Wenn ich die Wirkung gesehen habe, werde ich über
die Antwort nachdenken.
Salv. Hier ist der Spiegel, den ich neben den anderen zu stellen
bitte. Zunächst aber betrachten wir den durch den ebenen Spiegel
hervorgebrachten Kefiex aus der Nähe; achtet sorgfältig auf seine
Helligkeit; seht wie hell es dort ist, wo er hinfällt imd wie deutlich
alle jene Details der Mauer zu sehen sind.
Simpl. Ich habe mir es genau angesehen; lafst jetzt den anderen
Spiegel neben den ersten stellen.
Salv. Er befindet sich bereits da. — Er wurde hingestellt, als
Ihr eben die Details der Mauer zu betrachten anfingt, und Ihr habt
nichts davon bemerkt, so gewaltig hat die Helligkeit der übrigen
Wand zugenommen. Jetzt mag der ebene Spiegel entfernt werden.
Da seht Ihr jeden Reflex verschwunden, wiewohl der grofse Konvex-
spiegel geblieben ist. Entfernt auch diesen und bringt ihn wieder
her, so viel Ihr Lust habt, Ihr werdet keine Veränderung des Lichtes
an der Mauer wahrnehmen. Hier habt Ihr also einen sinneufälligen
Beweis, dafs der Reflex der Sonne an einem konvexen Kugelspiegel zur
Beleuchtung der Umgebung nicht merklich beiträgt. Was habt Ihr
nun darauf zu erwidern?
Simpl. Ich fürchte, dafs hier etwas nicht mit rechten Dingen
zugeht; ich bemerke doch, wenn ich in den Spiegel sehe, einen leb-
haften blendenden Glanz; und, was besonders ins Gewicht fällt, ich
erblicke ihn überall, von wo aus ich hineinsehen mag. Ich sehe, wie
er seine Stelle auf der Oberfläche wechselt, je nachdem ich meinen
Staudort hier oder dort eimiehme, ein zwingender Beweisgrund, dafs
das Licht sehr lebhaft nach allen Seiten reflektiert wird luid folglich
auch ebenso kräftig nach dieser Wand, wie nach meinem Auge.
Salv. Daraus könnt Ihr ersehen, wie vorsichtig und bedachtsam
man sein mufs, ehe man den Ergebnissen blofser Spekulation seine
Zustimmung erteilt. Unzweifelhaft klingt das, was Ihr sagt, sehr ein-
leuchtend; deimoch beweist Euch der sinnliche Versuch das Gegenteil.
Simpl. Wie geht das denn aber zu?
Salv. Ich will Euch meine Ansicht mitteilen, die Euch allerdings
vielleicht nicht völlig befriedigt. Erstlich: die so lebhaft glänzende
Stelle, die Ihr am Spiegel bemerkt und die scheinbar eine ansehnliche
Ausdehnung auf ihn besitzt, ist bei weitem nicht so grofs, sondern
im Gegenteil winzig klein. Die Lebhaftigkeit des Glanzes aber ver-
ursacht in Euerem Auge infolge der Reflexion an der Feuchtigkeit der
[87. 88.] Erster Tag. 81
Liderriinder, die sich auch über die Pupille hin fortsetzt, eiue uach-
trägliche Irradiation'^), ähnlich dem Strahlenkranze, welcher eine ent-
fernte Kerzenflamnie zu umgeben scheint-, oder sie läfst sich vergleichen
mit dem Glänze, der scheinbar rings um einen Stern vorhanden ist.
Wenn Ihr z. B. das kleine Pünktchen des Sirius bei Tag mit dem
Fernrohr betrachtet, wo es sich ohne Irradiation zeigt, und es vergleicht
mit dem Bilde, welches das unbewaffnete Auge nachts davon empfängt,
werdet Ihr ohne ieden Zweifel einsehen, dafs der umstrahlte Stern P."^'^^ '^'%^C"1:'
J " Qiatiou erfahrt
mehr als tausendmal gröfser erscheint als der nackte wirkliche Kern.gt^//jj^|[°g'\^Jy.
Einen ähnlichen oder noch gröfseren Zuwachs erfahrt das Sonnen-gci,e^nb«e^ver-
bildchen, das Ihr in jenem Spiegel seht; ich sage einen noch gröfseren, ^'^"''^^'■'^^s-
weil es lebhafteren Glanz besitzt als ein Stern, wie daraus hervorgeht,
dafs man beim Anblick des Sternes bei weitem nicht so geblendet
wird, wie durch den Reflex des Spiegels. Der Widerschein also, der
sich über die ganze Wand zu verteilen hat, rührt von einem kleinen
Teile jenes Spiegels her; der vorhin von dem ebenen Spiegel verur-
sachte verteilte und beschränkte sich auf einen ganz kleinen Teil der-
selben Mauer. Was Wunder also, wenn der erste Reflex sehr lebhafte
Beleuchtung hervorbringt, jener andere aber fast unmerklich bleibt?
Simpl. Ich befinde mich in gröf serer Verlegenheit als je zuvor;
nun kommt noch die andere Schwierigkeit hinzu, wie es möglich ist,
dafs diese Mauer, welche aus so dunkelem Stoße besteht und eine so
rauhe Oberfläche besitzt, das Licht kräftiger und lebhafter zurückwirft,
als ein gut geschliffener und polierter Spiegel.
Salv. Lebhafter nein, wohl aber über ein gröfseres Gebiet hin;
denn was die Lebhaftigkeit anlangt, so seht Ihr, dafs der Reflex dieses
ebenen Spiegelcheus , avo er unter dem Balkon auftrifft, eine kräftige
Beleuchtung bewirkt; die übrigen Teile der Wand aber sind dem
Reflex der Mauer ausgesetzt, woran der Spiegel befestigt ist, und sind
daher lange nicht so hell wie der kleine vom Reflex des Spiegels ge-
troffene Fleck. Wenn Ihr die Sache von Grund aus verstehen wollt,
so überlegt folgendes: die Rauheit der Mauer besteht darin, dafs sie^.' y"^^ ^^^^_"
aus unzähligen äufserst kleinen Flächenteilchen zusammengesetzt ist,^^^^^"*^^^^!';'!!^,,
die nach imzählig verschiedenen Richtungen gewendet sind; darunter ^gh'tbar^a^is das
sind notwendig viele, welche die reflektierten Strahlen nach dieser i^iJ°p" r'^^""fleV-
Richtung, und viele, welche sie nach einer anderen Richtung zurück- Klärung' dafür,
werfen: kurz es giebt keine Stelle, an welche nicht eine Menge von
Strahlen gelangten und zwar durch Reflexion an einer Menge kleiner
Flächen, welche über die gesamte Oberfläche des rauhen, von den
Lichtstrahlen getroftenen Körpers zerstreut sind. Daraus folgt not-
wendig, dai's jeder beliebige Teil irgend einer Fläche, die der unmittel-
Ualim'.i, Weltsysteme. 6
82 Dialog über die Weltsysteme. [88. 89.]
bar beleuchteten gegenüberliegt, reflektiertes Licht empfangt und
folglich hell erscheint. Es folgt ferner, dafs der Körper selbst, auf
welchen die beleuchtenden Strahlen fallen, von beliebigem Orte be-
trachtet, ganz erleuchtet und hell erscheinen mufs. Daher sendet der
Mond, weil er eine rauhe, keine glatte Oberfläche besitzt, das Soinien-
liclit nach allen Richtungen und zeigt sich allen Beschauern gleich-
wenn der Mondmäfsig hell. Demi wcmi seine sphärische Oberfläche noch obendrein
wäre, würde er bhiuk wie ciu Spicgel wäre, würde sie völlig unsichtbar bleiben, inso-
uiisichtbarsein. i D 7 . , .
fern der ganz kleme Teil, durch dessen Reflex ein Sonnenbildchen
entstehen könnte, dem Auge des Beobachters wegen der grofsen Ent-
fernung unsichtbar bliebe, wie gesagt.
Simpl. Ich verstehe Euere Darlegung sehr wohl; deimoch glaube
ich sie mit geringer Mühe widerlegen und die Behauptung aufrecht
erhalten zu können, dafs der Mond rund, völlig glatt ist, und uns das
Sonnenlicht nach Art eines Spiegels zusendet. Man braucht darum
keineswegs das Bild der Sonne in ihm wahrzunehmen; denn „nicht
„durch die Form der Sonne selbst ist es möglich, in so grofser Ent-
„fernung die kleine Gestalt der Sonne zu erblicken, sondern es wird
„vermöge des von der Sonne hervorgebrachten Lichtes die Beleuchtung
„des ganzen Mondballs von uns wahrgenommen. Etwas Ahnliches
„können wir an einer wohlpolierten vergoldeten Platte sehen, welche,
„von den Strahlen eines leuchtenden Körpers getroff'en, über und über
„glänzend erscheint; erst aus der Nähe gesehen, bemerkt inan in der
„Mitte das kleine Bild der Lichtquelle."^«)
Salv. Indem ich gerne meine Unfähigkeit eingestehe, erkläre ich,
dafs ich von Euerer Darlegung nichts verstanden habe als das von
der vergoldeten Platte. Wenn ich mit Euerer Erlaubnis ofifen reden
darf, so neige ich sehr zu der Meinung, dafs Ihr selbst sie nicht ver-
steht, sondern diese Sätze auswendig behalten habt, die aus Wider-
spruchsgeist von jemand niedergeschrieben worden sind, der sich seinem
Widersacher geistig überlegen zeigen möchte; freilich nur vor einem
Publikum, das, um seinerseits intelligent zu erscheinen. Unverstandenem
Beifall zu zollen sich nicht entblödet und um so höhere Meinung von
den Leuten hat, je weniger es sie versteht; wenn nicht etwa der
Autor selbst zu der »Sorte gehört — und es gehören recht viele
Manche Schrift- dazu — die da sclirciben, was sie nicht verstehen, so dafs man nicht
steller schrei- . , .- „, - . „ -, ^y,
ben, was sie versteht, was Sie schreiben. Ohne daher auf das Übrige einzugehen,
nicht verstehen, ' _ _ cj .j /
daher versteht bemerke ich bezüglich der vergoldeten Platte: wenn dieselbe eben
man nicht, was _ '=' _ _ <^ _
sie schreiben, uj^j nicht Sehr grofs ist, kann sie allerdings von weitem über und über
glänzend aussehen, sobald sie von einem intensiven Lichte getroffen
wird, aber auch nur dann, wemi das Auge sich in einer ganz be-
[89. 90.] Erster Tag. 83
stimmten Richtung befindet, nämlich in der der reflektierten Strahlen;
.sie wird dabei feuriger erscheinen, als wenn sie etwa von »Silber wäre,
weil sie farbig imd Avegen der aufserordentlichen Dichtigkeit des Metalls
einer höchst vollkommenen Politur fähig ist. Wäre nun noch die
Oberfläche zwar völlig glatt, aber nicht genau eben, sondern hätte an
verschiedenen Stellen verschiedene Neigung, so würde ihr Glanz sich
auch von mehreren Punkten aus wahrnehmön lassen, von allen denen
nämlich, nach welchen die verschiedenen Flächenteile ihre verschiedenen
Reflexe senden. Aus diesem Grunde giebt man den Diamanten beim Diamanten
Schleifen viele Facetten, damit man ihr herrliches Funkeln von vielen vieieu Facetten
geschliffen;
Seiten sehen kann. Wäre aber die Platte recht grofs, so würde man -weshalb dies
. . . geschieht.
auch wenn sie völlig eben wäre, sie doch von nahem nicht in ihrer ganzen
Ausdehnung glänzen sehen. Um mich noch deutlicher zu erklären:
man denke sich eine ebene sehr grofse vergoldete Platte dem Sonnen-
lichte ausgesetzt, so wird das Bild der Sonne in der Entfernung dem
Auge blofs einen Teil der Platte einzunehmen scheinen, nämlich den-
jenigen, von welchem die Reflexion der einfallenden Soimenstrahlon
herrührt. Allerdings wird wegen der Lebhaftigkeit des Lichtes be-
sagtes Bild von einem Strahlenkranz umrahmt und deswegen einen
sehr viel gröfseren Teil der Platte einzunehmen scheinen, als es that-
sächlich der Fall ist. Um sich davon zu überzeugen, bemerke man
die specielle Stelle der Platte, von welcher der Reflex ausgeht, und
ebenso bezeichne man die scheinbare Gröfse der glänzenden Fläche;
alsdann bedecke man den gröfseren Teil derselben und lasse nur die
Mitte unbedeckt: es wird sich darum die Gröfse der anscheinend
glänzenden Stelle für einen entfernten Beobachter durchaus nicht ver-
mindern; vielmehr wird sie noch weit über das Tuch, oder was sonst
zur Bedeckung gedient haben mag, sich auszudehnen scheinen. Wenn
jemand also, weil er eine kleine goldene Platte von weitem über und
über glänzen gesehen hat, sich einbildet, dasselbe müsse auch bei
Platten von der Gröfse des Mondes gelten, so täuscht er sich ebenso-
sehr, als wenn er den Mond für so grofs wie den Boden eines Fasses
hielte. Ist sodami die Platte kugelförmig gekrümmt, so nimmt man
blofs an einer kleinen Stelle den lebhaften Reflex wahr, allerdings
aber wird er vermöge seiner Intensität von vielen zitternden Strahlen
umrahmt erscheinen. Der übrige Teil der Kugel sieht farbig aus, und
auch das nur, wemi er nicht den höchsten Grad von Politur besitzt;
denn ist er vollkommen glatt, so erscheint er dunkel. Beispiele dafür
sehen wir täglich an den silbernen Gef afsen vor Augen, welche durch scheint dunkler
Weifssieden nur eine matte Oberfläche erhalten haben ;^^) sie sind dami uertes; Er-
. - . . klarung dafür.
weifs wie Schnee und spiegeln durchaus nicht; werden sie aber an
84 Dialog über die Weltsysteme. [90. 91.]
irgend einer Stelle poliert, so erscheint diese sofort dunkel und liefert
Bilder wie • ein Spiegel. Dieses Dunkelwerden beruht aber nur auf
dem Abschleifen des feinen Kornes, welches vorher die Oberfläche des
Silbers rauh machte, so dafs es das Licht nach allen Seiten reflektierte
und daher von allen Seiten gleich hell erschien. Werden aber nachher
durch das Polieren jene winzigen Unebenheiten aufs vollkommenste
geglättet, so dafs nunmehr -die Reflexion der einfallenden Strahlen sich
nach einer bestimmten Stelle richtet, so zeigt sich alsdaim zwar von
dieser Stelle aus die polierte Fläche sehr viel heller und glänzender
als die übrigen blofs weifsgesottenen Partieeu; von allen anderen
Punkten aus scheint sie hingegen sehr dunkel. Bekanntlich ist das
Aussehen polierter Flächen je nach dem Standpunkte des Beobachters
Polierter stabi go verschieden, dafs in der Malerei zum Zweck der Nachahmung und
scheint von ^ . . ■ a i ^
mauchen Wiedergabe etwa eines polierten Brustpanzers remes Schwarz und
Punkte« aus ge- ~ _ -^ ^
sehen ganz heii,^(iifg gleichzeitig vcrwcndct werden mufs, eines neben dem anderen
von manchen O o 7 ^ ^
ganz dnnkei. ^^j^j zwar bei Teilen der Rüstung, die ganz gleichmäfsig vom Lichte
getroflen werden.
Sagr. Wenn also die Herren Philosophen sich nur entschliefsen
kömiten einzuräumen, es seien die Oberflächen des Mondes, der Venus
und der anderen Planeten nicht so glänzend und glatt wie ein Spiegel,
sondern ein haarbreit weniger, nämlich wie eine matte, aber unpolierte
Silberplatte, so wäre das ausreichend, um den Mond sichtbar zu macheu
mid würde ihn befähigen, uns das Sonnenlicht zurückzuwerfen?
Salv. Es wäre teilweise ausreichend. Er würde uns aber kein
so kräftiges Licht zusenden, als er es wirklich thut, da er gebirgig
ist, jedenfalls voll von bedeutenden Erhabenheiten und Vertiefungen.
Die Herren Philosophen werden ihn aber niemals für weniger glatt
als einen Spiegel ausgeben, vielmehr für noch glätter, wemi das
denkbar ist. Da sie nämlich glauben, dafs den vollkommensten Körpern
auch die vollkommenste Gestalt zukommen müsse, so ist notwendig
die Kugelgestalt jener Himmelskörper eine völlig unbedingte. Überdies
würde ich mir kein Gewissen daraus machen, sobald sie mir auch
nur die geringste Abweichung zugestünden, eine sehr viel gröfsere
anzunehmen. Da nämlich eine derartige Vollkommenheit kein
Minder oder Mehr zuläfst, wird sie ebenso durch die Breite eines
Haares wie durch einen Berg aufgehoben.
Sagr. Hier drängen sich mir zwei Bedenken auf: einmal weifs
ich nicht, weswegen eine stärkere Unebenheit eine kräftigere Zurück-
werfung des Lichtes hervorrufen soll; sodami ist mir unklar, warum
diese Herren Peripatetiker gerade auf die Kugelgestalt so versessen sind.
Salv.
[91. 92.] Er.ster Tag. 85
lasse ich Signore 8implicio den zweiten zur Erledigung. Man mufs Rauhere ober-
zunächst berücksichtigen, dafs die nämlichen Flächen von dem näm-tierer. (ia.s Licht
1-1 T • 1 1 • stärker als
liehen Lichte mehr oder weniger erhellt werden, je nachem die he- we°'ger rauhe.
leuchtenden Strahlen mehr oder weniger schief darauf fallen, derart, str^hi^n er*"-
dafs die stärkste Beleuchtung im Falle senkrechter Bestrahlung statt- »is schiefe;
findet. Hier seht es mit eigenen Augen. Ich falte dieses Blatt, so ^er Faii ist.
dafs der eine Teil mit dem anderen einen Winkel bildet, und lasse
das an der Wand dort üben reflektierte Licht darauf fallen. Seht
nun, wie die Fläche, welche schief von den Strahlen getroffen wird,
weniger hell ist als die andere, auf welche das reflektierte Licht senk-
recht fällt und bemerkt, wie die Beleuchtung desto schwächer wird
je schiefer ich die Strahlen auffallen lasse.
Sagr. Ich sehe die Wirkung, verstehe aber die Ursache nicht.
Salv. Wemi Ihr Euch den hundertsten Teil einer Stunde be-
dächtet, würdet Ihr sie finden; aber um keine Zeit zu verschwenden:
hier in dieser Figur habt Ihr schon ein ^
Stück Beweis. ^
Sagr. Der blofse Anblick der Figur
hat mir alles klar gemacht, fahrt also fort.
Simpl. Bitte gebt mir die Erklärung
dazu; ich habe keine so rasche Auf-
fassungsgabe.
Salv. Stellt Euch vor, dafs alle ^
parallelen Linien, die Ihr von den End- ^
punkten A und 5 ausgehen seht, Strahlen seien, welche rechtwinkligschiefere straii-
auf die Linie CD auffallen. Neigt jetzt die Linie CD, bis sie in die weniger inteu-
schräge Lage von DO gelangt: seht Ihr nicht, dafs ein beträchtlicher 'dafür.
Teil der Strahlen, welche CD trafen, an DO vorbeigehen, ohne diese
Linie zu berühren? Wenn also DO von weniger Strahlen beleuchtet
wird, so ist selbstverständlich das von ihr aufgefangene Licht schwächer.
Kehren wir jetzt zu dem Monde zurück. Da dieser Kugelgestalt be-
sitzt, so müfsten, wemi seine Oberfläche an Glätte diesem Blatt Papier
gleich käme, die Teile, welche gegen den Rand seiner von der Somie
beleuchteten Hemisphäre liegen, aufserordentlich viel weniger Licht
empfangen als die mittleren; denn auf diese fallen die Strahlen recht-
winklig, auf jene ganz schief auf. Infolge dessen müfsten beim Voll-
monde, wo wir fast die ganze beleuchtete Halljkugel sehen, die
mittleren Teile sich uns weit heller zeigen, als die am Rande ge-
legenen; davon ist aber nichts zu bemerken. Stellt Euch nun aber
die Fläche des Mondes voll von sehr hohen Gebirgen vor; seht Ihr
nicht ein, dafs die Abhänge und Rücken, die über die Wölbimg der
yo
y
y
y-
y
y
gß Dialog über die Weltsysteme. [0'2. 93.]
vollkommeueu Kugel emporragen, vom Somienschein getroffen und in
den Stand gesetzt werden, die Strahlen sehr viel weniger schief aufzu-
fangen und daher ebenso hell zu erscheinen wie alles Übrige?
Sagr. Sehr wohl; weim aber dergleichen Berge vorhanden sind,
so wird allerdings die Sonne sie viel unmittelbarer bestrahlen als
eine glatte geneigte Fläche; andererseits müfsten aber auch zwischen
gedachten Bergen alle Thäler dunkel bleiben infolge der riesigen
Schatten, welche die Berge in diesem Augenblicke werfen, während
die mittleren Teile, mögen sie auch Thäler imd Berge in Hülle und
Fülle haben, ohne Schatten erscheinen würden, weil die Sonne senk-
recht darüber steht. Daher müfsten also doch die mittleren Teile
sehr viel heller aussehen als die Randteile, über welche ebensoviel
Schatten als Licht gebreitet ist. Gleichwohl sieht man von einem
derartigen Unterschiede nichts.
Simpl. Bedenken dieser Art gingen auch mir im Kopfe herum.
Salv. Wieviel schneller doch Signore Simplicio die Bedenken
versteht, welche den Ansichten des Aristoteles zu gute kommen, als
deren Widerlegung! Ich hege halb und halb den Verdacht, dafs er
die Lösimg bisweilen mit Fleifs verschweige. Im vorliegenden Falle,
wo er doch den recht scharfsinnigen Einwand ganz allein hat auffinden
kömien, begreife ich nicht, wie er nicht auch die Entgegnung hat
ausfindig machen können. Ich will deswegen versuchen, sie ihm in
den Mund zu legen, wie man zu sagen pflegt. Sagt mir also, Signore
Simplicio, kann nach Euerer Ansicht da Schatten sein, wo die Sonnen-
strahlen hintreifen?
Simpl. Ich glaube nein, ja ich bin dessen völlig gewifs; denn da
die Sonne die Hauptleuchte ist, welche mit ihren Strahlen die
Finsternis verscheucht, so kann unmöglich Finsternis herrschen, wo
sie hingelangt. Dami haben wir ja auch die Definition: Tenehrae sunt
privatio luminis. "^)
Salv. Weim also die Sonne nach der Erde, dem Monde oder
einem anderen undurchsichtigen Körper hinschaut, so erblickt sie
niemals einen der beschatteten Teile dieser Körper, da sie keine
anderen Augen als ihre lichtspendenden Strahlen zur Verfügung hat.
Es würde folglich ein Beobachter auf der Sonne niemals etwas Be-
schattetes wahrnehmen; denn seine Sehlinien fielen stets mit den be-
leuchtenden Sonnenstrahlen zusammen.
Simpl. Das ist vollkommen richtig, ohne jedwede Einschränkung.
Salv. Wenn aber der Mond sich in Opposition zur Sonne be-
findet, welcher Unterschied ist dann zwischen dem Weg, den Euere
Sehlinien und den die Sonnenstrahlen zurücklegen?
[93. 94.] Erster Tag. 87
Simpl. Jetzt habe ichs verstanden. Ihr meint, da die Seh-
linien und die Sonnenstrahlen zusammenfallen, können wir keines der
beschatteten Mondthäler entdecken. Entschlagt Euch doch, bitte, des
Verdachtes, als ob ich heuchle oder mich verstelle. Ich gebe Euch
mein Wort als Edelmann, dafs ich auf diese Lösung nicht verfallen
bin; imd ohne Euere Hilfe oder lange Überlegung hätte ich sie viel-
leicht nie ausfindig gemacht.
Sagr. Die Lösung der Schwierigkeit, die Ihr gemeinschaftlich
zuwege gebracht habt, hat auch mich völlig befriedigt. Gleichzeitig
aber hat die Betrachtung des Wegs der Somienstrahlen und der Ge-
sichtslinien mir einen neuen Zweifel an dem früher Bemerkten wach-
gerufen. Ich weifs nicht, ob ich ihn verständlich werde ausdrücken
kömien, da er mir jetzt eben gekommen ist und ich mir die Sache
noch nicht in meinei: Weise zurechtgelegt habe; aber vielleicht kommen
wir durch gemeinsames Bemühen zur Klarheit. — Es ist nämlich
unzweifelhaft richtig, dafs die Randteile einer zwar glatten, aber nicht
polierten Halbkugel, die von der Sonne beleuchtet wird, weniger
Strahlen empfangen, weil sie schief beleuchtet werden, als die mittleren,
welche direktes Sonnenlicht haben. Es mag gegen den Rand hin ein
Streifen von etwa 20 Grad^') vorhanden sein, der nicht mehr Licht
empfängt als ein anderer nach der Mitte zu gelegener, welcher nur
4 Grad breit ist, so dafs thatsächlich jener viel dunkler sein wird als
dieser und auch jedem Beobachter dunkler erscheinen wird, sobald er
beide von vorne, oder sagen wir von Angesicht zu Angesicht, be-
trachtet. Wenn das Auge des Beschauers aber an eine Stelle ver-
setzt würde, von wo der 20 Grad breite dunkle Streifen nicht gröfser
aussähe als ein 4 Grad breiter inmitten der Halbkugel, so halte ich
es nicht für ausgeschlossen, dafs jener ebenso hell und leuchtend wie
dieser erscheinen würde; deim schliefslich gelangen innerhalb gleicher
Winkelräume, nämlich von je 4 Grad, die Reflexe zweier gleicher
Strahlenmengen ins Auge: die Strahlen nämlich, welche an dem
mittleren Streifen von 4 Grad und die, welche an dem Streifen von
thatsächlich 20, scheinbar aber gleichfalls von 4 Grad reflektiert
werden. Eine derartige Lage wird nun aber das Auge einnehmen,
wenn es zwischen gedachter Halbkugel und dem leuchtenden Körper
sich befindet, weil alsdami die Blickrichtung imd die Strahlen längs
derselben Linien laufen. Demnach könnte die Mondfläche doch so
ziemlich glatt sein und gleichwohl an den Rändern nicht minder hell
erscheinen als in den mittleren Teilen.
Salv. Das Bedenken ist scharfsimiig und verdient erwogen zu
werden. Es war Euererseits eine Eingebung des Augenblicks; ich
gg Dialog über die Weltsysteme. [94. 95.]
werde gleichfalls erwidern, was der Augenblick mir eiugiebt, vielleicht
würde mir bei reiflicherem Nachdenken etwas Besseres einfallen. Ehe
ich aber sonst etwas vorbringe, wird es gut sein, erfahrungsgemäfs
festzustellen, ob Euer Einwand ebenso den Thatsachen entspricht, wie
er scheinbar beweiskräftig ist. Ich nehme also dasselbe Blatt noch
einmal vor und falte es so, dafs ein kleiner Teil gegen das Übrige
vimgebogen ist. Wenn wir es nun dem Lichte aussetzen und zwar
SO) dafs der kleinere Teil direkt, der andere aber schief von den Licht-
strahlen getroffen wird, so wollen wir prüfen, ob der direkt beschienene
heller aussieht. Nun, hier sehen wir ohne weiteres, dafs er ganz
deutlich stärker beleuchtet ist. Sollte nun Euer Einwand beweis-
kräftig sein, so müssen wir zunächst das Auge senken, bis der andere,
weniger beleuchtete Teil uns nicht breiter erscheint als der heller be-
leuchtete, bis er also unter nicht gröfserem Gesichtswinkel sich zeigt
als dieser. Es müfste dann, behaupte ich, sein Licht sich vermehren,
bis er uns so hell erscheint wie der andere. Nun, jetzt betrachte ich
ihn und sehe ihn so schief, dafs er mir gar schmäler vorkommt als
jener, aber bei alledem wird seine Dunkelheit in meinen Augen nicht
heller. Seht zu, ob es Euch ebenso ergeht.
Sagr. Ich habe es bemerkt; mag ich auch das Auge senken, ich
sehe darum gedachte Fläche nicht sich aufhellen mid mit Licht über-
ziehen, ja es scheint mir eher, als würde sie dmikler.
Salv. Insoweit können wir also beruhigt sein, der Einwand ist
nicht triftig. Was die Erklärung der Sache angeht''*'), so werden
nach meiner Meinung wegen der beinahe vollkommenen Glätte des
Papiers, nur wenige Strahlen in der Richtung des einfallenden Lichtes
zurückgeworfen, im Verhältnis zu der Menge der nach entgegenge-
setzter Seite reflektierten. Von diesen wenigen gehen umsomehr ver-
loren, je mehr die Gesichtslinien den einfallenden Strahlen sich nähern.
Da nun nicht die einfallenden Strahlen, sondern die nach dem Auge
hin reflektierten das Objekt hell erscheinen lassen, so geht bei dem
Senken des Auges einerseits mehr verloren, als auf der anderen ge-
Avonnen wird, wie Ihr denn auch selbst eine solche vergröfserte
Dunkelheit glaubt wahrgenommen zu haben.
Sagr. Ich erkläre mich durch das Experiment und die Erklärung
für befriedigt. Es erübrigt noch, dafs Signore Simplicio auf meine
andere Frage antwortet und mir auseinandersetzt, aus welchen Beweg-
gründen die Peripatetiker eine so vollkommene Rundheit der Himmels-
körper behaupten.
Simpl. Der Umstand, dafs die Himmelskörper unerzeugbar, mi-
zerstörbar, unveränderlich, unempfindKch, unsterblich u. s. w. sind.
[95. 96.J Erster Tag. 89
läfst darauf schlielsen, dafs sie unbediiio;t vollkommen sind, und daraus warum die
. . . . Peripatetiker
erffiebt sich, dafs ihnen iede Art der Vollkommenheit eignet, unter die voiikom-
'^ ' _ '' _ . "»eie Kugelge-
anderem auch die Vollkommenheit der Gestalt. 8ie müssen also »tait der Him-
melskörper an-
kugelförmig sein und zwar unbedingt und vollkommen kugelförmig nehmen.
und nicht rauh und unregelmäfsig.
Salv. Und woher entnehmt Ihr die Unzerstörbarkeit?
Simpl. Unmittelbar aus dem Mangel an Gegensätzen, mittelbar
aus der einfachen Kreisbewegung.
Salv. Soweit ich aus Euerer Darlegung ersehen kann, spielt so-
nach bei Aufstellung des unzerstörbaren, unveränderlichen Wesens der ^'^ Jor"" '?*
~ ■ nicht Ursache
Himmelskörper die Rundheit keine Rolle als Ursache oder iiotwen-j^^®^^u^"^^erst^°'^-^
diges Erfordernis. Denn sobald diese die Unveränderlichkeit erzeugte/'""" '^^^^J^^^^^^''«''
würden wir willkürlich das Holz, das Wachs und andere elementare
Substanzen unzerstörbar machen können, indem wir ihnen die Kugel-
gestalt verleihen.
Simpl. Und ist dem nicht wirklich so? Hält sich nicht eine
hölzerne Kugel besser und länger als eine Pyramide oder eine andere
eckige Figur, die aus derselben Menge gleichen Holzes verfertigt ist?
Salv. Das ist sehr richtig; aber darum wird sie nicht unzerstör-
bar werden, sondern noch immer zerstörbar bleiben und nur von
längerer Dauer sein. Es ist also zu beachten, dafs zwar der Begriff"
der Zerstörbarkeit einer Steigerung fähig ist, wie wir denn in der
That sagen können, dies sei weniger zerstörbar als jenes, z. B. der es giebt ein
Jaspis weniger als die pietra serena.^^) Bei der Unzerstörbarkeit aberninder^ei "em
giebt es kein Mehr oder Minder, und es ist unzulässig zu sagen: dies zerstörbarkeit,
ist unzerstörbarer als ienes , wenn beide unzerstörbar und ewig sind, dem der Unzer-
T\- TT 1 • 1 1 • 1 /-< störbarkeit.
Die Verschiedenheit der Gestalt kami daher nur bei den Stoffen von uie voiikom-
Einflufs sein, die von längerer oder kürzerer Dauer sind; bei den cest^u ist bei
ewigen jedoch, die ja alle gleicherweise ewig sind, hört der Einllufs Körpern von
der Gestalt auf. Da demzufolge die himmlische Substanz nicht ver-aber bei ewigen,
möge ihrer Gestalt unzerstörbar ist, sondern aus anderen Gründen,
so braucht man nicht so ängstlich auf der vollkommenen Kugelgestalt
zu bestehen. Denn wenn nur die Substanz unzerstörbar ist, mag die
Gestalt sein, welche sie wolle, sie wird immer jene Eigenschaft be-
halten.
Sagr. Ich möchte noch eine weitere Überlegung anstellen; zuge-
geben nämlich, die Kugelgestalt wäre imstande. Unzerstörbarkeit zu
verleihen, so behaupte ich, alle Körper von ganz beliebiger Gestalt weuu die
müssen ewig und unzerstörbar sein. Da nämlich der runde Körper ^wfg^e^Dauer
unzerstörbar ist, so würde die Zerstörbarkeit au den 'J'eik'u haften, müMen 'ahe
welche die vollkommene Rundung beeinträchtigen, wie in einemniuer besitzen.
90 Dialog über die V/eltsysteme. [96. 97 J
Würfel z. B. eine vollkomineu runde und folglich unzerstörbare Kugel
steckt: es können daher blofs die Ecken, welche die Rundung bedecken
und verbergen, zerstörbar sein; höchstens diese Vorsprünge, diese
Auswüchse, wenn ich so sagen darf, würden der Zerstörung anheim-
fallen. Wenn wir aber genauer zusehen, so stecken auch in den
Teilen an den Ecken wieder kleinere Kugeln desselben Stoffes und
auch diese müssen wegen ihrer Rundung im?;erstörbar sein-, dasselbe
gilt wieder von den Resten, die jene acht kleineren Kügelchen be-
decken: auch in diesen lassen sich wieder andere denken. So wird
schliefslich der ganze Würfel in unzählige Kugeln zerlegt und man
wird ihn also für unzerstörbar erklären müssen. Diese nämliche Be-
trachtung imd eine ähnliche Zerlegung läfst sich bei allen übrigen
Körpern anwenden.
Salv. Diese SchluTsweise ist vortrefflich; wenn z. B. einer
Kugel aus Krystall infolge ihrer Gestalt Unzerstörbarkeit zukäme,
d. h. die Fähigkeit, allen inneren und äufseren Änderungen zu wider-
stehen, so läfst sich nicht absehen, dafs die Hinzufüguug weiterer
Krystallmasse und damit die Ufaformung etwa in einen Würfel sie
innerlich verändern könnte; aber auch äufserlich nicht, so dafs sie
nunmehr weniger geeignet wäre, der neuen Umhüllimg zu widerstehen,
die aus demselben Stoffe besteht, als sie der früheren zu widerstehen
vermochte, die aus verschiedenem Stoffe bestand. Dieser Schlufs ist
um so berechtigter, wenn die Ansicht des Aristoteles richtig ist, alle
Zerstörung sei durch Gegensätze bedingt. Welche Umhüllung, die
man der Krystallkugel geben könnte, wäre ihr weniger entgegengesetzt,
als eine aus derselben Krystallmasse bestehende? — Indes wir merken
nicht, wie die Zeit verfliegt; wenn wir über jede Einzelheit so lange
Reden halten wollen, werden wir spät mit unseren Erörterungen zu
Ende kommen. Auch verwirrt sich das Gedächtnis bei einer solchen
Mannigfaltigkeit von Dingen derart, dafs ich mich kaum der Behaup-
timgen erinnern kann, welche Signore Simplicio vorgebracht hat, um
sie der Reihe nach zur Erwägung zu stellen.
Simpl. Ich erinnere mich sehr wohl. Betreffs der Gebirgigkeit
des Mondes bleiljt noch die von mir angeführte Erklärung dieser Er-
scheinmig unwiderlegt; man kommt nämlich sehr wohl damit aus,
weim man sagt, es sei dies eine Täuschimg, welche von der ungleichen
Durchsichtigkeit oder Undurchsichtigkeit seiner verschiedenen Teile
herrührt.
Sagr. Vorhin, als Signore Simplicio die scheinbaren Unebenheiten
des Mondes nach dem Vorgange eines seiner peripatetischen Freunde '^^) '
der gröfseren oder geringeren Durchsichtigkeit der Teile des Mondes
: I
[97. 98.] Erster Tag. 91
ziischrie)), wie denn iilmliche Täuschungen bei verscliiedentliclien
Krystallen und Edelsteinen unterlaufen, da fiel mir ein anderer Stoff
ein, der ein noch passenderes Beispiel für ähnliche Erscheinungen ah- Perlmutter ge-
liebt: ich glaube, besagter Gelehrter würde ihn mit dem teuersten scheinbare un-
O _ ' » ' O ^ ^ ^ ebenheit der
Preise bezahlen: ich meine die Perlmutter, welche zu allerlei Figuren^i^^doberfläche
' ° nacnzuanmea.
verarbeitet wird. Mag man den daraus verfertigten Gegenständen auch
die äufserste Glätte geben, so erscheinen sie doch dem Auge au ver-
schiedenen Stellen so verschiedenartig vertieft und erhaben, dafs man
kaum dem Tastsinn traut, der sie als eben erkennt.
Salv. Dieser Einfall ist in der That sehr schön; und was bis
jetzt noch nicht geschehen ist, könnte ein anderes Mal ausgeführt
werden. Wenn man Kry stalle und Edelsteine anführt, bei welchen
die Täuschung auf anderen Gründen beruht als bei der Perlmutter, so
kann man sehr wohl auch diese anführen. Um inzwischen niemandem
diese Gelegenheit zu benehmen, will ich die passende Antwort für
mich behalten imd vorläufig blofs die von Signore Simplicio vorge- "
brachten Einwände zu entkräften versuchen. Zu diesem Behufe be-
merke ich, dafs diese Euere Erklärung zu allgemein gehalten ist. Da
Ihr sie nicht auf sämtliche Erscheinungen, eine nach der anderen,
anwendet, wie sie auf dem Monde sich zeigen imd wie sie mich und
andere zu der Annahme von Gebirgen auf demselben bewogen haben,
so wird sich schwerlich jemand von einer solchen Lehre befriedigt
fühlen. Meiner Meinmig nach findet weder Ihr selbst noch sogar der
Urheber dieser Ansicht in ihr eine gröfsere Befriedigung als in irgend
einer anderen, von der aufgestellten Behauptung abweichenden, Mei-
nung. Von den vielen, vielen mannigfaltigen Erscheinungen, die manüie scheiuuaren
ö ' o & O ; Unebeuheiten
des INIoudes
lassen sieb nicbt
auch nicht eine einzige dadurch nachahmen köimen, dafs Ihr eine , "achahmeu
o ; durch ^ erweu-
Kugel nach Euerem Gutdünken aus mehr oder minder durchsichtigen g^j4^^'^^^j^^^^,j
und undurchsichtigen Teilen zusammensetzt und ihre Oberfläche dann "'^^^'s*^' ^*°°®-
poliert. Umgekehrt kann man aus iedem festen, nicht durchsichtigen verschiedenes
r O J ; o Aussehen des
Stoffe Kugeln herstellen, welche blofs vermöge ihrer Erhabenheiten Mondes laist
O > n ^ gjch mittels
und Vertiefimgen und des Wechsels der Beleuchtung aufs Haar die- Jedes ^»^urc^.^-^
selben verschiedenartigen Bilder gewähren, die von Stunde zu Stunde nachabmeu.
am Monde zu sehen sind. — Ihr werdet die der Sonne ausgesetzten verschiedeue
t: Erscheinungen,
Höhenkämme in hellem Lichte erblicken, hinter ihnen die Schatten- weiche die oc-
' _ birgigkeit des
Projektionen in tiefem Dunkel; letztere werden gröfser oder kleiner>io"desdartuuu.
erscheinen, je nachdem die Erhöhungen mehr oder Aveniger nahe der
Grenze liegen, die den beleuchteten Teil des INIondes von dem finsteren
scheidet. Besagte Grenzlinie wird keinen gleichmäfsigen Verlauf zeigen,
wie es bei einer glattpolierten Kugel der Fall sein müfste, sondern
92 Dialog über die Weltsysteme. [98. 99.]
gekerbt imd zackig aussehen. Ihr werdet viele -erleuchtete Spitzen
finden ;, die abseits von dem übrigen leuchtenden Teile liegen. Ihr
werdet sehen, wie die obengenannten Schatten allmählich kürzer
werden, wenn die Beleuchtung mehr von oben kommt, bis sie ganz
verschwinden und wie schliefslich keiner mehr sichtbar ist, wenn die
ganze Hemisphäre erleuchtet ist. Wenn umgekehrt sodann das Licht
nach der anderen Mondhemisphäre rückt, wird man die nämlichen
Hervorragungen wie zuvor beobachten, die Schatten hingegen Averden
sich nach der entgegengesetzten Seite hin projizieren und allmählich
wachsen. Von alle dem kömit Ihr, ich wiederhole es, mit Euerer
Undurchsichtigkeit und Durchsichtigkeit nichts darstellen.
Sagr. Doch eines wird sich nachahmen lassen: der Vollmond,
bei welchem wegen der allgemeinen Helligkeit weder Schatten zu
sehen sind, noch sonst etwas, was durch Erhabenheiten und Ver-
tiefungen ein wechselndes Aussehen erhalten könnte. Ich bitte Euch
aber, Signore Salviati, verschwendet auf diese Einzelheit nicht noch
mehr Zeit; wer die Geduld gehabt hat, während eines oder zweier
Mondumläufe Beobachtungen anzustellen und von dieser mit Händen
greifbaren Wahrheit sich nicht überzeugt hat, der mufs als völlig
urteilsunfähig aufgegeben werden. Und wozu mit solchen Leuten Zeit
und Worte vergeuden?
Simpl. Ich habe thatsächlich die betreffenden Beobachtungen
nicht gemacht, da mich die Sache nicht interessierte, ich auch kein
Instrument hatte, mit dem ich sie hätte anstellen kömien; aber ich
will das jedenfalls noch thmi. Inzwischen können wir diese Frage in
der Schwebe lassen vmd zu dem nächsten Punkte übergehen, nämlich
zu der Prüfung der Gründe, um derentwillen nach Euerer Meinung
die Erde das Sonnenlicht ebenso intensiv reflektieren kann als der
Mond. Nach meiner Meinung ist sie so dunkel und vmdurchsichtig,
dafs mir ein solcher Vorgang völlig unmöglich erscheint.
Salv. Die Ursache, aus welcher Ihr die Erde für ungeeignet zur
Beleuchtung eines anderen Körpers erachtet, ist gar nicht diese,
Signore Simplicio. Wäre es nicht merkwürdig, wenn ich Euere Ge-
dankenverbindung besser verstünde als Ihr selbst?
Simpl. Ob meine Gedanken richtig oder falsch sind, könnt Ihr
möglicherweise besser beurteilen als ich; doch richtig oder falsch,
niemals werde ich glauben, dafs Ihr meine Gedanken besser kennt als ich.
Salv. Und doch will ich Euch sogleich davon überzeugen. Sagt
mir, bitte: Wenn der Mond nahezu voll ist, so dafs man ihn am
Tage und auch mitten in der Nacht sehen kami, Avann scheint er
Euch heller, des Tags oder des Nachts?
[99. 100.] Erster Tag. 93
Simpl. Unvergleiclilich heller des Nachts. Der Mond verhält ^^«J^^^"^°^Ji^^*
sich, wie mir scheint, ähnlich der Wolkensäule, welche vor den Kindern^"^ ^^^ '*'" •^"*^®-
Israel einherzog und die, solange die Sonne am Himmel stand, wie
ein Wölkchen aussah, des Nachts hingegen in hellem Glänze strahlte. Der Mond bei
' _ . . Tage gesehen
So habe ich manchmal bei Tage mitten unter Wölkchen gewisser Art el«'*'''* f^^^
" _ _ O A\ ölkchen.
den Mond beobachtet, wo er ebenso bleich aussah, wie diese; nachts
aber erscheint er dann in hellstem Glänze.
Salv. Hättet Ihr also niemals Gelegenheit gehabt, den Mond
anders als bei Tage zu sehen, so würdet Ihr ihn für nicht heller ge-
halten haben als ein solches Wölkchen.
Simpl. Davon bin ich fest überzeugt.
Salv. Sagt mir mm: glaubt Ihr, dafs der Mond thatsächlich die
Nacht mehr leuchtet als den Tag über, oder dafs dies nur aus irgend
welchem Grunde so scheint?
Simpl. Meiner Meinung nach leuchtet er an und für sich that-
sächlich ebensosehr tags als nachts; sein Licht erscheint uns aber
nachts intensiver, weil wir ihn auf dem dunkehi Himmelsgrunde sehen;
den Tag über hingegen ist die ganze Umgebung sehr hell, so dafs er
sie an Lichtfülle nur wenig übertrifft und uns folglieh nur wenig
leuchtend erscheint.
.Salv. Sagt mir ferner: habt Ihr jemals den Erdball mitten in
der Nacht von der Somie beleuchtet gesehen?
Simpl. Diese Frage stellt Ihr wohl nur im Spafs; oder haltet
Ihr mich für ganz und gar von Sinnen?
Salv. Nein, nein; ich halte Euch für einen sehr verständigen
Menschen und frage Euch in vollem Ernste. Darum antwortet nur,
und wemi ich dann Euerer Ansicht nach ungehörig spreche, so Avill
gerne ich für unsinnig gelten; denn wer dumm fragt, ist dummer als
der Gefragte.
Simpl. Wenn Ihr mich also nicht für ganz mid gar einfältig
haltet, nehmt an, ich hätte Euere Frage beantwortet und gesagt, es
sei unmöglich, dafs jemand, der wie wir sich auf der Erde befindet,
bei Nacht denjenigen Teil der Erde, wo Tag ist, der also von der
Soime beschienen wird, sehen kann
Salv. Ihr habt demnach niemals Gelegenheit gehabt, die Erde
beleuchtet zu sehen aufser am Tage, den Mond aber seht Ihr auch in
der tiefsten Nacht am Himmel glänzen. Dies ist die Ursache, Signore
Simplicio, wegen deren Ihr die Erde für weniger glänzend haltet als
den Mond. Kömitet Ihr die Erde beleuchtet sehen, während Ihr selbst
Euch an einem Orte befind(it, so dunkel wie unsere Nacht, so würde
sie an Glanz den Mond noch zu übertreffen scheinen Soll daher der
94 Dialog über die Weltsysteme. [100. 101.]
Vergleich passend sein, so mufs mau das Licht der Erde imd das des
Mondes, wie er bei Tage und nicht wie er ])ei Nacht erscheint, in
Parallele stellen; wir sehen eben die Erde nur am Tage erleuchtet.
Oder ist es nicht so?
Slmpl. So ist es allerdings.
Salv. Nun habt Ihr selbst schon eingestanden, den Mond bei
Tage zwischen weifslichen Wolken gesehen zu haben, ohne dafs sein
Aussehen von diesen wesentlich verschieden gewesen wäre. Damit
Wolken ver- gebt Ihr vou Vornherein zu, dafs diese Wölkchen, die doch aus elemen-
möaen ebenso ^ Tn-r>ni
stark von der tareu Substanzeii bestehen, dieselbe Beleuchtung, ia noch stärkere zu
Sonne be- ' . 07 j
leuchtet zu erlano'en vermögen als der Mond. Ihr braucht Euch nur zu vergegen-
•werden als der O o ^ o o
Mond. wärtigen, wie Ihr so manchmal gewaltige, schneeweifse Wolkenmassen
gesehen habt; wenn eine solche Wolke ihre Beleuchtung in tiefer
Nacht noch behalten könnte, so würde sie zweifelsohne die Umgebung
mehr erhellen als hundert Monde. Wären wir nun gewifs, dafs die
Erde in gleichem Mafse wie eines dieser Wölkchen von der Somie
beleuchtet würde, so würde sie unzweifelhaft ebenso glänzen wie der
Mond. Jeder Zweifel daran aber schwindet, wenn wir die nämlichen
Wolken in der Nacht ebenso dunkel bleiben sehen wie die Erde. Ja
noch mehr, keiner von uns ist der Täuschung entgangen, wenn er
einmal in der Feme tiefgehende Wolken gesehen hat, zu zweifehi, ob
es Wolken oder Berge seien: ein deutliches Zeichen, dafs die Berge
nicht weniger leuchten als jene Wolken,
Sagr. Aber wozu noch weitere Erörterungen'? Hier oben seht
Ihr den Mond, er ist fast voll; dort drüben die hohe Mauer, auf welche
die Sonne scheint. Geht jetzt hierher zurück, so dafs Ihr den Mond
Mauer, von der neben der Mauer erblickt! Nun schaut hin! was scheint Euch heller?
Sonne be-
leuchtet und «^eht Ihr nicht, dafs wenn ein Unterschied da ist, er zu Gunsten der
mit dem Monde ' '
verglichen, ist Maucr suricht? Die Sonne trifft auf iene Wand, von dort aus wird
ebenso hell wie -•• 07
dieser. jjjj. Li^j^t, auf die Wände des Saales zurückgeworfen, von diesen wird
Dritter Reflex es iu ieucs Gemach reflektiert, so dafs es als dritter Reflex in dieses
einer Mauer
Riebt mehr Lichteintritt. Trotzdem bin ich überzeugt, dafs dort mehr Licht herrscht,
als erster ara _ . .
Monde. als wciin das Licht des Mondes direkt hingelangte.
Simpl. 0, das glaube ich nicht; denn das Licht des Mondes,
namentlich des Vollmondes ist doch gewaltig helle.
Sagr. Es scheint so, weil die benachbarten Orte in Dimkel ge-
hüllt sind; absolut genommen aber ist es nicht bedeutend und zwar
Mondes^schwä- geringer als das Dämmerlicht eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang.
"^ Dämmerung" Dies gellt deutlich daraus hervor, dafs Ihr nicht früher die Schatten
der vom Monde beleuchteten Körper sehen werdet. Ob ferner der
dritte Reflex in jenem Gemache gröfsere Helligkeit besitzt als das
[101. 102.] Erster Tag. 95
direkte Moncllicbt, wird sich ermitteln lassen, wenn man jetzt hinein-
geht mid ein Buch liest, und dann heute Abend versucht, ob es beim
Mondlicht leichter oder weniger leicht lesbar ist; ich glaube .bestimmt,
dafs es schwerer zu lesen sein wird.
Salv. Ihr könnt jetzt einsehen, Signore Simplicio — wenn Euch
anders diese Erklärung befriedigt hat — dafs Ihr in der That selbst
wufstet, die Erde glänze nicht weniger als der Mond-, die Erinnerung
an einige Euch bereits bekannte, nicht erst von mir Euch mitgeteilte
Verhältnisse hat Euch darüber vergemssert. Ich brauchte Euch ja
nicht erst zu lehren, dafs der Mond nachts glänzender aussieht als bei
Tage, Ihr habt das schon allein gewufst. Ebenso war Euch bekannt?
dafs ein Wölkchen so hell aussieht wie der Mond; desgleichen, dafs
die Beleuchtung der Erde bei Nacht unsichtbar ist: kurz Ihr habt
alles gewufst, ohne zu wissen, dafs Ihr es wufstet. Danach wird man
vernünftigerweise ohne Bedenken zugeben müssen, dafs der Reflex
der Erde den finsteren Teil des Mondes ebenso stark erleuchten kann,
als der des Mondes die finstere Nacht auf Erden, ja um so stärker,
insofern die Erde vierzigmal gröfser ist als der Mond.
Simpl. Wirklich, ich glaubte, dieses sekundäre Licht sei das
eigene Licht des Mondes.
Salv. Auch das wifst Ihr selber und bemerkt nur nicht, dafs
Ihr es wifst. Oder sagt mir, habt Ihr etwa nicht von selbst gewufst, Licht empfau-
dafs der Mond nur wessen der Dunkelheit der Umo-ebung des Nachts sehen heUer in
«=". . . . dunkler Um-
sehr viel heller erscheint als bei Tage? und wifst Ihr nicht also gehni.g aus.
überhaupt, dafs jeder leuchtende Körper um so heller aussieht, je
dunkler die Umgebung istV
Simpl. Sehr wohl weils ich das.
Salv. Wenn der Mond eine Sichel Ijildet und Euch jenes sekun-
däre Licht verhältnismäfsig hell erscheint, so befindet er sich stets
in der Nähe der Somie und ist mithin nur in der Dämmermig sicht-
bar, nicht wahr?
Simpl. Allerdings; und oftmals habe ich gewünscht, dafs der
Himmel dunkler würde, um gedachtes Licht in gröfserer Helle zu
sehen; aber vor dem Eintritt völliger Finsternis ist der Mond unter-
gegangen.
Salv. Ihr wifst also sehr wohl, dafs dieses Licht in finsterer
Nacht stärker hervorträte?
Simpl. Jawohl; mid in noch höherem Grade, wenn man die grelle
IVlcuchtuug der Sichel durch die Sonne beseitigen könnte, durch
welche die schwächere der übrigen Scheibe sehr beeinträchtigt Avird.
Salv. Ei, ojeschieht es denn nicht bisweilen, dafs man mitten in
9(3 Dialog über die Weltsysteme. [102. 103.]
finsterster Nacht die ganze Moadscheibe sehen kann, ohne dafs sie
irgendwie Sonnenliclit empfängt?
Simpl. Ich wüfste nicht, dafs dies jemals vorkäme aufser bei
totalen Mondfinsternissen.
Salv. Dann also müfste dieses sein Licht am lebhaftesten her-
vortreten, da es auf einem völlig dunkeln Hintergrunde und ohne die
beeinträchtigende Wirkung der hellen Sichel erscheint. Wie stand es
aber bei solcher Gelegenheit um seine Helligkeit?
Simpl. Ich habe ihn manchmal kupferfarbig oder in schwach
weifslichem Lichte gesehen; bisweilen aber ist er dermafsen verdvmkelt
worden, dafs ich ihn völlig aus den Augen verlor. ^^}
Salv. Wie kann man also jenes Licht, das Ihr bei dem bleichen
Dämmerlichte trotz des grofsen Glanzes der benachbarten Sichel so
deutlich seht, für das eigene Licht des Mondes halten, während es
doch in finsterster Nacht bei Abwesenheit jedes anderen Lichtes ganz
und gar unsichtbar ist?
Simpl. Es soll auch die Ansicht ausgesprochen worden seiii, l>e-
sagtes Licht werde ihm von anderen Sternen, insbesondere von seiner
Nachbarin Venus mitgeteilt. ^'^)
Salv. Auch das ist völlig haltlos; denn dann müfste er gleich-
falls zur Zeit der totalen Verfinsterung sich glänzender als je zeigen,
da man doch nicht behaupten kann, der Schatten der Erde ver-
decke ihm den Anblick der Venus oder der anderen Gestirne. Es
wird ihm vielmehr das Licht darum völlig entzogen, weil auf der
dem Monde zugekehrten Erdhalbkugel in diesem Falle Nacht herrscht,
d. h. völliger Mangel an Somienlicht. Wenn Ihr sorgfältige Beob-
achtungen anstellt, werdet Ihr deutlich merken: gleichwie der Mond
als Sichel die Erde nur ganz wenig erhellt, mit wachsender Beleuch-
tung von Seiten der Soime aber uns einen immer helleren Reflex zu-
sendet, ganz ebenso zeigt sich der Mond recht hell beleuchtet, wenn
er in Sichelform erscheint, da er dann wegen seiner Stellung zwischen
Sonne und Erde einen sehr grofsen Teil der erleuchteten Erd-
hemisphäre erblickt. Wenn er sich aber von der Sonne entfernt und
in die Quadratur rückt, so wird jenes Licht matter: über die Qua-
dratur hinaus erscheint es sehr schwach, weil er nunmehr des AnbHcks
der sonnenbeleuchteten Erdhälfte verlustig geht. Es müfste aber
gerade das Gegenteil eintreten, wemi dies Licht sein eigenes oder von
den Sternen ihm mitgeteiltes wäre; denn zu dieser Zeit können wir
ihn in tiefer Nacht und in ganz finsterer Umgebung beobachten.
Simpl. Haltet ein, bitte. Eben erümere ich mich, in einem vor
kurzem erschienenen ThesenbücJilein, das viel Neues enthält, gelesen
[104. 105.] Erster Tag. 97
zu haben *=''): „jenes sekundäre Licht sei nicht durch die Sterne her- Sekundäres
„vorgerufen, noch das eigene Licht des Mondes und am allerwenig- einigen von der
„sten gehe es von der Erde aus, sondern es rühre von der Beleuch- sacht,
„tung durch die Sonne selbst her. Diese dringt wegen der teilweisen
„Durchsichtigkeit des Mondballs durch seine ganze Masse hindurch;
„am lebhaftesten aber beleuchtet sie die Oberfläche der den Sonnen-
„strahlen ausgesetzten Hemisphäre. Die tieferen Partien aber saugen
„gewissermafsen dieses Licht ein und durchtränken sich damit nach
„Art einer Wolke oder eines Krystalls, lassen es durch und werden
„dadurch deutlich leuchtend. Dies beweist er, wenn ich mich recht
„erinnere, durch Berufung auf Autoritäten, durch die Erfahrung und
„durch Schlüsse; er führt Kleomedes, VifelUo, Mncrohins und einen oder
„den anderen modernen Autor an. Er fügt hinzu, die Erfahrung be-
„weise, dafs jenes Licht sich sehr hell einige Tage nach der Kon-
„junktion zeige, wo der Mond eine Sichel bildet und dafs er dann
„besonders am Rande glänze. Weiter schreibt er, dafs er bei Sonnen-
„finsternissen, wo er vor der Sonneuscheibe steht, sich als durch-
„scheinend erweise, namentlich am äufsersten Rande. Die Gründe
„betreffend, sagt er, da das Licht nicht von der Erde, noch von den
„Sternen, noch von ihm selbst herrühren kann, so bleibt nichts übrig,
„als dafs es durch die Sonne verursacht wird. Überdies ergeben sich
„aus dieser Aimahme völlig befriedigende Erklärungen aller Einzel-
„heiten des Vorgangs. Denn dafs jenes sekundäre Licht am äufser-
„sten Rande am deutlichsten wahrgenommen wird, ist in der Kürze
„des Weges begründet, den die Sonnenstrahlen zu durchlaufen haben.
„Von den Linien, welche einen Kreis durchschneiden, ist nämlich die
„gröfste die, welche durch das Centrum geht, die anderen aber sind
„um so kleiner, je weiter sie von dieser entfernt sind. Aus demselben
„Grunde, sagt er, sei zu erklären, dafs dieses Licht wenig abnimmt.**")
„Schliefslich läfst sich auf diesem Wege die Ursache nachweisen, warum
„jener hellste Kreis am äufsersten Rande des Mondes sich bei einer
„Sonnenfinsternis an dem Teile zeigt, welcher vor der Sonne steht,
„nicht aber an dem Rande, der über die Sonnenscheibe hinausragt.
„Dies kommt nämlich daher, dafs die Sonnenstrahlen geradewegs zu
„unserem Auge durch die vor der Sonnenscheibe betindlichen Teile
„dringen; die Strahlen aber, welche durch die überragenden Teile hin-
„durchgehen, gelangen nicht in unser Auge."
Salv. Wenn dieser Philosoph der erste wäre, der eine solche An-
sicht aufgestellt, so würde ich nicht erstaunt sein, ihn dermafseu in
sie verliebt zu sehen, dafs er sie für wahr hingenommen. Wo er sie
aber von andei-en übernommen hat, so kann ich keinen ausreichenden
CiAi.iLEi, Woltsj-stüiiie. 7
98 Dialog über die Weltsysteme. [105. 106.]
Entschuldigimgsgrund finden, dafs er das Felilerliafte derselben nicht
erkannte; umsomehr als er die riclitige Erklärung der Erscheinung
kennen gelernt hat und durch tausend deutlich sprechende Kontroll-
versuche sich hätte vergewissern können, dafs die Ursache nichts
Anderes als der Reflex der Erde sei. Wie einerseits die Kenntnis des
wahren Sachverhalts kein günstiges Zeugnis ablegt für die Umsicht
dieses Schriftstellers und ebenso aller anderen, welche diese Erklärung
verwerfen, so entschuldbar erscheinen auf der anderen Seite in meinen
Augen die älteren Schriftsteller, welche sie nicht gehört haben und
nicht selbst darauf verfallen sind, die aber sicherlich ihre Richtigkeit
ohne das mindeste Widerstreben zugeben würden, wenn sie dieselbe
jetzt hörten. Soll ich offen meine Meinung sagen, so kann ich mir
immöglich denken, der Autor glaube nicht auch an sie. Ich vermute,
dafs, weil er selbst sich nicht als Urheber derselben aufspielen kami,
er sie gerne unterdrücken und herabsetzen möchte, wenigstens bei den
Einfältigen, deren Zahl bekamitlich Legion ist. Viele freuen sich mehr
des lauten Beifalls der Menge, als der Beistimmung seitens einiger
wenigen hervorragenden Mäimer.
Sagr. Nicht weiter, Signore Salviati, ich bitte; Ihr trefft, wie mir
scheint, bei dem, was Ihr sagt, den Nagel nicht auf den Kopf Demi
wer das Publikum ins Garn zu locken weifs, versteht auch die Kunst,
fremde Erfindungen sich anzueignen, sie müfsten denn so alt und auf
Kathedern und Gassen so breitgetreten sein, dafs sie mehr als all-
bekannt sind.
Salv. 0, ich denke schlimmer als Ihr: was sagt Ihr da von
Es kommt auf alt uud allbekannt'? Kommt es nicht auf dasselbe hinaus, ob die An-
dasselbe hinaus, itvt i -ii tttit
ob die Ausich- Sichten uud Entdeckungen den Menschen neu sind, oder ob die Men-
scheu neu sind,scheii ihucu ucu siud? Weiiu Ihr zufrieden wäret mit dem Beifall
sehen den An der Anfänger, die nach imd nach in die Wissenschaften eingeführt
werden, so könntet Ihr Euch als den Erfinder der Buchstabenschrift
ausgeben und so in ihren Augen bewundernswert erscheinen. Mag auch
im Laufe der Zeit Euere Schlauheit an den Tag kommen, so schadet
das für Eueren Zweck wenig, denn neuer Nachwuchs macht die Schar
Euerer Anhänger wieder vollzählig. — Doch wenden wir uns dazu,
dem Signore Simplicio zu zeigen, auf wie schwachen Füfsen das
Räsonnement seines modernen Autors steht; es laufen dabei falsche
Thatsachen unter, nicht zwingende Schlüsse und unvollziehbare Vor-
stellungen. Erstlich ist es falsch, dafs das sekundäre Licht heller am
äufsersten Rande sei als in der Mitte, so dafs gewissermafsen ein Ring
oder Kreis entstünde, der heller als das übrige Feld ist. Betrachtet
man allerdings den Mond im Dämmerlichte, so scheint ein solcher
[106. 107.] Erster Tag. 99
Kreis beim ersten Blick vorlianden zu sein. Es ist dies aber eine
Täuschung-, derselbe rührt von der Verschiedenartigkeit der Grenzen
her, welche das sekundär erleuchtete Feld des Mondes umgeben. Auf Sekundäres
. . . . Mondlicht
der Sonnenseite nämlich grenzt es an die hell erleuchtete Mondsichel, scheint in Form
auf der anderen hingegen stöfst es an das dunkle Feld des dämmern- heii am äufaer-
den Himmels. Im Vergleich zu diesem scheint uns die Helligkeit der nicht aber iA
Mondscheibe gröfser, während sie auf der anderen Seite Yon dem kiämng dafür,
gröfseren Glänze der Sichel übertroffen wird. Wenn daher der moderne
Autor versucht hätte, durch einen Schirm, etwa das Dach eines Hauses Methode das
oder sonst etwas Dazwischenliegendes , das primäre Licht vom Auge iionducht zu
fernzuhalten, so dafs blofs der nicht sichelförmige Teil des Mondes
sichtbar bliebe, so hätte er ihn ganz gleichmäfsig leuchtend gesehen.
Simpl. Ich glaube mich jedoch zu erimiern, dafs er schreibt, sich
eines solchen Kunstgriffs bedient zu haben, um sich die leuchtende
Sichel zu verdecken.
Salv. 0, wenn es so steht, so ist das, was ich für Mangel an
Sorgfalt hielt, eine Lüge, die sogar an Dreistigkeit grenzt, denn jeder
kann den Versuch beliebig oft wiederholen. Dafs sodann die Mond-
seheibe bei einer Sonnenfinsternis auf andere Weise gesehen werde, als Die Scheibe des
durch den Mangel jedweden Lichtes, bezweifele ich sehr, namentlichsonneufinstemis
wenn die Finsternis keine totale ist, wie es bei den BeobachtimgenMangei an Licht
des Autors der Fall gewesen sein mufs. Wenn dieselbe aber auch
leuchtend erschiene, so steht das nicht in W^iderspruch, sondern in
Einklang mit unserer Meinung, da ja die ganze sonnenbeleuchtete Erd-
halbkugel dem Monde gegenüber liegt. Mag auch von dieser ein Teil
durch den Schatten des Mondes verdunkelt sein, so ist dieser doch
aufserordentlich klein gegen den übrigen, der hell bleibt. Was er
weiter hinzufügt, dafs bei solcher Gelegenheit der Teil des Randes,
der vor der Sonnenscheibe sich befindet, sehr hell erscheint, nicht so
aber der über die Sonne hinausragende, und dafs dies darum geschehe,
weil durch jenen Teil die Sonnenstrahlen direkt in unser Auge ge-
langten, durch diesen aber nicht, so gehört das zu den Fabeln, welche
beweisen, dafs alles andere, was der Erzähler vorbringt, gleichfalls er-
dichtet ist. Denn wenn das sekundäre Licht der Mondscheibe nur
sichtbar wird, sobald die Sonnenstrahlen direkt in imser Auge gelangen,
merkt denn der gute Mann dann nicht, dafs wir das sekundäre Licht
überhaupt nur bei Sonnenfinsternissen sehen könnten? Wenn schon
bei einer Entfernung von noch nicht einem halben Grad ein Teil der
Mondscheibe die Sonnenstrahlen nicht in imser Auge gelangen läfst,
wie wird es dami stehen, wenn seine Entfenuuig von der Sonne zwanzig
bis dreifsig Grad beträgt wie bei seinem ersten Wiedererscheinen nach
7*
100 Dialog über die Weltsysteme. [107. 108.]
Der Verfasser Neumoncl? Dieser Herr konstruiert die Thatsachen Schritt für Schritt,
leins pafst die wic cr sic gcradc für seine Behauptung gebraucht, statt seine Be-
seinen Behaup- hauptungen Schritt für Schritt den Thatsachen anzupassen. Hört: um
seine Behaup- ZU ermöglichen, dafs das Sonnenlicht in die Substanz des Mondes ein-
sachen. dringen kann, giebt er sie für halbdurchsichtig aus, etwa nach Art
einer Wolke oder eines Krystalls. Wie stellt er sich dann aber eine
solche Durchsichtigkeit vor, wenn die Sonnenstrahlen durch eine mehr
als zweitausend Miglien dicke Wolkenschicht dringen sollen?'*^) An-
genommen aber, er antworte kühn, das könne bei Himmelskörperu
ganz wohl möglich sein, da sie von anderem Bau seien als unsere
elementaren imreinen imd trüben Stoffe; widerlegen wir lieber seinen
Irrtum durch Gründe, die keine Antwort oder, besser gesagt, keine
Ausflucht zulassen. Wenn er an der Behauptung festhalten will, die
Substanz des Mondes sei durchsichtig, so mufs er dies gelten lassen,
wenn auch die Somienstrahlen seine ganze Tiefe zu durchsetzen haben,
d. h. eine Strecke von mehr als zweitausend Miglien; andererseits aber
mufs er einräumen, dals wenn nur ein Hindernis von einer Miglie
oder noch weniger sich ihnen in den Weg stellt, sie dieses nicht besser
durchdringen als einen unserer Berge. ^'^)
Sagr. Ihr ruft mir einen Menschen ins Gedächtnis, der mir ein-
mal das Geheimnis verkaufen wollte, wie man mittels der Fernwirkung
Possen,dereinemvon Magnetnadeln sich mit jemand auf eine Entfernung von zwei- bis
spielt wurde, dreitausend Miglien unterhalten könne. ^'') Ich sagte ihm, dafs ich es
heimnis auftau-gernc kaufcii würdc, ich möchte nur vorher eine Prol)e sehen; ich
jemandem sicii wollc sic schou als befriedigend betrachten, wenn ich mich in einem
verkaufvn wollte meiner Zimmer, er sich in einem anderen befände. Er erwiderte, dafs
in so kleiner Entfernung die Wirkung nicht gut wahrzunehmen sei.
Darauf hiefs ich ihn gehen, indem ich ihm sagte, ich verspürte vor-
läufig keine Lust, nach Kairo oder Moskau zu reisen, um eine Probe
zu veranstalten; wemi er jedoch gehen wolle, würde ich in Venedig
die Rolle des anderen übernehmen. — Aber hören wir, wie es um die
Folgerichtigkeit des Autors steht und wieso er zugeben mufs, der Stoff
des Mondes sei höchst durchlässig für die Sonnenstrahlen in einer
Tiefe von zweitausend Miglien, aber so undurchsichtig wie nur irgend
einer unserer Berge bei einer Dicke von blofs einer Miglie.
Salv. Die Berge des Mondes selbst legen dafür Zeugnis ab. Sie
werfen, auf der einen Seite von der Sonne getroffen, nach der ent-
gegengesetzten tiefschwarze Schatten, die sehr viel schärfer begrenzt
sind als die Schatten unserer Berge. Wären sie durchsichtig, so hätten
wir niemals irgend welche Unebenheit der Mondoberfläche kennen ge-
lernt, noch jene leuchtenden Spitzen erblicken kömien, welche jenseits
I 108. 1(»0.] Erster Tag. 101
der Grenze des erleucliteteu Teils gegen den finsteren in letzterem
gelegen sind. Ja eben diese Grenze würden wir gar nicht so deutlich
sehen, wenn wirklich das Sonnenlicht in die Tiefe des Mondes ein-
dränge. Nach den eigenen Worten des Verfassers müfste der Über-
gang mid die Scheidelinie zwischen dem sonnenbeleuchteten und un-
beleuchteten Teile sehr verwaschen und aus Hell und Dunkel gemischt
sein. Denn ein Stoff, welcher den Sonnenstrahlen den Durchgang bis
zu einer Tiefe von zweitausend Miglien verstattet, mufs doch so durch-
sichtig sein, dafs er bei einer Dicke, die noch nicht den hundertsten
Teil davon beträgt, dem Lichte nur ganz geringen Widerstand ent-
gegensetzt. Gleichwohl ist die Grenze, welche den erleuchteten Teil
von dem dunkeln trennt, scharf und so deutlich wie der Unterschied
von Schwarz und Weifs, besonders wo die Scheide über die von Natur
helleren und rauheren Partieen des Mondes hin wegläuft. Wo sie hin-
gegen die von alters her bekannten Flecken schneidet, welche Ebenen
sind, da ist wegen ihrer sphärischen Krümmung und des dadurch be-
dingten schiefen Auffalls der Sonnenstrahlen die Grenze minder scharf,
weil die Beleuchtung daselbst matter ist. Wenn er schliefslich sagt,
das sekundäre Licht werde mit wachsendem Monde nicht schwächer
und nebelhafter, sondern erhalte sich beständig in gleicher Stärke,
so ist das durchaus falsch. Man sieht im Gegenteil in der Quadratur
wenig mehr davon, während es gerade umgekehrt lebhafter erscheinen
sollte, da man es unbeeinträchtigt vom Dämmerlichte in der finster-
sten Nacht beobachten kann. — Danach gelangen wir zu dem Ergeb-
nis, dafs der Reflex der Erde nach dem Monde sehr bedeutend ist.
Was aber Euerer ganz besonderen Beachtung wert ist, Ihr könnt
daraus eine weitere herrliche Folgerung ziehen: wemi es nämlich wahr
ist, dafs die Planeten auf die Erde durch ihre Bewegung und ihr Licht
einwirken, so wird vielleicht die Erde nicht weniger energisch um-^^ie ^rde wirkt
, , , . . . möglicherweise
gekehrt auf sie einwirken und zwar o;leichfalls durch ihr Licht, mög-umgekehrt mit-
° _ _ ~ _ . tels ihres Licli-
licherweise auch durch ihre Bewegung. Wenn sie sich alier auch nicht tes auf die
" '^ _ _ HiiiiiuelskOri>cr
bewegt, so kann ihr doch diese nämliche Einwirkung verbleiben; denn, «i»-
wie wir gesehen haben, die Wirksamkeit des Lichtes ist genau die-
selbe, die des reflektierten Sonnenlichtes. Die BcAvegimg aber bewirkt
nichts weiter als die Verschiedenheit der Aspekte, die in derselben
Weise stattfinden, mag man nun die Erde sich bewegen und die Sonne
feststehen lassen, oder die umgekehrte Amiahme machen.
Simpl. ihr werdet keinen Philosophen finden, der gesagt hätte,
die Körper der unteren Regionen wirkten auf die des Himmels ein
und Aristoteles sagt klar das Gegenteil.
Salv. Aristoteles und die anderen, welche nicht gewufst haben,
1Q2 Dialog über die Weltsysteme. [109. 110.]
dais die Erde imd der Mond sich wech.selseitig beleuchten, sind ent-
schuldbar; sie würden aber allerdings Tadel verdienen, wemi sie von
uns zwar das Zugeständnis und den Glauben erwarteten, der Mond
wirke durch sein Licht auf die Erde ein, wenn sie hingegen die Wir-
kung der Erde auf den Mond uns, die wir sie über die Beleuchtung
des Mondes von Seiten der Erde belehrt haben, in Abrede stellen
wollten.
Simpl. Mit einem Worte, ich fühle eine unüberwindliche Ab-
neigung dagegen, diese Gleichberechtigung zuzugeben, die Ihr zwischen
Erde und Mond statuieren wollt, indem Ihr jene gewissermafsen der-
selben Rangklasse zuweist wie die Sterne. Wenn es auch sonst nichts
Aväre, schon die weite Trennung und Entfernung zwischen ihr und den
Himmelskörpern scheint notwendig für einen sehr bedeutenden Unter-
schied beider zu sprechen.
Salv. Seht, Signore Simplicio, was ein altes Vorurteil, eine ein-
gewurzelte Gewohnheit nicht alles thut-, sie macht Euch so verblendet,
dafs Ihr sogar Dinge vorbringt, die gegen Euch siirechen, und sie als
günstig für Euere Ansicht auffafst. Weim Treimung und Entfernung
Umstände sind, die in Eueren Augen eine wesentliche Verschieden-
verwaudtschaftheit bedingen, so mufs umgekehrt nahe Nachbarschaft Ähnlichkeit im
Mond rücksicht-Gefolge haben. Wie viel näher aber ist der Mond der Erde als irgend
welchem anderen Himmelskörper? Durch Euer eigenes Zugeständnis
— und Ihr habt darin manchen Philosophen zum Gefährten — statuiert
Ihr eine enge Verwandtschaft zwischen Erde und Mond. — Nun lafst
uns fortfahren; bringt vor, was sonst etwa zu erwägen wäre betreffs
Euerer Bedenken gegen die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Körpern.
Simpl. Es wäre noch die Festigkeit des Mondes zu besprechen,
welche ich daraus folgerte, dafs er aufserordentlich glatt und blank
ist, Ihr aber aus seiner gebirgigen Natur. Ein weiteres Bedenken er-
wuchs mir aus meiner Überzeugung, dafs der Widerschein des Meeres
wegen der Gleichmäfsigkeit seiner Oberfläche kräftiger sei als der des
Landes, dessen Oberfläche so rauh und undurchsichtig ist.
Salv. Auf den ersten EiuAvand bemerke ich folgendes: gleichwie
die Teile der Erde vermöge ihrer Schwere zwar das Bestreben haben
sich dem Mittelpunkte soviel wie möglich zu nähern, dennoch aber
einige weiter von ihm entfernt bleiben als andere, die Bergspitzeu
nämlich weiter entfernt sind als die Ebenen und zwar infolge ihrer
Härte mid Festigkeit — l)estttnden sie nämlich aus einem flüssigen
Festigkeit des Stoffc, SO würdeu sic sich glätten — ebenso spricht die Beobachtung
Mondballs er- ' , ^
giebt sich aus vou Erhöhungen auf der Kugelfläche des Mondes für deren Härte,
keit. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Mond die Kugelgestalt
Olli
Meere schwache
[110. 111.] Erster Tag. 103
angenommen infolge des gleichmäfsigen Strebeus seiner Teile nacli
einem und demselben Mittelpunkte. - — Den zweiten Einwand betreffend,
so glaube ich: aus unseren Betrachtungen und Versuchen mit Spiegeln
können wir klar ersehen, dafs der vom Meere bewirkte Reflex des T-i«htrefle
Lichtes dem des Landes weit nachstehen mufs, soweit es sich um das ais vom Lande
überallhin zerstreute Licht handelt. Der besondere Reflex freilich, wel-
chen die ruhende Wasseroberfläche nach einer bestimmten Richtung
entsendet, erscheint demjenigen, der sich in dieser Richtung befindet,
aufserordentlich intensiv; aber von allen übrigen Stellen aus wird die
Oberfläche des Wassers dunkler als die des Landes erscheinen. Um uns
sinnlich davon zu überzeugen, gehen wir dort in den Saal und giefsen
etwas Wasser auf den Fufsboden. Sagt mir: sieht diese benetzteVerauch, der be-
Fliese nicht weit dunkler aus als die anderen trockenen? Gewifs: und Reflex des
dieses Aussehen wird sie von jedem beliebigen Standorte aus zeigen "le" ist ais der
mit Ausnahme des einzigen, nach welchem hin das Licht, Avelches
durch das Fenster eintritt, reflektiert wird. Geht jetzt also ganz lang-
sam rückwärts.
Simpl. Von hier aus erscheint mir der benetzte Teil heller als
der übrige Fufsboden, und ich sehe, dafs dies daher rührt, weil der
Reflex des durch das Fenster eindringenden Lichtes nunmehr nach
mir hin gerichtet ist.
Salv. Diese Benetzung hat nur bewirkt, dafs die kleinen Ver-
tiefungen der Fliesen ausgefüllt werden imd dafs somit deren Oberfläche
sich in eine vollkommene Ebene verwandelt, welche nunmehr das ge-
samte zurückgeworfene Licht nach einer Richtung entsendet. Der
übrige Fufsboden aber ist rauh, d. h. er besteht aus zahllosen, ganz
verschieden gerichteten, winzigen Teilchen, so dafs die Reflexe nach
allen Richtungen gelangen, freilich schwächer, als wenn sie alle ver-
eint dieselbe Richtung einschlügen. Daher ändert sich sein Aussehen
wenig oder gar nicht, wenn mau ihn von verschiedenen Seiten her
betrachtet, er zeigt sich vielmehr von allen Stellen aus gesehen gleich
hell, aber freilich viel weniger hell als der Reflex der benetzten Stelle.
Daraus schliefse ich, daf^s die vom Monde aus gesehene Oberfläche
des Meeres, da sie — abgesehen von Inseln und Klippen — vollstän-
dig eben erscheinen würde, gerade darum sich weniger hell ausnähme
als die des gebirgigen imd unebenen Landes. Wenn ich nicht fürchtete
über das Ziel hinauszuschiefsen, wie man zu sagen pflegt, so würde
ich noch anführen, dafs ich das sekundäre Licht, welches der Mond
meiner Ansicht nach dem Reflex der Erde verdankt, merklich heller Sekuudäns
' Moiidliclit heller
zwei oder drei Tage vor der Koniunktion beobachtet habe als nachher; vor der kou-
. . . juuktioualsuach
d. h. daim heller, wemi Avir den Mond vor Sonnenaufgang im Osten derselben.
104 Dialog über die Weltsysteme. [111. 112.]
erblicken, als zur Zeit, wo er sich des Abends nach Somieiiuntergang
im Westen zeigt. Dieser Unterschied rührt daher, dafs die Erdhälfte,
welche dem im Westen stehenden Monde gegenüberliegt, wenig Meer
und sehr viel Land enthält, nämlich ganz Asien; bei seinem Stande
im Westen hingegen liegt er einem gewaltigen Meere gegenüber, dem
ganzen atlantischen Oceaii bis hinüber nach Amerika: ein sehr triftiger
Grund für das dunklere Aussehen der Wasseroberfläche im Vergleich
zu der des Landes. ^^)
Simpl.*) Ihr glaubt also wohl auch, dafs die grofsen Flecken,
die auf der Fläche des Mondes zu sehen sind, Meere seien, die übrigen
helleren Partieen hingegen Land oder etwas Ahnliches?'")
Salv. Das, wonach Ihr eben fragt, bildet die erste der Unähn-
lichkeiten, die nach meiner Ansicht zwischen Mond und Erde bestehen.
Es ist an der Zeit, dafs wir auch dieses Kapitel erledigen, demi wir
sind nur allzulange bei dem Monde verweilt. Ich bemerke also: wenn
es in der Natur nur eine einzige Art und Weise gäbe, um zwei von
der Soime beleuchtete Oberflächen verschieden hell erscheinen zu lassen,
nämlich die, dafs die eine aus Land, die andere aus Wasser besteht,
so läge allerdings die Notwendigkeit vor, auf der Oberfläche des Mondes
Land und Wasser zu unterscheiden. Da uns aber mehrere Ursachen
bekannt sind, die dieselbe Wirkung hervorbringen können, und mög-
licherweise noch andere uns unbekannte vorhanden sind, so möchte
ich mich nicht erkühnen ein entscheidendes Urteil betreffs des Mondes
abzugeben. Wir haben bereits früher gesehen, wie eine matte Silber-
platte durch Behandlung mit dem Polierstahl ihr weifses Aussehen
in ein dunkeles verwandelt. Feuchtes Erdreich erscheint dunkeler als
trockenes; auf Bergabhängen sehen bewaldete Stellen weit finsterer
aus als nackte und unfruchtbare, was daher rührt, dafs zwischen
die einzelnen Bäume viel Schatten fällt, während die unbewachsenen
Stellen allenthalben von der Sonne erhellt sind. Diese Beimischmig
von Schatten bewirkt, dafs z. B. bei dem geblümten Sammet die Farbe
der geschnittenen Seide infolge der zwischen die einzelnen Haare ver-
teilten Schatten viel dunkler scheint als die der ungeschuittenen, ebenso
glatter Sammet tiefer gefärbt als aus derselben Seide gewebter Erme-
sintafb.''^) Wären daher auf dem Monde Gegenden nach Art unserer
Wälder, so würden sie möglicherweise das Ansehen der von uns wahr-
genommenen Flecken haben können; aljer auch wemi diese Meere
wären, würde ein ähnlicher Farbenunterschied die Folge sein; endlich
*) Nach Euerer Meinung also würde der Erdball einen ähnlichen Eindruck
machen, ivie die beiden Hauptpartieen, die wir am Monde unterscheiden.
J
[112. 118.] Erster Tag. 105
ist es nicht ausgeschlossen, dafs die Flecken wirklich eine dunkelere
Farbe besitzen als das Übrige, ähnlich wie der Schnee den Bergen
eine hellere Farbe verleiht. Soviel steht fest, dafs die dunkeleren Die dunkleren
Teile des Mondes Ebenen sind, in welchen nur wenige Felsen und sind eben, die
Dämme auftreten, ohne dafs sie jedoch ganz fehlten. Die anderen
helleren Partieen sind über und über mit Felsen, Bergen, kreisförmigen
und anders gestalteten Wällen bedeckt; besonders finden sich rings
um die Flecken gewaltige Bergzüge. Dafs die Flecken ebene Flächen ^,'"p? um nie
o O o o Flecken des
sind, geht aus der Gestalt der Grenze hervor, welche den beleuchteten Mondes finden
' o 7 gjch lange Berg-
Teil von dem dunkeln scheidet. Sie läuft nämlich über die Flecken ketten.
in gleichmäfsigem Zuge hinweg, während sie an den hellen Teilen ge-
brochen und gezackt erscheint. Ich weifs aber doch nicht, ob diese
ebene Beschaffenheit der Oberfläche allein zur Erklärung des dunkeln
Aussehens ausreicht und glaube es kaum. Auch abgesehen davon halte
ich dafür, dafs der Mond sehr verschieden von der Erde ist, weil er
zwar nach meiner Ansicht nicht aus brachliegenden, leblosen Strichen
Landes besteht, dennoch aber eine Bewegung und ein Leben sich auf
ihm nicht mit Sicherheit behaupten läfst, noch viel weniger, dafs eroer Mond bringt
keine den uns-
Pflanzen, Tiere oder andere den irdischen ähnliche Dinge erzeugt, ngen ähnliche
Wenn es dergleichen Dinge dort giebt, würden sie vielmehr völlig vor, sondern,
, . , , ^^ „ - . wenn überhaupt
verschieden und unserem Vorstellungsvermögen ganz entrückt sein, weiche, dann
Ich neige aus dem Grunde zu dieser Ansicht, weil ich erstens glaube, dene.
dafs der Stoff" des Mondballs nicht aus Land und Wasser besteht. Mond nicht aus
. . . . LauduudWasser
Dies allem reicht schon hm, eine Erzeugung und einen Wechsel, wie zusammen-
er auf Erden stattfindet, auszuschliefsen. Aber gesetzt auch, es gäbe
auf ihm Land mid Wasser, jedenfalls würden die dort lebenden Tiere und
Pflanzen von den unseren völlig verschieden sein und zwar vornehm-
lich aus zwei Gründen. Erstens ist für alles Leben auf der Erde die wechselnde
Stellung der
wechselnde Stellimg der Sonne völlig unentbehrlich, so dafs ohne diesen sonne, weiche
. (-, füreinKntstehen
Wechsel alles zu Grunde ginge. Nun ist aber das Verhalten der Sonne bei uns unent-
° '^ 1 AT 1 behrUch ist, ver-
gegenüber der Erde wesentlich anders als gegenüber dem Monde.hait sich auf dem
° ° • r. 1 Monde anders.
Was die Tageszeiten betrifft, so haben wir an den meisten Punkten
der Erde imierhalb 24 Stunden einen Wechsel von Tag imd Nacht, Ein natürlicher
während der entsprechende Vorgang auf dem Monde einen Monatdem Monde einen
dauert-, sodann vollzieht sich der jährliche Wechsel zwischen dem
höheren und tieferen Stande der Somie, welcher die verschiedenen
Jahreszeiten und die Ungleichheit der Tage und Nächte bei uns ver-
ursacht, auf dem Monde gleichfalls innerhalb eines Monats. Während
ferner bei uns der höchste und tiefste Stand der Sonne sich annähernd Auf dem Monde
,.,. , Aiiji schwankt die
um 47 Grad unterscheidet — so grofs nämlich ist der Abstand deruöhe der sonne
1 • 1 TT 1 • 1 r "■" ^^ Grad, auf
Wendekreise von einander — beträft hingegen der Unterschied aut der Krdc um 47.
106 Dialog über die Weltsysteme. [IIa. 114.]
dem Monde nur wenig mehr als 10 Grad; denn um ebensoviel unter-
scheidet sich bei der Mondbahn die gröfste Breite diesseits und jen-
seits der Ekliptik. Man stelle sich nun vor, welche Folgen es haben
würde, wenn die heifse Zone einen halben Monat ohne Unterbrechung
von der Sonne beschienen würde; es versteht sich, dafs unfehlbar alle
Bäume, Kräuter und Tiere vernichtet würden. Wenn also doch auf
dem Monde eine Erzeugung stattfände, so könnte es sich nur um
Pflanzen und Tiere von völlig anderer Beschaffenheit handeln. Zweitens
Auf dem Mou<ie halte ich es für ausgemacht, dafs es auf dem Monde nicht regnet;
würden sich nämlich ähnlich wie auf Erden Wolken zusammenballen,
so müfsten sie ein oder das andere Detail, das wir mittels des Fern-
rohres sehen, verbergen oder doch irgendwie sein Aussehen verändern:
eine Erscheinung, die ich trotz langer und sorgfältiger Beobachtungen
niemals bemerkt habe; im Gegenteil habe ich eine stets gleichförmige
Heiterkeit und Reinheit wahrgenommen.
Sagr. Darauf könnte man erwidern, dafs vielleicht Tau in grofser
Menge fiele oder dafs es nur nachts bei mangelnder Sonnenbeleuchtung
regnete.
Salv. Wenn wir auf Grund anderer Erscheinungen ein Recht zu
der Vermutung hätten, dafs der Mond ähnliche Geschöpfe erzeugt wie
die auf Erden lebenden, und wemi wir blofs die Mitwirkung des Regens
vermifsten, so würden wir daran denken dürfen oder an sonst einen
Ersatz des fehlenden Regens: wie etwa die Nilüberschwemmungen in
Ägypten ein solcher sind. Da wir aber keine einzige der vielen Vor-
bedingungen, die für eine solche Entwicklimg unerläfslich wären, in
TJbereinstimmung mit unseren irdischen Verhältnissen verwirklicht
finden, hat es keinen Zweck eine einzige mühselig zu konstruieren
und auch diese nicht einer zuverlässigen Beobachtung zufolge, sondern
auf Grund einer blofsen Möglichkeit. Wenn übrigens jemand die Frage,
ob dort dieselben oder andere Wesen erzeugt würden wie auf Erden,
blofs nach meinem Gefühle und gesunden Menschenverstände von mir
beantwortet wissen wollte, so würde ich mich dennoch für die völlige
Verschiedenheit, ja für gänzliche Unvorstellbarkeit aussprechen. Denn
dies allein scheint mir dem Reichtum der Natur und der Allmacht
des Schöjifers und Lenkers angemessen zu sem.
Sagr. Mir ist stets als höchste Vermessenheit erschienen, wenn
man menschliche Fassungsgabe zum Mafsstab dessen machen will, was
die Natur zu wirken vermag, während im Gegenteil kein Vorgang in der
Natur sich abspielt, sei er noch so uubedeutend, zu dessen voller Er-
kenntnis auch das tiefste Nachdenken durchdringen könnte. Die eitele
Aiimafsung alles verstehen zu wollen, entspringt nur aus dem ganz-
I 114. 11 5. j Erster Tag. 107
liehen Mangel irgend welcher Erkenntnis.'") Satte jemand auch nur
einmal versucht eine Sache vollkommen zu verstehen und hätte wirk- Nur wer nichts
^ . . . vollkommen ver-
lieh geschmeckt, was Wissen ist, so würde er erkennen, dafs er keine standen hat,
. . . . glaubt alles zu
der unendlich vielen anderen Wahrheiten begreift. verstehen.
Salv. Unwiderleglich ist, was Ihr da sagt. Zum Beweise dient
luis das Beispiel derer, die etwas verstehen oder verstanden haben:
je weiser sie sind, um so mehr erkennen sie mid um so freimütiger
gestehen sie, dafs sie wenig wissen. Der weiseste Mann Griechenlands,
der vom Orakel als solcher bezeichnet wurde, sagte oifen, er sehe ein,
dafs er nichts wisse.
Simpl. Es mufs also das Orakel oder Sokrates selbst gelogen
haben, da jenes ihn preist als den W^eisesten, dieser sagt, er keime
sich als völlig unwissend.
Salv. Weder das eine noch das andere braucht der Fall zu sein,
da beide Aussprüche wahr sein können. Das Orakel nennt Sokrates
den weisesten von allen Menschen, deren Weisheit eine beschränkte Kicbtigkeit des
ist. Sokrates erkennt sich für unwissend im Vergleich zur absoluteiiweicher'sokrates
Weisheit, welche unendlich ist. Da aber von dem Unendlichen das sten Menschen
Viele kein gröfserer Teil ist als das Wenige oder das Nichts — um
z. B. eine unendlich grofse Zahl zu erhalten, thut es die gleichen
Dienste Tausende zu summieren, oder Hunderte, oder Nullen — darum
war sich Sokrates wohl bewufst, seine begrenzte Weisheit sei nichts
gegen die unendliche, die ihm fehlte. Da aber auch bei den Menschen
eine gewisse Erkenntnis sich findet imd zwar ungleich unter sie ver-
teilt, so mochte Sokrates ein gröfseres Teil als andere besitzen und
so die Antwort des Orakels zu Recht bestehen.
Sagr. Ich glaube diesen Punkt sehr wohl zu verstehen. Die
Menschen, Signore Simplicio, besitzen die Macht zu handeln, aber nicht
alle gleichmäfsig. Sicherlich ist der Einflufs eines Kaisers sehr viel
gröfser als der eines einfachen Bürgers; aber dieser wie jener ist nichts
im Vergleich zur göttlichen Allmacht. Es giebt Leute, die vom Land-
bau mehr verstehen als andere: was aber hat die Kunst, ein Rebreis
zu pflanzen gemein mit der Kunst es Wurzel schlagen zu lassen, ihm
Nahrung zuzuführen, von dieser einen Teil zum Aufbau der Blätter
auszuwählen, einen anderen zur Bildung der Ranken, wieder einen
anderen für die der Trauben, des Fleisches und der Haut der Beeren;
alles dies aber wirkt die allweise Natur. Nun das ist ein einziges
von den unzähligen Werken, die sie zustande bringt und in ihm allein Göttliches
oflenbart sie eine unendliche Weisheit; daraus läfst sich ermessen, wie uch mai unend-
das göttliche Wissen unendlich mal unendlich ist.
Salv. Noch ein anderes Beispiel. Die Kunst, in einem Marmor-
108 Dialof,' über die Weltsysteme. [115. 116]
block eine herrliche Statue zu entdecken, hat das Genie Buoiiarruotis
Erhabenheit deshoch über die gemeinen Geister anderer Menschen gestellt, nicht wahr?
Buonarruoti. Und doch ist ein solches Werk nichts anderes als eine äufserliche,
oberflächliche Nachahmung einer einzigen Körperhaltung und Glieder-
stellung eines unbewegten Menschen. Was ist eine solche verglichen
mit dem Menschen, wie ihn die Natur geschaffen, an dem so viele
äufsere und innere Organe sich befinden, eine solche Menge von
Muskeln, Sehnen, Nerven, Knochen, welche so viele mannigfaltige Be-
Avegungen ermöglichen? Und nun gar die Sinne, die Seelen vermögen
und endlich der Verstand? Können wir nicht mit Recht sagen, die
Anfertigung einer Statue stehe unendlich weit zurück hinter der Ge-
staltung eines lebendigen Menschen, ja des verachtetsten Wurmes?
Sagr. Und welch ein Unterschied mag wohl zAvischen der Taube
des Archytas und einer natürlichen gewesen sein? ^)
Simpl. ^^ emi ich anders zu den Mensehen gehöre, die Verstand
besitzen, so liegt in dem, was Ihr sagt, ein offenbarer Widerspruch.
Als einen der grofsen Vorzüge, ja als den gröfsten von allen betrachtet
Ihr an dem von der Natur geschaffenen Menschen den Verstand; und
doch sagtet Ihr noch eben mit Sokrates, dafs sein Verstand ein Nichts
sei. Man mufs also sagen, auch die Natur habe nicht verstanden einen
Geist hervorzubringen, der versteht.
Salv. Euer Einwand ist sehr scharfsinnig; um darauf zu er-
Avidern, mufs man sich auf eine philosophische Unterscheidung berufen
und feststellen, dafs der Begriff des Verstehens in zweierlei Weise ge-
braucht werden kann, nämlich intensive oder extensive. Extensive,
Die Begriffs- d. li. bezüo;lich der Menge der zu begreifenden Dinge , deren Zahl im-
fähigkeit des '=' " " T.T- 1
Menschen ist eudlich ist, ist dcr menschliche Verstand gleich Nichts, hätte er auch
intensive bedeu- _ ...
tend, extensive tausend W^ihrheitcii erkannt; denn Tausend ist im Vergleich zur Un-
endlichkeit nicht mehr wie Null. Nimmt man aber das Verstehen
intensive, insofern dieser Ausdruck die Intensität d. h. die Vollkominen-
heit in der Erkenntnis irgend einer einzelnen Wahrheit bedeutet, so
behaupte ich, dafs der menschliche Intellekt einige Wahrheiten so voll-
kommen begreift und ihrer so unbedingt gewifs ist, wie es nur die
Natur selbst sein kann. Dahin gehören die rein mathematischen Er-
kenntnisse,- nämlich die Geometrie imd die Arithmetik. Freilich er-
kennt der göttliche Geist unendlich viel mehr mathematische Wahr-
heiten, denn er erkeimt sie alle. Die Erkenntnis der wenigen aber,
welche der menschliche Geist begriffen, kommt meiner Meinung an
objektiver Gewifsheit der göttlichen Erkenntnis gleich; denn sie ge-
langt bis zur Einsicht ihrer Notwendigkeit, und eine höhere Stufe der
Gewifsheit kann es wohl nicht geben.
[116. 117.] Erster Tag. 109
Simpl. Das heifse ich entschieden und kühn gesprochen.
Salv. Diese Sätze sind allgemein anerkannt und weit erhaben
über den Verdacht der Vermessenheit oder Kühnheit.''^) Sie thun der
Majestät der göttlichen Allwissenheit keinen Eintrag, so wenig es die
göttliche Allmacht beeinträchtigt, wenn man sagt, Gott vermöge nicht
das Geschehene ungeschehen zu machen. Aber ich vermute, SigTiore
Simplicio, dafs Ihr Verdacht schöpft, Aveil Ihr meine Worte teilweise
mifsverstanden habt. Um mich also besser auszudrücken, so erkläre
ich, dafs zwar die Wahrheit, deren Erkenntnis durch die mathemati-
schen Beweise vermittelt wird, dieselbe ist, welche die göttliche Weis-
heit erkennt: allerdings aber will ich Euch zugeben, dafs die Art und i^^^. göttliche
' <-' o 7 Weise des Er-
Weise, wie Gott die zahllosen Wahrheiten erkennt, von denen wir Rennens Ton
' ' monschlicher
nur einige wenige kennen, hoch erhaben über unsere Weise ist. Wir verschieden.
gehen mittels schrittweiser Erörterung weiter von Schlufs zu Schlufs,„^®"?5'''i^'='i««
«^ ° _ 'Begreifen erfolgt
während er durch blofse Anschauung begreift. So beginnen wir z. B., ^"^ dem wege
o ö _ o _ 'des Schhefaens.
um die Kenntnis einiger Eigenschaften des Kreises zu gewinnen, deren
er unendlich viele besitzt, bei einer der einfachsten, stellen diese als
seine Definition hin und gehen von ihr aus durch Schlüsse zu einer
zweiten über, von dieser zu einer dritten, sodann zu einer vierten u. s. w.
Der göttliche Intellekt hingegen begreift durch blofse Erfassung seines
Wesens ohne zeitliches Erwägen die unendliche Fülle seiner Eigen-
schaften. In Wirklichkeit sind diese denn auch schon in den Defini-^''^'"*^°"®° '*'"-
lassen virtuell
tionen aller Dinge virtuell enthalten und bilden schliefslich, wiewohlf"'' Eigenschaf-
^ ' ten der definier-
an Zahl unendlich, vielleicht doch m ihrem Wesen und im göttlichen *"" begriffe.
Geiste eine Einheit. Dies ist selbst dem menschlichen Intellekt nicht ^^«'^^'''=1^0 ^='^»1
der Eigenschaf-
vöUig fremd, wohl aber ihm durch tiefen dichten Nebelschleier ver- *e" i^üden viei-
" ' leicht eine Eiu-
dunkelt; er wird einigermafsen heller imd durchsichtiger, wenn ^vir ''»'*
gewisse Folgerungen beherrschen, welche streng bewiesen und der-
mafsen zu unserem geistigen Eigentum geworden sind, dafs wir rasch
von der einen zu einer anderen übergehen können. Denn ist nicht
z. B. im Grunde der Satz, dafs das Hypotenusenquadrat gleich der
Summe der Kathetenquadrate sei, dasselbe, als dafs Parallelogramme
mit gemeinsamer Basis zAvischen Parallelen einander gleichen? Und
ist schliefslich dies nicht identisch damit, dafs zwei Flächen gleich
sein müssen, wenn sie auf einander gelegt sich decken, ohne dafs die
eine über die andere hinausragt? Diese Übergänge, zu welchen miser iherginge, zu
^ 00; \vek-heu die
Geist Zeit gebraucht, die er schrittweise vollführt, durchläuft der gött-m<>"ächiichever-
r^ ' ' . nunft Zeit ge-
liche Intellekt dem Lichte gleich in einem Augenblicke"^') oder, was braucht, vou-
p , , '- . zieht der gott-
auf dasselbe hinauskommt, sie sind ihm stets alle gegenwärtig. Daraus i"che Intellekt
. . . iiionieutan ; d.h.
ergiebt sich mir, dafs unser Erkennen sowohl hinsichtlich der Art als^ie sind ihm stets
. ' . liegen wärtig.
hinsichtlich der Menge des Erkannten unendlich weit gegen das gött-
110 Dialog über die Weltsysteme. [117. 118. j
liehe zurückstellt. Doch aber verachte ich jenes nicht so sehr, dafs
ich es für absolut Nichts hielte. Wenn ich vielmehr betrachte, wie
viele und wie wunderbare Dinge die Menschen verstanden, erforscht
und ausgeführt haben, so erkenne und begreife ich nur zu klar, dafs
der menschliche Geist ein Werk Gottes ist und zwar eines der aus-
gezeichnetsten.
Sagr. Schon oft habe ich bei mir Betrachtungen angestellt über
das, wovon ihr eben sprecht, über den Scharfsinn des menschlichen
Bewuuderns- Gcistes. Und weiiu ich die vielen wunderbaren Entdeckungen der
werter Scharf- . . ^ "
sinn des Men- Mcnschhcit in Künstcu und Wissenschaften durchgehe und dann an
Mphengeistes. . .
mein Wissen denke, das mich so ganz und gar nicht befähigt eine
neue ausfindig zu machen, ja auch nur das Gefundene zu begreifen,
dann bin ich verwirrt vor Staunen, niedergeschlagen vor Verzweiflung
und halte mich fast für unglücklich. Wenn ich eine vortreffliche
Statue betrachte, sage ich bei mir: wann wirst du lernen, aus einem
Marmorblock einen solchen Kern herausschälen, die herrliche Form
entdecken, die er verbarg? oder verschiedene Farben mischen und sie
auf einer Leinwand, einer Mauerfläche ausbreiten, dafs sie das ganze
Reich des Sichtbaren darstellen, wie ein Michelangelo, ein Rafael,
ein Tizian? Wenn ich erwäge, wie der Mensch die musikalischen
Intervalle abzuteilen gelernt, Vorschriften und Regeln aufgestellt hat,
um sie zum wunderbaren Ergötzen des Ohres zu verwenden, wann soll
ich da aufhören zu staunen? Und die vielen verschiedenen Instru-
mente? Wie erfüllt die Lektüre der vorzüglichen Dichter den mit
Verwunderung, der aufmerksam die Erfindung und Erklärung ihrer
Gedanken verfolgt? Was sollen wir von der Baukunst sagen, von
der Schiffahrtskunde? Aber Avie. ragt über alle staunenswerten Er-
Erfindung der findungen die Geisteshöhe dessen hervor, der das Mittel ersann, die
werter* auane Gedanken jedwedem Anderen mitzuteilen, wie weit entfernt durch
Raum und Zeit er auch sein mag? zu dem zu reden, der in Indien
weilt? zu denen zu reden, die noch nicht geboren sind, die erst nach
tausend und zehntausend Jahren geboren sein werden? Und mit
welcher Leichtigkeit? Durch verschiedene Verbindung einiger zwanzig
Zeichen auf einem Blatt Papier. Das mag uns als Krone aller be-
wundernswerten Erfindungen der Menschen gelten und den Beschlufs
unserer heutigen Gespräche bilden. Die heifseste Tageszeit ist vor-
über, und Signore Salviati wird gerne, glaube ich, sich miserer Kühle
bei einer Gondelfahrt erfreuen wollen. Morgen werde ich Euch beide
erwarten, um die begonnenen Unterredungen fortzusetzen.
119.]
Zweiter Tag.
Salv. Wir sind gestern vom geraden Wege unserer ErJh'terungen
so oft und so weit abgekommen, dafs ich schwerlich ohne Euere Hilfe
wieder ins rechte Geleise komme und fortfahren kann.
Sagr. Ich finde es sehr begreiflich, dafs Ihr Euch einigermafsen
in Verwirrung befindet, wo ihr den Kopf über und über voll habt
mit dem bereits Vorgetragenen, wie mit dem noch Vorzutragenden.
Ich hingegen, der ich als blofser Zuhörer nur das Vernommene im
Gedächtnis zu behalten brauche, werde hofl'entlich durch kurze Zu-
sammenfassung des Bisherigen den Faden unserer Untersuchung ent-
wirren können. Sofern mich also mein Gedächtnis nicht täuscht, war
der Hauptgegenstand unserer gestrigen Gespräche der, dafs wir von
Grund aus prüften, welche der beiden Meinungen wahrscheinlicher
mid begründeter sei: diejenige, nach welcher die Substanz der Him-
melskörper unerzeugbar, unzerstörbar, unveränderlich, unempfindlich,
kurz abgesehen von der Ortsveränderung jedem Wechsel entrückt
ist, und darum ein fünftes Element darstellt, welches durchaus ver-
schieden ist von unseren elementaren, erzeugbaren, zerstörbaren, ver-
änderlichen Körpern; oder die andere Ansicht, nach welcher ein solches
Mifsverhältnis zwischen den Teilen des Weltalls in Wegfall kommt,
die Erde vielmehr sich derselben Vorzüge erfreut, wie die übrigen das
Weltall zusammensetzenden Körper, mit einem Worte ein freibewegter
Ball ist, so gut wie der Mond, Jupiter, Venus oder ein anderer Planet.
Wir hoben zuletzt viele Übereinstimmungen im einzelnen zwischen der
Erde und dem Monde hervor und zwar mehr mit dem Monde als mit
einem anderen Planeten, wohl wegen der genaueren mid sinnlich greif-
bareren Kenntnis, die wir infolge seiner geringeren Entfernung über
ihn besitzen. Nachdem wir schliefslich zu dem Ergebnis gekommen
sind, diese zweite Meinung habe die gröfsere Wahrscheinlichkeit für
sich, verlangt es, wie mir scheint die Folgerichtigkeit, dafs wir die
Frage prüfen, ob die Erde für imbeweglich zu halten, wie bisher von
den meisten geglaubt wurde, oder für beweglich, wie einige Philo-
1]^2 Dialog über die "Weltsysteme. [120. 121.]
soplien des Altertums glaubten und einige neuerdings meinen: und
wenn für beweglich, wie bescliaffen ihre Bewegung sein mag.
Salv. Nun weifs ich wieder genau, welchen Weg wir einzuschlagen
haben. Ehe wir aber weiter zu gehen beginnen, möchte ich mir eine
Bemerkung betreffs Euerer letzten Worte erlauben. Ihr sagtet, wir
seien zu dem Ergebnis gekommen: die Meinung, nach welcher die Erde
für gleichartig mit den Himmelskörpern gehalten wird, sei wahr-
scheinlicher als die entgegengesetzte. Dies habe ich jedoch nicht be-
hauptet, ebensowenig, wie ich irgend eine andere der streitigen Lehren
als erwiesen betrachten werde. Ich habe nur die Absicht gehabt, für
und gegen beide Ansichten die Gründe imd Gegengründe, die Ein-
wände und deren Beseitigung zur Sprache zu bringen, welche andere
bis jetzt vorgebracht haben, sowie einiges Neue, auf das ich durch
langes Nachdenken gestofsen bin. Die Entscheidimg aber stelle ich
dem Urteil anderer anheim.
Sagr. Ich hatte mich von meiner eigenen Empfindung fortreifsen
lassen. In dem Glauben, andere müfsten ebenso denken wie ich, habe
ich verallgemeinert, was ich beschränkter hätte ausdrücken sollen.
Ich habe mir wirklich einen Irrtum zu schulden kommen lassen,
namentlich da ich die Ansicht des hier anwesenden Signore Simplicio
nicht kenne.
Simpl. Ich gestehe, die ganze letzte Nacht überdachte ich noch-
mals unsere gestrigen Erörterungen und finde, sie enthalten in der
That viel Schönes, Neues und Treffendes. Bei alledem fühle ich mich
doch weit mehr durch das Ansehen so grofser Schriftsteller bewogen,
mid insbesondere — Ihr schüttelt den Kopf, Signore Sagredo, und
lächelt, als ob ich ganz etwas Ungeheuerliches sagte.
Sagr. Ich lächle nur, aber glaubt mir, ich ersticke fast, um nicht
laut vor Lachen herauszuplatzen 5 denn Ihr habt mich an eine präch-
tige Geschichte erinnert, bei welcher ich vor einigen Jahren Zeuge
war, gleichzeitig mit einigen anderen befreundeten Edelleuten, deren
Namen ich Euch noch nennen könnte.
Salv. Es Avird gut sein, wenn Ihr uns die Sache erzählt, sonst
möchte Signore Simplicio vielleicht bei der Meinung beharren, er sei
es, der Euch lachen gemacht.
Sagr. Es sei. Ich befand mich eines Tages im Hause eines in
Venedig sehr angesehenen Arztes, wohin öfters Leute kamen, teils
ihrer Studien wegen, teils aus Neugier, um eine Leichensektion von
der Hand eines ebenso wahrhaft gelehrten, wie sorgfältigen und ge-
schickten Anatomen ausführen zu sehen. Diesen Tag nun geschah es,
>fo°rTeine3Phiio-dafs man den Urspi-ung und den Ausgangspunkt der Nerven aufsuchte,
I
[121. 122.] Zweiter Tag. 113
welches eine bertilimte Sti'eitfrao-e zwischen den Ärzten aus der Schule sophen bei Ge-
° , . . legeuhoit der
des Galen und den Peripatetikern ist.M Als nun der Anatom zeigte, wieAufsuchung des
^ ' °. ' Nervenur-
der Hauptstanim der Nerven, vom Gehirn ausgehend, den Nacken ent- sprungs.
lang zieht, sich durch das Rückgrat erstreckt und durch den ganzen
Körper verzweigt, und wie nur ein ganz feiner Faden von Zwirnsdicke
zum Herzen gelangt, wendete er sich an einen Edelmann, der ihm als
Peripatetiker bekannt war, und um dessentwillen er mit aufserordent-
licher Sorgfalt alles blofsgelegt und gezeigt hatte, mit der Frage, ob
er nun zufrieden sei mid sich überzeugt habe, dafs die Nerven im rrsprmig der
_ , Nerven nach
Gehirn ihren Ursprung nehmen und nicht im Herzen. Worauf unser Aristoteles und
nach Ansicht
Philosoph, nachdem er ein V\' eilchen in Gedanken dagestanden, er- der Ärzte,
widerte: Ihr habt mir das alles so klar, so augenfällig gezeigt —
stünde nicht der Text des Aristoteles entgegen, der deutlich besagt,
der Nervenursprung liege im Herzen, man sähe sich zu dem Zuge-
ständnis gezwungen, dafs Ihr Recht habt.
Simpl. Ich möchte die Herren doch darauf aufmerksam machen,
dafs dieser Streit über den Ursprimg der Nerven keineswegs so aus-
gemacht und entschieden ist, wie sich mancher vielleicht einbildet.
Sagr. Er wird es auch zuverlässig niemals werden; denn es wird
nie an solchen Widersachern fehlen. Indessen benimmt das, was Ihr
sagt, der Antwort des Peripatetikers nichts von ihrer Wunderlichkeit-,
denn er brachte gegen eine so augenscheinliche Erfahrung nicht etwa
andere Erfahrungen oder Gründe aus dem Aristoteles vor, sondern
nichts als seine Autorität, das blofse ipse dixit.'^)
Simpl. Aristoteles hat so grofses Ansehen nur durch seine schla-
genden Beweise, seine tiefsinnigen Untersuchungen erlangt. Nur mufs
man ihn verstehen, und nicht nur verstehen, sondern in seinen
Schriften auch so bewandert sein, dafs man eine vollkommene Über-
sicht über sie hat, dafs einem jedes seiner Worte stets vor der Seele
schwebt. Denn er hat nicht für den grofsen Haufen geschrieben und
sich nicht den Zwang angethan, seine Schlüsse nach elementarer
Weise geordnet an den Fingern herzuzählen. Er bedient sich viel-
mehr bisweilen einer verworrenen Reihenfolge und bringt den Beweis
einer Behauptung in einem Kapitel, das scheinbar von ganz etwas Erfordernisse,
anderem handelt. Darum bedarf es ienes grofsen Einblicks in das weise des
. . . . ,. Aristoteles ein
Ganze; darum mufs man diese Stelle mit jener kombimeren, diesen guter Philosoph
Paragraphen mit jenem ganz entlegenen vergleichen. Es ist kein
Zweifel, dafs, wer diese Kunst versteht, aus seinen Büchern die Be-
weise für alles Erkennb3;re schöpfen kann; deim in ihnen ist alles
enthalten.
Sagr. Aber, lieber Signore Simplicio, weim Euch das Durchein-
Galilei, Weltsysteme. 8
zu sein.
114 Dialog über die Weltsysteme. [122. 123.]
auderwürfeln des Stoffes niclit verdriefst und Ihr durch Vergleich und
Kombination einzekier Splitterchen die Quintessenz zu erlangen ver-
rntteirn^ Phi-meint, so will ich die Prozedur, die Ihr und Euere wackeren Kollegen
jedem' Buchr^zumit dem Texte des Aristoteles vornehmt, mit den Versen Virgils oder
erlernen. Q^j^jg anstellen, will. eiucn Flicken daraus auf den anderen setzen und
damit alle menschlichen Angelegenheiten und Geheimnisse der Natur
erklären. Doch wozu brauche ich Virgil oder einen anderen Dichter?
Ich besitze ein weit kürzeres Büchlein als den Aristoteles und den
Ovid, worin alle Wissenschaften enthalten sind und wovon man mit
geringster Mühe die vollkommenste Übersicht erlangen kann; es ist
das Alphabet.^) Kein Zweifel, durch richtige Anordnung und Ver-
bindung dieses und jenes Vokals mit dem und jenem Konsonanten
kann man die zuverlässigste Auskunft über jeden Zweifel erhalten,
kann die Lehren aller Wissenschaften, die Regeln aller Künste ge-
mnnen; gerade wie der Maler blofs verschiedene Farben mischt, die
getrennt auf der Palette liegen, von dieser ein bifschen und von jener
ein wenig, und daraus Menschen, Pflanzen, Bauten, Vögel, Fische
bildet, kurz alles Sichtbare nachahmt, ohne dafs er auf seiner Palette
Augen, Federn, Schuppen, Blätter oder Steine hätte. Ja es darf sogar
keines der nachzuahmenden Dinge, noch auch Teile eines solchen sich
wirklich bei den Farben befinden, wenn man damit alles soll darstellen
können. Wären z. B. Federn dabei, so könnte man sie nur gebrauchen,
um Vögel oder Federbüsche abzumalen.
Salv. Ich kenne einige Edelleute, noch heute frisch und gesund,
Avelche zugegen waren, wie ein Doktor an einer berühmten Hochschule,
Erfindung des r^jg qj- (J^s vou ihm iioch uicht gesehene Fernrohr beschreiben hörte,
Fernrohrs dem _ "
^"!,*°^^i,!f„'''^*' sagte, die Erfindimg sei dem Aristoteles entnommen. Als er sich
einen Text hatte bringen lassen, suchte er eine gewisse Stelle auf, wo
die Gründe abgehandelt werden, infolge deren vom Boden eines sehr
tiefen Brunnens die Sterne bei Tag am Himmel gesehen werden
köimen. Er sagte zu den Umstehenden: Hier habt Ihr den Brunnen,
er ist das Rohr; hier die dichten Dämpfe, ihnen ist die Erfindimg der
Linsen nachgebildet; hier habt Ihr endlich die Verstärkung der Seh-
kraft beim Durchgang der Strahlen durch ein dichteres, dunkeles und
durchsichtiges Mittel, "^j
Sagr. Diese Manier, alles Erkennbare zu umfassen, ist ähnlich
der, wonach ein Marmorblock eine oder tausend der herrKchsten
Statuen enthält; die Schwierigkeit ist nur, sie ausfindig zu machen.
Wir dürfen auch sagen, es gehe damit wie mit den Weissagungen
Joachims^) oder den Orakelsprüchen der Alten, die man erst nach
dem Ausgang der vorhergesagten Dinge versteht.
nommen.
[123. 124.] Zweiter Tag. 115
Salv. Denkt Ihr nicht auch an die Voraussagimgen der Astro-
logen, die aus dem Horoskop, d. h. aus der Stellung der Gestirne,
nachträglich so klar herauszulesen sind?^)
Sagr. Ebenso steht es mit der Entdeckung der Alchymisten'), die
geleitet von dem hnmor melancholicus, finden, dafs in Wahrheit alle die Alchymisten
deuten in die
erhabensten Geister der Menschheit, über nichts geschrieben haben, als Fabein der
-.1 TT IT 1 • Dichter das Ge-
über die Kunst, Gold zu machen. Um nun aber diese zu lehren, ohne sie heimnis Goid zu
allem Volke zu verraten, habe einer diese, der andere jene Weise aus-
geheckt, um unter mancherlei Einkleidimg das Geheimnis anzudeuten.
Nichts ist lustiger, als ihre Kommentare zu den alten Dichtern zu
hören, in welchen sie die wichtigsten Mysterien, versteckt im Gewände
der Fabeln, aufspüren: was die Liebeshändel der Mondgöttin bedeuten,
ihr Herniedersteigen zur Erde um Endymious willen, ihr Zorn gegen
Aktäon; wann Jupiter sich in einen Goldregen, wann in glühende
Flammen verwandelt, welche tiefen Kimstgeheimnisse in jenem Mer-
curius Interprcs stecken, in jenen Entführungen durch Pluto, in jenen
goldenen Zweigen.
Simpl. Ich glaube und bin in manchen Fällen gewifs, dafs es nicht
an recht wunderlichen Köpfen fehlt; aber deren Albernheiten dürfen
nicht zu Ungunsten des Aristoteles ausgebeutet werden, von dem Ihr,
wie mich dünkt, bisweilen mit zu wenig Achtung sprecht. ■ Das blofse
Alter und der grofse Ruf, den er sich nach dem Urteile so vieler
ausgezeichneter Männer erworben hat, sollten genügen, um ihn achtungs-
wert in den Augen aller Gelehrten erscheinen zu lassen.
Salv. So liegt die Sache nicht, Signore Simplicio. Gerade einige
seiner gar zu engherzigen Anhänger sind schuld daran oder würden
vielmehr schuld daran sein, dafs man ihn minder hoch schätzt, wenn
wir ihren seichten Erörterungen beipflichten wollten. Ihr aber, sagt
mir mit Vergunst, seid Ihr wirklich so einfältig, um nicht einzusehen, Manche An-
° . ' °'. ' hänger des
dafs, wenn Aristoteles zugegen gewesen wäre, wie er von dem Doktor Aristoteles ver-
" . . mindern sein
zum Erfinder des Fernrohrs gemacht wurde, er weit mehr über diesen Ansehen da-
^ . durch, dafs sie
aufgebracht gewesen wäre, als über die, welche den Doktor mid seine es aUzusehr ver-
. . . . gröfseru wollen.
Auslegungsweise verlachten? Zweifelt Ihr etwa, dafs Aristoteles seine
Meinung ändern und seine Bücher verbessern würde, wenn er von den
neuen astronomischen Entdeckungen erführe; dafs er sich zu so sinnen-
fälligen Lehren bekennen und alle die kleinen Geister von sich ver-
bannen würde, die engherzig genug es über sich gewinnen, jedes seiner
Worte aufrecht zu erhalten, die nicht einsehen, dafs wenn Aristoteles
so wäre, wie sie ihn sich vorstellen, er ein Dummkopf, ein Eigen-
sinniger, eine Barbarenseele, voll tyrannischer Willkür wäre, der alle
anderen als blödes Vieh betrachtet mid den Kundgebungen seines
Komische Ge-
schichte von
einem Bild-
hauer.
116 Dialog über die Weltsysteme. [124. 125.J
Willens deu Vorrang zuspricht vor der Sinneswahruehmuug, der Er-
fahrimg, der Natur selber? Seine Anhänger haben dem Aristoteles
die Autorität verliehen, nicht er hat sie sich angemafst oder genommen.
Weil es leichter ist, unter dem Schilde eines anderen Schutz zu
suchen, ah offenen Antlitzes in die Schranken zu treten, fürchten sie
und wagen nicht, einen Schritt von ihm sich zu entfernen. Ehe sie
am Himmel des Aristoteles etAvas ändern lassen, leugnen sie dreist,
was sie am Himmel der Natur erblicken.
Sagr. Leute solchen Schlags erimiern mich an jenen Bildhauer,
der aus einem grofsen Marmorblock, ich weifs nicht, ob das Bild
eines Herkules oder eines donnernden Jupiters geformt hatte. Mit
wunderbarer Kunst hatte er ihm solches Leben, so grause Majestät
zu verleihen gewufst, dafs jeden Beschauer Furcht anwandelte und
schliefslich der Künstler selbst sich davor zu fürchten begann, wiewohl
Ausdruck mid Bewegung das Werk seiner Hände war. So grofs war
sein Grauen, dafs er sich nicht erkühnt hätte, ihm fürder mit Hammer
und Meifsel zu nahen.
Salv. Ich habe mich oft gewmulert, wie es möglich ist, dafs die
buchstabengläubigen Anhänger des Aristoteles nicht herausfühlen,
welchen Abtrag sie dem Ansehen und dem Rufe desselben thun, und
wie sie, bestrebt seine Autorität zu vergröfsern, umgekehrt sie herab-
ziehen. Denn wenn ich sie halsstarrig Sätze verteidigen sehe, die
handgreiflich irrig sind, wenn sie mir einreden wollen, so zieme es
sich für den wahren Philosophen und so würde Aristoteles selbst ver-
fahren, dann komme ich von der Meinung zurück, dafs seine Schlüsse
auf anderen mir weniger zugänglichen Gebieten ihre Richtigkeit haben.
Sähe ich sie hingegen auf Gruud offenbarer Wahrheiten nachgeben
und ihre Meinung ändern, so würde ich glauben, dafs da, wo sie auf
ihrer Meinung beharren, ihre mir mi verständlichen oder unbekannten
Beweise zuverlässig richtig seien.
Sagr. Oder wenn ihr eigener Ruf und der des Aristoteles in
ihren Augen zu sehr gefährdet schiene, sobald sie zugestehen, er habe
dieses oder jenes, von einem anderen gefundene Ergebnis nicht ge-
kannt, thäten sie dann nicht besser, es dennoch in seinen Schriften
ausfindig zu machen, durch Verbindung verschiedener Stellen, nach
dem von Signore Simplicio angedeuteten Rezepte? Denn wenn alles
Erkennbare sich in ihm findet, mufs auch wohl dieses darin ent-
halten sein.
Salv. Signore Sagredo, zieht dieses scharfsinnige Auskunftsmittel
nicht ins Lächerliche, denn Ihr scheint mir Eueren Vorschlag im
Scherze zu machen. Es ist aber noch nicht lange her, dafs ein Philo-
[125. 126.] Zvreiter Tag. 117
soph von bedeutendem Rufe ein Buch über die Seele verfafst hatte,
worin er bei Wiedergabe der aristoteh'schen Ansicht über die Frage
der Unsterblichkeit viele Citate aus ihm anführte — nicht die Citate
Alexanders**), welche, wie er sagte, überhaupt diesen Gegenstand nicht
behandelten, geschweige denn etwas damit Zusammenhängendes zur
Entscheidung brächten — sondern andere von ihm an ganz ver-
borgenen Stellen gefimdene, die einen gefährlichen Beigeschmack hatten.
Darauf aufmerksam gemacht, dafs er Schwierigkeiten haben werde,
die Druckerlaubnis zu erlangen, schrieb er dem Freunde zurück, er GeeinnungsioBe
möge deswegen nicht unterlassen, die Erledigung der Sache zu befür- eines peripate-
worten; demi wenn sonst nichts im Wege stünde, sei es ihm ein sophen.'""
Leichtes, die Lehre des Aristoteles abzuändern und durch andere Er-
klärung und mittels anderer Stellen die entgegengesetzte Ansicht als
dem Sinne des Aristoteles gemäls nachzuweisen.
Sagr. Alle Achtung vor diesem Gelehrten! Er läfst sich von
Aristoteles kein X für ein U machen, er führt ihn an der Nase herum
und läfst ihn nach seiner Pfeife tanzen. Ihr seht, wieviel darauf
ankommt, den günstigen Zeitpunkt abzupassen. Man mufs mit Her-
kules sich nicht einlassen, wenn er wütet und rast, sondern wenn er
mit den mäonischen Mägden schwatzt.^) Oh der imerhörten Nieder-
trächtigkeit knechtischer Geister! Freiwillig sich zum Sklaven zu
machen, an fremde Willensmeinungen sich unauflöslich zu ketten, sich
überzeugt und überführt nennen zu müssen durch Gründe, die so
schlagend, so klar beweisend sind, dafs eben diese Leute nicht recht
wissen, ob sie auch auf den Gegenstand sich beziehen und ob sie die Engherzigkeit
betreffende Behauptung zu erhärten bestimmt sind! Das Tollste aber "häii''ge7 i es
ist, dafs sie unter einander uneins sind, ob der Autor selbst für oder "^*°*® *^
gegen die Behauptung Partei ergriffen habe. Heifst dies nicht einen
Götzen von Holz zu seinem Orakel machen? Von ihm soll man Aus-
kunft erwarten, ihn fürchten, ihn verehren, ihn anbeten?
Simpl. Wenn man sich aber von Aristoteles lossagt, wer soll
Führer in der Wissenschaft sein? Nennt Ihr irgend welchen Autor!
Salv. Des Führers bedarf man in unbekannten ^vilden Ländern,
in. offener ebener Gegend brauchen nur Blinde einen Schutz. Wer zu
diesen gehört, bleibe besser daheim. Wer aber Augen hat, körper-
liche und geistige, der nehme diese zum Führer! Darum sage ich
nicht, dafs man Aristoteles nicht hören soll, ja ich lobe es, ihn einzu-
sehen und ihn fleifsig zu studieren. Ich tadele nur, wenn man auf
Gnade oder Ungnade sich ihm ergiebt, derart, dafs man blindlings nie zu weit go-
jedes seiner Worte unterschreibt, und ohne nach anderen Gründen zUgabratTAristo-
forschen, diese als ein unumstöfsliches Machtgebot anerkennen soll.*''^*^* '^ven^^^^'
118 Dialog über die Weltsysteme. [126. 127.]
Es ist das ein Mifsbraucli, der eiu anderes schweres übel im Grefolge
hat: man bemüht sich nicht mehr, sich von der Strenge seiner Be-
weise zu überzeugen. Was kann es Schmählicheres geben als zu sehen,
wie bei öffentlichen Disputationen, wo es sich um beweisbare Behaup-
tungen handelt, urplötzlich jemand ein Citat vorbringt, das gar oft
auf einen ganz anderen Gegenstand sich bezieht und mit diesem dem
Gegner den Mund verstopft? Wenn Ihr aber durchaus fortfahren
wollt, auf diese Weise zu studieren, nennt Euch fernerhin nicht Philo-
wer niemals sophcu, nennt Euch Historiker oder Doktoren der Auswendiglernerei;
darf "sich nicht dcun wcr nlcmals philosophiert, der darf den Ehrentitel eines Philo-
phiioaophen an- sophcu nicht bcansprucheu. — Doch wir thuu gut dem Ufer wieder
zuzusteuern, um nicht in ein unendliches Meer zu geraten, aus dem
wir den ganzen heutigen Tag über nicht wieder herausfänden. Darum,
Signore Simplicio, bringt uns Euere Beweise oder des Aristoteles Gründe
Die Welt der uud Bcwcisc, uicht aber Citate und blofse Autoritäten; denn imsere
Untersuchungen haben die Welt der Sinne zum Gegenstand, nicht eine
Welt von Papier. Da nun bei unserer gestrigen Untersuchung die
Erde der Finsternis entrückt und an den weiten Himmel versetzt
worden ist, indem wir zeigten, ihre Zugehörigkeit zu den sogenannten
Himmelskörpern sei doch nicht eine dermafsen widerlegte und über-
wundene Ansicht, dafs sie nicht noch einigermafsen lebensfähig wäre,
so müssen Avir jetzt prüfen, was es für sich hat, sie für feststehend
und völlig unbewegt zu halten — ich meine den Erdball im ganzen —
und welche Wahrscheinlichkeitsgründe andererseits für ihre Beweg-
lichkeit und für die oder jene bestimmte Art der Bewegung sprechen.
Da ich in dieser Frage schwankend bin, Signore Simplicio aber mit
Aristoteles entschieden für die Unbewegtheit eintritt, so mag er
Schritt für Schritt die Beweggründe für seine Meinung beibringen, ich
die Einwände und die Gründe für den entgegengesetzten Staudpunkt,
mid Signore Sagredo mag uns seine Empfindungen zu wissen thun
und uns sagen, auf welche Seite er sich hingezogen fühlt.
Sagr. Ich bin völlig einverstanden, unter der Bedingung jedoch,
dafs es auch mir unbenommen bleibt, geeigneten Orts vorzubringen,
was der gesunde Menschenverstand mir eingiebt.
Salv. Ich möchte Euch sogar dringend darum gebeten haben:
denn von den naheliegenderen, gewissermafsen gröberen Betrachtungen
sind seitens der Schriftsteller wenige aufser Acht gelassen worden, so
dafs nur die schwierigsten und verborgensten möglicherweise zu ver-
missen sind imd fehlen. Und wo fände sich ein feinerer Kopf, um
diese aufzuspüren, als der des scharf- und weitblickenden Signore
Sagredo?
[127. 128.] Zweiter Tag. 119
Sagr. Meinetwegen will ich alles sein, wofür Signore Salviati
mich ausgiebt, nur wollen wir um Himmels willen nicht auf diese
Weise durch Höflichkeiten abermals von unserem Gegenstände ab-
kommen. Jetzt bin ich Philosoph, bin im Hörsaal der Wissenschaft
und nicht auf dem Markte beim Stimmenfang.
Salv. Beginnen wir also unsere Betrachtung mit der Erwägung,
dafs, welche Bewegung auch der Erde zugeschrieben werden mag,
dennoch wir, als deren Bewohner und somit als Teilnehmer an ihrer
Bewegung, von dieser unmöglich etwas merken können, ganz als obDie Bewegungen
• 1 P. T 1 • ■ 1- 1 tS ■ -r, 'ler Erde sind
Sie nicht stattfände, vorausgesetzt, da!s wir nur irdische Dmge m Be- für ihre Be-
' . . . . wohner nicht
tracht ziehen. Demgegenüber ist es freilich ebenso notwendig, dafs wahrnehmbar.
scheinbar diese nämliche Bewegung ganz allgemein allen anderen
Körpern und sichtbaren Gegenständen zukommt, die, von der Erde
getrennt, deren Bewegung nicht mitmachen. Die richtige Methode,
um zu erforschen, ob man der Erde eine Bewegung zuschreiben kann
und welche, besteht also darin, dafs man untersucht und beobachtet,
ob sich an den Körpern aufserhalb der Erde eine scheinl^are Bewegung ßie Erde kann
■ keine anderen
wahrnehmen läfst, die gleichermafsen ihnen allen zukommt. Denn Bewegungen be-
' _ _ . sitzen als solche,
eine Bewegung, die beispielshalber nur am Monde wahrnehmbar ist,weiche scheinbar
° , ^ ' ^ . . ^ dem übrigen
hingegen mit Venus oder Jupiter oder anderen Sternen nichts zu thun weitau mit
. ... . Ausnahme der
hat, kann unmöglich der Erde eigentümlich sein, noch sonst wo ihrenErde zukommen.
Sitz haben als im Monde. Nun giebt es eine solche ganz allgemeine, nie tägliche Be-
, - wegung ist
alle anderen beherrschende Bewegung, nämlich die, welche Sonne, scheinbar eine
_ dem ganzen
Mond, die anderen Planeten, die P^ixsterne, kurz das gesamte Weltall weitau durch-
"? ^ aus gemeinsame
mit alleiniger Ausnahme der Erde insgesamt von Ost nach V\ est Bewegung ab-
. . . . (-, p T gesehen von
innerhalb eines Zeitraums von vierundzwanzig Stunden auszuführen der Erde.
scheinen. Diese nun, soweit es wenigstens beim ersten Blick den An-
schein hat, könnte ebenso gut eine Bewegung der Erde allein sein,
wie der ganzen übrigen Welt mit Ausnahme der Erde. Denn bei der
einen Annahme wie bei der anderen würden sich dieselben Erschei-
nungen. ergeben. Daher kommt es, dafs Aristoteles und Ptolemäus, ^^''^j^^^'^J^^^^ ^^^^J'^
die diese Erwägung sehr wohl verstanden, gegen keine andere Bt?- '"j^'^^^^JJ |^^^^"
wegungsart Gründe ins Feld führen als gegen diese tägliche. Nur an '""IgUche^B^e^^
einer Stelle bringt Aristoteles noch eine Art Einwand gegen eine «-egung.
andere Bewegungsart, die ihr von einem Alten beigelegt wurde, worüber
wir an geeigneter Stelle sprechen werden.^'')
Sagr. Ich verstehe sehr wohl, dafs Euere Erwägung strenge
richtig ist. Es stöfst mir aber ein Bedenken auf, das ich nicht los-
werden kami. Da nämlich Kopernikus doch aufser der täglichen Be-
wegung der Erde ihr noch eine weitere zuschreibt, so müfste uns
diese nach dem eben erörterten Grundsatze zwar an der Erde an-
120 Dialog über die Weltsysteme. [128. 129.]
scheinend unmerkbar sein, aber an dem ganzen übrigen Weltall sicht-
bar werden. Ich gelange daher zu dem Schlüsse: entweder er hat
offenbar geirrt, wenn er der Erde eine Bewegung zuerteilt, zu der
kein Gegenstück am gesamten Himmelsgewölbe zum Vorschein kommt,
oder ein solches Gegenstück ist vorhanden, dann läfst Ptolemäus sich
einen zweiten Fehler zu schulden kommen, weil er diese Bewegung
nicht ebenso mit Gründen widerlegt, wie er jene widerlegt hat.
Salv. Euer Bedenken ist sehr gerechtfertigt. Wenn wir von der
anderen Bewegungsart handeln werden, sollt Ihr sehen, wie hoch
Kopernikus an durchdringendem Scharfsinn über Ptolemäus steht,
indem er gesehen hat, was dieser nicht sah, nämlich wie wunderbar
sich jene zweite Bewegung in der Gesamtheit der übrigen Himmels-
körper wiederspiegelt. Einstweilen aber wollen wir diesen Teil auf-
schieben und zu unserer ersten Betrachtung zurückkehren. Ich will
vom Allgemeinsten ausgehend die Gründe vortragen, welche zu Gunsten
der Bewegung der Erde zu sprechen scheinen, um sodann von Signore
Simplicio die Gegengründe zu vernehmen. Erstlich also: wenn wir
blofs den ungeheueren Umfang der Sternensphäre betrachten im Ver-
gleich zu der Kleinheit des Erdballs, welcher in jener viele Millionen
Mal enthalten ist, imd sodami an die Geschwindigkeit der Bewegung
Warum die dcukeu, iufolgc dcrcu in einem Tage und einer Nacht eine ganze Um-
wegung wahr- drchung vollzogcu wird, so kann ich mir nicht einreden, wie es
Erde allein als jemand für Vernünftiger und glaublicher halten kann, dafs die Himmels-
weitaii zu- Sphäre es sei, die sich dreht, der Erdball hingegen fest bleibt.
Sagr. Wenn sämtliche Naturerscheinungen, die von diesen Be-
wegungen abhängig sind, genau ebenso gut aus der einen Amiahme
wie aus der anderen sich erklären lassen, so möchte ich nach dem ersten
allgemeinen Eindruck die Ansicht, welche das ganze Weltall sich be-
wegen läfst, um die Festigkeit der Erde aufrecht zu erhalten, für
noch unvernünftiger halten, als weim jemand auf die Spitze Euerer
Kuppel stiege ^^), blofs zu dem Zwecke, um eine Aussicht auf die
Stadt und ihre Umgebung zu haben, und nun verlangte, dafs man die
ganze Gegend sich um ihn drehen lasse, damit er nicht die Mühe
hätte, den Kopf zu wenden. Es müfsten jedenfalls viele grofse Vor-
züge mit dieser Annahme verbunden sein, welche jener abgehen, damit
eine solche Absurdität in meinen Augen ausgeglichen und aufgewogen
würde, und sie mir glaublicher vorkäme als die entgegengesetzte An-
sicht. Aber Aristoteles, Ptolemäus mid Signore Simplicio müssen doch
wohl ihren Vorteil dabei finden und es wird gut sein, dafs auch wir diese
Vorzüge hören, wemi solche vorhanden sind, oder dafs man mir erklärt,
Avarum sie nicht vorhanden sind imd nicht vorhanden sein können.
[129. 130.] Zweiter Tag. 121
Salv. Wie ich trotz alles Nachdenkens keinerlei Verschiedenheit
hahe finden können, so glaube ich sogar gefunden zu haben^ dafs eine
solche Verschiedenheit unmöglich vorhanden sein kann.'^) Nach
meiner Ansicht ist es daher vergeblich, fernerhin darnach zu suchen;
merkt also auf. Die Bewegung ist nur insofern Bewegung und wirkt
als solche, als sie in Bezug steht zu Dingen, die ihrer ermangeln.
Unter Dingen aber, die alle gleichmäfsig von ihr ergriffen sind, ist
sie wirkungslos, so sjut als ob sie nicht stattfände. Die Waren, mit i-ür ninge, die
. . . . . . gleithmafs-igvon
welchen ein Schiff beladen ist, bewegen sich insofern, als sie von einer Bewegung
ergriffen sind,
Venedig abgehen und über Korfu, Kandia, Cypern nach Aleppo ge- ist diese so gut
langen; denn Venedig, Korfu, Kandia u. s. w. bleiben und bewegen handen und übt
. . nur eine Wir-
sich nicht mit dem Schiffe. Hingegen ist für die Warenballen, Kisten kung bezüglich
. der Dinge, die
und sonstigen Gepäckstücke, die als Ladung oder Ballast auf dem sich nicht an
Schiffe sind, bezüglich des Schiffes selbst die Bewegung von Venedig
nach Syrien so gut wie nicht vorhanden, ihre gegenseitige Lage
ändert sich in keiner Weise; und zwar rührt dies daher, dafs die Be-
wegung eine gemeinschaftliche ist, an welcher sich alles beteiligt.
Wenn von den im Schiffe befindhchen Waren ein Ballen nur einen
Zoll von einer Kiste sich entfernt, so wird dies für ihn eine gröfsere
Bewegung in Bezug auf die Kiste sein, als die Reise von zweitausend
Miglien, die sie in Gemeinschaft zurücklegen.
Simpl. Diese Lehre ist richtig, wohl begründet und durchaus
peripatetisch.
Salv. Ich halte sie für älter und vermute, dafs Aristoteles, als
er sie von irgend welcher guten Schule übernahm, sie nicht völlig A^L'loTeies, den
verstand, sie darum in veränderter Form niederschrieb und so die "gangem ^t-
Ursache einer verworrenen Auffassimg geworden ist unter Beihilfe .,bgeä"nd'err haV
derer, die jedes seiner Worte aufrecht erhalten wollen. Wenn er
schreibt, dars alles, was sich bewegt, sich auf etwas Unbewegtem be-
wege ^^), so vermute ich, dafs dies mifsverständlich gesagt ist statt:
alles, was sich bewegt, bewegt sich in Bezug auf etwas Unbewegtes.
Diese Behauptung hat nicht die geringste Schwierigkeit, die andere
ihrer viele.
Sagr, Ich bitte Euch, lafst ims nicht den Faden verlieren mid
setzt die begonnene Untersuchung fort.
Salv. Da also offenbar die Bewegung, welche vielen beweglichen
Körpern gemeinsam zukommt, wirkungslos und in Bezug auf die
relative Lage derselben gegen einander so gut wie nicht vorhanden
ist — es ändert sich ja nichts unter ihnen — und da sie blofs auf
die relative Lage zu solchen Körpern wirkt, die sich an der Bewegung
nicht beteiligen — hier nämlich ändert sich das gegenseitige Ver- dafs die tsg- '
122 Dinlog über die Weltsysteme. [130. 131.]
liehe Bewegiingliältnis — da wir ferner das Weltall in zwei Teile zerlegt haben,
kommt. deren einer unbedingt beweglich, der andere unbeweglich sein mufs,
so kommt es für alle Folgen dieser Bewegung auf dasselbe hinaus,
ob man die Erde allein sich bewegen läfst oder das ganze übrige
Weltall. Denn die Wirkung einer solchen Bewegung besteht in nichts
anderem als in der gegenseitigen Lage, in welche die Erde und die
Himmelskörper geraten, und aufser dieser gegenseitigen Lage ändert
sich nichts. Wenn es nun zur Erziehmg genau derselben Folgen
gleichgültig ist, ob die Erde allein sich bewegt und das ganze übrige
Weltall ruht oder die Erde ruht und das ganze Weltall in gemein-
samer Bewegung begriffen ist: wer möchte dann glauben, die Natur
Die Natur bietet — wclche doch uach allgemeiner Ansicht nicht viele Mittel aufbietet,
nicht viele '^ ' .
Mittel auf, wo wo sie mit wenigen auskommen kann — habe es vorgezogen, eine
sie mit wemgen • i i
auskommt, imcrmc fsHche Zahl gewaltigster Körper sich bewegen zu lassen und
zwar mit unglaublicher Geschwindigkeit, um zu bewirken, was durch
die mäfsige Bewegung eines einzigen um seinen eigenen Mittelpunkt
sich erreichen liefse?
Simpl. Ich begreife nicht recht, dafs jene mächtige Bewegung
für die Sonne, den Mond, die anderen Planeten und die unzählbare
Schar der Fixsterne so gut wie nicht vorhanden sein soll. Nennt Ihr
denn das nichts, wenn die Sonne aus einem Meridian in einen anderen
AuB der tag- tritt, über diesen Horizont emporsteigt, unter jenen hinabsinkt, bald
wegung eut- Tag bringt, bald Nacht, wenn der Mond ähnliche Änderungen durch-
springt keinerlei . . .-.„.' „
veiändtru..g macht uud desgleichen die anderen Planeten sowie die Iixsterne?
körper unter Salv. Alle vou Euch aufgezählten Veränderungen sind solche
einander, alle _ _
Veränderungen uxu' lü Bczug auf die Erde. Um Euch davon zu überzeugen, denkt
beziehen sich auf . . i • * n i tt
die Eide. Euch uur die Erde weg; es giebt dann keinen Auf- noch Untergang
der Sonne oder des Mondes, keine Horizonte, keine Meridiane, keinen
Tag, keine Nacht: kurz, durch besagte Bewegung wird keinerlei Ver-
änderimg in dem Verhältnis des Mondes zur Sonne oder irgend welchen
anderen Gestirnen hervorgerufen, seien es Planeten oder Fixsterne.
Alle Veränderungen haben vielmehr Bezug auf die Erde, sie kommen
im Grunde nur darauf hinaus, dafs die Sonne erst für China, dann
für Persien, nachher für Ägypten, Griechenland, Frankreich, Spanien,
Amerika u. s. w. sichtbar wird imd dafs ein gleiches mit dem Monde
und den übrigen Himmelskörpern geschieht. Es spielt sich genau
derselbe Vorgang in ganz derselben A^'eise ab, wenn man, ohne einen
so grofsen Teil des Weltalls zu behelligen, den Erdball sich um
Zweite Bestäti- sich sclbcr drehen läfst. — Die Sch-svierigkeit verdopj)elt sich aber,
^"lifherBe-^' insofern eine zweite sehr bedeutende hinzutritt, ^^'enn man nämUch
^'^E^rde.'^'"^ jene gewaltige Bewegung dem Himmel beilegt, mufs man notwendiger-
[131. 132.] Zweiter Tag. 123
weise diese als entgegengesetzt den besonderen Bewegungen der sämt-
lichen Planetensphären ansehen, die alle unstreitig ihre eigene Be-
wegung von Westen nach Osten haben und zwar eine sehr gemäch-
liche und gemäfsigte. Man wird dann zur Annahme genötigt, dafs
sie von jener reifsend schnellen täglichen Bewegung nach der entgegen-
gesetzten Richtimg fortgerissen werden, nämlich von Ost nach West.
Läfst man hingegen die Erde sich um sich selber bewegen, so fällt
der Gegensatz der Bewegmigen hinweg und die blofse Bewegimg von
West nach Ost schmiegt sich allen Thatsachen an, erklärt sie alle aufs
befriedigendste.
Simpl. Was den Gegensatz der Bewegungen betrifft, so würde Einen Gegen-
das wenig zu bedeuten haben Denn Aristoteles beweist, dafs Kreis- kreisförmigen
Bewegungen
bewegimgen nicht einander entgegengesetzt sind, und dafs der schein- giebt es nicht
1 n i 1 • -1 • 1 • ?i- 1 1 1 PH nach Aristoteles.
bare Gegensatz bei ihnen nicht wirklich so genannt Averden darf. ")
Salv. Beweist das Aristoteles oder behauptet er es nur, weil es
ihm für einen gewissen Zweck j)afst? Wenn nach seiner eigenen Ver-
sicherimg dasjenige einander entgegengesetzt ist, was sich wechsel-
seitig zerstört, so läfst sich nicht absehen, weswegen zwei bewegte
Körper, die auf einer Kreislinie einander begegnen, einander weniger
zu leide thun sollen, als wenn sie auf einer geraden Linie einander
begegneten.
Sagr. Bitte, haltet einen Augenblick ein. Sagt mir, Signore
Simplicio, wenn zwei Ritter auf offenem Felde mit eingelegter Lanze
aufeinander losremien, wenn zwei ganze Geschwader oder zwei Flotten
zur See einander beremien, durchbohren und versenken, würdet Ihr
solche Zusammenstöfse als entgegengesetzte Bewegungen bezeichnen?
Simpl. Wir nennen sie allerdings entgegengesetzt.
Sagr. Wieso gäbe es also keinen Gegensatz bei Kreisbewegungen?
Da die genannten Bewegimgen auf der Erd- oder AYasseroberfläche
stattfinden, die bekamitlich beide kugelförmig sind, so stellen sie sich
als kreisförmig heraus. Wifst Ihr, Signore Simplicio, welche Kreis-
bewegungen nicht einander entgegengesetzt sind? Die zweier Kreise
welche einander von aufsen berühren und von denen die Umdrehung
des einen von selbst die des anderen in umgekehrtem Sinne bewirkt.
Ist aber ein Kreis im Innern des andern, so müssen nach verschiedeneu
Seiten gerichtete Bewegungen auch einander entgegengesetzt sein.
Salv. Entgegengesetzt übrigens oder nicht entgegengesetzt, das
ist ein Wortstreit. Ich weifs nur, dafs in Wirklichkeit es viel ein-
facher und natürlicher ist, alles mit einer Bewegimg abzumachen, als
deren zweie einzuführen. Wollt Ihr sie nicht entgegengesetzt nennen,
so heilst sie umgekehrt. Ich stelle auch die Einführung dieser
•124 Dialog über die Weltsysteme. [132. 133]
doppelten Bewegung nicht als etwas Unmögliclies hin und behaupte
keineswegs, daraus einen strengen Beweis für die Bewegung der Erde
ableiten zu können, sondern nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der-
uriite Bestäti- sclbeu. Die UnWahrscheinlichkeit verdreifacht sich durch völligen
gung derselben , . . /-^ i i i ii xt- i i • i i i i
Ansicht. uuisturz derjenigen Ordnung, welche alle Himmelskörper beherrscht,
bei denen die Kreisbewegung nicht zweifelhaft, sondern vollkommen
sicher gestellt ist. Je gröfser nämlich in einem solchen Falle die Sphäre
Je grofser die igt^ um SO läugcrc Zeit nimmt der Umlauf in Anspruch, je kleiner,
um so länger um SO kürzcrc. Saturn, dessen Bahn an Gröfse die aller Planeten
lauf. übertrifft, vollendet sie in dreifsig Jahren. Jupiter dreht sich in seinem
kleineren Kreise in zwölf Jahren um, Mars in zweien, der Mond in
seinem viel kleineren innerhalb eines Monats. Ebenso deutlich sehen
Umlaufszeiten wir bci dcu Mcdiceischcn Gestirnen^'') das dem Jupiter zunächst be-
der Medice!- . . _ rj •, -i*!-
sehen Gestirne. nachbartc sciuen umlaui m ganz kurzer Zeit, namlich m etwa
42 Stunden abmachen, das folgende in etwa drei und ein halb Tagen,
das dritte in sieben und das entfernteste in sechszehn Tagen. Diese
durchgehends befolgte Regel wird nun bestehen bleiben, wenn man
24-stüudige Be- die 24-stündige .Bewegung einer Drehung der Erde zuschreibt; will
höchsten sphäreman abcr die Erde unbewegt lassen, so mufs man zuerst von der ganz
durchbricht die -nii-nTi • n ii
Ordnung in den kurzen Rcgcl dcs Moudcs ZU immer grölseren übergehen, zu der
niederen, zweijährigen des Mars, von da zu der zwölfjährigen Jupiters, von hier
zu der 30-jährigen Saturns, nun aber plötzlich zu einer unvergleichlich
viel gröfseren Sphäre, der man gleichwohl eine volle Umdrehung in
24 Stunden beilegen mufs. Dabei ist dies noch diejenige Annahme,
Avelche die geringste Störung der sonst befolgten Ordnung herbeiführt.
Denn wollte man von der Saturnsphäre zu der Fixsternsphäre über-
gehen und sie um soviel gröfser annehmen, als es ihrer aufserordent-
lich langsamen Umlaufszeit von vielen tausend Jahren"') entspricht, so
müfste man mit noch viel unverhältnismäfsigerem Sprunge von dieser
zu einer anderen noch gröfseren übergehen und sie mit einer 24-stün-
digen Umdrehungsperiode ausstatten. Nimmt man aber eine Bewegung
der Erde an, so wird die Gesetzmäfsigkeit der Perioden aufs beste ge-
wahrt; von der trägsten Sphäre des Saturn gelangt man zu den ganz
unbeweglichen Fixsternen. Man entgeht damit auch einer vierten
Vierte Bestäti- Schwierigkeit, die notwendigerweise zugegeben werden mufs, sobald
GrofseUngieich-mau die Stemensphärc beweglich amiimmt. Ich meine die gewaltige
wegungen bei Ungleichheit bei den Bewescungen eben dieser Sterne, von welchen
den einzelnen . ? . . . ' .
rixaternen, cimgc sich aufserordeutlich schnell in ungeheueren Kreisen drehen
wenn ihre ° , ...
Sphäre eich be- müfstcu, audcrc schr langsam in ganz kleinen Kreisen, da sich die
einen in gröfserer, die anderen in geringerer Entfernung vom Pole be-
finden. Dies ist ebenfalls ein Übelstand; denn einerseits sehen wir
[133—135.] • Zweiter Tag. 125
alle diejenigen Sterne, deren Beweglichkeit unzweifelliaft feststeht, sich
alle in gröfsten Kreisen drehen, anderuteils scheint es wenig Zweck zu
haben, Körper, welche sich kreisförmig bewegen sollen, in ungeheuere^^.^^sungen d^er
Entfernung vom Mittelpunkte zu setzen und sie dann in ganz kleinen *^j,chiedelln
Kreisen sich bewegen zu lassen. Und nicht nur die Gröfse der ver-^'*'*®" schneller
o uud langsamer,
schiedenen Kreise und somit auch die Geschwindigkeiten der Be- ^.."'^'^ "^i^.
o Sterneusphare
wegungen sind bei diesen und jenen Fixsternen ganz verschieden, ^^'■'^ bewegt,
sondern auch dieselben Sterne ändern ihre Bahnen imd ihre Geschwin-
digkeiten: darin besteht der fünfte Übelstand. Diejenigen nämlich,
welche vor zweitausend Jahren im Äquator standen und folglich bei
ihrer Bewegung gröfste Kreise beschrieben, müssen, weil sie heutzu-
tage viele Grade von ihm entfernt sind, sich langsamer und in kleineren
Kreisen bewegen. Nach nicht gar so langer Zeit wird es sogar ge-
schehen, dafs einer von denen, die sich bisher stets bewegt haben,
schliefslich mit dem Pole zusammenfällt uud dami feststeht, nachher
aber, nach einiger Zeit der Ruhe, wiederum anfängt sich zu bewegen.
Die anderen Gestirne aber, die sich unzweifelhaft bewegen, haben alle,
wie gesagt, als Bahn einen gröfsten Kreis und behalten diese unver-
änderlich bei. — Die Unwahrscheinlichkeit wird noch vermehrt — es
mag dies als sechster Übelstand gelten — für denjenigen, der gründlich sechste bb-
zu Werke geht, dadurch dafs man sich nicht vorstellen kann, welche
Festigkeit jene ungeheuere Sphäre haben mufs, in deren Tiefen so
viele Sterne dermafsen dauerhaft befestigt sind, dafs sie, ohne irgend-
wie ihre gegenseitige Lage zu ändern, trotz solcher Verschiedenheit
der Bewegungen gleichmäfsig im Umschwung erhalten werden. Oder
wenn der Himmel, nach der sehr viel wahrscheinlicheren Annahme,
flüssig ist^^), mithin jeder Stern für sich seine Bahn beschreibt: nach
welchem Gesetze und aus welchem Grimde sollen ihre Bahnen derart
geregelt sein, dafs sie von der Erde aus gesehen wie in einer einzigen
Sphäre enthalten scheinen? Um dies zu erreichen, scheint es mir um
ebenso viel leichter und bequemer, sie unbeweglich statt wandelnd zu
machen, wie etwa die Pflastersteine auf dem Markte leichter in Ord-
nung bleiben als die Kinderscharen, die sich darauf herumtreiben.
Schliefslich das siebente Bedenken: schreiben wir die tägliche Um- siebente bo-
drehimg der höchsten Himmelsregion zu, so hätte man dieser eine
solche Gewalt und Kraft zu verleihen, dafs sie die unzählbare Menge
der Fixsterne mit sich fortreifst, alles Körper von gCAvaltigstem Um-
fang und weit gröfser als die Erde, ferner alle Planetensphären, ol)-
gleich diese wie jene von Natur aus sich in entgegengesetzter llichtung
bewegen. ^^) Aufserdem mufs man notwendig einräumen, dafs auch
das Element des Feuers und der gröfsere Teil der Luft u'leicherweise
126 Dialog über die Weltsysteme. [135. 136.]
fortgerissen werden; somit widersetzt sich einzig und allein der kleine
Die freischwe- Erdball hartnäckig und eigensinnig solcher Kraft : eine Annahme, die,
bende, in einem ..,. ., •ii ti i-i
flüssigen Mittel wie mir schcmt. Viel gegen sich hat. Ich wüfste auch nicht zu er-
Erde scheint klären, wcshalb die Erde, ein freischwebender, um ihren Mittelpunkt
nicht fähig zum .
Widerstand balancierender Körper, der von Natur ebensowenig zur Bewegung wie
gegen die 6e- . . . . • a^- i
wait der tag- zur Ruhc neigt, der rings umgeben ist von einem flüssigen Mittel,
liehen Be- . » ' ° . " ^ . ^ '
wegung. nicht auch von der allgemeinen Umdrehung ergriffen werden sollte.
Auf derartige Übelstände stofsen wir aber nicht, wenn wir die Erde
sich bewegen lassen, einen so kleinen, unbeträchtlichen Körper im Ver-
gleich zum gesamten Weltall, welcher eben darum diesem keinerlei
Gewalt anzuthun vermag.
Sagr. In meinem Geiste beginnen sich so verworren mancherlei
Gedanken zu regen, die durch die angestellten Untersuchungen mir
erweckt worden sind. Soll ich mit Aufmerksamkeit dem weiteren
Vortrag folgen können, so mufs ich versuchen, ob es mir glückt, sie
besser zu ordnen und soviel Wertvolles daraus abzuscheiden, als daran
ist, wenn anders etwas daran ist. Vielleicht wird es mir leichter
durch Abfragen mich deutlich zu machen. Darum frage ich Euch,
Signore Simplicio, erstlich ob nach Euerer Ansicht ein und demselben
einfachen beweglichen Körper von Natur verschiedene Bewegungen
zukommen können, oder ob ihm nur eine einzige eigentümliche und
natürliche verliehen ist.
Ein einfacher Simül. ELocm einfachen beweglichen Körper kann nicht mehr
beweglicher ... .
Körper hat nur als cinc einzige natürliche Bewecfuns zukommen, alle anderen nur zu-
eine natürliche . ^ .. o o ;
Bewegung, alle fällig und durch Übertragung. Wenn z. B, jemand im Schiffe umher-
wegungen sind spaziert, SO ist die ihm eigentümliche Bewegung das Umherspazieren-,
diejenige hingegen, welche ihn in den Hafen führt, ist nur auf ihn
übertragen. Durch sein Umhergehen wäre er niemals ans Ziel gelangt,
hätte ihn nicht das Schiff durch seine Bewegung dahin geführt.
Sagr. Sagt mir zweitens: mufs notwendig die Bewegung, welche
durch Übertragung einem Körper mitgeteilt wird, während er selbst
eine von der mitgeteilten verschiedene Bewegung vollführt, an und für
sich ihren Sitz in irgend welchem Subjekte haben oder kann sie auch
ohne andere Unterlage in der Natur vorhanden sein?
Simpl. Aristoteles giebt Euch auf alle diese Fragen Antwort.
Es giebt keine Er lehrt Euch: wie iedem Bewegten eine Bewegung entspricht, so jeder
Bewegung ohne '' ^ o o r ; J
ein bewegliches Bewegung ein Bewegtes: und demnach kann ohne Inhärenz an ihrem Sub-
Subjekt. . . . .
jekte eine Bewegung weder existieren noch auch nur vorgestellt werden.''')
Sagr. Ich möchte Euch noch bitten, mir drittens zu sagen, ob
nach Euerer Ansicht der Mond und die übrigen Planeten und Himmels-
körper eine eigene Bewegung besitzen und welches sie ist.
[136. 137.] Zweiter Tag. 127
Simpl. Sie besitzen eine solche und zwar diejenige, vermöge
welcher sie den Tierkreis durchlaufen, der Mond in einem Monat, die
Sonne in einem Jahre, Mars in zweien, die Sternensphäre in so und
so viel tausend Jahren. Dieses sind ihre eigenen, natürlichen Be-
wegungen.
Sagr. Inwiefern aber kommt ihnen die Bewegung zu, vermöge
deren ich die Fixsterne und vereint mit ihnen alle Planeten in
24 Stunden von Ost nach West gehen und wieder nach Osten zurück-
kehren sehe?
Simpl. Das ist eine auf sie übertragene Bewegung.
Sagr. Diese hat also ihren Sitz nicht in ihnen; und wenn sie
nicht in ihnen ihren Sitz hat mid doch nicht ohne ein Subjekt sein
kann, dem sie anhaftet, mufs man sie zur eigenen natürlichen Be-
wegmig einer weiteren Sphäre macheu.
Simpl. Diese Rücksicht hat die Astronomen und Philosophen be-
wogen, eine andere oberste Sphäre ohne Sterne anzunehmen, welcher
von Natur die tägliche Umdrehung eignet, das sogenannte primum
mohile. Dieses reifst alle miteren Sphären mit sich, indem seine Be-
wegung auf diese sich mitteilt und überträgt.
Sagr. Wenn man aber ohne Einführung neuer unbekannter und
so gewaltiger Sphären, ohne neue Übertragungen reifseud schneller
Bewegungen, jeder Sphäre ihre alleinige einfache Bewegung läfst und
nicht entgegengesetzte Bewegungen mischt, sondern sie alle in dem-
selben Sinne vor sich gehen läfst, wie es notwendig der Fall sein
mufs, da sie alle auf dasselbe Princip zurückgehen, und wenn alles
dennoch vortrefflich geht und aufs schönste zusammenstimmt, warum
diesen Standpunkt zurückweisen, diesen sonderbaren und mühevollen
Annahmen hingegen beistimmen?
Simpl. Die Kunst ist nur, diese einfache und mühelo-e Methode
zu finden.
Sagr. Ich glaube, sie ist fix und fertig. Lafst die Erde das
primum mobile sein, d. h. lafst sie in 24 Stunden sich um sich selber
drehen und zwar in derselben Richtung wie alle anderen Sphären.
Ohne dafs dann eine Übertragung von Bewegung auf irgend welchen
Planeten oder Fixstern stattfindet, werden alle in gewohnter Weise
auf- und untergehen, kurz alle die bekamiten Erscheinungen zeigen.
Simpl. Die Frage ist nur, wie die Erde zu bewegen ist, ohne
dafs tausend Übelstände sich herausstellten.
Salv. Alle Übelstände werden der Reihe nach beseitigt werden,
wie Ihr sie vorbringt. Das Bisherige enthält nur die ersten und all-
gemeinsten Beweggründe, vermöge deren es nicht so ganz imd gar
128 Dialog über die Weltsysteme. [137. 138.]
unwahrscheinlich erscheint, wenn man die tägliche Umdrehung lieber
der Erde als dem ganzen übrigen Weltall zuschreibt. Ich stelle diese
Ein einziger uicht als unvcrbrüchliche Gesetze hin, sondern nur als Gründe, die
ein strenger Be- manches für sich haben. Da ich recht wohl einsehe, dafs ein einziger
wahrscheinlich Versuch odcr ein strenger Beweis für das Gegenteil diese mid hmidert-
uichte. tausend andere Wahrscheinlichkeitsgründe völlig zu Schanden macht,
so brauchen wir uns bei diesen nicht aufzuhalten, sondern können
weitergehen und hören, was Signore Simplicio erwidert, ob er eine
gröfsere Wahrscheinlichkeit und bessere Gründe für die gegenteilige
Meinung anzuführen hat.
Simpl. Ich will zuerst eine allgemeine Bemerkung über diese
Betrachtungen im ganzen machen, dann zu einigen Einzelheiten über-
gehen. Durchgehends stützt Ihr Euch, wie mir scheint, auf die
gröfsere Einfachheit und Leichtigkeit, mit welcher die nämlichen
Wirkungen sich vollziehen; Ihr meint, als Ursache sei die Bewegung
der Erde allein ebenso ausreichend als die Bewegung des gesamten
übrigen Weltalls mit Ausnahme der Erde; den thatsächlichen Vor-
gang haltet Ihr aber in jenem Falle für weit leichter als in diesem.
Darauf erwidere ich: auch mir scheint es so, wenn ich an meine nicht
nur endliche, sondern so ganz geringe Kraft denke. Für die Macht
Eine unendliche des Welteuleukers aber, welche unendlich ist, ist es nicht minder
Macht wird
wahrscheinlich leicht das Weltall zu bewegen als die Erde oder einen Strohhalm.
groisen als einen Weuu aber sciuc Macht unendlich ist, warum soll sich nicht lieber ein
ihrer selbst offen-grofser als ciu gauz kleiner Teil derselben oifenbaren? Von diesem
allgemeinen Gesichtspunkt scheint mir daher die Beweisführung nicht
schlagend.
Salv. Wenn ich irgendwie gesagt hätte, das Weltall bewege sich
wegen Ohnmacht seines Lenkers nicht, so würde ich geirrt haben
vmd Euere Rüge wäre angebracht. Ich gebe Euch zu, dafs einer un-
endlichen Macht es ebenso leicht ist, hunderttausend wie eins zu be-
wegen. Was ich sagte, bezieht sich aber nicht auf den, der bewegt,
sondern auf das, was sich bewegt; und zwar nicht nur auf die ihm
iime wohnende Widerstandskraft, welche unzweifelhaft bei der Erde
geringer sein mufs als beim übrigen Weltall, sondern auch auf die
vielen anderen eben betrachteten Einzelheiten. Darairf, dafs es einer
unendlichen Macht besser anstehe, einen grofsen Teil ihrer selbst zu
Vom unend- offenbaren als einen kleinen, entgegne ich, dafs vom Unendlichen ein
liehen giebt es ., . . ! & ö 7 ^
nicht einen Teil uicht gröfser ist als ein anderer, wenn beide endlich sind. '''^) So
gröfseren und .
einen kleineren ist CS uiistatthaft ZU sageii, dafs hunderttausend ein gröfserer Teil
Teil, wenn diese , . . . ...
auch ungleich ciucr miendlicheu Zahl sei als zwei, wenn gleich jenes fünfzigtaus end-
mal gröfser ist als dieses. Wenn es zur Bewegung des Weltalls einer
'
[138. 139.] Zweiter Tag. 129
endlichen Kraft bedarf, mag sie auch noch so vielmal gröfser sein als
die zur Bewegung der Erde allein erforderliche, so würde darum doch
nicht der in Anspruch genommene Teil der unendlichen Kraft gröfser
sein, und derjenige, welcher müfsig bliebe, würde nicht aufhören un-
endlich zu sein. Darum ist es ohne Einflufs, ob für eine besondere
Wirkung etwas mehr oder etwas weniger Kraft aufgewendet wird.
Überdies hat die Ausübung solcher Macht nicht als Grenze imd Ziel
die blofse tägliche Bewegung, sondern es giebt in der Welt andere
Bewegungen genug, die uns bekannt sind, und viele andere uns un-
bekamite mag es aufserdem geben. Wenn wir also die bewegten
Körper in Betracht ziehen und wenn wir unzweifelhaft die Bewegung
der Erde als einen kürzeren und einfacheren Vorgang zu betrachten
haben als die des Weltalls, wenn wir endlich unser Augenmerk auf
so viele andere Vereinfachungen imd Erleichterungen richten, die blofs
durch diese Annahme sich erreichen lassen, so miifs uns nach dem
sehr richtigen Axiome des Aristoteles : frustra fit per plnra quod potest
fieri per ijauciora"^^) die tägliche Bewegung der Erde viel wahrschein-
licher vorkommen als die des Weltalls mit Ausnahme der Erde.
Simpl. Ihr habt beim Citieren des Axioms eine Klausel wegge-
lassen, auf die alles ankommt, besonders im vorliegenden Falle, den
Zusatz nämlich aeqiie hene. Es ist demnach zu prüfen, ob man allen
Anforderungen ebenso gut durch die eine wie durch die andere An-
nahme genügen kann.
Salv. Ob die eine und die andere Annahme die Erscheinungen
gleich gut erklärt, wird sich erst aus der speciellen Prüfung der-
jenigen Erscheinungen ergeben, welche zu erklären sind. Denn vor-
läufig haben wir ex hypothesi untersucht und wir werden ferner so
untersuchen, indem wir voraussetzen, dafs zur Erklärung der Erschei-
nungen beide Standpunkte gleich geeignet sind. Die Partikel, die ich Bei dom Axiom
ausgelassen haben soll, habt Ihr vielmehr, wie ich fürchte, überflüssig piura etc. ist
-r>.-p,, -T-»'! -1 • ^^^ Zusatz aeque
hinzugesetzt. Das Ebensogut setzt eine Beziehung zwischen wemg-ö«»« überflüssig,
stens zwei Gliedern voraus, da ein Ding nicht eine Beziehimg zu sich
selbst haben kann, wie es denn keinen Sinn hat etwa zu sagen, die
Ruhe sei eben so gut wie die Ruhe. Wenn man also sagt: es ist
zwecklos mehr Mittel anzuwenden, wo Aveniger ausreichen, so ist es
selbstverständlich, dafs dasjenige, was geschehen soll, in beiden Fällen
dasselbe, nicht etwas Verschiedenes ist. Da man nun nicht sagen
kami, ein und dasselbe Ding sei ebenso gut wie es selbst, so ist dem-
nach der Zusatz ebenso gut überflüssig und schliefst eine Beziehung
in sich, bei welcher nur ein Glied vorhanden ist.
Sagr. Wenn es uns nicht wie gestern ergehen soll, lafst uns,
Galilei, Weltsysteme. 9
130 Dialog über die Weltsysteme. [139. 140.]
bitte, auf unseren Gegenstand zurückkommen. Signore Simplicio mag
die Bedenken vorbringen, die nach seiner Ansicht dieser neuen Welt-
ordnung entgegenstehen.
Simpl. Diese Weltordnung ist nicht neu, sondern uralt. Zum
Beweise dafür mag dienen, dafs Aristoteles sie widerlegt und zwar auf
Aristotelische folgende Weise. ^^) „Erstlich, wenn die Erde sich bewegte, sei es um
stiustehen der ^^sich sclbst, SO dafs sie im Mittelpunkte des Weltalls steht, sei es
„im Kreise, so dafs sie nicht im Mittelpmikte steht, so mufs notweu-
„dig eine solche Bewegung eine gewaltsame sein; denn es ist nicht
„die der Erde natürliche Bewegung. Wäre es nämlich ihre natürliche
„Bewegung, so würde sie auch jedem Teilchen derselben zukommen,
„während doch diese sich sämtlich in gerader Linie nach dem Mittel-
„punkte hin bewegen. Da es sich also um eine gewaltsame und wider-
„uatürliche Bewegung handelt, kann sie nicht von ewiger Dauer sein;
„die Weltordnung ist ewig; also u. s. w. Zweitens: alle anderen kreis-
„formig bewegten Körper bleiben offenbar zurück imd haben mehr
„als eine Bewegungsart, mit Ausnahme des prininm möbile.'^^) Darum
„müfste sich auch die Erde in doppelter Weise bewegen. Wäre dies
„aber der Fall, so müfsten sich auch Veränderungen an den Fixsternen
„zeigen, die nicht wahrzunehmen sind. Es gehen vielmehr dieselben
„Sterne ohne jede Veränderung stets an derselben Stelle auf und unter.
„Drittens: wie die Bewegung der Teile, so ist auch die des Ganzen
„von Natur nach dem Mittelpunkte des Weltalls gerichtet, und darum
hat denn auch die Erde in diesem ihren Ort." Er bringt dann die
Streitfrage vor, ob die Bewegung der Teile von Natur nach dem Mittel-
punkte des Weltalls oder nach dem der Erde gerichtet sei und kommt
zum Schlüsse, ihr eigentlicher Trieb gehe nach dem Mittelpunkte des
Weltalls und nur zufällig auch nach dem Mittelpunkte der Erde,
worüber wir gestern ausführlich gesprochen haben.""**) Er bekräftigt
schliefslich das Nämliche durch ein viertes Argument, das von dem
Verhalten der schweren Körper hergenommen ist. Wenn diese von
oben nach unten fallen, kommen sie lotrecht auf der Oberfläche der
Erde an, und ebenso kehren lotrecht in die Höhe geworfene Körper
auf dem nämlichen Wege lotrecht nach unten zurück, wären sie auch
in unermefsliche Höhe geschleudert worden: alles unwidersprechliche
Gründe, dafs ihre Bewegung nach dem Mittelpunkte der Erde gerichtet
ist, und dafs diese, ohne sich irgendwie zu bewegen, sie erwartet und
empftingt. Er deutet dann zuletzt noch an, es seien von den Astro-
nomen weitere Gründe vorgebracht worden^''), die zur Unterstützung
der gleichen Ansicht dienten, dafs die Erde im Mittelpunkte des Welt-
alls stehe und unbewegHch sei. Er führt einen einzigen an, dafs näm-
[140. 141.] Zweiter Tag. 131
lieh alle ErscheinuDgen, welche man bei den Bewegungen der Sterne
wahrnimmt, mit der Lage der Erde im Mittelpunkte im Einklang
stehen, was nicht der Fall wäre, wenn sie nicht dort stünde. Die
übrigen von Ptolemäus und von anderen Astronomen vorgebrachten
Gründe kann ich gleich jetzt anfuhren, wenn Ihr meint, oder später,
nachdem Ihr auf die Gründe des Aristoteles das entgegiaet habt, was
Ihr zu sagen wünscht.
Salv. Die Argumente, welche man bei dieser Frage vorbringt,
sind von zweierlei Art. Die einen beziehen sich auf irdische Vor- zweierlei Arten
. von Gründen bei
gänge, ohne mit den bternen irgend etwas zu thun zu haben, die der rmersu-
anderen sind von den Erscheinungen und Beobachtungen am HimmelErde sich bewegt
hergenommen. Die Gründe des Aristoteles sind meist den uns um-
gebenden Verhältnissen entnommen, er überläfst die anderen den Astro-
nomen. Darum wird es zweckmäfsig sein, wenn es Euch recht ist,
die von irdischen Erfahrungen hergenommenen zunächst zu prüfen,
später werden wir zu der anderen Klasse übergehen. Da aber von Gründe von
Ptolemäus, Tycho"'') und anderen Astronomen und Philosophen aufser und anderen
,,. . . aufser denen des
den Gründen des Aristoteles, die sie übernommen, bestätigt und ver- Aristoteles,
stärkt haben, auch neue aufgestellt worden sind, so können wir diese
sämtlich auf einmal in Erwägung ziehen, um Jiachher nicht zweimal
Gleiches oder Ähnliches entgegnen zu müssen. Darum, Signore SimpHcio,
seid so gut und berichtet entweder selbst über diese, oder lafst mich
Euch diese Mühe abnehmen, ich thue es gerne Euch zu liebe.
Simpl. Es wird besser sein, Ihr bringt sie vor. Da Ihr Euch
eingehender damit beschäftigt habt, sind sie Euch wahrscheinlich ge-
läufiger und in gröfserer Zahl bekannt.
Salv. Als der schlagendste Grund wird von allen der die schweren
Körper betreffende betrachtet, insofern diese bei ihrem Falle von oben Erstes Argu-
nach unten in einer geraden und lotrechten Linie auf der Erdober- men von dem
fläche anlangen; ein scheinbar unwiderleglicher Beweis für die Unbe- von oben nach
weglichkeit der Erde. Denn käme ihr die tägliche Umdrehimg zu, so schweren Kör-
würde ein Turm, von dessen Spitze man einen Stein fallen läfst, durch
die Erdrotation fortgeführt werden und demnach während der Zeit,
die der Stein zum Fall gebraucht, viele Himderte von Ellen nach Osten
sich entfernt haben; um diese Strecke also müfste der Stein von dem
Fufse des Turmes entfernt niederfallen. Als Bestätigung dessen führen
sie einen weiteren Versuch an, nämlich das Fallen einer Bleikugel
von der Spitze eines Schiffsmastes. Wenn das Schiff sich nicht be-Bestatigung des-
wegt, bringen sie ein Zeichen an der Stelle an, wo diese aufschlägt,^" Beispiel des
und dies geschieht unmittelbar am Fufse des Mastes. Wenn man spitze des
aber von derselben Stelle aus dieselbe Kugel während der Bewegung den Körpers.
132 Dialog über die Weltsysteme. . [141. 142.]
des Schiffes fallen läfst^ so wird die Stelle des Aufschlags um soviel
von der früheren entfernt sein, als das Schiff während des Falles der
Bleikugel vorwärts gefahren ist und zwar blofs aus dem Grunde, weil
die natürliche Bewegung der sich selbst überlassenen Kugel in gerader
Linie gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet ist. Dieses Argument
Zweites Argu- gewiuut uoch an Beweiskraft durch den Versuch mit einem sehr hoch
meu von dem uach obcu geschlcudertcu Körper, etwa mit einer Kugel, die aus einem
hoch" nach oben senkrecht auf den Horizont gerichteten Kanonenlaufe abgeschossen
^''^Körpers. wird. Eiuc solche gebraucht zudi Steigen und Fallen soviel Zeit, dafs
in unserer Breite das Geschütz samt dem Beobachter viele Miglieu
mit der Erde nach Osten getragen würde und die niederfallende Kugel
nimmermehr in der Nähe des Geschützes wieder anlangen könnte, son-
dern um soviel westlich, als die Erde sich inzwischen weiter bewegt
Drittes Argu- hat. Man fügt noch einen dritten und sehr schlagenden Versuch hin-
men von den ZU, der in folgendem besteht: man schiefst mit einer Feldschlange eine
West geriohte- Kugcl iiis blauc uach Osten ab, darauf mit gleicher Ladung und unter
Schüssen, gleichem Elevationswinkel nach Westen; die westliche Schufsweite
müfste dann aufserordentlich viel gröfser als die andere östliche sein.
Wenn nämlich die Kugel nach Westen sich bewegt, das Geschütz aber,
von der Erde getragen nach Osten, so müfste die Kugel in einer Ent-
fernung vom Geschütz auf die Erde aufschlagen, die gleich der Summe
der beiden Einzelbewegungen ist, nämlich der an und für sich nach
Westen gerichteten Bewegung der Kugel und der nach Osten gerich-
teten des Geschützes, das von der Erde dahin getragen wird. Um-
gekehrt müfste von der Bahn der nach Osten geschossenen Kugel
soviel in Abzug kommen, als das Geschütz in derselben Richtung
zurückgelegt hat. Gesetzt z. B. die Schufsweite betrüge an sich fünf
Miglien und die Erde legte in der betreffenden Breite während der
Flugzeit drei Miglien zurück, so würde die nach Westen abgeschossene
Kugel acht Miglien weit von dem Geschütze zur Erde niederfallen,
nämlich ihre fünf eigenen nach Westen gerichteten Miglien, vermehrt
um die drei nach Osten gerichteten des Geschützes. Der Schufs nach
Osten hingegen würde nur eine Weite von zwei Miglien haben; denn
soviel bleibt übrig, wenn man von den fünf Miglien des Schusses die
drei abzieht, welche das Geschütz in derselben Richtung zurücklegt.
Die Erfahrung lehrt aber, dafs die Schüsse gleich ausfallen, also steht
das Geschütz fest und somit auch die Erde. Ebenso beweisend aber
für die Unbewegtheit der Erde wie diese Schüsse sind auch die
Argumentes mit Schüssc uach Südcu odcr Nordeii : man würde nämlich niemals das Ziel
tels der nach i /v- i i tt-
Süd und Nord treffen können, das man aufs Korn genommen, alle Schüsse müfsten
Schüsse, westlich vorbeigehen, da ja die Scheibe von der Erde nach Osten ge-
[142. 143.] Zweiter Tag. 133
tragen worden ist, während die Kugel die Luft durchscliueidet. Und
nicht blofs die im Meridian abgegebenen, sondern selbst die östlich Dasselbe bestä-
oder westlich gerichteten dürften nicht treffen, die östlichen müfsten Schüssen nach
vielmehr zu hoch, die westlichen zu tief gehen, sobald man wagrecht
zielt. Denn da in beiden Fällen die Schüsse längs der Tangente er-
folgen, d. h. in einer zum Horizont parallelen Linie und da bei der
täglichen Bewegung, wenn sie der Erde zugeschrieben wird, der Hori-
zont fortwährend nach Osten sich senkt imd von Westen her sich
hebt — eben darum scheinen uns ja die Sterne im Osten empor-
zusteigen, im Westen sich zu senken — so müfste also die Scheibe
im Osten unter die Schufsrichtung hinabsinken und ein zu hoher
Schufs wäre die Folge; ebenso müfste das Emporsteigen der Scheibe
im Westen den westlich gerichteten Schufs zu niedrig ausfallen lassen.
Man könnte somit niemals nach irgend welcher Richtung richtig zielen.
Die Erfahrung steht dem aber entgegen und man mufs demnach zu
dem Schlufs gelangen, die Erde sei unbeweglich.
Simpl. 0, das sind doch Gründe, auf die mimöglich eine stich-
haltige Entgegnung zu finden ist!
Salv. Sind sie Euch etwa neu?
Simpl. In der That, ja. Jetzt erst sehe ich, was für schöne
Versuche die Natur liebenswürdig genug gewesen ist uns an die Hand
zu geben, um die Erkenntnis der Wahrheit zu erleichtern. 0 wie
schön eine Wahrheit mit der anderen übereinstimmt und alle sich
vereinigen zu unüberwindlicher Stärke!
Sagr. Wie schade, dafs es zur Zeit des Aristoteles noch keine
Kanonen gab! Er würde mit ihrer Hilfe die Unwissenheit zu Paaren
getrieben und über die Verhältnisse des Weltalls seine Ansichten ohne
jeden Vorbehalt geäufsert haben.
Salv. Es ist mir sehr lieb, dafs Euch diese Gründe neu sind,
damit Ihr nicht wie die Mehrzahl der Peripatetiker der Meinung lebt,
wenn man sich von der Lehre des Aristoteles lossagt, so geschehe dies
aus Mangel an Kenntnis und Verständnis für seine Beweise. Aber
Ihr werdet zuverlässig noch andere Neuigkeiten zu hören bekommen,
Ihr werdet Beobachtungen, Versuche und Gründe zu hören bekommen,
die von den Anhängern des neuen Systems gegen dieses selbe System
gerichtet worden sind und die viel gröfsere Beweiskraft besitzen als
die von Aristoteles, Ptolemäus und anderen Gegnern dieser Ansichten
angeftthrten. Ihr werdet Euch also überzeugen können, dafs sie nicht Die Kopemi-
'^ _ "^ t • 1 kauer werdeu
aus Unwissenheit mid Unkenntnis zu ihrer entgegengesetzten Ansichtzu ihrer Ansicht
'^ '^ " nicht durch Ua-
gelangt sind. kenntuis der
o o . ... Gegeugründe be-
Sagr. Bei diesem Anlasse mufs ich Euch doch einige Erlebnisse "^ wogen.
134 Dialog über die Weltsysteme. [143. 144.]
erzälilen, die mir begegnet sind, seitdem ich zuerst von der ueueu
Ansicht habe sprechen hören. Ich war noch recht jung und hatte
kaum den Kursus der Philosophie durchgemacht, welche ich nachher
liegen liefs, um mich anderen Beschäftigungen zu widmen, da geschah
Christian wurst-es, dafs ciu gcwisser Nordländer aus Rostock, namens Christian Wurst-
voriesungen eiseu, wcnu ich nicht irre"-^), ein Anhänger der kopernikanischen Mei-
kanische Lehre ;nungen, iu dicsc Gegend kam. Er hielt in einer Akademie zwei oder
deraeiiK;!! war. drei Vorlcsungeu über diesen Gegenstand unter grofsem Zulauf von
Zuhörern, wahrscheinlich mehr wegen der Neuheit der Sache als aus
sonst einem Grunde. Ich blieb jedoch weg, denn ich hatte die be-
stimmte Empfindung, dafs eine derartige Ansicht ein barer Unsinn
sein müsse. Als ich nachher etliche fragte, die dabei gewesen waren,
hörte ich sie alle darüber spotten mit Ausnahme eines einzigen, der
mir sagte, die Sache sei ganz imd gar nicht lächerlich. Da ich diesen
nun für einen intelligenten imd umsichtigen Menschen hielt, so that
es mir leid, nicht hingegangen zu sein. Von der Zeit ab fing ich an,
sobald ich auf einen Anhänger der kopernikanischen Ansicht stiefs,
ihn zu fragen, ob er von jeher dieser Meinung gewesen sei. So viele
ich aber auch fragte, ich habe keinen einzigen gefunden, der mir nicht
Die Koperni- gcsagt hätte, cr sci lange Zeit der entgegengesetzten Ansicht gewesen,
heTderent- sci aber ZU dicscr übergegangen, weil die für sie sprechenden Gründe
AnSchtg6wesen,ihn Umgestimmt hätten. Ich habe dann jeden Einzelnen auf die Probe
des Aristoteles gestellt, um mich zu überzeugen, in welchem Grade er mit den Grün-
^lus sLd uie- den der Gegenpartei vertraut sei, und habe bei allen gefunden, dafs
"utgegengesetz- diese ihucn völlig geläufig waren. Es konnte also nicht die Rede
weseii. ^^ davou sciu, dafs einer aus Unwissenheit oder Eitelkeit, oder um den
Schöngeist zu spielen, wie man sagt, sich zu dieser Ansicht bekannt
hätte. Umgekehrt aber, so viele der Peripatetiker und Ptolemäer ich
gefragt habe — und ich habe deren aus Neugierde gar manche exa-
miniert — inwieweit sie das Buch des Kopernikus studiert hätten,
stets habe ich gefunden, dafs ganz wenige es flüchtig gesehen haben;
keinen Einzigen aber, glaube ich, der es verstanden hätte. Auch habe
ich zu ermitteln versucht, ob von den Anhängern der peripatetischen
Lehre jemals einer die andere Meinung gehabt hätte, imd wiederum
war es bei keinem der Fall. Darum dachte ich bei mir: niemand
verficht die Ansicht des Kopernikus, der nicht früher den entgegen-
gesetzten Standpimkt vertreten hat und nicht sehr wohl unterrichtet
war über die Gründe des Aristoteles und des Ptolemäus; auf der
anderen Seite hat kein Anhänger von Ptolemäus und Aristoteles vor-
mals die kopernikanische Ansicht geteilt und sich von ihr der aristo-
teUschen zu liebe losgelöst. Als ich dies erwog, begann ich zu glauben
[144. 145.] Zweiter Tag.' 135
dafs, wer eine mit der Muttermilch eingesogene und von Unzähligen
gebilligte Ansicht aufgiebt, um sich zu einer anderen zu bekennen,
die nur ganz wenige Anhänger zählt, von allen Schulen geleugnet wird
und in der That höchst paradox scheint, der mufs wahrlich von den
triftigsten Gründen bewogen, um nicht zu sagen, gezwungen worden
sein. Darum bin ich aufs höchste begierig geworden, dieser Sache
auf den Grund zu kommen, wie man zu sagen pflegt, und schätze mich
aufserordentlich glücklich, Euch beiden begegnet zu sein. Von Euch
kann ich ohne jede Mühe alles hören, was über diesen Gegenstand
gesagt worden ist und was sich vielleicht überhaupt darüber sagen
läfst, ich habe die Gewifsheit, dem Zweifel mich entwinden und zur
Klarheit durchdringen zu können.
Simpl. Wenn Euer Glauben imd Hoffen nur keine Enttäuschung
erfährt und Ihr schliefslich Euch in gröfserer Konfusion befindet als
zuvor!
Sagr. Ich glaube zuversichtlich, das wird nicht geschehen können.
Simpl. Warum nicht? Ich kann mich selbst als Beweis an-
führen, denn je weiter wir gehen, um so konfuser werde ich.
Sagr. Das ist ein Zeichen, dafs die Gründe, welche Euch bisher
triftig vorgekommen sind und welche Euch die Richtigkeit Euerer
Ansicht zu beweisen schienen, allmählich ein anderes Ansehen vor
Euerem Geiste annehmen und Euch sachte, wenn auch nicht zu der
entgegengesetzten übergehen lassen, so doch ihr geneigt machen. Ich
aber, der ich bisher unparteiisch war und noch bin, hoffe zuversicht-
lich zu einer befriedigenden und bestimmten Ansicht zu gelangen. Ihr
selbst werdet das nicht in Abrede stellen, wenn Ihr anhören wollt,
worauf sich meine Hoffnung gründet.
Simpl. Ich höre es gerne, imd noch lieber wäre es mir, wenn
sich bei mir dieselbe Wirkung einstellte.
Sagr. Habt also die Güte auf meine Fragen zu antworten. Erst-
lich sagt mir, Signore Simplicio, ist nicht das Problem, dessen Lösung
wir suchen, folgendes: soll man mit Aristoteles und Ptolemäus an-
nehmen, dafs die Erde allein unbewegt im Mittelpimkte des Weltalls
steht, alle Himmelskörper hingegen sich bewegen, oder soll die Sternen-
sphäre stille stehen, in ihrer Mitte die Sonne sich befinden, die Erde
aber dem Mittelpimkte ferne sein und diejenigen Bewegungen aus-
führen, welche scheinbar der Sonne und den Fixsternen zukommen?
Simpl. Das ist die Frage, um die es sich handelt.
Sagr. Sind diese beiden Behauptungen nicht derart, dafs die
Richtigkeit der einen die Unrichtigkeit der anderen bedingt?
Simpl. So ist es. Wir stehen vor einem Dilemma; von den
136 Dialog über die Weltsysteme. [145. 146.]
beiden Sätzen mufs der eine notwendig richtig, der andere falsch sein.
Denn Ruhe und Bewegung sind kontradiktorische Gegensätze, neben
denen es nichts Drittes giebt, so dafs man nicht etwa sagen kann:
die Erde bewegt sich nicht und steht auch nicht stille; die Sonne und
die Sterne bewegen sich nicht und stehen auch nicht stille.
Sagr. Erde, Soime und Sterne, was spielen sie für eine Rolle in
der Natur? eine unbedeutende oder eine wichtige?
Simpl. Es sind die bedeutendsten, vornehmsten Körper, wesent-
liche Bestandteile des Weltalls, von gewaltigstem Umfange, von höch-
ster Wichtigkeit.
Sagr. Und was für Eigenschaften sind Bewegung ujid Ruhe?
Simpl. So wichtige und wesentliche, dafs man mittels derselben
B. wogung und die Natur sogar definiert.^')
Eigenschaften in SagP. Immerwährende Bewegung und völlige Unbewegtheit sind
also in der Natur zwei höchst bedeutende Attribute, de für eine durch-
greifende Verschiedenheit Zeugnis ablegen, namentlich wenn sie den
hauptsächlichsten Körpern des Weltalls zugeschrieben werden; es
müssen daher ganz verschiedenartige Folgen aus ihnen sich ergeben.
Simpl. Gewifs, so ist es.
Sagr. Antwortet mir nun auf einen anderen Punkt. Glaubt Ihr,
dafs es in der Dialektik, Rhetorik, Physik, Metaphysik, Mathematik
und überhaupt in der gesamten Wissenschaft Beweisgründe giebt, die
ebenso das Falsche wie das Wahre plausibel machen und erweisen
könnten?
Simpl. 0 nein, im Gegenteil habe ich die feste Überzeugung, dafs
Das Falsche ist zur Erhärtiuig einer wahren und notwendigen Behauptung die Natur
nicht ebenso be- . . " . . .
weisbar wie das nicht blofs ciuen, sondcm zahlreiche vortreffliche Beweise an die Hand
Bichtige.
giebt, dafs man aus einer solchen Schlüsse ziehen und sie in tausend
Zum Beweise und aber tausend Fällen verwerten darf, ohne ie auf einen Widerspruch
richtiger Be- i • o i • • i i
hauptungen ZU stofsen, dafs, ie mehr em Sophist sie umnebeln möchte, um so
lassen sich viele
zwingende klarer stets ihre Gewifsheit zu Tage tritt, dafs aber umgekehrt, wer
nicht so zum 'einer falschen Behauptung den Schein von Wahrheit zu verleihen und
Beweise falscher . . i i i rn i i o i • Ti
Behauptungen Sie anderen einreden möchte, höchstens Irugschlüsse, Sophismen, Para-
logismen, Zweideutigkeiten, verfehlte Räsonnements vorbringen kann,
die ohne Folgerichtigkeit und voll unvereinbarer Widersprüche sind.
Sagr. Wenn nun die Attribute der immerwährenden Bewegimg
und der immerwährenden Ruhe eine so wichtige Rolle in der Natur
spielen, und wenn sie unter einander dermafsen verschieden sind,
dafs die verschiedenartigsten Folgen aus ihnen sich ergeben müssen,
namentlich in Anwendung auf die Sonne und die Erde, so gewaltige
mid ausgezeichnete Körper des Weltalls, wenn ferner unausbleiblich
[146. 147.] Zweiter Tag. 137
die eine der beiden kontradiktorischen Behauptungen wahr, die andere
falsch sein mufs, und wenn man endlich zum Beweise der falschen
nur Trugschlüsse vorführen kann, die richtige hingegen durch jedwede
Art von »Schlüssen und Beweisen sich erhärten läfst: wie sollte dann
derjenige von Euch beiden, der die Verteidigung der wahren Behaup-
tung unternommen, mich nicht überzeugen können? Ich mttfste doch
einen stumpfen Sinn haben, ein schiefes Urteil, blöden Geist und Ver-
stand, müfste mit Blindheit geschlagen sein, wenn ich das Licht nicht
von der Finsternis, Edelsteine nicht von Schlacken, Wahrheit nicht
von Irrtum sollte unterscheiden können!
Simpl. Ich habe Euch schon einmal gesagt und wiederhole es,
dafs der gröfste Meister, der uns die Sophismen, Paralogismen und
andere Scheinbeweise kennen gelehrt hat, Aristoteles war, der auf
diesem Gebiete nicht hat irren können.
Sagr. Ihr habt es immer mit Euerem Aristoteles, der nicht
sprechen kann. Ich aber sage Euch, dafs, wenn Aristoteles hier wäre,
er entweder von uns überzeugt würde, oder unsere Gründe widerlegte Aristoteles
" ' , /^ wurde die geg-
und uns eines besseren belehren würde. Aber wie, habt Ihr nichtoerischen Argu-
' _ _ mente wider-
selbst die Versuche mit den Geschützen, die Euch mitgeteilt wordeniegen oder seine
^ " Ausicht andern.
sind, anerkannt, bewundert und sie über die des Aristoteles gestellt?
Bei alledem giebt Signore Salviati, soweit ich sehe, nicht zu, dafs
diese Gründe, die er selbst angeführt, die er sicherlich aufs genaueste
geprüft und sondiert hat, ihn überzeugt hätten; ja selbst bei anderen
noch schlagenderen, welche er seiner Andeutung zufolge ims hören
lassen will, ist dies nicht der Fall. Ich weifs nicht, worauf Ihr den
Vorwurf gründet, dafs die Natur durch ihr hohes Alter kindisch ge-
worden sei, dafs sie es verlernt habe, lenkende Geister hervorzubringen,
dafs sie nur noch Hörige des Aristoteles zu schaffen vermöge, die
mit seinem Gehirne begreifen, mit seinen Simien Avahrnehmen. Aber
hören wir die ferneren seiner Ansicht günstigen Gründe, um nachher
zu ihrer Prüfung überzugehen, sie zu kapellieren-'') und mit der Gold-
wage zu wägen.
Salv. Vordem wir weitergehen, mufs ich Signore Sagredo darauf
aufmerksam machen, dafs ich bei unseren Unterredungen die Rolle des
Kopernikaners spiele und gewissermafsen seine Maske vornehme; wie
es aber in meinem Inneren unter der Wirkung dieser Gründe aussieht,
welche ich scheinbar zu seinen Gunsten vorbringe, bitte ich nicht nach
memen Worten beurteilen zu wollen, solange Avir uns in der Hitze des
Komödienspielens befinden, sondern erst, wenn ich die Verkleidung
werde abgelegt halben; Ihr werdet mich dann vielleicht anders erfin-
den, als ich auf der Bühne schien. — Gehen wir jetzt weiter. Ptolemäus
138 Dialog über die Weltsysteme. [147. 148.]
und seine Anhänger bringen eine Aveitere Erfahriingstliatsache vor,
ähnlich der der geschleuderten Körper. Sie betrifft solche Dinge, die,
Argument her- yon der Erde getrennt, lange Zeit sich schwebend in der Luft halten,
genommen von
Wolken und wie Wolken und fliegende Vögel. Da sich von diesen nicht sagen
Vögeln. . . *^
läfst, dafs sie von der Erde getragen werden, weil sie dieser nicht an-
haften, so ist es scheinbar unmöglich für sie mit der raschen Bewegung
der Erde Schritt zu halten; es würde uns vielmehr scheinen müssen, als
ob sie alle aufs schnellste sich westlich bewegen. Wenn wir, von der
Erde dahingetragen, in 24 Stunden unseren Breitenkreis zurücklegen,
d. h. doch mindestens eine Strecke von 16000 Miglien, wie sollten die
Vögel mit einer solchen Bewegung wetteifern können? Dahingegen
sehen wir sie ohne merklichen Unterschied ebenso gut nach Osten
wie nach Westen oder einer anderen Himmelsgegend fliegen. Wenn
Argument her- wir fcmcr sclmell reiten, so fühlen wir im Gesichte einen sehr hefti-
geiioramen von _ '
dem Winde, dercren Luftzug: wie heftig würdc erst der Wind sein, den wir beständig;
uns beim Reiten'^ '^ ' ^ _ ' ^
entgegenzu- you Ostcu hcr fühlcu müfsten, wenn wir in so raschem Lauf der Luft
wehen scheint.
entgegen fortgeführt würden? Und doch fühlt man nichts dergleichen.
Argument her- _ Noch ein sinnreiches Argument, dem eine bestimmte Erfahrung zu
genommen von _ _ . .
d« fortachieu- Q^i-unde Hcgt, nämlich folgendes:^") Bei kreisförmig bewegten Körpern
streuende'n Wir zeigen die Teile das Bestreben, von dem Mittelpunkte sich zu entfernen,
kung der Kota- ^ ' ^ '
tionsbewegung. '^^i. ZU fliehen, sich zu zerstreuen, wenn nicht die Bewegung sehr lang-
sam ist, oder genannte Teile nicht sehr fest mit einander verbmiden
sind. Denkt Euch z. B. eines der grofsen Räder, die von einem oder
mehreren im Inneren befindlichen Menschen in Bewegung versetzt, zur
Fortschaffimg der gröfsten Lasten dienen, wie der grofsen Steinblöcke
für die Mange, oder der beladenen Schiffe, die aus einem Gewässer in
ein anderes geschafft und über die Erde geschleift werden. ^^) Ver-
setzen wir ein solches Rad in schnellste Drehung, und die Teile des-
selben wären nicht ungemein dauerhaft zusammengefügt, so würden
sie alle fortfliegen. Oder wären an seinem Umfange Steine oder
sonstige schwere Massen angebracht, so würden sie, wenn auch recht
solide befestigt, dennoch jenem Antriel) keinen Widerstand leisten
können, durch welchen sie vielmehr mit grofser Heftigkeit nach ver-
schiedenen Richtungen weit weg vom Rade, also vom Mittelpunkte,
geschleudert würden. Bewegte sich demnach die Erde mit einer noch
viel, viel gröfseren Geschwindigkeit: von welchem Gewichte, durch
wie zähen Kalk oder sonstigen Mörtel gebunden müfsten Steine,
Häuser, ganze Städte sein, um an ihrer Stelle zu verharren, so dafs
sie nicht von dem reifsenden Wirbel gen Himmel geschleudert wür-
den? Menschen und Tiere, die gar nicht mit der Erde verbunden
sind, sie sollten solcher Kraft Aviderstehen ? Und doch sehen wir im
[148. 149.] Zweiter Tag. 139
Gregenteil nicht nur diese, sondern viel widerstandsunfähigere Dinge,
Steinchen, Sandkörner, Blätter ganz ruhig auf der Erde liegen und
zu ihr niederfallen, wenn auch in sehr langsamer Bewegung. — Dies
wären so die häuptsächlichsten Gründe, Signore Simplicio, die sich auf
irdische Dinge beziehen. Es erübrigen noch die Gründe der anderen
Art, diejenigen nämlich, welche auf die Himmelserscheinungen Bezug
nehmen. Diese haben aber in Wahrheit mehr den Zweck zu erweisen,
dafs die Erde sich im Mittelpunkte des Weltalls befindet mid also
nicht die jährliche Bewegung um diesen Mittelpunkt besitzen kann,
welche ihr von Kopernikus beigelegt worden ist. Wir können die-
selben, weil sie einen wesentlich anderen Stoif behandeln, später an-
führen, wenn wir die Richtigkeit der bisher vorgebrachten werden
geprüft haben.
Sagr. Was meint Ihr, Signore Simplicio? Glaubt Ihr, dafs
Signore Salviati die ptolemäischen und aristotelischen Gründe kennt
und sie auseinanderzusetzen versteht? Seid ihr der Meinung, dafs
irgend ein Peripatetiker in demselben Mafse Kenner der kopernika-
nischen Beweise ist?
Simpl. Hätte ich nicht infolge der bisher gepflogenen Unter-
redungen mir eine sehr hohe Meinung von der gründlichen Gelehr-
samkeit des Signore Salviati und von dem Scharfsinn des Signore
Sagredo gebildet, so hätte ich mit deren gütiger Erlaubnis nicht übel
Lust mich zu entfernen, ohne weitere Erörterungen mit anzuhören,
demi es scheint mir unmöglich so handgreiflichen Thatsachen zu wider-
sprechen-, ich würde ohne fernere Erörterungen bei meiner alten An-
sicht verharren wollen. Sollte sie dann auch wirklich falsch sein, so
stützt sie sich doch auf so plausibele Gründe, dafs sie entschuldbar
sein dürfte. Wenn das Fehlschlüsse sind, wo hat es dann je richtige
Beweise von solcher Schönheit gegeben?
Sagr. Wir wollen doch die Entgegnungen Signore Salviatis an-
hören, die, wenn sie richtig sind, unbedingt noch schöner und zwar
unendlich mal schöner sein müssen; wie umgekehrt jene nur häfslich,
durchaus häfslich sein können, wenn anders die metaphysische Lehre^^''a^r und schon,
' _ ^ "^ .wie Falsch und
richtig ist, dafs Wahr und Schön ein und dasselbe sind, ebenso wie Häfsiich sind
° ' ' . identisch.
Falsch und Häfslich.^') Darum, Signore Salviati, lafst uns nicht weiter
Zeit verlieren.
Salv. Wenn ich mich recht entsinne, war das erste der von
Signore Simplicio vorgebrachten Argumente folgendes: Die Erde kami
sich nicht kreisförmig bcAvegen, denn diese Bewegung wäre für sie
eine gewaltsame, könnte also nicht ewig andauern. Die Gewaltsam-
keit der Bewegung folgte aber daraus, dafs, wenn sie natürlich wäre.
140 Dialog über die Weltsysteme. [149. 150.]
auch die Teile der Erde von Natur aus sich im Kreise dreheu mülsteri.
Dies ist aber unmöglich, denn die natürliche Bewegung der Teile ist
EntgegmiDg auf geradlinig nach unten gerichtet. Hier entgegne ich, dafs es mir lieb
das erste Argu-^ ^ ° ■,-,■,
ment des Ari- gewcseu wlirc, wcmi Aristotelcs' sich genauer erklärt hätte, was er mit
der etwaigen kreisförmigen Bewegung der Teilchen meint. Denn diese
kreisförmige Bewegung kann in doppelter Weise verstanden werden:
entweder so, dafs jedes vom Ganzen losgelöste Teilchen sich kreis-
förmig um seinen Mittelpunkt bewegt, also seine eigenen kleinen Kreis-
chen beschreibt; oder aber so, dafs die Teile, weil die ganze Kugel in
24 Stunden um ihren Mittelpunkt sich dreht, sich gleichfalls in
24 Stunden um denselben Mittelpunkt bewegen. Das erste wäre ein
ebenso grofser Unsinn, als wenn man sagte, von einer Kreisperipherie
müsse jeder Teil selbst ein Kreis sein; oder von der Erde müsse jeder
Teil eine Kugel sein, weil die ganze Erde Kugelgestalt besitze; demi
so verlange es das Axiom eadem est ratio totius et partium. Meinte
er es aber im anderen Sinne, dafs die Teile in Nachahmung des Ganzen
sich von Natur in 24 Stunden um den Mittelpunkt der ganzen Kugel
bewegen, so behaupte ich, dafs sie das thun. Und Euch, als Ver-
treter des Aristoteles, liegt es ob zu beweisen, dafs dies nicht der
Fall ist.
Simpl. Das hat Aristoteles an der nämlichen Stelle bewiesen,
indem er sagt, die natürliche Bewegung der Teile sei die geradlinige
Bewegimg nach dem Mittelpunkte des Weltalls, woraus folgt, dafs die
kreisförmige ihnen von Natur aus nicht eignen kann.
Salv. Aber seht Ihr nicht, dafs diese nämlichen Worte auch die
Widerlegung jener Entgegnung enthalten?
Simpl. Inwiefern? und wo?
Salv. Sagt er nicht, die Kreisbewegung sei für die Erde eine
gewaltsame und könne darum nicht von ewiger Dauer sein? und dies
sei absurd, weil die Weltordnmig ewig ist?
Simpl. Das sagt er allerdings.
Salv. Aber wenn das, was gewaltsam ist, nicht ewig dauern
Das Gewaitsamekann, SO kann umgekehrt das, was unmöglich ewicr dauert, nicht natür-
kann nicht ewig ' ö ' O O 7
sein und was \[q}i geiu. Die Bewcguug der Erde nach unten kann aber keinenfalls
nicht ewig sein o o
kaim, kann nichtewige Dauer haben, kann also um so weniger natürlich sein. Über-
natürlich sein. 07 o
haupt kann ihr keine Bewegung natürlich sein, die nicht auch von
ewiger Dauer wäre. Schreiben wir aber der Erde eine kreisförmige
Bewegung zu, so kann diese sowohl ihr als den Teilen ewig zukommen
und demnach natürlich sein.
Simpl. Die gerade Bewegung ist den Teilen der Erde durchaus
natürlich. Sie ist ewig, denn es wird niemals geschehen, dafs jene
[150. 151.] Zweiter Tag. 141
sich anders als geradlinig bewegen, immer jedoch unter der Voraus-
setzung, dafs alle Hindernisse beseitigt sind.
Salv. Ihr seid in einem Mifsverstäudnis befangen, 8ignore Sim-
plicio, und ich will doch versuchen, Euch von demselben zu befreien.
Sagt mir also: kann nach Euerer Ansicht ein Schiff, das von der
Meerenge von Gibraltar nach Palästina fährt, zu seiner Fahrt nach
jener Küste ewige Zeit gebrauchen, wenn es sich mit gieichmäfsiger
Geschwindigkeit bewegt?
Simpl. Unter keinen Umständen.
Salv. Und warum nicht?
Simpl. Weil die Strecke der Fahrt eingeschlossen und begrenzt
ist von den Säulen des Herkules und .der Küste von Palästina; und
ist die Entfernung begrenzt, so wird sie auch in endlicher Zeit zurück-
gelegt, es sei denn, man wollte umkehren, rückwärts in entgegen-
gesetzter Richtung fahren, und dami von neuem dieselbe Strecke
passieren. Dies aber wäre eine unterbrochene und keine stetige Be-
wegung.
Salv. Sehr richtig geantwortet. Wie ist es aber mit der Fahrt
von der Magalhaesstrafse, durch den stillen Ocean, über die Molukken,
das Kap der guten Hoffnung und von dort durch dieselbe Meeresstrafse
abermals über den stillen Ocean u. s. w., meint Ihr, dafs diese Fahrt
sich ewig fortsetzen läfst?
Simpl. Freilich, denn hier handelt es sich um eine in sich zurück-
kehrende Kreisbewegung; sie liefse sich daher ohne jede Unterbrechung
durch unendliche Wiederholung ewig fortsetzen.
Salv. Es könnte also ein Schiff' auf dieser Reise in ewiger Fahrt
begriffen sein, nicht wahr?
Simpl. Wemi das Schiff unzerstörbar wäre, ja. Da aber das
Schiff zu Grunde geht, so müfste die Fahrt notwendig ein Ende finden.
Salv. Im mittelländischen Meere aber würde das Schiff, auch
wemi es unzerstörbar wäre, sich dennoch nicht ewig nach Palästina
hinbewegen kömien, da die Reise eine begrenzte ist. Zwei Dinge zwei Erfordor-
° ' , . . " ^ ^ lüsse für die
smd demnach erforderlich damit ein bewegter Körper ohne Unter- ««ige Dauer
. der Bewegung,
brechung sich ewig bewegen kann: einmal mufs die Bewegungsart tinbegrenztheit
^ Bö ^ ,. des Baums und
von Natur unbegrenzt und unendlich, dann aber der bewegte Körper unzorstorbar-
. '^ . . keit des Körpers.
desgleichen unzerstörbar und von ewiger Dauer sein.
Simpl. Beides ist erforderlich.
Salv. Ihr habt also ganz freiwillig das Geständnis abgelegt, dafsGeradUnige Be-
. ^ . .... wegung kann
unmöglich iro'end ein beweglicher Körper sich beständig in gerad- nicht ewig
,. . . -111 dauern und niit-
Imiger Bewegung ])efinden kann; denn eine solche ist nach Euerer hin der Erde
. '^ . . • T c "''^'"'^ natürlich
eigenen Ansicht, ob nun nach oben oder unten gerichtet, jedenfalls sein.
142 Dialog über die "Weltsysteme. [151. 152.]
von dem Umfange und dem Mittel^iunkte begrenzt. Mag daher auch
der bewegte Körper, d. h. die Erde, von ewiger Dauer sein, so ist
doch die gerade Bewegung ihrer Natur nach nicht ewig, sondern aufs
bestimmteste begrenzt und kann daher keine natürliche Bewegung der
Erde sein. Vielmehr ist Aristoteles, wie gestern schon hervorgehoben
wurde, selber gezwungen, den Erdball als ewig unbewegt zu betrachten.
Wenn Ihr sodann sagt, die Teile der Erde bewegten sich nach Be-
seitigung der Hindernisse stets nach unten, so ist das ein arges Mifs-
verständnis; man mufs ihnen umgekehrt Hindernisse bereiten, ihnen
entgegenwirken und Gewalt anthun, weim sie sich in der angegebenen
Weise bewegen sollen. Denn sind sie einmal gefallen, so mufs man
sie ja gewaltsam wieder in die Höhe werfen, damit sie ein zweites
Mal wieder herunterfallen. Was die Hindernisse betrifft, so hemmen
diese blofs die Ankunft im Mittelpunkt. Hätten wir einen über das
Centrum hinausreichenden Schacht, so würde gleichwohl eine Erd-
scholle sich über dieses nicht hinausbewegen, es sei denn, dafs sie,
von der Wucht des Falles fortgerissen, es überschritte, um wieder zu
ihm zurückzukehren und schliefslich in ihm zur Ruhe zu kommen.
Entschlagt Euch also nur ganz und gar der Hoffnung, die gerad-
linige Bewegung als ein thatsächliches oder auch nur als ein mög-
liches natürliches Attribut der Erde oder sonst eines beweglichen
Körpers aufrecht erhalten zu können, solange das Weltall in seiner
vollkommenen Ordnung verharrt. Und wollt Ihr nicht die Kreisbe-
wegung zugeben, so begnügt Euch blofs ihre Unbewegtheit zu be-
haupten und zu verteidigen.
Simpl. Die Unbeweglichkeit anlangend, scheinen mir bis jetzt
die Argumente des Aristoteles und noch mehr die anderen von Euch
angeführten eine schlagende Beweiskraft zu besitzen, und es bedürfte
zur Widerlegung meines Erachtens gewichtiger Gegeugründe.
Salv. Wir kommen nun also zum zweiten Argument, welches
Entgeg.iuDR auf darin bestand: die Körper, über deren Kreisbewegung kein Zweifel
das zweite . '- ' ^ .
ArgTiment. bcstcht, bcsitzcn mehr als eine Bewegung mit Ausnahme des primum
mohile. Wenn daher die Erde sich kreisförmig bewegte, müfste sie
eine zweifache Bewegung besitzen, daraus aber müfsten Änderungen
bezüglich des Auf- und Untergangs der Fixsterne sich ergeben, die
thatsächlich nicht zu bemerken sind; also u. s. w. Die einfachste und
angemessenste Entgegnung auf diesen Einwand liegt in dem Argumente
selbst, Aristoteles legt sie uns geradezu in den Mund, und es ist un-
möglich, dafs Ihr, Signore Simj)licio, sie nicht solltet bemerkt haben.
Simpl. Ich habe sie nicht bemerkt und bemerke sie noch
immer nicht.
[162. 153.] Zweiter Tag. 143
Salv. Nicht möglich, sie liegt zu sehr auf der Hand.
Simpl. Ich möchte mit Euerer Erlaubnis einen Blick in den
Text werfen.
Sagr. Wir wollen sofort einen Text holen lassen.
Simpl. Ich trage ihn immer in der Tasche nach. Hier ist er,
ich weifs genau, dafs die Stelle im 2. Buche über den Himmel sich
findet, im sechsten Kapitel. Hier ist sie im 97. Paragraphen.^^)
Fraiterea omnia, quae feruntur lationc circulari, suhdeficere videntur, ac
nioveri pluribus una latione, praeter primani sphaeram: quare et Terram
necessarium est, sive circa medium, sive in medio posita feratur, duabus
moveri lationihus. Si autem hoc acciderit, necessarium est fieri muta-
tioncs ac conversiones fixormn astrornm. Hoc autem non videtur fteri,
sed scmper eadem apud eadem loca ipsius et oriuntur, et occidimt. Ich
sehe da keinen Trugschlufs und der Beweis scheint mir völlig
strenge.
Salv. Mir hat diese Vorlesung von neuem das Fehlerhafte der
Beweismethode bestätigt und überdies eine andere Verkehrtheit aufge-
deckt. Darum merkt auf. Zwei Hypothesen oder, wir können sagen,
zwei Schlufsfolgerungen sind es, die Aristoteles bekämpfen will: ein-
mal nämlich die Ansicht, nach welcher die Erde im Mittelpunkte steht
und sich um ihr eigenes Centrum dreht; sodann die andere Annahme,
nach welcher sie aufserhalb des Mittelpunktes sich befindet mid in
kreisförmiger Bewegung um diesen begrifi^en ist. Beide Behauptungen
bekämpft er gemeinsam mittels desselben Argumentes. Nun behaupte
ich, dafs seine Kampfweise beiden gegenüber verfehlt ist. Bezüglich
der ersten Behauptung besteht sein Irrtum in einem Widerspruch Argument des
i- o J- Aristoteles
mit sich selbst, also in einem Paralogismus , bezüglich der zweiten in gegen die Be-
' 0 7» weguug der
einer fehlerhaften Schlufsfolgerung. Wir beschäftigen uns zunächst '^'■l«.^^^,^']^;^^^^'
mit der ersten Behauptung, welche die Erde in die Mitte des Weltalls ^''^''i«'^''*"-
versetzt und sie um ihren Mittelpunkt sich drehen läfst; wir stellen
ihr den Einwand des Aristoteles gegenüber, welcher besagt: Alle be-
weglichen Körper, welchen die Kreisbewegung eigentümlich ist, bleiben
offenbar zurück und besitzen mehr als eine Bewegung, ausgenommen
die erste Sphäre, d. i. das primum mobile. Wenn also die Erde im
Mittelpunkt steht und sich um ihr eigenes Centrum dreht, so mufs
sie eine doppelte Bewegung besitzen und zurückbleiben. Wäre dies
aber der Fall, so müfsten Änderungen im Auf- und Niedergang der
Fixsterne stattfinden-, davon aber ist nichts wahrzunehmen, also bewegt
sich die Erde nicht u. s. w. Hier liegt der Fehlschlufs. Um ihn
aufzudecken, diskutiere ich mit Aristoteles folgendermafsen: Du
sagst, Aristoteles, die im Mittelpunkte befindliche Erde könne sich
144 Dialog über die Weltsysteme. [153. 154.]
nicht um sich selber drehen, weil man ihr dann notwendig zwei Be-
wegungen zuschreiben müfste. Hätte man ihr also nur eine Bewegung
beizulegen, so würdest du es nicht für unmöglich halten, dafs eine
solche ihr zukommt; denn du hättest dann ohne Grund dich darauf
beschränkt, die Unmöglichkeit auf die Mehrheit der Bewegungen
zurückzuführen, wenn auch schon eine einfache Bewegmig der Erde
unmöglich wäre. Da du nun von allem Bewegten des Weltalls nur
ein einziges statuierst, das blofs eine Bewegung besitzt, alles andere
hingegen mit mehr als einer Bewegung ausstattest; da du ferner ver-
sicherst, dies einzige Einfach-Bewegte sei die erste Sphäre, d. h. das-
jenige, vermöge dessen die Fixsterne und die Planeten übereinstimmend
von Osten nach Westen sich zu bewegen scheinen, so würdest du,
wenn die Erde jene erste Sphäre sein könnte und demnach durch ihre
einfache Bewegung die scheinbare Bewegung der Gestirne von Osten
nach Westen verursachte, ihr diese einfache Bewegung nicht ab-
sprechen. Wer aber behauptet, dafs die Erde im Mittelpunkte steht
und sich um sich selber dreht, schreibt ihr keine andere Bewegung
zu, als diejenige, welche die scheinbare Bewegung der Gestirne von
Ost nach West verursacht; sie wird also dadurch zu jener ersten
Sphäre, die nach deinem eigenen Eingeständnis blofs eine einfache
Bewegung besitzt. Wenn du also, Aristoteles, etwas beweisen willst,
so mufst du zeigen, dafs die Erde, wenn sie im Mittelpunkte des
Weltalls steht, auch nicht eine Bewegung besitzen kann, oder dafs
auch die erste Sphäre keinerlei Bewegung haben kann. Andernfalls
machst du bei deinem Syllogismus einen Fehlschlufs, der sich darin
kundgiebt, dafs du ein und dasselbe leugnest und zugiebst. Ich
komme jetzt zur zweiten Hypothese, nach welcher die Erde vom
Mittelpunkte entfernt steht und sich um diesen dreht, nach welcher
sie also ein Planet oder ein Wandelstern ist; gegen diese Hypothese
ist das Argument gerichtet und zwar formal richtig, aber materiell
fehlerhaft. Denn zugegeben, die Erde bewege sich dergestalt und
zwar mit doppelter Bewegung, so folgt daraus dennoch nicht mit Not-
wendigkeit, dafs in diesem Falle Änderungen im Auf- und Untergang
der Fixsterne erfolgen müssen, wie ich geeigneten Ortes erläutern
werde. Hier will ich gerne den Irrtum des Aristoteles entschuldigen,
ja ihu sogar loben, dafs er das scharfsinnigste Argument gegen die
Behauptung des Kopernikus beigebracht hat, das sich beibringen läfst.
Wenn nun schon der Einwand sinnreich und scheinbar völHg beweis- I
kräftig ist, so ist, wie Ihr sehen werdet, seine Beseitigung um so
scharfsinniger und geistreicher, woher demi auch nur ein Geist von
dem Scharfsinne eines Kopernikus sie hat entdecken können. Aus der
[154. 155.] Zweiter Tag. 145
Schwierigkeit, dieselbe zu verstehen, werdet Ihr entnehmen können,
wieviel schwerer es war sie aufzufinden. Vertagen wir inz;vvischen
die Entgegnung; Ihr sollt sie seiner Zeit gehörigen Ortes hören ^^),
wenn wir den Einwand des Aristoteles noch einmal vorgenommen und
ihn sogar zu dessen Gunsten bedeutend verstärkt halben werden. — Wir
gelangen sodami zum dritten, gleichfalls von Aristoteles herrührendenEntgegnung a
° » .^ . . . das dritte
Argumente, betreffs dessen keme weitere Entgegnung erforderlich ist, Argument.
da zur Genüge gestern und heute darauf erwidert worden ist. Er
bringt nämlich den Einwand vor, dafs die Bewegung der schweren Körper
von Natur geradlinig nach dem Mittelpunkte gerichtet ist, und unter-
sucht sodann, ob nach dem Mittelpunkt der Erde oder dem des Welt-
alls; er kommt zum Ergebnis, dafs sie von Natur nach dem Mittel-
punkte des Weltalls, nur zufällig aber nach dem der Erde gerichtet ist. — ■
Wir können sonach zum vierten Beweisgrunde übergehen, auf welcheni^^'gegimug a
^ o ^ _ _ das vierte
wir recht ausführlich einzugehen haben werden, weil er auf diejenige Argument.
Erfahrung sich stützt, welche dem gröfseren Teile der noch übrigen
Argumente ihre Beweiskraft verleiht. Aristoteles also behauptet, das
sicherste Argument für die Unbeweglichkeit der Erde sei die Beob-
achtung, dafs senkrecht in die Höhe geschleuderte Körper längs der-
selben Linie an den nämlichen Ort zurückkehren, von dem aus sie
geworfen wurden; und zwar auch daini, wenn die Bewegung sich sehr
weit in die Höhe erstreckte. Dies aber könnte nicht der Fall sein,
wenn die Erde sich bewegte; denn während der Zeit, wo der ge-
schleuderte Körper, getrennt von der Erde, sich auf- und abwärts be-
wegt, würde der Ausgangspunkt des geschleuderten Körpers sich infolge
der Erdumdrehung ein bedeutendes Stück nach Osten verschoben
haben, und beim Niederfallen müfste der Körper um diese Strecke
von genamiter Stelle entfernt auf die Erde stofsen. Dahin gehört
deswegen auch das Argument betreffs der mit einer Kanone in die
Höhe geschossenen Kugel, ebenso die von Aristoteles und Ptolemäus
verwertete Beobachtung, dafs die aus bedeutender Höhe fallenden
schweren Körper in gerader und lotrechter Linie auf die Erdoberfläche
treffen. — Um nun mit Entwirrung dieser Knoten zu beginnen, frage
ich Signore Simplicio: wenn jemand dem Ptolemäus und Aristoteles
in Abrede stellte, dafs die frei fallenden schweren Körper in gerader
und lotrechter, d. h. nach dem Mittelpunkte gerichteter Linie herab-
kämen, mit welchen Hilfsmitteln würden sie es beweisen?
Simpl. Mittels der sinnlichen Wahrnehmung, die ims belehrt,
dafs jener Turm gerade und lotrecht ist und die uns zeigt, dafs jener
Stein beim Fall dicht an ihm hinstreift, ohne auch nur um Haares-
breite nach der einen oder anderen ilichtuug auszubiegen, und am
Galilei, Woltaysteino. 10
146 Dialog über die "Weltsysteme. [155. 156.]
Fufse des Turmes anlangt, genau unterlialb der Stelle, von welcher er
abgelassen wurde.
Salv. Weim aber von ungefähr die Erdkugel sich im Ki'eise be-
wegte und demzufolge auch den Turm mit sich trüge, gleichwohl aber
die Beobachtung lehrte, dafs der fallende Stein dicht an der Linie
des Turmes hinstreift, wie müfste dann seine Bewegung beschaffen sein?
Simpl. Man müfste in diesem Falle eher sagen „seine Bewegungen".
Die eine nämlich wäre diejenige, vermöge deren er von oben nach unten
gelangt, eine andere müfste ihm eigen sein, um der Bewegning des
Turmes zu folgen.
Salv. Seine Bewegung wäre also aus zweien zusammengesetzt,
nämlich aus der, mit welcher er dem Turm entlang fortschreitet und
aus der, mit welcher er ihm folgt. Aus dieser Zusammensetzung
würde sich ergeben, dafs der Stein nicht mehr jene einfache, gerade
und lotrechte, sondern eine schräge und möglicherweise krumme Linie
beschriebe.
Simpl. Ob krumm, weifs ich nicht; aber ich begreife sehr wohl,
dafs sie notwendig schräg sein mufs und verschieden von jener ge-
raden Linie, welche er im Fall der Unbeweglichkeit der Erde beschrieb.
Salv. Aus dem alleinigen Umstände also, dafs Ihr den fallenden
Stein sich entlang dem Turme bewegen seht, dürft Ihr noch nicht mit
Sicherheit auf seine gerade und lotrechte Bewegung schliefsen; Ihr
müfstet denn erst voraussetzen, die Erde stehe fest.
Simpl. So ist es; denn wenn die Erde sich bewegte, so würde
die Bewegung des Steines schräg und nicht lotrecht sein.
Fehischiufs des Salv. Da habt Ihr nun selber klar und deutlich den Fehlschlufs
Aristoteles und
ptoiemäus, des Aristotcles und Ptolemäus entdeckt; es wird dabei als bekamit
■welche als be- _ '
kanut voraus- vorausgcsetzt, was bewiesen werden soll.
setzen, was be-
iesen werden Simpl. Wicso? Mir schcint ein tadelloser Syllogismus
soll.
vorzu-
liegen und nicht eine petitio priiicipiiJ'')
Salv. Ihr sollt hören, wieso. Sagt mir doch, nimmt man nicht
beim Beweise die Schlufsfolgerung als unbekannt an?
Simpl. Natürlich, denn sonst wäre es überflüssig sie zu beweisen.
Salv. Der terminus medius aber mufs feststehen, nicht wahr?
Simpl. Das mufs er, sonst würde man iynotum per aeque ignoUim
beweisen wollen.
Salv. Unsere zu beweisende und mithin unbekannte Schlufsfolge-
rung ist die Unbewegtheit der Erde, nicht wahr?
Simpl. So ist es.
Salv. Und ist nicht die Prämisse, die feststehen mufs, der gerad-
linig lotrechte Fall des Steines?
[156. 157.] Zweiter Tag. 147
Simpl. Allerdings ist das die Prämisse.
Salv. Aber haben wir nicht eben gezeigt, dafs wir keine Kenntnis
davon haben kömien, ob die Falllinie gerade und lotrecht ist, wenn
nicht zuvor bekannt ist, dafs die Erde feststeht? Bei Euerem Syllo-
gismus hängt also die Zuverlässigkeit der Prämisse von der Zuver-
lässigkeit der Behauptung ab. Ihr seht also, welch arger Fehlschlufs
das ist.
Sagr. Ich möchte dem Signore Simplicio zuliebe den Aristoteles,
wo möghch, verteidigen oder mich doch wenigstens besser von der
Triftigkeit Eueres Schlufsverfahrens überzeugen. Ihr sagt: die Beobr
achtung der Bewegung des Steines am Turme entlang reicht nicht
aus, um uns zu vergewissern, dafs die Bewegung des Steines lotrecht
ist — dies ist die Prämisse des Syllogismus — , es sei denn, dafs mau
die Erde von vornherein als unbewegt voraussetzt — welches die erst
zu beweisende Behauptung ist. Wenn nämlich der Turm sich mit
der Erde bewegte, und der Stein entlang an ihm fiele, so würde die
Bewegung des Steines schräg und nicht lotrecht sein. Darauf will ich
entgegnen: wenn der Turm sich bewegte, so wäre es unmöglich, dafs
der Stein beim Fallen an ihm entlaug streifte, imd darum ergiebt sich
aus dem Entlangfallen das Stillestehen der Erde.
Simpl. So ist OS auch; denn damit der Stein dicht am Turme
hinstreifen kann, während dieser mit der Erde sich bewegt, müfste er
zwei natürliche Bewegmigen besitzen, die geradlinige nach dem Mittel-
punkte und die kreisförmige um den Mittelpunkt, was unmöglich ist.
Salv. Die Verteidigung des Aristoteles besteht also darin, dafs
der Stein unmöglich, oder wenigstens seiner Ansicht nach unmöglich,
eine aus Geradem und Kreisförmigem gemischte Bewegung ausführen
kann. Denn hätte Aristoteles es nicht für unmöglich gehalten, dafs
der Stein sich gleichzeitig nach dem Mittelpunkte und um ihn be-
wegte, so würde er eingesehen haben, dafs möglicherweise der fallende
Stein dem Turme entlang streifen könnte, ebensowohl wemi letzterer
sich bewegt, als wemi er feststeht-, er würde folglich bemerkt hal)en,
dafs aus dem Entlangfallen nichts über die Bewegung oder Ruhe der
Erde sich schliefsen lassen könnte. Dies entschuldigt indessen den
Aristoteles keineswegs, nicht luir weil er bei einem so wesentlichen
Punkte seiner Beweisführung es ausdrücklich hätte sagen müssen,
wenn dies seine Ansicht war, sondern auch deswegen, weil man weder
eine solche Thatsache für uiim(>glich halten darf, noch auch glauben,
dafs Aristoteles sie für imiu(')gllch gehalten luit. Man darf ersteres
nicht, weil, wie ich gleich zeigen werde, sie möglich, ja sogar not-
wendig ist; mau kann aber auch letzteres nicht behaupten, weil
10*
]^48 Dialog über die Weltsysteme. [157. 158.]
Aristoteles Aiüstoteles selbst emräumt, dafs das Feuer von Natur aus sich in ge-
das rel"er sich rader Linie aufwärts bewegt und gleichzeitig jener täglichen Kreisbe-
nach oben weo-uns folgt, welche vom Himmel aus sich auf das gesamte Element
seiner Natur o o o 7 u
zufolge, und (Jes Feucrs und auf den gröfseren Teil der Luft überträgt. ^"^ ) Wenn
kreisförmig in- " ■ i • -r»
folge von ej. gg also uicht für unmöo-lich hält, dafs die geradlinige Bewegung
Übertragung '^ _ ' _ " <=' a c
bewegt. nach oben mit der kreisförmigen sich mischt, welche von der Mond-
sphäre auf Feuer und Luft übertragen wird, so wird er um so weniger
bei dem Steine die Mischung von geradliniger Bewegung nach unten
mit kreisförmiger in Abrede stellen dürfen; deim letztere wäre dem
ganzen Erdball eigentümlich, von dem der Stein ein Teil ist.
Simpl. Ich glaube das nicht. Denn wenn das Element des Feuers
ebenso wie die Luft sich an der Kreisbewegung beteiligt, so ist es sehr
leicht möglich, ja notwendig, dafs ein von der Erde aufsteigendes
Feuerteilchen beim Passieren der bewegten Atmosphäre dieselbe Be-
wegung empfängt, es handelt sich ja um einen so dünnen, leichten
und leichtbeweglichen Körper. Dafs aber ein sehr schwerer Stein oder
eine aus der Höhe herabfallende Kanonenkugel, die doch einen selb-
ständigen Willen hat, durch die Luft oder etwas anderes sich fort-
reifsen lassen sollte, grenzt an das völlig Unglaubliche. Abgesehen
davon haben wir ja auch den eigens hierfür ersonnenen Versuch mit
dem Steine, den man von der Spitze eines Schiffsmastes herabfallen
läfst und der, wenn das Schiff feststeht, am Fufse des Mastes an-
langt, der aber, wenn das Schiff sich weiter bewegt, um ebensoviel von
diesem Punkte entfernt niederfällt, als das Schiff' während des Falles
vorwärts gekommen ist; dies beträgt aber mehrere Ellen, wenn das
Schiff schnell fährt.
Salv. Das Beispiel des Schiffes und das der Erde, wenn man
letzterer die tägliche Umdrehung zuerkennt, sind von einander sehr
verschieden.^') Denn es liegt klar auf der Hand, dafs die Bewegung
Unterschied des Schiffcs, die doch für es keine natürliche ist, auch bezüglich aller
zwischen dem ' • t»
Fall des Steines darin befiudUchen Gegenstände nur als zufällige Bewegung zu betrachten
von der Mast- ° ^ o o o
spitze des jgf; Daher ist es kein Wunder, dafs der Stein, den man auf der
Schiffes und dem ' '
^Höhe'de^s" Mastspitze festgehalten hat und nachher losläfst, sich abwärts bewegt
Turmes. ohne Verpflichtung, der Bewegung des Schiffes zu folgen. Die täg-
liche Bewegung aber wird dem Erdball und demnach allen seinen
Teilen als etwas ihnen Eigentümliches und Natürliches beigelegt. Von
der Natur ihnen eingepflanzt, haftet sie unvertilgbar an ihnen. Daher
hat der Stein auf der Spitze des Turmes in erster Linie den Trieb
sich in 24 Stunden um den Mittelpunkt seines Ganzen zu bewegen,
und dieser natürlichen Neigung giebt er stets nach, in welche Lage
er auch versetzt werden mag. Um Euch davon zu überzeugen, mül'st
!
[158. 159.] Zweiter Tag. 149
Ihr nur aus Euerem Geiste eine eingewurzelte Vorstellung ausrotten und
Euch sagen: ich liabe bis jetzt gemeint^ es sei eine Eigenschaft der
Erde ohne Drehung um ihren Mittelpunkt festzustehen; darum habe
ich niemals eine Schwierigkeit oder einen Widerspruch in der Vor-
stellung gefunden, dafs auch jedes ihrer Teilchen von Natur in der-
selben Ruhe verharrt. Wenn aber der natürliche Trieb des Erdballs
darauf gerichtet sein sollte, in 24 Stunden eine Drehung auszufülu-en,
so mufs ebenso andererseits jeder seiner Teile die im wandelbare, von
Natur eingepflanzte Neigung haben nicht festzustehen, sondern die
gleiche Bewegung mitzumachen. Ohne jedweden Anstofs wird man
daher schliefsen dürfen: da die Bewegmig, welche dem Schiffe durch
die Kraft der Ruder mitgeteilt wird, und welche sich von diesem auf
alle darin befindlichen Dinge überträgt, keine natürliche, sondern eine
fremdartige ist, so mufs allerdings jener Stein, sobald er mit dem Schiffe
nicht mehr verbunden ist, seine ursprüngliche Natur wieder annehmen
und einzig und allein der ihm natürlichen Bestimmung obliegen.
Dazu kommt noch, dafs notwendig wenigstens der Teil der Atmosphäre, ner Teil der
der unterhalb der höchsten Grebirgserhebimo-en lieact, durch die ün- unterhalb der
" o o ; höchsten Berge
ebeuheit der Erdoberfläche mitgerissen imd in drehende Bewescuno- folgt der Krd-
" ^ _ o o bewegung.
versetzt wird, oder wegen seiner Vermischung mit reichlichen Dämpfen
imd irdischen Ausdünstungen schon von Natur die tägliche Bewegung
mitmacht, während etwas Entsprechendes von der Luft in der Nähe
des Schiffes nicht gilt. Daher ist der Schlufs von dem Schiffe auf
den Turm nicht beweiskräftig. Der von der Mastspitze ausgehende
Stein tritt nämlich in ein Medium ein, welches die Bewegung des
Schiffes nicht mitmacht; der Stein aber, der von der Turmspitze aus
sich in Bewegung setzt, befindet sich in einem Medium, das dieselbe
Bewegung wie der ganze Erdball besitzt, so dafs er, ohne von der Luft
behindert zu sein, im Gegenteile von deren Bewegung gefördert Avird
und umsomehr dem allgemeinen Laufe der Erde folgen kann.
Slmpl. Ich begreife nicht, wie die Luft im Stande sein soll einem
mächtigen Steinblock, einer dicken eisernen oder bleiernen Kugel,
welche z. B. zweihundert Pfund wiegt, die Bewegung einzuprägen, in Bewegung der
welcher sie selbst begiriffen ist und welche sie allerdin";s <i;anz leichten ganz leichte,
. . „ . 1 1 n 1 • 1 1- 1 al)" "icht sehr
Gegenständen wie etwa einer Feder oder einer Schneeflocke wirklich schwere Dinge
mitteilt. Die Erfahrung belehrt mich im Gegenteile, dafs ein Gewicht
von jener Gröfse, auch dem stürmischsten Winde ausgesetzt, dennoch
keinen Finger breit bewegt wird: stellt Euch darnach vor, ob die Luft
es mit sich fortzutragen vermag.
Salv. Zwischen Euerer Beobachtimg und unserem Falle herrscht
eine gröfse Verschiedenheit. Thr lafst den Wind auf den in Ruhe be-
fortzuführeu.
]^50 Dialog über die Weltsysteme. [159. 160.]
fmdliclieii Stein einwirken, wir aber lassen die Lnft, die sich bereits
bewegt, auf den Stein einwirken, der sieb gleichfalls mit der nämlichen
Geschwindigkeit bewegt. Die Luft braucht ihm also nicht erst eine
neue Bewegimg mitzuteilen, sondern blofs die vorhandene zu unter-
stützen oder, besser gesagt, nicht zu stören. Ihr wollt den Stein in
eine fremdartige, seiner Natur nicht angemessene Bewegung versetzen,
wir ihn in seiner natürlichen erhalten. Wenn Ihr ein passenderes
Beispiel vorbringen wolltet, müfstet Ihr sagen, man solle beobachten,
wenn nicht mit leiblichen, so doch mit geistigen Augen, was eintreten
würde, wenn ein von der Kraft des Windes getragener Adler aus
seinen Klauen einen Stein fallen liefse. Dieser ist in dem Augenblicke,
wo ihn die Krallen losliefseu, schon mit derselben Geschwindigkeit
wie der Wind einhergeflogen und tritt nach seiner Loslösung in ein
ebenso schnell bewegtes Medium ein; deswegen hege ich starken Ver-
dacht, dafs man ihn nicht lotrecht herabfallen sähe, sondern dafs er
gleichzeitig der Richtung des Windes und überdies der seiner eigenen
Schwere folgen, dafs er demnach eine schräge Bewegung ausführen
würde.
Simpl. Man müfste in der Lage sein, einen solchen Versuch
anzustellen und je nach dem Ausfall seine Entscheidung treifen. In-
zwischen scheinen bei dem Schiffe die Thatsachen einstweilen für
unsere Meinung zu sprechen.
Salv. Mit Recht sagt Ihr einstweilen, denn binnen kurzem
dürfte die Sache ein anderes Ansehen gewiunen. Um Euch nun nicht
länger, wie man sagt, auf die Folter zu spannen, sagt mir, Signore
Simplicio: glaubtet Ihr wirklich von Grund der Seele, der Versuch
mit dem Schiffe passe so genau auf unseren Fall, dafs man vernünf-
tigerweise beim Erdball ein entsprechendes Ergebnis wie bei ihm zu
erwarten habe?
Simpl. Bisher habe ich das allerdings geglaubt; imd obgleich Ihr
etliche unbedeutende Verschiedenheiten aufgezählt habt, scheinen sie
mir doch nicht so ausschlaggebend, um mir meine Meinung zu be-
nehmen.
Salv. Es ist mir sogar sehr lieb, wenn Ihr bei ihr verharrt und
daran festhaltet, dafs die Erscheinungen bei der Erde analog denen
beim Schiffe sein müssen. Nur lafst Euch nicht die Laime anwandehi
Euere Meinung zu ändern, wenn sie sich als unverträglich mit Eueren
Zwecken erweisen sollte. Ihr sagt: weil bei ruhendem Schiffe der
Stein am Fufse des Mastes niederfallt, bei bcAvegtem hingegen vom
Fufse entfernt, so läfst sich umgekehrt schliefsen, dafs, wenn der Stein
am Fufse niederfällt, das Schiff stille steht; und ebenso ergiebt sich.
I
[160, 161. J Zweiter Tag. 151
dafs, wenn er entfernt davon niederfällt, das Schiff sich bewegt. Da
nun, was beim Schiffe gilt, auch bei der Erde eintreten mufs, so folgt
aus dem Niederfallen des Steines am Fufse des Turmes mit Notwen-
digkeit die Uubewegtheit des Erdballs. Ist das nicht Euer Beweis?
Simpl. Ja, und zwar in gedrängter Fassimg, was sehr zur Er-
leichterung des Verständnisses beiträgt.
Salv. Nun sagt mir: wenn der von der Spitze des Mastes abge-
lassene Stein auch bei dem rasch bewegten Schiffe genau an derjenigen
Stelle des Schiffes niederfiele, wohin er bei dem ruhenden Schiffe auf-
trifft, welchen Wert würden dann diese Fallversuche für die Entschei-
dung der Frage haben, ob das Schiff feststeht oder fährt?
Simpl. Absolut keinen. Ebenso z. B. wie aus dem Schlagen des
Pulses sich nicht erkennen läfst, ob jemand schläft oder wacht, Aveil
der Puls in gleicher Weise bei Schlafenden wie bei Wachenden schlägt.
Salv. Sehr wohl. Habt Ihr jemals den Versuch mit dem Schiffe
angestellt? 3*)
Simpl. Ich habe es nicht gethan, wohl aber, denke ich, haben
die Schriftsteller, welche ihn anführen, sich sorgfältig mit ihm be-
schäftigt. Überdies liegt die Ursache der Verschiedenheit so sehr auf
der Hand, dafs kein Raum zum Zweifel bleibt.
Salv. Dafs jene Autoren ihn möglicherweise anführen, ohne ihn
angestellt zu haben, dafür seid Ihr selbst ein klassischer Zeuge. Denn
ohne ihn angestellt zu haben, citiert Ihr ihn als sicher mid verlafst
Euch in gutem Glauben auf ihr Wort. Ebenso haben möglicher-, ja
notwendigerweise auch jene gehandelt, sich nämlich auf ihre Vorgänger
verlassen, ohne daf^ man jemals auf einen käme, der den Versuch
wirklich angestellt hätte. Denn jeder, der das thut, wird finden, dafs^'er vom scmss-
sich das gerade Gegenteil von dem ergiebt, was man geschrieben liest, stein triff "auf
AT • 1 .. 1- 1 -T, , • , -. n -, r. • dieselbe Stelle
Man wird namlich zum Ergebnis kommen, dafs der Stem stets an ™ag das Schiff,
derselben Stelle des Schiffes niederfällt, maoj dieses feststehen oder sich «'ler stiiie
stcheu.
mit beliebiger Geschwindigkeit bewegen. Da aber die Erde und das
Schiff' gleiches Verhalten aufweisen müssen, so läfst sich aus dem lot-
rechten Falle des Steines und dem Aufschlag am Fufse des Turmes
nichts über Bewegmig und Ruhe der Erde ermitteln.
Simpl. Wemi Ihr mich nicht auf den Weg des Versuchs ver-
wiesen hättet, so Avürde nach meiner Meinung unser Hin- und Wider-
reden so bald noch kein Ende nehmen. Denn mir scheint diese Frage
für menschliche Spekulation so unzugänglich, dafs hier niemand sich
erkühnen kann, etwas zu glauben oder zu vermuten.
Salv. Und doch erkühne icli mich das zu thun.
Simpl. Ihr hättet also nicht nur nicht hundertmal, sondern auch
152 Dialog über die Weltsysteme. [161. 162.]
niclit einmal die Probe darauf gemacht imd seid doch des Erfolges
ohne weiteres sicher? Ich kehre zu meinem Unglauben und meiner
anfanglichen Überzeugung zurück, dal's die hauptsächlichsten Autoren,
welche den Versuch anfuhren, ihn auch angestellt haben und zwar mit
dem von ihnen angegebenen Erfolge.
Salv. Ich bin ohne Versuch gewifs, dals das Ergebnis so aus-
fällt, wie ich Euch sage, denn es mufs so ausfallen. Ja noch mehr,
ich behaupte, Ihr selbst wifst ebenfalls, dafs der Ausfall kein anderer
sein kann, weim Ihr Euch auch stellt oder vorgebt Euch zu stellen,
als wüfstet Ihr es nicht. Ich verstehe aber das Handwerk mit Ge-
hirnen umzugehen so meisterlich, dafs ich Euch gewaltsam ein Ge-
ständnis entreifsen werde. Aber Öignore Sagredo, Ihr seid so stille,
imd doch schien es mir nach Euerer Gebärde, als wolltet Ihr etwas
sagen.
Sagr. Ich wollte wirklich eine Bemerkung machen, aber Euere
Äufserung, Ihr wolltet dem Signore Simplicio dermalsen Gewalt an-
thmi, dafs er sein absichtlich verstecktes Wissen offenbare, hat mich
neugierig gemacht und jeden anderen Wunsch in mir erstickt. Ich
bitte Euch also, Euer Rühmen wahr zu machen.
Salv. Wenn nur Signore Simplicio die Güte haben will, auf meine
Fragen zu antworten, so soll es an mir nicht fehlen.
Simpl. Ich werde antworten, was ich weifs mid bin sicher, nicht
in Ungelegenheiten zu kommen. Demi von dem, was ich für falsch
halte, kann ich meines Bedünkens nichts wissen, da alles Wissen die
Wahrheit und nicht den Irrtum zum Gegenstande hat.
Salv. Ich wünsche nicht, dafs Ihr sagt oder antwortet, Ihr
wüfstet irgend etwas, was Ihr nicht völlig sicher wifst. Sagt mir also:
wenn Ihr eine ebene, völlig glatte, spiegelähnliche Fläche habt, von
stahlhartem Stoffe, die nicht horizontal, sondern etwas geneigt ist, und
Ihr legt einen vollkommen kugelförmigen Ball darauf, aus schwerem,
sehr hartem Stoffe, etwa aus Bronze, was würde er, sich selbst über-
lassen. Euerer Ansicht nach thun? Meint Ihr nicht auch, wie ich, er
würde ruhig liegen bleiben?
Simpl. Und die Fläche soll geneigt sein?
Salv. Freilich, diese Voraussetzmig habe ich ja gemacht.
Simpl. Keineswegs glaube ich, dafs er liegen bleibt, im Gegen-
teil, ich bin völlig gewifs, dafs er sich von selbst nach der geneigten
Seite bewegen würde.
Salv. Habt wohl Acht, was Ihr sagt, Signore Simplicio; ich bin
nämlich überzeugt, dafs er überall ruhen würde, wohin Ihr ihn auch
legtet.
[162. 163.] Zweiter Tag. 153
Simpl. Wenn Ihr Euch auf eine solche Art von Annahmen stützt,
daini fange ich an zu hegreiten, warum Ihr zu grundfalschen Ergeh-
nissen gelaugt.
Salv. Ihr haltet es also für ausgemacht, dafs die Kugel sich
von seihst nach der geneigten Seite bewegen Avürde?
Simpl. Welche Frage!
Salv. Und Ihr haltet das für feststehend, nicht weil ich es Euch
gelehrt hätte — ich suchte Euch ja das Gegenteil einzureden — ,
sondern aus freiem Antrieb, nach Euerem gesunden Menschenverstände.
Simpl. Jetzt verstehe ich Eueren Kunstgriff; Ihr habt nur so ge-
redet, um mich kirre zu macheu, wie das Volk sagt, nicht weil Ihr
selbst so dächtet.
Salv. So ist's. W^ie lange mid mit welcher Geschwindigkeit
würde nun die Kugel fortfahren sich zu bewegen? Beachtet, dafs ich
von einer vollkommen runden Kugel und einer ausgezeichnet glatten
Ebene gesprochen habe, um damit alle äufsereu und zufälligen Hinder-
nisse auszusChliefsen. Ebenso möchte ich denn auch, dafs Ihr von der
Luft abseht, welche insofern ein Hinderuis bildet, als sie dem Durch-
schneiden einen AViderstand entgegensetzt, desgleichen von allen anderen
zufälligen Hemmnissen, wenn etwa solche vorhanden sein sollten.
Simpl. Ich habe das alles ganz gut verstanden. Euere Frage
anlangend antworte ich: sie würde ins mieudliche fortfahren sich zu
bewegen, wenn die Neigung der Ebene so lange vorhielte imd zwar
in stetig beschleunigter Bewegung. Denn wie die Natur der schweren
Körper es mit sich bringt: vires acquirunt etindo.^^) Dabei wird die
Geschwindigkeit um so gröfser sein, je stärker die Neigmig der
Ebene ist.
Salv. Wemi man aber wollte, dafs die Kugel auf der nämlichen
Ebene sich nach oben bewegte, würde sie das Euerer Meinung nach
thun?
Simpl. Freiwillig nicht, Avohl aber, Aveim man sie gewaltsam
hinauf schiebt oder stöfst.
Salv. Und wemi sie nun vermöge eines gewaltsam ihi- mitge-
teilten Anstofses hinaufgetrieben würde, wie beschaffen und von wie
langer Dauer würde ihre Bewegung dann seinV
Simpl. Die Bewegung würde immer mehr ermatten mid sich
verzögern, weil sie naturwidrig ist; sie würde ferner länger oder kürzer
andauern, je nach der Stärke des Impulses und nach dem Grade der
Steilheit.
Salv. Ihr habt also bis jetzt, wie mir scheint, das Verhalten
eines bewegten Körpers auf zwei verschiedenen Ebenen geschildert.
154 Dialog über die Weltsysteme. [163. 164.]
Auf der geneigten Ebeue, sagtet Ihr^ bewegt sich der schwere Körper
freiwillig abwärts in beständig beschleunigter Bewegung, und um ihn
dort in Ruhe zu halten, mufs mau Kraft anwenden-, bei der aufstei-
genden Ebene aber ist Kraft notwendig, um ihn vorwärts zu treiben
imd ebenso auch, um ihn darauf festzuhalten. Die ihm mitgeteilte
Bewegung, sagtet Ihr ferner, vermindert sich in diesem Falle beständig
und hört schliefslich ganz auf. Weiter behauptet Ihr noch, dafs in
dem einen wie in dem anderen Falle es einen Unterschied macht, ob
die Abschüssigkeit oder Steilheit gröfser oder geringer ist, in der
Weise, dafs gröfsere Abschüssigkeit auch gröfsere Geschwindigkeit be-
dingt; umgekehrt hingegen bewegt sich der gleiche Körper imter Ein-
wirkung der gleichen Kraft auf der ansteigenden Ebene über eine um
so gröfsere Strecke, je geringer die Erhebung ist. Nmi sagt mir, was
mit dem nämlichen Körper auf einer Fläche geschähe, die weder ab-
schüssig ist, noch ansteigt.
Simpl. Hier mufs ich mich ein wenig auf die Antwort besinnen.
Da keine Abschüssigkeit vorhanden ist, so kaim kein natüTlicher Trieb
zur Bewegimg vorhanden sein; da auch kein Ansteigen stattfindet, so
kami ebensowenig ein Widerstand gegen die Bewegung vorliegen; der
Körper mufs mithin unterschiedslos weder einen Hang sich zu bewegen
noch ein Widerstreben gegen die Bewegung besitzen. Er mufs also,
wie mir scheint, von Natur aus ruhen. — Aber wie vergefslich ich
bin! Es ist noch nicht lange her, dafs Signore Sagredo mir erklärt
hat, dies müsse der Fall sein.**^)
Salv. Das ist auch meine Ansicht, vorausgesetzt, dafs man ihn
ruhig hinlegte. Wenn man ihm aber einen Anstofs nach irgend welcher
Richtimg gäbe, was würde geschehen?
Simpl. Ich kami weder einen Grund für eine Beschleunigung
noch für eine Verzögerung entdecken, da weder ein Ab- noch ein An-
steigen stattfindet.
Salv. Gut; wemi aber kein Grund für eine Verzögerung vorliegt,
so kann um so weniger ein solcher für ein völliges Stillestehen vor-
liegen. Wie lange mufs demnach der Körper fortfahren sich zu be-
wegen?
Simpl. Solange als die Ausdehnimg dieser weder steilen noch
geneigten Fläche vorhält.
Salv. Wäre diese Länge also imbegrenzt, so würde die Bewegimg
auf ihr gleichfalls ohne Grenzen sein, d. h. ewig, nicht wahr?
Simpl. So scheint es mir allerdings, vorausgesetzt, dafs der Körper
von einem dauerhaften Stoff wäre.
Salv. Dies ist ja insofern vorausgesetzt, als wir sagten, es sollten
[164. 165.] Zweiter Tag. 155
alle zurälligen, äufserlichen Hindernisse entfernt werden; die Zerstör-
barkeit des Körpers aber ist in diesem Falle eines der zufälligen
Hindernisse. Sagt mir nun: was ist Euerer Ansicht nach die Ursache,
dafs die Kugel auf der geneigten Ebene freiwillig, auf der ansteigenden
hingegen nur gezwmigen sich bewegt?
Simpl. Der Grund ist der, dafs der Trieb der schweren Körper
darauf gerichtet ist, sich nach dem Mittelpunkte der Erde hin zu be-
wegen, dafs dieselben aber aufwärts nach dem Umfange des Weltalls
hin sich nur gezwungen bewegen. Die geneigte Ebene aber bewirkt
Annäherung an den Mittelpunkt, die ansteigende Entfernimg von dem-
selben.^^)
Salv. Eine Fläche, welche weder abschüssig noch ansteigend ist,
mufs also in allen ihren Teilen gleich weit entfernt vom Mittelpunkte
sein. Giebt es denn nun solche Flächen in der Welt?
Simpl. Daran fehlt es nicht. Da habt Ihr die unseres Erdballs,
vorausgesetzt, dafs sie vollkommen glatt wäre, und nicht rauh imd
gebirgig, wie sie es thatsächlich ist; sodann aber die Wasseroberfläche,
solange sie unbewegt und ruhig ist.
Salv. Ein Schiff, Avelches bei Meeresstille daliinfährt, gehört
mithin zu den Körpern, welche über eine weder steile, noch abschüssige
Fläche der besprochenen Art sich fortbewegen. Es ist daher bestrebt,
nach Entfernung aller zufälligen und äufserlichen Hindernisse, mit der
ihm einmal mitgeteilten AnfangsgeschAvindigkeit unablässig imd gleich-
förmig sich fortzubewegen.
Simpl. So mufs es sein, scheint mir.
Salv. Und vollzieht der Stein, der sich auf der Spitze des Mastes
befindet, nicht gleichfalls, vom Schifte getragen, eine Bewegung um
den Mittelpmikt längs einer Kreisperipherie, also eine Bewegmig, die
in ihm, abgesehen von den äufsereu Hindernissen, unvertilgbar fortbe-
steht? Und ist diese BcAvegmig nicht ebenso geschwind wie die des
Schiftes?
Simpl. So weit ist alles in Ordnimg. Was nun weiter?
Salv. Zieht daraus rechtzeitig selber den letzten Schlufs, wo Ihr
doch selber alle Prämissen gekamit habt.
Simpl. Ihr versteht imter dem letzten Schlüsse, dafs jener Stein,
da ihm seine Bewegung unvertilgbar eingeprägt ist, diese nicht auf-
geben, sondern dem Schifte folgen und schliefsHch an demselben Orte
niederfallen wird wie beim ruhenden Schiffe. Auch ich meine, dafs
das geschehen würde, wenn nicht äufsere Hindernisse einträten, welche
die Bewegung des Steines nach dem Loslassen stören. Solcher Hin-
demisse sind aber zweie vorhanden: das eine besteht darin, dafs der
156 Dialog über die Weltsysteme. [165. 166.]
Körper anfser Stande ist, die Luft blofs durcli seinen Impuls zu durcli-
sclineiden, da auf ilin die bewegende Kraft der Ruder nicht mehr
wirkt, wie sie es that, während er als Teil des Schiffes auf dem Mäste
sich befand; das andere ist die neu hinzutretende Bewegimg des Ab-
wärtsfallens, die auch notwendig der anderen fortschreitenden Be-
wegung hinderlich sein mufs.
Salv. Was das Hemmnis der Luft anlangt, so stelle ich es nicht
in Abrede; und wäre der fallende Körper von leichtem Stoff, etwa
eine Feder oder eine Wollflocke, so würde die Verzögerung recht
grofs sein, bei einem schweren Steine hingegen ist sie aufserordentlich
gering. Ihr selbst habt noch eben gesagt, dafs die Kraft des stür-
mischsten Windes nicht genügt, um einen dicken Stein von der Stelle zu
bringen, erwägt darnach, was die ruhende Luft gegen den Stein aus-
zurichten vermag, wo dieser sich nicht geschwinder als das Fahrzeug
gegen sie bewegt. Gleichwohl gebe ich Euch, wie gesagt, den kleinen
Einflufs zu, welchen dieses Hindernis übt. Ebenso werdet Ihr mir
zugeben, davon bin ich überzeugt, dafs, wemi die Luft sich mit der-
selben Schnelligkeit wie das Schiff und der Stein bewegte, der Einflufs
dieses Hindernisses völlig schwinden würde. Was das andere, die
hinzutretende Abwärtsbewegung, betrifft, so ist erstlich klar, dafs die
beiden Bewegungen, nämlich die kreisförmige um den Mittelpunkt und
die geradlinige gegen den Mittelpunkt nicht entgegengesetzt sind, noch
sich gegenseitig aufheben, noch mit einander unverträglich sind. Denn
was den bewegten Körper anlangt, so hat er keinerlei Widerstreben
gegen besagte Bewegung; Ihr selbst habt ja gesagt, die Abneigung
sei gegen die vom Centrum sich abwendende Bewegung gerichtet,
Neigung hingegen zeige er für die zum Centrum hinführende Bewegung.
Hieraus folgt mit Notwendigkeit, dafs der Körper für diejenige Be-
wegung, die keine Amiähermig und keine Entfernung vom Mittelpunkte
erzeugt, weder Abneigung noch Zuneigung hat, und dafs demnach kein
Grund zur Verminderung des ihm eingej)rägten Impulses vorliegt. Da
nun nicht blofs eine bewegende Ursache vorhanden ist, welche infolge
der neuen Einwirkung ermatten müfste, sondern zwei von einander
verschiedene, deren eine, die Schwere, sich blofs damit beschäftigt,
den Kfirper nach dem Centrum hinzuziehen, während die andere, die
eingeprägte Bewegung, ihn um den Mittelpmikt zu führen bestrebt
ist, so bleibt kein Anlafs zu einer Hemmung übrig.
Simpl. Euere Beweisführung ist wirklich dem Anscheine nach
recht plausibel, in Wahrheit aber ist doch ein Haken dabei, von dem
sie schwer zu befreien ist. Ihr habt durchweg bei Euerem Schlufs-
verfahren eine Voraussetzung gemacht, die Euch von der peripateti-
|166. 167.] Zweiter Tag. 157
Nclieu Schule nicht leicht zugegeben Avird^ da sie dem Aristoteles schnur-
stracks widerspricht/^) Ihr betrachtet es nämlich als notorisch und
offenbar, dafs der geschleuderte Körper, losgelassen vom Schleudern- Der geschieu-
•len, seine Bewegung fortsetzt vermöge der ihm von dem Schleudernden wird nach
n • T^ f T\- • -ir p Aristoteles nicht
selber enigepragten Krait. Diese eingeprägte Kraft aber ist in der »lurch einge-
. , „ . . O 1 O _^ prägte Kraft,
peripatetischen Philosophie etwas ebenso Verpöntes wie die Über- sondern durch
tragung eines Zustandes von einem Subjekt auf ein anderes. Jene bewegt.
Schule hält vielmehr daran fest, wie Euch bekannt sein wird, dafs der
geschleuderte Körper von dem Medium getragen wird, welches in
unserem Falle die Luft ist. Wenn daher der von der Mastspitze ab-
gelassene Stein der Bewegimg des Schiffes folgen sollte, so müfste
man diese Thatsache auf die Luft zurückführen, nicht auf eine ihm
eingeprägte Kraft. Ihr nehmt aber an, die Luft folge nicht der Be-
wegung des Schiffes, sondern sei ruhig. Überdies soll die Person,
die ihn fallen läfst, ihn nicht schleudern, noch ihn vermöge des Armes
einen Antrieb mitteilen, sondern einfach die Hand öffnen und ihn los-
lassen. So wird also der Stein weder infolge einer von der Hand des
Werfenden mitgeteilten Kraft, noch infolge einer Mitwirkung der Luft
der Bewegung des Schiffes folgen können, er wird also zurückbleiben
müssen.
Salv. Ich glaube Eueren Worten entnehmen zu müssen, dafs,
wenn der Stein nicht von jemandes Arme geschleudert wird, seine
Bewegung unter keinen Umständen ein Wurf sei.
Simpl. Man kann daim nicht von einer eigentlichen Wurfbe-
wegung sprechen.
Salv. Demnach hat das, was Aristoteles von der Bewegung des
Körpers und von der bewegenden Ursache des Geworfenen sagt, mit
unserem Gegenstande nichts zu thun; und hat es nichts damit zu
thun, warum führt Ihr es an?
Simpl. Ich führe es an anläfslich jener eingeprägten Kraft, die
Ihr erwähnt und benutzt habt. Da diese aber in der Welt iiieht
existiert, so kann sie nichts wirken, denn non entiiim nuUae sunt opc-
rationes.'^^) Man mufs daher nicht nur bei der Wurfbewegimg, sondern
bei jeder anderen nicht natürlichen die bewegende Ursache in dem
Medium suchen. Darauf ist nicht die gebührende Hücksicht genommen
und darum ist das bisher Vorgebrachte nicht i)eweiskräftig.
Salv. Wohl denn, es sei! Sagt mir jedoch: da Euer Einwand
sich durchaus auf das Nichtvorhandensein einer eingeprägten Kraft
gründet, werdet Ihr dann, wemi ich den Beweis erbringe, dal's iukIi
dem Loslassen des geworfenen Körpers das Medium nichts mit der
Fortsetzung der BeAvegnng zu tliun hat, das Vorhandensein einer ein-
158 Dialog über die Weltsysteme. [167. 168.]
geprägteii Kraft anerkennen oder werdet Ihr mit anderen Mittebi einen
Feldzug zu ihrer Vernichtung unternehmen?
Simpl. Nach Beseitigung der Wirkung des Mediums sehe ich
nichts, wozu man seine Zuflucht nehmen könnte, aufser zu der vom
Werfenden eingeprägten Kraft.
Salv. Um soviel wie möglich ein endloses Hin- und Widerreden
abzuschneiden, wird es gut sein, wenn Ihr möglichst deutlich ausein-
andersetzen wolltet, in welcher Weise das Medium die fortgesetzte
Bewegung des geworfenen Körpers bewirkt.
Simpl. Der Werfende hat den Stein in der Hand, er bewegt mit
einer gewissen Geschwindigkeit und Kraft den Arm. Dabei bewegt
Wirksamkeit sich der Stein, aber ebenso sehr die benachbarte Luft, so dafs der
des Mittels bei ' . i tt i i i • • ^
der fortgesetzten ^tein im Augenblicke, wo er von der Hand losgelassen wird, sich in
Bewegung des o 7 o ? ^
geschleuderten jgj. L^jf^ befindet, die selbst schon in lebhafter Beweguncr beo;riffen
Körpers. _ _" . .
ist; von dieser wird er dann dahingetragen. Wirkte die Luft nicht,
so würde der Stein dem Werfenden aus der Hand vor die Füfse fallen.
Salv. Und Ihr seid so leichtgläubig gewesen, dafs Ihr Euch der-
gleichen Nichtigkeiten habt einreden lassen, während Ihr in Euch
Vielfache Ver- sclbst Siuuc hattet, um sie zu widerlegen und die wahre Sachlage zu
Gründe gegen begreifen? So sagt mir demi: wenn statt ienes grofsen Steines und
die von .'\risto- . '^ 1 1 t • p 1 p i m- 1 1
teies angenom- neuer Kanoneiikugel, die, einfach auf den Tisch gelegt, trotz ledes
Mcne Ursache ^ . ...
der wurfbe- noch SO ungestttmcn Windes unbeweglich bleiben, wie Ihr vor kurzem
wegung. _ ^ _ ° '
versichert habt, eine Kugel von Kork oder eine ebenso grofse von
Baumwolle dalägen, würde sie der Wind Euerer Ansicht nach von
der Stelle bewegen?
Simpl. Gewifs, ich bin sogar überzeugt, dafs er sie fortfuhren
würde und zwar um so schneller, je leichter der Stoff ist. Demi nur
aus diesem Grunde sehen wir die Wolken mit einer Schnelligkeit
dahinfliegen, die dem sie treibenden Winde gleichkommt.
Salv. Und was ist Wind?
Simpl. Unter Wind versteht man nichts anderes als bewegte Luft.
Salv. Die bewegte Luft trägt also ganz leichte Stoffe weit rascher
und auf weit gröfsere Entfernungen hin, als sehr schwere?
Simpl. Gewifs.
Salv. Wenn Ihr aber mit dem Anne einmal einen Stein werfen
sollt und sodann eine Flocke Baumwolle, was würde sich geschwinder
und in gröfsere Ferne bewegen?
Simpl. Der Stein bei weitem, die Baumwolle würde mir geradezu
vor die Füfse fallen.
Salv. Wenn aber die Bewegungsursache des geworfenen Körpers,
nachdem die Hand ihn losgelassen, nur die vom Arme bewegte Luft
[168. 169.] Zweiter Tag. 159
ist, und wemi diese besser leichte als schwere Stoffe bewegt, wie
kommt es, dafs das Wurfgeschofs von Baumwolle nicht weiter und
schneller fliegt als das von Stein? Es mufs doch im Steine noch
etwas anderes sein, abgesehen von der Bewegung der Luft. — Weiter
denkt Euch von dem Balken dort zwei gleich lauge Fäden herab-
hängen, am Ende des einen sei eine Bleikugel, am anderen eine aus
Baumwolle befestigt. Angenommen man entfernte beide gieichweit
aus der lotrechten Lage und überliefse sie sodann sich selbst, so
würden sich beide unzweifelhaft gegen die lotrechte Lage hinbewegen,
von dem eigenen Antrieb um eine gewisse Strecke darüber hinausge-
führt werden und endlich in sie zurückkehren. Welches von beiden
Pendeln aber würde nach Euerer Meinung sich länger bewegen, bevor
es in die lotrechte Ruhelage zurückkehrt'?
Simpl. Die Bleikugel wird tausendmal hin- und hergehen, die
baumwollene zwei- oder dreimal höchstens.
Salv. Mithin erhält sich jener Antrieb, jene Beweglichkeit, was
auch die Ursache davon sein mag, länger in schweren als in leichten
Körpern. — Ich komme nun auf einen anderen Punkt und frage Euch:
warum trägt jetzt die Luft nicht die Citrone dort auf dem Tische weg?
Simpl. Weil die Luft selbst sich nicht bewegt.
Salv. Der Werfende mufs also der Luft ein^e Bewegung mitteilen,
vermöge deren nachher diese den geworfenen Körper bewegt. Wenn
aber eine solche Kraft sich nicht einprägen läfst, da ein Zustand nicht
von einem Subjekte auf ein anderes übergehen kann, wieso kann da
ein Übergang vom Arme auf die Luft stattfinden? Ist die Luft etwa
kein vom Arme verschiedenes Subjekt?
Simpl. Darauf läfst sich erwidern, dafs die Luft, weil imierbalb
ihrer Region weder leicht noch schwer*^), aufserordentlich geneigt ist,
jeden Impuls aufzunehmen und ihn ferner zu bewahren.
Salv. Wenn uns aber die Pendel jetzt eben gezeigt haben, dafs
der Körper, je weniger er der Schwere teilhaftig ist, in um so geringerem
Mafse die Fähigkeit besitzt, seine Bewegung beizubehalten, wie soll
da die Luft, welche innerhalb der Luft gar keine Schwere hat, ganz
allein die empfangene Bewegung beibehalten? Ich bin der Ansicht
und weifs, auch Ihr seid jetzt der Ansicht, dafs, wenn kaum der Arm
stille hält, so auch die umgebende Luft sofort wieder ruhig wird.
Lafst uns ins Zimmer gehen und schwenken wir ein Handtuch, um
die Luft so viel wie möglich aufzurühren; sobald das Tuch dann ruhig
ist, bringe man ein kleines angezündetes Kerzchen ins Zimmer oder
lasse ein Blatt Flittergold fliegen. Ihr werdet dann an der ruhigen
Bewegung des einen wie des anderen bemerken, Avie die Luft sofort
160 Dialog über die Weltsysteme. [169. 170.]
wieder stille wird. Icli könnte Euch tausend derlei Versuche anführen,
aber wem ein einziger nicht schon ausreicht, an dem wäre alle Mühe
verschwendet.
Sagr. Wenn man einen Pfeil gegen den Wind abdrückt, wie
unglaublich ist es, dafs jenes schmale Streifchen Luft, von der Sehne
getrieben, durch dick und dünn den Pfeil begleitet! Aber auch ich
möchte von Aristoteles über einen Umstand Aufklärung erhalten und
bitte daher Signore Simplicio gütigst antworten zu wollen. Wenn mit
demselben Bogen zwei Pfeile abgeschossen werden, einer in der ge-
wöhnlichen Weise mit der Spitze nach vorne, der andere quer,
indem man ihn nämlich der Länge nach auf die Sehne legt und
aus dieser Lage abschiefst, dann möchte ich wissen, welcher vou
ihnen weiter fliegen wird. Habt die Gewogenheit mir zu antworten,
wemi Euch auch vielleicht die Bitte ein bifschen lächerlich erscheint;
nehmt es mir nicht übel, dafs ich so ungeschickt bin, und meine
Spekulationen keinen höheren Aufschwung nehmen.
Simpl. Ich habe niemals einen Pfeil der Quere nach abschiefseu
sehen-, trotzdem glaube ich, dafs er in dieser verkehrten Lage noch
nicht den zwanzigsten Teil so weit flöge als mit der Spitze nach vorn.
Sagr. Weil ich derselben Meinung gewesen bin, darum habe ich
Anlafs genommen, an der Übereinstimmung der aristotelischen Ansicht
mit der Erfahrung zu zweifeln. Wenn ich nämlich hier auf den Tisch
zwei Pfeile lege in einem Augenblicke, wo ein kräftiger Wind geht,
den einen längs der Windrichtung, den anderen quer dazu, so lehrt
die Erfahrung, dafs der Wind diesen leicht davonträgt, jenen aber
liegen lassen wird. Dasselbe, meine ich, müfste bei den zwei Bogen-
schüssen eintreten, wenn die Lehre des Aristoteles wahr wäre. Demi
der querliegende Pfeil wird von einer grofsen Menge Luft getrieben,
von einer so grofsen nämlich, als seiner Länge entspricht, während
der andere nur einen Impuls empfängt von soviel Luft, "wie dem ganz
kleinen Querschnitte desselben entspricht. Ich kann mir nicht denken,
woher diese Verschiedenheit rührt und möchte gerne die Ursache von
Euch erfahren.
Simpl. Sie liegt auf der Hand, dünkt mich. Der mit der Spitze
nach vorn abgeschossene Pfeil hat nämlich eine geringe Menge Luft
7A\ durchdringen, der andere hingegen eine so grofse Menge zu durch-
schneiden, als seine ganze Länge beträgt.
Sagr. Die abgeschossenen Pfeile müssen also die Luft durcli-
dringen? Ei, wenn die Luft sich mit ihnen bewegt, wenn sie es
sogar ist, die sie dahin trägt, wie kann dann von einer Durchdringung
die Rede sein? Seht Ihr nicht ein, dafs in diesem Falle der Pfeil
[170. 171.] Zweiter Tag. 161
sicli mit gröfserer Geschwindigkeit als die Luft bewegen müfste?
Und wer teilt diese gröfsere Geschwindigkeit dem Pfeile mit? Wollt
Ihr behaupten, die Luft gebe ihm eine gröfsere Geschwindigkeit, als
sie selbst besitzt? Ihr seht also, Sig-nore Simplicio, die Sache ver-
läuft gerade umgekehrt, wie Aristoteles sagt; es ist ebenso falsch, das
Medium als bewegende Ursache des geworfenen Körpers zu betrachten, uas Medium
. . . . . . 'bringt die Wurf-
wie es richtig ist, dafs dieses allein ihm hinderlich eutscegentritt. Bewegung nicht
, o o hervor, sondern
Habt Ihr aber das begriffen, so werdet Ihr auch ohne Schwierigkeit i'i°'iert sie.
l)egreifen, dafs, wemi die Luft sich wirklich bewegt, sie weit besser
den Pfeil der Quere als der Länge nach fortträgt. Denn in jeuer
Lage wird er von einer gröfseren, in dieser von einer ganz geringen
Menge Luft getrieben. Schiefst man aber mit dem Bogen, in welchem
Falle die Luft unbewegt bleibt, so erfährt der querhegende Pfeil, der
auf viele Luft stöfst, einen bedeutenden Widerstand, der der Länge
nach abgedrückte aber überwindet das Hindernis der ganz kleinen
sich entgegensetzenden Luftmenge mit gröfster Leichtigkeit.
Salv. Wie viele Behauptungen im Aristoteles habe ich bemerkt
— ich meine stets nur in seiner Naturphilosophie — , die nicht nur
falsch sind, sondern dermafsen falsch, dafs ihr diametrales Gegenteil
richtig ist, wie in diesem Falle! Um aber auf unseren Gegenstand
zurückzukommen, so glaube ich, Signore Simplicio ist nunmehr über-
zeugt, dafs aus der Beobachtung des Steines, der immer an derselben
Stelle niederfällt, sich nichts betreffs der Bewegung oder der Ruhe
des Schiffes schliefsen läfst. Und wenn das Bisherige ihn noch nicht
befriedigen sollte, so bleibt ihm noch das Mittel des Experimentes,
welches ihn wohl völlig vergewissern wird. Bei dessen Ausführung
würde er günstigsten Falls vielleicht ein Zurückbleiben des fallenden
Körpers bemerken, sobald dieser aus einem sehr leichten Stoffe be-
steht und die Luft der Bewegung des Schiffes nicht folgt. Wenn sich
aber die Luft mit gleicher Geschwindigkeit bewegt, so wird keine
denkbare Verschiedenheit weder bei diesem noch bei irgend welchem
anderen Versuche stattfinden, wie ich gleich auseinandersetzen werde.
Wenn nun schon in diesem Falle keinerlei Verschiedenheit zu Tage
tritt, was soll man erst bei dem von der Turmspitze fallenden Steine
erwarten, wo die Kreisbewegung dem Steine nicht nachträglich und zu-
fällig beigebracht wird, sondern ihm von Natur und für alle Ewigkeit
zukommt, wo die Luft genau der BcAvegung des Turmes und der Turm
der des Erdballs folgt? Habt Ihr in dieser Sache noch ehie Erwide-
rung vorzubringen, Signore Simplicio?
Simpl. Nur die eine, dafs ich die Bewegung der Erde bis jetzt
nocli nicht erwiesen sehe.
GAUtiKi, Weltsystomc. 11
1G2 Dialog über die Weltsysteme. [171. 172.]
Salv. Ich habe auch gar nicht den Anspruch erhoben^ sie be-
weisen zu wollen, sondern blofs zu zeigen, wieso aus dem Versuche,
der von den Gegnern als Argument für die Unbewegtheit der Erde
beigebracht wird, sich nichts entnehmen läfst, und das nämliche ge-
denke ich von den anderen Versuchen nachzuweisen.
Sagr. Bitte, Siguore Salviati, vergönnt mir, bevor wir weiter
gehen, dafs ich eine Schwierigkeit aufs Tapet bringe, die mir durch
den Kopf ging, während Ihr mit solcher Geduld dem Signore Simplicio
den Versuch mit dem Schiffe ins einzelne zergliedert habt.
Salv. Wir sind hier, um uns auszusprechen, imd es ist gut, wenn
jeder die Schwierigkeiten vorbringt, die ihm aufstofsen, denn das ist
der Weg, welcher zur Erkenntnis der Wahrheit führt. Darum sprecht!
Sagr. Wenn wirklich der Antrieb, mit Avelchem das Schilf sich
Merkwürdige beweQ-t, dciu Steine unvertilo-bar eingeprägt bleibt, nachdem er vom
Eigenschaft bei '^ ' . . ^ o r O ....
der Bewegung Maste dcs Schiffcs sich entfernt hat, und wenn überdies vdrklich diese
geworfener
Korper. Bewcgmig kein Hindernis bildet für die geradhnige nach miten ge-
richtete natürliche Bewegung des Steines, so mufs daraus eine wunder-
bare Folgewirkmig in der Natur sich ergeben. Gesetzt, das Schiff
stehe still und die FaUzeit eines Steines von der Mastspitze betrage
zwei Pulsschläge. Es bewege sich sodann das Schiff, und man lasse
von derselben Stelle aus wie vorher denselben Stein fallen; dieser
wird aus den angegebenen Gründen gleichfalls eine Zeit von zwei
Pulsschlägen gebrauchen, um unten anzulangen. Während dieser Zeit
wird nun aber das Schiff etwa zwanzig Ellen zurückgelegt haben, so
dafs die wahre Bahn des Steines eine schräge Linie von weit gröfserer
Länge gewesen sein mufs als die frühere gerade und lotrechte Linie,
deren Länge gleich der des Mastes ist. Gleichwohl wird die Kugel
die eine wie die andere in derselben Zeit durchlaufen. Nun denke
man sich weiter die Bewegung des Schiffes noch weit mehr beschleunigt,
so dafs der Stein beim Fall eine schräge Linie von noch weit gröfserer
Länge als die vorige wird zurücklegen müssen; mit einem Worte, mag
die Geschwindigkeit des Schiffes wachsen, wie sie will, so werden die
schrägen Bahnen des Steines immer länger und länger werden imd
dennoch wird er sie alle in Zeit von zwei Pulsschlägen zurücklegen.
Wenn mm dementsprechend auf der Spitze eines Turmes eine horizontal
gerichtete Feldschlange aufgestellt wäre und mit ihr wagrechte Schüsse
abgegeben würden, d. h. solche, die der Horizontalebene parallel sind,
mag das Geschütz dann stark oder schwach geladen sein, die Kugel
also einmal tausend EUen weit fliegen, ein andermal viertausend,
sechstausend, zehntausend Ellen u. s. w., so würden alle diese Schüsse
gleiche Zeiten beanspruchen imd zwar dieselbe Zeit, welche die Kugel
[172. 17.3.] Zweiter Tag. 163
gebrauchen würde, um von der Mündimg des Geschützes bis zur Erde
zu gelangen, wenn man sie einfach ohne anderen Impuls lotrecht fallen
liefse. Nun scheint es eine merkwürdige Sache, dafs dieselbe kurze
Zeit, die für den senkrechten Fall zur Erde aus einer Höhe von etwa
hundert Ellen nötig ist, auch hinreicht, um die nämliche vom Pulver
fortgeschleuderte Kugel bald vierhundert, bald tausend, bald vier-
tausend, Imld zehntausend Ellen weit zu treiben, so dafs die Kugel
bei allen wagrechteu Schüssen stets die gleiche Zeit in der Luft
verweilt.
Salv. Diese Überlegung ist ihrer Neuheit wegen sehr schön, und
wenn die Thatsache richtig ist, ist sie wunderbar-, an ihrer Richtigkeit
zweifele ich übrigens nicht. Wäre nicht das zufällige Hmdernis der
Luft vorhanden, und man liefse gleichzeitig mit dem Abfeuern der
Kugel aus dem Geschütze eine weitere Kugel aus derselben Höhe
hinunter fallen, so würden beide in demselben Augenblicke zur Erde
gelangen, wie ich fest überzeugt bin, mag auch jene eine Strecke von
zehntausend und diese blofs hundert Ellen zurückgelegt haben; vor-
ausgesetzt, dafs die Erdoberfläche eben ist, zu welchem Behufe man
der Sicherheit wegen auf irgend einem See schiefsen kömite. Das
Hindernis, welches die Luft bereitet, Avürde allerdings die sehr rasche
Schufsbewegung verzögern. — Nun aber lafst uns, wenn es Euch recht
ist, zur Widerlegung der anderen Argumente schreiten, da Signore
Simplicio, wie ich glaube, recht wohl die Nichtigkeit dieses ersten
einsieht, welches von dem Verhalten der von oben nach unten fallenden
Körper hergenommen ist.
Simpl. Ich fühle mich noch nicht frei von allen Bedenken.
Vielleicht liegt die Schuld an mir, da ich keine so leichte und rasche
Fassmigsgabe habe wie Signore Sagredo. Wenn die Bewegung, die
der Stein mit dem Schiffe gemein hatte, solange er auf dem Mäste
desselben sich befand, in ihm auch dami noch un vertilgbar fortbe-
stehen müfste, nachdem er von dem Schiffe sich getrennt hat, so
müfste meines Erachtens auch etwas Ähnliches eintreten, sobald man
zu Pferde rasch dahin reitend eine Kugel aus der Hand fallen läfst.
Sie müfste, zur Erde gefallen, ihre Bewegimg fortsetzen uud dem
Laufe des Pferdes folgen, ohne hinter ihm zurückzubleiben. Ich glaube
abeV nicht, dafs sich dies beobachten läfst, es sei demi, der Reiter
werfe die Kugel mit Gewalt in der Richtimg der Bewegung. Sonst
aber wird sie, glaube ich, auf der Erde liegen bleiben, wo sie niederfällt.
Salv. Ich glaube, Ihr täuscht Euch sehr. Ich bin sicher, dafs
die Erfahrung Euch vom Gegenteile belehren wird, dafs die Kugel,
auf der Erde angelangt, mit dem Pferde lanfeu und nur insoweit
11*
164 Dialog über die Weltsysteme. [173. 174.]
liinter ihm zurückbleiben wird, als die Raubeit und Unebenheit des
Weges ihr hinderlieh ist. Der Grund scheint mir auch sehr klar.
Denn wenn Ihr, ohne Euch zu bewegen, denselben Ball auf der Erde
hinschöbet, würde er getrennt von Euerer Hand nicht auch die Be-
wegung fortsetzen? und zwar über eine um so gröfsere Strecke, je
glatter die Oberfläche ist, so dafs er z. B. über das Eis sehr weit flöge?
Simpl. Das ist aufser Zweifel, wenn ich ihm einen Schwung mit
dem Arme gebe. In unserem Falle aber ist vorausgesetzt, dafs der
Reiter ihn blofs fallen läfst.
Salv. So soll es auch sein: wenn Ihr ihn aber mit dem Arme
werft, was bleibt sonst an der Kugel, nachdem sie Euch einmal aus
den Händen ist, als die von Euerem Arme mitgeteilte Bewegung? Diese
bleibt in ihr bestehen und fährt fort sie vorwärts zu bringen. Was
macht es nun aus, dafs dieser Schwung dem Ball von Euerem Arme
und nicht vom Pferde mitgeteilt ist? Wenn Ihr reitet, bewegt sich
nicht Euere Hand, imd folglich auch der Ball, ebenso schnell wie das
Pferd? Doch sicherlich. Ihr braucht also nur die Hand zu öffnen, so
beginnt der Ball seine Bewegung mit einer Geschwindigkeit, die ihm
allerdings nicht durch eine von Euch ausgehende Bewegung des Armes
verliehen wird, sondern von der Bewegung des Pferdes selbst bedingt
wird. Diese wird auf Euch übertragen, auf den Arm, auf die Hand
und endlich auf den Ball. Ja noch mehr: wenn der Betreffende
während des Reitens mit seinem Arme den Ball in der dem Ritt ent-
gegengesetzten Richtmig schleudert, so wird dieser, zur Erde gelangt,
bisweilen, trotzdem er in entgegengesetztem Simie geworfen war, dem
Laufe des Pferdes folgen, bisweilen ruhig liegen bleiben und sich nur
dann entgegengesetzt zur Reitrichtung bewegen, wenn die vom Arme
empfangene Bewegung an Geschwindigkeit die des Reitens übertrifft.
Es ist daher eine Albernheit, wenn manche Leute behaupten, man
könne beim Reiten einen Speer in der Richtung des Reitens durch
die Luft werfen, ihm mit dem Pferde folgen, ihn einholen und schliefs-
lich wieder auffangen. Es ist eine Albernheit, sage ich, denn um zu
bewirken, dafs der geworfene Körper einem wieder in die Hände fällt,
mufs man ihn ganz in derselben Weise in die Höhe werfen, als stünde
man stille. Denn mag das Tempo des Ritts noch so rasch sein, wenn
es nur gleichmäfsig ist, so wird der geworfene Körper, wofern es sich
nicht um einen ganz leichten Gegenstand handelt, stets in die Hand
des Werfenden zurückkehren, wie hoch er auch geworfen worden sei.'*-^)
Verschiedeue SagP. Dicsc Thcoric macht mir einige sehr merkwürdige Pro-
merkwürdige • _ _ '='_ _ "^
Probleme^ die blcmc begreiflich, welche sich auf eben diese Materie der Wurfbe-
mit der Wulf- .
Bewegung zu- wcgimg beziehen. Das erste derselben wird dem Signore Simplicio
sammenhangen. o o o j.
[174. 175.] Zweiter Tag. 165
sehr seltsam vorkommen. Das Problem ist dieses. Ich behaupte, es kann
jemand, der irgendwie sich schnell bewegt, eine Kugel einfach fallen
lassen, so dafs sie, auf der Erde angelangt, nicht nur dem Betreffenden
nachläuft, sondern ihn noch bedeutend überholt. Dieses Problem
steht im Zusammenhange mit einem anderen. Es kann nämlich ein
Körper, der von dem Werfenden auf eine horizontale Ebene geschleu-
dert wird, sich neue Geschwindigkeit aneig-nen, die bedeutend gröfser
ist als die von dem Werfenden ihm mitgeteilte. Diese Thatsache
habe ich öfters mit Staunen beobachtet, wemi ich dem Spiele mit
zusah, l)ei welchem man mit Rollscheiben wirft.'*") Man sieht diese,
einmal aus der Hand entlassen, mit einer gewissen Geschwindigkeit
durch che Luft fliegen, welche nachher bei Ankunft auf der Erde
sich sehr vergröfsert. Wenn sie dann bei ihrer rollenden Bewegung
auf irgend welches Hhidernis stofsen, das sie in die Höhe sjiringen
läfst, so beobachtet man, wie sie sich durch die Luft langsam be-
Avegen; auf die Erde zurückgefallen, beginnen sie wieder mit gröfserer
Geschwindigkeit zu laufen. Was aber noch erstaunlicher ist, ich habe
auch beobachtet, dafs sie nicht nur stets schneller über die Erde als
durch die. Luft fliegen, sondern auch, dafs von zwei auf der Erde
zurückgelegten Strecken bisweilen die Bewegung auf der zweiten
rascher vor sich geht als auf der ersten. Was meint Ihr nun dazu,
SigTiore Simplicio?
Simpl. Ich meine erstens, dafs ich niemals eine solche Beobachtung
gemacht habe; zweitens meine ich, dafs ich nicht daran glaube; drittens
endlich meine ich, dafs, wenn Ihr mich davon überzeugtet imd mich
das auf deduktivem Wege lehrtet, Ihr ein mächtiger Dämon wäret.
Sagr. Einer von den sokratischen Dämonen jedoch, nicht von
denen der Hölle. Aber Ihr kommt immer wieder mit Euerem Lehren.
Ich sage Euch, wemi jemand die Wahrheit nicht aus sich heraus
erkennt, so ist es immöglich, dafs ein anderer sie ihn erkennen läfst.
Ich kann Euch wohl Dinge lehren, die weder falsch noch wahr sind;
die wahren oder notwendigen Dinge aber, d. h. solche, welche unmög-
lich anders sein können, weifs jeder halbwegs Vernünftige entweder
von selbst oder es ist unmöglich, dafs er sie jemals wisse; ■^^) das ist
auch, wie ich weiCs, die Ansicht des Signore Salviati. Deshalb erkläre
ich Euch, dafs die Ursache der vorliegenden Probleme von Euch
zwar gewufst, aber vielleicht nicht beachtet Avorden ist.
Simpl. Lassen wir für jetzt diesen Streit und gestattet mir Euch
zu (M-klärcii, dafs ich die Dinge, um welche es sich handelt, nicht ver-
stelle und nichts von ihnen weifs. Richtet Euer Augenmerk nur
darauf, mir die Probleme begreiflich zu machen.
156 Dialog über die Weltsysteme. [175. 176.]
Sagr. Dieses erste hängt mit folgendem anderen zusammen: woher
kommt es nämlich, dafs, wenn man die Eollscheibe mittels eines Bind-
fadens fortschleudert, sie sehr viel weiter, also mit gröfserer Kraft
fliegt, als wenn man sie mit der blofsen Hand schleudert?
Simpl. Auch Aristoteles wirft etliche Probleme auf, die sich auf
so geschleuderte Körper beziehen.^*)
Salv. Ja, und zwar sehr geistreiche; besonders das eine, woher
es rührt, dafs runde Scheiben besser laufen als viereckige.
Sagr. Traut Ihr Euch auch hiervon nicht zu, den Grund ohne
fremde Belehrung anzugeben?
Simpl. Doch, doch. Aber lassen wir die Sticheleien.
Sagr. Ebenso gut wifst Ihr auch den Grund in unserem Falle.
Sagt mir also: wifst Ihr, dais wenn ein Ding sich bewegt und dann
gehemmt wird, es stille steht?
Simpl. Das weifs ich, das Hemmnis mufs nur hini'eichend
grofs sein.
Sagr. Wifst Ihr, dafs dem Körper sich gröfsere Hindernisse in
den Weg stellen, wenn er sich über die Erde, als weim er sich durch
die Luft zu bewegen hat, da die Erde rauh und hart, die Luft weich
imd nachgiebig ist?
Simpl. Gerade weil ich das weifs, weifs ich auch, dafs die
Scheibe schneller durch die Luft als über die Erde fliegen wird; mit
meinem Wissen steht es also gerade umgekehrt, wie Ihr meintet.
Sagr. Sachte, Signore SimpUcio! Wifst Ihr, dafs die Teile eines
Körpers, der sich um seinen Mittelpunkt bewegt, Bewegimgen nach
allen möglichen Richtungen ausfühi-en, so dafs einige im Auf-, andere
im Absteigen begrifi'en sind, einige vorwärts, andere rückwärts gehen?
Simpl, Ich weifs es und zwar hat Aristoteles mich das gelehrt.
Sagr. Wie hat er es Euch bewiesen? Sagt mir es, bitte.
Simpl. Mittels der sinnlichen Wahmehmmig.
Sagr. Aristoteles also hat Euch sehen lassen, was Ihr ohne ihn
nicht gesehen hättet? Sollte er Euch vielleicht seine Augen geliehen
haben? Ihr woUtet sagen, dafs Aristoteles es Euch mitgeteilt. Euch
darauf aufmerksam gemacht, daran erinnert hat, nicht aber, dafs er
es Euch gelehrt hat. Wenn also eine Rollscheibe, ohne ihren Ort zu
verändern, sich um sieh selber dreht, nicht parallel zum Horizonte,
sondern senkrecht dazu, so steigen gewisse Teile von ihr in die Höhe,
die gegenüberliegenden hinimter, die oberen bewegen sich in der einen,
die unteren in der entgegengesetzten Richtung. Stellt Euch nun eine
Scheibe vor, die ohne Ortsveränderung in der angegebenen Weise rotiert
und die man sodann lotrecht zur Erde fallen läfst. Glaubt Ihr, dafs
[17G. 177.] Zweiter Tag. 167
sie auf der Erde augekommeu, fortfahren wird, wie zuvor sich ohne
Ortsverüuderimg um sich selber zu drehen?
Simpl. Nein. j
Sagr. Sondern was wird sie thim?
Simpl. Sie wird rasch über die Erde hinlaufen.
Sagr. Und nach welcher Richtung?
Simpl. Nach derjenigen, nach welcher ihre Drehung gerichtet ist.
Sagr. Bei ihrer Drehung siud verschiedene Teile zu unterscheiden,
die oberen nämlich, welche sich umgekehrt bewegen Avie die imteren.
Ks ist daher anzugeben, welche Teile bestimmend für ihre Laufrichtung
sind. Was nämHch die auf- und absteigenden betrifft, so werden
diese einander nichts nachgeben und das Ganze wird sich weder nach
nuten bewegen infolge des Widerstandes der Erde, noch nach oben
infolge der Schwere.
Simpl. Die Scheibe wird in der Richtung über die Erde rollen,
nach welcher ihre oberen Teile sich zu bewegen streben.
Sagr. Und warum nicht dahin, wohin die entgegengesetzten
streben, also die die Erde berührenden?
Simpl. Weil die auf der Erde befindlichen durch die Rauheit
der Berührungsfläche, nämlich durch die Unebenheit der Erde selbst,
behindert werden. Die oberen aber, welche in dünner, nachgiebiger
Luft sich befinden, werden ganz wenig oder gar nicht behindert und
darum wird die Scheibe sich in deren Richtimg bewegen.
Sagr. Dadurch also, dafs die miteren Teile an der Erde gewisser-
iiiafsen hängen bleiben, wird bewirkt, dafs sie ruhen imd blofs die
oljereu vorwärts treiben.
Salv. Wenn daher die Scheibe auf Eis oder sonst auf eüie sehr
j^latte Fläche fällt, so wird sie nicht so gut vorwärts laufen, sondern
wird vielleicht ihre Drehung um sich selber fortsetzen, ohne eine
neue fortschreitende Bewegung anzunehmen.
Sagr. Leicht möglich, dafs es so kommen würde; jedenfalls aber
würde sie nicht so flott dahin rollen, wie wenn sie auf eine einiger-
inafsen rauhe Oberfläche fiele. Sagt mir aber, Signore Simplicio,
warum die Scheibe bei ihrer raschen Drehung um sich selber nicht
schon während des Fallens in der Luft sich vorwärts bewegt, Avie sie
('S nachher auf der Erde thut.
Simpl. Darum weil die Luft sie oben und unten umgiebt, so
dafs weder die einen noch die anderen Teile irgendwo hängen bleiben
kinniten. Wemi aber kein Anlafs für die Scheibe vorliegt, sich eher
nach vorne als nach hinten zu bewegen, lallt sie lotrecht hinunter.
Sagr. Es kann also die blofse Rotationsbewegimg ohne sonstigen
163 Dialog über die Weltsysteme. [177. 178.]
Antrieb die Scheibe, wenu sie einmal zur Erde gelangt ist, rasch
vorwärts treiben. Kommen wir nun auf das übrige zu sprechen.
Jener Faden, den der Scheibenwerfer sich an den Arm bindet, um
die Scheibe wickelt und mittels dessen er sie schleudert, welchen
Einflufs übt er dabei?
Simpl. Er zwingt die Scheibe an der Schnur abzulaufen und
dadurch eine drehende Bewegung anzunehmen.
Sagr. Wenn also die Scheibe auf der Erde anlangt, trifft sie
infolge des Fadens mit drehender Bewegung ein. Wohnt ihr selber
also nicht eine Ursache inne, sich rascher über die Erde hinzubewegen,
als es der Fall war, solange sie noch in der Luft verweilte?
Simpl. Ganz gewifs, demi durch die Luft hin trieb sie einzig
luid allein der vom Arm des Werfenden ausgehende Impuls, und wenn
sie auch in Rotation begriffen war, so fordert sie diese, wie gesagt,
in der Luft gar nicht. Wenn sie aber zur Erde gelangt, tritt zur
Bewegung von selten des Armes die Vorwärtsbewegung vermöge der
Rotation, und dadurch verdoppelt sich die Geschwindigkeit. Ich be-
greife jetzt auch sehr wohl, dafs beim Springen der Scheibe ihre
Geschwindigkeit sich verringert, weil ihr der fördernde Einflufs der
Drehimg abgeht, und dafs beim Zurückfallen zur Erde diese von
neuem sich geltend macht, die Scheibe infolge dessen wieder rascher
als in der Luft sich bewegt. Es erübrigt mir nur noch zu verstehen,
wieso sie bei dieser zweiten Bewegung über die Erde hin schneller fliegt
als auf der ersten Strecke; sie würde sich dann ja mit beständiger
Beschleunigung ins unendliche fort bewegen.
Sagr. Ich habe nicht imbedingt behauptet, dafs sie das zweite
Mal sich schneller bewegt als das erste Mal, sondern nur, dafs sie
bisweilen sich schneller bewegen kann.
Simpl. Das ist es eben, was ich nicht begreife und gerne ver-
stehen möchte.
Sagr. Auch das wifst Ihr ganz von selbst. Sagt mir daher:
wenn Ihr die Scheibe aus Euerer Hand fallen liefset, ohne dafs sie eine
drehende Bewegung hätte, was würde beim Aufschlag auf die Erde
erfolgen?
Simpl. Nichts, sie würde liegen bleiben.
Sagr. Könnte es nicht doch geschehen, dafs sie beim Aufschlagen
sich in Bewegung setzte? Überlegt es Euch besser!
Simpl. Es sei denn, wir liefsen sie auf einen Stein mit ab-
schüssiger Fläche fallen, wie die Kinder es mit den bleiernen Spiel-
marken"^'') machen. Wemi sie dann schief auf den geneigten Stein
schlägt, erhält sie eine drehende Bewegung, infolge deren sie auf der
[178. 179.J Zweiter Tag. 169
Erde eiue fortschreitende Bewegung aunelimen wird; sonst wüfste ich
nicht, wieso sie umhin könnte, da liegen zu bleiben, wo sie aufschlägt.
Sagr. Hier habt Ihr also doch eine Möglichkeit, Avie sie von
neuem eine Rotation erlangen kann. Wenn also die Scheibe in die
Höhe gesprimgen ist und wieder hinunter fällt, warum sollte sie nicht
hin und wieder auf eine schräg in der Bewegungsrichtung geneigte
Fläche eines in der Erde steckenden Steines aufschlagen, durch diesen
Stofs noch eine neue Rotation aufser derjenigen erlangen, welche sie
durch das Ablaufen an der Schnur erhalten hat, ihre Geschwindigkeit
verdoppeln und sich rascher bewegen als bei ihrem ersten Aufschlag
auf die Erde?
Simpl. Jetzt begreife ich, dafs das leicht möglich ist. Ich über-
lege eben, dafs, wenn die Scheibe eine Drehung in der umgekehrten
Richtung erhielte, sie beim Auftrefifen auf die Erde das umgekehrte
Verhalten zeigen würde. Die Rotationsbewegung würde nämlich die
eigentliche Wurfbewegimg verzögern.
Sagr. Verzögern imd bisweilen gänzlich aufheben, wenn die
Rotation rasch genug wäre. Daraus entspringt die Erklärung einer
Erscheinung, die von besonders geschickten Schlagballspielen! zu ihrem
Vorteil benutzt wird.^°) Sie täuschen nämlich den Gegner dadurch,
dafs sie den Ball schneiden — das ist der Kunstausdruck dafür —
d. h. ihn mit schräg gehaltener Pritsche zurückschlagen; dadurch er-
hält er eine zur Wurfrichtung entgegengesetzte Drehung um sich
selber, und die Folge ist, dafs beim Aufschlag auf die Erde, wo sonst
bei mangelnder Rotation ein Aufspringen nach dem Gegner stattfände
und die übliche Zeit zum Zurückschlagen bliebe, der Ball jetzt wie
tot auf die Erde aufklatscht oder doch bedeutend weniger zurückspringt
als gewöhnlich und so keine Zeit zum Zurückschlagen läfst. Auf
ähnhchen Ursachen beruht der Kunstgriff', den man bei dem Spiele
anwenden sieht, wo es darauf ankommt, mit hölzernen Kugeln mög-
lichst nahe an ein bestimmtes Mal zu treäen.''') Findet das Spiel
auf einem steinigen, holperigen Wege statt, der auf tausend AVeisen
die Kugel ablenken kömite, statt sie zum Ziele zu geleiten, so rollen
die Spieler, um allen Hindernissen zu entgehen, nicht etwa den Ball
über die Erde hin, sondern werfen ihn sogleich durch die Luft, wie
wenn sie eine flache Scheibe zu schleudern hätten. Da aber beim,
Wurf die Kugel mit einer gewissen durch die Finger hervorgebrachten
Rotation die Hand verläfst, sobald diese, wie es gewöhnlich geschieht,
die Kugel von miten fafst, so würde sie beim Aufschlag auf die Erde
in der Nähe des Males sehr weit vorwärtslaufen infolge der doppelten
Bewegung des Wurfes mid der Rotation. Um nun zu bewirken, dafs
170 Dialog über die Weltsysteme. [179. 180.]
sie einhält, umklammern sie die Kugel gescliickt, iiidem sie die Hand
oben, die Kugel unten halten, welch letztere von den Fingern beim
Wegschleuderu die entgegengesetzte Rotation erhält. Infolgedessen
bleibt sie beim Aufschlag in der Nähe des Zieles liegen oder läuft
nur wenig weiter. — Um aber zu dem Hauptproblem zurückzukehren,
welches Anlafs gegeben hat dieses zweite aufzuwerfen, so behaupte
ich, dafs möglicherweise jemand, der aufs schnellste sich bewegt, eine
Kugel aus den Händen fallen lassen kann, die, auf der Erde angelangt,
nicht nur der Bewegung des Betreffenden folgt, sondern sogar sich
schneller bewegt als dieser und ihn überholt. Um eine solche Er-
scheinung zu beobachten, denken wir uns eine in Fahrt begriffene
Kutsche, an deren Aufsenseite ein schräges Brett befestigt sei, der
untere Teil desselben nach den Pferden, der obere nach den Hinter-
rädern zu gerichtet. Wenn nun jemand, der im Wagen sitzt, bei
raschester Fahrt eine Kugel längs des geneigten Brettes hinabfallen
läfst, so wird sie beim Hinunterrollen in Drehimg um sich selber ver-
setzt werden. Diese kommt zu der durch den Wagen eingeprägten
Bewegung hinzu und dadurch Avird die Kugel sehr viel rascher über
die Erde dahin getragen werden als die Kutsche. Bringt man noch
ein weiteres, iii umgekehrter Richtung geneigtes Bret an, so kann man
die Bewegung des Wagens derart abstufen, dafs der Ball, nachdem er
das Bret zu Ende gelaufen, bei Ankunft auf der Erde unbeweghch
liegen bleibt oder auch bisweilen in umgekehrter Richtung wie der
Wagen läuft. — Doch gar zu weit sind Avir von imserem Gegenstande
abgekommen, und Avenn Signore Simplicio die Widerlegung des ersten
Argumentes gegen die Erdbewegung für genügend erachtet, so köinien
Avir zu den anderen übergehen.
Salv. Die bisherigen Abschweifungen entfernen sich von dem
abzuhandelnden Stoffe nicht so Aveit, dafs man sie völlig abseits liegend
nennen könnte. Überdies hängt der Gang unserer Erörterimgen von
all den Einfällen ab, die nicht blofs einem, sondern die drei Leuten
durch den Sinn fahren, Leuten, welche obendrein zu ihrem Vergnügen dis-
putieren und nicht in dem Grade an jene Beschränkmig gebunden sind,
Aväe jemand, der eine Materie als Fachmann methodisch behandeln AvoUte
mit der Absicht, seine Untersuchungen zu veröffentlichen. Unser Ge-
dicht braucht sich nicht so strikte an die Regel von der Einheit der
Handlung zu halten, dafs nicht auch Sj)ielraum für Episoden bliebe. Zu
ihrer Einführung wird jeder kleine Anhaltspunkt dienen dürfen, und so sei
es mir gestattet, gleich als ob wir uns versammelt hätten, um uns
Märchen zu erzählen, jedes vorzubringen, das mir beim Anhören des
Eurigen einfällt.
[ISO. 181.] Zweiter Tag. 171
Sagr. Das ist mir ungemein lieb, und da wir ims denn auf eine
solche Ausführliclikeit eingelassen haben, so erlaube ich mir, bevor
wir weiter gehen, Euch, Signore Salviati, zu fragen, ob Ihr jemals
darüber nachdachtet, Avelche Vorstellung mau von der Bahn eines
schweren Körpers sich zu bilden habe, wenn er von der Turmspitze
in natürlichem Falle sich abwärts bewegt. Wenn Ihr darüber Unter-
suchmigen angestellt habt, sagt mir, bitte, Euere Meinmig.
Salv. Ich habe bisweilen darüber nachgedacht und zweifle nicht
im geringsten, dafs, wenn man erst die Bewegungsart sicher ermittelt
hätte, vermöge deren der schwere Körper sich abwärts nach dem
Mittelpunkte des Erdballs hinbewegt, man nur diese mit der gemein-
samen Kreisbewegung der täglichen Umdrehung zu vermischen hätte,
um genau die Art von Linie zu finden, welche der Schwerpunkt des
Körpers bei der Zusammensetzimg zweier derartiger Bewegungen be-
schreiben würde.
Sagr. Was die einfache, von der Schwere hervorgerufene Be-
wegung nach dem Mittelpunkte hin betrifl't, so darf man meiner Mei-
nmig nach unbedingt und unfehlbar annehmen, sie sei geradlinig,
ganz wie es im Falle der Unbewegibeit der Erde sein würde.
Salv. So weit ist die Sache nicht nur vermutungsweise richtig,
sondern die Erfahrmig vergewissert uns davon aufs bestimmteste.
Sagr. Wie kann uns darüber die Erfahrung vergewissern, wo
wir doch stets nur das Resultat der Zusammensetzvmg der beiden Be-
wegungen sehen, der kreisförmigen und der abwärts gerichteten?
Salv. Im Gegenteile, Signore Sagredo, wir sehen einzig und allein
die einfache Abwärtsbewegung, die zweite kreisförmige gehört ja ge-
meinsam der Erde, dem Turm und uns an, gelangt also nicht zur
Wahrnehmung und ist so gut wie nicht vorhanden. Einzig mid allein
diejenige Bewegung des Steines, welche wir nicht mitmachen, ist für
uns bemerkbar. Dafs diese aber in gerader Linie vor sich geht, lehrt
uns die sinnliche Wahrnehmung, denn der Stein fällt stets parallel
zu eben jenem Turme, und letzterer ist geradlinig und lotrecht zur
Erdoberfläche gebaut.
Sagr. Ihr habt Recht, es war sehr ungeschickt von mir, auf
eine so einfache Sache nicht zu kommen. Wenn nun aber diese That-
sache allbekaimt ist, was vermifst Ihr sonst noch, das zur Ergründuug
der Natur jener Bewegimg nach miten zu wissen notwendig Aväre?
Salv. Es genügt nicht einzusehen, dafs sie geradlinig ist, man
mufs auch noch wissen, ob sie gleichförmig ist oder ungleichförmig,
d. h. ob immer die nämliche Geschwindigkeit beibehalten wird, oder
ob eine Verzögerimi; oder Beschleimigung stattfindet.
172 Dialog über die Weltsysteme. [181. 182.]
Sagr. Es ist doch aber klar, dals die Bewegimg sich, fortwährend
beschleimigt.
Salv. A])er auch das reicht noch nicht hin. Man müfste auch
wissen, in welchem Verhältnis diese Beschleimigung stattfindet, eine
Aufgabe, die bis jetzt meines Wissens von keinem Philosophen oder
Mathematiker gelöst worden ist, obgleich Philosophen, und insbesondere
peripatetische, ganze Bände und umfangreiche Abhandlungen über die
Bewegung geschrieben haben.
Simpl. Die Philosophen beschäftigen sich Avesentlich mit dem
Universellen; sie ermitteln die Defuiitionen und die allgemeinsten
Kriterien, im einzelnen aber überlassen sie die nötigen Kunstgriffe
und Nebendinge, welche dann nur mehr Kuriositäten sind, den Mathe-
matikern. Aristoteles hat sich begnügt, vortrefflich zu definieren, was
im allgemeinen Bewegung ist, die Haupteigenschaften der Ortsbe-
wegmig nachzuweisen, dafs es nämlich eine natürliche und gewaltsame,
eine einfache imd zusammengesetzte, eine gleichmäfsige und beschleu-
nigte Beweo'imo- giebt. Bei der beschleunigten hat er sich begnügt,
den Grund der Beschleunigung nachzuweisen, überläfst hingegen die
Erforsclnmg des Verhältnisses gedachter Beschleimigung und anderer
Einzelfragen dem Mechaniker oder sonst einem untergeordneten Tech-
niker.
Sagr. Ganz wohl, mein lieber Signore Simplicio. Ihr aber,
Signore Salviati, der Ihr bisweilen von dem Throne peripatetischer
Majestät herniedersteigt, habt Ihr Euch jemals zum Spafse mit der
Erforschung dieses Verhältnisses der Beschleunigimg beim Falle der
schweren Körper beschäftigt?
Salv. Ich habe darüber nicht nachzudenken brauchen, insofern
unser gemeinsamer Freund, der Akademiker, mir bereits eine von ihm
verfafste Abhandlung über die Bewegung gezeigt hat, worin diese
Frage nebst vielen anderen gelöst wird.^^) Wir würden indessen zu
weit abschweifen müssen, wenn wir darum die gegenwärtige Erörte-
rung, die selbst nur eine Abschweifung ist, unterbrechen und, wie
man zu sagen pflegt, eine Komödie in der Komödie auffuhren wollten.
Sagr. Ich will Euch vorläufig von dem Berichte darüber ent-
binden, unter der Bedingung jedoch, dafs dies zu den Gegenständen
gehört, die nebst anderen in einer besonderen Sitzimg einer Prüfung
vorbehalten werden, denn ich bin aufs höchste begierig davon Kenntnis
zu erlangen. Inzwischen kehren wir zurück zu der Linie, welche von
dem schweren Körper bei seinem Falle von der Turmspitze herab bis
zum Fufse beschrieben wird.
Salv. Wenn die gerade Bewegung nach dem Mittelpunkte der
I 182. 183.]
Zweiter Tag.
173
Erde gleichförmig wäre, so würde wegen der ebenfalls gleichförmigen
Kreisbewegung nach Osten sich aus beiden eine Bewegung längs einer
jener Spiralen zusammensetzen, wie sie Ärchimedes in seinem Buche
über die Spiralen definiert. ^^) Eine solche entsteht, wenn ein Punkt
sich gleichförmig längs einer Geraden bcAvegt, während diese sich
ihrerseits im Kreise um einen festen Endpunkt als Rotationscentrum
dreht. Da aber die geradlinige Bewegung des fallenden schweren
Körpers eine beständige Beschleunigung erfährt, so mufs notwendig
die der zusammengesetzten Bewegimg entsprechende Linie sich all-
mählich in immer wachsendem Verhältnis vom Umfange desjenigen
Kreises entfernen, welchen der Schwerpunkt des Steines beschrieben
hätte, wenn er stets auf dem Turme geblieben wäre. Und zwar mufs
anfangs die Abweichung von demselben klein, sehr klein, ja ganz
winzig sein; demi der sich abwärts bewegende Körper geht vom Zu-
stande der Ruhe aus, insofern er zuerst jeglicher Abwärtsbewegung
ermangelt; später geht er zur geradlinigen Bewegung nach unten über
und mufs also notwendig alle Stufen der Langsamkeit durchmachen,
welche zwischen der Ruhe und irgend welcher bestimmten Geschwin-
digkeit enthalten sind; solcher Stufen giebt es unendlich viele, wie
schon des läugereu erörtert und bewiesen wurde.
Die von dem
Wemi also feststeht, dafs die Beschleunigung in dieser Weise^^^'/j^J^^lfJ^^j^?
ihren Fortgang; nimmt, und es überdies richtis ist
Körper beschrie-
dafs der fallende J>-/e^,X
schwere Körper im Mittelpunkte der Erde anlangen wird''*),
ninP^ Voraussetzung
muis (ler Drehung
die der zusammengesetzten Bewegung entsprechende Linie folgender- ihren''^Iige"e™
mafsen beschaffen sein: sie wird sich zwar in immer wachsendem Ver- wahrscheinlich
hältnis von der Turmspitze oder, besser gesagt, von der Ki-eisperipherie *"pi'erie'sein.
entfernen, welche die Turmspitze in-
folge der Erdumdrehung beschreibt;
aber diese Entfernimgen werden
kleiner mid kleiner bis ins Unend-
liche, je weniger sich der Körper
von seinem Ausgangspunkte, in wel-
chem er ruhte, entfernt hat. Über-
dies mufs genannte, der zusammen-
gesetzten Bewegung entsprechende
Linie im Mittelpimkt der Erde endigen.
Unter diesen beiden Voraussetzimgen
habe ich nunmehr um den Mittelpunkt
Ä mit dem Radius A B den Kreis B I
beschrieben, der mir den Erdball vorstellen soll. Ich habe den Radius
AB nach C verlängert und die Höhe BC des Turmes markiert.
174 Dialog über die Weltsysteme. [183. 184.]
Dieser wird von der Erde auf der Peripherie BI dahin getragen und
seine Sj^itze beschreibt den Bogen CT>. Halbiert man jetzt die Linie
C A im Punkte E und beschreibt um diesen mit dem Halbmesser EC
den Halbkreis CIA, so meine ich nmi, man darf es als sehr wahr-
scheinlich bezeichnen, dafs ein Stein, der von der Spitze C des Turmes
herabfällt, also gleichzeitig behaftet ist mit der allgemeinen kreis-
fiu-migen und mit seiner eigenen geradlinigen Bewegung, eben diesen
Halbkreis CIA zurücklegt. Denn teilt man auf der Peripherie CD
einige gleiche Theile ab: CF, FG, GH, HL und zieht von den
Punkten F, G, H, L nach dem Centrum A gerade Linien, so werden
uns die zwischen beiden Peripherien CD und BI gelegenen Stücke
der Linien stets denselben Turm CB darstellen, der von dem Erdball
nach DI fortgeführt wird. Auf diesen Linien stellen die Schnitt-
punkte mit dem Halbkreis CI den jeweiligen Ort des fallenden Steines
dar. Diese Punkte entfernen sich in stets wachsendem Verhältnis von
der Turmspitze, und dieser Umstand ist es eben, der bewirkt, dafs die ge-
radlinige Bewegung längs des Turmes uns mehr und mehr beschleunigt
ersclieint. Es erklärt sich jetzt auch, wieso infolge der unendlichen
Kleinheit des Berührungswinkels der beiden Kreise DC und CI die
Entfernung des fallenden Körpers von der Peripherie CFD, also von
der Turmspitze, zu Anfang aufserordentlich klein ist. Dies läuft auf
dasselbe hinaus, wie wenn man sagt, die Abwärtsbewegung sei bei
zunehmender Nähe gegen den Punkt C hin, d. h. bei Annäherung an
den Ruhezustand, aufserordentlich langsam und ins Unendliche ver-
zögert. Endlich begreift es sich, wie zuletzt die Bewegung im Erd-
mittelpunkte A enden würde.
Sagr. Ich verstehe das alles aufs beste und kann nicht anders
glauben, als dafs der Schwerpunkt des fallenden Körpers eine ähn-
liche Linie beschreibt.
Salv. Sachte doch, Signore Sagredo! Ich habe Euch noch drei
artige Einfälle von mir mitzuteilen, die Euch vielleicht nicht übel be-
hagen. Wemi wir nämlich die Sache recht bedenken, so vollzieht
Ein von der erstciis der Körper in Wahrheit nichts anderes als eine einfache Kreis-
Turmspitze ^
herabfauender ])ewegung, gerade wie er eine solche ausführte, als er auf dem Turme
Korper bewegt O ö? ö ;
KreisperIpheH" ^'^^^'^' ^^^ zwcitc Einfall ist uoch hübschcr, der Körper bewegt sich
Er bewegt sich nämlich durchaus nicht mehr noch weniger, als wemi er auf dem Turme
nicbt mehr _ _ 07
noch weniger, geblieben wäre. Denn die Boo-en CF, FG, GH n s. w., welche er
als wenn er '^ 07^ /
oben geblieben ^uf dem Turmc zurückgclegt haben würde, sind genau gleich den ent-
Er bewegt sich sprechenden Bogen des Kreises CI unter CF, FG, GHw. s. w. Dar-
gleichförmig, ^ , '^ , , ' ' ,
nicht be- aus folgt drittens die merkwürdige Thatsache, dafs die wahre und
schleunigt. . _ '^ _ O '_
wirkliche Bewegung des Steines durchaus nicht beschleunigt ist,
[184. 185.] Zweiter Tag. 175
sondern stets gleiclimüfsig und einförmig, da alle gleichen auf dem
Kreise CD angegebenen Bogen und die entsprechenden auf dem Kreise
ÜI bemerkten in gleichen Zeiten zurückgelegt werden. Auf diese
Weise sind wir der Aufsuchung neuer Ursachen für die Beschleunigmig
oder für andere Bewegungsarten überhoben. Der Körper bewegt sich
nämlich^ mag er nun auf dem Turme bleiben oder von ihm hinuiiter-
fallen, stets in gleicher Weise kreisfi'irmig mit derselben Geschwindig-
keit und derselben Gleichmüfsigkeit. Sagt mir nun, was Ihr von
dieser meiner Grille haltet.
Sagr. Ich erkläre Euch, dafs ich mit Worten nicht genugsam aus-
drücken kann, wie wundervoll sie mir erscheint. Soweit ich augenblick-
lich beurteilen kami, glaube ich nicht, dafs die Sache anders zugeht.
Wollte Gott, alle philosophischen Beweise hätten halb so viel Wahrschein-
lichkeit für sich wie dieser! Zu meiner völligen Befriedigung möchte
ich nur noch den Beweis dafür hören, dafs jene Bogen gleich sind.
Salv. Der Beweis ist sehr leicht. Denkt Euch die Linie IE ge-
zogen; da nmi der Halbmesser des Kreises CD, nämlich die Linie CA,
doppelt so grofs ist als der Halbmesser CE des Kreises Cl, so mufs
der Umfang auch dojjpelt so grofs sein als der Umfang des anderen,
und ebenso jeder Bogen des gröfseren Kreises doppelt so grofs als
ein ähnlicher Bogen des kleineren, folglich mufs die Hälfte des Bogens
des gröfseren Kreises gleich dem Bogen des kleineren Kreises sein.
Weil nun der Centriwinkel CEI am Mittelpunkte E des kleineren
Kreises, welcher auf dem Bogen CI steht, das Doppelte beträgt von
dem Winkel CAD am Mittelpunkte des gröfseren Kreises, der auf
dem Bogen CD steht, so ist demnach der Bogen CD die Hälfte eines
dem Bogen CI ähnlichen Bogens im gröfseren Kreise, und darum
sind die Bogen CD und CI gleich. In derselben Weise läfst sich
der Beweis für beliebige Teile erbringen. — Dafs aber die Sache be-
treffs der Fallbewegimg der schweren Körper genau so von statten
geht, will ich vorläufig nicht als sicher hinstellen; wohl aber behaupte
ich, dafs, womi die von dem fallenden Körj)er beschrieliene Linie nicht
genau diese ist, sie ihr doch aufserordentlich nahe kommt.
Sagr. Ich aber überlege mir eben eine andere sehr merkwürdige
Sache, Signore Salviati. Bestehen nämlich die Betrachtungen zu
Recht, so wird die geradlinige Bewegung überhaupt zu AVasser und Geradlinige Be-
-NT IT -'i-i • ^ ^ ^ IT • weguiig scheint
die Natur bedient sich ihrer niemals, da auch dieienige Aufsjabe, die >" der Natur
. . , ^ ^ gänzlich ausge-
ihr anfangs zugestanden wurde, nämlich die Teile der HauptAveltkörper schlössen zu
an ihre Stelle zurückzubringen, sobald sie von ihrem Ganzen losgelöst
sind und also in verkehrter Anordnung sich befinden, ihr genommen
und ebenfalls der Kreisbewegung zugewiesen worden ist.
176 Dialog über die Weltsysteme. [185. 186. ]
Salv. Dies würde sicli mit Notwendigkeit ergeben, wenn bewiesen
wäre, dal's der Erdball sieb kreisförmig bewegt; dafs dieser Beweis
erbracht sei, behaupte ich aber nicht. Wir haben bis jetzt nur er-
wogen und werden fernerhin nur erwägen, welche Beweiskraft die
Gründe haben, die von den Philosophen zur Erhärtung der Uubeweg-
lichkeit der Erde angeführt worden sind. Gegen diesen ersten von
dem lotrechten Fall der schweren Körper hergenommenen lassen sich
die Einwände erheben, die Ihr vernommen habt. Ich weifs nicht,
welche Tragweite Signore Simplicio diesen beimifst; ehe wir darum
zu der Prüfung der anderen Argumente übergehen, würde es gut sein,
wenn er etwaige Gegenbemerkungen vorbrächte.
Simpl. Was dieses erste Argument betriift, so gestehe ich in
der That, allerhand Öubtilitäten gehört zu haben, an die ich nicht
gedacht "hatte. Da sie mir neu sind, so kann ich uumöglich die
passenden Erwiderungen so aus dem Ärmel schütteln. Indessen be-
trachte ich den lotrechten Fall nicht als einen der schlagendsten
Gründe für die Unbeweglichkeit der Erde. Hingegen weifs ich nicht,
wie man sich mit den Kanonenschüssen abfinden soll, besonders mit
denen, welche der täglichen Bewegung entgegen gerichtet sind.
Sagr. Ich möchte, das Fliegen der Vögel stünde mir nicht mehr
im Wege, als mir die Kanonen und alle anderen oben angeführten
Versuche Schwierigkeiten machen. Diese Vögel aber, die nach Be-
lieben vor- und rückwärts fliegen und tausenderlei Schwenkungen aus-
führen, und, was noch mehr heifsen will, ganze Stimden lang in der
Luft schweben, diese, sage ich, machen mir den Kopf etwas wirre,
und ich begreife nicht, wieso sie nicht bei den mannigfachen Schnör-
keln die Bewegung der Erde verfehlen und wieso sie mit einer so
grofsen Geschwindigkeit Schritt halten können, die ihren Flug bis-
Aveilen störend, bisweilen fördernd beeinflussen müfste.
Salv. Euer Zweifel ist in der That nicht unbegründet und viel-
leicht konnte Kopernikus selbst keine ihn völlig befriedigende Lösung
finden. Aus diesem Grunde mag er davon geschwiegen haben, wie-
wohl er auch bei Prüfung der übrigen Gegengründe sehr knapp war:
ich glaube, weil er zu grofs dachte, weil er bedeutenderen und
höheren Betrachtungen nachhing, gleichwie der Löwe sich kaum rührt,
wenn ein Hündchen ihm durch Bellen lästig wird. Wir wallen des-
wegen den Einwand betreffs der Vögel bis zuletzt aufsparen und in-
zwischen Signore Simplicio hinsichtlich der anderen zufrieden zu
stellen suchen, indem wir ihm auf die übliche Weise zeigen, dafs er
selbst die Lösung in Händen hat, wenn er es auch nicht bemerkt.
Wii- machen den Anfang mit den Schüssen ins Blaue, die mit dem-
I 186. 187.] Zweiter Tag. 177
.selben Geschütz, Pulver und Gescliofs einmal nach Osten, ein anderes
Mal nach Westen abgegeben werden. Sagt mir, welcher Grund es
ist, der Euch veranlafst zu glauben, dafs der Schufs nach Westen
— sobald man die tägliche Umdrehung dem Erdball zuschreibt —
sehr viel länger ausfallen müfste, als der nach Osten.
Simpl. Ich fühle mich zu dieser Meinung bewogen, weil das Ge-
schütz bei dem »Schufs nach Osten der Kugel auf dem Fufse folgt, nach- warum scheiu-
'^ . ^ ' bar der
dem diese dasselbe verlassen hat. Denn es wird von der Erde ge- Kanouenschufs
'^ nach Westen
tragen und bewegt sich demnach ebenso schnell und in eben derselben iä"eef ausfallen
'^ ^ mufs als der
Richtung wie diese, so dafs das Niederfallen der Kugel auf die Erde "^"^'^ ^sten.
nicht sehr weit von der Kanone erfolgt. Bei dem westlichen Schusse
hingegen hat sich die Kanone vor dem Aufschlag der Kugel weit gegen
Osten zurückgezogen, so dafs der Zwischenraum zwischen Kugel und
Geschütz, d. h. die Schufsweite länger als im vorigen Falle erscheinen wird
und zwar um so viel länger, als der Weg des Geschützes oder der Erde
während derjenigen Zeit beträgt, wo beide Kugeln in der Luft verweilten.
Salv. Es wäre mir lieb, wenn wir irgend welchen Versuch aus-
findig machen könnten, der der Bewegung dieser Geschosse entspricht,
ähnlich wie der Versuch mit dem Schiffe ein Gegenstück zu der Ab-
wärtsbewegung der fallenden Körper war. Ich überlege mir eben die
Art und Weise.
Sagr. Meiner Meinung nach wäre es ein ganz angemessener Ver-
such, weim man einen offenen Wagen nähme, darin eine grofse Bolzen- versuch mit
' . . einem fahrenden
armbrust anbrächte und zwar in halber Elevati on, damit die Schufs- wagen behufs
•' Beobachtung
weite möglichst grofs werde ^-'0, und sodann, während die Pferde laufen,'^«'' ^e^if V^'*^""
o ö /' 7 ■ heit der
einmal in der Fahrtrichtung und einmal nach der entgegengesetzten Schüsse.
Seite schösse. Dabei müfste man aufs genaueste bemerken, an welcher
Stelle sowohl bei dem einen wie bei dem anderen Schusse sich der
Wagen befindet in dem Zeitpunkte, wo der Bolzen auf die Erde
schlägt; denn so wird man genau ermitteln können, um wie viel weiter
der eine als der andere ausfällt.
Simpl. Dieser Versuch scheint mir sehr angemessen, und ich
zweifle nicht, dafs die Schufsweite, d. h. die Strecke zwischen dem
Pfeile und der Stelle, wo der Wagen im Augenblicke des Niederfallens
des Pfeiles sich befindet, sehr viel kleiner sein wird, wemi man in der
Fahrtrichtung des Wagens schiefst, als im entgegengesetzten Falle.
Die Schufsweite an und für sich möge z. B. dreihundert Ellen be-
tragen, die Fahrstrecke des Wagens während der Zeit, wo der Bolzen
sich in der Luft befand, sei hmidert Ellen lang. Schiefst man dem-
nach in der Richtung der Fahrt, so legt der Wagen von den drei-
hundert Ellen des Schusses hundert Ellen zurück, und beim Auf-
Galilet, Wültsjstcme. 12
j^78 Dialog über die Weltsysteme. [187. 188.]
scWageii de.s Bolzens auf die Erde beträgt mithm der Zwischenraum
zwischen ihm und dem Wagen blofs zweihundert Ellen. Bei dem
zweiten Schusse hingegen, wo der Wagen in entgegengesetzter Rich-
tung fährt wie der Bolzen, wird die Strecke zwischen dem Bolzen,
der seine dreihundert Ellen, und dem Wagen, der seinerseits noch
weitere hmidert Ellen in entgegengesetzter Richtung zurückgelegt
hat, sich vierhundert Ellen lang herausstellen.
Salv. Gäbe es irgend welches Mittel, um diese Schüsse doch
gleich lang ausfallen zu lassen?
Simpl. Ich wüfste kein anderes, als dafs man den Wagen stille
stehen liefse.
Saiv. Das versteht sich; ich meine aber, wemi man den Wagen
in vollem Laufe fahren läfst.
Simpl. Es sei denn, man spannte den Bogen stärker beim Schufs
in der Fahrtrichtung und lockerte ihn, wenn man in der entgegenge-
setzten schiefst.
Salv. Ihr seht also, dafs es doch noch ein anderes Mittel giebt.
Aber um wieviel stärker müfste man ihn spannen und um wieviel ihn
nachher lockern?
Simpl. In miserem Falle, wo wir vorausgesetzt haben, dafs der
Bogen dreihmidert Ellen weit schiefst, müfste man ihn bei dem Schufs
in Richtvmg der Fahrt derart spannen, dafs er nun vierhundert Ellen
weit, bei dem zweiten derart lockern, dafs er nur noch zweihundert
Ellen weit schiefst. Denn dann würde in beiden Fällen die Schufs-
weite in Bezug auf den Wagen dreihundert Ellen betragen. Dieser
würde nämlich infolge seiner Vorwärtsbewegung im Betrag von hun-
dert Ellen, die von dem vierhundert Ellen langen Schufs abzuziehen,
hingegen zu dem zweihundert Ellen langen hinzuzuzählen ist, beide
Schüsse auf den Betrag von dreihundert Ellen bringen.
Salv. Welche Wirkung auf den Pfeil aber übt die gröfsere oder
geringere Spannung des Bogens?
Simpl. Der straff gespannte Bogen treibt ihn mit gröfserer Ge-
schwindigkeit, der lose mit geringerer. Derselbe Pfeil aber fliegt das
eine Mal soviel weiter als das andere Mal, wie die Geschwindigkeit,
mit der er den Hahn verläfst, in dem einen Falle gröfser ist als im
anderen.
Salv. Um also zu bewirken, dafs der Pfeil sowohl in der
einen als in der anderen Richtung sich gleich weit von dem fahrenden
Wagen entferne, mufs bei den gemachten Aimahmen der erste
Schufs eine Anfangsgeschwindigkeit z. B. von vier Grad besitzen, der
zweite blofs von zwei Grad. Solanj^e mau aber denselben Bogen
[188. 189.] Zweiter Tag. 179
anwendet^ erteilt er dem Schusse stets eine Anfangsgeschwindigkeit
von vier Grad.
Simpl. So ist es; und wenn man also mit demselben Bogen
schiefst, so können die Schüsse bei fahrendem Wagen unmöglich gleich
ausfallen.
Salv. Ich hatte noch vergessen zu fragen, mit welcher Geschwin-
digkeit bei diesem speciellen Versuch der Wagen sich bewegen soll.
Simpl. Wir müssen annehmen, die Geschwindigkeit betrage einen
Grad im Vergleich zu der vom Bogen mitgeteilten, welche drei beträgt.
Salv. Ja, ja; so stimmt die Rechnung. Doch sagt mir, wenn
der Wagen fährt, bewegen sich nicht auch mit der nämlichen Ge-
schwindigkeit alle im Wagen befindlichen Dinge?
Simpl. Zweifelsohne.
Salv. Also sowohl der Bolzen, wie der Bogen und die Sehne,
auf welche er gespannt ist.
Simpl. So ist es.
Salv. Wenn man also den Bolzen in Richtung des Wagens ab-
drückt, so prägt der Bogen seine Geschwindigkeit von drei Grad einem
Bolzen ein, der bereits eine solche von einem Grad besitzt, da ihn ja
der Wagen nach jener Richtung mit dieser Geschwindigkeit dahin-
trägt; er besitzt also beim Verlassen des Hahnes vier Grad Geschwin-
digkeit. Schiefst man hingegen in der anderen Richtung, so erteilt
der nämliche Bogen die nämlichen drei Grad Geschwindigkeit einem
Bolzen, welcher einen Grad Geschwindigkeit in entgegengesetzter
Richtung besitzt, so dafs ihm beim Verlassen der Sehne nur zwei
Grad Geschwindigkeit verbleiben. Ihr habt aber selbst schon ausge-
sagt, dafs man, um gleiche Schufsweiten zu erzielen, den Bolzen ein-
mal mit vier Grad, einmal mit zwei Grad Anfangsgeschwindigkeit ab-
schnellen mufs. Ohne dafs also am Bogen eine Änderung vorzunehmen
wäre, regelt die Fahrt des Wagens selbst die Abgangsgeschwindig-
keiten. Die Ausführung des Versuchs bekundet die Richtigkeit dieser
Thatsachen dem, der Vernunftgründe nicht verstehen will oder kann.
Wendet nun diese Überlegung auf das Geschütz an, so werdet Ihr Widerlegung
^ ° , ' , . . des von den
finden: mag die Erde sich bewegen oder feststehen, Schüsse, die mit üstiichen und
» O ' ' . westliclieu Ka-
derselben Kraft abgegeben werden, müssen stets gleich ausfallen, wie "«'ißuscbüsseu
" o ' . Iiergeuommeueii
immer sie gerichtet sem mögen. Der Irrtum des Aristoteles, des Argumoutes.
Ptolemäus, der Euere und der aller anderen entspringt aus der festen
und eingewurzelten Vorstellung von der Unbeweglichkeit der Erde,
von der Ihr nicht vermögt und wifst Euch frei zu machen, selbst
dann, wenn Ihr Spekulationen anstellen wollt über die Folgen, die im
Falle dei- Erdbewegung eintreten würden. Ebenso bedachtet Ihr bei
130 Dialog über die Weltsysteme. [189. 190.]
dem vorhin besprochenen Argumente nicht, dafs, solange der Stein
auf dem Turme verweilt, er bezüglich der Bewegung oder Nichtbe-
wegung sich verhält wie der Erdball; weil Ihr nun innerlich fest
daran haltet, dafs die Erde stille steht, legt Ihr Eueren Erörterungen
über den Fall des Steines stets die Voraussetzung zu Grunde, dafs er
vom Zustande der Ruhe ausgehe, während man doch sagen mufs: wenn
die Erde stille steht, geht der Stein vom Zustande der Ruhe aus und
bewegt sich lotrecht abwärts; wemi die Erde sich aber bewegt, so
bewegt sich der Stein ebenfalls mit der gleichen Geschwindigkeit und
geht also nicht vom Zustande der Ruhe aus, sondern von einer Bewegung
gleich der des Erdballs, mit welcher sich die hinzukommende Abwärts-
bewegung vermischt, so dafs eine schräge Bewegung daraus hervorgeht.
Simpl. Aber lieber Gott, wenn er sich schräge bewegt, wieso
sehe ich ihn denn sich geradlinig und lotrecht bewegen?
Salv. In Bezug auf die Erde, auf den Turm und auf uns, die
wir alle zusammen die tägliche Bewegung in Gemeinschaft mit dem
Steine machen, ist diese tägliche Bewegung so gut wie nicht vor-
handen, läfst sich nicht fühlen noch wahrnehmen und ist ohne jede
Wirkung; unserer Beobachtung zugänglich ist allein die Bewegung,
die wir nicht teilen, nämlich die Abwärtsbewegung dem Turme ent-
lang. — Ihr seid nicht der erste, der sich gegen jene Erkenntnis sträubt,
dafs die Bewegning ohne Einflufs auf das gegenseitige Verhalten solcher
Dinge ist, denen sie gemeinsam zukommt.
Sagr. Ich erinnere mich eben einer eigenartigen Phantasie, die
Bemerkens- eiucs Tages meine Einbildungskraft beschäftigte, als ich auf der Fahrt
wertes Beispiel " _ " _ _ "
sagredos, um uacli Alcppo begriffen war, wohin ich als Konsul unserer Vaterstadt
zu zeigen, dafs _ . . .
die gemeinsame j.gjg^g 5G\ gjg Ivömitc vielleicht ctwas dazu beitraüjcn, diese Einflufs-
Bewegung ein- / 07
flufsios ist. losigkeit der gemeinsamen Bewegung, dieses „So gut wie nicht vor-
handen sein" für alles gleichzeitig von ihr Betroffene zu erläutern.
Ich möchte, wenn es Signore Simplicio gefiillig ist, mit ihm be-
sprechen, was ich damals für mich allein phantasierte.
Simpl. Die Dinge, von welchen ich hier reden höre, sind mir so
neu, dafs ich sie nicht nur nicht langweilig, sondern höchst interessant
finde. Darum sprecht nur!
Sagr. Angenommen, während meiner ganzen Fahrt von Venedig
nach Alexandrette habe sich eine Schreibfeder an Bord befunden;
wenn nun die Spitze derselben vermocht hätte, ein sichtbares Merk-
zeichen ihres Weges zu hinterlassen, wie beschaffen wäre diese Spur,
dieses Merkmal, diese Linie?
Simpl. Sie würde eine Linie hinterlassen haben, die sich von
Venedig bis dorthin erstreckte, nicht vollständig gerade, oder besser
1
[100. 191.] Zweiter Tag. 181
gesagt, uiclit in vollkommenem Kreisbogen, sondern bald mehr, bald
weniger gebogen, je nacMem das Fahrzeug bald mehr, bald weniger
geschwankt hat. Diese stellenweiseii Ausbiegmigen aber von einer
oder zwei Ellen nach rechts oder links, nach oben oder imteii würden
bei einer Länge von vielen hundert Miglien eine geringe Änderung
au dem gesamten Linienzug hervorbringen, so dafs sie kaum bemerk-
bar wären. Man könnte daher die Linie ohne wesentlichen Fehler als
Teil eines vollkommenen Kreises l^etrachten.
Sagr. Es wäre also die eigentliche, richtige, wahrhafte Bewegung
jener Federspitze geradezu ein vollkommener Kreisbogen gewesen, wenn
die Bewegung des Fahrzeugs ohne ein Schwanken der Wellen sanft
und ruhig vor sich gegangen Aväre. Wemi ich nun selljige Feder be-
ständig in der Hand gehalten und sie nur hie und da einen oder zwei
Finger breit da- und dorthin bewegt hätte, welche Änderung würde
das in der Hauptsache an dem aulserordentlich langen Liuieiizug her-
vorgebracht haben?
Simpl. Eine noch geringere, als wenn bei einer geraden Linie
von tausend Ellen Länge stellenweise eine Abweichung von der abso-
luten Geradheit um die Breite eines Flohauges stattfände.
Sagr. Hätte also ein Maler bei seiner Abfahrt vom Hafen mit
jener Feder auf ein Blatt Papier zu zeichnen begonnen und mit der
Zeichnimg bis zur Ankunft in Alexandrette fortgefahren, so hätte er
durch Bewegung der Feder ein ganzes Historienbild mit vielen völlig
richtig konturierten und in tausend und aber tausend Kichtimgen
schattierten Figuren herstellen können, mit Landschaft, Baulichkeiten,
Tieren und anderen Dingen, obgleich die eigentliche, wahre absolute
Bewegimg, welche die Federspitze ausführt, nur eine zwar lange, aber
höchst einfache Linie darstellen würde. Was die dem Maler eigene
Thätigkeit betrifft, so hätte er aufs Haar dasselbe gezeichnet, wenn
das Schiff stille gestanden hätte. Dafs aber von der aulserordentlich
langen Bahn der Feder keine andere Spur bleibt als die auf das Papier
gezeichneten Striche, rührt daher, dafs die bedeutende Bewegung von
Venedig nach Alexandrette dem Papier und der Feder, sowie allen im
Schiffe befindlichen Dingen gemeinsam zukam. Die winzigen Be-
wegungen aber nach vor- und rückwärts, nach rechts und links, die
von den Fingern des Malers der Feder, nicht aber dem Blatte mitge-
teilt werden, konnten, weil sie der Feder eigentümlich waren, ihre
Spur auf dem Papier zurücklassen, Avelches in Bezug auf solche Be-
wegungen als unljewegt angesehen werden darf. Ganz ebenso ist es
richtig, dafs, wenn die Erde sich dreht, die Fallbewegung des Steines
in Wirklichkeit eine lauge Linie von vielen hundert, ja tausend Ellen
ig2 Dialog über die Weltsysteme. [191. 192.]
darstellt. Weun er seine Spur in eine ruhende Atmosphäre oder auf
sonst eine Fläclie einzeichnen könnte, so würde sie als eine aufser-
ordentKch lauge schräge Linie erscheinen. Der Teil der gesamten
Bewegung aber, welcher dem Stein, dem Turm imd mis gemeinsam
zukommt, ist für uns unmerkhch imd gleichsam nicht vorhanden-,
blofs der Teil gelangt zur Wahrnehmimg, an welchem sich weder der
Turm noch wir selbst uns beteiligen und dies ist schliefslich die Be-
wegimg, welche der Stein bei seinem Falle längs des Turmes zurücklegt.
Salv. Ein äufserst scharfsinniger Einfall, um diesen für das Ver-
ständnis vieler Menschen so schwierigen Punkt zu erläutern. Nmi aber
können wir, wenn Siguore Simplicio nichts weiter erwidern will, zu
den übrigen Versuchen übergehen; ihre Widerlegimg wird durch die
bisherigen Auseinandersetzungen nicht wenig erleichtert werden.
Simpl. Ich habe nichts weiter zu bemerken und war halb ver-
sunken in diese Euere Zeichnimg, in den Gedanken, wie jene nach so
vielen Richtimgen, hierin imd dorthin, hinauf und hinunter, vor- und
rückwärts gezogenen Striche, die in hunderttausend Krümmungen mit
einander verflochten sind, in Wahrheit wesentlich nichts anderes sind
als Stückchen einer einzigen, ganz und gar nach der nämlichen Rich-
tung verlaufenden Linie, die nur insofern Um-egelmäfsigkeiten enthält,
als sie ein kleines bischen nach rechts imd links abweicht und als
die Spitze der Feder sich bald schneller, bald langsamer bewegt, aber
mit ganz geringen Unterschieden. Ich überlege, dafs in derselben
Weise die Niederschrift eines Briefes von statten ginge und dafs jene
besonders geschickten Schreiber, die um die Gelenkigkeit ihrer Hand
zu zeigen, in einem einzigen Zuge, ohne die Feder vom Blatte abzu-
setzen, mit tausend und aber tausend Verschlingungen ein allerliebstes
Geflecht aufzeichnen, die Gesamtbewegung der Feder, sobald sie in
einer schnell fahrenden Barke sich befänden, in einen Schnörkel ver-
wandeln würden, während sie wesentlich eine einzige durchaus nach
derselben Richtimg gezogene Linie darstellt und nur ganz wenige
Krümmungen und Abweichungen von der ■vollkommenen Geradheit
aufweist. Ich freue mich sehr, dafs Signore Sagredo in mir diesen
Gedanken angeregt hat. Fahren wir also weiter fort, denn die Er-
wartung noch anderes derart zu vernehmen, wird meine Aufmerksam-
keit nur erhöhen.
Sagr. Wenn es Euch Vergnügen macht, ähnliche Einfalle zu
Ironisch gc- vemehmeu, an die nicht gerade jeder denkt, so giebt es deren genug,
alberne' Kluge- namentlich iu Sachen der Schiffahrt. Haltet Ihr es nicht für einen
wissen Encycio-schönen Gedaukcu, der mir auch auf derselben Reise kam, während
pädie ent- . _
nommen. ich bemerkte, dafs der Korb, also die Spitze des Schiffsmastes,
[102.193.] Zweiter Tag. 183
(ilme dai's letzterer biegt oder bricht, einen gröfseren Weg zurückge-
legt hatte als der Ful«? Da nämlich die Spitze weiter vom Erdmittel-
punkte entfernt ist als der Fufs, so hatte jene den Bogen eines Kreises
l)eschrieben, der gröfser ist als der vom FuTse zurückgelegte.
Simpl. So legt denn auch, wenn ein Mensch geht, sein Kopf
i'inen gröfseren Weg zurück als seine Füfse?
Sagr. Das habt Ihr ohne jede Hilfe, blofs durch eigenes Nach-
denken vortrefflich durchschaut. Al)er unterbrechen wir nicht den
Signore Salviati!
Salv. Es freut mich zu sehen, wie Signore Simplicio an Ge-
schicklichkeit zunimmt, wenn anders der Einfall sein Eigentum ist
luid er ihn nicht aus einem gewissen Thesenbüchlein ^'') gelernt hat,
worin sich einige andere ebenso hübsche und geistreiche finden. —
Wir kämen sodann auf die senkrecht zum Horizont gerichtete Kanone Einwand gegen
/,u sprechen, d. h. auf den Fall, wo der Schufs in Richtung unseres Bewegung, her-
• 1-I11 1 • 1 ^ TT- iiTT genommen von
.Scheitels abgegeben wird, und wo die Kugel schlielshch längs derselben**«™ senkrechten
. . ~ Kanouenschufs.
liUiie zu demselben Geschütze zurückkehrt trotz der langen Zeit,
w iihreud deren sie von ihm getremit war und während deren die Erde
dieses viele Miglien weit nach Osten fortführte. Scheinbar müfste
die Kugel um eine ebenso grofse Strecke westlich von dem Geschütze
niederfallen; dies geschieht aber nicht, also hat die Kanone unverrückt
das Wiedereintreffen der Kugel abgewartet. Die Widerlegung ist die
gleiche wie bei dem Herabfallen des Steines vom Turme: der ganze
l'i'hler, das Mifsverständnis liegt darin, dafs stets dasienige als wahr Entgegnung
' _ o ; J O auf den Kin-
vorausgesetzt wird, was in Frage steht. Denn stets hält der Gegner J-'^'t^ "."*«'"
° ' ~ O Nachweis des
im Geiste daran fest, dafs die Kugel vom Zustande der Ruhe ausgeht, '«ejscbeu
-" o o ? i elllers.
wcim sie beim Abfeuern aus dem Geschütze herausgeschleudert wird.
Imu Ausgehen vom Zustande der Ruhe kann aber nur stattfinden unter
\'()raussetzimg der Unbewegtheit des Erdballs, und dies ist gerade die
III Frage stehende Behauptung. Ich wiederhole daher: die Entgeg-
nung derer, welche die Erde sich bewegen lassen, besteht darin, dafs
das Geschütz nebst der darin befindlichen Kugel sich an der näm-
lichen Bewegung beteiligen, welche der Erde zukommt, dafs sie sogar
cl)enso wie letztere diese Bewegung von Natur aus besitzen, dafs also
die Kugel keineswegs vom Zustande der Ruhe ausgeht, sondern be-
haftet mit ihrer Bewegung um den Mittelpunkt, diese wird aber durch
das Schleudern nach oben weder aufgehoben noch gestört. Solcher-
i;«'stalt folgt sie der allgemeinen Bewegung der Erde nach Osten und
hält sieh fortwährend gerade über dem Geschütze sowohl beim Auf-
steigen als während der Rückkehr. Denselben Erfolg werdet Ihr be-
obachten, wenn Ihr auf einem Schiffe den Versuch anstellt, mittels
184 Dialog über die Weltsysteme. [193. 194.]
einer Armbrust eine Kugel senkrecht in die Höhe zu scliiefsen; sie
wird an denselben Ort zurückkehren, mag das Schiff sich nun be-
wegen oder stille stehen.
Sagr. Hierdurch wird alles aufs beste erledigt. Da ich aber
bemerkt habe, dafs Signore Simplicio Vergnügen an einer gewissen
Sorte von sinnreichen Einfällen findet, auf die der Gegner, wie man
zu sagen pflegt, hineinfallt, so möchte ich ihn fragen, ob er, die Unbe-
Andere Wider- wcglichkeit der Erde einstweilen vorausgesetzt. Bedenken dagegen hat,
selben Ein- clafs ciu Schufs aus einer lotrechten, nach dem Zenith gerichteten
waudes. . ' . . "
Kanone wahrhaft lotrecht ist, und dafs die Kugel beim Abfeuern imd
bei ihrer Rückkehr dieselbe gerade Linie einschlägt, immer unter der
Annahme, dafs alle äufseren Hindernisse beseitigt sind.
Simpl. Ich sehe ein, dafs die Sache genau so verlaufen mufs.
Sagr, Wenn aber das Geschütz nicht lotrecht aufgepflanzt wird,
sondern nach irgend welcher Richtimg geneigt, wie beschafl'en mul's
dann die Bewegung der Kugel sein? Fliegt sie etwa, wie vorher
längs einer lotrechten Linie und kehrt auch wieder längs dieser zurück?
Simpl. Das wird sie nicht thuu, sondern nach Verlassen des Ge-
schützes wird sie ihre Bewegung in der geraden Linie fortsetzen,
welche die Verlängerung der Axe des Laufs bildet, abgesehen von der
Ablenkung, die sie durch ihr eigenes Gewicht von dieser Richtung
erfährt.
Sagr. Danach ist also die Richtung des Laufs mafsgebend für
Geworfene die Beweguug der Kugel, sie verläfst diese Linie nicht oder würde
ihre Bewegung sie doch uicht verlasscu, wenn ihr eigenes Gewicht sie nicht nach
geraden Linie uiiteii ablenkte. ^^) Aus diesem Grunde kehrt sie, wenn der Lauf senk-
fort, die sie Le- ii i t t^ i n ^ •
schrieben, als rocht gestellt Und die Kuojel aufwärts f?eschossen wird, längs derselben
sie noch mit , , ^ '^ ^ ; o
dem Werfenden Linie uach untcu zurück, denn die Bewegung der Kugel, insofern sie
in Verbindung- _ ' 0007
waren. durch die Schwere bedingt wird, ist längs der nämlichen lotrechten
Linie nach imten gerichtet. Die Flugbahn der Kugel aufserhalb des
Geschützes bildet somit die Fortsetzung des Bahnteilchens, das inner-
halb des Laufes enthalten ist, nicht wahr?
Simpl. So scheint es mir.
Sagr. Denkt Euch nun den Lauf senkrecht in die Höhe gerichtet,
während gleichzeitig die Erde sich um sich selber in täglicher Be-
Avegung dreht und das Geschütz mit sich fortträgt: sagt mir, wie be-
schaffen wird die Bewegmig der Kugel innerhalb des Laufes sein von
dem Augenblicke ab, wo Feuer gegeben wird.
Simpl. Sie wird geradHuig und lotrecht sein, da der Lauf lotrecht
gerichtet ist.
Sagr. Bedenkt Euch wohl, denn meiner Meinung nach wird sie
Zweiter Tag.
185
toi
keineswegs lotrecht sein. Sie wäre allerdings lotrecht, wenn die Erde
feststünde, weil alsdann die Kugel keine andere Bewegung hätte als
ilit' von dem Feuer ikr mitgeteilte. Dreht sich aber die Erde, so
kommt der im Geschütz befindlichen Kugel gleichfalls die tägliche
I mdrehung zu, und wenn sie also noch obendrein den Impiüs des
IVuers empfängt, so legt sie die Strecke von der Stofsfläche des Laufs
lii.s zur Mündung in doppelter Bewegimg zurück. Durch Zusammen-
setzung dieser beiden ergiebt sich, dafs die .
vom Schwerpunkte der Kugel ausgeführte
I icwegung längs einer geneigten Linie erfolgt.
Zu besserem Verständnis sei AC das aufwärts
'gerichtete Geschütz, in ihm befinde sich die
Kugel i?. Steht die Kanone unbeweglich
und wird dann aljgefeuert, so nimmt offenbar
die Kugel durch die Mündung A ihren Aus-
u;ing, und ihr Mittelpunkt wird beim Passieren
• les Laufes die lotrechte Linie A^ beschreiben.
Dieselbe Richtung wird sie aufserhalb des m\'^^\
Geschützes beibehalten, sich nämlich scheitel-
leeht bewegen. Wenn aber die Erde sich im
I\ reise dreht und folglich die Kanone mit C I^
<\y\\ fortträgt, so wird üi der Zeit, wo die Kugel vom Feuer durch P'e Drehung
"-" ' ' •--> der Erde vor-
ili'u Lauf getrieben wird, das von der Erde fortgeführte Geschütz sich """^sesetzt, be-
'-''•' o ^vegt sich die
in die Lage DE begeben, die Kugel B wird beim Verlassen des Laufs j^^^lfi^/^^'^jl^.
;in der Mündimg D sich befinden-, der Mittelpimkt der Kugel hat alsoi^°^r/,^t£',\\t!
die Linie BD zurückgelegt, die nicht wie vorhin lotrecht, sondern geretgterLilSe.
-egen Osten geneigt ist. Da nun, Avie bereits angegeben, die Kugel
ihie Bewegimg durch die Luft fortsetzen miifs in Richtung der Be-
wegung innerhalb des Geschützes, so wird sie sich gemäfs der Neigimg
der Linie BD weiterhin bcAvegen, demnach keineswegs eine lotrechte,
sondern eine nach Osten geneigte Bahn einschlagen eben dahin, wohin
Much das Geschütz sich bewegt. Daher wird die Kugel der Bewegung
der Erde und des Geschützes folgen können. So habt Ihr, Signore
Siiiiplicio, den Nachweis, dafs der Schills, der scheinbar lotrecht sein
II Ulfs, in Wirklichkeit dies keineswegs ist.
Simpl. Ich verstehe die Sache noch nicht so recht; und Ihr,
Signore Salviati?
Salv. Ich verstehe sie zum Teil, habe aber doch ein gewisses
bedenken dabei; Gott gebe, dafs es mir glückt, es auseinanderzusetzen.
>U'iner Meinung nach müfste dem eben Bewiesenen zufolge, wenn die
Kanone lotrecht
185 Dialog über die Weltsysteme. [195. 196.J
nicht westlich vom Geschütz, wie Aristoteles imd Tycho wollen, auch
nicht gerade auf das Geschütz, wie Ihr wollt, sondern sogar recht
weit östlich davon niederfallen. Denn Euerer Auseinandersetzung zu-
folge hesäfse sie zwei Bewegungen, welche sie übereinstimmend nach
dieser Richtung hintreiben, nämlich die allgemeine Bewegimg der Erde,
die das Geschütz und die Kugel von CA nach ED führt, und die
des Feuers, welches sie längs der geneigten Linie BD treibt: beides
nach Osten gerichtete Bewegimgen, Avelche demnach die Bewegimg der
Erde übertreffen müssen.
Sagr. Nein, Signore. Die Bewegung, welche die Kugel nach
Osten führt, rührt allein von der Erde her; das Feuer spielt dabei
keine Rolle. Die Bewegung hingegen, welche die Kugel aufwärts
treibt, rührt allein vom Feuer her und die Erde hat nichts damit zu
schaffen. Zum Beweise: feuert nicht ab, so wird die Kugel nimmer-
mehr das Geschütz verlassen, noch sich um Haaresbreite erheben;
lafst andererseits die Erde stille stehen und gebt Feuer, so wird die
Kugel, ohne irgendwie eine geneigte Richtung einzuschlagen, sich in
lotrechter Linie bewegen. Hat also die Kugel zwei Bewegungen, eine
nach oben und eine im Kreise, aus deren Zusammensetzimg die schräge
Linie DD hervorgeht, so rührt der Impuls nach oben allein vom
Feuer her, der kreisförmige allein von der Erde und ist dem der
Erde gleich. Und eben weil er ihm gleich ist, so hält sich die Kugel
stets senkrecht über der Mündimg der Kanone und fällt schliefslich
in diese zurück; und weil sie sich stets in Richtung des Laufes hält,
erscheüit sie beständig zu Häupten dessen, der sich in der Nähe des
Geschützes befindet und darum scheint sie genau lotrecht in Richtung
unseres Scheitelpunktes emporzufliegen.
Simpl, Älir bleibt ein anderes Bedenken. Da doch nämlich die
Bewegung der Kugel im Geschütz aufserordentlich schnell ist, so
scheint es unmöglich, dafs in diesem kurzen Augenblick die Verschie-
bung der Kanone von CA nach ED der schrägen Linie CD eine
solche Neigung erteilt, dafs die Kugel vermöge dieser in der Luft mit
der Geschwindigkeit der Erde Schritt halten kann.
Sagr. Ihr verrechnet Euch mehrfach. Erstlich glaube ich, Ihr
unterschätzt die Neigung der schrägen Linie CD bedeutend; denn wie
ich fest überzeugt bin, ist die Geschwindigkeit der Erdbewegung nicht
nur unter dem Äquator, sondern auch unter unserer Breite gröfser als
die der Kugel während ihrer Bewegung durch den Lauf. Somit würde
die Strecke CE unbedingt gröfser sein als die Gesamtlänge des Laufs
imd demzufolge die Neigung der schrägen Linie gröfser als ein halber
rechter Winkel. Aber mag die Geschwindigkeit der Erde im Vergleich
[196. 197.] Zweiter Tag. 187
zu der vom Feuer bedingten klein oder grofs sein, es kommt darauf
nichts au. Denu ist die Geschwindigkeit der Erde gering und dem-
nach auch die Neigung der schrägen Linie gering, so bedarf es auch
nur dieser geringen Neigung der schrägen Linie, um zu bewirken, dal's
die Kugel bei ihrem Fluge sich beständig über dem Geschütze hält.
Kurz, wenn Ihr die Sache mit Bedacht prüft, werdet Ihr erkennen,
dafs die Erde, indem sie die Kanone von CA nach ED führt, der
schrägen Linie CD gerade das Weniger oder Mehr von Neigung erteilt,
welches erforderlich ist, um den Schufs je nach Bedürfnis zu regu-
lieren. Ihr irrt aber zweitens, wenn Ihr in dem Antrieb des Feuers
die Ursache dafür sucht, dafs die Kugel imstande ist, der Bewegimg
der Erde zu folgen. Ihr fallt in denselben Irrtum zurück, w^elchen
eben Signore Salviati begangen zu haben scheint. Dieses Schritthalten
mit der Erde ist nämlich die ursprünglichste, ewige Bewegimg, uu-
vertilgbar und unaufhörlich verbimdeu mit der Kugel, als einem
irdischen Gegenstande, der sie von Natur besitzt und in Ewigkeit be-
sitzen wird.
Salv. Geben wir uns nur zufrieden, Signore Simplicio, deun die
Sache geht in der That genau so zu. Auf Grund dieser Erörterimg
begreife ich jetzt auch das Jagdkunststückcheu jener Schützen, die wie die
•iini T 1-r 1 ■ -, -r ^ 1 • n -1 . Schützen die
mit der Büchse die Vögel in der Lult schiefseu.'*-') Ich hatte mir vogei ia der
eingebildet, dafs sie, um den Vogel zu treifen, einen von demselben
verschiedenen Zielpunklf aufs Korn nähmen, der um ein Stück weiter
nach vorne liegt, mehr oder weniger je nach der Schnelligkeit des
Flugs und der Entfernung des Vogels, damit die Kugel nach dem
Abdrücken, während sie in Richtung des Zieles fliegt, durch ihre Be-
wegmig zur selben Zeit an denselben Pimkt gelangt, wie der Vogel
durch seinen Flug und sie auf diese Weise einander begegnen. Ich
fragte darum einen von ihnen, ob das ihr Verfahren sei, er verneinte
dies aber, der Kunstgriff sei viel leichter und sicherer, sie gingen
ganz in derselben Weise zu Werke, wie weim sie auf den ruhenden
Vogel schössen; sie nähmen nämlich den fliegenden Vogel aufs Korn
und folgten ihm mit der Bewegung der Büchse, immer auf ihn zielend
bis zum Augenblicke des Abdrückens, sie träfen dann ebenso gut, als
wenn diese ruhten. Es mufs also die doch langsame Bewegung der
Büchse, welche mit dem Korne bei ihrer Drehimg dem Vogelfluge folgt,
sich auch auf die Kugel übertragen, und mufs mit der anderen vom Feuer
herrührenden Bewegimg sich vereinigen, dergestalt, dafs die Kugel
dem Feuer die gerade Bewegung nach oben verdankt, dem Laufe aber
die Abweichung zur Verfolgimg des Vogelflugs: ganz, wie es eben bei
dem Kanonenschüsse festgestellt wurde; dort verdankte die Kugel dem
Igg Dialog über die Weltsysteme. [197. 198."]
Feuer die s cheitelrechte Bewegimg in die Höhe, der Erdbewegung hin-
gegen die Neigung nach Osten und die Vermischung von beiden Be-
Avegungen zu einer dritten, welche dem Lauf der Erde folgt und welche
für den Zuschauer blofs gerade nach oben und hernach längs dersell)en
Linie nach unten zu gehen scheint. Hält man also das Korn beständig
ins Ziel, so wird der Schufs in jedem Falle richtig sitzen; steht näm-
lich das Ziel stille und man visiert richtig, so wird auch der Lauf
ruhig sein müssen; bewegt sich aber die Scheibe, so wird der Lauf
immer auf das bewegte Ziel hindeuten. Dies giebt auch die richtige
widerieg^uug EntseQ-nimff auf das andere Argument an die Hand, bei welchem es
des Einwaiides O O O <=> _ ^ ^
von den südiichg^ßi^ ^^j^ Kanouenschüsse nach einer südlich oder nördlich gelegenen
und nördlich " "
uonenschüsseu.
Erde sich bewegte, die Schüsse sämtlich eine Seitenabweichung nach
Westen aufweisen müfsten, weil während der Zeit, wo die Kugel das
Geschütz verlassen hat und durch die Luft nach dem Ziele hinfliegt,
dieses nach Osten getragen wird, so dafs die Kugel westlich vorbei-
geht. Ich entgegne darauf mit der Frage: wird das Geschütz, nach-
dem es auf das Ziel gerichtet und in dieser Lage belassen worden
ist, stets nach eben jenem Zielpunkte visieren, einerlei, ob die Erde
sich bewegt oder stille steht? Die Antwort mufs lauten, dafs die
Visierlinie sich durchaus nicht ändert. Denn steht das Ziel fest, so
steht auch das Geschütz stille; wenn dieses aber, von der Erde ge-
tragen, sich bewegt, so bewegt sich auch die Kanone in demselben
Tempo; wird aber derselbe Zielpunkt beibehalten, so sitzt der Schufs
stets richtig, wie nach dem eben Gesagten klar ist.
Sagr. Wartet, bitte, einen Augenblick, Signore Salviati, ich
möchte erst noch einem Gedanken Ausdruck geben, der mir betreffs
jener Schützen auf fliegende Vögel im Kopfe herum gegangen ist.
Sie mögen in der That so verfahren, wie Ihr sagt; ich glaube auch,
dafs infolge davon der Vogel wirklich getroffen wird. Hingegen bin
ich nicht der Ansicht, dafs dieser Vorgang völlig analog demjenigen
bei den Kanonenschüssen ist, welche sowohl bei bewegtem Geschütz
und Ziel als bei beiderseitiger Ruhe treffen müssen. Die Verschieden-
heit scheint mir in folgendem zu bestehen. Bei dem Schusse mit der
Kanone bewegt sich diese und das Ziel mit gleicher Geschwindigkeit,
da beide von der Bewegung des Erdballs mit fortgeführt werden; ob-
gleich nämlich unter Umständen das Geschütz ein wenig näher dem
Pole als die Scheibe aufgepflanzt ist, also seine Bewegung ein weniges
langsamer ist, insofern sie längs eines kleineren Kreises erfolgt, so
ist ein derartiger Unterschied doch wegen der Geringfügigkeit der
Entfernung vom Geschütz bis zur Scheibe unmerklich. Bei dem Schufs
[198. 199.] Zweiter Tag. 189
des Vogelscliützen hingegen ist die Bewegung der Büchse, mit welcher
er dem Yogel nachfolgt, im Vergleich zu dessen Flug äufserst lang-
sam. Meiner Meinung nach kann somit unmöglich die geringe Be-
wegung, welche durch die Drehung des Laufes der darin befindlichen
Kvigel erteilt wird, sich nach dem Abfeuern in der Luft bis zur
Schnelligkeit des Vogelflugs vervielfältigen, derart, dafs besagte Kugel
immer auf den Vogel gerichtet bliebe. Vielmehr scheint es, als müsse
sie von diesem überholt werden und dahinter vorbeigehen. Dazu
kommt noch, dafs in diesem Falle die Annahme unstatthaft ist, die
von der Kugel durchschnittene Luft teile die Bewegung des Vogels;
wohl aber beteiligen sich im Falle der Kanone diese sowohl als die
Scheibe wie auch die dazwischen liegende Luft in gleicher Weise an
der allgemeinen täglichen Bewegmig. Dafs also der Schütze trifft,
rührt, wie ich glaube, aufser von der dem Fluge folgenden Bewegung
des Laufes auch davon her, dafs man die Visierlinie ein wenig weiter
nach vorne nimmt und dafs man überdies, soviel ich weifs, nicht blofs
mit einer Kugel schiefst, sondern mit einer ganzen Zahl von Kügelchen,
die in der Luft sich zerstreuen und dadurch einen ziemlich grofsen Raum
bestreichen; endlich auch daher, dafs die Geschwindigkeit, mit welcher
diese sich aus dem Laufe nach dem Vogel hin begeben, aufserordeut-
lich grofs ist.
Salv. Da kami mai>- sehen, wie der Geistesflug Signore Sagredos
es meiner Langsamkeit zuvorthut und sie ül^erholt. Ich wäre vielleicht
auch auf diese Verschiedenheiten aufmerksam geworden, aber nur nach
langer geistiger Arbeit. Kehren wir nun zur Sache zurück, so hätten wir
noch die nach Osten und Westen gerichteten Horizontalschüsse zu er- Widerlegung
des Einwandes
wägen. Die ersteren sollten, wenn die Erde sich bewegte, stets über ^o" «J««» Hori-
'^ _ ... . o 7 zoutalscliüssen
der Scheibe vorbeifliegen, die letzteren zu tief gehen. Demi da die "»'■'> ost und
ö 7 O West.
Östlichen Teile der Erde infolge der täglichen Bewegung beständig
unter die zum Horizont parallele Tangentialebene hinabsinken, woher
es auch rührt, dafs die Gestirne im Osten scheinbar emporsteigen, da
ferner umgekehrt die westlichen Teile sich emporheben, infolge wovon
die westlichen Gestirne scheinbar herabsinken, so müfsten demnach
die Schüsse, die längs besagter Tangente auf das östliche Ziel gerichtet
sind, zu hoch ausfallen — dieses senkt sich nämlich, während die
Kugel auf der Tangente herankommt — die westlichen hhigfgen
müfsten zu tief gehen, weil die Scheibe während der Flugzeit der
Kugel emporsteigt. Die Widerlegung ist ähnlich wie in den früheren
Fällen. *''') Gleichwie nämlich das östlich gelegene Ziel infolge der
Bewegung der Erde sich lieständig unter eine unbeweglich gedachte
Tangente hinal)senkt so neigt sieb iiuch das Geschütz fortAvährend
tuiigeu als
190 Dialog über die Weltsysteme. [199. 200.]
aus demselben Grunde und ist stets auf dasselbe Ziel gerichtet, so
dafs die Schüsse richtig ausfallen. Es scheint mir hier übrigens der
geeignete Ort, um auf eine gewisse Grofsmut hinzuweisen, mit welcher die
kfn'lr^ eben" zu ^^^P^™^^^^^'? viellcicht iu übertriebenem Entgegenkommen, die gegne-
mefd°man°che i'ische Partei behandeln. Ich meine, sie räumen den Geg-nern manche
hrrten^Be'haup- Versuchc als sicher und zuverlässig ein, welche diese in Wahrheit nie
angestellt haben, wie z. B. den Versuch mit den vom Schiffsmast auf
bewegtem Schiffe herabfallenden Körpern. Dahin gehört nun meiner
festen Überzeugung nach auch der vorliegende Fall, wo zu prüfen ist,
ob die östHchen Kanonenschüsse zu hoch, die westlichen zu niedrig
ausfallen. Da die Gegner diese Prüfung, wie ich glaube, niemals aus-
geführt haben, so sähe ich es gerne, wenn sie mir sagten, wie grofs
sie die Verschiedenheit der Schüsse im Falle der Unbewegtheit der
Erde und im Falle ihrer Bewegung schätzen. Au ihrer statt mag
jetzt Signore Simplicio antworten.
Simpl. Ich will mir nicht anmafsen, so gründlich antworten zu
kömien, wie vielleicht ein anderer, der mehr von der Sache versteht
als ich. Ich werde indessen angeben, was man etwa, wie ich meine,
antworten könnte und was in Wahrheit von dem bereits Vorgebrachten
nicht verschieden ist. Wenn die Erde sich nämlich bewegte, so
würden die östlichen Schüsse immer zu hoch gehen u. s. w., da aller
Wahrscheinlichkeit nach die Kugel sich längs der Tangente bewegen
müfste.
Salv. Wenn ich nun aber sagte, dafs dies in der That zutrifft,
was würdet Ihr thun, um meine Behauptimg zu widerlegen?
Simpl. Man würde zur wirklichen Ausführung des Versuchs zu
schreiten haben, um sich hierüber Aufklärung zu verschaffen.
Salv. Glaubt Ihr aber, dafs sich ein so geschickter Kanonier
ffinde, der die Verpflichtung übernähme, bei jedem Schusse das Ziel
auf eine Entfernung z. B. von fünfhundert Ellen zu treffen?
Simpl. Oh nein. Ich glaube, es gäbe keinen, und wäre er noch
so geübt, der verbürgen könnte, dafs er durchschnittlich höchstens
um eine Elle irrt.
Salv. Wie sollten wir uns demnach mittels so fehlerhafter Schüsse
Klarheit über unseren Zweifel verschafl'en können?
Simpl. Wir könnten uns auf eine doppelte Weise Sicherheit ver-
schaffen, einmal durch das Abfeuern vieler Schüsse; sodann aber mufs
ja, dank der grofsen Geschwindigkeit der Erdbewegmig, die Abweichung
vom Ziele meiner Meinung nach aufserordentlich grofs sein.
Salv. Aufserordentlich grofs, d. h. viel gröfser als eine Elle;
denn eine Schwankimg in diesem, ja iu noch höherem Betrage räumt
1
[200. 201.] Zweiter Tag. 191
mau als gewöhnliches Vorkommnis ein^ auch l)ei Amiahme der Uube-
weglichkeit der Erde.
Simpl. Ich glaube zuversichtlich, dafs die AbAveichuug weit gröfser
sein würde.
Salv. Ich möchte doch einmal zu unserem Vergnügen so ül)er
schlagsweise den Betrag ausrechnen, wenn es Euch recht ist. Dies
wird uns zugleich, wenn die Rechnung meiner Erwartung gemäfs
sfällt, als Mahnung dienen können, auch bei anderen Gelegenheiten
nicht so ohne weiteres klein beizugeben, wie man zu sagen pflegt,
und nicht alles, was uns durch den Kopf schiefst, gleich als richtig
auszugeben. Um noch alle Vorteile den Peripatetikern und Anhängern
Tychos einzuräumen, stellen wir uns vor, wir befänden uns unter dem
Äquator, um mit einer Feldschlange horizontal nach Westen auf fünf-
hundert Ellen Entfernung zu schiefsen.'^^) Schätzen wir zunächst so
aufs imgefähr, wie gesagt, wieviel Zeit wohl die Kugel nach dem Ver-
lassen des Geschützes braucht, um zum Ziele zu gelangen. Bekannt-
lich ist diese sehr kurz, sicherlich nicht länger als die Zeit, während
deren ein Fufsgänger zwei Schritte zurücklegt, d. h. kürzer noch als
eine Sekunde. Denn gesetzt, der Fufsgänger geht drei Miglien in der
Stunde, welches neuntausend Ellen sind, so kommen auf die Sekunde
zwei und ein halb Schritte, da eine Stunde dreitausend sechshimdert
Sekunden enthält; die Flugzeit der Kugel beträgt also weniger als
eine Sekunde. Weil nun die tägliche Umdrehung eine Dauer von vier-
undzwanzig Stunden hat, so steigt der westliche Horizont in der
Stmide fünfzehn Bogengrade, in einer Zeitminute also fünfzehn Bogen-
minuten und in der Zeitsekunde fünfzehn Bogensekunden. Da nun
der Schufs eine Zeitsekunde dauert, so hebt sich der westliche Hori- Berechnung des
Betrags, um
zont um fünfzehn Bogensekimden und um ebensoviel die Scheibe, also„ weichen die
_ , , , Kanonenschüsse
um fünfzehn Sekunden desienigen Kreises, dessen Halbmesser fünf- ^»^ «^t'" ^'ßi
o n ; unter Voraus-
hundert Ellen beträgt"^); so grofs nämlich ist unserer Voraussetzung^e*^^'^"^^^'"^^^'^"
gemäfs die Entfernmig der Scheibe von dem Geschütz. Sehen wir Ztil^w.
nmi in der Tabelle der Bogen und Sehnen nach — ich habe hier
gerade das Buch des Kopernikus — *'^) den wievielten Teil des fünf-
hundert EUen langen Radius die Sehne eines Bogens von fünfzehn
Sekunden ist. Wir finden hier, die Sehne einer Bogemninute betrage
weniger als dreifsig Himderttausendstel des Halbmessers, also die
Sehne einer Bogensekunde weniger als ein halbes Hunderttausendstel
oder als ein Zweihunderttausendstel, demnach die Sehne von fünfzehn
Sekunden weniger als fünfzehn Zweihunderttausendstel. Was aber
weniger als fünfzehn solcher Teile beträgt, von denen zweihundert-
tausend aufs Ganze »rehen, ist um so mehr weniser als vier Hundertstel
192 Dialog über die Weltsysteme. [201. 202.]
eines Teiles, von welchem fünfhundert das Ganze ausmachen. Also
beträgt die Erhebung der Scheibe während der Flugzeit der Kugel
weniger als vier Hundertstel oder als ein Fünf\mdzwauzigstel einer
Elle, sie wird also ungefähr einen Zoll betragen. Folglich wird die
Abweichung jedes nach Westen gerichteten Schusses einen einzigen
Zoll grofs sein, wenn die tägliche Bewegung der Erde zukommen sollte.
Wenn ich nun behaupten wollte, dafs eine solche Abweichung that-
sächlich bei allen Schüssen stattfindet — ich meine, dafs sie einen Zoll
tiefer treffen, als sie träfen, wenn die Erde sich nicht drehte — wie
würdet Ihr es anfangen, um mich zu widerlegen, Signore Simplicio,
wie würdet Ihr mir durch den Versuch zeigen, dafs dies nicht ge-
schieht? Seht Ihr nicht ein, dafs Ihr mich mimöglich überführen
könnt, wenn Ihr nicht erst eine so genaue Methode des Scheiben-
schiefsens erfindet, dafs man nie um Haaresbreite irrt? Demi wenn die
Schüsse eine Unsicherheit von ganzen Ellen zulassen, wie es thatsäch-
lich der Fall ist, so werde ich stets behaupten, dafs in jeder der Ab-
weichungen die Zollbreite, welche von der Erdbewegung herrührt, mit
enthalten ist.
Sagr. Mit Verlaub, Signore Salviati, Ihr seid zu grofsmütig. Ich
würde den Beripatetikern sagen, wenn auch jeder Schufs genau das
dluiffe^ifacii- Centrum der Scheibe treife, so stehe das keineswegs mit der Bewegung
is, dafs unter
Voraussetzung
der Erdbe-
wegung die _
gTöfsere Ab-^ erworbeu, das Geschütz so zu richten, dafs die Schüsse trotz der Erd-
Telnmuk au Ijcwegimg alle sitzen. Ich behaupte, dafs gerade, wenn die Erde stille
Erde. stünde, die Schüsse fehl gingen, aber die östlichen zu tief, die west-
lichen zu hoch."^) Nmi mag Signore Simplicio mich widerlegen.
Salv. Eine scharfsinnige Bemerkmig, wie sie Signore Sagredo's
würdig ist. Aber mag nun jene Abweichung zum Vorschein kommen
im Falle der Ruhe oder im Falle der Bewegung der Erde, jedenfalls
ist sie aufserordentlich klein und mufs also unbedingt verdeckt sein
durch die sehr bedeutenden Abweichungen, welche infolge von man-
cherlei Ursachen fortwährend stattfinden. — Dies alles sei gesagt imd
mu'^rXlr vor^^^o®^^^^^^^®^^ ^^^ Gratiszugabe für Signore Simplicio, und nur, um ihm
ais''riIht?K zu^- ^^^^ ^eiz ZU Icgcu, wie vorsichtig man sein mufs, wenn man die
|e^ge"übe^r'^di"e Richtigkeit so mancher Versuche Leuten einräumt, welche sie niemals
steiu^aben' ausgeführt haben, sondern welche sie tendenziöserweise so darstellen,
wie sie sein müfsten, um ihrer Sache zu dienen. Ich bewillige dies
Signore Simplicio als Zugabe, sage ich, demi die Sache liegt ganz
einfach so, dafs die Erscheinungen bei jenen Schüssen ganz genau die
nämlichen sein müssen, ob der Erdball sich nun bewege oder ob er ruhe;
weis, dafs unter ^j^j^. igj,jg '^^ Widerspruch. Demi die Kanoniere haben sich von jeher
[202. 203.] Zweiter Tag. 193
wie denn o-auz das gleiche von allen Versuchen odlt, die man anoje- Erfahrungen
• Tipi -rn-i "°"^ Gründe
führt hat und anführen kann: sie haben sämtlich auf den ersten Blick eegen die Krd-
bewegung er-
insofem einen Schein von Triftio'keit, als die einojewurzelte Vorstelluno' scheinen uns
!=> ' o C53Q lange beweis-
vou der Unbeweglichkeit der Erde uns in Mifsverständnissen befangen ^^r^^ur^^'^^ar-
ovl-iölf heit nicht durch-
^'^^'''i^^- gedrungen sind.
Sagr. Ich für mein Teil bin soweit vollauf befriedigt und sehe
sehr wohl ein: wer seiner Vorstellung ebenso die Thatsache einprägt,
dafs die tägliche Umdrehungsbewegung allen irdischen Gegenständen
ausnahmslos gemeinsam und zwar von Natur aus zukommt, wie
man ihnen nach der alten Lehre die Drehung um den Mittelpunkt
aberkannt hat, der wird anstandslos das Fehlerhafte und Irrtümliche
dessen erkennen, was die vorgebrachten Argumente mit einem Scheine
von Beweiskraft umgeben hat. — Es bleibt mir, wie ich vorhin ange-
deutet habe, nur noch ein Bedenken betreffs des Fliegens der Vögel.
Da diese als lebende Wesen die Fähigkeit besitzen, nach Belieben sich
in tausendfältiger Bewegung. zu ergehen, von der Erde entfernt lange
in der Luft zu schweben und dort in den regellosesten Krümmungen
sich umherzutreiben, so begreife ich nicht wohl, wieso bei einer solchen
Mischung von Bewegungen die ursprüngliche gemeinsame Bewegung
nicht verloren gehen, sich nicht verwischen sollte, und wieso sie, ein-
mal derselben verlustig gegangen, das Versäumte durch ihren Flug
nachholen mid ausgleichen können, wieso sie mit Türmen imd Bäumen
mitkommen können, die in so rasendem Laufe nach Osten stürmen;
in so rasendem Laufe, sage ich, denn die Geschwindigkeit auf dem
gröfsten Kreise der Erdkugel ist nicht viel geringer als tausend Miglien
die Stimde, während die Schwalben vielleicht noch nicht fünfzig zurück-
legen.
Salv. Wenn die Vögel darauf angewiesen wären dem Lauf der
Bäume es kraft ihrer Flügel gleich zu thun, so wären sie freilich übel
daran. Einmal der allgemeinen Drehimgsbewegung verlustig gegangen,
würden sie dermafsen zurückbleiben und ihre Bewegung würde einem
etwaigen Beobachter mit so rasender Geschwindigkeit nach Westen
gerichtet erscheinen, dafs diese Geschwindigkeit bei weitem die eines
Pfeiles überträfe. Ich glaube aber, wir würden sie überhaupt nicht
wahrnehmen können, so wenig man die Kanonenkugehi sieht, wenn
sie von der wütenden Kraft des Feuers geschleudert durch die Luft
sausen. In Wahrheit aber hat die Eigenbewegung der Vögel, ich
meine ihr Fliegen, nichts mit der allgemeinen Bewegung zu schaffen,
welche von jener weder unterstützt noch gehindert wird. Der Um-
stand, der besagte Bewegung bei den Vögehi unverändert erhält, ist
die Luft selbst, in welcher sie sich tumnit-ln. Diese folgt von Natur
Galti-bi, Weltsysteme. 13
194 Dialog über die Weltsysteme. [203. 204.]
dem Wirbel der Erdbeweguug imd wie sie die Wolken mit sich führt,
so auch die Vögel und alles andere, was in ihr schwebt. Um also
mit der Erde mitzukommen, haben sich die Vögel nicht viel den Kopf
zu zerbrechen und sie könnten zu diesem Behufe ebenso gut schlafen.
Sagr. Dafs die Luft Wolken mit sich fortführen kami, Gebilde,
die ihres geringen Gewichtes wegen aufserordentlich leicht beweglich
sind und keinerlei sonstigen Trieb haben in entgegengesetzter Richtung
sich zu bewegen, sondern vielmehr auch ihrerseits an irdische Eigen-
schaften und Bedingungen gebunden sind, begreife ich ohne jede
Schwierigkeit. Dafs aber Vögel, belebte Wesen, welche sich auch
entgegengesetzt zur täglichen Drehung bewegen können, von der Luft
nach Unterbrechung dieser Bewegung, von neuem in dieselbe versetzt
werden sollten, kommt mir etwas gezwungen vor, umsomehr, als sie
feste schwere Körjaer sind. Wir beobachten doch auch, wie oben ge-
sagt, dafs Steine und andere schwere Körper dem Andrang der Luft
gegenüber sich widerspenstig erweisen, . vmd wenn sich ihr Widerstand
auch überwinden läfst, nehmen sie doch niemals die Geschwindigkeit
des Windes an, der sie dahin trägt.
Salv. Wir wollen doch auch die bewegte Luft nicht mit gar so
geringer Kraft ausstatten, Signore Sagredo, sie, die imstande ist,
schwer beladene Schiffe zu treiben und zu lenken, Wälder zu entwur-
zeln. Türme umzustürzen, sobald sie sich mit reifsender Geschwindig-
keit bewegt; und dennoch kann bei diesen heftigen Wirkmigen ihr
noch lange nicht eine so grofse Geschwindigkeit zuerkannt werden wie
die der täglichen Umdrehung.
Simpl. Da seht Ihr also, wie die bewegte Luft auch bei ge-
worfenen Körperu die Fortsetzung ihrer Bewegung bewirken kann, im
Einklang mit der Lehre des Aristoteles. Es schien mir gleich ver-
wunderlich, dafs er in dieser Beziehung sich sollte geirrt haben.
Salv. Sie wäre zweifellos dazu imstande, wenn sie nur im-
stande wäre, sich selber weiter zu l)ewegen. Da jedoch, nachdem der
Wind sich gelegt hat, ein Schiff nicht fortfahrt sich zu bewegen, noch
auch die Bäume fernerhin umgerissen werden, und da also die Be-
wegung der Luft nicht fortdauert, nachdem der Stein die Hand ver-
lassen hat und der Arm zur Ruhe gekommen ist, so mufs die Ursache
der Bewegung des geschleuderten Körpers eine andere sein.
Simpl. Wieso hört die Bewegung des Schiffes auf mit dem Auf-
hören des Windes? Im Gegenteil, wenn der Wind sich gelegt hat,
ja wenn die Segel schon gestrichen sind, sieht man das Schiff noch
gauze Miglien weit sich fortbewegen.
Salv. Aber das spricht ja gegen Euch, Signore Simplicio; denn
[204. 205.] Zweiter Tag. 195
ist die Luft ruhig, welche vorher gegen die Segel blies und so das
Schiff trieb, so verharrt dieses jedenfalls ohne Mitvs^irkung des Mediums
in seiner Fahrt.
Simpl. Man könnte sagen, das Wasser sei dasjenige Medium,
welches das Schiff treibt und seine Bewegung im Gange erhält.
Salv. Gewifs könnte man das sagen, wenn man das Gegenteil
von dem, was richtig ist, sagen wollte. Denn in Wirklichkeit ist es
gerade das Wasser, welches durch seinen grofsen Widerstand gegen
die Durchdringung von selten des Schiffsrumpfes unter lautem Brausen
sich entgegenstemmt und ihm nur über eine kleine Strecke hin die
Geschwindigkeit vergömit, die ihm der Wind verleihen würde, wenn
das Wasser nicht hindernd im Wege stünde. Ihr müfst niemals darauf
geachtet haben, Signore Simplicio, mit welcher Heftigkeit das Wasser
die Barke bespült, während sie von den Rudern oder dem Winde rasch
dahin getrieben durch stehendes Wasser fährt. Denn hättet Ihr Euch
diese Erscheinung angesehen, so käme es Euch jetzt nicht bei, solche
Nichtigkeiten anzuführen. Ich komme zur Einsicht, dafs Ihr bis jetzt
zu der Herde derer gehört habt, die, um zu erfahren, wie solcherlei
Dinge zugehen, und um Kenntnisse von Naturerscheinimgen sich an-
zueignen, sich nicht um Schiffe, Armbrust und Kanone kümmern,
sondern sich ins Studierzimmer zurückziehen, Indices und Lexica
durchblättern, um nachzusehen, ob Aristoteles nichts darüber gesagt
hat. Haben sie sich dann des wirklichen Sinnes der Stelle verge-
wissert, so verlangen sie nach nichts Weiterem und glauben nicht, dafs
man <larüber sonst noch etwas wissen könne.
Sagr. Wie glücklich, wie beneidenswert sind sie doch! Denn ^rofses benei-
, , . . denswertes
wenn jeder von dem natürlichen Drange nach Erkeimtuis beseelt ist, <|'"ck derer,
" 0 7 (]je sicli ein-
und wenn das Sein nicht glücklicher macht, als der Glaube an dieses reden aiies zu
o ' wissen.
Sein, so erfreuen sie sich eines köstlichen Gutes. Sie können sich
einreden, sie vei-stünden und wüfsten alles und zwar auf Kosten derer,
die nicht zu wissen glauben, was sie nicht wirklich wissen, und die folg-
lich einsehen, wie sie noch nicht einmal ein winziges Bruchstück des
Erkennbaren erkannt haben, die sich abquälen mit Nachtwachen und
Untersuchungen, die unsäglich mühevolle Versuche und Beobachtungen
anstellen. — Aber bitte, kehren wir zu unseren Vögeln zurück. In
Bezug darauf habt Ihr behauptet, dafs die mit gröfster Geschwindig-
keit bewegte Luft ihnen den Teil der täglichen Bewegmig wiederer-
setzen kann, der ilinen bei ihrem lustigen Hin- imd Herfliegen verloren
gegangen sein mag. Darauf entgegne ich, dafs die bewegte Luft
meines Bedünkens einem festen schweren KJh-per nicht eine solche
Geschwindigkeit zu (^-teilen vermag, wie sie selbst sie besitzt. Da
1:5*
196 Dialog über die Weltsysteme. [205. 206.]
nun die GescliAvindigkeit der Luft gleich der der Erde ist, so scheint
die Luft nicht ausreichend, um den Verkist, den die Geschwindigkeits-
abnahuie bei dem Fkige der Vögel bedingt, Avieder zu ersetzen.
Salv. Euere Überlegung hat anscheinend viel Wahrscheinliches,
und sachgemäfse Bedenken aufzuwerfen ist nicht Sache von Dutzend-
geisteru. Gleichwohl glaube ich, dafs nach Beseitigung des bestechenden
Scheines Euer Zweifel in Wirklichkeit nicht im mindesten mehr von
Belang ist als alle früher in Betracht gezogenen und widerlegten Be-
denken.
Sagr. Es ist nicht im geringsten zweifelhaft, dafs, wenn der
Einwand nicht stichhaltig ist, sein Wert absolut gleich Null ist. Denn
weiui eine strenge Beweisführung nur zu diesem einen Ergebnis
führt, so läfst sich für den entgegengesetzten Standpunkt kein Grimd
anführen, der etwas taugte.
Salv. Dafs Euch dieser Einwand mehr zu schaffen macht als
die anderen, rührt wohl daher, dafs die Vögel lebendige Wesen sind
und darum nach Belieben gegen die ursprüngliche, allen irdischen
Dingen anhaftende Bewegung anzukämpfen vermögen. Gerade so sehen
wir sie ja auch bei Lebenszeiten in die Höhe fliegen, was ihnen als
schweren Körpern unmöglich sein würde, während sie nach ihrem
Tode nur abwärts fallen können. Darum meint Ihr, dafs die Gründe,
die bei allen anderen Arten obengenannter Körper mafsgebend sind,
hier nicht von Belang seien. Das ist auch völlig richtig, und weil es
richtig ist, eben darum beobachtet man auch ein ganz anderes Ver-
halten bei jenen geschleuderten Körpern als bei den Vögeln. Denn
lafst Ihr von der Spitze eines Turmes einen toten und einen lebenden
Vogel fallen, so wird der tote sich verhalten wie ein Stein; er wird
erstens die allgemeine tägliche Bewegung ausführen, sodann aber die
Abwärtsbewegung infolge seiner Schwere. Ist aber der losgelassene
Widerlegung Yocfel lebendig, was hindert ihn, sich durch seinen Flügelschlag nach
desjenigen Em- O »' ' .
di^^Bewrun" jeder beliebigen Himmelsrichtung hinzuarbeiten, ohne dafs dabei die
tfch^Iuf'dtr tägliche Bewegung in ihm aufhörte? Diese neue Bewegung, als ihm
^°"z^ht. ^^' eigentümlich und nicht von ims geteilt, mufs uns bemerkbar werden.
Wenn er vermöge seines Fliegens sich gegen Westen bewegt hat, was
sollte ihn daran hindern können, vermöge nochmaligen Flügelschlags
auf den Turm zurückzukehren? Denn schliefslich bestand doch der
westlich gerichtete Flug nur darin, dafs von der täglichen Bewegung,
die etwa zehn Grad Geschwindigkeit besitzen mag, ein einziger Grad
in Abzug kam, so dafs dem Vogel während des Flugs insgesamt neun
Grad verblieben. Hat er sich auf die Erde niedergelassen, so hat er
dann wieder die allgemeine Geschwindigkeit von zehn Grad erlaugt;
[206. 207.] Zweiter Tag. 197
zu diesen kami er durch ostwärts gericlitetes Fliegen eiueu Grad hiu-
zufügeii und mit einer Geschwindigkeit von elf Grad auf den Turm
zurückkehren. Kurz, wenn wir die Sache wohl überlegen und etwas
tiefer blicken, so unterscheiden sich die Erscheinungen des Vogelflugs
in nichts von den Erscheinungen bei Körpern, die nach beliebigen
Himmelsrichtungen geschleudert werden, ausgenommen, dals diese von
einer äufseren Kraft in Bewegung gesetzt werden, jene von einem
inneren Princip. — Hier scheint es mir nvm angebracht, um dem Nach-
weise der Nichticfkeit aller angeführten Versuche die Krone aufzusetzen, versuch, der
. . . . ... aUeiu die
dafs ich die Art und Weise zeige, wie sie sämtlich mit leichtester^'ichtigkeitaiier
_, . . pegcu die Erd-
Mühe durchprobiert werden können."") Schliefst Euch in Gesellschaft be^^eguDg an-
-■- ' gefuurteu v er-
eines Freundes in einen möglichst grofsen Raum imter dem Deck eines ^"'^^"^ darthut.
grofsen Schiffes ein. Verschafft Euch dort Mücken, Schmetterlinge
und ähnliches fliegendes Getier; sorgt auch für ein Gefäfs u)it Wasser
und kleinen Fischen darin; hängt ferner oben einen kleinen Eimer auf,
welcher tropfenweise Wasser in ein zweites enghalsiges darimter gestelltes
Gefafs träufeln läfst. Beobachtet nun sorgfältig, solange das Schiff' stille
steht, wie die fliegenden Tierchen mit der nämlichen Geschwindigkeit
nach allen Seiten des Zimmers fliegen. Man ward sehen, wie die
Fische ohne irgend welchen •- Unterschied nach allen Richtungen
schwimmen; die fallenden Tropfen werden alle in das untergestellte
Gefäfs fliefsen. Wenn Ihr Euerem Gefährten einen Gegenstand zu-
werft, so braucht Ihr nicht kräftiger nach der einen als nach der
anderen Richtimg zu werfen, vorausgesetzt, dafs es sich um gleiche
Entfernungen handelt. Wenn Ihr, wie man sagt, mit gleicheii Füfseu
einen Sprung- macht, werdet Ihr nach jeder Richtung hin gleichweit
gelangen. Achtet darauf, Euch aller dieser Dinge sorgfältig zu ver-
gewissern, wiewohl kein Zweifel obwaltet, dafs l)ei ruhendem Schiffe
alles sich so verhält. Nun lafst das Schiff* mit jeder beliebigen Ge-
schwindigkeit sich bewegen: Ihr werdet — wenn nur die Bewegung
gleichförmig ist und nicht hier- und dorthin schwankend — bei allen
genannten Erscheinungen nicht die geringste Veränderung eintreten
sehen. Aus keiner derselben werdet Ihr entnehmen kömien, ob das
Schiff fährt oder stille steht. Beim Springen werdet Ihr auf den
Dielen die nämlichen Strecken zurücklegen wie vorher, und wiewohl
das Schifi' aufs schnellste sich beAvegt, könnt Ihr keine gröfseren
Sprünge nach dem Hinterteile als nach dem Vorderteile zu macheu:
und doch gleitet der miter Euch befindliche Boden während der Zeit,
wo Ihr Euch in der Luft befindet, in entgegengesetzter Richtimg zu
Euerem Sprunge vorwärts. Wemi Ihr Euerem Gefährten einen Gegen-
stand zuwerft, so braucht Ihr nicht mit gröfserer Kraft zu werfen, damit
198 Dialog über die Weltsysteme. [207. 208.]
er ankomme, ob uim der Freuucl sich, im Vorderteile imd Ihr Euch im
Hiuterteile befindet oder ob Ihr umgekehrt steht. Die Tropfen werden
wie zuvor in das untere Gefäfs fallen, kein einziger wird nach dem
Hinterteile zu fallen^ obgleich das Schiff, während der Tropfen in der
Luft ist, viele Spannen zurücklegt. Die Fische im Wasser werden
sich nicht mehr anstrengen müssen, um nach dem vorangehenden
Teile des Gefafses zu schwimmen als nach dem hinterher folgenden;
sie werden sich vielmehr mit gleicher Leichtigkeit nach dem Futter
begeben, auf welchen Punkt des Gefäfsraudes man es auch legen mag.
Endlich werden auch die Mücken imd Schmetterlinge ihren Flug ganz
ohne Unterschied nach allen Richtungen fortsetzen. Niemals wird es
vorkommen, dafs sie gegen die dem Hinterteil zugekehrte Wand ge-
drängt werden, gewissermafseu müde von der Anstrengung dem schnell-
fahrenden Schiffe nachfolgen zu müssen, und doch sind sie während
ihres langen Aufenthaltes in der Luft von ihm getrennt. Verbrennt
man ein Korn Weihrauch, so wird sich ein wenig Rauch bilden, man
wird ihn in die Höhe steigen, wie eine kleine Wolke dort schweben
und imterschiedslos sich . nicjit mehr nach der einen als nach der
anderen Seite hin bewegen sehen. Die Ursache dieser Übereinstim-
mung aller Erscheinungen liegt darin, dafs die Bewegung des Schiffes
allen darin enthaltenen Dingen, auch der Luft, gemeinsam zukommt.
Darum sagte ich auch, man solle sich unter Deck begeben-, denn oben
in der freien Luft, die den Lauf des Schiffes nicht begleitet, würden
sich mehr oder weniger deutliche Unterschiede bei einigen der ge-
nannten Erscheinungen zeigen. So würde unzweifelhaft der Rauch
ebensoweit zurückbleiben wie die Luft selbst. Desgleichen würden die
Mücken imd Schmetterlinge, von der Luft behindert, der Bewegung
des Schiffes nicht folgen können, wenn sie sich von ihm um ein be-
trächtliches Stück entfernten; halten sie sich aber in der Nähe, so
würden sie unbehindert und ohne Anstrengung dem Schiffe nach-
kommen, weil es, als ein unregelmäfsig geformtes Bauwerk, die be-
nachbarten Teile der Luft mit sich führt. Aus ähnlichen Gründen sehen
wir bisweilen, wie die lästigen Mücken und Bremsen scharf trabenden
Pferden nachfolgen imd sich bald auf diesen, bald auf jenen Körperteil
niederlassen. Bei den fallender} Tropfen hingegen würde der Unter-
schied ganz geringfügig sein, beim Springen und beim Werfen schwerer
Körper sogar völlig unmerklich.
Sagr. Obgleich es mir zur See niemals in den Sinn gekommen
ist, die genannten Beobachtungen eigens zu diesem Zwecke anzustellen,
so bin ich doch mehr als gewifs, dafs sie zu dem angeführten Er-
gebnis führen. So z. B. weifs ich noch, dafs ich mich in meiner
[208. 209.] Zweiter Tag. 199
Kajüte hundertmal gefragt habe, ob das Schiff fahre oder stille stehe-,
und manchmal habe ich, in Gedanken vertieft, geglaubt, es gehe in
der einen Richtung, während es sich nach der entgegengesetzten be-
wegte. Darum bin ich nunmehr völlig zufrieden gestellt und fest über-
zeugt von der Bedeutungslosigkeit aller Versuche, die angeblich mehr
gegen als für die Umdrehung der Erde sprechen sollen. — Es bleibt
mm noch der Einwand zu erledigen, der sich auf die Erfahrung
gründet, dafs durch rasche Drehung Gegenstände, welche an einer
rotierenden Maschine haften, fortgeschleudert werden und wegfliegen.
Darum meinten viele, unter anderen Ptolemäus, wenn die Erde sich
mit solcher Geschwindigkeit um sich selber drehe, so müfsten
Steine und Tiere bis an die Sterne geschleudert werden, die Ge-
bäude könnten durch keinen noch so zähen Mörtel mit dem Fimda-
mente derart verbimden werden, dafs sie vor einem solchen Verderben
geschützt würden.
Salv. Bevor ich zur Widerlegung dieses Eüiwaudes schreite, kann
ich nicht umhin, von einer Beobachtimg zu sprechen, die ich tausend-
mal gemacht habe, imd die stets meine Heiterkeit erregte; sie bezieht
sich auf den Eindruck, den fast alle Menschen haben, wenn sie zum
ersten Male von jener Bewegung der Erde reden hören. Sie hatten
dieselbe bisher für fest und unbeweglich gehalten, so dafs sie
nicht nur au dieser Ruhe niemals gezweifelt haben, sondern auch fest
überzeugt waren, alle anderen Menschen hätten sie gleich ihnen für
unbeweglich von Anbeginn gehalten, und so sei sie auch die ver-
flossenen Jahrhunderte hindurch gewesen. In dieser Ansicht befangen
stutzen sie dann, wenn sie hören, es schreibe ihr jemand Beweglich-
keit zu: als ob er thörichterweise dächte, nachdem er sie für unbe- Thorheit man-
cher Leute,
weglich gehalten, dafs sie sich dami imd nicht früher in Bewegung^eic''« R'a.»»^eu,
o o ' ^ '^ a jje Erde habe
gesetzt habe, als bis Pythagoras oder sonst wer zuerst behauptete, si« ^^ fewT'^n ' au
bewege sich. Nun wundere ich mich ja nicht, wenn ein so thörichter tehaup°eu%^e-
Gedanke in den Köpfen gemeiner Leute von oberflächlicher Sinnesart ^Ji"h' bewege.^
Platz greifen kann — der Gedanke nämlich, dafs die Anhänger der
Lehre von der Erdbewegung meinten, die Erde hätte seit ihrer
Schöpfung bis auf die Zeit des Pythagoras stille gestanden und wäre
erst in Bewegung geraten, als Pythagoras diese Ansicht aufstellte.
Dafs aber ein Aristoteles und ein Ptolemäus diesen schülerhaften
Schnitzer sich zu schulden kommen liefsen, scheint mir in der That
eine höchst verwuiulerliche und unentschuldbare Naivetät.
Sagr. Ihr meint also wirklich, Signore Salviati, Ptolemäus halt«
es für nötig, das Stillestehen der Erde Leuten gegenüber zu vertei-
digen, welche zugebeu, sie habe bis zur Zeit des .Pythagoras stille ge-
200 Dialog über die Weltsysteme. [209. 210.]
standen imd sei erst dann in Bewegung geraten, als Pytliagoras ihr
diese Bewegung zuschrieb?
Salv. Man kaim nicht wohl anders annehmen, wenn man sich
die Art und AVeise genauer ansieht, wie er gegen ihre Behauptung
ankämpft. Seine Gegengrüude bestehen in dem Hinweis auf die Zer-
Aristoteies und Störung vou Bauteu, auf das Wegfliegen von Steinen, Tieren, ja
scheinen die Meuschen gegen den Himmel hin. Da aber eine solche Vernichtung,
solchen Leuten q[^ solches Fortschleudem von Gebäuden und Tieren nur möglich
ges euüber zu • t t n i- t-\ i
bekämpfen, die j^f wenn vorher welche auf Erden vorhanden sind, und auf die Erde
glauben, dafs ' ' ^
die Erde, nach- ^^^^ dauu Mcuschen besetzt und Gebäude auf ihr errichtet werden
dem sie lange o
^suVdin^zur' könueii, wenn sie stille steht, so wendet sich Ptolemäus oöenbar gegen
^gora^s^sicrin' diejenigen, welche für eine gewisse Zeit der Erde Unbeweglichkeit
""seufiTabe^'" zugestehcu, nämlich für die Zeit, wo Tiere, Steine und Bauleute auf
ihr verweilen und Paläste und Städte erbauen konnten, und welche
nun plötzlich die Erde sich bewegen lassen, was dann zur Zerstörung
und Vernichtung der Bauten, Tiere u. s. av. führt. Denn wäre seine
Absicht gewesen, gegen die Ansicht zu streiten, wonach die Erde von
ihrer Schöpfung an eine solche Drehung besitzt, so hätte er seine
Widerlegung folgendermafsen formulieren müssen: Hätte die Erde sich
von jeher bewegt, so wäre es niemals möglich gewesen, auf sie Tiere,
Menschen oder Steine zu setzen, geschweige denn, Gebäude zu er-
richten, Städte zu gründen u. s. w.
Slmpl. Ich verstehe nicht recht, worin das Unaugemessene bei
Aristoteles und Ptolemäus liegen soll.
Salv. Ptolemäus argumentiert entAveder gegen diejenigen, Avelche
die Erde für beweglich von jeher gehalten, oder gegen den, der glaubt,
sie habe eine Zeitlang 'stille gestanden und habe sich erst später in
Bewegu.ng gesetzt. Im ersten Falle hätte er sagen müssen: die Erde
hat sich nicht von jeher bewegt, demi sonst hätte es auf Erden nie-
mals Menschen, Tiere, Bauten gegeben, die Rotation der Erde würde
ein Verweilen auf ihr nicht gestattet haben. Nun sagt er aber bei
seiner Argumentation so: die Erde bewegt sich nicht, weil Tiere,
Menschen und Bauten, welche bereits vorhanden sind, fortgeschleudert
würden. Also nimmt er an, die Erde habe sich einmal in einem Zu-
stande befunden, der Tieren und Meuschen den Aufenthalt mid eine
Bauthätigkeit gestattete. Dies hat zur Folge, dafs sie eine Zeitlang
fest gestanden haben mufs, also geeignet war für das Verweilen von
Tieren und das Erbauen von Häusern. Versteht Ihr jetzt, was ich
habe sagen wollen?
Simpl. Ich verstehe es und verstehe es auch nicht, dies beein-
trächtigt aber die Güte der Sache wenig. Ein Schnitzer des Ptolemäus,
[210.211.] Zweiter Tag. 201
der aus Unachtsamkeit begangen worden ist, vermag nicht die Erde
in Bewegung zu versetzen, wenn sie unbeweglich ist. Doch lassen
wir die Spülse und l:>eschäftigen wir uns mit dem Nerv des, wie mir
scheint, unwiderleglichen Beweises.
Salv. Und ich, Signore Simi^licio, will den Knoten noch fester
schürzen, noch enger ziehen, indem ich der sinnlichen Wahrnehmung
noch näher bringe, wie richtig es ist, dafs schwere Körper, welche
rasch um ein festes Centrum geschwungen werden, den Trieb empfangen,
sich von diesem Centrum zu entfernen, selbst wenn sie von Natur die
Neigung haben, sich nach ihm hinzubegeben. '''') Man binde an das
Ende einer Schnur einen kleinen, mit Wasser gefüllten Eimer. Das «chnciie Rota-
tiou vermag ein
andere Ende halte man fest in der Hand, mache sodann Arm und i'^ortschieudem,
' ein Zetstreueu
Schnur zum Halbmesser, das Schultergelenk zum Mittelpunkt, und ^" bewirken,
lasse um dieses das Gefäfs sich rasch bewegen, so dafs es einen Kreis
beschreibt. Die Ebene desselben mag horizontal oder vertikal oder
beliebig geneigt sein: in keinem Falle wird das Wasser aus dem Ge-
fäfse laufen. Im Gegenteil, derjenige, der es schwingt, wird fühlen,
wie die Schnur einen Zug ausübt und sich von der Schulter zu ent-
fernen strebt. Macht man in den Boden des Eimers ein Loch, so
wird man beobachten, wie das*" Wasser ebenso sehr gen Himmel
herausspritzt, wie seitlich und nach der Erde hin. Bringt mau statt
des Wassers Steine hinein und schwingt auf dieselbe Weise, so wird
man auch in diesem Falle die gewaltsame Spannung der Schnur fühlen.
Endlich sieht man, wie Kinder dadurch Steine in grofse Entfernungen
schleudern, dafs sie ein Rohr im Kreise schwingen, an dessen äufserem
Ende der Stein eingeklemmt ist. Das alles sind Beweise für die
Richtigkeit der Behauptung, dafs nämlich die Rotation dem Körper
einen Antrieb nach der Peripherie hin erteilt, sobald die Bewegung-
rasch ist. Wenn nun die Erde sich um sich selber drehte, so würde
die Bewegung der Oberfläche, namentlich in der Nähe des Äquators,
unvergleichlich viel schneller sein als die genannten und sie müfste
demnach alles gen Himmel schleudern.
Simpl. Der Einwand ist meiner Ansicht nach wohlbegründet und
sehr gewichtig. Es müfste meines Bedünkens sonderbar zugehen^
wemi es Euch gelänge, ihn zu beseitigen und zu widerlegen.
Salv. Die Widerlegung setzt die Bekanntschaft mit einigen That-
sachen voraus, die Ihr ebenso gut wifst und für richtig haltet wie
ich. Ihr denkt aber nicht an sie, darum seht Ihr nicht, wie zu ver-
fahren sei. Ohne dafs ich sie Euch also erst lehre — Ihr wifst sie
ja bereits — werde ich sie Euch blofs in Erinnerung In-ingen mid so
bewirken, dafs Ihr selbst den Einwand Aviderlegt.
202 Dialog über die Weltsysteme. [211. 212. J
Simpl. Ich habe mehrfticli auf Euere Weise zu diskutieren meiii
Augenmerk gerichtet, und bin dadurch zu der Meinung veraulalst,
isrn^eiTpirtu ^'^^^ •^^' ^^^ Platonischen Ansicht zuneigt, dafs nostrum scire sit qiioä-
wrede'^eriune- ^^'^"^ rcminisci. ^'') Darum benehmt mir, bitte, diesen Zweifel und sagt
ru"g- jjiir, wie Ihr darüber denkt.
Salv. Was ich von der Ansicht Piatos denke, kann ich Euch
einerseits mit Worten, andererseits aber auch durch Handlungen kund
thmi. Bei den bisher gepflogenen Diskussionen habe ich schon des
öfteren meine Ansicht zu erkennen gegeben. Dieselbe Methode werde
ich auch im vorliegenden Falle befolgen. Ihr werdet dann später an der
Hand dieses Beispieles leichter verstehen können, wie ich mir die
Aneignimg von Erkenntnis denke, vorausgesetzt, dafs wir an einem
anderen Tage Zeit finden und es Signore Sagredo nicht langweilt,
eine solche Abschweifung zu machen.
Sagr. Es wird mir sogar sehr angenehm sein; denn ich erinnere
mich, dafs ich zu der Zeit, wo ich Logik studierte, niemals den viel-
gerühmten vorzüglichen Beweis des Aristoteles habe verstehen können.
Salv. Fahren wir also fort; Signore Simplicio mag so gut sein,
mir zu sagen, welche Bewegung das in die Kerbe des Rohres einge-
klemmte Steinchen ausführt, während der Knabe es schwingt, um es
in die Ferne zu schleudern.
Simpl. Solange der Stein sich in der Kerbe befindet, ist seine
Bewegung kreisförmig; er bewegt sich nämlich längs eines Kreisbogens,
dessen fester Mittelpunkt das Schultergelenk und dessen Ivadius das
Rohr nebst dem Arme ist.
Salv. Wenn nun der Stein aus dem Rohre herausfährt, wie be-
wegt er sich dann? Setzt er seine frühere kreisförmige Bahn fort
oder bewegt er sich längs einer anderen Linie?
Simpl. Keineswegs fährt er in seiner drehenden Bewegung fort;
denn sonst würde er sich von der Schulter des Schleudernden nicht
entfernen, während man doch sieht, wie er weit weg fliegt.
Salv. In welcher Weise bewegt er sich also?
Simpl. Lafst mich ein wenig nachdenken, denn ich habe mir
noch niemals die Sache überlegt.
Salv. Signore Sagredo, merkt genau auf, wie hier das quoddam
rcnimisci, Avenn man es nur richtig deutet, zum Vorschein kommt.
Ihr denkt lange nach, Signore Simplicio.
Die vom Simpl. Meiner Meinung nach kann die Bewegung beim Verlassen
Schleudernden i t- / . » ö
eingepräste Be- der Kerbe nur eine geradlinige sein; ia sie mufs notwendig geradlinig
wegung kann ... , ^ O 7 J » o O
nur geradlinig sciu, uisofem CS sich blofs Um deii neu hinzutretenden Antrieb handelt.
sein. T-i 1 •
Es machte mich der umstand etwas irre, dafs man den Stein einen
[212. 2VS.] Zweiter Tag. 203
Bogeu beschreibeu sieht; da aber dieser stets nacli uiiteu gekrümmt
ist, niemals uach eiuer anderen Richtung, so sehe ich ein, dafs diese
Abweichung durch die Schwere des Steines bedingt ist, die ihn von
Natur nach unten zieht. Der eingeprägte Antrieb ist geradlinig, be-
haupte ich unbedingt.
Salv. Aber längs Avelcher geraden Linie ist er gerichtet? Denn
man kann unendlich viele gerade Linien nach allen möglichen Rich-
tungen von der Kerbe des Rohrs und von dem Pimkte aus ziehen, wo
der Stein das Rohr verläfst.
Simpl. Er bewegt sich längs der geraden Linie, welche ebenso
gerichtet ist, wie die Bewegung des Steines mit dem Rohre.
Salv. Ihr habt bereits hervorgehoben, dafs die Bewegung des
Steines, während er in der Kerbe steckte, kreisförmig gewesen ist.
Der Begriff des Kreises und der der Richtung widersprechen sich aber,
da an einer Kreislinie kein Stück gerade ist.
Simpl. Ich meine nicht, dafs die Schleuderbewegung in Richtung
der gesamten kreisförmigen erfolgt, sondern in der des letzten Punktes,
bei welchem die kreisförmige Bewegung aufhörte. Ich weifs ganz wohl,
was ich meine, aber ich kann mich nicht gut ausdrücken.
Salv. Auch ich merke, dafs Ihr die Sache versteht, es stehen
Euch nur die richtigen Bezeichnungen nicht zu Gebote, um Euch aus-
drücken zu können. Nun, diese kann ich allerdings Euch lehren, also
Worte lehren, aber nicht Wahrheiten, welche thatsächliche Bedeu-
tung haben. Um es Euch mit Händen greifen zu lassen, dafs Ihr die
Sache wifst, dafs Euch blofs die Worte fehlen sie auszudrücken, sagt
mir: wemi Ihr eine Kugel aus der Büchse schiefst, nach welcher Rich-
tung erhält sie einen Antrieb sich zu bewegen?
Simpl, Sie erhält den Autrieb längs derjenigen geraden Linie
sich zu bewegen, welche die Richtung des Laufes fortsetzt, d. h. welclie
weder nach rechts noch nach links, weder nach oben noch nach luiten
abweicht.
Salv. Mit anderen Worten, welche keinen Winkel mit der gerad-
linigen im Rohre stattfindenden Bewegung bildet.
Simpl. Das habe ich sagen wollen.
Salv. AVemi nun also die Bewegung des geschleuderten Steines
sich fortsetzen soll, ohne einen Winkel mit der Kreislinie zu bilden,
welche er zuvor in der Hand des Schleudernden beschrieb, und wemi
diese Bewegung in eine geradlinige übergehen soll, welches mufs dann
diese gerade Linie sein?
Simpl. Es kann nur die gerade Linie sein, die den Kreis im
Treunungspunkte berührt. Denn alle anderen scheinen mir verlängert.
204 Dialog über die Weltsysteme. [213. 214.]
die Peripherie zu schueitleu und würden deshalb einen Winkel mit
ilir einschliefsen.
Salv. Ihr habt Euere Sache vortrefflich gemacht und Euch als
ein halber Mathematiker bewiesen. Behaltet also im Gedächtnis, dafs
Euere wahre Ansicht sich in folgenden Worten ausdrücken läfst: Der
geschleuderte Körper empfängt den Antrieb sich längs der Tangeute
des Bogens zu bewegen, welchen der schleudernde Körper beschreibt,
und zwar längs der Tangente in demjenigen Punkte, wo der geschleu-
derte Körper sich von dem schleudernden trennt.
Simpl. Ich verstehe sehr wohl; das ist es, was ich sagen wollte.
Salv. Welcher Punkt einer den Kreis berührenden Linie liegt
nun dem ]\Iittelj)imkte dieses Kreises von allen am nächsten?
Simpl. Der Berührungspunkt ohne Zweifel. Denn er liegt auf
der Peripherie, alle anderen hingegen aufserhalb derselben; die Punkte
der Peripherie aber sind alle gleich weit vom Mittelpunkte entfernt.
Salv. Wenn also ein Körper vom Berührungspunkte aus sich
bewegt, imd zwar längs der Tangente, so entfernt er sich beständig
soAvohl vom Berührimgspunkte als vom Mittelpmikte des Kreises.
Simpl. Gewifs, so ist es.
Salv. Wenn Ihr nun die von Euch ausgesprochenen Ergebnisse
im Gedächtnis behalten habt, stellt sie zusammen und sagt mir, was
sich daraus schliefsen läfst.
Simpl. Ich glaube doch nicht so vergefslich zu sein, dafs ich
mich ihrer nicht zu entsinnen wüfste. Aus dem bisher Angeführten
Ein geschieu- ergicbt sich, dafs ein geschleuderter Körper, wejcher von dem 8chleu-
beweKt sich derndcu schnell im Kreise bewegt wird, in dem Augenblicke, wo er
längs der Tau- O 7 o 7
gente der gich vou dicscm eutfemt, den Autrieb empfängt, seine Bewegung längs
frülieren Kreis- ' j o 7 o cy o
bahn im Tren- einer geraden Linie fortzusetzen, welche den beim Schleudern beschrie-
uungspuukte. ö } ^
benen Kreis im Trennungspunkte berührt; hierdurch entfernt sich der
geschleuderte Körper mehr und mehr von dem Mittelpunkte des Kreises,
den er während des Schleuderns beschrieben hat.
Salv. Ihr wifst also jetzt den Grund, warum schwere Körper,
welche an dem Umfange eines schnell bewegten Rades haften, wegge-
schleudert werden imd über die Peripherie hinaus immer weiter vom
Centrum fortfliegen.
Simpl. Das glaube ich sehr wohl zu verstehen. Durch diese neue
Erkenntnis aber wird mein LTnglauben, dafs sich die Erde mit solcher
Geschwindigkeit im Kreise drehen kömie, ohne Steine, Tiere u. s. w.
fortzuschleudern, eher vermehrt als vermindert.
Salv. Ganz ebenso, Avie Ihr das Bisherige gewufst habt, werdet
Ihr auch das noch Fehlende wissen, oder wifst es vielmehr" schon.
[214. 215.] Zweiter Tag. 205
Wemi Ihr darüber iiaclidächtet, würdet Ihr auch ohne meine Hilfe
darauf kommen, der Kürze halber will ich Euch aber darauf verhelfen.
Bisher wufstet Ihr von selbst, dafs die Kreisbewegung des Schleu-
dernden dem geschleuderten Körper einen Antrieb mitteilt — sobald
sie sich von einander trennen — sich längs der Tangente der kreis-
förmigen Bahn im Trennungspunkte zu bewegen; indem er seine Be-
wegung längs dieser fortsetzt, entfernt er sich dann mehr und mehr
von dem Schleudernden. Ihr habt ferner gesagt, dafs er längs dieser
fortfahren würde sich zu bewegen, wenn nicht infolge seines eigenen
Gewichtes ein Antrieb nach unten hinzukäme, durch welchen die
Krümmung der Flugbahn hervorgerufen wird. Auch scheint Ihr von
selbst gewufst zu haben, dafs diese Biegung stets nach dem Mittel-
punkte der Erde strebt, weil dorthin alle schweren Körper streben. —
Jetzt gehe ich einen Schritt weiter und frage Euch: wird der Körper
nach der Trennung bei Fortsetzung seiner geradlinigen Bewegung sich
stets gleichförmig vom Centrum oder, wenn Ihr wollt, von der Peri-
pherie jenes Kreises entfernen, von welchem die vorangehende Be-
wegung ein Teil war? Denn wenn ein Körper von dem Berührungs-
punkte der Tangente aus sich bewegt und zwar dieser Tangente ent-
lang, so kommt es auf dasselbe hinaus, ob man sagt, er entferne sich
gleichförmig vom Berührungspunkte oder vom Mittelpunkte des Kreises,
nicht wahr?
Simpl. 0 nein! Denn die Tangente entfernt sich in der Nähe
des Berührungspunktes aufserordentlich wenig von der Peripherie, mit
welcher sie einen unendlich kleinen Winkel einschliefst.*''*) Mit zu-
nehmender Entfernung aber wächst die Entfernung von ihr in stets
gröfserem Verhältnis. In einem Kreise z. B., der zehn Ellen im
Durchmesser hat, wird ein Punkt der Tangente, der zwei Spannen
weit vom Berührungspunkte entfernt ist, drei bis viermal weiter von
der Peripherie entfernt sein, als ein Punkt, der von der Kontaktstelle
blofs eine Spamie Abstand hat; und ein Punkt der Tangente, der eine
halbe Spanne entfernt ist, wird meiner Meinung nach ebenfalls kaum
den vierten Teil so weit entfernt sein, als der zweite Punkt. In der
Nähe der Berührungsstelle, in einem Abstände von etwa em bis zwei
Zoll, würde kaum wahrzunehmen sein, dafs die Tangente von der
Peripherie verschieden ist.
Salv. Also ist die Entfernung des geschleuderten Körpers von
der Peripherie der vorher zurückgelegten kreisförmigen Bahn am An-
fange ganz winzig?
Simpl. Fast unmerklich. »
Salv. Sagt mir nun, bitte: der goschleudorto Körper, welcher
206 Dialog über die Weltsysteme. . [215. 216.]
infolge der Schleuderbewegimg den Autrieb erhält, sich längs der
Tangente zu bewegen^ und der sich auch wirklich ihr entlang bewegen
würde, wenn das eigene Gewicht ihn nicht nach unten zöge, wie lange
nach der Trennung beginnt er nach unten abzuweichen?
Simpl. Ich glaube, dafs er sofort damit beginnt. Denn da nichts
vorhanden ist, was ihn stützen könnte, so ist es unmöglich, dafs sich
sem eigenes Gewicht nicht geltend machen sollte.
Salv. Wenn folglich jener Stein, der von dem rasch umgedrehten
geschieuTerter Radc wcggeschlcudert wird, ebenso den natürlichen Hang hätte, sich
"gieToh ufch nach dem Mittelpunkte besagten Rades zu bewegen, wie er in Wirk-
vonXm'^schreu^lichkeit dcu Hang hat, sich nach dem Mittelpunkte der Erde hin zu
abweichende bewcgeu, SO wärc CS Icicht möglich, dafs er zu dem Rade zurückkehrte
Richtung einzu- . t-v i -n •
schlagen, oder Vielmehr sich gar nicht von ihm entfernte. Denn da zu Begmn
der Trennung die Entfernuug wegen der unendlichen Spitzigkeit des
Berührimgsvtdnkels so aufserordentlich winzig ist, so würde jeder noch
so geringe Trieb nach dem Centrum des Rades ausreichen, um ihn
auf der Peripherie zurückzuhalten.'''')
Simpl. Unter der unzutreifenden und unmöglichen Voraussetzung,
dafs der Trieb der schweren Körjier nach dem Centrum des Rades
gerichtet ist, würden dieselben unzweifelhaft nicht gewaltsam wegge-
schleudert werden oder fortfliegen.
Salv. Auch ich setze keineswegs voraus und habe keine Veran-
lassung vorauszusetzen, was thatsächlich nicht der Fall ist; denn ich
stelle gar nicht in Abrede, dafs die Steine weggeschleudert werden.
Ich bediene mich dieser Voraussetzung nur, damit Ihr das noch
Fehlende ohne Schwierigkeit angeben könnt. — Stellt Euch nun vor,
die Erde sei das grofse Rad, welches, mit solcher Geschwindigkeit
gedreht, die Steine wegschleudern sollte. Nun habt Ihr mir ja sehr
schön zu sagen gewufst, dafs die Bahn des geschleuderten Körpers
längs der geraden Linie gerichtet ist, welche die Erde im Trennuugs-
punkte berührt. In welchem Betrage wird sich nun diese Tangente
von der Erdoberfläche entfernen?
Simpl. Ich glaube auf tausend Ellen noch keinen Zoll.
Salv. Der geschleuderte Körper aber weicht von der Taugeute
nach dem Mittelpunkte der Erde hin ab, sagt Ihr; nicht wahr?
Simpl. Ich habe es gesagt und sage noch mehr. Ich begreife
vollständig, dafs der Stein sich nicht von der Erde trennen wird.
Denn seine Entfernung nähme anfangs so aufserordentlich wenig zu,
dafs der Trieb nach dem Erdmittelpunkte tausendfach überwiegen
würde. Dieser Mittelpunkt ist aber im vorliegenden Falle zugleich
der Mittelpmikt des Rades. Daher mufs man in der That einräumen.
[216. 217.] Zweiter Tag. 207
dafs Steine, Tiere und andere schwere Körper nickt weggeschleudert
werden köirueu. — Jetzt aber erregen mir die ganz leichten Dinge,
die nur eine ganz schwache Neigung haben, sich abwärts nach dein
Erdmittelpunkte zu bewegen, neue Bedenken Da ihnen nämlich die
Fähigkeit abgeht, zur Oberfläche zurückzugelangen, so sehe ich nicht
ein, warum sie nicht fortgeschleudert werden sollten. Ihr wifst aber
ad dcstrnendum sufficit unum."'^)
Salv. Wir werden auch diesem Einwände begegnen. Sagt mir
deswegen zuvor, was Ihr unter leichten Dingen versteht; meint Ihr
schlechthin leichte Stofl'e, die sich nach oben bewegen, oder nicht
absolut leichte, sondern solche, die so geringe Schwere haben, dafs
sie, wenn auch langsam, sich nach unten bewegen? Wenn Ihr näm-
lich von absolut leichten redet, so lasse ich sie Euch weggeschleudert
werden, soviel Ihr wollt.
Simpl. Ich meine diese letzteren, wie etwa Federn, Wolle, Baum-
wolle u. dgl., bei welchen jede noch so geringe Kraft genügt, um sie
in die Höhe zu heben, imd die wir dennoch ganz ruhig auf der Erde
liegen sehen.
Salv. Da eine Feder immerhin in gewissem, wenn auch noch so
geringem Grade den Trieb besitzt, sich nach der Erdoberfläche hin
zu bewegen, so behauj)te ich: dieser genügt, um eine Erhebung derselben
zu verhindern. Auch Euch ist dies wohlbekannt. Sagt mir darum:
wemi die Feder infolge der Erdrotation weggeschleudert würde, längs
welcher Linie würde sie sich bewegen?
Simpl. Längs der Tangente im Trennmigspunkte.
Salv. Und wenn sie wieder zurückkehren sollte, längs welcher
Linie würde das geschehen?
Simpl. Längs der Verbindungslinie der Feder mit dem Erdmittel-
{)unkte.
Salv. Also kommen hier zwei Bewegungen in Betracht: eine
Schleuderbewegung, welche an der Berührungsstelle beginnt und sich
längs der Tangente fortsetzt, sodann eine zweite, welche von dem
Triebe nach unten herrührt und längs der Sekante nach dem Centrum
vor sich geht. Damit also die Schleuderbewegung zustande komme,
mufs der Antrieb längs der Tangente den längs der Sekante gerichteten
Trieb überwiegen. Ist es nicht so?
Simpl. Ich glaube ja.
Salv. Welche Eigenschnft mufs nlx^- notwendig der Scldeuder-
bewegung zukommen, damit sie jenen Trieb überwiege und somit die
Losl()sung und Entfernung der Feder von der Erde veranlasse.
Simpl. Ich weifs es nicht.
208 Dialog über die Weitsysteme. [217. 218.]
Salv. Wie, Ilir wifst es nicht? Es handelt sich nm einen und
denselben Körper, nämlich um eine und dieselbe Feder: wie kann nun
ein und derselbe Körper die Oberhand über sich selber gewiimen, sich
selber besiegen?''^)
Simpl. Ich kann mir nicht denken, wie er bei der Bewegung sich
selber besiegen, oder sich selber unterliegen kann, es sei denn, dafs
er sich einmal schneller, ein andermal langsamer bewegt.
Salv. Seht Ihr, Ihr habt es doch gewufst. Wenn also die
Schleuderbewegung der Feder stattfinden, und demnach die Bewegung
längs der Tangente das Übergewicht haben soll über die Bewegung
längs der Sekante, wie müssen die beiden Geschwindigkeiten be-
schaffen sein?
Simpl. Die Bewegung längs der Tangente mufs bedeutender sein
als die längs der Sekante. 0, wie dumm ich bin! Ist sie nicht
hunderttausendmal bedeutender und nicht nur als die Abwärtsbewegung
der Feder, sondern auch als die des Steines! Und ich war wirklich
so einfältig, mir einreden zu lassen, die Steine könnten durch die
Rotation der Erde nicht weggeschleudert werden. Ich nehme alles
wieder zurück und behaupte, dafs, wenn die Erde sich bewegte, Steine,
Elefanten, Türme und Städte notwendig gen Himmel flögen. Da dies
aber nicht geschieht, so behaupte ich, dafs sich die Erde nicht bewegt.
Salv. Ei, Signore Simplicio, ich fürchte, Euer Blut gerät in leb-
haftere Bewegung als die Feder. Beruhigt Euch ein wenig und hört
mich an. Wenn zum Verbleiben des Steines oder der Feder auf der
Erdoberfläche seine Abwärtsbewegung bedeutender oder ebenso grofs
sein müfste, wie die Bewegung in Richtung der Tangente, so würdet
Ihr mit Recht behaupten dürfen, der fragliche Körper müsse sich
ebenso schnell oder schneller längs der Sekante nach unten bewegen
als längs der Tangente nach Osten. Aber habt Ihr mir nicht vor
kurzem erklärt, dafs tausend Ellen Entfernung, vom Berührungspunkte
aus auf der Tangente gemessen, kaum einen Zoll Entfernung von der
Peripherie bewirken? Es genügt also nicht, dafs die Bewegmig längs
der Tangente, welche mit der täglichen Rotationsbewegung identisch
ist, einfach schneller sei als die Bewegung der Sekante, welche mit
der Abwärtsbewegung der Feder identisch ist; sondern jene mufs
sovielmal schneller sein als diese, dafs die Zeit, während welcher die
Feder etwa tausend Ellen auf der Tangente zurücklegt, unbedeutend
sei im Vergleich zu der Zeit, während welcher die Abwärtsbewegung
auf der Sekante einen Zoll beträgt. Dies aber wird niemals der Fall
sein, behaupte ich, mag jene Bewegung so rasch und diese so lang-
sam sein, als es Euch nur immer beliebt.
[218. 219.]
Zweiter Tag.
209
Simpl. Und aus welchem Grunde kann die Bewegung längs der
Tangente nicht so schnell sein, d^fs der Feder nicht Zeit bliebe zur
Erdoberfläche zu gelangen?
Salv. Versucht die Sache präcis zu formulieren, so werde ich
Euch entgegnen. Gebt also an, wievielmal geschwinder jene Be-
wegung als diese nach Euerer Ansicht mindestens sein mufs.
Simpl. Ich will etwa sagen, wemi jene eine Million mal schneller
ist als diese, so würde die Feder und sogar auch der Stein wegge-
schleudert.
Salv. So sagt Ihr, aber Ihr irrt; und die Quelle Eueres Irrtums
sind nicht etwa mangelhafte Kenntnisse in der Logik, Physik oder
Metaphysik, sondern in der Geometrie. Denn wenn Euch blofs die
ersten Elemente bekannt wären, so wüfstet Ihr, dafs man vom Kreis-
mittelpunkte eine gerade Linie nach der Tangeute ziehen kann derart,
dafs die Strecke der Tangente zwischen dem Berührungspunkte imd
dem Fufsjjunkt der gezogenen Sekante ein-, zwei-, dreimillionenmal
so grofs ausfallt als die Strecke zwischen der Tangente und der Peri-
pherie. Je näher und näher die Sekante der Berührungsstelle rückt,
um so mehr wächst dieses Verhältnis bis ins Unendliche. Man braucht
daher nicht zu fürchten, wie schnell aucli die Rotationsbewegung und
wie langsam auch die Abwärtsbewegung sei, dafs die Feder oder etwas
noch Leichteres anfangen kann in die Höhe zu steigen; denn stets
überwiegt der Trieb nach unten die Geschwindigkeit der Schleuder-
bewegung.
Sagr. Ich verstehe die Sache noch nicht ganz.
Salv. Ich will Euch
ganz allgemein und
sehr leichte Art be-
das
auf
weisen. Es sei ein Ver-
hältnis gegeben gleich dem
von BA zu C, und zwar
sei BA sovielmal gröfser
als 6', wie man nur immer
will. Ferner sei gegeben
der Kreis mit dem Mittel-
punkte D; von diesem aus
soll eine Sekante derart
gezogen werden, dafs die
Tangente zu dem äufseren
C
n
Geometrischer
Beweis der Un-
möglichkeit
eines Fort-
sclileuderns in-
folge der Eid-
rotation.
Abschnitte der Sekante sich verhalte wie BA zu ('. Man suche zu
diesem Zwecke die dritte Pro])()rtionale AI zu den beiden Linien I» .4
Galilei, Weltsysteme. 1-i
210 Dialog über die Weltsysteme. [219. 220.]
und 0;^^) sodann die vierte Proportionale EG zu den drei Stücken
BT, lA und dem Durelimesser; endlich ziehe mau von dem Punkte G
die Tangente GH. Ich behaupte, dafs damit die Aufgabe gelöst ist,
dafs also HG zu GE sich verhält wie B A zu C. — Demi da FE
zu EG sich verhält wie B I zu 1 A, so folgt durch Komposition FG
zu GE wie B A zu AI. Nun ist C die mittlere Proportionale zwischen
BA und AI, und GH die mittlere Proportionale zwischen FG imd
GE:, es mufs sich also ebenso wie BA zu C, auch FG zu GH,
d. h. HG zu GE verhalten, und dies war in der Aufgabe verlangt
worden.
SagT. Ich verstehe diesen Beweis, gleichwohl ist mir nicht jeder
Zweifel benommen. Im Gegenteil, es ist mir so verworren zu Mute, dafs
es sich wie ein düsterer Nebel um meinen Geist lagert, und dafs mir
die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse nicht mit der lichtvollen Klar-
heit in die Augen springt, wie es bei mathematischen Gründen sonst
zu geschehen pflegt. Was mich verwirrt macht, ist- der folgende Um-
stand.''^) Allerdings werden die Strecken zwischen Taugente und
Peripherie in der Nähe des Berührungspunktes unendlich klein; ebenso
wahr ist es aber andererseits, dafs auch die Neiguug des Körpers sich
abwärts zu bewegen in ihm um so geringer ist, je näher er sich dem
Ausgangspunkte seiner Abwärtsbewegung, d. h. dem Ruhezustande be-
findet.- Dies geht klar aus dem hervor, was Ihr uns früher ausein-
andergesetzt habt, als Ihr den Nachweis liefertet, wie ein fallender,
vom Zustande der Ruhe ausgehender Körper, alle Stufen der Lang-
samkeit durchlaufen mufs, welche zwischen der Ruhe und irgend
welcher bestimmten Stufe der Geschwindigkeit enthalten sind und
welche schliefslich unendlich klein werden. Dazu kommt noch, dafs
selbige Geschwindigkeit und Neiguug zur Bewegung noch aus einem
anderen Grunde ins Unendliche abnimmt. Es rührt dies daher, dafs
die Schwere des betrejffenden Körpers unendlich abnehmen kann. Es
sind also zwei Ursachen vorhanden, welche den Trieb, sich nach unten
zu bewegen, verringern und demnach ein Fortschleudern begünstigen,
nämlich die Leichtigkeit des Körpers und die Nähe am Ruhezustand
mid beide sind einer Vermehrung ins Unendliche' fähig. Diesen steht
nur eine Ursache gegenüber, welche das Fortschleudern hindert, und
obgleich auch diese ins Unendliche vermehrbar ist, so begreife ich
doch nicht, wieso sie allein der vereinten und verbundenen Kraft der
anderen beiden, gleichfalls ins Unendliche sich steigernden, die Spitze
bieten kann.
Salv. Ein Bedenken, wie es Signore Sagredos würdig ist. Um
es ins richtige Licht zu setzen derart, dafs wir eijie klarere Einsicht
[220.] Zweiter Tag. 211
davon erlangen — Ihr sagt ja selbst, dafs Euere Vorstellungen dar-
über unklar sind — wollen wir uns durch eine graphische Darstellung
die Sache verdeutlichen.^^) Vielleicht wird diese gleichzeitig dazu
beitragen, Euer Bedenken leichter zu widerlegen. Zeichnen wir also
eine lotrechte, nach dem Centrum gerichtete Linie, es sei dies AC.
Rechtwinkling zu ihr laufe die horizontale
Linie AB, längs welcher die Schleuderbe-
wegung gerichtet wäre und auf welcher der
geschleuderte Körper mit gleichförmiger Ge-
schwindigkeit fortfahren würde sich zu be-
wegen, wenn die Schwere ihn nicht nach
unten zöge. Man denke sich nun vom
Punkte A eine gerade Linie gezogen, die
mit ^5 einen beliebigen Winkel einschliefst;
es sei dies AE] wir tragen auf AB einige ^
gleiche Strecken AF, FIT, HK ab und errichten auf diesen die Senk-
rechten FG, HI, KL bis zum Schnitt mit der Linie AE. Da nun,
wie früher bemerkt, der fallende schwere Körper, der vom Zustande
der Ruhe ausgeht, mit der Zeit eine immer höhere Stufe von Ge-
schAvindigkeit erlangt, je mehr die Zeit wächst, so können wir uns
vorstellen, die Strecken AF, FH, HK bedeuteten gleiche Zeiten, die
Perpendikel FG, HI, KL die in genannten Zeiten erlangten Stufen
der Geschwindigkeit. Es läfst sich danach die Geschwindigkeitsstufe,
welche während der ganzen Zeit AK erlangt wird, durch die Linie
KL in ihrem richtigen Verhältnisse zu der Stufe HI darstellen,
welche in der Zeit AH erworben wird, und zu der Stufe FG, welche
in der Zeit AF erworben wird. Diese Stufen KL, HI, FG stehen
offenbar in demselben Verhältnis zu einander wie die Zeiten KA, HA,
FA.'^'^) Zieht man noch andere Perpendikel von beliebig gewählten
Punkten der Strecke FA aus, so wird man immer kleinere, bis ins
Unendliche abnehmende Stufen finden, je mehr man sich dem Punkte
A nähert, der den ersten Zeitmoment mid den ursprünglichen Ruhe-
zustand repräsentiert. Durch Annäherung an den Punkt A erhalten
wir also ein Bild von dem anfänglichen Triebe zur Abwärtsbewegung,
welcher ins Unendliche abnimmt, wemi der Körper dem ursprünglichen
Zustande der Ruhe sich nähert, diese Aimäherung aber ist unendlicher
Steigerung fähig. — Wir wollen jetzt die andere Geschwindigkeitsab-
nahme aufsuchen, welche gleichfalls bis ins Unendliche stattfinden
kann und welche durch die Gewichtsabnahme des Körpers bedingt
wird.^*^) Diese wird sich dadurch darstellen lassen, dafs man andere
Linien vom Punkte A aus zieht, welche kleinere Winkel als den
212 Dialog über die Weltsysteme. [221.]
Winkel BAE bilden, wie z. B. die Linie AD. Dieselbe scbneidet die
Parallelen KL, III, FG in den Punkten M, N, 0 und stellt uns die
in den Zeiten AF, AH, AK erlangten Geschwindigkeitsstufen F 0,
UN, KM dar; sie sind kleiner als die vorher betrachteten Stufen
FG, HI, KL, welche in denselben Zeiten erworben werden, letztere
aber von einem schwereren, erstere von einem leichteren Körper.
Wenn man nun durch Annäherung der Linie EA an J. J5 den Winkel
EAB verkleinert — was bis ins Unendliche möglich ist, gerade wie
das Gewicht sich bis ins Unendliche verringern kann — so vermindert
sich offenbar gleichfalls die Geschwindigkeit des fallenden Körpers
und demzufolge auch der Grund, der ein Fortschleudern verhindert.
Darum scheint es, als ob bei gleichzeitiger Verminderung ins Unend-
liche der beiden dem Fortschleudern entgegenwirkenden Ursachen dieses
nicht verhindert werden köimte. Fassen wir das ganze Argument
kurz zusammen, so können wir sagen: durch Verkleinerung des Winkels
EAB verringern sich die Geschwindigkeitsstufen L K, IH, GF:^ durch
Annäherung der Parallelen KL, HI, FG an den Scheitel A vermin-
dern sie sich gleichfalls; beide Verminderungen können bis ins Un-
endliche gesteigert werden. Die Geschwindigkeit der Abwärtsbewegung
wird sich also so sehr vermindern können — da sie auf doppelte
Weise unendlich klein gemacht werden kann — dafs sie nicht genügt,
den Körper auf die Oberfläche des Rades zurückzubringen und folglich
nicht imstande - ist, die Schleuderbewegung zu hindern oder aufzu-
heben.
Damit nun andererseits das Fortschleudern gleichwohl nicht ein-
trete, müssen die Strecken, längs welcher der fortgeschleuderte Körper
sich abwärts zum Rade hinzubegeben hat, so kurz und unbedeutend
sein, dafs trotz der bis ins Unendliche erhöhten Langsamkeit beim
Fallen des Körpers, diese dennoch ausreicht ihn dahin zurückzubringen.
Es müfste also eine so hochgradige Abnahme besagter Strecken statt-
finden, dafs sie nicht blofs sich ins Unendliche steigert, sondern auch
die zwiefache Unendlichkeit überwiegt, die bei der Abnahme der Fall-
geschwindigkeit nach unten stattfindet.^^) Wie aber ist es möglich,
dafs eine Gröfse stärker als eine andere abnimmt, die ihrerseits zwie-
fach unendlich klein wird? Jetzt seht, Signore SimpHcio, wie weit
man in der Naturphilosophie ohne Hilfe der Geometrie kommt. Die
Stufen der Geschwindigkeit, welche teils durch die Gewichtsabnahme
des Körpers, teils durch Amiäherung an den Ausgangspunkt der Be-
wegung, also an den Ruhezustand, unendlich klein werden, sind gleich-
wohl immer bestimmt und proportional den Parallelen, die zwischen
zwei Schenkeln eines Winkels enthalten sind, wie des Winkels BAE
[221. 222.] Zweiter Tag. 213
oder BAD oder eines anderen unendlich spitzeren, aber immerhin
geradlinigen Winkels. Die Abnahme der Strecken hingegen, längs
welcher der Körper sich zur Oberfläche des Rades zurückbegeben miifs,
ist einer anderen Art von Abnahme proportional, einer Abnahme, wie
sie zwischen Linien stattfindet, welche einen unendlich viel kleineren
und spitzeren Winkel einschliefsen als einen noch so spitzen geradlinigen
Winkel, einen Winkel von folgender Beschaffenheit. Man nehme auf der
Senkrechten A C einen beliebigen Punkt C an und beschreibe um ihn
als Mittelpunkt mit der Strecke CA einen Bogen AMP. Dieser wird
die Parallelen, welche die Stufen der Geschwindigkeit veranschau-
lichen, stets schneiden, so klein sie auch sein mögen und in einen wie
engen geradlinigen Winlcel sie auch eingeschlossen sein mögen. Die
zwischen dem Bogen und der Tangente A B enthaltenen Teile der
Parallelen stellen die Gröfse der Strecken dar, um welche eine Ab-
weichung von dem Umfange des Rades stattgefunden hat; sie werden
fortwährend kleiner imd in immer stärkerem Verhältnis kleiner als
die Parallelen, auf welchen sie liegen, je mehr man sich der Berüh-
rimgsstelle nähert. Die zwischen den geraden Linien enthaltenen
Parallelen nehmen bei der Amiäherung an den Scheitel immer in dem-
selben Verhältnis ab: wenn z. B. die Linie AH ioi Punkte F halbiert
ist, so wird die Parallele /// doppelt so grofs sein als FG-^ halbiert
man F A nochmals und zieht durch den Mittelpunkt eine weitere
Parallele, so wird diese gleich der Hälfte von FG sein. Setzt man
die Teilung auf diese Weise ins Unendliche fort, so wird stets die
nächstfolgende Parallele halb so grofs sein als die nächst vorangehende.
Anders aber steht es mit den zwischen der Taugeute imd dem Kreis-
umfang enthaltenen Linien. Denn teilt man F A in der Weise ein
wie vorher und nimmt beispielsweise an, die vom Punkte H ausgehende
Parallele sei doppelt so grofs wie die vom Punkte F ausgehende, so
wird diese mehr als doppelt so grofs sein Avie die folgende; mid wenn
wir auf diese Weise an die Kontaktstelle A immer näher heranrücken,
so wird sich ergeben, dafs die vorangehenden Linien die folgenden
an Gröfse drei-, vier-, zelm-, hundert-, tausend-, hiniderttausend-, hundert-
millionenmal u. s. w. bis ins Unendliche übertreffen. Genannte Linien
werden also schliefslich so klein, dafs ihre Kürze bei weitem mehr als
ausreichend ist, um einen noch so leichten geschleuderten Körper zur
Umkehr zu veranlassen oder vielmehr seiji Verbleiben auf der Peri-
pherie zu bewirken.
Sagr. Ich verstehe diese Überlegung und die ihr zukommende
Beweiskraft sehr wohl; dennoch glaul«» ich, weini jemand durchaiis
daran rüttehi wollte, so könnte er noch ßedenklichkeiten erheben.
214 Dialog über die Weltsysteme. [222. 223.]
Von den beiden Ursachen, welche die Abwärtsbewegung des Körpers
bis ins Unendliche verlangsamen — so köimte man sagen — Avächst
freilich diejenige, welche durch die Nähe beim Ausgangspunkt der
Bewegung bedingt wird, offenbar stets in demselben Verhältnis, gerade
wie die Paralellen stets zu einander dasselbe Verhältnis haben. Dafs aber
die Verminderung eben dieser Geschwindigkeit infolge der Gewichts-
abnahme des Körpers ■ — welches die zweite Ursache war — auch in
demselben Verhältnis stattfindet, ist nicht so selbstverständlich. Wer
bürgt ims dafür, dafs sie nicht im Verhältnis der zwischen Tangente'^)
und Peripherie enthaltenen Linien oder in einem noch stärker wachsen-
den Verhältnis erfolgt?
Salv. Ich hatte die Annahme zu Grunde gelegt, dafs die Ge-
schwindigkeiten natürlich fallender Körper proportional ihrem Ge-
wichte seien; es geschah dies dem Siguore Simplicio imd dem Aristoteles
zu liebe'-'), der des öfteren dies als selbstverständliche Behauptung
anführt. In der Rolle des Gegners richtet Ihr dagegen Eueren Zweifel
imd behauptet, möglicherweise könne die Geschwindigkeit in stärkerem,
ja in unendlich mal stärkerem Verhältnis wachsen als die Schwere,
wodurch die ganze soeben augestellte Erwägung haltlos würde. Zur
Rechtfertigmig brauche ich aber nur anzuführen, dafs das Verhältnis
der Geschwindigkeiten viel kleiner ist als das der Gewichte, und dafs
demnach das Gesagte nicht nur keine Abschwächimg erfährt, sondern
im Gegenteil eine vermehrte Geltung beanspruchen kann. Als Beweis
dafür führe ich den Versuch an, der uns zeigt, dafs von zwei Kör-
pern, deren einer vielleicht dreifsig- bis vierzigmal schwerer ist als
der andere, wie etwa eine Kugel aus Blei und eine aus Kork, der
schwerere sich noch lange nicht doppelt so schnell bewegt. Da nun
ein Fortschleudern nicht stattfindet, wenn selbst die Verminderung
der Fallgeschwindigkeit im Verhältnis der Schwere erfolgte, so wird
dies um so weniger der Fall sein, sobald die Geschwindigkeit sich bei be-
trächtlicher Gewichtsabnahme nur wenig verringert. Aber gesetzt
auch, die Geschwindigkeit vermindere sich in weit stärkerem Verhältnis
als die Schwere, ja mag meinetwegen das Verhältnis das nämliche
sein, in welchem die Parallelen zwischen Tangente und Peripherie ab-
nehmen, so sehe ich keineswegs einen zwingenden Grund, warum ein
Fortschleudern auch noch so leichter Stoffe stattfinden sollte; ich be-
haupte vielmehr, dafs ein solches auch in diesem Falle nicht eintreten
würde. Dabei habe ich jedoch nicht leichte Körper im eigentlichen
Sinne des Wortes im Auge, d. h. solche, die gar keine Schwere besitzen
und von Natur sich aufwärts bewegen, sondern solche, die sehr lang-
sam nach unten sich bewegen, also sehr geringe Schwere besitzen.
[223. 224.] Zweiter Tag. 215
Zu dieser Ansicht werde ich durch den Umstand bewogen, dafs als
äufserste und oberste Grenze der Gewichtsabnahme, welche in dem-
selben Verhältnis wie bei den zwischen Tangeute und Peripherie ent-
haltenen Parallelen stattfindet, die völlige Gewichtslosigkeit zu be-
trachten ist, ebenso wie als äufserste Grenze für die Abnahme der
Parallelen die Berührung selbst zu gelten hat, d. h. ein unteilbarer
Punkt. Nun vermindert sich aber die Schwere niemals bis zur
äufsersten Grenze, weil dann der Körper überhaupt nicht schwer wäre;
wohl aber reduziert sich der Abstand des geschleuderten Körpers von
der Peripherie bis zur äufsersten Kleinheit, nämlich in dem Augen-
blicke, wo er auf der Peripherie in dem Berührungspunkte selber
ruht, so dafs er, um zu ihr zurückzukehren, überhaupt keinen Raum
zurückzulegen hat. Mag daher der Trieb sich abwärts zu bewegen
noch so schwach sein, er ist doch immer mehr als ausreichend, um
den Körper auf die Peripherie zurückzubringen; denn er steht von ihr
um die kleinste Strecke, nämlich um Nichts, ab.
Sagr. Die Erwägung ist in der That höchst suljtil, aber in dem-
selben Mafse beweiskräftig. Man mufs es nur gestehen, wer natur-
wissenschaftliche Fragen ohne Hilfe der Geometrie behandeln will,
unternimmt etwas Unausführbares.
Salv. Signore Simplicio wird anderer Meinung sein, wiewohl ich
nicht glaube, dafs er zu denjenigen Peripatetikern gehört, die ihren
Schülern vom Studium der Mathematik abraten, weil es die wissen-
schaftliche Befähigung beeinträchtige und sie für beschauliche Zwecke
ungeeigneter mache.
Simpl. Ich möche Plato dieses Unrecht nicht anthim, wohl aber
sage ich mit Aristoteles, dafs er sich allzusehr in sie versenkte, allzu-
sehr in diese seine Geometrie sich verliebte.^") Denn im Grmide ge-
nommen, Signore Salviati, sind diese mathematischen Spitzfindigkeiten
in der Theorie wohl richtig, aber auf sinnliche imd physische Materie
angewendet, stimmen sie nicht. Die Mathematiker mögen mittels ihrer
Priucipien freilich beweisen, dafs z. B. sphaet^a tamjit planum in puncto,
eine Behauptimg, die mit der vorHegenden Ähnlichkeit liat.'^^) Fafst
man aber die Thatsachen ins Auge, so liegt die Sache anders. In
derselben Weise beurteile ich diesen Eueren Berührungswinkel imd
Euere Proportionen. All das hält nicht Stich, wemi man es mit
materiellen sinnlichen Dingen zu thun hat.
Salv. Ihr wollt also durchaus nicht glauben, dafs die Tangente
die Erdoberfläche in einem Punkte berührt?
Simpl. Ich glaube, nicht nur in einem Punkte, sondern auf einer
Strecke von vielen, vielen Ellen, vielleicht vielen Hunderten von Ellen
216 Dialog über die Weltsysteme. [2'24. 225.]
berührt eine gerade Linie die Wasseroberfläche und umsomehr die
Erdoberfläche, ehe sie sich von ihr trennt.
Salv. Wenn ich Euch das nun zugestehe, seht Ihr nicht, dals
dies nur um so schlimmer für Euere Sache ist? Denn sogar unter
der Voraussetzung, dafs die Tangente von der Erdoberfläche mit Aus-
nahme eines einzigen Punktes getrennt sei, ist die Unmöglichkeit des
Fortschleuderns unter allen Umständen bewiesen worden und zwar
durch Hinweis auf die aufserordentliche Kleinheit des Kontingenz-
winkels, wenn der Ausdruck Winkel hierfür überhaupt gestattet ist.
Um wieviel weniger Grund für eine Loslösung des geschleuderten
Körpers liegt vor, wenn dieser Winkel völlig verschwindet, wenn die
Oberfläche und die Tangente vereint ihren Fortgang nehmen? Seht
Ihr nicht, dafs in diesem Falle die Schleuderbewegung auf der Ober-
fläche der Erde selbst stattfinden müfste, was soviel heifst als: sie
Die Kraft der findet uicht statt? Daraus könnt Ihr entnehmen, wie grofs die Kraft
währt sich bis- der Wahrheit ist-, während Ihr versucht, sie zu Fall zu bringen, steht
die gegen sie sie gerade durch Euere Angrifle um so fester und unbesiegbarer da. —
griffe. Nun ich Euch aber diesen einen Irrtum benommen, möchte ich Euch
nicht bei dem anderen belassen, bei der Ansicht nämlich, dafs eine
materielle Kugel eine Ebene nicht blofs in einem Punkte berühre. Ich
möchte auch, dafs die — wenn gleich auf wenige Stmiden beschränkte —
Unterhaltimg mit Leuten, die einige geometrische Kenntnisse besitzen.
Euch etwas klardenkender in den Augen derer erscheinen lasse, die
nichts davon verstehen. Um Euch zu zeigen, welchen grofsen Irrtum
man begeht, wenn man behauptet, eine Kugel z. B. von Bronze be-
rühre eine Ebene z. B. von Stahl nicht in einem Punkte, sagt mir:
was würdet Ihr von jemand denken, der steif und fest behauptete,
eine Kugel sei in Wahrheit keine Kugel?
Simpl. Ich wäre der Meinung, es fehle ihm durchaus an Ver-
stände.
Salv. In dieser Lage befindet sich aber der, welcher behauptet,
Auch die mate- die materielle Kugel berühre eine gleichfalls materielle Ebene nicht
berührt die in einem Punkte; denn diese Behauptung ist identisch mit der anderen,
blofs iu einem dafs die Kugel keine Kugel ist. Zum Beweise dafür sagt mir, worin
Ihr das Wiesen der Kugel findet, d. h. welcher Umstand den Unter-
schied der Kugel von allen anderen räumlichen Gebilden bedingt.
Definition der Simpl. Ich glavibc, das Wcscu der Kugel besteht darin, dafs alle
vom Mittelpunkte nach der Oberfläche gezogenen geraden Linien
gleich sind.
Salv. Wenn also solche Linien nicht gleich sein sollten, so würde
ein derartiger Körper unter keinen Umständen eine Kugel sein.
[225. 226.] Zweiter Tag. 217
Simpl; Nein.
Salv. Sagt mir demnächst, ob von den vielen Linien, die man
zwischen ZAvei Punkten ziehen kann, aiifser einer geraden Linie noch
eine andere moghch ist.
Simpl. Nein.
Salv. Ihr seht auch ein, dafs diese einzige gerade Linie notwendig
kürzer sein mufs als jede andere.
Simpl. Ich sehe es ein und hin auch im Besitze eines klaren
Beweises dafür, welcher von einem bedeutenden peripatetischen Philo-
sophen herrührt. Ich glaube, wenn ich mich recht erinnere, dafs er
damit einen Tadel gegen Archimedes verbindet, weil dieser den Satz
als bekaimt voraussetzt, während er ihn hätte beweisen können.
Salv. Das mufs ein grofser Mathematiker gewesen sein, der zu
beweisen imstande war, was Archimedes weder bewies, noch beweisen
konnte. Wenn Ihr Euch des Beweises erinnertet, würde ich ihn gerne
hören; denn ich entsinne mich sehr wohl, dafs Archimedes in den
Büchern über die Kugel und den Cylinder diese Behauptung unter die
Postulate verweist, imd ich bin daher überzeugt, dafs er sie für unbe-
weisbar hielt.
Simpl. Ich werde mich des Beweises wohl noch erinnern, denn
er ist sehr kurz und leicht.
Salv. Um so gröfser die Schande für Archimedes und der Ruhm
Evieres Philosophen.
Simpl. Ich will dieselbe Figur entwerfen wie er. Zwischen den
Punkten A, B zieht er die gerade Linie
AB und die krumme A O-B^nnd will zeigen,
dafs die gerade Linie die kürzere von beiden
ist. Der Beweis lautet folgendermafsen:
er nimmt auf der Kurve einen Punkt an, er heifse C, imd zieht zwei Beweis eine*
' _ ' . . Peripatetikers,
weitere gerade Linien AC, CB. Diese beiden zusammen sind, wie Jars die gerade
'^ ' . . ^ Linie von aUen
Euklid beweist, gröfser als die eine AB. Die krumme Linie ^1 Cii die kürzeste ist.
aber ist gröfser als die beiden geraden AC, C B; also wird die krumme
AGB a fortiori viel gröfser sein als die gerade AB, was zu be-
weisen war.
Salv. Ich glaube, wenn man alle Fehlschlüsse der Welt zusammen- i-ehisci.iurs
suchte, könnte man kein passenderes Beispiel als dieses für den ppripatetikers,
' . II- ^^^ ignotmn per
gröbsten aller Schlufsfehler finden, nämlich für den, welcher ignotum ianotius bovidst.
per ignotms beweist. ''^^')
Simpl. Inwiefern?
Salv. Ihr fragt noch? Ist nicht die unl)ekannte Schlufsfolge-
rung, Avelche Ihr beweisen wollt, die, dafs die Kurve AC B länger ist
218 Dialog über die Weltsysteme. [226. 227.]
als die Gerade AB? Das Mittelglied, das als bekannt angenommen
wird, ist, dafs die Kurve AGB gröfser ist als die beiden geraden
Linien A Cj CB, von welcben dann weiter bekannt ist, dafs sie zu-
sammen gröfser sind als AB, nicbt wahr? Wenn Ihr nun schon
nicht wifst, ob die Kurve gröfser ist als die eine gerade Linie A B,
wie viel mehr müfst Ihr dann zweifeln, dafs sie gröfser sei als die
beiden Geraden A C, CB, von welchen feststeht, dafs sie die eine A B
an Gröfse übertreffen?
Simpl. Ich verstehe noch mcht recht, worin der Fehler liegt.
Salv. Da die beiden Geraden zusammen gröfser als AB sind
— wie aus dem Euklid bekannt ist — wird dann nicht die Kurve,
sobald sie gröfser ist als die beiden Geraden AC, CB, um so mehr
gröfser sein als die eine Gerade AB?
Simpl. Jawohl.
Salv. Dafs die Kurve AGB gröfser ist als die Gerade AB, ist
die Schlufsfolgerung, welche bekannter ist als das Mittelglied. Denn
dieses besagt, dafs dieselbe Kurve gröfser ist als die beiden Geraden
A C, GB. Wenn nun das Mittelglied weniger bekannt ist als die
Schlufsfolgerung, so heifst das ignotum per ignoüus beweisen. — Kehren
wir jetzt zu imserem Gegenstande zurück. Es reicht aus, wenn Ihr
einseht, dafs die Gerade die kürzeste von allen Linien ist, welche man
zwischen zwei Pimkten ziehen kann. Was nun die Hauptschlufsfolge-
rmig betrifft, so behauptet Ihr, eine materielle Kugel berühre die
Ebene nicht in einem Punkte: wie wird denn nun die Berührungsstelle
beschaffen sein?
Simpl. Sie wird aus einem Teil der Oberfläche bestehen.
Salv. Und die Berührungsstelle eiuer anderen der ersten gleichen
Kugel wird ebenfalls ein solches Oberflächenteilchen sein, nicht wahr?
Beweis, dafs SlmpI. Es ist kein Grvmd vorhanden, warum es anders sein sollte.
die Kugel die _ _ ' _
Ebene nur in Salv. Weuu also die beiden Kugehi sich berühren, werden auch
einem Punkte ... . .
beruim. diese sich mit den nämlichen zwei Oberflächen teilchen berühren; denn
da sich jede von ihnen derselben
Ebene anschmiegt, müssen sie
das auch unter einander thun.
Stellt Euch nun zwei einander
berührende Kugehi mit den
Mittelpunkten A, B vor. Man
verbinde ihre Mittelpunkte
durch die Gerade A B, Avelche
die Berührungsstelle treffen wird; sie mag etwa durch den Punkt G
gehen. Man ziehe dann von einem weiteren Punkte D der Berührungs-
[227. 228.] Zweiter Tag. 219
stelle die beiden Geraden ÄD, BD. Es wird dann ein Dreieck ADB
entstehen, dessen Seiten AD, DD zusammen der einen noch übrigen
Seite AGB gleich sein müssen, da jene wie diese aus zwei nach
Definition der Kugel gleichen Halbmessern bestehen. Demnach wird
die gerade Verbindungslinie der Mittelpunkte A, B nicht von allen
die kürzeste sein, da die beiden AD, DB ihr gleich sind. Dies ist
nach dem, was Ihr eingeräumt habt, absurd.
Simpl. Dieser Beweis trifft nur auf abstrakte, nicht aber auf
materielle Kugeln zu.
Sal7. Gebt mir dann also an, worin das Fehlerhafte meines Be-
weises besteht, da er nicht auf materielle, wohl aber auf immaterielle,
abstrakte Kugeln zutrifft.
Simpl. Materielle Kugeln sind mancherlei Einflüssen unterworfen,
denen immaterielle nicht unterliegen. Warum könnte nicht, wenn man wamm die
eine metallene Kugel auf eine Ebene legt, das eigene Gewicht auf die die Ebene in
• T\i 1 1 o • • • 1-1 1 einem Punkte
Ebene emeu Druck ausüben, so dafs sie em wenig nachgiebt, oder beruh«, nicht
warum könnte die Kugel selbst bei der Berührimg sich nicht abplatten? materieuc und
Überdies wird jene Ebene schwerlich yoUkommen sein können, wenn
aus sonst keinem Grunde, doch wegen der Porosität der Materie.
Ebenso schwierig dürfte es sein, eine so vollkommene Kugel aufzu-
treiben, dafs bei ihr alle Linien vom Centrum nach der Oberfläche
ganz genau gleich sind.
Salv. 0, alles das gebe ich Euch gerne zu, aber es ist völlig
belanglos. Denn um mir zu zeigen, dafs eine materielle Kugel eine
materielle Ebene nicht in einem Punkte berührt, benutzt Ihr eine
Kugel, die keine Kugel, mid eine Ebene, die keine Ebene ist. Eueren
Ausführungen zufolge giebt es entweder solche Dinge nicht auf der
^Velt, oder wenn es welche giebt, werden sie bei Anstellung des Ver-
suchs zerstört. Ihr hättet also besser gethan die Behauptung, wenn
auch nur bedingungsweise, zuzugeben, dafs nämlich, wenn es eine
materielle Kugel und eine materielle Ebene gäbe, welche vollkommen
wären und blieben, diese sich blofs in einem Punkte berührten; Ihr
hättet daim hinzusetzen können, dafs es solche eben nicht giebt.
Simpl. Ich glaube, dafs die Behauptung der Philosophen in
diesem Sinne zu verstehen ist. Denn ohne Zweifel bewirkt die Un-
vollkommenheit der Materie, dafs die konkret vorliegenden Dinge mit
den bei abstrakten Betrachtimgen zu Grunde gelegten nicht überein-
stimmen.
Salv. Wieso stimmen sie nicht überein? Gerade was Ihr selbst
jetzt eben sagt, beweist, dafs sie genau damit übereinstimmen.
Simpl. Inwiefern?
220 Dialog über die Weltsysteme. [228. 229.]
Salv. Sagt Ihr nicht, dafs infolge der Unvollkommeiiheit der
Materie ein Körper, der vollständig kugelförmig sein sollte, und eine
Fläche, welche vollkommen ehen sein sollte, sich in Wirklichkeit von
anderer Beschaffenheit erweisen, als man sie in ahstrado sich vorstellt?
Simpl. Allerdings behaupte ich das.
Salv. Sobald Ihr also in concreto eine materielle Kugel auf eine
Die abstrakten materielle Ebene legt, so legt Ihr eine nicht vollkommene Kugel auf
Verhältnisse . . _^ iiiiTin
entsprechen ge- euie nicht vollkommeue Ebene, und von diesen behauptet Ihr dann,
kreten. dafs sie sich nicht in einem Punkte berühren. Ich aber behaupte,
dafs auch in abstracto eine immaterielle Kugel, die keine vollkommene
Kugel ist, eine immaterielle Ebene, welche keine vollkommene Ebene
ist, möglicherweise nicht in einem Punkte, sondern mit einem Teile
ihrer Oberfläche berühren kann. Insoweit also stimmt das, was in
concreto eintritt, ganz mit dem überein, was in abstracto eintritt. Es
wäre in der That etwas ganz Neues, wenn die Berechnungen und
Operationen mit abstrakten Zahlen schliefslich nicht stimmten, sobald
man sie in concreto auf Gold- und Silbermünzeu imd Waren anwendet.
Wifst Ihr, wie die Sache liegt, Signore Simplicio? Gerade wie der
Kalkulator, damit die Zucker-, Seide- und Wollerechnungen stimmen,
seine Abzüge für das Gewicht der Kisten, der Verpackung imd
sonstigen Ballasts machen mufs, so mufs der Geometer, wenn er die
theoretisch bewiesenen Folgewirkungen experimentell studieren will,
die störenden Einflüsse der Materie in Abrechnung bringen. Wenn
er das versteht, so versichere ich Euch, alles wird accurat ebenso
stimmen wie die zahlenmäfsigen Berechnungen. Die Fehler liegen
also weder an dem Abstrakten noch an dem Konkreten, weder an der
Geometrie noch an der Physik, sondern an dem Rechner, der nicht
richtig zu rechnen versteht. Hättet Ihr daher eine vollkommen^,
wenn gleich materielle, Kugel und Ebene, so zweifelt nicht, sie würden
sich in einem Punkte berühren. Wenn es nun solche nicht gäbe, wie
es sie in der That nicht giebt, so ist es sehr verkehrt zu sagen
sphaera aenea non tangit in puncto. Aber noch eins, Signore Simplicio!
Zugestanden, dafs ein vollkommen kugelförmiger Körper und eine voll-
kommene Ebene materiell nicht existieren können, glaubt Ihr, dafs
zwei materielle Körper existieren köimen, die an ihrer Oberfläche
irgendwo und irgendwie, meinetwegen auch imregelmäfsig, ge-
krümmt sind?
Simpl. Ich glaube, an solchen fehlt es nicht.
Salv. Wemi es solche giebt, so werden auch sie sich in einem
Die einpunktige Puukte bertthreu; denn die einpunktige Berührung ist keineswegs ein
keine aus- besonderes Vorrecht der vollkommenen Kugel und vollkommenen
[•229. 230.] Zweiter Tag. ' 221
Ebene. Ja, wer diese Frasje s*enau untersuchen wollte, würde finden, schuersiiche
. , . . . . -f^ , , . , . Eigentümlich-
dafs es viel schwieriger ist. zwei Körper zu finden, welche sich mit keit der von-
kommenen
einem Teile ihrer Oberfläche berühren, als in blofs einem Punkte.Kugein, sondern
aller ge-
Denn damit zwei Flächen sich dicht an einander schmiegen, müssen krümmteu
entweder beide genau eben sein, oder die eine gewölbt und die andere es ist schwieri-
ausgehöhlt; die Höhlung der letzteren mufs dann aber genau der «ud^f dirsich
Wölbung der ersteren entsprechen. Diese Bedingungen sind aber -^^eUe^ih^M
wegen ihrer strengen Bestimmtheit viel schwerer zu verwirklichen als ^^hr?n tis mu
die anderen, die wegen ihrer unbestimmten Allgemeinheit einen un- '^Punkte'*
endlichen Spielraum gewähren.
Simpl. Ihr meint also zwei Steine oder zwei Eisenstücke, die
aufs Geratewohl aneinander gelegt werden, berührten sich in der Regel
blofs in einem Punkte?
Salv. Bei zufälliger Berührung, nein. Denn einmal haftet ge-
wöhnlich an ihnen irgend welche Verunreinigung, die ein wenig nach-
giebt; sodann achtet man nicht darauf, sie ohne jede Erschütterung
gegen einander zu legen. Eine solche reicht aber aus, wenn sie auch
noch so klein sein mag, dafs die eine Oberfläche der anderen ein wenig
nachgiebt und demzufolge wenigstens über eine kleine Stelle hin die eine
sich auf der anderen abdrückt. Wenn aber ihre Oberflächen glatt
poliert wären, wenn sie beide zur Vermeidung jedweden Drucks auf
einen Tisch gelegt würden und man sie ganz sachte einander näherte,
so zweifle ich nicht, dafs man es zu einer Berührung in blofs einem
Punkte bringen könnte.
Sagr. Mit Euerer Erlaubnis mufs ich ein Bedenken zur Sprache
bringen, das in mir aufstieg, als ich Signore Simplicio von der Un-
möglichkeit reden hörte, dals es einen materiellen festen Körper von
vollkommener Kugelgestalt geben sollte, und als ich Signore Salviati
dem gewissermafsen zustimmen sah, indem er keinen Widerspruch
erhob. Ich möchte mir daher die Frage erlauben, ob es ebenso
schwierig ist, einen Körper von irgend sonst einer Gestalt zu bilden, oder
um mich deutlicher zu erklären, ob es mehr Schwierigkeiten macht,
ein Stück Marmor in eine vollkommene Kugel umzugestalten als in
eine vollkommene Pyramide oder ein vollkommenes Pferd oder eine
vollkommene Heuschrecke.
Salv. Die erste Frage lafst mich beantworten. Zunächst bitte
ich um Entschuldigung für die scheinbare Zustimmimg, die ich dem
Signore Simplicio zollte; sie sollte nur eine vorläufige sein. Auch
ich wollte, ehe wir diesen Gegenstand verlassen, demselben oder einem
ganz ähnlichen Gedanken wie Ihr Ausdruck verleihen. Ich beantworte
Euere <*i-ste Frage und behau})te, dafs, wenn man einem Körper irgend-
222 Dialog über die Weltsysteme. [230. 231.]
Kugelgestalt welclie Gestalt geben kann, ihm keine leichter als die Kugelgestalt zu
stellen als jede Verleihen ist, wie sie denn auch die einfachste ist und unter den
räumlichen Figuren dieselbe Rolle spielt wie der Kreis unter den
Konstruktion ebcncn. Die Konstruktion des Kreises ist ja von den Mathematikern,
unter '^die als vou allen die leichteste, allein für würdig gehalten worden, unter
genommen, die Postulate aufgcuommen zu werden, welche für die Konstruktion
aller anderen Figuren notwendig sind. Die Herstellung einer Kugel
Kugelförmige ist SO Icicht, dafs man nur in einer ebenen Platte von hartem Metall
schiedener einen kreisförmigen Ausschnitt anzubringen und in diesem einen be-
sieh mit einem liebigcu, gauz roh abgerundeten Körper willkürlich hin- und herzudrehen
meute her- braucht; cr wird dami ganz von selbst, ohne dafs man sonst einen
Kunstgriff anzuwenden hätte, die denkbar vollkommenste Kugelgestalt
annehmen, vorausgesetzt, dafs besagter Körper nicht kleiner ist als
die Kugel, die durch jenen Kreis eben hindurchgeht. Was dabei be-
sonders beachtenswert ist, es werden sich in demselben Ausschnitt
Kugeln von verschiedener Gröfse herstellen lassen. Was hingegen
dazu gehört, ein Pferd oder, wie Ihr sagt, eine Heuschrecke zu bilden,
stelle ich Euerem Urteil anheim, der Ihr wifst, wie wenige Bildhauer
auf der Welt es giebt, die imstande sind, das zu leisten. Ich
glaube, Signore Simplicio wird in dieser Frage nicht anders denken
als ich.
Simpl. Ich weifs nicht, ob ich irgendwie anders darüber denke
als Ihr. Meine Meinung ist, dafs keine der genannten Figuren voll-
kommen hergestellt werden kaim. Handelt es sich aber darum, einen
möglichst hohen Grad der Annäherung an die Vollkommenheit zu er-
zielen, so ist es meiner Meinung nach unvergleichlich viel leichter,
einem Körper die Gestalt einer Kugel als die eines Pferdes oder einer
Heuschrecke zu geben.
Sagr. Woher rührt nun aber Eueres Bedünkens diese gröfsere
Schwierigkeit ?
Simpl. Gerade wie die leichte Herstellbarkeit der Kugel durch
rnregeimiirsigeihre absolutc Einfachheit und Gleichförmigkeit bedingt wird, so er-
i.erzu^teiien.^schwert die aufserordentliche Unregelmäfsigkeit der übrigen Figuren
ihre Anfertigung imgemein.
Sagr. Da also die Unregelmäfsigkeit die Schwierigkeit verursacht,
wird auch die Gestalt eines mit dem Hammer aufs Geratewohl zer-
schlagenen Steines zu den schwer herstellbaren gehören; demi sie ist
vielleicht noch unregelmäfsiger als die eiiffes Pferdes, nicht wahr?
Simpl. Allerdings mufs das der Fall sein.
Sagr. Aber sagt mir: die Gestalt, die der Stein hat, mag sie
sein, wie sie will, hat er in höchster Vollkommenheit, oder nicht?
[231. 232.] Zweiter Tag. 223
Simpl. Diejenige, welche er liat, hat er in solcher Vollkommen-
heit, (lafs keine andere ihr an Genauigkeit gleichkommt.
Sagr. Wenn also von den unregelmäfsigen, mithin schwer her-
stellbaren Gestalten, dennoch unendHch viele mit höchster Vollkommen-
heit erhalten werden können, welche Veranlassung hat mau dann zu
sagen, dafs die einfachste, und folglich leichteste von allen, unmöglich
vorhanden sein kann?
Salv. Ohne den Herren zu nahe treten zu wollen, ich glaube,
wir führen einen Streit um des Kaisers Bart. Während wir unsere
Erwägungen über ernste und bedeutende Fragen fortsetzen sollten,
verschwenden wir die Zeit mit nichtigem Gezänk über völlig uner-
hebliche Dinge. Seien wir, bitte, eingedenk, dafs die Frage nach Frage nach
dem Bau des Weltalls zu den gröfsten mid vornehmsten Problemen weitaiis eiues
_ . , der vornehmsten
der Naturwissenschaften zählt, umsomehr als sie zur Lösung eines Probleme.
anderen führt, nämlich zur Erklärung von Ebbe und Flut, die seither
von allen grofsen Männern versucht imd vielleicht von keinem ge-
funden worden ist.^^) — Wenn also nichts mehr vorzubringen ist be-
treffs der völligen Erledigung des Einwandes, der von der Rotation
der Erde hergenommen ist — es war dies das letzte Argument für
die Unmöglichkeit der Drehung der Erde um ihren Mittelpunkt —
so können wir nunmehr zur Prüfung der Gründe für und wider die
jährliche Bewegmig übergehen.
Sagr. Ich möchte nicht, Signore Salviati, dafs Ihr unseres gleichen
nach dem Mafsstab Eueres Geistes beurteiltet. Ihr, der Ihr Euch nur
mit den höchsten Fragen zu beschäftigen pflegi, haltet für nichtig
und trivial, was unserem Geiste als angemessene Nahrung erscheint.
Verschmäht es also uns zu liebe nicht, bisweilen zur Befriedigung
unserer Neugierde Euch ein wenig herabzulassen. — Was sodann die
Erledigung des letzten Einwandes betrifft, der sich auf das Fort-
schleudern infolge der täglichen Rotation bezog, so hätte es für mich
gar nicht alles dessen bedurft, was vorgebracht wurde. Gleichwohl
ist mir das, was zum Überflusse zur Sprache kam, so merkwürdig
vorgekommen, dafs es nicht nur nicht meinen Geist ermüdete,
sondern ihn durch den Reiz der Neuheit derart fesselte, wie ich es
mir nicht angenehmer wünschen könnte. Wenn Ihr also sonst noch
eine Untersuchung hinzuzufügen habt, bringt sie nur vor, da ich für
mein Teil gerne davon Kenntnis nehmen werde.
Salv. Ich habe stets an den von mir selbst gemachten Ent-
deckungen die gröfste Freude gehabt; nächst diesem hauptsächlichen
Vergnügen aber ist mir das Angenehmste, sie einem Freunde mitzu-
teilen, der dafür Verständnis hat und Gefallen daran findet. Da Ihr
224 Dialog über die Weltsysteme. [232. 233.]
nun zu diesen gehört, so lasse ich meinem Ehrgeiz ein wenig die
Zügel schiefsen; dieser erbaut sich innerlich daran, wenn ich mich
scharfsinniger erweise als andere Leute, die ihres Scharfblicks wegen
berühmt sind.^*) So will ich denn als Krönung der stattgehabten
Erörterung, als Extrazugabe, einen anderen Fehler der Anhänger des
Ptolemäus und des Aristoteles zur Sprache bringen, welchen sie sich
bei dem schon besprochenen Argumente zu schulden kommen lassen. ^^)
Sagr. Seht, wie ich lüstern darauf warte ihn zu vernehmen.
Salv. Wir haben es bis jetzt als unumstöfsliche Thatsache hin-
genommen und dem Ptolemäus eingeräumt, dafs die auf den Stein
wirkende Schleuderkraft, welche durch die Geschwindigkeit des um
seinen Mittelpunkt sich drehenden Rades erzeugt wird, in demselben
Mafse wächst, wie die Drehungsgeschwindigkeit zunimmt. Daraus
ergab sich, weil die Geschwindigkeit der Erdrotation bei weitem gröfser
ist als die jeder künstlich in Bewegung versetzten Maschine, dafs
das Fortschleudern der Steine und Tiere u. s. w. demnach mit gröfster
Heftigkeit erfolgen müsse. Nun mache ich darauf aufmerksam, dafs
bei dieser Schlufsweise ein grober Fehler unterläuft, sobald wir unter-
schiedslos und ohne weiteres die Geschwindigkeiten mit einander ver-
gleichen. Wemi ich freilich die Geschwindigkeiten desselben Rades
oder zweier einander gleichen Räder in Vergleich stelle, dann wird
allerdings das schneller bewegte die Steine mit gröfserer Kraft fort-
schleudern und mit wachsender Geschwindigkeit wird in demselben
Die Schleuder- Verhältnis die Schleuderkraft wachsen. — Man vergröfsere nun aber
kraft wächst . ....
nicht im ver- die Geschwindigkeit nicht durch vermehrte Umdrehungsgeschwindigkeit
hältuis der ° ö O »
durch vergröfse-des Radcs scllist, wclchcs dadurch geschähe, dafs man die Anzahl der
rimg des Kades / . . .
hedingten Umdrehungen innerhalb gleicher Zeitintervalle vermehrte, sondern
grufseren Ge- '^ '^ '
schwindigkeit. durch Vcrgröfscrung des Durchmessers, durch Herstellung eines
gröfseren Rades, wobei die Dauer einer Umdrehung bei dem kleineu
wie bei dem grofsen Rade die nämliche bleiben soll; bei dem grofsen
Rade würde dann die gröfsere Geschwindigkeit nur durch seinen
gröfseren Umfang bedingt sein. Unter diesen Umständen mag nur
niemand glauben, die Schleuderkraft beim grofsen Rade wüchse im
Verhältnis der Geschwindigkeit seines Umfanges zu der Geschwindig-
keit des Umfanges des kleineren Rades. Dies nämlich ist durchaus
falsch, wovon uns einstweilen ein höchst einfaches Experiment einen
rohen Beweis liefern mag. Demi wir werden einen Stein, den wir
mit einem ellenlangen Rohre schleudern können, mit einem sechs
Ellen langen nicht zu schleudern imstande sein, mag auch das Ende
des langen Rohres, also auch der darin eingeklemmte Stein, sich
doppelt so schnell bewegen als die Spitze des kürzeren Rohres: ein
[233. 234.] Zweiter Tag. 225
Fall, der eintreten wird, wenn die GescliAvindigkeiten so geregelt sind,
dafs in der Zeit, wo das gröfsere Rohr eine ganze Umdreliimg macbt,
das kleinere deren drei ausfülirt.
Sagr. Was Ihr da sagt, Signore Salviati, mufs allerdings ein-
treten, ich sehe es ein. Aber ich kann im Augenblicke nicht so rasch
übersehen, warum gleiche Geschwindigkeiten nicht die gleiche Wirkung
beim Fortschleudern der Körper üben, sondern die des kleineren Rades
eine lebhaftere als die des gröfseren Rades. Ich bitte Euch daher^ mir
zu erklären, wie die Sache zugeht.
Simpl. Diesmal, Signore Sagredo, erkenne ich Euch nicht wieder;
sonst pflegt Ihr im Augenblicke alles zu durchschauen und jetzt lafst
Ihr bei dem Versuch mit den beiden Rohren einen Fehler durch-
schlüpfen, den ich habe durchschauen können Er rührt von der ver-
schiedenen Wirkungsweise her, wenn man das Schleudern einmal mit
dem kurzen und einmal mit dem langen Rohre ausführt. Damit
nämlich der Stein die Kerbe verlasse, darf man nicht seine Bewegung
gleichmäfsig fortsetzen, sondern mufs in dem Augenblicke, wo sie am
schnellsten ist, den Arm einhalten und die Geschwindigkeit des Rohres
hemmen. Infolge davon macht der Stein, der eben in schnellster Be-
wegung begriffen ist, sich los und bewegt sich mit Wucht weiter. Eine
solche Hemmung läfst sich bei dem gröfseren Rohre nicht vornehmen,
welches seiner Länge und Biegsamkeit wegen der Lenkung des Armes
nicht völlig gehorcht. Es folgt vielmehr dem Steine noch ein Stück
Wegs, hält ihn also mit sanftem Zügelzug an sich und läfst ilm nicht
davon fliegen, wie wemi es auf ein hartes Hindernis gestofsen wäre.
Wemi beide Rohre auf ein Hemmnis stiefsen, welches sie zum Stille-
stehen brächte, so glaube ich, der Stein würde in dem einen wie in
dem anderen Falle fortfliegen, auch wenn die Bewegungen gleich schnell
sein sollten.
Sagr. Mit Signore Salviatis Erlaubnis will ich dem Signore
Simplicio einiges erwidern, da er sich an mich gewandt hat. Ich be-
haupte, dafs in dem, was er sagte, Gutes mid Schlechtes enthalten ist:
Gutes, weil fast alles wahr ist. Schlechtes, insofern es nicht im ge-
ringsten für unseren Gegenstand von Belang ist. Es ist sehr richtig,
dafs die Steine, weim der Gegenstand, der sie rasch dahinträgt, auf
ein unbewegliches Hindernis stöfst, mit Wucht vorwärts fliegen. Es
ist das dieselbe Erscheinung, welche man alltäglich bei einem Boote
beobachten kami-, sobald ein solches, in schneller Fahrt begriffen, auf-
läuft oder auf irgend welches Hindernis stöfst, so verlieren plötzlich
alle darin Befindlichen das Gleichgewicht, wenn sie unvermutet davon
betroffen werden, und fallen nach der l\ic'htung, in wehlier das Fahr-
G&MLEi, Weltsysteme. 15
226 Dialog über die Weltsysteme. [234. 235,]
Die tägliche zeug fulir. Weiiii der Erdball eiu äkiiliches Hindernis anträfe, welches
gegeben, würdenganz uud gar Seiner Dreliung sich widersetzte, und welches ihn zum
selbst Berge, Stillestchen brächte, so würden allerdings, glaube ich, nicht nur Tiere,
ganze Krdbaii Gebäudc uud Städte, sondern Berge, Seeen und Meere zerstört werden,
wenn er piütz- weuu uicht gar der Erdball selbst zersplitterte. Aber nichts von alle
Hindernis zum deui hat uiit unsercm Gegenstande etwas zu thun; wir sprechen ja von
würde. dem, was eintreten kann bei einer gleichmäfsigen, ungestörten, wenn
auch sehr schnellen Drehung der Erde um sich selbst. Auch das,
was Ihr von den beiden Rohren sagt, ist • teilweise richtig. Aber
Signore Salviati wollte damit auch kein Beispiel geben, welches ganz
dem Gegenstande entspräche, den wir behandeln, er wollte nur ganz
von ungefähr unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dafs es einer sorg-
* fältigen Prüfung bedarf, ob die Schleuderkraft bei irgendwie wachsender
Geschwindigkeit in demselben Verhältnis wächst. Wenn z. B. ein Rad
von zehn Ellen Durchmesser sich so bewegt, dafs ein Punkt seiner
Peripherie in einer Zeitminute hundert Ellen zurücklegt und darum
Schwungkraft genug hat, einen Stein fortzuschleudern, so fragt es
sich, ob diese Kraft hunderttausendmal so grofs wird bei einem Rade,
welches einen Durchmesser von einer Million Ellen besitzt. Dies stellt
Signore Salviati in Abrede und ich neige derselben Ansicht zu, ohne
sie indessen begründen zu können. Eben darum habe ich ihn gebeten,
dies zu thun und bin sehr gespannt, die Erklärung zu hören.
Salv. Ich bin bereit Eueren Wunsch zu erfüllen, soweit es in
meinen Kräften steht. Und obgleich Eucli vielleicht bei meinen ersten
Worten scheint, als beschäftigte ich mich mit nicht hierher gehörigen
Dingen, so glaube ich doch, wir werden beim Fortgange der Unter-
suchung finden, dafs dem nicht so ist."^^) Darum sagt mir, Signore
Sagredo: worin besteht nach Eueren Beobachtungen der Widerstand,
den irgend ein Körper der Bewegung entgegensetzt?
Sagr. Soviel ich einstweilen sehe, setzt ein Körper der Bewegung
nur dann imieren Widerstand entgegen, weim er einen natürlichen
Hang und Trieb zu der entgegengesetzten Bewegung hat; so leisteu
die schweren Körper, welche einen Trieb zur Abwärtsbewegung be-
sitzen, Widerstand gegen eine Bewegung nach oben. Inneren
Widerstand, habe ich gesagt, demi diesen meint Ihr vermutlich und
nicht etwa die äufseren Widerstände, die zufällig und sehr verschieden-
artig sein können.
Salv. Das habe ich sagen wollen. Euer Scharfsiim hat meiner
Umsicht den Rang abgelaufen. Wenn ich aber einerseits meine Frage
zu knapp bemessen habe, so zweifle ich dagegen auch, dafs Signore
Sagredo mit seiner Antwort völlig das Richtige getroffen hat. Ich
[235. 236.] Zweiter Tag. 227
glaube, dem Körper wohnt, abgesehen von dem natürlichen Triebe
nach der entgegengesetzten Richtung, eine andere gleichfalls innerliche
und natürliche Eigenschaft iime, die ihn der Bewegung sich wider-
setzen läfst. Ich frage darum noch einmal: glaubt Ihr nicht, die
Neigung der schweren Körper sich abwärts zu bewegen sei ebenso ner Trieb
grofs wie der Widerstand derselbigen Körper gegen eine aufwärts ge- z"r Bewegung
richtete Bewegung? gleich dem
Sagr, Allerdings sind sie meiner Meinung nach genau gleich, gegen die Be-
Darum sieht man auch bei der Wage zwei gleichschwere Körper ruhig oben.
im Gleichgewicht bleiben, da die Schwere des einen Widerstand leistet
gegen das Emporschnellen vermöge der Schwere, mit welcher das
andere Gewicht nach unten drückt und jenes heben möchte.
Salv. Sehr gut! Damit demnach eines das andere hebe, müfste
das nach unten drückende an Gewicht zu-, oder das andere daran ab-
nehmen. Wenn aber in dem Gewichte allein die Ursache des Wider-
stands gegen die Bewegung nach oben zu suchen ist, woher rührt es
dami, dafs bei der Wage mit ungleichen Armen, nämlich bei der
Schnellwage, bisweilen ein Gewicht von hundert Pfund trotz seines
Druckes nach unten nicht ausreicht, um eines von vier Pfund, das
ihm entgegenwirkt, zu heben, ja dafs sich sogar jenes von vier Pfund
senken und infolge dessen das von hundert Pfmid in die Höhe steigen
kann? Diese Wirkung übt nämlich das Laufgewicht, welches als
Gegengewicht für den zu wägenden schweren Körper dient. Wenn der
Widerstand gegen die Bewegung nur auf der Schwere beruht, wieso
kami dami das vier Pfund schwere Laufgewicht dem Gewichte eines
Ballens Wolle oder Seide von achthundert oder tausend Pfund Wider-
stand leisten, ja durch sein Moment den Ballen besiegen und ihn
heben? Mau kami nicht umhin, Signore Sagredo, zu sagen, dafs man
es hier noch mit einem anderen Widerstände, einer anderen Kraft zu
thun hat, als blofs mit der Schwere.
Sagr. Allerdings mufs das so sein; so nennt mir demi jene
zweite Eigenschaft.
Salv. Es ist der Umstand, der bei der gleicharmigen Wage fehlt.
Bedenkt, welcher neue Faktor bei der Schnell wage eine Rolle spielt;
ihm mufs notwendig die Ursache der neuen Erscheinung zugeschrieben
werden.
Sagr. Ich glaube. Euer Fragen hat mich auch auf einen Einfall ge-
bracht. Bei beiden Apparaten hat man es mit einem Gewichte und
einer Bewegung zu thun. Bei der gewöhnlichen Wage sind die Be-
wegungen gleich, und aus diesem Grunde mufs das eine Gewicht das
andere au Schwere übertreffen, um es in Bewegung zu setzen. Bei
15*
228 Dialog über die Weltsysteme. [236. 237.]
der Sclinellwage hingegen wird das kleinere Gewiclit das gröfsere nur
dann bewegen^ wenn letzteres infolge seiner geringen Entfernung vom
Drelij)unkt sich nur wenig bewegt^ während ersteres wegen seiner
gröfseren Entfernung vom Drehpunkt sich stark bewegt. Man kommt
also zu dem Ergebnis, dafs das kleinere Gewicht den Widerstand des
gröfseren dadurch besiegt, dafs es sich bedeutend, das andere hingegen
nur unbedeutend bewegt.
Salv. Das heifst also: die Geschwindigkeit des weniger schweren
Körjiers kompensiert das Gewicht des schwereren, aber langsameren
Körpers.
Sagr. Meint Ihr aber, die Geschwindigkeit könne den Maugel
der Schwere völlig ausgleichen? Ist also das Moment und die Kraft
Die gröfsere eiucs Körpers von beispielsweise vier Pfund Gewicht ebenso grofs
Geschwindigkeit ... , . . .
kompensiert wie dic cincs hundert Pfund schweren, sobald jener eine Geschwindig-
gröfsereschwere.keit von hundert Grad, dieser eine solche von vier Grad besitzt?'*'')
Salv. Ganz gewifs; ich könnte Euch das mittels vielfältiger Ver-
suche nachweisen, einstweilen aber mag die Bestätigung, welche die
Schnellwage an die Hand giebt, ausreichen. Bei ihr könnt Ihr beob-
achten, wie das leichte Laufgewicht dem sehr schweren Ballen zu
widerstehen und das Gleichgewicht zu halten vermag, sobald sein Ab-
stand vom Stütz- und Drehpunkt der Schnellwage den Arm, an
welchem der Ballen wirkt, sovielmal an Gröfse übertrifft, wie das
absolute Gewicht des Ballens gröfser ist als das des Laufgewichts.
Diese Unfähigkeit des grofsen Ballens vermöge seines Gewichtes das
soviel leichtere Laufgewicht zu heben, kann nur in dem Unterschied
der Bewegungen begründet sein, welche beide eventuell auszuführen
hätten. Denn unter der Annahme, dafs der Ballen hundertmal schwerer
ist als das Laufgewicht imd dafs die Entfernung des Laufgewichtes
vom Drehpunkt der Schnellwage hundertmal so grofs ist als die Ent-
fernung des Aufhängungspunktes vom Drehpunkt, würde ein Sinken
des Ballens um einen Zoll das Laufgewicht hundert Zoll hoch heben.
Wenn nun aber das Laufgewicht um eine Strecke von hundert Zoll
sich hebt in der nämlichen Zeit, wo der Ballen sich einen Zoll tief
senkt, so heifst das mit anderen Worten: die Geschwindigkeit des sich
bewegenden Laufgewichtes ist hundertmal so grofs als die Geschwin-
digkeit des in Bewegung begriffenen Ballens. Prägt es nun Euerem
Geiste als unumstöfslich richtigen Grundsatz ein: der von der Ge-
schwindigkeit der Bewegung herrührende Widerstand kompensiert den
durch das Gewicht eines anderen Körpers bedingten. Es ist folglich
ebenso schwer einem Körper von einem Pfund Gewicht Einhalt zu
thun, wenn er sich mit einer Geschwindigkeit von hundert Grad bewegt,
[237. 238.] Zweiter Tag. 229
als einem Körper von hundert Pfund, der sich mit einer Geschwindig-
keit von einem Grade bewegt. Ferner werden zwei gleiche Körper
allerdings mit gleichem Widerstreben sich bewegen lassen, weim sie
in gleich schnelle Bewegung versetzt werden sollen; wenn der eine
aber schneller als der andere bewegt werden soll, so wird er gröfseren
Widerstand leisten, entsprechend dem Mehrbetrag der Geschwindigkeit,
die ihm mitgeteilt werden soll. — Nach diesen Feststellungen kommen
wir zu der Behandlung unseres eigentlichen Problems. Behufs leichteren
Verständnisses entwerfen wir eine kleine
Zeichnung. Um das Centrum Ä mögen sich
zwei ungleiche Räder drehen. Die Peripherie
des kleineren sei B G, die des gröfseren CEH-f
der Radius ABC sei lotrecht, und durch die
Punkte B, C seien die Tangenten BF, CD
gezogen. Sodaim seien auf den Bogen BG,
CE die beiden Stücke B G und CE von
gleicher Länge. Angenommen nun, die beiden
Räder bewegten sich um ihren Mittelpunkt
mit gleichen Geschwindigkeiten derart, dafs
zwei Körper, etwa zwei in B und C befind-
liche Steine, längs der Peripherieeu BG mid
CE mit gleichen Geschwindigkeiten fortge- ^^^
führt werden; es würde dann also in derselben Zeit, in welcher der
Stein B den Bogen B G durchläuft, der Stein C den Bogen C E
zurücklegen. Ich behaupte nun, dafs die Rotation des kleineren Rades
weit eher den Stein B fortzuschleudern vermag, als die Rotation des
gröfseren Rades den Stein C. Denn da, wie früher bemerkt, das
Fortschleudern längs der Tangeute erfolgen mufs, so würden die Steine
B und C, sobald sie sich von dem Rade losreifsen und von den
Punkten B und C aus ihre Schleuderbewegung beginnen sollten, durch
den ihnen vermöge der Rotation mitgeteilten Antrieb längs der Tan-
genten B Fj CD weggeschleudert werden. Es ist also der Trieb der
beiden Steine sich längs der Tangenten BF und CD zu bewegen bei
beiden der gleiche; sie würden diesem Triebe auch Folge leisten, wenn
sie nicht durch irgend welche andere Kraft abgelenkt würden. Oder
ists nicht so, Signore Sagredo?
Sagr. So vorhält sich die Sache, wie mir scheint.
Salv. Welche Kraft aber ist es, nach Euerer Meimmg, welche
die Steine davon • zurückhält, sich längs der Tangente zu bewegen,
wohin die Kraft der Rotation sie doch in Wahrheit treibt'?
Sagr. Sie werden entweder durch die eigene Schwere oder durch
230 Dialog über die Weltsysteme. [238. 239.]
irgend welches Bindemittel in ihrer Lage oder ihrer Befestigimg auf
den Rädern zurückgehalten.
Salv. Um aher einen Körper von einer Bewegung, zu der er
einen Trieb hat, zurückzuhalten, bedarf es doch gröfserer oder ge-
ringerer Kraft, je nachdem die Ablenkimg eine gröfsere oder kleinere
sein soll, d. h. je nachdem er bei der Ablenkung in der nämlichen
Zeit eine gröfsere oder geringere Strecke zurückzulegen hat, nicht
wahr?
Sagr. Ja, denn es wurde schon oben bewiesen, dafs es zur Be-
wegung eines Körpers eines um so stärkeren bewegenden Faktors be-
darf, mit je gröfserer Geschwindigkeit er bewegt werden soll.
Salv. Nun erwägt, dafs, um den Stein beim kleineren Rade von
der Schleuderbewegung abzulenken, die längs BF erfolgen würde,
und um ihn am Rade festzuhalten, die eigene Schwere ihn ablenken
mufs und zwar um die Länge der Sekante FG oder des Perpendikels
von G auf die Linie BF. Hingegen braucht die Ablenkung bei dem
gröfseren Rade nicht mehr zu betragen als die Länge der Sekante DE
oder des Perpendikels von E auf die Tangente CD; diese letztere ist
aber viel geringer als im vorigen Fall und wird immer geringer und
geringer, je gröfser das Rad wird. Da mm diese Ablenkungen in
gleichen Zeiten zu erfolgen haben, nämlich während der Zeiten, wo
die beiden gleichen Bogen B G, C E zurückgelegt werden, so wird die
Ablenkung des Steines B, d. h. die Strecke FG schneller durchlaufen
werden müssen als die andere DE. Es wird also viel mehr Kraft er-
forderlich sein, um den Stein B an seinem kleinen Rade als den Stein C
an seinem grofsen festzuhalten. Dies heifst mit anderen Worten: die
und jene geringfügige Ursache hindert beim grofsen Rade das Fort-
schleudern, während sie am kleüieu nicht dazu imstande sein wird.
Es ist also klar: je mehr das Rad wächst, umsomehr verringert sich
die Schwmigkraft.
Sagr. Dank Euerer ausführlichen Zergliederimg bin ich jetzt,
wie ich glaube, in den stand gesetzt, eine meinen Geist l)efriedigende
Darstellung in ganz kurzen Worten zu geben. Vermöge der gleichen
Geschwindigkeit der zwei Räder nämlich wird beiden Steinen gleicher
Antrieb eingeflöfst längs der Tangenten sich zu bewegen. Die Peri-
pherie des grofsen Kreises aber, die sich nur wenig von der Tangente
entfernt, giebt gewissermafsen nach und lenkt mit sanftem Zügelzug
den Instinkt des Steines, wenn ich so sagen darf, welcher sich von
der Peripherie loszureifsen strebt. Daher wird jede kleine Gegen-
wirkung, mag sie aus eigenem Antrieb hervorgehen oder in einem
künstlichen Bindemittel bestehen, gentigen ihn darauf zurückzuhalten.
[239. 240.] Zweiter Tag. 231
Eine derartige Gegenwirkung ist aber uiclit imstande am kleineu Rade
das uämliche zu leisten; denn dieses folgt nur wenig der Richtung
der Tangente und sucht allzu eigenwillig den Stein bei sich zu be-
halten. Wenn nun der Zügel oder das Bindemittel nicht stärker ist
als dasjenige, welches den anderen Stein mit dem gröfseren Rade zu-
sammenhielt, so entwindet sich der Zaum den Händen imd der Stein
entfernt sich auf der Tangente. Ich sehe daher jetzt nicht nur ein,
dafs alle die geirrt haben, welche glaubten, die Schwungkraft wüchse
in demselben Verhältnis wie die Geschwindigkeit der Rotation, sondern
ich überlege noch weiter so. Da die Schwungkraft bei Zunahme des
Rades abnimmt, sobald die Räder dieselbe Geschwindigkeit beibehalten,
so dürfte vielleicht der folgende Satz richtig sein: damit das grofse
Rad ebensolche Schleuderkraft entfalte, wie das kleine, mufs es so
sehr an Geschwindigkeit zunehmen, wie es an Durchmesser wächst.
Dies würde eintreten, wenn die ganzen Umdrehungen in beiden Fällen
gleiche Zeiten beanspruchten. Daher darf man wohl annehmen, dafs
durch die Rotation der Erde ein Stein ebensowenig weggeschleudert
werden kann, wie durch ein beliebig kleines Rad, welches sich der-
mafsen langsam dreht, dafs es in vierundzwanzig eine einzige Um-
drehung ausführt.
Salv. Ich möchte vorläufig dieses nicht näher untersuchen. Es
ist genug, dafs wir, wenn ich mich nicht täusche, die Belanglosigkeit
des Arguments nachgewiesen haben, welches beim ersten Blick aufser-
ordentlich schlagend schien und von den bedeutendsten Mäimern als
solches anerkannt wurde. Ich will Zeit und Worte nicht für verloren
erachten, wenn es mir gelungen ist, auch in den Augen des Signore
Simplicio die Lehre von der Bewegmig der Erde, ich will nicht sagen,
wahrscheinlich erscheinen zu lassen, aber doch als glaubhaft darzuthim,
dafs die Meinung der Anhänger des Kopernikus nicht so lächerlich
und thöricht sei, wie der grofse Haufe der gewöhnhchen Gelehrten
amiimmt.
Simpl. Die bisher angeführten Widerlegungen der Einwände
gegen die tägliche Drehung der Erde, welche sich bezogen auf den
Fall der schweren Körper von der Spitze eines Turmes, auf die Wurf-
bewegung lotrecht nach oben oder nach irgendwelcher seitlichen Rich-
tung, östlich, westlich, südlich oder nördlich u. s. w. haben mir den
eingewurzelten Unglauben gegen besagte Lehre teilweise verringert.
Aber andere schAvererc Bedenken tauchen jetzt in meinem Geiste auf.
Von diesen weifs ich mich luibedingt nicht zu befreien; ich glaube,
Ihr selbst werdet Euch ihrer nicht entschlagen köimen. Vielleicht
auch sind sie Euch gar nicht zu Ohren gekommen, weil sie noch
232 Dialog über die Weltsysteme. [240. 241.]
ganz neuen Datums sind. Es sind die Einwendungen zweier Autoren,
welche ex professo gegen Kopernikus sclireiben. Die einen sind enthalten
Andere Ein- j^ einem „naturwissenschaftlichen Thesenbüchlein": die anderen rühren
weudungfn "
zweier moderner^Qj^ ciucm bedeutenden Philosophen her, der zugleich Mathematiker
Schriftsteller ^ ' _ "
8®^<'.^ ist, und finden sich in einer Abhandlung, worin er Aristoteles vmd
Kopernikus. ' _ / . .
dessen Meinung betreffs der Unveränderlichkeit des Himmels vertei-
digt.^**) Er beweist darin, dafs nicht nur die Kometen, sondern auch
die neuen Sterne, nämlich die vom Jahre 72 in der Cassiopeja imd
der vom Jahre G04 im Schützen keineswegs jenseits der Planeten-
sphäi^e standen, sondern unbedingt unterhalb des. Mondes in der ele-
mentaren Sphäre. Er beweist das im Gegensatz zu Tycho, Kepler
und vielen anderen astronomischen Beobachtern, und zwar bekämpft
er sie mit ihren eigenen Waffen, nämlich mittels der Parallaxen.
Wenn es Euch recht ist, werde ich die Gründe des einen und des
anderen vorbringen, denn ich habe sie mehr als einmal aufmerksam
gelesen. Ihr könnt deren BcAveiskraft prüfen und Euere Meinimg
darüber kundthim.
Salv. Dieweil imser Hauptzweck ist, alles das anzuführen und zu
erwägen, was für und gegen die beiden Systeme, das ptolemäische und
das kopernikanische, vorgebracht wurde, so wird es rätlich sehi, nichts
von dem zu übergehen, was über diese Materie geschrieben worden ist.
Simpl. Ich will also mit denjenigen Einwänden den Anfang
machen, welche in dem Theseubüchlein enthalten sind, und später zu
dem anderen übergehen. ^'^) Erstlich berechnet also der Autor mit
Erster Einwandgrofsem Scharfsjunc, wieviele Miglien in der Stunde eüi Punkt der Erd-
verfassers des obcrfläche uuter dem Äquator zurücklegt, und wieviele Mighen von
büchieins". anderen Punkten zurückgelegt werden, die imter anderer Breite liegen.
Nicht zufrieden damit, die Beweguugen in Zeit einer Stunde zu er-
forschen, findet er sie auch für die Zeit einer Minute, imd auch damit
nicht zufrieden, macht er sie bis auf den winzigen Bruchteil einer
Sekunde ausfindig. Aber noch mehr, es gelingt ihm vollkommen klar
Eine Kanonen- ZU beweiseu, wicvlel Migüeu in diesen Zeitintervallen eine in die Mond-
mehrair's'echs Sphäre versctztc Kanonenkugel zurücklegen würde, indem er sogar die An-
chenfumvon deruahme macht, dafs diese Sphäre so grofs sei, wie es Kopernikus selbst
zum E^rdmitte^sich vorstcllt, um damit den Gegnern jede Ausflucht unmöglich zu machen,
fallen, nach An'-Nach Ausführung dicscr ausgesucht scharf simügen Rechnung zeigt er,
fassers de" dafs ein von dort oben herabfallender schwerer Körper noch mehr als
büchieins. sechs Tage gebrauchen würde, um bis zum Erdmittelpunkt zu gelangen,
wohin naturgemäfs alles Schwere strebt. Wenn also durch göttliche
Allmacht oder durch ein Wunder der Engel eine dicke Kanonenkugel dort-
hinauf geschafft würde und zwar an die Stelle lotrecht über unserem
[241. 242.] Zweiter Tag. 233
Scheitel, und wenn man sie dort sich selbst überliefse, so wäre es nach
seiner und meiner Meinun<>' völlig' unglaublich, dal's sie bei der Ab-
wärtsbewegung sich beständig in unserer Scheitellinie hielte und fort-
führe während so vieler Tage sich mit der Erde um deren Mittelpmikt
zu drehen, wobei sie unter dem Äquator eine Spirallinie in der Ebene
dieses gröfsten Kreises beschrielje, unter anderer Breite hingegen
Spirallinien um einen Kegel und unter den Polen eine einfache gerade
Linie. Er unterstützt und bekräftigt die Unwahrscheinlichkeit dieser
Vorstelhmg dadurch, dafs er durch Aufwerfen von Fragen viele
Schwierigkeiten vorbringt, die unmöglich von den Anhängern des
Kopernikus beseitigt werden können. Wenn ich mich recht erinnere,
sind es . . .
Salv. Nur langsam, ich bitte Euch, Signore Simplicio! Wollet
mich nicht durch soviel Neues gleich auf einmal vernichten. Mein
Gedächtnis ist schwach und ich mufs daher Schritt für Schritt gehen.
Es fällt mir ein, dafs ich auch schon habe berechnen wollen, nach
welcher Zeit ein solcher von der Mondsphäre herabfallender Stein im
Erdmittelpimkte ankommen würde, und ich glaube mich zu erinnern,
dafs es nicht so lauger Zeit bedarf Es wird daher gut sein, wenn
Ihr ims mitteilt, welches Verfahren der Autor l)ei seiner Rechnung
eingeschlagen hat.
Simpl. Er hat es, um seine Behauptung a fortiori zu erweisen,
für den gegnerischen Standpunkt sehr günstig gestaltet, indem er von
der Annahme ausgeht, dafs die Geschwindigkeit des längs der Vertikal-
linie nach dem Erdmittelpunkte fallenden Körpers gleich sei der Ge-
schwindigkeit seiner Kreisbewegung im gröfsten Kreise der Mond-
sphäre. Auf dieser rechnerischen Grmidlage würde er in einer Stmide
zwölftausendsechshundert deutsche Meilen'''^) zurücklegen, eine Annahme,
die geradezu unmöglich ist. Gleichwohl um mit mehr Vorsicht zu
Werke zu gehen, als eigentlich nötig, imd um dem Gegner alle Vor-
teile einzuräumen, setzt er sie als richtig voraus und folgert dann
daraus, die Dauer des Falles müsse imbedingt mehr als sechs Tage
betragen.
Salv. Und das ist sein ganzer Beweis? Und damit will er dar-
thun, die Zeit jenes Falles betrage mehr als sechs Tage?
Sagr. Mir scheint, er hat sich imgemein entgegenkommend be-
wiesen; denn wiewohl es in seiner Macht lag, dem fallenden Körper jede
beliebige Geschwindigkeit zu verleihen und ihn folglich nach sechs
Monaten oder auch nach sechs Jahren zur Erde gelangen zu lassen,
hat er sich mit sechs Tagen begnügt. Aber ich bitte Euch, Signore
Salviati, stellt meinen gestörten xippetit wieder her und teilt mir mit,
234 Dialog über die Weltsysteme. [242. 243.]
in welcher Weise Ihr die Rechuimg augestellt habt, da Ihr sagt, Ihr
hättet sie schon einmal ausgeführt. Deuu ich bm überzeugt, dals Ihr
Euch nicht damit abgegeben hättet, Aväre nicht zu diesem Zwecke ein
sinnreiches Verfahren nötig.
Salv. Es ist nicht genug, Signore Sagredo, sich an ein wjirdiges
und bedeutendes Problem zu machen, die Kunst ist es würdig zu be-
handeln. Wer wüfste nicht, dafs bei der Zergliederimg eines Tieres
sich imzählige Wunderwerke der umsichtigen und allweisen Natur
entdecken lassen? Aber auf eines, das der Anatom zerschneidet,
kommen tausend, die der Fleischer schlachtet. Wenn ich jetzt Euere
Bitte zu erfüllen suche, so weifs ich nicht, ob ich im Gewände des
einen oder des anderen auf die Schaubühne treten . werde. Das Auf-
treten des von Signore Simplicio angeführten Autors macht mir indessen
Mut, und so will ich denn nicht säumen. Euch die Methode vorzu-
tragen, die ich eingeschlagen habe, wenn ich mich ihrer noch entsinnen
kann. Bevor ich indessen Hand ans Werk lege, kann ich die Be-
merkimg nicht imterdrücken, dafs ich starken Zweifel hege, ob Signore
Simplicio die Methode getreu wiedergegeben hat, nach der sein Autor
die Dauer des Falles der Kanonenkugel von der Mondsphäre bis zum
Mittelpunkte der Erde auf mehr als sechs Tage berechnet. Deim
wenn er wirklich angenommen haben sollte, seine Geschwindigkeit
beim Fallen sei gleich der der Mondsphäre, wie Signore Simplicio ihn
thatsächlich annehmen läfst, so würde er sich als völlig bar auch nur
der ersten und einfachsten geometrischen Kenntnisse bekennen. Ja,
ich wimdere mich, dafs Signore Simplicio selbst, wenn er die ange-
führte Voraussetzimg zugiebt, die grenzenlose darin enthaltene Unge-
heuerlichkeit nicht bemerken sollte.
Simpl. Dafs ich in der Wiedergabe mich geirrt haben sollte, ist
wohl möglich; einen Fehlschlufs aber darin zu entdecken, wüfste ich
sicherlich nicht.
Salv. Vielleicht habe ich nicht recht verstanden, was Ihr be-
richtet habt. Sagt Ihr nicht, der Verfasser, nehme die Geschwindigkeit
der Kugel während des Falles gleich derjenigen an, welche sie bei der
Kreisbewegung in der Mondsi)häre besafs? sagt Ihr nicht weiter, dafs
sie infolge dieser Geschwindigkeit in einer Zeit von sechs Tagen sich
hernieder zum Mittelpunkt begäbe?
Simpl. Ich glaube, so schreibt er.
ke'if''c?eTAr''u- ^^^^- ^^^ ^^ bemerkt Ihr nicht die ganze Ungeheuerlichkeit
"""pau linei'^"'*^^^^'^*^^' ßeli^uptimg? Aber Ihr verstellt Euch sicherlich. Unmöglich
Körpers aus der]jami Euch imbekannt sein, dafs der Halbmesser weniger als den
Mondsphare. ' »
sechsten Teil der Peripherie beträgt und dafs folglich die Zeit, in
[243. 244.] Zweiter Tag. 235
welcher der Köii^er eleu Halbmesser zimicklegt, einen geringeren
Betrag haben muls als ein Sechstel der Zeit, welche der Körper ge-
braucht, um mit derselben Geschwindigkeit die Peripherie zurückzu-
legen; dafs folglich die Kugel, die mit der Geschwindigkeit fallt,
Avelche sie in der Mondsphäre besafs, in weniger als vier Stimden im
Zentrum augelangen wird. Dabei ist die Voraussetzung gemacht, dafs
sie in der Sphäre innerhalb vierundzwanzig Stunden eine Umdrehung
macht, eine Voraussetzung, die er notwendig machen mufs, damit die
Kugel stets in derselben Vertikallinie verbleibt.
Simpl. Jetzt sehe ich den Fehler sehr wohl ein, aber ich möchte
ihn dem Autor nicht ungerechterweise zur Last legen. Ich mufs mich
in der Wiedergabe seines Beweises geirrt haben. Damit ich nicht in
die Lage komme ihm noch andere aufzuhalsen, möchte ich sein
Buch zur Hand haben. Wenn ' es jemand holen könnte, wäre es mir
sehr lieb.
Sagr. Ein Lakai wird es im Nu zur Stelle bringen, es soll
gleich ohne Zeitverlust geschehen. Inzwischen wird ims Signore Sal-
viati durch den Vortrag seiner Berechnungsweise erfreuen.
Simpl. Der Diener kann es holen, denn er wird es aufgeschlagen
auf meinem Studiertisch finden und ebenso das des anderen Verfassers,
der gleichfalls gegen Kopeniikus schreibt.
Sagr. Wir wollen auch dieses zu gröfserer Sicherheit bringen
lassen. Inzwischen wird Sigiiore Salviati seine Rechnimg austeilen.
Ich habe einen Diener abgeschickt.
Salv. Vor allem ist in Betracht zu ziehen, dafs die Bewegimg
der fallenden schweren Körper nicht gleichförmig ist, dafs sie vielmehr
vom Zustande der Ruhe ausgehen imd sich unter fortwährender Be-
schleimigimg bewegen: eine Thatsache, die Jedermann gekannt imdoi^iiauo Berech-
beobachtet hat mit Ausnahme des vorgenannten modernen Autors, der Kauonen-
" ' kugel vou der
welcher sie mit gleichförmiger Bewegims; ausstattet, ohne der Be-^ondsphäre bis
^ ^ . . . zum Erdmittel-
schleunigung Erwähnimg zu thun. Mit dieser unbestimmten Erkenntnis puukte.
aber läfst sich nichts anfangen, solange man nicht weifs, in welchem
Verhältnis jenes Wachsen der Geschwindigkeit stattfindet. Dies aber
ist eine Frage, Avelche bis auf unsere Zeit von keinem Philosophen ge-
löst und die zuerst von imserem gemeinschaftlichen Freunde, dem Aka-
demiker, beantwortet und erforscht worden ist. In etlichen noch Natürliche Be-
. . , , . schleuniguugdcr
imveröfFentlichten Schriften, die er mir und einigen anderen Freunden Bewegung
. , . fallender Kurper
im Vertrauen gezeigt hat, weist er nach, dafs die Beschleunigung der erfolgt gemäfa
.. . ' ' o O der Aufeinander-
geradlimg sich bewegenden schweren Körper gemäfs der Aufeinander- folge der unge-
folge der ungeraden Zahlen von der Einheit ab erfolgt. Bestimmt ^^n der Kin-
man nämlich beliebige, aber gleiche Zeitintervalle in iruendwekher
236 Dialog über ilie Weltsysteme. [244. 245.]
Anzahl, imd legt sodaiiu der Körper, vom Ruhezustand ausgehend, in
dem ersten Zeitintervall eine so imd so grofse Strecke, etwa eine Mefs-
rute, zurück, so wird er im zweiten Zeitintervall drei Ruten, im dritten
fünf, im vierten sieben Ruten zurücklegen u. s. w., stets fortschreitend
wie die ungeraden Zahlen. Dies kommt schliefslich auf dasselbe
ie vom schwe-hinaus, wic wenn man sagt, dafs die zurückgelegten Strecken zu ein-
uTirckgeiegteu ander im doppelten Verhältnis der Zeiten''^) stehen, welche zum
alten sich wie Zurücklcgcn der Strecken erforderlich sind; oder wir können auch
Zeiten. sagcu: die zurückgelegten Strecken verhalten sich zu einander wie die
Quadrate der Zeiten.
Sagr. Welche Wimder habe ich vernommen! imd das läfst sich
mathematisch erweisen, sagt Ihr?
Salv. Mit voller mathematischer Strenge; und nicht nur diese,
sondern viele andere Eigenschaften, welche den natürlichen sowie auch
den Wurfbewegungen zukommen mid die unser Freund aufgefunden
und bewiesen hat. Ich habe sie alle zu meinem gröfsten Vergnügen
und meiner Verwimderimg vernommen und studiert imd habe damit
anzes wissens-ein ueiics umfasscndes Wissensgebiet erschlossen gefimden, das auf
der ortsbewe*- einen Gegenstand sich bezieht, über welchen hunderte von Bänden
schlössen von geschrieben worden sind, ohne dafs auch nur ein einziges der darin
miker. enthaltenen imzähligen bewundernswerten Ergebnisse von jemand
früher beobachtet imd verstanden worden wäre als von unserem
Freunde.
Sagr. Ihr lal'st mir die Lust vergehen, unsere angefangenen
Untersuchungen noch weiter fortzusetzen, ich möchte einzig und allein
einen der angedeuteten Beweise vernehmen. Darum teilt mir sie ent-
weder gleich jetzt mit oder gebt mir wenigstens das feste Versprechen
eine besondere Sitzung darüber abzuhalten, bei der ich zugegen
bin imd zugleich auch Signore Simplicio, weim er Lust hat die Eigen-
schaften imd Gesetze des wichtigsten Vorganges in der Natur kennen
zu lernen.
Simpl. Ohne Zweifel werde ich Lust haben, obgleich ich aller-
dings, was den Naturphilosophen betrifft, es nicht für notwendig
erachte, dafs er sich auch auf gewisse minutiöse Details einläfst. Ich
glaube vielmehr, eine allgemeine Kenntnis von der Definition der Be-
wegung, von der Unterscheidung natürlicher und gewaltsamer, gleich-
förmiger und beschleunigter Bewegung u. dgl. m. reicht völlig aus.
Denn wäre dem nicht so, so würde Aristoteles meiner Meinung nach
nicht verabsäumt haben uns über alles Fehlende zu unterrichten.
Salv. Möglich. Aber verlieren wir damit nicht weiter Zeit, denn
ich verspreche, einen Vor- oder Nachmittag eigens für diesen Zweck
[245. 246.] Zweiter Tag. 237
Euch zu widmen, um Euch zufrieden zu stellen. Ja, eben fällt mir
ein, Euch schon einmal das Versprechen gegeben zu haben diesen
nämlichen Wunsch zu erfüllen. — Wir wollen zu der angefangenen
Berechnung der Zeitdauer zurückkehren, während welcher der schwere
fallende Körper von der Mondsphäre bis zum Erdmittelpunkte gelangen
würde. ^') Um nicht willkürlich und aufs Geratewohl zu Werke zu
gehen, sondern nach völlig strenger Methode, werden wir zuerst durch
mehrfach wiederholte Versuche uns Gewifsheit darüber verschaffen, in
welcher Zeit z. B. eine eiserne Kugel aus der Höhe von hundert Ellen
auf die Erde gelangt.
Sagr. Wobei wir jedoch eine Kugel von dem und dem bestimm-
ten Gewichte zu benutzen haben und zwar ebendieselbe wie die, deren
Fallzeit vom Monde herab wir berechnen wollen.
Salv. Das ist gleichgültig-, denn Kugeln von einem, von zehn,
von hundert oder von tausend Pfund werden alle in derselben Zeit
dieselben hundert Ellen durchmessen.
Simpl. 0, das glaube ich nicht, ebensowenig wie Aristoteles,
welcher schreibt, dafs die Geschwindigkeiten der fallenden Körper sich
zu einander ebenso verhalten wie ihre Gewichte. ^^)
Salv. Da Ihr das als richtig hinnehmt, Signore Simplicio, müfst imum des ah-
Ihr auch glauben, dafs wemi man zwei Kugeln aus demselben Materiale, hauptet, die
• • TM> in ■ 1 • 1-1 schweren Kür-
eine von hundert, die andere von einem Pfund Gewicht im gleichen per bewegten
. . sich heim Fall
Augenblick aus einer Höhe von hundert Ellen herabfallen läfst, die im verhi.itnis
.... ihrer Schwere.
grofse auf der Erde anlangt, ehe noch die kleinere eme emzige Elle
zurückgelegt hat. Nun malt Euch den Anblick aus, wenn Ihr es ver-
mögt, wie die grofse Kugel schon auf der Erde angelangt ist, während
die kleine noch in einer Nähe von weniger als einer Elle bei der
Spitze des Turmes sich befindet.
Sagr. Dafs diese Behauptimg grundfalsch ist, bezweifele ich nicht
im entferntesten, aber auch die Richtigkeit der Eueren verstehe ich
nicht völlig. Dennoch nehme ich sie auf Treu und Glauben hin, weil
Ihr sie mit Bestimmtheit aussprecht, was Ihr sicherlich nicht thätet,
wenn Ihr nicht einen zuverlässigen Versuch oder einen unumstöfslichen
Beweis dafür hättet.
Salv. An beidem fehlt es mir niciht. Sobald wir dieses Kapitel
von den Bewegungen getrennt behandeln werden, will ich Euch davon
Mitteilung machen. Um inzwischen den Faden nicht abzubrechen,
setzen wir voraus, die Rechnmig sei anzustellen für eine eiserne Kugel
von hundert Pfund; nach wiederholt angestellten Versuchen fällt diese
aus einer Höhe von hundert Ellen in einem Zeitraum von fünf Se-
238 Dialog über die Weltsysteme. [246. 247.]
künden.'^'*) Da nun, wie gesagt, die vom fallenden Körper durch-
messenen Strecken im doppelten Verhältnis der Zeiten, d. h. wie die
Quadrate derselben wachsen, da ferner eine Minute das Zwölffache
von fünf Sekmiden ist, so multiplizieren wir die hundert Ellen mit
dem Quadrate von 12, d. h. mit 144, und finden somit 14400 als die
Anzahl der Ellen, welche der Körper in einer Minute zurücklegt. Da
eine Stimde gleich GO Minuten ist, so multiplizieren wir derselben
Regel zufolge 14 400, also die Anzahl der in einer Mümte zurückge-
legten Ellen, mit dem Quadrate von 60, d. h. mit 3600; wir finden
demnach 51840 000 als Anzahl der in einer Stunde zurückgelegten
Ellen, was dasselbe ist wie 17 280 Miglien. Wollen wir die Strecke
ermittehi, die in vier Stunden zurückgelegt wird, so werden wir
17 280 mit Iß, dem Quadrate von 4, multiplizieren und 276 480
Miglien herausbekommen. Diese Zahl ist weit gröfser als die Ent-
fernung der Mondsphäre vom Erdmittelpunkte, welche nur 196 000
Miglien beträgt, sobald man die Entfernung des Mondes zu 56 Erd-
halbmessern annimmt, wie es der moderne Autor thut, ferner den
Erdhalbmesser zu 3500 Miglien rechnet, und die Miglie zu 3000 Ellen,
welches die Gröfse unserer italienischen Miglien ist.
Ihr seht also, Signore Simplicio, dafs die Strecke von dem Monde
bis zum Erdmittelpunkte, die nach Euerem Rechenmeister erst nach
mehr als sechs Tagen zurückgelegt werden kann, in bedeutend weniger
als vier Stunden zurückgelegt wird, wenn man die Rechnung auf die
Erfahrung gründet und nicht auf ein Herzählen an den Fingern.
Rechnet man genau, so ergeben sich 3 Stunden 22 Minuten und
4 Sekunden. , ?;
Sagr. Ich bitte Euch, werter Herr, bringt mich nicht um jene
genaue Berechnung, denn sie mufs wunderschön sein.
Salv. Das ist sie wirklich. Nachdem nämlich, wie gesagt, durch
sorgfältige Beobachtung festgestellt ist, dafs ein' solcher Körper beim
Fall die Höhe von 100 Ellen in 5 Sekunden zurücklegt, können wir
so sagen: wenn 100 Ellen in 5 Sekunden zurückgelegt werden, in
wieviel Sekunden werden 588 000000 Ellen — denn das ist die Länge
von 56 Erdhalbmessern — zurückgelegt werden? Die Regel zur Aus-
führung dieser Rechnung ist folgende: man multipliziere die dritte
Zahl mit dem Quadrate der zweiten, man erhält dann 14 700 000 000;
dies ist zu dividieren durch die erste Zahl, d. h. durch 100; die
Quadratwurzel aus dem Quotienten, welche 12 124 beträgi^ ist dann
die gesuchte Zahl. Man findet, somit 12 124 Sekunden oder 3 Stunden
22 Minuten 4 Sekunden. ^■^)
[247. 248.] Zweiter Tag. 239
Zweiter Tag.
100
Ä
5
B
588 000000
C 25
1
14 700000 000
22
35956
241
10
2422
24244
60
12124
202
3
Sagr. Ich ha))e jetzt wohl das Verfahren kennen gelernt, aber
ich sehe den Grund für die Richtigkeit desselben nicht ein; ich glaube
auch nicht, dafs jetzt der richtige Ztntpuukt ist danach zu fragen.
Salv. Ich will Euch die Erklärung geben, auch ohne dafs Ihr
sie verlangt, denn sie ist sehr leicht zu verstehen. Bezeichnen wir
jene drei Zahlen der Reihe nach mit den Buchstaben A, B, C. A und
C bedeuten danach die Beträge der Strecken, B den Betrag der Zeit;
die vierte gesuchte Zahl entspricht gleichfalls einem Zeitintervall. Da
wir nun wissen, dafs in demselben Verhältnis, welches die Strecken
A und C zu einander haben, auch das Quadrat der Zeit B zu deoi
Quadrate der gesuchten Zeit stehen mufs, so hat man nach der regida
aurea^'^) die Zahl C mit dem Quadrate der Zahl B zu multiplizieren
und das Produkt durch die Zahl A zu dividieren; der Quotient wird
das Quadrat der gesuchten Zahl sein und die Quadratwurzel daraus
die gesuchte Zahl selbst. Ihr seht, wie leichtverständlich das Ver-
fahren ist.
Sagr. So geht es mit allen Wahrheiten, nachdem sie einmal ge-
funden sind; die Kunst ist nur, sie zu finden. Ich verstehe das ganze
sehr wohl und danke Euch. Wenn Ihr sonst noch etwas Wissens-
wertes über diesen Gegenstand mitzuteilen habt, bitte ich Euch es zu
thun. Demi wenn ich offen sprechen soll, so mufs ich mit Verlaub
des Signore Simplicio sagen, dafs ich aus Eueren Untersuchmigen
stets etwas Schönes und Neues lerne; was hingegen seine Philosophen
betrifft, so wüfste ich nichts von Belang, das ich bisher von ihnen
gelernt hätte.
Salv. Nur allzuviel wäre über jene Ortsbewegungen noch zu
sagen. Wir wollen dies aber unserer Übereinkmift gemäfs auf eine
besondere Sitzung verschieben. Für jetzt will ich nur eine Bemerkung
machen, die sich auf den von Signore Simplicio citierteu Autor bezieht.
Derselbe glaubt seinem Gegenpart einen grofsen Vorteil eingeräumt zu
haben, weim er annimmt, die Kanonenkugel könne beim Fall von der
Mondspliäre mit einer Geschwindigkeit lierabkommen, welche gleich
Wenn ein fallen
der schwerer
240 Dialog Über die Weltsysteme. [248. 249.]
der Gescliwindigkeit ist, die sie beim Verbleiben in dieser Sphäre
haben würde, wenn sie an der täglichen Unidrehmig teilnähme. Dem-
gegenüber behaupte ich, dafs die Kugel beim Fall von der Mond-
sphäre bis zum Mittelpmikte der Erde eine Geschwindigkeit erreicht,
die mehr als das Doppelte der Geschwindigkeit beträgt, welche die
Mondsphäre bei ihrer täglichen Umdrehung besitzt, und zwar werde
ich das unter Zugrundelegung völlig richtiger und nicht willkürlicher
"Voraussetzungen nachweisen. Ihr müfst nämlich wissen^'): wemi ein
■^dt?errächtrn*^^^^^®''^^ Körper fällt und in dem bereits angegebenen Verhältnis stets
Geschwindig- yermchrtc Geschwindigkeit sich aneignet, so besitzt er an ieder be-
keitsstiife eben- ~ o ; o
solange gleich- i--u;Q.gjj Stcllc sciuer Bahn eine solche. Geschwindigkeitsstufe, dafs,
formig weiter- O o / /
bewegt würde ^g^n cr fortfülirc sich mit dieser gleichförmig ohne Beschleunigung
er das Doppelte "^-"""^ o o o o
der Strecke „ bewesceu, er in derselben Zeit, die er bisher zum Fallen gebraucht
zurücklegen, die '^0 7 ' _ _ <->
er mit hcschieu-^g^^ A^^^ Doppclte der bis dahin durchfallenen Linie zurücklegen würde.'
niffter Bewegung ; ^ i^^ ^
zurückgelegt ^enn z. B. jene Kugel beim Fall von der Mondsphäre bis zum Mittel-
punkte 3 Stunden 22 Minuten 4 Sekunden gebraucht hat, so behaupte
ich, sie befindet sich, angelangt im Mittelpunkte, auf einer solchen
Geschwindigkeitsstufe, dafs, wemi sie ohne weitere Beschleunigung mit
dieser gleichförmig sich zu bewegen fortführe, sie in 3 Stunden
22 Minuten 4 Sekunden das Doppelte der Strecke zurücklegen würde,
d. h. eine Strecke von der Gröfse des gesamten Durchmessers der
Mondbahn. Nun beträgt die Entfernung des Mondes vom Mittel-
punkte 19G000 Miglien, welche die Kugel in 3 Stunden 22 Minuten
4 Sekunden zurücklegt. Wenn also, die Richtigkeit des Bisherigen
vorausgesetzt, die Kugel die Geschwindigkeit beibehielte, welche sie
bei Ankunft im Mittelpunkte besitzt, so würde sie in abermals
3 Stunden 22 Minuten 4 Sekunden das Doppelte genannter Strecke,
also 392 000 Miglien zurücklegen. Befände sie sich aber in der Mond-
sphäre, deren Umfang 1232 000 Miglien beträgt, so legte sie in der
nämlichen Zeit, also in 3 Stunden 22 Minuten 4 Sekunden 172 880
Miglien zurück, was bedeutend weniger ist als die Hälfte von 392 000
Miglien. Daher steht es mit der Bewegung des schweren Körpers in
der Mondsphäre nicht wie der moderne Autor meint, d. h. die be-
treffende Geschwindigkeit ist nicht so grofs, dafs sie der fallenden
Kugel unmöglich zukommen könnte.
Sagr. Der bei der Untersuchung eingeschlagene Weg wäre vor-
trefflich und würde mich völlig befriedigen, wenn mir nur die Sache
mit der Fallgeschwindigkeit ins reine gebracht wäre, dafs nämlich der
Körper das Doppelte der schon passierten Strecke zurücklegt, sobald
er noch einmal die bisherige Falldauer hindurch sich abwärts zu be-
wegen fortfährt und zwar in gleichförmiger Bewegung und mit der
[249. 250.] Zweiter Tag. 241
höchsten beim Fall erreichten Geschwindigkeit. Dieselbe Behauptung
ist schon einmal von Euch als richtig angenommen, aber nicht be-
wiesen worden.
Salv. Sie gehört zu den von unserem Freunde bewiesenen und
Ihr sollt seiner Zeit näheres darüber erfahren. Inzwischen will ich
Euch mittels etlicher Wahrscheinlichkeitsgründe zwar nicht etwas Neues
lehren, aber Euch doch ein gewisses Vorurteil dagegen benehmen,
indem ich Euch zeige, dafs die Sache möglicherweise sich so verhalten
kanji. Hängen wir an einem laugen, düimen, an der Decke be-
festigten Faden eine Bleikugel auf, entfernen sie aus der lotrechten
Lage und überlassen sie dann sich selbst, habt Ihr dann noch nicht
beobachtet, wie sie beim Schwingen von selbst jenseits der lotrechten
eine nicht viel geringere Abweichung erreicht als zuvor?
Sagr. Gewifs habe ich es beobachtet und bemerkt, wie die Kugel,
besonders wenn sie recht schwer war, fast genau so hoch wieder Die Bewpgimg
steigt, Wie sie herabfiel, derart dafs ich bisweilen den aufsteigenden den schweren
TIP P1-1 -T 1- 1 • Körper würde
Bogen für ebenso grofs hielt wie den absteigenden und meinte, ihre ^ei Beseitigung
Ol* 1 •■n'1-jcii ' XI 11 1 T ^^^ Hindernisse
Schwingungen könnten in Ewigkeit fortdauern. Ich glaube, dafs diesewig fortdauern.
wirklich geschähe, wenn man das Hindernis der Luft beseitigen könnte;
diese setzt aber dem Durchschneiden einen Widerstand entgegen und
bewirkt so eine kleine Verzögerung, ein Hemmnis für die Bewegung
des Pendels. Das Hindernis ist aber sehr gering, dafür zeugt die
grofse Anzahl von Schwingungen, welche vor dem völligen Stillestehen
des Körpers stattfinden.
Salv. Die Bewegung würde dennoch nicht ins Unendliche fort-
dauern, Signore Sagredo, wenn man auch das Hindernis der Luft ganz
und gar beseitigte, denn es ist noch ein anderes, freilich Aveit ver-
steckteres, vorhanden. ^^)
Sagr. Welches wäre das? ich kann mich auf keines besinnen.
Salv. Es wird Euch interessieren davon zu hören. Doch davon
später, inzwischen fahren wir fort. Ich habe Euch auf die Beobach-
tung jenes Pendels verwiesen, um Euch klar zu legen, dafs der auf
dem absteigenden Bogen erworbene Antrieb, längs welchem die Be-
wegung eine natürliche ist, an und für sich imstande ist dieselbe
Kugel in gewaltsamer Bewegung über eine ebenso grofse Strecke auf
dem ansteigenden Bogen hinzutreiben; er ist an und für sich dazu
imstande, sage ich, nach Beseitigung aller äufseren Hindernisse. Auch
läfst sich ohne weiteres einsehen, glaube ich, dafs gerade, wie die
Geschwindigkeit auf dem absteigenden Bogen bis zum tiefsten Punkte
des Perpendikels beständig zunimmt, sie von diesem ab längs des
zweiten ansteigenden Bogens bis zu dem äufsersten höchsten Punkte
GaIjIlei, Weltsysteme. IG
242 Dialog über die Weltsysteme. [250. 251.]
sich vermindert und zwar in denselben Verhältnissen sich vermindert^
wie sie vorher zugenommen hat, sodafs die Stufen der Geschwindig-
keit in Punkten, die gleichweit von dem tiefsten abstehen, unter ein-
wenn der Erd-auder gleich sind. Daraus glaube ich entnehmen zu dürfen — wenn
•wäre, so würde ich auf eiuc völlig strcugc Herleitung Verzicht leiste — dafs, wenn
durch diesen die Erde durch den Mittelpunkt hindurch durchbohrt wäre, eine durch
gender Körper dicseu Schacht liiudurch sich bewegende Kanonenkugel im Mittel-
Mitteipunkts puuktc eine solche Geschwindigkeit erlangen würde, dafs sie infolge
porsteigen, als derselben über den Mittelpunkt hinaus eine ebenso grofse Strecke auf-
feilen ist. wärts getrieben würde, als sie vorher gefallen ist; dabei würde die
Geschwindigkeit jenseits des Centrums um die nämlichen Beträge ab-
nehmen, um welche sie beim Absteigen zugenommen hat, und die Zeit,
welche zu diesem zweiten Teile der Bewegung erforderlich wäre, würde
meiner Ansicht nach der für den Fall erforderlichen gleich sein.*^'')
Wenn nun der Körper, trotzdem seine Geschwindigkeit von dem
gröfsten im Mittelpunkte erreichten Betrage bis zu völliger Aus-
löschung sich beständig vermindert, dennoch in eben der Zeit über
eine solche Strecke hingeführt wird, wie er sie in der nämlichen Zeit
zurückgelegt hat bei einer vom Betrage Null bis zu jenem höchsten
Grade zunehmenden Geschwindigkeit, so erscheint die Annahme wohl
gerechtfertigt, dafs wenn er den höchsten Grad von Geschwindigkeit
stets beibehielte, er in der nämlichen Zeit jene beiden Strecken 1
zurücklegen würde. Denn teilen wir im Geiste jene Geschwindig- 2
keiten in wachsende und abnehmende Stufen ein^°"), wie etwa die 3
nebenstehende Reihe der Zahlen, sodafs die ersten bis zur Zehn 4
die wachsenden, die anderen bis zur Eins hingegen die abnehmen- 5
den vorstellen, jene entsprechend der Zeit des Fallens, diese der 6
Zeit des Emporsteigens, so bemerkt man, dafs sie vereinigt zu- 7
sammen ebensoviel ergeben, als wenn einer der beiden Teile ganz 8
aus den höchsten Stufen bestünde. Es mufs also die ganze 9
Strecke, die mit allen wachsenden und abnehmenden Stufen der 10
Geschwindigkeit zurückgelegt wird, d. h. also der ganze Durch- 10
messer ebenso grofs sein wie die Strecke, welche mit den gröfsten 9
Geschwindigkeitsgraden zurückgelegt wird, sobald die Anzahl dieser 8
Geschwindigkeiten die Hälfte von der Gesamtheit der wachsen- 7
den und abnehmenden beträgt. — Ich bin mir bewulst, wie schwer- G
fällig ich mich ausgedrückt habe; Gott gebe, dafs man verstehen 5
kaim, was ich meine. 4
Sagr. Ich glaube das sehr wohl verstanden zu haben und mit 3
wenigen Worten auch zeigen zu können, dafs ich es verstanden habe. 2
Ihr habt folgendes sagen wollen: wenn die Geschwindigkeit vom 1
[251. 252.]
Zweiter Tag.
243
Ruhezustand aus allmählicli um die nämlichen Beträge zunimmt, wie ein
gleiches bei der Zahlenreihe stattfindet, die man von der Einheit oder
vielmehr von der Null ah begimiend bis zu einem beliebigen Be- 0
trage hin in nebenstehender Weise ordnet; wenn demnach die 1
niedrigste Stufe der Null entspricht, die höchste etwa der Fünf, 2
so ergeben alle diese Geschwindigkeitsgrade, mit welchem der 3
Körper sich bewegt hat, zusammen die Summe 15. Bewegt sich 4
aber der Körper mit der nämlichen Anzahl von Geschwindigkeits- 5
stufen, jede derselben aber wäre gleich der höchsten, also gleich 5,
so würde die Gesamtheit aller dieser Geschwindigkeiten das Doppelte
der vorigen Summe, nämlich 30, betragen. Wenn sich also der Kör-
per ebenso lange Zeit hindvirch bewegt, aber mit gleichförmiger Ge-
schwindigkeit und zwar mit der von der höchsterreichten Stufe 5,
so wird er das doppelte der Strecke zurücklegen, die er in beschleu-
nigtem Zeitmafs vom Zustand der Ruhe beginnend zurückgelegt hat.
Salv. Wie es von Euerer so schnellen und eindringenden Fassungs-
gabe nicht anders zu erwarten war, habt Ihr die ganze Sache sehr
viel klarer dargestellt als ich. Ihr habt mich sogar auf einen wei-
teren hieran sich anschliefsenden €ledanken gebracht. Da nämlich bei
der beschleunigten Bewegung das Wachsen ein stetiges ist, so kami
man nicht eine bestimmte Anzahl von Stufen der Geschwindigkeit auf-
stellen, da diese ja fortwährend wächst; denn wegen der von Augen-
blick zu Augenblick stattfindenden Änderung giebt es solcher Stufen
stets unendlich viele. Daher können wir den uns vorschwebenden
Gedanken besser in der Art erläutern ^^^), dafs
wir uns ein Dreieck denken, wie etwa neben-
stehendes ABC. Wir nehmen auf der Seite ÄC
beliebig viele gleiche Teile AD, BE, EF, FG
an und ziehen durch die Punkte D, E, F, G gerade
Linien parallel zur Basis BC. Dabei sollen die
auf der Linie AC bemerkten Stücke gleiche Zeiten
bedeuten; die durch die Punkte D, E, F, G gezoge-
nen Parallelen hingegen mögen die beschleunigten,
in gleichen Zeiten um gleiche Beträge wachsen-
den Geschwindigkeiten vorstellen. Der Punkt A
soll den Zustand der Ruhe darstellen; von diesem
ausgehend möge z. B. in der Zeit AB der Körper
die Geschwindigkeitsstufe BH erreicht haben, im
folgenden Zeitabschnitt möge die Geschwindigkeit über die Stufe
BH hinaus bis zur Stufe EJ gewachsen sein, und in der Folge mehr
und mehr zugenommen haben entsprechend dem Wachsen der Linien
244 Dialog über die Weltsysteme. [252. 253.]
Die Beschieuni-i^/iTj GL u. s. w. Da aber die Besclileunigung stetig von Augen-
faUendenKörperblick ZU AugenbHck vor sieb gebt und nicbt ruckweise von einem
von Augenblick Zeitiutervall zum anderen, da ferner der Endpunkt A als kleinster Ge-
' scbwindigkeitsbetrag vorausgesetzt worden ist, d. b. als Zustand der
Rübe und als Anfangsmoment der darauffolgenden Frist AD, so mufs
offenbar vor Erreicbung der Gescbwindigkeitsstufe BH m der Zeit
AD ein Durcbgang durcb unendlicb viele andere kleinere und kleinere
Stufen stattgefunden baben; diese wurden erreiebt in den unendKcb
vielen in der Zeit DA entbaltenen Augenblicken, welcbe den imend-
licb vielen Funken der Linie DA entsprecben. Um also die uuend-
licbe Anzabl der Gescbwindigkeitsstufen zu versinnlicben, welcbe der
Stufe DH vorangeben, mufs man sieb unendlicb viele kleinere und
immer kleinere Linien denken, welcbe man sieb parallel zu DH von
den unendlicb vielen Fmikten der Linie DA aus gezogen zu denken
bat. Diese unendlicbe Anzabl von Linien stellt uns aber scbliefslicb
die Fläcbe des Dreiecks AHD dar. So können Avir uns vorstellen,
jede von dem Körper zurückgelegte Strecke, welcbe vom Rubezustand
aus in gleicbförmig bescbleunigter Bewegung passiert wird, babe un-
endlicb viele GescbAvindigkeitsstufen verbraucbt imd erforderlicb ge-
macht, entsprecbeud den unendlicb vielen Linien, welcbe man, vom
Punkte A beginnend, parallel der Linie HD sieb gezogen denkt und
desgleicben parallel den Linien JE, KF, LG, BC, wobei die Be-
wegung beliebig weit fortgesetzt werden mag.
Wir vervollständigen jetzt die Figur zu dem Parallelogramm ^ iHJ5 C
und verlängern bis zum Scbnitt mit seiner Seite BM nicbt nur die
im Dreieck bervorgehobenen Parallelen, sondern die unendlicb vielen,
welcbe wir uns von allen Punkten der Seite AC gezogen dacbten.
Wie nun die Linie BC von den unendlicb vielen Linien des Dreiecks
die gröfste war und uns die böcbste Stufe der von dem Körper bei
seiner bescbleunigten Bewegung erreicbten Gescbwindigkeit vorstellte,
und wie die Fläcbe besagten Dreiecks die Gesamtbeit und Summe aller
Gescbwindigkeit ist, mit welcber er in der Zeit AC die fragiicbe
Strecke zurücklegte, so läfst sieb aucb das Parallelogramm auffassen
als eine Gesamtbeit und ein Aggregat ebensovieler Gescbwindigkeits-
stufen, die aber alle der böcbsten BC an Gröfse gleicbkommen. Diese
Summe von Gescb windigkeiten beläuft sieb aber auf das Doppelte von
der Summe der im Dreieck entbaltenen wachsenden Gescb windigkeiten,
weil das Parallelogramm das Doppelte des Dreiecks ist. Wenn also
der Körper, der, entsprecbend dem Dreieck ABC, beim Falle sieb
der Stufen bescbleunigter Gescbwindigkeit bedient bat und auf diese
Weise in so langer Zeit eine so grofse Strecke zurückgelegt bat, dann
[253. 254.]
Zweiter T;ig.
245
ersclieiiit es natürlich und glaublich, dafs er, entsprechend dem Paral-
lelogramme, unter Verwendung einförmiger Geschwindigkeiten in gleich-
mäfsiger Bewegung während derselben Zeit die doppelte Strecke zu-
rücklegen würde wie bei beschleunigter Bewegung.
Sagr. Ich bin völlig befriedigt. Wemi Ihr das eine blofs auf
Wahrscheinlichkeitsgründen beruhende Untersuchung nemit, wie wer-
den dann erst die strengen Beweise aussehen? Wollte Gott, in
der ganzen landläufigen Philosophie wäre auch nur ein ebenso über-
zeugender zu finden.
Simpl. Man braucht in der Naturwissenschaft nicht die exqui- in den Natur-
site mathematische Strenge anzuwenden. ^"-) ist mathema-
Sagr. Ist denn aber das Problem der Bewegung kein natur- uicht erforder-
wissenschaftliches? Und doch sehe ich nicht, dafs Aristoteles auch
nur im geringsten eine ihrer Eigenschaften nachweist. Aber lenken
Avir nicht ab von unserer Untersuchung. Euch, Signore Salviati, bitte
ich, nicht zu unterlassen mir die Ursache anzugeben, welche Ihr für
das Aufliören der Pendelschwingungen, abgesehen von dem Widerstände
des Mittels gegen die Durchschneidung, im Auge hattet. '"'')
Salv. Sagt mir: von zAvei in imgieicher Entfernung vom Auf- Eiu au längerem
hängungspunkt l)efindlichen Körpern vollführt da nicht derjenige lang-i'^'ngter Körper
Ol- 11 11" T-i 1 1. 1 . macht lang-
samere Schwingungen, welcher an dem längeren laden auigehängt ist?samere Schwiu-
Sagr, Allerdings, wenn beide sich gleichweit aus der lotrechtentürzerem Faden
■j- , „ aufgehängter.
Lage entiernen.
Salv. Diese gröfsere oder geringere Entfernung thut nichts zur Schwingungen
Sache; denn ein und dasselbe Pendel vollführt seine wiederholten deis erfolgen
Schwingungen stets in gleichen Zeiten, mag ^sTe''gror"oder'
jene sehr grofs oder sehr klein sein, d. h.
mag sich nmi das Pendel sehr weit oder nur
ganz wenig aus der lotrechten Lage weg-
begeben ; und wenn sie auch nicht völlig gleich
sind, so ist doch ihre Verschiedenheit un-
merklich, wie der Versuch Euch lehren kann.
Wären sie aber auch sehr ungleich, so würde
das unserer Sache nicht schaden, sondern
nützen. Zeichnen wir nämlich die lotrechte
Linie AB-^ im Punkte A befestigt möge ein
Gewicht C am Faden AC hängen imd an
demselben Faden weiter nach oben ein zweites
Gewicht F. Entfernt mau den Faden AC aus
der lotrechten Lage imd überläfst ihn dann sich selbst, so werden die
Gewichte Cimd i? sich längs der Bogen CBD und EGF bewegen. Da
246 Dialog über die Weltsysteme. [-254. 255.]
nun aber das Gewicht E kürzer aufgehaugeu ist imd da es nach Euerer
Ansicht sich weniger ans der Gleichgewichtslage entfernt, so hat es
das Bestreben schneller zurückzukehren und häufigere Schwingungen
zu machen, als das Gewicht C. Es Avird daher dieses daran hindern
so weit nach dem Endpunkte D hin auszuschlagen, als es bei völliger
Freiheit geschehen würde; indem es auf diese Weise bei jeder
Schwingung ein beständiges Hindernis bereitet, wird es das Gewicht
Ursache, weicheendlich zum Stillestehen bringen. Nun ist der Faden selbst — auch wemi
das Pendel
iiemmt und es man die Gewichte sich entfernt denkt — aus vielen schweren Pendeln
zum Stillsteheu . . m -i t i • • i n
hiingt. zusammengesetzt; jeder seiner Teile nämlich ist em solches Pendel,
eines immer näher dem Punkte A aufgehangen als das andere imd
daher bestrebt seine Schwingungen in immer kürzeren Perioden zu
wiederholen. Der Faden ist also imstande ein beständiges Hindernis
für das Gewicht C abzugeben. Ein Beweis dafür ist, dafs, wenn wir
den Faden AC beobachten, wir ihn nicht straff gespannt erblicken, son-
Faden oder dem gekrümmt. Nehmen wir an Stelle des Fadens eine Kette, so
Kette, woran das -t t-ii- i i •titi
Pendel befestigiwerdeu Wir diesc Erscheinung noch sehr viel deutlicher wahrnehmen,
ist, krümmt sicli • i i t^ /-i •
bei dessen besoudcrs wenu wir den schweren Körper 6 weit ans der lotrechten
Schwingungen -n c -r\ itt^ ■ ^ • • i
im Bogen und Lage A B eutiemen. Denn da die Kette aus vielen m emander ge-
ist nicht strafi'
gespannt, lenkten Teilchen besteht, von welchen jedes ziemlich schwer ist, so
werden die Bogen AEC, AFD merklich gekrümmt erscheinen. Darum
also, weil die Teile der Kette um so rascher zu schwingen streben,
je näher sie dem Punkte A sind, lassen sie die tiefsten Teile nicht
so weit ausschlagen, als diese von Natur aus thun würden. Durch
die beständigen Abzüge an den Schwingimgen des Gewichtes C wird
dieses demnach schliefslich zum Stillestehen gebracht, wenn man gleich
das Hindernis der Luft entfernen köimte.
Sagr. Eben sind die Bücher angelangt; nehmt sie, Signore Sim-
plicio, und sucht die Stelle, über die wir im Zweifel sind.
Simpl. Hier ist sie, da wo er anfängt gegen die tägliche Be-
wegung der Erde zu argumentieren, nachdem er zuvor die jährliche
wiederlegt hat. '"^j Motus terrae annims asserere Copernicanos cogit
conversioneni eiusdem qiiotidanam; alias idem terrae liemisphaerium con-
tinenter ad Solem esset conversnm, ohnmhrato semper avcrso.^^^) Dem-
nach würde die eine Hälfte der Erde die Sonne niemals zu sehen be-
kommen.
Salv. Nach diesem ersten Debüt scheint mir der Mann die Lehre
des Kopernikus sich nicht richtig vorzustellen. Denn hätte er Acht
gegeben, wie dieser die Achse des Erdballs beständig sich selber parallel
sein läfst, so würde er nicht gesagt haben, die Hälfte der Erde sähe
niemals die Sonne, sondern das Jahr sei nur ein natürlicher Tag, d. h.
[255. 256.] Zweiter Tag. 247
allenthalbeu auf der Erde hätte man sechs Monate lang Tag imd sechs
Monate laug Nacht, wie es jetzt bei den Bewohnern der Pole der
Fall ist. Doch dies mag ihm hingehen; fahren wir fort.
Simpl. Weiter heifst es: Haue autem (jirationem Terrae im-
possibilem esse sie demonstranms. Was nun folgt, ist die Erklärimg der
nachstehenden P'igur, wo viele schwere absteigende Körper und leichte
ansteigende abgemalt zu sehen sind, sowie Vögel, die in der Luft
schweben und dgl. m.
Sagr. Zeigt her, bitte! Ach, was für schöne Bilderchen! Diese
Vögel, diese Kugeln und die anderen schönen Sachen!
Simpl. Es sind das Kugeln, welche aus der Sphäre des Mondes
kommen.
Sagr. Was ist denn dies?
Simpl. Es ist eine Schnecke, die mau hier in Venedig hovoli
nennt ^"''); sie kommt auch aus der Sphäre des Mondes.
Sagr. Ja, ja; darum hat auch der Mond so grofsen Eiufluis auf
diese Schalentiere, die wir pesci armal nennen.
Simpl. Hier folgt dann die von mir angeführte Berechnimg der
Wegstrecke, Avelche während eines natürlichen Tages, während einer
Stunde, einer Minute und einer Sekimde ein unter dem Acjuator ge-
legener Punkte der Erde zurücklegt, und ebenso ein solcher, der unter
dem acht und vierzigsten Breitengrade liegt. Jetzt kommt die Stelle,
wo ich zweifle, ob ich sie nicht vielleicht falsch wiedergegeben habe;
lesen wir sie also. His positis, necesse est terra circulariter mota, omnia
ex aere eidem, etc. Quod si liasce pilas aequales ponemiis pondere, ma-
gnitudine, gravitate, et in concavo sphaerae Lunaris positas libero descensui
permittamus, si motum deorsum aequemiis cekritate motui circum {quod
tarnen secus est, cum pila A, etc.), elahentur niinimum (iit multum ceda-
mns adversariis) dies sex: quo tempore sexies circa terram, etc.^^^)
Salv. Ihr hattet nur allzu getreu den Einwand dieses Maunes
wiedergegeben. Ihr kömit daraus ersehen, SigTiore Simplicio, mit wel-
cher Vorsicht die Leute zu Werke gehen müssen, welche andere glau-
ben machen möchten, woran sie vielleicht selbst nicht glauben. Denn
dem Verfasser kann doch unmöglich entgangen sein, dafs er sich einen
Kreis vorstellte, dessen Durchmesser zwölfmal gröfser ist als der Um-
fang, während die Mathematiker lehren, dafs jener weniger als den
dritten Teil von diesem beträgt. Es ist das ein Irrtum, wie wemi man
für mehr als 3G ausgiebt, was weniger ist als 1.'"^)
Sagr. Vielleicht stimmen jene mathematischen Verhältniszahlen,
welche in abstracto richtig sind, nicht so ganz, wenn sie in concreto auf
physische, elementare Kreise angewendet werden.'"') Ich glaube alle]*-
248 Dialog über die Weltsysteme. [256. 267.]
dings, dafs, wenn die Böttcher deu Halbmesser eines Fafsbodeus suchen,
sie sich der abstrakten mathematischen Regel bedienen, obgleich diese
Böden sehr materielle vmd konkrete Dinge sind. Signore Simplicio
mag also eine Entschuldigung für den Irrtum des Verfassers vorbrin-
gen und sagen, ob nach seiner Ausiclit die Physik so weit von der
Mathematik abweichen kami.
Simpl. Diese Ausflucht halte ich nicht für ausreichend, denn die
Differenz ist zu grofs. In diesem Falle bleibt mir nichts anderes zu
sagen übrig, als quandoque homis etc. Aber gesetzt auch die Rechnung
Signore Salviatis sei richtiger imd die Fallzeit der Kugel l)etrage nicht
mehr als drei Stunden, so bleibt es meines Dafürhaltens jedenfalls
höchst wunderbar, dafs sie von der Sphäre des Mondes, also aus einer
so grofsen Entfernimg kommend gleichwohl von Natur aus bestrebt
sein sollte, immer über demselben Punkte der Erde zu verharren, über
welchem sie zu Anfang ihrer Bewegung sich befand und dafs sie nicht
vielmehr ein sehr grofses Stück dahinter zurückbleiben sollte.
Salv. Man kann die Erscheinung als wunderbar bezeichnen oder
als nicht wunderbar, sondern als natürlich und alltäglich, je nach den
gemachten Voraussetzungen. Denn Avenii, den Amiahmen des Autors
zufolge, die Kugel während ihres Aufenthaltes in der Mondsphäre die
vierundzwanzigstündige Kreisbewegung der Erde luid aller übrigen
innerhalb der Sphäre enthaltenen Gegenstände mitgemacht hat, so wird
dieselbe Kraft, welche sie vor dem Fallen in KreisbcAvegung versetzt
hat, sie auch beim Fallen in dieser Bewegung erhalten. Ja sie wird
nicht nur sich an der Bewegung der Erde beteiligen und nicht hinter
ihr zurückbleiben, sie mufs sogar dieser zuvorkommen.^"^) Denn bei
der Amiäherung au die Erde mufs die drehende Bewegung in immer
kleineren Kreisen stattfinden; wemi also die Kugel die nämliche Ge-
schwindigkeit bewahrt, welche sie in der Mondsphäre hatte, so müfste
sie, wie gesagt, die Rotation der Erde überholen. War aber die
Kugel in der Mondsphäre unbeteiligt an der kreisenden Bewegung, so
braucht sie auch beim Fallen sich nicht senkrecht über dem Punkte
zu halten, über welchem sie beim Beginn des Falles schwebte. Weder
Kopernikus noch einer seiner Anhänger wird dies behaupten wollen.
Simpl. Der Verfasser wird aber, wie Ihr sehen werdet, den Ein-
wand machen, dafs er fragt, was für ein Princip eine solche Kreisbe-
wegung der schweren und der leichten Körper bedingt, ob ein inneres
oder äufseres.
Salv. Auf dem Boden des vorliegenden Problems verharrend be-
haupte ich, dafs dasselbe Princip, welches die Kugel während ihrer
Anwesenheit in der Mondsphäre bewegte, sie auch beim Falle in
[257. 258.] Zweiter Tag. 249
Drehung erhält. Ich überlasse es dann dem Verfasser, nach Belieben
es für ein inneres oder äiifseres zu erklären.
Simpl. Der Verfasser wird den Beweis liefern, dafs es weder ein
inneres noch ein äufseres sein kann.
Salv. Und ich werde entgegnen, dafs dann die Kugel in der
Moudsphäre sich nicht bewegt hat; ich bin damit von der Pflicht ent-
bunden erklären zu müssen, warum sie beim Fallen stets lotrecht über
demselben Pimkte verharrt, in Erwägung nämlich, dafs dieses Ver-
harren dann nicht stattfindet.
Simpl. Gut; da aber die schweren und leichten Körper weder
durch ein inneres noch durch ein äufseres Princip sich kreisförmig be-
wegen können, so wird sich auch der Erdball nicht kreisförmig be-
wegen mid so gelangen wir zu dem gewünschten Ergebnis.
Salv. Ich habe nicht gesagt, die Erde habe weder ein äufseres
noch ein inneres Princip der Kreisbewegung; ich sage nur, dafs ich
nicht weifs, ob sie das eine oder andere habe; mein Nichtwissen kann es ihr
doch nicht benehmen. Wenn aber Euer Autor weifs, vermöge welchen
Princips andere unzweifelhaft sich beAvegende Weltkörper in Drehung
versetzt werden, so behaupte ich, dafs die Bewegungsursache der Erde
etwas Ahnliches sei wie das, was den Mars, Jupiter oder nach seiner
Ansicht auch die Fixsternsphäre bewegt. Wenn er mir Auskunft
giebt, was das Bewegende dieser Weltkörper ist, so verpflichte ich
mich ihm sagen zu können, was die Erde bewegt. Ja noch mehr, ich
will dies sogar thun, wenn er mich nur darüber belehrt, durch welche
Ursache die Teile der Erde nach unten getrieben werden.
Simpl. Die Ursache dieser Erscheinung ist allbekannt; jedermann
weifs, dafs es die Schwere ist.
Salv. Ihr irrt, Signore Simplicio; Ihr solltet sagen, jedermann
weifs, dafs man sie Schwere nennt. Ich frage Euch aber nicht nach
dem Namen, sondern nach dem Wesen der Sache. Über dieses Wesenwir wissen uicht
wifst Ihr nicht im geringsten mehr, als Ihr über das Wesen des be- schweren Kör-
wegenden Princips der Sterne wifst, ausgenommen den Namen, wel- bewegt, ais was
, . 1 1 1 1 1 • 1" f> j ^^^ Sterne im
chen man jenem gegeben hat und der emem gelaung und ver- Kreisle bewegt;
traut ist durch die oft wiederholte Erfahrung, die man tausendfältig die dafür ge-
den Tag über macht. In der That aber haben wir ebensowenig ein neimung.
Verständnis für das Princip oder die Kraft, welche den Stein nach
unten treibt, als wir begreifen, was ihn nach oben bewegt, nachdem
er die Hand des Schleudernden verlassen, oder was den Mond in seiner
Kreisbahn erhält, abgesehen, wie gesagt, von dem Namen Schwere,
welchen wir für diesen besonderen und eigenartigen Zweck gewählt
haben, während wir sonst mit allgemeinerem Ausdrucke bald von ein-
250 Dialog über die Weltsysteme. [258. 259.]
geprägter Kraft reden, bald eine informierende oder assistierende In-
telligenz annehmen, nnd bei unendlich vielen anderen Bewegungen
als Ursache die Natur bezeichnen/")
Simpl. Ich glaube, der Verfasser fragt sehr viel weniger, als was
Ihr zu beantworten Euch weigert. Er will ja nicht von Euch wissen,
welches besondere, namentlich zu neunende Princip schwere und leichte
Körper in Drehung versetzt, sondern er will nur hören, mag es sonst
beschaffen sein, wie es will, ob Ihr es für ein inneres oder äufseres
Princip haltet. Denn wiewohl ich nicht weifs, was die Schwere ist,
vermöge deren die Erde sich nach unten bewegt, so weifs ich doch,
sie ist ein imieres Princip, weil es von selbst wirkt, sobald keine
Hindernisse vorhanden sind. Ebenso weifs ich umgekehrt, dafs das
Princip, welches sie nach oben bewegt, ein äufseres ist, weim ich auch
nicht weifs, was die ihr von dem Schleudernden eingeprägte Kraft ist.
Salv. Wie viele abseits liegende Untersuchungen müfsten wir
führen, weiui wir alle Fragen lösen wollten, von denen sich eine immer
Die Kraft, weicheaii (\[q andere knüpft! Ihr nennt ein äufseres, vielleicht auch ein
geworfene Kör- _ -^ _ _ '
per iu die Höhewidematürliches, gewaltsames Princip dasienige, was den «'eschleuder-
fübrt, ist ihuen ^ ^ ... .
nicht weniger ^g^ schwcreu Körpcr nach oben treibt: vielleicht aber ist es nicht
natürlich, als ^ '
die Schwere, wenio;«!' innerlich und natürlich, als das, was ihn nach unten führt.
welche sie nach <-' ' '
unten bewegt. ]y[an kami es allenfalls ein äufseres und gewaltsames nennen, solange
der Körper mit dem Schleudernden in Verbindung steht; getrennt aber
von ihm, welcher äufsere Umstand ist da als Beweger des Pfeils oder
der Kugel vorhanden? Man kann nur notgedrungen zugeben, dal's
die Kraft, welche ihn in die Höhe treibt, nicht weniger innerlich ist
als die, welche ihn abwärts bewegt. Ich halte die Aufwärtsbewegung
infolge eines mitgeteilten Antriebes für ebenso natürlich, wie die
durch die Schwere bedingte Abwärtsbewegung."-)
Simpl. Das werde ich niemals zugeben, denn dieser liegt ein
inneres, natürliches und ewiges Princip zu Grunde, jener aber ein
äufseres, gewaltsames und zeitlich begrenztes.
Salv. Wenn Ihr mir schon das Zugeständnis verweigert, dafs
die Principien der Abwärts- und Aufwärtsbewegung bei den schweren
Körpern gleichermafsen innerlich und natürlich sind, was würdet Ihr
thun, wenn ich Euch gar sagte, dafs sie auch geradezu identisch
sein können?"^)
Simpl. Das stelle ich Euerem Urteile anheim.
sefztePrIncfXn ^^^^' ^^^^j ich möchtc Euch sclbst entscheiden lassen. Darum
^NatliTan dem-"®^S^ ™^^- gl^^^l^^ Ihr, dafs iu ciuem und demselben Naturkörper innere
ihren sifz^hib'en.P^'^^^ipi'^^^ ihren Sitz haben können, die einander entgegengesetzt sind?
Simpl. Unbedingt nein.
I
i
i
|-259. 260.] Zweiter Tag. 251
Salv. Welches natürliclie, innere Bestreben glanbt Ihr nun, wohne
der Erde, dem Blei^ dem Golde, kurz den allerschwersten Stofien inne?
zu welcher Bewegung, meine ich, veranlafst sie das ihnen innewohnende
Princip nach Euerer Ansicht?
Simpl. Zu der Bewegung nach dem Mittelpunkte der schweren
Körper, d. h. zum Mittelpunkte des Weltalls und der Erde, wohin sie
sich begeben würden, wenn keine Hindernisse im Wege stünden.
Salv. Wenn also der Erdball von einem Schacht durchbohrt
wäre, der durch seinen Mittelpunkt hindurch ginge, so würde eine
Kanonenkugel, die man hindurchfallen liefse, von ihrem natürlichen,
inneren Priuciii bewegt, sich zum Mittelpunkte hinbegeben. Diese
ganze Bewegung würde sie von selbst und vermöge eines inneren Prin-
cips ausführen, nicht wahr?
Simpl. Davon l)iii ich fest überzeugt.
Salv. Wird sie nun aber, im Mittelpunkte augekommen, sich
Euerer Ansicht nach noch darüber hinaus bewegen oder immittelbar
nach der Bewegimg stille stehen?
Simpl. Ich glaube, sie würde sich um eine sehr bedeutende Strecke
weiter bcAvegeu.
Salv. Würde diese Bewegung über das Centrum hinaus nicht
aber eine aufwärts gerichtete, also Euerer Ansicht nach eine Avider-
natürliche und gewaltsame sein? Und von welchem anderen Princip Die natürliche
° , _ _ . Bewegung ver-
wollt Ihr sie herleiten, wenn nicht von dem nämlichen, welches die wandelt sich
' . . ' . von selbst in
Kugel zum Mittelpunkt hingeführt hat und das Ihr ein inneres und diejenige, die
_ ° man widernatür-
natürliches genannt habt? Macht Ihr eine äufsere Ursache ausfindig,iich und gewait-
° . . . f ' sam nennt.
welche die Wurlljewegung hervorruft, und die neu hinzutritt, um sie
aufwärts zu treiben! Und was von dieser Bewegung über den Erdmittel-
punkt hinaus gilt, kann man auch hier oben bei uns erblicken. Der
innere Antrieb nämlich eines Körjjers, welcher eine geneigte Fläche
hinabfällt, wird ihn, wenn diese Fläche imten sich umbiegt und nach
oben wendet, ohne irgendwelche Unterbrechung der Bewegung auch
nach oben führen. Eine an einem Faden hängende Bleikugel bewegt
sich, wenn sie aus der lotrechten Lage entfernt wird, freiAvillig ab-
wärts, von ihrem inneren Bestreben getrieben, und ohne Ruhepause
überschreitet sie den tiefsten Punkt und ohne irgendwelche neu hin-
zutretende Bewegungsursache bewegt sie sich nach oben. — Ich weifs
ferner, Ihr werdet nicht in Abrede stellen, dafs ebenso natürlich und
iimerlich bei den schweren Körpern dasjenige Princip ist, welches sie
nach unten führt, als bei den leichten dasjenige, welches sie nach oben
bewegt. Aus diesem Grunde führe ich Euch eine hölzerne Kugel vor,
welche durch die Luft aus grofser Höhe herabfällt mul sich also einem
252 Dialog über die Weltsysteme. [-260. 261.]
inueren Princip gemäfs bewegt; an der Oberfläche eines tiefen Ge-
wässers angelangt, setzt sie ihre AbAvärtsbewegung fort imd ohne
sonstige äufsere Bewegnngsursache taucht sie eine bedeutende Strecke
unter. Und doch ist für sie die Abwärtsbewegung im Wasser wider-
natürlich und bei alledem wird sie durch ein Princip bedingt, welches
der Kugel innewohnt, nicht von aufseu auf sie einwirkt. Hier habt
Ihr also den Beweis, dafs ein Körper vermöge eines und desselben
inneren Princips entgegengesetzte Bewegungen ausführen kann.
Simpl. Ich glaube, auf alle diese Einwände lassen sich Ent-
gegnungen machen, wenn mir auch vorläufig keine einfallen. Aber
wie dem auch sei, der Verfasser fährt fort zu fragen, von was für
einem Princip diese Kreisbewegung der schweren und der leichten
Körper bedingt sei, ob nämlich von einem inueren oder einem äufseren.
In der Folge beweist er sodann, dafs weder das eine noch das andere
der Fall sein kann, indem er sagt: Si ah externa, Deusne illum excitat
per continmmi miracidum? An vero Angelns, an Aer? Et hunc quidem
midti assiynunt. Sed contra.^^'^)
Salv. Spart Euch die Mühe, die Widerlegung dieser Ansicht
vorzulesen; denn ich gehöre nicht zu denen, welche die fragliche Ur-
sache in der umgebenden Luft erblicken. Was das Wunder oder den
Engel betrifft, so möchte ich mich eher nach dieser Seite hin neigen.
Demi was mit einem göttlichen Wunder und mit dem Wirken der
Engel anhebt, wie es mit der Überführung der Kanonenkugel in die
Mondsphäre der Fall ist, das kann sehr wohl auch seineu Fortgang
auf Grund des nämlichen Princips nehmen. Was die Luft anlangt,
so bin ich zufrieden damit, dafs sie die Kreisbewegung der Körper
nicht hindert, deren Bewegung angeblich durch sie erst ermöglicht
wird. Zu diesem Zwecke genügt es — und mehr ist nicht erforderlich
— dafs sie dieselbe Bewegung ausführt und ihre Kreisbewegung mit
derselben Geschwindigkeit vollendet wie der Erdball.
Simpl. Er aber wird gleichermafsen dagegen sich auflehnen und
fragen: wer führt die Luft im Kreise, die Natur oder äufsere Gewalt?
Dafs es die Natur nicht sein kann, widerlegt er, indem er sagt, dafs
dies der Wahrheit, der Erfahrung und dem Koperuikus sell>er wider-
spreche. ^^^)
Salv. Dem Kopernikus widerspricht dies keineswegs; er schreibt
nichts Derartiges und der Verfasser erweist ihm allzuviel Ehre, wenn
er ihm dies in den Mund legt. Kopernikus schreibt vielmehr, und zwar
nach meiner Ansicht sehr richtig, der der Erde benachbarte Teil der
Atmosphäre sei eher als irdische Ausdünstung zu betrachten und
könne daher die nämliche Natur haben wie diese, also auch von Natur
[-261. 262.] Zweiter Tag. 2Ö3
ihr in der Weise folgen, wie die Peripatetiker den oberen Teil der
Atmosphäre und das Element des Feuers die Bewegung der Mond-
sphäre mitmachen lassen. ^^'') Es liegt dann diesen ob zu erklären,
ob besagte Bewegung natürlich oder gewaltsam sei.
Simpl. Der Verfasser wird entgegnen: wenn Kopernikus blofs
den unteren Teil der Atmosphäre' sich bewegen läfst, während der
obere an genannter Bewegung nicht teilnimmt, so wird er nicht
Rechenschaft ablegen können, wieso jene ruhende Luft eben diese
schweren Körper mit sich fortzuführen und sie der Bewegung der Erde
folgen zu lassen vermag.
Salv. Kopernikus wird sagen: die natürliche Neigung der ele-^^^^^^^""""
^ ~ O o der elementaren
mentaren Körper der Erdbewegung zu folgen, giebt sich in einer be-^"""»«'; "^"' ^''^^
i O O » 7 o zxi folgen hat
grenzten Siihäre kund, aufserhalb deren ein solcher natürlicher Trieb eine begrenzte
Ol-' Sphäre.
aufhören würde. Abgesehen davon ist es, wie gesagt, nicht die Luft,
welche die Körper mit sich fortführt; diese machen vielmehr deren
Bewegung auch getrennt von der Erde mit. Demnach fallen alle Ein-
wendungen, welche der Verfasser vorbringt, um zu beweisen, dafs die
Luft nicht solche Erscheinmigen verursacht, in nichts zusammen.
Simpl. Da es also nicht an dem ist, wird man die genannten Er-
scheinungen als Wirkungen eines inneren Princips betrachten müssen.
Gegen diese Behauptung aber oboriuntur difficülimae, imo inextricahiles
quaestiones secundae, nämlich die folgenden. Principium illiid internum
vel est accidens, vel substantia. Si p'iinum, qualenam illud? nani qua-
litas loco motiva circum, Jiademis mdla videtur esse agnita.'^^'^)
Salv. Wieso kennt man keine solche Qualität? Gehören denn
nicht diejenigen Eigenschaften hierher, welche alle elementaren Mate-
rien gleichzeitig mit der Erde in Bewegung versetzen? Seht, wie
hier der Verfasser das als richtig voraussetzt, was erst bewiesen wer-
den soll.
Simpr. Er behauptet, dafs man davon nichts wahrnimmt und es
scheint mir, dafs er darin Recht hat.
Salv. Von uns wird es nicht wahrgenommen, weil wir uns gleich-
zeitig mit ihnen drehen.
Simpl. Hört den anderen Einwand. Qiiae cüamsi esset, quomodo
tarnen inveniretur in rebus tnm contrarüs? in igne ut in aqua? in ai're
id in terra? in viientibus ut in anima carentibus?^^^)
Salv. Angenommen einstweilen, Wasser und Feuer seien Gegen-
sätze und ebenso Luft und Erde — wiewohl sich viel darüber reden
liefse — so könnte höchstens daraus gelolgert werden, dafs ihnen die-
jenigen Bewegungen nicht gemeinsam zukommen können, die unter
254 Dialog über die Weltsysteme. [262. 263.]
einander entgegengesetzt sind. Man könnte also scliliefsen, dafs z. B.
die Aufwärtsbewegung^ welche von Natur dem Feuer zukommt, nicht
auch dem Wasser zukommen könnte, sondern dafs vielmehr wegen
der entgegengesetzten Natur von Wasser und Feuer jenem die ent-
gegengesetzte Bewegung zukommen müsse wie diesem, d. h. also die
Bewegung nach unten. Die Kreisbewegung aber, welche weder der
nach oben gerichteten noch der nach unten gerichteten Bewegung ent-
gegengesetzt ist, welche vielmehr mit beiden sich mischen kann, wie
Aristoteles selbst versichert, warum sollte sie nicht gleichermafsen
den schweren und den leichten Körpern zukommen? Die Bewegungen
ferner, welche lebenden und leblosen Wesen nicht gemeinsam zukommen
können, sind die durch das Vorhandensein der Seele bedingten. Die-
jenigen aber, welche dem Körper angehören, insofern dieser von ele-
mentarer Natur ist und folglich teilnimmt an den Eigenschaften der
Elemente — warum sollten diese nicht dem Leichnam und dem leben-
den Wesen gemeinsam sein können? Wenn also die Kreisbewegung
den Elementen eigentümlich ist, so wird sie auch sämtlichen zu-
sammengesetzten Körpern zukommen müssen.
Sagr. Unbedingt mufs dieser Autor der Ansicht sein, dafs wenn
eine tote Katze aus dem Fenster hinausfällt, eine lebende unmöglich
hinausfallen kann; denn es ist nicht in Ordnung, dafs eine Leiche
Eigenschaften besitzt, die auch einem lebenden Wesen zukommen.
Salv. Die Schlüsse des Verfassers beweisen also nichts gegen
denjenigen, welcher sagt, das Princip der Kreisbewegung bei schweren
und leichten Körpern sei ein inneres Accidens. Ich weifs nicht, ob es ihm
besser gelingt zu zeigen, dafs jenes Princip keine Substanz sein kann.
Simpl. Er erhebt dagegen viele Einwendungen. Die erste ist
folgende. Si secundum [ncmpe si dicas tale principium esse suhstantiamj ,
illud est aut materia, mit forma, mit compositum-^ sed repugnant iterum
tot diversae rerum naturae, quales sunt aves, limaces, saxa, sagittae, nives,
fmni, grandines, pisces etc.; quae tarnen omnia specie et genere' differentia
moverentur a natura sua circularitcr, ipsa naturis diversissima, etc.^^'^)
Salv. Wenn die genannten Dinge von so verschiedenartiger Natur
sind und darum nicht eine gemeinsame Bewegung haben können, so
wird man, um für alle eine befriedigende Erklär mig zu geben, sich
auf etwas Anderes besinnen müssen als blofs auf die beiden Be-
wegungen nach oben und nach unten. Man braucht dann eine be-
sondere für die Pfeile, eine für die Schnecken, eine andere für die
Steine, eine für die Fische; man wird auch an die Regenwürmer, an
die Topase, an die Schwämme zu denken haben, die unter einander
nicht weniger von Natur verschieden sind als Hagel und Schnee.
[263. 264.] Zweiter Tag. 255
Simpl. Ihr scheint Euch über diese Argumente lustig machen
zu wollen.
Salv. Doch nicht, Signore Simplicio; es ist aber schon vorher
erwidert worden, dafs ebenso gut wie eine Bewegung nach unten oder
nach oben allen genamiten Gegenständen zukommen kann, ihnen auch
eine Kreisbewegung wird zukommen können. Und vom Standpunkte
der peripatetischen Lehre aus, werdet Ihr nicht einen gröfseren Unter-
schied zwischen einem elementaren Kometen und einem Sterne des
Firm£?ments machen als zwischen einem Fische und einem Vogel?
Und doch bewegen sich beide kreisförmig. Teilt uns nun weiter das
zweite Argument mit.
Simpl. Si terra staret per voluntatetn JDei, rotarenturne caetera an
non? Si hoc, falsum est, a natura girari; si illiid, redeunt p'iores quae-
stiones. Et sane mirum esset, quod gavia pisciculo, alauda nidulo suo,
et corvus limaci petraeque etiam volcns imminere non posset.^^^)
Salv. Was mich angeht, so würde ich darauf ganz allgemein er-
widern, dafs wenn einmal der Wille Gottes die Erde in ihrer täglichen
Rotation hemmt, eben derselbe Wille Gottes auch verfügen wird, was
die Vögel zu thun haben. Sollte aber gleichwohl der Verfasser eine
speciellere Antwort wünschen, so würde ich ihm sagen, dafs sie in
diesem Falle genau das Gegenteil von dem thäten, was sie thun wür-
den, weim sie getremit von der Erde in der Luft schwebten und nun
vermöge des göttlichen Willens der Erdball in eine ungeheuer rasche
Bewegung versetzt würde. Dem Verfasser erwächst dann die Auf-
gabe uns zuverlässigen Bericht zu erstatten, was in einem solchen
Falle geschähe.
Sagr. Ich bitte Euch, Signore Salviati, räumt doch dem Ver-
fasser auf meine Fürsprache hin ein, dafs wenn die Erde durch den
Willen Gottes stehen bliebe, die anderen von ihr getrennten Dinge ihre
natürliche Bewegung weiter im Kreise fortsetzten, und hören wir, was
für unmögliche oder ungebührliche Folgen sich dann einstellen wür-
den. Ich für meinen Teil kann nämlich keine gröfseren UmAvälzmigen
erblicken, als die, welche der Autor selbst vorbringt: dafs die Lerchen,
wenn sie auch möchten, nicht üljer ihrem Neste, die Haben nicht über den
Schnecken oder den Felsen schweben köiniten. Infolge davon müfsten
sich die Raben die Lust nach den Schnecken vergehen lassen und die
jungen Lerchen würden vor Hunger und Kälte sterben, da sie von
ihren Müttern nicht gefüttert und erwärmt werden könnten. Das ist
der ganze Umsturz, den ich bei der Amiahme des Verfassers voraus-
sehen kann. Seht Ihr doch, Signore Simplicio, ob sich ärgere Un-
geheuerlichkeiten daraus ergeben müssen.
256 Dialog über die Weltsysteme. [264. 265]
Simpl. Ich kaim keine sclilimmeren ausfindig machen; wohl aber
mufs der Verfasser aufser den angeführten noch andere Umwälzungen
in der Natur im Auge haben, die er vielleicht aus gewichtigen Grün-
den nicht hat erwähnen mögen. Ich will also jetzt zu dem dritten
Einwände übergehen. Insuper qui fd, lä istae res tarn variae iantiim
moveantur ah occasu in ortum, parallelae ad aequatoreni? ut semper
moveantur, numquatn qiiiescant.^^^)
Salv. Sie bewegen sich von Westen nach Osten, parallel dem
Äquator, ohne stille zu stehen, genau in derselben Weise, wie Ihr
glaubt, dafs die Fixsterne sich von Osten nach Westen bewegen, parallel
dem Äquator, ohne stille zu stehen.
Simpl. Quare quo sunt altiores celerius, quo humiliores iardius?^-^)
Salv. Weil bei einer Kugel oder eiuem Kreise, der sich um seinen
Mittelpunkt dreht, die entfernteren Teile gröfsere Kreise, die näheren
in der nämlichen Zeit kleinere beschreiben.
Simpl. Quare, quae aequinoctiali propiores in maiori, qiiae remo-
tlores in minori circulo ferrentur?^^'^)
Salv. Um es der Sternensphäre gleichzuthun, in welcher die dem
Äquator benachbarten Sterne sich in gröfseren Kreisen bewegen als
die entfernteren.
Simpl. Quare pila cadem, sub aequinoctiali tota circa centrum
terrae, amhitu maximo, celeritate incredibili; sub polo vero, circa centrum
proprium giro nidlo, tarditate suprcma volvetur?^-^)
Salv. Um es den Sternen am Firmament gleichzuthim, welche
dasselbe thäten, wenn die tägliche Bewegung an ihnen haftete.
Simpl. Quare eadem res, pila, verhi caussa, phimhea, si semel
ierram circuivit descripto circulo maximo, eandem td)iqiie non circummigret
secundum circidum maximum? sed translata extra aequinoctialem , in
cir cutis minor ibus agetur?^'^^)
Salv. Weil es die Fixsterne ebenso machen würden oder es viel-
mehr nach der Lehre des Ptolemäus ^-'') ebenso gemacht haben; etliche
standen nämlich einst dem Äquator ganz nahe und beschrieben gröfste
Kreise, jetzt aber, wo sie entfernt davon sind, beschreiben sie kleinere.
Sagr. 0, wenn ich alle diese schönen Sachen nur im Kopf be-
halten könnte, ich würde das für einen grofsen Gewinn erachten. Ihr
müfst mir das Büchlein leihen, Signore Simjjlicio, demi es findet sich
unbedingt eine überwältigende Fülle seltener und auserlesener Sachen
darin.
Simpl. Ich werde es Euch zum Geschenke machen.
Sagr. Nein, das nicht, ich möchte Euch seiner nicht berauben.
Aber sind die Fragen schon zu Ende?
[265. 26G.] Zweiter Tag. 257
Simpl. Nein, hört nur! Si latio circidaris gravibus et levihus est
naturalis, qtialis est ea, quae fit secimdnm lineam rectani? Nam si
naturalis, quoniodo et is motas qui circum est, naturalis est cum specie
differat a recto? Si violentus, qui fit id missile ignitum sursum evdlans
scintillosum caput sursum a terra non autem circum volvat etc.^^'^)
Salv. Es ist schon unzählige Male angegeben worden, dafs die
Kreisbewegung dem Ganzen und den Teilen natürlich ist, sobald sie
sich in bester Anordnung befinden, die geradlinige Bewegung dient von der ge-
^ . . . ? o o mischten Be-
dazu, die in ihrer Lage gestörten Teile wieder in diese zurückzuführen.wegung nehmen
"wir den kreis-
Freilich noch besser ist es zu sagen, dafs weder die geordneten noch förmigen xeü
m -1 • 1 m- • 1 1 • nicht wahr, weU
die uno-eordneten Teile sich geradlinio; bewegen, sondern dafs sie wir selbst uns
• 1 Ti 1 • T ^-1 • 1111- kreisförmig be-
eme gemischte Bewegungsart besitzen, die mögucherweise schlechthin wegen,
kreisförmig ist. Für uns aber ist nur ein Teil dieser gemischten Be-
wegung sichtbar und wahrnehmbar, nämlich der geradlinige, während
uns der andere kreisförmige Teil verborgen bleibt, weil wir selbst an
dieser Bewegung teilnehmen. Damit erledigt sich auch der Fall der
Raketen; sie bewegen sich aufwärts und im Kreise, wir aber können
das Kreisförmige nicht gesondert wahrnehmen, weil dieses auch unserer
eigenen Bewegung anhaftet. Unser Verfasser aber scheint diese
Mischung niemals begriffen zu haben; denn man sieht ja, wie er un-
umwunden sagt, dafs die Raketen gerade nach oben und keineswegs
im Kreise sich bewegen.
Simpl. Quare centrum spJiaei'ae delapsae suh aequatore, spiram descrihit
in eins piano, suh aliis parallelis spiram descrihit in cono'^ sid) polo descendit
in axe, lineam giralem decurrens, in superficie cylindrica consignatam? ^'^)
Salv. Weil die vom Centrum nach der Oberfläche der Kugel ge-
zogenen Linien, längs welcher die schweren Körper fallen, eine Kreis-
fläche beschreiben, sobald sie am Ac^uator endigen, hingegen Kegel-
flächen beschreiben, sobald sie nach einem anderen Parallelkreis ge-
zogen sind, während die Achse endlich überhaupt keine Fläche beschreibt,
sondern unbewegt an der Stelle bleibt. Wenn ich Euch offen meine
Meinung sagen soll, so kann ich aus allen diesen Fragen keinen trif-
tigen Gegengrund gegen die Bewegung der Erde entnehmen. Denn
zugestanden, die Erde bewege sich nicht, und ich fragte den Verfasser,
wie es um alle diese Besonderheiten stünde, wenn die Erde sich so
bewegte, wie es Kopernikus will, so würde er sicherlich sagen, dafs
alle jene Erscheinungen eintreten müfsten, welche er jetzt als Mifs-
stände gegen die Ansicht von der Bewegung der Erde ins Feld führt.
Im Kopfe dieses Mannes gelten also die notwendigen Folgerungen
als widersinnig. Doch lafst uns, bitte, diese langweiligen Fragen
möglichst rasch erledigen, wenn sie noch nicht fertig sind.
Galilei, Weltsysteme. 17
258 Dialog über die Weltsysteme. [266. 267.]
Simpl. Im folgenden wird die Ansicht des Kopernikus und seiner
Anhänger bestritten, wonach die geradlinige Bewegung der von ihrem
Ganzen getrennten Teile nur dazu diene, sie mit ihrem Ganzen wieder
zu vereinigen, während ihre schlechthin natürliche Bewegimg die täg-
liche Rotation sei. Ihnen gegenüber erhebt er den Einwand, dafs
nach dieser Ansicht: si tota terra una cum aqua in nihilum redige-
retiir, nulla granclo aut xüuvia e mibe decideret, sed naturaliter tanhim
circumferretur ; neqiie ignis idlus aut igneum ascenderet, cum in illorum,
non improbahili sententia, ignis nnllns sit supra}'^^)
Salv. Die umsichtige Fürsorge dieses Philosophen ist bewunderns-
wert und verdient grofses Lob. Denn nicht zufrieden damit, an die
Dinge zu denken, welche im gewöhnlichen Laufe der Natur eintreten
können, will er sogar gerüstet sein für solche Fälle, von denen unbe-
dingt feststeht, dafs sie niemals eintreten werden. Ich will also, um
eine recht schöne, scharfsinnige Schluisfolgerung von ihm zu hören,
zugestehen, dafs, wenn Erde und Wasser vernichtet würden, weder
Hagel noch Regen fortan niederfielen; noch feurige Stojffe in die Höhe
sich bewegten, sondern in beständiger Rotation sich schwebend er-
hielten. Was weiter? was will mir unser Philosoph entgegenhalten?
Simpl. Der Einwand ist in den unmittelbar folgenden Worten
enthalten. Es heifst da: quibus tarnen expericntia et ratio adversatur.^'^^)
Salv. Jetzt mufs ich die Waffen strecken. Er hat einen zu
grofsen Vorteil vor mir voraus; mir fehlt es an der Erfahrung, die er.
besitzt, denn ich bin noch nie in der Lage gewesen zu sehen, wie der
Erdball samt dem Elemente des Wassers zu nichte geworden ist, und
habe somit noch nie beobachten können, wie bei einem solchen Welt-
untergang im kleinen Hagel und Wasser sich verhielten. Teilt er uns
denn wenigstens zu unserer Belehrung mit, wie es sich damit verhielt?
Simpl. Das sagt er nirgends.
Salv. Was würde ich nicht darum geben, mit diesem Manne
mich unterreden zu können, um ihn zu fragen, ob mit dem Ver-
schwinden unseres Erdballs auch der gemeinsame Schwerpunkt ab-
handen kam, wie ich vermute! In diesem Falle, glaube ich, würden
Hagel und Wasser ratlos und verblüfft in den Wolken verharren imd
nicht wissen, was sie nunmehr anfangen sollen. Möglicherweise kömite
auch die ganze Umgebung von dem grofsen, durch das Verschwinden
des Erdballs entstandenen Vacuum angezogen werden und sich in
diesem in verdünntem Zustande verteilen, namentlich die Luft, welche
in hohem Mafse ausdehnbar ist; alles würde dann mit gröfster Ge-
schwindigkeit darin zusammenströmen, um es auszufüllen. Vielleicht
würden die festeren und materielleren Körper, wie die Vögel, welche
|267. 268.] Zweiter Tag. 259
docli wahrscheinlicli in grofser Zahl in der Luft scliweben mufsten, sich
in gröfste Nähe des Centrums der grofsen Hohlkugel begeben — denn
es wird doch wohl vermutlich den Substanzen, die bei kleinerem
Volumen eine grofse Masse enthalten, der engere Raum angewiesen,
während den dünneren die weiteren Räume überlassen werden — dort
würden dieselben schliefslich Hungers sterben und sich in Staub ver-
wandeln und auf diese Weise im Verein mit der geringen Menge Wassers,
welches sich damals in den Wolken befand, ein neues Kügelchen bilden.
Es könnte auch der Fall sein, dafs eben diese Stoffe, da sie das Licht
nicht wahrnehmen köuntjn, das Verschwinden der Erde nicht bemerk-
ten und blind darauf los in gewohnter Weise sich abwärts bewegten
in der Hoffnung auf sie zu stofsen, und dafs sie sich allmählich nach
dem Mittelpunkt begäben, wohin sie auch jetzt gingen, wenn nicht der
Erdball selbst sie daran hinderte. Schliefslich um unserem Philosophen
eine minder zweifelhafte Antwort zu geben, sage ich, dafs ich von dem,
was nach der Vernichtung des Erdballes eintreten würde, ebensoviel
weifs wie er von dem, was mit imd um denselben vor seiner Schöpfung
vorgegangen ist. Da ich gewifs bin, dafs er bekennen würde, er könne
sich nicht im entferntesten die in diesem Falle stattgefuudenen Vor-
gänge vorstellen, so darf er mit mir nicht zu strenge ins Gericht
gehen und mnfs mich entschuldigen, wenn ich sein Wissen von den
Vorgängen nach der Vernichtung des Erdballs nicht besitze, da ich
die Erfahrung nicht gemacht habe, die er gemacht hat. Teilt uns
jetzt mit, ob sonst noch etwas dasteht.
Simpl. Hier findet sich eine Figur, welche den Erdball mit einer
grofsen lufterfüllten Höhlung in der Mitte darstellt. LTm zu zeigen,
dafs die schweren Körper sich nicht abwärts bewegen, um sich mit
dem Erdball zu vereinigen, wie Kopernikus sagt, versetzt er hier diesen
Stein in den Mittelpunkt und fragt, was er, sich selbst überlassen,
anfangen würde; einen anderen bringt er an die Wand dieser grofsen
Höhle und wirft dieselbe Frage auf, indem er bezüglich des ersten so
sagt: Japis in ccntro constitutus aut ascendd ad terrum in punctum ali-
quod, aut non. Si sccundum, falsum est, xmrtes oh solam seinnctionem
a toto ad illud moveri. Si primuni, omnis ratio et experientia renititur;
neque gravia in suae gravitatis centro conquiescent. Item si suspensus
lapis, liherattis decidat in centrum, separahit se a toto, contra Copernicum:
si pendeat, refragatnr omnis experientia, cum videamiis integros fornices
corruere. ^^^)
Salv. Trotz meiner mifslichen Lage will ich die Antwort darauf
nicht schuldig bleiben; freilich habe ich mit jemand zu Üiim, der aus
Erfahrung weifs, wie jene Steine in der grofsen Höhle sich verhalten,
17*
260 Dialog über die Weltsysteme. [268. 269.]
Zuerst sind die während ich eine solche Beobachtung noch nicht gemacht habe. Ich
Btanzeu vorhau- erwidere, dafs meiner Meinung nach die schweren Substanzen früher
das. centrum deryorhanden sind als das gemeinsame Centrum der Schwere. Ein blofses
Centrum, welches nur ein unteilbarer Punkt ist und daher keine
Wirkung ausüben kann, ist also nicht dasjenige, was die schweren
Substanzen anzieht, sondern diese streben von Natur zu einer Ver-
einigung hin und erschaffen sich erst ein gemeinsames Centrum, den
Punkt nämlich, um welchen die Teile gleiche Momente besitzen. ^^-)
^rofse mTs^ss de^^^ ^^ daher der Meinung, dafs wenn die grofse Masse der schweren
schweren Sub- gubstauzcn au irgendwelchen Ort weggeschafft wird, dieienigen Teilchen,
stanzen au einen ö OO ; J O }
anderen Ort so ^gj^j^g y^j^ ^^-^ G auzeu o'etreunt waren, diesem folgen und, wenn sie
wurden die da- c> ; O ;
^°".,sf*'®"'^*f° nicht auf Hindernisse stofsen, solange in dieses hineindringeu, als sie
Teilchen mit- 7 O o ;
gehen. Teile vorfindeu, die ihnen an Schwere nachstehen. Angelangt aber
an der Stelle, wo sie auf schwerere Materien treffen, werden sie sich
nicht weiter abwärts bewegen. Darum würde nach meiner Meinung
in der lufterfüllten Höhle das ganze Gewölbe einen Druck ausüben
und widerwillig über jener Luftmasse nur solange bestehen bleiben,
als die Härte der Erdmassen von der Schwere nicht überwunden und
zerstört ist. Einzelne losgelöste Steine aber würden, glaube ich, nach
dem Mittelpunkte hinfallen und nicht auf der Luft schwimmen. Des-
wegen dürfte man doch nicht behaupten, sie bewegten sich nicht nach
ihrem Ganzen hin; denn sie bewegen sich dahin, wohin alle Teile des
Ganzen sich bewegen würden, wenn sie ungehindert wären.
Simpl. Schliefslich kommt noch ein gewisser Fehler zur Sprache,
den der Verfasser bei einem Anhänger des Kopernikus rügt.^"^^) Dieser
läfst nämlich die Erde ihre jährliche und tägliche Bewegung in der-
selben Weise ausführen, wie ein Wagenrad sich auf der Erdkugel und
zugleich um sich selbst bewegt. • Er schreibt daher entweder der Erde
eine zu grofse oder der Erdbahn eine zu geringe Ausdehnung zu, da
365 Umdrehungen des Äquators weit weniger betragen als die Peri-
pherie der Erdbahn.
Salv. Ihr irrt Euch, merkt wohl, luid sagt das Gegenteil von
dem, was in dem Büchlein geschrieben stehen mufs. Denn es mufs
heifsen: er legte der Erde eine zu geringe oder der Erdbahn eine zu
grofse Ausdehnung bei; nicht aber: der Erde eine zu grofse und der
Erdbahn eine zu geringe.^)
Simpl. Der Fehler liegt keineswegs an mir. Die Worte des
(
1) Hier ti^j^d dem Verfasser des Biiclüeins der TrrUini zugeschriehen^ er findet
sich aber in Wahrheit nicht darin.
[269. 270.] Zweiter Tag. 261
Büchleins lauten: non videt quod vel clrcnlum anniium aequo minorem,
vel orhem terreum iusto imUto fahricet maiorem.
Salv. Ob der erste Verfasser geirrt Hat, kann ich nicht ent-
scheiden, da ihn der Verfasser des Büchleins nicht nennt; aber offen-
bar und unverzeihlich ist der Irrtum des Büchleins, mag jener erste
Anhänger des Kopernikus nun geirrt haben oder nicht. Denn der
Autor des Büchleins geht über einen so wesentlichen Fehler hinweg,
ohne ihn zu bemerken, er macht nicht auf ihn aufmerksam und ver-
bessert ihn nicht. Dies sei ihm indessen verziehen, da es eher eine
Unachtsamkeit als etwas Schlimmeres ist. Wenn ich nicht müde und
überdrüssig wäre, auf diese kleinlichen Streitigkeiten mich ganz
zwecklos einzulassen und die Zeit damit zu vergeuden, so könnte ich
überdies zeigen, dafs ganz wohl ein Kreis, der mcht gröfser ist alsnie Möglichkeit
ein Wagenrad, nicht nur mit 365, sondern sogar mit weniger als 'soMosseu^ d?fs
20 Umdrehungen die Peripherie der Erdbahn, ja eine tausendmalPeriUeT^e eJes
gröfsere zurücklegen oder beschreiben kann.^'^^) Ich führe dies an, um Mair^'ch um?^
zu zeigen, dafs sich weit scharfsinnigere Bemerkungen an den Irrtum KrelseTeiue
des Kopernikaners ^' ■') knüpfen liefseu, als die von dem Verfasser des legen oder be-
Büchleins gemachten. Aber ich bitte Euch, schöpfen wir ein wenig die gröfser ist"'
Atem, um uns nun mit dem anderen Gegner eben desselben Koperni-J'oVrofse &eis.
kus zu beschäftigen.
Sagr. Es thut wahrhaftig auch mir Not, obgleich mir nur die
Ohren weh thun. Wenn ich nicht hoffte, geistvollere Betrachtungen
von diesem anderen Autor zu hören, würde ich mich lieber durch eine
Gondelfahrt erfrischen.
Simpl. Ich denke, Ihr werdet von ihm Dinge anderen Schlages
zu hören bekommen; denn er ist ein durch und durch gründlicher
Philosoph, besitzt auch ein bedeutendes mathematisches Wissen und
hat den Tycho in Sachen der Kometen und der neuen Sterne wider-
legt."'^)
Salv. Ist er etwa identisch mit dem Verfasser des Antitycho?
Simpl. Derselbe. Die Widerlegung betreffs der neuen Sterne be-
findet sich aber in dem Antitycho nur insoweit, als der Verfasser
dort nachweist, dafs diese der Unveräuderlichkeit und Unerzeugbarkeit
des Himmels keinen Eintrag thun, wie ich Euch schon mitteilte.
Nach Abfassung des Antitycho aber hat er mittels der Parallaxen eine
Methode ausfindig gemacht, um nachzuweisen, dafs auch sie elemen-
tare Gebilde sind, Avelche innerhalb der Mondsphäre ihren Sitz haben.
Er hat diese Methode in einem neuen Buche, De trihas noois sfcllis etc.,
veriJÖ'cutlicht uud darin auch die Argumente gegen den Kopernikus
vorgebracht. Ich habe Euch neulich angeführt, was er über diese
262 Dialog über die Weltsysteme. [270. 271.]
neuen Sterne im Antitycho geschrieben liat; dort stellte er nicht in
Abrede, dafs sie am Firmamente standen, führte aber den Nachweis,
dafs ihr Erscheinen die Unveränderlichkeit des Himmels nicht ver-
ändere, und zwar blofs auf dem Wege philosophischer Erörterung in
der von mir angegebenen Weise. Ich vergafs Euch zu sagen, dafs er'
später Mittel imd Wege gefunden hat, sie vom Himmel zu verbannen.
Da er nämlich bei dieser Widerlegung rechnerische Methoden und
Parallaxen benutzt, Dinge, von denen ich wenig oder nichts verstehe,
so hatte ich dieselben nicht gelesen und blofs die rein naturphilosophi-
schen Einwände gegen die Erdbewegung studiert.
Salv. Ich begreife sehr wohl und halte es für angemessen, dafs
wir nach Anhörung der Einwände gegen Kopernikus wenigstens die
Methode anhören oder kennen lernen, durch die er mittels der Parallaxen
nachweist, jene neuen Sterne seien elementar, im Gegensatz zu vielen
hochangesehenen Astronomen, welche ihnen sämtlich eine sehr hohe
Stelle anwiesen und zwar am Fixsternhimmel. Da dieser Schriftsteller
ein so kühnes Unternehmen zu Ende führt wie das, die neuen Sterne
vom Firmament bis in die elementare Sphäre hinal)zuziehen, so ist er
wert hoch erhoben und selbst unter die Sterne versetzt zu werden,
oder wenigstens verdient sein Name unter diesen rühmlich verewigt
zu werden. Erledigen wir deshalb so rasch als möglich jenen ersten i
Teil, worin er die Ansicht des Kopernikus bekämpft. Begiimt damit, ^
seine Einwände vorzutragen.
Simpl. Es wird nicht angehen, sie wortgetreu vorzulesen, denn
sie sind sehr weitläufig. Indessen habe ich, wie Ihr seht, bei dem
wiederholten aufmerksamen Studium derselben am Rande die Stellen
bezeichnet, welche den Nerv des Beweises enthalten; es wird genügen
Die kopernika- dicsc vorzulcseu. Et primo si opinio Copernicl recipiatur, criterium
mllht^diiaKli- naturalis pliilosopläae m prorsus ioUatiir, vehementer saltem lahefactari
sophi^zunichte'vwfe^wr. ^^') Dicscm von allen Philosopheuschulen anerkannten Krite-
rium zufolge sind die Sinne imd die Erfahrung unsere Leiter beim
Erforschen der Wahrheit. Nach der kopernikanischen Lehre aber
täuschen sich die Sinne gewaltig, selbst wenn sie mit voller Deutlich-
keit aus unmittelbarer Nähe wahrnehmen, wie in ganz klaren Medien
die schwersten Körper lotrecht und gerade sich abwärts bewegen und
nicht um Haaresbreite von der geraden Linie abweichen; trotz alle-
dem täuscht sich nach Kopernikus in einem so klaren Falle der Ge-
sichtssinn und jene Bewegung ist keineswegs gerade, sondern aus
gerader und kreisförmiger Bewegung zusammengesetzt.
Salv. Dieses ist das erste Argument, welches Aristoteles, Ptole-
maus und alle ihre Anhänger vorbringen, welches zur Genüge Beant-
[271. 272.] Zweiter Tag. 263
wortimg gefimden hat, imd dessen Felilerliaftigkeit oft genug nach-
gewiesen wordeii ist. Wie wir klar dargelegt haben, ist die Bewegung,Die gemrinsame
welche uns und anderen Körpern gemeinsam ist, so gut wie nicht vor- gut wie nicht
handen. Da aber richtige Schlufsfolgerungen sich auf tausenderlei
Weisen bestätigen lassen, will ich diesem Philosophen zuliebe noch
etwas Weiteres hinzufügen. Übernehmt Ihr, Signore Simplicio, seinen
Part und antwortet auf meine Fragen. Sagt mir zunächst, welche Das von den
Wirkung der Stein bei seinem Falle von der Turmspitze auf Euch den Körpern
ausübt, sodafs Ihr seine Bewegung wahrnehmt; denn wenn durch seinen Argument wird
Fall keine weitere neue Eiuwirkimg auf Euch zu derjenigen hinzu- widerlegt.
träte, die er schon bei seiner Ruhe auf der Turmspitze ausübte, wür-
det Ihr sicherlich seinen Fall nicht bemerken und nicht imstande sein
zu entscheiden, ob er sich bewegt oder stille steht.
Slmpl. Ich erkenne seine Abwärtsbewegung durch sein Verhal-
ten zum Turme; denn ich erblicke ihn jetzt neben jener Marke an
besagtem Turme, dann neben einer tieferen und so fort, bis ich ihn
auf der Erde angelangt finde.
Salv. Wäre also jener Stein aus den Krallen eines fliegenden
Adlers einfach durch die unsichtbare Atmosphäre hindurchgefallen,
ohne dafs Ihr sonst ein sichtbares, feststehendes Objekt hättet, um
mit ihm den Stein zu vergleichen, so würdet Ihr seine Bewegung
nicht wahrnehmen können?
Simpl. Allerdings würde ich sie wahrnehmen. Denn um den
Stein zu sehen, wenn er noch ganz oben ist, müfste ich den Kopf wieso mau die
heben und ihn allmählich entsprechend dem beständigen Fallen des fallenden Ki.r-
Steines senken, kurz fortwährend mit dem Kopfe oder den Augen
seiner Bewegung folgen.
Salv. Jetzt habt Ihr die richtige Antwort gegeben. Ihr seid
also von der Unbewegtheit des Steines überzeugt, sobald Ihr ihn, ohne Die Bewegung
das Auge zu bewegen, stets vor Euch erblickt; hingegen erkennt Ihr, weist uns die
dafs er sich bewegt, wenn Ihr das Gesichtsorgan, nämlich das Auge, angeschauten
bewegen müfst, um ihn nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Sobald
Ihr also ohne jede Bewegung des Auges ein Objekt stets in derselben
Ansicht vor Euch erblicktet, so würdet Ihr es immer für ruhend
halten, nicht wahr?
Simpl. Ich glaube, dafs das unbedingt der Fall wäre.
Salv. Denkt Euch nun, Ihr wäret in einem Schiffe und hättet
das Auge auf die Spitze der Raa gerichtet. Glaubt Ihr nun darum,
weil das Schiff sich, wenn auch noch so schnell, bewegt, das Auge
bewegen zu müssen, um diese Spitze nicht aus dem Gesichte zu ver-
lieren und ihrer Bewegimg zu folgen?
264 Dialog über die Weltsysteme. [272. 273.]
Simpl. Ich biu überzeugt, dafs keinerlei Veränclerimg nötig wäre;
ganz zu geschweigen von der Blickriclitung, selbst wenn ich mit
einer Flinte dahin visiert hätte, so brauchte ich sie bei keinerlei Be-
wegung des Schiffes um Haaresbreite zu verrücken, um sie in ihrer
Richtung aufs Ziel zu belassen.
Salv. Und zwar rührt dies daher, dafs da§ Schiff die Bewegung,
welche es der Raa mitteilt, auch Euch und Euerem Auge mitteilt,
so dafs Ihr nicht nötig habt, letzteres zu bewegen, um die Spitze im
Auge zu behalten; infolge davon erscheint sie Euch unbewegt. Mit
der Bichtung der Gesichtslinie vom Auge zur Raa verhält es sich ebenso,
ivie wenn zwei Punkte des Schiffes durch ein Tau verbunden wären. Nun
sind aber eine Menge von Tauen an verschiedenen Punkten befestigt und
bewahren ihre Lage, mag das Schiff sich fortbeivegen oder stille stehen.
Macht nun von dieser Überlegung die Nutzanwendung auf die Rota-
tion der Erde und den Stein auf der Turmsj^itze. Bei ihm vermögt
Ihr darum nicht die Bewegung wahrzunehmen, weil ebenso wohl Ihr
wie der Stein die Bewegungsart, die nötig ist um ihn zu verfolgen,
gemeinsam von der Erde empfangen habt und weil Ihr demnach das
Auge nicht zu bewegen braucht. Kommt daim aber die Bewegung
nach unten noch hinzu, welche ihm allein, nicht aber Euch angehört
und die mit der kreisförmigen sich zusammensetzt, so ist die kreis-
förmige nach wie vor für Euch nicht zu bemerken, weil sie Euch und
ihm gemeinsam ist, und blofs die geradlinige kommt zur Wahrneh-
mung; denn um sie zu verfolgen, müfst Ihr das Auge abwärts be-
versucb, der bc wegcu. Um Eucrcm Philosophen seinen Irrtum zu benehmen, möchte
^meinsame Be-icli ihm anraten, folgende Beobachtung anzustellen. Er mag auf ein
wlbfudfrabaHst Schiff' gehen, dort ein recht tiefes, mit Wasser gefülltes Gefäfs sich
geben lassen, ferner sich eine Kugel aus Wachs oder einem anderen
Stoffe verschaffen, der sehr langsam zu Boden sinkt, sodafs er in einer
Minute kaum eine Elle fällt. Er lasse sodann das Schiff' so schnell
als möglich vorwärts schaffen, sodafs es in einer Minute mehr als
hundert Ellen zurücklegt, tauche nun sachte genannte Kugel in das
Wasser und beobachte sorgfältig ihre Bewegung. Er wird dami erst-
lich bemerken, dafs sie genau nach demselben Punkte des Bodens sich
hinbewegt, wie wenn das Schiff stille stünde, sodanm aber würde für
sein Auge und in Bezug auf das Gefäfs eine solche Bewegung völlig
lotrecht und gerade erscheinen. Und doch kann man nicht läugnen,
dafs sie zusammengesetzt ist aus der geradlinigen Bewegung nach
unten und der kreisförmigen um das Element des Wassers. Geschehen
nun solche Dinge schon bei nicht natürlichen Bewegungen und bei
Materien, bei welchen wir Versuche erst im Zustande der Ruhe und
i
[273. 274.] Zweiter Tag. 265
dann in dem der Bewegung anstellen können, und bemerkt mau gleich-
wohl hinsichtlich des Scheines keinerlei Verschiedenheit, sodafs die
Sinne sich trügerisch zeigen, wie wollen wir da bei der Erde einen
Unterschied finden können, welche seit jeher, was Ruhe und Bewegung
betrifft, in derselben Verfassung geblieben ist? Zu welcher Zeit sollten
wir denn ausprobieren, ob irgendwelcher Unterschied zwischen den
Bewegungen auf der ruhenden und denen auf bewegter Erde statt-
findet, wo sie doch immer und ewig blofs in einem dieser Zustände
beharrt?
Sagr. Diese Untersuchungen haben meinen Appetit wieder einiger-
mafsen rege gemacht, der mir über jenen Fischen und Schnecken teil-
weise vergangen war. Der ersterwähnte Punkt bringt mich auf die
Berichtigung einer irrigen Ansicht, die so viel Verführerisches für sich
hat, dafs wahrscheinlich nicht einer von Tausenden sie für zweifelhaft
hielte. Die Sache war die. Als ich zur See nach Syrien ging, hatte
ich ein sehr gutes Teleskop bei mir, ein Geschenk unseres gemein- Subtiie Erwa-
samen Freundes , der es wenige Tage zuvor ersonnen hatte. ^■'^) IchFernrohr ebenso
sprach mit den Seeleuten davon, ein wie grofser Nutzen für die Schiff-SpUze d. Schiffs-
fahrt erwachsen könnte, wenn man das Fernrohr auf dem Mastkorb seinem Fufse
des Schiffes verwendete, um Fahrzeuge von weitem zu entdecken und finden kann.
zu erkennen. Die Nützlichkeit wurde zugegeben, aber dem gegenüber
auf die Schwierigkeit hingewiesen, es bei dem beständigen Schwanken
des Schiffes zu gebrauchen und insbesondere auf der Spitze des Mastes,
wo die Bewegung so viel gröfser ist; mau meinte, es sei besser, wenn
man es am Fufse des Mastes verwenden könnte, wo die Bewegung
geringer sei als an jeder anderen Stelle des Fahrzeugs. Ich liefs mich
zu derselben Ansicht verleiten — ich will meinen Irrtum nicht ver-
hehlen — und erwiderte im Augenblick nichts. Ich weifs nun nicht
warum, aber die Sache ging mir im Kopfe herum, ich grübelte nach
und entdeckte schliefslich, dafs ich in meiner, wenn auch verzeihlichen,
Einfalt als richtig zugegeben hatte, was grundfalsch ist. Es ist näm-
lich falsch, dafs die sehr grofse Schwankung des Mastkorbs gegen-
über der kleinen am Fufse des Mastes das Auffinden des Objekts
mittels des Fernrohres erschwere.
Salv. Ich wäre der nämlichen Ansicht gewesen wie die Seeleute
und wie Ihr anfanglich.
Simpl. Auch ich wäre dieser Ansicht gewesen und l)iii es noch;
und ich glaube, wenn ich hundert Jahre darüber nachdächte, Avürde
ich mich zu keiner anderen bekehren.
Sagr. Ich werde diesmal also Euch beiden gegenüber den Lehr-
meister spielen können, wie mau zu sagen pflegt. Da nun das kate-
266 Dialog über die Weltsysteme. [274. 275.]
chetisclie Yerfahren, wie mir scheint, sehr dazu beiträgt Klarheit
über die Dinge zu schaffen, abgesehen von dem Vergnügen, das es
macht den Partner zu überraschen und ihm das auf die Zunge zu
legen, was er unbewufst wiifste, so will ich mich dieses Kunstgriffs
bedienen. Erstlich nehme ich an, dafs die Schiffe, Kaper oder was
sonst für Fahrzeuge, welche man zu entdecken und zu erkennen sucht,
recht weit entfernt sind d. h. 4, 6, 10 oder 20 Mighen weit, denn um
nähere zu erkennen bedarf es keines Glases. Das Fernrohr vermag daher
bequem in einer solchen Entfernung von vier bis sechs Miglien das
ganze Fahrzeug und selbst einen noch weit gröfseren Gegenstand zu
erblicken. Ich frage nun, von welcher Art und Avaevielfältig sind die
verschiedenen Bewegungen, welche der Mastkorb infolge des Schwan-
kens des Schiffes macht?
Salv. Nehmen wir an, das Schiff fahre nach Osten. Zimächst
Verschiedene würde dami bei völlig ruhigem Meere keine andere Bewegung als diese
von dem Schwan- r- i t^ i i fxr ^ . , ,
ken des Schiffes fortschreitende stattfinden. Kommt nun aber das Wogen der Wellen
herrührende Bo- . ^ . . ,, iii i_j_i ipii-
wegungen. hiuzu, SO Wird eiuc wcitcre Bewegung dadurch entstehen, dals der hm-
tere und vordere Teil des Schiffes sich abwechselnd hebt und senkt,
wodurch der Mastkorb sich vor- und rückwärts neigt. Andere Wellen,
die das Schiff von der Seite her treffen, beugen den Mast nach rechts
und links; wieder andere können dem Schiffe eine beträchtliche
Drehung erteilen und etwa seinen Besanmast von dem genauen öst-
lichen Kurs abbringen, bald nach Nordost, bald nach Südost; andere
heben den Kiel in die Höhe und bewirken so eine Hebung und Sen-
kung des ganzen Schiffes, ohne seine Richtung zu beeinflussen. Alles
Zwei Arten der [^ allem schclut CS mir zwei der Art nach verschiedene Bewegungen
liagenändeniDg
des Fernrohrs ^u gebcii, eluc, wclchc dlc Lage des Fernrohres hinsichtlich des Rich-
werden durch . . . ..
das Schwanken tunscs winkeis uud ciiic, welche sie, wie wir sagen können, linear ver-
des Schiffs be- » ' . ' i i p i i t> i
■wirkt. ändert, ohne den Richtungswinkel zu ändern, so dafs also das Rohr
des Instrumentes stets sich selber parallel bleibt.
Sagr. Sagt mir demnächst: wenn wir zuerst das Fernrohr dort
auf den Turm von Burano"^^) richten, der sechs Miglien von hier ent-
fernt ist, und verändern sodann den Richtungswinkel nach rechts
oder links, nach oben oder unten, nur um soviel wie das Schwarze
am Nagel, welche Wirkimg würde das bezüglich der Sichtbarkeit des
Tm-mes haben?
Salv. Es würde dadurch der Turm sofort aus dem Gesichtsfelde
verschwinden; denn eine Abweichung von diesem Betrage kann, so
klein sie hier an Ort und Stelle ist, in solcher Entfernung Hunderte
und Tausende von Ellen ausmachen.
Sagr. Wenn wir aber ohne Winkeländerung das Rohr sich selber
[275. 276.] Zweiter Tag. 267
parallel um 10 oder 12 Ellen fortrückten, nach rechts oder links,
nach oben oder unten, welche Wirkung würde das hinsichtlich des
Turmes haben?
Salv. Eine ganz und gar verschAvindende; demi da die Strecken
hier und dort zwischen parallelen Strahlen enthalten sind, so müssen
die Veränderungen hier gleich denen dort sein. Da nun das Gesichts-
feld des Instrumentes vielmals gröfser ist als jener Turm, so ^vürden
Avir ihn keineswegs aus den Augen verlieren.
Sagr. Um jetzt auf unser Schiff zurückzukommen, so können
wir unbedenklich behaupten, dafs die Bewegung des Fernrohrs nach
rechts und links, nach oben imd unten, oder auch vorwärts und rück-
wärts in einem Betrag von 20 bis 25 Ellen, wenn es dabei sich selber
parallel bleibt, die Gesichtslinie von dem fixierten Punkte des Objektes
um nicht mehr als um eben diese 25 Ellen ablenken kann. Da nun
bei einer Entfernung von 8 bis 10 Miglien das Gesichtsfeld des In-
strumentes über eine viel gröfsere Fläche sich erstreckt als über die
des Kapers oder was sonst für ein Boot in Sicht kommt, so kann
eine so geringe Änderung mich dasselbe nicht aus dem Auge verlieren
lassen. Das Hinderliche, die Ursache dafür, dafs man das Objekt ver-
liert, kann also nur von den Veränderungen des Richtungswinkels her-
rühren; denn durch das Schwanken des Schiffes kann keine Verschie-
bung des Fernrohrs um eine sehr bedeutende Anzahl von Ellen nach
oben, unten, rechts oder Knks hervorgerufen werden. Setzt nun den
Fall, Ihr hättet zwei Fernrohre, eines am unteren Teile des Schiffs-
mastes, das andere auf der Spitze des Mastes oder sogar oben an der
höchsten Stenge, wenn mau dieselbe senkrecht in die Höhe richtet. Beide
mögen auf ein 10 Miglien weit entferntes Fahrzeug gerichtet sein.
Sagt mir nun, ob Ihr glaubt, dafs bei irgendwelcher Schwankung des
Schiffes und Neigung des Mastes eine gröfsere Änderung hinsichtlich
des Richtungswinkels bei dem in höchster Höhe aufgestellten Rohre
stattfindet, als bei dem unteren. Wenn eine W^elle den vorderen Teil
des Schiffes hebt, wird sie allerdings die Spitze der Raa 30 bis 4< ) Ellen
weiter nach hinten werfen als den Fufs des Mastes, sodafs das obere
Rohr um eine gleiche Strecke rückwärts geführt wird, während das
imtere sich vielleicht imr eine Spanne weit bewegt; die Änderung des
Richtungswinkels aber ist bei dem einen Instrumente so grofs als bei
dem anderen. Desgleichen verschiebt eine von der Seite kommende
Welle das obere Fernrohr vielleicht himdertmal weiter nach rechts
oder links als das untere, die Winkel aber ändern sich entweder gar
nicht oder um gleiche Beträge. Die Verschiel )ung nach rechts und
links, nach oben und unten, nach vorn imd hinten, hat aber keinen
268 Dialog über die Weltsysteme. [276. 277.]
merkliclieii Einflufs auf die Sichtbarkeit entfernter Objekte^ die Ände-
rung des Winkels hingegen den allergröfsten. Man mufs also not-
wendig einräumen, dafs der Gebrauch des Fernrohrs auf der Spitze
des Mastes keine gröfseren Schwierigkeiten bereitet als am Fufse
desselben, da nämlich au beiden Stelleu die Richtungsänderimgen
gleich sind.
Salv. Wie behutsam man doch sein mufs, ehe man eine Behauptung
zugiebt oder in Abrede stellt! Ich wiederhole, wenn man so kiihnlich
aussprechen hört, dafs wegen der stärkeren Bewegung der Mastspitze
im Vergleich zu dem Mastfufse die Anwendimg des Fernrohrs oben
weit schwieriger sei als unten, jedermann von der Richtigkeit dieser
Behauptung überzeugt sein wird. So kann ich denn auch wohl jene
Gelehrten entschuldigen, die sich verzweifelte, luid doch vergebliche.
Mühe geben, um die Ansicht derer zu bekämpfen, welche die schein-
bar so deutliche, gerade nach unten gerichtete Bewegung der Kanonen-
kugel nicht zugeben, sondern meinen, sie bewege sich in einem, noch
obendrein stark geneigten, sehr schrägen Bogen. Doch lassen wir sie
sich weiter quälen und hören wir die anderen Einwände, welche in
der vorliegenden Schrift gegen Kopernikus erhoben werden.
Simpl. Der Verfasser fährt noch immer fort zu zeigen, wie nach
jahrHche Ba- dci Lehre des Kopernikus die Sinne und die lebhaftesten Sinueswahr-
mt^ste^ei^en be^nehmimgen in Abrede gestellt werden: während wir z. B. das Wehen
lebhaften winddcs leiscsteu Luftzugcs vcrspürcu, merken wir nichts von dem Un-
gestüm des unaufhörlichen Windes, der mit einer Geschwindigkeit von
2529 Miglien in der Stunde uns trifft. So grofs nämlich ist die Strecke,
welche der Erdmittelpunkt bei der jährlichen Bewegung während einer
Stunde in seiner Bahn zurücklegt, wie der Verfasser sorgfältig be-
rechnet; und weil, wie er meint, auch nach der Ansicht des Koper-
nikus cum Terra movetur circumpositas ai'r, motus tarnen eins velocior
licet ac rapidior celerrimo qiiocumque vento a nobis non sentiretur, sed
summa tum tranqiiillitas repiitaretur , nisi aliiis motiis accederet. Quid
est vero decipi sensus, nisi haec esset deceptio?^^")
Salv. Der Verfasser mufs der Ansicht sein, dafs jene Erde, welche
Kopernikus samt der umgebenden Luft sich im Kreise bewegen läfst,
nicht dieselbe Erde sei, auf welcher wir wohnen, sondern eine andere
davon verschiedene. Denn unsere Erde trägt auch uns mit fort und
zwar mit der nämlichen Geschwindigkeit, welche sie selber und welche
die angrenzende Atmosphäre hat. Wie können wir einen Stofs fühlen,
während wir ebenso rasch dahin eilen wie derjenige, welcher den
Wenn wir stets Stofs auf uus fühi't? Dicser Herr hat vergessen, dafs auch wir,
TeUe der Atmo-cbeuso wie Erde imd Luft, im Kreise fortgeführt werden, also immer
1
[277. 278.] Zweiter Tag. 269
mit demselben Teile der Atmosphäre in Beriiliruui? bleiben , folfjlich sphäre in Be-
„ ? o rührung bleiben,
keinen btofs von inr empfangen können. fuhien wir
keinen Stols.
Simpl. Docb nickt! Hört^ wie die unmittelbar folgenden Worte
lauten: Fraeterea nos quoqiie rotamuy ex circumduciione Terrae efc^^^) '
Salv. Jetzt weifs ich ihm nicht mehr zu helfen und ihn zu ent-
schuldigen; entschuldigt Ihr ihn, helft ihm, Signore Simplicio.
Simpl. Im Augenblick, so ohne Vorbereitung, fallt mir keine be-
friedigende Verteidigung ein.
Salv. Na, so Averdet Ihr heute Nacht darüber nachdenken und
ihn dann morgen verteidigen; inzwischen höreii wir seine anderen
Gegengründe.
Simpl. Denselben Einwand führt er noch weiter aus, indem er
zeigt, dafs man nach Kopernikus die eigenen Sinneswahrnehmuno-en in "^°™ ^taud-
" ' .... punkte des Ko-
Abrede stellen müsse. Denn ienes Princip, infolge dessen wir uns pemitus murs
'' ^ ^ ^ ^ man die Sianes-
samt der Erde herumdrehen, sei entweder für ims ein inneres, oder.^^'»^™ö^™""gen
- . ' In Abrede stellen.
em uns fremdes, d. h. em gewaltsames Fortreifsen von selten der
Erde. In diesem zweiten Fall würde der Tastsinn das unmittelbar
mit ihm verbmidene Objekt und seinen Eindruck auf das Sinnesorgan
nicht wahrnehmen. Wenn aber das Princip ein inneres ist, so wür-
den wir eine Ortsveränderung nicht wahrnehmen, welche von uns selbst
ausgeht und würden einen unabänderlich in uns vorhandenen Hang
gar nicht bemerken.
Salv. Der Einwand des Verfassers geht also darauf hinaus, dafs
wir jedenfalls das Princip, vermöge dessen wir uns mit der Erde be-
wegen, wahrnehmen müfsten, sei es nun ein äufseres oder ein inneres.
Da wir es aber nicht bemerken, ist es weder das eine noch das andere,
also bewegen wir ims nicht und also bewegt sich auch die Erde nicht.
Ich behaupte nun, dafs sowohl das eine als das andere der Fall sein unsere Bewe-
kaim, ohne dafs wir etwas davon bemerken. Dafs es ein äufseres ^"hinen^^er'"'
Princip sein kann, daran wird jeder Zweifel durch den Versuch 'mit ron,°ohne""n
dem Schiffe mehr als zur Genüge beseitigt; ich sage mehr als zur il^^mnTen^o^L
Genüge, deini da wir das Schiff jederzeit sich bewegen und wieder^" '''den" """
stillestehen lassen können und mit grofser Genauigkeit Beobachtungen
anzustellen imstande sind, ob wir mittels einer etwaigen Verschieden-
heit der Tastempfindung die Bewegung von der Ruhe unterscheiden
köimen, und da wir gleichwohl sehen, dafs wir ein solches Vermögen
nicht besitzen: was Wunders, wenn wir uns bei der Erde in der näm-
lichen Ungewifsheit befinden, bei der Erde, die uns möglicherAveise
beständig mit sich geführt hat, ohne dafs wir jemals die Erscheinungen
im Falle ihrer Ruhe hätten kennen lernen können? Ihr, Signore dio Bewegung
Simplicio, seid doch, soviel ich weifs, tausendmal zu Schiffe nach^^'^v^hrüeuLbar*
270 Dialog über die Weltsysteme. [278. 279.]
tiurch den Tast-Padua gei'eist; wenn Ilir aber aufrichtig gestehen wollt, habt Ihr nie-
darin Beünii- mals Euere Beteiligung an dieser Bewegung gespürt, es sei denn, die
Barke sei aufgelaufen oder auf ein Hindernis gestofsen und sei da-
durch zum Stillestehen gebracht worden, sodafs Ihr und die anderen
Passagiere jjlötzlich überrascht wurdet und in ein gefährliches Tau-
meln gerietet. Der Erdball müfste auf irgend ein Hindernis stofsen,
das ihn hemmte-, dann, versichere ich Euch, würdet Ihr den Euch
innewohnenden Antrieb der Bewegung schon merken, wenn Ihr durch
denselben zu den Sternen fortgeschleudert mirdet: durch andere Sinnes-
Die Bewegung Wahrnehmungen freilich, aber nur in Verbindung mit vernünftigen Er-
der Barke mittels . .
des Gesichts- wägiuigeu, köunt Ihr die Bewegung der Barke bemerken, mittels des
unter zuMife- Gesichtssimies nämlich, wenn Ihr die Bäume und die Bauten betrachtet,
nähme vernünf-
tiger Erwä- welche am Lande stehen und welche, weil ohne Verbindimg mit der
guugen wahr- -p, , . , . . . ...
nehmbar. Barkc, sich lu entgegengesetzter Richtung zu bewegen scheinen. Wenn
Krtibewegung anihr durch eine derartige Beobachtung Euch von der Bewegung der Erde
den Sternen ^ ^ ö O
wahrnehmbar überzcugeu wolltct, SO würde ich Euch anraten, die Sterne zu be-
trachten, welche aus eben diesem Grunde sich in entgegengesetzter
Richtung zu bewegen scheinen. — Wenn man sich aber wmidert, dafs
man genanntes Princip nicht wahrnehme für den FaU, dafs es ein
inneres sei, so ist das noch weniger vernünftig. Deim da wir ein
solches nicht einmal bemerken, wenn es von aufsen auf uns wirkt und
häufig zu wirken aufhört, aus welchem Grunde sollten wir es be-
merken, wenn es unabänderlich und beständig in uns seinen Sitz hat?
Findet sich sonst noch eine Bemerkung über dieses Argument vor?
Simpl. Noch ein schönes Ausrufesätzchen. Ex hac itaque opi-
nione necesse est diffuJere nostris sensilus, ut penitus fallacihus vel stu-
pidis in scnsüihiis, etiam coniundissimis, diuidicandis; quam ergo veri-
tatcm sperare possunms a facultate adco faUaci ortum trahentem'P^-)
Salv. Da möchte ich doch nützlichere und zweifellosere Lehren
daraus ziehen, nämHch vorsichtiger und weniger vertrauensselig dem
gegenüber zu sein, was bei oberflächlicher Betrachtung die Sinne uns
vorspiegeln, die uns gar leicht täuschen können. Es thut mir leid,
dafs der Verfasser sich so abquält, uns sinnlich begreiflich zu machen,
jene Bewegung der fallenden schweren Körper sei einfach geradlinig
und nichts anderes, dafs er zornig wird und sich in Ausrafen ergeht,
weil eine so klare, handgreifliche, offen daliegende Sache in Zweifel
gezogen werde. Denn dadurch hat es den Anschein, als glaube er,
dafs die Leute, welche die Geradlinigkeit in Abrede stellen und eher
die Kreisform für die wahre halten, auch sinnlich eine Bewegung des
Steines im Bogen zu erbhcken glaubten. Es hat diesen Anschein:
denn er fordert mehr ihre Sinne als ihre Vernunft auf, über die frag-
[279. 280.] Zweiter Tag. 271
liehe Ersclieinuüg sich Klarheit zu verschaffen. Das ist aber nicht
der Fall^ Signore Simplicio; ich, der ich für keine dieser Ansichten
Partei ergriffen habe und mich bei unseren Vorstellungen gleich einem
Schauspieler, nur als Kopernikaner maskiere, habe niemals gesehen
und niemals zu sehen geglaubt, dafs der Stein anders als lotrecht
fällt, imd ebenso ist es mit den Gesichtswahrnehmungen aller Anderen
bestellt, glaube ich. Es ist also geratener vom Scheine abzusehen,
über den wir alle einig sind, und durch Vernunftgründe uns zur Er-
kenntnis durchzuringen, ob der Schein der Wirklichkeit entspricht oder
trügerisch ist.
Sagr. Weim ich einmal mit diesem Philosophen zusammentreffen
könnte, der mir immerhin weit über vielen anderen Anhängern der-
selben Meinungen zu stehen scheint, so würde ich ihm zum Zeichen
meiner Verehrung eine Thatsache ins Gedächtnis rufen, die er sicher-
lich schon tausendmal gesehen hat. Diese schliefst sich hier passend
an, da sich aus ihr entnehmen läfst, wie leicht mau durch den blofsen
Schein oder, wie wir sagen wollen, durch die Vorspiegelungen der
Sinne getäuscht werden kann. Ich meine die Thatsache, dafs, wenn
man nachts durch eine Strafse geht, man von dem Monde in gleichem
Schritte begleitet zu werden glaubt; man sieht ihn sich entlang den
Dachtraufen bewegen, ganz in der Weise, wie es eine Katze thun
würde, die wirklich stets hinter einem her über die Dächer liefe:
ein Schein, der ohne Dazwischenkunft des Verstandes nur allzu sicher
den Gesichtssinn betrügen würde.
Simpl. Es fehlt in der That nicht an Beobachtungen, die uns
das Trügerische der blofsen Sinneswahrnehmungen beweisen. Darum
wollen wir einstweilen auf das Zeugnis der Sinne Verzicht leisten
und die folgenden Argumente hören, welche, Avie der Verfasser sagt, Argumente
ö . . gegeu die ErJ-
ex verum natura entnommen sind. Das erste besteht darin, dafs der bewegung ex
. rerum natura.
Erde unmöglich gleichzeitig drei durchaus verschiedene Bewegungen
sich beilegen lassen, wemi man nicht gegen viele handgreifliche Axiome
verstofsen will. Das erste dieser Axiome ist, dafs iede Wirkimg von Drei Axiome,
; «^ . . '^ die als offenbar
irgendwelcher Ursache bedingt wird: das zweite, dafs nichts sich selbst richtig voraus-
" . -, gesetzt werden.
erzeugt, dafs demnach unmöglich das Bewegende und das Bewegte
völlig identisch sein können. Und zwar ist dieses nicht nur im Falle
eines äufseren bewegenden Princips richtig, sondern aus den ange-
gebenen Grundsätzen folgt auch das Nämliche im Falle eines inneren
bewegenden Princips; denn andernfalls würde, da das Bewegende als
Bewegendes Ursache ist und das Bewegte als Bewegtes Wirkimg, ein
und dasselbe zugleich Ursache imd Wirkung sein. Es bewegt also
niemals ein Körper als Ganzes sich selbst d. h. so, dafs er ganz Be-
272 Dialog über die Weltsysteme. [280. 281.]
wegendes und zugleicli gauz Bewegtes wäre. Vielmehr mufs mau bei
eiuem iu Bewegung befindlichen Körper irgendwie das Princip unter-
scheiden, welches die Bewegung hervorbringt, imd dasjenige, das diese
Bewegung ausführt. Das dritte Axiom ist, dafs bei allem Sinnlich-
Wahrnehmbarem, eines, insofern es eines ist, auch nur eine Wirkung
hervorbringt. Die Seele z. B. ini lebenden Wesen bewirkt freilich sehr
verschiedene Thätigkeiten, aber mittels verschiedener Werkzeuge, so das
Sehen, das Hören, das Riechen, die Fortpflanzung. Wenn nun diese
Axiome gleichzeitig in Betracht gezogen werden, so wird es völlig eiii-
Ein einfacher leuchtcud sciu, dafs ein einfacher Körper wie die Erde nicht von Natur
Körper, wie es _ _ _
die Erde ist, drei völlig verschiedene Bewegungen ausführen kann; deim nach den zu
kann nidat drei " O O 5
verschiedene Be-Grunde gelcgtcu Annahmen kann sie nicht als Ganzes sich selber als
wegungen aus- . . . . .^ . . .
führen. Ganzcs m Bewegung setzen. Man mufs also bei ihr drei Principien für
jede der drei Bewegungen unterscheiden, sonst würde ein und dasselbe
Princip mehrere Bewegungen verursachen. Wenn in ihr aber, abge-
sehen von dem bewegten Teile, aufserdem noch drei Principien für
natürliche Bewegungen existieren, so ist sie kein einfacher Körper,
sondern zusammengesetzt aus drei bewegenden Principien und emem
Die Erde kann bewegtcu Tcilc. Ist also die Erde ein einfacher Körper, so wird sie
keine der ihr .-.,. . ..,.,
von Kopernikusnicht drci verschiedeuc Bewegungen ausführen können: sie wird viel-
beigelegten Be- . o O ...
wegungen aus- mchr überhaupt keine einzige der von Kopernikus ihr beigelegten Be-
wegungen auszuführen vermögen, da sie nur einer einzigen Bewegung-
fähig sein kann und da aus den von Aristoteles angeführten Gründen
dieses die Bewegung nach dem Mittelpunkte sein mufs, wie die Teile
der Erde beweisen, welche rechtwinklig zu der sphärischen Oberfläche
sich nach unten bewegen.
Salv. Der Aufbau dieses Beweises gäbe zu manchen Bemer-
kungen und Erwägungen Anlafs. Da wir ihn aber mit wenigen Wor-
Entgegnungen tcu widerlegen können, so will ich mich einstweilen nicht ohne Not
auf die gegen . '
■Ji^eErdbewegungweitläufig darüber ergehen, um so weniger als die Entgegnung von
gumente ex dem Vcrfasscr selbst mir an die Hand gegeben wird, indem er sagt,
ri-rum natura. . . . ^ ^ . . .
bei lebenden Wesen bewirke ein und dasselbe Princip verschiedene
Thätigkeiten. Daher entgegne ich ihm einstweilen in ähnlicher Weise,
dafs auch bei der Erde ein einziges Princip die verschiedenen Be-
wegungen bedingt.
Simpl. Bei dieser Antwort wird sich der Urheber des Einwandes
keineswegs beruhigen. Sie findet vielmehr eine niederschmetternde
Widerlegung in dem, was unmittelbar nachher zur Verstärkung des
unternommenen Angriffs hinzugefügt wird, wie Ihr gleich hören wer-
Jegra dit Erd- ^®^" ^^ erhöht die Beweiskraft seines Argumentes nämlich mittels
bewegung. (Jes ferneren Axioms, dafs die Natur am Notwendigen weder spart
[281. 282.] Zweiter Tag. 273
noch verschwendet. Denen, die sich mit naturwissenschaftlichen Be-
obachtungen, namentlich der Tiere, beschäftigen, ist diese Thatsache
evident. Um die Tiere nämlich zu mannigfaltigen Bewegungen fähig
zu machen, hat die Natur bei ihnen eine Menge von Biegungen an-6eienke bei den
' . . . Tieren notwen-
gebracht und hat an diesen Stellen geschickt die Bewegungsorgane dig, um deren
^ . . * O O ö verschiedene Be-
verbunden, wie an den Knieen und den Hüften, um das Niederlegen der wegungon her-
. . vorzubringen.
Tiere nach deren Belieben zu ermöglichen. Ebenso hat sie beim Men-
schen viele Biegungen und Gelenke am Ellbogen imd au der Hand
angefertigt, die ihn zu vielen Bewegungen befähigen. Daraus er-
wächst nun das Argument gegen die dreifache Bewegung der Erde. Anderes Argu-
... . . . meiit gegen die
Entweder kann ein einziger, gleichartiger Körper, ohne irgendwie Ge- dreifache Erd-
lenke zu besitzen, verschiedene Bewegungen ausführen oder er bedarf
dazu der Gelenke. Wenn es ohne Gelenke möglich ist, so hat dem-
nach die Natur die Gelenke der Tiere unnötigerweise geschaffen, was
dem Axiom widerspricht; sind aber die Gelenke notwendig, so kann
die Erde, ein einheitlicher, gleichartiger, gelenkloser Körper nicht von
Natur aus mehrere Bewegungen ausführen. Ihr seht also, wie scharf-
sinnig der Verfasser Euerem Einwurf begegnet, als wenn er ihn voraus
gesehen hätte.
Salv. Meint Ihr das ernstlich, oder ist das Ironie?
Simpl. Ich spreche im vollsten Ernste.
Salv. Dann müfst Ihr Euch auch imstande fühlen, Eueren Philo-
sophen gegen einen oder den anderen Einwand zu verteidigen, den
man ihm macht. Antwortet Ihr mir daher, ich bitte Euch, ihm zu
liebe, da er selber nicht zugegen sein kann. Ihr gebt also erstlich
als richtig zu, dafs die Natur den Körper der Tiere gegliedert machte,
ihm Biegungen und Gelenke verliehen habe, um sie zu vielen ver-
schiedenartigen Bewegungen zu befähigen. Ich stelle diese Behauptung Gelenke der
in Abrede und sage, dafs die Gelenke dazu dienen, um einen oder bestimmt, «m
mehrere Teile beweguugsfähig zu machen, während gleichzeitig der^vegungen^der-
übrige Körper in Ruhe bleibt; ich behaupte ferner, was die Art und ^^zXingeL"''
Mannigfaltigkeit der Bewegungen betrifft, dafs sie sämtlich gleichartigBowogungen der
sind, nämlich kreisförmig. Aus diesem Grunde bemerkt Ihr auch, dafs vo^^eiMr Art.
die Enden aller beweglichen Knochen gewölbt oder ausgehöhlt sind.Die Enden aiier
Von diesen sind wieder einige sphärisch, nämlich diejenigen, welche
Bewegungen nach allen Seiten auszuführen haben, wie es z. B. der
Arm des Fahnenträgers im Schultergelenk thut, wemi er die Fahne
schwenkt, oder der des Falkeniers, wemi er mit dem Federspiel den
Falken zurücklockt; dahin gehört ferner das Ellbogengeleuk, in wel-
chem der Unterarm sich beim Bohren mit dem Bohrer dreht. Andere
sind nur in einer Richtung kreisförmig und fast cylindrisch, sodafs sie
Galilei, Weltsysteme. IS
beweglichen
Knochen sind
274 Dialog über die Weltsysteme. [289. 283.]
nur eine einzige Biegimg gestatten, wie die aneinander stofsenden
Nachweis, dafs Glieder der Finger u. s. w. Ohne indessen einzelne Beispiele anzu-
"Enden'der füliren, wird diese Erkenntnis durch eine einzige allgemeine Über-
und die Bewe- legimg gewonnen, dafs nämlich ein sich bewegender fester Körper,
Tieres alle kreis-dcsscn eines Ende unbewegt bleibt, sich nur kreisförmig bewegen kann.
müssen. Da uuu ein Tier, wenn es eines seiner Glieder bewegt, es von den
anstofsenden nicht trennt, so ist eine solche Bewegung notwendig
kreisförmig.
Simpl. Ich meine es nicht in diesem Sinne, vielmehr sehe ich
das Tier hunderterlei nicht kreisförmige, gänzlich von einander ver-
schiedene Bewegungen ausführen; ich sehe es laufen, tanzen, springen,
klettern, schwimmen u. s. w.
Salv. Ganz richtig. Allein es sind dies sekundäre Bewegungen,
Sekundäre Be- welchc durch die primären der Gelenke bedingt werden. Durch die
Tieres werden Bicgung der BcLue in den Knieen und der Schenkel an den Hüften,
mären bedingt, wclchcs kreisförmige Bewegungen der Teile sind, kommt das Si3ringen
oder das Laufen zustande, welches Bewegungen des ganzen Körpers
sind; diese brauchen dann nicht kreisförmig zu sein. Weil nun beim
Für die Bewe- Erdball uicht ciu Teil an einem anderen unbeweglichen sich hinzu-
bedarf es keinerbewegen hat, sondern die Bewegung sich auf den Körper im Ganzen
erstreckt, bedarf es keiner Gelenke.
Simpl. Das wäre möglich — ich spreche im Sinne meiner Rolle
— wenn es sich nur um eine Bewegung handelte, es handelt sich
aber um drei ganz von einander verschiedene und diese sind unverträg- J
lieh mit einem Körper, der der Gelenke ermangelt. ■■
Salv. Das würde allerdings, wie ich glaube, die Antwort unseres
Philosophen sein. Dagegen nun erhebe ich von anderer Seite her
einen Einwand. Ich frage Euch, ob Ihr meint, dafs mit Hilfe von
Gelenken der Erdball in den Stand gesetzt werden könnte, drei ver-
schiedenartige Kreisbewegungen auszuführen. Ihr antwortet nicht?
Da Ihr schweigt, will ich für den Philosophen antworten; er würde
unbedingt die Frage bejahen. ^^^) Sonst nämlich wäre die Überlegung
überflüssig und nicht zur Sache gehörig gewesen, dafs die Natur die
Gelenke verwendet, um einem beweglichen Körper verschiedene Be-
wegungen zu ermöglichen, und dafs dem Erdball aus dem Grunde,
weil er keine Gelenke besitzt, die drei ihm zugeschriebenen Bewegungen
nicht zukommen können. Hätte er geglaubt, dafs die Erde auch mit
Hilfe von Gelenken nicht zu solchen Bewegungen fähig gemacht wer-
den könnte, so hätte er gerade herausgesagt, der Erdball könne keine
drei verschiedene Bewegungen ausführen. Dies festgestellt, bitte ich
an wunsc j^^gjj^ ^j^^j g^att Eucrcr, wenn es möglich wäre, den gelehrten Ver-
[283. 284.] Zweiter Tag. 275
fasser des Beweises, die (lüte zu haben micli zu belehren, wie man die mitteis weicher
Gelenke und Glieder einzurichten hätte, damit die drei Bewegungen Erdball die drei
bequem ausführbar seien. Ich gebe Euch Zeit zur Antwort, vier Bewegungen
Monate, ein halbes Jahr, wenn Ihr wollt. Inzwischen glaube ich, dafs können.
ein einziges Princip am Erdball mehrere Bewegungen hervorbringen Ein einziges
kann, ganz in der Weise — ich habe das schon vorher bemerkt — mehrere Bewe-
wie ein einziges Princip mittels verschiedener Werkzeuge vielfach ver- rufen. ^
verschiedene Bewegungen bei dem Tiere bewirkt. Was die Gliede-
rung betrifft, so ist eine solche unnötig, da die Bewegung sich auf
das Ganze und nicht auf einzelne Teile erstrecken soll; und insofern
diese Bewegungen kreisförmig sein sollen, ist die einfache Kugelgestalt
die schönste Gliederung, die man sich nur wünschen kann.
Simpl. Man dürfte höchstens zugeben, dafs dies bei einer ein-
zigen Bewegung der Fall sein kann, aber bei drei verschiedenen ist
es nach meiner und des Autors Ansicht nicht möglich, wie er im
folgenden zur Bekräftigung seines Einwandes weiter schreibt. Stellen
wir uns mit Kopernikus vor, die Erde bewege sich aus eigener Kraft Anderer Ein-
"-^ . ° wand gegen die
und infolge eines inneren Princips von West nach Ost in der Ebene dreifache Erd-
. . . ... . . . bewegung.
der Ekliptik und überdies drehe sie sich gleichfalls infolge eines inne-
ren Princips um ihren eigenen Mittelpunkt von Ost nach West und
drittens endlich lenke sie aus eigenem Antrieb von Norden nach
Süden ab und umgekehrt. Kann nun unsere Vernunft und Urteils-
kraft begreifen, wie ein gleichartiger Körper, ohne Angeln und Fugen,
von einem und demselben natürlichen und unterschiedslosen Princip,
also vermöge eines und desselben Triebes, gleichzeitig zu verschiedenen
und fast entgegengesetzten Bewegungen veranlafst werde? Ich kann
mir nicht denken, dafs es jemanden giebt, der so etwas behaupten
möchte, er habe denn sich vorgesetzt diese Behauptung unter allen
Umständen, recht oder schlecht, zu verteidigen.
Salv. Haltet einen Augenblick ein und sucht mir diese Stelle in
dem Buche, zeigt her. Fingamus modo mm Copemico terram aliqua
sua vi et ab indito principio impelU ah occasu ad ortuni in ecdipticae
piano, tum rursus revolvi ab indito ctiam principio circa suimet centrum
ah ortu in occasum, tertio deflecti rursus suopte nutii a septentrione in
ausfrum et vicissim^'^^) Ich vermutete, Signore Simplicio, Ihr hättet
Euch bei der Wiedergabe der Worte des Autors geirrt: ich bemerkeschweror Irrtum
aber, dafs er leider selbst sich schwer getäuscht hat. Zu meinem Be- "Kopfriukus.*^*
dauern ersehe ich, dafs er sich unterfangen hat eine Behauptung zu
bekämpfen, die er nicht recht verstanden hat; denn das sind die Be-
wegungen nicht, die Kopernikus der Erde zuschrieb. Woher weifs
er, dafs Kopernikus die jährliche Bewegung in der Ekliptik in der
18*
276 Dialog über die "Weltsysteme. [284. 285.]
entgegengesetzten Richtung vor sich gehen läfst, wie die um den
Mittelpunkt? Er mufs sein Buch nicht gelesen haben, wo an hundert
Stellen imd zwar schon in den ersten Kapiteln zu lesen ist, dafs die
beiden Bewegungen in derselben Richtung erfolgen, nämlich in der
Richtung von West nach Ost. Aber ohne das von Anderen sich sagen
zu lassen, hätte er nicht selbst einsehen müssen, dafs, wenn man der
Erde Bewegungen beilegt, deren eine man der Sonne, die andere dem
primum mobile entzieht, diese notwendigerweise gleichgerichtet sein
müssen?
Simpl. Solltet in diesem Falle nicht Ihr samt dem Koperuikus
Spitzfindiger Euch im Irrtum befinden? Geht die tägliche Bewegung des primum
einfältiger Bia-moLile uicht von Osten nach Westen vor sich? Und ist die jährliche
Kopernikus. Bcwcguug der Soune längs der Ekliptik nicht im Gegenteil von West
nach Ost gerichtet? Wie könnt Ihr da diese Bewegungen, wenn auf
die Erde übertragen, aus entgegengesetzten zu gleichstimmigen machen
woUen? ,
Sagr. Jedenfalls hat uns Signore Simplicio die Quelle des Irr-
tums bei jenem Philosophen aufgedeckt; offenbar hat dieser dieselbe
Erwägung angestellt.
Salv. Benehmen wir jetzt, wo es möglich ist, wenigstens dem
Der Irrtum des Siguore Simphcio seiucn Irrtum. Er wird, da er die Sterne beim
Gegners wird .„ .,__. . •iicii-'i-
ofifenbart und Aufgang am Östlichen Horizont emporsteigen sieht, ohne Schwierigkeit
klärt, wieso die begreifen, dafs, wenn diese Bewegung . nicht den Sternen angehört,
jälirliche und O 7 7 o O O ;
tägliche Bewe- notweudig der Horizont sich in entgegengesetzter Richtung senken
gung, wenn sie i-i -in
der Erde zu- mufs, die Erdc demnach sich um sich selber, entgegengesetzt zu der
kommen, gleich- ■, • -, t-, . -, lo in
gerichtet, nicht schembaren Bewegungsrichtung der Sterne, d. h. von Westen nach
entgegengesetzt
sind. Osten drehen mufs, mit anderen Worten in der Folge der Zeichen des
Tierkreises. Was sodann die andere Bewegung betrifft, so mufs man,
um zu bewirken, dafs die Sonne scheinbar die Reihe der Zeichen des
Tierkreises durchläuft, wegen der Stellung der Sonne im Mittelpimkte
des Tierkreises und weil die Bewegung der Erde längs der Peripherie
dieses Kreises erfolgt, annehmen, dafs die Erde den Tierkreis in der-
selben Ordnung durchlaufe. Denn die Sonne scheint stets in dem ent-
gegengesetzten Zeichen zu stehen, in welchem sich die Erde befindet:
wenn z. B. die Erde das Zeichen des Widders durchläuft, wird die
Sonne die Wage zu durchlaufen scheinen; geht die Erde durch das
Zeichen des Stiers, so wird die Sonne im Skorpion zu stehen scheinen;
befindet sich die Erde in den Zwillingen, so die Sonne im Schützen.
Das ist aber eine gleichstimmige Bewegung der beiden Weltkörper,
und zwar eine solche in der Folge der Zeichen, ebenso wie die Drehung
der Erde um ihren Mittelpunkt.
[285. 286.] Zweiter Tag. 277
Simpl. Ich habe sehr wohl verstanden und Aveifs nicht, was ich
zur Entschuldigung eines derartigen Fehlers vorbringen soll.
Salv. Sachte nur, Signore Simplicio! Es liegt noch ein gröfserer
vor als dieser. Der Verfasser läfst nämlich die Erde vermöge der
täglichen Bewegung um den eigenen Mittelpunkt sich von Osten nach
Westen bewegen, begreift also nicht, dafs unter diesen Umständen die
24-stüudige Bewegung des Universums scheinbar von West nach Ost
gerichtet sein müfste, wovon das gerade Gegenteil richtig ist.
Slmpl. 0, einen so schlimmen Schnitzer würde sicherlich ich
nicht einmal gemacht haben, obgleich ich kaum die ersten Elemente
der sphärischen Astronomie studiert habe. ^^°)
Salv. Bildet Euch nun ein Urteil, in welcher Weise dieser Gegner
des Kopernikus dessen Schriften studiert haben mufs, wenn er diese Aus einem an-
vornehmste und hauptsächlichste Hypothese auf den Kopf stellt, aufirrtum geht her-
weicher sich alles das aufbaut, worin Kopernikus von der Lehre desGegner Kopemi-
Aristoteles und des Ptolemäus abweicht. Was sodann die dritte Be- diert hat.
wegungsart betrifft, die der Verfasser gleichfalls im Sinne des Ko- Es ist zu be-
pemikus dem Erdball beilegt, so weifs ich nicht, was er darunteroegner die dritte
versteht. Es kann sich jedenfalls nicht um die Bewegung handeln, der Erde beige-
weiche Kopernikus gleichzeitig mit den beiden anderen Bewegungen, der verstanden hat°
jährlichen und täglichen, der Erde zuschreibt, und welche mit einer Ab-
Aveichung nach Süden und Norden nichts zu thun hat, welche viel-
mehr nur dazu dient die Axe der täglichen Drehung beständig sich
selber parallel zu erhalten. Demnach mnfs der Gegner diese entweder
wirkHch nicht verstanden haben oder sich so stellen, als habe er sie
nicht verstanden. Wiewohl nun aber dieses eine schwere Versehen
ausreichend wäre, um uns der Verpflichtung zu entheben, weiterhin
mit seinen Einwänden uns zu beschäftigen, will ich sie gleichwohl
berücksichtigen, da sie in der That sehr viel höher angeschlagen zu
werden verdienen als die von tausend anderen nichtigen Gegnern. —
Um wieder auf den Einwand zurückzukommen, so behaupte ich, dafs
die beiden Bewegungen, nämlich die jährliche und die tägliche, keines-
wegs entgegengesetzt sind und demnach durch ein und' dasselbe Princip
hervorgerufen werden können. Die dritte Bewegung ergiebt sich ganz
von selbst als notwendige Folge der jährlichen, sodafs man — wie ich
seiner Zeit beweisen werde — kein inneres oder äufseres Princip zu
Hilfe nehmen mufs, welches die Ursache für sie abgäbe.
Sagr. Auch ich möchte vom Standpunkte des gesunden Menschen-
verstandes diesem Gegner etwas erwidern. Er will den Kopernikus
verdammen, wenn ich ihm nicht aufs säuberlichste alle Zweifel lösen,
alle Einwendungen widerlegen kaim, die er ihm macht: als weim aus
278 Dialog über die Weltsysteme. [286. 287.]
meiner ünwissenlieit notwendig die üuriclitigkeit seiner Lehre her-
vorginge. Wenn dieser Titel dem Verfasser ausreichend erseheint, um
von Rechts wegen einen Schriftsteller zu verurteilen, so wird er es
auch nicht für ungehörig betrachten dürfen, dafs ich den Aristoteles
und Ptolemäus mifsbillige, da er ebenso wenig wie ich die nämlichen
Bedenken zu beseitigen weifs, die ich gegen deren Lehre äufsere. Er
fragt mich, welches die Principien seien, vermöge deren der Erdball
seine jährliche Bewegung durch den Tierkreis und seine tägliche um
sich selber in äquatorialer Richtung ausführt. Ich entgegne ihm
Widerlegung darauf, dafs diese Principien etwas Ahnhches smd, wie die, vermöge
Einwandes dcrcu Satum slch in 30 Jahren durch den Tierkreis hindurch und in
Beispiele ande- einer vicl kürzcrcu Zeit in äquatorialer Richtung um sich selbst be-
körper wcgt, wic das Hervortretcu und Verschwinden seiner Nachbargestirne
beweist.^"""') Es ist etwas Ähnliches, wie wenn man behauptete —
und das würde er ohne Bedenken zugeben — dafs die Sonne in einem
Jahre die Ekliptik durchläuft und gleichzeitig parallel dem Äquator sich
in weniger als einem Monate um sich selber dreht, wie ihre Flecke
sinnenfällig darthun. Es ist etwas Ahnliches, wie wenn die Mediceischen
Gestirne den Tierkreis in 12 Jahren durchlaufen und sich inzwischen in
ganz kleinen Kreisen und binnen kürzester Zeit um den Jupiter bewegen.
Simpl. Der Verfasser wird Euch alles das als optische Täu-
schungen, verursacht durch die Fernrohrlinsen, in Abrede stellen.
Sagr. Das hiefse denn doch alle Vorteile für sich in Anspruch
nehmen, wenn man einerseits behauptet, dafs das unbewaffnete Auge
sich in der Beurteilung der geradlinigen Bewegimg beim Fall der
schweren Körper nicht täuschen kann, und dafs es sich andererseits
bei der Wahrnehmung dieser anderen Bewegungen täuscht, wo seine
Kraft vermehrt, aufs Dreifsigfache verstärkt ist. Entgegnen wir ihm
also, dafs die Erde mehrfache Bewegungen in sich vereint in ähnlicher,
vielleicht in derselben Weise, wie der Magnet als schwerer Körper
sich abwärts bewegt, aufserdem aber zwei Kreisbewegungen besitzt,
eine horizontale und eine vertikale im Meridian. ^'*^) Doch wozu so
viele Worte? Wozwischen, Signore Simj)licio, glaubt Ihr, dafs nach
der Ansicht des Verfassers eine gröfsere Verschiedenheit obwalte,
zwischen der geraden und der kreisförmigen Bewegung, oder zwischen
der Bewegimg imd der Ruhe?
Bewegung ist Simpl. Jedenfalls zwischen der Bewegung und der Ruhe. Es
verschieden als gcht dics klar daraus hervor, dafs die Kreisbewegung nach Aristoteles
^ weguug^Ton*^ der geradlinigen nicht entgegengesetzt ist; ja er giebt sogar zu, dafs
reis ormiger. ^.^ ^^^^ ^^ einander vermischen können, was bei der BeAvegimg und
der Ruhe unmöslich ist.
[287. 288.] Zweiter Tag. 279
Sagr. E« ist also eine minder im wahrscheinliche Behauptmig,
wenn mau einem materiellen Körper zwei innere Principien, eines für Es ist ehor ge-
die geradlinige Bewegmig und eines für die kreisförmige beilegt, als Erde zwei
wenn man ihm zwei, gleichfalls innere Principieu zuschreibt, eines für pien für die
die Bewegung und eines für die Ruhe.^'*^) Nun stimmen betreffs der mr diT^e^-
natürlichen Neigung, welche den Teilen der Erde innewohnt, zu ihremgung beizulegen,
Ganzen zurückzukehren, nachdem sie gewaltsam davon getrennt wor- Bewegung und^
den, beide Lehren überein und sind blofs verschieden rücksichtlich der ^""^Kvihe.
Bewegung des Ganzen. Denn nach der einen steht dieses vermöge
eines inneren Princips stille, während ihm nach der anderen eine kreis-
förmige Bewegung zugeschrieben wird. Nach Euerem und Eueres
Philosophen Zugeständnis aber sind zwei Principien, deren eines die
Bewegung und das andere die Ruhe im Gefolge hat, mit einander
ebenso unverträglich, wie die Wirkungen dieser Principien mit ein-
ander unverträglich sind; wogegen doch bei der geraden und kreis-
förmigen Bewegung dies nicht der Fall ist, da sie einander nicht
widersprechen.
Salv. Fügt noch hinzu, dafs höchst wahrscheinlich die Bewegung
eines von der Erde getrennten Teiles, der sich zu seinem Ganzen wie- Bewegung der
der zurückbegiebt, ebenfalls kreisförmig ist, wie früher bemerkt wurde, bei ihrerEück-
so wird in jeder Hinsicht für den vorliegenden Fall die BewegKchkeit zen ist mög"
sich annehmbarer erweisen als die Ruhe. Fahrt jetzt fort^ Signore kreisförmig.
Simplicio, mit dem, was weiter in dem Buche steht.
Simpl. Der Verfasser verstärkt noch den Einwand, indem er auf
eine andere Absurdität hinweist, dafs nämlich ein und dieselben Be-
wegungen Dingen von ganz verschiedener Naturbeschaffenheit zu-
kommen. Die Beobachtung lehrt uns aber, dafs das Wirken imd dieverscMedeubeit
Bewegung von Körpern verschiedenartiger Natur verschieden sind, und ermiTgifcliTdiT
die Vernunft bestätigt das. Andernfalls wäre ims jeder Weg ab-verschiedenartl-
geschnitten, um die Wesens Verschiedenheiten kennen zu lernen und^*^^ nfnge*
zu unterscheiden, wenn diese nicht durch Bewegimgen und Erschei-
nungen charakterisiert würden, die uns zur Erkenntnis führten.
Sagr. Es ist mir wiederholt aufgefallen, dafs der Verfasser bei
seinen Speculationeu, um zu beweisen, dafs eine Sache sich so oder
so verhält, die Wendimg gebraucht: auf diese Weise pafst sich die
Sache miserer Intelligenz an, andernfalls wäre uns der Zugang zu der
Erkenntnis dieses oder jenes Umstandes verschlossen, oder das Krite-Natm- schuf die
rium der Philosophie würde hinfällig werden: als ob die Natur zuerstnachüTret^-weise
das Gehirn der Menschen geschaffen und sodann die Dinge der Fassungs- die'mensehii^ie
gäbe ihres Verstandes entsprechend gebildet hätte. '*^) Ich möchte FäMgkeitTenr
eher glauben, die Natur habe zuerst die Dinge nach ihrer Weise ge- ^"^ '"'g'"^*'"
280 Dialog über die Weltsysteme. [288. 289.]
scliajffen und dann erst die menscliliche Vemmift mit der Fähigkeit
ausgestattet, einiges von ihren Geheimnissen, wiewohl mit grofser
Mühe, zu begreifen.
Salv. Ich bin derselben Meinimg. Sagt uns jedoch, Signore
Simplicio: was für Körper von verschiedener Natur sind es demi,
welchen Kopernikus, der Erfahrung und Vernunft zuwider, die näm-
liche Bewegung, das nämliche Wirken zuschreibt?
Simpl. Was für Körper es sind? Wasser und Luft — die doch
eine von der Erde verschiedene Natur besitzen — samt allem, was
darin ist, jegliches wird die drei Bewegungen besitzen, die Kopernikus
Kopernikus dem Erdball andichtet. Der Autor beweist sodann mathematisch, wie
verschiedenarti- nach Kopcmikus cinc Wolke, welche in der Luft schwebt und lange
gleiche Wirk- Zeit, ohne ihren Ort zu verändern, über uns stehen bleibt, notwendig
alle drei Bewegungen haben mufs, die der Erdball hat. Hier ist der
Beweis, Ihr mögt ihn selber lesen, ich kann ihn nicht auswendig
mitteilen.
Salv. Ich will mich nicht dabei aufhalten ihn zu lesen und halte
es im Gegenteil für überflüssig, dafs der Verfasser ihn aufgenommen;
denn keiner der Anhänger der Lehre von der Erdbewegung wird nach
meiner Überzeugung die Thatsache in Abrede stellen. Sprechen wir
also, die Richtigkeit des Beweises zugegeben, von dem Einwände als
solchem. , Ich glaube nicht, dafs sich aus ihm etwas Erkleckliches
gegen die Ansicht des Kopernikus schliefsen läfst, insofern denjenigen
Bewegungen imd Wirkungen, vermöge deren man zur Erkenntnis der
Wesensverschiedenheit gelangt, in keiner Weise Abbruch geschieht.
Antwortet mir, bitte, Signore Simplicio: köimen diejenigen Eigen-
schaften, in welchen gewisse Körper aufs genaueste übereinstimmen,
dazu dienen, die verschiedene Beschaffenheit dieser Dinge kennen zu
lernen?
. . Simpl. Nein, im Gegenteil: denn aus der Gleichheit der Wir-
Aus gemoin- -t ; 07
scSiften'fäftt kuugen und Eigenschaften läfst sich nur auf eine Gleichheit des
dltSÄsWesens schliefsen.
T«4"ii6rse°n* Salv. Daher folgert Ihr die Wesensverschiedenheiten des Wassers,
der Erde, der Luft und der anderen Körper, die sich in diesen Ele-
menten auflialten, nicht aus denjenigen Erscheinungen, in denen alle
diese Elemente und was darin ist, übereinstimmen, sondern aus anderen
Erscheinungen. Ist es nicht so?
Simpl. Ja, so ist es.
Salv. Wenn man also den Elementen alle die Bewegungen, Wir-
kungen und sonstigen Eigenschaften beliefse, welche die Verschieden-
heit ihres Wesens bedingen, so Avären wir darum nicht aufser Stand
1 289. 290.] Zweiter Tag. 281
;j;esetzt zur Erkenntnis derselben zu gelangen, wenn man auch die-
jenige Erscheinung aufhöbe, die ihnen allen gemeinsam zukommt und
die demnach nichts beiträgt zur Unterscheidung solcher Körper. ^
Simpl. Euere Überlegimg ist, wie ich glaube, vollständig richtig.
Salv. Ist nun nicht Euere Meinung, sowie die des Verfassers,
des Aristoteles, des Ptolemäus imd aller ihrer Anhänger, dafs die
Erde, das Wasser und die Luft gleicherweise von Natur unbeweglich
um den Erdmittelpunkt verharren?
Simpl. Das wird als eine unverbrüchliche Wahrheit angesehen.
Salv. Darum läfst sich aus dieser gemeinsamen natürlichen Eigen-
schaftj nämlich unbewegt um den Mittelpunkt zu verharren, kein Argu-
ment für die Verschiedenheit dieser Elemente und elementaren Körper
entnehmen; sondern man mufs eine solche Kenntnis aus anderen nicht
;j;t'meinsamen Eigenschaften schöpfen. Nimmt man also den Elemen-
ten blofs diese gemeinsame Ruhe und beläfst ihnen all ihre sonstige
Wirksamkeit, so ist damit keineswegs der Weg verschlossen, der zur
Erkenntnis ihres Wesens führt. Kopernikus nimmt ihnen aber nichts
weiter als diese gemeinsame Ruhe imd verwandelt sie in eine durchaus
i;».^meinsame Bewegung, während er ihre Schwere oder Leichtigkeit, die
langsameren oder schnelleren Bewegungen nach oben und unten, die
Dünne und Dichte, die Eigenschaften des Warmen und des Kalten,
des Trocknen und des Feuchten bestehen läfst. Eine solche Absurdi-
tät also, wie sie sich der Verfasser vorstellt, ist in der Behauptung Die überein-
.... j. o gtimmung der
des Kopernikus kemeswegs enthalten. Die Übereinstimmung m einer Elemente in
^ ° . ° . einer und dor-
luid derselben Bewegungsart thut ebensoviel oder ebensowenig zursoiben Bewegung
, . . •• T T . . besagt nicht
Sache, wie die Übereinstimmung in einem und demselben Zustande dermehr noch min-
, ^ , . . der als die TJber-
Ivuhe, sobald es sich darum handelt, die Verschiedenheit oder Nicht- einstimmung in
. . 11 ri einem und deni-
verschiedenheit des Wesens festzustellen, feagt nun, ob noch andereseiben zustande
t 1 1 • 1 1 1 ^^"^ Kuho.
• legengründe beigebracht werden.
Simpl. Es folgt ein vierter Einwand, der sich ebenfalls auf eine
Xaturbeobachtung gründet, dafs nämlich Körper derselben Gattung auch Körper der-
in der Gattung der Bewegung oder aber in der Ruhe übereinstimmen. ^haCn Bewe°-^
Nach der Lehre des Kopernikus aber würden Körper, die von gleicheigielcherüattung.
'iattung und einander höchst ähnlich sind, sich hinsichtlich der Be- Anderes Argu-
^ . . . ' . ment, ebenfalls
wcgimg vollief verschieden verhalten, ia in diametralem Gegensatze zugegen Kopemi-
. " "^ ° ' -^ 1 1- - kus gerichtet.
cniander stehen. Denn es würden einander ganz ähnliche bterne
dennoch ganz verschiedene Bewegungen ausführen, sechs Planeten näm-
lich sich beständig im Kreise drehen, die Sonne hingegen und alle
l'ixsterne beständig bewegungslos verharren.
Salv. Der Form nach scheint mir das Argument zutreffend, in
der Anwendung aber, oder materiell, ist es, wie ich glaube, fehlerhaft.
282 Dialog über die Weltsysteme. [290. 291,]
Wenn nur der Verfasser seine Anualinie aufrecht erhalten will^ so wird
sich dann ohne Zweifel die Schlufsfolgerung mit ihrer Spitze gegen
ihn selber richten. Die Schlufskette bei seinem Beweise ist folgende:
unter den Weltkörpern giebt es sechs, welche sich beständig bewegen,
es sind die sechs Planeten; bei den übrigen, der Erde, der Sonne und
den Fixsternen ist es zweifelhaft, welche sich bewegen und welche
feststehen; dabei ist es notwendig, dafs, wenn die Erde stille steht,
die Sonne und die Fixsterne sich bewegen; es ist aber auch möglich,
dafs die Sonne und die Fixsterne unbeweglich wären, wenn die Erde
sich bewegte; in der Ungewifsheit darüber ist es nun die Frage, wem
am angemessensten die Bewegung zuzuschreiben sei und wem die
Ruhe. Der gesunde Menschenverstand schreibt vor, dafs die Bewegung
als demjenigen Körper angehörig erachtet werden mufs, welcher in
Aus der Duukei-Gattung uud Weseu zumeist mit den unzweifelhaft bewegten Kör-
heit der Erde ^ . . , . ^
und der Leucht-pern Übereinstimmt, und die Ruhe als demienigen angehöriff, wel-
kraft der Sonne-'- ' . . J O & ö?
und Fixsterne eher vou denselben am meisten abweicht. Da nun eine ewige Ruhe
läfst sich die , , ^ ^
Bewegung von und eine beständige Bewegung grundverschiedene Eigenschaften sind,
jener und die . ^ o o o ^ o ^ 7
unbewegiichkeitso ist offenbar anzunehmen, dafs die Beschaffenheit des immer be-
von diesen er- '
schiiefsen. wcgtcu Körpers durchaus verschieden ist von dem allezeit imbewegten.
Versuchen wir also, da wir über Ruhe imd Bewegung keine Klarheit
haben, vermöge irgend einer anderen wichtigen Eigenschaft zu erfor-
schen, welche Körper mit den unzweifelhaft beweglichen die meiste
Verwandtschaft besitzen, die Erde oder die Sonne und die Fixsterne.
Und, siehe da, die Natur kommt unserem Bedürfnis und Wunsch ent-
gegen und giebt uns zwei bedeutsame Eigenschaften an die Hand,
welche nicht minder von einander verschieden sind als Bewegung imd
Ruhe, nämlich Licht und Finsternis, die Eigenschaft also von Natur
die höchste Leuchtkraft zu besitzen oder dunkel und jeden eigenen
Lichtes bar zu sein. Es sind also die durch eigenen und ewigen
(irlanz ausgezeichneten Körj)er grundverschieden von denen, welche
des Lichtes bar sind. Des Lichtes bar ist die Erde, die höchste
Leuchtkraft besitzt die Sonne und nicht minder die Fixsterne. Die
sechs beweglichen Planeten entbehren vollständig des Lichts, ebenso
wie die Erde, ihre Beschaffenheit ist also mit der der Erde verwandt
und von der ^ler Sonne und der Fixsterne verschieden. Die Bewegung
kommt also der Erde zu, unbeweglich hingegen ist die Sonne und die
Fixsternsphäre.
Simpl. Der Verfasser wird aber nicht einräumen, dafs die sechs
Planeten finster sind und wird auf diesem verneinenden Standpunkt
beharren, oder aber er wird die enge Verwandtschaft zwischen den
sechs Planeten und der Sonne samt den Fixsternen und andererseits
[291. 292.] Zweiter Tag. 283
die Unähuliclikeit zwisclieii diesen und der Erde durch andere Um-
stände begründen als durch Licht und Finsternis. Ja, ich besinne
mich eben, bei dem folgenden fünften Einwände ist die völlige Ver-
schiedenheit der Erde und der Himmelskörper hervorgehoben. Er "^JJj'iedenleit
schreibt da: Grofse Verwirrung und Störung würde nach der koperni- „^^H^^meu^
kanischen Hypothese im Bau des Weltalls und seiner Teile einreifsen.'^PfP''^^'^''^^^^;
Denn unter Himmelskörpern, die nach Aristoteles, Tycho mid anderen '^^rej^^ej^'^"
imveränderlich und unzerstörbar sind, unter Körpern, sage ich, die nach
allgemeinem Eingeständnis, auch nach dem des Kopernikus, von sol-
chem Adel sind, welche nach des letzteren Versicherung aufs beste
geordnet und verteilt sind, von welchen er jede Unbeständigkeit ihrer
Kraft ausschliefst; unter Körpern, sage ich, von solcher Reinheit Avie
Venus und Mars, sollte die Hefe aller zerstörbaren Materien, die Erde,
das Wasser, die Luft und alle Mischungen aus ihnen eine Stelle finden!
Eine wieviel bessere Anordnung ist es, wieviel mehr der Natur, ja
dem göttlichen Baumeister selbst angemessen, wenn das Reine von
dem Unreinen, das Vergängliche von dem Unvergänglichen gesondert
wird, wie die anderen Schulen lehren, welche nämlich lehren, dafs diese
unreinen und hinfälligen Substanzen in den engen Hohlraum der Mond-
sphäre eingeschlossen sind, während dann über dieser in ununter-
brochener Reihe die Himmelsgebilde sich erheben!
Salv. Es ist richtig, dafs das kopernikanische System Verwirrung Kopcmikus
in das Weltall des Aristoteles bringt, wir aber handeln von unserem wimmg iu das
° ' . Weltall dos
wahren und wirklichen Weltall. Weim der Verfasser sodann die Aristoteles.
Wesensverschiedenheit zwischen der Erde und den Himmelskörpern Fehischiufs des
Verfassers des
aus der Unzerstörbarkeit von diesen und der Zerstörbarkeit von jener Antitycho.
auf die Weise des Aristoteles herleiten will und wenn er dann aus
dieser Verschiedenheit schliefst, Sonne und Fixsterne müfsten sich be-
wegen, die Erde aber unbeweglich sein, dann läfst er sich zu einem
Fehlschlüsse hinreifsen, indem er das Unbekannte schon als richtig
voraussetzt. Denn Aristoteles erschliefst die Unzerstörbarkeit der
Himmelskörper gerade aus derjenigen Bewegung, betreffs welcher wir
streiten, ob sie diesen oder der Erde zukomme. Über die Nichtig-
keit dieser rhetorischen Beweise haben wir zur Genüge gesprochen.
Und was kann thörichter sein als zu sagen, die Erde und die Elemente Thorhcit der
" Bcliauptung,dars
seien aus der Gesellschaft der Himmelssphären verbannt und aus-die Frde aufser-
halb des Him-
geschlossen und in das Innere der Mondsphäre verwiesen! Ist denn meis sich be-
diese nicht auch eine der Himmelssphären imd nach allgemeinem Zu-
geständnis inmitten aller anderen gelegen? Eine neue Manier, Reine
und Unreine, Kranke und Gesunde von einander zu trennen, indem
man die von der Seuche Befallenen im Herzen der Stadt miterbringt!
284 Dialog über die Weltsysteme. [292. 293.]
Icli glaubte immer, das Lazarett müsse man in möglichst weiter Ent-
fernung davon anlegen. Kopernikus bewundert die Anordnung der
Teile des Universums, weil Gott das gewaltige Liebt, welches seinen
Tempel mit höchstem Glanz erfüllen sollte, in dessen Mittelpunkt und
nicht an eine Seite gestellt hat. '^^) Dafs ferner der Erdball seine
Stelle zwischen Venus und Mars hat, werden wir binnen kurzem zu
besprechen haben; Ihr mögt versuchen. Euerem Autor zu liebe, sie
von dieser Stätte zu entfernen. Nur lafst ims nicht solche rhetori-
sche Floskeln in ernsthafte Untersuchungen eiuflechten, überlassen wir
sie Schönrednern oder besser noch den pichtern, welche es von jeher
verstanden haben durch ihre einschmeichelnden Worte auch gemeine,
ja bisweilen gefährliche Dinge zu preisen und zu erheben. Weuu
sonst noch etwas zu sagen ist, thun wir es möglichst bald.
Simpl. Als sechstes und letztes Argument steht hier, es sei sehr
Argument ber- uuwahrscheinlich, dafs ein zerstörbarer und der Auflösung unterwor-
deu Tieren, feuer Körpcr eine beständige, regelmäfsige Bewegung ausführen kömie.
welche ruhebe- ^ , ^ _ . ^ ^ • • i i m^ i i • i p t -i
dürftig sind, Er crläutcrt dies mit dem Beispiel der Tiere, welche sich aui die ilmen
Bewegung na- natürliche Weise bewegen und gleichwohl müde werden und der Ruhe
bedürfen, um neue Kräfte zu sammeln. Und doch, was wollen solche
Bewegungen besagen neben der im Vergleich damit Ungeheuern Be-
wegung der Erde? Und sie nun gar drei abweichende, nach ver-
schiedenen Richtungen aus einander strebende Bewegungen ausführen
zu lassen! Wer möchte je so etwas zu behaupten wagen, er sei denn
ein geschworener Verfechter dieser Meinungen? Auch ist in diesem
Falle hinfällig, was Kopernikus vorbringt, dafs nämlich bei der Erde
wegen des Natürlichen, Nichtgewaltsamen dieser Bewegung auch die
Folgen die entgegengesetzten sind wie bei einer gewaltsamen, dafs sich
zwar die Dinge, denen man Gewalt anthut, auflösen und nicht langen
Bestand haben können, die von der Natur erschaffenen hingegen in
ihrer besten Verteilung beharren. Es ist diese Entgegnung hinfällig^
sage ich, sie wird von der unsrigen vernichtet: denn das Tier ist auch
ein Naturkörper und nicht künstlich angefertigt, seine Bewegung ist
gleichfalls natürlich und durch die Seele bedingt, also durch ein
inneres Princip; gewaltsam hingegen ist eine Bewegung nur dann,
Avenn sie von einem äufseren Princip herrührt, zu dem das Bewegte
nichts beiträgt; gleichwohl wird das Tier, wenn es seine Bewegung
lange Zeit hindurch fortsetzt, müde und stirbt sogar, wenn es sich
hartnäckig zwingen will. Ihr seht also, wie allenthalben in der Natur
oinzeichen vorhanden sind, welche gegen die Behauptung des Koperni-
kus sprechen und niemals solche, die ihm günstig sind. — Um nicht
immer die Rolle des Gegners spielen zu müssen, hört, was er gegen
I
J
[293. 294.] Zweiter Tag. 285
Kepler vorbringt — • gegen diesen polemisiert er hier — betreffs eines
Einwandes, welcben eben dieser Kepler gegen diejenigen erhebt, denen
es unangemessen, ja unmöglich scheint der Stemensphäre eine so
ungeheuere Ausdehnung zu geben, wie es vom kopernikanischen Stand-
punkte aus erforderlich ist. Kepler richtet sieh gegen diese mit den
Worten: JDifficilius est accidens praeter modulum suhjectl Intendere, qiia7n Argument von
subjedum sine accidente augere. Copernicus igitur verisimilius facit, qiiiaten desKoper-
auget orhem stellarum ftxarum dbsqiie motu, quam, Ptolemaeus, qui äuget
motum ftxarum immensa velocitate.'^^'^) Diesen Einwand widerlegt der
Verfasser: er ist erstaunt, wie Kepler sich so sehr täuschen und be- Der Verfasser
haupten kann, bei der ptolemäischen Annahme wachse die Bewegung erhebt Einwand
ohne Verhältnis zu dem Mafsstab des Subjekts. Denn nach seiner,
des Verfassers, Ansicht wächst die Bewegung in demselben Verhältnis
wie der Mafsstab und wie dieser zunimmt, nimmt auch die Geschwin-
digkeit der Bewegung zu. Dies beweist er, indem er sich einen Die Geschwin-
Apparat vorstellt, der in 24 Stunden eine Umdrehung macht, eine Kreisbewegung
Bewegung, die jedermaim langsam nennen wird. Denkt man sich dannDurchmesser des
seinen Radius bis zur Sonne verlängert, so wird dessen Endpimkt die
Geschwindigkeit der Sonne besitzen, wiewohl seine Bewegung auf dem
Umfange des Apparats ganz langsam von statten geht. Wendet man
diese Betrachtung am Apparate auf die Sternensphäre an imd denkt
sich auf einem Radius einen Punkt in der Nähe des Centrums in einer
Entfernung gleich dem Radius des Apparats, so wird dieselbe Be-
wegung, welche auf der Stemensphäre eine aufserordeutlich rasche ist,
in diesem Punkte mit äufserster Langsamkeit vor sich gehen. Es ist
nur die Gröfse des Körpers, welche die ganz langsame Beweg-ung in
eine äufserst rasche verwandelt, wiewohl sie dieselbe Bewegung bleibt.
Und so wächst demnach die Geschwindigkeit nicht aufser Verhältnis
zu dem Mafsstab des Subjekts, vielmehr wächst sie entsprechend diesem
imd seiner Gröfse, ganz im Gegensatze zu der Ansicht Keplers.
Salv. Ich kami mir nicht denken, dafs der Verfasser eine so
geringe und niedrige Meinung von Kepler hat, dafs er glaubt, dieser
habe nicht begriffen, warum das äufserste Ende einer vom Mittelpunkt
nach der Stemensphäre gezogenen Linie sich rascher bewegt als ein.
zwei Ellen vom Mittelpunkt entfernter Punkt derselben Linie. Er
mufs also einsehen und begreifen, die Absicht und Meinimg Keplers Erklärung des
sei gewesen, es als einen geringeren Übelstand zu bezeichnen, wemidei-kepieriscbeu
man einem imbeweglichen Körper die gewaltigste Gröfse zuschreibt, Verteidigung.
als wenn man einem immerliin auch höchst mächtigen Körper eine un-
geheuere Geschwindigkeit beilegt, insbesondere wenn mau auf den Modul,
d. h. auf die Norm, auf das übliche Mafs der sonstigen Naturkörper
286 Dialog über die Weltsysteme. [294. 295.]
Rücksicht uimint, bei welchen mit der Entfernung vom Centrum die
Geschwindigkeit abnimmt d. h. die periodischen Umläufe längere Zeit
Gröfse und erfordsm. Bei der Ruhe aber, bei welcher es kein Miuder und Mehr
Körpers be- gicbt, macht die gröfsere oder geringere Ausdehnung des Körpers
verschiedeniieit keinen Unterschied. Wenn also die Entgegnung des Verfassers auf
gung, aber nichtdas Argumcnt Keplers zutreffend sein sollte, so mufs der Verfasser
notwendig der Ansicht sein, dafs es für das bewegende Princip einerlei
sei, innerhalb der nämlichen Zeit einen ganz kleinen oder einen un-
geheueren Körper zu bewegen, da die Vermehrung der Geschwindig-
keit unzweifelhaft von der Zunahme des Volumens herrührt. Dies
Die Ordnung widcrspricht aber den Bauregeln der Natur, welche bei dem Modell
die kleineren 'der kleineren Sphären daran festhält, die kleineren Bahnen in kürzeren
zeren, die'grör"e- Zeiten zurücklcgcn zu lassen, wie sich bei den Planeten zeigt und am
"^Zeiten zurück-'' allerdeutlichsten bei den Mediceischen Gestirnen. So währt die Um-
egen zu '^^^'^*^jj.g]^^^gg2eit dcs Satum länger als die aller übrigen kleineren Sphären
und zwar dauert sie 30 Jahre. Von dieser nun zu einer vielfach
gröfseren überzugehen und ihr eine 24-stündige Umdrehungszeit zu
verleihen kann mit Recht als ein Aufgeben der Regeln des Modells
bezeichnet werden. Wenn wir also sorgsam aufmerken, richtet sich
die Entgegnung des Verfassers nicht gegen die Meinung und den Sinn
der Keplers chen Worte, sondern gegen die Auslegung und die Aus-
drucksweise. Auch hier aber hat der Verfasser Unrecht und kann
nicht in Abrede stellen, dafs er die Deutung der Worte absichtlich
mifsverstanden hat, um Kepler eines krassen Irrtums beschuldigen zu
können. Der Betrug ist aber so grob, dafs er trotz aller Abzüge am
Werte die hohe Meinung von Keplers Gelehrsamkeit doch nicht hat
vernichten können, welche alle Gelehrten hegen. — Doch um wieder
auf den Einwand gegen die beständige Bewegung der Erde zurück-
zukommen, der davon ausgeht, dafs sie diese immer fortsetzt, ohne zu
ermüden, während die Tiere, die sich doch gleichfalls ihrer Natur
und einem inneren Princip gemäfs bewegen, müde werden und der
Ruhe bedürfen, um ihre Glieder abzuspannen ....
Sagr. Ich meine Kepler zu hören, wie er darauf erwidert, dafs
Wortspiel als CS doch Ticrc giebt, die sich dadurch von ihrer Müdigkeit erholen,
gegnungKepiers.dafs sic sich auf der Erde wälzen; dafs man also nicht zu befürchten
braucht, der Erdball werde müde. Man kami vielmehr mit vollem
Rechte behaupten, dafs er sich einer beständigen, gänzlich ungestörten
Ruhe erfreut, indem er in ewiger Umwälzung beharrt.
Salv. Ihr seid gar zu scharf und beifsend, Signore Sagredo;
lassen wir lieber die Späfse beiseite, wenn wir so ernsthafte Gegen
stände behandeln.
I
[295. 296.] Zweiter Tag. ^ 287
Sagr. Verzeiht, Signore Salviati, was ich da sage, ist gar nicht
so unangebracht, wie Ihr es hinstellt. Denn eine Bewegung, die einem Die Tiere wür-
von zurückgelegtem Wege ermatteten Körper zum Ausruhen, zur Ver- müden, wenn
treibung der Müdigkeit dient, kann noch viel eher den Eintritt der so vor sfch °
Müdigkeit verhindern, gerade wie die vorbeugenden Heilmittel um sodfm°Erdbaii zu-
eher wirksam sind als die heilenden. Ich bin fest überzeugt, wenn
die Bewegung der Tiere in der Art vor sich ginge wie die der Erde
zugeschriebene, so würden sie durchaus nicht ermüden; denn meines
Erachteus rührt die Ermüdung des tierischen Körpers davon her, dafsursache der Er-
das Tier blofs einen Teil gebraucht, um diesen und den ganzen übrigen'"" Tifren!
Körper zu bewegen. So z. B. werden blofs die Unter- und Ober-
schenkel beim Gehen benutzt, um ihr eigenes Gewicht und das des
ganzen Körpers fortzutragen, hingegen werdet Ihr bemerken, wie die
Bewegung des Herzens unermüdlich vor sich geht, weil es eben nur
sich zu bewegen hat. Überdies bin ich mir nicht klar darüber, in- Bewegung des
wiefern wirkHch die Bewegung des Tieres natürlich ist und nicht viel- waUsanr'ais'^
mehr gewaltsam. Ich glaube sogar, man könnte mit Recht behaupten.
dafs die Seele die Glieder des Tieres von Natur in eine widernatür-
liche Bewegung versetzt. Wenn nämlich die Bewegung schwerer
Körper nach oben widernatürlich ist, so kann beim Gehen das Heben
des Schienbeins und Schenkels, die schwere Körper sind, nur unter
Anwendung von Gewalt erfolgen und daher nicht ohne Ermüdimg
dessen, der sie bewegt. Wer eine Treppe hinaufsteigt, trägt einen
schweren Körper entgegen seiner natürlichen Neigung nach oben, und
infolge dessen tritt wegen des natürlichen Widerstrebens der Schwere
gegen eine solche Bewegung Ermüdung ein. Wenn aber ein Körper
eine Bewegung ausführen soll, gegen welche er nicht die mindeste Ab-
neigung hat, ist da irgendwelche Erschlaffung oder Verminderung
seiner Energie oder Kraft zu befürchten ? Warum sollte die Kraft nie Kraft ver-
sieh vermindern, wo sie gar nicht zur Anwendimg kommt? "iX, wo sie
Simpl. Der Verfasser gründet seinen Einwand auf den Gegen-w^endungkommt.
satz derjenigen Bewegungen, welche nach seiner Meinung die Erde
ausführen soll.
Sagr. Es ist bereits bemerkt worden, dafs diese Bewegungen Der Einwand
keinesTv^egs entgegengesetzt sind, dafs der Verfasser darin sich gröblich aicii' gegen ihn
getäuscht hat; so kommt es, dafs die Spitze des Einwandes ihre ganze
Kraft gegen den Angreifer selbst richtet, wenn er behauptet, dafs das
primuni mobile alle niederen Sphären entgegen derjenigen Richtung
fortreifst, in welcher diese gleichzeitig unaufhörlich sich bewegen.
Sache des prininm mobile ist es also, müde zu werden, welches nicht
nur sich selber, sondern auch so viele andere Sphären in Bewegung
288 Dialog über die Weltsysteme. [296. 297.]
erhalten soll, die nocli obendrein ihm durch ihre entgegengesetzt ge-
richtete Bewegung Widerstand leisten. Man mufs demnach die letzte
Schlufsfolgerung des Verfassers, dafs die Naturerscheinungen stets zu
einem für Aristoteles und Ptolemäus günstigen Ergebnisse führten
und niemals zu einem, das nicht gegen Kojjernikus spräche, mit grofser
Vorsicht entgegennehmen. Es ist vielmehr richtiger zu sagen: da
Für wahre Be-eiuc der beiden Lehren richtig, die andere notwendig falsch ist, so ist
starrt" man Tuf CS uumöglich, dafs für die falsche jemals ein Beweis, eine Erfahrung,
weise, nicht aberein richtiger Grund sich finden läfst, der ihr günstig wäre, wie um-
gekehrt nichts derartiges der wahren Lehre widersprechen kann. Es
mufs also eine grofse Verschiedenheit hervortreten zwischen den Unter-
suchungen und Gründen, die von der einen und von der anderen Seite
für und gegen diese beiden Meinungen vorgebracht werden, die Ent-
scheidung über den Wert derselben aber stelle ich Euch selbst an-
heim, Signore Simplicio.
Salv. Ihr habt mir vorhin, fortgerissen von der schnellen Auf-
fassungsgabe Eueres Geistes, das Wort abgeschnitten, als ich noch
etwas auf jenes letzte Argument des Verfassers erwidern wollte. Ob-
wohl Ihr ihm nun zur Genüge geantwortet habt, will ich doch unter
allen Umständen noch hinzufügen, was ich vorhin im Sinne hatte.
Er hält es für höchst unwahrscheinlich, dafs ein der Auflösung und
Zerstörung unterworfener Körper, wie es die Erde ist, beständig eine
regelmäfsige Bewegung ausführen kann, namentlich in Hinblick auf
die Tiere, die wir schliefslich müde mid ruhebedürftig werden sehen;
es erscheint ihm um so unwahrscheinlicher, als eine derartige Bewegung
im Vergleich zu der der Tiere unermefslich geschwind vor sich gehen
müfste. Nun kann ich nicht einsehen, warum er an der Geschwindig-
keit der Erde auf einmal Anstofs nimmt, wo doch die so sehr viel
gröfsere der Fixsternsphäre ihm nicht mehr Anstofs giebt, als die Ge-
schwindigkeit eines Apparates, der in 24 Stunden eine einzige Drehung
ausführt. Wenn aus dem Vergleich der Geschwindigkeit der Erd-
drehung mit dem Modelle des Apparats keine belangreicheren Schlüsse
gezogen werden, so darf nur der Verfasser seine Furcht betreffs der Ermü-
dung der Erde fallen lassen; denn kein noch so schwaches und träges
Tier, nicht einmal ein Chamäleon, würde müde werden, wenn es sich in
24 Stunden nicht mehr als fünf oder sechs Ellen bewegte. Wenn er
Die Ermüdung aber die Geschwindigkeit nicht mehr nach dem Modell des Apparats,
der Sternen- i i i -i • . , . i r i
Sphäre wäre ehersoudem absolut beurteilen will und darauf Rücksicht nimmt, dafs der
ZU befürchten,
als die des Erd-bewcgliche Körper in 24 Stunden eine aufserordentlich grofse Strecke
zurückzulegen hat, so müfste der Verfasser sich noch viel mehr da-
gegen sträuben, diese Geschwindigkeit der Sternensphäre zuzusprechen^
I
[297. 298.] Zweiter Tag. 289
denn diese soll mit unvergleichlich gröfserer Geschwindigkeit, als sie
die Erde besitzt, tausende von Körpern mit sich reifsen, deren jeder
weit gröfser ist, als die Erde.
Es wären jetzt noch die Beweise zu betrachten, nach welchen
die neuen Sterne von 1572 und 1604 sublunarische und nicht himm-
lische Erscheinungen gewesen sein sollen, wie letzteres allgemein von
den damaligen Astronomen angenommen wurde: ein wahrhaft grofs-
artiges Unternehmen! Ich habe indessen gedacht, weil mir die Schrift
neu ist und weil sie durch die darin enthaltenen Rechnungen einen
grofsen Umfang besitzt, dafs es zweckmäfsiger wäre, wenn ich sie in
der Zeit von heute Abend bis morgen früh einer möglichst genauen
Durchsicht unterwürfe und Euch morgen bei Wiederaufnahme unserer
gewöhnlichen Unterredungen über das, was ich darin gefunden habe,
Bericht erstattete. Bleibt uns dann noch Zeit, so wollen wir sie be-
nutzen, um über die der Erde zugeschriebene jährliche Bewegung zu
sprechen. Weim Ihr inzwischen, insbesondere Signore Simplicio, noch
etwas über die tägliche Bewegung zu bemerken habt, die ich nun
recht weitläufig geprüft habe, so steht ims noch ein wenig Zeit zur
Verfügung, um darüber Erörterungen zu pflegen.
Simpl. Ich habe nur das eine zu bemerken, dafs die heu^te statt-
gehabten Erörterungen mir allerdings reich an sehr scharfsinnigen
und geistvollen Gedanken erschienen sind, welche vom kopernikani-
schen Standpunkte zu Gunsten der Lehre von der Erdbewegung vor-
gebracht worden sind. Aber ich kann doch nicht sagen, dafs ich mich
geneigt fühle an diese zu glauben, da schliefslich alles Vorgebrachte doch
nur beweist, dafs die Gründe für das Stillestehen der Erde nicht
zwingend sind; aber es ist kein einziger Beweis von zwingender
Überzeugungskraft für die gegnerische Ansicht augeführt worden, der
die Bewegung darthäte.
Salv. Ich habe mir niemals die Aufgabe gestellt, Signore Sim-
plicio, Euch von Euerer Ansicht zu bekehren und möchte noch weniger
mich imterfangen, entscheidend über eine so bedeutende Streitfrage
abzuurteilen. Bei den bisherigen wie bei den folgenden Disputationen
ist meine Absicht nur die gewesen imd wird es nur sein. Euch klar
zu machen, dafs die Anhänger der Lehre, wonach jene äufserst rasche
24-stündige Bewegung blofs der Erde angehöre imd nicht dem ganzen
Weltall mit Ausnahme der Erde, diese ihre Ansicht, dafs dem so sein
könne oder müsse, nicht ins Blaue hinein, wie man zu sagen pflegt,
sich gebildet haben, dafs sie vielmehr die Gründe für die gegnerische
Ansicht sehr wohl anhörten, kannten, prüften und auch nicht ver-
ächtlich darauf zu erwidern wufsten. In dieser nämlichen Absicht
Galilei, Weltsysteme. 19
290 Dialog über die Weltsysteme. [298.]
werden wir zu der Betraclitimg der anderen Bewegung übergehen
können^ wenn dies nach Euerem und Signore Sagredos Geschmack ist,
zu jener anderen Bewegung, die zuerst von Aristarch aus Samos ^^^) und
sodann von Nikolaus Kopernikus gleichfalls dem Erdball zugeschrie-
ben worden ist. Diese Bewegung geht, wie Ihr wahrscheinlich schon
gehört habt, unter dem Tierkreise vor sich, innerhalb eines Zeitraums
von einem Jahre um die im Mittelpunkte des Tierkreises unbeweglich
stehende Sonne.
Simpl. Die Frage ist so grofsartig und bedeutend, dafs ich sehr
gespannt bin, darüber reden zu hören, da ich wohl annehmen darf,
dafs ich Gelegenheit habe, alles das zu vernehmen, was sich über
diesen Gegenstand sagen läfst. Ich werde dann bei mir selber in aller
Gemächlichkeit noch weiter über das bereits Vernommene und noch
ferner zu Vernehmende nachdenken können, und wenn ich sonst nichts
dabei gewänne, so ist es schon etwas, mit gröfserer Gründlichkeit
über diese Dinge reden zu kömien.
Sagr. Lafst uns also, um Signore Salviati nicht allzusehr zu er-
müden, unsere heutigen Unterhaltungen beschliefsen und nehmen wir
morgen, wie gewöhnlich unsere Gespräche auf, in der Hoffnmig recht
viel Neues zu hören.
Simpl. Ich lasse das Buch über die neuen Sterne hier, nehme
hingegen das Thesenbüchlein wieder mit, um noch einmal nachzusehen,
was darin gegen die jährliche Bewegung, welclie unseren morgigen
Gesprächsstoff abgeben soll, geschrieben steht.
I
[299.]
Dritter Tag.
Sagr. ^) Die lebhafte Selinsnclit^ mit der ich Euere Ankunft er-
wartet habe, um die neuen Gedanken über die jährKche Umdrehung
unseres Erdballs zu vernehmen, liefs mir die verflosseneu Stimden der
Nacht recht lange erscheinen und ebenso ging es mir den heutigen
Morgen, wiewohl ich ihn nicht müfsig verbrachte, sondern ihn ver-
wendete, um noch einmal im Geiste die gestrigen Erwägungen durch-
zugehen. Ich zog die Gründe in Betracht, welche jede der beiden
gegnerischen Parteien zu Gunsten ihres Standj3unktes anführt, die ari-
stotelische und ptolemäische einerseits, die des Aristarch und des
Kopernikus andererseits: wirklich, es scheint mir, wer auch sich ge-
täuscht habe, sein Irrtum ist verzeihlich; denn dem Anscheine nach
sind diese Gründe so plausibel, dafs jene Männer wohl durch sie über-
zeugt worden sein mögen; nur müssen wir uns an die von jenen
ersten bedeutenden Schriftstellern vorgebrachten Gründe halten. Da
jedoch die peripatetische Ansicht vermöge ihres Alters zahlreiche An-
hänger und Verehrer gefunden hat, die andere Ansicht hingegen nur
eine ganz geringe Zahl, einmal ihrer Dunkelheit imd sodann ihrer Neu-
heit wegen, so bemerkt man unter jener grofsen Zahl und namentlich
unter den modernen Vertretern dieser Richtung manche, welche zur
Aufrechterhaltung der von ihnen für wahr gehaltenen Meinungen sehr
kindische, wo nicht lächerliche. Gründe aufgebracht haben.
Salv. Denselben Eindruck habe ich empfangen und zwar in um
so höherem Grade wie Euer Gnaden, als ich Gründe habe vorbringen
hören, die ich mich schämen würde zu wiederholen: nicht sowohl
um den Ruf ihrer Urheber zu schonen, deren Namen man stets ver- Manche Schrift-
schweigen kanu^), als vielmehr um der Ehre des Menschengeschlechtes sicu'berihreii
keinen Makel anzuheften. Wie ich mich dann aufs Beobachten legte, e'rsTe'ine'Br"
habe ich schliefslich mich überzeugt, dafs manche Menschen voreiligeweiche "ie%iau-
Schlüsse ziehen, sich infolge dessen eine Behauptung in den Kopt und pUs^en^h?!
setzen und an ihr zähe festhalten, weil diese entweder von ihnen selbst diw^Beha^"
oder von einer bei ihnen wohl accreditierten Persönlichkeit herrührt *"°^ ''°'
19*
292 Dialog über die Weltsysteme. [300. 301.]
derart, dafs es mimöglich ist diese Ansicht jemals wieder auszurotten.
Die Gründe, welche ihnen dann selber einfallen oder welche sie von
anderen zur Bestätigung ihrer vorgefafsten Meinung anführen hören,
mögen sie noch so einfältig und geistlos sein, werden von ihnen ge-
billigt und ohne weiteres mit Beifall aufgenommen; die Einwände hin-
gegen, welche man ihnen macht, so geistreich und überzeugend sie
seien, nicht nur widerwillig entgegen genommen, nein, mit Entrüstung
sogar und heftigstem Zorne. Mancher würde sich wutschnaubend nicht
entblöden jedwedes Mittel zu gebrauchen, nur um den Widersacher
zu unterdrücken imd verstummen zu machen; ich habe in dieser Rich-
tung so manche Erfahrung gemacht.
Sagr. Leute dieses Schlages leiten also nicht den Schlufs aus
den Prämissen ab und beweisen ihn nicht durch Gründe, sondern
wenden und drehen, oder besser gesagt, verdrehen die Prämissen und
Gründe solange, bis sie mit ihren schon feststehenden eingewurzelten
Behauptmigen stimmen. Danach ist es nicht rätlich sich mit der-
gleichen Leuten einzulassen, um so weniger als ihre Methode nicht
blofs unerfreulich, sondern auch gefährlich ist. Hingegen können wir
die Gespräche mit unserem Signore Simplicio fortsetzen, der mir von
langer Hand als grmidaufrichtiger Maim ohne Falsch und Tücke be-
kannt ist und der überdies in der peripatetischen Philosophie trefflich
Bescheid weifs. Darum gebe ich mich auch der festen Überzeugimg
hin, dafs zur Unterstützung der Meinung des Aristoteles nicht leicht
Gründe sich beibringen lassen würden, die ihm entgingen. Doch seht,
da ist er eben, ganz aufser Atem, er hat heute lange auf sich warten
lassen. — Wir machten Euch eben weidlich schlecht, Signore Simplicio.
Simpl. Nicht ich verdiene Vorwürfe, Neptun ist schuld an meinem
laugen Ausbleiben: er hat das Meer heute Morgen bei der Ebbe so
stark zurückgezogen, dafs die Gondel, die ich benutzte, nicht weit von
hier in einem nicht fundamentierten Kanäle auf dem Trockenen sitzen
blieb, so dafs ich dort länger als eine geschlagene Stunde auf die
Wiederkehr der Flut warten mufste. Wie ich nun so dastand, ohne
aus der Barke aussteigen zu können, welche ganz plötzlich auflief,
habe ich eine Erscheinung beobachtet, die mir sehr merkwürdig vor-
kam: beim Sinken des Wassers sah man dieses nämlich ganz geschwind
in vielen kleinen Rinnsälen abfliefsen, weil der Schlammboden gröfsten-
Die Bewegung tcils blofsgclcgt War. Während ich nun meine Aufmerksamkeit auf
zwischen Ebbe diese Erscheinuug richte, sehe ich plötzlich, wie diese Bewegung auf-
und Flut durcb . . . .
keine Euhepausehört, wic ohne jedc Pause das nämliche Wasser wieder rückwärts
unterbrochen. „ . • i i
fliefst und das Meer . statt rückläufig wieder rechtläufig wird, ohne
auch nur einen Moment stationär zu bleiben. Solange ich in Venedig
[301. 302.] Dritter Tag. 293
bin, habe icli noch nie Gelegenheit gehabt, diese Erscheinung zu be-
obachten.
Sagr. Dann bliebt Ihr wohl noch nicht oft auf dem Trockenen
zwischen solch kleinen Rinnsalen sitzen. Diese haben ein so geringes
Gefälle, dafs bei einem Sinken und Steigen des offenen Meeres um
die Dicke auch nur eines Blattes Papier gleichwohl das Wasser um
ziemlich bedeutende Strecken in ihnen hin- und herläuft. Ebenso be-
wirkt an manchen Seeküsten ein Steigen des Meeres um blofs vier
oder sechs Ellen, dafs das Wasser von den flachen Gestaden Hunderte
und Tausende von Ruten landeinwärts dringt.
Simpl. Das verstehe ich sehr wohl, ich hätte aber gedacht, dafs
zwischen dem letzten Sinken und dem Wiederbeginn des Steigens eine
merkliche Ruhepause eintritt.
Sagr. So wird sich die Sache ausnehmen, wenn Ihr an Mauern
oder an Pfähle denkt, wo jene Änderungen in vertikaler Richtung vor
sich gehen; aber auch da tritt in Wirklichkeit keine Ruhe ein.
Simpl. Wegen der entgegengesetzten Richtung jener beiden Be-
wegungen glaubte ich, es müsse zwischen beiden eine Ruhe statt-
finden, in Gemäfsheit auch der aristotelischen Doktrin, welche beweist,
dafs in puncto regressus mediat quies.^)
Sagr. Ich erinnere mich dieser Stelle sehr wohl, aber ebenso er-
innere ich mich, wie wenig ich zur Zeit, wo ich Philosophie studierte,
von dem Beweise des Aristoteles überzeugt worden bin, ja ich wufste
viele gegenteilige Erfahrmigen anzuführen, die ich Euch jetzt noch
wiederholen könnte. Aber ich möchte nicht, dafs wir uns wieder auf
Irrfahrten einlassen, da wir doch zusammengekommen sind, um über
unsere Angelegenheit zu verhandeln, wo möglich ohne solche Unter-
brechungen, wie wir sie die vergangenen Tage gehabt haben.
Simpl. Wenn es auch nicht gerade nötig sein wird, unsere Ge-
spräche zu unterbrechen, so werden sie sich doch ziemlich in die Länge
ziehen. Gestern nämlich nach Hause zurückgekehrt, fing ich an, noch
einmal das Thesenbüchlein durchzulesen und finde darin höchst treffende
Argumente gegen jene der Erde beigelegte jährliche Bewegung. AYeil
ich mir nicht zutraute, sie so genau wiedergeben zu können, habe ich
vorgezogen das Buch wieder mitzubringen.
Sagr. Daran habt Ihr wohl gethan. Wemi wir indessen das
gestern aufgestellte Programm einhalten wollen, werden wir erst den
Bericht des Signore Salviati über das Buch von den neuen Sternen
entgegenzunehmen haben, dann köimeu wir ohne weitere Unterbrechungen
zur Untersuchung der jährlichen Bewegung übergehen. Nim was habt
Ihr mis über die neuen Sterne mitzuteilen, Signore Salviati? Sind sie
294 Dialog über die Weltsysteme. [302. 303.]
wirklich vermöge der von Signore Simplicio angeführten Rechnungen
des Verfassers vom Himmel in jene tieferen Regionen verpflanzt
worden?
Salv. Ich machte mich gestern Abend daran, seine Beweise zu
lesen und heute Morgen habe ich sie noch einmal rasch durchgegangen,
um mich zu überzeugen, ob wirklich darin geschrieben stand, was ich
den Abend zuvor gelesen zu haben glaubte, oder ob nächtliche Ge-
spenster, Ausgeburten meiner Phantasie mich getäuscht hatten. Um
es kurz zu machen, ich finde zu meinem grofsen Herzeleid, dafs darin
wirklich Dinge gedruckt zu lesen sind, wie ich sie zur Ehre des Philo-
sophen lieber nicht gesehen hätte. Dafs er nicht einsähe, wie aus-
sichtslos sein Unterfangen ist, scheint mir undenkbar, denn einmal
liegt die Sache gar zu sehr auf der Hand, sodann erinnere ich mich
auch, dafs der Verfasser von unserem akademischen Freimde lobend
erwähnt worden ist*); auch wird er schwerlich aus Gefälligkeit gegen
andere seinen Ruf derart aufs Spiel gesetzt haben, dafs er sich ent-
schlossen haben sollte, ein Werk zu veröffentlichen, bei dem von selten
aller Verständigen nur ein abfälliges Urteil zu erwarten stand.
Sagr. Vergefst aber nicht, dafs auf einen Verständigen mehr als
hundert andere kommen, die ihn feiern und über alle Weisen der
Gegenwart und Vergangenheit stellen werden: ihn, der es verstanden
hat, die peripatetische Lehre von der Unveränderlichkeit des Himmels
gegen eine Schar von Astronomen zu verfechten und zwar — zu ihrer
Schande sei es gesagt — mit deren eigenen Waffen. Was sollten
auch vier oder sechs Verständige im Lande, welche die Nichtigkeit
seiner Arbeit durchschauen, gegen die Unzahl derer ausrichten, die
nicht imstande sind, sie zu erkennen oder zu begreifen, die sich durch
dergleichen Marktschreierei übertölj^eln lassen und ihm um so lauteren
Beifall klatschen, je weniger sie ihn verstehen. Nehmt hinzu, dafs
auch die wenigen Sachverständigen es verschmähen werden, auf eine
so armselige und nichts beweisende Schreiberei etwas zu erwidern,
und zwar mit vollem Rechte, denn für die Verständigen ist es über-
flüssig und bei denen, die nichts verstehen, ist alle Mühe vergeblich.
Salv. Die angemessenste Strafe für solches Vergehen wäre in der
That das Schweigen, wenn man nicht durch andere Gründe geradezu
gezwungen würde, seinem Unwillen Luft zu machen: einmal laden wir
Italiener samt und sonders den Schein von Ignoranten auf uns und
machen uns in den Augen der Ausländer, namentlich der Nichtkatho-
liken, lächerlich. Ich könnte Euch sehr berühmte Männer nennen^),
die sich über unseren Akademiker und alle italienischen Mathematiker
lustig machen, weil sie die albernen Ausfälle eines gewissen Loremini
i
!
|:]03. 304.] Dritter Tag. 295
gegen die Astronomen in die Öffentlichkeit gelangen und dort un-
widersprochen sich behaupten liefsen. Und doch könnte das noch hin-
gehen mit Rücksicht auf das noch mehr den Spott herausfordernde
Verhalten der Sachverständigen, die sich scheinbar die Albernheiten
von Leuten gefallen lassen, welche Theorieen bekämpfen, ohne sie
zu verstehen.
Sagr. Ich brauche kein treffenderes Beispiel als die Dreistigkeit
jener Leute und die unglückliche Lage eines Mannes wie Kopernikus,
der sich von Gegnern bekämpfen lassen mufs, die nicht einmal seine
fundamentale Behauptung verstehen, um derentwillen ihm der Krieg
erklärt wird.
Salv. Ihr werdet nicht weniger verwundert sein über die Art
und Weise, wie man die Ansicht der Astronomen widerlegt, wonach
die neuen Sterne höheren Sphären als die Planetenbahnen, vielleicht
sogar dem Firmamente angehörten.'')
Sagr. Wie könnt Ihr aber in so kurzer Zeit dieses ganze um-
fangreiche Buch geprüft haben, welches doch notwendig Beweise in
grofser Zahl enthalten mufs?
Salv. Ich habe mich auf die ersten darin angeführten Gegen-
gründe beschränkt; diese bestehen in zwölf Beweisen, welche sich auf
die Beobachtungen von zwölf Astronomen^) stützen, und alle diese
Astronomen waren der Ansicht, dafs der 1572 in der Cassiopeja auf-
getauchte Stern am Firmament stand. Der Verfasser beweist im
Gegenteil auf Grund dieser Beobachtimgen, derselbe sei sublunarisch
gewesen, indem er paarweise die Kulminationshöhen vergleicht, wie
sie von mehreren Beobachtern an Orten verschiedener Breite gefunden
wurden und dann in gleich zu erklärender Weise vorgeht. Da ich
nun bei der Prüfung dieser seiner ersten Schlufsfolgerungen bemerkt
zu haben glaube, wie wenig der Verfasser imstande ist zu Gmisteu
der Peripatetiker etwas gegen die Astronomen auszurichten und wie
immer deutlicher und deutlicher sich die Ansicht der letzteren be-
stätigt, so habe ich seine anderen Methoden nicht mit der gleichen
Geduld prüfen mögen, ich habe sie vielmehr nur ganz flüchtig an-
gesehen in der Gewifsheit, dafs dabei ebenso wenig herauskommt, als
bei den ersten Einwendungen. Es geuügeu, wie Ihr sehen werdet, in
der That einige wenige Worte zur Widerlegimg dieses ganzen Werkes,
trotzdem es sich auf so viele, viele mühsame Rechnimgen stützt, wie
Ihr seht. Hört also mein Beweis verfahren. Der Verfasser, um, wieMethode c/nam-
er sagt, die Gegner mit ihren eigenen Waffen zu durchbohren, bedient Astronomen* zu
sich einer grofsen Zahl von Beobachtungen, die diese selbst angestellt "Mlthofr.sr«"'^
haben — es handelt sich immerhin um zwölf oder dreizehn verschiedene '^'wideriegen.^"
296 Dialog über die "Weltsysteme. [304. 305.]
Autoren — stellt mit einem Teile derselben seine Rechnungen an und
gelangt zu dem Ergebnisse, gedachte Sterne hätten unterhalb des
Mondes gestanden. Da ich nun gerne katechetisch zu Werke gehe,
der Verfasser selbst aber nicht zugegen ist, so mag Signore Simplicio
im Sinne des Verfassers auf die Fragen antworten, die ich stellen
werde. Angenommen also, es handle sich um den schon genannten
Stern, der 1572 in der Cassiopeja auftauchte, so sagt mir, Signore
Simplicio, glaubt Ihr, dafs derselbe gleichzeitig an verschiedenen Orten
gestanden haben kann, nämlich in der elementaren Sphäre und zu-
gleich inmitten der Planetenbahnen, oder in noch höheren Regionen
unter den Fixsternen und noch unendlich viel weiter als diese?
Simpl. Unzweifelhaft mufs pian ihn an eine einzige Stelle imd
in eine einzige bestimmte Entfernung von der Erde versetzen.
Salv. Wenn also die Beobachtungen der Astronomen richtig und
die vom Verfasser angestellten Rechnungen fehlerlos wären, so müfste
aus beiden notwendig in allen Fällen genau die nämliche Entfernung
sich ergeben, nicht wahr?
Simpl. So weit reicht auch mein Verständnis, dafs ich einsehe,
dem müsse so sein. Auch würde der Verfasser schwerlich Wider-
spruch dagegen erheben.
Salv. Wie aber würdet Ihr diese vielen, vielen Rechnungen
beurteilen, wenn auch nicht zweie zu gleichen Ergebnissen führen?
Simpl. Ich würde sie sämtlich für fehlerhaft erklären und die
Schuld entweder dem Rechner oder den mangelhaften Beobachtungen
der Astronomen beimessen. Allenfalls könnte eine, aber auch nur eine,
richtig sein; indessen wüfste ich nicht, diese herauszufinden.
Salv. Möchtet Ihr nun eine zweifelhafte Behauptung auf fehler-
hafter Grundlage aufbauen mid als bewiesen hinstellen? Gewifs nicht.
Die Rechnungen Eueres Autors nun sind derart, dafs keine mit einer
anderen stimmt. Ihr seht also, welches Vertrauen man ihnen
schenken darf
Simpl. In der That, wenn die Sache so steht, so liegt da ein
merkwürdiges Versehen vor.
Sagr. Ich möchte doch Signore Simplicio und den Verfasser in
Schutz nehmen, indem ich Signore Salviati darauf aufmerksam mache,
dafs seine Gründe allerdings zutreffend wären, wenn der Verfasser ver-
sucht hätte, die Entfernung des Sternes von der Erde mit Bestimmt-
heit zu ermitteln. Ich glaube aber nicht, dafs dies seine Absicht war;
er wollte vielmehr auf Grund jener Beobachtungen nur beweisen, dafs
der Stern sublunarisch gewesen sei. Wenn also aus besagten Be-
obachtungen und sämtlichen auf sie gegründeten Rechnungen die Höhe
[305. 306.] Dritter Tag. 297
des Sternes immer geringer sich ergiebt als die des Mondes, so ist
auch dies schon für den Verfasser ein ausreichender Grund, um alle
jene Astronomen der krassesten Unwissenheit zu zeihen, da sie mangels
geometrischer oder arithmetischer Kenntnisse aus ihren eigenen Be-
ohachtimgen keine richtigen Schlüsse zu ziehen verstanden.
Salv. Ich werde mich also an Euch wenden müssen, Signore
Sagredo, der Ihr mit so viel Scharfsinn die Ansicht des Verfassers
zu halten versucht. Damit auch Signore Simplieio, der mit Rech-
nmigen und Beweisen nicht so Bescheid weifs, zum mindesten sich
überzeugen kann, wie verfehlt die Beweise des Verfassers sind, mache
ich zunächst auf folgendes aufmerksam. Der Verfasser selber sowohl
wie alle Astronomen, gegen welche er ankämjjft, sind einig darüber,
dafs der neue Stern keine Eigenbewegung hatte, sondern blofs die
tägliche Drehung des primiim mobile mitmachte. Sie sind hingegen
uneins betreffs seiner Lage, indem diese ihn in die Himmelsregion ver-
setzen, d. h. höher hinauf als den Mond, möglicherweise sogar an den
Fixstemhimmel, während jener ihn für benachbart der Erde hält, d. h.
für tiefer gelegen als die Wölbung der Mondsphäre. Da nun der
neue Stern, imi welchen es sich handelt, gegen Norden und nicht sehr
weit vom Pole stand, sodafs er für uns Nordländer niemals imterging,
so war es nicht schwer mittels astronomischer Instrumente seine
Meridianhöhen zu bestimmen, und zwar ebensowohl die kleinsten bei
der unteren Kulmination als die gröfsten bei der oberen. Aus dem
Vergleich dieser Höhen, wie sie sich an solchen verschiedenen Orten
der Erde ergaben, die verschiedene Entfernimg vom Nordpol oder ver-
schiedene Polhöhen besitzen, liefs sich dann auf die Entfernimg des
Sternes schliefsen. Deim stand er am Firmamente bei den übrigen Die kleinsten
" und gröfsten
Fixsternen, so mufsten die verschiedenen Meridianhöhen, welche an Höhendes
' _ _ _ ' neuen Sternes
Orten verschiedener geographischer Breite aufgenommen wurden, unter uuterscheidea
einander die nämlichen Differenzen aufweisen, wie die geographischenä^iiiedenenortea
\ o o j. nicht mehr von
Breiten oder Polhöhen selbst. Wenn z. B. die Erhebung des SterneseiQ^iKier ais die
'^ Polhöho, sobald
über dem Horizont an einem Orte, dessen Polhöhe 45 Grad war, ^er i»e«e stem
' ^ ' am iirmamente
30 Grad betrug, so mufste die Erhebimg derselben um 4 oder 5 Grad »teht.
mehr betragen in den nördlicher gelegenen Ländern, in welchen die
Polhöhe ebenfalls um 4 oder 5 Grad grölser war. War aber die
Entfernung des Sternes von der Erde im Vergleich zu der des Firma-
ments sehr klein, so mufsten seine Meridianhöhen, wenn man sich nach
Norden begab, beträchtlich rascher wachsen als die Polhöhen. Aus
diesem stärkeren Wachstum, also aus dem Überschufs des Zuwachses
der Meridianliöhen über den Zuwachs der Polhöhen — welcher Über-
schufs parallaktische Differenz genaimt wird — kann man ohne
298 Dialog über die Weltsysteme. [306. 307.]
weiteres mittels einer klaren imd sicheren Methode die Entfernung des
Sternes vom Mittelpunkt der Erde berechnen. Nun nimmt der Ver-
fasser die Beobachtungen von dreizehn Astronomen vor, welche unter
verschiedenen Polhöhen stattfanden, vergleicht nach eigener Auswahl
einige derselben mit einander und berechnet aus zwölf Paaren von
Beobachtungen, dafs die Höhe des neuen Sternes stets geringer ge-
wesen sei als die Entfernung des Mondes. Dies erzielt er aber nur
dadurch, dafs er in geradezu widerwärtiger Weise auf die krasseste
Ignoranz aller derer spekuliert, denen sein Buch in die Hände fallen
könnte. Ich bin gespannt darauf, ob die anderen Astronomen schweigen
werden, insbesondere Kepler, auf welchen es der Verfasser besonders
abgesehen hat und der sonst kein Blatt vor den Mund zu nehmen
pflegt, es sei denn, er habe eine Entgegnung für unter seiner Würde
gehalten.^) Um Euch nun einen Begriff von der Sache zu geben, habe
ich auf dieses Blatt die Schlufsfolgerungen notiert, welche der Ver-
fasser aus seinen zwölf Untersuchungen zieht. ^)
Es werden zunächst verglichen die beiden Beobachtungen von
1) Maurolycus und Haiiizel, aus welchen sich die Entfernung des
Sterns zu weniger als 3 Erdhalbmessern ergiebt bei einer parallakti-
schen Differenz von 4" 42' 30" 3 Erdhalbm.
2) Aus den Beobachtungen von Hainzel und Schuler ^'^) berechnet
sich bei einer Parallaxe von 8' 30" seine Entfernung vom Mittel-
punkt auf mehr als 25 Erdhalbm.
3) Aus den Beobachtungen von TycJio und Hawzel ergiebt sich
bei einer Parallaxe von 10' die Entfernung vom Erdmittelpunkte zu
etwas weniger als 19 Erdhalbm.
4) Aus den Beobachtungen Tychos imd des Landgrafen ergiebt
sich bei einer Parallaxe von 14' die Entfernung vom Mittelpunkt zu
etwa 10 Erdhalbm.
5) Aus den Beobachtungen von Hainzel und Gemma findet man bei
einer Parallaxe von 42' 30" eine Entfernung von etwa . . 4 Erdhalbm.
6) Aus den Beobachtungen des Landgrafen und denen von Came-
rariiis erhält man bei einer Parallaxe von 8' eine Entfernung von
etwa 4 Erdhalbm.
7) Aus den Beobachtungen von Tycho und Hagele ergiebt sich bei
einer Parallaxe von G' die ' Entfernung von 32 Erdhalbm.
8) Aus den Beobachtungen von Hagele und ürsinus ergiebt sich
bei einer Parallaxe von 43' eine Entfernung des Sternes von der Erd-
oberfläche im Betrag von \ Erdhalbm.
9) Aus den Beobachtungen des Landgrafen und Bnsch's ergiebt
[307. 308.] Dritter Tag. 299
sich bei einer Parallaxe von 15' eine Entfernimg von der Erdober-
fläche von ^L Erdhalbm.
10) Aus der Beobachtung von Maurolycus und Munoz ergiebt sich
bei einer Parallaxe von 4** 30' eine Entfernung von der Erdoberfläche
im Betrage von | Erdhalbm.
11) Die Beobachtungen von Munoz und Gemma führen bei einer
Parallaxe von 55' zu einer Entfernung vom Mittelpunkte von etwa
13 Erdhalbm.
12) Aus den Beobachtungen von Munos und Ursinus folgt bei
einer Parallaxe von 1^ 36' eine Entfernung vom Erdmittelpunkt von
weniger als 7 Erdhalbm.
Das sind die zwölf Untersuchungen, welche der Verfasser nach
seiner Auswahl unter den, wie er selbst sagt, sehr zahbeichen mög-
lichen Kombinationen der Beobachtungen jener dreizehn Astronomen
angestellt hat. Wahrscheinlich sind diese zwölf die günstigsten für
den Beweis, den er erbringen möchte.
Sagr. Ich möchte indessen wissen, ob unter den vielen übrigen
Untersuchungen, die der Verfasser beiseite gelassen hat, auch solche
sich finden, die zu seinen Ungunsten sprechen, aus denen sich also
durch Rechimng ergeben würde, dafs der neue Stern oberhalb des
Mondes stand, was ich so bei dem ersten Blicke wohl vermuten möchte.
Denn, wie ich sehe, weichen diese Ergebnisse derart von einander ab,
dafs sie das eine Mal eine vier-, sechs-, zehn-, hundert-, tausend-, fünf-
zehnhundertfach so grofse Entfernung von der Erdoberfläche liefern
als das andere Mal. Ich darf also wohl vermuten, dafs von den nicht
behandelten Fällen einer oder der andere für die gegnerische Partei
spräche. Ich glaube das um so mehr, als ich jene Astronomen nicht
für ungeschickt und ungeübt in den erforderlichen Rechnungsmethoden
halte, welche doch wohl nicht etwas so völlig Unbegreifliches sein
werden. Es würde mir in der That mehr als wunderbar erscheinen,
wenn auf der einen Seite unter diesen zwölf Rechnungen sich welche
finden, die den Stern bis auf wenige Miglien der Erde nähern und
andere ihn ganz nahe an den Mond hinaufrücken, während sich nicht
eine finden sollte, die ihn zu Gunsten der Gegenpartei wenigstens
20 Ellen über die Mondsphäre hinaus versetzte. Noch sonderbarer
aber wäre es, wemi alle jene Astronomen so blind gewesen sein soUten,
ihren so offen daliegenden Fehler nicht zu bemerken.
Salv. Bereitet Euere Ohren darauf vor, mit unbegrenzter Ver-
wunderung zu vernehmen, zu welch überschwäuglichem Zutrauen auf
die eigene Autorität und auf fremde Dummheit der Widerspruchsgeist
und die Sucht, sich vor anderen hervorzuthun, hinreifsen kömien. Unter
300 Dialog über die "Weltsysteme. [308. 309.]
den vom Autor beiseite gelassenen Rechnungen finden sich welche, die
den neuen Stern nicht nur über die Mondsphäre hinausrücken, son-
dern auch über die Fixsterne hinaus, und nicht etwa wenige, sondern
die Mehrzahl derselben führt zu diesem Ergebnisse, wie Ihr auf dem
anderen Blatte sehen werdet, worauf ich sie notiert habe.
Sagr. Was sagt mm aber der Verfasser über diese? Hat er sie
vielleicht nicht in Erwägung gezogen?
Salv. Er hat es gethan, leider! Er sagt indessen, die Beobach-
tmigen, welche, der Rechnung unterworfen, eine unendlich grofse Ent-
fernmig des Sternes ergeben, seien irrig und dürften nicht mit ein-
ander kombiniert werden.
Simpl. Das scheint mir denn doch eine schwächliche Ausrede-,
denn die Gegenpartei kann mit demselben Rechte behaupten, diejenigen
seien irrig, auf Grund deren er den Stern in die elementare Sphäre
hinabzieht.
Salv. 0, Signore Simplicio, gelänge es mir, Euch den Kunstgriff
dieses Autors begreiflich zu machen, wiewohl nicht viel Kunst dabei
im Spiele ist, so wollte ich Euer Staunen und Euere Entrüstung wach-
rufen. Ihr würdet bemerken, wie er seine Einsicht mit dem Schleier
Euerer Einfalt und der der übrigen Philosophen von Fach verhüllt
mid sich in Euere Gunst einschmeicheln will, indem er Euch schön
thut imd Euere Eitelkeit aufbläht. Dabei thut er, als habe er die
armen Schlucker von Astronomen, welche die unangreifbare Un Ver-
änderlichkeit des peripatetischen Himmels bekämpft haben, überzeugt
imd verstummen gemacht, und was noch mehr sagen will, sie ver-
stummen gemacht und überzeugt mittels ihrer eigenen Waffen. Ich
werde mir alle Mühe geben, Euch das klar zu machen. Inzwischen
bitte ich Signore Sagredo, Euch und mir zu verzeihen, wenn ich ihn
etwas langweile, indem ich mit überflüssiger Weitschweifigkeit —
überflüssig, meine ich, für seine so rasche Fassungsgabe — versuche
das zu enthüllen, was nicht wohlgethan wäre Euch verborgen und
unbekannt zu lassen.
Sagr. Ich werde mich nicht nur nicht langweilen, sondern Euere
Erörterungen sogar mit Vergnügen hören. 0 dafs doch alle peri-
patetischen Philosophen zugegen wären, um einzusehen, welchen Dank
sie ihrem Schützer schulden!
Salv. Sagt mir, Signore Simplicio: habt Ihr recht verstanden,
warum der neue Stern, wenn er dort gegen Norden im Meridian steht,
für jemanden, der von Mittag gegen Mitternacht reist, sich ebenso
viel über den Horizont erhebt, wie der Pol, vorausgesetzt dafs der
Stern wirklich am Fixsternhimmel steht; warum er hingegen, wenn er
ü
M
[309. 310.] Dritter Tag. 301
beträchtlich tiefer stände, also der Erde näher, sich rascher zu erheben
schiene als selbiger Pol und zwar um so rascher, je näher er steht?
Simpl. Ich glaube das aufs beste verstanden zu haben. Um es
Euch zu beweisen, werde ich versuchen, eine mathematische Figur
davon zu entwerfen. Auf dem grofsen Kreise hier bezeichne ich den
Pol P und auf den beiden
kleineren zwei Sterne, welche
von dem Punkte Ä der Erde
aus betrachtet werden. Die
beiden Sterne sollen B und C
heifsen, sie mögen sich in der-
selben Linie ABC mit A be-
finden und dem Beschauer vor
dem Fixsterne D zu stehen
scheinen. Gehe ich nun auf der
Erde weiter nach E, so werden
wir die beiden Sterne von dem
Fixsterne D weg, näher an den
Pol P gerückt erscheinen und zwar in höherem Grade der tiefer
stehende Stern 2?, dessen scheinbarer Ort nunmehr in G sein wird,
in geringerem Grade hingegen der Stern C, welcher scheinbar nach
F rückt. Der Fixstern D hingegen wird dieselbe Entfernung vom
Pole behalten.
Salv. Ich sehe, Ihr versteht die Sache vollständig. Ebenso werdet
Ihr vermutlich einsehen, dafs, weil der Stern B tiefer steht als C,
der Winkel der Sehlinien, die von A und E nach C gehen, also der
Winkel ACE, kleiner oder wir können sagen spitzer ist als der in B
von den Strahlen AB und BE gebildete Winkel.
Slmpl. Die Anschauung zeigt dies aufs deutlichste.
Salv. Da ferner die Erde sehr klein, von fast unmerklicher Gröfse
gegenüber dem Firraamente ist, demzufolge also die Strecke AE,
welche man auf der Erde zurücklegen kann, nur sehr kurz ist ver-
glichen mit den unermefslich langen Linien EG, EF von der Erde
bis zum Firmament, so werdet Ihr einsehen, dafs der Stern T' sich
von der Erde soweit entfernen, so hoch sich erheben kann, dal's der
Winkel der von A und E nach C gezogenen Linie migemein spitz
würde, fast ganz und gar unmerklich und verschwindend.
Simpl. Audi das verstehe ich vollkommen.
Salv. Nun müfst Ihr wissen, Signore Simplicio, dafs die Astro-
nomen und Mathematiker mit Hilfe der Geometrie und der Arithmetik
unfehlbare Kegeln entdeckt haben, um aus der Gröfse dieser Winkel
302 Dialog über die Weltsysteme. [310. 311.]
B und C und ihrer Differenzen in Verbindung mit der bekannten Ent-
fernung des Punktes A von E bis auf eine Spanne genau die Ent-
fernung der Himmelskörper zu ermitteln, immer jedoch ist dazu er-
forderlich, dafs besagte Entfernung und Winkel richtig festgestellt sind.
Simpl. Wenn also die geometrischen und arithmetischen Regeln
richtig sind, so müssen alle Fehler und Irrtümer, welche man bei
Ermittelung der Entfernung von neuen Sternen, Kometen und der-
gleichen mehr begeht, auf der unrichtigen Messung der Entfernung
AE und der Winkel B, C beruhen. Es beruhen daher auch alle Ver-
schiedenheiten, welche bei jenen zwölf Rechnungen zu Tage treten,
nicht auf Mängeln der Rechenregeln, sondern auf Irrtümern bei der
Feststellung gedachter Winkel und Entfernungen mittels der Beobaeh-
txmgsinstrumente.
Salv. So ist es, auch ergiebt sich daraus keine Schwierigkeit.
Ihr müfst nun genau darauf achten, wie bei Entfernung des Sternes
von B nach C, welche eine fortwährende Verkleinerung des Winkels
nach sich zieht, der Strahl EBG sich beständig von dem Strahle
ABB unterhalb des Winkels entfernt. Ihr seht dies an der Linie
ECF, deren unteres Stück EC von dem Stücke AC weiter entfernt
ist als EB. Niemals aber kann der Fall eintreten, dafs bei noch so
grofser Entfernung die Linien AD und EF sich vollständig von ein-
ander trennen, da sie schliefslich an dem Sterne einander treffen müssen.
Höchstens könnte man sagen, dafs sie sich trennten und einander
parallel würden, sobald die Entfernung unendlich grofs wäre, ein Fall,
der immöglich eintreten kann. Da aber, merkt wohl, die Entfernung
des Firmaments im Vergleich zu der geringen Gröfse der Erde, wie
gesagt, als unendlich grofs betrachtet wird, darum läfst sich der Winkel
der von A und E nach einem Fixstern gezogenen Strahlen als ver-
schwindend ansehen und besagte Strahlen selbst als parallele Linien.
Daher darf man erst dann behaupten, der neue Stern habe am Firma-
ment gestanden, wenn aus dem Vergleich der an verschiedenen Orten
gemachten Beobachtungen sich rechnungsmäfsig die Unmerklichkeit
besagten Winkels und der Parallelismus der Strahlen ergiebt. Ist aber
der Winkel von merklicher Gröfse, so mufs notwendig der neue Stern
tiefer als die Fixsterne gestanden haben, ja selbst tiefer als der Mond,
sobald der Winkel ABE gröfser ausfallen sollte als der entsprechende
Winkel im Mittelpunkte des Mondes.
Simpl. Die Entfernung des Mondes ist also nicht so grofs, dafs
bei ihm ein derartiger Winkel sich der Wahrnehmung entziehen würde?
Salv. 0 nein, er ist nicht nur beim Monde, sondern sogar bei
der Sonne merklich.
1
[311. 312.] Dritter Tag. 303
Simpl. Wenn die Sache so liegt, dann kann ja auch möglicher-
weise dieser Winkel bei dem neuen Sterne wahrnehmbar sein, ohne
dafs er tiefer als die Sonne oder gar als der Mond stünde.
Salv. Allerdings ist das möglich und im vorliegenden Falle ist
es wirklich so, wie Ihr seiner Zeit sehen werdet. Ich will nur zuvor
den Weg Euch derart ebenen, dafs Ihr, wiewohl unbekannt mit astro-
nomischen Rechnungen, dennoch einsehen und mit Händen greifen
könnt, wie der Verfasser weit mehr das Ziel verfolgt den Peripate-
tikern zu Gefallen zu schreiben, dies imd jenes zu beschönigen imd
zu vertuschen, als aufrichtig die nackte Wahrheit zu erforschen. Lafst
uns darum weiter fortfahren. Nach den bisherigen Auseinander-
setzungen werdet Ihr, wie ich glaube, vollständig begreifen, dafs die
Entfernung des neuen Sternes keinesfalls so unermefslich grofs sein
kann, dafs der öfters genannte Winkel völlig verschwindet und die
beiden Gesichtslinien der Beobachter in A und E parallel werden.
Demgemäfs seht Ihr auch ein, dafs, wenn die Rechnung auf Griuid
der Beobachtungen besagten Winkel völlig gleich Null oder die Linien
als wirklich parallel ergiebt, die Beobachtungen sicherlich mit einem,
wenn auch minimalen Fehler behaftet sein müssen. Sollte aber die
Rechnung gar zu dem Ergebnis führen, dafs dieselben Linien sich
nicht nur bis zur Aquidistanz d. h. bis zum Parallelismus von ein-
ander trennten, sondern noch über diese Grenze hinaus und in der
Höhe weiter von einander entfernt waren als unten, so mufs man
ohne weiteres schliefsen, die Beobachtungen seien nicht genau genug
angestellt, ja sie seien geradezu fehlerhaft, da sie zu einer offenbar
unmöglichen Schlufsfolgermig führen. — Ferner mttfst Ihr mir glauben
und als zweifellose Wahrheit aimehmen, dafs zwei gerade Linien, welche
von zwei auf einer anderen Geraden liegenden Punkten ausgehen, sich
nach oben zu weiter von einander entfernen, sobald die beiden zwischen
ihnen und der dritten enthaltenen Winkel zusammen gröfser sind als
zwei Rechte; dafs hingegen die Linien parallel sind, sobald sie gerade
zwei Rechte betragen; dafs endlich, sobald sie kleiner als zwei Rechte
sind, die Linien konvergieren imd verlängert mizweifelhaft ein Dreieck
eiuschliefsen würden.
Simpl. Ohne Euch Glauben schenken zu müssen, weifs ich das.
Ich bin nicht so bar geometrischer Kenntnisse, dafs ich nicht einen
Lehrsatz kennte, den ich tausendmal im Aristoteles zu lesen Gelegen-
heit hatte, den Lehrsatz nämlich, dafs die drei Winkel jedes Dreiecks
zusammen zwei Rechte betragen. Wenn ich also iu meiner Figur das
Dreieck ABE vornehme unter der Voraussetzung, dafs EA eine Gerade
wäre, so sehe ich sehr wohl ein, wieso seine drei Winkel A, E, B
304 Dialog über die Weltsysteme. [312. 313.]
zvisammen zwei Rechte sind und folglieh die beiden Winkel E und A
allein um den Betrag des Winkels B kleiner als zwei Rechte. Ent-
ferne ich also die beiden Linien AB, EB von einander, während ich
sie jedoch in den Punkten A und E festhalte, bis der nach B zu von
ihnen eingeschlossene Winkel verschwindet, so werden die beiden
unteren gleich zwei Rechten und die Linien schliefslich einander
parallel geworden sein. Wollte man dann noch fortfahren sie von
einander zu entfernen, so würden die Winkel bei E und A zusammen
gröfser als zwei Rechte werden.
Salv. Ihr seid ein zweiter Archimedes und habt mich weiterer
Worte überhoben, um Euch zu erklären, dafs die Beobachtungen ohne
weiteres irrig sein müssen, sobald aus ihnen folgt, die Winkel A und
und E seien zusammen gröfser als zwei Rechte. Das ist es, was ich
Euch so gerne vollkommen begreiflich gemacht hätte und was ich
befürchtete nicht so erklären zu können, dafs es ein zünftiger Philosoph
der peripatetischen Schule völlig klar einsähe. Gehen wir nun über
zu dem, was noch übrig bleibt. Ich knüpfe wieder an das an, was
Ihr mir vor kurzem zugegeben habt, dafs der Stern nämlich nicht
an mehreren Orten zugleich, sondern nur an einem einzigen sich hat
befinden können. Sobald also die auf die Beobachtungen der Astro-
nomen begründeten Rechnungen ihn nicht an dieselbe Stelle versetzen,
mufs bei den Beobachtungen notwendig ein Irrtum begangen sein, sei
es bei der Bestimmung der Polhöhen oder bei der Bestimmung der
Sternhöhen, kurz bei der oder jener Operation. Da nun von den vielen
Untersuchungen, die aus der Kombination je zweier Beobachtungen
entspringen, nur ganz wenige den Stern an dieselbe Stelle versetzen,
so köimen demnach nur diese wenigen fehlerfrei sein, alle anderen
hingegen sind unbedingt irrig.
Sagr. Man mufs also diesen wenigen allein mehr Glauben schenken
als allen anderen zusammen. Da nun, wie Ihr sagt, nur wenige über-
einstimmen und ich unter jenen zwölfen zweie sehe, welche die Ent-
fernung des Sternes zu vier Erdhalbmessern bemessen, nämlich die
fünfte und sechste, so spricht also die gröfsere Wahrscheinlichkeit für
die elementare und nicht für die himmlische Natur des neuen Sternes.
Salv. So ist es nicht. Denn weim Ihr genau zuseht, so steht da
nicht geschrieben, die Entfernung habe genau, sondern etwa vier Erd-
halbmesser betragen. Gleichwohl werdet Ihr sehen, dafs diese beiden
Entfernungen unter einander um viele hundert Miglien verschieden
waren. Hier habe ich sie: Ihr seht die fünfte, welche einen Betrag von
13389 Miglien hat, übertrifft die sechste, welche sich auf 13100 Miglien
beläuft, um fast 300 Midien.
[313. 314.] Dritter Tag. 305
Sagr. Welches sind dami also die wenigen Ergebnisse, welche
übereinstimmend den Stern an dieselbe Stelle versetzen?
Salv. Unglücklicherweise für den Verfasser sind es gerade fünf
Resultate, die sämtlich den Stern ans Firmament versetzen, wie Ihr
aus jener zweiten Aufstellung erkennen werdet, wo ich viele andere
Kombinationen aufzähle. Ich will indessen dem Autor mehr zugestehen,
als er vielleicht verlangen würde, nämKch dafs ganz einfach bei jeder
Kombination von Beobachtungen irgend ein Irrtum unterläuft. Dies
ist nach meiner Ansicht ganz und gar unvermeidlich, denn es bedarf
für je ein Ergebnis vier verschiedener Beobachtungen, nämlich der
Bestimmung von je zwei Polhöhen und zwei Sternhöhen, die von ver-
schiedenen Beobachtern an verschiedenen Orten und mit verschiedenen
Instrumenten angestellt werden. Jeder, der einige Kenntnis von derlei Astronomische
o 7 o Instrumente
Verrichtungen hat, wird zugeben, dafs bei diesen vier Aufnahmen un- J^Ü""!.'^ i'^^'^J'?*
O } r> 7 fehlerhafte Er-
möglich jeder Fehler auszuschliefsen ist, namentlich wenn man bedenkt,gei'iii8se liefern.
dafs bei der Aufnahme einer einzigen Polhöhe mittels eines und des-
selben Instrumentes, an einem und demselben Orte und durch einen
und denselben Beobachter, welcher seine Beobachtung tausendmal hat
wiederholen können, gleichwohl ein Schwanken um einige, ja häufig
auch um viele Minuten vorkommt, wie Ihr aus verschiedenen Stellen
eben dieses Buches entnehmen könnt. Alles dies in Betracht gezogen,
frage ich Euch, Siguore Simplicio, ob nach Euerer Meinung der Ver-
fasser die dreizehn Beobachter als kluge, verständige, in der Hand-
habung solcher Instrumente geschickte Leute ansieht, oder sie für
täppisch und unerfahren hält.
Simpl. Er mufs sie durchaus für vorsichtige und verständige
Leute ansehen; er hätte ja sonst, wemi er sie untauglich zu solcher
Verrichtung erachtete, sein eigenes Buch als belanglos ungeschrieben
lassen können, da es sich auf völlig irrige Voraussetzungen gründen
würde. Auch die Leser würde der Verfasser als gar zu einfältig be-
trachten, wenn er glaubte, sie durch die Ungeschicklichkeit solcher
Leute für seine falsche Behauptung gewinnen zu können.
Salv. Da nun die Beobachter fähige Leute sind luid trotzdem ge-
irrt haben, da also ihre Irrtümer verbesserungsbedürftig sind, wenn
anders aus ihren Beobachtungen soviel Aufklärung als möglich gewonnen
werden soll, so ist es angemessen, möglichst kleine und naheliegende
Verbesserungen und Korrekturen anzubringen, vorausgesetzt, dafs sie
ausreichen, die Beobachtungen aus dem Bereich der Unmöglichkeit in
das der Möglichkeit zu rücken. Wenn sich z. ß. ein ofi'enkundiger Irr-
tum, eine bare Unmöglichkeit bei einer Beobachtmig durch Hinzu-
fügung oder Wegnahme von zwei bis drei Minuten beseitigen und
Gai-ilei, Weltsysteme. 20
306 Dialog über die "Weltsysteme. [314. 315.]
diese durch eine solche Korrektur sich ins Bereich der Möglichkeit
rücken läfst, so darf man sie nicht durch Hinzufügung oder Weg-
nahme von 15, 20 oder 50 Minuten richtig stellen wollen.
Simpl. Der Verfasser wird dem wohl schwerlich widersprechen;
denn zugegeben, dafs es sich um urteilsfähige, erfahrene Männer han-
delt, so mufs man ihnen eher einen geringfügigen als einen groben
Fehler zutrauen.
Salv. Merkt jetzt weiter auf Von den Stellen, die sich dem
neuen Sterne anweisen lassen, sind einige offenbar unmöglich, andere
möglich. Durchaus unmöglich ist es, dafs er unendlich weit über den
Fixsternen stand, denn eine solche Lage giebt es überhaupt nicht in
der Welt, und hätte der Stern dort gestanden, so wäre er für uns un-
sichtbar gewesen. Ebenso unmöglich ist es, dafs er sich dicht über
die Erdoberfläche hin bewegte, imd erst recht unmöglich, dafs er sich
innerhalb der Erdkugel befand. Mögliche Orte sind die, um welche
die Streitfrage sich dreht; denn es widerstrebt unserem Verstände
nicht, dafs ein sichtbares Objekt vom Ansehen eines Sternes ebenso
wohl über als unter dem Monde sich befinden kann. Wenn man nun
mittels Beobachtung und Rechnung mit dem Grade von Gewifsheit,
wie er Menschenkräften erreichbar ist, zu erforschen sucht, wel-
ches in der That seine Stelle gewesen sei, so zeigt sich, dafs
die meisten dieser Rechnimgen ihn mehr als unendlich weit über
das Firmament setzen, andere ihn ganz nahe an die Erdoberfläche
heranrücken, einige sogar unter die Erdoberfläche; von den übrigen
Rechnungen, welche ihn an nicht unmögliche Orte versetzen, stimmen
keine mit einander überein; mau mufs also notgedrungen zugeben, dafs
sämtliche Beobachtungen fehlerhaft sind. Soll nmi gleichwohl so
viele Mühe nicht vergeblich gewesen sein, so mufs man seine Zuflucht
zu Korrektionen nehmen, indem man an allen Beobachtungen Ver-
besserungen anbringt.
Simpl. Der Verfasser aber wird sagen, dafs diejenigen Beobach-
tungen, welche den Stern an unmögliche Stellen versetzen, überhaupt
keine Berücksichtigung erfahren dürfen, da sie unendlich fehlerhaft
und irrig sind; blofs diejenigen seien annehmbar, welche ihn an mög-
liche Orte versetzten; nur unter diesen habe man zu wählen, um an
der Hand der wahrscheinlichsten und zahlreichsten Übereinstimmimgen,
wo nicht den genau richtigen Ort, d. h, die wirkliche Entfernimg
vom Erdmittelpunkt, zu ermitteln, so doch wenigstens zu entscheiden,
ob der Stern in der elementaren oder himmlischen Sphäre stand,
Salv. Die Erwägungen, die Ihr jetzt eben anstellt, sind genau
dieselben, welche der Verfasser zu Gunsten seiner Sache angestellt hat,
[315. 316.J Dritter Tag. 307
aber mit unstatthafter Übervorteilmig des Gegners. Es ist das gerade
der Hauptpunkt, der mich über die Mafsen das Vertrauen hat an-
staunen lassen, welches der Verfasser zu seiner eigenen Autorität und
zu der Blindheit xmd Unachtsamkeit der Astronomen hat. In dem
Namen der letzteren werde ich sprechen, vertretet Ihr den Staudpunkt
des Verfassers. Erstlich frage ich Euch, ob die Astronomen bei den
Beobachtungen mittels ihrer Listrumente, z. B. bei der Bestimmung
der Höhe eines Sternes über dem Horizonte, von der Wahrheit ebenso
wohl nach oben als nach unten abweichen, d. h. ihn irrtümlich in
einem Falle für höher halten können, als er wirklich ist, in einem
anderen Falle für tiefer. Oder meint Ihr, der Irrtum könne nur von
einer Art sein, sodafs die Beobachter stets nach oben, niemals nach
unten hin, oder umgekehrt stets nach imten, niemals nach oben hin
irren?
Simpl. Ich zweifle nicht, dafs ein Irrtum nach der einen oder
anderen Richtimg gleich nahe liegt.
Salv. Ich glaube, der Verfasser würde ebenso antworten. Von
diesen zweierlei Fehlern nmi, deren sich die Beobachter des neuen
Sternes gleich leicht schuldig gemacht haben kömien, wird der eine,
rechnungsmäfsig verwendet, den Stern zu hoch, der andere ihn zu tief
setzen. Da wir aber einig darüber sind, dafs alle Beobachtungen mit
einem Fehler behaftet sind, aus welchem Grunde will der Verfasser,
dafs wir diejenigen als besser mit der Wahrheit übereinstimmend an-
sehen sollen, die den Stern in unsere Nähe versetzen, als diejenigen,
die ihn in übergrofse Ferne verweisen?
Simpl. Soweit ich aus dem Bisherigen ersehen kann, verwirft der
Verfasser nicht die Beobachtungen und Rechenergebnisse, welche den
Stern in gröfsere Ferne als den Mond, ja selbst als die Sonne ver-
setzen, sondern blofs die, welche nach Eueren eigenen Worten ihn in
mehr als unendlich weite Ferne rücken. Aus demselben Grunde, aus
welchem Ihr eine solche Entfernung als unmöglich verwerft, übergeht
er die entsprechenden Beobachtungen, da sie von dem Richtigen und
Möglichen unendlich weit abweichen müssen. Wenn Ihr also den
Verfasser widerlegen wollt, so scheint mir, Ihr müfst genauere oder
zahlreichere Beobachtungen oder solche von besseren Beobachtern an-
führen, welche den Stern in eine so imd so grofse Entfernung über
den Mond oder die Sonne hinaus versetzen, kurzum an einen Ort, der
in den Grenzen des Möglichen liegt, ähnlich wie er diese zwölf Er-
gebnisse anführt, welche sämtlich den Stern unter den Mond an wirk-
lich in der Welt vorhandene Stellen versetzen, an welchen er auch
möglicherweise gestandeu haben knnn.
20*
308 Dialog über die "Weltsysteme. [316. 317.]
Salv. Ja, aber gerade hierin, Signore Simplicio, liegt des Autors
und Euere Verkehrtheit, die freilich bei ihm aus anderer Ursache her-
rührt als bei Euch. Ich entnehme Eueren Worten, dafs Ihr Euch
die Vorstellung gebildet habt, die Abweichungen von der Wahrheit
in den Ergebnissen, d. h. in der Bestimmung der Entfernung des
Sternes, nähmen in demselben Verhältnis zu wie die Beobachtungs-
fehler bei Benutzung des Instrumentes, und umgekehrt sei aus der
Gröfse der Abweichungen ein Rückschlufs auf die Gröfse der Fehler
möglich; es müsse also, wenn aus einer solchen Beobachtung eine un-
endliche Entfernung des Sternes sich ergebe, notwendigerweise der
Beobachtungsfehler imendlich grofs imd darum unverbesserlich ge-
wesen sein, die Beobachtimg mithin keine Berücksichtigung verdienen.
Die Sache liegt aber ganz anders, mein lieber Signore Simplicio. Dafs
Ihr nicht verstanden habt, wie es damit steht, entschuldige ich gerne
mit der Euch mangelnden Übung in solchen Verrichtungen. Aber
nicht mit der gleichen Schonung kann ich den Irrtum des Verfassers
behandeln; er verschweigt seine Kenntnis der Sachlage, die wir nach
seiner Überzeugung nicht zu durchschauen vermögen und lebt der
Hoifnung, imsere Unwissenheit mifsbrauchen zu können, um seiner
Lehre bei der Menge der Unverständigen gröfseren Credit zu ver-
schaffen. Zur Kenntnisnahme also für alle, welche mehr leichtgläubig
als sachverständig sind, und .um Euch Eueren Irrtum zu benehmen,
vernehmt: es kann vorkommen und wird sogar meistens der Fall sein,
dafs aus einer Beobachtung, die Euch beispielshalber den Stern in
die Entfernung des Saturn rückt, durch Vermehrung oder Verminde-
rung der aufgenommenen Sternhöhe um nur eine einzige Minute eine
solche hervorgeht, die ihn in unendliche Ferne versetzt, aus einer
mögHchen also eine unmögliche. Umgekehrt, die Rechnungen, die auf
Grund solcher Beobachtungen Euch den Stern in unendliche Feme
rücken, können häufig durch Hinzufügung oder Wegnahme einer ein-
zigen Minute ihn in eine mögliche Lage versetzen. Was ich hier
von einer Minute sage, kann auch schon bei einer Korrektion von der
Hälfte, von dem sechsten Teile einer Minute und von noch weniger
eintreten. Nun prägt Euch wohl ein, dafs bei den gröfsten Entfer-
nungen, wie z. B. bei der des Saturn oder bei der der Fixsterne, die
geringsten Beobachtungsfehler beim Gebrauch des Instrumentes, die
bestimmte, mögliche Lage in eine unendliche, unmögliche verwandeln.
Anders verhält es sich mit den sublunarischen und den geringeren
Entfernimgen von der Erde; bei diesen kann es geschehen, dafs aus
einer Beobachtung die Entfernung des Sternes sich z. B. zu vier Erd-
halbmessern herausstellt und bei Hinzufügung oder Wegnahme nicht
^1
[317. 318.] Dritter Tag. 309
nur einer Minute, sondern von zehn, hundert und nocli mehr Minuten
gleichwohl die Rechnung keine unendliche Entfernung ergiebt, nicht
einmal eine den Mond übertreffende. Ihr erseht daraus, dafs die
Gröfse der Beobachtungsfehler sich nicht nach dem Rechenergebnis
beurteilen läfst, sondern nur nach der wirklichen Anzahl der Grade
und Minuten, die am Instrumente abgelesen werden. Diejenigen Be-
obachtungen sind die richtigeren oder minder fehlerhaften zu nennen^
die nach Hinzufügvmg oder Subtraktion der geringsten Minutenanzahl
den Stern an eine mögliche Stelle versetzen. Unter den möglichen
Orten wird man dann denjenigen für den wahren ansehen müssen, in
dessen Nähe die Mehrheit der auf Grund der richtigsten Beobach-
timgen angestellten Rechnungen den Stern rücken.
Simpl. Ich verstehe nicht recht, was Ihr da sagt, und kann nicht
ohne weiteres begreifen, wieso bei den gröfsten Entfernimgen mög-
licherweise eine bedeutendere Abweichung von der Wahrheit durch
einen Fehler von einer Minute verursacht wird, als bei den kleinen
Entfernungen durch einen solchen von zehn oder hundert Minuten;
und doch möchte ich das gerne verstehen.
Salv. Wenn nicht theoretisch, so werdet Ihr es doch praktisch
ersehen aus der kurzen von mir angefertigten Übersicht aller Kom-
binationen und eines Teils der vom Verfasser weggelassenen Rech-
nungen, die ich ausgeführt und auf dasselbe Blatt geschrieben habe.
Sagr. Ihr mülst demnach seit gestern, in Zeit von nicht mehr
als achtzehn Stunden, immerzu nur gerechnet haben, ohne durch Speise
und Schlaf Euch zu erholen.
Salv. Ich habe gegessen und geschlafen, aber solche Rechnuugen
erledige ich sehr rasch. Offen gestanden habe ich mich nicht wenig
gewmidert, dafs der Verfasser so weitschweifig ist und so viele für
das vorliegende Problem nicht gerade notwendige Berechnungen ein-
flicht. Zu völliger Klarlegung desselben und um bequem einsehen
zu können, -vvie aus den vom Verfasser benutzten astronomischen Be-
obachtungen mit viel gröfserer Wahrscheinlichkeit sich ergiebt, dafs
der neue Stern weiter entfernt gewesen ist als der Mond und alle
Planeten, und unter den Fixsternen oder noch höher gestanden hat,
habe ich auf dieses Blatt alle vom Verfasser aufgetührten Beobach-
tungen abgeschrieben, welche von dreizehn Astronomen herrühren.
Ihr findet da die Polhöhen mid die Höhen des Sternes beim Durch-
gang durch den Meridian, sowohl die kleinsten unterhalb des Poles
wie die gröfsten oberhalb desselben, aufgezeichnet: es sind folgende'^):
310
Dialog über die Weltsysteme.
[318—320.]
Tycho
Gröfste
Stemliöhe
Kleinste
Sternhöhe
Hainzel.
Peucer und Schuh
Landgraf . . .
Camerarius . .
55» 58'
48" 22'
51" 54'
51" 1»'
52» 24'
76»
76»
76»
79»
79»
80'
0'
34'
33' 45"
35'
56'
30'
30'
27'
26'
Hagek 48» 22'
Ursinus 49" 24'
Munoz 39« 30'
Maurolycus 38" 30^
Gamma 50» 50'
Busch 51» 10'
Reinhold 51" 18'
30'
79»
67»
62»
79» 45'
79» 20'
79» 30'
27» 57'
So in seiner ersten
Schrift, in der
späteren
27» 45'
9' 40"
9' 30"
9' 20"
33'
3'
28'
20'
17'
15'
30'
22» 40'
23» 2'
Um nun eine Vorstellung you meinem ganzen Beweisverfahren
zu bekommen, können wir von nachstehenden fünf Rechnungen aus-
gehen, welche der Verfasser übergangen hat, wahrscheinlich weil sie
gegen ihn sprechen, insofern sie den Stern um viele Erdhalbmesser
über den Mond hinausrücken. Die erste derselben beruht auf den
Beobachtungen des Landgrafen von Hessen und denen Tychos, zweier
ausgezeichneter Beobachter, wie der Verfasser selbst zugiebt. Bei
diesem ersten Beispiel will ich das Verfahren angeben, welches bei der
Rechnung einzuhalten ist; dieses kann Euch dann in allen übrigen
Fällen zur Richtschnur dienen, da sie sich nach derselben Regel er-
ledigen lassen und sich nur in den Daten unterscheiden, d. h. in der
Anzahl der Grade der Polhöhen und der Höhen des neuen Sternes
über dem Horizonte. Gesucht wird das Verhältnis der Entfernung
vom Erdmittelpunkt zu dem Halbmesser der Erdkugel, dessen absolute
Gröfse in Miglien hier nichts zur Sache thut. Diese letztere Gröfse,
sowie die Eutfei'nung der Beobachtimgsorte von einander in Miglien
aufzulösen, wie es der Verfasser thut, heilst Mühe und Zeit vergeuden.
Ich weifs nicht, weshalb er es gethan hat, umsoweniger, als er schliefslich
die gefundene Miglienzahl wieder in Erdhalbmesser zurückverwandelt.
Simpl. Vielleicht thut er es, um mit diesem kleineren Mafsstabe
imd dessen Bruchteilen die Entfernung des Sternes bis auf vier Zoll
genau zu finden. Wir gewöhnlichen Leute nämlich, die wir von
Eueren arithmetischen Regeln nichts verstehen, sind starr vor Staunen,
wenn wir das Ergebnis hören und etwa lesen: also war der Komet
oder der neue Stern vom Erdmittelpimkt dreihimdertdreiimdsiebenzig-
[320. 321.]
Dritter Tag.
311
tausendaclitliimdertimdsieben ganze Miglien imd noch zweihundertund-
elf Viertausensiebenundneunzigstel Miglien — in Ziffern 373 SOl-^^-^j —
entfernt. Aus dieser ungemeinen Genauigkeit, mit der noch diese win-
zigen Bruchteile angegeben werden, folgern wir dann, dafs Ihr Euch
unmöglich schliefslich um hundert Miglien irren könnt, während Ihr
bis auf einen Zoll genau gerechnet habt.
Salv. Dieser Euer Entschuldigungsgrimd wäre annehmbar, wenn
bei einer Entfernung von Tausenden von MigHen auf eine Elle mehr
oder weniger etwas ankäme und wenn die Voraussetzungen, die wir
als richtig zu Grunde legen, so sicher feststünden, dafs wir imstande
wären aus ihnen schliefslich eine völlig unbezweifelbare Wahrheit ab-
zuleiten. Nun seht Ihr aber bei den zwölf Ergebnissen des Ver-
fassers die Entfernimgen des Sternes von einander, und mithin von
der Wahrheit, um viele Hunderte und Tauseude von Miglien abweichen.
Wenn ich also mehr als gewifs bin, dafs das Gesuchte notwendig von
der Wahrheit um Hunderte von Miglien abweichen mufs, wozu bei
der Rechnung mich abquälen aus Angst, auch nur um Zolleslänge zu
irren? — Aber kommen wir endlich zu dem Verfahren selbst, wel-
ches ich in folgender Weise bewerkstellige. Tyclio beobachtete den
Stern, wie aus der Tabelle hervorgeht, unter einer Polhöhe von 55° 58',
die Polhöhe des Landgrafen war 51'' 18'; die Höhe des Sterns im
Meridian war von Tyclio gefunden zu 27*' 45', vom Landgrafen zu
23 '^ 3'. Diese Höhen sind nachstehend, wie Ihr seht, verzeichnet.
Tycho: Polhöhe 55« 58'
Landgraf: „ 51" 18'
Steri
höhe
27» 45'
23« 3'
Nach Subtraktion d. kleine-
ren Höhen von den gröfse-
ren verbleiben die Differen-
zen 4'* 40'
4» 42'
Parallaxe
2'
Dabei ist die Differenz der
Polhöhen von 4° 40' um 2'
kleiner als die Differenz der
Sternhöhen, welche 4** 42' be-
trägt; also beläuft sich die
parallaktische Differenz auf 2'.
Nachdem dies ermittelt ist, be-
trachte ich dieselbe Figur wie
der Verfasser, nämlich nach-
stehende, bei welcher Ti den Ort
des Landgrafen, I) den Ort
312 Dialog über die Weltsysteme. [321. 322.]
TycJios, C den Ort des Sterns, Ä den Erdmittelpunkt, ABE die
Zenithlinie des Landgrafen, ADF die Tychos bedeuten soll, der
Winkel BGB endlich die Parallaxe. Da nun der Winkel BAD,
der von den Zenitliliuien eingeschlossen wird, gleich der Differenz
der Polhöhen ist, so wird er 4° 40' betragen; ich notiere das hier-,
Winkel BAI) 4 '
„ BBF 92«
BBC 154«
BCD 0«
40'
20'
45'
2'
Seine Sehne: ' 8142
(den Erdradius A B -m 100 000 Teilen
angenommen.)
58 42657
8142
8142
85314
170628
42657
341256
58
59
3473 13294
571
aus der Tabelle der Bogen und Sehnen ^^j entnehme ich die zugehörige
Sehne und notiere sie daneben, sie beträgt 8 142 Teile, wenn der Halb-
messer AB zu 100000 Teilen angenommen wird. Sodann finde ich
leicht den Winkel BBC; denn die Hälfte des Winkels B AB, welche
2^ 20' beträgt, zu einem Rechten addiert, ergiebt den Winkel BBF
zu 92° 20'. Zu diesem fügen wir den Winkel GBF, also die Zenith-
distanz des Sternes bei seiner miteren Kulmination, welche hier 62^ 15'
beträgt, mid erhalten so den Winkel BBG zu 154^ 45'; diesen notiere
ich gleichfalls nebst seinem der Tafel entnommenen Sinus, welcher
42 657 beträgt; darunter schreibe ich den Betrag der Parallaxe 0° 2'
nebst dem zugehörigen Sinus 58. Weil nun in dem Dreieck BGB
die Seite B B zur Seite B G sich verhält wie der Sinus des gegen-
überliegenden Winkels BGB zu dem Sinus des Winkels BBG, so
wäre mithin die Linie B G gleich 42 657 , wenn die Linie B B gleich
58 wäre. Nun ist aber die Sehne B B gleich 8 142 solcher Teile,
deren der Radius BA 100 000 enthält. Da wir zu ermitteln suchen,
wieviel solcher Teile B G enthält, so haben wir also nach der Regula
aurea zu sagen: Wenn BB gleich 58, so ist BG gleich 42657; wenn
also B B gleich 8 142, wie grofs ist B C? Ich habe demnach die
zweite Gröfse mit der dritten zu multiplizieren und erhalte 347 313294,
und dieses mit der ersten, nämlich mit 58 zu dividieren ; der Quotient
giebt alsdann an, wieviel solcher Teile die Linie B G enthält, wie
deren der Halbmesser AB 100000 enthält. Um dann zu ermitteln.
[323. 324.] Dritter Tag. 313
wie viele Erdhalbmesser BA dieselbe Linie BC enthält, muis mau
abermals den gefundenen Quotienten durch 100 000 dividieren, wodurch
wir erfahren, wieviele Erdhalbmesser B C enthält. Die Zahl 347313294,
dividiert durch 58, ergiebt nun aber 5988 160|, wie Ihr aus der nach-
stehenden Rechnung erseht:
59881601
58 347313294
5717941
54 3
Dieses durch 100 000 dividiert liefert uns 59j5^VthjT)
1(00 000 1 59(88160.
Wir können aber die Operation wesentlich abkürzen, wenn wir das
erstgefundene Resultat 347313294 gleich durch das Produkt von
58 mid 100000 teilen, nämlich:
59
58(00000 3473(13294
571
5
uud wir erhalten wiederum 59-|-|^f^-^|. Soviele Erdhalbmesser sind
in der Linie B C enthalten; fügt man dazu einen wegen der Linie AB,
so werden wir nahezu 61 Halbmesser für die gebrochene Linie ABC
finden, und demnach wird die gerade Entfernung des Centrums A bis
zum Stern C mehr als 60 Halbmesser betragen. Es stellt sich also
heraus, dafs dieser um mehr als 27 Erdradien nach Ptolemäus, und
um mehr als 8 Erdradien nach Kopernikus weiter entfernt gewesen
ist als der Mond, vorausgesetzt, dafs die Entfernung des Mondes vom
Erdmittelpunkt nach Kopernikus 52 Erdradien beträgt, wie der Ver-
fasser angiebt.
Auf ganz ähnliche Weise finde ich aus den Beobachtungen von
Camerarius und Munoz^'^), dafs der Stern in annähernd derselben Ent-
fernung, nämlich gleichfalls von mehr als 60 Erdhalbmessern, sich
befunden hat. Nachstehend die Beobachtimgen und darauf folgend
die Rechnung:
Ca
merarius:
Pol höhe
52"
24'
Sternhöhe 24"
28'
Munoz :
,.
39"
30'
,
11"
30'
DifiFere
nzen dei
Differenzen
der
Polhöhen
12»
54'
Ste
rnhöhe
n 12"
58'
12»
54'
Parall
ixe oder
Winkel BCB
. 0«
4'
Winkel
BAD
12«
54'
seine
Sohne:
22466
B l) C
161 •'
59'
Sinus
30930
"'
BGB
0«
4'
116
314
Dialog über die Weltsysteme.
[324. 325.]
Regula aurea:
22466
116 30930 22466
673980
202194
67398
BG gleich
beinahe 60.
59
59 . .
116 6948(73380
1144
10
. Entfernung
Erdhalbm.
Die nachstehende Rechnung beruht auf den beiden Beobach-
tungen von Tyclio und 3Iimo2] aus ihnen ergiebt sich, dafs der
Stern von dein Erdmittelpunkte mehr als 478 Erdhalbmesser ent-
fernt gewesen.
Tycho: Polhöhe 55° 58'
Munoz: „ 39° 30'
Stern höhe 84"
67°
0'
30'
Differenzen der Differenzen der
Polhöhen 16° 28' Sternhöhen
16°
16°
30'
28'
Parallaxe oder Winkel SC Z> . . . .
0°
2'
Winkel BAD 16° 28';
„ BDC 104° 14' \
„ BCD 0° 2'/
seine Sehne:
Sinus:
28640
96930
58
Regula aurea:
58 96930
28640
28640
3877200
58158
77544
19386
478
58 27760(75200
4506
58
Die folgende Untersuchung ergiebt die Entfernung des Sternes vom
Mittelpunkte zu mehr als 358 Halbmessern:
Pfcucer: Polhöhe 51° 54' Sternhöhe 79"
Munoz: „ 39° 30' „ 67°
56'
30'
12° 24' 12°
12°
0°
Winkel BAD 12° 24'; Sehne: 21600
5 D (7 106° 16' 1 o. „„ 95996
„ BCD 0» 2') ^'^"'= 58
26'
24'
~~2'~
[325. 326. J
Dritter Tag.
315
Regula aurea:
58 S5996 21600
21600
57597600
95996
191992
" I 357
58 I 20735(13600
3339
42
Aus der uächsteu Ivecliuung findet sich, die Eutleriiuug des Sternes
vom Mittelpunkte zu mehr als 716 Halbmessern.
Landgraf: Polhöbe
Hainzel: „
51» 18'
48» 22'
Sternhöhe 79« 30'
76" 33'
45"
Winkel BAI)
., BDC
„ BCD
2« 56' 2« 56'
2» 56'
0« 0'
2» 56' Sehne 5120
101" 58' Q. „„ 97845'
0" 0' 15") S^""^= 7
Regula aurea:
7 97845 5120
5120
15"
"Tö"
1956900
97845
489225
7
715
5009 (66400
134
Dies sind, wie Ihr seht, fünf Ergebnisse, Avelche den Stern weit
über den Mond hinausrücken. Dabei bitte ich Euch, den Umstand zu
beachten, auf welchen ich kurz zuvor hingewiesen habe: dafs nämlich bei
grofsen Entfernungen eine Änderung oder, besser gesagt, eine Korrek-
tion von ganz wenigen Minuten den Ort des Sternes um die gewaltig-
sten Strecken verschiebt. Wenn z. B. bei der ersten Rechnung, wo
sich die Parallaxe zu zwei Minuten und die Entfernung des Sternes
zu ()0 Erdhalbmessern ergab, jemand behaupten AvoUte, derselbe stünde
am Firmameiite, so hätte er an den Beobachtungen nur eine Korrek-
tion von noch nicht 2 Minuten anzubringen; alsdami nämlich hört die
Parallaxe ganz auf oder wird doch so klein, dafs der Stern sich in
unermefslicher Entfernung befunden haben müfste, wie eine solche nach
allgemeinem Zugeständnis das Firmament besitzt. Bei der zweiten
Untersuchimg bewirkt eine Änderung von 4 Minuten das nämliche;
im dritten und vierten Falle verursacht wie im ersten eine Korrektion
316 Dialog über die Weltsysteme. [326. 327.]
von blofs 2 Minuten, dafs der Stern bis über die Fixsterne entrückt
Avird; in dem letzten Beispiele endlich liefert uns schon der vierte
Teil einer Minute, nämlich 15 Sekunden, ein gleiches Ergebnis. So
wird es hingegen bei den sublunarischen Entfernungen nicht aussehen,
demi stellt Euch nur irgendwelche ganz beliebige Entfernung vor imd
versucht die vom Verfasser angestellten Rechnungen derart zu korri-
gieren und abzuändern, dafs sie alle diese nämliche Entfermmg er-
geben; Ihr werdet sehen, wie viel gröfsere Korrektionen dann anzu-
bringen sind.
Sagr. Es wird nichts schaden, wemi wir, um völlige Aufklärung
zu erlangen, ein Beispiel für diese Euere Behauptung behandeln.
Salv. Nehmt Ihr doch nach Euerem Gutdünken irgendwelche
bestimmte sublunarische Entfernung des Sternes an; wir werden vms
ohne grofsen Müheaufwand vergewissern können, ob solche Korrek-
tionen, wie sie ausreichend waren, um ihn unter die Fixsterne zu ver-
setzen, ihn auch an den von Euch angenommenen Ort zu bringen ver-
mögen.
Sagr. Um eine für den Verfasser möglichst günstige Entfernung
zu nehmen, wollen wir von seinen zwölf Ergebnissen das gröfste
wählen; denn wenn er den entgegengesetzten Standpunkt einnimmt
wie die Astronomen, indem diese den Stern über den Mond, jener
hingegen ihn unterhalb desselben annimmt, so braucht er nur nach-
zuweisen, dafs der Stern ein ganz klein wenig tiefer stand und hat
damit den Sieg gewonnen.
Salv. Wir nehmen also die siebente Untersuchung zum Aus-
gangspunkt, welche auf den Beobachtmigen von Tycho und Thaddäus
Hagek beruht, und derzufolge der Stern um 32 Erdhalbmesser
vom Centrum entfernt ist. Diese Lage ist für ihn die günstigste,
und, um ihm jeden Vorteil einzuräumen, wollen wir den Stern an den
vom Standpimkt der Astronomen aus migünstigsten Ort versetzen,
nämlich noch über das Firmament. Dies vorausgesetzt, untersuchen
wir nunmehr, Avelche Korrektionen bei seinen elf anderen Rechnungen
anzubringen sind, um den Stern bis in eine Höhe von 32 Erdhalb-
messem zu rücken.*^) Wir beghmen mit der ersten, welche auf den
Beobachtungen von Hainisel und 3Iaurolycus beruht. Hier findet der
Verfasser die Entfernung vom Centrum zu ungefähr 3 Halbmessern
bei einer Parallaxe von 4° 42' 30". Sehen wir nun, ob durch eine
Verkleinerung dieser letzteren auf blofs 20' der Stern bis zur Höhe
von 32 Erdhalbmessern sich entfernt. Hier habt Ihr die Rechnung,
kurz und gut: ich multipliziere den Sinus des Winkels BBC mit der
Sehne BD und teile das Ergebnis, nachdem ich die 5 letzten Ziffern
[327-329.]
Dritter Tag.
317
abgeschnitten habe, durch den Sinus der Parallaxe; es ergiebt sich
eine Entfernung von 28 1 Halbmessern. Der Stern rückt also nicht
Hainzel: Polböhe 48» 22' Sternhöhe 76» 34'
Maurolycus: „ 38» 30' „ 62»
30"
9» 52' 14» 34'
9» 52'
30"
Parallaxe . . 4» 42'
30"
Winkel BAD 9» 52' Sehne: 17200
J5 2)C 108» 21' 30"] «j. 94910
„ ACD 0« 20' J ^'""'= 582
94910
17200
18982000
66437
9491
28
582 16324(52000
4688
2
einmal durch eine Korrektion von 4^ 22' 30", die von 4'' 42' 30"
in Abzug gebracht worden ist, in eine Höhe von 32 Erdhalbmesseru.
Diese Korrektion beträgt — ich füge das für Sigiiore Simplicio bei —
262^ IMinuten.
Bei der zweiten Rechnung ^^), die sich auf die Beobachtungen von
Hainzel und Schiller stützt, ergiebt sich für die Entfernung des Sternes
bei einer Parallaxe von O'' 8' 30" ungefähr ein Betrag von 25 Erd-
halbmessern, wie aus der nachstehenden Rechnung hervorgeht. Ver-
BD Sehne: 6166
BDC\„.^ 97987
^^^ Sinus: 247
97987
6166
587922
587922
97987
587922
\ 24
247 I 6041(87842
1103
11
ringert man nun die Parallaxe von 0" 8' 30" auf 7', sodafs der Sinus
204 beträgt, so vergröfsert sich die Entfernung des Sternes auf etwa
30 Halbmesser; eine Korrektion von 1' 30" ist also nicht ausreichend.
I 29
204 1 6041(87841
1965
12
318
Dialog über die Weltsysteme.
[329. 330.]
Sehen wir nun, welcher Korrektion es für die dritte Untersuchung
bedarf ^^), welche sich auf die Beobachtungen von Hainzel und Tycho
stützt und eine Entfernung des Sternes von etwa 19 Halbmessern
liefert bei einer Parallaxe von 10'. Die gewöhnlichen Winkel, Sinus
und die Sehne, wie der Verfasser sie angiebt, sind die nachstehenden
und ergeben — in Übereinstimmung mit der Rechnung des Verfassers
■ — die Entfernung des Sternes zu etwa 19 Halbmessern. Um also
Winkel BAB 7" 36';
„ BDC 155" 52'
BGB 0" 10'
13254
40886
Sehne: 13254
Sinus: 40886
291
30
175 5419
16
79524
106032
106032
53016
18
291 5419(03044
2501
18
den Stern in gröfsere Höhe zu bringen, mufs man die Parallaxe ver-
ringern, der Regel gemäfs, die der Verfasser selbst bei der neunten
Untersuchung befolgt. Nehmen wir deswegen an, die Parallaxe be-
trage 6', deren Sinus gleich 175 ist; auch dann noch ergeben sich
nach Ausführung der Division weniger als 31 Halbmesser für die Ent-
fernung des Sternes.
Die Korrektion von 4' ist also für den Zweck des Autors noch
nicht ausreichend.
Wir behandeln die vierte'^) und die folgenden Rechnungen nach
denselben Regeln und mit Benutzung der vom Verfasser selbst ge-
brauchten Werte der Sehnen und der Sinus. Hier beträgt die Parallaxe
14' und die gefundene Entfernung weniger als 10 Halbmesser. Ver-
ringert man die Parallaxe von 14' auf 4', so steigert sich die Ent-
fernung jedenfalls noch nicht auf 31 Halbmesser, wie Ihr seht; mit-
BB
BBC
BCB
Sehne:
Sinus:
8142
43235
407
43235
8142
86470
172940
43235
345880
116
30
3520(19370
4
[330-332]
Dritter Ta^.
319
hin ist die Korrektion von 10' an einem Betrage von 14' noch nicht
genügend.
Bei der fünften Rechnung ^^) des Verfassers haben Sinus und
Sehne die nachstehend angegebenen Werte. Die Parallaxe beträgt
42' 30", wodurch der Stern eine Entfernung von etwa 4 Halbmessern
erhält. Verbessert man die Parallaxe, indem man sie von 42' 30"
auf 5' reduziert, so bewirkt dies nur eine Vergröfserung der Entfer-
nung bis zu noch nicht 2H Halbmessern, die Verbesserung um 37'
30'' ist also zu gering.
BD Sehne:
BDC Sinns:
BCD
4034
97998
1236
97998
4034
391992
293994
391992
27
145 3953(23932
1058
3
Bei der sechsten Rechnung '^'^) finden nachstehende Werte der
Sinus und der Parallaxe statt, und die Entfernung des Sterns ergiebt
sich zu 4 Halbmessern. Wir wollen sehen, welche Änderung bewirkt
wird, wenn man die Parallaxe von 8' auf eine einzige Minute herab-
drückt. Hier die Rechnung, welche nur eine Entfernung von etwa
27 Halbmessern für den Stern ergiebt; die Korrektion von 7' an einem
Betrage von 8' ist also noch nicht ausreichend.
BD
BDC
BCD 8'
Sehne:
Sinus:
1920
40248
233
40248
1920
804960
362232
40248
29
26
772(76160
198
1
Bei der achten Rechmmg^') sind Sehne, Sinus imd Parallaxe die
nachstehend verzeichneten. Daraus berechnet der Verfasser die Höhe
des Sternes zu 1^ Halbmessern bei einer Parallaxe von 43'; reduziert
man diese bis auf 1', so ergiebt sie gleichwohl eine Entfernung von
weniger als 24 Halbmessern, die Korrektion von 42' ist also nicht
genügend.
320
Dialog über die Weltsysteme.
[332. 333.]
BD
Sehne:
1804
36643
B D C
Sinus :
36643
1804
BCD
29
146572
293144
36643
22
29
661(03972
83
2
Betracliteu wir jetzt die neunte. Nachstehend die Sehne, die
Sinus und die Parallaxe, welch letztere 15' beträgt. Daraus berechnet
der Verfasser die Entfernung des Sternes von der Erdoberfläche auf
weniger als ein Achtundvierzigstel des Erdhalbmessers. Dies ist
jedoch ein Rechenfehler, denn in Wirklichkeit ergiebt sich, wie wir
gleich sehen werden, mehr als ein Fünftel. Ihr seht, es ergeben
sich ^^^^'ß, welches mehr als ein Fünftel ist.
BD
Sehne:
232
39046
BDC
Sinus:
39046
232
BCD
436
78092
117138
78092
436 [90(58072
Was sodann der Verfasser bei dieser Gelegenheit noch weiter in
Betreff der Korrektion der Beobachtungen bemerkt, es helfe nicht
einmal etwas, wenn man die Parallaxe bis auf eine, ja bis auf den
achten Teil einer Minute herabdrücke, so hat das seine Richtigkeit.
Aber ich erwidere, dafs nicht einmal durch Reduktion der Parallaxe
auf den zehnten Teil einer Minute der Stern in die Entfernung von
32 Halbmessern gerückt wird. Denn der Sinus des zehnten Teiles einer
Minute oder von 6" ist 3. Wenn wir daher bei unserem Verfahren
mit 3 in 90 dividieren oder, besser gesagt, mit 300 000 in 9058672,
so erhalten wir ^Of^j^Yi) ^- li- ein wenig mehr als 30-^ Halbmesser. ^^)
Die zehnte Rechnung ergiebt ein Fünftel des Erdhalbmessers als
Entfernung des Sternes bei folgenden Werten der Sehne, der Sinus
BD
BDC
BCD 4«
30'
Sehne :
Sinus:
1746
92050
7846
1746
92050
87300
3492
15714
58
27
1607(19300
441
4
[334. 335.]
Dritter Ta?.
321
und der Parallaxe. Letztere hat eine Gröfse von 4° 30' und versetzt
den Stern, selbst bei einer Reduktion bis auf 2' noch nicht in die
Entfernung von 29 Halbmessern.
Die elfte Untersuchung liefert dem Verfasser eine Entfernung von
13 Halbmessern bei einer Parallaxe von 55'; sehen wir, in welche Höhe
der Stern gelangt durch Reduktion der Parallaxe auf 20'. Die nach-
stehende Rechnung ergiebt in diesem Falle etwas weniger als 33 Halb-
messer, die Korrektion beträgt also etwas weniger als 35' auf 55'.
BD
BDC
BCD 0«
55'
Sehne
Sinus:
19748
96166
1600
96100
19748
769328
384664
673162
865494
96166
582
32
18990(86168
1536
36
Die zwölfte Rechnung-^) versetzt den Stern bei einer Parallaxe
von l*' 36' in eine Höhe von weniger als 7 Halbmessern. Vermindert
man den Wert der Parallaxe bis auf 20', so rückt der Stern in eine
Entfernung von weniger als 30 Halbmessern. Es genügt also eine
Korrektion von 1° 16' noch nicht.
BDC
Sehne :
17258
17258
BD
Sinus :
96150
96150
BCD 1«
36'
2792
862900
17258
103548
155322
28
582 16593(56700
4957
29
Aus umstehender Tabelle ersieht man, dafs, um den Stern in
eine Höhe von 32 Halbmessern zu bringen, die Summe 836 der
Parallaxen um 756 vermindert und auf 80 reduziert werden mufs*, ja
eine solche Korrektion genügt noch nicht einmal.
Hieraus ersieht man, wie ich hier notiert habe, dafs der Ver-
fasser den wahren Ort des neuen Stenies nur dami in eine Entfer-
nung von 32 Halbmessern versetzen kann, weiui er bei seineu übrigen
GAiiiLEi, Weltsysteme. 21
322 Dialog Über die Weltsysteme. [335. 336.;
Tabelle der Verbesserungen, welche an den Parallaxen der zehn
Rechnungen des Verfassers anzubringen sind, um den Stern in
eine Entfernung von 32 Halbmessern zu rücken.
0 ' " 0 ' "
A 22 30 an 4 42 30
4 , 10
10 „ 14
37 ,. 42 30
7 8
42 , 43
14 30 „ 15
4 28 ,4 30
35 „ 55
1 16 , 1 36
216 296 60
540 540 9
756 83G 540
zehn Untersuchungen — ich sage zehn^ weil wegen des grofsen Er-
gebnisses bei der zweiten dort nur eine Korrektion von zwei Minuten
nötig ist — einen Abzug im Betrage von mehr als 756' an den
Parallaxen zur Erzielung der Übereinstimmung sich anzubringen ent-
schliefst. Bei den fünf von mir berechneten Ergebnissen hingegen
genügt eine Korrektion von blofs 10^', um ihn an das Firmament zu
versetzen.
Nehmt nun noch fünf weitere Rechnungen hinzu, welche den
Stern genau ans Firmament versetzen, ohne dafs irgendwelche Korrek-
tion nötig wäre, so haben wir zehn übereinstimmende Ergebnisse, die
ihn bei einer Korrektion an fünfen derselben im Betrage von nur 10^'
ans Firmament versetzen, während es bei den zehn übrigen des Ver-
fassers, um ihn in eine Höhe von 32 Halbmessern zu bringen, einer
Korrektion von 756' auf 836' bedarf; d. h. man mufs von der Summe
836 einen Abzug von 756 machen, um den Stern bis in die Ent-
fernung von 32 Halbmessern zu bringen und diese Korrektion ist
noch nicht einmal genügend.
Die Rechnungen nun, welche unmittelbar ohne weitere Korrektion
keine Parallaxe für den Stern ergeben und ihn daher ans Firmament
und sogar in dessen weit entfernteste Teile versetzen, kurzum in die
Entfernung des Poles selbst, sind die fünf hier verzeichneten.
Peucer:
Landgraf:
Hainzel :
52«
51«
24'
54'
Sternhöhe 80»
79«
26'
56'
0"
30'
0»
30'
51 "
48«
18'
22'
56'
»>
79«
76«
2«
30'
34'
56'
[337. 338.] Dritter Taf,'. 323
Dritter Taf,'.
Tycho :
Peucer :
Polhöhe 55»
51»
58'
54'
Sternhöhe 84»
79»
56'
4»
4'
4»
4'
Reinhold :
Hainzel:
"
51»
48»
18'
22'
79»
76»
2 »
30'
34'
2»
56'
56'
Camerarius:
Hagek :
,,
52»
48»
24'
22'
24»
20»
17'
15'
Übrigens giebt es unter den möglicben paarweisen Verbindungen
sämtlicher verschiedener Beobachtungen eine Überzahl von etwa
30 Paaren, welche den Stern in unendlich weite Ferne versetzen gegen-
über solchen, welche rechnerisch verwendet ihn unter den Mond herab-
ziehen. Da nun unserer Übereinkunft gemäfs doch anzunehmen ist,
dafs die Beobachter eher wenig als viel geirrt haben, da es ferner
klar ist, dafs die Beobachtungen, welche den Stern in unendlich weite
Ferne versetzen, bei der Reduktion zunächst und unter Anwendung
geringerer Abänderungen ihn aus Firmament, nicht aber unter den Mond
herabziehen, so sprechen alle diese eher für die Meinung derer, die
ihn in die Sphäre der Fixsterne setzen. Hierzu nehmt noch, dafs die
Korrektionen zu diesem letzteren Behufe weit kleiner sind als die-
jenigen, durch welche der Stern aus einer unwahrscheinlichen Nähe
in eine für jenen Autor günstigere Entfernung versetzt werden kann,
wie aus den durchgenommenen Beispielen ersichtlich wird. Unter
diesen unmöglichen Ergebnissen befinden sieh dreie, welche die Ent-
fernung vom Erdmittelpunkt zu weniger als einem Halbmesser veran-
schlagen, ihn also gewissermafsen unter der Erde seine Drehung voll-
ziehen lassen; es sind das diejenigen Kombinationen, bei welchen die
Polhöhe des einen Beobachters gröfser ist als die des anderen, hin-
gegen die von jenem gefundene Sternhöhe kleiner als die des zweiten. ^^)
Solche Kombinationen sind die nachstehend verzeiclmeten. Die erste
ist die Kombination Landgraf-Genima] hier ist die Polhöhe des Land-
grafen im Betrage von 51" 18' gröfser als die Gemmas, welche 50° 50'
beträgt, die Sternhöhe des Landgrafen hingegen von 79" 30' ist kleiner
als die Gemmas, welche nur 79" 45' beträgt.
Landgraf: Polhöhe 51» 18'
yteruhöhe 79» 30'
Gemma „ 50» 50'
„
79» 45'
iden anderen sind diese:
Busch: Polhöhe 51» 10'
Sternhöhe
79» 20'
Gemma: „ 50» 50'
,,
79» 45'
Reinhold: „ 51» 18'
,,
79» 30'
Gemma: „ 50» 50'
"
79» 45'
21*
324 Dialog über die Weltsysteme. [338. 339.]
Aus dem bisher Gezeigten könnt Ihr entnehmen, wie ungünstig
diese erste Methode zur Bestimmung der Entfernung des Sternes und
zum Beweise seiner sublunarischen Natur für die Sache des Verfassers,
der sie anwendet, ausfällt und um wieviel wahrscheinlicher und evi-
denter sich daraus ergiebt, dafs er so weit entfernt wie die entlegen-
sten Fixsterne gestanden habe.
Simpl. Soweit scheint mir die geringe Beweiskraft der Schlüsse
des Autors sehr deutlich dargethan zu sein; allein, wie ich sehe, ist
alles das auf wenigen Blättern seines Buches abgethan, möglicherweise
wären doch seine anderen Gründe schlagender als diese ersten.
Salv. Sie können im Gegenteile nur noch bedeutungsloser sein,
wenn uns die besprochenen als Mafsstab für die übrigen dienen sollen.
Denn die Unsicherheit und geringe Beweiskraft von jenen schreibt sich
offenbar her von den Fehlern, die bei den Beobachtungen mittels der
Instrumente gemacht wurden; die Pol- und Sternhöhen, welche diese
ergaben, wurden für zuverlässig gehalten, während sie in Wirklichkeit
leicht sämtlich irrig sein mögen. Und doch haben die Astronomen,
um die Polhöhen zu bestimmen, Jahrhunderte in aller Mufse zur Ver-
fügung gehabt; die Höhen bei der Kulmination des Sternes femer,
welche sehr scharf hervortreten und wegen ihrer geringen Änderung
innerhalb einer kurzen Zeit dem Beobachter einigen Spielraum zur
Fortsetzung der Beobachtung gönnen, sind viel leichter zu beobachten,
während die Höhen aufserhalb des Meridians sich rascher ändern. Ist
dies so — und es ist zuverlässig so — wie wollen wir uns dann auf die
Rechnungen verlassen, die sich gründen auf zahlreichere und schwierigere
Beobachtungen von rascher veränderlichen Objekten und obendrein
unter Anwendung unbequemerer und fehlerhafterer Instrumente? Ich
habe einen flüchtigen Bück auf die folgenden Beweise geworfen; danach
beziehen sich die Rechnungen auf die Sternhöhen, die in verschiedenen
Vertikalkreisen oder, mit arabischem Ausdruck, in verschiedenen
Azimuten aufgenommen worden sind. Bei diesen Beobachtungen wen-
det man Instrumente an, die nicht nur in vertikalen Kreisen beweg-
lich sind, sondern gleichzeitig auch horizontal sich drehen lassen. Man
mufs also in demselben Augenblicke, wo man die Höhe aufnimmt, die
Entfernung des Vertikalkreises, in welchem der Stern sich befindet,
vom Meridian beobachtet haben. Überdies ist es erforderlich, diese
Operation nach geraumer Zeit zu wiederholen und über die inzwischen
verstrichene Zeit sich genau Rechenschaft zu geben, wobei man sich
entweder auf Uhren verlassen mufs oder auf andere Sternbeobachtungeu.
Einen solchen Haufen von Beobachtungen vergleicht der Verfasser nun
mit einem ähnlichen, der von einem anderen Beobachter, in einem
f
I
[339. 340.J Dritter Tag. 325
anderen Lande, mittels anderer Instrumente und zu anderer Zeit au-
gestellt worden ist; daraus sucht er dann zu ermitteln, welches die
Sternliölien und die horizontalen Abstände zur Zeit und Stunde jener
ersten Beobachtungen gewesen sind. Auf dieser Grundlage baut er
dann seine weitere Rechnung auf. Ich stelle es Euerem Urteil anheim,
ob den auf diesem Wege gewonnenen Ergebnissen Glauben zu schenken
ist. Gleichwohl zweifle ich nicht, dafs, wollte jemand sich mit diesen
entsetzlich weitläufigen Rechnungen abquälen, mehr Resultate zu Gunsten
der Gegner als zu Gunsten des Autors sich ergeben würden, ebenso
Avie dies bei den vorigen der Fall war. Ich glaube jedoch, es lohnt
sich nicht der Mühe, uns um einer Sache willen, die nicht unseren
Hauptgegenstand ausmacht, einer solchen Arbeit zu unterziehen.
Sagr. Hier bin ich Euerer Meinung; wenn aber andererseits diese
Frage soviel Unklares und Unsicheres hat, wenn sie durch Irrtümer
so verdunkelt ist, woraufhin haben so viele Astronomen zuversichtlich
und hartnäckig behauptet, der neue Stern habe eine ungemein grofse
Entfernung besessen?
Salv. Auf Grund von zweierlei höchst einfachen, leicht anzu-
stellenden und sicher richtigen Beobachtungen. Schon eine derselben
wäre mehr als genügend, um uns zu überzeugen, dafs er am Firma-
mente oder doch weit höher als der Mond gestanden hat. Die eine
Beobachtung ist die, dafs seine Entfernungen vom Pole in der oberen
und unteren Kulmination gleich oder doch sehr wenig verschieden
waren. Die andere bezieht sich darauf, dafs er beständig den näm-
lichen Abstand von einigen benachbarten Fixsternen beibehalten hat,
specieU vom 11**"^ Stern der Kassiopeja^^), der nur etwa 1^^ von ihm
entfernt stand. Aus diesen beiden Thatsachen ergiebt sich unzweifel-
haft entweder der absolute Mangel einer Parallaxe oder ein so gering-
fügiger Betrag derselben, dafs wir uns durch die einfachsten Rech-
nungen von seiner grofsen Entfernung von der Erde überzeugen
können.
Sagr. Aber hat denn der Verfasser diese Thatsachen nicht auch
gekannt und gewürdigt? und wenn er sie bemerkt hat, was hat er
dagegen zu erwidern?
Salv. Wemi jemand für seine Fehler und Irrtümer keine rechte
Ausrede weifs und zu den nichtssagendsten Entschuldigungen seine
Zuflucht nimmt, so pflegen wir zu sagen: er klammert sich au Taue,
die in der Luft schweben. Der Verfasser aber — Ihr werdet es deut-
lich erkeimen, wenn Ihr die beiden eben angedeuteten Umstände ins
Auge fafst — klammert sich gar an ein paar Spimiwebfäden. Was
nun erstens aus den einzelnen Polabständen der Beobachter sich eut-
326
Dialog über die Weltsysteme.
[340. 341.]
nehmen läfst, habe ich in den folgenden kurzen Rechnungen notiert.
Zum vollen Verständnis derselben mufs ich Euch zunächst darauf auf-
merksam machen^ dafs jedesmal, wo ein neuer Stern oder sonst eine
an der täglichen Drehung beteiligte
Himmelserscheinung in der Nähe der
Erde sich befindet, diese beim unte-
ren Durchgang durch den Meridian
weiter vom Pole abzustehen scheint
als beim oberen, wie aus der Figur
leicht hervorgeht. Hier bedeutet
Punkt T das Centrum der Erde, 0
den Ort des Beobachters, der Bogen
VPG das Firmament, P den Pol.
Wenn die fragliche Himmelserschei-
uung sich in dem Kreise FS bewegt,
so erblickt man sie bald unter dem
Pol in der Linie OFC, bald über demselben in der Linie OSD, sodafs
die scheinbaren Orter am Himmel D und C sind; die wahren hingegen,
bezogen auf den Erdmittelpunkt T, sind B und A und diese sind vom
Pole gleichweit entfernt; hieraus ist schon offenbar, dafs der schein-
bare Ort des Phänomens S, nämlich der Punkt D, dem Pole näher
liegt als der andere scheinbare C, welcher dem Strahle OFC ent-
spricht. Das ist das erste, was zu merken ist. Zweitens müfst
Ihr Euch merken, dafs die Differenz zwischen dem scheinbaren unteren
und dem scheinbaren oberen Polabstand gröfser ist als die untere
Parallaxe des Phänomens, d. h. der Überschufs des Bogens CP (des
scheinbaren unteren Abstandes über den Bogen PD (den scheinbaren
oberen Abstand) gröfser ist als der Bogen CA (die untere Parallaxe).
Der Beweis ist leicht: es übertrifft nämlich der Bogen CP den Bogen
PD um ein gröfseres Stück, als er den Bogen PB übertrifft, da
letzterer gröfser ist als PD. Nun ist aber PB gleich PA und der
Überschufs von CP über PA ist der Bogen CA:, also ist der Über-
schufs des Bogens CP über PD gröfser als CA, d. h. gröfser als die
Parallaxe der in F befindlichen Himmelserscheinung; was zu beweisen
Avar. — Um nmi dem Verfasser alle Vorteile einzuräumen, wollen wir
voraussetzen, die Parallaxe des in jP befindlichen Sternes sei gleich
dem ganzen Überschufs des Bogens CP (also des unteren Polabstandes)
über den Bogen PD (also den oberen Polabstand). Ich gehe jetzt
über zu der Prüfung dessen, was sich aus dem gesamten vom Autor
benutzten Beobachtimgsmaterial schliefsen läfst. Es befindet sich nicht
eme einzige Beobachtung darunter, welche nicht zu seinen Ungunsten
[341. 342.] Dritter Tag. 327
.spräche und nicht im Widerspruch mit seiner Behaujjtuug stünde.
Machen wir den Anfang mit den Beobachtungen von Busch'^^), Avelcher
den oberen Polabstand zu 2^^ 10', den unteren zu 28'' 30' fand. Der
Überschufs beträgt 20', den wir -^ zum Vorteil des Verfassers — in
seinem vollen Betrage als die Parallaxe des Sternes F betrachten
Avollen, d. h. als Gröfse des Winkels TFO] der Vertikalabstand, d. h.
der Bogen CV, beträgt dann 67' 20^*. Nachdem diese beiden Gröfsen
ermittelt sind, fälle man auf die Verlängerung der Linie CO das Lot
TJ. Wir betrachten das Dreieck TOJ, dessen Winkel bei J ein
rechter ist; der Winkel JOT ist bekannt, denn er ist der Scheitel-
winkel des Vertikalabstandes VOC des Sternes. In dem gleichfalls
rechtwinkligen Dreieck TJF ist der Winkel F gleich der gefimdenen
Parallaxe und somit bekannt. Man notiere also die Gröfse der beiden
AVinkel JOT und JFT und nehme die ihnen entsprechenden Sinus,
wie Ihr sie nachstehend verzeichnet seht. Li dem Dreieck JOT be-
trägt der Sinus TJ 92 276 solcher Teile, Avie deren der Sinustotus
100000 enthält-^); ebenso ist in dem Dreieck JFT der Sinus TJ so
grofs wie 582 solcher Teile, deren der Sinustotus TF 100000 ent-
hält. Um nun zu finden, wie viele solcher Teile TF enthält, wie
deren TO 100 000 enthält, sagen wir nach der Regula aurea: wenn
TJ gleich 582 ist, so ist TF gleich 100 000-, wemi aber TJ gleich
92 276, wie grofs würde TF sein? Wir multiplizieren 92 276 mit
100 000 und erhalten 9 227 600 000; dies ist dann durch 582 zu divi-
dieren, man erhält, wie Ihr seht 15 854 982. Soviel Teile werden dem-
nach in TF enthalten sein, wenn TO deren 100000 enthält; wollen
wir also wissen, Avievielmal gröfser Ti^als TO, so werden wir 15854982
durch 100 000 teilen und bekommen annähernd 158^. Um soviele
Erdhalbmesser Avird der Stern F vom Mittelpunkte der Erde entfernt
sein. Statt erst 92 276 mit 100 000, dann mit 582 zu multiplizieren
und nachher mit 100000 zu dividieren, können wir zur Abkürzung
die Multiplikation mit 100 000 sparen und blofs den Sinus 92 276
durch den Sinus 582 dividieren. Wir erhalten dann dasselbe Ergeb-
nis, wie Ihr nachstehend seht, wo 92 276 durch 582 dividiert eben-
falls etwa 158^ liefert. Behalten wir also im Gedächtnis, dafs die blofse
Division des Sinus TJ, betrachtet als Sinus des Winkels TOJ, durch
den Sinus TJ, betrachtet als Sinus des Winkels JFT, ims die ge-
suchte Entfernung ergiebt, ausgedrückt in Halbmessern TO.
328
Dialog über die Weltsysteme.
[342. 343.]
Winkel
JOT 62«
20'
Sinus
92276
15854982
JFT 0"
20'
582
582 1 9227600UOO
TJ
TF
TJ
TF
3407002246
582
100000
92276
*
49297867
325414
100000 1 158(54982
158
582 92276
34070
492
3
Seht minmelir, welclies Eesultat die Beobachtimgen Peiicers er-
geben; seine untere Poldistauz beträgt 28° 21', die obere 28*^ 2', die
Differenz 0** 19' und der Zenithabstand 66° 27'. Aus diesen Daten
ergiebt sieb die Entfernung des Sternes vom Centruni zu etwa 166 Halb-
messern.
Winkel JOT 66» 27'
Sinus:
91672
165i?i
„ JFT 0° 19'
553
553 91672
36397
312
4
Es folgen die Beobachtungen Tychos, von welchen wir die für
den Gegner günstigsten benutzen-''): als untere Poldistanz 28° 13', als
obere 28° 2', als Parallaxe die ganze Differenz im Betrag von 0° 11',
als Vertikalabstand Q2^ 15'. Nachstehend die Rechnung, welche die
Entfernung des Sternes vom Mittelpunkt zu 276y\ Halbmessern ergiebt.
Winkel JOT 62» 15'
Sinus.
88500
276-/L
„ JFT 0« 11'
"
320
320 88500
2418
21
Die nächste Beobachtung, diejenige Beinholds, ergiebt die Ent-
fernung des Sterns vom Mittelpunkt zu 793 Halbmessern.
Winkel JOT 66« 58'
Sinus: 92026
793A\
„ JFT 0» 4'
116
116 92026
10888
33
Aus der folgenden Beobachtung des Lanchjrafen berechnet sich
die Entfernung des Sternes vom Mittelpunkt zu 1057 Halbmessern.
Winkel JCr 66» 57'
Sinus: 92012
1 10571-3.
„ JFT 0» 3'
87
87 92012
5663
5
[344. 345.] Dritter Tag. 329
Wählt man von den Beobachtungen des Camerarius die zwei für
den Verfasser günstigsten aus, so ergiebt sich die Entfernung des
Sternes vom Mittelpunkt zu 3143 Halbmessern.
Winkel JOT 65" 43' Sinus: 91152 i 3143
„ JFT 0" 1' „ 29 29 191152
4295
1
Die Beobachtung von Mtmoz ergiebt keine Parallaxe und versetzt
daher den neuen Stern zu den weitest entfernten Fixsternen; die von
Hainzel ergiebt eine unendlich weite Entfernung, aber mittels einer
Korrektion von einer halben Minute gelangt man wieder zu einer Fix-
sternentfernung; dasselbe geschieht auch auf Grund der Beobachtungen
von Ursinus nach einer Korrektion von 12 Minuten. Von den übrigen
Astronomen liegen keine doppelten Beobachtungen der Polabstände
vor, sodafs sich aus ihnen nichts schliefsen läfst; Ihr seht, wie sämt-
liche Beobachtungen übereinstimmend zu Ungunsten des Verfassers den
Stern in die höchsten Himmelsregionen versetzen.
Sagr. Was entgegnet er nun zur Wahrung seines Standpunktes
auf so offen daliegende Widersprüche?
Salv- Das sind eben die Spinnwebfädeu, von denen ich sprach. Er
sagt, die Parallaxen würden durch die Refraktion scheinbar vermindert,
sodafs in umgekehrtem Verhältnis die Erscheinung in eine höhere
Region versetzt werde, während die richtigen Werte eine geringere Ent-
fernung im Gefolge hätten. ^^) Wieviel diese elende Ausflucht wert ist,
entnehmt aus der Thatsache, dafs die neuerdings von einigen Astronomen
eingeführte Gröfse der Refraktion höchstens eine scheinbare Erhebung
von 3' über den Horizont bei einem Phänomen verursachen kann,
welches ohnehin eine Höhe von 23 oder 24 Grad besitzt, dafs dem-
nach die Parallaxe höchstens um drei Minuten durch sie vermindert
werden kann. Diese Modifikation ist aber viel zu gering, um den
Stern bis unter den Mond herabzuziehen und ist in einigen Fällen
sogar weniger als der Vorteil, den wir dem Gegner dadurch einräum-
ten, dafs wir die ganze Differenz zwischen dem miteren und oberen
Polabstand als Parallaxe ansahen. Dieser Vorteil ist etwas viel
Klareres und Greifbareres als die Wirkung der Refraktion, über deren
Gröfse ich meine Bedenken hege und zwar nicht ohne Grund. Aber
noch mehr, ich frage den Verfasser, ob nach seiner Ansicht die Astro-
nomen, deren Beobachtungen er benutzt, Kenntnis von der Thatsache
der Refraktion besafsen und sie in Betracht zogen, oder nicht. War
sie ihnen bekannt und fand sie Berücksichtigung, so ist doch anzu-
330 Dialog über die Weltsysteme. [345. 346.]
nehmen, dafs sie dieselbe in Rechnung zogen und als wahre Stem-
höhe erst den Betrag bezeichneten, welcher nach den wegen der Re-
fraktion notwendigen Abzügen an den durch unmittelbare Beobachtung
gefundenen Werten sich ergab. Die von ihnen bekannt gegebenen
Distanzen werden also die korrigierten, richtigen gewesen sein und
nicht die scheinbaren und falschen. Glaubt er aber, besagte Schrift-
steller hätten die genannten Refraktionen nicht in Betracht gezogen,
so mufs er zugeben, dafs sie alle diejenigen Gröfsen, welche nur bei
Berücksichtigung der Refraktion sich genau ermitteln lassen, falsch
bestimmt haben müssen. Dahin gehört aber auch die Ermittlung
der Polhöhen, welche in der Regel durch Aufnahme der beiden Kul-
minationshöhen eines nicht untergehenden Sternes bestimmt werden;
diese Höhen werden durch die Strahlenbrechung genau in derselben
Weise abgeändert, wie die des neuen Sternes, sodafs die auf diese
Weise ausgeführte Bestimmung der Polhöhe ebenfalls fehlerhaft aus-
fällt und zwar an demselben Fehler leiden wird, welchen der Verfasser
au der Bestimm img der Sternhöhen rügt: sie werden beide mit dem
gleichen Fehler höher geschätzt, als sie in Wirklichkeit sind. Was
nun aber die vorliegende Frage angeht, so thut hier ein derartiger
Irrtum nichts zur Sache. Da wir nämlich nur den Unterschied zwischen
den beiden Polabständen des neuen Sternes zu wissen brauchen in den
beiden Zeitpunkten des oberen und imteren Meridiandurchgangs, so
werden augenscheinlich diese beiden Entfernungen dieselben sein, ob
nun Pol- und Sternhöhe durch die Refraktion mit einem Fehler be-
haftet sein mögen, oder ob beide um den Betrag der Refraktion korri-
giert sind. Das Argument des Verfassers wäre nur dami einigermafsen
von Belang, wiewohl in sehr geringem Mafse, wenn er uns versichert
hätte, dafs die Polhöhe genau und um den Betrag der Refraktion
korrigiert angegeben wäre, während bei Angabe der Höhen des neuen
Sternes die Astronomen vor dem gleichen Fehler sich nicht gehütet
hätten. Er hat uns das aber nicht versichert und konnte es wahr-
scheinlich nicht thun und am allerwahrscheinlichsten ist diese Vorsicht
von den Beobachtern aufser Acht gelassen worden.
Sagr. Ich halte diesen Einwand für mehr als zur Genüge Avider-
legt. Sagt mir deswegen, wie er sich mit der Thatsache abfindet, dafs
der neue Stem stets seine Entfernimg von den benachbarten Fixsternen
beibehielt.
Salv. Es sind zwei noch dünnere Fäden, an die er sich hier
klammert. Einmal hält er sich auch hier wieder an die Refraktion,
aber mit noch viel weniger Grund: er sagi nämlich nur, die Refrak-
tion, weil sie die wahre Lage des neuen Sternes verändere und zwar
[346. 347.] Dritter Tag. 331
höher erscheinen lasse, bewirke, dafs die Entfernungen de.sselbeu von
den benachbarten Fixsternen anders erschienen, als sie in WirkKch-
keit seien und daher sich nicht sicher feststellen liefseu. Ich kann
mich nicht genug über dies sein Gebahren wundern; er thut, als be-
merke er nicht, dafs die nämliche Refraktion in derselben Weise auf
den neuen Stern wie auf seinen alten Nachbarn wirkt, dafs sie beide
um den gleichen Betrag höher erscheinen läfst und demnach an dem
Intervalle zwischen beiden nichts ändert. — Die andere Ausflucht ist
noch unglücklicher und streift stark ans Lächerliche. Sie gründet
sich auf einen Irrtum, der angebHch bei dem Gebrauche des Instru-
ments entstehen kann.^*') Da nämlich der Beobachter nicht imstande
ist den Mittelpunkt der Pupille des Auges in deu Mittelpunkt de.s
Sextanten zu bringen — dieses Instrumentes bedient man sich näm-
lich, um die Entfernung zweier Sterne zu bestimmen — sondern da
er gezwimgeu ist, das Auge oberhalb jenes Mittelpunkts zu halten und
zwar um die Entfernung der Pupille von einem gewissen Backen-
knochen, an welchen der Kopf des Instrumentes angelegt wird, so ist
der Winkel, dessen Scheitel am Auge liegt, spitzer als der von den
Seiten des Sextanten gebildete. Der Winkel der beiden Gesichtslinien
ist auch dann nicht immer derselbe, wenn man zuerst zwei nur wenig
über dem Horizont stehende Sterne betrachtet und später diese näm-
lichen Sterne in gröfserer Höhe. Der Winkel ändere sich, meint er,
wenn man das Instrument hebe und dabei den Kopf festhalte-, sobald
man hingegen beim Heben des Sextanten den Hals rückwärts biege
und den Kopf zugleich mit dem lustrument bewege, werde der Winkel
dieselbe Gröfse beibehalten. Der Einwand des Verfassers beruht also
auf der Annahme, dafs die Beobachter beim Gebrauch des Instrumentes
den Kopf unrichtig bewegt haben, was nicht sehr Avahrscheinlich ist.
Aber angenommen auch, dem wäre so gewesen, so stelle ich Euerem
Urteile anheim, wie grofs der Unterschied der Winkel an den Spitzen
zweier gleichschenkligen Dreiecke ist, wenn die beiden Schenkel des
einen 4 Ellen lang sind und die des anderen 4 Ellen weniger dem
Durchmesser eines Linseukornes; denn gröfser kann unmöglich der
Unterschied zwischen den beiden Gesichtslinien sein, wenn die Linie
zuerst senkrecht vom Pupilleumittelpunkt auf die Ebene der Sextanten-
schenkel gefallt ist — die Länge dieser Linie ist höchstens von Daumen-
dicke — und zwischen der Länge derselben Gesichtslinien, wenn jene
Linie durch das Heben des Sextanten ohne gleichzeitiges Heben des
Kopfes nicht mehr senkrecht auf dieser Ebene steht, sondern nach
dem Umfange zu in einem spitzen Winkel zu ihr geneigt ist. Um
indessen ein für allemal dem Verfasser diese verunglückten, armseligen
332 Dialog über die Weltsysteme. [347. 348.]
Ausflüclite abzuschneiden, mag er erfahren — denn offenbar hat er
nicht viel Übung im Gebrauch der astronomischen Instrumente —
dafs an den Schenkehi des Sextanten oder Quadranten zwei Visier-
öffnungen angebracht sind, eine im Centrum, die andere an dem ent-
gegengesetzten Ende, welche einen Zoll und mehr über die Schenkel-
ebene hervorstehen. Durch die oberen Enden dieser Visieröffnungen
geht nun die Gesichtslinie hindurch und man hält das Auge ein bis
zwei Spannen und darüber vom Instrumente entfernt. Weder Pupille,
noch Backenknochen, noch sonst ein Körperteil berührt das Instru-
ment oder stützt sich darauf. Auch hält oder hebt man dasselbe
nicht mit dem Arme, namentlich wenn es eines von den üblichen
grofsen Instrumenten ist, welche zehn, hundert, ja tausende von Pfunden
wiegen und auf einem höchst soliden Untergestelle ruhen. So fällt
demnach der ganze Einwand in nichts zusammen. Dies sind die Aus-
reden des Verfassers. Wären sie selbst unwiderleglich, so würden
sie ihm noch nicht den hundertsten Teil einer Minute einbringen, und
doch glaubt er uns einreden zu können, dafs er damit jene Differenz
von mehr als 100 Minuten auszugleichen imstande sei. Es hat sich
nämlich keine merkliche Verschiedenheit in den Abständen des neuen
Sternes von irgend einem Fixsterne während ihres ganzen täglichen
Umlaufes nachweisen lassen; hätte jener aber etwa in Mondweite ge-
standen, so hätte auch das unbeAvaffnete Auge deutlich eine solche
wahrgenommen, namentlich im Vergleich zu dem nur 1^ Grad ent-
fernten 11*^" Sterne der Kassiopeja. Der Abstand von diesem hätte
sich um mehr als zwei Mondbreiten ändern müssen, wie die intelli-
genteren Astronomen jener Zeit sehr wohl bemerkten.
Sagr. Ich meine einen unglücklichen Landmami zu sehen, dessen
erhoff'te Ernte vom Unwetter zu Boden geworfen und zerstört ist:
betrübten Antlitzes und niedergeschlagen scharrt er die kärglichen
Überbleibsel zusammen, von denen er keinem Floh nur einen Tag lang
seinen Hunger stillen könnte.
Salv. Wahrlich, der Verfasser ist mit zu schwacher Rüstung
gegen die Feinde ausgezogen, welche die Unveränderlichkeit des Himmels
bekämpfen; die Ketten, mit denen er versucht hat, den neuen Stern
der Kassiopeja aus den entferntesten Himmelsräumen in tiefere ele-
mentare Regionen herabzuziehen, sind gerissen. Da nun meines Be-
dünkens klar genug der gewaltige Unterschied zwischen der Stich-
haltigkeit der Argumente bei den Astronomen und bei ihrem Gegner
nachgewiesen worden ist, wird es gut sein diesen Gegenstand fallen
zu lassen und uns zu unserem Hauptgegenstande zu wenden. Wir
haben uns an die Betrachtung der jährlichen Bewegung zu macheu,
[348. 349.] Dritter Tag. 333
welche gewöhnlich der Sonne beigelegt wird^ welche aber zuerst von
Aristarch aus Samos, später von Koperuikus der Sonne abgesprochen
und der Erde zuerkannt worden ist. Ich sehe Signore Simplicio gegen
diese Lehre wohlgerüstet in die Schranken • treten^ vor allem mit dem
Schwert und Schilde des „Thesen1)üchleins" oder der „mathematischen
Untersuchungen". Es wird zweckmäfsigerweise mit den Gegengründen
dieses Büchleins zu beginnen sein.
Simpl. Ich möchte, wenn es Euch recht ist, diese bis zuletzt
aufsparen, wie sie ja auch zuletzt entdeckt worden sind.
Salv. Dann müfst Ihr also, der bisher eingehaltenen Ordnung
entsprechend, der Reihe nach sowohl die Gegengründe des Aristoteles
als die der anderen alten Schriftsteller vorbringen. Ich will das Näm-
liche thun, damit nichts zurückbleibt, das nicht aufmerksam erwogen
und geprüft worden wäre. Ebenso wird Signore Sagredo mit der ihm
eigenen Lebhaftigkeit des Geistes seine Gedanken vorbringen, wie sie
ihm im Laufe des Gesprächs wachgerufen werden.
Sagr. Ich werde es mit meinem gewöhnlichen Freimute thun;
da Ihr selbst so befehlt, werdet Ihr ihn auch entschuldigen müssen.
Salv. Wir werden Euch für Euere Gunst zu danken und nicht
Euch zu entschuldigen haben. Doch begimit nun, Signore Simplicio,
die Bedenken aufzuzählen, die Euch daran hindern zu glauben, dafs
die Erde in derselben Weise wie die anderen Planeten sich um einen
feststehenden Mittelpunkt drehen kann.
Simpl, Die erste und gröfste Schwierigkeit ist der unverträg-
liche Widerspruch, der zwischen einer centralen und einer nicht cen-
tralen Stellimg besteht. Wenn nämlich die Erde sich im Laufe eines
Jahres längs der Peripherie eines Kreises, nämlich unter dem Tier-
kreise hin, bewegt, so kann sie sich unmöglich im Mittelpimkte des
Tierkreises befinden. Dafs die Erde aber in besagtem Mittelpunkte steht,
ist auf vielfache Weise von Aristoteles, Ptolemäus und anderen bewiesen.
Salv. Ihr schliefst ganz richtig-, unzweifelhaft mufs man, um der
Erde eine Bewegung längs der Peripherie eines Ej*eises beilegen zu
dürfen, erst beweisen, dafs sie nicht im Centrum dieses Kreises stehe.
Demnach haben Avir nun zu prüfen, ob die Erde in jenem Mittelpunkte
sich befinde oder nicht; ich behaupte, dafs sie sich um diesen dreht,
Ihr, dafs sie in ihm feststehe. Vorher aber müssen wir uns darüber
klar werden, ob Ihr unter öfters genanntem Mittelpunkte das Nämliche
versteht wie ich, oder nicht. Darum sagt mir, wie beschaffen und wo
befindlich der von Euch gemeinte Mittelpunkt ist.
Simpl. Ich verstehe unter Mittelpunkt den Mittelpunkt des Uni-
versums, der Welt, der Fixsternsphäre, des Himmels.
334 Dialog über die Weltsysteme. [349. 350.]
Salv. Ich könnte mit gutem Grunde hier die Streitfrage auf-
werfen, ob ein solcher Mittelpunkt in der Natur überhaupt vorhanden
ist-, denn weder Ihr noch sonst jemand hat je bewiesen, dafs die Welt
endlich und von bestimmter Gestalt sei und nicht etwa unendlich und
Die Frage, ob uubegreuzt. ^^) Ich gestchc Euch jedoch vorläufig zu, dafs sie endlich
oder uuendiich uud vou einer Kugclfläche begrenzt sei, und dafs sie mithin einen
voi niemand Mittelpunkt besitzc; wir werden dann zu prüfen haben, ob es wahr-
*"' ^'''den^°'^"%cheinlicher sei, dafs die Erde und nicht vielmehr ein anderer Körper
sich in diesem Mittelpunkte befinde.
Simpl. Dafs die Welt endlich, begrenzt und kugelförmig sei, be-
weist Aristoteles hundertfach.
Salv. Alle diese Beweise aber sind im Grunde nur einer und
dieser eine keiner; denn wenn ich ihm seine Grundannahme in Abrede
Die aristoteii- stellc, uämlich die Bewegung des Universums, so werden alle seine
für d^El^diich- Beweise hinfällig, da die Endlichkeit und Begrenztheit des Weltalls
aiis sind 3ämt- uur auf Gruud dieser seiner Bewegung dargethan wird. Um aber die
sobaid"man"' Zahl der streitigen Fragen nicht zu vermehren, so sei einstweilen die
guug7n AbredeEndlichkeit und Kugelgestalt, und somit das Vorhandensein eines
Mittelpunktes zugegeben. Da nun diese Gestalt mid die Existenz eines
Centrums aus der Beweglichkeit geschlossen worden ist, so wird es
nur gerechtfertigt sein, eben diese Kreisbewegungen der Weltkörper
zum Ausgangspunkt für die besondere Untersuchung über die eigent-
liche Lage jenes Mittelpunktes zu machen. Hat doch Aristoteles selbst
Aristoteles auf dieselbe Weise seine Erwägungen mid Ermittelungen vorgenommen:
gen'^Punkt''zuL er machtc nämlich zum Centrum des Weltalls eben jenen Punkt, um
Weltalls, um wclchcn alle Himmelssphären kreisen und in welchem seiner An-
^"^ Himmels-'' "sicht uach dcr Erdball steht. Nun sagt mir, Signore Simplicio: wenn
spiaren re '^'^^j,jg^Q^g][gg durch die augenschcinlichsten Erfahrungen sich genötigt
Es wird die sähc zum Teil diesen Bau, diese Ordnung des Weltalls abzuändern
werfen, ^efche und zuzugcbcu, cr habe sich in einer seiner beiden Behauptungen ge-
^L^hrT'^wid^er-^'^täuscht, wclchcs Zugestäuduis würde er lieber machen? dafs er sich
^''haupumgen ''täuschte, indem er die Erde in den Mittelpunkt versetzte oder indem
geben Vürde, cr die Himmclssphärcn um besagten Mittelpunkt sich drehen liefs?
genötigt sähe Simpl. Ich glaubc, wenn dieser Fall einträte, würden die Peri-
eine der beiden , i -i
anzuerkennen. patCtlKCr . . .
Salv. Ich frage nicht, was die Peripatetiker, ich frage, was Aristo-
teles thun würde; denn was jene betrifft, so weifs ich sehr wohl, was
sie antworten würden. Sie würden als ehrfurchtsvolle und demütige
Lakaien des Aristoteles alle Versuche und Beobachtungen der Welt
abläugnen, ja sich weigern dieselben mit anzusehen, um nicht ihre
Richtigkeit bestätigen zu müssen.^-) Sie würden sagen, die Welt sei,
[350. .351.] Dritter Tag. 335
wie Aristoteles geschriebeu hat vmd nicht wie die Natur es will;
denn wäre ihnen die Stütze dieser Autorität entzogen, womit sollten
sie auch zu Felde ziehen? Deswegen sagt mir nur, was Eueres Be-
dünkens Aristoteles selbst thun würde.
Simpl. Wahrlich, ich wüfste mich nicht zu entscheiden, welches
von beiden Übeln Aristoteles für das geringere halten würde.
Salv. Ich bitte Euch, nennt nicht das ein Übel, was sich als
Notwendigkeit herausstellen dürfte; vom Übel war es, die Erde zum
Mittelpunkt der Drehungen der Himmelskörper zu machen. Doch da
Ihr nicht wifst, nach welcher Seite er sich neigen würde, und da ich
ihn für einen Mann von gewaltigem Geiste halte, so wollen wir prüfen,
welche Wahl die vernünftigste ist und diese dann als die von Aristo-
teles bevorzugte ansehen. Nehmen wir also unsere Betrachtungen wieder
von vorne auf und setzen dem i^ristoteles zu liebe voraus, dafs die
Welt, von deren Gröfse wir über die Fixsterne hinaus keine sinnliche
Kenntnis besitzen, Kugelgestalt habe, sich im Kreise bewege und daher
notwendig um ihrer Gestalt und ihrer Bewegung willen einen Mittel-
punkt besitze. Da wir überdies mit Sicherheit wissen, dafs innerhalb
der Sternensphäre viele andere Sphären, eine innerhalb der anderen,
nebst den zugehörigen gleichfalls kreisförmig bewegten Sternen ent-
halten sind, so fragt es sich, welche Meinung vernünftiger sei: soll
man annehmen, dafs diese inneren Sphären sich gleichfalls um den
Weltmittelpunkt drehen oder um einen anderen weit davon entfernten
Mittelpunkt? Sagt mir, wie Ihr über diesen Punkt denkt, Signore
Simplicio.
Simpl. Wenn wir bei dieser einen Annahme stehen bleiben ^^ j^^ ^
könnten in der Gewifsheit auf keinerlei Widerspruch zu stofsen, so ™chiie°sendM
würde ich es für viel vernünftiger erachten, die umschliefsendeu und^gg^gV"^^^J'J°^^g^;
umschlossenen Teile alle um denselben Mittelpunkt sich bewegen zu^^^^^^^'^'^j.g^g^^^^^^^
lassen als um verschiedene. verTchiedeno""
Salv. Wenn nun wirklich der Weltmittelpunkt identisch mit demwunuderMittei-
Mittelpunkt sein soll, um welchen die Weltkörper, nämlich die Plane- ^"ientiBch mit
ten, kreisen, so ist es ausgemacht, dafs nicht die Erde, sondern viel- tenbewegiu^^geii
mehr die Sonne im Mittelpunkte der Welt steht. Dieser ersten, ein- ih,;/die sonnr
fachen und allgemeinen Überlegung zufolge gebührt also der Sonne die "" Erde*
Stellung in der Mitte, die Erde aber ist soweit von ihm entfernt, als
sie von der Sonne entfernt ist.
Simpl. Woraus schliefst Ihr aber, dafs nicht die Erde, sondern
die Sonne das Centrum der Planetendrehungen ist?
Salv. Es ergiebt sich dies aus ganz augenscheinlichen und darum
durchaus beweisenden Beobachtungen. Die, welche am handgreiflich-
336 Dialog über die Weltsysteme. [351. 352.]
sten dartliut, dafs die Erde jenem Mittelpunkte entrückt ist, die Sonne
aber in demselben steht, ist die Tbatsache, dafs sieb alle Planeten
bald näher, bald weiter entfernt von der Erde befinden und zwar sind
BeobacbtuDgeu, die Unterschiede sehr bedeutend. Venus z. B. ist in ihrer gröfsten
schiiefseniassen.Feme sechsmal so weit von ims entfernt, als wenn sie in nächste Nähe
und nicht die rückt; Mars steht in dem einen Falle achtmal so hoch als in dem
punkt der Him-anderen. Ihr seht gleichzeitig, wie Aristoteles sich ein bifschen täuschte,
stehe. wenn er ihre Entfernung von uns stets für gleich hielt.
Simpl. Welche Anzeichen sprechen aber dafür, dafs die Be-
wegungen der Planeten um die Sonne stattfinden?
Salv. Bei den drei oberen Planeten Mars, Jupiter und Saturn
geht dies daraus hervor, dafs sie immer in gröfster Erdnähe sich be-
finden, wenn sie in Opposition mit der Sonne sind, und in gröfster
Erdferne, wenn sie mit ihr in Konjunktion sind. Diese Annäherung
und Entfernung ist dermafsen bedeutend, dafs Mars in Erdnähe an
Die Phasenände-sechszigmal gröfscr erscheint als in Erdferne. Bei Venus und Merkur
beweist ihre Be-crgiebt sich die Drehung um die Sonne daraus, dafs sie sich niemals
^"^^Tonne" ^^wcit von dicscr entfernen und dafs sie bald vor, bald hinter ihr stehen,
wie aus der Phasenänderung der Venus mit Notwendigkeit hervorgeht.
Der Mond läfst Was den Mond betrifi't, so steht aus den weiterhin näher zu ent-
'^der^Erde^'^'^ wickelnden Grründen allerdings fest, dafs er sich in keiner Weise von
der Erde trennen läfst.
Sagr. Ich bin darauf gefafst, dafs die mit der jährlichen Be-
wegimg der Erde zusammenhängenden Dinge noch merkwürdiger sind
als die mit der täglichen Umdrehung zusammenhängenden.
Salv. Darin täuscht Ihr Euch nicht; denn infolge der täglichen
Bewegung machte sich an den Himmelskörpern keine andere Erschei-
nung bemerkbar und konnte sich keine andere bemerkbar machen, als
Die jährliche dafs das Weltall scheinbar mit ungeheuerer Geschwindigkeit sich in
Erde ^'^'verehi entgegengesetzter Richtung bewegte. Diese jährliche Bewegung hin-
guDgenderande-gegen bringt im Verein mit den besonderen Bewegungen sämtlicher
bringt sonder- Planeten eine ganze Menge sonderbarer Erscheinungen hervor, an
nimgen hervor, denen bis jctzt der Scharfsinn der bedeutendsten Männer aller Zeiten
noch immer gescheitert ist. Ich kehre jedoch zu unseren ersten all-
gemeinen Erwägungen zurück und wiederhole, dafs der Mittelpunkt
der am Himmel beschriebeneu Bahnen bei den fünf Planeten Saturn,
Jupiter, Mars, Venus und Merkur die Sonne ist; desgleichen wird sie
sich als Mittelpunkt der Erdbewegung erweisen, wenn es gelingt auch
die Erde an den Himmel zu verlegen. Was endlich den Mond be-
trifft, so bewegt sich dieser in einem Kreis um die Erde, von welcher
er sich, wie gesagt, in keiner Weise trennen läfst; darum dreht er
[352. 353.] Dritter Tag. 337
sich aber nicht minder um die Sonne, indem er die Erde bei ihrer
jährlichen Bewegung begleitet.
Simpl. Mir ist dieser Bau noch nicht recht verständlich; viel-
leicht macht eine kleine Zeichnung die Sache klarer, sodafs man sich
leichter darüber auseinandersetzen kann.
Salv. So sei es; ja zu Euerer um so gröfseren Genugthnung und
Verwunderung möchte ich, dafs Ihr selbst diesen Bau zeichnet und
sehet, wie gut Ihr ihn versteht, wiewohl Ihr glaubt, Ihr verstündet
ihn nicht. Ihr sollt den Entwurf Punkt für Punkt blofs an der Hand
der Antworten auf meine Fragen anfertigen. Nehmt also ein Blatt
und einen Zirkel. Dieses weifse Papier sei die unermefsliche Aus-
dehnung des Weltalls, innerhalb deren Ihr seine Teile anordnen und
zu einander stellen mögt, wie die Vernunft es Euch vorschreiben wird. Entwurf des
Zunächst, da Ihr ohne meine besondere Belehrung die Erde für in Grund der Er-
diesem Weltall befindlich haltet, nehmt nach Euerem Gutdünken einen
Punkt an, um den herum Ihr sie Euch gelegen denkt und bezeichnet
diesen mit irgend einem Buchstaben.
Simpl. Hier der Punkt Ä sei der Ort des Erdballs.
Salv. Sehr wohl. Zweitens ist Euch, wie ich weifs, sehr wohl
bekannt, dafs die Erde nicht innerhalb des Sonnenkörpers sich befindet,
auch diesen nicht berührt, sondern durch einen gewissen Zwischen-
raum davon getrennt ist. Gebt also der Sonne nach Euerem Gut-
dünken irgendwelchen anderen Platz und bezeichnet auch diesen.
Simpl. Ist geschehen; der Ort des Sonnenkörpers sei .0.
Salv. Nach Festlegung dieser beiden Weltkörper wollen wir uns
überlegen, wie der Ball der Venus unterzubringen ist, sodafs ihre
Stellung und Bahn sich mit dem in Übereinstimmung bringen läfst,
was die sinnlichen Erscheinungen uns lehren. Ruft Euch also ins
Gedächtnis zurück, welche auf diesen Stern bezügliche Vorgänge Euch
bekannt sind, sei es aus unseren bisherigen Gesprächen, sei es aus
eigenen Beobachtungen, und weist ihm sodann die Stellung an, die
Euch für ihn passend erscheint.
Simpl. Angenommen, dals die von Euch erwähnten Erscheinungen
thatsächlich richtig sind, die ich übrigens auch in dem „Thesenbüch-
lein" angeführt gesehen habe, so entfernt sich genannter Stern von
der Sonne niemals weiter als um etliche 40 Grade, kaim also niemals venus am
mit ihr in Opposition, auch nicht in Quadratur, ja nicht einmal im <«» zeit der"
Sexterschein ^^) sich befinden; weiter zeigt sich Venus zu einer Zeit ki.nnsteu gegen
40mal gr()fser als zu anderer, am gröfsten nämlich, wenn sie rück- morgendlichen
läufig in die abendliche Konjmiktion mit der Somie sich begiebt, am
kleinsten, wenn sie reelitläiitig inimiitclhar vor der morgendlichen
Galilei, Weltsysteme. 22
338
Dialog über die Weltsysteme.
[353]
Konjunktion steht. Wenn es ferner richtig ist, dafs sie zur Zeit, wo
sie am gröfsten erscheint, sichelförmig aussieht, zur Zeit hingegen,
wo sie am kleinsten erscheint, vollkommen rund ist, wenn alle diese
Thatsachen richtig sind, sage ich, so kann man nicht umhin zu be-
haupten, dafs genannter Stern sich in einem Kreise um die Sonne be-
wegt. Denn besagter Kreis kami unmöglich die Erde umfassen und
Zwingender Be-in sich schliefscu, noch auch imterhalb der Somie, d. h. zwischen ihr
weis dafür, dafs iiiiii-<
Venus sich um nnd dcr Erde, noch auch oberhalb der Sonne liegen: er kann die
die Sone dreht . . _ i • -i • /~v
Erde nicht umfassen, weil sonst Venus bisweilen m Opposition zur
Sonne käme; er kann nicht imterhalb der Sonne gelegen sein, weil
sonst bei beiden Konjunktionen Venus sichelförmig erscheinen müfste;
er kann endlich nicht oberhalb der Sonne gelegen sein, sonst würde
[353. 354.] Diitter Tag. 339
sie stet.s rund und niemals gehörnt erscheinen. Ich werde demnach
als ihr Bereich den Kreis CH um die Sonne so zeichnen, dafs er
die Erde nicht umfafst.
Salv. Nachdem Venus untergebracht ist, müfst Ihr an Merkur
denken. Dieser bleibt, wie Ihr wifst, stets in nächster Nähe bei der
»Sonne und entfernt sich von ihr noch weniger als Venus. Überlegt
also, welcher Ort ihm zuzuweisen ist.
Simpl. Unzweifelhaft ist für ihn, der dasselbe Verhalten wie Venus Beweis dafür,
-r» • 1 1 • T^ • T ci dafs die Drehimg
zeigt, der angemessenste Raum ein kleinerer Kreis um die Sonne des Merkur um
innerhalb der Bahn der Venus, namentlich da seine Nähe bei der ^aib der Bahn
Sonne bewiesen und aufs deutlichste sichtbar gemacht wird durch die folgt.
Lebhaftigkeit seines Glanzes, welcher den der Venus und der übrigen
Planeten an Stärke übertrifft. Wir können auf dieser Grundlage seinen
Kreis bestimmen und wollen ihn mit den Buchstaben BG bezeichnen.
Salv. Wo werden wir ferner Mars unterbringen?
Simpl. Da Mars in Opposition zur Somie gelangt, so mufs seine
Bahn notwendig die Erde umschliefsen: ich sehe indessen ein, dafs sie Mars umfafst
^ _ _ _ notwendig mit
auch die Sorme umfassen mufs: denn ginge er bei der Koniunktiou seiner «ahn so-
^ .'^ -^ wohl die Erde
mit der Sonne nicht hinter, sondern vor ihr vorüber, so würde er so ais die sonne.
gut wie die Venus und der Mond sichelförmig erscheinen müssen; da
er sich aber immer rund zeigt, so mufs er notwendig rait seiner Bahn
nicht nur die Erde sondern auch die Sonne umfassen. Nun erinnere
ich mich daran, dafs Ihr sagtet, er scheine in Opposition mit der Mars zeigt sich
' . . ^ . . . zur Zeit der
Sonne 60mal gröfser zu sein als zur Zeit der Koniunktion: diesen Er- Opposition
. . , J 7 GOmal so grofs
scheinungen wird meiner Ansicht nach aufs beste Rechnung getragen, »is zur zeit der
f . . . . ^ . Konjunktion.
wenn wir Mars einen Kreis anweisen, dessen Centrum die Sonne ist
und der die Erde umschliefst. Ich zeichne hiermit einen solchen und
nenne ihn DI-^ im Punkte D steht Mars der Erde am nächsten und
befindet sich in Opposition zur Sonne; weilt er hingegen im Punkte
I, so ist er in Konjunktion mit der Sonne, aber in gröfster Ent-
fernung von der Erde. Da mm die gleichen Erscheinungen bei Jui>iter
und Saturn eintreten, wiewohl die Verschiedenheit in der scheinbaren Jupiter und
Saturn um-
Gröfse von Jupiter geringer ist als bei Mars, und bei Saturn nochscbuefsengieich-
. . ^ . . ' . . falls Erde und
geringer als bei Jupiter, so glaube ich einzusehen, dafs wir am schick- sonue.
liebsten auch diesen Planeten zwei um die Sonne laufende Kreise an-
weisen, den einen hier für Jupiter bezeichne ich mit EL, den anderen
höher gelegenen für den Saturn nemie ich FM.
Salv. Ihr habt bis jetzt Euere Sache vortrefflich gemacht. Da^ie Annüherung
-,-,.-, und Entfernung
nun, wie Ihr seht, die Annäherung und Entiernung der drei obereiifier drei oberen
' . ' " _ '^ Planeten beträgt
Planeten sich um den doppelten Betrag der Entfernung von Erde und-ias Doppelte der
. . ^ . S<inuenontfer-
Sonne ändert, so bewirkt dies eine gröfsere Verschiedenheit bei Mars """g.
340 Dialog über die Weltsysteme. [354. 365]
Unterschieii derals bei Jupitei', Weil der Kreis DI des Mars kleiner ist als der Kreis
Gröfse bei Sa- EL des Jupitsr. Da ebenso der Kreis EL kleiner ist als der Kreis
als bei Jupiter FM dcs Satum, SO ist bei diesem eben jene Differenz nocb geringer
geringer als bei als bei Mars uud dies stimmt vollständig mit den Erscbeinmigen. Ihr
'dafür. habt jetzt nur noch zu erwägen, welcher Platz dem Monde anzu-
weisen sei.
Simpl. Da wir — um dieselbe, wie ich glaube, völlig ent-
Die Moudbaim schcideudc Methode anzuwenden — den Mond bald in Konjmiktion
umschliefst die -.,-.. ^^ . . <-.
Krde, aber nichtbald lu üppositiou zur bonuc scheu, so mufs man notwendig sagen,
dafs seine Kreisbahn die Erde in sich fafst; sie kann hingegen nicht
auch um die Sonne herumgehen, sonst würde der Mond zur Zeit der
Konjunktion nicht sichelförmig, sondern immer rund und vollbeleuchtet
aussehen; überdies köimte er nicht, wie es häufig geschieht, Verfinste-
rungen der Soime dadurch bewirken, dafs er zwischen sie und uns
tritt. Man mufs ihm also eine Kreisbahn um die Erde beilegen, wie
etwa NP. Steht er also in P, so erscheint er von der Erde A aus
gesehen in Konjunktion mit der Sonne und kann sie eben dadurch
bisweilen verfinstern; steht er hingegen in N, so erscheint er in Oppo-
sition zur Sonne, sodafs dann möglicherweise der Erdschatten auf ihn
fällt und er verdunkelt wird.
Salv. Was sollen wir nun mit den Fixsternen anfangen, Signore
Simplicio? Sollen wir sie uns in den unermefslichen Tiefen des Welt-
alls zerstreut denken, in verschiedenen Entfernungen von jedem be-
beliebigen Punkte, oder verteilt auf der Oberfläche einer um irgend-
welches Centrum beschriebenen Kugel, derart dafs jeder Fixstern von
diesem selbigen Centrum gleich weit entfernt ist?
Simpl. Ich würde lieber einen Mittelweg einschlagen und ihnen
wabrschein- ciuc Sphäre auwciseu, die um ein bestimmtes Centrum beschrieben
^Vix8te?ne. ^\md innerhalb zweier Kugelflächen enthalten ist, nämlich zwischen
Wie mau sich einer sehr weit entfernten konkaven und einer weniger weit entfernten
die Sphäre des _ _ _ ^ "
Universums vor-]£onvexen; in diese Sphäre möchte ich die unzählbare Menge der
zustellen habe. ' _
Sterne versetzen, aber in verschiedene Höhen. Man könnte dieselbe
die Sphäre des Universums nennen, insofern sie die von uns vorhin
gezeichneten Planetensphären in sich enthält.
Salv. Wir haben also bis jetzt, Signore Simplicio, die Welt-
körper genau nach dem System des Kopernikus geordnet und zwar
ist dies von Euerer eigenen Hand geschehen. Weiter habt Ihr ihnen
allen mit Ausnahme der Sonne, der Erde und der Fixsternsphäre
Eigenbewegungen zugeschrieben: Merkur und Venus habt Ihr so um
die Sonne kreisen lassen, dafs sie die Erde nicht umfassen; ebenfalls
um die Sonne lafst Ihr die drei oberen Planeten Mars, Jupiter und
^■jl] ^3
[356. 356.] Dritter Tag. 341
Satnru sich bewegen, indem Ihr die Erde in deren Bahn mit hinein-
zogt. Der Mond hingegen kann sich nur so bewegen, dafs er um die
Erde herumgeht, ohne die Sonne zu umfassen, und auch betreffs dieser
Bewegmigen befindet Ihr Euch in Übereinstimmung mit Kopemikus.
Es erübrigt nur noch, eine Entscheidung zwischen Sonne, Erde und ?.'^ ,^"^^' '^^^
~ ' O 7 jährliche und
Sternensphäre über drei Punkte zu treffen: die Ruhe, welche scheinbar^'® tägliche bo-
■■• ' wegUDg müssen
der Erde zukommt, die iährliche Bewegung unter dem Tierkreise, "°'^^ ^?°^?'
' J O O ^ } Erde und Fir-
welche scheinbar der Sonne eigen ist, und die tägliche Bewegims ™"°*®"*7'"^'^'^'
o 7 o o 07 werden.
welche der Sternensphäre anzugehören und von dieser dem ganzen
übrigen Weltall mit Ausnahme der Erde mitgeteilt zu werden scheint.
Wenn es mm wahr ist, dafs die Bahnen der Planeten, nämlich des Bei einer be-
Merkur, der Venus, des Mars, des Jupiter und des Saturn um die Sphäre ist es
Sonne als Centrum gehen, so ist es um so mehr gerechtfertigt, die fertigt, den
Ruhe der Sonne und nicht der Erde beizulegen, insofern es richtiger fest zu betrach-
ist, dem Mittelpunkte von beweglichen Sphären Unbeweglichkeit bei-weicheu anderen
zumessen als irgend einem anderen von diesem Mittelpunkte verschie-
denen Orte. Danach kann man der Erde, welche inmitten beweg-
licher Weltkörper, der Venus nämlich und des Mars, sich befindet,
von denen Venus ihren Umlauf in neun Monaten, Mars den seinen in
zwei Jahren vollendet, sehr schicklich eine Bewegung von einjähriger
Dauer zuerkennen und die Ruhe der Sonne belassen. Wenn dem so ist,
so folgt mit Notwendigkeit, dafs auch die tägliche Bewegung der ErdeGesteht man der
zukommt; denn steht die Sonne fest und die Erde drehte sich nichtucho Bewegung
um sich selber, sondern hätte blofs die jährliche Bewegung um die ihr auch die
Sonne, so Avürde unser Jahr nur aus einem Tag und einer Nacht be- legen.
stehen, nämlich einem sechsmonatlichen Tag und einer sechsmonat-
lichen Nacht, wie früher bereits erwähnt. Ihr seht also, wie schön
sich dem Universum die ungeheuer rasche 24-stündige Bewegmig
nehmen läfst, und wie die Fixsterne, welche ebenso viele Sonnen sind,
sich gleich unserer Sonne einer ewigen Ruhe erfreuen. Ihr seht über-
dies, wie leicht sich bei dieser ersten Skizze die Gründe für die grofs-
artigen Himmelserscheinungen angeben lassen.
Sagr. Ich bemerke das allerdings. Aber wie Ihr diese Einfach-
heit als einen Wahrscheinlichkeitsgrund von bedeutendem Gewichte
zu Gunsten der Wahrheit dieses Systems betrachtet, so könnte um-
gekehrt ein anderer vielleicht ganz entgegengesetzte Schlüsse daraus
ziehen. Denn es wird ihm nicht ohne Grund sonderbar vorkommen,
dafs diese uralte pythagoreische Anschauung, welche den Erscheüumgen
sich so vortreff'lich anpalst, im Fortgang der Jahrtausende so wenige An-
hänger gefunden hat, von Aristoteles sell)st sogar verworfen wird, mid
auch nach Köpern ikus vom gleichen Schicksale betroffen worden ist.
342 Dialog über die Weltsysteme. [35G— 358.]
Salv. Hättet Ihr^ Signore Sagredo, uur einmal erlebt, was ich
viele, viele Male habe durclimacben müsseu, hättet Ihr gehört, wie
das albernste Zeug die Leute dermafsen halsstarrig und unzugänglich
machen kann, dafs sie diesen neuen Ansichten kein Gehör schenken,,
geschweige deim Beifall spenden, ich glaube, Ihr würdet Euch dann
nicht so sehr wundern über die geringe Zahl derer, die sich zu dieser
Ansicht bekennen. AVir brauchen aber meines Erachtens kein Gewicht
Die kindischsteuzu legen auf Geister, die den Glauben an die Festigkeit der Erde an-
um die Eiafai- nehmen und beibehalten, weil sie als vollgültigen Beweis dafür die
Eichrvom stiiie-Thatsache betrachten, dafs sie heute Mittag nicht in Konstantinopel
teibohaiten zu speisen, ihr Abendbrot nicht in Japan einnehmen werden; die über-
zeugt sind, dafs die Erde wegen ihrer grofsen Schwere sich nicht
hinauf über die Sonne und dann wieder Hals über Kopf in die Tiefe
hinabstürzen kaim. Auf diese, deren Zahl Legion ist, braucht man
nicht Rücksicht zu nehmen, mau braucht nicht Buch zu führen über
ihre Albernheiten, und für die subtilsten und schwierigsten Unter-
suchungen Propaganda zu machen bei einer Sorte von Leuten, in denen
der Begriff des Menschen nur der Gattung, nicht der specifischen
Differenz nach sich verwirklicht.^''^) Was wollte man auch mit allen
Beweisen der Welt gegen die Dummköpfe ausrichten, .die nicht aus
eigener Kraft imstande sind ihre überaus grofsen Verkehrtheiten zu
erkennen? Meine Verwunderung, Signore Sagredo, wird durch ganz
etwas Anderes wachgerufen: Ihr wundert Euch, dafs die pythagoreische
Ansicht so wenige Anhänger gefunden hat, ich staune, dafs überhaupt
einer oder der andere sie angenommen und ihr angehangen hat. Ich
kann nicht genug die Geisteshöhe derer bewundern, die sich ihr an-
geschlossen und sie für wahr gehalten, die durch die Lebendigkeit
Es wird gezeigt,ihres Gcistcs den eigenen Sinnen Gewalt angethan derart, dafs sie,
wie unwahr- .
scheiniicb die was die Vcmunft gebot, über den offenbarsten gegenteiligen Sinnen-
kopernikanisclie o / . .
Lehre sei. schclu ZU stellen Vermochten. Dafs die von uns bereits geprüften
Argumente gegen die tägliche Rotation der Erde ungemein viel Be-
stechendes haben, haben Avir früher gesehen, und allein der Umstand,
dafs sie von den Anhängern des Ptolemäus, von der Schule des Aristo-
teles und all ihrem Gefolge anerkannt wurden, ist schon ein sehr
triftiger Grimd für ihre Bedeutsamkeit. Die Erfahrungen aber, welche
man gegen die jährliche Bewegung anführt, scheinen in so offenbarem
Vernunft und Widcrspruch mit dieser Lehre zu stehen, dafs — ich wiederhole es —
Liogik ül)cr-
wiegen bei meine Bewunderung keine Grenzen findet, wie bei Aristarch und
AristarcU und _-^ . .
Kopernikus überKopernikus die Vernunft in dem Mafse die Sinne hat überwinden
die offenbare . -, . .
sinnliche Wahr-könuen, dafs ihnen zum Trotz die Vernunft über ihre Leichtgläubig-
nehmuDg. ... cj cj
keit triumphiert hat.
[358. 350.] Dritter Tag. 343
Sagr. Wir werden also abermals Dinge zu hören bekommen, die
in grellem Widerspruch mit dieser jährlichen Bewegung stehen?
Salv. Allerdings; und sie smd so augenscheinlich, so sinnlich
greifbar, dafs, ginge nicht ein höherer, über dem Gewöhnlichen und
Natürlichen erhabener Sinn Hand in Hand mit der Vernunft, auch ich
aller Wahrscheinlichkeit nach mich noch sehr viel widerspenstiger
gegen das kopernikanische System bezeigt hätte, als ich es jetzt
thue, wo eine heller als gewöhnlich strahlende Fackel mich er-
leuchtet hat.
Sagr. Jetzt, Signore Salviati, heifst es: auf in den Kampf! Jedes
Wort zu anderem Behuf scheint mir verloren.
Salv. Ich stehe zu Diensten.
Simpl. Ich bitte Euch, Ihr Herren, lafst meinen Geist mir Ruhe
kommen; die Bemerhmg , die Signore Salviati vorhin gemacht, hat mein
Inneres stürmisch erregt. Wenn erst die Wellen besänftigt sind, werde
ich für Euere Betrachtungen hesser empfänglich sein, denn die Gestalten
erscheinen nicht Idar in schwanJcender Spiegelfläche, tvie der römische
Dichter es so anmutig aitsdrücJct, ivenn er sagt:
. . . niiper me in litore vidi,
Cum placidiim ventis starct mare.^^)
Salv. Ihr halt vollkommen Becht, darum sagt, ivas Ihr für Be-
denken haht.
Simpl. Bie Ansicht, nach tvelcher die Erde die tägliche Botation
darum nicht ausführen kann, weil man durch sie ersichtlich nicht nach
Persien oder Japan versetzt tvird, haht Ihr vorhin ehenso thöricht genannt
als die andere, ivelche die jährliche Bewegung ablehnt, weil die AnnaJmie
dem Gefühle ividerstreht, dafs die mächtige schivere Masse der Erde sich
in die Höhe heben und dann tvieder hinabsinken kann, und das müfste
der Fall sein, tvenn sie jene Bewegung um die Sonne auszuführen hätte.
Ich schäme mich nicht zur Zahl dieser Thoren gerechnet zu werden und
fühle in meinem Geiste dasselbe Widerstreben, soweit es sich um den
zweiten Funkt, den Einwand gegen die jährliche Beivegung, handelt:
namentlich ivo ich sehe, tvelehen Widerstand selbst gegen die Bewegung
in ivagrecJder Bichtung, ich sage nicht etwa ein Berg, sondern schon ein
hlofser Stein zeigt, der doch nur ein kleiner Teil eines Felsens der Hoch-
gebirge ist. Ich bitte Euch darum, solche Einwände nicht gar so gering-
schätzig abzuthun, sondern sie zu widerlegen, nicht allein um meinet-
ivillen, als vielmehr der anderen wegen, denen sie sehr beweiskräftig er-
scheinen; denn ich halte es für ivenig ivahrscheinlich, dafs jemand, sei er
344 Dialog über die Weltsysteme. [359. 360.]
noch so einfaUuj, aus Iceinem anderen Beivcggrunde seine Einfalt erlienne
and eingestehe, als iveil er sich einen Thorcn schelten hört.
Sagr. Geiüifs nicht; und je einfältiger er ist, um so schiverer ivird
er von seinem Fehler su überzeugen sein. Auch hedenlce ich hei diesem
Anlafs, dafs es nicht nur, um dem Wunsche des Signore Simplicio zu
entsprechen, sondern auch aus anderen ebenso ivichtigen Gründen gut ist
diesem und ähnlichen Einwänden zu begegnen. Denn, wie die Erfahrung
lehrt, fehlt es nicht an Leuten, die in der geivöhnlichen Philosophie und
anderen Wissenschaften zwar ivohl beivandert sind und die gleichivohl
'mangels astronomischer , matliematischer oder sonstiger Kenntnisse, ivelche
den Geist für die Erhenntnis der Wahrheit schärfen, sich von derartig
nichtigen Überlegungen überzeugen lassen. Aus diesem Grunde scheint
mir die Lage des armen Kopernihus so bemitleidenswert: er mufs be-
fürchten, dafs die Kritik seiner Lehren möglicherweise in die Hände von
Leuten gelegt ist, die unfähig sind, seine höchst subtilen und darum
schtververständlichen Gründe zu fassen, die aber, im voraus durch solch
nichtigen Schein in einem Vorurteil gegen diese Gründe befangen, sie für
falsch und irrig ausposaunen. Kann man solche Leide daher auch nicht
für jene schwierigeren Betrachtungen empfänglich machen, so ist es doch
zwechnäfsig dahin zu tvirken, dafs sie die völlige . ünztdänglichheit jener
-anderen erkennen : diese Erkenntnis wird sie milder denken und urteilen
lassen einer Lehre gegenüber, die sie jetzt für irrig halten. Lch will des-
halb noch zwei andere, allerdings gegen die tägliche Beivegung gerichtete,
Einivürfe erwähnen, die ich vor kurzem von litterar isch hervorragen-
den FersÖnlichkeiten habe vorbringen hören^'^); danach können tvir zu
der jährliehen Bewegung übergehen. Der erste Einivurf war der: wäre
es tvahr, dafs nicht die Sonne und die übrigen Gestirne sich über
den östlichen Horizont erhöbest, sondern der östliche Teil der Erde unter
ihn hinabsänke, jene aber stille ständen, so müfsten binnen weniger Stun-
den die im Osten gelegenen Berge sich vermöge der Drehung des Erd-
balls abwärts neigen und in eine solche Lage gelangen, dafs, wo man
zuvor steil hinansteigen mufste, um den Gipfel zu erreichen, man jetzt
abschüssig hinunterzugehen hätte. Der zweite Einwand ivar folgender:
■wenn die tägliche Bewegung der Erde zukäme, müfste sie mit solcher
Geschtvindigkeit vor sich gehen, dafs man aus der Tiefe eines Brunnen-
schachtes nur einen Augenblick lang einen im Zenith stehenden Stern
erblicken könnte; er wäre nämlich nur die ganz kurze Zeit über sichtbar,
in ivelcher zwei bis drei Ellen des Erdumfangs vorbei passieren, denn
soviel mag die Breite des Schachtes etwa betragen. Demgegenüber zeigt
aber die Erfahrung, dafs das scheinbare Vorbeigehen des Sternes über den
Brunnenschacht hin ziemlich lange Zeit in Anspruch nimmt: ein schlagen-
[360. 361] Dritter Tag. 345
der Betveis, dafs die Mündung des ScJiacJdes sich Jceinesivegs mit der
rasenden Eile heicegt, welche die tägliche Umdrehung mit sich Iringen
müßte, urul dafs folglich die Erde unbeiveglich ist.
Simpl. Von diesen beiden Argumenten hommt mir das zweite sehr
heiveisJcräftig vor- ivas aher das erste betrifft, so möchte ich glauben, es
selber erledigen zu Jcönnen. Ich braticJie mir zu erwägen, dafs es anf
dasselbe hinauskommt, oh der Erdball bei der Drehung um seinen eigenen
Mittelpunkt einen Berg nach Osten führt, oder ob der Berg an seinem
Fufse losgerissen und id)er die Erde geschleift ivird. Das Fortschaffen
des Berges über die Erde hin ist aber meines Bedünkens nicht verschieden
von der Beicegung eines Schiffes längs der Oberfläche des Meeres. Wäre
also der Eimvand in betreff des Berges begründet, so loürde man in gleicher
Weise bei dem Schiffe, wenn es seine Fahrt fortsetzt und aus unseren
Häfen sich um viele Grade entfernt hat, nicht mehr emporsteigen müssen,
um auf den Mast zu gelangen, sondern sich wagrecht fortbewegen, später-
hin sogar sich abivärts beivegen, ivas nicht der Fall ist. Ich habe ivenig-
stens niemals einen Seemann, auch von denen, tvelcJte die ganze Erde
umfahren haben, sagen hören, dafs es irgendivelchen Unterschied macht,
sei es bei dieser oder irgend einer anderen im Schiffsdienst üblichen Ver-
richtung, oh sich das- Schiff in der oder jener Gegend befindet.
Salv. Euere Erwägungen sind sehr richtig. Wäre der Urheber
jenes Eimcandes auch nur auf den Gedanken verfallen, dafs der benach-
barte im Osten gelegene Berg bei einer etivaigen Drehung der Erde hinnen
zweier Stunden durch diese an eine Stelle geführt tciirde, ivo sich jetzt
etiva der Olymp oder der Karmel befindet, so hätte er schon einsehen
müssen, dafs seine eigenen Schlüsse ihn zu dem Glauben und dem Ein-
geständnis zivängen, es sei nötig, um auf den Gipfel besagter Berge zu
gelangen, in Wahrheit hinabzusteigen. Solche Leute gehören zu der Sorte,
die imstande sind das Vorhandensein von Antipoden zu leugnest, sintemal
man nicht mit dem Kopfe nach unten und mit den Füfsen an der Decke
klebend gehen könne; sie vermögen nicht aus ivahren und von ihnen voll-
kommen richtig verstandenen Ideen ganz einfache Widerlegungen ihrer
Bedenken lierzuleiten. Ich meine, sie sehen sehr ivohl ein, dafs die Schivere
und das Sinken nichts Anderes ist als ein Streben nach dem 3Iitfelpunkte
des Erdballs, das Steigen nichts Anderes als ein Sichentfernen von dem-
selben; aber es gelingt ihnen nicht zu verstehen, dafs unsere Antipoden
nur darum nicht die mindeste Schwierigkeit haben sich aufrecht zu halten
und zu gehen, weil sie es gerade so machen ivie wir, d. h. ihre Füfse dem
Mittelpunkte der Erde und ihren Kopf dem Himmel zukehroi.
Sagr. Und doch weissen wir, dafs auf diesem. Gebiete solche Vcr-
irrungen von Leuten begangen worden sind, die für andere Wissenschaften
346 Dialog über die Weltsysteme. [3G1. 362.]
hervorragende Begabung an den Tag gelegt haben. Unisomehr erscheint
meine Bemerlamg von vorhin gerechtfertigt, dafs man gut daran thut
alle, auch die schtvächsten, Eimvände zu beseitigen; lafst uns also auch
dem auf den Brunnen bezüglichen begegnen.
Salv. Dem Anscheine nach haftet allerdings diesem zweiten Argu-
mente eher etwas Beweiskräftiges an. Gleichivohl habe ich die feste Über-
zeugung, dafs, tvenn man den Erfinder desselben fragte und ihn auf-
forderte sich näher zu erldären, tvelches denn die Erscheinung sei, die
eintreten miifste und nach seiner Ansicht nicht eintritt, sobald die Erde
die tägliche Bewegung ausführte: ich glaube, sage ich, er ivürde bei der
Auseinandersetzung seiner Bedenhen sich mit seinen Folgerungen ebenso
sehr verstricken, als wenn er versuchte durch Nachdenken sich Klarheit
zu verschaffen.
Simpl. Offen gestanden bin ich fest überzeugt, dafs dies geschehen
ivürde; denn auch ich befinde mich in gleicher Venvirrung, iveil mir das
Argument allerdings dem ersten Eindruck nach beiveisend erscheint; in-
dessen schivebt mir doch die nebelhafte Empfindung vor, dafs, wenn die
Beweisführung ihre Richtigkeit hätte, die ungeheuere Geschivindigkeit, die
man an dem Sterne ivahrnehmen müfste, sobald man die Erde sich be-
ivegen läfst, sich sogar in noch viel höherem Grade zeigen müfste, ivenn
die Bewegung dein Sterne anhaftete, da sie beim Sterne vieltausendmal
geschivinder sein müfste als bei der Erde. Wenn aber andererseits der
Anblick des Sternes durch das blofse Vorüberziehen der ztvei bis drei
Ellen breiten Öffnung des Brunnenschachtes verloren gelten soll, tvährend
der Brunnen samt der Erde in einer Stunde beträcJdlicJi, mehr als
2000000 Ellen zurücklegt, so scheint dies freilich eine so kurze Zeit
währen zu müssen, dafs der Vorgang überhaupt nicht wahrnehtnbar sein
könnte; und doch tvird der Stern vom Grunde selbigen Brunnens ziem-
lich lange Zeit hindurch gesehen. Darum bin ich begierig über diese
Frage Aufklärung zu erhalten.
Salv. Jetzt befestigt sich in mir die Meinung, dafs der Urheber
des Eimvandes konfuse gedacht haben mufs, ivo ich sehe, dafs auch Ihr,
Signore Simplicio, den Euch vorschivebenden Gedanken nur schattenhaft
andeutet, und nicht völlig beherrscht. Ich schliefse dies liauptsächlich aus
dem Umstände, dafs Ihr eine Unterscheidung völlig aufser Acht lafst,
die ein Hauptpunkt bei der ganzen Angelegenheit ist. Sagt mir also:
macht Ihr bei Anstellung der Beobachtung , ivie der Stern über dem
Brunnenrande vorbeizieht, gar keinen Unterschied, ob der Brunnen mehr
oder ivcniger tief ist, mit anderen Worten, ob der Beobachter von der
Mündung mehr oder iveniger iveit entfernt ist'^ Ich habe Euch nämlicJi
darauf kein Gewicht legen hören.
[362. 363 ] Dritter Tag. 347
Simpl. Ich habe in der That daran nicht gedacht, aber Euere
Frage ivccld meinen Geist aus seinem Schlummer und iceist mich auf
die unbedingte Notwendiglieit dieser Unterscheidung hin. Die Einsicht
beginnt sich bei mir zu regen, dafs für die Feststellung der Zeitdauer des
Vorübergangs die Tiefe des Brunnens möglicheriveise einen ebenso be-
deutenden Einflufs üben kann als die Breite.
Salv. Ich möchte sogar vermuten, dafs die Breite gar nichts oder
nur sehr ivenig damit za schaffen hat.^')
Simpl. Boch aber scheint mir, dafs eine Streche von zehn Ellen
zurückzulegen zehnmal mehr Zeit erfordert, als eine Strecke von einer Elle,
und ich bin fest überzeugt, dafs ein Kahn von zehn Ellen Länge rascher
vor meinen Augen vorüberziehen ivird als eine Galeere von hundert
Ellen Länge.
Salv. Bafs ivir doch nie und nimmer von der eingewurzelten Vor-
stellung loskommen, als könnten ivir uns nur bewegen, insoweit uns unsere
Beine tragen! Was Ihr da sagt, lieber Signore Simplicio, ist richtig,
wenn das der Beobachtung unterliegende Objekt sieh bewegt, ivährend Ihr
stille steht, um es zu beobachten. Wenn Ihr Euch aber in dem Schachte
befindet und der Schacht samt Euch von der Umdrehung der Erde fort-
geführt ivird, seht Ihr denn da nicht ein, dafs weder in einer Stunde,
noch in tausend Stunden, noch in aller Ewigkeit die Mündung des Schach-
tes an Euch vorüberzieht? Was für Erscheinungen in diesem Falle die
Bewegung oder Nichtbewegung der Erde im Gefolge hat, kann man nicht
an der Mündung des Schachtes erkennen, sondern nur an irgend tvelchem
anderen getrennten Objekt, ivelches sich nicht in der gleichen Lage, sei es
der Bctvegung, sei es der Ridie befindet.
Simpl. Alles ganz schön; aber gesetzt auch, ich befinde mich im
Schachte und werde gleichzeitig mit ihm von der täglichen Bewegung fort-
geführt, und gesetzt auch, der von mir betrachtete Stern sei unbeweglich,
so beträgt doch die Schachtöffnung nicht mehr als drei Ellen; dieser Teil
der Erde allein vermittelt mir die Anschauung des Vorühergangs, wäh-
die ganze übrige Erdoberfläche in einer Ausdehnung von so vielen Millionen
von Ellen mir die Aussicht versperrt: ivie kann unter solchen Umständen
die Bauer der Sichtbarkeit einen merklichen Teil von der der Unsicht-
barkeit betragen?
Salv. Jetzt fallt Ihr doch ivieder in dasselbe Mifsvcrständnis zurück;
in der That Ihr bedürft der Hilfe, iim es los zu werden. Nicht die
Breite des Brunnens ist es, Signore Simplicio, ivelche das Mafs für die
Sichtbarkeitsdauer des Sternes abgiebt; denn in diesem Falle ivürdet Ihr
ihn beständig sehen, da die Brunnenmündung Euerem Blicke beständig
den Durchgang gestattet. Das Mafs für die Zeitdauer liefert vielmehr
348 Dialog über die Weltsysteme. [363. 364.]
die Gröfse desjenigen Teiles des unbeweglichen Himmelsgewölbes, welcher
Euch durch die Öffnung des Brunnens hindurch sichtbar ist.
Simpl. Ist denn aber nicht der sichtbare Teil des Himmels der-
selbe Bruchteil von der ganzen Himmelskugel, ivie die Mündung des
Schachtes von der ganzen Erdkugel?
Salv. Ich möchte, dafs Ihr Euch diese Frage selbst beantwortet
Sagt mir darum, ob nicht die Öffnung eines und desselben Schachtes stets
den gleichen Teil der Erdoberfläche ausmacht.
Simpl. TJnztveifelhaft immer denselben.
Salv. Und ist der Teil des Himmels, ivelcher für den Beobachter
im Brunnen sichtbar ist, auch stets derselbe Bruchteil der Himmelskugel?
Simpl. Eben fängt es mir an zu dämmern und ich beginne zu be-
greifen, ivas Ihr mir vorhin angedeutet habt, dafs nämlich die Tiefe des
Brunnens sehr viel für die vorliegende Frage zu bedeuten hat. Denn je
weiter sich das Äuge von der Mündung des Schachtes entfernt, ein um
so geringerer Teil des Himmels ivird unzweifelhaft sichtbar sein; vor
diesem wird folglich der Beobachter auf dem Grunde des Schachtes rascher
vorbei geführt, und er verliert ihn rascher aus den Augen.
Salv. Giebt es aber in dem Schachte irgendwo eine Stelle, von der
aus ein ebenso grofser Bruchteil des Himmelsgewölbes sichtbar ist, wie es
die Schachtöffnung von der Erdoberfläche ist?
Simpl. Ich glaube, tvenn man den Schacht bis in den Mittelpunkt
der Erde fortsetzte, so tvürde man vielleicht von dort aus einen Teil des
Himmels 'wahrnehmen, welcher zu dem ganzen Himmel in demselben Ver-
hältnis steht ivie der Brunnen zur Erde. Entfernt man sich aber vom
Mittelpunkte und nähert sich der Oberfläche, so zeigt sich ein immer
gröfserer Teil des Himmels.
Salv. Und bringt man endlich das Auge in eine Ebene mit der
Mündung des Brunnens, so ivird die Hälfte des Himmels sichtbar oder
nur ganz unbedeutend weniger, und um an diesem vorbeizugelangen bedarf
es — gesetzt wir befänden uns unter dem Äquator — einer Zeit von
stvölf Stunden.
Ich habe Euch bereits eiue Skizze des kopernikanischen Systems
entworfen. Gegen die Richtigkeit desselben richtet vor allen Dingen
Mais richtet Mars, der Kriegsgott selber, den heftigsten AnffrijBF^*^); denn ansenommen,
einen heftigen .'°° ' ^ 075 & >
Angriff gegen scHie Entfernung von der Erde wechselte wirklich derart, dafs zwischen
das koi^ernika- i i i • • tt i •
nischc System, der gröfstcu uud kleinsten ein Unterschied bestände von der dopi3elten
Gröfse der Entfernung zwischen Sonne und Erde, so müfste sich not-
wendig seine Scheibe in der gröfsten Erdnähe 6Ömal gröfser aus-
nehmen als in der gröfsten Erdferne. Gleichwohl ist ein solcher Unter-
schied in der scheinbaren Gröfse nicht wahrzunehmen; er zeigt sich
[3C4. 865.] Dritter Tag. 349
vielmehr zur Zeit der Opposition, wo er der Erde nalie ist, kaum vier-
oder fünfmal so grofs, als um die Zeit der Konjunktion, wo er all-
mählicli in den Sonnenstrahlen verschwindet. Eine weitere mid gröfsere
Schwierigkeit bereitet uns Venus; wenn sie nämlich, wie Kopernikus nie Erschei-
uns versichert, bei ihrer Bahn um die Sonne bald über, bald unter venus stehen
dieser stünde, bald sich entfernend, bald sich uns nähernd, und zAvarmitdemkopemi-
um einen Betrag gleich dem Durchmesser des von ihr beschriebenen System.
Kreises, so müfste sie unter der Sonne, in unserer Nähe also, eine
etwa 4()mal gröfsere Scheibe zeigen, als wenn sie oberhalb der Somie
in der Nähe ihrer anderen Konjunktion sich befindet; gleichwohl ist
der Unterschied fast unmerklich. Dazu kommt eine andere Schwie-
rigkeit: wäre nämlich die Masse der Venus an und für sich dunkel
und leuchtete blofs wie der Mond infolge der Bestrahlung seitens der
Sonne, welches die angemessenste Amiahme zu sein scheint, so müfste
sie sich, wenn sie vor der Sonne steht, in Sichelform zeigen, wie es zweite Schwie-
der Mond thut, wenn er gleichfalls in der Nähe der Sonne steht; ein vfnua de^m Ko-
Umstand, der bei ihr nicht zutrifft. Aus diesem Grunde sprach sich reittt.
Kopernikus dafür aus, dafs sie entweder selbstleuchtend ist oder dafsvenus nach Ko-
ihre Materie sich mit dem Sonnenlichte zu durchtränken und dieses weTer seibst-
di.i m-piii 1 r • • ^ • leuchtend oder
iirch ihre ganze iieie durchzulassen vermag, sodals sie sich uns immer von durcbsich-
in vollem Glänze zeigen kann. Auf diese Weise suchte Kopernikus ^^^^ '
das Nichtvorhandensein der Phasen bei Venus zu erklären. Über die
fast unveränderliche scheinbare Gröfse der Venus hingegen sagte er Kopernikus
. . . schweigt über
gar nichts, und über die des Mars weit weniger als eigentlich nötig ^en geringen
^ ..... . Wechsel der
wäre, wahrscheinlich weil er eine seiner Lehre so widersprechende scheinbaren
' . . ... Gröfse bei Venus
Erscheinung nicht zu seiner Zufriedenheit erklären konnte; dennoch «"d Mars.
gab er, durch so viele andere zutreffende Momente überzeugt, jene
Lehre nicht auf und hielt sie für wahr. Überdies scheint die An-
nahme, dafs alle Planeten, die Erde mit inbegriffen, sich um die Sonne
als Mittelpunkt ihrer Umläufe bewegen und dafs nur der Mond diese
Ordnung durchbricht, dafs er eine besondere Bewes'uuQ- um die ErdeiK-rMomidurch-
f. t ■, . ., öS bricht die Ord-
ausführt und mit ihr und der ganzen elementaren Sphäre zusammennuugderübri^'cn
. '^ . ^ Planeten.
um die Sonne läuft — diese Annahme, sage ich — scheint dermafsen
die Ordnung aufzuheben, dafs diese hierdurch unwahrscheinlich und
falsch wird. Das sind diejenigen Schwierigkeiten, derentwegen ich
mich wundere, wie Aristarch und Kopernikus, die sie sicherlich nicht
übersehen haben, die nicht imstande waren sie zu beseitigen, gleich-
wohl wegen anderer wunderbar stimmender Thatsachen unentwegt an
dem festgehalten haben, was die Vernunft ihnen diktierte, wie sie
trotz alledem zuversiclitlich behauptet haben, es könne der Bau des
Weltalls kein anderer sein als der von ihnen hezciehnete. Es giebt
350 Dialog über die Weltsysteme. [365. .SfsG.]
sodami noch nndere scliwerw legende und sehr bestechende Einwen-
dungen, die für mittelmäfsige Geister nicht so leicht zu beseitigen
sind, die aber Kopernikus durchschaut und aufgeklärt hat. Wir wer-
den dieselben weiter unten vornehmen, nachdem wir auf andere Gegen-
gründe geantwortet haben, welche diesem System zu widersprechen
i-iwiderung aufscheincn. Indem ich nunmehr zur Erklärung und Beantwortung der
Einwürfe gegengeuamiten drei schwerwiegendsten Einwürfe übergehe, behaupte ich,
nische System, dafs- die beiden ersten nicht nur nicht in Widerspruch mit dem
kopernikanischen System stehen, sondern unzweifelhaft aufserordent-
lich zu seinen Gunsten sprechen; denn Mars und Venus zeigen
wirklich in dem angegebenen Verhältnis Unterschiede ihrer schein-
baren Gröfse, und Venus zeigt sich wirklich vor der Sonne sichel-
förmig und verändert ihr Aussehen genau in der gleichen Weise wie
der Mond.
Sagr. Wieso aber blieb dies dem Kopernikus verborgen, während
es Euch bekannt ist?
Salv. Diese Dinge können nur vermöge des Gesichtssinnes wahr-
genommen werden, welchen die Natur den Menschen nicht in solcher
Vollkommenheit verliehen hat, dafs er es bis zur Wahrnehmung sol-
cher Unterschiede brächte; vielmehr bereitet das Sehwerkzeug selber
sich Hindernisse. Nachdem es aber in unseren Tu gen Gott gefallen
hat, dem Menschengeiste eine so wunderbare Erfindung zu vergönnen,
welche die Schärfe unseres Gesichts vier-, sechs-, zehn-, zwanzig-,
dreifsig- und vierzigmal zu vergröfsern vermag, sind unendlich viele
Dinge, die uns entweder infolge ihrer Entfernung oder wegen ihrer
aufserordentlichen Kleinheit unsichtbar waren, mit Hilfe des Fern-
rohrs deutlich sichtbar geworden.
Sagr. Aber Venus und Mars gehören doch nicht zu den Ob-
jekten, die wegen ihrer Entfernung oder Kleinheit unsichtbar sind,
wir nehmen sie vielmehr mit dem einfachen unbewaffneten Auge
wahr. Warum also merken wir nichts von den Unterschieden ihrer
Gröfse und ihres Aussehens?
Salv. Es spielt dabei ein vom Auge selbst ausgehendes Hinder-
woher es kommt, nis ciuc wichtigc Rollc, wic ich eben schon angedeutet habe.^'^) Glän-
dafs Venus und ■ c- r\ • • • • i •
Mars nicht in zcudc uud wcit entfernte Objekte werden nämlich von ihm nicht eni-
dem Mafae ihre
scheinbare fach uud scharfbcgreuzt wiedergegeben, sondern es liefert uns Bilder,
Orörse wechseln, ... " ^. ..
wie es eigentiichdie mit cmcm Kranz von Strahlen umrahmt sind. Diese hinzukommen-
der 'FA\ sein
sollte. den fremdartigen Strahlen sind so lang und dicht, dafs der eigent-
liche Kern uns zehn-, zwanzig-, hundert- und tausendmal gröfser vor-
kömmt, als er sich zeigen würde, weim man die ihm nicht an gehörige
Strahlenkrone entfernte.
[366. 307.] Dritter Tag. 351
Sagr. Jetzt erinnere ich mich üher diesen Gegenstand etwas ge-
lesen zu haben^ ich weifs nicht, war es in den „Sonnenhriefen"
oder in dem „Goldwäger" unseres gemeinsamen Freundes. Aber es
wird unter allen Umständen gut sein, sowohl um meine Erinnerung
aufzufrischen, als für das Verständnis Signore Simplicios, der diese
Schriften vielleicht nicht unter Händen gehabt haf^"), Avenn Ihr uns
deutlicher auseinandersetzt, wie es damit steht. Die Bekanntschaft
mit dieser Frage ist, glaube ich, sehr notwendig, um das verstehen
zu können, wovon wir augenblicklich handehi.
Simpl. Für mich ist in der That alles, was Signore Salviati
augenblicklich vorbringt, neu; denn, um die Wahrheit zu sagen, ich
habe bisher wenig Lust verspürt, dergleichen Bücher zu lesen, und
halje dem neuerdings eingeführten Fernrohr nicht viel Vertrauen ent-
gegengebracht. Indem ich vielmehr den Fufsstapfen meiner Kollegen, Die wirksam-
der anderen peripatetischen Philosophen, folgte, habe ich für Trug- rohrs von den
. ^ . ± 7 o 7 o peripatetikem
und Wahno-ebilde der Glaslinsen gehalten, was andere als Staunens- für trügerisch
. . ... . . gehalten.
werte Leistungen priesen. Sollte ich mich jedoch bislang geirrt haben,
so wird es mir angenehm sein über meinen Irrtum Belehrung zu er-
halten. Verlockt durch das andere Neue, das ich von Euch gehört
habe, werde ich mit erhöhter Aufmerksamkeit Eueren ferneren Worten
lauschen.
Salv. Die hohe Meinung dieser Menschenklasse von ihrer eigenen
Klugheit ist ebenso unberechtigt wie die Geringschätzung, mit welcher
sie die Urteilsfähigkeit anderer behandeln. Es will viel heifsen, dafs
sie glauben, ein derartiges Instrument besser beurteilen zu können,
ohne es jemals geprüft zu haben, als die Leute, die tausend und aber-
tausend Beobachtungen mit seiner Hilfe angestellt haben und noch
jeden Tag anstellen. Doch lassen wir diese starrköpfige Sorte lieber
aus dem Spiel, man kann sie ja nicht einmal kritisieren, ohne ihr mehr
Ehre zu erweisen, als sie verdient. — Um nun zu unserem Gegenstande
zurückzukehren, so bemerke ich, dafs glänzende Objekte, sei es nun,
dafs sich ihr Licht in der über der Pupille vorhandenen Feuchtigkeit
bricht, oder dafs es an den Wimperrändern zurückgeworfen wird und
seine Reflexe ebenfalls auf die Pupille fallen, oder sei es aus einem
anderen Grunde, sich miserem Auge mit neuen Strahlen umgeben
zeigen und darum sehr viel gröfser scheinen, als sie ohne eine Glänzende oh-
solche Irradiation aussehen würden. Diese Vergröfscrung erfolgt nun von*nk°htTa^z"
in immer wachsendem Verhältnis, je kleiner die leuchtenden Ob-fen''i,m^ge"beu'*zu'
jekte sind: ganz in derselben Weise, wie wenn wir etwa annähmen, ^**'°'
die hinzugefügte Strahlonkrone habe eine Breite von vier Zoll; ein wamm leuch-
solcher Zuwachs würde dann nämlich bei einem Kreise von vier Zoll ,!m so BYurUo'r
352 Dialog über die Weltsysteme. [367. 368.]
vergrafsert er- Durchmesser eine ueiminal so grofse sclieinbare Ausdelaiiung im Gefolge
scheinen, jß , ,
kleiner sie sind.baueil | aber ....
Simpl. Ihr habt wabrscbeinlicb eiue dreimal so grofse Aus-
dehnung sagen wollen; denn vier Zoll hüben und vier Zoll drüben an
den Durchmesser eines Kreises augesetzt, der selbst vier Zoll lang ist,
liefern einen dreifach, nicht einen neunfach so grofsen Betrag.
Salv. Ein klein wenig Geometrie, Signore Simplicio! Allerdings
Die Fiächeniu- wächst der Durchmesser auf den dreifachen Betrag an, aber der
ren wachsen^imFlächeuinhalt — uud das ist es, wovon wir hier sprechen — wächst
häituis üirer auf dcu neunfachen Betrag an. Die Flächen zweier Kreise nämlich,
Signore Simplicio, verhalten sich zu einander wie die Quadrate ihrer
Durchmesser. Ein Kreis also von vier Zoll Durchmesser verhält sich
zu einem anderen von zwölf Zoll Durchmesser, wie das Quadrat von vier
zu dem Quadrate von zwölf, d. h. wie sechszehn zu hundertvierundvierzig;
letzterer wird also neunmal und nicht dreimal so grofs sein. So viel
zur Aufklärung des Signore Simplicio. Wenn wir nun, um jetzt weiter
zu gehen, den nämlichen Strahlenkranz von vier Zoll einem Kreise hin-
zufügen, der blofs zwei Zoll Durchmesser besitzt, so würde der Durch-
messer des Kranzes doch noch zehn Zoll betragen und somit die Fläche
des Kreises zu dem von dem blofsen Kerne bedeckten Räume sich ver-
halten wie hundert zu vier, denn dies sind die Quadrate von zehn und
zwei-, die Vergröfserung wäre also in diesem Falle eine 25-fache. Fügt
man schliefslich den vier Zoll breiten Strahlengürtel einem kleinen
Kreise von ein Zoll Durchmesser hinzu, so würde dieser eine 81-fache
Vergröfserung erfahren: und so findet die Zunahme in immer stär-
kerem und stärkerem Verhältnis statt, je nachdem die wirklichen Ob-
jekte, die den Zuwachs erleiden, kleiner und kleiner werden.
Sagr. Die Schwierigkeit, an der Signore Simplicio Anstofs ge-
nommen hat, hat mir nicht zu schaffen gemacht, wohl aber sind es
einige andere Umstände, über welche mir Aufklärung erwünscht wäre.
Insbesondere möchte ich wissen, woraufhin Ihr so bestimmt versichert,
dafs der Zuwachs bei allen sichtbaren Objekten stets der gleiche sei.
Salv. Zum Teil habe ich mich schon darüber ausgesprochen.
Je lebhiiftor dieindcm ich sagte, dafs blofs glänzende Obiekte diesen Zuwachs erfahren,
Objekte leuch- i i i -n i • i t -i n i •
tea, einen um souicht aocr dunkclc. Es erübrigt noch die weitere Bemerkung hm-
st'irkereii Zu-
wachs scheinen zuzufügcu, dafs vou dcu glänzenden Objekten diejenigen mit lebhafte-
rem Lichte einen gröfseren und stärkeren Reflex auf die Pupille werfen
und infolge dessen eine sehr viel stärkere scheinbare Vergröfserung
erleiden als die weniger hellen. Um mich nicht länger bei diesem
einzebien Punkte aufzuhalten, lafst uns sehen, was die wahre
Meisterin uns lehrt. Betrachten wir heute Abend, wenn es völlig
[368. 369.] Dritter Tag. 353
dunkel go worden ist, den Jupiter; wir werden ihn in hell strahlendem
Lichte und sehr grofs erblicken. Danach wollen wir unseren Blick
auf ihn durch ein Rohr richten oder auch durch eine Öffnung, welche Leicht anzu-
steUender Ver-
wir an der geballten und dem Auge genäherten Faust zwischen der such, der die
Handfläche und den Fingern lassen wollen, oder endhch auch durchdersteme" durch
T11 • •!• p • TVT11- • -ni T-k • -1 ^^^ hinzukom-
em Loch, das wir mit einer lemen JNadel m ein Blatt Papier stechen.mendeu strahlen
Wir werden dann dieselbige Scheibe des Jupiter frei von Strahlen
sehen, aber so winzig, dafs Avir sie wohl für 60mal kleiner halten
werden im Vergleich zu der grofsen Flamme, als welche sie dem
blofsen Auge erscheint. Wir können sodann den Sirius betrachten, Jupiter erfährt
den schönsten und gröfsten aller Fixsterne, der dem unbewaffneten vergröfserung
Auge nicht sehr viel kleiner erscheint als Jupiter. Nimmt man ihm
aber auf die beschriebene Weise seinen Strahlenkranz, so wird seine
Scheibe so klein aussehen, dafs man sie kaum auf den 20. Teil
der Jupiterscheibe schätzen wird; ja, wer nicht ganz vorzügliche
Augen hat, wird sie nur mit gröfster Mühe wahrnehmen. Daraus
läfst sich füglich schliefsen, dafs dieser Stern wegen der dem Jupiter
überlegenen Lebhaftigkeit seines Lichtes eine gröfsere Irradiation her-
vorruft als Jupiter. Die Irradiation der Sonne und des Mondes end-
lich ist infolge ihrer Gröfse fast verschwindend klein; diese allein be-Sonne und Mond
ansprucht schon in unseren Augen einen solchen Raum, dafs für dieriuge vergröfse-
hinzukommenden Strahlen kein Platz bleibt und demnach ihre Schei-
ben scharf geschnitten und begrenzt aussehen. Wir werden uns von
derselben Wahrheit durch einen weiteren, öfters von mir angestellten
Versuch überzeugen können; von derselben Wahrheit, sage ich, dafs
nämlich die lebhafter leuchtenden Körper sich mit einem gröfseren
Strahlengürtel umgeben als die matter leuchtenden. Ich habe öfters
Jupiter und Venus gleichzeitig in einem Abstände von 25 bis 30 Grad
von der Sonne gesehen. Weim es nun recht dmikel war, schien Venus
wohl acht- oder zehnmal gröfser, solange man beide Sterne mit blofsem
Auge betrachtete. Durchs Fernrohr betrachtet, bemerkte mau hino-egen, ^^ ivird durch
o _ ' '^ O :> einen evidenten
dafs die Jupitersscheibe in Wahrheit mehr als viermal so grofs ist, "^«»-such nach-
^ , _ o 7 gewiesen, dafs
wie die der Venus, die Lebhaftigkeit des Glanzes der Venus hingegen^«"'*' glänzende
' ^ _ ... Korper eine
war unvergleichlich gröfser als das matte Licht des Jupiter; dies^f='''^»re i"adia-
» » _ _ ^ ^ tion hervorrufen
rührt einfach daher, dafs Jupiter sehr weit von der Soime und von^'^™'wdorieuch-
. . tende.
uns entfernt ist, Venus hingegen nahe bei uns und der Sonne steht.
Nach diesen Erklärungen wird es sich nmimehr ohne Mühe einsehen
lassen, wieso Mars, wenn er in Opposition zur Sonne ist und also
der Erde mehr als siebenmal näher steht wie gegen die Zeit der
Konjunktion, kaum vier- oder fünfmal gröfser in jenem Falle als in
diesem erscheint, während er uns eigentlich mehr als öOmal so grofs
Galilei, Weltsysteme. 23
354 Dialog üToer die Weltsysteme. [369. 370.]
ersclieiuen sollte. Die Ursache davon ist eben die Irradiation ; berauben
wir ihn nämlich der hinzukommenden Strahlen, so werden wir ihn
genau in dem richtigen Verhältnis vergröfsert finden. Um ihm nun
den Haarkranz wegzunehmen, ist das einzige und beste Mittel das
Das Fernrohr Femrohr, welchcs seine Scheibe 900- bis lOOOmal vergröfsert und sie
den Sternen die uns scharfgcschuitten und begrenzt zeigt wie die des Mondes; dabei
zu benehmen, tritt der in den beiden Stellungen zu erwartende Wechsel in der schein-
baren Gröfse genau im richtigen Verhältnis wirklich hervor. — Im
Falle der Venus, die bei ihrer abendlichen Konjunktion, also vor der
Sonne, sich fast 40mal gröfser zeigen müfste als bei der anderen
morgendlichen Konjunktion, und die gleichwohl noch nicht doppelt
so grofs aussieht, kommt aufser der Wirkung der Irradiation noch
Zweite fernere hinzu, dafs sie sichelförmig ist. Ihre Hörner, abgesehen davon, dafs
Ursache für den ' ■ -, i c, i- i i < «•
geringen schein-sie Überhaupt dümi smd , werden vom Sonnenlichte schräg getronen
baren Gröfsen- ^ iii x-ii • • -mt
Zuwachs der und daher nur matt beleuchtet; da also Licht nur m germger Menge
und geringer Intensität vorhanden ist, so stellt sich eine nicht so aus-
giebige und lebhafte Irradiation ein, als wenn sie uns ihre ganz be-
leuchtete Hälfte zukehrt. Das Fernrohr zeigt uns aber auch ihre
Hörner so scharf begrenzt und deutlich wie die des Mondes, und die
Beobachtung lehrt, dafs sie einem sehr grofsen Kreise angehören,
einem Kreise, der in 40fachem Verhältnis gröfser ist als ihre Scheibe
zur Zeit, wo sie sich oberhalb der Sonne befindet bei ihrem letzten
Erscheinen als Morgenstern.
Sagr. 0 Nikolaus Kopernikus, wie hättest du dich gefreut, durch
so klare Thatsachen dein System nach dieser Seite hin bestätigt zu
sehen!
Salv. Ja, aber wieviel geringer wäre der Ruhm seiner Geistes-
gröfse in den Augen der Sachverständigen! Sieht man doch, wie ich
Kopernikus schou vorhiu hcrvorhob, dafs er seiner Behauptung stets treu blieb,
vernuuftgrtodeblofs vou Vernunftgründcn geleitet, während die sinnlichen Erfah-
widTrspf echen- rungen das Gegenteil zu lehren schienen. Ich kann darum nicht auf-
wXrneh- ^^ hörcu ZU stauucu, dafs er ohne Unterlafs dabei blieb zu sagen, Venus
mungen. jj^gjgg ^^^ (j{g Somic uud sei ZU einer Zeit sechsmal so weit von
uns entfernt als zu einer anderen und zeige sich uns trotzdem stets
in derselben Gröfse, während sie eigentlich 40 mal gröfser aussehen
müfste.
Sagr. Bei Jupiter, Saturn und Merkur, meine ich, müssen gleich-
falls die Unterschiede in den scheinbaren Gröfsen genau dem Wechsel
ihrer Entfernungen entsprechen.
Salv. Bei den beiden oberen habe ich das in der That mit aller
Genauigkeit beinahe alljährlich seit 22 Jahren beobachtet. Bei Merkur
[370. 371.] Dritter Tag. 355
lassen sicli Iceine aussclilaggebeiideu BeoLacbtungen anstellen^ weil er
nur während seiner gröfsten Elongationen sichtbar ist: bei diesen aber, Merkur läfst
f' ^ ' keine deutlichen
ist seine Entfernunj? von der Erde nicht merklich verschieden und ^'^°''=*<=''*"'isen
. . ^"■
daher sind jene Unterschiede nicht wahrzunehmen. Ebenso steht es
auch mit seinen Phasenänderungen, die unbedingt ebenso wie bei Venus
stattfinden müssen. Wemi wir ihn sehen, müfste er sich eigentlich in
Form eines Halbkreises zeigen, ganz wie es bei Venus zur Zeit ihrer
gröfsten Elongation der Fall ist; aber seine Scheibe ist so klein und
sein Glanz wegen seiner geringen Entfernung von der Sonne so leb-
haft, dafs die Kraft des Fernrohrs nicht ausreicht ihni die Haare ab-
zurasieren und ihn völlig geschoren erscheinen zu lassen. — Es bleibtßeseitigung des
uns noch jener scheinbar so grofse Übelstand zu beseitigen, dafs von die Erde kch
allen übrigen Planeten jeder für sich allein um die Sonne kreist, und sondern in Be-
dafs nur die Erde nicht einsam, sondern in Begleitung des Mondes Mondes um die
samt der ganzen elementaren Sphäre in einem Jahre um die Sonne
läuft, während sich gleichzeitig der Mond jeden Monat um die Erde
dreht. Hier mufs man von neuem in laute Bewunderung ausbrechen
und den staunenswerten Scharfsinn des Kopernikus preisen, zugleich
aber sein Mifsgeschick beklagen, dafs er nicht zu unserer Zeit lebt,
wo die anscheinende Absurdität einer gemeinschaftlichen Bewegung
von Erde und Mond beseitigt ist, indem wir im Jupiter gleichsam
eine zweite Erde kennen gelernt haben, der nicht in Gesellschaft nur
eines Mondes, sondern sogar von vier Monden begleitet in 12 Jahren
um die Sonne läuft samt alle dem, was etwa innerhalb der Bahnen
der vier Mediceischen Gestirne enthalten sein mag.
Sagr. Aus welchem Grunde nennt Ihr die vier Jupiterbegleiter
Monde?
Salv. Als solche erscheinen sie dem, der sie vom Jupiter aus
beobachtet. Denn sie sind an und für sich dunkel und empfangen
ihr Licht von der Sonne, wie daraus hervorgeht, dafs sie verfinstert Die Medicei-
1 1 T 1 ■ • -I ri ^ 1 T 1 • • TTT sehen Gestirne
werden, sobald sie m den bchattenkegel des Jupiter eintreten. Weil sind gleichsam
nun blofs diejenige Hälfte derselben erleuchtet wird, die der Sonne ^'^'juiJiter. "
zugekehrt ist, so erscheinen sie uns, die wir uns aufserhalb ihrer
Bahnen imd in gröfserer Nähe bei der Sonne befinden, allerdings ganz
hell; einem etwaigen Beobachter auf dem Jupiter hingegen würden
sie nur in den oberen Teilen ihrer Bahnen voll beleuchtet erscheinen,
während sie vom Jupiter aus gesehen in den unteren Teilen, d. h.
zwischen Jupiter und Sonne, Sichelform zeigen würden, kurz den
Jupiterbewohnern dieselben Phasenänderungen darböten wie uns Erd-
bewohnern der Mond. Ihr seht nun, in wie wunderbarem Einklang
mit dem kopernikani sehen Systeme die drei von uns berührten Saiten
23*
356 Dialog über die Weltsysteme. [371. 372.]
stehen, die anfangs solchen Mifsklang zu geben schienen. Gleichzeitig
wird Signore Siniplicio daraus entnehmen können, wie wahrscheinlich
die Schlufsfolgerung ist, dafs nicht die Erde, sondern die Sonne im
Mittel^) unkte der Planetenbahnen steht. Da nun die Erde zwischen
Weltkörper zu stehen kommt, die sich unzweifelhaft Tim die Sonne
bewegen, nämlich über Merkur und Venus, hingegen unter Saturn,
Jupiter und Mars, wie sollte es nicht für höchst wahrscheinlich, ja
vielleicht für notwendig zu gelten haben, dafs auch sie um die Soime
läuft?
Simpl. Es handelt sich um so bedeutende und in die Augen
fallende Vorgänge, dafs Ptolemäus und seine Anhänger unmöglich in
Unkenntnis darüber gewesen sein können; und hatten sie Keimtnis
davon, so müssen sie doch notwendig eine Art und Weise ausfindig-
gemacht haben, um von derartigen, so handgreiflichen Erscheinungen
befriedigend Rechenschaft zu geben; ihre Erklärung mufs sogar sehr
wohl mit den Thatsachen übereinstimmen imd grofse Wahrscheinlich-
keit für sich haben, da sie so lange Zeit hindurch so viele, viele An-
hänger gefunden hat.
A^tTonomi'e'^ist Salv. Eucre Bemerkungen sind ganz richtig. Ihr müfst aber
Tou''den*''Er' wisscu, dafs das hauptsächliche Ziel der Astronomen von Fach kein
^''^•'^"iglg"^ ''^' anderes ist, als nur Rechenschaft von den Erscheinungen an den
Himmelskörpern abzulegen.^') Um diese und die Bewegungen der
Gestirne zu erklären, suchen sie einen passenden Aufbau durch Zu-
sammensetzung von Kreisen herzustellen, derart dafs die auf Grund
einer solchen Annahme gewonnenen Rechnungsergebnisse Bewegungen
liefern, die mit den Erscheinungen selbst übereinstimmen, wobei ihnen
wenig darauf ankommt, irgend welche ganz ungeheuerliche Hypothese
zu benutzen, die thatsächlich aus anderen Rücksichten Austofs erregend
Kopernikus re- sciu kinuitc. Kopcmikus sclbst schreibt, er habe bei seinen ersten Studien
Astronomie auf die astronomischc Wissenschaft auf Grund der unveränderten Voraus-
märsche^n Vor- setzungcu dcs Ptolcmäus ucu ZU gestalten gesucht und die Bewegungs-
ausse Zungen. ^j^gQj^jggjj ^jgj, Plauctcn derart verbessert, dafs die Rechnungen mit den
Erscheinungen und die Erscheinungen mit den Rechnungen sehr wohl
übereinstimmten, nur insoweit jedoch als man einzebi Planet für Planet
vornahm. Er fügt aber hinzu, dafs er danach versucht habe, den ge-
samten Bau aus den Einzelkonstruktionen zusammenzufügen; da sei
daraus ein Ungetüm, eine Chimäre entsprungen, zusammengesetzt aus
den ungleichartigsten, völlig unvereinbaren Gliedern, sodafs zwar die
Aufgabe des rechnenden Fachastronomen eine befriedigende Lösrmg
gefunden habe, nicht aber habe der Astronom als Philosoph sich daran
genügen lassen können. Da er aber sehr wohl einsah, dafs, wenn
[372. 373.] Dritter Tag. 357
schon die Himmelserscheinimgen aus falschen Annahmen heraus allen-was Kopemikus
falls eine Erklärimg finden konnten, dies noch weit besser auf Grund SysTem^aufzV
wirklich zutreffender Voraussetzungen möglich sein müsse, so begann
er sorgfaltig nachzuforschen, ob einer der bedeutenden Männer des
Altertums der Welt einen anderen Bau zugeschrieben habe als den
allgemein gebilligten des Ptolemäus. Er fand nun, dafs einige Pytha-
goreer der Erde speciell die tägliche Umdrehung, andere ihr auch die
jährliche Bewegung beigelegt hatten; da machte er sich denn daran,
mit diesen beiden neuen Voraussetzungen die Erscheinungen und Be-
sonderheiten der Planeten in Übereinstimmung zu bringen, Dinge,
welche ihm alle bequem zur Hand waren. Als er nun schliefslich sah,
dafs das Ganze auf wunderbar einfache Weise in Harmonie stand
mit seinen Teilen, so nahm er dieses neue Weltsystem an und fand
in ihm Befriedigung.^^)
Simpl. Was aber haften dem ptolemäischen Systeme für Un-
geheuerlichkeiten an, die in diesem Systeme des Kopernikus nicht
überboten würden?
Salv. Bei Ptolemäus finden sich die Übel, bei Kopernikus ihre
Heilung. Werden nicht erstlich alle Philosophenschulen es als grofsen übeistände,
Mifsstand bezeichnen, dafs ein Körper, der sich von Natur im Kreise ptolemäischen
dreht, eine uuregelmäfsige Bewegung um seinen eigenen Mittelpunkt, haften.
eine regelmäfsige Bewegung hingegen um einen anderen Punkt aus-
führt? Und doch kommen solche mifsgestaltete Bewegungen in dem
Bau des Ptolemäus vor, bei Kopernikus hingegen sind sie alle um
ihren eigenen Mittelpunkt gleichförmig. Bei Ptolemäus mufs man den
Himmelskörpern entgegengesetzte Bewegungen zuschreiben imd sie
alle von Osten nach Westen sich bewegen lassen imd dabei gleich-
zeitig von Westen nach Osten, während bei Kopernikus alle Um-
drehungen nach einer Richtung von Abend nach Morgen gerichtet
sind. Wie steht es nun aber gar mit der so mifsgestalteten schein-
baren Bewegung der Planeten, welche nicht nur bald schneller, bald
langsamer vorwärts gehen, sondern bisweilen vollständig stehen bleiben
und nachher sogar eine bedeutende Strecke rückwärts gehen? Um
diesen Erscheinungen Rechnmig zu tragen, hat Ptolemäus eine Menge
von Epicykeln eingeführt, welche er der Reihe nach für jeden be-
sonderen Planeten nach etlichen schlecht zusammenstimmenden Be-
wegungsgesetzen zurechtstutzte: diese werden sämtlich durch eine
höchst einfache, der Erde beigelegte Bewegmig beseitigt. Müfst Ihr
ferner, Signore Simplicio, es nicht für eine aufserordentliche Absurdität
erklären, wemi man auf Grund des ptolemäischen Systemes, in wel-
chem jedem Planeten besondere Sphären augewiesen sind, gleichwohl
358 Dialog über die Weltsysteme. [373. 374.]
häufig sagen mufs, dafs Mars, Avelclier über der Sphäre der Soniie
untergebracht ist, tiefer herabsteigt als die Sonne, also deren Sphäre
durchbricht und der Erde näher kommt als der Sonnenball, kurz
darauf aber wieder über die Mafsen höher hinansteigt als diese? Und
doch wird diesen und ähnlichen Monstrositäten durch die alleinige,
höchst einfache jährKche Erdbewegung abgeholfen.
Sagr. Wie dieses Stehenbleiben, Rückwärts- und Vorwärtsgehen,
welches mir immer sehr unwahrscheinlich vorgekommen ist, im koper-
nikanischen Systeme vor sich geht, möchte ich gerne des näheren
erfahren.
s^mfslrgument Salv. Ihi" Werdet diese Vorgänge derart erklärt finden, Signore
Kope"rnikusttSagredo, dafs schon diese Theorie allein ausreichen müfste, um jeden,
dllstmesISsder nicht mehr als starrköpfig und unlenksam ist, zur Beistimmuug
und Kückwärt
gehens bei der
^^^gungen."^^" also mit, dafs, ohne jedwede Änderung an der 30-jährigen Periode des
Die biofse jähr- Saturn, der 12-jährigen des Jupiter, der 2-jährigen des Mars, der
liehe ■"
der Erde veru?-9- monatlichen der Venus und der etwa 80-tägigen des Merkur die
Tn^gieichKerblofse jährliche Bewegung der Erde zwischen Mars imd Venus die
gungen^'derTtiQf anscheinenden Ungleichheiten in den Bahnen der fünf genannten Ge-
stirne verursacht. Behufs leichteren und gründlicheren Verständnisses
Nachweis der der Sache will ich die entsprechende Figur konstruieren. Nehmt also
.1 er ^drei oberen an, im Mittelpunkte 0 stehe die Soime; wir wollen um diese den
duTch''dinähr- Kreis BGM zeichnen, der von der Erde im Laufe eines Jahres be-
der Erde bedSgt schrieben wird und ferner den Kreis, der z. B. von Jupiter in 12 Jahren
um die Sonne beschrieben wird, letzterer möge hgm heifsen; endlich
denken wir uns an der Sternensphäre den Tierkreis yas. Überdies
wollen wir auf der jährlichen Bahn der Erde eine Anzahl gleicher
Bogen annehmen BC, CD, DE, EF, FG, GH, Hl, IK, KL, LM.
Auf dem Kreise des Jupiter zeichnen wir andere Bogen, die in den-
selben Zeiträumen zurückgelegt werden, in welchen die Erde die
ihrigen zurücklegt, sie mögen heifsen hc, cd, de, ef, fg, gh, hi, ih.
Jd, Im-^ diese werden in demselben Verhältnis kleiner sein als die auf
der Erdbahn angenommenen, wie die Bewegung Jupiters unter dem
Tierkreis hin langsamer erfolgt als die jährHche Bewegung. Angenommen
nun zur Zeit, wo die Erde sich in B befindet, befinde sich Jupiter
in i, so wird er uns im Tierkreise in p zu stehen scheinen, wenn
man die gerade Linie Bhp zieht. Man denke sich jetzt die Erde von
B nach C fortbewegt und gleichzeitig Jupiter von h nach c\ Jupiter
wird uns dann im Tierkreise nach q gerückt erscheinen und zwar
in rechtläufiger Bewegung nach der Ordnimg der Zeichen x), q. Geht
dann die Erde nach B und Jupiter nach (/, so wird er scheinbar in
i
[374,]
Dritter Tag.
359
den Punkt r des Tierkreises zu stehen kommen, von ^ aus wird er,
nachdem er inzwischen in e angelangt ist, im Punkte s des Tier-
kreises erscheinen, immer noch in rechtläufiger Bewegung. Wenn aber
allmählich die Erde sich mehr in die gerade Richtmig zwischen Jupiter
und Sonne schiebt, wenn sie etwa in F mid Jupiter in /' angekommen
ist, so wird er in t bereits begonnen haben, eine scheinbar rückläufige
Bewegung im Tierkreise auzunehmen. In der Zeit, wo die Erde den
Bogen ILY zurückgelegt hat, wird Jupiter zwischen den Punkten 6"
360 Dialog über die Weltsysteme. [374. 375.]
und t verweilt und für uns fast so ausgeselien liaben, als stünde er
stille und sei stationär geworden. Kommt dann die Erde nach G und
Jupiter nach g in Opposition zur Sonne, so zeigt er sich im Tierkreis
an der Stelle u und hat sich scheinbar um ein grofses Stück, nämlich
um den vollen Bogen tu des Tierkreises, rückwärts bewegt; in Wirk-
lichkeit jedoch ist er ohne Unterbrechung seines gleichförmigen Laufs
stets vorwärts gegangen, und zwar nicht nur in seiner Bahn, sondern
auch im Tierkreis mit Rücksicht auf dessen Mittelpunkt und auf die
Sonne, die in diesem Mittelpunkte steht. Wenn nun Erde und «Jupiter
ihre Bewegungen fortsetzen, Avenn die Erde in H, Jupiter in h an-
gelangt ist, so wird er scheinbar wiederum um ein grofses Stück
rückwärts gegangen sein, nämlich um den ganzen Bogen ux des Tier-
kreises. Ist die Erde in I, Jupiter in l eingetroffen, so wird dieser
scheinbar die kleine Strecke xy zurückgelegt haben und dort stationär
scheinen. Wenn nun in der Folge die Erde nach K, Jupiter nach h
gekommen ist, so hat er den Bogen yn in rechtläufigem Sinne be-
schrieben, in Fortsetzung ihrer Bahn wird die Erde von L aus den
in l befindlichen Jupiter im Punkte z erblicken, und schliefslich scheint
Jupiter, wenn er in m steht, von der Erde M aus nach a gerückt zu
sein mid zwar ebenfalls in rechtläufiger Bewegung. Sein ganzer schein-
barer Rückgang im Tierkreis ist daher vom Betrage des Bogens sy;
er scheint diesen Bogen zurückgelegt zu liaben, wenn er in Wirklich-
keit in seiner Bahn die Strecke ei, die Erde in der ihrigen die
Strecke JEI beschrieben hat.
Eückiäuflge Be- Was hier von Jupiter gesagt worden ist, gilt ebenso von Saturn
wegung häufiger j. o o / a
bei Saturn, sei- und Mars , nur dafs bei Saturn solche Rückgänge bedeutend häufiger
tener bei Jupiter, ' . . . , O O _ »
noch seltener bei vorkommen als bei Jupiter, weil seine Bewegung langsamer ist als die
Mars und Erklä- . . . . .
rung dafür, dcs Jupltcr, uud die Erde ihn also in kürzeren Zeiträumen einholt;
bei Mars hingegen sind sie seltener, weil seine Bewegung schneller ist
als die Jupiters, und die Erde also mehr Zeit gebraucht, um ihn ein-
zuholen. — Was sodann Venus und Merkur betrifft, deren Kreisbahnen
von der der Erde umschlossen werden, so ist auch bei ihnen das
scheinbare Stillestehen und Rückwärtsgehen nicht etwa eine Folge ihrer
riv:kiäufigenBe- wirklichen Bewegungen, sondern wird von der jährlichen Bewegung der
v'^nusu^Mer^kiu-Erde vcrursacht, wie Kopernikus scharfsinnig mit Berufung auf Apollonius
undlope^rnikurvoii Pcrga^''') im 35. Kapitel des 5. Buches seiner licvolutiones nachweist.
Ihr seht hieraus, wie leicht und einfach sich Rechenschaft von
wegungMer Erdeden schciubar so auffälligen Vorgängen geben läfst, welche man bei
eigu™, d^ie** auf- deu Bewegungen der fünf Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Venus und
guDgeii der fünf Merkur beobachtet, sobald man die jährliche Bewegung der Erde zu-
" klären. Schreibt; alles Sonderbare wird damit beseitigt und auf gleichförmige,
I
I
[375. 376.] Dritter Tag. 361
regelmäfsige Bewegungen zurückgeführt: und der erste, der uns die
Ursache dieser wunderbaren Erscheinung klargelegt hat, ist Nikolaus
Kopernikus gewesen.
Aber noch einen anderen, nicht minder wunderbaren Anhaltspunkt,
der vielleicht mit noch unwiderstehlicherem Zwange den widerstrebenden
menschlichen Intellekt nötigt, ienen iährlichen Umlauf zuzugeben mid Die Sonne seihst
^ ' . . ^ bezeugt, dafs die
ihn der Erde zuzuschreiben, giebt uns die Sonne selbst auf neue und jährliche Bewe-
. , , gung der Krde
überraschende Weise an die Hand. Sie wollte nicht, so scheint es, zukommt.
allein sich Aveigern, Zeugnis zu Gunsten eines so bedeutsamen Ergeb-
nisses abzulegen; sie wollte vielmehr als ein über jeden Einwand er-
habener Zeuge ^uch ihren Teil daran haben. Vernehmet denn das hohe,
neue Wmider!^*)
Der erste Entdecker und Beobachter der Sounenflecken, wie aller ^^r^^kallmfe
übrigen neuen Himmelserscheinungen, war unser Freund von der ^^^- ''^JlZker^dl7
demie dci L'mcei. Er entdeckte dieselben im Jahre 1610, als er noch denJ.°"^^®°^^^^^P^
Lehrstuhl für Mathematik an der Universität von Padua innehatte, "^/^^^^^^^^f^^;
woselbst er ebenso wie in Venedig mit verschiedenen, zum Teil noch Geschichte der
. . fortschreitenden
am Leben befindlichen Leuten darüber sprach. Em Jahr später zeigte Beobachtungen,
. . welche der Aka-
er sie in Rom vielen Personen, wie er in dem ersten seiner Briete an demiker an den
Sonnenflecken
Marhus Weiser, den Duumvirn von Augsburg, versichert. Er war der
erste, der die Ansicht der allzu Zaghaften und auf die Unveränderlich-
keit des Himmels Erpichten bekämpfte und behauptete, dafs besagte
Flecke Materien seien, die innerhalb kurzer Zeiträume entständen und
sich wieder auflösten; dafs sie, was ihren Ort betreffe, mit dem Sonnen-
balle in unmittelbarer Berührung stünden; dafs sie sich um diesen
drehten, oder aber ihre Umläufe vollzögen, indem sie von dem Soimenballe
selbst weitergeführt würden, der in Zeit von etwa einem Monat sich
um seinen eigenen Mittelpunkt drehe. Seine anfängliche Ansicht war,
dafs die Sonne diese Bewegimg um eine zur Ekliptik senkrechte Achse
ausführt; demi die von genannten Flecken auf der Sonnenscheibe be-
schriebenen Bogen erschienen unserem Auge gerade und parallel zur
Ebene der Ekliptik. Allerdings wurden dieselben zum Teil durch etliche
zufällige, unbestimmte und unregelmäfsige Bewegungen beeinflufst,
welchen die Flecken unterworfen sind, und infolge deren sie in ihrer
gegenseitigen Lage völlig gesetzlose Störungen erleiden, bald sich mehr
zusammendrängen, bald sich wieder trennen, so dafs hie und da einer
in mehrere Stücke zerfällt, und bedeutende, meist sehr sonderbare
Gestaltsveränderungen durchmacht. Trotzdem diese unregelmäfsigen
Veränderungen einigermafsen den periodischen primären Umlauf der
Flecken beeinflufsten, so liefs sich doch unser Freund in seiner Ansicht
keineswegs beirren und glaubte mm nicht etwa, dafs diese Abweichungen
3(32 Dialog über die Weltsysteme. [376. 377.]
eiue wesentliclie, gesetzliche Ursaclie hätten-, er blieb vielmehr dabei,
dals die ganze anscheinende Modifikation in jenen zufälligen Änderungen
begründet sei, gerade wie solche sich zeigen müfsten, wenn man aus
grofser Entfernung die Bewegung unserer Wolken betrachtete: diese
werden dem Beobachter gleichfalls in sehr schneller, bedeutender
und beständiger Bewegung begriffen erscheinen, sie werden innerhalb
vierundzwanzig Stunden von der täglichen Rotation der Erde — wenn
diese Bewegung der Erde zukommen sollte — fortgerissen werden in
Kreisen, die dem Äquator parallel sind, die aber doch zum Teil gestört
werden durch die von den Winden herrührenden zufälligen Bewegungen,
welche sie nach verschiedenen Himmelsrichtungen aufs Ungefähr dahin
treiben. Zu dieser Zeit geschah es, dafs Herr Welser einige Briefe
an ihn übersendete, die, von einem gewissen Anonymus Apelles ge-
schrieben, diese Flecken zum Gegenstand hatten. Gleichzeitig ersuchte
ihn der Übersender, freimütig seine Meinung über besagte Briefe mit-
zuteilen und überdies anzudeuten, welches seine eigene Ansicht über
diese Flecken sei. Dem kam er nach in drei Briefen, indem er zuerst
zeigte, wie unhaltbar die Ideen des Apelles seien, und ihm zweitens
seine eigene Meinung enthüllte, sowie ihm voraussagte, dafs Apelles
unbedingt mit der Zeit sich eines besseren besinnen und seiner Mei-
nung sich anschliefsen werde, wie es denn auch geschah. Weil es
nun unserem Akademiker däuchte — und so meinten auch andere
Kenner der Naturwissenschaften — dafs er in den genannten drei
Briefen erforscht und bewiesen habe nicht vielleicht alles, was mensch-
liche Wifsbegier fordern und wünschen mochte, aber doch was mensch-
liche Forschung über solchen Stoff' ermitteln konnte, so stellte er für
einige Zeit, mit anderen Studien beschäftigt, die fortgesetzten Beob-
achtungen ein, und blofs aus Gefälligkeit gegen den oder jenen Freund
nahm er mit einem solchen vereinzelte Beobachtungen vor. Da nach
mehreren Jahren, als er und ich auf meiner Villa delle Sehe uns auf-
hielten, traf er mit mir auf einen alleinstehenden, sehr grofsen und
dichten Sonnenfleck, und weil uns eine überaus helle, andauernd gün-
stige Witterung zu statten kam, so beobachteten wir auf meine Bitte
den ganzen Durchgang desselben, indem wir sorgfältig von Tag zu
Tag zur Zeit, wo die Soime im Meridian stand, seinen Ort zu Papier
brachten. Wie wir da nun bemerkten*'), dafs seine Bahn keineswegs
geradlinig war, sondern beträchtlich gekrümmt, nahmen wir uns vor,
von Zeit zu Zeit noch weitere Beobachtungen anzustellen. Für diesen
piützUciierEiu-Entschlufs war uns ein mächtiger Sporn der Gedanke, welcher plötzlich
fall des Akade- o i ' ^
nükers, die be- meincDi Gastc durch den Sinn schofs mid den er mir mit den Worten
dcutsameu Fol-
mitteilte: „Filippo, ich glaube, der Weg zu bedeutsamen Ergebnissen
genmgeu
I
[377. 378.] Dritter Tag. 363
ist uns erschlossen. Denn wenn die Achse, um welche sich die Sonne ^ve^h^^Ti^fder
dreht, nicht senkrecht auf der Ebene der Ekliptik steht, wie die eben foTne°nHc!ckeu'
beobachtete krumme Durchgangslinie mir andeutet, so werden Avir ^^^^ ergeben.
Anhaltspunkte für die Stellimg von Sonne und Erde gewinnen, wie
sie mit solcher Sicherheit und Beweiskraft durch keine andere Erschei-
nung bisher geliefert worden sind." Von so grofser Verheifsung an-
geregt, bat ich ihn, er möge mir offen seinen Gedanken darlegen.
Darauf er: „Wenn es die Erde ist, welche die jährliche Bewegung um^J'^^^|^''°'^^^[^^-
die Sonne längs der Ekliptik ausführt, wenn ferner die Sonne im an «len Fieckeu-
Mittelpunkte der, Ekliptik steht und in diesem um sich selber rotiert, si^,^''^",^^''Xk"-
jedoch nicht um die Achse der Ekliptik — d. h. um die Achse der j^ihr-'^^^^^J^^^^"^^^"^'^
liehen Erdbewegung — sondern um eine geneigte Achse, so müssen sich ^"^r^c^e'^Bewe-
uns seltsame Veränderungen in den scheinbaren Bewegungen der Son- s^^^^^j^'^^^J^'''*^
nenflecken zeigen, sobald man annimmt, diese Sönnenachse bewahre be-
ständig und unabänderlich dieselbe Schiefe und dieselbe Richtung nach
einem und demselben Punkte des Weltalls. Denn läuft der Erdball
in jährlicher Bewegung um die Sonne, so werden uns erstens, während
wir von jenem dahin getragen werden, die Durchgangslinieu der Son-
neuflecken allerdings bisweilen gerade erscheinen müssen, aber nur
zweimal im Jahre, zu allen anderen Zeiten werden sie merklich ge-
krümmte Bogen zurückzulegen scheinen. Zweitens wird uns die Krüm-
mung dieser Bogen während einer Hälfte des Jahres entgegengesetzt
gerichtet erscheinen wie in der anderen, sechs Monate hindurch wird
nämlich die konvexe Seite der Bogen nach dem oberen Rande der
Sonnenscheibe gekehrt sein, die übrigen sechs Monate hingegen nach
dem miteren Rande. Da drittens die Flecke unserem Auge am linken
Rande der Sonnenscheibe zuerst erscheinen, dort gewissermafsen auf-
gehen und am rechten Rande wieder verschwinden oder untergehen,
so werden die östlichen Endpunkte, also die Punkte des ersten Er-
scheinens, sechs Monate hindurch tiefer liegen als die des Verschwin-
dens, sechs andere Monate lang wird das Gegenteil stattfinden, es
werden nämlich die Flecken an höher gelegenen Punkten aufgehen,
von diesen aus sich abwärts senken und bei ihrem Laufe schliefslich
an tiefer gelegenen Pimkten verschwinden. Nur an zwei Tagen des
ganzen Jahres werden besagte Auf- und Untergangsorte in wagrechter
Linie liegen, nach diesem Zeitpunkt des Gleichgewichts wird ganz
allmählich die Bahn der Flecken sich wieder zu neigen beginnen, und
zwar von Tag zu Tag immer mehr, bis nach drei Monaten die gröfste
Schiefe erreicht wird; von da an wird sie wieder abzunehmen beginnen
und nach derselben Frist Avird die zweite GleichgCAvichtslage sich ein-
stellen. Als vierte Merkwürdigkeit ist zu verzeichnen, dafs der Tag
364
Dialog über die Weltsysteme.
[378. 379.]
der gröfsten Schiefe derselbe ist, wie der des geradlinigen Durchgaugs ;
am Tage des Gleieligewiclits hingegen wird der Bogen der Bahn mehr
als je gekrümmt erseheinen. Zu anderen Zeiten wird, je mehr die
Schiefe abnimmt und sich dem Gleichgewichte nähert, die Krümmung
der Durch gangsbogen im Gegenteile zunehmen."
Sagr. Ich weils, mein lieber Signore Salviati, dafs es ungezogen
ist, Eueren Vortrag zu unterbrechen, aber ich halte es für ebenso
schlimm, wenn Ihr Euch weiterhin in Worten ergeht, die, wie man
zu sagen pflegt, in den Wind gesprochen sind. Demi, offen gestanden,
ich kann mir keine deutliche Vorstellung auch nur von einer der
Folgerungen machen, die Ihr ausgesprochen habt. Da ich aber unter
dem unbestimmten imd verworrenen Eindruck stehe, dafs es sich um
wunderbar folgenschwere Dinge handelt, möchte ich in den Stand ge-
setzt werden, sie einige rmafsen zu begreifen.
Salv. Das Gleiche, was Ihr jetzt erlebt, widerfuhr auch mir, als
mein Gast mit blofsen Worten mir davon Mitteihmg machte. Er er-
leichterte mir dann aber das Verständnis, indem er mir den Vorgang
an einem Modell versinnlichte, welches in einer einfachen Sphäre be-
stand'"^); er benutzte dabei einige auf ihr angebrachte Kreise, aber
zu anderem Zwecke, als zu dem sie gemeinhin angewendet werden.
s^hlft,^ffche Mangels einer Sphäre will ich statt dessen Zeichuimgen auf Papier je
gun^gders^nneu-^^ch Bcdürfuis eutwerfeu. Um den ersten von mir erwähnten Um-
nehmen ^st'^in stand zu verdeutlichen, dafs nämlich die Durchgänge nur zweimal des
'^"ue°^übiTgen'"'Jatii'e''=* geradlinig erscheinen köimen, wollen wir annehmen, der Punkt 0
erklärt.
sei der Mittelpunkt der Erdbahn oder, wie wir auch sagen können,
der Ekliptik und zugleich auch des Sonnenballs selber. Infolge der
grol'sen Entfernung zwischen der Sonne vmd Erde können wir an-
nehmen, dafs wir Erdbewohner die Hälfte von jener erblicken. Der
um den Mittelpunkt 0 beschriebene Kreis AB CD soll uns demgemäfs
[379. 380.] Dritter Tag. 365
die äufserste Grenze vorstellen, welche die uns sichtbare 8oimenhemi-
sphäre von der anderen verborgenen treimt und scheidet. Nun wird
unser Auge ebenso wie der Mittelpunkt der Erde in der Ebene der
Ekliptik befindlich gedacht, in welcher sich gleicherweise der Mittel-
punkt der Soiuie befindet; wenn wir uns also den Sonnenball von ge-
nannter Ebene geschnitten denken, so wird der Schnitt unserem Auge
geradlinig erscheinen, etwa wie die Linie BOD. Errichtet man auf
ihr die Senkrechte AOC, so wird diese die Achse der Ekliptik und der
jährliclien Erdbewegung sein. Denken wir uns jetzt, dafs der Sonnen-
ball rotiere, ohne die Lage seines Mittelpunktes zu verändern, aber
nicht um die Achse AOÜ — welches die Senkrechte zur Ebene der
Ekliptik ist — sondern um eine andere etwas geneigte, etwa die Linie
EOI; denken wir uns ferner, dafs diese Achse fest und unveränderlich
beständig dieselbe Neigung und Richtung nach densell)en Punkten des
Firmaments und Weltalls beibehalte. Nun beschreibt bei den Rota-
tionen des Soimenballs jeder Punkt seiner Oberfläche mit Ausnahme
der Pole die Peri])herie eines gröfseren oder kleineren Kreises, je nach-
dem er sich in gröfserer oder geringerer Entfernung von den Polen
befindet. Nehmen wir demgemäfs in gleicher Entfernung von diesen
beiden den Punkt F und zeichnen den Durchmesser FOG, welcher
senkrecht zur Achse EI steht und welcher den Durchmesser des zu
den Polen E und / gehörigen gröfsten Kreises vorstellt. Gesetzt nun
die Erde und wir mit ihr befänden uns in einem Punkte der Ekliptik,
von dem aus die sichtbare Hälfte der Sonne durch den Kreis ABGD
begrenzt erscheint, von einem Kreise also, welcher nicht nur — wie
es stets der Fall ist — durch die Pole A und C, sondern auch durch die
Pole E und 1 geht; es steht dann ofl:enbar der gröfste Kreis mit dem
Durchmesser FG senkrecht auf dem Kreise ABCD, und gleichfalls
senkrecht auf diesem steht auch der Strahl, der von unserem Auge
nach dem Centrum 0 führt, so dafs selbiger Strahl in die Ebene des
Kreises mit dem Durchmesser FG hineinfallen mufs. Seine Peripherie
wird uns folglich als eine gerade Linie erscheinen, welche mit FG
identisch ist. Sobald also im Punkte F ein Fleck steht, der sodann
durch die Sonnenrotation weiter geführt wird, legt er auf der Somien-
oberfläche die Peripherie desjenigen Kreises zurück, der uns als gerade
Linie erscheint; seine Durchgangslinie wird sich für uns also gerade
ausnehmen. — Gleichfalls geradlinig werden auch die Bewegmigen
anderer Flecken erscheinen, welche bei derselben Rotation kleinere
Kreise beschreiben, weil diese sämtlich dem gröfsten Kreise parallel
sind, und unser Auge in unendlicher Entfernung von ihnen sich be-
findet. Wenn Ihr nun erwägt, dafs die Erde, nachdem sie in sechs
366 Dialog über die Weltsysteme. [380. 381.]
Mouateu die Hülfte ihrer Baku zurückgelegt hat, sich alsdann gegen-
über der jetzt unsichtbaren Hälfte der Sonne befindet, mithin die
Grenze des nunmehr sichtbaren Teiles gleichfalls der durch die Pole E
und I hindurchgehende Kreis AB CD ist, so werdet Ihr einsehen, dafs
die Fleckenbahnen jetzt wiederum die gleichen Eigenschaften haben
müssen, d. h. sämtlich geradlinig erscheinen werden. Da aber diese
Eigenschaft nur davon abhängig ist, dafs der Grenzkreis durch die Pole
E, I hindurchgeht, und da vermöge der jährlichen Bewegung der Erde
besagter Grenzkreis sich von Moment zu Moment ändert, so ist sein
Durchgang durch die festen Pole E,I nur momentan, und daher ist
auch die Zeit, während deren die Bewegungen der Flecken gerade er-
scheinen, nur momentan. Aus dem bisher Gesagten ergiebt sich ferner,
weil die Flecken auf der Seite von F auftreten und von dort aus an-
fangen sich zu bewegen, sodann in der Richtung nach G weiterrücken,
dafs ihre Durchgangslinien von links nach rechts aufsteigen; steht aber
die Erde auf der diametral entgegengesetzten Seite, so wird das Er-
scheinen der Flecken in der Nähe von G allerdings auch zur Linken
des Beschauers stattfinden, aber die Durchgangslinie nach F hin, also
nach rechts sich senken. — Denken wir uns jetzt, die Erde habe sich
um den vierten Teil ihrer Bahn von ihrer gegenwärtigen Lage entfernt,
und zeichnen wir in einer zweiten Figur wie zuvor den Grenzkreis
AB CD imd die Achse AC, durch welche die Ebene unseres Meridians
hindurchgehen würde.*^) In dieselbe Ebene mufs aber auch die Rota-
tionsachse der Sonne mit ihren Polen hineinfallen; einer davon ist uns
zugekehrt, d. h. auf der sichtbaren Hälfte gelegen, welchen wir mit E
bezeichnen wollen; der andere wird in die verborgene Hemisphäre hin-
einfallen, ich bezeichne ihn mit I. Neigt sich also die Achse EI mit
ihrem oberen Ende E gegen uns, so wird der infolge der Sonnenrotation
beschriebene gröfste Kreis nunmehr BFDG sein; seine uns sichtbare
Hälfte, nämlich BFD, wird nun nicht mehr geradlinig erscheinen, weil
die Pole E,I nicht mehr auf der Peripherie AB CD liegen, sie wird
vielmehr gekrümmt aussehen und zwar mit ihrer Konvexität nach C,
also nach unten gekehrt. Dieselben Erscheinungen werden offenbar
auch bei allen kleineren, dem grÖfsten Kreise BFD parallelen Kreisen
auftreten. Es versteht sich auch, dafs, wenn die Erde die diametral
entgegengesetzte Lage einnimmt, wenn sie mithin die andere Sonnen-
hemisphäre erblickt, welche jetzt verborgen ist, sie von demselben
grÖfsten Kreise den Teil DGB erblicken wird, der seine Konvexität
nach A, also nach oben kehrt. Die Sonnenfleckenbahnen in diesen
beiden Lagen der Erde werden im ersten Falle längs des Bogens BFD,
im zweiten Falle längs des Bogens DGB gelegen sein; ihre Aufgangs-
[381. 382.
Dritter Tag.
367
und Untergangsorte in der Nähe der Punkte 7> und D werden gleich
lioch, nicht die einen höher oder tiefer liegen als die anderen. —
Nehmen wir aber endlich die Erde in einem solchen Punkte der
Ekliptik an, dafs weder der Grenzkreis AB CD noch der Meridian AC
durch die Pole E, I der Achse geht, wie es diese dritte Zeichnung Euch
vorführt, wo der sichtbare Pol E
zwischen den Bogen Ä B des Grenz-
kreises und den Schnitt des Meridiaues
AC fallt: dann wird FÜG der Durch-
messer des gröfsten Kreises, FNG
der sichtbare Halbkreis und GSF der
unsichtbare sein, jener mit seiner
Konvexität iVnach unten hin gekehrt,
dieser mit seiner Wölbving S nach
dem oberen Sonuenrande gewendet.
Die Ein- und Austrittsstellen der
Flecken, d. h. die Enden F imd G
werden nicht im Niveau liegen wie im vorigen Falle B mid T), son-
dern F tiefer, G höher; jedoch wird der Unterschied geringer sein
als bei der ersten Figur. Auch wird der Bogen FNG gekrümmt sein,
aber nicht in dem Mafse wie im vorangehenden Falle BFD. Daher
werden bei dieser Lage die Durchgänge der Flecken von der linken
Seite F nach der rechten G ansteigen und in krummen Linien erfolgen.
Denkt man sich dami, die Erde sei in der diametral entgegengesetzten
Lage, es sei mithin die jetzt unsichtbare Seite sichtbar geworden und
werde von demselben Grenzkreis AB CD begrenzt, so erkennt man
ohne weiteres, dafs der Lauf der Flecken längs des Bogens GSF erfolgt
und zwar au dem höchstgelegenen Pnqjcte G beginnend, welcher gleich-
falls zur Linken des Beobachters liegt, und nach rechts hin absteigend
und am Punkte F endend. Hat man erst die bisherigen Auseinander-
setzungen verstanden, so macht es meiner Ansicht nach weiter keine
Schwierigkeiten zu begreifen, wieso die veränderliche Lage des Grenz-
kreises, welcher bald durch die Pole der Sonnenrotation hindurchgeht,
bald mehr, bald weniger weit an ihnen vorbeigeht, die sämtlichen
Verschiedenheiten in dem scheinbaren Weg der Flecken herbeiführt:
je mehr die Pole von dem Grenzkreise entfernt sind, um so krummer,
aber um so weniger schief werden besagte Bahnen sein. Bei der
gröfstmöglichen Entfernung, wenn nämlich diese Pole in der Ebene
des Meridians liegen, erreicht die Krümmimg ihren höchsten Betrag,
die Schiefe aber ihren geringsten, nämlich den des Niveaus, wie die
zweite Figur beweist. Wenn im Gegenteil die Pole auf dem Grenz-
368 Dialog über die Weltsysteme. [382. 383.]
kreise liegen, wie die erste Figur zeigt, so hat die Neigung ihren
höchsten Betrag, die Krümmung aber ihren geringsten, sie reduziert
sich nämlich auf die Geradlinigkeit. Entfernt sich der Grenzkreis von
den Polen, so beginnt die Krümmung merklich zu werden, indem sie
stetig wächst, während die Schiefe und Neigung sich verringert.
Dies sind die merkwürdigen Veränderungen, die, wie mein Gast
mir sagte, im Lauf der Zeit an den Sonnenfleckenbahnen sich zeigen
müfsten, sobald wirklich die Erde es ist, welche die jährliche Bewegung
ausführt, und sobald die Sonne, im Mittelpunkte der Ekliptik befindlich,
sich um sich selber dreht um eine Achse, die nicht senkrecht, sondern
schief zur Ebene der Ekliptik steht.
Sagr. Ich verstehe diese Folgerungen sehr wohl mid glaube sie
meiner Vorstellungskraft noch besser einprägen zu können, wenn ich
sie bestätige, indem ich eine Kugel in entsprechend geneigter Lage
von verschiedenen Seiten her betrachte. Es erübrigt noch, dafs Ihr
uns mitteilt, wie es denn mit der Verwirklichung der vorausgesagten
Erscheinungen erging.
Salv. Die Sache war so: wir setzten viele, viele Monate hindurch
unsere Beobachtungen aufs sorgfältigste fort, zeichneten mit gröfster
Genauigkeit die Durchgänge verschiedener Flecken zu verschiedenen
DieBeobachtung2;eiten dcs Jahres auf und fanden auf diese Weise, dafs der Erfolg
der Thatsachen ' '='
entsprach den o;enau dcu Voraussagungeu entsprach.
Voraus- O o o ir
sagungeu. SagF. Siguorc Simplicio, wenn das, was Signore Salviati sagt,
seine Richtigkeit hat — und wir dürfen ja seine Worte nicht in Zweifel
ziehen — dann werden die Anhänger des Ptolemäus und des Aristoteles
sich nach schlagenden Gegenbeweisen, bedeutsamen Wahrscheinlich-
keitsgründeu und unbezweifelbaren Erfahrungen umsehen müssen, um
einer so gewichtigen Bestätigung die Wage zu halten und zu bewirken,
dafs ihre Meinung nicht ganz und gar in die Höhe geschnellt werde.
Wiewohl die der Simpl. Sachte, Heber Herr, denn Ihr seid doch nicht ganz so weit,
Erde zugeschrie- l" ; 7 » ;
bene jährliche g^jg j]^j. vielleicht Euch einredet zu sein. Denn wenn ich auch materiell
Bewegung die
ers'cTe'inun^en *^^® Entwicklungen von Signore Salviati mir noch nicht völlig angeeig-
erkiärt, so folgt jjg^ habe, so kann ich doch bei Berücksichtigung ihrer Form nach
doch nicht not- ' O O
wendig imge- meiner Logik nicht finden, dafs eine derartige Schlufs weise irgendwie
kehrt aus den O 7 o o
Sonnenflecken- einen zwingendcu Beweis zu Gunsten der kopernikanischen Hypothese
erschemungen, » L J r
'^Bewe'';in"^der'''^^*§^^^^? ^^^^ uäiulich dic Sonuc im Mittelpunkte des Tierkreises fest-
Erde zukommt, gtche, uud die Erde sich längs seiner Peripherie hin bewege. Denn
weim auch wirklich bei Annahme einer solchen Somienrotation und
eines solchen Erdumlaufs notwendig an den Sonnenflecken die und die
Eigentümhchkeiten wahrzunehmen sein müssen, so folgt noch nicht
umgekehrt, dafs aus diesen Eigentümlichkeiten der Sonnenflecken sich
[383. 384.] Dritter Tag. 369
notwendig die Bewegung der Erde längs der Peripherie und die Stel-
lung der Sonne im Mittelpunkte des Tierkreises ergiebt. Denn wer
giebt mir die Gewifsheit, dafs ähnliche Eigentümlichkeiten nicht auch
an der durch die Ekhptik hin sich bewegenden Sonne von den Be-
wohnern der im Mittelpimkte stehenden Erde wahrgenommen werden
können? Wenn Ihr mir nicht zuerst beweist, dafs man von dieser
Erscheinung nicht auch Rechenschaft geben kann, indem man die
Sonne sich bewegen und die Erde feststehen läfst, werde ich meine
Meinung nicht aufgeben und dabei bleiben, dafs die Sonne sich bewegt
und die Erde unbeweglich verharrt.
Sagr. Signore Simplicio hält sich wacker, mit grofsem Scharfsinn
opponiert er und verteidigt er den Standpunkt des Aristoteles imd Ptole-
mäus. Soll ich offen sein, so scheint mir, dafs durch die Unterhaltung
^it Signore Salviati, wiewohl sie nur von kurzer Dauer gewesen ist,
seine Geschicklichkeit im Herleiten beweiskräftiger Schlüsse bedeutend
zugenommen hat, eine Wirkung, die ich auch an anderen habe beob-
achten können. Was nun das Problem betriff't, ob von den schein-
baren Eigentümlichkeiten bei der Bewegung der Sonnenflecken sich
zureichende Rechenschaft geben läfst unter der Annahme, die Erde
sei unbeweglich und die Sonne bewege sich, so erwarte ich, dafs uns
Signore Salviati seine Ansicht darüber mitteilt; denn es ist wohl
anzunehmen, dafs er darüber nachgedacht und ausfindig gemacht hat,
was sich für diesen Standpunkt vorbringen läfst.
Salv. Ich habe das öfters überlegt und auch mit meinem Freund
und Gast darüber gesprochen. Über das, was ein Teil der Philo-
sophen und Astronomen zur Stütze des alten Systems vorbringen
wird, sind wir nicht in Zweifel; wir sind nicht in Zweifel, dafs die
richtigen, echten Peripatetiker jeden verlachen, der sich mit solchen
ihrem Gaumen widerstrebenden Albernheiten einläfst, und dafs sie ^^? richtigen
' peripatetiscnen
diese sämtlichen Erscheinungen für nichtige Vorspiegelungen der Glas-^^g""j?]'^^jg^g^
linsen ausgeben werden: auf diese Weise werden sie sich leichten Kanfs '""i '^t j^® ^'''
~ trenenden
der Verpflichtung entziehen, des weiteren darüber nachzudenken. Was Erscheinungen
1: O 7 als \ orspiege-
aber die philosophischen Astronomen betrifft, so haben wir nach zieni-'^^jj^^^^^'^g^^^g""
lieh sorgfältigem Nachdenken über das, was sich etwa vorbringen liefse, lachen. ^
keinen Ausweg gefmiden, der gleichzeitig dem Wege der Flecken und
den Pfaden des Denkens gerecht würde. Ich will Euch auseinander-
^tzen, worauf wir verfallen sind, imd Ihr werdet daraus die von Euerer
Vernunft gebotene Nutzanwendung ziehen. ■^^)
Gesetzt, die scheinbaren Bewegungen der Flecken seien so, wie
oben angegeben-, gesetzt ferner, die Erde stehe imbeweglich inmitten
der Ekliptik; auf deren Peripherie hingegen befinde sich der Sonnen-
Galilei, Weltsysteme. 24
370 Dialog über die Weltsysteme. [384. .385,]
mittelpunkt, so mufs notwendig die ürsaclie aller Verschiedenheiten,
Wenn die Erde ^jjg ]^q[ dicscn Bewegungen hervortreten , ihren Sitz am Sonnenballe
unbeweglich im o !=>
Mittelpunkt des Jiabcn. Dicscr wird erstens sich um sich selber drehen und die Flecken
Tierkreises steht, , . , .
mufs man der j^j^ g[Q]^ fortführen müsscn, welche, wie wir angenommen, ja bewiesen
Sonne vier ver- ' ' . .
schiedene Bewe- jia^lgejj Jer Sonneuoberfläche anhaften Zweitens wird man sagen
gungen beilegen, ' ..,
wie des näheren müssen, dafs die Achse der Sonneurotation mcht parallel zur Achse der
aiisgeführt wird. ' t • • i i
Ekliptik ist, oder, was auf dasselbe hinauskommt, dafs sie nicht senk-
recht auf der Ebene der Ekliptik steht-, denn wäre dem so, so würden
uns die Durchgangslinien der Flecken gerade und parallel der Ekliptik
erscheinen müssen. Jene Achse ist also geneigt, weil die Durchgangs-
linien meistenteils krumm erscheinen. Drittens wird man behaupten
müssen, die Neigung dieser Achse sei nicht eine feste, stets nach dem-
selben Punkte des Universums gerichtete. Denn wäre die Schiefe stets
nach demselben Punkte gekehrt, so veränderten die Durchgangslinien
niemals ihr Aussehen, sondern gerade oder krumm, aufwärts oder ab-
wärts gebogen, ansteigend oder sich senkend, sie würden stets einmal
aussehen wie ein anderes Mal. Man mufs also notgedrungen annehmen,
die Achse drehe sich und befinde sich zuweilen in dem äufsersten Grenz-
kreise der sichtbaren Hemisphäre, dann nämlich, wenn die Flecken-
bahnen geradlinig scheinen und ihre höchste Schiefe annehmen, was
zweimal des Jahres geschieht; zu anderen Zeiten hingegen müfste sie
sich in der Meridianebene des Beobachters befinden derart, dafs der
'eine ihrer Pole in die sichtbare, der audere in die unsichtbare Hemi-
sphäre hineinfallt, und zwar würden beide von den Endpunkten, oder
wir wollen sagen von den Polen, einer zweiten zur Ekliptikachse paral-
lelen Achse — eine solche zweite Achse wird man notwendig dem
Sonnenballe beilegen müssen — um den Betrag des Neigungswinkels
der Fleckenrotationsachse entfernt sein. Ferner müfste einmal der in die
sichtbare Hemisphäre fallende Pol in der oberen, ein anderes Mal in
der unteren Hälfte derselben sich befinden; denn dafs dem so ist, da-
für liefern uns den zwingenden Beweis die Bahnen der Flecken, wemi
sie im Niveau liegen und den höchsten Grad der Krümmung besitzen,
während gleichzeitig einmal ihre Konvexität nach dem unteren, einmal
nach dem oberen Rande der Sonnenscheibe gekehrt ist. Da nun diese
Zustände in einem fortwährenden Wechsel begriffen sind, die Schiefe
und die Krümmung bald gröfser, bald kleiner wird, jene bisweilen
sich auf eine völlig wagrechte Lage reduziert, diese bis zu völliger
Geradheit sich verringert, so mufs man notwendig die Annahme
machen, die Achse der monatlichen Fleckenrotation selber habe eine
eigene Drehung, infolge deren ihre Pole zwei Kreise um die Pole
einer zweiten Achse beschreiben, die man, wie gesagt, der Sonne zu-
[385. 386.] Dritter Tag. . 3.11
schreiben mufs; der Halbmesser besagter Kreise müfste dann dem Be-
trage der Neigung dieser Aclise entsprechen. Sodann mufs die Periode
dieser Eigenbewegung der Achse ein Jahr betragen, insofern dies die
Frist ist, innerhalb welcher alle Erscheinungen und Verschiedenheiten
an den Fleckenbahnen sich wiederholen. Dafs ferner die Umdrehung
jener Achse um die Pole einer zweiten zur Ekliptik senkrechten Achse
erfolgt und nicht etwa um andere Punkte, dafür sind die Höchst-
beträge der Schiefe und der Krümmung, welche stets die gleiche Gröfse
besitzen, ein deutliches Anzeichen. — Schliefslich ist es also nötig, um
die Erde im Mittelpmikte festhalten zu können, der Sonne zwei Be-
wegungen um ihren eigenen Mittelpunkt, aber um zwei verschiedene
Achsen, zuzuschreiben, deren eine ihre Umdrehung in einem Jahre voll-
endet, während die andere sie in weniger als einem Monat ausführt,
eine Aimahme, die meiner Vernunft sehr hart, ja unmöglich erscheint.
Es rührt dies daher, dafs man dem nämlichen Sonnenball noch zwei
weitere Bewegungen um die Erde und zwar um verschiedene Achsen
beilegen mufs, indem er nämlich einmal die Ekliptik im Laufe eines
Jahres zurücklegt und andererseits Windungen oder Kreise parallel
zum Äquator einmal des Tages beschreibt. Man sieht danach keinen
Grund, warum jene dritte Bewegung der Sonne um sich selbst — ich
meine nicht die ungefähr monatliche, welche die Flecken weiterführt,
sondern ich spreche von der anderen, welche die Achse und Pole dieser
monatlichen fortbewegt — warum jene dritte Bewegung, sage ich,
ihre Periode gerade in einem Jahre vollenden soll in Übereinstimmung
mit der jährlichen Bewegung längs der Ekliptik, und nicht vielmehr
in 24 Stunden, übereinstimmend mit der täglichen Bewegung um die
Pole des Äquators. Was ich da sage, ist sehr dunkel, ich weifs es,
aber es wird Euch klar werden, wenn wir von der dritten jährlichen
Bewegung sprechen, die Kopernikus der Erde beigelegt liat.'^') Wenn
nun diese vier miteinander so schlecht vereinbaren Bewegungen,
welche man sämtlich einem und demselben Sonnenball beizulegen
hätte, sich auf eine einzige höchst einfache zurückführen lassen, welche
man der Sonne um eine unveränderliche Achse erteilt, und wenn man
ohne irgendwelche Änderung an den aus so vielen anderen Gründen
der Erde zugeschriebenen Bewegungen auf diese Weise so leicht jene
merkwürdigen Erscheinungen betreffs der Sonnenfleckenbewegungen
erklären kann, so scheint mir in der That, dieser Ausweg sei nicht
abzuweisen.
Dieses, Signore Simplicio, ist es, was bis jetzt miserem Freunde
und mir beigefallen ist, um jene Erscheinmig vom Standpunkte der
Kopernikaner mid von dem der Anhänger des Ptolemäus unter Wahrung
24*
372 Dialog über die Weltsysteme. [386. 387.J
ihrer Ansichten zu erklären. Macht Ihr nun diejenige Nutzanwendung
davon^ welche Euere Vernunft Euch anempfiehlt.
Simpl. Ich fühle mich aufser Stande bei einer so wichtigen Ent-
scheidung mitzusprechen. Meine Meinung ist, dafs ich keine Partei
ergreifen werde; ich gehe mich jedoch der Hofinung hin, dafs dereinst
die Zeit kommen wird, wo wir von höherer Offenbarung als von blofser
menschlicher Vernunft erleuchtet werden, wo der Schleier vor unserem
Geiste weggezogen, der Nebel, der ihn jetzt umfinstert, zerrissen wird.
Sagr. Vortrefflich und fromm ist die Weisung, an die sich Signore
Simplicio hält, und wert von jedermann angenommen und befolgt zu
werden; denn nur dem, was Ausflufs höchster Weisheit imd oberster
Autorität ist, kann man mit voller Zuversicht sich hingeben. Aber
insoweit es der menschlichen Vernunft gestattet ist zu forschen, er-
kläre ich, imter Beschränkung auf das Gebiet der Vermutungen und
WahrscheinHchkeitsgründe, mit etwas gröfserer Entschiedenheit als
Signore Simplicio: von allen Subtilitäten , die ich je gehört habe, hat
nichts mich mehr in Staunen versetzt, nichts einen stärkeren Druck
auf meinen Geist ausgeübt — abgesehen von den rein geometrischen
und arithmetischen Beweisen — als jene beiden Wahrscheinhchkeits-
beweise: der eine, welcher sich auf das Stillestehen mid Rückwärts-
gehen der fünf Planeten stützt, und der andere, welcher auf den Eigen-
tümlichkeiten bei den Bewegungen der Sonnenflecken beruht. Und
weil diese Erklärungen, wie mir scheint, so leicht und lichtvoll
Rechenschaft über die wahre Ursache so auffälliger Erscheinungen
geben, weil sie zeigen, wie eine einzige einfache Bewegung, zusammen-
gesetzt mit einigen anderen auch einfachen, aber imter einander ver-
schiedenen Bewegungen, alles erklärt, ohne dafs irgendwelche Schwierig-
keit entstünde, indem vielmehr alle Schwierigkeiten der gegenteiligen
Annahme beseitigt werden ^'^): so komme ich bei mir selber zum Schlufs,
dafs im bedingt diejenigen, welche sich gegen eine solche Lehre sträuben,
jene klar beweisenden Gründe entweder nicht gehört oder nicht ver-
standen haben.
Salv. Ich nenne diese Gründe weder beweisend noch auch nichfc-
beweisend; denn, wie ich öfters gesagt habe, meine Absicht ist nicht
gewesen eine so bedeutsame Frage endgültig zu entscheiden, sondern
nur die natürlichen mid astronomischen Gründe anzuführen, welche
ich für die eine oder andere Partei anzuführen weifs, während ich die
Entscheidung anderen anheimstelle. Diese wird endlich einmal unzwei-
deutig gefällt werden, da notwendig eines der beiden Systeme richtig
imd das andere falsch sein mufs, und mithin unausbleiblich die Gründe
für die wahre Lehre — ich meine nur innerhalb der Grenzen mensch-
[387—389.] Dritter Tag. 373
lieber Wissenschaft — sich als ebenso beweiskräftig herausstellen
müssen, wie die gegenteiligen als nichtig und verfehlt.
Sagr. Darnach wird es also an der Zeit sein, die Einwände des
„Thesen- oder Beweisbttchleins" zu vernehmen, welches Signore Sim-
plicio wieder mitgebracht hat.
Simpl. Hier habe ich das Buch imd hier ist die Stelle, wo der
Verfasser zuerst kurz das Weltsystem der kopernikanischen Lehre
gemäfs «besckreibt; es heifst da: Terram i(jitur iina cum Lima, totoque
hoc clemcntari mundo Copernicus, efc.^^)
Salv. Haltet einen Augenblick ein, Signore Simplicio; gleich
dieser Eingang scheint mir die Verständnislosigkeit des Verfassers
gegenüber derjenigen Lehre zu bekunden, welche er zu widerlegen sich
unterfängt-, sagt er doch, Koiiernikus lasse die Erde samt dem Monde
in einem Jahre ihre Bahn um die Sonne in der Richtimg von Osten
nach Westen zurücklegen. So falsch und unmöglich dies aber ist, so
wenig hat Kopernikus es je behauptet; er läfst sie vielmehr sich in
entgegengesetztem Sinne drehen, nämlich von Westen nach Osten d. h.
nach der Ordnung der Zeichen; infolge dessen erscheint dann ,die
Bewegung der Sonne ebenso gerichtet, da sie unbeweglich im Mittel-
punkte des Tierkreises steht. Es zeugt, wie Ihr seht, von einem allzu
kühnen Selbstvertrauen, wenn man sich an die Widerlegung der Lehre
eines anderen macht und nicht einmal ihren ersten Grundstein kennt,
auf welchem der gröfste und wichtigste Teil des ganzen Baues ruht.
Es ist das ein schlechter Anfang, um sich das Vertrauen des Lesers
zu erwerben; aber fahren wir fort.
Simpl. Nachdem er den Bau des Weltalls auseinandergesetzt, be-
ginnt er mit seinen Einwendungen gegen die jährliche Bewegung.
Die ersten sind ironisch gemeint und sollen Kopernikus und seine An-
hänger lächerlich machen. Er schreibt, man müsse diesem phantasti- ironische Ein-
schen Bau des Weltalls zuliebe die ärgsten Albernheiten behaupten : dafs^^ss°en' B^ücif-^
Sonne, Venus und Merkur unter der Erde sich befinden, dafs schwere Kopernikus.
Körper von Natur sich aufwärts bewegen, leichte abwärts; dafs Christus,
unser Herr und Erlöser in die Hölle hinaufstieg und zum Himmel
hinabfuhr; dafs auf das Geheifs Josuas, die Sonne möge stillestehen,
die Erde stillestand oder aber die Sonne sich in entgegengesetzter
Richtung zur Erde bewegte; dafs wenn die Sonne im Krebs steht, die
Erde durch den Steinbock läuft; dafs die Winterzeichen des Tierkreises
den Sommer bewirken, die Sommerzeicben den Winter; dafs nicht die
Sterne für die Erde auf- und untergehen, sondern die Erde für die
Sterne; dafs der Osten im Westen beginnt und der Westen im Osten;
kurzum dafs fast der ganze Weltenlauf in sein Gegenteil verkehrt wird.
374 Dialog über die Weltsysteme. [389. 390.]
Salv. Ich will mir alles gefallen lassen, nur nicht, dafs der Ver-
fasser Stellen der heiligen Schrift, die stets verehrimgswürdig und
ehrfurchtgehietend bleibt, leider mit diesen possenhaften, kindischen
Bemerkungen vermengt hat, dafs er mit hochheiligen Dingen auf einen
Gegner losschlagen will, während er scherzende und witzelnde Argu-
mente vorbringt, weder eine Behauptung verficht noch bekämpft, son-
dern in freierer Weise auf gewisse Voraussetzungen oder Hypothesen
hin räsonniert.^-)
Simpl. In der That, auch ich habe daran nicht geringen Anstofs
genommen und zwar vornehmlich darum, weil er nachher hinzusetzt:
wenngleich die Kopernikaner auf diese und ähnliche Gründe, wiewohl
in sehr bizarrer Weise, zu entgegnen wüfsten, so wären sie doch nicht
imstande, die folgenden Einwände zu entkräften und zu widerlegen.
Salv. Das macht die Sache vollends schlimm; denn daraus geht
hervor, dafs es triftigere und schlagendere Argumente giebt als die
Autorität der heiligen Schrift. Doch ich bitte, zollen wir dieser unsere
Ehrfurcht und gehen wir über zu den Erwägungen menschlicher Ver-
nunft. Oder lassen wir lieber die ganze Sache, wenn nicht anders der
Verfasser unter den natürlichen Gründen Dinge von besserem Verstände
vorbringt als die bisher angeführten; denn ich gebe mich wahrlich
nicht dazu her, auf so abgeschmackte Albernheiten ein Wort zu ent-
gegnen. Wenn er sagt, die Kopernikaner erwiderten auf solche Ein-
wände, so ist das durchaus falsch; es ist anzunehmen, dafs überhaupt
kein Mensch seine Zeit so unnütz zu vergeuden gewillt wäre.
Simpl. Auch ich schliefse mich diesem Urteil an. Hören wir
deshalb die anderen Einwände, die er als bei weitem schlagender be-
zeichnet. Ihr seht nun hier, wie er durch höchst genaue Rechnungen
Nimmt man an,beweist, dafs, wcmi die Bahn der Erde um die Sonne, welche nach
we^mg komme'Kopernikus von jener in einem Jahre zurückgelegt wird, fast unmerk-
mufs'ein^Fis-^lich klciu wärc im Vergleich zu der ungeheueren Fixsternsphäre, wie
*die°ganze^Erd-*uian uach Kopemikus eigenen Worten anzunehmen hat, man unbedingt
erklären und behaupten mufs, die Fixsterne besäfsen unvorstellbar grofse
Entfernungen von ims, und die kleinsten von ihnen seien gröfser als
die ganze Erdbahn und einige gröfsere überträfen sogar an Gröfse die
Saturnsphäre: Massen, die denn doch zu gewaltig sind, unfafsbar und
unbegreiflich.
Salv. Ich habe schon einen ähnlichen Einwand Tychos gegen
Kopernikus zu Gesicht bekommen"'^) imd nicht jetzt erst habe ich den
Tychos Argu- Fchlschlufs, odcr besser gesagt die Fehlschlüsse bei dessen Herleitung
voraussetzun- entdeckt. Sie stützt sich auf durchaus falsche Voraussetzungen und
gen egrun e . ^^^^ eiucu Ausspruch vou Kopcmikus selbst, der von seinen Wider-
I
[390. 391.] Dritter Tag. 375
sacherii buclistäblich genau genommen wird, ähnlich wie bei einem
Streite es diejenigen zu machen pflegen, welche in der Hauptsache Diejenigen,
TT 1 . 1 1 ' • 1 1 • • • 1 1 • 1 ■ r- TXT welche bei einem
Unrecht haben, sich aber an em emziges nebenbei hingeworieues Wortstreite unrecht
des Gegners klammern und sich unaufhörlich mit Geschrei über dieses sich Jn ein zu-
ergehen. Zu besserem Verständnis diene Euch folgendes. Nachdem feues wort des
Kopernikus jene bewundernswerten Schi ufs Folgerungen auseinandergesetzt
hat, welche sich aus der jährlichen Bewegung der Erde hinsichtlich
der anderen Planeten ergeben, nämlich das Vor- und Rückwärtslaufen
insbesondere der drei oberen, fügt er hinzu, dafs diese scheinbare
Verschiebung — welche bei Mars mehr als bei Jupiter hervortritt wegen
der gröfseren Entfernung Jupiters, und welche noch weniger bei Saturn
bemerkbar ist, weil er noch weiter entfernt ist als Jupiter — bei den Die scheinbare
Fixsternen unmerklich sei wegen ihrer im Vergleich zu Jupiter oder der Bewegung
Saturn unermefslich grofsen Entfernung von uns. ^*) Darauf nun stürzen ten ist bei den
die Gegner dieser Ansicht los und legen jene genannte Unmerklichkeit, merklich.
als ob sie von ihm als Avirklich und absolut gleich Null ausgegeben
worden wäre, ihren weiteren Ausführimgen zu Grunde. Sie fügen
hinzu, dafs ein Fixstern, auch einer der kleineren, immerhin von merk-
licher Gröfse ist, da er durch den Gesichtssinn wahrgenommen wird,
und unter Zuhilfenahme anderer falschen Amiahmen berechnen und
beweisen sie, man müfste nach koperuikanischer Lehre annehmen, dafs
ein Fixstern gröfser sei als die ganze Ekliptik. Um das Verfehlte
dieser ganzen Schlufsweise darzuthun, werde ich zeigen, dafs unter der unter der An-
Annahme, ein Fixstern sechster Gröfse sei nicht gröfser als die Sonne,Fix8ternsechster
sich ein zuverlässiger Beweis dafür ergiebt, dafs die Entfernung eines gröfser sei au
solchen Fixsternes von uns bereits grofs genug ist, damit durch die Verschiebung,
•1T11-« !• i'i -\ 1 1 II welche bei den
jährliche Bewegvmg keine schembare Ortveränderung desselben ver- Planeten grofs
'ursacht wird, obgleich durch diese nämliche Bewegung bei den Plane-stemen fast un-
ten so bedeutende, leicht zu beobachtende Änderungen hervorgerufen
werden. Desgleichen will ich im einzelnen die argen Fehler in den
Annahmen der Gegner des Kopernikus nachweisen.
Erstlich setze ich mit Koj)ernikus und in Übereinstimmung mit
seinen Gegnern voraus, dafs der Halbmesser der Erdbahn oder die
Entfernung zwischen Erde imd Sonne 1208 Erdhalbmesser betrage. ^^) ^'^'^"''1^» '^"'^
o D. / Sonne beträgt
Zweitens nelime ich gleichfalls der herrschenden Ansicht und der Wirk- ^^os Erdha'b-
^ messer.
lichkeit entsprechend an, der scheinbare Durchmesser der Soime in
ihrer mittleren Entfernung-"^«) betrage etwa einen halben Grad d. h-'^^^^'l^TgLtiVh''
30 Minuten oder 1800 Sekunden oder 108 000 Terzen. Da nim der "'''era^d.^'"'"
scheinbare Durchmesser eines Fixsternes erster Gröfse nicht mehr als Durchmesser
eines Fixsternes
5 Sekunden oder 300 Terzen beträgt, der Durchmesser eines Fixsterns^"*«'" "^^^ eines
^ ^ sechster Gröfse.
sechster Gröfse aber nur 50 Terzen^^) — hierin liegt der Hauptfehler
376 Dialog über die Weltsysteme. [391. 392.]
Wievielmal der Gegner des Kopernikus — so ist der Durchmesser der Sonne
scheinbare 2160mal SO grofs als der eines Fixsterns sechster Gröfse. Wenn man
soijue als der dalier aimimmt, ein Fixstern der sechsten Gröfse sei wirklich gleich
ist. der Sonne und nicht gröfser als diese^ oder, was auf dasselbe hinaus-
kommt, wenn die Sonne sich soweit entfernte, dafs ihr Durchmesser
nur den 2160*^'' Teil seiner gegenwärtigen scheinbaren Gröfse annimmt,
so würde ihre Entfernung 2160mal gröfser sein, als sie in Wirklich-
wie grofs die kcit ist, oder mit anderen Worten, es müfste die Entfernung eines
Fix3ternes°seciis-Fixsterns scclister Gröfse 2160 Erdbahnhalbmesser betragen. Weil
ter Gröfse sein T-nr i a it-ii
mufs unter der nun die Entfernung der Sonne von der Erde nach allgemeiner An-
Annahme, der
Stern sei so grofsnahme 1208 Erdhalbmesser beträgt, die Entfernung der Fixsterne aber,
wie die Sonne.
wie gesagt, 2160 Halbmesser der Erdbahn, so ist der Halbmesser der
Erde im Vergleich zu dem der Erdbahn viel gröfser — nämlich fast
doppelt so grofs als der Halbmesser der Ekliptik im Vergleich zu der
Bei den Mxster-Entfemung der Fixstemsphäre. Daher mufs also die Verschiebung
nenist die durcli. i-i x ttt iitit/^pi
die Erdbahn be m der schcmbaren Lage der r ixsterne , welche durch die Gröfse des
wirkte Lagen-
Veränderung Erdbahndurchmesscrs verursacht wirdj nur wenig merklicher sein als
wenig gröfser ^ ... . .
als au der sonnedie Verschiedenheit in der Lage der Sonne, soweit eine solche durch
die durch die
Erde bewirkte die Gröfsc dcs Erdhalbmcssers bedingt ist.
Verschiebung.
. Sagr. Das heifst gleich beim ersten Schritte ein gut Stück hin-
untergehen!
Salv. In der That kein kleiner Fehler! Deim nach der Rech-
nung des Verfassers müfste ein Fixstern sechster Gröfse, um das Wort
Sterne sechster des Kopemikus zur Wahrheit zu machen, so grofs sein wie die ganze
Gröfse von Tycho ..... . 70 o
und dem ver- Ekliptik, iu Wirklichkeit hingegen braucht man ihn nur der Sonne
fasser des Buch- ^ ' . ° °
leins 10 600 000- an Gröfse gleich anzunehmen, welche noch lange nicht den zehnmillion-
mal zu grofs an- _ _ _
genommen, tcu Teil dcs Ofbis magnus ausmacht ^^), und doch verleiht man damit
der Sternensphäre hinreichende Gröfse und Höhe, um den gegen Koper-
nikus erhobenen Einwand zu entkräften.
Sagr. Führt mir doch, bitte, diese Rechnung aus.
Salv. Die Rechnung ist einfach und ganz kurz. Der Durchmesser
Berechnung derder Soimc beträgt 11, dcr der Erdbahn 2416 Erdhalbmesser nach über-
. Gröfse eines Fix- ...
Sterns im Ver- einstimmender Ansicht der gegnerischen Parteien ^'^): demnach enthält
hältnis zum vrbis o o j i
mwjnus. der Durchmesser der Erdbahn den der Sonne nahezu 220mal. Da
sich nun zwei Kugeln zu einander verhalten wie die Kuben ihrer
Durchmesser, so bilden wir den Kubus von 220, welcher 10 648 000
beträgt, und finden mithin, dafs der orhis magnus 10 648 OOOmal gröfser
ist als die Sonne; diesem orhis magnus aber, meinte der Verfasser,
müsse ein Stern der sechsten Gröfse gleich sein.
Sagr. Der Irrtum von jenen besteht also in dem aufserordent-
[392.393.] Dritter Tag. 377
liehen Fehler, den sie bei Bestimmung des scheinbaren Durchmessers
der Fixsterne begehen.
Salv. Darin liegt der Irrtum, aber nicht darin allein. Ich bin
in der That höchlichst verwundert, dafs so viele Astronomen, auch Gemeinsame
solche von bedeutendem Rufe, wie Al-Fcrgani, Älhategnius, ThMt und Astronomen be-
rr • i • m 1 m • r(\\ i n -vt treffs der Gröfse
in neuerer Zeit em lycno, Clavms ), kurzum alle Vorganger unseres der steme.
Akademikers sich so bedeutend in der Bestimmung der scheinbaren
Gröfse sowohl der Fixsterne als der Planeten geirrt haben, abgesehen
von den beiden Hauptleuchten Sonne und Mond; dafs sie nämlich gar
nicht auf den hinzutretenden Strahlenkranz geachtet haben, der sie
trügerischer Weise mehr als hundertmal gröfser erscheinen läfst, als
wenn man sie ohne ihren Haarschmuck betrachtet. Auch ist diese
ihre Unachtsamkeit nicht zu entschuldigen, denn es stand sehr wohl
in ihrer Macht, wenn es ihnen beliebte, die Sterne ohne Haare zu
beobachten; braucht man sie doch nur bei ihrem ersten Erscheinen des
Abends oder unmittelbar vor ihrem Verschwinden in der Morgen-
dämmerung zu betrachten. Zum allermindesten hätte Venus sie auf venug läfst den
ihren Fehler aufmerksam machen müssen, da man sie doch oftmals mitten nomen bli Be-
am Tage sieht, aber in solcher Kleinheit, dafs man allerdings scharfsfem^örsen un-
hinsehen mufs, während sie m der folgenden Nacht wie eine gröfse '"'Tcheinen.^''"
Lichtflamme aussieht. Ich glaube jedenfalls, dafs sie nicht die Gröfse
der in tiefer Finsternis sichtbaren Scheibe für die wahre hielten, son-
dern die, welche sich bei heller Umgebung beobachten läfst. Demi
unsere irdischen Lichter, welche von weitem gesehen bei Nacht grofs
erscheinen, deren wirkliche Flämmchen aber aus der Nähe scharf be-
grenzt und klein erscheinen, hätten sie hinreichend vorsichtig machen
sollen. Ja, um offen zu reden, ich glaube zuversichtlich, dafs keiner
von ihnen, auch Tyclio nicht, der so peinlich in der Handhabung der
astronomischen Instrumente war und der so gröfse und genaue Appa-
rate herstellte, ohne die bedeutendsten Kosten zu scheuen, jemals .ver-
sucht hat, den scheinbaren Durchmesser eines Sternes mit Ausnahme
von Sonne und Mond aufzunehmen und zu messen. Meiner Ansicht
nach hat vielmehr einer der alten Astronomen nach dem Augenmafse,
wie man zu sagen pflegt, willkürlich angegeben, es sei damit so "
und so, und die Nachfolger haben sich dann ohne fernere Prüfung
bei diesem ersten Entscheide beruhigt. Hätte nämlich einer von ihnen
sich daran gemacht die Sache nachzuprüfen, so würde er die Täuschung
unzweifelhaft bemerkt haben.
Sagr. Wenn jene aber das Fernrohr nicht kannten und unser
Freund, wie Ihr früher sagtet, mittels dieses Instrumentes zur
Erkemitnis der Wahrheit gelangt ist, so darf mau immerhin die
378 Dialog über die Weltsysteme. [393. 394.]
anderen entschuldigen imd braucht sie nicht der Nachlässigkeit zu
zeihen.
Salv. Das wäre richtig, wenn mau ohne das Fernrohr die ge-
wünschte Absicht nicht erreichen könnte. Nun erleichtert allerdings
dieses Instrument, welches die Scheibe des Sternes nackt und hundert-
oder tausendfach vergröfsert zeigt, die Aufgabe sehr bedeutend-, aber
sie läfst sich auch, wenn gleich minder genau, ohne dasselbe lösen.
Ich habe dies wiederholt gethan und zwar war die von mir benutzte
Methode folgende. *"') Ich liefs vor irgend einem Stern eine Schnur
Methode zur herabhängen: ich benutzte zu diesem Zweck die Wega in der Leier,
Messung des
scheinbaren wclchc zwischen Nord und Nordost aufgeht. Indem ich mich nun
Durchmessers , , .
der Sterne, der zwischeu mir und dem Stern befindlichen Schnur bald näherte,
bald mich von ihr entfernte, fand ich die Stelle, von der aus die
Breite der Schnur mir gerade den Stern verdeckt. Darnach mafs ich
die Entfernung des Auges von der Schnur, welche gleich einer der beiden
den Sehwinkel einschliefsendeu Seiten ist, während die Breite der
Schnur die ihm gegenüberliegende Seite bildet; dieser Sehwinkel ist
dann ähnlich oder vielmehr gleich dem Winkel, der auf dem Durch-
messer des Sterns in der Fixsternsphäre steht. Aus dem Verhältnis
der Breite der Schnur zu der Entfernung zwischen Schnur und Auge
fand ich mittels der Bogen- und Sehneutafel unmittelbar die Gröfse
des Winkels. Nur bedurfte es der üblichen Vorsichtsmafsregel, die
man bei Messung so spitzer Winkel zu beobachten haf"-); man darf
nämlich nicht das Zusammenstofsen der Sehlinien im Mittelpunkte des
Auges l^estimmen wollen, wohin dieselben nur gebrochen gelangen,
sondern aufserhalb des Auges, wohin sie in Wirklichkeit unter Be-
rücksichtigung der Pupillengröfse konvergieren.
Sagr. Ich begreife diese Vorsichtsmafsregel, wiewohl ich dabei
noch ein gewisses Bedenken nicht unterdrücken kann. Was mir aber
gröfsören Anstofs erregt, ist, dafs bei diesem Versuche, wenn er iu
dünkeler Nacht angestellt wird, der Durchmesser der Scheibe samt
dem darum befindlichen Strahlenkranze gemessen wird und nicht die
wahre, nackte Scheibe des Sternes.
Salv. 0 nein; die Schnur nimmt nämlich in dem Augenblick, wo sie
das nackte Körperchen des Sternes bedeckt, die Haare weg, welche nicht
von ihm, sondern von unserem Auge herrühren und welche sofort ver-
schwinden, sobald die wirkliche Scheibe desselben verdeckt wird. Weim
Ihr die Beobachtuug anstellt, werdet Ihr sehen, wie die ziemlich grofse
Flamme ganz unerwartet von einer düimen Schnur bedeckt wird, wäh-
rend mau glauben sollte, sie könne erst durch ein viel gröfseres Hin-
dernis zum Verschwinden gebracht werden. Um ferner ganz scharf
[394] Dritter Tag. 379
zu messen und zu ermitteln, wievielmal die Breite der Schnur in der
Entfernung vom Auge enthalten ist, nehme ich nicht den einfachen
Durchmesser der Schnur, sondern lege viele einzelne Stücke derselben
auf eine Tafel neben einander, sodafs sie sich berühren, nehme sodann
mit einem Zirkel die ganze Breite der 15 bis 20 benutzten Stücke,
und mit diesem Mafse messe ich endlich mittels eines anderen feineren
Fadens die Entfernung von der breiteren Schnur bis zum Schnittpunkte
der Sehlinien. Durch dieses sehr genaue Verfahren finde ich als schein-
baren Durchmesser eines Fixsternes erster Gröfse statt des gewöhn-
lich angenommenen Betrags von 2 oder gar 3 Minuten, welche Tycho
nag. 167 seiner astronomischen Briefe angiebt^"^), einen Betrag von nicht Durchmesser
^ ^ . . eines Fixsterues
mehr als 5 Sekunden, was der vierundzwanzigste , bezw. sechsund- erster Orörse
. . nicht mehr als
dreifsigste Teil von dem ist, was man bisher geglaubt hat. Ihr seht s Sekunden.
nun, auf was für schwere Irrtümer jene Lehren sich gründen.
Sagr. Ich sehe und verstehe das sehr wohl; bevor wir indessen
weiter gehen, möchte ich das Bedenken zur Sprache bringen, welches
sich in mir regt. Es bezieht sich auf die Bestimmung des Schnitt-
punktes der Sehlinien aufserhalb des Auges, sobald man Objekte be-
trachtet, die unter sehr spitzem Winkel erscheinen; mein Bedenken
geht von der Erwägung aus, dafs ein solcher Schnittpunkt möglicher-
weise bald mehr, bald weniger weit entfernt sein kami, und zwar
nicht sowohl wegen der gröfseren oder geringeren Ausdehnung des
beobachteten Objekts, als weil meiner Meinung nach auch bei Be-
obachtung von gleich grofsen Objekten das Zusammentreffen der Strahlen
aus einer anderen Rücksicht bald mehr bald weniger vom Auge statt-
finden mufs.
Salv. Es ist mir schon klar, worauf der Scharfsimi eines so sorg-
fältigen Beobachters der Naturerscheinungen, wie Signore Sagredo es
ist, abzielt. Ich möchte jede Wette eingehen, dafs unter tausend Leuten,
die. bei den Augen der Katzen die Pupille sich bedeutend verengerncie Öffnung der
, ,. ... . . . Pupille dos
und erweitern sahen, keine zwei, vielleicht nicht einer sich befindet, ^.iiges erweitert
. . »md verengert
der eine ähnliche Erscheinung an der menschlichen Pupille wahr- sich.
gQjiommen hätte, je nachdem beim Sehen das Medium stark oder
schwach erleuchtet ist; der bemerkt hätte, wie bei hellem Licht der
kleine Kreis der Pupille sich stark zusammenzieht, sodafs er bei Be-
trachtung der Somienscheibe bis unter die Gröfse eines Hirsekorns
zusammenschrumpft, während er zur Gröfse einer Linse oder noch
weiter sich ausdehnt, wenn man nach nicht so glänzenden, in minder
heller Umgebung befindlichen Objekten hinschaut: kurz die Erweite-
rung und Verengerung kann bis zu einem zehnfachen Betrage sich
steigern oder abnehmen. Hieraus geht hervor, dafs notwendig bei
380 Dialog über die Weltsysteme. [395.]
stark erweiterter Pupille der Scheitel des SeMinieuwinkels weiter Aveg
vom Auge liegt, welcher Fall bei Beobachtung schwacherleuchteter
Objekte eintritt. Ein Gesichtspunkt, auf den ich jetzt erst durch
Signore Sagredo aufmerksam geworden bin: wir müssen, wenn es sich
um eine sehr genaue und wichtige Beobachtung handelt, die Ermitte-
lung dieses Schnittpunktes jedesmal bei Ausführung des Versuches
selbst oder eines ganz ähnlichen vornehmen. Im vorliegenden Falle
aber, wo es sich nur um Nachweis des Irrtums des Astronomen han-
delt, ist eine solche Genauigkeit nicht nötig. Denn nähmen Avir auch
zu Gunsten der Gegenpartei au, der Schnittpunkt läge auf der Pupille
selbst, so würde das Aveuig ausmachen, so grofs ist ihr Fehler. Ich
weifs nicht, Signore Sagredo, ob es das ist, worauf Ihr hinaus wolltet.
Sagr. Gerade das ist es. Es ist mir lieb, dafs mein Bedenken,
Avie ich aus dem Zusammentreffen mit Euch entnehme, nicht so imver-
nüuftig gewesen ist. Bei diesem Anlafs würde ich doch aber gerne
hören, auf welche Weise sich die Entfernung des Schnittpunktes der
Sehlinien bestimmen läfst.
Salv. Das Verfahren ist sehr einfach und besteht in folgen-
wie mau die dem. Ich uchme zwei Papierstreifeu , einen schwarzen und einen
Entfernung des
Schnittpunktes weifseu, uud zwar mache ich den schwarzen halb so breit als den
der Sehlinien .
von der Pupille weifseu. Ich befestige sodann den weifsen au einer Wand : 1 5 bis 20
ermittelt.. " '
Ellen entfernt davon stelle ich mittels eines Stabes oder sonst einer
Stütze den anderen Streifen auf und entferne mich von diesem zweiten
in derselben Richtung um die nämliche Strecke. Es ist klar, dafs in
dieser Entfernung der Schiiittpimkt derjenigen geraden Linien liegen
mufs, Avelche von den beiden Enden einer Querlinie des Aveifsen Strei-
fens durch die Endpunkte der entsprechenden Querlinie des dazwischen
gelegenen schwarzen Streifens hindurchgehen. Daraus folgt weiter,
dafs sobald das Auge in diese Entfernung versetzt wird, der halbwegs
eingeschobene schwarze Streifen genau den weifsen dahinterbefindlichen
bedecken müfste, wenn die Gesichtsempfiudung blofs auf einen Punkt
beschränkt wäre. Wenn sich aber ergiebt, dafs der Rand des weifsen
Streifens hervorsteht, so ist das ein zwingender Grmid für die An-
nahme, dafs die Sehlinien nicht sämtlich von einem Punkte ausgehen.
Um zu bewirken, dafs der weifse Streifen von dem schwarzen bedeckt
Averde, wird man das Auge näher heranbringen müssen-, hat man das
soweit gethan, dafs der nähere Streifen mit dem entfernteren zusammen-
fällt imd sich gemerkt, wie Aveit man das Auge nähern muTs, so ist
der Betrag dieser Annäherung ein zuverlässiges Mafs, um wieviel der
Avahre Schnittpunkt der Sehlinien bei diesem Versuche hinterAvärts
vom Auge liegt. Wir erhalten ferner den Durchmesser der Pupille
[39G.] Dritter Tag. 381
oder derjenigen Öffnung, von welclieni die Sehlinien ihren Ausgang
nehmen; er wird nämlich sovielmal in der Breite des schwarzen Strei-
fens enthalten sein, wie die Entfernimg zwischen dem Schnittpunkt
der beiden durch die Streifenräuder gezogenen Linien und dem Orte,
wo für das Auge zuerst der entfernte Streifen durch den nahen l)e-
deckt wird — wie diese Entfernung, sage ich, in dem Abstände der
beiden Papierstreifeu enthalten ist. Wenn wir daher den scheinbaren
Durchmesser eines Sternes mit höchster Genauigkeit messen wollten
imd hätten in der oben beschriebenen Weise den Versuch angestellt,
so müfsten wir noch das Verhältnis des Schnurdurchmessers zu dem
Pupillendurchmesser in Betracht ziehen. Angenommen, der Durch-
messer der Schnur sei viermal so grofs als der der Pupille^*) und die
Entfernung des Auges von der Schnur betrage z. B. 30 Ellen, so wer-
den wir sagen müssen, dafs der wahre Schnittpunkt der von den Rän-
dern des Sternes ausgehenden und die Ränder der Schnur berührenden
Linien 40 Ellen von der Schnur entfernt sei. Denn nur dann wird
•das Verhältnis gebührend in Betracht gezogen, welches zwischen der
Entfernung der Schnur vom Schnittpunkt besagter Linien und der
Entfernung dieses Schnittpunktes von dem Orte des Auges besteht;
dieses Verhältnis mufs nämlich das gleiche sein, wie das des Schnur-
durchmessers zu dem Pupillendurchmesser.
Sagr." Ich habe das sehr wohl verstanden, hören wir nun, was
Signore Simplicio zur Verteidigung der Gegner des Kopernikus an-
zuführen hat.
Simpl. Obgleich dieser ärgste, ganz und gar unzulässige Übel-
stand, auf welchen die Gegner des Kopernikus hingewiesen haben,
durch die Darstellung des Signore Salviati in wesentlich verändertem
Lichte erscheint, ist er doch, wie ich glaube, nicht dermafsen aus dem
Wege geräumt, dafs er nicht noch Kraft genug besälse, um besagte
Ansicht vernichtend zu widerlegen. Denn wenn ich Euer letztes End-
ergebnis recht verstanden habe, so müfsten bei der an sich schon
schwer glaublichen Annahme, die Sterne sechster Gröfse seien so grofs
wie die Sonne, doch jedenfalls durch die Gröfse der Erdbahn solche
Verschiebungen und Änderungen an der Fixsternsphäre hervorgebracht
werden, wie durch die Gröfse des Erdhalbmessers an der Sonne,
welch letztere immerhin wahrzunehmen sind. Da man aber weder
eine solche, noch auch eine kleinere Veränderung dieser Art an den
Fixsternen wahrnimmt, so scheint mir aus diesem Grunde die jähr-
liche Bewegung der Erde trotzdem unrettbar verloren.
Salv. Ihr hättet Recht mit diesen Schlüssen, Signore Simplicio,
wenn sonst nichts zu Gunsten des Kopernikus anzuführen wäre; es
382 Dialog über die Weltsysteme. [397. 398.]
läfst sich aber noch gar manches sagen. Was Euere Erwiderung an-
geht, so steht nichts -der Annahme im Wege, dafs die Fixsterne noch
viel weiter entfernt sind, als wir eben angenommen haben. Ihr selbst
Die Astronomen jjgjjgl^ allen dcueu, wclche die von den Anhängern des Ptolemäus ge-
sind der überein- ' zd o
stimmenden Ijülig-ten Behauptuucfeu nicht fallen lassen möchten, werdet als zweck-
Ansicht, dafs die o L O > ^
gröfsere Lang- mäfsigstc Anuabme anerkennen müssen, dafs die Fixsternsphäre ganz
samkeit der O 7 i o
Umdrehungen aufserordeutlich viel gröfser ist, als wir sie eben schätzen zu müssen
durcu die '-> '
gröfsere Aus- glaubten. Alle Astrouomeu nämlich betrachten übereinstimmend als
dehnung der O
Sphären vemr- Ursache der abnehmenden Umlaufsgeschwindigkeiten bei den Planeten
sacht wird. O o ^
das Wachsen ihrer Sphären: sie nehmen an, dafs Saturn darum sich
langsamer bewege als Jupiter, und Jupiter langsamer als die Sonne,
weil der erste einen gröfseren Kreis zu beschreiben hat als der zweite,
und dieser einen gröfseren Kreis als die Sonne u. s. w. Insofern also
z. B. Saturn, dessen Sphäre neunmal so hoch ist als die Sonnensphäre,
eine 30 mal so lange Umlaufszeit gebraucht als die Sonne, insofern
weiter nach der Lehre des Ptolemäus eine Umdrehung der Fixstern-
sphäre in 36000 Jahren sich vollzieht, die des Saturn hingegen in 30,.
Auf Grund j^g der SoTiTift in einem Jahre, so schliefse ich auf ein ähnliches Ver-
anderer, den _ '
Astronomen ent-]2ältnis uud Sage: wcmi die Sphäre des Saturn, weil sie neunmal gröfser
nommenen Vor- <-■ ^ ' ^ _ /-^
Aussetzungen fgt als die der Sonne, sich in 30 mal so langer Zeit umdreht, wie grofs
wird die üntfer- ' _ _ . .
uung der Fix- j^ufs uach der ratio eversa eine Sphäre sein, welche sich in 36000
stemsphäre auf " ...
10 800 Erdbahn- Jaiii-en einmal umdreht?**^) Man wird finden, die Entfernung der Fix-
halbmesser be- ■' / o
rechnet. stcmsphäre müsse 10800 Erdbahnhalbmesser betragen, was ein genau
fünfmal so grofser Betrag ist wie der eben berechnete, zu welchem wir
auf Grund der Annahme gelangten, eiu Fixstern sechster Gröfse sei
so grofs wie die Sonne. Ihr seht, wie aus diesem Betracht die durch
die jährliche Erdbewegimg hervorgebrachte Lagenveränderung der Fix-
sterne noch viel unerheblicher sein müfste. Und wenn wir auf Grimd
einer ähnlichen Beziehung die Entfernung der Fixsternsphäre aus der
Aus demver- des Jupitcr odcr des Mars ermitteln wollten*"'), so würde sich in dem
hältnisse Jupiters _ ^ ^'
oder dem des einen Falle ein Betrag von 15000, im anderen von 27 000 Erdbahn-
Mars ergiebt " '
sich d
nung
Entfer- Halbmessern ergeben, d. h. also ein siebenmal, bezw. 12 mal gröfserer als
Sternensphäre der, wclchcr aus der Annahme von der Gleichheit eines Fixsterns
noch weit '
gröfser. sechstcr Gröfse mit der Sonne hervorging.
Simpl. Mir scheint, darauf liefse sich erwidern, dafs man in der
Zeit nach Ptolemäus entdeckt hat, die Bewegung der Fixsternsphäre
sei nicht so langsam, wie er meinte. Ja ich glaube gehört zu haben,
dafs Koi^ernikus selbst dies zuerst beobachtet hat.^')
Salv. Was Ihr sagt, ist sehr richtig, aber es spricht nicht zu
Gunsten der Anhänger des Ptolemäus, welche niemals gegen die 36000-
jährige Bewegung der Fixsternsphäre darum einen Einwand erhoben,
[398. 399.] Dritter Tag. 383
weil eine solclie Langsamkeit eine zu gewaltige und mierinefsliclie
Ausdehnung im Gefolge hätte. Denn wenn eine solche Unermefslich-
keit nicht in der Natur geduldet werden durfte, so hätten sie nicht
erst jetzt, sondern schon früher eine so langsame Umdrehung in Ab-
rede stellen müssen, die sich unter Wahrung einer guten Proportion
mir in Einklang mit einer unzulässig grofseu Sphäre bringen läfst.
- Sagr. Ich bitte Euch, Signore Salviati, verlieren wir nicht weiter
unsere Zeit damit, auf Grund solcher Proportionen etwas ausrichten
zu wollen Leuten gegenüber, die bereit sind, die unproportioniertesten
Dinge anzuerkennen, denen also auf diesem Wege unmöglich ein Er-
folg abzuringen ist. Kann man sich eine unproportioniertere Proportion
denken, welche gleichwohl von jenen hingenommen und anerkaiuit wird,
als dafs sie einerseits schreiben, die passendste Anordnung der Him-
melssphären sei die auf Grund ihrer verschiedenen Umlaufsperioden,
dafs sie demgemäfs der Stufenfolge nach die langsameren über die
schnelleren setzen, und dafs sie andererseits auf einmal, nachdem sie
die Sternensphäre als die langsamste von allen zu oberst hingepflanzt
haben, über dieser eine noch höhere und also noch gröfsere Sphäre
anbringen und ihr eine 24 stündige Umdrehung beilegen, während die
ihr unmittelbar vorangehende sich in 36000 Jahren bewegt? Aber
über diese Mifsverhältnisse haben wir uns gestern schon zur Genüge
ausgelassen.
Salv. Ich möchte, Signore Simplicio, Ihr sagtet Euch für einen
kurzen Augenblick von der Vorliebe los, die Ihr Eueren Gesinnungs-
genossen zollt und teiltet mir aufrichtig mit, ob sie Eueres Dafür-
haltens in ihrem Geiste eine Vorstellung von derjenigen Ausdehnung
haben, welche sie ihrer Unermefslichkeit wegen dem Weltall als immög-
lich absprechen; denn was mich anlaugt, so glaube ich das nicht. Wie
bei. der Auffassung der Zahlen, sobald man zu Tausenden von Millionen LTnermefsiiche
~ / Grolsen und
gelangt, die Einbildungskraft irre wird und sich kein Bild mehr „^^^Jg^ y^^.
machen kann, ebenso, glaube ich, geschieht es auch bei der Auffassung '*'''°'^®"°^=»^«^*'"-
von Ausdehnungen imd Entfernungen, so dafs dem Verstände etwas
Ahnliches widerfährt wie der sinnlichen Anschauung: denn wenn ich
in einer heiteren Nacht nach den Sternen bücke, so beträgt für meine
sinnliche Wahrnehmung ihre Entfernung einige wenige Miglien, die
Fixsterne scheinen mir nicht im mindesten weiter entfernt als Jupiter
oder Saturn, ja nicht einmal als der Mond. Doch ohne soweit aus-
zuholen, denkt nur an die Streitigkeiten zwischen den Astronomen
und den peripatetischen Philosophen betreffs der Entfernung der neuen
Sterne in der Kassiopeja und im Schützen, von denen jene sie zu den
Fixsternen rechnen, diese sie für näher als den Moiid halten. So un-
384 Dialog über die Weltsysteme. [399. 400.]
fähig sind unsere Siiine, grofse Entfernungen von den allergröfsten zu
unterscheiden, wiewohl diese in Wahrheit vieltausendmal jene über-
treffen. Darum frage ich dich schliefslich, du thörichter Mensch: Be-
greifst du mit deinem Geiste die Gröfse des Weltalls, die du für allzu
gewaltig ausgiebst? Und wenn du sie begreifst, wirst du glauben
mögen, dafs deine Fassungskraft weiter reicht als die göttliche Allmacht?
Wirst du zu behaupten wagen, dafs du dir Gröfseres vorzustellen ver-
magst, als Gott auszuführen imstande ist? Begreifst du sie aber
nicht, was willst du urteilen über Dinge, die du nicht fassest?
Simpl. Diese Erörterungen sind alle ganz richtig, und niemand
stellt in Abrede, dafs die Gröfse des Himmels erhaben sein mag über
unser Vorstellungs vermögen, sowie dafs Gott ihn tausendmal gröfser
hätte schaffen kömien, als er wirklich ist. Nicht aber dürfen wir
zugeben, dafs irgend etwas umsonst geschaffen und müfsig im Weltall
sei. Wenn wir nun sehen, in welch schöner Ordnung die Planeten
um die Erde geschart sind, in Entfernungen von ihr, die wohlabgemessen
sind, um auf sie zu unserem Wohle Einflufs zu üben, wozu daim
zwischen die höchste Sphäre des Saturn und die Sternensphäre einen
ungeheuren Raum ohne jedweden Stern überflüssig und zwecklos ein-
schieben? zu welchem Ende? zu wessen Nutz und Frommen?
Salv. Zuviel mafsen wir uns an, scheint mir, Signore Simplicio,
wenn mir meinen, einzig die Sorge um uns erschöpfe das Wirken der
Weisheit und Macht Gottes, darüber hinaus thue und ordne sie nichts.
Ich aber möchte, dafs wir den Arm Gottes nicht so verkürzen; geben
wir uns vielmehr mit dem sicheren Bewufstsein zufrieden, dafs Gott
Natur und Gott und Natur sich derart um die Lenkung menschlicher Dinge be-
FiTrso^e für den kümmern, dafs keine gröfsere Fürsorge walten könnte, auch wenn für
wenn für nichts nichts audcrcs ZU sorgcn wäre, als für das Menschengeschlecht allein.
Ich glaube das mit einem vortrefflich passenden und erhabenen Bei-
ware.
Beispiel der Für- gpiel belegen zu können: es bezieht sich auf das Wirken des Sonnen-
sorge Gottes für '■ '-'
das Menschen- üchtes, wclchcs hier wässerige Dünste anzieht oder da eine Pflanze
geschlecht, von ' <^ _ _
der Sonne her- erwärmt, und zwar so iene anzieht, so diese erwärmt, als hätte es
genommen. ' o ? / ^ ^
sonst nichts zu thun. Ja wenn eine Traube oder auch nur eine ein-
zige Beere zur Reife gebracht werden soll, so macht -es sich daran,
wie es mit gröfserem Erfolge nicht möglich wäre, wenn -das Endziel
alles seines Thuns blofs die Reifung dieser Beere wäre. Da mm diese
Beere von der Sonne alles empfängb, was sie empfangen kann, da ihr
nicht das Mindeste deswegen entzogen wird, weil die Sonne gleich-
zeitig tausend und abertausend andere Wirkungen ausübt, so müfste
man jene des Neides und der Thorheit zeihen, wenn sie glaubte oder
'verlangte, dafs das Wirken der Sonnenstrahlen blofs um ihr Wohl
[400. 401.] Dritter Tag. 385
sich bekümniorii solle. Ich bin überzeugt, dafs die göttliclie Yor-
selmng bei der Lenkuug der Menscbengeschicke das, was man von ihr
erwarteji kann, nicht ungethan läfst. Dafs aber darum nicht noch
andere Ausflüsse ihrer unendlichen Weisheit im Weltall vorhanden
sein könnten, möchte ich nach den Eingebungen meiner Vernunft
mich nicht bequemen zu glauben; sollte jedoch die Sache in Wirklich-
keit sich anders verhalten, so würde ich mich nicht sträuben an die
Gründe zu glauben, welche mir von höherer Einsicht entgegengehalten
würden. Wenn mir inzwischen gesagt wird, dafs ein ungeheuerer
stemenleerer Raum zwischen den Planetenbahnen und der Sternen-
sphäre unnütz und zwecklos sei und müfsig, dafs es überflüssig sei
eine unermefsliche, alle Fassungsgabe übersteigende Gröfse den Fix-
sternen als Behausung anzuweisen, so erwidere ich, dafs es frevelhaft
ist, unsere schwache Vernunft zum Richter zu setzen über die Werke
Gottes, alles das im Weltall eitel oder überflüssig zu nennen, was nicht
unserem Nutzen dient.
Sagr. Sagt lieber: alles das, dessen Nutzen für uns wir nichtEs ist frevelhaft
begreifen, so werdet Ihr eher Recht haben. Ich halte es für die gröfste weitaii über-
Anmafsung, ja Narrheit, die man begehen kann, wenn man sagt: weil nennen, dessen
ich nicht weifs, wozu mir Jupiter oder Saturn nütze ist, darum sind wir nicht be-
sie überflüssig, ja gar nicht in der Natur vorhanden. Dabei weifs ich
armer thörichter Mensch noch nicht einmal,. wozu mir Adern, Knorpel,
Milz oder Galle dienen; ja ich wüfste nicht einmal, dafs ich Galle,
Milz oder Nieren besitze, wenn sie mir nicht oft in aufgeschnittenen
Leichnamen gezeigt worden wären. Dann erst kömite ich begreifen,
welche Funktion in mir die Milz ausübt, wenn sie mir genommen
würde. Um zu begreifen, welche Wirkung auf mich der oder jenerwenn man einen
Himmelskörper ausübt — da nun einmal all ihr Wirken sich auf uns mei entfernen
beziehen soll — müfste man eine Zeit lang jenen Körper entfernen sich^erkennen,
und die Wirkupg, die ich nun an mir verschwinden merke, für von einwirkt"
jenem Sterne ausgehend erklären. Mehr noch, wer wird zu behaupten
wagen, dafs der Raum zwischen Saturn und den Fixsternen, der jenen,
zu grofs und unnütz heifst, leer an sonstigen Weltkörpern sei? etwa,
weil wir sie nicht sehen? Die vier Mediceischen Gestirne also und viele Himmeis-
die Begleiter des Saturn standen wohl erst dann am Himmel, als wir mifge "fü° uns
n • 1 T • ^ 1^ 101T "IT unsichtbar sein.
anfangen sie zu sehen und nicht zuvor schon j' und die neuen unzähli-
gen Fixsterne waren wohl nicht vorhanden, bevor die Menschen sie er-
blickten? Die Neljelflecke waren zuerst blofs weifsliche Stellen, mittels
des Fernrohrs erst haben wir sie zu Haufen von leuchtenden, wunder-
schönen Sternen umgestaltet. 0 der anmafsenden, nein frevelhaften
Unwissenheit des Menschen!
GAiiiLEi, Weltsysteme. 25
385 Dialog über die "Weltsysteme. [401. 402.]
Salv. Es bat keinen Zweck, Signore Sagreclo, sicli in diesem
unfruchtbaren Patbos zu ergeben. Verfolgen wir unseren Vorsatz, das
Gewicht der Grründe zu prüfen, die von beiden gegnerischen Parteien
angeführt werden, ohne irgend eine endgültige Entscheidung zu treffen;
das Urteil stellen wir dem anheim, der mehr davon weifs als wir. Zu
den Erwägungen unserer natürlichen menschlichen Vernunft zurück-
Grofs, Klein, kcbrcud, behaupte ich, dafs Grofs, Klein, Unermefslich, Winzig nicht ab-
u. s. w. sind re- solutc, soudcm rclativc Begriffe sind, dafs mithin ein und dieselbe Sache,
mit verschiedenen anderen verglichen, bald unermefslich genannt wer-
den darf und dann wieder klein, ja unmerklich. Dies vorausgesetzt,
frage ich: in Bezug worauf verdient die Sternensphäre des Kopernikus
die Bezeichnung übermäfsig grofs? Sie läfst sich meines Bedün-
kens nur vergleichen und so nennen in Bezug auf irgend ein anderes
Ding derselben Art. Nehmen wir nun das kleinste derselben Art,
Verkehrtheit derdie Moudsphärc: nennt man also die Sternensphäre zu grofs gegeu-
die Sternen- über der Mondsphäre, so mufs jede andere Gröfse, welche eine der-
peViklni^chen selben Art in diesem Verhältnis übertrifft oder gar in einem noch
' '^%'eTa^soii.'^ gröfseren, zu grofs heifsen, ihr demzufolge die Existenz abgesprochen
werden. Damit werden ohne weiteres Elefant und Walfisch zu Chi-
mären, zu Phantasie gebilden der Dichter; denn sie weisen beide ein
Mifsverhältnis auf, jener als zu grofs im Vergleich mit der Ameise,
welche wie er ein Landtier ist, dieser im Verhältnis zum Stichling,
der ein Fisch ist; trotzdem lassen sie sich aus der Natur nicht hinaus-
disputieren. Unbedingt nämlich übertreffen Elefant und Walfisch die
Ameise und den StichHng in sehr viel stärkerem Mafse als die Sternen-
sphäre die des Mondes, wenn wir uns jene auch so grofs denken, wie
zu ihrer Verträglichkeit mit dem kopernikanischen Systeme ausreicht.
Der einem Pix- Ferner, wic grofs sind die Sphären Jupiters und Saturns, die einem
sene Raum ist einzigen, im Vergleich zu den Fixsternen kleinen Sterne als Bereich
der einem Pia- angewiesen sind? Sicher würde man, um jedem Fixstern einen ebenso
kommende, grofscu Teil dcs Weltalls als Behausung zuteilen zu können, die Sphäre,
in welcher ihre unzählbare Menge untergebracht ist, viele viele tausend
Male gröfser machen müssen, als für den Zweck des Kopernikus er-
Ein Stern wird forderlich ist. Nennt Ihr nicht ferner einen Fixstern sehr klein — ich
rücksichtlich meine nicht nur die, welche sich unserem Blicke entziehen, sondern
ihn umgebendenauch die allerdeutlichst wahrnehmbaren — und nennen wir sie nicht so
wegen ihres Verhältnisses zu dem umgebenden Räume? Wäre nun die
sternenaphäre gaiizc FixstciTisphäre ciu einziger leuchtender Körper, wer sähe nicht
grofser Entfer- die Möglichkeit ein, im unendlichen Raum einen so entlegenen Punkt
nung so klein . i i i i o i • i i •
erscheinen wie ZU bestimmen, dafs vou ihm aus besagte leuchtende Sphäre so klem
Stern. crschieue und noch kleiner, als uns jetzt von der Erde aus ein Fix-
[402. 403.] Dritter Tag. 387
stem erscheint? Von dort aus Avürden wir also dasselbe für klein
halten, was wir jetzt von hier aus unermefslich grofs nennen.
Sagr. Am gröfsten dünkt mir die Thorheit derer, die da meinen,
dafs Gott das Weltall dem geringen Fassungsvermögen ihrer Vernunft
entsprechend geschaffen habe und nicht vielmehr nach seiner unermefs-
lichen, ja unendlichen Macht.
Simpl. Was Ihr da sagt, ist alles ganz schön; worauf aber der
Gegner seinen Einwand gründet, ist das Eingeständnis, welches man
machen mufs, dafs ein Fixstern nicht nur gleich, sondern so und so
viel mal gröfser sei als die Sonne, während doch beides einzelne inner-
halb der Sternensphäre gelegene Körper sind. Sehr mit Recht scheint
mir daher der Verfasser zu fragen: „Zu welchem Ende, zu wessen
Frommen sind diese gewaltigen Massen da? Dienen sie etwa der vom Verfasser
Erde, d. h. einem klimperkleinen Pünktchen? warum in solcher Ferne? aufgeworfene
Einwände in
Damit sie uns so winzig erscheinen und absolut nicht auf die Erde Frageform,
einzuwirken vermögen? zu welchem Zweck jene zwecklos unermefs-
liche Kluft zwischen ihnen und Saturn? Unnütz ist alles das, was
nicht durch plausibele Gründe gerechtfertigt wird.""^)
Salv. Aus den Fragen, die der Mann stellt, geht, wie mir scheint,
hervor, dafs, wenn man nur dem Himmel, den Sternen und den Ent-^^*^^^"^""" ^"^
7 ' ' die vom Ver-
fernungen die Gröfse, den Betrag beläfst, welchen er bisher für richtio-fa^ser desBüch-
ö ' ö J O leins erhobeneu
angesehen — wiewohl er ihnen zuverlässig nie und nimmer eine fafs- i'^inwande.
bare Gröfse in seiner Vorstellung beigelegt hat — er nun vortreff-
lich durchschaut und begreift, was für Vorteile von ihnen der Erde
erwachsen, die jetzt nicht mehr ein kleines unbedeutendes Ding ist,
wie auch jene nun nicht mehr so winzig erscheinen, sondern grofs
genug, um auf die Erde einwirken zu können; er sieht ein, dafs jetzt
die Entfernung zwischen ihnen und Saturn aufs vortrefflichste ab-
gemessen ist, und weifs für alle diese Dinge die plausibelsten Gründe
anzuführen. Gerne hätte ich davon etwas gehört; wenn ich aber sehe. Der Verfasser
• T • -iTtT -TT 1-1 1 1-1 '^^^ Büchleins
dafs schon m diesen wenigen Worten Verworrenheit herrscht und sichgerst bei seinen
Fragen in Kon-
Widersprüche finden, so kann ich mich des Glaubens nicht erwehren, fusion und
dafs es mit seinen plausibelen Gründen etwas karg und kümmerlich
bestellt ist, dafs seine sogenannten Gründe vielmehr Trugschlüsse,
Schatten leerer Einbildungen sind. So lege ich ihm demi jetzt die
Frage vor, ob jene Himmelskörper wirklich auf die Erde wirken und An den ver-
ob ihnen zu diesem Behufe die und die Gröfse anerschaffen ist, ob sie leins gerichtete
deswegen in die und die Entfernung versetzt worden sind, oder ob siedintdemunV-
mit den irdischen Dingen nichts zu thun haben. Haben sie nichtsseiue'n welTen.
mit der Erde zu thun, so ist es eine gröfse Thorheit, wenn wir Erden-
menschen über ihre Gröfse ein Urteil fällen, über ihre Anordnung Ge-
25*
388 Dialog über die Weltsysteme. [403. 404]
setze aufstellen wollen, wo wir docli nicht das Mindeste von ihren
Angelegenheiten und Interessen wissen. Behauptet er aber, dafs sie
eine Einwirkung üben, dafs ihnen dies als Zweck gesetzt ist, so schlägt
er auf der anderen Seite seiner Behauptung ins Gesicht, so lobt er,
was er noch eben verdammt hat, als er die Himmelskörper in so grofse
Entfernung versetzt erklärte, dafs sie von der Erde aus zu winzig er-
schienen, um einen Einflufs auf diese üben zu können. Aber, lieber
Mann, in der Entfernung, in der sich nun einmal die Sternensphäre
befindet und die Eueres Bedünkens so wohlabgemessen ist, um auf die
irdischen Verhältnisse Emflufs zu üben, erscheinen äufserst zahlreiche
Sterne winzig klein, hmidertmal so viele sind überhaupt für uns un-
sichtbar, d. h. sie scheinen noch kleiner als wmzig; also müfst Ihr ent-
weder, im Widerspruch mit Euch selbst, nunmehr ihren Einflufs auf
die Erde läugnen, oder, gleichfalls im Widerspruch mit Euch selbst,
zugeben, dafs so winzig zu erscheinen ihrer Wirkung keinen Abbruch
thut, oder Ihr müfstet denn eingestehen — imd dies Eingeständnis
wäre oifener und bescheidener — Ihr müfstet freimütig bekennen, dafs
über ihre Gröfse und Entfermmg ein Urteil abzugeben ein eiteles Unter-
fangen ist, um nicht zu sagen ein anmafsendes oder frivoles.
Simpl. In der That, beim Lesen dieser Stelle sah auch ich sofort
den offenbaren Widerspruch, wenn er einerseits behauptet, die Sterne
des Kopernikus, wenn ich so sagen darf, könnten nicht auf die Erde
einwirken, weil sie so winzig erscheinen, auf der anderen Seite nun
aber nicht bemerkt, eben diesen Einflufs seinem und des Ptolemäus
Sternen zugestanden zu haben, welche doch auch winzig erscheinen,
ja gröfstenteils unsichtbar sind.
Salv. Ich komme nun zu einem anderen Punkte. Worauf gründet
sich sein Ausspruch, dafs die Sterne so klein erscheinen? etwa darauf^
dafs wir Menschen sie in solcher Kleinheit sehen? Weifs er nicht,
dafs dies von dem Werkzeug herrührt, welches wir bei ihrer Betrach-
Das Kiein-Er- tuug bcnutzeu, d. h. vou unscrcm Auge?*"^) Wir brauchen zum Be-
scheinen ent-
fernter Objekte weis dafür nur das Werkzeug zu ändern, so werden wir sie gröfser
l)eruht auf einem . , ^ , ' ^ . . . "^
Mangel des und gröfscr erblickcn, wie uns beliebt. Wer weifs, ob sie nicht der
Auges, wie nach- . .
gewiesen wird. Erde, dic sic ohne Augen betrachtet, gewaltig grofs erscheinen, so
grofs vielleicht, wie sie wirklich sind? Doch es ist an der Zeit, diese
Trivialitäten auf sich beruhen zu lassen und zu ausschlaggebenderen
Betrachtungen überzugehen. Nun habe ich bereits zweierlei nach-
gewiesen, erstens in welche Entfernung man das Firmament zu ver-
setzen hat, damit der Erdbahndurchmesser ihm gegenüber ebenso un-
erhebhche V^erschiedenheiten bewirke als in Entfernung der Sonne die
Gröfse der Erde. Desgleichen habe ich zweitens gezeigt, dafs es
[4 04. 405.] Dritter Tag. 389
nicht nötig ist einen Stern des Firmaments für gröfser als die Sonne
zu erklären, damit er ims so grofs erscheine, wie wir ihn thatsäch-
lich sehen. Danach möchte ich nun wissen, ob Tyclto oder einer seiner weder Tycho
Anhänger jemals auf die eine oder andere Weise versucht hat zu er- banger haben"
gründen, ob an der Sternensphäre irgendwelche Erscheinung wahr-Himmeiserschei-
zimehmen ist, um derentwillen man mit gröfserer Entschiedenheit sich st'elfeT, dYeTu
für oder wider die jährliche Erdbewegung aussprechen kann. gunsteTderTahr-
Sagr. Ich würde au ihrer Stelle mit Nein antworten und hinzu- "" sprecw''''"
fügen, dafs es dessen auch gar nicht bedurfte, da Kopernikus selbst
eine solche Verschiedenheit für nicht vorhanden erklärt. Sie argu-
mentieren dann ad Jwmincm"^), räumen ihm das ein und weisen auf Grund
dieser Annahme die daraus hervorgehenden unwahrscheinlichen Folge-
rungen nach, dafs nämlich dann der Sphäre eine so ungeheuere Aus-
dehnung beizumessen sei, dafs ein Fixstern, um uns so grofs zu er-
scheinen, wie er erscheint, in Wahrheit einen ungeheueren, die ganze
Erdbahn an Gröfse übertreffenden Umfang besitzen müsse; und das
sei, meinen sie, durchaus unglaublich.
Salv. Ich bin der gleichen Meinung und glaube zuversichtlich,
dafs sie „gegen den Mann" argumentieren mehr zur Verteidigung eines
anderen Mannes als aus dem Wimsche heraus zur Erkenntnis der Wahr-
heit zu gelangen. Nach meiner Meiiiung hat sich nicht nur keiner^^^ Astronomen
. ° haben sich
an eme derartige Beobachtung gemacht, ich zweifle sogar, ob einer schwerlich
• 1 .^ 1 1 TT 1 -1 1 • • Kechenscbaftge-
von ihnen weifs, welche Verschiedenheiten im Aussehen des Fixstern- s'^^'^n voq den
himmels die iährliche Erdbewegung dann hervorbringen müfste, weiiiiii'=^e Erdbewe-
T Ol 1 -1 • p gung bedingten
die bternensphäre nicht so weit entfernt wäre, dafs jene Verschieden-Hiöi^eiserschei-
heiten ihrer Kleinheit wegen verschwinden. Eine solche Untersuchung
zu imterlassen, sich bei dem blofsen Worte des Kopernikus zu be-
ruhigen mag wohl ausreichen, um den einen Maim zu überzeugen,
nicht aber um über die Thatsache zur Klarheit zu gelangen; denn es
mag die Verschiedenheit thatsächlich vorhanden sein, ohne dafs Ko-
pernikus sie gesucht hat, oder sie mag ihrer Kleinheit wegen und Kopemikus
mangels genauer Instrumente von Kopernikus nicht entdeckt worden^'nilht, weü^er
sein. Es wäre das nicht der einzige Fall, wo er wegen fehleuder'S nJstmTrfer-'
Instrumente oder sonst eines ungünstigen Umstands halber mangel- *^" ^*'''*'''
haft unterrichtet war; und doch stellte er, gestützt auf andere sehr
zuverlässige Anhaltspunkte, unentwegt seine Lehren auf, gegen welche
manches ihm Unverständliche zu sprechen schien. Deim, wie schon
früher bemerkt, koimte er ohne Fernrohr weder das 60-fache Anwachsen
des Mars, noch das 40-fache der Ve-nus bei ihrer wechselnden Stellung
wahrnehmen; diese Unterschiede scheinen vielmehr bei weitem geringer
als sie in Wirklichkeit sind. Und doch ist man später zur Einsicht
390 Dialog über die "Weltsysteme. [405. 406.]
ffekommen, dafs diejeuigen Veräuderungen^ welche das kopernikauisclie
System erforderte, aufs Haar vorlianden sind. So wäre es also em
lohnendes Unternehmen mit der gröfstmöglichen Genauigkeit zu unter-
suchen, oh eine solche Änderung, wie sie im FaE der jährlichen Erd-
bewegung an den Fixsternen Avahmehmhar sein müfste, nicht that-
sächlich zu beobachten ist: eine Untersuchung, die meiner festen Über-
zeugung nach bisher niemand angestellt hat; ja es mögen, wie gesagt,
viele nicht einmal das richtige Verständnis haben für das, was man
rycAo und anderezu sucheu hätte. Ich sagc das nicht so ins Blaue hinein, sondern
jährii"he''Bewe-weil ich schou ciuc schriftliche Aufzeichnung eines jener Antikoperui-
ulfvMänderiiÄaner gesehen habe"), worin er sagt, es müsse notwendig, wenn jene
Meinung richtig wäre, von sechs zu sechs Monaten eine Zu- und Ab-
nahme der Polhöhe erfolgen, da die Erde innerhalb dieses Zeitraums
um eine Strecke von der Gröfse des Erdbahndurchmessers bald weiter
gegen Norden, bald mehr gegen Süden zu stehen komme; und so
scheint es ihm denn plausibel, ja notwendig, dafs für ims, die wir
die Erde auf ihrer Bahn begleiten, der Pol in gröfserer Höhe liegt,
sobald wir uns im Norden befinden, als wemi wir im Süden stehen.
In denselben Irrtum verfiel ein übrigens recht verständiger Mathe-
matiker, selbst ein Anhänger des Koperuikus, wie Tycho auf S. 684
seiner Progymnasmata berichtet. Dieser sagte, er habe einen Wechsel
der Polhöhe beobachtet, sie sei im Sommer eine andere als im Winter;
da nun Tycho die Thatsache zwar in Abrede stellt, den Gedankengang
aber nicht verurteilt d. h. eine Änderung der Polhöhe in Abrede stellt,
aber eine derartige Methode nicht als unpassend für den beabsichtig-
ten Zweck verwirft, so erklärt er damit, dafs auch nach seiner An-
sicht eine Änderimg oder Nicht-Änderung der Polhöhe von sechs zu
sechs Monaten eine gute Probe darauf ist, ob die Annahme einer jähr-
lichen Erdbewegung statthaft oder zu verwerfen ist.
Simpl. In Wahrheit, Signore Salviati, auch ich halte das für
eine notAvendige Folge; Ihr werdet mir, glaube ich, nicht in Abrede
stellen, dafs wenn Avir nur 60 MigHen nach Norden reisen, der Pol
sich um einen Grad hebt und dafs bei weiterer Annäherimg an den
Nordpunkt um 60 Miglien der Pol für uns um einen Aveiteren Grad
steigt u. s. w. Wenn nun eine Annäherung oder Entfernung um blofs
60 Miglien eine so merkliche Änderung in der Polhöhe hervorruft,
welchen Eiuflufs mufs da das Fortrücken von uns mitsamt der Erde
um eine Strecke von nicht etwa 60, sondern von 60000 MigHen üben?
Salv. Die Folge Avird sein, wenn man auf Euere Proportion
bauen soll, dafs sich der Pol um 1000 Grad heben wird. Seht, Sig-
nore Simplicio, was ein eingewurzeltes Vorurteil zu Wege bringt:
[406. 407.] Dritter Tag. 391
weil Ihr soviel Jahre hindurch die Vorstellung Euerem Geiste einge-
prägt habt, dafs es der Himmel sei, der sich in 24 Stunden umdreht
und nicht die Erde, dafs demzufolge die Pole dieser Umdrehung am
Himmel liegen imd nicht auf dem Erdball, so könnt Ihr nicht einmal
für eine Stunde dieser Gewohnheit entsagen und die Maske der gegen-
teiligen Anschauung vornehmen, Euch vorstellen, dafs es die Erde ist,
die sich bewegt, nur für so lange, als erforderlich ist, um zu begreifen,
Avas folgen würde, wenn diese Lüge Wahrheit wäre. Wenn es die
Erde ist, die sich in 24 Stunden um sich selber dreht, so liegen die
Pole auf ihr, die Achse in ihr, der Äquator d. h. der gröfste Kreis, wel-
chen der von beiden Polen gleichweit entfernte Punkt beschreibt, liegt
auf ihr, auf ihr die imendlich vielen gröfseren oder kleineren Parallel-
kreise, welche die mehr oder weniger weit von den Polen entfernten
Punkte beschreiben. An ihr und nicht an der Sternensphäre befindet
sich alles das ; denn diese ist unbeweglich und ihr fehlen daher alle diese
Dinge, nur in der Vorstellimg kann man sie sich auf diese übertragen
denken, indem man die Erdachse soweit verlängert, bis sie zwei über
unseren Polen gelegene Punkte am Himmel trifft, und indem man die
Ebene des Äquators solange erweitert, dafs am Himmel ein ihm ent-
sprechender Kreis ausgeschnitten wird. Wenn nun die wirkliche irdische
Achse, die wirklichen irdischen Pole, der wirkliche irdische Äquator
sich auf Erden nicht ändern, so lafst die Erde nur fortrücken, wohin
es Euch beliebt, Ihr werdet, solange Ihr an demselben Orte auf Erden
verharret, weder Euere Lage zu den Polen, noch zu den Parallelkreisen,
noch zu sonst einem irdischen Dinge ändern und zwar darum nicht,
weil ein derartiges Fortrücken Euch gemeinsam mit allen irdischen
Dingen betrifft, und weil die Bewegung, sobald sie gemeinsam ist, so sobaid die Be-
.. ci • wegung gemein-
gut wie nicht vorhanden ist. So wenig Ihr nun Euer Verhalten zu sam ist, ist sie
i-nni "11 T-i TT IT TT- • ^° ^' "^^^ nicht
den Erdpolen verändert — Euer Verhalten nämlich, insoweit etwa vorhanden,
daraus eine Erhebimg oder Senkung von diesen sich ergiebt — so werdet
Ihr es gleicherweise nicht zu den am Himmel vorgestellten Polen
ändern, sobald wir unter Himmelspolen nach der eben gegebeneu De-
finition jene zwei Punkte verstehen, die von der bis dorthin verlänger-
ten Erdachse an ihm markiert werden. Allerdings ändern sich diese
Pimkte am Himmel, wenn das Fortrücken der Erde derart erfolgt,
dafs ihre Achse auf andere und andere Punkte der unbeweglichen Him-
melskugel trifft; aber unsere Lage zu ihnen ändert sich nicht in der
Weise, dafs der zweite sich mehr erhöbe als der erste. Wer einen
der beiden, miseren Polen entsprechenden Punkte des Firmaments sich
heben und den andern sich senken sehen möchte, mufs auf der Erde
sich dem einen nähern, von dem anderen entfernen; deim das Fort-
392 Dialog über die Weltsysteme, [407. 408]
rücken der Erde, während wir mit ihr verbunden bleiben, übt, wie
gesagt, keinerlei Einflufs darauf.
Sagr. Gestattet mir gefölligst, Signore Salviati, diese Frage auf
passendeB Bei- recht verständliche Weise durch ein Beispiel zu erläutern-, mag es
iTuterung der auch plump seiu, SO ist es doch andererseits für den vorliegenden
leT%l\höhf^yolZyveck sehr passend. Stellt Euch vor, Signore Simplicio, Ihr wäret in
Erdbewegung! einer Galeere, stündet auf dem Hinterteile imd hättet einen Quadran-
ten oder ein anderes astronomisches Instrument auf den höchsten Punkt
des Besanmastes gerichtet, als wolltet Ihr seine Erhebung messen,
welche beispielshalber 40 Grad betragen möge. Nun ist kein Zweifel,
wenn Ihr in der Fahrtrichtung 25 oder 30 Schritte auf den Mast zu
losgeht und wiederum das nämliche Instrument auf die nämliche Mast-
spitze richtet, dafs Ihr ihre Erhebung gröfser finden werdet, sagen wir
um 10 Grad. Wenn Ihr aber, statt besagte 25 bis 30 Schritte auf
den Mast zuzugehen, auf dem Hinterteile stehen bliebet und die ganze
Galeere nach jener Richtung fahren liefset, meint Ihr, dafs infolge der
gemachten Fahrt von 25 bis 30 Schritten, die Höhe des Besanmastes
10 Grad gewachsen zu sein schiene?
Simpl. Ich meine und weifs, dafs sie auch nicht um Haares-
breite wüchse, selbst bei einer Fahrt von 1000 und 100000 Miglien,
geschweige denn von 30 Schritten. Ich glaube aber allerdings, dafs,
wenn man über die Spitze des Mastes auf eineu in dieser Richtung
stehenden Fixstern visiert, sodann den Quadranten festhält und 60 Mig-
lien weiter in der Richtung auf den Stern zu fährt, das Instrument
freilich noch auf die Spitze des Mastes eingestellt wäre wie zuvor,
aber nicht mehr auf den Stern, welcher vielmehr um einen Grad höher
stehen würde.
Sagr. Aber Ihr glaubt doch nicht etwa, dafs die Visierlinie nicht
auf den Punkt der Sternensphäre einträfe, welcher der Richtung der
Mastspitze entspricht?
Simpl. Das nicht; aber der Punkt würde ein anderer sein imd
läge unterhalb des zuerst beobachteten Sternes.
Sagr. Genau so verhält es sich. Wie aber in diesem Beispiele
das der Erhebung der Mastspitze entsprechende nicht der Stern ist,
sondern der Punkt des Firmaments, der sich in der Richtung des
Auges und der Mastspitze befindet, so ist auch in dem zu erläutern-
den Falle das, was dem Erdpol am Firmament entspricht, nicht ein
Stern oder sonst etwas am Firmamente Festes, sondern der Endpunkt
Die jährliche der bis dorthin verlängerten Achse, mithin kein fester, sondern ein von
kann Ä^iTe^uu- dcu Bewegungen des Erdpols abhängiger Punkt. Darum hätte Tyc/to
eines "sternes, odcr wcr soust dicseu Eiuwaud vorbrachte, sagen sollen, dafs bei sol-
[408. 409.] Dritter Tag. 393
eher Bewegung der Erde, wenn sie wirklich stattfände, eine gröfsere nicht aber des
1 • TT..1 • i\ j T) 1 1 1 • .. Poles im Gefolge
oder geringere Mone nicht des roles wahrzimehnieu sein müsse, son- haben.
dern irgendwelches Fixsternes in der unserem Pole entsprechenden
Richtung.
Simpl. Ich begreife jetzt sehr wohl das Mifsverständnis, das jene
begangen; aber damit ist die in meinen Augen ganz außerordentliche
Beweiskraft des gegnerischen Arguments nicht beseitigt, wenn es auf
die Veränderungen an den Sternen, und nicht mehr auf die am Pole be-
zogen wird. Denn wenn die Bewegung der Galeere um eine Strecke
von nur 60 Miglien den Stern um einen Grad höher stehen läfst,
wieso sollte dann nicht eine gleiche und noch sehr viel gröfsere Ände-
rung eintreten, sobald die Galeere nach dem nämlichen Sterne hin um
eine dem Erdbahndurchmesser gleiche Strecke fortrückt, dem Ihr eine
Gröfse von der doppelten Entfernung zwischen Sonne und Erde zu-
erkennt?
Sagr. Hier, Siguore Simplicio, liegt ein anderes Mifs Verständnis
?or, wie Ihr in Wahrheit sehr wohl wifst; Ihr seid Euch Eueres Widerlegung
Wissens nur nicht bewufst, und ich will versuchen, es Euch ins Ge-gtändUche^nTu-
dächtuis zurückzurufen. Darum sagt mir: wenn Ihr den QuadrantendiTjaiiriicheBe-
auf einen Fixstern eingestellt, seine Höhe etwa zu 40 Grad ermitteltdeutende'^Ändo-
habt und senkt nun, ohne Euch von der Stelle zu bewegen, den SchenkelnöhTdes Sternes
des Quadranten, sodafs der Stern jetzt oberhalb jener Richtung zu ^'^müfste!^*"
stehen kommt, werdet Ihr darum sagen, der Stern habe eine gröfsere
Höhe erlangt?
Simpl. Gewifs nicht; denn die Änderung ist mit dem Instrumente
vor sich gegangen, ohne dafs der Beobachter seine Stelle gewechselt
und sich gegen den Stern hinbewegt hätte.
Sagr. Wenn Ihr aber auf der Erdoberfläche fahrt oder geht,
würdet Ihr dann sagen, dafs mit demselben Quadranten keinerlei Ver-
änderimg vorgegangen sei, würdet Ihr meinen, er behalte stets die-
selbe Erhebung in Bezug auf den Himmel bei, vorausgesetzt, Ihr selbst
bewegtet ihn nicht, sondern beliefset ihn in seiner ursprünglichen
Lage?
Simpl. Lafst mich einen Augenblick nachdenken. Sicherlich würde
ich behaupten, dafs er sie nicht beibehält; denn der von mir zurück-
gelegte Weg ist nicht eben, sondern liegt auf dem Umfang des Erd-
balls, welcher Schritt für Schritt seine Neigung gegen den Himmel
ändert imd folglich auch dem Instrumente eine fortwährend wechselnde
Neigung erteilt, da dieses zur Erde die gleiche Lage beibehält.
Sagr. Vortrefflich; und Ihr seht auch ein, dafs, je gröfser und
gröfser jener Kreis würde, auf welchem Ihr Euch bewegt, eine desto
394 Dialog über die Weltsysteme. [409. 410.]
gröfsere MiglienzaM zurückzulegen wäre, damit der Stern jenen Grad
höher zu stehen komme und dafs, wenn sehliefslich die Bewegung
nach dem Sterne hin in gerader Linie stattfände, man sich weiter be-
wegen müfste, als man es auf einem noch so grofsen Kreisumfange zu
thun hätte.
Gerade Linie Salv. Allerdings, denn sehliefslich sind unendliche Kreisperipherie
lind unendliche O ' r r
Kr
sind
eisperipherie ^^(^j ^eradc Linie ein und dasselbe.'^-)
nd ein und ~ /
Sagr. Ei, das verstehe ich nicht und, "svie ich glaube, versteht
es auch Signore Simplicio nicht. Es mufs dahinter ein Geheimnis
stecken, weil wir Avissen, dafs Signore Salviati niemals ins Blaue hinein
spricht, noch ein Paradoxon ins Feld führt, es sei denn, dafs es zu
einem originellen Gedanken den Weg wiese; ich werde Euch daher
gehörigen Orts und gehöriger Zeit daran erinnern uns diese Identität
der geraden Linie mit der Peripherie eines imendlichen Kreises zu
erläwtern. Augenblicklich möchte ich nicht die vorliegende Unter-
suchung unterbrechen. Um zur Sache zurückzukehren, stelle ich
Signore Simplicio die Erwägung anheim, dafs die wechselnde Entfer-
nung der Erde von jenem in der Nähe des Pols befindlichen Stern
gewissermafsen auf einer geraden Linie erfolgt, nämlich dem Durch-
messer der Erdbahn. Wer daher als Mafsstab für das Steigen und
Sinken des Polarsterns die Bewegung längs dieses Durchmessers be-
nutzen will, wie wenn es sich um die Bewegung längs des Avinzigen
Erdumfangs handelte, verrät wenig Sachkenntnis.
Simpl. Aber doch werden wir diese Schwierigkeiten noch nicht
los, da auch von jener geringen Verschiedenheit, die vorhanden sein
müfste, erfahrungsgemäfs nichts bekannt ist. Ist diese Verschieden-
heit aber gleich Null, so mufs man notgedrungen zugeben, dafs auch
die jährliche der Erde beigelegte Bewegimg längs des orhis magnus
gleich Null sei.
Sagr. Hier lasse ich Signore Salviati fortfahren. Er scheint mir
den Unterschied zwischen einer gröfseren und geringeren Höhe des
Polarsternes oder eines anderen Fixsternes nicht als ganz verschwin-
dend anzunehmen, obgleich ein solcher von niemand nachgewiesen ist
und obgleich er von Kopernikus seiner Kleinheit wegen wenn auch
nicht gleich Null vorausgesetzt Avird, so doch als jeder Beobachtung
imzugänglich.
Salv. Ich habe schon früher gesagt, dafs meines Wissens nie-
mand Beobachtungen darüber angestellt hat, ob zu verschiedenen
Jahreszeiten irgendwelche Fixsternverschiebungen wahrzunehmen sind,
welche auf die jährliche Erdbewegung sich zurückführen liefsen. Ich
habe hinzugefügt, dafs ich bezweifle", ob irgend jemand sich Klarheit
[410. 411] Dritter Tag. 395
darüber verschafft hat, welcher Art denn diese Veränderungen seienweicheverände-
1 • 1 1 1 ri • 1 • 1 rungen infolge
lind zwischen welchen bternen sie hervortreten müfsten ; es ist daher der jährlichen
zweckmäfsig, diesen Punkt einer sorgfaltigen Prüfung zu unterziehen, vrahrzunehmen
Wenn ich blofs im allgemeinen geschrieben finde, die jährliche Erd- an weichen
bewegung längs des orhis magnus sei unzulässig, weil es unwahrschein-
lich sei, dafs durch sie keine scheinbare Lagenänderung der Fixsterne
verursacht Averde, und wenn ich sodann keine Angabe darüber machen
höre, wie denn im einzelnen sothane scheinbaren Änderungen beschaffen
detaillierten Ai
Glaubens nicht erwehren, dafs diejenigen, die bei diesem allgemeinen s^ij^^a^^^er^die
Ausspruch stehen bleiben, nicht verstanden haben und wahrscheinlich 'i^'^^'^psen,
i ^ .^ welche dae jahr-
nicht gesucht haben zu verstehen, wie es mit diesen Änderungen denn"<=^'' ^."^J*.^!^'^-
o 7 o gung moglicher-
bestellt ist und was es denn eigentlich für Erscheinungen sind, die,^^^*^^®^^^'^^'^^
wie sie sagen, eintreten müfsten. Zu diesem Urteile fühle ich mich^fj"''«™!'^ ^^^-
o ' selben rucht ver-
bewogen, weil ich weifs, dafs die jährliche Bewegung, die von Köper- standen haben,
nikus der Erde beigelegt wird, wenn überhaupt in merklicher Weise,
so doch nicht an allen Sternen in gleichem Betrage anscheinende Ande- Die Verände-
rungen hervorbringen müfste, dafs vielmehr eine solche Erscheinung Fixsternen
,... . „ nT r ^ • ^ • ^ i • i- i niüssen bei man-
bei einigen m grölserem Mafse, bei anderen in kleinereni, bei anderenchen grofser, bei
in noch kleinerem, bei anderen endlich gar nicht mehr auftreten würde,bei anderen yöi-
wie grofs man auch den Kreis der jährlichen Bewegung annehmen dend sein,
mag. Ferner sind die Änderungen, die man wahrnehmen müfste, von
zweierlei Art: einmal eine Änderung in der scheinbaren Gröfse dieser
Sterne, sodann eine Änderung in ihren Meridianhöhen, welche dann
mit einer Änderung bezüglich des Auf- und Untergangs, sowie der
Zenithdistanz verbunden ist.
Sagr. Ich meine schon zu fühlen, wie mein Kopf von einem Ge-
wirr von Vorstellungen wirbelt; wollte Gott, es gelänge mir endlich
mich daraus zu befreien; denn um Euch mein Unvermögen nur ein-
zugestehen, Signore Salviati, ich habe öfters darüber nachgedacht,
konnte aber niemals des Knäuels Ende finden. Ich meine nicht sowohl
in erster Linie die Fragen, welche die Fixsterne betreffen, als viel-
mehr ein anderes, noch fataleres Geschäft, woran Ihr mich durch Er-
wähnimg jener Meridianhöhen, Aufgangs-Azimuthe '^), Zenithdistanzen
erinnert habt. Dafs es mir so im Kopfe wirbelt, rührt von folgen-
dem Übelstande her. Kopernikus nimmt die Sternensphäre als im- "e^" ^ '^o^^ni'-
beweglich und die Sonne in ihrem Mittelpmikte an. Jede Änderung ^^^^g]^^«^^*'«'^^'^^
also, welche uns an der Sonne oder an den Fixsternen aufzutreten ^^^^^ ^""^^
' und Fixsternen.
scheint, miifs notwendig in der Erde, in ims also, ihren Sitz haben.
Die Sonne hebt und senkt sich aber in unserem Meridian um einen
sehr grofseu Bogen, nämlich um fast 47 Grad, und um noch gröfsere
396 Dialog über die Weltsysteme. [411. 412.]
imd immer gröfsere Beträge ändert sie ihr Auf- und Untergangs-
Azimuth bei schiefen Horizonten. Wieso kann daher die Erde sich
so beträchtlich gegen die Sonne neigen und wieder aufrichten, gegen
die Fixsterne hingegen gar nicht oder doch unmerklich wenig?
Das ist der Knoten, der nie durch meinen Kamm laufen wollte;
wenn Ihr mir ihn löset, habt Ihr in meinen Augen Alexander über-
trumpft. '^)
Salv. Dies sind Bedenken, wie sie des Geistes eines Siguore
Sagredo würdig sind; die Schwierigkeit ist dermafsen grofs, dafs Koper-
uikus selbst sich kaum zutraute sie in verständlicher Weise aufzu-
hellen. Man ersieht dies aus seinem eigenen Geständnis, dafs die Sache
duuJvel sei, sowie auch daraus, dafs er zweimal auf verschiedeneu
Wegen den Versuch macht sie zu erläutern. Ich gestehe offen, seine
Erklärung erst verstanden zu haben, als ich auf eine weitere davon
verschiedene, sehr einfache und klare Weise mir Licht verschafft hatte,
aber nicht ohne lange, mühsame Geistesarbeit.
Simpl. Aristoteles erkannte gleichfalls diese Schwierigkeit und
Arjstoteiisciies bediente sich ihrer zur Widerlegung einiger alten Philosophen, welche
Argument gegen
die alten phüo-die Erde zu einem Planeten machen wollten. Er führt gegen sie an,
sophen, welolie . . .
die Erde zu dafs, wcuu dem so wäre, die Erde ebenso wie die anderen Planeten
einem Planeten . • o
machten, mehr als eine Bewegung haben müfste, woraus dann jene Schwankungen
im Auf- und Untergang sowie auch in den Kulminatioushöhen der
Fixsterne sich ergeben müfsten. Da er auf die Schwierigkeit hinwies,
ohne sie doch zu beseitigen, so mufs ihre Lösung, wo nicht immög-
lich, doch äufserst schwierig sein.
Salv. Die Lösung eines so ver-svi ekelten und festgeschlungenen
Knotens wird dadurch nur um so schöner und bewimdernswerter, ich
verspreche sie aber nicht für heute und bitte Euch sie bis morgen
verschieben zu dürfen. Im Augenbhcke wollen wir uns nur mit der
Betrachtung und Erklärung jener Änderungen und Verschiedenheiten
befassen, welche infolge der jährlichen Bewegung an den Fixsternen
wahrnehmbar sein müfsten, wie wir eben sagten. Bei der Auseinander-
setzung hierüber werden einige Punkte zur Sprache kommen, welche
die Lösung des Hauptproblems vorbereiten. : — Ich kehre zurück zu
Jährliche Be- dcu beiden der Erde zus-eschriebenen Bewesrnngen — ich sage zu den
wegung des Erd- . .... . T ..
mitteipunktes beidcu. wcil dlc dritte keineswegs eine eigentliche Bewegung ist, wie
unter der Eklip-. '. _ '^ ö o o )^
tik, tägliche Be-ich geeigneten Ortes auseinandersetzen werde — nämlich zu der iähr-
wegung der . . . .
Erde um ihren liehen uud der täglichen. Unter iener hat man sich die Bewegung
eigenen Mittel- ° «^ _ . .
punkt. vorzustellen, welche von dem Erdmittelpimkte längs der Peripherie
des oi'his magnus, d. h. eines gröfsten Kreises in der festen, unveränder-
lichen Ebene der Ekliptik, ausgeführt wird; die andere tägHche Be-
[412. 413.] Dritter Tag. 397
wegung wird von dem Erdball in sich selber, um sein eigenes Centrum
und um seine eigene Achse ausgeführt, welche zur Ekliiitikebene nicht
senkrecht, sondern um etwa- 23^ Grad geneigt ist. Diese Neigung
bleibt das ganze Jahr über unverändert und, was vor allem zu merken nio Erdachse
ist, bleibt immer nach dem nämlichen Teile des Himmels gerichtet, selber paraiiei
sodafs die Achse der täglichen Bewegung beständig sich selber parallel eine gegen den
bleibt. Denken wir uns also besagte Achse bis zu den Fixsternen geneigte cyii'n-
verlüngert, so beschreibt sie, während das Erdcentrum in einem Jahre
die ganze Ekliptik durchmifst, die Oberfläche eines schiefen Cylinders,
dessen eine Grundfläche besagter jährlicher Kreis ist, dessen andere
ein ähnlicher Kreis ist, welchen man sich von dem Achsenende oder
mit anderen Worten von dem Pole am Fixsternhimmel beschrieben
denken mag. Dieser Cylinder steht auf der Ekliptikebene in demselben
Mafse schief, wie die Achse, durch deren Bewegung er erzeugt wird
und die, wie gesagt, eine Neigung von 23^ Grad besitzt. Da diese
Schiefe beständig dieselbe bleibt — abgesehen von der nach vielenüer Erdbau ver-
tausend Jahren hervortretenden kleinen Änderung, die für die vor- seine"" N^gung,
liegende Frage nicht in Betracht kommt — so bewirkt sie kein Neigen dieselbe uuab-
und Heben des Erdballs, sondern wird unabänderlich beibehalten.
Daraus folgt, dafs die Änderungen, welche an den Fixsternen infolge
der blofsen jährlichen Bewegung wahrzunehmen sind, für jeden Punkt
der Erdoberfläche die nämlichen sein werden, wie für den Erdmittel-
punkt. Darum können wir bei den augenblicklichen Auseinander-
setzungen ebenso gut den Mittelpunkt, wie irgendwelchen Punkt der
Oberfläche betrachten. Zu leichterem Verständnis der ganzen Sache
werden wir eine Zeichnung entwerfen. Wir geben zuerst in der Ebene
der Ekliptik den Kreis Ä NB 0 an, und zwar sollen Ä und B der
nördlichste und der südlichste Punkt sein, mit anderen Worten der
Anfang des Krebses und des Steinbocks, Den Durchmesser AB ver-
längern wir imbestimmt über D und C nach der Sternensphäre. Ich
behaupte nun erstlich, dafs keiner der in der Ekliptik gelegenen Sterne,Die in der EkUp-
mag die Erde was immer für Verschiebungen in der Ekliptikebene steme heben
erleiden, jemals seine Höhe ändern wird, vielmehr wird ein solchennfoige^deTjähr-
stets in dieser Fläche selbst zu sehen sein. Wohl aber wird sich die gun^ gar ni^ht,
Erde ihm nähern und von ihm entfernen, und zAvar um den Betrag umi onTfernen"
des Durchmessers des orhis magmis, wie aus der Figur anschauHch
zu entnehmen ist; denn mag die Erde sich in A oder in B befinden,
stets wird er in der nämlichen Linie ABC zu stehen scheinen, wohl
aber ist die Entfernung BC um den Betrag des ganzen Durchmessers
BA kleiner geworden als CA. Was man also bestenfalls an dem
Sterne C und an jedem anderen in der Ekliptik gelegenen Sterne
398
Dialog über die Weltsysterae.
[413. 414.]
uV
beobachten könnte^ wäre ein Wachsen oder Abnehmen der scheinbaren
Gröfse infolge der Annäherung oder Entfernung der Erde.
Sagr. Ich bitte Euch höflichst, haltet einen Augenblick ein;
denn ich habe ein Be-
denken, das mir zu
schaffen macht, es han-
delt sich' um folgen-
des. Dafs der Stern
C in derselben Linie
ABCzn stehen scheint,
sowohl wemi die Erde
in Ä als auch, wenn
sie in B weilt, begreife
ich wohl; gleichwie
ich auch verstehe,
dafs das Nämliche der
Fall wäre, wenn sich
die Erde geradewegs
von Ä nach B begäbe.
Da sie aber voraus-
Einwand gegengesctztermafscn längs des Bogens A NB dahin gelangt, so wird offen-
die jährliche " ..? " .. ^^.^'^ „,
j<;rdbewegung, bar, weuu sie sich im Punkte N oder m irgend einem anderen Punkte
hergenommen ..,-..
von dem verhai-als A uud B befindet, der Stern nicht mehr m der Lmie AB, son-
teil der in der
Ekliptik geiege-dern in stets wechselnden Linien zu stehen scheinen. Wemi also die
nen Sterne. ••
Stellung in verschiedenen Linien eine scheinbare Änderung verursachen
mufs, so wird notwendig eine gewisse Verschiebung wahrzunehmen
sein. Ja, ich möchte, wie es unter befreundeten Gelehrten von jeher
gestattet war, von jenem philosophischen Freimut Gebrauch machen
und bemerken, dafs Ihr meines Bedünkens in Widerspruch mit Euch
selbst jetzt in Abrede stellt, was Ihr doch heute zu unserem grofsen
Erstaunen als ganz zweifellose und grofsartige Thatsache nachgewiesen
habt. Ich meine nämlich die Erscheinungen an den Planeten, ins-
besondere den drei oberen; diese befinden sich beständig in der Eklip-
tik oder stehen ihr ganz nahe, doch aber zeigen sie sich uns nicht
. nur bald in geringerer, bald in sehr grofser Entfernung, sondern weichen
auch dermafsen von ihren regelmäfsigen Bewegungen ab, dafs sie bis-
weilen unbeweglich, bisweilen um viele Grade rückläufig zu sein
scheinen, und alles das nur infolge der jährlichen Erdbewegung.
Salv. Obgleich ich bei tausend Anlässen mich von der Gescheut-
heit Signore Sagredos habe überzeugen können, so wollte ich doch
durch diese weitere Probe noch in erhöhtem Mafse mich vergewissern,
[414. 415.] Dritter Tag. 399
was ich mir von einem Geiste wie dem seinen versprechen darf und
zwar einzig zu meinem Nutzen. Denn wenn meine Behauptungen sich
an dem Prüfsteine seines Urteils bewähren, so werde ich sicher sein
können, dafs sie aus wetterfestem Stofie sind. Mit Fleifs habe ich
Euch diesen Einwand verschwiegen, lafst es mich nur gestehen, jedoch
nicht in der Absicht Euch zu hintergehen und Euch etwas Falsches
einzureden, was ja immerhin möglich gewesen wäre, wenn ich den
Einwand verschwiegen, Ihr ihn übersehen hättet und wenn er wirk-
lich so begründet, so schlagend wäre, wie er es scheint. Das ist er aber
nicht ^•^), ja ich vermute jetzt, dafs Ihr mich nur auf die Probe stellen
wollt und darum so thut, als sähet ihre seine Unzulänglichkeit nicht.
Doch ich will diesmal Euere Malice übertrumpfen und gewaltsam
Eueren Lippen entlocken, was Ihr listig habt verbergen wollen. Darum
sagt mir : welcher Umstand ist es, der Euch Kenntnis giebt von dem
durch die jährliche Bewegung bewirkten Stillestehen und Rückwärts-
gehen der Planeten, einer so bedeutenden Erscheinung, dafs, wie Ihr
sagt, wenigstens eine Spur von etwas Ähnlichem sich auch an den
Sternen der Ekliptik zeigen müfste?
Sagr. Euere Frage betrifft zwei Punkte, deren jeder eine Ant-
wort erheischt. Der erste betrifft den mir gemachten Vorwurf der
Verstellung, der andere bezieht sich auf die etwaigen Erscheinungen
an den Sternen u. dgl. Was den ersten angeht, so sage ich mit Ver-
laub: es ist nicht wahr, dafs ich mich gestellt habe, als sähe ich die
Unzulänglichkeit jenes Einwandes nicht-, um es Euch zu beweisen, be-
kenne ich jetzt, dafs ich die Unzulänglichkeit sehr wohl einsehe.
Salv. Aber da verstehe ich nicht, wieso Ihr Euch nicht ver-
stellt haben wollt, als Ihr sagtet, Ihr sähet den Fehler nicht ein,
während Ihr nunmehr zugebt ihn sehr wohl zu begreifen.
Sagr. Eben das Eingeständnis, dafs ich ihn begreife, mag Euch
die Überzeugung beibringen, wie wenig ich heuchelte, als ich sagte^
ich begriffe ihn nicht. Denn hätte ich heuchebi wollen oder wollte
es noch jetzt, wer könnte mir verwehren, die Heuchelei fortzusetzen
und noch immer die Erkenntnis der Fehlerhaftigkeit zu verläugnen?
Ich erkläre Euch also hiermit, dafs ich sie vorhin nicht einsah, sie
aber gegenwärtig begreife, weil Ihr mein Nachdenken geweckt habt,
indem Ihr nämlich erstens mit Entschiedenheit sagtet, dafs es nichts
mit dem Einwände sei, imd mich sodami ganz im allgemeinen fragtet,
wodurch ich Kenntnis von dem Stillestehen und der Rückläufigkeit stiucstehen,
der Planeten habe. Da man dies nun an ihrer Stellung zu den Fix- u^ifigkeit der
Sternen erkennt, in Bezug auf welche ihre Bewegung bald nach Westen,durcrihVj:!ago
bald nach Osten gerichtet ist, bald ganz aufhört, da ferner über der^nJu^erkann"
400 Dialog über die Weltsysteme. [415. 416.]
Sternensphäre nicht abermals eine uuermefslich weiter entlegene und
uns sichtbare Sphäre vorhanden ist, mit welcher wir unsere Fixsterne
vergleichen könnten, so ist es unmöglich, an den Fixsternen auch nur
eine Spur von dem wahrzunehmen, was bei den Planeten allerdings
zu bemerken ist. Das wird es wohl gewesen sein, was Ihr meinen
Lippen entlocken wolltet.
Salv. Das ist es, abgesehen von der Extrazugabe Eueres aus-
erlesenen Scharfsinns. Wenn ich nämlich Euch durch ein hingewor-
fenes Wort ein Licht aufgehen liefs, so regt Ihr durch ein solches
in mir einen neuen Gedanken an: es ist vielleicht doch nicht ganz
Fingerzeig der ausgeschlosscu, dafs im Verlauf der Zeit sich an den Fixsternen eine
Gunsten der Erscheiuung bcobachten läfst, welche einen Rückschlufs auf den Sitz
bewegung, ahn- der jährlichen Umdrehung erlaubt. Es würden in diesem Falle die
Planeten. Fixstcme uicht Weniger als die Planeten und die Sonne selbst vor
dem Richterstuhl Zeugnis von dieser Bewegung zu Gunsten der Erde
ablegen. — Denn meiner Ansicht nach sind die Sterne nicht über
eine einzige Kugelfläche hin zerstreut und gleich weit entfernt von
einem Mittelpunkte, sondern ihre Abstände von uns sind sehr ver-
schieden, sodafs etliche wohl zwei- oder dreimal weiter entfernt sein
mögen als gewisse andere. Wenn sich also mittels des Fernrohrs
herausstellte, dafs ein sehr kleiner Stern ganz dicht bei einem der
gröfseren steht, dafs mithin ersterer sehr hoch stände, so könnte es
wohl geschehen, dafs eine merkliche Änderung ihrer gegenseitigen Lage
einträte, analog den Erscheinungen an den oberen Planeten.^'') Soviel
für jetzt über die speciell in der Ekliptik gelegenen Sterne. — Wir
kommen lum zu den aufserhalb der Ekliptik gelegenen Fixsternen.
Denken wir uns einen gröfsten Kreis senkrecht auf der Ekliptikebene,
etwa den, der dem Solstitialkolur ") an der Fixsternsphäre entspricht
und der zugleich ein Meridian ist; er möge CEHF heifsen. In ihm
betrachten wir einen aufserhalb der Ekliptik gelegenen Stern, etwa E.
nie Fixsterne Dcsseu Höhe wird sich nun allerdings bei Bewegung der Erde ändern,
Ekliptik heben denn wenn sich die Erde in A befindet, wird er in der Richtung AE
mehr^oder^veni-zu erblickeu sciu, also in einer Höhe vom Betrage des Winkels EAC]
l-'ntf6mung\'(^nbefindet sich die Erde aber in B, so steht er in der Richtung BE
^^ ' und besitzt eine Höhe im Betrage des Winkels E B C; letzterer aber
ist gröfser als Winkel EAC, weil er Aufsenwinkel des Dreiecks AEB
ist und dem Dreieckswinkel EAB gegenüber liegt. Derunach wird
die Entfernung des Sternes E von der Ekliptik sich scheinbar ge-
ändert haben; auch seine Höhe im Meridian wird gewachsen sein, ; ^''
wenn sich die Erde von A nach B begeben hat, und zwar um eben-
soviel wie Winkel EBG den Winkel EAC übertrifft, d. h. um den
[41G. 317.]
Dritter Tag.
401
Betrag des Winkels ÄEB. Denn wenn im Dreieck EAB die Seite
AB nach C verlängert wird, so übertrifit der Aufsenwinkel EBC,
weil er gleich der Summe der beiden iimeren gegenüberliegenden
Winkel E und A ist, den Winkel A um die Gröfse des Winkels E.
Nehmen wir ferner einen
anderen Stern in demselben
Meridian, aber in gröfserem
Abstände von der Ekliptik,
wie z. B. den Stern H, so wird
der Unterschied zwischen den
beiden von A und B aus be-
obachteten Richtungen noch
gröfser sein, insofern der Win-
kel AHB gröfser ist als der
vorige Winkel bei E. Dieser Winkel wird nämhch beständig wachsen,
je Aveiter der beobachtete Stern von der Ekliptik entfernt liegt, bis
schliefslich die gröfste Verschiebung bei einem Stern einträte, der im
Ekliptikpol selbst stände, wie wir behufs völliger Strenge folgender-
mafsen nachweisen können. Der Durchmesser der Erdbahn sei AB,
ihr Centrum G; man denke sich den Durchmesser bis zur Sternen-
sphäre nach den Pimkten Z) und C verlängert, im Mittelpunkte G sei
die Eklijitikachse GF errichtet und gleichfalls bis zur Fixsternsjihäre
verlängert. An dieser sei ein Meridian B FC beschrieben, welcher senk-
recht zur Ekliptikebene steht, überdies mögen auf dem Bogen FC
zwei beliebige Punkte H und E als Sternörter angenommen werden.
Man ziehe dann die Linien FA, FB, AH, HG, HB, AE, GE,
BE, sodafs AFB der die Höhenunterschiede messende Winkel oder
mit anderen Worten die Parallaxe des in F befindlichen Sternes ist,
AHB die Parallaxe des in H befindlichen, endlich AEB die Parallaxe
des Sternes in E. Ich behaupte, dafs der Winkel der Höhendiiferenz
am gröfsten ist für den im Ekliptikpol F befindlichen Stern, und dafs
er bei einem dem Pole näher gelegenen Sterne gröfser ist als bei
einem entfernteren, dafs also Winkel F gröfser ist als AVinkel H, imd
dieser gröfser als Winkel E. — Man denke sich um das Dreieck FAB
einen Kreis beschrieben; da nun Winkel i^ spitz ist — es ist nämlich seine
Basis AB kleiner als der Durchmesser DC des Halbkreises DFC —
so wird er in dem gröfseren der durch die Basis AB hergestellten
Abschnitte des umschriebenen Kreises liegen. Da ferner AB von
EG senkrecht halbiert wird, so wird das Centrum des umbeschriebeneu
Kreises auf FG liegen, etwa im Punkte 7. Nun ist aber von allen
Linien, die man von dem excentrisch gelegenen Punkte G bis zur Peri-
Galilei, Weltsysteme. 26
402 Dialog über die Weltsysteme. [417. 418.]
l^herie des umscliriebeuen Kreises ziehen kann, diejenige die gröfste,
welche durch den Mittelpunkt hindurchgeht; demnach wird (rjPgröfser
sein als jede andere Linie, welche vom Punkte G bis zur Peripherie
sich ziehen läfst. Es mufs dieser Kreis folglich die Strecke (ri? schnei-
den, da diese der Linie GF gleich ist. Wenn er aber GH schneidet,
mufs er auch AH schneiden; angenommen letzteres geschehe in L,
so ziehe man LB. Die beiden Winkel AFB und ALB müssen dann
gleich sein, weil sie auf demselben Bogen des umschriebenen Kreises
stehen; der Winkel ALB ist aber als Aufsenwinkel gröfser als der
innere Winkel H, also ist auch Winkel F gröfser als Winkel H. —
Auf dieselbe Weise können wir zeigen, dafs der Winkel H gröfser ist
als die Winkel E; denn das Centrum des dem Dreieck AHB um-
schriebenen Kreises liegt auf der Senkrechten GF, diesem liegt nun
aber die Linie GH näher als die Linie GE und darum schneidet die
Peripherie des Kreises die Linie GE und folglich auch AE, sodafs
die Behauptung damit evident ist. — Wir kommen daher zu dem
Schlufs, dafs die Verschiedenheit der scheinbaren Lage oder, um den
eigentlichen Kunstausdruck zu gebrauchen, die Parallaxe der Fixsterne
gröfser oder kleiner ist, je nachdem die beobachteten Sterne dem
Ekliptikpol mehr oder weniger nahe liegen, sodafs sie schliefslich bei
den in der Ekliptik selbst gelegenen Sternen sich auf Null reduziert.
Die Erde nähertWas sodauu die iufolgc der Erdbewegung wechselnde Entfernung der
lind entfernt sich . in • • ^ t • n t-ii t
von den Fix- feteme betrifft, so nähert und entfernt sie sich von den in der Eklip-
Sternen der
Ekliptik um dentik stchcnden um den vollen Betrag des Erdbahndurchraessers, wie
Betrag des Erd- . . .
bahndurch- wir socbcn gcschen haben. Bei den Sternen in der Nähe des Eklip-
tikpoles hingegen ist die Annäherung und Entfernung fast gleich
Null, bei den übrigen ist die Verschiedenheit um so gröfser, je näher
sie der Ekliptik liegen. — Wir können uns jetzt drittens davon über-
Gröfsere Ver- zeugcu, dafs jene scheinbare Verschiebung sich gröfser oder geringer
Schiebungen er- . . ' in i i f i -ntr •
leiden die nahe ergicbt, IC uachdcm der fetern uns näher oder ferner steht. Weim wir
reu als die ent- . ' . ... . -n p
lernteren sterne.nämlich emeii anderen Meridian in geringerer Entfernung von der
Erde zeichnen, wie etwa BEI und es steht ein Stern F, von dem
Punkte A der Erdbahn aus gesehen, auf derselben geraden Linie
AEE, so wird dieser, sobald man ihn von dem Punkte B der Erd-
bahn aus beobachtet, in der Linie B F zu stehen scheinen. Der
Winkel, welcher den Höhenunterschied mifst, nämlich BFA mufs
dann gröfser sein als der entsprechende Winkel AEB im vorigen
Fall, da er Aufsenwinkel des Dreiecks BEE ist.
Sagr. Viel Vergnügen und Belehrung hat mir Euer Vortrag
verschafft. Um mich zu vergewissern, dafs ich ihn gut verstanden
habe, werde ich die Hauptergebnisse mit kurzen Worten zusammen-
[418.]
Dritter Tag.
403
;n. Ihr habt uns, wie ich glaube, zwei verschiedenartige Erschei- zusammen-
fassung der aus
nungen angeführt, die wir möglicherweise infolge der jährlichen Erd-Aniafs der jähr-
bewegimg an den Fixsternen beobachten können. Die eine besteht weguug statt-
... 1 '. 1 r^i n • • n findendea Er-
in einer Änderung ihrer scheinbaren Grröfsen, je nachdem wir, fort- scheinungen an
geführt Yon der Erde, ihnen näher oder ferner sind; die andere, gleich-
falls von dem Wechsel
der Entfernung her-
rührend, besteht darin,
dafs sie sich uns in
demselben Meridiane
bald höher, bald weni-
ger hoch zeigen. Ferner
teilt Ihr uns mit, und
ich verstehe das sehr
wohl, dafs weder die
eine noch die andere
dieser Veränderungen
alle Sterne in gleicher
Weise betrifft, vielmehr
manche in höherem
Mafse, manche in ge-
ringerem, manche gar
nicht. Der Wechsel der Entfernung, vermöge dessen derselbe Stern
bald einen gröfseren, bald einen kleineren scheinbaren Durchmesser
haben müfste, ist unmerklich und fast gleich Null bei den Sternen in
der Nähe des Ekliptikpols 5 er ist am gröfsten bei den in der Eklip-
tik gelegenen Sternen, 'er hat einen mittleren Betrag bei den da-
zwischeu gelegenen. Gerade umgekehrt verhält es sich mit der zweiten
Veränderung: der Unterschied in der höheren oder tieferen Stellung
der in der Ekliptik gelegenen Sterne ist nämlich gleich Null, wäh-
rend er seinen gröfsten Wert bei den Sternen in der Nähe des Eklip-
tikpols erreicht und einen mittleren Wert bei den dazwischen gelege-
nen hat. Abgesehen davon sind beide Verschiedenheiten merklicher
bei näheren Sternen, minder merklich bei entfernteren und sie wür-
den schliefslich bei äufserster Ferne völlig verschwinden. — So, jetzt
habe ich meine Rolle gespielt. Es erübrigt noch, weim ich richtig ver-
mute, Signore Simplicio Genüge zu thun-, er wird schwerlich ohne weite-
res sich damit einverstanden erklären, derartige Verschiedenheiten un-
merklich zu nemien; rühren sie doch her von einer so gewaltigen Erd-
bewegung, von einer Lagenänderuiig, bei welcher die Erde an Orten steht,
die von einander dopjielt so weit abstehen als die Sonne von uns.
26*
404 Dialog über die Weltsysteme. [418. 419.]
Simpl. Um offen zu reden, es widerstrebt mir in der That sehr,
den Fixsternen einen so grofsen Abstand zuzuerkennen, dafs die be-
sprochenen Unterschiede völlig unmerklich sein sollten.
Salv. Gebt nicht alle Hoffnung auf, Signore Simplicio, es mag
doch vielleicht ein oder das andere Abschwächungsmittel für Euer
Bedenken zu finden sein. Erstlich: dafs keine merklichen Änderungen
in der scheinbaren Gröfse der Sterne sich beobachten lassen, darf Euch
nicht so sehr Wunder nehmen, wo Ihr doch seht, wie man sich bei
Schätzung dieser Verhältnisse so arg täuschen kann, namentlich wenn
Bei weit entfern- gg giß]^ ^j^ hell leuchteude Obickte handelt. Wenn Ihr selber z. B.
teu, leuchtenden » ''
oiijekten ist eine gjj^g brennende Fackel aus einer Entfernung von 200 Schritten be-
geriiige Annähe- ...
lung oder Ent- j^^-achtet uud sodauu drei bis vier Ellen näher herangeht, glaubt Ihr,
lernung unmerk- _ o / a
Hell. I]2r würdet merken, dafs sie Euch gröfser erscheint? Ich für mein
Teil würde sicher nichts davon bemerken, käme ich selbst 20 oder
30 Ellen näher heran; ja es ist mir schon vorgekommen, dafs ich in
solcher Entfernung ein derartiges Licht gesehen habe und mich nicht
entscheiden konnte, ob es an mich herankam oder sich entfernte,
Avährend es thatsächlich sich mir näherte. Doch wie? ist nicht der
nämliche Betrag der Annäherung und Entfernung — nämlich ein der
doppelten Sonnenentfernung gleicher — beim Saturn fast völlig un-
merklich, bei Jupiter schon kaum zu beobachten? Wie soll es da
nun mit den Fixsternen stehen, denen Ihr doch gewifs ohne Wider-
streben die doppelte Saturnentfernuug zuerkennt? Mars, welcher in
seiner Erdnähe . . .
Simpl. Bemüht Euch nicht weiter betreffs dieses Uiustandes, denn
ich verstehe jetzt, warum sehr wohl möglich ist, was Ihr über die
nicht veränderte scheinbare Gröfse der Fixsterne gesagt habt. Wie
aber steht es mit dem anderen Bedenken, welches darauf beruht, dafs
man keine Änderung in ihrer gegenseitigen Lage wahrnimmt?
Salv. Vielleicht gelingt es uns, Euch auch hierüber zu beruhigen.
Um es kurz zu machen, wäret Ihr nicht zufriedengestellt, wenn man
wirklich an den Sternen diejenigen Veränderungen wahrnähme, die
Euerer Meinung nach notwendig wahrzunehmen sein müfsten, sobald
der Erde die jährliche Bewegung zukäme?
Simpl. Ohne Zweifel wäre ich das, soweit es sich um diese be-
sondere Frage handelt.
Salv. Ich sähe es gerne, wenn Ihr sagtet, dafs mit Konstatierung
einer solchen Veränderung nichts mehr vorläge, was die Erdbewegung
zweifelhaft machen könnte; denn es gäbe keinen anderen Ausweg,
^yixsternen" hcsagtc Erscheiuung zu erklären. Aber sollte diese auch nicht sinn-
jäh?h°ch wledM--'^^^^ wahrzunehmen sein, so ist doch damit die Erdbewegung noch
[420. 4-.'l.] Dritter Tag. 405
nicht widerlegt, die Unbewepjlickkeit noch nicht zwinojend erwiesen, kehrende Äude-
, . ci rung wahr-
Denn möcjlicherweise macht die ungeheuere Entfernung der Sternen- zunehmea wäre,
'='. . '^ ... wäre die Erd-
sphäre, wie Kopernikus behauptet, solche minimalen Erscheinungen tewegung un-
. f,, . , . , . , widersprechlich
der Beobachtung unzugänglich. Überdies hat man, wie gesagt, bisher bewieseu.
vielleicht noch nicht einmal den Versuch gemacht, sie zu konstatieren,
oder wenn auch versucht, so doch nicht in der richtigen Weise, nämlich
nicht mit der Genauigkeit, die für so minutiöse Dinge erforderlich
wäre. Eine solche Genauigkeit ist schwer zu erzielen, teils wegen der
Mängel der astronomischen Instrumente, die vielen wechselnden Ein- Beweis der ge-
. . ic(iiiT T • • ''^^S^''^ Zuverläs-
flüssen ausgesetzt sind, teils auch durch fechuld derer, die sie mit sigkeit astro-
, , nomiacher
geringerer Sorgfalt anwenden, als erforderlich wäre. Ein deutlicher Instrumente.
Beweis dafür, wie wenig dergleichen Beobachtungen zu trauen ist,
sind die Abweichungen in den Angaben der Astronomen über die
Orter nicht etwa blofs der neuen Sterne und der Kometen, sondern
auch der Fixsterne selbst, ja sogar über die Polhöhen, betreffs deren
die Angaben öfters um viele Minuten von einander verschieden be-
funden werden. Und wer wollte auch, die Wahrheit zu reden, bei
einem Quadranten oder Sextanten, dessen Schenkel höchstens drei oder
vier Ellen mifst, die Einstellung des Lotes oder der Diopter mit
Sicherheit bis auf zwei oder drei Minuten zuAvege bringen, welche auf
seinem Bogen höchstens Hirsekorngröfse besitzen? ganz abgesehen
davon, dafs es beinahe unmöglich ist, das Instrument absolut genau
herzustellen und zu erhalten. Ptolemäus mifstraut einer Armillar- Ptoiemäus mifs-
111 1 TT-T tra^iit einem von
Sphäre, die Archimedes selbst hergestellt hatte, um den Eintritt der ArcMmedes ver-
a • 1 Ä , 1 j.- -SN fertigten Instru-
bonne m den Äquator zu bestimmen.'*) mente.
Simpl. Wenn die Instrumente aber so unzuverlässig, die Beob-
achtungen so zweifelhaft sind, wie können wir dann je zu gesicherter
Erkenntnis gelangen, wie sollen wir die Fehler vermeiden? Ich habe
doch viel Rühmens von den mit ungeheueren Kosten verfertigten Tychos instru-
O O mente mit
Instrumenten Tychos machen hören''''), sowie von seiner peinlichen s'^rsem Koaten-
•' y ' c aufwana
Genauigkeit bei Anstellung von Beobachtungen. hergestellt.
Salv. Alles das gebe ich Euch zu; aber weder diese noch jene
reichen aus, um uns in einer Frage von solcher Wichtigkeit Gewifs-
heit zu verschaffen. Ich bin der Ansicht, dafs man viel, viel gröfsere^''^^"/ ^"^'f":
' ; O mente für höchst
Instrumente benutzen sollte als die Tychos, die höchst genau und dabei genaue Beob-
•' ^ '-' aclitungen erfor-
sehr billig sind, deren Schenkel eine Länge von 4, 6, 20, 30, 50 Migiien »leriicii sind.
hat, sodafs ein Grad eine Miglie, eine Minute 50 Ellen, eine Sekunde
fast eine Elle grofs ist; wir können sie mit einem Worte von jeder
beliebigen Gröfse ohne jeglichen Kostenaufwand haben. Als ich mich
in einem meiner Landhäuser bei Florenz ^^") befand, beobachtete ich ^"o^obachtunr
406 Dialog über die Weltsysteme. [42 i. 422.]
soime aus dem yerliefs. Bei ihrem Untero-ana'e nämlich verschwand sie eines Abends
Sommer- . .
soistitium. liinter einem 60 Miglien weit entfernten Felsen der Berge von Pietra-
pana, sodafs nur ein schmales Streifchen nach Norden zu hervorragte,
dessen Breite nicht den hundertsten Teil des Sonnendurchmessers be-
trug. Den folgenden Tag stand noch immer beim Untergang ein
ähnliches, aber merklich schmäleres Streifchen hervor: ein unwider-
sprechlicher Beweis, dafs sie bereits begonnen hatte, den Wendekreis
zu verlassen; der Rückgang der Sonne zwischen der ersten und zweiten
Beobachtung betrug am Horizont sicher nicht mehr als eine Sekunde,
überdies ist die Beol^achtung, die man mittels eines vorzüglichen, die
Somieuscheibe mehr als tausendfach vergröfsernden Fernrohrs anstellt,
leicht und zugleich genufsreich. Mit solchen Instrumenten nun, meine
ich, sollen wir die Beobachtungen an den Fixsternen anstellen, und
zwar würde einer von denjenigen als Objekt zu dienen haben, bei
Av eichen die Veränderung etwas beträchtlicher sein müfste, d. h. wie
bereits auseinandergesetzt ist, einer von denjenigen, die am weitesten
von der Ekliptik entfernt sind. Hierzu würde die Wega, ein sehr
grofser und dem Ekliptikpole benachbarter Stern in nördlicher gele-
genen Ländern sich sehr wohl eignen, indem man auf gleich von mir
anzugebende Weise verfährt, nur bediene ich mich eines anderen Sternes.
Geeigneter Ort jß]^ habe mir im stillen schon einen Ort ausersehen, der sich für
zur Beobachtung _ ...
der Fixsterne, solche Beobachtung trefflich eignet; der Ort ist eine freie Ebene, auf
insofern es sich 007 7
um die jährliche welcher sich gegen Norden ein hoher Berg erhebt: auf seinem Gipfel
Erdbewegung ..."'^^ . ° '..^
handelt. ist elu klelucs von West nach Ost sich erstreckendes Kirchlein gebaut,
sodafs der Dachfirst den Meridian eines auf der Ebene gelegenen Ge-
bäudes möglicherweise rechtwinklig schneidet. Ich will nun eine
Stange parallel zu besagtem First oder Giebel anbringen lassen in
dem Abstand von etwa einer Elle. Ist das geschehen, so werde ich
auf der Ebene den Pimkt suchen, von welchem aus einer der Sterne
des Wagens im Augenblick seines Durchgangs durch den Meridian
sich gerade hinter der nun angebrachten Stange verbirgt, oder sollte
diese nicht stark genug sein, so werde ich die Stelle ermitteln, von der
aus die nämliche Stange die Scheibe sothanen Sternes mitten entzwei
zu schneiden scheint: eine Erscheinung, die mittels eines vorzüglichen
Fernrohrs vorzüglich wahrnehmbar ist. Befindet sich an dem Orte,
von wo aus die fragliche Erscheinung zu beobachten ist, ein Gebäude,
um so angenehmer; wo nicht, so werde ich einen Pfahl sehr solide in
die Erde rammen lassen mit einer festen Marke, welche die Stelle an-
zeigt, an die das Auge zu bringen ist, so oft man die Beobachtung
wiederholen will. Ich beginne mm die Beobachtungen um die Sommer-
sonnenwende, setze sie von Monat zu Monat oder wann es mir sonst
[422. 423.] Dritter Tag. 407
beliebt, bis zur anderen Sonnenwende fort. Durch diese Beobachtung
läfst sich eine etwaige Zu- oder Abnahme in der Höhe des Sternes
ermitteln, wie klein sie auch -sein möge. Wenn es bei diesem Ver-
fahren gelingt irgendwelche Änderung aufzufinden, was für ein grofser
Gewinn für die Astronomie! Demi damit können wir aufser der Ge-
wifsheit über die jährliche Bewegung auch sichere Kenntnis von der
Gröfse und Entfernung selbigen Sternes erlangen.
Sagr. Ich verstehe die ganze Entwicklung sehr wohl. Mir scheint
das Verfahren so leicht imd zweckentsprechend, dafs die Vermutung
nahe liegt, Kopemikus oder ein anderer x^stronom habe es zur Aus-
führung gebracht.
Salv. Ich bin der entgegengesetzten Ansicht; denn hätte jemand
es versucht, so würde er schwerlich unterlassen haben, das Ergebnis
anzuführen, ob es nun zu Gunsten dieser oder jener Ansicht sprach.
Es hat aber niemand weder zu dem vorliegenden noch zu anderem
Zwecke sich einer solchen Beobachtungsmethode bedient, die sich ohne
scharfes Ferm'ohr auch nur unvollkommen anwenden liefse.
Sagr. Ich fühle mich vollauf befriedigt von dem, was Ihr sagt.
Da uns aber bis Nacht noch reichlich Zeit übrig bleibt, so lafst Euch
nicht verdriefsen, wemi Ihr wollt, dafs ich ruhig schlafen soll, jene
Probleme zu erklären, für deren Behandlung Ihr vorhin bis morgen
um Aufschub batet. Gebt gefälligst das vorhin von uns gemachte Zu-
geständnis wieder zurück; lafst alle anderen Erwägungen zur Seite und
setzt uns auseinander, wieso bei Zugrimdelegung der von Kopernikus
behaupteten Erdbewegungen mid bei Annahme der Unbeweglichkeit
von Sonne und Fixsternen, ganz ebenso dieselben Erscheinungen rück-
sichtlich der höheren oder tieferen Stellung der Sonne, des Wechsels
der Jahreszeiten, der ungleichen Länge von Tag und Nacht u. s. w.
sich ergeben können, wie sie das ptolemäische System so leicht und
fafslich erklärt.
Salv. Man soll und kann eine Bitte Signore Sagredos nicht ab-
schlagen. Mit dem von mir erbetenen Aufschub bezweckte ich auch nur
Zeit zu gewinnen, um in meinem Kopfe die Prämissen zurechtzulegen, die
nötig sind für eine gründliche und klare Erläuterung der Frage, wieso
die genannten Erscheinungen ebenso wohl nach der kopernikanischen
als nach der ptolemäischen Ansicht eintreten müssen, ja mit noch
gröfserer Ungezwungenheit und Einfachheit nach jener als nach dieser, D;»» kopemika-
so dafs deutlich erhellt, jene Hypothese sei ebenso leicht von der Natur Metet zwar dom
ins Werk zu setzen als schwer für die Vernunft zu begreifen. Gleich-nJcht aber seiner
wohl hoffe ich, indem ich mich einer anderen Erklärimgs weise als derSchwierigkeiten.
des Kopernikus bediene, auch seine Auffassung einigermafsen von ihrer
408 Dialog über die Weltsysteme. [423. 424.]
Sätze, die 2um j)^yj]jgi}ieit ZU befreien. Zu diesem Zwecke werde ich mehrere, ohne
richtigea Ver- i ^t i i ■ j
ständnis der weiteres feststehende und bekannte Voraussetzungen machen, es smd
Folgen der Erd-
bewegungen (3jy folgenden:
notwendig sind. c5
Erstens. Gesetzt, die kugelförmige Erde drehe sich um ihre
eigene Achse und deren Pole, so beschreibt jeder auf ihi-er Oberfläche
bezeichnete Punkt einen gröfseren oder kleineren Kreis, je nach-
dem der bezeichnete Pimkt mehr oder weniger weit von den
Polen entfernt liegt. Von diesen Kreisen ist der gröfste derjenige,
welchen ein von den Polen gleich weit entfernter Punkt zurücklegt.
Alle diese Kreise sind einander parallel, wir wollen sie Parallelkreise
nennen.
Zweitens. Da die Erde Kugelgestalt besitzt imd aus undurch-
sichtiger Materie besteht, so wird beständig die eine Hälfte ihrer
Oberfläche von der Sonne beleuchtet, wogegen die andere finster
bleibt. Die Grenze, welche den erleuchteten Teil von dem finsteren
scheidet, ist ein gröfster Kreis; wir wollen ihn den Grenzkreis des Lichtes
nennen.
Drittens. Wenn der Grenzkreis des Lichtes durch die Pole hin-
durchgehen sollte, so wird er als gröfster Kreis jeden Parallelkreis
in zwei gleiche Teile teilen. Geht er aber nicht durch die Pole, so
wird er sie sämtlich in ungleiche Teile teilen, mit einziger Ausnahme
des mittelsten Parallelkreises, welcher auch in diesem Falle, weil er
ein gröfster Kreis ist, halbiert wird.
Viertens. Weim die Erde sich um ihre eigenen Pole dreht, so
Avird die Länge von Tag und Nacht durch die Bogen der Parallel-
kreise bestimmt, die von dem Grenzkreise des Lichtes ausgeschnitten
werden-, und zwar hängt die Länge des Tages von dem Bogen ab, der
in der erleuchteten Hälfte verläuft, die Länge der Nacht entspricht
dem Reste des Bogens.
Höchst einfache, Dicscs festgestellt, entwerfen wir behufs klarerer Verständlichkeit
nische System dcs folgcudcu eine Figur. Zunächst zeichnen wir eine Kreisperipherie,
Folgen daratei- die ims die Bahn der Erde in der Ekliptikebene vorstellen soll. Diese
nung. teilen wir durch die beiden Durchmesser Steinbock — Krebs und
Widder — Wage in vier gleiche Teile-, wir erhalten dadurch gleich-
zeitig die vier Kardinalpunkte, nämlich die beiden Solstitien und die
beiden Äquinoktien. In dem Mittelpunkte sothanen Kreises heben wir
die feste unbewegliche Sonne 0 hervor. Wir zeichnen sodann um die
vier Punkte Steinbock, Krebs, Wage und Widder als Centren vier
gleiche Kreise, welche uns die Erde darstellen sollen, wie sie zu ver-
schiedenen Zeiten in diesen Punkten sich befindet. Dieselbe legt im
[424.]
Dritter Tag.
409
Laufe eines Jahres mit ihrem Mittelpunkte die ganze Peripherie Stein-
bock, Widder, Krebs, Wage zurück und zwar in der Richtung von
West nach Ost, d. h. in der Ordnung der Zeichen. Nun ist deutlich, wie die jähr-
dafs wenn die Erde sich im Steinbock befindet, die Sonne im Krebs d« so^e^vom^
zu stehen scheint; dafs ferner, wenn die Erde sich längs des Bogens ni^c°heTstrnd-
Steinbock — Widder bewegt, die Sonne scheinbar den Bogen Krebs — g^ch «giebt.
Wage beschreiben mufs; kurzum die Sonne mufs im Laufe eines Jahres
den Tierkreis nach der Ordnung der Zeichen zu durchlaufen scheinen.
Mit dieser ersten Annajime also wird die scheinbare jährliche Sonnen-
bewegung in der Ekliptik vollauf befriedigend erklärt. Will man jetzt
zu der anderen Bewegung übergehen, nämlich zu der täglichen Be-
410 Dialog über die Weltsysteme. [424. 425.]
wegung der Erde um sich selbst, so hat man ihre Pole und die
Achse festzulegen, welch letztere nicht senkrecht zu der Ekliptikebene
zu denken ist, also nicht parallel zur Achse der Erdbahn, sondern
vom rechten Winkel um etwa 23^ Grad abweichend, und zwar mit
dem Nordpol gegen die Achse der Ekliptik hingeneigt, wenn sich das
Erdcentrum im Solstitialpunkte des Steinbocks befindet. Denken wir
uns also, der Mttelpunkt der Erde befinde sich im Steinbock, so
zeichnen wir ihre Pole und die Achse AB derart, dafs letztere gegen
das Lot auf dem Durchmesser Steinbock — Krebs um 23^ Grad geneigt
ist*^^); demnach ist der Winkel Ä — Steinbock — Krebs der Ergänzungs-
winkel zu einem Rechten, beträgt somit 66^ Grad. Dabei hat man
sich diese Neigung unveränderlich zu denken und unter dem oberen
Pol Ä den Nordpol, unter dem anderen B den Südpol zu verstehen.
Wenn wir uns nun vorstellen, die Erde drehe sich innerhalb 24 Stunden
in sich selbst um die Achse AB gleichfalls von West nach Ost, so
werden von allen auf der Oberfläche gelegenen Punkten parallele
Kreise beschrieben. In jener ersten Lage der Erde wollen wir den
gröfsten dieser Kreise CD und die beiden von ihm um 23^ Grad ent-
fernten Parallelkreise zeichnen, nämlich EF über und GN unter dem-
selben, ferner die beiden anderen ganz oben und unten gelegenen
Kreise IK, LM, welche eben diesen Abstand von den Polen haben.
Wie wir diese fünf Linien verzeichnet haben, so können wir uns un-
zählige andere, diesen parallele vorstellen, welche von den unzähligen
Punkten der Erdoberfläche beschrieben werden. Denken wir uns jetzt,
die Erde begebe sich infolge der jährlichen Bewegung ihres Centrums
an die anderen bereits bezeichneten Stellen und zwar unter steter
Innehaltung des Gesetzes, dafs ihre eigene Achse AB nicht nur ihre
Neigimg zu der Ebene der Ekliptik nicht ändere, sondern auch nie-
mals ihre Richtung wechsele, also sich immer selbst parallel bleibe
und somit beständig nach denselben Teilen des Weltalls oder des Fir-
maments gerichtet sei. Denken wir sie uns bis zu diesem verlängert,
so würde ihr oberstes Ende einen Kreis beschreiben, der parallel mid
gleich der Erdbahn Wage ^ — Steinbock — Widder — Krebs ist vmd der
die obere Grundfläche eines durch ihre jährliche Bewegung beschrie-
benen Cylinders auf der unteren Grundfläche Wage — Steinbock —
Widder — Krebs bildet. Wir wollen daher unter Wahrung dieser
unveränderten Neigung die drei anderen Figuren um die Mittelpunkte
Widder, Krebs und Wage zeichnen, welche ganz und gar mit der
zuerst um den Steinbock gezeichneten übereinstimmen. Betrachten
wir jetzt die erste Figur der Erde: bei ihr weicht die Achse AB
von dem Perpendikel auf dem Durchmesser Steinbock — Krebs um
[42:-,. 426.] Dritter Tag. 411
23 1 Grad uach der Sonne 0 ab-, da der Bogen AI ebenfalls 23|- Grad
mifst, so wird das Sonnenlicht die der Sonne zugekehrte Erdhalbkugel
— hier ist nur die Hälfte derselben sichtbar — beleuchten, welche
von der finsteren durch den Grenzkreis des Lichtes 131 geschieden ist.
Letzterer teilt nun zwar den Parallelkreis CD, weil er ein gröfster
Kreis ist, in zwei gleiche Stücke, alle anderen aber in ungleiche Teile,
weil der Grenzkreis des Lichtes IM nicht durch ihre Pole A,B geht.^^)
Der Parallelkreis IK samt allen innerhalb desselben gelegenen, dem
Pole noch näheren Parallelkreiseu wiKl vollständig in dem beleuch-
teten Teile gelegen sein, während im Gegenteil die gegenüberliegenden
um den Pol B innerhalb des Parallelkreises LM verlaufenden Kreise
in der Finsternis verbleiben. Da ferner der Bogen AI gleich dem
Bogen FD und der Bogen AF gemeinsam ist, so müssen die beiden
Bogen lEF und AFD gleich sein, jeder nämlich ein Viertelkreis:
Nun ist der ganze Bogen IFM ein Halbkreis, es mufs also 31F und
ebenso FKI ein Viertelkreis sein; es wird daher bei dieser Stellung
die Sonne 0 im Zeuith eines in F weilenden Beobachters stehen.
Nun passieren aber infolge der täglicheu Umdrehung um die feste
Achse AB alle Punkte des Parallelkreises FF durch den nämlichen
Punkt F, die Sonne wird also an diesem Tage für alle Bewohner
des Parallelkreises FF am Mittag im Zenith stehen und mithin bei
ihrer scheinbaren Bewegung den sogenannten Wendekreis des Krebses
zurückzulegen scheinen. Für die Bewohner aller derjenigen Parallel-
kreise hingegen, welche über dem Parallelkreis FF gegen den Nordpol
A hin verlaufen, weicht die Sonne vom Zenith gegen Süden hin ab.
Umgekehrt steht allen Bewohnern derjenigen Parallelkreise, welche
unterhalb FF nach dem Äquator CD und dem Südpol B hin ver-
laufen, die Sonne im Mittag jenseits ihres Scheitelpunktes gegen den
Nordpol A zu. Man erkennt sofort, dafs von allen Parallelkreisen
blofs der gröfste Kreis CD durch den Grenzkreis des Lichtes IM in
gleiche Teile geteilt wird; die übrigen hingegen, welche imter oder
über jenem gröfsten Kreise liegen, werden alle in migleiche Stücke
geteilt. Dabei sind die Tagesbogen der oberen Parallelkreise, d. h. die
im erleuchteten Teile der Erdoberfläche verlaufenden Bogen, gröfser
als die Nachtbogen, d. h. die im dunkelen Teile verlaufenden. Das
Gegenteil findet bei den übrigen Parallelkreisen statt, welche unter
dem gröfsten Kreise CD gegen den Pol B hin liegen; dort sind die
Tagesbogen kleiner als die Nachtbogen. Ebenso liegt es auf der Hand,
dafs die Unterschiede dieser Bogen sich vergröfsern, je näher die
Parallelkreise den Polen liegen, bis endlich der Parallelkreis IK voll-
ständig in dem beleuchteten Teile verläuft; daher haben die Bewohner
412 Dialog über die Weltsysteme. [426. 427.]
desselben einen 24stüucligen Tag ohne Naclit, während umgekehrt der
Parallelkreis LM, der ganz im finsteren Teil verläuft, eine 24 stündige
Nacht ohne Tag besitzt. — Wir gehen jetzt zu der dritten Zeichnung
der Erde über^ wo sie mit ihrem Centrum im Anfangspunkte des
Krebses steht, von dem aus gesehen die Sonne scheinbar in den Stein-
bock eintritt. Nun erkennt man aufs deutlichste, wie infolge der un-
verändert gebliebenen Stellung der Achse AB imd ihrer stets sich
selber parallelen Richtung das Aussehen und die Stellung der Erde
aufs Haar dieselbe bleibt wie bei der ersten Figur, nur dafs die Halb-
kugel, welche in der ersten Figur beleuchtet war, in dieser finster ist
und diejenige beleuchtet, welche in der ersten Lage finster war; daher
findet jetzt bezüglich der Unterschiede von Tag und Nacht das gerade
Gegenteil von dem statt, was vorher hinsichtlich der gröfseren oder
geringeren Länge beider stattfand. Zunächst ersieht man, dafs nun-
mehr der Kreis IK ganz imd gar in der dunkelen Hälfte liegt, wäh-
rend er in der ersten Figur ganz in dem beleuchteten Teile lag; der
gegenüberliegende LM dagegen jetzt im beleuchteten, während vorher
im dunkeln. Bei den Parallelkreisen zwischen dem gröfsten Kreise
CB und dem Pole A sind jetzt im Gegensatze zu vorhin die Tages-
bogen kleiner als die Nachtbogen, bei den entsprechenden dem Südpol
zu gelegenen verhält es sich wieder umgekehrt wie vorher, es sind
nämlich die Tagesbogen gröfser als die Nachtbogen. Man erkennt, dafs
jetzt die Sonne in dem Zenith der Bewohner des Wendekreises GN
steht, dafs sie hingegen für die des Parallelkreises EF sich um den
vollen Betrag des Bogens ECG, also um 47 Grad, nach Süden gesenkt
hat: mit einem Worte, dafs sie den Äquator überschritten imd von
einem Wendekreise zum anderen gewandert ist, mithin in den Meri-
dianen um besagten Betrag von 47 Grad sich gehoben oder gesenkt
hat. Und diese ganze Änderung schreibt sich nicht her von einem
Steigen und Aufrichten der Erde, sondern im Gegenteil davon, dafs
sie sich niemals neigt oder aufrichtet, kurz dafs sie immer in
derselben Lage bezüglich des Weltalls verbleibt und nur um die
inmitten der nämlichen Ebene gelegene Sonne wandert, in welcher
sie selbst kreisförmig ihre jährliche Bewegung ausführt. Bei dieser
Merkwürdiger, Gelegenheit ist folgender merkwürdige Umstand hervorzuheben: wie
aus der unver- a a o
änderten Erd- (Jas Einhalten derselben Richtung von selten der Erdachse bezüg-
achsenneigung _ ^ _
sich ergebender lieh dcs Weltalls odcr sagcu wir bezüglich der höchsten Teile der
Umstand. . . .
Fixsternsphäre zur Folge hat, dafs die Sonne sich um genamiten
Betrag von 47 Grad scheinbar hebt und senkt, die Fixsterne hin-
gegen sich ganz und gar nicht senken oder heben, so würde im
Gegenteil, wenn selbige Erdachse beständig die gleiche Neigung
[427. 428.] Dritter Tag. 413
gegen die Sonne, oder besser gesagt gegen dis Achse des Tierkreises,
bewahrte, keine scheinbare Änderung an der Sonne bezüglich einer
gröfseren oder geringeren Höhe stattfinden; daher würden die Be-
wohner eines und desselben Ortes stets die gleichen Unterschiede
zwischen Tages- und Nachtdauer, immer dieselbe Art von Jahreszeit
haben, d. h. einige stets Winter, andere stets Sommer, andere Früh-
ling behalten u. s. w. Hingegen würden die Fixsterne von einer sehr
bedeutenden scheinbaren Änderung rücksichtlich gröfserer oder geringerer
Höhe betroffen werden, imd zwar gleichfalls im Betrage von 47 Grad.
Um dies einzusehen, kehren wir zur Betrachtung der ersten Zeichnung
der Erde zurück, wo, wie man sieht, die Achse AB mit ihrem oberen
Ende A sich der Sonne zuneigt. In der dritten Figur hingegen neigt
sich die Achse, weil sie stets sich selber parallel und gegen die höchste
Fixsternsphäre unverändert gerichtet blieb, nicht mehr mit ihrem oberen
Pole A gegen die Sonne, sondern kehrt sich im Gegenteile von ihrer
ersten Lage um 47 Grad ab und neigt sich nach der entgegengesetzten
Seite; um daher dieselbe Neigung desselben Poles A gegen die Sonne
wieder herzustellen, müfste man den Erdball längs der Peripherie
ACBD um die nämhchen 47 Grad drehen und so den Pol nach E
bringen, um diesen Betrag aber würde dann jeder Fixstern, im Meri-
dian beobachtet, sich gehoben oder gesenkt haben. — Wir gelangen
nunmehr zu der Auseinandersetzung des noch Fehlenden und betrachten
demgemäfs die Stellung der Erde in der vierten Figur, also diejenige
Lage, bei welcher ihr Centrum im Anfangspunkt der Wage steht, so-
dafs die Sonne im Anfangspunkt des Widders zu stehen scheinen wird.
Nun ist aber die Erdachse, welche in der ersten Figur sich hinneigt
gegen den Durchmesser Steinbock — Krebs und demnach in derjenigen
Ebene liegt, von welcher die Erdbahn längs der Linie Steinbock —
Krebs senkrecht geschnitten wird, bei ihrer Übertragung an den Ort
dieser -vierten Figur, wie des öfteren bemerkt, sich selber parallel ge-
blieben; sie wird also nunmehr noch immer in einer zur Ekliptik
senkrechten Ebene liegen, welche gleichzeitig parallel ist zu der durch
den Durchmesser Steinbock— Krebs gelegten senkrechten Ebene. Daher
wird die Linie, welche vom Mittelpunkt der Sonne zum Mittelpunkt
der Erde führt, also die Linie 0 —Wage, auf der Achse BA senkrecht
stehen; diese nämliche Sonnen- und Erdmittelpvmkt verbindende Linie
ist aber in allen Fällen senkrecht zum Grenzkreise des Lichtes; also
wird in der vierten Figur dieser Kreis durch die Pole A,B hindurch-
gehen und die Achse AB in seiner Ebene liegen. Ein gröfster Kreis
aber, der durch die Pole der Parallelkreise geht, teilt sie sämtlich in
gleiche Teile; also werden die Bogen IK, EF, CD, GN, LM samt und
414 Dialog über die Weltsysteme. [428. 429.]
sonders Halbkreise sein; die beleuchtete Hemisphäre ist die uns und
der Sonne zugewendete, der Grenzkreis des Lichtes mufs mithin der
Kreis AB CD selbst sein; wenn die Erde sich au dieser Stelle be-
findet, wird für alle ihre Bewohner Tag- und Nachtgleiche stattfinden.
Dasselbe findet bei der zweiten Figur statt, wo die Erde ihre erleuch-
tete Hälfte der Sonne, die dunkele hingegen mit den darauf ver-
laufenden Nachtbogen, welche gleichfalls sämtlich Halbkreise sind, uns
zuwendet; daher findet auch hier Tag- und Nachtgleiche statt. Da
nun endlich die Linie vom Centrum der Sonne bis zu dem der Erde
hier senkrecht zur Achse AB ist, und da auf dieser nämlichen Achse
der gröfste Parallelkreis CD senkrecht steht, so mufs notwendig die
Linie 0 — Wage in der Ebene dieses Parallelkreises selbst liegen und
seinen Umfang in der Mitte des Tagbogens CD schneiden, daher steht
die Sonne im Zenith dessen, der in diesem Schnittpunkt sich befindet.
Durch diesen Punkt passieren aber, fortgeführt von der täglichen Um-
drehung der Erde, alle Bewohner besagten Parallelkreises; daher werden
diese an genaimtem Tage sämtlich Mittags die Sonne scheitelrecht
über sich stehen haben. Gleichzeitig wird die Sonne sämtlichen Erd-
bewohnern den gröfsten Parallelkreis, den sogenaimten Äquator, zu
beschreiben scheinen. — Da nun ferner, wenn die Erde in beiden
Solstitialpunkten sich befindet, von den beiden Polarkreisen IK, LM
der eine vollständig im Lichte, der andere vollständig in der finsteren
Hälfte liegt; da hingegen, wenn die Erde in den Äquinoktialpunkten
sich befindet, die eine Hälfte der Polarkreise im Lichte, die andere in
der Finsternis liegt: so ist es unschwer einzusehen, wieso beim Fort-
rücken der Erde etwa vom Krebse, wo der Parallelkreis IK völlig
in Finsternis verläuft, nach dem Löwen ein Teil des Parallelkreises
IK in der Nähe des Punktes I in die erleuchtete Hälfte einzutreten
beginnt, wieso der Grenzkreis des Lichtes IM anfängt, sich gegen die
Pole A,B hinzuziehen und den Kreis AB CD nicht mehr in / und M
schneidet, sondern in zwei anderen Punkten, welche zwischen die End-
punkte / und A, M und B der Bogen lA, MB fallen. Daher werden
nunmehr die Bewohner des Kreises IK beginnen, sich des Lichtes zu
erfreuen, die Bewoliner des Kreises LM hingegen die Nacht zu ver-
spüren. — So habt Ihr also durch zwei ganz einfache, der Erde bei-
gelegte Bewegungen, deren Dauer im richtigen Verhältnis zu ihrer
Gröfse steht und die nicht miteinander im Widerspruch sind, sondern
wie bei allen übrigen Weltkörpern von West nach Ost vor sich gehen,
in völlig befriedigender Weise Rechenschaft erhalten von allen jenen
nämlichen Erscheinungen, zu deren Erklärung mittels der Unbeweg-
lichkeit der Erde die Harmonie zwischen den Geschwindigkeiten imd
[429. 430.] Dritter Tag. 415
den Gröfeen der bewegten Körper aufgegeben und einer ungeheueren,
alles an Gröfse überragenden Sphäre eine unfafsbare Geschwindigkeit
zuerkannt werden mufs, während man die kleinen anderen Sphären sich
sehr langsam bewegen läfst. Auch mufs man jene erste Bewegung
entgegengesetzt den übrigen annehmen und — zur Vermehrung der
UnWahrscheinlichkeit — von jener oberen Sphäre alle unteren gegen
ihre eigene Neigung fortreifsen lassen. Hier überlasse ich es denn
Euerem Urteil zu entscheiden^ was die gröfsere Wahrscheinlichkeit
für sich hat.
Sagr. Für mich, soweit meine natürliche Empfindung in Betracht
kommt, besteht kein kleiner Unterschied zwischen der Einfachheit und
Leichtigkeit, wie nach diesem neuen System mit den angegebenen
Mitteln die Erscheinungen hervorgebracht werden, und dem Ver-
wickelten, Verworrenen und Schwierigen, das dem alten, allgemein
anerkannten System anhaftet. Wäre das Weltall nämlich in der Weise
verwickelt augeordnet, so hätte man in der Philosophie viele von
allen Philosophen allgemein anerkannte Axiome zu beseitigen: wie^'°"^^"^^^^^*^^°"
dafs die Natur nicht die Dinge ohne Not vermehrt, dafs sie sich der^iei^anerkannte
leichtesten und einfachsten Mittel bedient, um ihre Wirkungen her-
vorzubringen, dafs sie nichts vergeblich thut u. dgl. m. Ich gestehe, .
dafs ich nie etwas Bewundernswerteres als dies gehört habe; niemals,
glaube ich, hat menschliche Forschung gröfseren Scharfsinn entfaltet.
Ich weifs nicht, wie Signore Simplicio darüber deukt.
Simpl. Wenn ich freimütig meine Meinung sagen soll, so scheinen
mir diese Dinge zu jenen geometrischen Subtilitäten zu gehören, welche t^^eit°pia*to
Aristoteles bei Plato tadelt, wenn er ihm vorwirft, durch zu eifriges ^J^^^^gj^^y^^^g^g
Studium der Geometrie von gesunder Philosophie abgekommen zu sein, ^"'^etrie""
Ich habe höchst bedeutende peripate tische Philosophen gekannt, die
ich ihren Schülern vom Studium der Mathematik habe abraten hören, Peripatetische
/ Philosophen
da diese den Geist tadelsüchtig und unfähig zu solidem Philosophieren ^ stmUum^dfr ^
mache: ganz das entgegengesetzte Princip von dem Piatos, der Mathematik.
niemanden zur Philosophie zuliefs, er hätte sich demi zuerst mit der
Geometrie vertraut gemacht.
Salv. Ich schliefse mich der Maxime jener Euerer Peripatetiker
an, welche ihre Schüler von dem Studium der Geometrie zurückhalten;
denn es giebt keine Wissenschaft, die sich besser als diese eignete,
um ihre Fehlschlüsse an den Tag zu bringen. Aber seht, Avelche Ver-
schiedenheit zwischen jenen und den Mathematikern! Diese haben
sehr viel lieber mit Leuten zu thun, welche wohl vertraut mit der
gewöhnlichen peripatetischen l*hilosophie sind, als mit solchen, die
dieser Kenntnisse erraanocelu und infolü'e dieses Manu'els keinen Ver-
416 Dialog über die Weltsysteme. [430. 431.]
gleich zwisclien der einen und der anderen Lehre anstellen können.
Doch lassen wir das auf sich beruhen und sagt mir gefälligst: welche
Absurditäten oder allzu gesuchten Spitzfindigkeiten lassen Euch jenes
System des Kopernikus minder beifallswürdig erscheinen?
Simpl. Ich habe es wirklich nicht so ganz verstanden; wohl auch
darum^ weil ich die Gründe nicht völlig gegenwärtig habe, welche
von Ptolemäus für dieselben Erscheinungen angeführt werden, ich meine
für jenes Stillestehen, Rückwärtsgehen, Näherkommen, Sich wiederent-
fernen der Planeten, für die Zu- und Abnahme der Tage, für die Ände-
rungen der Jahreszeiten u. s. w. Aber abgesehen von den Folgerungen,
die sich aus den Grundannahmen ergeben, gegen diese Annahmen
selbst hege ich nicht geringe Bedenken. Sind aber erst diese Annahmen
vernichtet, so zieht das den Einsturz des ganzen Baues nach sich.
Nun stützt sich, wie mir scheint, der ganze Apparat des Kopernikus
auf einen gebrechlichen Unterbau, denn er gründet sich auf die Be-
weglichkeit der Erde. Ist daher diese nur erst abgethan, so braucht
es keine weiteren Erörterungen. Um sie zu beseitigen, ist nun aber,
glaube ich, das eine Axiom des Aristoteles entscheidend, dafs einem
einfachen Körper von Natur nur eine einzige einfache Bewegung eig-
nen kann-, hier aber werden der Erde, einem einfachen Körper, drei,
Vier verschie- wemi uicht vier von einander sehr verschiedene Bewegungen beigelegt.
dene der Erde .^ ., , ., n • • t^ -, ?,r- ,
beigelegte Be- Deuu abgesehen von der geradlinigen Bewegung nach dem Mittel-
punkte, die ihr als schwerem Körper unwidersprechlich zukommt,
wird ihr eine jährliche Kreisbewegung um die Sonne auf einem grofsen
Kreise und eine 24-stündige Drehung in sich selbst zugeschrieben.
Was dann aber am widersiimigsteii ist und was Ihr vielleicht eben
deshalb verschwiegen habt, sie soll noch eine weitere Drehung um
den eigenen Mittelpunkt besitzen, entgegengesetzt der erstgenannten
24-stündigen und diese soll sich innerhalb eines Jahres vollziehen.
Dagegen sträubt sich meine Vernunft mit allen Kräften.
Salv. Was die Bewegmig nach unten betrifft, so ist bereits ge-
PewegHiig nach zeigt wordcu, dafs sie durchaus nicht dem Erdball eigen ist, der nie
unten ist nicht ^ . -,• -r> p t i /• i • i •
dem Erdball, uiid uimmcr diesc Bewegung ausgeführt hat noch ausführen wird; sie
Teilen eigen, kömmt bestenfalls den Teilen zu, die das Streben haben mit dem
Jährliche und Gauzcu sich wicdcr zu vereinigen. Was weiter die jährliche und täg-
tü gliche Bewe- it-> t • ^ t l^ rt- ^
guuganderErdeliche Bewegung anlangt, so haben diese eine und dieselbe Kichtung
mit einander ver- -,.,?■, o ^ ■ ■ T i • •
trägiich. und Sind daher aufs beste mit einander verträglich, gerade wie eine
Kugel, wenn wir sie längs einer geneigten Oberfläche fallen lassen, bei
der Abwärtsbewegung von selbst sich um ihren Mittelpunkt drehen
wird. Was endlich die dritte, ihr von Kopernikus zugeschriebene Be-
wegung anlangt, nämlich die Drehung in sich selbst innerhalb eines
[431. 432.] Dritter Tag. 417
Jahres, welche blofs dazu dient, um ihrer Achse dauernd die Neigung
und Richtung nach einer und derselben Seite des Firmaments zu ver-
leihen, so will ich Euch darüber eine höchst bemerkenswerte Ansicht
mitteilen. ^^) Weit entfernt nämlich, dafs sie — obgleich der anderen
jährlichen Bewegung entgegengesetzt — mit dieser im Widersj)ruch Jeder schwc-
stünde oder Bedenken erregen köimte, kommt sie vielmehr durchaus Gleichgewicht
von Natur und ohne irgendwelche bewegende Ursache jedwedem per nimmt von
schwebenden und im Gleichgewicht befindlichen Körper zu. Wenn ringsherum auf
ein solcher ringsherum längs einer Kreisperipherie fortgeführt wird, so pherie fortge-
kommt sofort von selbst eine Drehung um den eigenen Mittelpunkt Bewegimg um
hinzu, die der ihn im Kreise fortführendexi Drehung entgegengesetzt die jener em-
ist und deren Geschwindigkeit so grofs ist, dafs beide Drehungen
genau in derselben Zeit beendigt werden. Ihr kömit Euch von dieser
merkwürdigen und auf unseren Gegenstand bezüglichen Thatsache versuch, der
überzeugen, indem Ihr in eine Schüssel Wasser eine darauf schwimmende dafs zwei ent- '
Kugel bringt und das Gefäfs in der Hand haltet; wenn Ihr Euchßewegungenvon
nun auf den Fufssohlen herumdreht, werdet Ihr sofort sehen, wie die Korpe^zu-^"
Kugel anfängt sich um sich selbst zu drehen und zwar entgegen-
gesetzt za der Drehungsrichtung der Schüssel, und wie sie ihre Um-
drehung gleichzeitig mit der des Gefäfses beendigt.®'*) Was ist nun
die Erde Anderes als eine in dünner, nachgiebiger Luft schwebende
Kugel, die in einem Jahre längs der Peripherie eines grofsen Kreises
ringsherum geführt wird und folglich ohne weitere bewegende Ur-
sache eine jährliche Drehung annehmen mufs, die der anderen gleich-
falls jährlichen Bewegung entgegengesetzt ist? Ihr könnt Euch von
dieser Erscheinung überzeugen; wenn Ihr aber dann genauer über-
legt, so werdet Ihr bemerken, dafs sie nichts Wirkliches ist, sondern Die dritte der
° ' ' •^ . Erde beigelegte
blofser Schein. Was Euch wie eine Drehung um den eigenen Mittel- Bewegung ist
" _ " •TT ®^®'^ ^"^ Unver-
punkt vorkommt, ist in Wirklichkeit ein Sich-nicht-bewegen, em Un- ändertbieiben.
Verändertbleiben in Bezug auf alles das, was sich an Euerer Bewegung
und an der des Gefäfses nicht beteiligt. Denn bringt Ihr auf jener
Kugel irgend eine Marke an und achtet darauf, nach welcher Wand-
seite des Zimmers, in dem Ihr Euch befindet, oder nach welcher Gegend
der Landschaft oder des Himmels sie gerichtet ist, so werdet Ihr be-
sagte Marke bei Euerer und des Gefäfses Drehung stets nach der-
selben Seite gerichtet finden. Vergleicht Ihr abei- ihre Lage mit dem
Gefäfse oder mit Euch selbst, also zwei beweglichen Objekten, so wird
sie allerdings scheinbar ihre Richtung ändern und sich mit einer Be-
wegung, die der Eueren und der des Gefäfses entgegengesetzt ist,
allen Punkten des Gefäfsrandes zuwenden; man kaim daher mit gröfse-
rem Rechte sagen, dafs Ihr und das Gefäfs um die unbewegte Kugel
(xAiaijEi, WoUsystome. "*
418 - Dialog über die Weltsysteme. [432. 433.]
Euch dreht, als dafs diese innerhalb des Gefäfses rotiert. Wenn in der-
selben Weise die Erde im Gleichgewichte auf der Peripherie des whis
magnus schwebt und so liegt, dafs eine auf ihr angebrachte Marke,
wie z. B. der Nordpol, nach dem oder jenem Sterne oder einem son-
stigen Teile des Firmaments gerichtet ist, so behält diese ihre Rich-
tung eben dahin stets bei, mag sie auch durch die jährliche Bewegimg
längs der Peripherie des orhis magnus fortgeftihrt werden. Dies allein
genügt, um alles Verwunderliche zu beseitigen und jedes Bedenken
Wunderbare, gu heben. Was aber wird Signore Simplicio sagen, wenn wir zu dem
dem Erdball ^ „ '- O 7
ahnende ebcu erbrachten Nachweis der Überflttssigkeit einer mitwirkenden Ur-
Kraft stets dem-
seiben TeUe desgg^ßj^g jjoch Überdies auf eine wunderbare, dem Erdball innewohnende
Himmels sich '
zuzukehren. Kraft als Argumeut hinweisen, nämlich auf das Bestreben der Erde,
bestimmte Teile von sich bestimmten Teilen des Firmaments zuzu-
wenden? Ich spreche von der Anziehungskraft, die ausnahmslos und
^^'^Ma'^'^Det" ^''"beständig jedem Stücke eines Magneten zukommt. Wenn jedes Teil-
chen dieses Minerals jene Kraft besitzt, wer wollte zweifeln, dafs sie
in noch höherem Grade dem gesamten Erdball innewohnt, der solchen
Stoff reichlich enthält, und der vielleicht sogar, was seinen inneren
Kern, seine ursprüngliche Substanz betrifft, nichts anderes ist als ein
ungeheuerer Magnet?
Simpl. Ihr gehört also zu den Anhängern der magnetischen
Theorie William Gilberts? ^^)
Salv. Gewifs gehöre ich zu ihnen; und ich glaube alle die zu Ge-
sinnungsgenossen zählen zu dürfen, welche sein Buch gelesen und seine
tS^S«/«^^^'"^^^^^® nachgeprüft haben. Auch möchte ich die Hoffnung nicht
oiioert':. aufgeben, dafs es Euch ebenso ergeht, wie es mir in diesem Falle er-
ging. Nur müfst Ihr durch eine der meinen gleiche Wifsbegierde und
durch die Erkenntnis, wie imendlich viele Dinge in der Natur dem
Menschenverstände fremd sind, erst von dem Sklavenjoche dieses oder
jenes besonderen Schriftstellers befreit werden, sodafs Euere Vernunft
minder straff' im Zügel gehalten wird; Ihr müfst erst das Sträuben, das
Widerstreben Eueres Verstandes bekämpfen, damit er nicht zuweilen
störrisch sein Ohr bisher noch nicht gehörten Worten versagt. Die
g^m^S'l'stir.^^^^^^^^^^^ßi* ^^^ Alltagsgeister, wenn ich dieses Wort gebrauchen
darf, ist nun schon so weit gediehen, dafs sie nicht nur blindlings
ihren Beifall zum Geschenk, ja zum Tribut hingeben dem gegenüber,
was sie in den Büchern ihrer Autoren geschrieben finden, jener Auto-
ren, die ihnen in der frühesten Kindheit ihrer Studien von ihren
Lehrern angepriesen wurden, nein, sie weigern sich auch jedwede neue
Lehre, jedes Problem nur anzuhören, geschweige denn zu jirüfen, wie-
wohl ihre Autoreu die Sache nicht nur nicht widerlegt, sondern nicht
[433. 434.] Dritter Tag. 419
einmal erwogen und geprüft haben. Dahin gehört denn auch die Frage
nach der wahren^ eigentümlichen ^ ursprünglichen, inneren und haupt-
sächlichen Materie oder Substanz dieses unseres Erdballs; wiewohl
nämlich weder Aristoteles noch sonst jemand vor Gilbert auf den Ge-
danken verfiel, dafs diese Substanz ein Magnet sein könne, geschweige
denn, dafs Aristoteles oder ein anderer solche Meinung widerlegt
hätte, habe ich dennoch so manchen angetroffen, der bei der ersten
Berührung der Frage wie ein scheues Pferd sich zurückzog und sich
weigerte darüber zu verhandeln, indem er einen solchen Gedanken für
eitele Chimäre ausgab, wo nicht für ausgemachte Verrücktheit. Mir
wäre das Buch Gilberts vielleicht gar nicht in die Hände gekommen,
wenn nicht ein hochberühmter peripatetischer Philosoph, wahrschein-
lich um seine Bibliothek vor dem Ansteckungsstoff zu hüten, es mir
zum Geschenk gemacht hätte.
Simpl. Ich, der ich gerne zugebe, einer jener Alltagsgeister ge-
wesen zu sein und erst seit den letzten paar Tagen, wo ich Eueren
Erörterungen habe beiwohnen dürfen, fühle, wie ich mich abseits ge-
schlagen habe von der breitgetretenen Heerstrafse, bin doch noch nicht
soweit gelangt, dafs mir nicht die Klippen dieser neuen phantastischen
Meinung Anstofs gäben und schwer überwindlich erschienen.
Salv. Wenn das, was Gilbert schreibt, richtig ist, so handelt es
sich nicht um ein Meinen, sondern um einen Gegenstand des Wissens,
nicht um etwas Neues, sondern um etwas ebenso Uraltes wie die Erde
selbst-, auch kann, insofern es wahr ist, nichts Anstöfsiges imd
Schwieriges dabei sein, vielmehr mufs alles sich einfach und glatt er-
ledigen. Wenn es Euch recht ist, will ichs Euch mit Händen greifen
lassen, wie Ihr nur selber Euch scheu macht und vor Dingen erschreckt,
an denen nichts Furchtbares ist, wie ein kleines Kind sich vor dem
wilden Jäger fürchtet, ohne mehr davon zu wissen als den Namen,
wie denn aufser dem Namen nichts daran ist.
Simpl. Es soll mich freuen aufgeklärt und aus meinem Irrtum
gerissen zu werden.
Salv. So antwortet mir auf die Fragen, die ich Euch stellen
werde. Sagt mir zuerst, ob dieser von ims bewohnte Ball, welchen
wir Erde nennen. Euerer Ansicht nach aus einer einzigen ehifacheu
Materie besteht oder ein Gemisch unter einander verschiedener Mate-
rien darstellt.
Simpl. Er ist sichtlich aus sehr verschiedenen Substanzen undErdbaii aus ver-
Körpern zusammengesetzt. Zunächst die Hauptbestandteile anlangend ^"^stoffoir^z'i?""
sehe ich Wasser ijnd Erde, die unter einander aufserordentlich y^^., ^"'"'"'^"S'^«« -^ ■
schieden sind.
420 Dialog über die Weltsysteme. [434. 4.35.]
Salv. Lassen wir einstweilen Meere und sonstige Gewässer bei-
seite und betrachten die festen Teile. '^*"') Sagt mir^ ob Euch diese alle
gleichartig oder ebenfalls verschieden vorkommen.
Simpl. Dem Anscheine nach kommen sie mir verschiedenartig
vor-, denn es finden sich weite Landstrecken unfruchtbaren Sandes und
dann wieder reiche und fruchtbare Gegenden; man bemerkt unzählige
wüste Hochgebirge voll harter Felsen und verschiedenartigster Ge-
steine, als da sind Porphyr, Alabaster, Jaspis imd tausend und aber
tausend Marmorarten-, es finden sich gewaltige Minen von so vielen
verschiedenen Metallsorten vor, kurz soviele verschiedene Materien,
dafs ein Tag nicht ausreichte sie nur aufzuzählen.
Salv. Glaubt Ihr nun, dafs von den verschiedenen Stoffen in
dieser grofseu Masse gleiche Mengen auftreten, oder dafs einer der
Bestandteile in bei weitem überwiegender Weise darin enthalten ist
und gewissermafsen die Hauptmaterie, die Hauptsubstanz des unge-
heueren Körpers ausmacht?
Simpl. Ich glaube, dafs die Mineralien, Marmorarten, Metalle,
Edelsteine und alle die anderen verschiedenen Stoffe nur äufserlichen,
oberflächlichen Schmuck und Zierrat des ursprünglichen Kernes vor-
stellen, dessen Volumen unermefslich viel gröfser ist als das jener
anderen Dinge.
Salv. Und dieser hauptsächliche, ungeheuer grofse Körper, von
dem die genannten Stoffe gleichsam AusAvüchse und Zierraten sind,
aus welcher Materie, meint Ihr, bestehe der?
Simpl. Ich meine aus dem einfachen, oder minder unreinen Ele-
mente der Erde.
Salv. Aber was versteht Ihr unter der Erde? Das etwa, was
über die Felder gebreitet ist, was man mit Spaten und Pflug be-
arbeitet, worin man sät, die Feldfrüchte baut, worin ohne mensch-
liches Zuthun gewaltige Wälder wachsen, mit einem Worte die Woh-
nung aller Tiere, die Mutter aller Gewächse?
Simpl. Das möchte ich allerdings für die Ursubstanz dieses unseres
Erdballs halten.
Salv. 0, diese Ansicht scheint mir verfehlt-, denn die Erde, die
man umgräbt, bestellt, die Früchte erzeugt, ist ein Teil, und zwar ein
sehr geringer, der Kugeloberfläche, der sich nur in geringe Tiefe fort-
setzt im Vergleich zu der Entfernung des Mittelpunkts. Die Erfahrung
lehrt uns, dafs die Erde in diesem Sinne nicht weit in die Tiefe
hinabgeht, dafs dort sich Stoffe finden^ die von der äufseren Rinde
durchaus verschieden sind,' weit fester und ungeeignet für Pflanzen-
wachstum, abgesehen davon, dafs die inneren Teile unter dem gewal-
[435. 436.J Dritter Tag. 421
tigeu Drucke der darüber befindliclien schwereu Stoffe aller AValir-
scheiiiliclikeit nacli so dicht und Jiart sind wie nur irgend der här-
teste Fels. Nehmt hinzu, dafs umsonst Fruchtbarkeit jenen Stoffen
verliehen wäre, die nicht dazu bestimmt Avaren, jemals Frucht her-
vorzubringen, sondern in Ewigkeit begraben zu bleiben in den tiefen,
finsteren Abgründen der Erde.
Slmpl. Wer giebt uns denn Gewifsheit, dafs die dem Gentrum
näher gelegenen Teile unfruchtbar sind? Vielleicht bringen auch sie
Erzeugnisse hervor, die uns unbekannt sind.
Salv. Wemi irgend jemand, müfstet Ihr Gewifsheit darüber haben ;
denn Euch wird ja die Einsicht leicht sein, dafs, wenn schon die
Hauptteile des Weltalls blofs zum Wohle des Menschengeschlechtes
erschaffen sind, vor allen anderen unser Erdball zum alleinigen Nutzen
seiner Bewohner bestimmt ist. Welchen Vorteil aber könnten uns
Stoffe bringen, die uns dermafsen entrückt, dermafsen verborgen vor
uns sind, dafs wir sie nun und nimmermehr uns dienstbar machen
können? Unmöglich kann also der Kern dieses unseres Erdballs Der Kern des
eine widerstandslose, zerreibliche, unzusammenhängende Materie sein, sehr fest sein,
wie die an der Oberfläche befindliche, sogenannte Erde; er mufs viel-
mehr aus äufserst dichtem und festem Stoffe, mit einem Worte aus
härtestem Stein bestehen. Und wenn er das mufs, aus welchem
Grunde sträubt Ihr Euch mehr gegen die Annahme, er sei ein Magnet,
als gegen die Ansicht, er bestehe aus Porphyr, Jaspis oder hartem
Marmor? Wenn Gilbert geschrieben hätte, der Erdball bestehe im
inneren aus pietra serena^'^) oder Chalcedon, würde Euch das Para-
doxon etwa minder ungeheuerlich erschienen sein?
Simpl. Dafs die mehr im inneren gelegejien Teile des Erdballs
stärker zusammengedrückt werden und darum dichter und fester sind,
imd zwar um so mehr, je tiefer sie liegen, gebe ich zu und giebt
auch Aristoteles zu; dafs sie aber der Art nach verschieden wären,
etwas Anderes als Erde derselben Sorte, aus der die oberflächlichen
Teile bestehen, das zuzugeben fühle ich mich durch nichts bewogen.
Salv. Ich habe mich auf diese Erörterung nicht eingelassen, um
durch strengen Beweis darzuthun, dafs der wirkliche Urstoff' unseres
Erdballs ein Magnet sei, sondern nur um Euch zu zeigen, dafs kein
Grund vorhanden ist, sich mehr gegen die Annahme zu sträuben, er
sei ein Magnet als sonst ein Stoff'. Und wenn Ihr Euch die Sache^er von uns be-
recht überlegt, so werdet Ihr die Ansicht nicht unwahrscheinlich wo'rdo* s fe'i!i
finden, dafs nichts als ein blofser willkürlicher Name die Menschen uei'faen, wenn
bewogen hat, ihn für Erde zu halten: der Umstand nämlich, dafshTrdiesenNamen
man von Anfang au unterschiedslos jenes Wort Erde gebraucht j^^t, ^*^^^^° ^*"*"
422 Dialog über die Weltsysteme. [436. 437.]
um sowohl die Substanz, welche mau pflügt und besät, als auch den
von uns bewohnten Ball bezeichnen. Wenn die Benennung des letz-
teren von dem Worte Stein hergenommen wäre, was ebenso statt-
haft war wie von dem Worte Erde, so würde sicherlich die Ansicht,
die Ursubstanz des Balles sei Stein, bei niemand Anfeindung oder
Widerspruch gefunden haben. Dies ist um so wahrscheinlicher, als
ich fest davon überzeugt bin, dafs, wenn man jenem grofsen Ball die
Schale abziehen, eine Schicht von tausend oder zweitausend Ellen ent-
fernen imd sodann Steine von Erde sondern könnte, der Haufe von
Steinen weit gröfser ausfiele als der von fruchtbarem Erdreich. —
Von den Gründen, welche durch Schlüsse beweisen, dafs dieser unser
Erdball de facto ein Magnet sei, habe ich Euch keinen vorgeführt,
noch ist hier der Ort dafür es zu thun; auch könnt Ihr sie mit Leich-
Gedankengang tigkcit bei Gilbert einsehen. Nur um Euch zur Lektüre anzuregen.
Beweisen für soU Euch ciu vou mir herrührcndcs Gleichnis die bei seinen For-
schungen angewendete Schlufs weise erläutern. Ich weifs, dafs Euch
wohlbekannt ist, wie sehr die Kenntnis der Accidentien zur Ermitte-
lung der Substanz und des Wesens der Dinge beiträgt. Darum möchte
Vielfältige ich, dafs Ihr mit allem Fleifs Euch wohl unterrichtet von vielen
des Magneten. Accideutieu Und Eigenschaften, die einzig und allein im Magneten,
aber in keinem anderen Steine oder, sonstigen Körper sich finden:
wie z. B. die Eigenschaft, dafs er das Eisen anzieht, dafs er diesem
durch seine blofse Anwesenheit die nämliche Fähigkeit verleiht, dafs
er ihm auch die Eigenschaft mitteilt sich nach den Polen hinzukehren,
wie er sie selber besitzt. . Seht Euch ferner einmal an, wie ihm die
Kraft innewohnt, der Magnetnadel nicht nur eine Richtimg im Meri-
dian nach den Polen zu in horizontaler Bewegung zu verleihen —
eine schon seit längerer Zeit bekannte Eigenschaft — sondern auch
eine erst neuerdings beobachtete Eigentümlichkeit ihr einzuflöfsen^^):
wenn sie nämlich unter dem vorher bezeichneten Meridian einer kleinen
Magnetkugel ^^) im Gleichgewicht steht, so weicht sie bis zu bestimm-
tem Grade mehr oder weniger von der horizontalen Lage ab, je nach-
dem besagte Nadel mehr oder weniger nahe dem Pole sich befindet,
bis sie über dem Pole selbst sich senkrecht in die Höhe richtet,
während sie über den mittleren Teilen parallel der Achse steht. Sucht
Euch ferner durch eigene Anschauung zu überzeugen, wie die Kraft
das Eisen anzuziehen, welche weit mehr in den Polen ihren Sitz hat
als in den mittleren Teilen, merklich stärker am einen Pole als am
anderen auftritt, und zwar ist der stärkere Pol eines jeden Magneten
der nach Süden gerichtete. Bemerkt sodami, dafs bei einem kleineu
Magneten jener nach Süden gerichtete, kräftigere Pol geschwächt wird,
[437. 438.] Dritter Tag. 423
sobald er in der Nähe des Nordpols eines anderen bedeutend gröfse-
ren Magneten das Eisen tragen soll: kurz, um nicht weitläufig zu wer-
den, vergewissert Euch durch den Versuch dieser und vieler anderen
von Gilbert beschriebenen Eigenschaften; sie alle sind derart charak-
teristisch für den Magneten, dafs keine von ihnen irgend welchem
anderen Stoffe zukommt. Sagt mir nun, Signore Simplicio: wenn EuchscWagender b.
tausend Stücke verschiedenartiger Stoffe vorgelegt würden, jedes aber magDetuche
bedeckt und eingewickelt in ein Tuch, unter dem es verborgen ist, ^ baiis.
und man stellte Euch die Aufgabe, ohne sie aufzudecken, blofs nach
äufseren Zeichen zu erraten, woraus jegliches bestehe, und wenn Ihr
dann beim Versuche bemerktet, dafs eines der Stücke deutlich alle
Euch bereits bekaimten Eigenschaften besitzt, wie sie nur den Mag-
neten, keinem anderen Stoffe zukommen, was für ein Urteil über die
Natur dieses Stoffes würdet Ihr Euch bilden? Wäret Ihr der An-
sicht^ dafs es ein Stück Ebenholz oder Alabaster oder Zinn sein könnte?
Simpl. Ich würde unbedenklich sagen, es sei ein Magnet.
Salv. AVeun das der Fall ist, so sagt nur mit aller Entschieden-
heit, dafs unter jener Decke, unter jener Rinde von Erde, Steinen,
Metallen, AVasser u. s. w. sich ein grofser Magnet verbirgt; denn an
ihm lassen sich alle die nämlichen Eigenschaften nachweisen, wenn
man sich die Mühe nimmt sie festzustellen, wie sie einer wirklichen,
unbedeckten Magnetkugel erfahrungsgemäfs zukommen. Deim sähe
man auch nur den einen Versuch mit der abweichenden Magnetnadel,
die, an verschiedene Stellen der Erde gebracht, mehr und mehr sich
neigt, je näher sie dem Nordpole sich befindet, dagegen um so weniger
von der horizontalen Richtung abweicht, je näher sie dem Äquator ist,
und unter dem Äquator endlich eine völlig wagrechte Stellung an-
nimmt, so müfste das ausreichen, um den ärgsten Widerspruchsgeist
zu besiegen. Ich will ganz schweigen von jener anderen wunderbaren
Erscheinung, die sich deutlich an jedem Magneten beobachten läfst,
dafs nämlich für uns Bewohner der nördlichen Hemisphäre der Südpol
des Magneten kräftiger ist als der andere, dafs der Unterschied um
so gröfser ausfällt, je mehr man sich vom Äquator entfernt, dafs unter
dem Äquator beide Seiten gleiche Kraft besitzen, aber merklich
geringere, dafs hingegen in südlich gelegenen Ländern fern vom
Äquator die Eigenschaft sich umkehrt, die bei uns schwächere Seite
nämlich nunmehr das Übergewicht über die andere erlangt; und alles
das stimmt überein mit den Erscheinungen, die wir an einem kleinen
Magneten in Gegenwart eines grofsen beobachten, dessen überwiegende
Kraft den kleineren sich willfährig macht; je nachdem man ersteren
diesseit oder jeuseit des Äquators des gröfseren hält, zeigt er die näm-
424 Dialog über die Weltsysteme. [438. 439.]
licheu wechsebideu Erscheiuungen, welche, wie bemerkt, jeder Magnet
aufweist, den man diesseit und jenseit des Erdäquators beobaelitet.
Sagr. leb wurde gleicb beim ersten Lesen des Gilbert sehen
Bucbs überzeugt, und als ich später einen vortrefflicben Magneten in
die Hände bekam, stellte ich lange Zeit hindurch zahlreiche Beobach-
Arniierter Mag-tungcn an, deren Ergebnisse sämtlich aufs höchste staunenswert waren.
vre^/mX* Eisen Vor allem aber scheint mir die Thatsache wunderbar, dafs die Fähig-
* ^ """ten™'"' keit des Magneten Eisen zu tragen so sehr zunimmt, wenn man ihn
in der vom Verfasser gelehrten Weise armiert.-'") Durch Armierung
meines Stückes verstärkte ich seine Kraft achtfältig-, während er un-
gefafst kaum neun Unzen Eisen trug, trug er armiert mehr als sechs
Pfund. Vielleicht werdet Ihr eben diesen Magneten in der Galerie
Eueres Durchlauchtigsten Grofsherzogs, dem ich denselben abtrat, ge-
sehen haben, und zwar mit zwei eisernen Ankern versehen.
Salv. Ich habe ihn oft zu meiner grofsen Verwunderung gesehen,
bis ich durch ein kleines Stückchen in noch gröfseres Staunen vei--
setzt wurde, welches sich in den Händen unseres Akademikers befindet.
Es wiegt nicht mehr als sechs Unzen und trägt ohne Armierung
kaum zwei Unzen, gefafst hingegen 160, sodafs es durch die Ar-
mierung eine 80m al so grofse Trag*fähigkeit erlangt als ohne diese,
eine 26mal gröfsere, als das eigene Gewicht beträgt: ein noch merk-
würdigeres Ergebnis, als zu dem Gilbert gelangte, welcher schreibt,
er habe keinen Magneten finden können, dessen Tragfähigkeit sich bis
zum Vierfachen des eigenen GcAvichtes steigerte. ^^)
Sagr. Dieses Mineral bietet dem menschlichen Intellekt ein weites
Forschungsfeld, wie mir scheint. Ich habe wohl tausend Mal darüber
gegrübelt, Avie es kommen mag, dafs der Magnet der eisernen Arma-
tur eine die eigene bei weitem übertreifende Kraft mitteilt; ich finde
aber schliefslich keine befriedigende Erklärimg; auch aus dem, was
Gilbert über diesen Punkt schreibt, vermag ich nicht viel zu machen.
Ich weifs nicht, ob es Euch ebenso ergeht.
Salv. Ich lobe, bewundere imd beneide diesen Mann aufs höchste,
der so staunenswerte Ideen über einen Gegenstand entwickelt hat, wel-
cher von unzähligen genialen Männern behandelt, aber von keinem auf-
merksam studiert worden ist. Auch scheint er mir des höchsten Lobes
wert wegen der zahlreichen neuen und zutreffenden Beobachtungen, die
er anstellte zur Beschämung so manches lügenhaften, eiteln Autors,
der nicht, nur schreibt, was er weifs, sondern alles das wiedergiebt,
was er vom dummen Volke aufgeschnappt hat, ohne sich durch Ver-
suche von der Richtigkeit zu überzeugen, wahrscheinlich um den Um-
fang seines Buches nicht zvi verringern.'*") Eines vermisse ich aller-
[439. 440.] Dritter Tag. 425
dings bei Gilbert, er hätte etwas mehr Mathematiker und nameutlich
in der Geometrie gut beschlagen sein sollen. Die Vertrautheit mit
ihr würde ihn nicht so entschieden als zAvingende Beweise die Gründe
ansehen lassen, welche er als wahre Ursachen der von ihm beobach-
teten richtigen Thatsachen bezeichnet. Diese Gründe haben, offen
gesagt, nicht das ünwidersprechliche und Zwingende, wie das bei
naturwissenschaftlichen, ewig notwendigen Gegenständen unbedingt
möglich sein mufs. Ich bezweifle nicht, dafs mit der Zeit dieser neue
Wissenszweig teils infolge neu hinzukommender Beobachtungen, ganz
besonders aber rücksichtlich strenger und zwingender Beweismetho-
den Fortschritte machen wird. Darum aber erleidet der Ruhm des J^'^j^^^^^^^^j^'^.';
ersten Entdeckers keine Einbufse. Ich achte den ersten Erfinder der^^^^'^^^^^j^^j^^"
Leier — wiewohl Avahrscheinlich sein Instrument von ganz rohem Bau
und noch roherem Klange gewesen ist — nicht geringer, ich schätze
ihn im Gegenteil sehr viel höher als hundert andere Künstler,
welche diesen Zweig zu ausgezeichneter Vollkommenheit brachten.
Das Altertum hat meines Bedünkens mit gutem Grmide die ersten
Erfinder edler Künste unter die Zahl der Götter versetzt: denn der
Denkweise des gewöhnlichen Publikums liegt jeder Wissensdrang so
fern, es kümmert sich so wenig um das Seltsame und Feine, dafs es
dergleichen in ausgezeichneter Wiedergabe von Kimstverständigen sehen
und hören kann, ohne doch den Drang zu fühlen es zu erlernen. Dar-
nach ermefst, ob Köpfe dieser Art jemals Lust gehabt hätten dem
Bau der Leier nachzusinnen oder musikalischer Erfindung ihr Nach-
denken zu widmen, angeregt durch das Klimpern getrockneter Schild-
kröteusehnen oder durch die Schläge von vier Hämmerchen. Von ge-
ringfügigen Anfängen aus sich an grofse Erfindungen zu machen und
unter dem ersten kindischen Scheine wunderbare Kunst verborgen zu
ahnen, ist nicht Sache der Dutzeudköpfe, es sind Eingebungen, Ge-
danken von Geistern überinenschlicher Art. — Um nun Euere Frage
zu beantworten, so erwidere ich, dafs -auch ich lange nachgedacht habe,
um die Ursache jener so festen mid zähen Verbindung ausfindig zu
machen, welche wir zwischen der eisernen Armatur und dem daran
hängenden Eisen bemerken. Zunächst habe ich mich überzeugt, dafs
die Anziehung, die Kraft des Steines durch die Armierung sich durch-
aus nicht vermehrt; denn er zieht weder ein Stück Eisen aus gröfserer wahro Ursache
Entfernung an, noch trägt er es mit gröfserer Kraft, wenn man zwi- Krlftvermeh-
schen dieses und die Armatur ein sehr dünnes Blatt Papier einschiebt, uetou mitieu
so dünn wie ein Stückchen Blattgold ; im Gegenteile trägt der ungefafste
Stein im Fall dieser Einschiebung mehr Eisen als der armierte. Es
findet also keine Änderung in der Kraft statt und doch eine solche
426 Dialog über die Weltsysteme. [441. 442.]
Einer neuen in der Wirkuiig. Da nun notwendig einer neuen Wirkiuig eine neue
eine neue Ur- ürsache eutspreclien mufs, so hat man zu imtersuclien, welelie neue
Sprechen. Ttiatsache platzgreift, wenn das Tragen durch die Armatur vermittelt
wird. Es ist aber keine andere Verschiedenheit wahrzimehmen als
nur die Verschiedenartigkeit der Berührung, denn wo zuvor Eisen und
Magnet sich berührte, berükrt sich nun Eisen mit Eisen. Für den
Unterschied zwischen den Berührungsweisen wüfste ich sodann keine
andere Ursache anzuführen, als dals die Substanz des Eisens aus Teilen
Es -wird gezeigt.von gröfserer Feinheit, Reinheit und Dichtigkeit besteht, als bei dem
dafs das .Eisen '^ . . . .
aus feineren, Magneten der 1 all ist, wo sie gröber, weniger rem und minder dicht
reineren und .i-i-v pi ^ i t ^ • ^ • ni ^ itt
dichteren Teiiensuid. Daraus folgt dann, dafs die beiden einander berührenden Eisen-
Magnet, flächen, wenn sie ausgezeichnet glatt, j)oliert und glänzend sind, so
genau auf einander passen, dafs alle unendlich vielen Punkte der
einen mit den unendlich vielen der anderen zusammentreffen und
dafs daher gewissermafsen die Bänder, welche die beiden Eisenstücke
verbinden, weit zahlreicher sind als die, welche Magnet und Eisen
verbinden-, denn die Substanz des Magneten ist sehr viel gröber
und weniger rein, wodurch nicht alle Punkte und Bänder der Eisen-
oberfläche an der Oberfläche des Magneten den entsprechenden An-
haltspunkt finden. Dafs ferner die Substanz des Eisens — nament-
lich des wohl gereinigten, wie z. B. des feinsten Stahles — aus weit
dichteren, feineren und reineren Teilen besteht als der Stoff des Mag-
neten, läfst sich daraus schliefsen, dafs sich Schneiden von äufserster
Schärfe aus jenem herstellen lassen, während man bei einem Magneten
Sinnlicher Nach-bei Weitem uicht dicscu Grad der Feinheit zu erreichen vermöchte.
weis der Unrein-
heit des Mag- Die Unreinheit des Magneten, seine Vermischung mit anderen Stein-
neten. . .
arten giebt sich sodann erstens durch die Farbe etlicher, meist weifs-
licher Fleckchen sinnlich kimd, ferner erkennt man dies auch, wenn man
ihm eine an einem Faden hängende Nadel nähert; diese bleibt nämlich
über jenen Steinsplitterchen nicht ruhig, Sondern, von den umgeben-
den Teilen angezogen, scheint es erstere zu meiden und darüber weg
zu der benachbarten Magnetmasse hiuzuspringen. Wie nun einige
solcher heterogenen Teile infolge ihrer Gröfse deutlich sichtbar sind,
so dürfen wir annehmen, dafs noch andere in grofser Zahl durch die
ganze Masse hin zerstreut, aber ihrer Kleinheit wegen nicht sichtbar
sind. Was ich sage — dafs nämlich die Menge der Berührungs-
punkte zwischen Eisen und Eisen Ursache des so festen Zusammen-
haltens ist — bestätigt sich durch folgenden Versuch: wenn wir das
scharf zugespitzte Ende einer Nadel mit der Armatur des Magneten
in Verbindung bringen, so hängt es nicht fester daran als an dem
ungefafsten Magneten. Dies kann aber nur daher rühren, dafs hier
[442. 443.] Dritter Tag. 427
beide Berührungs weisen die gleiclieu sind, beide nämlich eiupuiiktig
sind. Doch wozu der Umstände? Man nehme eine Nadel und lege
sie so auf den Magneten, dafs daä eine Ende etwas hervorragt; nähert
man diesem nun einen Nagel, so wird sich die Nadel sofort derart
au ihn hängen, dafs beim Zurückziehen des Nagels die Nadel mit ihren
Enden an dem Magneten und an dem Eisen hängen und schweben
wird. Zieht man den Nagel noch mehr zurück, so wird er die Nadel
ganz vom Magneten losreifsen, vorausgesetzt dafs das Ohr der Nadel
mit dem Nagel, die Spitze mit dem Magneten in Berührung ist; ist
aber das Öhr dem Magneten zugekehrt, so wird beim Entfernen des
Nagels die Nadel mit dem Magneten vereint bleiben und zwar meines
Dafürhaltens nur darum, weil die Nadel nach dem Öhr zu dicker ist
und darum viel mehr Berührungspunkte darbietet, als es die äufserst
feine Spitze thut.
Sagr. Euere ganze Beweisführung ist mir sehr schlagend vor-
gekommen und durch jene Versuche mit der Nadel wird sie fast zum'
Range eines mathematischen Beweises erhoben. Ich gestehe freimütig,
ich habe in der ganzen bisherigen Theorie des Magnetismus nichts
gehört oder gelesen, das so überzeugend Rechenschaft gäbe von einer
der vielen anderen hierher gehörigen wunderbaren Eigenschaften; hätten
wir für deren Ursachen eine ebenso durchsichtige Erklärung, ich wüfste
nicht, welch schmackhaftere Geistesnahrung wir uns wünschen könnten.
Salv. Wenn man nach den unbekannten Gründen der Thatsachen
forscht, mufs man das Glück haben, sich von Anfang an mit seiner
Untersuchimg auf der Strafse der Wahrheit zu bewegen. Solange
man auf dieser wandert, trifft es sich leicht, dafs man anderen und
anderen Sätzen begegnet, die aus Vernunftgründen oder erfahrungs-
gemäfs als richtig bekamit sind. Durch die Gewifsheit, mit der diese
feststehen, gCAviunt dann die Wahrheit imserer Sache au Kraft und
Evidenz, Avie es mir gerade bei dem vorliegenden Problem ergangen
ist. — Ich wollte mir betreffs seiner irgendwelche Bestätigung ver-
schaffen, ob die von mir angegebene Erklärung auch wirklich richtig
sei, d. h. ob die Substanz des Magneten in der That weniger stetig als
die des Eisens oder Stahles ist; ich liefs dalier von den Handwerks-
meistern, welche in der Galerie des Grofsherzogs, meines Herrn, arbeiten,
eine Fläche des vormals Euch gehörigen Magneten glätten, sie sodann
polieren und glänzend machen, soviel es irgend angängig Avar; da griff
ich nun das, Avas ich suchte, zu meiner Genugthuung mit Händen.
Es kamen nämlich nun viele Flecken zum Vorschein, die sich von
der übrigen Masse durch ihre Farbe unterschieden, aber glänzend mid
spiegelnd Avaren, wie nur der dichteste, härteste Stein. Der übrige
428 Dialog über die ¥/eltsysteme. [443. 444.]
Teil der Fläche war zwar glatt, aber blofs für das Gefülil, da er
keineswegs glänzte, sondern wie mit einem matten Nebelhaiicli über-
zogen war. Das war nun gerade die Substanz des Magneten, das
Glänzende darin waren hingegen andere eingesprengte Mineralien, wie
man siimlich wabrnebmen konnte, wenn man die geglättete Fläche
über Eisenfeile hielt: diese hüpfte in grofsen Mengen an den Magne-
ten, aber auch nicht ein einziges Körnchen an besagte Flecken, die in
grofser Zahl vorhanden waren, einige von ihnen so grofs wie ein Viertel
einer Nagelbreite, andere bedeutend kleiner, sehr viele ganz klein und
unzählige kaum sichtbar. Hierdurch überzeugte ich mich, wie richtig
meine Annahme war, als ich mich dafür entschied, dafs die Substanz
des Magneten nicht fest und dicht sei, sondern porös oder, besser ge-
sagt, schwammig; nur mit dem Unterschiede, dafs der Schwamm in
seinen Löchern und Zellen Luft oder Wasser enthält, die des Mag-
neten hingegen mit einem sehr harten, schweren Gestein angefüllt
sind, wie uns der ausgezeichnete Glanz beweist, den es annimmt.
Wemi man daher, wie ich anfangs bemerkt habe, die Oberfläche des
Eisens an die des Magneten anlegt, so begegnen die kleinsten Teil-
chen des Eisens, wiewohl sie höchst stetig sind, mehr vielleicht als
bei irgend einem anderen Stoffe — es beweist dies der alle anderen
Stoffe übertreffende Glanz des polierten Eisens — so begegnen, sage
ich, nicht alle, sondern nur wenige reiner Magnetsubstanz; und da die
Berührungspunkte wenig zahlreich sind, ist auch das Aneinanderhaften
schwach. Nun berührt aber die Armatur einmal einen grofsen Teil
der Oberfläche des Magneten, sodann aber flöfst dieser seine Kraft
auch den blofs benachbarten, nicht unmittelbar berührten Teilen der
Armatur ein. Da nun deren Fläche genau eben ist und auf sie die
ebenfalls geglättete Fläche des zu tragenden Eisenstücks zu liegen
kommt, so findet die Berührung an unzählig vielen kleinsten Teilen
statt, wo nicht vielleicht an allen unendlich vielen Punkten beider
Flächen, Avodurch denn ein höchst kräftiges Aneinanderhaften erzielt
wird. Diese Mafsregel, die Flächen der beiden einander berührenden
Eisenstücke zu glätten, wurde von Gilbert aufser Acht gelassen, ja er
rundet die Eisenstücke ab, sodafs die Berührungsfläche nur klein ist;
daher kommt es denn, dafs die Festigkeit, mit der die Eisenstttcke
aneinander haften, lange nicht so grofs ist.
Sagr. Ich bin von der angegebenen Erklärung, Avie ich eben
schon sagte, fast ebenso befriedigt, Avie wenn ein geometrischer Be-
Aveis vorläge. Da es sich a])er um eine physikalische Frage handelt,
so Avird auch Signore Simplicio Genüge geschehen sein, soweit dies
in den Naturwissenschaften erreichbar ist, denn in ihnen darf man
(
I
[444. 445.] Dritter Tag. 429
iiiclit^ wie er wohl weifs, matliematisclie Strenge der Beweise suchen
wollen.
Simpl. Mir scheint in der That Signore Salviati mit schöner Wahl
der Worte die Ursache dieser Erscheinung so klar auseinander gesetzt
zu haben, dafs jeder mittelmärsige Kopf, selbst ohne wissenschaft-
lich gebildet zu sein, es verstehen kann. Wir aber halten uns in denf^^P*/^^^ "°f
o 7 Antipathie, Aus-
Grenzen unserer Kunst und führen die Ursache dieser und verwandterp^!|^g^' ^^^^ ^°"
Naturerscheinungen auf Sympathie zurück ^^), welche eine gewisse^^'^'j-'^'^^J^I^'^^^^^^
Übereinstimmung, ein wechselseitiger Trieb ist, der zwischen Dingen,^^;^^'^^^®^^^^^®"^^^
von ähnlicher Qualität wachgeriifen wird 5 wie wir denn umgekehrt
den Hafs, die Feindschaft, mit welcher andere Dinge sich von Natur
fliehen und einander verabscheuen, als Antipathie ansprechen.
Sagr. Und auf diese Weise wird mittels zweier Worte von einer
grofsen Zahl von Eigenschaften und Erscheinungen Rechenschaft ge-
geben, die wir nicht ohne Staunen in der Natur beobachten. Diese Spafsiges Bei-
" ' _ spiel zur Eiläu-
Art des Philosophierens scheint mir jedoch eine grofse Sympathie zuterungd^Nich-
haben mit einer Art von Malerei, die einem meiner Freunde eigen p''i'°?opW3chen
' _ ° Entwickelungen.
war; er schrieb nämlich mit Gyps auf die Leinewand: hier soll eine
Quelle mit Diana und ihren Nymphen sein, dort ein paar Windhunde,
in der Ecke ein Jäger mit einem Hirschgeweih, das übrige Feld,
Wald und Hügel; alles andere überliefs er dem Maler mit Farben aus-
zuführen. So redete er sich ein, selber die Geschichte von Aktäon
gemalt zu haben, während er von sich aus nichts als die Namen dazu
hergegeben hatte. — Doch wohin sind wir bei unserer langen Ab-
schweifung geraten, entgegen den früher festgestellten Abmachungen?
Es ist mir fast in Vergessenheit gekommen, welche Materie wir be-
handelten, ehe wir auf den Abweg dieser magnetischen Untersuchung
gerieten; und doch hatte ich vor, noch eine Bemerkung über diesen
Gegenstand zu machen.
Salv. Wir waren dabei, zu beweisen, dafs jene dritte von Koper-
nikus der Erde zugeschriebene Bewegung in Wirklichkeit nicht ein Be-
wegen ist, sondern ein Ruhen, insofern dabei unveränderlich bestimmte
Teile von ihr immer nach denselben bestimmten Teilen des Weltalls liin-
gekehrt werden,' d. h. dafs beständig die Achse ihrer täglichen Umdrehung
sich selber parallel und gegen die und die Fixsterne gerichtet bleibt.
Dieser durchaus beharrende Zustand, sagten wir, komme von Natur
jedem im Gleichgewicht schwebenden Körper zu, Avelcher sich in einem
flüssigen, nachgiebigen Mittel befindet; denn wiewohl im Kreise her-
umgeführt, ändere ein solcher seine Richtung gegenüber der Aufsen-
welt nicht, sondern scheine nur sich um sich selbst zu drehen in Bezug
auf den Tri'mvr uml auf das Gefäfs, in welchem er getrao-en wird.
430 Dialog über die Weltsysteme. [445. 446.]
Wir fügten sodann zu dieser einfachen^ natürlichen Eigenschaft noch
die magnetische Kraft, vermöge deren der Erdball sich um so fester
uuverrückt zu halten vermöge n. s. w.
Sagr. Nun fallt mir alles wieder ein. Was mir vorhin durch
den Sinn schofs und was ich vorbringen wollte, war eine eigentümliche
Erwägung betreffs des Bedenkens und Einwandes von Signore Sim-
plicio, welchen er gegen die Erdbewegung erhob mid welcher sich auf
die Vielfachheit der Bewegungen gründete: es sei unmöglich, einem
einfachen Körper, der nach aristotelischer Lehre nur eine einzige ein-
fache Bewegung von Natur aus besitzen könne, eine solche Vielfältig-
Drei natürliche ]jgj^ zuzuschreibcn. Was ich nun Euerer Erwägung anheimgeben
weisen des Mag-^yQ^jj^g^ ^g^j. gerade das Verhalten des Magneten, welchem sichtlich drei
Bewegungs weisen natürlich sind: die eine nach dem Mittelpunkte der
Erde, insofern er ein schwerer Körper ist; die zweite eine horizontale
Kreisbewegung, vermöge deren er seine Achse immer wieder nach be-
stimmten Gegenden des Weltalls hinkehrt und sie in dieser Lage er-
hält; die dritte jene von Gilbert neu entdeckte, die ihn seine Achse
gegen die Erdoberfläche hinsenken läfst, wenn er sich in der Ebene
des Meridianes befindet, und zwar mehr oder weniger, je nach seiner
Entfernung vom Äquator, während er unter diesem selbst der Erd-
achse parallel bleibt."*) Aufser diesen dreien ist es vielleicht nicht
unwahrscheinlich, dafs er noch eine vierte besitzt, sich nämlich um
die eigene Achse dreht, sobald er in der Luft oder einem anderen
flüssigen, nachgiebigen Mittel im Gleichgewicht schwebt und alle äufseren
zufälligen Hindernisse aus dem Wege geräumt sind. Diesem Gedanken
scheint auch Gilbert selbst Beifall zu zollen. ^^) Ihr seht also, Signore
Simplicio, auf wie unsicheren Füfsen das Axiom des Aristoteles steht.
Simpl. Dies macht seinen Ausspruch nicht nur nicht zu Schanden,
Aristoteles ge- CS richtet sich Überhaupt gar nicht gegen denselben. Denn in ihm
mischten Kör- ist die Rcdc vou eiucm einfachen Körper und von dem, was einem
gesetzte Bewe- solchcu vou Natur zukommcu kann. Ihr bringt degegen Eigenschaften
gungen zu. . . ^
eines gemischten Körpers zur Sprache und führt nichts der aristote-
lischen Lehre Fremdes an; deim auch Aristoteles gesteht den gemischten
Körpern zusammengesetzte Bewegungen zu u. s. w.
Sagr. Haltet einen Augenblick ein, Signore Simplicio, und antwortet
mir auf die Fragen, die ich Euch stellen werde. Ihr sagt, der Magnet
sei nicht ein einfacher Körjier, sondern ein gemischter; ich frage Euch
somit: welches sind die einfachen Körper, die als Bestandteile den
Magneten zusammensetzen?
Simpl. Ich kann Euch nicht die Ingredientien, noch die Gröfse
der Dosen genau angeben; genug, es sind elementare Körper.
[44G. 417.] Dritter Tag. 431
Sagr. Das genügt auch mir. Welches sind nun die Bewegungen,
die diesen einfachen natürlichen Körpern natürlich sind?
Simpl. Die beiden einfachen geradlinigen sursum et deorsum.
Sagr. Sagt mir weiter: glaubt Ihr, dafs die Bewegung, welche
einem Gemenge natürlich ist, dadurch entstehen muTs können, dafs
man die beiden einfachen natürlichen Bewegungen der einfachen Be-
standteile zusammensetzt? oder kann sie Euerer Meinung nach auch
eine Bewegung sein, die sich unmöglich aus jenen zusammensetzen läfst?
Simpl. Ich glaube, der gemischte Körper wird die Bewegung
ausführen, welche aus der Zusammensetzung der Bewegungen der ein- Bewegung ge-
fachen Bestandteile hervorgeht, und glaube somit, dafs eine Bewegung,mur3 aus der zu-
die sich unmöglich aus diesen zusammensetzen läfst, mimoglich vonder Bewegungen
•1 P..1 .11 ^^^ eicfachen
ihm aUSgeiuhrt werden kaim. Körper hervor-
gehen können.
Sagr. Aber, Signore Simplicio, mittels zweier einfachen gerad-
linigen Bewegungen werdet Ihr nun und nimmer eine kreisförmige Die zusammen-
Bewegung von der Art zusammensetzen, wie die zwei oder drei ver-geraduniger Be-
schiedenen kreisförmigen Bewegungen, welche dem Magneten eigen sind, keine Kreisbe-
Ihr seht also, wie solch schlecht begründete Principien oder richtiger
wie schlechte Folgerungen aus guten Principien Einen in die Enge
treiben; denn Ihr seid nunmehr genötigt zu sagen, der Magnet seij)ie Philosophen
eine Mischung von elementarem und Himmelsstoff', wenn Ihr anders^^JtigJ^ ^e'i^M^g-
dabei bleibt, dafs den Elementen nur die geradlinige, den Himmels- Mu'chung von
körpem die kreisförmige Bewegmig eignet. Wollt Ihr daher sichererH^^^giYstoff'zu
bei Euerer Deduktion zu Werke gehen, so müfst Ihr so sagen: von ^'''^ären.
den wesentlichen Bestandteilen des Weltalls führen alle diejenigen,
welche überhaupt beweglich sind, von Natur Kreisbewegmigeu aus;
darum zeigt der Magnet als Teil des echten, ursprünglichen und haupt-
sächlichen .Stoffes unseres Erdballs die gleiche Natur wie dieser. Be-
merkt sodann, welchen Fehler Ihr begeht, wenn Ihr den Magneten
einen gemischten Körper nennt, den Erdball aber einen einfachen, derirrtum derer, die
doch augenfällig hunderttausendmal zusammengesetzter ist"; denn ab- einen g^e^i^sc^h-
gesehen davon, dafs er tausend und abertausend ganz von einander einen einfachen
verschiedene Materien enthält, enthält er eine grofse Menge von dem
Stoffe, den Ihr gemischt nennt, nämlich Magneteisen. Das kommt mir
ebenso vor, wie wenn man das Brot einen gemischten Körper neiuien
wollte, die Ollapotrida hingegen einen einhichen, die doch aufser hun-
dert anderen Zuthaten auch eine ziemliche Menge von Brot enthält. '"') ^^.^ poripatoti-
In der That es kommt mir von allen Stückchen der Peripatetiker «^^^^"Jf^'^;'^^"
dieses besonders merkwürdig vor: sie geben zu — und sie können ^^^'j'j''J^Yr"rüchlu.
nicht anders als es zugeben — dafs unser Erdball de facto ein de-
432 Dialog über die Weltsysteme. [447. 448.]
misch von unendlich vielen verschiedenen Materien ist; sie geben des
weiteren zu, dafs zusammengesetzte Körper eine zusammengesetzte
Bewegung haben müssen; zusammensetzen lassen sich aber nur die
geradlinige und die kreisförmige Bewegung, insofern die beiden gerad-
linigen einander entgegengesetzt, also mit einander unverträglich sind.
Sie versichern, das reine Element der Erde finde sich nirgend, sie
räumen ein, dafs diese niemals eine Ortsbewegung ausgeführt habe
und gleichwohl wollen sie in der Natur den Körper setzen, der nicht
existiert, und ihm die Bewegung beilegen, die er nun und nimmer
ausgeführt hat oder ausführen wird; dem Körper aber, der wirklich
vorhanden ist imd stets vorhanden war, sprechen sie die Bewegung
wieder ab, welche demselben nach ihrem anfänglichen Zugeständnis
zukommen mufs.
Salv. Ich bitte Euch, Signore Sagredo, quälen wir uns nicht
weiter mit diesen Einzelheiten ab, umsomehr als Ihr wifst, dafs imser
Zweck nicht gewesen ist eine bestimmte Entscheidung zu treffen, die
oder jene Meinung als wahr hinzustellen, sondern nur zu unserem
Vergnügen die Gründe mid Entgegnimgen anzuführen, die sich für
die eine oder andere Partei beibringen lassen; Signore Simplicio giebt
daher seine Erwiderung nur im Namen seiner Peripatetiker ab. Lassen
wir die endgültige Entscheidung in der Schwebe, stellen wir das Ur-
teil einem höheren Wissen als dem unseren anheim. — Da ich glaube,
dafs wir in den letzten drei Tagen uns sehr ausführlich über den
Weltenbau ausgesprochen haben, wird es nimmehr an der Zeit sein
zu der hochwichtigen Erscheinung überzugehen, welche den Anlafs zu
unseren Gesijrächen gegeben hat, ich meine die Ebbe und Flut des
Meeres, deren Erklärung wahrscheinlich mit den Erdbewegungen in
Zusammenhang zu bringen ist. Wir wollen diesen Gegenstand jedoch,
wenn es Euch recht ist, für morgen aufsparen. Inzwischen möchte
Eine von Giiberdoh. uoch, um es uicht ZU vergesscu. Euch auf einen besonderen Um-
wahrscheiniich staud aufmerksam machen, dem Gilbert meines Dafürhaltens nicht das
gesprochene Wort hätte rcdeu sollen. Er nimmt nämlich au, dafs wenn ein kleines
Magnetkügelchen vollständig ins Gleichgewicht gebracht werden könnte,
es anfangen mirde, sich um sich selber zu drehen. Es ist aber keinerlei
Grund vorhanden, warum es da^ thun sollte; denn wenn sich der ganze
Erdball von Natur in 24 Stunden -um seinen eigenen Mittelpunkt dreht
und auch alle seine Teile diese Eigenschaft besitzen sollen, nämlich mit
ihrem Ganzen zusammen um dessen Älittelpunkt in 24 Stunden zu
kreisen, so besitzen sie diese thatsächlich, insofern sie, auf der Erde be-
findlich, mit ihr zusammen sich im Kreise drehen. Ihnen eine Rota-
tion um ihr eigenes Centrum beileseu, hiefse ihnen eine zweite, vou
[448. 449.] • Dritter Tag. 433
der ersten selir verschiedene Bewegung zuschreiben; sie würden näm-
lich dann zwei Bewegungen haben, die 24-stündige Drehung um das
Centrum des Ganzen, dem sie angehören, und das Rotieren um den
eigenen Mittelpunkt. Diese letztere ist aber willkürlich und es liegt
kein Grund vor sie anzunehmen. Wenn beim Herausnehmen eines
Magneten aus der eine natürliche Einheit bildenden Masse er nun-
mehr aufhörte ihr zu folgen, während er in Verbindung mit dieser
Masse ihr gefolgt ist, und wenn er also jetzt sich nicht mehr um das
allgemeine Centrum des Balls drehte, könnte man vielleicht mit etwas
gröfserer Wahrscheinlichkeit glauben, er sei bestrebt sich- eine neue
Rotation um das eigene Centruni anzueignen. Da er aber, getrennt
so gut wie verbunden, immer noch seine erste ewige natürliche Be-
wegungsart fortsetzt, wozu sich noch eine andere neue auf den Hals laden?
Sagr. Ich verstehe sehr wohl. Es erinnert mich das au eine
ähnliche, ebenso verfehlte Erörterung, die von gewissen SchriftstellernHinfaUigkeitdes
auf dem Gebiete der sphärischen Astronomie ^^) angestellt wird, unter brachten Be-
anderen, wenn, ich mich recht erinnere, von Sacrohosco. Um zu er- Kugeiform der
läutern, wieso das Element des Wassers mitsamt der Erde eine kugel- flache.
förmige Oberfläche annimmt, sodafs aus beiden dieser unser Erdball
hervorgeht, schreibt er, dafür zeige sich ein zwingender Grund, wenn
man sich nur die runde Gestalt der kleinen Wasserteilchen ansehe, wie
man solche täglich an Wassertropfen, am Tau und auf den Blättern
vieler Pflanzen beobachten könne. Da nun dem allbekannten Axiom
zufolge das Ganze sich so verhalte wie seine Teile und die Teile diese
Form anzunehmen streben, so sei notwendig eben diese Form dem
Elemente in seiner Gesamtheit eigentümlich. Ich halte es wirklich
für recht liederlich, dafs solche Leute einer so offenbaren Nichtig-
keit sich nicht bewufst werden, nicht in Betracht ziehen, dafs wenn
diese ihre Ansicht richtig wäre, nicht nur die winzigen Tropfen, son-
dern auch jede gröfsere von der Gesamtheit des Elements losgerissene
Quantität Wassers Kugelgestalt annehmen müfste, wovon durchaus
nichts wahrzunehmen ist. Wohl aber läfst sich sinnlich wahrnehmen
und aus Vernunftgründen begreifen, warum das Element des Wassers
sich in sphärischer Form um dem gemeinsamen Schwerpunkt zu
lagern strebt, nach dem alle schweren Körper einen Trieb haben —
nämUch nach dem Mittelpunkte des Erdballs — und dafs alle seine
Teile dem Axiom entsprechend ihm dabei folgen; daher breiten sich
Meeresflächen, die Oberflächen der Seeen, Teiche, kurz aller Wasser-
teile, die in Gefäfse eingeschlossen sind, in Kugelgestalt aus, aber als
Teile der Kugel, die zum Centrum den Erdmittelpunkt hat; nicht aber
bilden sie besondere Kugeln aus sich selber.
Galilki, Weltsysteme. 28
434 Dialog üter die Weltsysteme. [449.]
Salv. Der Irrtum ist wirklicli kindisch, und wenn er blofs dem
Sacrobosco zur Last läge, wollte ich es gerne hingehen lassen; aber
ihn auch seinen Kommentatoren und anderen hedevitenden Mämiern,
ja sogar dem Ptolemäus zu verzeihen, das vermag ich nicht, ohne
für den Ruhm dieser Männer erröten zu müssen. Doch es ist schon
spät geworden und Zeit, dafs wir Abschied nehmen, um morgen wie
gewöhnlich uns wieder einzufinden imd die bisher gepflogenen Erörte-
runo-en ihrem letzten Ziele zuzuführen.
[451. 452.]
Vierter Tag/)
Sagr. Ich weifs nicht, habt Ihr Euch wirklich später als sonst
zu unseren gewöhnlichen Gesprächen eingefunden, oder täuscht mich
nur meine Sehnsucht, die Ideen Signore Salviatis über einen so inter-
essanten Gegenstand zu hören. Ich habe eine gute Stunde am Fenster
gestanden und hoffte jeden Augenblick die Gondel landen zu sehen,
die ich geschickt hatte Euch abzuholen.
Salv. Ich glaube wirklich, dafs mehr Euere Einbildung als
unsere Säumigkeit Euch die Zeit hat lange werden lassen. Um Euch
nicht noch länger warten zu lassen, wird es gut sein keine weiteren
Worte zu verschwenden, die Sache in Angriff zu nehmen und nach-
zuweisen: wie die Natur gestattet hat — sei dies nun der wahre Sach-pie Natur läfst
verhalt oder nur ein Scherz, gleichsam ein Spiel, das sie mit unseren und Fiut des
Phantasieen treibt — wie die Natur gestattet hat, sage ich, dafs diems für die Erd.
Bewegungen, die aus ganz anderen Ursachen als um der Ebbe und scheinen^
Flut willen seit langem der Erde beigelegt worden sind, nachträglich
eine ganz exakte Erklärung dieser Erscheinung abgeben, und dafs
gleicher mafsen umgekehrt eben diese Ebbe und Flut von neuem Zeug- nie Meeresge-
nis für die Erdbewegung abzulegen scheint. Die bisherigen Anzeichen Erdbewegung
für eine solche bezogen sich nämlich auf Himmelserscheinungen, da and'er^gege^'
von allen irdischen Vorgängen keiner der einen Ansicht auf Kosten ^" '^"
der anderen einen Vorzug einräumte, wie wir denn bereits des Langen
und Breiten nachgewiesen haben, dafs alle irdischen Erscheinungen, irdische Er-
wegen deren gemeinhin die Erde als fest, die Sonne und das Firma- sämtii^h^unru-
ment aber als beweglich angesehen werden, uns genau denselben Schein Nachwoirdtr"
erwecken müssen, wenn man die Erde als beweglich, jene als fest be- deT^R^e dtr'
trachtet. Nur an dem Elemente des Wassers, das eine solch unge- '"naiiml^er"^'
heuere Ausdehnung besitzt und mit dem Erdball nicht wie sämtliche ^°"^8^^®'*«"-
festen Bestandteile eng verbunden und verknüpft ist, sondern infolge
seiner Flüssigkeit teilweise unter eigener Botmäfsigkeit steht imd frei
ist — einzig und allein an dem Elemente des Wassers .von allem,
was da unter dem Monde, können wir möglicherweise eine Spur, ein
Anzeichen finden, das uns verrät, wie die Erde sich bezüglich der
436 Dialog über die Weltsysteme. [452. 453.]
Bewegung oder Ruhe verhält. Nachdem ich wieder uiid immer wie-
der die selbstbeobachteten und von anderen mitgeteilten Erscheinungen
und Besonderheiten bei mir erwogen habe, die bei den Bewegungen
der Gewässer wahrzunehmen sind, nachdem ich gar die nichtigen Er-
Erster aiige- klärungcn dicscr Erscheinungen seitens anderer gelesen, habe ich mich
de^'unmögiich- stark iu Versuchung gefühlt, folgenden beiden Thesen — unter den
und ^'^it bei notwendigen Voraussetzungen — meine Billigung zu erteilen. Ist der
"d^^lrde. "'Erdball unbeweglich, so kann von Natur aus keine Ebbe und Flut
stattfinden; giebt man ihm aber die Bewegungen, die ihm schon ohne-
hin zugeschrieben werden, so mufs das Meer ganz in der den Be-
obachtungen entsprechenden Weise der Ebbe und Flut unterliegen.
Sagr. Der Satz ist hochbedeutsam, sowohl um seiner selbst willen,
wie auch der aus ihm entspringenden Folgen wegen. Um so gespann-
ter sehe ich der Erläuterung und Bestätigung dieser Behauptung ent-
gegen.
Salv. Bei naturwissenschaftlichen Fragen, wie wir hier eine bc;
Vertrautheit mithandeln, ist es die Vertrautheit mit den Wirkungen, die uns lehrt -die
führt zur Erfor-Ürsachen zu erforschen und aufzufinden. • Ohne diese würden wir
machen. einem Blinden gleich umhertappen, ja noch unsicherer, denn wir
wüfsten nicht einmal, welchem Ziele wir zusteuern sollen, während
der Blinde doch wenigstens weifs, wohin er gelangen möchte. Vor
allem müssen wir daher die Wirkungen kennen lernen, deren Ursachen
wir suchen. Ihr, Signore Sagredo, wifst darüber jedenfalls besser und
zuverlässiger Bescheid als ich; denn nicht nur habt Ihr lange in Euerer
Vaterstadt Venedig gelebt, wo die Gezeiten ihrer Gröfse wegen sehr
merklich sind, sondern seid auch nach Syrien gekommen-) und regen,
wifsbegierigen Geistes, wie Ihr seid, habt Ihr sicherlich vielfache Be-
obachtungen angestellt. Ich hingegen habe nur kurze Zeit hier am
äufsersten Ende des adriatischeu Meeres und aufserdem in meiner
Heimat an den Küsten des Tyrrhenischeu die Fluterscheinungen be-
obachten können, in vielen anderen Dingen mufs ich mich auf fremde
Berichte beziehen. Diese stimmen gröfstenteils schlecht überein, sind
also sehr unzuverlässig imd können daher in unsere Betrachtungen
eher Verworrenheit bringen als ihnen zur Bestätigung dienen. Gleich-
wohl glaube ich, von den verbürgten und zugleich wichtigsten That-
sachen ausgehend, die wahren, ursprünglichen Ursachen auffinden zu
können, ohne dafs ich mir jedoch amnafse alle Gründe bis ins einzelne
hinein beibringen zu können, sodafs damit eine vollkommene Erklärung
mir unbekannter und daher noch nicht von mir geprüfter Thatsachen
gegeben wäre. Was ich zu sagen gedenke, möchte ich nur als den
Schlüssel betrachtet wissen, der das Zusanssthor einer noch niemals
[453. 454.] Vierter Tag. 437
betreteiien Strafse erscliliefst; ich lebe der zuversiclitliclien Hoffnung,
dafs Männer von tiefer eindringendem Geiste als ich sehr viel weiter
fortschreiten und vorwärts gelangen, als es mir hei dieser ersten Ent-
deckungsreise gelungen ist. Und wenn auch vielleicht in anderen
fernen Meeren Erscheinungen auftreten, wie sie in unserem mittel-
ländischen Meere nicht vorkommen, so werden darum die von mir
angeführten Gründe und Ursachen nicht minder richtig sein, da schliefs-
lich doch die wahre und ursprüngliche Ursache gleichartiger Wir-
kungen eine einheitliche sein mufs. Ich werde also eine Darstellung
der mir als wahr bekannten Erscheinungen geben, sie auf die mir
richtig scheinende Weise begründen, und Ihr, meine Herren, mögt noch
andere Euch bekannte Thatsachen zu den meinigen hinzufügen; wir
werden alsdann versuchen, ob die von mir angegebene Erklärung auch
diese befriedigend zu erklären vermag.
Ich konstatiere also, dafs sich bei der Ebbe und Flut der Meeres-
gewässer drei Perioden unterscheiden lassen. Die erste und wichtigste Dreifache
ist jene bedeutende allbekannte, die tägliche Periode; ihr zufolge heben zelten, tügUche,
und senken sich die Gewässer im Zeitiutervall von einigen Stunden. jahrUche.
Diese Intervalle betragen im mittelländischen Meere meist etwa sechs
Stunden; sechs Stunden nämlich findet ein Steigen, sechs weitere Stun-
den ein Fallen statt. Die zweite Periode ist eine monatliche und
scheint in ursächlichem Zusammenhange mit dem Monde zu stehen:
nicht als ob er neue Bewegungen veranlafste, er ändert nur in merk-
licher Weise den Betrag der bereits erwähnten ab, je nachdem er voll,
halb oder neu ist. Die dritte Periode ist eine jährliche imd erweist
sich als abhängig von der Sonne; aber auch sie modifiziert nur die
täglichen Bewegungen, indem sie ihnen nämlich zur Zeit der Solstitien
einen anderen Betrag erteilt als zur Zeit der Äquinoktien.
Wir wollen zuerst von der täglichen Periode sprechen als der
hauptsächlichsten, welche nur sekundär durch die Einwirkmig von
Mond und Sonne monatliche und jährliche Änderungen erfährt. Drei
verschiedene Umstände lassen sich bei diesen stündlichen iVnderungenverachiedenebei
beobachten: an manchen Orten steigen und fallen die Wasser, ohne wegung auf-^"
fortschreitende Bewegung zu besitzen; an anderen bewegen sie sich, stände.
ohne zu steigen und zu fallen, einmal gegen Osten und darauf Avieder
zurück nach Westen; an anderen endlich wechseln gleichzeitig Niveau
und Bewegungsrichtimg, wie es hier in Venedig der Fall ist, wo das
Wasser beim Einfliefsen steigt, beim Abfiiefsen sinkt; es findet dies
am Ende der Längsrichtung von Buchten statt, welche sich von West
nach Ost erstrecken und in flache Küsten auslaufen, über denen
das Wasser beim Steigen Platz hat sich auszubreiten; wäre ihm der
438 Dialog über die Weltsysteme. [454. 455.]
Raum durch Berge oder Dämme von ansehnlicher Höhe abgeschnitten,
so würde es dort steigen oder fallen, ohne eine fortschreitende Be-
wegung zu zeigen. Ein Hin- und Widerströmen hingegen ohne gleich-
zeitige Niveauänderimg findet in den mittleren Meeresteilen statt, wie
am deutlichsten in der Meerenge von Messina zwischen Scylla und
Charybdis sich zeigt, weil dort die Strömung wegen der geringen
Breite des Kanals am lebhaftesten ist. Aber auch auf dem offenen
Meere und rings um die darin gelegenen Inseln, wie an den Balearen,
bei Korsika, Sardinien, Elba, Sicilieu, au der afrikanischen Küste, bei
Malta, Kandia u. s. w. sind die Höhenunterschiede sehr unbedeutend,
wohl aber die Strömungen merklich imd namentlich an solchen Stellen,
Avo das Meer zwischen Inseln oder zwischen diesen und dem Fest-
lande enge Kanäle bildet.
Diese wenigen wahren und verbürgten Thatsachen müssen nun
aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn auch sonst nichts vorläge, jeden,
der sich in den Grenzen einer natürlichen Erklärung halten will, ge-
neigt machen die Erdbewegung zuzugeben. Denn das Becken des
mittelländischen Meeres festhalten zu wollen und doch das darin ent-
haltene Wasser sich so bewegen zu lassen, wie es sich bewegt, über-
steigt meine Fassimgsgabe, und wohl die eines jeden anderen, der
nicht nur die Oberfläche des Gegenstandes streift, sondern tiefer ein-
zudringen versucht.
Simpl. Diese Erscheinungen, Signore Salviati, sind nicht von
heute, sondern uralt, und unzählige Beobachter haben sie bemerkt;
viele haben es sich angelegen sein lassen, eine Begründung zu geben,
einer diese, der andere jene. So lebt wenige Miglien von hier ein
bedeutender Peripatetiker, der eine neue Erklärung aufstellt und zwar
Erklärimg von auf Gruud einer von den Auslegern nicht genügend beachteten Stelle
nach eiSem ge- des Aristotcles; er schliefst aus dieser Stelle, die wahre Ursache jener
"phiiosophen.^"Bewegungen schreibe sich einfach von der Yerschiedeulieit der Meeres-
tiefen her. Das Wasser der tiefsten Stellen verdränge seiner gröfseren
Menge und seines gröfseren Gewichtes wegen das Wasser der seich-
teren Stellen, diese hätten sodann, das Bestreben von ihrer gröfseren
Höhe wieder hinabzusinken, und aus diesem beständigen Wechsel-
kampfe ergebe sich dann das Spiel von Ebbe und Flut. Ferner sind
viele, die einen Zusammenhang mit dem Monde annehmen, indem sie
Ursache von sagcu, dafs cr spcciellc Herrschaft über das Wasser übe. Ganz vor
voii''eüi"em ge- kurzem hat ein geistlicher Würdenträger eine kleine Abhandlung ver-
dem'^Monde''z''u-öflfentlicht, woriu er sagt, der Mond werfe, während er am Himmel
hinzieht, durch seine Anziehung einen Wasserhügel auf, welcher ihm
beständig folge, sodafs die Fluthöhe stets gerade unter dem Monde
[455. 456.] Vierter Tag. 439
liege. Da imii aber, weiiii der Mond unter dem Horizonte stellt, das
Steigen dennoch sich erneuert, so lasse sich, meint er, zur Erklärung
der Erscheinung nur annehmen; dafs dem Monde nicht nur selber ge-
nannte Eigenschaft innewohnt, sondern dafs er in diesem Falle sie
auch auf den gegenüberliegenden Punkt des Zodiakus zu übertragen
imstande ist. Andere behaupten, wie Ihr vermutlich wissen werdet, oiroktmo Born,
dafs der Mond infolge seiner temperierten Wärme das AVasser zu ver-" pafeuker bc"
dünnen vermag imd dafs dieses verdünnte Wasser dann in die Höhe "und" Fiut mu
steigt.^) Auch hat es nicht an Leuten gefehlt, die . . . wärmedesMon-
Sagr. Ich bitte Euch, Signore Simplicio, hört damit auf; demi
ich glaube, es lohnt sich nicht der Mühe, die Zeit mit Aufzählung
dieser Meinungen zu vergeuden, noch zu ihrer Widerlegung Worte zu
verschwenden. Wenn Ihr diesen imd ähnlichen Nichtigkeiten Eueren
Beifall zolltet, würdet Ihr Euere Urteilskraft verleugnen, die doch, wie
wir wissen, eine so geläuterte ist.
Salv. Ich, der ich etwas phlegmatischer bin als Ihr, Signore
Sagredo, möchte doch mit einigen Worten- auf die von Signore Sim-
plicio berührten Ansichten eingehen .für den Fall, dafs er in ihnen Entgegnung auf
ein Körnchen von Wahrheit vermuten sollte. So erwidere ich denn: ten, weiche zur
dasjenige Wasser, Signore Simplicio, dessen äufsere Oberfläche höher Ebbe^unTriut
gelegen ist, verdrängt allerdings das imter ihm gelegene tiefere; '''^^'^ den. ^^'
nicht so aber das Wasser, welches nach unten hin gröfsere Tiefe
besitzt; hat dann das höher gelegene Wasser einmal das tiefere ver-
drängt, so kommt es binnen kurzem zur Ruhe und ins Gleich-
gewicht. Euer Peripatetiker mufs der Ansicht sein, dafs alle Seen
der Welt, die sich in Ruhe befinden, und alle Meere, welche keine
Ebbe und Flut zeigen, einen vollständig ebenen Boden besitzen. Und
ich war immer so thöricht zu glauben, dafs, wemi keine anderen Un-
regelmäfsigkeiten vorhanden wären, doch die über das Wasser empor- nie insein sind
ragenden Inseln ein sehr deutlicher Beweis für die Ungleichheiten desmrdieun'^gieich-
Bodens seien. Jenem Prälaten könnt Ihr erwidern, dafs der Mond Meeresbodens.
jeden Tag über das ganze mittelländische Meer hinläuft, ohne das
Wasser zu heben, ausgenommen am östlichen Ende und hier bei uns
in Venedig. Den Anhängern der Lehre von der temperierten Wärme,
durch welche das Wasser aufgebläht werde, saget, sie möchten doch
einen Kessel aufs Wasser setzen und die rechte Hand solange hinein-
halten, bis das Wasser durch die Wärme nur einen Zoll steigt; nach-
her mögen sie sie herausziehen und sehen, ob sie noch Lust haben
über die Aufblähung des Meeres zu schreiben. Oder bittet sie wenig-
stens um Bescheid, wieso der Mond gewisse Teile der Gewässer ver-
dünnt, die übrigen hingegen nicht; wieso er hier in Venedig diese
440 Dialog übei die Weltsysteme. [456. 457.]
Wirkung ausübt, nicht aber in Ancona, Neapel oder Genua. Es mufs
Zwei Artea in der That zwei Arten poetiscb angelegter Naturen geben, die einen
legtwNat'urra. geschickt uud fähig Fabeln zu erfinden, die anderen dazu angethan
und geneigt sie zu glauben.
Simpl. Ich meine nicht, dafs man an Fabeln glaubt, weim man sie
als solche erkennt. Was die zahlreichen Ansichten über die Ursachen
von Ebbe und Flut betrifft, so weifs ich recht wohl und bin voll-
kommen überzeugt, dafs zu einer und derselben Wirkung nur eine
ursprüngliche und wahrhafte Ursache gehören kann, dafs also höch-
stens eine jener Ursachen die wahre sein kann, alle übrigen Erdich-
timgen und Irrtümer sein müssen. Vielleicht auch befindet sich die
richtige Erklärung nicht vmter den bisher vorgebrachten Ansichten;
denn es müfste sonderbar zugehen, wenn von der Wahrheit so wenig
Die Wahrheit Licht ausstrahltc, dafs sie durch nichts aus der Finsternis der um-
wenig Licht au8,gebenden Irrtümer hervorstäche. Ich erlaube mir jedoch mit der
Finsterois des uutcr uns statthaften Offenheit die Bemerkimg, dafs die Lehre von
merkt bliebe, der ErdbcAvegung und die 'Ansicht, diese sei die Ursache von Ebbe
und Flut mir bis jetzt ebenso niärchenhaft vorkommt als alle anderen
mir bekannt gewordenen Erklärungsversuche. Wemi ich nicht Gründe
. zu hören bekomme, die in besserer Übereinstimmung mit den That-
sachen der Natur stehen, würde ich sonder Scheu mich zu dem
Glauben bequemen, es handle sich um eine übernatürliche Erschei-
nung, also um ein Wunder, welches für den menschlichen Geist un-
erforschlich ist wie so viele andere Dinge, die unmittelbar von der
allmächtigen Hand Gottes gelenkt werden.
Salv. Die Art, wie Ihr Eueren Standpunkt darlegt, ist sehr klug
Aristoteles er- und steht auch in Übereinstimmung mit der Lehre des Aristoteles,
scheinuugen fiirlhr wifst, wic dieser am Anfange seiner mechanischen Probleme als
Ursachen uabe- Wunder allcs das erklärt, dessen Ursache uns verborgen ist.'') Dafür
aber, dafs die wahre Ursache der Gezeiten zu dem Unerforschlichen
gehöre, habt Ihr vermutlich keinen anderen Anhaltspunkt, als dafs
Ihr bemerkt, wie, unter allen bisherigen Erklärungsversuchen keiner
ist, auf Grund dessen, mag man sich anstellen, wie man will, eine
ähnliche Erscheinmig künstlich hervorgerufen werden kann. Weder
mit Mond- noch mit Sonnenlicht, noch mit temperierter Wärme, noch
durch verschiedene Tiefen wird man jemals künstlich bewirken können,
dafs in einem unbewegten Gefäfse das darin enthaltene Wasser hin-
und widerströmt, an einer Stelle steigt und fällt, an anderen nicht.
Wenn ich Euch aber ohne jeden besonderen Kunstgriff, auf die ein-
fachste Weise, durch Bewegung des Gefäfses. alle jene Anderimgen
genau so vor Augen führen kann, wie sie bei den Meeresgewässern
[457. 458.] Vierter Tag. 441
stattfinden, warum wollt Ihr diese Erklärung dann von der Hand
weisen und zum Wunder Euere Zuflucht nehmen?
Simpl. Ich will zum Wunder meine Zuflucht nehmen, wemi Ihr
durch keine anderen natürlichen Ursachen als durch die Bewegung der
Meeresbecken mich davon zurückzuhalten wifst, und zwar deshalb, weil
diese Becken, wie ich überzeugt bin, sich nicht bewegen, der ganze
Erdball vielmehr von Natur unbewegt ist.
Salv. Aber glaubt Ihr nicht, dafs der Erdball übernatürlich, d. h.
durch die imbeschränkte Macht Gottes, in Bewegung gesetzt werden
kömite?
Simpl. Wer möchte das bezweifeln?
Salv. Nun, Signore Simplicio, . da uns denn die Annahme eines
Wunders unentbehrlich ist, um die Meeresgezeiten zu erklären, wollen
wir die Erde durch ein Wunder und infolge dessen das Meer auf natür-
liche Weise sich bewegen lassen. Dies ist um so einfacher, ich möchte
sagen um so natürlicher auf dem Gebiete des Wunders, als es leichter
ist eine. Kugel in Drehung zu versetzen — wovon wir so viele Beispiele
sehen — als eine ungeheuere Wassermasse vor- und rückwärts zu be-
wegen, hier schneller, dort langsamer, sie zu heben und zu senken,
hier mehr, dort weniger, dort gar nicht, und alle diese Vorgänge in
einem und demselben sie umfassenden Becken sich abspielen zu lassen;
abgesehen davon, dafs in letztgenanntem Falle mehrere Wunder vor-
lägen, in ersterem nur eines. Nehmt hinzu, dafs die wunderbare Be-
wegung des Wassers ein weiteres Wunder nötig macht: die Erde näm-
lich gegenüber dem andrängenden Wasser festzuhalten, da dieses sie
bald nach dieser, bald nach jener Richtung in schwankende Bewegimg
versetzen müfste, sobald sie nicht durch ein neues Wunder fest-
gehalten würde.
Sagr. Ich bitte Euch, Signore Simplicio, vertagen wir ein Weilchen
unsere Entscheidung, ehe wir die neue Ansicht verurteilen, die uns
Signore Salviati auseinandersetzen will, und werfen wir sie nicht ohne
weiteres in einen Topf mit den früheren Albernheiten. Was das
Wunder angeht, so wollen wir gleichfalls darauf zurückkommen, wenn
wir erst den Versuch einer natürhchen Erklärung gehört haben; Avie-.
wohl, meiner Empfindmig nach, alle Werke der Natur und Gottes
Wimder darstellen.
Salv. Ich bin der gleichen Ansicht, und wenn man daher die
Erdbewegung als natürliche Ursache. der Meeresgezeiten betrachtet, so
wird damit nicht das Wunderbare dieses Vorgangs in Abrede gestellt.
— Um imn unsere Untersuchimg wieder aufzimehmen, betone ich aber-
mals und wiederhole, dafs sich bis jetzt keine Möglichkeit absehen läfst,
442 Dialog über die Weltsysteme. [458. 4.59.]
wieso das Wasser des mittelländisclien Meeres die tliatsächlicli zu be-
obacliteuden Bewegungen ausfülirt, sobald das die Gewässer ein-
scliliefsende Becken oder Gefäfs als unbewegt angesehen wird. Was die
Schwierigkeit bedingt und was diese Materie so unauflöslich verwickelt
macht^ sind die nachstehenden Thatsachen, die man täglich beobachten
kann. So merkt denn auf.
Nachweis der Wir siud hier in Venedig, es herrscht Ebbe, das Meer ist ruhig,
"äne'f natür-* die Luft stiUe. Nun beginnt das Wasser zu steigen und nach Verlauf
^von^Ebb'e^üd^von fünf bis sechs Stunden steht es mehr als zehn Spannen höher. '')
luüime des stüie-Dieses Steigen ist nicht durch eine Verdüimmig des anfänglich vor-
iderErde.j^^^^^^g^^ soudcru durch Zuströmen neuen Wassers bewirkt, Wassers
von derselben Art wie das ursprüngliche, von demselben Salzgehalte,
von derselben Dichtigkeit, demselben Gewichte. Alle Fahrzeuge
schwimmen ebenso auf ihm, Signore Simplicio, wie auf dem früheren,
ohne um Haaresbreite tiefer einzutauchen; ein mit diesem neuen Wasser
gefülltes Fafs wiegt kein Gran mehr noch weniger als dieselbe Menge
des anderen Wassers: kurz es handelt sich sichtlich um neuerdings
durch die Einschnitte und Öffnungen des Lido eingeströmtes Wasser.'')
Macht Ihr nunmehr ausfindig, wie und von wannen es gekommen ist.
Sind in hiesiger Gegend vielleicht Strudel oder Löcher auf dem Meeres-
boden, durch welche die Erde das Wasser anzieht und einsaugt und
ähnlich atmet, wie ein ungeheuerer über die Mafsen grofser Walfisch?'')
Wenn dem aber so ist, warum hebt sich die Flut in Ancona, Ragusa,
Korfu in Zeit von sechs Stunden nicht ebenso sehr? Dort aber findet
nur ein sehr unbedeutendes, fast unmerkliches Steigen statt. Wie will
man eine Art und Weise ersinnen, um neues Wasser in ein unbewegtes
Gefäfs einzugiefsen derart, dafs es nur an einem bestimmten Punkte
steigt, aber an keinem anderen? Werdet Ihr etwa behaupten, das neue
Wasser sei dem Ozean entnommen und ströme durch die Strafse von
Gibraltar ein? Dadurch lassen sich die genannten Schwierigkeiten nicht
beseitigen und es erwachsen neue gröfsere. Zunächst sagt mir, was
für eine Geschwindigkeit müfste das durch, die Meerenge einströmende
Wasser besitzen, um binnen sechs Stunden an den entlegensten, zwei-
.bis dreitausend Miglien entfernten Küsten des mittelländischen Meeres
einzutreffen und um ■ dieselbe Strecke bei seinem Rückwege abermals
in der nämlichen Zeit zurückzulegen? Was soll aus den Schiffen werden,
die über das Meer hin zerstreut sind? was aus den Fahrzeugen, welche
sich in der Meerenge befinden, während ungeheuere Wassermassen be-
ständig durch einen nur acht Miglien breiten Kanal hineinstürzen, der in
sechs Stunden soviel Wasser durchlassen mufs, dafs eine Hund'erte von
Miglien breite und Tausende von Miglien lange Fläche damit über-
[459. 460.] Vierter Tag. 443
schwemmt wird? Welclier Tiger läuft, welcher Falke fliegt mit solcher
Schnelligkeit? jnit einer Schnelligkeit nämlich von vierhundert oder
mehr Miglien in der Stunde. Allerdings finden in der Längsrichtung
des Meerbusens Strömungen statt, ich leugne es nicht; sie sind aber
so langsam, dafs Ruderboote, wenn auch nicht ohne Zeiteinbufse, sie
überwinden. Überdies bleibt, wenn jenes Wasser durch die Meerenge
einströmt, immer noch die andere Schwierigkeit bestehen, nämlich
wieso es sich gerade hierher begiebt und in diesem entlegenen Teile ein
Steigen verursacht, ohne vorher in gleichem oder noch gröfserem Be-
trag ein Steigen an den nächst gelegenen Orten zu bewirken? Kurz
ich glaube, das ausdauerndste Nachdenken wird aus diesen Schwierig-
keiten sich nicht herausfinden, noch in Anbetracht derselben an der
Unbewegtheit der Erde festhalten können, solange man sich in den
Grenzen einer natürlichen Erklärung bewegen will.
Sagr. Dies verstehe ich soweit ganz gut. Ich erwarte nun mit
höchster Spannung zu vernehmen, wie diese wunderbaren Vorgänge
aus den der Erde beigelegten Bewegungen sich ohne Anstofs ergeben.
Salv. Sollen jene Erscheinungen Folge der natürlichen Erd-
bewegungen sein, so dürfen sie nicht nur nicht zu einem Widerspruch
oder zu etwas Anstöfsigem führen, sie müssen auch leicht und nicht
nur leicht, sondern mit Notwendigkeit daraus folgen, derart dafs mi- wahrhaft uatür-
möglich der Vorgang ein anderer sein kann-, das nämlich ist dicerfoigen stets mit
charakteristische Eigentümlichkeit des Natürlichen und Wahren. Nach-
dem wir also die Unmöglichkeit festgestellt, die an den Gewässern
wahrzunehmenden Bewegungen unter gleichzeitigem Festhalten an der
Unbeweglichkeit des Wasserbeckens zu erklären, gehen wir dazu
über zu versuchen, ob die Bewegung des Behälters ihrerseits eine Wir-
kimg hervorzubringen vermag, deren Eigentümlichkeit den beobachteten
Thatsachen entspricht.
Zwei Arten von Bewegungen lassen sich einem Geföfse mitteilen, zwei Arten von
welche die Möglichkeit schafien, dafs das in ihm enthaltene Wasser Behälters,
bald nach dem einen, bald nach dem anderen Ende strömt mid dortemhaUene* was-
bald steigt, bald fällt. Einmal brauchte man nur abwechselnd das fauen lassen
eine und andere genannter Enden zu senken, das Wasser wird dann
nach dem geneigten Ende laufen uiid bald auf dieser, bald auf jener
Seite steigen und fallen. Da dieses Heben und Senken jedoch nichts
Anderes ist als ein Entfernen und Annähern an den Erdmittelpunkt, so
läfst sich unmöglich den Wasserbecken, die der Erde selbst angehören, nie Becken der
eine derartige Bewegung beilegen. Denn die Teile dieser BehältersichdereuMm^i-
kömien niemals, mag man den Erdball sich bewegen lassen, wie mannifhe^m oder von
m- 1 • / ( , ..-1 1 •! , ,. -i--.- T ihm entfernen.
, Sich seinem Lentrum nähern oder von mm entternen. Die andere
444 Dialog über die Weltsysteme. [460. 461.]
Eine itngieich- Art besteht darin, dals das Gefafs, ohne sicli irgendwie zu neigen, eine
schreitende Be- fortschreitende, aber imgleicliförmig von statten gehende Bewegung
fäfses kann einjjesitzt, welchc ihre Geschwindigkeit wechselt, bald nämlich sich be-
i-in enthaltenen schleunigt, bald sich verzögert. Die Folge dieser Ungleichmäfsigkeit
wirken. . würde die sein: das Wasser, welches zwar in dem Gefäfse enthalten,
aber nicht nach Art fester Teile mit ihm verbunden ist, sondern seiner
Flüssigkeit wegen fast unabhängig, frei und nicht genötigt ist, alle
Bewegungen seines Behälters mitzumachen, wird bei Verminderung der
Geschwindigkeit des Gefäfses einen Teil des vorher erworbenen Antriebs
beibehalten und nach dem vorderen Ende hinströmen, wo dann not-
wendig ein Steigen stattfindet. Wenn umgekehrt die Geschwindigkeit
des Gefäfses sich steigern sollte, wird das Wasser teilweise seine lang-
samere Bewegung beibehalten, etwas zurückbleiben, bevor es sich an
die neue Geschwindigkeit gewöhnt und sich an dem hinteren Ende
merklich aufstauen. Diese Erscheinungen können wir noch deutlicher
und der siiudicheu Wahrnehmmig zugänglicher machen mit dem Bei-
spiele jener Barken, welche beständig süfses Wasser von Lizza Fusina
für den Bedarf der Stadt herüberfahren. ^) Stelleu wir uns vor, eine
solche Barke komme mit mäfsiger Geschwindigkeit durch die Lagune
daher und fahre das Wasser, womit sie beladen ist, ruhig dahin. Nun
aber erleide sie eine merkliche Verringerung ihrer Geschwindigkeit, sei
es, dafs sie aufs Trockene aufläuft oder sich sonst ein Hindernis ihr
in den Weg stellt. Dann wird das in der Barke befindliche Wasser
nicht sofort, wie diese selbst, den erlangten Antrieb verlieren, sondern
ihn beibehalten und vorne nach dem Bug hinströmen; dort wird es
merklich steigen, am Hinterteile dagegen sinken. Wenn aber umgekehrt
bei dem ruhigen Dahingleiten der Barke eine merkliche Zunahme der
Geschwindigkeit stattfindet, so Avird das darin befindliche Wasser sich
nicht gleich an diese gewöhnen, sondern seine Langsamkeit bewahren,
zurückbleiben, also nach dem Hinterteile sich in die Höhe stauen, vorne
hingegen sich senken. Diese Erscheinmig steht unzweifelhaft fest, ist
leicht zu verstehen und kann jederzeit durch den Versuch bestätigt
werden. Ich bitte hierbei auf dreierlei zu achten. Erstlich bedarf es
nicht, um das Wasser an dem einen Gefäfsende steigen zu machen,
neuen Wassers, noch auch braucht dieses das andere Ende völlig zu
verlassen, während es nach jenem" hinströmt. Zweitens hebt luid senkt
sich das Wasser in der Mitte nicht merklich, weim nicht gerade die
Fahrgeschwindigkeit der Barke sehr bedeutend und der Stofs oder die
sonstige Hemmung, die sie erlitten, sehr, heftig und plötzlich ist; in
einem solchen Falle könnte allerdings das ganze Wasser nicht nur
nach vorne strömen, sondern grofsenteils völlig aus der Barke hinaus-
[461. 4G2.] Vierter Tag. 445
laufen. Dasselbe würde auch geschehen, wenn sie anfänglich langsam
dahinglitte und plötzlich eine sehr grofse Fahrgeschwindigkeit annähme.
Wenn aber bei einer ruhigen Anfaugsbewegung eine mäfsige Verzöge-
rung oder Steigerung der Geschwindigkeit neu hinzutritt, findet, wie
gesagt, in der Mitte kein merkliches Steigen und Fallen statt, an
anderen Stellen ein um so geringeres, je näher sie der Mitte liegen,
ein um so bedeutenderes, je weiter sie davon entfernt sind. Drittens
ist zu beachten, dafs die mittleren Teile verglichen mit den äufsersten
allerdings nur geringe Hebungen und Senkungeu erleiden, dafs sie hin-
gegen um ein beträchtliches hin- und herströmen. Nun, meine Herren,
wie sich die Barke bezüglich des in ihr enthaltenen Wassers und wie
sich das Wasser bezüglich der es enthaltenden Barke verhält, aufs
Haar ebenso verhält sich das Becken des mittelländischen Meeres zu
den darin befindlichen Wassermassen und die umschlossenen Wasser-
massen zu dem- sie umschliefsenden mittelländischen Meeresbecken. —
Wir haben nunmehr nachzuweisen, wieso und in welcher Weise wirk- Die Teile der
lieh 'das mittelländische Meer und alle anderen Meerbusen,- überhauptihrer ^Bewe^^'^g
alle Teile der Erde eine merklich ungleichmäfsige Bewegung ausführen, gen und^v™"
obgleich dem ganzen Erdball als solchem keinerlei Bewegung zuge- '^°^''''"°^^'*-
schrieben wird, die nicht regelmäfsig und gleichförmig wäre.
Simpl. Auf den ersten Blick scheint dies mir, der ich weder
Mathematiker noch Astronom bin, ein arges Paradoxon. Wenn es wahr
sein sollte, dafs die Bewegung des Ganzen regelmäfsig, die der Teile
hingegen, die mit ihrem Ganzen fortwährend verbunden sind, unregel-
mäfsig sein sollte, so wird dieses Paradoxon das Axiom zu Schanden
machen, das da besagt, eamdem esse rationem totius et partiimi,
Salv. Ich werde mein Paradoxon beweisen und Euch anheim-
geben, Signore Simplicio, das Axiom dem gegenüber in Schutz zu
nehmen oder es in Übereinstimmung damit zu bringen. Der Beweis
wird kurz und sehr leicht zu verstehen sein, da er auf denjenigen Dingen
beruht, die wir in unseren früheren Gesprächen ausführlich, behandelt
haben, ohne dafs zu Gunsten von Ebbe und Flut irgendwelche neue
Voraussetzung gemacht würde.
Zweierlei Bewegungen, sagten wir, . legt man dem Erdball beiiBeweis, dafs die
eine jährliche, welche von seinem Mittelpunkte längs der Peripherie baUs Beachieu-
nigungeu und
des unter der Ekliptik gelegenen orhis magnus ausgeführt wird' und Verzögerungen
zwar nach der Ordnung der Zeichen d. h. von West nach Ost; sodann
eine zweite, welche der Erdball selbst ausführt, indem er sich inner-
halb 24 Stunden um seinen eigenen Mittelpunkt dreht, wiewohl um
eine merklich geneigte Achse, die zu der der jährlichen Umdrehung
nicht parallel ist. Aus der Zusammensetzung dieser Bewegungen,
446
Dialog über die Weltsysteme.
[462 4G3.]
deren jede für sich gleicliförmig ist, behaupte icli, geht eine ungleich-
mäfsige Bewegung der Teile der Erde hervor. Zur Erleichterung des
Verständnisses will ich mich bei der Erläuterung einer Figur bedienen.
Zunächst will ich um das Centrum A die Peripherie BC des orhis
magnus zeichnen-, auf dieser nehme ich einen beliebigen Punkt B an,
und um diesen als Centrum
beschreiben vnx den kleine-
ren Kreis BEFG, der den
Erdball bedeuten soll. Wir
stellen uns vor, dieser durch-
laufe mit seinem Centrum 5
die ganze Peripherie des or-
his magnus von West nach
Ost d. h. von B nach C
hin. Des weiteren denken
wir uns, der Erdball drehe
sich innerhalb eines Zeit-
raums von 24 Stunden um
seinen eigenen Mittelpunkt
B gleichfalls vonWest nach
Ost d.h. in der Aufeinander-
folge der Punkte B,E,F, G.
Hier haben wir jedoch sorg-
fältig zu beachten, dafs,
Terschiedenen -v^^enn ein Xrcis sich um seinen eigenen Mittelpunkt dreht, ieder Teil
Zeiten entgegen- _ _ " ^ ' •>
gesetzte Bewe- dcsselbcu ZU Verschiedenen Zeiten entgegengesetzte Bewegungen aus-
gungen aus. ^ ^ _ o o o O »
führt. Dies ist augenscheinlich der Fall; wir brauchen blofs zu be-
denken, dafs die Teile der Peripherie in der Umgebung des Punktes B
nach links, nämlich nach E hin, sich bewegen, die entgegengesetzten
aber, d. h. die in der Umgebung des Punktes F gelegenen, nach rechts
fortschreiten, nämlich nach dem Punkte G. Wenn also die Teile bei B
nach F gelangen, so wird ihre Bewegung gerade umgekehrt gerichtet
sein, wie sie es anfänglich in B war. Wenn ferner die Teile bei E
sich gewissermafsen abwärts, nach F hin bewegen, steigen die bei G
Die Zusammen- uach B ZU hinauf. Nachdem so dieser Gegensatz der Bewegungen an
"lieber und tag- dcu Tcilcn der Erdoberfläche bei ihrer Drehung um den eigenen Mittel-
verursacht die punkt festgestellt ist, mufs notwendig bei Zusammensetzung dieser täg-
Bewegung der lichcn Bewcgung mit jener anderen jährlichen eine bald beschleunigte,
baiis. bald in demselben Mafse verzögerte absolute Bewegung für die Teile
der Erdoberfläche resultieren. Dies ergiebt sich augenscheinlich, wenn
man zuerst die Teile bei B betrachtet, deren Bewegung absolut ge-
Die Teile eines
um seinen Mit-
telpunkt
gleichförmig
bewegtenKrei-
ses führen zu
l!
[463. 464.] Vierter Tag. 447
nommen am sclmellsten sein wird, da sie durch Zusammensetzung
zweier gleichgericliteten, von rechts nach links gehenden Bewegungen
entsteht; die eine derselben ist ein Stück der jährlichen Bewegung,
wie sie allen Teilen der Erdkugel gemeinsam ist; die andere ist die
Bewegung des Punktes D selbst, der vermöge der täglichen Rotation
gleichfalls nach links hin fortgeführt wird, sodafs in diesem Falle die
tägliche Bew'egung die jährliche verstärkt und beschleunigt. Das Um-
gekehrte findet auf der gegenüberliegenden Seite bei F statt. Diese
wird infolge der gemeinsamen jährlichen Bewegung samt dem ganzen
Erdball nach links hin geführt, durch die tägliche Umdrehung hin-
gegen auch nach rechts, sodafs die tägliche Bewegung in Abzug von
der jährlichen zu bringen ist; daher wird also die absolute Bewegung,
die aus der Zusammensetzung beider resultiert, bedeutend verzögert.
In der Nähe der Punkte E und G endlich behält die absolute Bewegung
etwa den gleichen Betrag wie die einfache jährliche, insofern die täg-
liche der letzteren nichts oder nur sehr wenig hinzufügt oder benimmt^
da sie weder zur linken, noch zur rechten, sondern nach unten und
oben gerichtet ist. Wir kommen somit zu dem Schlüsse: wie einer-
seits zwar die Bewegung des ganzen Erdballs und jedes seiner Teile
gleichmäfsig und einförmig wäre, weim diese nur eine Bewegung be-
säfsen, sei es nun die jährliche oder die tägliche, so müssen anderer-
seits doch bei Zusammensetzung beider BcAvegungen ungleichförmige
Bewegungen der Teile des Erdballs entspringen, bald beschleunigte,
bald verzögerte, vermöge der zu der jährlichen Kreisbewegung hinzu-
kommenden oder von ihr in Abzug zu bringenden täglichen Umdrehung-
Wenn es also richtig ist — und es ist gewifs richtig, wie die Erfah-
rung lehrt — dafs eine Beschleunigmig und Verzögerung bei der Be-
wegung des Gefufses das darin . befindliche Wasser der Länge nach hiu-
und herströmen läfst und an den Enden ein Steigen und Fallen bewirkt,
wer wird Bedenken gegen die Ansicht erheben wollen, dafs eine solche
Wirkung bei dem Meereswasser eintreten kann, ja eintreten mufs? Ist
doch dieses auch in Becken enthalten, die den nämlichen Modalitäten
unterworfen sind, zumal wenn ihre Längsrichtung sich übereinstimmend
mit der Bewegungsrichtung der Becken von West nach Ost erstreckt.
Damit ist die hauptsächliche und ursprüngliche Ursache der Gezeiten Hauptsächliche
angegeben, ohne welche besagte Erscheinung überhaupt nicht einträte. Hche^ursacifo
Nun aber ändern die besonderen Umstände, die sich an verschiedenen """"^ Fi'ut ""
Orten und zu verschiedenen Zeiten zeigen, mannigfach ab; diese müssen
durch verschiedene andere Begleitursachen bedingt sein, welche aller-
dings sämtlich niit der ursprünglichen Ursache in Zusammenhang stehen
werden. Darum ist es angezeigt, die verschiedenen Umstände aufzu-
448 Dialog über die Weltsysteme. [464. 465.]
zählen und zu prüfen^ welche jene verschiedenen Wirkungen hervor-
bringen können.
Verschiedene Da ist crstlich der folgende Umstand: sobald das Wasser vermöge
begleitende Um-eincr merklichen Verzögerung oder Beschleunigung bei der Bewegung
Umstand, sciues Bcliälters yeranlafst worden ist, nach dem oder jenem Ende
hinzuströmen, an dem einen also gestiegen, an dem anderen gefallen
ist, so wird es diese Lage nicht beibehalten, nachdem die ursprüng-
Das an einem lichc ürsachc aufhört zu wirken; vielmehr wird es vermöge der eigenen
staute Wasser ßchwcre uud der natürlichen Neigung sich zu nivellieren und ins Gleich-
in die Gieichge-gewicht ZU sstzcn, von selbst gesehwind zurückkehren und in seiner
rück!* ^'^ Eigenschaft als schwerer und- flüssiger Körper nicht nur der Gleich-
gewichtslage zustreben, sondern von der eigenen Wucht vorwärts ge-
trieben, sie überschreiten und nunmehr sich dort aufstauen, wo es
zuvor am niedrigsten stand. Aber auch dabei wird es nicht bleiben,
sondern die Flüssigkeit wird abermals umkehren und in mehrfach
wiederholtem Hin- und Herströmen uns zu verstehen geben, dafs sie
nicht plötzlich von der vormaligen Geschwindigkeit zu einem Aufgeben
derselben und zum Ruhezustand sich bequemen will; nur allmählich,
Schritt für Schritt, läfst sie ab uud bequemt sich ihm an: gerade wie
bekanntlich ein an einem Faden hängendes Gewicht, das man einmal
aus seinem Ruhezustand d. h. der lotrechten Lage entfernt hat, von
selbst dorthin zurückkehrt und zur Ruhe gelangt, aber erst nachdem
es vielmals hin und her, vor und zurück durch die Gleichgewichtslage
gependelt ist.
Je kürzer die Der zwcite wohl zu beachtende Umstand ist der. Die soeben er-
rascher folgen wälintcn periodischcn Bewegungen werden in rascherer oder minder'
gungen. raschcr Folge ausgeführt je nach der Länge der Gefäfse, in welchem
sich das Wasser befindet: bei geringerer Länge sind die Wiederholungen
häufiger, bei gröfserer Länge minder häufig, ganz wie in dem analogen
Falle der pendelnden Körj)er, wo die an längerem Faden aufgehängten
minder rasch, die an kürzerem Faden aufgehängten rascher ihre Schwin-
gungen wiederholen.^)
Gröfsere Tiefe Als dritte bemerkenswerte Thatsache ist zu erwähnen, dafs nicht
res Schwingen uur die gröfserc oder geringere Länge des Gefäfses eine verschiedene
Periode des Hin- und Herschwingens bedingt, sondern dafs auch eine
gröfsere oder geringere Tiefe den nämlichen Einflufs übt. Vergleicht
man das Verhalten des Wassers in Behältern von gleicher Länge, aber
verschiedener Tiefe, so wird die Schwingungsdauer in dem tieferen Ge-
fäfse kürzer sein, in dem seichten dagegen die Wiederholimg des Hin-
und Hergangs minder häufig stattfinden.
Viertens verdienen die beiden folgenden Erscheinungen, welche bei
[465. 4G6.] Vierter Tag. 449
ieiiem Schwanken des Wassers liervortreten, bemerkt und sorgfältig i>a8 wasser
. 7 O O gtgigj. umJ fällt
l>eobaclitet zu werden: einmal das abwechselnde Steigen und Fallen an an den Enden
.. i'i -IT 1*^®* Gefäfses und
den beiden Gefäfsenden, sodann eme Art von horizontalem Vor- und strömt in den
-rvi-1 1 • 1 -rt mittleren Par-
Kückwärtsgehen oder -strömen. Diese beiden verschiedenen Bewegimgen tieen.
haften in verschiedenem Grade an verschiedenen Teilen des Wassers;
die äufsersten Teile nämlich heben und senken sich am bedeutendsten,
die Mitte bewegt sich absolut gar nicht auf- oder abwärts; die übrigen
Teile heben und senken sich stufenweise umsomehr, je näher sie den
äufsersten Enden liegen. Umgekehrt hingegen kommt den mittleren
Teile in hohem Grade jene zweite nach vor- und rückwärts gerichtete
fortschreitende Bewegung zu, indem sie hin- und herlaufen; das Wasser
an den äufsersten Enden aber leistet in dieser Beziehung nichts, es sei
deim dafs es beim Steigen üljer den Rand hinaus sich erhebt und das
anfängliche Bett oder den Behälter verläfst. Wo hingegen die W^ände
•ein unübersteigliches Hindernis bilden, da hebt und senkt es sich
nur, während nach wie vor die mittleren Teile hin- und herströmen.
Bis zu gewissem Grade thun dies auch die übrigen Teile, sie zeigen
um so stärkere oder schwächere Strömung, je näher der Mitte oder je
entfernter von ihr sie gelegen sind.
Die fünfte Besonderheit verdient um so sorgsamere Beachtung,Besonderheit bei
als es uns unmöglich ist, durch Avirklich ausgeführten Versuch ihre gung, weiche
Wirkung nachzuahmen;'*^) es handelt sich um folgendes. Wenn unserekünstuch -y.eran-
künstlich angefertigten Gefäfse sich bald rascher, bald weniger rasch
bewegen, so wird sich die Beschleunigung und Verzögerung stets in
derselben Weise am ganzen Gefäfse wie an jedem seiner Teile geltend
machen. Wenn z. B. die Bewegung der Barke eine Hemmung erleidet,
so betrifft die Verzögerung den vorangehenden Teil nicht in höherem
Mafse als den nachfolgeiiden, sie beteiligen sich vielmehr sämtlich in
gleicher Weise an derselben. Das nämliche gilt für den Fall der Be-
schleunigung: sobald man der Barke neuerdings Aiilafs zu gröfserer
Geschwindigkeit giebt, wird Bug und Hinterteil in gleicher Weise be-
schleunigt. In den ungeheueren Gefäfsen aber, welche die Meeres-
beckeu darstellen, wiewohl auch sie nichts Anderes sind als einige
Höhlungen der festen Erdmasse, trifft es sich wuuderbarerweise, dafs
ihre Enden nicht vereint, gleichmäfsig und in denselben Zeitmomenten
an Geschwindigkeit zu- und abnehmen; sondern wenn das eine der
beiden Enden vermöge der gemeinsamen Wirkung der jährliclien und
täglichen Umdrehung eine bedeutende Verzögerimg erfährt, so ist das
andere Ende noch mit der höchsten Geschwindigkeit behaftet und
ausgestattet. — Zur Erleichterung des Verständnisses wollen Avir noch-
mals die vorhin gezeicluiete Figur betrachten. Denken wir uns in
Galilei, Weltsysteme. 2i)
450
Dialog über die Weltsysteme.
[4GG. 467.]
dieser einen Meeresstricli z. B. von Gröfse eines Viertelki;eises, wie etwa
längs des Bogens BC, so ist, wie oben auseinandergesetzt, die Bewegung
der Teile bei B am sclinellsten, weil die sie zusammensetzenden Be-
wegungen der täglicben und
jährlichen Drehung hier
gleichgerichtet sind; der
Teil C hingegen ist dann
in langsamerer Bewegung
begriffen, da er die durch
die tägliche Rotation be-
dingte fortschreitende Be-
wegung yicht besitzt. Den-
ken wir uns also, ich wieder- ^
hole es, einen Meerbusen
von Länge des Bogens BCf
so sehen wir nun, wieso
seine beiden Enden sich
gleichzeitig in sehr ver-
schiedenartiger Weise, be-
wegen müssen. Am stärk-
sten verschieden würden
die Geschwindigkeiten in-
nerhalb eines Meeresstrichs
von der Gröfse eines Halbkreises sein, der so liegt wie der Bogen BCD-^
das Ende B nämlich würde sich in raschester Bewegung befinden, das
Ende D hingegen in langsamster Bewegung begriffen sein; die da-
zwischen gelegenen Partieen bei C endlich besäfsen eine mittlere Ge-
schwindigkeit. Je kürzer besagte Meeresstriche sind, um so weniger
wird ihnen jene sonderbare Eigentümlichkeit zukommen, einige Stunden
des Tages über an verschiedenen Stellen einen verschiedenen Grad von
Geschwindigkeit zu besitzen. Wenn wir nun schon, wie im erst be-
trachteten Falle, durch eine einfache Beschleunigung und Verzögerung
ein Hin- und Herströmen des Wassers bewirkt sehen, wiewohl alle
Teile des Behälters gleichmäfsig davon betroffen werden, was für Er-
scheinungen sollen wir gar in einem so wunderbar angeordneten Gefäfse
erwarten, dessen verschiedene Teile ungleiche Verzögerungen und Be-
schleunigungen erfahren? Bestimmt läfst sich nur soviel sagen, dafs
damit in vermehrter, um so merkwürdigerer Weise Anlafs zu noch
seltsamerer Erregung der Gewässer gegeben ist. Mag es vielen auch
unmöglich erscheinen, durch künstliche Apparate und Gefäfse die Wir-
kungen eines solchen Umstandes experimentell zu prüfen, so ist es
[467. 468.] Vierter Tag. Abi
(loch nicht ganz unmöglich. Ich besitze den Entwurf eines Apjjarates,
an welchem gerade die Wirkung dieser merkwürdigen Zusammen-
setzimg von Bewegungen sich veranschaulichen läfst.^^) Was indessen
den vorliegenden Gegenstand betrifft, so reicht das theoretische Ver-
ständnis des bisher Vorgetragenen aus.
Sagr. Ich für mein Teil verstehe sehr wohl, dafs dieser eigen-
tümliche Umstand sich notwendig in den verschiedenen Meerbusen gel-
tend machen mufs, welche eine bedeutende Längenerstreckung von West
nach Ost besitzen, nämlich in Übereinstimmung mit der Bewegungs-
richtung des Erdballs. Da dieser Umstand gewissermafsen mivorstell-
bar ist und nicht seines Gleichen bei den von uns ausführbaren Be-
wegungen hat, so finde ich es nicht anstöfsig, dafs er Wirkungen her-
vorbringt, die man durch künstliche Versuche nicht nachzuahinen
vermag.
Salv. Nach diesen Erläuterungen haben wir nunmehr zu der
Prüfung der verschiedenen Besonderheiten zu schreiten, die sich beim Erklärung der
Spiel von Ebbe und Flut beobachten lassen. Zunächst darf es unsdie sich bei dem
nicht auffallen, dafs in Seen, Teichen und selbst in kleinen Meeren und Fiut be-
keine merkliche Ebbe und Flut stattfindet, Dies hat zwei sehr trif-
tige Gründe: einmal werden wegen der Kürze des Gefäfses die ver- Doppelte ur-
Sache für das
schiedenen Stufen der Geschwindigkeit, welche es zu verschiedenen Nichteintreten
m • • •• • p • TTi_i'i ^"^ Ebbe und
Tageszeiten aimimmt, mit einem geringfügigen Unterschiede von^iut bei kieine-
.,. ren Meeren und
allen seinen Teilen durchlaufen; aber die vorangehenden wie die in seen.
nachfolgenden, d. h. die östlichen und die westlichen, erfahren fast die
nämliche Beschleunigung und Verzögerung. Überdies gehen diese
Änderungen ganz allmählich vor sich, es stellt sich nicht plötzlich ein
Hemmnis, eine Verzögerung in den Weg; und ebensowenig findet
momentan eine bedeutende Beschleunigung des Wasserbeckens statt;
vielmehr prägt sich ihm in allen seinen Teilen derselbe Grad von Ge-
schwindigkeit langsam und gleichmäfsig ein, woraus sich ergiebt, dafs
auch das darin befindliche Wasser ohne viel Widerstreben und Sträu-
ben dieselben Eindrücke in sich aufnimmt, demnach nur eine schwache
Spur von Steigen mid Fallen infolge des Strömens nach dem einen
oder anderen Ende hin wahrzunehmen ist. Dieselbe Erscheinung stellt
sich auch in kleineren künstlichen Gefäfseu deutlich ein; in ihnen
nimmt sämtliches Wasser die gleichen Grade von Geschwindigkeit an,
solange die Beschleunigung oder Verzögerung in ruhiger gleichförmiger
Weise sich steigert. Bei denjenigen Meerbusen aber, die sich auf
grofse Entfernung in ost-westlicher Richtung erstrecken, ist die Be-
ßchlevuiigung oder Verzögerung sehr viel merklicher: ist doch in diesem
Falle gleichzeitig das eine Ende in stark verzögerter Bewegung, wäh-
29*
452 Dialog über die "Weltsysteme. [4C8. 469.]
rend das andere noch in schnellster Bewegung begriffen ist. Die
zweite Ursache ist das wechselseitige Schwanken des Wassers, welches
von dem Antrieb herrührt, der ihm durch die Bewegung seines Be-
hälters mitgeteilt worden ist; diese Schwankungen zeigen, wie bemerkt,
eine viel häufigere Wiederkehr der Schwingungen in kleineren Ge-
fäfsen. Obschon nun die Erdbewegungen unmittelbar nur eine von
12 zu 12 Stunden wiederholte Anregung zur Bewegung des Wassers
geben, insofern nur einmal des Tags Höhepunkte in der Verzögerung
oder Beschleunigung erreicht werden, so tritt doch jene zweite Ur-
sache in Kraft, welche auf der Schwere des Wassers beruht imd dieses
ins Gleichgewicht zurückzubringen strebt; imd zwar sind je nach der
Kürze des Gefäfses die Schwingungen von ein-, zwei-, dreistündiger
Dauer u. s. w. Diese Wirkung nun trifft mit der ersten, die schon
an und für sich in kleineren Gefäfsen sehr unbedeutend ist, zusammen
und macht sie völlig unmerklich; denn ohne dafs die von der ursprüng-
lichen Ursache hervorgerufene Erregung sich schon völlig mitgeteilt
hätte, da sie eine 12-stündige Periode besitzt, tritt bereits mit gegen-
teiligem Erfolge jene andere sekundäre, auf dem eigenen Gewichte des
Wassers beruhende Ursache in Wirksamkeit, deren Periode ein-, zwei-,
dreistündig ist. Diese arbeitet der ursprünglichen entgegen, stört und
beseitigt ihre Wirkung, ohne sie bis zum Höhepunkte oder auch nur
bis zur Hälfte ihrer Wirksamkeit gelangen zu lassen. Infolge solchen
Widerspiels wird die Erscheinung der Gezeiten ganz aufgehoben oder
doch wesentlich verdunkelt. Ich sehe ab von den beständigen Luft-
strömiuigen, welche die Wasseroberfläche beunruhigen und uns- ein
sehr geringes Steigen oder Fallen um einen halben Zoll oder einen
noch geringeren Betrag nicht mit Sicherheit ermittehi lassen, wie ein
solches vielleicht wirklich in Meerbusen und Wasserbecken stattfindet,
die höchstens eine Länge von ein bis zwei Grad haben.
Ich gehe zweitens dazu über, das Bedenken zu beseitigen, wieso
Grun(i,weswegeueinerseits das primäre Princip dem Wasser nur von 12 zu 12 Stun-
meist von secLsden eiucu Austofs zur Bewegamg giebt, einmal durch ein Maximum
(len^stattfindet. uud einmal durch ein Minimum der Geschwindigkeit, andererseits aber
die Periode der Gezeiten gewöhnlich eine sechsstündige ist.- Dazu ist
zu bemerken, dafs sothanes Ergebnis unmöglich von der primären Ur-
sache allein abhängen kami, vielmehr sind hierbei die sekundären Wir-
kungen, also die gröfsere oder geringere Länge der Gefäfse und die
gröfsere oder geringere Tiefe des darin befindlichen Wassers, mit zu
berücksichtigen. Haben diese Ursachen auch nicht den mindesten
Eiuflufs auf das Zustandekommen der Wasserbewegung, welche einzig
und allein der primären Ursache ihr Dasein verdankt, so sind sie
[469. 470.] Vierter Tag. '453
(loch von allerwesentlichstem Einflufs auf die Periodicität der Erscliei-
iiiing, von so bedeutendem Einflufs, dafs die Wirkung der primären
Ursache dagegen zurücktritt. l)ie sechsstündige Periode ist somit an
und für sich keine natürliche Eigentümlichkeit des Vorgangs, wenig-
stens nicht in höherem Mafse als eine Periode von anderer Dauer,
sondern wahrscheinlich nur die am häufigsten beobachtete, weil sie in
imserem mittelländischen Meere herrschend ist und dieses allein wäh-
rend langer Zeiträume befahren wurde. Dabei beobachtet man diese
Periode nicht einmal in allen seinen Teilen, insofern an manchen ein-
geengteren Stellen, wie am Hellespont imd im ägäischen Meere die
Zeitintervalle viel kürzer und von einander sehr verschieden sind. Diese
Verschiedenheiten und ihre dem Aristoteles unbegreiflichen Ursachen
sollen nach einigen diesen, nachdem er lange von gewissen Klippen
Negropontes aus Beobachtimgen angestellt hatte, veranlafst haben, sich
aus Verzweiflung ins Meer zu stürzen und freiwillig den Tod in den
Wellen zu suchen. ^^)
Drittens ist für uns sehr leicht zu erklären, warum manches Meer,
wie z. B. das rote, obgleich von bedeutender Länge, dennoch .fast ganzGrund.weswegen
der Ebbe und Flut entbehrt. Es rührt dies daher, dafs seine Längen- trotz ihrer be-
erstreckung nicht von Ost nach West gerichtet ist, sondern von Süd- keine Gezeiteu
ost nach Nordwest. Die Bewegungen der Erde aber gehen von West
nach Ost; der Anstofs, den die Gewässer empfangen, trifft somit stets
auf die Meridiane, nicht aber geht er von Parallelkreis zu Parallelkreis.
Es haben also die Meere, die sich der Länge nach gegen die Pole hin
erstrecken, die in anderer Richtung hingegen schmal sind, keine Ver-
anlassimg Ebbe und Flut zu zeigen, es sei demi mittelbar durch die
Verbiudimg mit einem anderen Meere, das den Gezeiten in bedeuten-
dem Mafse unterworfen ist.
Wir Averden viertens sehr leicht die Gründe begreifen, weswegen
die Gezeiten, soweit es sich um ein Steigen imd Fallen des Wassers warum die Ge-
handelt, am stärksten an den äufsersten Enden der Meerbusen auf- sten an den
• ^ - 1 m •! • Enden der Mcer-
treten, am schwächsten hmgegen m den mittleren Teilen, wie uns die tuson, am
„- 111 TT- -IT T Tii 1 T • • 1 schwächsten in
tägliche Eriahrung lehrt. Hier m Venedig, am Ende des adriatischen den mittleren.
cj/ Teilen auftreten
Meeres beträgt der Unterschied im W^asserstande gewöhnlich fünf bis
sechs Fufs, hingegen an den von den Enden Aveit entfernten Orten des
mittelländischen Meeres, wie bei den Inseln Korsika und Sardinien
und an den Küsten in der Gegend von Rom oder Livorno beträgt die
Differenz nicht mehr als einen halben Fufs. Ebenso Averdeu wir um-
gekehrt begreifen, warum dort, wo das Steigen und Fallen geringfügig
ist, das Hin- und Widerströmen eine bedeutende Stärke erreicht. Es
ist leicht, sage ich, ilie Ursache dieser Verhältnisse einzusehen, Aveil
454* Dialog über die Weltsysteme. [470. 471.]
wir eine deutliche Bestätigung in jedwedem künstliehen Gefafse vor-
finden, wo dieselben Erscheinungen sich von selbst einstellen, sobald
wir es ungleichförmig d. h. bald schneller, bald langsamer bewegen.
Wenn wir ferner fünftens erwägen, dafs ein und dieselbe Wasser-
warum in Meer-menge, welche sich nur langsam durch ein geräumiges Bett hinbewegt,
mun^gen 'rascher beim Passiereu eines engen Kanals notwendig eine bedeutende de-
inen stellen/ schwiudigkeit erlangen mufs, so wird es uns nicht schwer fallen die
Ursache der starken Strömimgen zu begreifen, welche in dem engen
Kanäle zwischen Kalabrien und Sizilien stattfinden. Denn sämtliches
von dieser grofsen Insel und vom Ionischen Meerbusen im östlichen
Teile des Meeres zurückgehaltene Wasser fliefst in letzterem seiner
Geräumigkeit wegen allerdings nur- langsam hinab, in der schmalen
Meerenge aber zwischen Scylla und Charybdis hat es starke Strömung
lind grofse Geschwindigkeit, sodafs es . eine mächtige Erregung ver-
ursacht. Ähnlich, nur noch grofsartiger, hat man sich die Vorgänge
zwischen Afrika und der grofsen Insel San Lorenzo zu denken, welche
die Gewässer zweier mächtigen Meere, des indischen und äthiopischen
trennt, sodafs diese bei ihren Strömungen sich in einen engeren Kanal
zwischen die Insel und die äthiopische Küste zwängen müssen. Am
gewaltigsten aber müssen die Strömungen in der Magelhaensstrafse
sein, welche die beiden ungeheueren Ozeane, den äthiopischen und die
Südsee verbindet. ^^)
An sechster Stelle nun ist es erforderlich, um Rechenschaft von
Es wird von einigen hierher gehörigen versteckteren und auffallenderen Thatsachen
generen^E^gen- geben zu köuncu, dafs wir eine weitere wichtige Überlegung betreffs
gehandeit^die der beiden Hauptursachen der Gezeiten anstellen, indem wir ihr gleich-
und Ehit be- zeitiges Wirken, ihre Zusammensetzung ins Auge fassen. Die vor-
obachten lassen , , i-piii.n -i ' ^ •• c/ i ^
uehmste und einfachste derselben ist, wie des öfteren gesagt worden,
die bestimmte Beschleunigung und Verzögerung der Teile der Erde,
vermöge deren das Wasser in der bestimmten Periode von 24 Stun-
den einmal nach Osten zu strömen und wieder nach Westen zurück-
zukehren hätte. Die andere Ursache hängt zusamnjen mit dem eigenen
Gewichte des Wassers, welches, einmal durch die primäre Ursache in
Bewegung gesetzt, in wiederholten Schwankungen ins Gleichgewicht
.zurückstrebt. Diese letzteren sind nicht auf eine festgesetzte, ein für
alle Mal bestimmte Zeitdauer beschränkt, sondern haben ebenso ver-
schiedene Dauer, wie die Längen und Tiefen der Behälter und Meer-
busen verschieden sind. Infolge dieses zweiten Princips würde das
Hin- und Herströmen manchmal eine Stunde, manchmal zwei, vier,
sechs, acht, zehn u. s. w. Stunden beanspruchen. Wenn Avir nun dazu
schreiten, die ursprüngliche Ursache^ deren Periode eine ständige Dauer
[471. 472.] Vierter Tag. 455
von 12 Stunden hat, mit einer sekundären zu kombinieren, deren Periode
z. B. von fünf zu fiüif Stunden geht, so werden zu gewissen Zeiten die
primäre und die sekundäre Ursache ihren Impuls übereinstimmend
beide in gleicher Richtung erteilen: bei derartiger Vereinigung, bei
solch eiimiütigem Streben möchte ich sagen, werden die Fluten be-
deutende Beträge erreichen; wenn zu anderen Zeiten hingegen der
primäre Impuls teilweise dem von der sekundären Periode bedingten
entgegenwirkt und bei diesem Widerstreit das eine Princip die Wir-
kung des anderen aufhebt, so werden die Bewegungen des Wassers
schwächer sein, das Meer wird sehr ruhig, fast unbewegt bleiben. Wieder
in anderen Fällen, wenn die beiden Principien weder ganz im Gegen-
satze stehen, noch ganz übereinstimmend wirken, werden abermals Ände-
rungen im Wachsen und Abnehmen der Gezeiten eintreten. Auch kann
es geschehen, dafs zwei sehr grofse, durch einen engen Kanal in Ver-
bindung stehende Meere in der verbindenden Meerenge aufeinander-
treffen, während infolge der vereinigten Wirkung beider Principien
das eine gleichzeitig zur Hochflut, das andere zur Ebbe Veranlassung
hat. In solchen Fällen finden in dem engen Verbindungskanal un-
gewöhnlich stürmische, einander .entgegengesetzte Bewegungen statt,
höchst gefährliche Wirbel und Strudel, über welche denn auch that-
sächlich fortwährend Berichte und Erfahrungen vorliegen. Dergleichen
zwiespältige Bewegungen, die nicht nur durch die verschiedene Lage
und Länge der in Verbindung stehenden Meere, sondern auch wesent-
lich durch ihre verschiedenen Tiefen entstehen, werden zu gewissen
Zeiten mancherlei unregelmäfsige, schwer zu beschreibende Erregungen
der Gewässer veranlassen. Die Erklärung derselben hat von jeher den
Seeleuten viel Kopfzerbrechens verursacht und thut es noch immer,
wenn sie ihnen begegnen und merken, dafs unmöglich Windeskraft
oder andere bedeutende Luftstörung die Ursache sein kann. Solche
Luftstörungen spielen in anderen Fällen eine wichtige Rolle, sodafs
wir diese • als dritte Nebenursache zu betrachten haben; sie sind
imstande den Charakter der Erscheinungen, welche von den wesent-
licheren sekundären Ursachen herrühren, vielfach zu verwischen. Un-
zweifelhaft vermögen beständig andauernde, heftige Winde, die etAva
von Osten wehen, die Wassermasse zurückzustauen und sie am Rück-
flusse zu verhindern; kommt dami zu bestimmten Stunden die zweite
und dritte neue Flutwelle hinzu, so wird sie zu grofser Höhe an-
sehwellen: und so bleibt sie, von. dem Druck des Windes ein p^r
Tage über getragen, in auffallender Höhe stehen und bewirkt unge-
wöhnliche Überschwemmimgen.
Wir müssen nun noch — mid dies ist der siebente Punkt —
456 Dialog über die Weltsysteme. [472. 473.]
. unsere Aufmerksamkeit auf eine weitere Bewegmigsursaelie richten.
Sie beruht auf dem grofsen Wasserreichtum der Flüsse, die in nicht
Weswegen in ggj^j, ausgedehnte Meere münden. In diesem Falle sieht man in den
manclien engen ~
Meeresstrafsen ^^ solcheu Meercu Zusammenhängenden Meeresstrafsen das Wasser
das' Meer immer '-'
in derselben g^g|.g jj^ derselben Richtung strömen, wie im Thracischen Bosporus bei
Bichlimg strömt. O 7 ±
KonstantinojDel, wo die Strömung stets vom schwarzen Meere nach der
Propontis gerichtet ist. In dem schwarzen Meere nämlich sind seiner
Kürze wegen die Hauptursachen der Gezeiten wenig wirksam, da sich
aber gewaltige Flüsse hinein ergiefsen, so mufs ein solcher Wasserzu-
flufs durch die Meerenge passieren und abfliefsen, woselbst dann die
Strömung sehr merklich mrd und stets nach Süden gerichtet ist. Des
weiteren ist hier zu beachten, dafs besagte schmale Meeresstrafse trotz
ihrer Enge nicht den Störungen unterworfen ist wie die Strafse zwi-
schen Scylla und Charybdis ; denn im Norden von ihr hegt das schwarze
Meer, südlich davon die Propontis und das ägäische Meer, sowie, ob-
Avohl erst in ansehnUcher Entfernimg, das mittelländische Meer. Aber
noch so lange Meere unterliegen ja, wie wir bemerkt haben, den
Gezeiten . nicht, sobald sie sich von Nord nach Süd erstrecken. Die
sizilische Meerenge hingegen liegt, zwischen Teilen, des Mittelmeeres,
welche auf grofse Entfernungen hin sich von West nach Ost, also in
Richtimg der Gezeitenströmung erstrecken, daher ist in ihr die Er-
regung der Gewässer sehr stark. Noch gröfser würde sie zwischen
den Säulen des Herkules sein, wenn die Strafse von Gibraltar eine
geringere Breite hätte; am allergröfsten aber ist sie nach den vor-
liegenden Berichten in der Magelhaensstrafse.
Soviel hätte ich Euch vorläufig über die Ursachen jener ersten täg-
lichen Periode von Ebbe und Flut und über die verschiedenen damit zu-
sammenhängenden Nebenumstände mitzuteilen. Sollten dazu irgend-
welche Bemerkungen zu machen sein, so mag es geschehen, damit wir
nachher über die beiden anderen Perioden, die monatliche und jähr-
liche sprechen können.
Simpl. Es läfst sich, glaube ich, nicht in Abrede stellen, dafs
die von Euch angestellte Erwägimg sehr überzeugend zu Werke geht,
wenn mau, wie wir sagen, ex suppositione argumentiert, d. h. unter der
Voraussetzung, dafs die Erde wirkHch mit den beiden ihr von Koper-
nikus beigelegten Bewegungen behaftet sei. Schliefst man aber sothane
Bewegimgen aus, so ist alles eitel und hinfällig; die Notwendigkeit
Einwand gegen aber besagte Hypothese auszuschliefsen wird gerade durch Euere Er-
zniiebe ange- wägiiug nahe gelegt. Unter der Voraussetzung der beiden Erdbe-
these der Erd- wegungen gebt Ihr Rechenschaft von Ebbe und Flut; und umgekehrt
im Zirkelschlufs schöpft Ihr aus Ebbe und Flut einen Beleg, ^ine
[473. 474.] Vierter Tag. 457
Bestätigung dieser selbigen Bewegungen. Um näher auf die Sache
einzugehen, so sagt Ihr, das Wasser sei seiner flüssigen Natur halber ■
imd weil es nicht fest mit der Erde verbunden ist, nicht gezwungen
auf jede Bewegung derselben genau einzugehen-, und daraus leitet Ihr
die Gezeiten ab. Ich trete in Euere Fufstapfen und argumentiere
dem gegenüber folgendermafsen. Die Luft ist sehr viel dünner und
flüssiger als das Wasser und steht in noch loserem Zusammenhang
mit der Erdoberfläche; denn das Wasser haftet viel fester an der
Erde schon um seiner Schwere willen und wegen des daraus folgen-
den Drucks, welcher den der leichten Luft bei weitem übertriff't; es
dürfte also die Luft noch weit weniger den Bewegungen der Erde
Folge geben. Wenn sich mithin die Erde in dieser Weise bewegte,
so müfsten wir Bewohner der Erde, die wir mit gleicher Schnelligkeit
wie diese selbst dahinfliegen, beständig einen uns mit unerträglicher
Heftigkeit entgegen wehenden Ostwind verspüren. Dafs dem wirklich
so sein niüfste, lehrt uns die tägliche Erfahrung; denn wenn bei schar-
fem Ritte in ruhiger Luft, wo die Geschwindigkeit blofs acht oder
zehn Miglien in der Stunde beträgt, schon der Widerstand der Luft
sich im Gesicht als starker Wind fühlbar macht, was für Empfin-
dungen soll da erst unser rascher Flug von 800 oder 1000 Miglien
in der Stunde entgegen der an dieser Bewegung unbeteiligten Luft
erwecken? Trotzdem -merken wir von einem solchen Vorgange nicht
das geringste.
Salv. Auf diesen scheinbar sehr treifenden Einwand erwidere ich,
dafs allerdings die Luft dünner imd leichter ist und infolge dessen Erwiderung auf
^. , ^ den Einwand
der Erde weniger anhaftet als das Wasser; aber falsch ist der Schlufs.gegen die Eota-
. . . . . . • . . tion des Erd-
.den Ihr aus diesen Prämissen zieht, dals diese ihre Leichtigkeit, Dünne baiis.
sie in höherem Grade als das Wasser von der Teilnahme an den Erd-
bewegungen entbinden müsse und dafs dieses Widerstreben mis, die
wir voll und ganz die Bewegungen mitmachen, deutlich fühlbar wer-
den sollte. Das gerade Gegenteil findet vielmehr statt; denn, wenn
Ihr Euch recht erinnert, liegt die von uns bezeichnete Ursache darin,
dafs das Wasser auf die Ungleichmäfsigkeiten bei der Bewegimg seines
Behälters nicht eingeht, vielmehr eine' vorher erreichte Geschwindig-
keit beibehält und sie nicht genau in dem Betrage vergröfsert oder
verkleinert, wie es sein Behälter thut. Da also der Widerstand S^^gii ^^^'^^^^y^^^,^^^^
eine Vermehrimg oder Verminderung der Geschwindigkeit in dem Be-®i"n,"ieb^'J"izu"
wahren, in dem Beibehalten des anfänglich erlangten Antriebes besteht, ^"•'»"^"^^'''^ ^^"^
so wird der Stofi', der am geeignetsten ist, die Geschwindigkeit beizu-
behalten, auch am geeignetsten sein, die daraus sich ergebenden Folgen
zu zeigen. Wie sehr mm das Wasser geneigt ist, die einmal vor-
458 Dialog über die Weltsysteme. [474. 475.]
handene Erregung beizubelialteu, wenn auch die erregende Ursache zu
wirken aufhört^ beweist uns das Beispiel des von heftigen Winden
tief aufgewühlten Meeres: seine Wogen gehen noch lange hoch, wenn
auch die Luft ruhig geworden ist, der Wind sich gelegt hat, wie es
bei dem heiligen Sänger so schön heifst: „Gleichwie der Wogenschwall
Korper von ge-des ägiüschen Mcercs u. s. w." Ein solches Verharren in einer ein-
wichte sind mal Vorhandenen Erregung rührt aber von der Schwere des Wassers
wegen als her: dcun, wie schon früher bemerkt worden ist, sind Körper von
schwere, aber • r^ • ^ i-ii-ii
weniger geeignetgeringerem Gewichte zwar leichter m Bewegung zu setzen als schwere,
die erlangte Be-ö ^. . , ., . ... • • •• ^ "D . •
wegimg beizu- abcr SIC Sind weit weniger imstande, eine eingeprägte Bewegung bei-
zubehalten, wenn die bewegende Ursache zu wirken aufhört. Darum
wird allerdings die Luft, da sie an und für sich so dünn und leicht
ist, von einer noch so kleinen Kraft ohne jede Schwierigkeit bewegt,
hingegen ist sie auch völlig unfähig nach Beseitigung der bewegen-
den Ursache die Bewegung fortzusetzen. Was also die den Erdball
Es ist eher ge- umgebende Atmosphäre betrifft, so wird sie, meine ich, ebenso gut
Atmosphäre' vonwie das Wasscr durch ihr' Haften an der Erde in Kreisbewegung ver-
der rauhen Erd-
oberaäche als sctzt, namentlich der Teil, welcher in Gefäfse eingeschlossen ist, d. h.
gung des Hirn- übcr Ebcueu sich befindet, die von Bergen umgeben sind. Von diesem
den zu lassen. Teile köuneii wir jedenfalls mit gröfserem Rechte behaupten, dafs er
durch die Erhabenheiten der Erdoberfläche fortgerissen werde, als dafs
der obere Teil von der Bewegung des Himmels fortgerissen werde,
wie Ihr Peripatetiker behauptet.
Was ich bisher gesagt habe, begegnet, wie mir scheint, dem Ein-
wände von Signore Simplicio in völlig ausreichender Weise; gleich-
wohl will ich durch weiteren Gegengrund, durch weitere Erwiderung,
Bestätigung derdic sich auf ciuc merkwürdige Erfahrungsthatsache gründet, ihn über das
durch ein neues, Mafs dcs Notwendigen hinaus zufrieden stellen und für Signore Sagredo
ten der Atmo- die Beweglichkeit des Erdballs noch durch ein ferneres Argument be-
sphäre beruhen- . ta i • i i im-ii
des Argument, stätigcu. Ich habe gesagt, die Atmosphäre, insbesondere der Teil, der
nicht über die höchsten Berggipfel hinausreicht, werde durch die Un-
ebenheit der Erdoberfläche in Rotation versetzt. Daraus scheint sich
nun die Folgerung zu ergeben, dafs, wenn die Erde nicht uneben wäre,
sondern glatt und poliert, keine Veranlassung vorläge, warum die Luft
in Mitleidenschaft gezogen werden und namentlich in so genauer Über-
einstimmung mit der Bewegung der Erde stehen sollte. Nun ist aber
die Oberfläche unseres Erdballs nicht durchweg rauh und uneben, son-
dern es sind grofse sehr glatte Flächen auf ihr vorhanden, nämlich
ausgedehnte Meeresoberflächen, die noch obendrein von den sie um-
rahmenden Gebirgskämmen sehr weit entfernt sind ufid also, wie
es scheint, nicht wohl die darüber lagernde Luft mit sich zu führen
I
[475. 476.] Vierter Tag. 459
vermögeu; ist dem aber so, so müfste man auch an solchen Stellen
die Folgen davon verspüren.
Simpl. Eben diesen Einwand wollte auch ich zur Sprache bringen;
er scheint mir im höchsten Grade treffend.
Salv. Sehr richtig bemerkt; und so kommt es denn, Signore
Simplicio, dafs Ihr, weil von den Folgen nichts zu merken ist, die sich
im Falle einer kreisförmigen Erdbewegung einstellen müfsten, auf die
Unbeweglichkeit der Erde schliefst. Wemi aber diese Euch notwendig
scheinende Folge nun in der That zu verspüren wäre, würdet Ihr das
als ein Anzeichen oder einen triftigen Beweisgrmid für die Beweg-
lichkeit selbigen Erdballs betrachten?
Simpl. In diesem Falle dürft Ihr Euch nicht an mich allein
wenden; denn sollte dem so sein, so könnte die Ursache immerhin
einem anderen bekannt sein, wenngleich sie mir verborgen ist.
Salv. .Danach hat man mit Euch niemals Gewinn-, sondern stets
nur Verlustchancen, und es wäre besser gar nicht zu sj)ielen; doch
um den dritten Mann nicht im Stiche zu lassen, will ich fortfahren.
Wir sagten soeben und ich wiederhole mit einigen Zusätzen, dafs die
Luft als dünner, flüssiger, nicht fest mit der Erde verbundener Stoff
nur insofern der Bewegung der Erde zu folgen genötigt ist, als die
Unebenheiten der Erdoberfläche sie mitreifsen, und dafs letztere nur
den nächst benachbarten Teil der Atmosphäre fortführen, der nicht
sehr weit die höchsten Bergeshöhen überragt. Dieser Teil wird deroer der Erde be-
• . . . . nachbarte,
Erdrotation um so weniger Widerstand leisten, als er reichlich Dämpfe dunstige Teu der
° ^ .... . Atmosphäre
Rauch, Dünste enthält, alles Stoffe, die mit irdischen Qualitäten be- nimmt an ihren
. . . . Bewegungen
haftet sind und sich daher von Hause aus für selbige Bewegungen teil.
eignen. Wo aber die Bewegungsursachen fehlen, die Erdoberfläche
also grofse ebene Strecken aufweist und die Beimischung irdischer
Dünste geringer ist, dort kommt« der Grund teilweise in Fortfall, um
dessentwillen die umgebende Luft sich der Geschwindigkeit der Erd-
umdrehung vollständig auschliefseu sollte; an solchen Stellen müfste
man also, wemi die Erde sich nach Osten dreht, beständig einen von
Ost nach West uns entgegen wehenden Wind verspüren; dieses Wehen
würde da am merklichsten sein, wo die Drehung der Erde am rasche-
sten von statten geht, also an Stellen, die möglichst entfernt von den
•Polen und nahe dem gröfsten Kreise der täglichen Rotation liegen.
Nun bestätigt aber die Erfahrung de facto in hohem Mafse dieses
theoretische Ergebnis; denn auf ausgedehnten Meeren, weit vom Lande,
in der heifsen Zone, d. h. zwischen den AVendekreisen, wo auch die
Erdausdünstungen fehlen, fühlt man fortwährend von Osten her einen
Luftzug.'"^) Er ist so beständig, dafs ihm zufolge die Schiffe mit
460 Dialog über die Weltsysteme. [476. 477.]
In den Tropen günstigem Fahrwiiid nacli Westindien gelangen; ebenso ist es diesem
ein Wind nach Umstände zu verdanken, dafs sie von dem melsikanischen Gestade ans
nnter so günstigen Verhältnissen nacli dem für uns östlich, für sie
selber aber westlich gelegenen Indien über den stillen Ozean fahren
Fahrt nach west-können. Umgekehrt hingegen ist die Fahrt von dort nach Osten
Rückkehr ' schwicrig und unsicher, und kann keinesfalls auf demselben Wege
unternommen werden; man mufs vielmehr sich der Küste näher halten,
um andere, gewissermafsen zufällige, unregelmäfsige Winde aufzusuchen,
welche sonstigen Ursachen ihren Ursprung verdanken. Winde, wie wir
Binnenländer sie aus beständiger Erfahrung kennen und zu deren Ent-
stehung viele verschiedene Ursachen beitragen, die gegenwärtig aufzu-
zählen zwecklos sein würde. Diese zufalligen Winde sind diejenigen,
Landwinde ver- welche allenthalben vom Lande her unterschiedslos wehen und welche
Störungen, die vom Aquator ferne gelegenen, sowie die von unebener Erdober-
fläche umgebenen Meere heimsuchen: mit anderen Worten solche Meere,
die Störungen ausgesetzt sind, Avelche die ursprüngliche Luftströmung
verwischen; ohne jene zufälligen Hindernisse würde die Strömung stets,
namentlich auf dem Meere fühlbar sein. So seht Ihr denn, wie die
Erscheinungen auf dein Meere und in der Luft wunderbar mit denen
am Himmel übereinstimmen und die Beweglichkeit des Erdballs be-
stätigen.
Sagr. Auch ich möchte noch, zur Krönung des Gebäudes, auf
einen Umstand hinweisen, der Euch unbekannt ist, wie es scheint, und
der . gleichfalls die nämliche Schlufsfolgerung bestätigt. Ihr, Signore
Salviati, habt jene Verhältnisse zur Sprache gebracht, welche die See-
leute in den Tropen vorfinden, nämlich das unausgesetzte, bestandige
Wehen eines Ostwindes, worüber ich Berichte von Männern hab.e, die
diese Reise wiederholt gemacht haben. Auch weifs ich, was recht be-
merkenswert ist, dafs die vSeeleute diesen Luftzug gar nicht als einen
AVind bezeichnen, sie haben vielmehr eine andere Benennung dafür, die
mir augenblicklich nicht einfällt und die wahrscheinlich von seiner
festen, beständigen Richtung hergenommen ist. Dies geht soweit, dafs
wenn man ihn erst einmal vorgefunden hat, man Haupt- und Neben-
taue der Segel festbindet und ohne sich ferner darum zu bekümmern
sogar schlafend seine Reise sicher fortsetzen kann. Nun ist aber dieser
1>eständige Luftzug nur infolge seines gleichmäfsigen unimterbro ebenen
Wehens als solcher erkannt worden; kämen hie und da andere Winde
dazwischen, so würde man darin nicht eine besondere, wohl charakte-
risierte Naturerscheinung erblickt haben. Daraus glaube ich schliefsen
zu dürfen, dafs ähnliche Verhältnisse auf miserem Mittelländischen
herrschen, sie entziehen sich nur der Beobachtung wegen häufiger Stö-
[477. 478.] Vierter Tag. 461
nmgen durcli andere hinzukommende Winde. Ich sage dies nicht ohne
triftige Gründe, vielmehr sprechen gar manche Umstände dafür; so
vermute ich wenigstens auf Urmid der Erfahrungen, die ich auf meiner
syrischen Reise sammelte, wie ich nach Aleppo als Konsul meiner Vater-
stadt ging. Die Sache ist nämlich die: da man specielle Verzeichnisse Die Reisen auf
und Tagehücher über die Abfahrts- und Landungszeiteu der Schiffe in denin^ät-westiicher
Häfen Alexandria, Alexandrette und hier in Venedig führt, so haberaa'che"?oifstat-
ich aus Neugierde diese in grofser Zahl verglichen und gefunden, dafs ^Westen naJh"
durchschnittlich die Rückfahrten hierheK, also die Fahrt von Ost nach
West über das mittelländische Meer, um 25 Prozent schneller von
statten geht als die Reise in umgekehrter Richtung, woraus ersichtlich
ist, dafs alles in allem die Ostwinde die Westwinde überwiegen. ^^)
Salv. Es ist mir lieb von diesem Umstände erfahren zu haben,
der nicht unwesentlich dazu beiträgt, die Erdbewegung zu bestätigen.
Und wiewohl man auch sagen könnte, dafs die gesamte Wassermasse
des mittelländischen Meeres beständig nach der Strafse von Gibraltar
hinströmt, da hier das Wasser so vieler einmündenden Flüsse in den
Ozean abgeführt werden mufs, so halte ich doch die dadurch ver-
ursachte Strömung nicht für hinreichend, um so merkliche Unterschiede
in der Dauer der Fahrt zu bewirken. Dies geht auch aus den Be-
obachtungen an der Meerenge von Messina hervor, wo das Wasser
ebenso stark nach Osten zurück- wie nach Westen hinströmt.
Sagr. Ich, der ich nicht wie Signore Simplicio Anlafs habe an-
deren, sondern nur mir selbst Genüge zu thun, bin bezüglich dieses
ersten Teiles durch das Gesagte zufrieden gestellt. Weim es Euch
also genehm ist, Signore Salviati, fortzufahren, so l)in ich bereit Euch
anzuhören.
Salv. Ich werde thun, wie Ihr mich heifst. Ich möchte doch
aber auch die An.sicht von Signore Simplicio höreji, aus dessen Urteil
ich entnehmen kann, welches Schicksal meiner Untersuch vmgen seitens
der peripatetischen Schulen harrt, wenn. sie je zu deren Kenntnis ge-
langen sollten.
Simpl. Ich möchte nicht, dafs Euch meine Meinung mafsgebend
für die Kritik sein soll, die Ihr von anderer Seite zu erwarten habt.
Demi ich bin, wie ich des öfteren Ijcmerkt, auf diesem Wissensgebiete
der Geringsten einer-, manches dürfte anderen, die in die tiefsten Tiefen
der Philosophie eingedrungen sind, beifallen, Avoran ich nicht denke,
der ich gewissermafsen nur bis zur Schwelle des Allerheiligsten ge-
langt bin. Als eine kühne Ansicht jedoch mufs ich Euch sagen, dafs
die von Euch erwähnten Naturerscheinungen auch ohne die Hypothese
der Erdbewesuno-, blofs unter Voraussetzuno- der Himmelsumdrehunij
462 • Dialog über die Weltsysteme. • [478. 479.]
sehr wokl genügende Erklärimg finden können; es bedarf dazu keiner
sonstigen Annahme als nur der umgekehrten von der, die Ihr selbst
ins Feld führt. Es ist in der peripatetiseken Schule die herrschende
Ansicht, dafs das Element des Feuers, sowie ein grofser Teil der
Atmosphäre vermöge der täglichen Rotation in ost-westlicher Richtung
gedreht wird, weil diese Teile sich mit der Höhlung der Mondsphäre,
Durch umkeh- als dcm sic enthaltenden Gefäfse, berühren. ^-') Ohne also aus Euerem
raentation -wird Geleise mich zu entfernen, nehme ich an, es möge die an dieser Be-
die beständige weguug beteiligte Luft bis zu den Spitzen der höchsten Berge hinab-
liuft von Ost reichen, ja auch bis zur Erde selbst, insoweit jene Berge nicht ein
der Bewegung Hindernis bilden. Ganz analog nämlich, wie Ihr behauptet, die von
rührt. Gebirgen eingeschlossenen Luftmengen würden durch die Unebenheiten
der bewegten Erde in Drehung versetzt, so sagen wir umgekehrt, die
ganze Atmosphäre werde in die kreisförmige Bewegmig des Himmels
mit hinein gezogen, ausgenommen derjenige Teil, der am Fufse der
Berge gelegen, durch die Unebenheiten der unbewegten Erde zurück-
gehalten wird. So gut Ihr sagt, dafs mit dem Aufhören der Uneben-
heiten auch das Mitreifsen der Luft aufhört, ebenso gut kömien wir
sagen, dafs, weim solche Unebenheiten fehlen, die gesamte Atmosphäre
bis zur Erdoberfläche hin ihre Bewegung fortsetzt. Da nun aber die
Oberfläche ausgedehnter Meere glatt und eben ist, so macht sich noch
bis zum Meeresspiegel herab eine von Osten wehende Luftströmung
fühlbar. Dies tritt am stärksten hervor in den Gegenden unter dem
Äquator und innerhalb der Wendekreise, da dort die Bewegung des
Himmels am schnellsten ist. Ist nun sothane Himmelsbewegung
imstande die gesamte freie Luft mit sich zu führen, so ist man auch zu
Die Bewegung ^^^r Ausicht berechtigt, dafs sie dem beweglichen Wasser eben diese
dingTduTch dieBöwegung mitzuteilen vermag, weil es flüssig und an die starre Un-
"^Himm'eil *^^^ bcweglichkeit der Erde nicht gebunden ist. Wir können das um so
zuversichtlicher behaupten, als nach Euerem eigenen Zugeständnisse
jene Bewegung sehr geringfügig im Vergleich zu der sie hervorrufenden
Ursache sein mufs; denn während diese in einem natürlichen Tage den
gesamten Erdball und somit in einer Stunde viele Hunderte von Mig-
lien zurücklegt, zumal in der Nähe des Äquators, beträgt die Strömungs-
geschwindigkeit auf offenem Meere nur ganz wenige Miglien in der
Stunde. Daher werden denn die Fahrten nach Westen bequein und
angenehm von statten gehen, nicht nur vermöge des beständigen öst-
Ebbe und ji'iut liehen Luf'tzv^ges, sondern -auch infolge der Wasserströmung. Eben
durfh^di^äg^ aus dieser Strömung mag dann vielleicht auch Ebbe und Flut sich
ciMHimm'^ia^he"r*?erklären lassen, wenn man gleichzeitig die verschiedenen Lagen der
vorgerufen. Mecrcsküsten in Rechnmig zieht. ^') Sobald nämlich das Wasser an
[479. 480.] Vierter Tag. * 463
diese anschlägt, kehrt es vielleicht in entgegengesetzter Bewegung
wieder um, wie die Erfahrung uns etwas derartiges bei dem Strömen
der Flüsse zeigt: wemi- in diesen- das- Wasser gegen einen vorspringenden
Teil des zerrissenen Ufers stöfst oder in eine kesseiförmige Vertiefung
des Grundes gerät, so prallt es ab und strJnnt deutlich eine Strecke
rückwärts. Aus diesen Gründen, scheint mir, lassen sich eben die Er-
scheinungen, aus welchen ?trr «lie Beweglichkeit der Erde folgert und
die Ihr durch eben diese Beweglichkeit erklärt, auch mit hinreichender
Strenge unter der alten Annahme begründen, dafs die Erde feststehe
und der Himmel sich bewege.
Salv. Man kami nicht in Abrede stellen, dafs Euere Ausführungen
scharfsinnig sind und etwas Plausibeles haben, jedoch nur dem An-
scheine nach, nicht in Wirklichkeit und Wahrheit. Es sind zwei Punkte
zu imterscheiden: erstens gebt Ihr Rechenschaft von der beständigen
aus Osten wehenden Luft- und einer ähnlichen Wasserbewegung, zwei-
tens wollt Ihr aus eben derselben Quelle die Erklärung der Gezeiten
schöpfen. Der erste Teil hat, wie gesagt, einen Schein von Glaub-
würdigkeit, wiewohl lange nicht in dem Grade, wie unsere Erklärung
mittels der Erdbewegmig; der zweite hingegen ist nicht nur unwahr-
scheinlich, sondern durchaus verfehlt und falsch. Wenn Ihr nämlich,
um zunächst den ersten Punkt zu besprechen, sagt, dafs die Höhlung
der Mondsphäre das Element des Feuers und die gesamte Atmosphäre
bis zu den Spitzen der höchsten Berge mit sich reifse, so entgegne
ich erstlich: ob das Element des Feuers dort vorhanden ist, läfst sich
bezweifeln-, ^*^) gesetzt aber, es sei dies der Fall, . so ist doch betreffs
der Mond Sphäre wie aller anderen Sphären noch zweifelhaft, ob es sich
um ungeheuere feste Körper handelt oder ob sich nicht vielmehr jeu-
seit der Luftregion ein Raum erstreckt, welcher stetig* erfüllt ist mit
einer die Luft an Dümie und Reinheit weit übertreffenden Substanz
durch welchen hin die Planeten ihre Bahnen beschreiben. Diese
letztere Ansicht bricht si.ch immer mehr Bahn, sogar bei einem grofsen
Teile der Philosophen. Doch dem sei so oder so, es liegt kein Grund Es ist unwahr-
1 T-i 1 1 T 1 1 p Ti 1 • • scheinlich, dafs
vor, warum das h euer durch die blofse Berührung mit einer nachdas Element des
. T 1 -rii 1 • • n^■ -■ • I"'euer8 durch die
Euerer Ansicht vollständig glatten 1^ lache m semer ganzen liefe in Höhlung der
m • 1 IT p 1 T-w 1 Mondsphiire
eine seinem natürlichen Triebe völlig fremde Drehung versetzt w^erden fortgerissen
sollte: wie im „Goldwäger" ^■') ausführlich dargelegt und mittels sinn-
licher Versuche bewiesen worden ist. Das Unwahrscheinliche dieser
Annahme wird noch vermehrt dadurch, dafs genaimte Bewegung sich
von dem aufserordentlich feinen Feuer zu der sehr viel dichteren Luft
und von dieser gar bis ■ zum Wasser fortpflanzen soll. Dafs hingegen
ein Körper von unebener und gebirgiger Oberfläche bei seiner Drehung
464 ' Dialog über die Weltsysteme. [480. 481.]
die benachbarte Luft mit in Bewegung setzt, in welche seine .Vor-
sprünge und Spitzen hineinragen, ist nicht nur sehr glaublich, sondern
notwendig; man kann es übrigens auch durch -den Versuch erhärten,
wiewohl schwerlich irgend jemandes Vernunft darein Zweifel setzen
wird. Was den anderen Teil Euerer Ausführungen betrifft, so würde,
gesetzt auch, die 'Bewegung des Himmels reifse wirklich die Luft und
sogar das Wasser mit sich, dieser Vorgang gleichwohl mit Ebbe und
Ebbe und Flut Flut uichts ZU schaffeu haben. Denn da eine einzige gleichmäfsig
^1^e' Bewegung 'wirkende Ursache auch nur eine einzige gleichmäfsige Wirkung hervor-
hervSge^ifen bringen kann, so müfste die am Wasser wahrzunehmende Erscheinung
werden. ^[^y.]j^ bestehcii, dafs es beständig gleichmäfsig von Ost nach West
strömt und zwar nur in einem solchen Meere, das die ganze Erde um-
giebt mid in sich selbst zurückläuft. In einem begrenzten Meere hin-
gegen, wie in dem nach Osten abgeschlossenen Mittelmeere, würde eine
derartige Bewegung nicht stattfinden können; denn wäre der Himmels-
lauf imstande seine Wassermassen nach Westen fortzutreiben, so
müfste es seit unvordenklicher Zeit trocken gelegt sein. Ferner läuft
ja in unseren Meeren das Wasser nicht ausschliefslich nach Westen,
sondern es kehrt in regelmäfsigen Zwischenräumen nach Osten zurück.
Und wenngleich Ihr mit dem Beispiel der Flüsse beweisen wollt, dals
trotz des ursprünglich nach Westen gerichteten Laufs die verschiedene
Gestaltung der Ufer einen Teil des Wassers nach rückwärts strudeln
kann, so gebe ich das zu; nur mttfst Ihr beachten, lieber Signore Sim-
plicio, dafs an Stellen, wo das Wasser aus solcher Ursache rückwärts
fliefst, es stets rückwärts fliefst, und wo es geradeaus strömt, es in
gleicher Weise stets geradeaus strömt. Das ist es, was das Beispiel
der Flüsse uns lehrt. In dem Falle von Ebbe und Flut hingegen
handelt es sich darum, eine Ursache zu entdecken und vorzuführen,
durch welche an ein und derselben Stelle ein abwechselndes Hin- und
Herströmen bewirkt wird. Diese entgegengesetzten, ungleichförmigen
Erscheinmigen werdet Ihr nimmermehr aus einer einförmigen, unver-
änderlichen Ursache ableiten. Dieses Argument widerlegt nicht nur
aufs schlagendste die Lehre von einer Übertragung der Himmels-
bewegung auf das Wasser, sondern auch die Ansicht, wonach blofs
eine tägliche Bewegung der Erde existiert und Ebbe und Flut als
deren Folgen hingestellt werden. ^*^) Da es sich um eine ungleichför-
mige Wirkung handelt, mufs unweigerlich auch die Ursache ungleich-
f(')rmig und veränderlich sein.
Simpl, Ich weifs darauf nichts zu entgegnen, weder eine eigene
Ansicht — dazu reichen meine Gaben nicht aus — noch eine fremde,
denn die aufgestellte Ansicht ist zu neu. • Doch möchte ich glauben.
[481. 482.] Vierter Tag. 465
dafs wenn sie erst in die Scliulen gedrungen ist, es nicht an Philo-
sophen fehlen wird, die sie zu bekämpfen wissen.
Sagr. Wir Avollen also diesen Zeitpunkt abwarten und inzwischen,
wenn es Signore Salviati recht ist, weiter gehen.
Salv. Alles bisher Vorgetragene bezieht sich auf die tägliche
Periode der Gezeiten. Es wurde zunächst im allgemeinen ihre primäre,
umfassende Ursache nachgewiesen, ohne welche die Erscheinung über-
haupt nicht zustande käme; indem wir dann zu den mannigfachen
gewissermafsen regellosen Einzelheiten übergingen, die dabei zu Tage
treten, wurden die sekundären, begleitenden Ursachen abgehandelt,
durch welche jene bedingt werden. Es folgen nun die beiden anderen
Perioden, die monatliche und jährliche; durch sie erwachsen nicht neue,
von den bisher betrachteten abweichende Eigentümlichkeiten, sie be-
wirken nur eine Verstärkung oder Abschwächung der Erscheinungen
zu verschiedenen Zeiten des Mondmonats und des Sonnenjahres: schein-
bar als ob auch Sonne und Mond bei der Hervorbringung und Er-
zeugung derselben eine Rolle spielten, eine Annahme, gegen die meine
Vernunft sich aufs äufserste sträubt. Wemi ich sehe, wie die Be-
wegung der Meere eine rein örtliche, sinnlich greifbare Erscheinung
innerhalb einer ungeheueren Wassermasse ist, kann ich mich nicht
entschliefsen, an den Einflufs des Lichtes, an temperierte Wärme, an
das Wirken verborgener Qualitäten^*) imd an ähnliche nichtige Phan-
tastereien zu glauben. Eher als dafs solche Dinge die Ursache des
Fliefsens der Meeres wasser sind, dürften umgekehrt Flüsse und Blut-
wallungen jene hervorbringen, nämlich sie in das Gehirn von Leuten
treiben, die lieber prunkhafte Worte im Munde führen, als das ge-
heimste Wirken der Natur durchdenken und erforschen. Leute dieses
Schlags, statt jenes weise, offene und bescheidene Wort „Ich weifs es
nicht" auszusprechen, lassen ihren Lippen und ihrer Feder lieber die
ärgsten Ungeheuerlichkeiten entschlüpfen. Man beachte blofs, dafs der-
selbige Mond und dieselbige Sonne weder mit ihrem Lichte noch mit
ihrer Bewegung, weder mit intensiver noch mit temperierter Wärme
auf kleinere Wasserbecken irgendwelchen Einflufs üben; man über-
zeuge sich, dafs man das Wasser nahezu kochen mufs, um es zum
Steigen zu bringen; kurz man berücksichtige, dafs wir auf keine
Weise künstlich die Bewegimg der Gezeiten nachahmen köimen aufser
durch die Bewegung des Gefäfses: kann man sich da nicht mit voller
Gewifsheit sagen, dafs alle anderen angeblichen Ursachen dieser Er-
scheinungen eitele Phantasieen sind und weit ab vom Ziele treffen ?.^^|j;f«^\^^8^.
Lizwischen sage ich: Avemi wirklich einer Wirkmig nur eine i^i'sprüng- «^^.J^^^^^^^^^'J^/
liehe Ursache entspricht, weim wirklich zwischen Ursache und Wir-'" «Iöh rrs:»chen
Gamlei, WoUsystoine. 30
466 t)ialog über die Weltsysteme. [482. 483.]
kuüg eine feste, beständige Verknüpfung bestellt, so niufs aucli jeder
festen, beständigen Abänderung in der Wirkung, die man wahrnimmt,
eine feste, beständige Abänderung auf Seiten der Ursache entspreelien.
Da nun die Modifikationen, unter welchen Ebbe und Flut zu verschie-
denen Zeiten eines Jahres und eines Monats auftreten, feste beständige
Perioden besitzen, so mufs in denselben Zeitintervallen notwendig eine
mäfsige Abänderung an der ursprünglichen Ursache von Ebbe und Flut
Ausführliche Er-stattfinden. Weiter ist die Änderung, welche sich in genannten Fristen
"sach^^dtrmo'-'an den Gezeiten zeigt, nur eine quantitative, d. h. das Steigen und
jähruchen p^*^ Fallcu ist bald bedeutender, bald geringer, die Strömung bald stärker,
"°unrFiJt^^*loald schwächer. Die ursprüngliche Ursache von Ebbe und Flut mufs
also innerhalb jener bestimmten Fristen bald eine gröfsere, bald eine
geringere Stärke besitzen. Nun haben wir aber bereits bewiesen, die
Ungleichförmigkeit oder die verschiedene Geschwindigkeit bei der Be-
wegung der Wasserbecken sei die erste Ursache von Ebbe und Flut;
dementsprechend mufs daher von Zeit zu Zeit jene Ungleichförmigkeit
innerhalb weiterer Grenzen sich geltend machen, mit anderen Worten
sie mufs bald gröfser, bald kleiner sein. Erinnern wir uns nun, dafs
die Ungleichförmigkeit oder die veränderliche Geschwindigkeit der Ge-
fäfse, d. h. der verschiedenen Teile der Erdoberfläche, daraus hervor-
geht, dafs dieselben eine zusammengesetzte Bewegung besitzen, welche
aus der Paarung der dem ganzen Erdball eigentümlichen täglichen mit
der jährlichen Bewegung entspringt; erimiern wir uns ferner, dafs die
Wirkung der täglichen Rotation die der jährlichen bald verstärkt, bald
abschwächt, dafs sie auf diese Weise die Ungleichförmigkeit der zu-
sammengesetzten Bewegung zustande bringt und dafs in diesem ab-
wechselnden Zusammen- und Entgegenwirken die ursprüngliche Ursache
der ungleichförmigen Bewegung der Gefäfse, also auch die Ursache von
Die monatliche El'^^^ uud Flut, bcstcht. Fände also der Wechsel zwischen Verstär-
Abänderung^der^^u^o ^^^^^^ Abschwächimg der jährlichen Rotation seitens der täglichen
nur^heTrühren immer iu glcichcm Verhältnis zu ersterer statt, so würde allerdings
mng^rdem'^Be-^ßständiger Anlafs zum Spiel von Ebbe und Flut vorhanden sein, doch
Stärkung Md würde dieses Spiel fortwährend in gleicher Weise sich wiederholen.
we^che'dle''jäii^-Uns liegt jcdoch die Aufgabe ob, eine Ursache zu suchen dafür, dafs
""?enrder°utg""Et>be imd Flut zu verschiedenen Zeiten verschiedene Gröfse besitzen,
liehen erfährt. ^oHen wir also an der Identität der Ursache festhalten, so haben wir
nach einem Umstände zu forschen, welcher jene Verstärkungen und
Abschwächungen derart beeinflufst, dafs die davon abhängigen Erschei-
nungen bald mehr, bald weniger intensiv auftreten. Aber eine solche
gröfsere oder geringere Wirksamkeit kami, soweit ich sehe, nur durch
die Annahme erklärt werden, dafs der Betrag der Verstärkimg oder
[483. 484.] Vierter Tag. 467
Abschwäcbimg selbst bald gröfser, bald kleiner ist, dafs also die Be-
scbleunigung und die Verzögerung der zusammengesetzten Bewegung
Inild in einem stärkeren, bald in einem scbwäcberen Mafse stattfindet.
Sagr. Ich fühle mich von sanfter Hand weiter geführt; aber wie-
wohl ich auf dem Wege nicht strauchele, so weifs ich doch nicht,
einem Blinden gleich, wohin ich unter Euerer Führung gelange, und
habe keine Ahnung, welchem Ziele die Fahrt zusteuert.
Salv. Mag auch das Mifsverhältnis zwischen meiner langsamen
Art der Entwicklung und Euerem raschen Verständnis grofs sein, so
wundere ich mich doch nicht, dafs Euer Scharfsinn in dem vorliegenden
besonderen Falle den dichten, finsteren Nebelschleier noch nicht zu
durchdringen vermag, der das Ziel der Reise einstweilen verbirgt. Ich
bin nicht erstaunt, denn ich erinnere mich, wieviel Stimden, Tage, ja
Nächte ich mit dieser Untersuchung verbracht habe. Wieviele Male habe
ich nicht in heller Verzweiflung darüber, dafs ich nicht zum Ziele kommen
konnte, mich nach Art des unglückseligen Roland zu trösten gesucht,
es möchte vielleicht nicht wahr sein, was doch das Zeugnis so vieler
glaubwürdiger Menschen mir vor Augen führte. ^^) Wundert Euch
also nicht, wenn Ihr diesmal. Euerer Gewohnheit zuwider, nicht das
Ziel im voraus erblickt; thut Ihr es aber dennoch, so glaube ich, der
Ausgang, meines Bedünkens ein sehr unvermuteter Ausgang, wird Euch
das Staunen benehmen.
Sagr. So danke ich denn Gott, dafs durch seiae Fügung die
Verzweiflung Euch nicht in dasselbe Schicksal getrieben, das der
Sage nach über den armen Roland kam, noch auch in dasjenige, wel-
chem Aristoteles nach ebenso unverbürgter Sage verfiel; denn auf diese
Weise gehen ich und die Welt einer ebenso verborgenen als erwünsch-
ten Entdeckung nicht verlustig. Ich bitte Euch also, stillt so bald
als möglich meinen gierigen Hunger.
Salv. Ihr seht mich bereit, Eueren Wimsch zu erfüllen. Wir
waren auf das Problem gekommen, wieso die Verstärkung und Ab-
schwächung der jährlichen Bewegung durch die tägliche Rotation bald
in gröfserem, bald in geringerem Verhältnisse erfolgt. Demi diese
Verschiedenheit und diese allein konnte die monatlichen imd jährlichen
Änderungen erklären, welche erfahrimgsgemäfs die Höhe der Gezeiten
erleidet. Ich ziehe nunmehr in Betracht, dafs dieses Verhältnis der Ver- Ras Verhältnis
der Verstärkung
stärkuno- mid Abschwächung der iähiiichen Kreisbewesfung seitens der uud Abschwä-
. .... . . chung der jähr-
täglichen Rotation auf dreierlei Weise bald gröfser, bald kleiner seiniiciien Bewegung
kann. Einmal kann die Geschwindigkeit der jährlichen Bewegung Hchen Eotation
wachsen oder sich vermindern, während die Verstärkung und Ab- weise Ände-
schwächung vermöge der täglichen Rotation ein und denselben Be-
30*
468 Dialog über die Weltsysteme. [484. 485.]
trag beibeliält. Die jährliche Bewegung ist nämlicli aucli an dem
Äquator dreimal so grofs oder so rasch als die tägliche -^j; wenn wir
jene also noch weiter vergröfsern, so werden die Verstärkungen oder
Abschwächungen seitens der täglichen Rotation eine verhältnismäfsig
geringere Änderung hervorrufen; macht man erstere aber umgekehrt
langsamer^ so wird sie verhältnismäfsig stärker beeinflufst. Denn fügt
man zu einer Geschwindigkeit im Betrage von 20 Grad eine Ge-
schwindigkeit von 4 Grad hinzu oder zieht eine eben solche ab^ so
ändert das nicht soviel an der Bahn des sich bewegenden Körpers
als ein Mehr oder Weniger von 4 Grad Geschwindigkeit bei einer Ge-
schwindigkeit von 10 Grad. Die zweite Art besteht darin, dafs man
die Verstärkung imd Abschwächung selbst gröfser oder kleiner macht,
während man der jährKchen Bewegung stets die gleiche Geschwindig-
keit beläfst. Dies ist sehr leicht zu verstehen, denn es ist klar, dafs
eine Geschwindigkeit von z. B. 20 Grad eine stärkere Änderung durch
ein Plus oder Minus von 10 Grad Geschwindigkeit als durch ein
solches von 4 Grad erfährt. Die dritte Art und Weise endlich ist die,
dafs jene beiden sich vereinigen, die jährliche Bewegung also sich ver-
langsamt, während die tägliche Verstärkung und Abschwächmig sich
vermehrt. Bis hierher zu gelangen, ist, wie Ihr seht, nicht schwierig;
wohl aber hat es mir viel Mühe gekostet ausfindig zu machen, wie
Die Natur yer- jjgg yQjj (jgj. Natur bewerkstelligt wird. Schliefslich iedoch habe ich
mag mit gröfster <-' _ ...
Leichtigkeit (jie wunderbare, beinahe unfafsbare Weise entdeckt, in der sie dabei
Dinge auszu- ' '
führen deren verfährt: wuudcrbar und unfafsbar, sage ich, für uns, nicht aber für
Verständnis für ' _ . .
uns höchst gjg jjg auch Dinge, welche unseren Geist mit höchstem Staunen er-
schwierig ist. ; o 7
füllen, mit gröfster Leichtigkeit und Einfachheit zustande bringt: was
zu verstehen uns so schwer fällt, ist ihr ein Leichtes auszuführen.
Ich fahre nun fort: nachdem ich gezeigt habe, wie das Verhältnis
zwischen der Verstärkimg und Abschwächung der Rotationsbewegung
zu der jährlichen Bewegimg zwiefach gröfser und kleiner werden kann
— ich sage zwiefach, denn die dritte Weise ergiebt sich durch vereinigte
Wirkung der beiden anderen — füge ich nun hinzu, dafs die Natur
Wenn die jähr- sich beider Mittel bedient; ich bemerke des weiteren, dafs bei Ver-
^^ slchTicht Wendung von nur einem notwendig eine der beiden periodischen
dL monauiche Änderungen in Wegfall käme. Die monatliche Periode würde
hören; wenn dieauf hören, wcmi die jährliche Bewegung sich nicht änderte; hätte
guSJ^sich ni^ht hingegen die Verstärkung und Abschwächung seitens der täglichen
die jährUche Rotatiou beständig gleichen Betrag, so würde die jährliche Periode
Periode auf- n ■, -,
hören. fehlen.
Sagr. Der monatliche Wechsel von Ebbe und Flut soll also
durch Änderungen in der jährlichen Bewegung der Erde bedingt sein.
[485. 486.] Vierter Tag. 469
und die jälirliche Periode der Ebbe und Flut sieb von der Verstär-
kung imd AbscbwHcbung der täglicbeu Rotation berscbreiben? Jetzt
bin ich in gröfserer Verwirrung als je zuvor und babe ganz die Hoff-
nung aufgegeben, ein Geflecbte zu begreifen, das mir verwickelter
scheint als der gordische Eaioten. Ich beneide Euch, Signore Simplicio,
denn aus Euerem Schweigen entnehme ich, dafs Ihr die ganze Sache
versteht und frei seid von der Verwirrung, die meinen Geist so arg
verstrickt.
Simpl. Ich glaube es gerne, dafs Ihr verwirrt seid, Signore Sagredo,
wie ich auch die Ursache dieser Verwirrung zu kennen glaube. Sie
rührt meines Bedünkens daher, dafs Ihr den bisherigen Vortrag Sig-
nore Salviatis teilweise versteht und teilweise nicht. Es ist auch
richtig, dafs ich diese Verwirrung nicht teile, aber nicht darum, weil
ich, wie Ihr meint, das ganze verstünde, nein, im Gegenteil, weil ich
nichts davon begreife. Die Verworrenheit setzt eben eine Vielheit von
Dingen voraus, nicht aber ein Nichts.
Sagr. Seht doch, Signore Salviati, wie Signore Simplicio durch
ein paar Zügelhilfen während der vergangenen Tage zahm geworden
ist, wie sich der imgestüme Renner in einen frommen Pafsgänger ver-
wandelt hat. Doch befreit uns, bitte, ohne weiteren Verzug beide aus
unserer Pein.
Salv. Ich will meine ungelenke Ausdrucksweise so viel wie mög-
lich geschmeidig zu machen suchen; die Schärfe Eueres Denkens wird
die Härte meiner Sprache hoffentlich siegreich überwinden. Zwei ver-
schiedene Thatsachen sind es, deren Gründe wir zu erforschen haben,
die eine ist die monatliche, die andere die jährliche Periode von Ebbe
und Flut. Wir wollen zuerst von der monatlichen Periode sprechen,
dann erst von der jährlichen handeln. Das ganze Problem müssen
wir lösen auf Grund der bereits festgelegten Fundamentalhypothesen,
ohne irgend welche neue Annahme in die Astronomie einzuführen,
ohne den Bau des Weltalls irgendwie um der Ebbe und Flut willen
abzuändern; wir haben nachzuweisen, dafs die von mis als unzweifel-
haft richtig vorausgesetzten Thatsachen völlig ausreichen, um sämtliche
Details der Erscheinungen zu erklären. So sage ich demi: es ist wahr.zweifoiios rich-
° , ^ . tig ist die An-
naturgemäfs, ja notwendig, dafs ein und derselbe bewegliche Körper,nahme, dafs um-
welcher durch ein imd dieselbe bewegende Kraft in Kreisbewegung ueinerou Krei-
. „seil rascher or-
versetzt wird, längere Zeit für seme Bahn auf einem grofsen als auf folgen ais in
, , , , . . gröfsereu; dies
einem kleinen Kreise gebraucht. Diese Wahrheit wird allseitig an-wird durch zwei
11 11 • -1 -11 1*1 Beispiele erläu-
erkannt mid durch die Erfahrung durchweg bestätigt; ich will ethche tert.
Beispiele anführen. An den Räderuhreii , insbesondere den grofsen. Erstes Beispiel.
bringen die Mechaniker zur Regulierung des Ganges einen horizontal
470 Dialog über die Weltsysteme. [486. 487.]
sich drehenden Schenkel an und befestigen an seinen Enden zwei
Bleigewichte. Geht nun die Uhr nach, so nähern sie nur besagte
Bleigewichte etwas der Mtte des Schenkels und bewirken so, dafs
seine Schwingungen rascher erfolgen. Um im Gegenteile den Gang
zu verlangsamen, genügt es sothane Gewichte mehr gegen die Enden
hinzuschieben, weil hierdurch die Schwingungen minder häufig werden
imd folglich die Zeitintervalle sich vergröfsern.
Hier ist die bewegende Kraft dieselbe, nämlich das treibende Ge-
wicht, es handelt sich um dieselben bewegten Körper, die Bleigewichte;
ihre Schwingungen aber sind zahlreicher, wenn sie sich dem Centrum
Zweites Beispieinäher befinden, also kleinere Kreise beschreiben. — Man hänge gleiche
Gewichte an imgleichen Fäden auf, entferne sie aus der lotrechten
Lage und überlasse sie sich selbst; wir werden sehen, dafs die am
kürzeren Faden aufgehängten ihre Schwingungen in kürzerer Zeit voll-
enden, da sie sich in kleineren Kreisen bewegen. Noch mehr: man
befestige ein solches Gewicht an einem Faden, der über einen in die
Zimmerdecke geschlagenen Haken geschlungen ist; nehmt Ihr das
andere Fadenende in die Hand und gebt dem hängenden Gewichte einen
Anstofs. Während es nun seine Schwingungen ausführt, zieht an dem
Ende, das Ihr in der Hand haltet, sodafs das Gewicht in die Höhe
geht; sobald es steigt, werdet Ihr bemerken, wie fortwähi-end die
Häufigkeit der Schwingimgen zunimmt, weil sie in beständig kleineren
Kreisen erfolgen. Hier möchte ich nun Euere Aufmerksamkeit auf zwei
beachtenswerte Umstände lenken.^*) Einmal gehen die Schwingungen
zweibemerkens-eines solchcu Peudels mit solcher Notwendigkeit in der und der be-
Ichlftfn^der stimmten Zeit vor sich, dafs es ganz und gar unmöglich ist diese Zeit
^Soh^n^^n!2.i\ beemflussen, es sei denn durch Verlängermig oder Verkürzung des
Fadens. Davon könnt Ihr Euch jetzt gleich durch den Versuch über-
zeugen, indem Ihr einen Stein an eine Schnur bindet, das andere Ende
in die Hand nehmt und durch alle möglichen Kunstgriffe versucht, ob
Ihr sie in einem anderen Zeitintervall hin- und herschwingen lassen
könnt, als in dem einen bestimmten, nur dürft Ihr die Schnur nicht
länger oder kürzer machen; Ihr werdet sehen, dafs es ganz mid gar
vmmöglich ist. Der andere wahrhaft wunderbare Umstand ist der,
dafs ein und dasselbe Pendel seine Schwingungen gleich oft ausführt
oder ganz wenig, fast unmerklich verschieden häufig, mag es nun längs
sehr grofser oder längs ganz kleiner Bogen derselben Peripherie
schwingen. Ich meine so: ob wir das Pendel aus der lotrechten Lage
blofs einen, zwei, drei Grad oder ob wir es 70, 80 Grad, ja um einen
vollen Viertelkreis daraus entfernen, im einen wie im anderen Falle
wird es, sich selbst überlassen, seine Schwingungen mit gleicher Hau-
[487. 488.] Vierter Tag. 471
figkeit vollfüliren, sowohl die 8chwingnugen erster Art, wo Bogen von
4 bis 6 Grad zurückzulegen sind als die »Schwingungen zweiter Art,
wo es sich um Bogen von 160 Grad und mehr handelt. Dies tritt
noch deutlicher hervor, wenn man zwei gleiche Gewichte an gleich-
langen Fäden befestigt, das eine sodann ein wenig, das andere sehr
weit aus der lotrechten Lage entfernt; dieselben werden, sich selbst
überlassen, in gleichen Zeiten hin- und herschwingen, jenes auf sehr
kleinem Bogen, dieses auf sehr grofsem. Daraus ergiebt sich die
Lösung des folgenden herrlichen Problems. Es sei ein Viertelkreis
gegeben — ich will eine Skizze hier auf die Erde zeichnen — etwa Merkwürdige
der Viertelkreis AB, dessen Ebene vertikal gestellt sei und die Hori- treffend Körper,
zontalebene im Punkte B berühren möge; man stelle sodann einen viertetoeTsTs*
Bogen aus einer auf der konkaven Seite gut abgeschliifenen undbiger sehnen des
polierten Platte her, indem man diese entsprechend der Peripherie ^'*'*7^en""^*
ADB biegt, sodafs eine vollkommen runde,
wohl geglättete Kugel auf der inneren Seite
ganz frei rollen kann — das Gehäuse eines
Siebes eignet sich z. B. zu diesem Versuche —
dann behaupte ich, man mag die Kugel an
jede beliebige Stelle setzen, nahe oder entfernt
von dem untersten Ende B, man mag sie nach
C oder hier nach D oder E bringen, sich selbst
überlassen wird sie stets in der nämlichen Zeit oder doch in unmerk-
lich verschiedenen Zeiten an dem Ende B anlangen, ob sie nun von
C oder von D oder von E oder von irgend welcher anderen Stelle
ausgeht. In der That eine ganz wunderbare Eigenschaft. Dazu nehmt
eine andere, nicht minder schöne: auch längs aller Sehnen, die vom
Punkte B aus nach den Punkten C, D, E oder nach sonst einem
Punkte gehen, der irgendwo auf dem Viertelkreise AB oder sogar
auf dem vollen Kreise liegt, wird der Körper in genau gleichen Zeiten
hinabfallen. Er wird also in derselben Zeit längs des ganzen senli-
rechten Durchmessers nach dem Punkte B gelangen, Avie längs der
Sehne, die zu dem Bogen von einem Grade oder einem noch kleineren
gehört. Fügt dazu die weitere erstaunliche Thatsache, dafs die Be-
wegung der fallenden Körper längs der Bogen des Viertelkreises AB
in kürzerer Zeit erfolgt, als längs der entsprechenden Sehnen. Die
schnellste, in kürzester Zeit stattfindende Bewegung eines Körpers vom
Punkte A nach dem Endpunlvte B wird also nicht die auf der geraden
Linie AB, sondern die auf der Peripherie ADB erfolgende sein, ob-
gleich jene die kürzeste Verbindung zwischen A und B ist. Nimmt
man noch einen beliebigen Pimkt auf demselben Bogen an, etwa den
472 Dialog über die Weltsysteme. [488. 489.J
Pmikt D, imd zieht zwei Selinen AD, DB, so wird der Körper vom
Punkte A ausgehend in kürzerer Zeit nach B gelangen, wenn er längs
der beiden Sehnen AD, DB sich bewegt als längs der einen Sehne
AB-^ die kürzeste Fallzeit aber beansprucht er längs des Bogens ADB.
Dieselben Eigenschaften gelten auch von allen kleineren Bogen, die
von dem unteren Endpunkte B aufwärts führen.
Sagr. Nicht weiter, nicht weiter! Ihr erdrückt mich mit so
vielen Wundern, Ihr reifst meinen Geist nach so vielen verschiedenen
Richtungen, dafs ich kaum Freiheit und Sammlung übrig habe, um
mich der Hauptsache, die uns beschäftigt, zuwenden zu können; ist
sie doch schon ohnehin dunkel und schwierig genug. Ich bitte Euch
daher, dafs Ihr mir die Gunst erweisen mögt, nach Beendigung der
Untersuchung über Ebbe und Flut mein und Euer Haus noch weiter-
hin zu beehren und über die vielen anderen Probleme zu sprechen,
die wir in der Schwebe gelassen haben. Voraussichtlich sind sie nicht
weniger schön und interessant, als was wir die letzten Tage über ver-
handelt haben und heute zum Abschlufs führen wollen.
Salv. Ich stehe Euch gerne zu Diensten. Wir werden indessen
schwerlich in einer oder zwei Sitzungen aufser den anderweitigen, be-
sonderer Behandlung vorbehaltenen Fragen auch die vielen Probleme
erledigen können, die mit der Ortsbewegung der natürlich bewegten
sowie der geschleuderten Körper zusammenhängen, einer Materie, die
unser Freund von der Aceademia dei Lincei ausführlich behandelt hat.
Um indessen auf unseren früheren Gegenstand zurückzukommen, so
waren wir bei der Erklärung stehen geblieben, dafs bei Körpern, die
von einer unveränderlichen bewegenden Kraft im Kreise herumgeführt
werden, die Umlaufszeiten fest und bestimmt sind und unmöglich ein-
mal länger und ein andermal kürzer sein können. Wir hatten als
Beispiele dafür sinnliche, von uns ausführbare Versuche angegeben;
die nämliche Wahrheit können wir mm aber auch durch die Be-
wegungen der Planeten am Himmel bestätigen, wo sich dieselbe Regel
bewährt, dafs sie nämlich um so längere Zeit zur Vollendung ihrer
Bahn gebrauchen, in je gröfseren Kreisen sie sich bewegen. Die
schlagendste Beobachtung dieser Art läfst sich an den mediceischen
Gestirnen vornehmen, da diese zu ihren Umläufen um Jupiter nur
kurze Zeit beanspruchen. So ist es denn nicht zu bezweifeln, viel-
mehr als völlig sicher und ausgemacht zu betrachten, dafs, wenn bei-
spielshalber der Mond fortführe derselben bewegenden Kraft zu ge-
horchen, jedoch allmählich in kleinere Kreise niedergezogen würde, er
das Bestreben zeigen müfste seine Umlaufszeit abzukürzen, gerade wie
es bei dem Pendel der Fall war, als wir den Aufhängefaden im Laufe
[489. 490.] Vierter Tag. 473
seiner Schwingungen verkürzten, sodafs der Radius seiner Bahn kleiner
wurde. Vernehmt nun, dafs dasjenige, was ich beispielsweise vom
Monde angeführt habe, thatsächlich eintrifft und sich bewährt. ^^) Er-
innern wir uns, dafs wir schon früher mit Kopemikus zu dem Schlüsse Jahniciie Erd-
gelangt sind, man könne unmöglich den Mond von der Erde trennen, welch^er KkUptik uu-
1 I 1 • 1 n • TiT 1 • • gleichförmig in-
letztere innerhalb eines Monats unstreitig von jenem umkreist wird. folge der Bewe-
Erinnern wir uns gleicherweise, dafs der Erdball in steter Begleitung
des Mondes in einem Jahre den. orbis magmis um die Sonne beschreibt,
währenddes der Mond 13mal um die Erde läuft. Daraus folgt, dafs
der Mond der Sonne bisweilen näher ist, nämlich wenn er zwischen
Sonne und Erde steht, bisweilen aber sich sehr viel weiter von der
Sonne entfernt, wenn die Erde nämlich sich zwischen Sonne und
Mond befindet. Mit anderen Worten: er ist der Sonne nahe zur Zeit
der Konjunktion oder des Neumondes; er ist von ihr entfernt während
der Opposition oder des Vollmondes-, die gröfste und kleinste Entfer-
nung unterscheiden sich dabei um den Durchmesser der Mondsphäre.
Wenn nun wirklich die Kraft, die Erde und Mond um die Sonne
treibt, stets in gleicher Stärke auftritt und wenn wirklich ein imd
derselbe Körper, von ein und derselben Kraft bewegt, aber in ver-
schiedenen Kreisen, gleiche Bogen des kleineren Kreises in kürzerer
Zeit zurücklegt, so kommt man notwendig zu dem Schlüsse: sobald
der Mond eine geringere Entfernung von der Sonne besitzt, wie dies
zur Zeit der Konjunktion der Fall ist, so mufs er gröfsere Bogen des
orbis magnus zurücklegen, als wenn er sich in gröfserer Entferiiimg
befindet, was zur Zeit der Opposition oder des Vollmondes eintrifft.
Diese Unregelmäfsigkeit in der Bewegung des Mondes mufs nun auch
von der Erde geteilt werden. Denken wir uns nämlich eine gerade
Linie vom Centrum der Sonne nach dem der Erde gezogen und selbige
bis zur Mondsphäre verlängert, so wird dieses der Halbmesser des
orbis magnus sein, in welchem die Erde, wenn sie allein wäre, sich
gleichförmig bewegen würde-, bringen wir aber auf demselben Radius
einen weiteren Körper an, der mit umgeführt werden soll, imd ver-
setzen ihn bald zwischen Erde und Sonne, bald jenseits der Erde in
gröfsere Entfernung von der Sonne, so mufs in diesem zweiten Falle
notwendig die gemeinsame Bewegung beider Körper längs des orbis
magnus infolge der gröfseren Entfernung des Mondes beträchtlich lang-
samer erfolgen als im umgekehrten Falle, wo der Mond zwischen Erde
und Sonne, also in geringerer Entfernung von dieser sich befindet.
Demnach trifft im vorliegenden Falle genau dasselbe zu, was bei der
Regulierung der Uhr eintrat: der Mond ist mit dem BleigeAvicht zu
vergleichen, welches man bald mehr, bald Aveniger weit vom Mittel-
474 Dialog ül)er die Weltsj'steme. [490. 491.]
punkte befestigt, um die Schwingungsdauer des Schenkels zu verlang-
samen, beziehungsweise zu beschleunigen. Daraus läfst sich die Ge-
wifsheit entnehmen, dafs die jährliche Bewegung der Erde im orbis
magnus unterhalb der Ekliptik nicht gleichförmig ist, dafs diese Un-
gleichförmigkeit vom Einflufs des Mondes herrührt imd demnach einer
monatlichen Wiederkehr, einer monatlichen Periode unterworfen ist.
Nun ist bereits bewiesen, dafs die periodischen Änderimgen der Ge-
zeiten, monatliche sowohl wie jährHche, sich nur durch ein veränder-
tes Verhältnis der jährlichen Bewegung zu den von der täglichen Rota-
tion herrührenden Verstärkungen und Abschwächungen erklären lassen,
dafs ferner eine solche Änderung in doppelter Weise möglich sei, ent-
weder durch Änderung der jährlichen Bewegung bei unverändei-tem
Betrag der Verstärkungen, oder durch Änderung in der Gröfse dieser
Verstärkungen unter Aufrechterhaltimg der gleichförmigen jährlichen
Bewegung. Wir sind nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dafs die
erste dieser beiden Weisen, welche in der Ungleichförmigkeit der jähr-
lichen Bewegung besteht, durch den Mond veranlafst wird und eine
monatliche Periode besitzt. Mithin müssen aus diesem Grunde die
Gezeiten eine monathche Periode besitzen, innerhalb deren sie gröfse-
ren oder geringeren Betrag aufweisen. Ihr seht also, wie die Ursache
der monatlichen Periode ihren Sitz in der jährlichen Bewegung hat
und seht gleichzeitig, wie der Mond mit dieser Sache zusammenhängt,
wie er allerdings dabei eine gewisse Rolle spielt und doch mit dem
Meere und dem Wasser nichts zu thun hat.
Sagr. Wenn man einem Menschen, der noch nie eine Treppe
sah, einen Turm zeigte und ihn fragte, ob er sich zutraue auf dessen
höchste Spitze hinaufzugelangen, so würde er, glaube ich, unbedingt
mit Nein antworten, er würde sich nicht denken können, dafs man das
Ziel anders als im Fluge zu erreichen vermöchte. Zeigt man ihm
aber einen Stein, der nicht höher ist als eine halbe Elle und fragt ihn,
ob er wohl auf diesen steigen könne, so vsdrd er das gewifs bejahen,
auch zugeben, dafs man mit Leichtigkeit nicht nur einmal, sondern
zehn-, zwanzig-, hundertmal hinaufsteigen könne. Wenn man ihm
also eine Treppe zeigte, auf welcher man nach seinem eigenen Zuge-
ständnisse bequem die Höhe zu erreichen vermag, die ihm zuvor un-
ersteiglich erschienen war, so würde er über sich selber lachen und seine
Unbedachtsamkeit zugestehen. Ihr, Signore Salviati, habt mich von
Stufe zu Stufe so sanft geleitet, dafs ich zu meiner Verwimderung
ohne jede Mühe auf der Höhe angekommen bin, die mir vorher im-
erreichbar schien. Freilich war die Treppe dunkel imd ich wufste
nicht eher, dafs ich mich der Spitze näherte und auf ihr angelangt
[491. 492.] Vierter Tag. 475
war, als bis ich hinaustrat in die Himmelshelle und die Aussicht weit-
hin zu meinen Füfsen über Land und Meer genofs. Wie das Er-
steigen einer Stufe keine Mühe ist, so sind mir Euere Behauptungen
Schritt für Schritt so klar vorgekommen, es trat von Fall zu Fall so
wenig, fast nichts Neues hinzu, dafs mir der Fortschritt klein oder
ganz verschwindend schien. Um so höher steigt meine Verwunde-
rung über den unvermuteten Ausgang dieser Untersuchung, die mir
das Verständnis für einen scheinbar unerklärlichen Umstand eröffnet
hat. Nur ein Bedenken bleibt mir noch, über das ich hinweg ge-
bracht werden möchte. Wenn die Bewegung der Erde samt der des
Mondes im Tierkreis unregelmäfsig ist, so hätte diese Unregelmäfsig-
keit von den Astronomen beobachtet und hervorgehoben werden müssen,
was meines Wissens nicht geschehen ist. Ihr, der Ihr in diesen Dingen
besser bewandert seid als ich, werdet mir dieses Bedenken heben
können und sagen, wie es damit steht.
Salv. Euer Bedenken ist sehr berechtigt. Ich erwidere darauf
folgendes: obgleich die Astronomie im Verlaufe langer Jahrhimderte ^^"siicherweise
, . sind noch viele
grofse Fortschritte in der Erforschung der Lage und der Bewegungen astronomische
ö ... O o Thatsachen un-
der Himmelskörper gemacht hat, ist sie doch bis jetzt nicht so weit i^ekannt.
gelangt, dafs nicht aufserordentlich viele Fragen noch unentschieden,
viele andere Thatsachen noch gänzHch verborgen geblieben wären.
Man darf amiehmen, dafs die ersten Beobachter des Himmels von
nichts anderem wufsten, als von der gemeinsamen täglichen Bewegung
aller Gestirne. Binnen weniger Tage dürften sie sodann bemerkt haben,
dafs der Mond eine wechselnde Stellung zu anderen Sternen annimmt;
doch werden wahrscheinlich viele Jahre darüber hingegangen sein, bevor
sie alle Planeten ausfindig gemacht hatten. Insbesondere glaube ich,
dafs Saturn seines langsamen Fortrückens halber und Merkur wegen satum wegen
" _ _ _ ~ seines langsamen
seiner seltenen Sichtbarkeit die letzten waren, die man als Wandel-^°''""'=ken8 und
' Merkur wegen
oder Irrsterne erkannte. Noch weit längere Zeit mufste darüber ver- ^'^l^" seiteneu
^ Sichtbarkeit
strichen sein, bevor das Stillestehen und Rückwärtsgehen der drei ^'»'dcn zuletzt
' . . " , beobachtet.
oberen Planeten entdeckt war, sowie die bald gröfsere bald geringere
Entfernung derselben von der Erde, Erscheiinmgeu, welche die Ein-
führung der exceutrischen Kreise und Epicykehi erforderlich mach-
ten und welche noch zu Aristoteles Zeiten unbekannt waren, da er
ihrer nirgends Erwähnung thut. Wie lange haben nicht die auffallen-
den Erscheinungen an Venus und Merkur die Astronomen über deren
blofse gegenseitige Stellung im Dunkehi gelassen, von anderem ganz
zu geschweigen? So kommt es, dafs schon die Reihenfolge der W^elt-
körper und die Anordnung der uns bekannten Teile des Weltalls im
grofsen und ganzen bis auf die Tage des Kopemikus misicher ge-
476 Dialog über die Weltsysteme. [492. 493.]
blieben ist. Erst dieser hat uns den wabren Bau, das wahre System
enthüllt, nach welchem die Teile angeordnet sind, erst durch ihn sind
Avir darüber im klaren, dafs Merkur, Venus und die anderen Planeten
sich um die Sonne drehen, der Mond um die Erde kreist. Wie nun
specieiie Be- aber icder Planet bei seinem besonderen Umlauf sich verhält und
schaffenheit der •' _ _ • T» i i •
einzelnen piane-^elchc ffcnaue Beschaffenheit seine Bahn aufweist — Probleme, die
tenbahnen noch ~
nicht genau er-crewöhiilich als die Theorie des betreffenden Planeten bezeichnet wer-
mittelt. ö . . ,
den^'^) — das mit Bestimmtheit zu entscheiden vermögen wir noch
nicht. Als Zeugnis dessen mag Mars angeführt werden, der heutzutage
den Astronomen so viel Mühe verursacht; selbst die Theorie des Mon-
des ist in sehr verschiedener Weise aufgestellt worden, nachdem Ko-
pernikus die des Ptolemäus wesentlich abgeändert hat. Um nun näher
auf die besondere uns vorliegende Frage der scheinbaren Bewegung
von Sonne und Mond einzugehen, so hat man bei jener allerdings eine
Ungleichheit von bedeutendem Betrage beobachtet, vermöge deren sie
Die Sonne die beiden Hälften der Ekliptik in beträchtlich verschiedenen Zeiten
Zurücklegt zurücklegt; sie gebraucht nämlich, um von dem einen Äquinoktial-
dea Tierkreises puuktc zum anderen zu gelangen auf dem einen Halbkreis etwa neun
"ger' als ^fürdic Tage mehr als auf dem anderen: ein recht ansehnlicher, sehr merk-
licher Unterschied, wie Ihr seht. Ob sie aber beim Zurücklegen
kleinerer Bogen, wie etwa der 12 Zeichen des Tierkreises eine völlig
regelmäfsige Bewegung innehält oder bald schnelleren, bald langsame-
ren Schrittes vorwärts geht, wie es notwendig der Fall ist, wenn die
jährliche Bewegung blofs scheinbar an der Sonne haftet, in Wirklich-
keit aber der Erde und dem sie begleitenden Monde zukommt, das
hat man bisher noch nicht festgestellt, vielleicht noch nie untersucht.
Bewegung des Ebcuso hat maii bei dem Monde, dessen Periodicität hauptsächlich der
sächlich um"derFinsternisse wegen erforscht wird — und dazu genügt schon die genaue
willen unter- Kcimtuis sciiier Bewcgung um die Erde — die Frage, wie sein Fort-
schreiten durch die einzelnen Zeichen des Tierkreises hin erfolgt, nicht
mit gebührendem Interesse verfolgt. Dafs also Erde und Mond beim
Durchlaufen des Tierkreises oder der Peripherie des orhis magniis eine
Beschleunigung erfahren zur Zeit des Neumondes, eine Verzögerung
zur Zeit des Vollmondes, darf man nicht etwa darum in Zweifel ziehen,
weil eine solche Ungleichheit nicht beobachtet worden ist. Dies ist
aus einem doppelten Grunde nicht geschehen, einmal hat man gar
Die Gezeiten nid^t damach gesucht, sodann aber ist diesell^e möglicherweise nicht
Bind sehr gering- o / i-j ^
fügige Erschei- gg}^^ grofs uiid braucht es auch nicht zu sein, um die Wirkung her-
uungen im Ver- o ? a
häitnis zur vorzubringen, die sich in der wechselnden Höhe der Gezeiten kund
Grofse der Meere ö }
und der Ge- giebt. Demi nicht nur iener Wechsel iiu Betrag der Fluthöhe, son-
schwmdigkeit d. o J .
Erdbewegung, (jerii Ebbe und Flut selbst sind eiue geringfügige Sache im Verhält-
[493. 494.] Vierter Tag. 477
nis zu der Gröfse der von ihnen betroffenen Objekte, mögen sie uns
auch im Verhältnis zu unserer Kleinheit gewaltig erscheinen. Man
kann doch unmöglich eine Geschwindigkeitsvermehrung oder -Ver-
minderung von einem Grad eine bedeutende Änderung nemien, wo
von Natur 700 oder 1000 Grad vorhanden sind, weder rücksichtlich
dessen, was sie hervorruft, noch dessen, was von ihr betroffen wird.
Das Wasser des mittelländischen Meeres z. B, legt infolge der täg-
lichen Rotation stündlich etwa 700 Miglien zurück, nämlich vermöge
der gemeinsamen, für uns unmerklichen Bewegung der Erde und des
Wassers. Die Bewegung hingegen, die sich uns in den Strömungen
kundgiebt, beträgt noch keine Miglie per Stunde; und diese ist es,
welche die ursprüngliche natürliche und bedeutende Bewegung modi-
fiziert. Diese Modifikation ist freilich im Verhältnis zu uns oder zu
irgend welchem Fahrzeuge grofs; denn für ein Schiif, das in stehen-
dem Wasser mittels Ruderkraft drei Miglien stündlich vorwärtskommt,
macht die genannte Strömmig, je nachdem sie günstig oder ungünstig
auf die Fahrt einwirkt, das Doppelte der Fahrzeit aus, was ein sehr
merklicher Betrag ist, soweit es sich um die Bewegung der Barke
handelt, aber ein sehr unbedeutender rücksichtlich der Bewegung des
Meeres, da diese nur eine Änderung um den 700**'' Teil ihres Betrages
erfährt. Das nämliche gilt von dem Steigen und Fallen um eineu,
zwei oder drei Fufs, höchstens um vier oder fünf Fufs an dem äufser-
sten Ende eines Meerbusens-, denn wo Tiefen von Hunderten von Fufsen
vorhanden sind, will diese Änderung noch weniger besagen, als wenn
in einer der Süfswasser führenden Barken dieses Wasser beim Halten
der Barke um die Dicke eines Blattes Papier im Vorderteil steigt.
Ich komme daher zu dem Schlufs, dafs im Verhältnis zu der unge-
heueren Gröfse und aufserordentlichen Geschwindigkeit des Meeres
schon ganz kleine Änderungen ausreichend sind, um an ihm Erschei-
nungen hervorzubringen, die im Verhältnis zu unserer Kleinheit mid
unseren kleinen Objekten grofs zu nennen sind.
Sagr. Ich bin hinsichtlich dieses Punktes vollauf zufriedengestellt.
Es erübrigt noch zu erläutern, inwiefern die Verstärkungen und Ab-
schwächuugen, welche durch die tägliche Rotation hervorgerufen wer-
den, bald in höherem, bald in geringerem Grade stattfinden. Diese
Schwankimgen sollen ja, wie Ihr andeutet, die jährliche Periode im
Wechsel der Gezeitenhöhe bewirken.
Salv. Ich will mir alle mögliche Mühe geben mich verständlich
auszudrücken; die Schwierigkeit jedoch des Gegenstandes an und für
sich und die gröfse Abstraktionsgabe, die zu seinem Verständnis er-
forderlich ist, machen mir bange. Die wechselnde Gröfse der durch
478 Dialog über die Weltsysteme. [494. 495.]
Ursachen der die tägliche Rotation hervorgerufenen Verstärkungen und Abschwä-
ten im Betrag chuugeu der jährlichen Bewegung rührt daher, dafs die Achse der täg-
chungen" uld lichcu Rotation gegen die Ebene des orhis magnus oder auch der Ekliptik
welche durch diegeneigt ist; infolge davon schneidet der Äquator die Ekliptik und bildet
tio^n anderjähr-mit ihr eiucu schiefcn Winkel entsprechend der Neigung der Achse.
hervorgerufen Dcr Betrag dcr Verstärkungen ist nun gleich der vollen Gröfse des
Äquatordurchmessers, sobald der Erdmittelpunkt sich in den Solstitial-
punkten befindet; aufserhalb derselben hingegen wird er kleiner und
kleiner, je mehr sich der Mittelpunkt den Äquinoktialpunkten nähert:
dort sind besagte Verstärkungen geringer als an irgendwelchem anderen
Punkte. ^^) Das ist alles, freilich schwebt noch ein tiefes Dunkel darüber,
wie Ihr seht.
Sagr. Oder vielmehr ein solches Dunkel, dafs ich nichts sehe.
Denn bis jetzt verstehe ich nicht eine Silbe.
Salv. Ich habe es ja im voraus gesagt. Wir wollen jedoch ver-
suchen, ob sich nicht durch eine kleine Zeichnung etwas Klarheit in
die Sache bringen läfst; freilich wäre die Veranschaulichung durch ein
körperliches Modell der blofsen Zeichnung vorzuziehen, doch wollen
wir uns mittels perspektivischer Verkürzungen zu helfen suchen. Wir
zeichnen also wie oben die Perij)herie des orhis magnus^ auf welcher
Punkt A einen Solstitialpunkt vorstellen soll; der Durchmesser A P
sei der Schnitt des Solstitialkolurs mit der Ebene des orhis magnus
oder der Ekliptik. In diesem Punkte A nmi befinde sich der Mittel-
punkt des Erdballs, dessen Achse GAB schief auf der Ebene des orhis
magnus steht und in die Ebene besagten Kolurs hineinfällt, desjenigen
Kolurs nämlich, welcher sowohl durch die Achse des Äquators als die
der Ekliptik hindurchgeht. Behufs gröfserer Klarheit zeichnen wir
blofs den Äquator und benennen ihn mit den Buchstaben DGEF'^
sein Schnitt mit der Ebene des orhis magnus sei die Linie DE, so
dafs die Hälfte DFE des Äquators unter der Ebene des orhis magnus
gelegen ist, die andere Hälfte D GE darüber. Angenommen nun die
Drehung des Äquators erfolge entsprechend der Reihenfolge der Punkte
D, G, E, F und der Mittelpunkt bewege sich in der Richtung von A
nach E hin. Da nun, wie gesagt, bei der Stellung des Erdmittel-
punktes in A die Achse CB, welche auf dem Äquatordurchmesser DE
senkrecht steht, in den Solstitialkolur fällt und da ferner die Schnitt-
linie des letzteren mit dem orhis magnus der Durchmesser PA ist, so
wird die Linie PA senkrecht auf DJE stehen, weil der Kolur senkrecht
auf dem orhis magnus steht; demnach wird DE die Taugente des orhis
magnus im Punkte A sein. In diesem Falle ist also die Bewegung des
Centrums längs des Bogens A E, die täglich einen Grad beträgt, nur
[496.]
Vierter Tag.
479
ganz wenig, ja so gut wie gar nicht verschieden von einer Bewegung
längs der Tangente DAE. Da nun durch die tägliche Rotation der
Punkt D über G nach E geführt wird, so verstärkt er die Bewegung
des Centrums, welches fast die nämliche Linie DE zurücklegt, um den
Betrag des ganzen Durchmessers D E und umgekehrt vermindert er sie
um denselben Betrag, sobald er sich durch den anderen Halbkreis EFD
hinbewegt: der Betrag der Verstärkung und Abschwäch ung wird also
an dieser Stelle, d. h. zur Zeit des Solstitiums gleich dem ganzen Durch-
messer DE sein.
Wir gehen nunmehr dazu über zu untersuchen, ob dieser Betrag
zur Zeit der Äquinoktien dieselbe Gröfse besitzt. Wir lassen den Erd-
mittelpunkt von A aus um einen Viertelkreis weiter nach I rücken;
wieder soll GEFD den Äquator vorstellen, DE seinen Schnitt mit
dem orhis magnus, CB die Achse mit der gleichen Schiefe wie vorher.
Die Tangente des orhis magnus im Funkte I hingegen wird jetzt nicht
mehr DE sein, sondern eine andere Linie, welche DE unter rechtem
Winkel schneidet, sie möge HIL genannt werden: längs dieser wird
die Bewegung des auf dem orhis magnus fortschreitenden Mittelpunktes
gerichtet sein. Li der hier betrachteten Lage nun ist das Mafs der
Verstärkung und Abschwächung niclit mehr der Durchmesser DE wie
480 Dialog über die Weltsysteme. [496. 497.]
zuvor, denn dieser Durclimesser erstreckt sicli nicM in der Riclitung
der jälirlichen Bewegimg HL, sondern schneidet sie unter rechtem
Winkel; die Enden J) und E tragen also nichts zur Förderung und
nichts zur Verzögerung der Bewegung bei. Die Verstärkung und Ah-
schwächung ist vielmehr zu schätzen nach demjenigen Durchmesser,
welcher in eine zum orhis magnus senkrechte und durch die Linie
HL gelegte Ebene fällt. Im vorliegenden Falle ist das der Durch-
messer GF: die additive Bewegung, wenn dieser Ausdruck gestattet
ist, ist die vom Punkte G längs des Halbkreises GEF vollzogene, die
subtraktive die dem anderen Halbkreis FBG entlang erfolgende. Nmi
liegt aber jener Durchmesser nicht in derselben Linie HL, in welcher
die jährliche Bewegung stattfindet, er schneidet diese vielmehr wie
ersichtlich im Punkte /; das Ende G befindet sich über, das Ende
F unter der Ebene des orhis magnus. Er ist also nicht seiner ganzen
Länge nach mafsgebend für den Betrag der Verstärkung und Ab-
schwächung, sondern dieser mufs durch dasjenige Stück der Linie
HL bestimmt werden, welches zwischen den Fufspunkten S und V
der von G und F auf HL gefällten Perpendikel GS und FV liegt.
Das Mafs der Verstärkung ist mithin SV und also kleiner als die
Linie GF oder die Linie BF, welche im Solstitium A das Mafs der
Verstärkung war. Je nachdem also das Erdcentrum sich in verschie-
denen Punkten des Quadranten AL befindet, ziehe man die Tangen-
ten an diese Punkte und fälle auf sie die Perpendikel von den Enden
desjenigen Äquatordurchmessers, der enthalten ist in einer zur Eklip-
tikebene senkrechten und durch die Tangente hindurch gelegten Ebene :
das auf der Tangente hierdurch abgegrenzte Stück, welches kleiner in
der Nähe der Äquinoktien, gröfser aber in der Nähe der Solstitien ist,
giebt uns den Betrag der Verstärkung oder Abschwächung. Um wie-
viel die geringsten Verstärkungen von den gröfsten verschieden sind,
ist darnach leicht zu ermitteln; denn dieser Unterschied ist der näm-
liche wie der zwischen der ganzen Achse oder dem ganzen Durchmesser
der Kugel und dem Stücke, welches zwischen den Polarkreisen ent-
halten ist; letzteres aber ist annähernd um den zwölften Teil kleiner
als der ganze Durchmesser. Ich spreche hierbei nur von den Ver-
stärkungen und Abschwächungen, die am Äquator stattfinden; imter
anderen Breiten sind sie um so kleiner, je mehr die Durchmesser der
Breitenkreise abnehmen.
Das ist alles, was ich Euch über diesen Gegenstand zu sagen
hätte, mehr läfst sich billigerweise von menschlicher Erkenntnis nicht
erwarten; denn Ihr wifst ja, es giebt ein Erkennen nur, avo es sich
um feste, unabänderliche Folgewirkungen handelt, wie es bei den drei
[497. 498.] Vierter Tag. 481
Perioden der Gezeiten im allgemeinen der Fall ist, insofern diese von
beständigen, einlieitliclien und ewigen Ursachen bedingt sind. Da sich
aber mit diesen ursprünglichen/ umfassenden Ursachen noch sekundäre
besondere vermischen, die vielfache Abänderungen hervorzurufen ver-
mögen; da ferner diese sekundären teils wechselnd sind und sich der
Beobachtung entziehen, wie es z. B. mit der veränderlichen Windrich-
tung der Fall ist, teils zwar bestimmt und unveränderlich sind, aber
ihrer grofsen Zahl halber doch noch nicht hinlänglich bekannt, wie
z. B. die Längenausdehnung der Meerbusen, ihre verschiedene Er-
streckung in der oder jener Richtung, die vielfach Avechselnden Meeres-
tiefen: wer wäre da imstande ohne langjährige Beobachtungen und
zuverlässige Berichte eine sachgemäfse Darstellung dieser Verhältnisse
zu geben, welche als Vertrauens werte Grundlage, als Ausgangspunkt
dienen könnte, wenn es sich darum handelt auf Grund des gesammel-
ten Materials eine Erklärung aller Erscheinungen, aller Anomalieen
imd besonderen Verwicklungen zu liefern, wie solche bei den Be-
wegungen der Gewässer vorkommen? Ich begnüge mich darauf hin-
gewiesen zu haben, dafs solche Nebenursachen in der Natur vorhan-
den sind und vielfache Abänderungen veranlassen können; die Detail-
beobachtimgen mufs ich denen überlassen, welche die verschiedenen
Meere aus eigener Anschauung kennen. Nur will ich zum Schlüsse
unserer Untersuchung hervorheben, dafs die genauen Zeiten von Ebbe
und Flut nicht nur von der Länge und der wechselnden Tiefe der
Meerbusen abhängen; eine beträchtliche Modifikation mufs meines
Bedünkens auch von dem Zusammentreffen verschiedener Meeresgebiete
herrühren, welche in Gröfse und Lage oder, besser gesagt, in ihrer
Richtung von einander abweichen. Dieser Fall tritt gerade im adria-
tischen Meere ein; denn dieses ist bedeutend kleiner als das übrige
Mittelmeer und hat eine ganz andere Richtung. Während nämlich
jenes sein Ende im Osten an der syrischen Küste findet, ist dieses
vorwiegend von Westen her abgeschlossen. Da nun die Gezeiten an
den Enden einen wesentlich höheren Betrag erreichen, ja überhaupt
nur an diesen das Steigen und das Fallen sehr bedeutend ist, so ist
es leicht möglich, dafs die. Flut in Venedig zeitlich zusammenfällt mit der
Ebbe des übrigen Meeres; dieses übt nämlich infolge seiner bedeutenderen
Gröfse und seiner mehr von Ost nach West sich erstreckenden Rich-
tung eine Art von Herrschaft über das adriatische Meer. Daher wäre
es nicht verwunderlich, wenn im adriatischen Meere die Wirkungen
der ursprünglichen Ursachen sich nicht zu den gehörigen Zeiten ein-
stellen sollten und nicht die eigentlichen Perioden innehielten, wie dies
im übrigen mittelländischen Meere 'allerdings der Fall ist. Diese Be-
Ctahlki, Weltsysteme. 31
482 Dialog über die Weltsysteme. [498. 499.]
Sonderheiten jedocli erfordern lange Beobachtungen, welche ich bisher
nicht augestellt habe, noch auch in der Lage bin zukünftig anzustellen.
Sagr. Ich sollte meinen, Ihr habt genug geleistet, indem Ihr
uns den Zugang zu so tiefen Forschungen erschlösset. Hättet Ihr
selbst nichts anderes vorgebracht als jenen ersten allgemeinen, für mich
unwiderleglich feststehenden Satz, in welchem Ihr aus den triftigsten
Gründen die Behauptung aufstellt, dafs nach dem gewöhnlichen Laufe
der Natur unmöglich die Annahme von der Unbeweglichkeit der Meeres-
becken vereinbar sei mit den darin stattfindenden Bewegungen, und
dafs umgekehrt die kopernikanische Lehre von den Erdbewegungen,
die aus ganz anderen Gründen aufgestellt wurde, jene Meeresbewegungen
zur notwendigen Folge habe, hättet Ihr, sage ich, auch sonst nichts
geleistet, so überragt doch schon dies eine die vielen anderen thörich-
ten Annahmen dermafsen, dafs mir der blofse Gedanke an diese wider-
wärtig ist. Ich wundere mich sehr, dafs von den geistig hervorragen-
den Männern, deren es doch so manche gegeben hat, nicht ein ein-
ziger auf den Einfall gekommen ist, die abwechselnde Bewegung des
Wassers sei unverträglich mit der Unbeweglichkeit des Beckens, in
welchem es enthalten ist; dieser Widerspruch scheint mir jetzt so offen
zu Tage zu liegen.
Salv. Noch verwunderlicher ist es, dafs einige allerdings auf den
Einfall kamen, die Ursache der Gezeiten auf die Bewegung der Erde
zurückzuführen, womit sie Zeugnis von einem ungewöhnlichen Scharf-
sinn ablegten, dafs sie dann aber für die Beibringung eines schlagen-
den Beweises nichts Erkleckliches leisteten, weil sie das Unzuläng-
liche einer einfachen gleichförmigen Bewegung, wie eine solche z. B.
Zur Erzeugung die einfache tägliche Erddrehung ist, nicht bemerkten; es braucht
Flut genügt hier vielmehr eine migleichmäfsige, bald beschleunigte, bald verzögerte
fache BewegungBewegung. Dcuu bei einer gleichförmigen Bewegung der Gefäfse wird
das darin enthaltene Wasser sich an die Bewegung gewöhnen und
Die Ansicht desnimmermchr ein wechselndes Spiel zeigen. Auch die Ansicht, die ein
Mathematikers x o /
seieukus wird Mathematiker des Altertums aufgestellt haben soll , dafs die Erd-
bewegung durch ihr Zusammentreffen mit der Bewegung der Mond-
sphäre und infolge der hieraus entspringenden Kontrastwirkung Ebbe
und Flut hervorrufe, ist völlig nichtig^^); einmal weil unerklärt bleibt
und nicht abzusehen ist, wie das zugehen soll; der offenbare Irrtum
ergiebt sich aber auch schon daraus, dafs die Erddrehung zu der
Mondbewegung gar nicht entgegengesetzt ist, mit ihr vielmehr gleich-
gerichtet ist. Demnach erweist sich meines Dafürhaltens alles, was
mau bisher gesagt und ausgedacht hat, als gänzlich hinfällig. Von
allen bedeutenden Mäimern aber, die sothaner wunderl)arer Natur-
t
[499-501.] Vierter Tag. 483
erscheiimng ihr Nachdenken gewidmet haben, wundere ich mich zu-
meist über Kepler, mehr als über jeden anderen.''*^) Wie komite er
bei seiner freien Gesinnung und seinem durchdringenden Scharfblick, Kepler erfährt
wo er die Lehre von der Erdbewegung in Händen hatte, Dinge an- Tadei.
hören und billigen, wie die Herrschaft des Mondes über das Wasser,
die vorborgenen Qualitäten und was der Kindereien mehr sind?
Sagr. Es ist wohl jenen tiefer eindringenden Geistern ebenso er-
gangen, wie es augenblicklich mir ergeht. Sie haben den verwickel-
ten Zusammenhang jener drei Perioden, der jährlichen, monatlichen
und täglichen nicht begreifen können; sie erkaimten nicht, wieso die
Ursachen dafür scheinbar mit Sonne und Mond in Verbindung stehen,
während doch weder Sonne noch Mond mit dem Wasser etwas zu
schaffen haben. Zum gründlichen Verständnis der Frage bedarf ich
eines angestrengteren längeren Nachdenkens, einstweilen ist meine Vor-
stellungskraft durch die Neuheit und Schwierigkeit noch umnebelt.
Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, die völlige Herrschaft über den
Gegenstand zu erlangen, wenn ich im einsamen Kämmerlein noch ein-
mal wiederkäue, was unverdaut in meinem Geiste zurückgeblieben ist.
Somit haben uns die Untersuchungen der vier letzten Tage gewichtige
Zeugnisse zu Gunsten des kopernikanischen Systems geliefert: dreie
davon, nämlich das Stillestehen und Rückwärtsgehen der Planeten,
sowie die wechselnde Entfernung derselben von der Erde, sodann die
Achsendrehung der Sonne und die Erscheinungen an den Sonnenflecken,
drittens endlich die Gezeiten des Meeres sind als hervorragend wichtig
zu bezeichnen.
Salv. Man wird vielleicht binnen kurzem noch ein viertes, mög-
licherweise sogar ein fünftes Argument zu den genannten fügen dürfen;
ein viertes nämlich, wenn sich bei den Fixsternen durch sehr genaue
Beobachtungen jene winzigen Veränderungen entdecken lassen sollten,
die Kopemikus als unmerklich ansieht. Nun ist aber gegenwärtig
noch eine fünfte Thatsache bekannt geworden, aus welcher man auf signore cesare
~ ' ^ Marxili beobach-
die Bewegung des Erdballs schliefsen kann, vermöge der migemein'etd'e.veräudor-
scharfsinnigen Entdeckung nämlich, welche ein anderes Mitglied der füans.
Academie dei Lincei gemacht hat, der Erlauchte Signore Ccsare aus
der hochedlen Familie der Marsili von Bologna. •^'^) Er setzt in einer
von tiefer Gelehrsamkeit zeugenden Schrift auseinander, dafs er eine
beständige, freilich äufserst langsame Änderung des Meridians beobachtet
habe. Ich habe kürzlich diese Arbeit mit Bewunderung eingesehen und
hoffe, dafs der Verfasser sie allen denen zugänglich machen wird, die
für die Wunder der Natur sich interessieren.
Sagr. Ich höre nicht zum ersten Male von der auserlesenen Ge-
31*
484 Dialog über die Weltsysteme. [501. 502.]
lehrsamkeit dieses Mannes und wie angelegentlich er allen Gelehrten
seine Fürsorge und Unterstützung widmet. Wenn er dieses oder ein
anderes Werk veröffentlicht, können wir überzeugt sein, dafs es etwas
Ausgezeichnetes sein wird.
Salv. Da es nunmehr an der Zeit ist, unsere Untersuchungen zu
beschliefsen, so habe ich nur noch eine Bitte an Euch zu richten.
Wenn Ihr bei gröfserer Mufse noch einmal meine Ausführungen prüft
und dabei au.f Schwierigkeiten und Bedenken stofst, die keine treffende
Widerlegmig gefunden haben, so entschuldigt meinen Fehler teils mit
der Neuheit der Idee, teils mit der schwachen Kraft meines Geistes,
teils mit der Gröfse des Gegenstandes, teils endlich damit, dafs ich
anderen nicht zumute, noch jemals zugemutet habe, dieser phantasti-
schen Meinung den Beifall zu zollen, welchen ich selbst ihr versage.
Ich würde kaum etwas dagegen einzuwenden haben, wenn man sie als
nichtige Chimäre, als ungeheuerliches Paradoxon bezeichnete. Und
wiewohl Ihr, Signore Sagredo, im Laufe unserer Erörterungen Euch
oftmals mit grofser Anerkennung für einige meiner Ideen ausgesprochen
habt, so ist dies einerseits wohl mehr wegen der Neuheit als wegen
der Gewifsheit der Sache geschehen; andererseits aber ist vor allem
Euere Höflichkeit daran schuld, derzufolge Ihr glaubtet durch Eueren
Beifall mich erfreuen zu sollen; ist es ja doch so natürlich sich der
Billigung und des Lobes eigener Erfindungen zu freuen. Und wie
mich Euere Fremidlichkeit zu Dank verpflichtet hat, ebenso will-
kommen ist mir der Freimut des Signore Simplicio gewesen; die Aus-
dauer, mit der er die Lehre seines Meisters so wacker und uner-
schrocken verfocht, hat ihn mir über die Mafsen lieb und wert gemacht.
Wie ich Euch, Signore Sagredo, Dank sage für Euere mir so gewogene
Gesinnung, so bitte ich auf der anderen Seite Signore Simplicio um
Verzeihung, wenn ich durch ein zu kühnes und zuversichtliches Wort
ihn gekränkt haben sollte. Er möge des sicheren Glaubens leben,
dafs ich es nicht aus feindseliger Gesinnung gethan habe, sondern
blofs um ihm vermehrten Anlafs zu bieten, bedeutende Gedanken zu
meiner Belehrung vorzubringen.
Simpl. Diese Entschuldigungen sind mir gegenüber mmötig, der ich
das Gebahren in gelehrten Gesellschaften und bei öffentlichen Disputatio-
nen aus eigener Erfahrimg kenne. Himderte von Malen habe ich dort die
Gegner nicht nur hitzig werden und sich ärgern sehen; nein, sie brachen
gar in Schmähungen aus und liefsen sich manchmal fast zu Thätlichkeiten
hinreifsen. Was die gepflogenen Erörterungen betrifft, insbesondere
die zuletzt geprüfte Frage betreffs der Ursachen von Ebbe und Flut
des Meeres, so verstehe ich allerdings die Sache nicht so ganz aber
i
[502, 503] Vierter Tag. 485
nach der, wenn auch noch so unvollkommenen Vorstellung, die ich
mir darüber habe bilden können, mufs ich zugeben, dafs Euere Er-
klärung mir wohl geistvoller erscheint als alle anderen, die ich je ge-
hört habe, gleichwohl halte ich sie nicht für richtig und beweisend.
Meinem geistigen Auge schwebt vielmehr stets eine unerschütterlich
feststehende Lehre vor^'), die mir einst eine ebenso gelehrte wie hoch-
gestellte Persönlichkeit gegeben hat. Ich weifs, dafs Ihr beide auf
die Frage: Kann Gott vermöge seiner unendlichen Macht und Weis-
heit dem Elemente des Wassers die abwechselnde Bewegung, die wir
an ihm beobachten, nicht auch auf andere Weise mitteilen, als indem
er das Meeresbecken bewegt? — ich weifs, sage ich, dafs Ihr auf
diese Frage antworten werdet, er vermöge und wisse das auf vielfache,
imserem Verstände unerfindliche Weise zu thun. Dies zugegeben,
ziehe ich aber sofort den Schlufs, dafs es eine unerlaubte Kühnheit
wäre, die göttliche Macht und Weisheit begrenzen und einengen zu
wollen in die Schranken einer einzelnen menschlichen Laune.
Salv. Eine bewundernswerte, wahrhaft himmlische Lehre! Mit
ihr stimmt jene andere göttliche Satzung vortrefflich zusammen, die
uns wohl gestattet, den Bau des Weltalls forschend zu suchen, die
uns jedoch für immer versagt, das Werk seiner Hände Avirklich zu
durchschauen, in der Absicht vielleicht, dafs die Thätigkeit des Men-
schengeistes nicht abgestumi^ft und ertötet werde. Lafst uns daher
die von Gott verstattete und von ihm gewollte Geistesbethätigung
benutzen, um seine Gröfse zu erkennen, um uns mit desto gröfserer
Bewimderung für sie zu erfüllen, je weniger wir uns imstande fühlen,
in die unergründlichen Tiefen seiner Allweisheit einzudringen.
Sagr. So seien denn hiermit imsere viertägigen Erörterimgen end-
gültig beschlossen. Signore Salviati wird einer Ruhepause bedürfen,
die wir ihm trotz unserer Wifsbegier nicht versagen dürfen: doch unter
der Bedingimg, dafs, wenn es ihm besser pafst, er imseren, insbeson-
dere meinen Wunsch erfüllt und verabredetermafsen in einer oder zwei
Sitzungen die imerledigt gebliebenen Probleme behandelt. Vor allem
sehe ich mit gespaimtester Erwartung den Elementen der neuen, von
unserem akademischen Freunde begründeten Wissenschaft entgegen,
welche die Ortsbewegungen, natürhche wie gewaltsame, zum Gegen-
stand hat. Inzwischen lafst uns wie gewöhnlich ein Stündchen die
Abendkühle bei einer Spazierfahrt geniefsen; die Gondel erwartet uns
bereits.
Ende des vierten und letzten Tajies.
HANDSCHRIFTLICHE ZUSATZE GALILEIS
EXEMPLAR DER PADUANI8CHEN SEMINARBIBLIOTHEK.
Betreffs derselben vergleiche Vorwort und Einleitung. Die Citate am Schlüsse
jedes Zusatzes geben an, wo in den Ausgaben von Toaldo (Padova 1744) und von
Älheri (Firenze 1842—56) sowie in der Schrift von Favaro: Le Aggiunte Autografe
etc. (Modena 1880) die Originalstellen veröft'entlicht sind.
1) über die Eiuführimg vou Neuerungen. Wie kann man zweifeln,
clafs es zu den schwersten Ärgernissen führen mufs, wenn die vou
Gott frei geschaffenen Geister gezwungen werden sollen, sich sklavisch
fremdem Willen zu fügen? wenn man die eigenen Sinne verleugnen
und sie fremder Willkür soll unterwerfen müssen? wenn man Leute,
die jeder Sachkenntnis ermangeln, zu Richtern über Fachmänner macht
und ihnen eine Autorität verleiht, vermöge deren sie diese nach ihrem
Gutdünken behandeln? Das sind die Neuerungen, welche den Ruin
eines Gemeinwesens, die Untergrabung eines Staates herbeiführen
können. [Fav. pag. 15.]
2) Scharfsinnige Kommentatoren knüpfen an unbedeutende, wenig
gehaltvolle Schriften (Sacrobosco u. a.) bewundernswerte Ausführungen
und Deutungen, ebenso wie ein ausgezeichneter Koch durch seine Zu-
thaten eine an und für sich unschmackhafte Speise für jeden, der sie
kostet, wohlschmeckend zuzubereiten weifs. [Toaldo pag. 295, Alh.
pag. 449, Fav. pag. 15.]
3) Viele thun sich etwas zu gute darauf, wenn sie zur Bestäti-
gung ihrer Ansichten zahlreiche Autoritäten anführen können; ich
möchte die meinigen zuerst und allein gefunden haben. [Toaldo
pag. 289, Älberi pag. 440, Fav. pag. 16.]
4) Hütet Euch, Theologen, aus der Lehre von der Bewegung und
der Ruhe der Sonne und der Erde einen Glaubensartikel zu machen
und Euch damit vielleicht der Gefahr auszusetzen, dafs Ihr seiner Zeit
diejenigen wegen Ketzerei verurteilen müfst, Avelche behaupten, die
Erde stehe fest und die Sonne bewege sich vom Platze; seiner Zeit,
sage ich, Avemi nämlich sinnlich oder durch zwingenden BeAveis dar-
gethan sein wird, dafs sich die Erde bewegt und die Sonne feststeht.
[Fav. pag. 16.J
5) Weim ein Kreis sich innerhalb eines anderen bewegt, so hat
man seine Bewegung für übereinstimmend mit der Bewegimg oder
mit der Teilung des äufseren Kreises zu erklären, je nachdem sich
die Teile des iimeren Kreises zu den ihnen zugewendeten des äufse-
ren verhalten. Man wird also sagen, der innere Kreis abcd bewege
490 Handschriftliche Znsätze Galileis zu dem Exemplar
sich in Richtung der Teile cfgh des äufseren, sobald die Rotation
vom Punkte d nach a und von a nach h gerichtet ist; denn dies sind
die dem Bogen lief zugekehrten Teile. Hingegen wird man nicht sagen
dürfen, besagte Bewegung sei entgegengesetzt
der Richtung lief, weil die Bewegung der Teile
hcd entgegengesetzt der Richtung /ie/" sei; denn
hcd ist nach fgli hingewendet und verläuft in
derselben Richtung wie dieses. Soviel zur Auf-
klärung der verworrenen Bemerkungen Scheiners
bezüglich der Rotation der Sonnenflecken, die
von West nach Ost gerichtet heifsen mufs.
[ToaMo pag. 252, Alb. pag. 382, Fav. pag. 16 f.]
6) Denen, die Anstofs daran nehmen, weil die ganze Philosophie
umzugestalten sei, zeige man, dafs dem nicht so ist und dafs die Lehre
von der Seele, von der Zeugung, von den Meteoren, von den Tieren
unverändert bleibt. [Toaldo pag. 44, Alb. pag. 44, Fav. pag. 17.]
7) Diejenigen, welche die jährliche Bewegung nicht annehmen
wollen, weil der Erdball dann bald zu steigen, bald zu sinken habe,
fertige man in folgender Weise ab. Man frage, ob sie einverstanden
wären, wenn die Erde nicht zu steigen hätte. Man erkläre sodann,
dafs sie dasselbe von einem. Schiffe sagen kömiten, welches die Erde
umfährt. Da sie nun unter Bewegungen, die weder auf- noch abwärts
gerichtet sind, solche verstehen, die in Kreisen stattfinden, deren Pol
der Zenith ist, so füge man die weitere Bemerkung hinzu, dafs alle
Kreise irgendwelchen Zenith zum Pole haben, dafs wir Bewohner von
Toskana kein Vorrecht vor den Portugiesen oder Persern geniefsen.
Gleichwie nun die Bewegung um den Erdball auf jedem Kreise weder
ansteigt noch abwärts gerichtet ist, ebenso ist es mit den Kreisen
am Himmel u. s. w. [Toaldo pag. 236, Alb. pag. 357, Fav. pag. 17 f.]
8) Ich frage: Die Flut u. s. w. ist entweder nur auf eine Weise
oder auf mehrere Weisen erklärbar. Wenn auf eine, so wird sie durch
die Erdbewegung hervorgebracht, da es klar ist, dafs diese ihr Vor-
handensein zur Folge hat; wenn auf mehrere, so untersuche ich, auf
Avelche Weise sie hervorgebracht wird. [Fav. pag. 18.]
9) Das Stillestehen, die wechselnde Entfernung [der Planeten],
die Bewegungen der Flecken, die Veränderungen an den Fixsternen,
die Gezeiten des Meeres, alle diese verschiedenen Erscheinungen, welche
durch die Erdbewegung erklärt werden, sind ein mehr als zwingen-
des Argument. [Fav. pag. 18.]
10) [Salv.] Aus dem Widerstände, den die Teile der Erde dem
Entfernen vom Boden entgegensetzen, darf man ebenso wenig schliefsen.
I
der paduanischen Seminarbibliothek. 491
dafs der ganze Erdball sieh der Versehiebung der jährlichen Erdbe-
wegung widersetzt, wie man aus dem Widerstände des Vogelleims
gegen eine Trennung seiner Teile folgern darf, dafs ein Gefafs voll
Vogelleim beträchtlich schwerer zu bewegen sei, als ein mit Wasser
oder etwas anderem gefülltes; denn sonst müfste eine Wanne voll
Blei hundertmal mehr Widerstand der Bewegung entgegensetzen, als
weim sie mit Quecksilber gefüllt ist. Ihr dürft nicht glauben, Signore
Simplicio, weil der Bogen sich so schwer nach der Kerbe hin be-
wegen imd biegen läfst, dafs die ganze Armbrust gleichermafsen gegen
eine Bewegung in diesem Sinne Widerstand leistet; noch auch macht
es mehr Schwierigkeit ein Tau nach der einen oder anderen Richtung
hin zu bewegen, weil seine Teile Widerstand gegen das Zerreifsen
zeigen, sobald einer nach Osten, einer nach Westen daran zieht. Da
die Teile der Erde allenthalben einer Bewegung nach dem Zenith hin
sich widersetzen, dem Nadir hingegen zustreben, so hat dies zur
Folge, dafs der ganze Ball keinerlei Widerstand gegen die Bewegmig
im einen oder anderen Sinne leistet.
Simpl. Aber ich sehe doch, dafs ein Gefäfs voll Leim einen be-
deutenden Widerstand leistet, wenn man es heben will.
Salv. Ja, aber dieser Widerstand ist ganz verschieden von dem
Treimungswiderstande der Teile. Dieser beruht auf der Klebrigkeit,
welche sich nach jeder Seite hin als Bewegungshemmnis geltend macht,
jener auf der Schwere, die nur der Bewegung nach oben Widerstand
entgegensetzt. Im Falle des Leims, der nach allen Richtungen hin
Widerstand leistet, ergiebt sich, dafs das ganze Gefäfs nach keiner
Richtung hin Widerstand leistet; ebenso ergiebt sich im Falle der
schweren Körper, welche bezügUch des ganzen Erdballs nach allen
Richtimgen hin Widerstand leisten — denn sie widersetzen sich der
Bewegung nach jedwedem Zenith — dafs der ganze Erdball nach keiner
Seite hin ein Widerstreben hat. [Toaldo pag. 236 f., Fav. pag. 18 f]
11) Die Zeit einer durch Wasser getriebenen Uhr kann vielleicht
zur Messung der Stunden u. s. w. dienen. [Fav. pag. 20.]
12) Ein günstiger Wind fördert den minder schnell bewegten
Körper, ein entgegengesetzter hemmt ihn; also übt die gleich schnell
bewegte Luft keinerlei Wirkung. [Toaldo pag. 175, Alh. pag. 261,
Fav. pag. 20.]
13) Die Teile der Erde haben in der Weise einen Trieb nach
dem Mittelpunkte derselben, dafs, wenn jene ihi-en Ort veränderte, die
genaimten Teile, trotz ihrer Tremiung von dem in Bewegung begriffenen
Erdl)all, ihm überallhin folgen würden. Als Erläuterung dazu mögen
die Mediceischeu Gestirne angeführt werden, welche den Jupiter be-
492 Handschriftliche Zusätze Galileis zu dem Exemplar
ständig begleiten, obgleich sie Ton ihm getrennt sind. Dasselbe gilt
von dem Monde, der stets genötigt ist, der Bewegung der Erde zu
folgen. Es diene dies zur Belehrung der Einfältigen, welche es un-
begreiflich finden, wieso diese beiden Bälle, ohne durch eine Kette
mit einander verbunden zu sein und ohne an einem gemeinsamen
Spiefse zu stecken, sich gegenseitig folgen, sodafs bei Beschleunigung
oder Verzögerung des einen auch der andere sich schneller oder lang-
samer bewegt. [Toaldo pag. 232, Älb. pag. 351, Fav. pag. 21.]
14) Salv. Ich behaupte, kein Ding bewegt sich von Natur gerad-
linig. Gehen wir dazu über dies näher zu erörtern. Die Bewegungen
aller Himmelskörper sind kreisförmig; Schiffe, Wagen, Pferde, Vögel,
alles bewegt sich kreisförmig um den Erdball; die Bewegungen der
Teile der Tiere sind sämtlich kreisförmig: kurz, wir werden zur An-
nahme genötigt, dafs nur gravia deorsum und Icvia sursuni sich schein-
bar geradlinig bewegen; aber auch dessen sind wir nicht gewifs, wenn
nicht zuerst bewiesen wird, dafs der Erdball unbeweglich ist. [Toaldo
pag. 129, Alb. pag. 185, Fav. pag. 21.]
15) Simpl. Obgleich ich keine zwingenden Gründe für sothane
Behauptung anzuführen weifs, ist es doch nicht ausgeschlossen, dafs
ein anderer das zu leisten vermöchte.
Salv. Seht Euch doch vor, diese Behauptung nicht für falsch
zu halten; denn ich versichere Euch, weder Ihr noch sonst jemand auf
der Welt wird imstande sein einen triftigen Beweis dafür beizubringen.
Es wäre wohl möglich, dafs ich nicht imstande bin das Fehlerhafte
des Beweises aufzudecken; dafs er aber richtig sei, das ist durchaus
unmögHch. [Fav. pag. 22.]
16) Simpl. Wenn ich den Himmel betrachte und den ungeheueren
Raum bedenke, der sich zwischen Ost und West erstreckt, scheint es
mir doch sehr auffallend, dafs ich die Bewegung eines Sternes nicht
soll wahrnehmen können, der denselben in der kurzen Zeit von 10 bis
12 Stunden zurücklegt.
Salv. Wenn Ihr nun den Zeiger der Uhr betrachtet, die sich
dort an der Wand befindet, nehmt Ihr denn dessen Bewegung wahr?
und doch hat er gleichfalls in 12 Stunden einen Halbkreis zurück-
zulegen.
Simpl. Nein, aber wie kann man einen Halbkreis, der vielleicht einen
4 bis 6 Ellen laugen Bogen bildet, mit dem ungeheueren Raum ver-
gleichen, welchen der Bogen von Ost nach West am Firmament ein-
nimmt, ein Bogen, der soviel Tausende von Tausenden von Miglien lang
ist? [Toaldo pag. 97 f., Alb. pag. 133 f., Fav. pag. 22.]
17) Von zwei Systemen ist eines weifs, das andere schwarz. Wer
der pacluanischen Seminarbibliothek. 493
nicht völlig Ijlind ist, mufs das weifse erkennen können; so sagt mir
denn freimütig, welches Euch weifs vorkommt. [Fav. pag. 23.]
17 a) Ich stehe in theologischen Dingen ebenso hinter Euch zurück,
wie als Sammler von Skulpturen hinter dem Grofsherzoge. Dennoch
besitze ich eine einzige kleine Kamee, die schöner ist als irgend eine
des Grofsherzogs. Ebenso glaube ich in diesem einzigen besonderen
Falle, wo es sich darum handelt, was man in Sachen der kopernika-
nischen Lehre beschliefsen soll, manche im übrigen [mir weit über-
legene theologische] Schriften zu übertreffen. [Fav. pag. 23.]
18) Salv. Hier köimt Ihr nicht umhin, Signore Simplicio, zu
■gestehen, dafs zur Bestätigung der einen Ansicht nur nichtige Gründe,
zu Gunsten der anderen hingegen höchst treffende beigebracht worden
sind. Sagt nun, welche Euch triftig und welche Euch eitel erscheinen.
Simpl. Ich sage nur soviel, dafs möglicherweise für den von mir
gebilligten Standpunkt weder von Aristoteles noch von Ptolemäus die
richtigen und zwingenden Gründe angeführt worden sind; dies darf
aber der Sache selbst keinen Abbruch thun imd nicht zur Folge haben,
dafs man die andere Ansicht billigt, welche durch bestechendere Gründe
nicht sowohl Rechtfertigung als vielmehr ein glänzendes Ansehen ge-
wonnen hat.
Salv. So gesteht mir wenigstens zu, dafs die Gönner des Koper-
nikus die Gründe des Aristoteles und des Ptolemäus, welchen das
Publikum bisher Beifall zollte, indem es sie für beweisend hielt, wider-
legt haben. Ihr werdet dann zum mindesten eine neutrale Stellung
einnehmen müssen, bis klarere Beweise zum Vorschein gekommen sind,
als die bis jetzt dagewesenen. Und man wird die Kopernikaner, welche
die Trugschlüsse des Aristoteles und des Ptolemäus aufgedeckt haben,
nicht verspotten dürfen, blofs um der Autorität jener beiden grofsen
Männer willen, welche trotz ihrer Gröfse vor eben jenen Koperni-
kauern sehr klein dastehen. [ToaJdo pag. 325, Alb. pag. 500, Fav.
pag. 23f.]
19) Salv. Du Aristoteles setzest fest, einfache Bewegungen seien
die, welche längs einfacher Linien erfolgen, und nennst die Gerade
imd den Kreis einfache Linien. AVenn nun die Einfachheit der Be-
wegung bedingt sein soll durch die Einfachheit der Linie, [so mufs
doch die Bewegung längs einer durch den Mittelpunkt laufenden
geraden Linie einfach genannt werden] und wird als solche die natür-
liche Bewegung irgend welches einfachen Körpers sein können; das-
selbe wird auch noch der Fall sein, wenn die Gerade den Kreis
schneidet, ohne durch den Mittelpunkt zu gehen. Dennoch wirst du
in jenem Falle behaupten, dafs die Bewegung längs einer und der-
494 Handschriftl. Zusätze Galileis z. d. Exempl. d. paduan. SeminarLibliotliek.
selben Geraden bis zum Centrum entgegengesetzt sei der darauf fol-
genden über das Centrum hinaus; du Avirst dann nicht mehr zugeben,
dafs ein und dieselbe Bewegung, welche du wegen ihrer Geradlinig-
keit einfach genannt hast, einem und demselben einfachen Körper
zukommen kann, sondern du wirst behaupten, dafs innerhalb derselben
geraden Linie entgegengesetzte Bewegungen stattfinden. Damit die
einfache Bewegung und der einfache Körper einander entsprechen,
mufs man eine Bewegung statuieren, deren Einfachheit von etwas
anderem als von der Einfachheit der Linie abhängt. Denn sonst würde
die Bewegung der schweren Körper nach dem Centrum hin nicht in
höherem Grade charakteristisch und natürlich für sie sein als die von '
dem Centrum weg. \Toaldo pag. 30, ATb. pag. 21, Fav. pag. 24.]
ANMERKUNGEN.
Widmung, Vorrede, erster Tag.
1) p. 1. Die Widmung hat die Form eines Briefes an den Grofsherzog
Ferdinand II. von Toskana; das Datum fehlt, mufs aber in das Druckjahr
1632 fallen. Vgl. die Fufsnote von Alberi Op. I, 10.
2) p. 4. Über die. Vorrede im allgemeinen vergl. Einleitung p. LXV.
3) p. 5. Der Name Peripatetiker bedeutet eigentlich die Umher-
wandelnden. — Die vier aristotelischen Principien, von denen gleich
nachher die Eede ist, sind bekanntlich: Form (ovöla)^ Stoß' (yltj)^ bewegende
Ursache {ccQp] xiVTjöfwg), Zweck (t6 ov svskk).
4j p. 6. Der Ausdruck barmherzige Pflegeväter (padri cari-
f(itivl) ist wohl Anspielung darauf, dafs es Mönche waren, die sich den
galileischen Gedanken aneigneten.
5) p. 7. Über Sagredo, Salviati und Simplicio s. Einleitung p. XLIX ff.
6) p. 9. Natürliche Gründe (ragioni nahirali) bilden den Gegen-
satz zu theologischen, auf der Autorität der Bibel, der Kirchenväter und
der Kirchenlehre beruhenden; es werden darunter bei Galilei in der Eegel
nicht speciell naturwissenschaftliche Gründe verstanden.
7) p. 9. Die von Galilei himmlisch genannte Substanz ist der ald-iqQ
(Äther), das ni^nxov ezoi^dov^ die quinfa essentia, das fünfte Element. Dem-
gegenüber stehen nach aristotelischer Lehre die schlechthin sogenannten
vier Elemente. Die Herleitung der Athereigenschaften nach aristotelischer
Weise findet sich p. 40.
8) p. 9. „Er" = Aristoteles, der Begründer der pei-ipatetischen Schule.
9) p. 10. Die nun folgenden aristotelischen Beweise für die Unmög-
lichkeit von mehr als drei Dimensionen sind freilich nichtig; aber der
späterhin von Galilei dem Salviati in den Mund gelegte, der übrigens
weder im Princip noch in der Ausführung originell ist, sondei-n in ganz
ähnlicher Weise sich z. B. bei Clav'ms (Chr. CJavü in Sphacram loannis de
Sacro Bosco Commenidrhis. 3. Aufl. Romae 1585, p. 13 ff.) findet, ist gleich-
falls unzulänglich imd kann höchstens als eine Erläuterung des Sinnes der
Behauptung gelten, nicht aber als ein wirklicher Beweis. Ein solcher
läfst sich überhaupt schwerlich erbringen (vgl. jedoch Überwegs Ver-
suche), da die Di-eidimensionalität entweder als reine Erfahrungsthatsache
zu betrachten ist oder als begründet in der Beschaflenheit des mensch-
lichen Intellekts. Weder Aristoteles noch Galilei liefsen sich träumen,
dafs man dereinst eine Geometrie von vier- und mehrdimensionalen Räumen
aufstellen werde, wie dies neuerdings geschehen ist. Vgl. die Habilita-
tionsschrift von Rieinann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie
Galilei, Weltsysteme. 32
498 Anmerkungen zum ersten Tag.
zu Grunde liegen (1854); Helmlioltz, Populäre wissenschaftliclie Vor-
träge. 3. Heft (Braunscliweig 1876): Über den Ursprung und die Be-
deutung der geometrisclien Axiome.
10) p. 10. Weil die Drei alles, die Dreiheit allseitig ist.
Vgl. De coelo I, 1. 268, a, 9 Sia rb ra tqLk navza dvca ymI xo xQig nccvtr].
— Ad 'pleniorcm scientiam, logischer Schulausdruck, durch welchen
nach erbrachtem Beweise weitere Erörterungen zu Gunsten der These
angereiht werden. — Jedes, All und Vollkommenes, griechisch (De
coelo I, 1. 268, a, 20): xa navxa, xo näv, xo xeXeiov. — begrifflich (ital.
formalmente) entspricht dem griechischen xaxcc X7]v löiav.
11) p. 11. Plato spricht ähnliche Gedanken öfters aus, so Epinomis
977c. d'neQ a.Qi&^ibv ejc xrjg avd'QC07tiV'}]g (pvöscog it,skoifiEv, ov% äv tioxe xi
(pQOVi^oi ysvoi^s&a.
12) p. 12. Die Anekdote, auf welche hier angespielt wird, findet sich
bei Macrobius, Saturn. I, 6. Galilei kannte sie wohl aus den Gesta Eo-
manorum, wo sie wiederholt wird. Der Jüngling hiefs Papirius; er hatte
seiner Mutter vorgeredet, der Senat habe über die Frage verhandelt, ob
besser ein Mann zwei Frauen oder eine Frau zwei Männer solle heiraten
dürfen. Die Frauen der Stadt beschworen daraufhin den Senat, die Frage
in letzterem Sinne zu entscheiden.
13) p. 12. Die platonische Lehre von dem unbewufsten Wissen und
der Wiedererinnerung gehört zu den Lieblingsgedanken Galileis; sie wird
zu wiederholten Malen im Laufe des Dialogs vorgebracht. Vgl. p. 26. 95.
152. 165 f. 176. 202. 266. 393.
14) p. 14. Vgl. Ar. Metaph. 1'"^'^., 3. 995, a, 14: Ttjv ö' a.%Qißoloyiav
xvjv ^ad')]fic(XLK'r}V ovk iv üituatv aTtaifrjriov, ccDJ iv xoig (irj eiovGlv vh]v'
ÖLOTtSQ ov (pvöiKog 6 XQOTtog, ciTtaSa yccQ i'öcog 7j cpvöig ejsi vX7]v.
15) p. 15. Aristoteles unterscheidet dreierlei Veränderungen, quanti-
tative, qualitative und örtliche (%lvr]6ig xaxa xo nooov, oiaxa xb noiov, naxa
xb Ttov). Die Verschiedenartigkeit der letzteren giebt ihm Vei'anlassung
zu der Unterscheidung von irdischem oder elementarem und HimmelsstoiF.
16) p. 16. Die Natur wird von Aristoteles als Princip der Bewegiuig
und der Ruhe definiert z. B. Phys. II, 1. 192, b, 14: ocq^i] y.tvi'jöecog Kai axaßecog.
17) p. 16. Hier scheint Galilei entweder einen Flüchtigkeitsfehler be-
gangen oder eine abweichende Lesart im aristotelischen Texte (oder in
der lateinischen Übersetzung) vorgefunden zu haben. Die bekannteren Aus-
gaben lesen (De coelo I, 2. 268, b, 16): ttJv yag <pv6tv Kivi'iöscog aQxrji^ elvai
cpa^uv civxolg. Es ist also an dieser Stelle in der That von der Natur nur
als der Ursache der Bewegung die Rede. Nach der Vermutung von Favaro
{Appendke Prima alla Librcria dl Galileo Galilei. Roma Tipografia delle
scienze matematiche e fisiche 1888. p. 2) hat Galilei die griechisch-latei-
nische Ausgabe der aristotelischen Werke besessen, welche 1597 bei
Guillelmus Laemarius erschien; vielleicht würde sich durch Vergleichung
dieser mir nicht zugänglich gewesenen Aristoteles- Ausgabe der Sachverhalt
aufklären lassen. — Dafs Aristoteles konsequenterweise von Natur un-
bewegte Körper hätte annehmen müssen, wird später noch weiter ausge-
führt. S. p. 34. 48.
18) p. 20. Dies geschieht p. 33.
19) p. 20. Der Name nöa^og — und ebenso der lateinische miindits
Anmerkungen zum ersten Tag. 499
und der italienische mondo — bedeutet urspi-ünglich Ordnung, Schmuck.
Über die Geschichte des Wortes findet man Auskunft in Humboldts Kos-
mos (Stuttgart 1870. Bd. I. p. 49). 'Aristoteles und seine Schule schlugen
den philosophischen Wert von Etymologieen hoch an.
20) p. 20. Aus dieser und mancher anderen Stelle des Dialogs scheint
hervorzugehen, dafs Galilei noch weit davon entfernt war, das Beharrungs-
gesetz, dessen Entdeckung ihm gewöhnlich ohne weiteres zugeschrieben
wird, voll erkannt zu haben. Wenn überhaupt von natürlichen Be-
wegungen heute noch die Rede sein kann, so müssen darunter Bewegungen
verstanden werden, die von keiner äufseren Kraft beeinflufst werden. Dann
aber müssen wir gerade umgekehrt wie Galilei sagen: Alle natürlichen
Bewegungen sind geradlinig. Doch ist nicht zu vergessen, dafs die ver-
schiedenen Partieen des Dialogs aus sehr verschiedener Zeit stammen und
die vorliegende gewifs zu den ältesten gehört. S. Einleitung p. XVII.
21) p. 20. Vgl. Arist. De coelo I, 4. 271, a, 33: 6 ^ebg %al 1) (pvoig
ovöh' (.idtriv noLovGLV.
22) p. 21. Die Auffassung der geradlinigen Bewegung als einer der
wohlgeordneten Welt widersprechenden ist von Galilei dem Kopernikus ent-
nommen worden. S. Cop. De rev. p. 23 der Thorner Ausgabe: Becfus ergo
motus non accidit, nisi rebus non rede sc hahentihus, nequc perfectis sccundiun
naturam, dum separantur a siio tofo et eius dcserunf unitatem. Kopernikus
selbst entlehnte wohl diese Ansicht den Alten. S. Plutarchi De facie in
orbe lunae VIII, 2: ov^ ag (liaov ovöa rov navxog 7} yi] [xälkoi'^ 7} wg oXov
oiKEicaösrai, (lEQrj avxi^g ovxa xa ßagr} ... 3. 'Slg yccQ 6 i]Xcog £Lg eavxbv
e7ti6XQ£q)£i. xa ^i^rj f| äv övve'cJdjjcs, nal 1) yfi xbv XC&ov coansQ idiov y.al
7tQ06ijKovxci öe^exai kdcI cpsQsi nag iv.Hvov. Wir haben in solchen Stellen
ein antikes Surrogat für eine Gravitationstheorie, dem man vielleicht noch
nicht die genügende Beachtung geschenkt hat. Vgl. auch die eine Ahnung
der allgemeinen Gravitation enthaltenden Stellen p. 36. 102 f. 260.
23) p. 21 U. 31. Die Beziehung auf Plato bei Gelegenheit dieser
galileischen Schöpfungshypothese findet sich nicht nur an vorliegender
Stelle, sondern auch bei Reproduktion der Hypothese in den Discorsi
(Op. XIII, 237). Indessen spricht Plato meines Wissens nirgends davon,
dafs die Himmelskörper anfänglich sich geradlinig bewegten, sondern
nur, dafs alles Sichtbare ursprünglich in verworrener und ungeordneter
Bewegung begriffen war. Die bezügliche Stelle findet sich Timaeus 30 A:
o^xto drj Ttav o6ov i]v bqaxov naQcdaßav \6 d-ibg^ ov% i)(jvxLav ayov ciXXa
TiLvov^evov TtX7]fi(iEXä)g xai axdxxcog eig xaS,LV avxb i'jyayev ek xi]g dxa'S,Lag.
Trotz der geringen Übereinstimmung der Worte Piatos mit der von Galilei
ausgesprochenen Ansicht scheint doch diese Stelle ihm vorgeschwebt zu
haben, wenn er nicht etwa ganz willkürlich eine Autorität zum Schutz
für seine überkühne Idee hat anführen wollen. Die Stelle mufste ihm um-
somehr bekannt sein, als sie bei Aristoteles (De coelo III, 2. 300, b, 16)
citiert und heftig bekämpft wird. Galilei mag seine Ansicht sich gebildet
haben, ehe er Kenntnis von der Stelle bei Plato hatte, und nachher un-
willkürlich in ihr eine Bestätigung gefunden haben, und zwar in höherem
Mafse, als nach den Worten Piatos gerechtfertigt ist. Auch Chiaramonti
in seiner Difcsa cd suo Anfitieonc c libro dcUe irr mtovc stelle (Firenze 1633)
schreibt p. 275: „Ich gestehe, eine derartige Aufserung bei Plato nicht zu finden".
;52 *
50Ö Anmerkungen zum ersten Tag.
24) p. 21. Über die Accaäemia dei Lincei vgl. Einl. p. XXVT. Selbst-
verständlich ist der hier und öfters erwähnte Akademiker kein anderer als
Galilei selbst.
25) p. 23. Diese Bemerkung Galileis, die er handschriftlich dem in
der paduanischen Seminarbibliothek aufbewahrten Exemplar des Dialogs
hinzugefügt hat (vgl. Einl. p. LXXVI), macht sehr richtig darauf aufmerk-
sam, dafs es wirkliche Momentankräfte (Joyces instantanees) nicht giebt, dafs
der Stofs nur annähernd als solche gelten kann. Galilei hat seine Ansichten
über den Stofs ausführlicher in den Discorsi, Glornata sesta niedergelegt.
S. insbesondere'Op. XIII, 330 flf.
26) p. 23. Pulsschläge dienen bei Galilei und sonst (z. B. bei Car-
danus) öfters als Mafs für kleine Zeitintervalle. Von Galilei erst rührt
ja der Gedanke her, Pendelschwingungen statt dessen zu benutzen. —
Über die Elle (braccio) vgl. zu p. 100.
27) p. 24. Galilei denkt an das Gesetz der kommunicierenden Ge-
fäfse oder an den Springbrunnen. — Im folgenden wird wohl zum ersten
Male in der Geschichte der Physik von dem Gesetz der Erhaltung des
Antriebs {impeio) — oder der lebendigen Kraft, wie man seit Leibniz
zu sagen pflegt — Gebrauch gemacht.
28) p. 25. Das anscheinende Paradoxon, dessen Knoten im folgenden
mit pädagogischer Meisterschaft geschürzt und gelöst wird, ist genau das-
selbe, wie wenn man zwei gleichschenklige Dreiecke von gleicher Grund-
linie, aber verschiedener Höhe vergleicht: obwohl dann jeder „Breite" des
einen Dreiecks eine gleiche des anderen entspricht, obwohl die Breite an
der Spitze und Basis, sowie die Durchschnittsbreite bei beiden überein-
stimmen, so ist doch die Höhe und der Flächeninhalt verschieden, und man
wird das Dreieck mit der gröfseren Höhe schmäler nennen dürfen. Im
vorliegenden Falle entsprechen den Höhen die Pallzeiten, die zum Zurück-
legen der ganzen Strecken CA u.nd CB erforderlich sind; den Breiten,
oder besser noch den halben Breiten, die jeweiligen Fallgeschwindigkeiten ;
den Flächen die gesamten zurückgelegten Strecken CA und CB.
29) p. 28. Man erwartet in diesem Zusammenhange eher: ,,Da das
Verhältnis zweier gleichen Gröfsen (nämlich der beiden gleichen Zeiten)
zu einander gröfser ist, als das Verhältnis einer kleineren zu einer gröfse-
ren (nämlich der Strecke CT zu der Strecke 6'jB)." Die von Galilei vor-
genommene Vertauschung der inneren Glieder dieser Proportion trägt nicht
eben zur Verdeutlichung der ohnehin für Laien etwas schwierigen Stelle bei.
30) p. 28. Diese Untersuchungen des „Akademikers" (vgl. zu p. 21)
sind in den Discorsi enthalten. Der specielle Satz — in etwas anderer
Form — findet sich Op. XIII, 181 (Theorema VI, Propositio VI). Der
nachher (p. 29) benutzte Satz, dafs die am Schlufs der Fallzeit erreichte
Geschwindigkeit genügt, um den Körper während einer der Falldauer
gleichen Frist über das doppelte der durchfallenen Strecke zu führen,
findet sich ebenfalls in den Discorsi (Op. XIII, 204. Theor. XVI. Prop.XXV).
31) p. 30. Diese Schlufswendung der bisher so schönen Entwicklung
ist natürlich verfehlt. Man darf höchstens schliefsen wollen, dafs ein
Übergang von der Ruhe zur Bewegung mit endlicher Geschwindigkeit nicht
möglich ist; dafs aber zur Erzielung einer kreisförmigen Bewegung mit
gleichfrirniiger Geschwindigkeit eine geradlinig beschleunigte Bewegung
Anmerkungen zum ersten Tag. 501
vorangegangen sein mufs und wie ein solcher Übergang bei den Planeten
vor sich gegangen sein soll, ist nicht einzusehen. Dies hob schon der
sonst gewifs nicht sehr geistvolle Gegner Galileis Antonio Rocco, der in
seinen Escrcitazioni fdosoficlie (Venezia 1633; abgedruckt im 2. Bande der
Alberischen Ausgabe) Aristoteles gegen Galilei verteidigt, nicht mit Un-
recht hervor. Vgl. Op. 11, 147 — 152, sowie die Briefe Fra Fulgenzio
Micanzios vom 25. Februar und 18. März 1634. Op. X, 19 u. 23. — Die
hieran anknüpfende Untersuchung über die Einheit des Schöi^fungscentrums
und über dessen Lage ist daher gleichfalls verfehlt. Kach der im wesent-
lichen gewifs richtigen Schöpfungshypothese von Kant und Laplace sind
gerade umgekehrt die Planeten aus der Sonne hervorgegangen, von ihr
fortgeschleudert worden, während sie nach Ansicht Galileis nach der Sonne
hingefallen sind. Interessant ist die galileische Kosmogonie übrigens in-
sofei-n, als sich aus ihr eine leicht herzuleitende Beziehung zwischen der
Umlaufszeit eines Planeten und seiner Entfernung von der Sonne ergiebt.
Trotz der gegenteiligen Versicherung G.s steht jedoch diese Relation nicht
im Einklang mit den Thatsachen. Die richtige Beziehung wird vielmehr
durch das dritte keplersche Gesetz (1619) angegeben, welches besagt, dafs
die Quadi-ate der Umlaufszeiteu sich verhalten Avie die Kuben der mitt-
leren Entfernungen von der Sonne. Die keplerschen Gesetze scheinen
Galilei zeitlebens unbekannt geblieben zu sein.
32) p. 30. Dies ist die einzige Art des Beharrungsgesetzes, die sich
— wenigstens in abstrakter Formulierung — bei Galilei findet. Wie wir
in der Einleitung (p. XIX ff.) hervorgehoben haben, ist sie weder allgemein,
noch strenge richtig. Wenn die Anwendungen, die Galilei in den Discorsi
auf die Wiu-fbewegung und bei sonstiger Veranlassung macht, gleichwohl
richtige Ergebnisse liefern, so liegt dies daran, dafs er bei Bewegungen
innerhalb eines kleinen Bereichs das in Betracht kommende Stück des
Kreisbogens als eine gerade Linie betrachtet; er entschuldigt sich aber
ausdrücklich wegen dieses vermeintlich blofs angenähert richtigen Ver-
fahrens. S. Op. XIII, 22 7 ff.
33) p. 32. Sowohl Galilei als Sagredo haben sich mit der Konstruk-
tion von Thermometern oder Thermoskopen beschäftigt, wenngleich die
häufig Galilei zugesprochene Priorität der Erfindung nicht sicher gestellt
ist. Aus der Erwähnung von bestimmten Wärmegraden darf man aber
nicht etwa schliefsen wollen, dafs diese Instrumente feste Punkte hatten,
die sie unter einander vergleichbar machten. Unter „Graden" wird vielmehr
nur eine unbestimmte Mafseinheit verstanden, wie gleich nachher von zehn
Grad Geschwindigkeit gesprochen wird, ohne dafs dabei an ein absolutes
Mais derselben gedacht würde.
34) p. 33. Im Original steht gradi di tarditd minor i; in Anbetracht
des sonstigen Sprachgebrauchs bei Galilei kann dies nur ein Druckfehler
für gradi di turditä maggiori sein.
35) p. 34. Vgl. Arist. De coelo I, 2. 269, b, 9 (paivexat iv ys lolg
ccklotg raiiGia (p&etQ6j.iei>c( xcc nagcc cpvGiv. Ib. II, 14. 296, a, 32 ^iÖtceq ovy^
olov X aWtov sivai, ßiaiöv y ovöav Y.cd TtaQcc cpvatv.
36) p. 34. Vgl. p. 16.
37) p. 34. Vgl. Arist. De anim. gen. III, 10. 760, b, 31: tote tj;
ta'ö8-))(J£t nällov x(üv Xöyoiv Ttißxevxeov, Kai xoig Xoyoig, iav 6f.iokoyovi.isva
502 Aumerkungen zum ersten Tag.
ösiKvvcoai, xotg cpccivo^hoig. — Die im folgenden verwendeten lateinischen
Bezeichnungen deorsum (abwärts), swsum (aufwärts), ad medium (nach der
Mitte), a mcdio (von der Mitte) waren als technische Ausdrücke so be-
kannt, dafs sie auch in nicht-lateinischen Schriften beibehalten wurden.
Die aristotelische Lehi-e von der natürlichen Bewegung der Elemente ist
z. B. auseinandergesetzt De coelo IV, 4. — Eadem est ratio totius et par-
tium (das Ganze verhält sich ebenso wie seine Teile). Vgl. De coelo I, 3.
270, a, 11: 6 yccQ avtbg Xoyog tisqI olov %al ^EQovg.
38) p. 35. Vgl. namentlich p. 173, wo die sonderbare Ansicht auf-
gestellt wird, die absolute Bewegung eines fallenden Körpers sei kreis-
förmig.
39) p, 36. Contra ncgantes principia non est disputandum : Wer die
Axiome leugnet, mit dem ist keine wissenschaftliche Diskussion möglich.
Vgl. Arist. Phys. I, 1. 185, a, 1; ib. VIII, 3. 253, b, 2.
40) p. 36. Vgl. Arist. De coel. II, 14.
41) p. 37. Fer accidcns (durch zufälliges Zusammentreffen) griechisch:
nara öviißsßr}%6g.
42) p. 37. Die Verdienste des Aristoteles um die Logik werden auch
anderwärts (vgl. p. 137) hervorgehoben. Seine auf diesen Teil der Philo-
sophie bezüglichen Schriften pflegen in ihrer Gesamtheit Organ on (= In-
strument, Werkzeug) genannt zu werden.
43) p. 38. Leonardo da Vinci schrieb einen Trattato della pittura, der
allerdings erst 1651 gedruckt wurde.
44) p. 39. Galilei, im Gegensatz zu Kepler, neigt der Ansicht von
der Unendlichkeit des Weltalls zu, die insbesondere von dem unglücklichen
Giordano Bruno vertreten wurde. Vgl. zu p. 334 und Einleitung p. XLIV,
45) p. 40. Die gewählte Übersetzung hat die Eichtigkeit der über-
lieferten Lesart zur Voraussetzung. In der ed. pr. (p. 29) steht nämlich:
ma io credo, che i fondamenti de i Peripatetici sien tali, che non ci sia da
fernere; che con Ja rouina loro si possano constnäre nuoue sciense. Einen
viel ungezwungeneren Sinn erhielte man, wenn das non getilgt oder an
andere Stelle gesetzt würde. Bei der überlieferten Lesart wird von Sim-
plicio als etwas Besorgniserregendes bezeichnet, dafs es noch einen anderen
Aufbau der Wissenschaft geben könne, als den auf peripatetischer Grund-
lage ruhenden; im anderen Fall äufsert er die Furcht, es sei nach dem
Sturze des Aristoteles keine Wissenschaft mehr möglich. So engherzig
Simplicio auch sein mag, einen solchen Gedanken wie den ersteren wird
man allenfalls manchem seiner peripatetischen Kollegen, aber nicht ihm zu-
trauen dürfen.
46) p. 40. Der von Simplicio reproduzierte aristotelische Beweis für
die Unzerstörbarkeit und Unveränderlichkeit des Himmels findet sich De
coelo I, 3. 270, a, 12.
47) p. 42. Galilei glaubte irrigerweise wie alle seine Zeitgenossen \
und wie Aristoteles an eine Urzeugung auch bei verhältnismäfsig hoch- j
organisiex'ten Wesen. Die hier erwähnten Insekten sind die bekannten
sogenannten Essigfliegen (Drosophila- Arten), deren Larven in gährenden
Flüssigkeiten und faulenden Früchten leben, und die allerdings oft plötz-
lich in so überraschender Menge auftreten, dafs der Glaube an die generatio
aequivoca verzeihlich erscheint.
Anmerkungen zum ersten Tag. 503
48) p. 42. Damit deutet Galilei wohl vorsichtigorweise an, dafs seine
Zweifel sich nicht etwa gegen die Transsubstantiationslehre, die Lehre von
der Verwandlung beim Abendmahle, richten.
49) p. 43. Nämlich die beiden Bücher Ile^l yeviascog -/.cd cp&oQäg {De
(jcnerationc et coyniptione\
50) p. 44. Der bekannte hier wiederholte Trugschlufs vom Kreter
gehört nicht eigentlich zu der Klasse, die man im engeren Sinne Sorites
nennt. Der typische Fall eines solchen ist vielmehr- der vermeintliche
Beweis, dafs es auf ein Stück ankomme, damit eine Menge von Dingen
einen Haufen bilde oder nicht. — Mit „Scheinbeweis" habe ich den eigen-
tümlichen Ausdruck arf/omento cornuio übersetzt.
51) p. 45. Nach Aristoteles kann unter Umständen ein Körper den
anderen berühren, ohne dafs dieser den ersten berührt. De gen. et corr.
I, 6. 323, a, 25 'ißxi fiev ovv ag enl t6 noXv xo cmxo^evov aTtxofievov tcTtxö-
l^isvov . . . k'axi ö' wg ivioxe cpa^isv xo kcvovv anxsa&at ^ovov xov y.ivovi.i£i'ov,
xo d' cc%x6iJiSvov ^r\ cmxsö&ca (cnxo^iivov. Vgl. p. 73. Für die im folgen-
den von Sagredo erwähnten peripatetischen Lehren sind die Belegstelleu
aus Aristoteles folgende: dafs gröfsere oder geringere Dichtigkeit gröfsere
bezw. kleinere Schwere im Gefolge hat, wird von Aristoteles angedeutet
De coelo III, 1. 299, b, 7; Phys. VIII, 7. 260, b, 7. An letzterer Stelle
heifst es: "Exi Ös Tidvxcov xäv Tta&rjfxdxcov ocQirj nvKvcoGig aal (.idvcoötg'
■Aal yc(Q ßaQV zal zovcpov %ul (.laXanbv Kai ßaXrjQOv Kai &eQfxbu Kai ipv^Qov
TtvKvoTi'jxeg 6o/.ovGt Kai ciQa[,6xr]X£g üvai xivsg. — Dafs die gröfsere oder
geringere Dichtigkeit von der Temperatur bedingt ist, steht De gen. et
corr. IT, 9. 336, a, 3: xo ^ilv ■&eQfibv ölukqlveiv^ xo Ös ipv'^QOv övvißxccvai. —
Die nachher von Simplicio vorgetragene Theorie, dafs das Wesen der Dich-
tigkeit bei himmlischen Körpern ein anderes sei als bei elementaren, rührt,
wie aus der Postille hervorgeht, von Cesare Cremonini her, dem einstigen
Kollegen Galileis an der Universität Padua. Vgl, C. Cremonini De Coelo
disputatio (Venetiis 1618), p. 23 — 24, es heifst dort: Barum insuper, et
densum in coelo non sunt contraria: Non enim sunt contraria isla, nisi
quatenus consequuntur qualitates primas; in coelo vero sequuntur miiltitttdinem,
aiit paucitatem materiae in comparatione ad quantitatem, multuni vero et ptau-
ciim, ut in praedicamenfo quantitatis accipitur, dicunt relativam oppositioncm,
quae est minima oppositionum, ut seribifur in Posipraedieamentis , et nihil
facit ad generationem et corruptionem. Similiter se habet de concavo et con-
vexo. (Ich verdanke dieses Citat der Güte des Herrn Favaro.) — Dafs
die Sterne verdichteter Äther seien, ist bei Aristoteles nur andeutungs-
weise angegeben De coel. 11, 7. 289, a, 13; doch berichtet Plutarch, wie
es scheint mit Beziehung auf die peripatetische Schule: liyovGi, 81, xov
ai&£Qog xo fxsv avyo8tdeg Kai kenxbu -bno fxavox'Yjtog ovgavbv ysyoviuai,' xb
6s TtvHx'co^Et' Kai avvsihjd'sv, aöTQa (De fac. in orbe lunae XV, 6).
52) p. 46. Au dieser Stelle liegt im Original ein Anakoluth vor;
dasselbe läfst sich am einfachsten beseitigen, wenn man im italienischen
Text entweder a voler che oder le quali tilgt. Der Übersetzung liegt
letztere Konjektur zu Grunde.
53) p. 48. Das Wesentlichste von dem, was Salviati hier vorträgt,
reproduziert später Sagredo. Vgl. p. 431.
54) p. 52. Abila oder Avila, Berg bei Ceuta an der afrikanischen
504 Anmerkungen zum ersten Tag.
Küste; gegenüber bei Gibraltar liegt Calpe; sie bilden die sogeaannten
Säulen des Herkules. — Über die Entstehung des mittelländiscben Meeres
waren die Meinungen im Altertum geteilt; die herrschende Ansicht war,
dafs es durch einen Einbruch des atlantischen Oceans entstanden sei.
S. Plin. VI, 1. Doch findet sich auch die umgekehrte Angabe, dafs es
anfänglich ein Binnensee gewesen, der nach dem atlantischen Ocean durch-
gebrochen sei. S. Strab. I, 2 p. 38 f., I, 3 p. 51 f.
55) p. 55. Die Ansichten Galileis über die Natur der Kometen sind
hauptsächlich im Sar/giafore niedei'gelegt: er neigt fälschlich zu der Meinung,
die Kometen seien sublunaren Ursprungs, wie auch an vorliegender Stelle
angedeutet wird. Tycho de Brahe hatte dagegen in dem zweiten Bande
der Progymnasmata ^ welcher den Specialtitel De Mnndi Aefhcrei recentio-
r/bus phaenomenis liber sccunäus führt, ganz richtig aus der verschwinden-
den Kleinheit der Parallaxe des Kometen von 1577 dessen grofse Ent-
fernung von der Erde gefolgert. Gegen diese Ansicht war, wie in der
Einl. p. LVIII bereits angegeben, Chiaramonti in seinem Anfifyrlio (1621)
aufgetreten. — Im folgenden wird Ch. getadelt, weil er die neuen Sterne
und die Sonnenflecken nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit behan-
delt habe, indessen hat dei'selbe im Jahre 1628 in seinem Buche De irihus
sfelUs, qiioe a. 1572, 1600, 1601 companienint die ersteren sehr ausführ-
lich besprochen. Es geht daraus hervor, dafs der erste Tag des Dialogs
schon vor 1628 abgeschlossen worden ist. Der zweite und dritte Tag
des Dialogs unterziehen dieses spätere Werk Ch.s einer scharfen Kritik.
Über den neuen Stern von 1572 in der Cassiopeja wird zu .\nfang des
dritten Tags des Dialogs ausführlich gesprochen, am ausführlichsten be-
handelt ihn Tycho de Brahe im ersten Bande seiner Progymnasmata. —
Der Stern von 1604 im Schlangeuträger war Gegenstand einer ausführ-
lichen Schrift Keplers: De stdJa nova in pecle Serpentarii (Pragae 1606).
Auch von Galilei besitzen wir Fragmente der Vorlesungen, die er über
diesen gehalten. (Vgl. Op. V^, 391.) — Die Sonnenflecken endlich wer-
den im Laufe des dritten Tags eingehend behandelt. Vgl. p. 361 ff. iind Ein-
leitung p. XXIV, XXIX ff., LX f. Über Tycho urteilt Galilei hier und sonst
höchst ungerecht (vgl. namentlich auch den Brief an Marsili vom 7. Sept. 1629
Op. VI, 329), wiewohl ihm dieser kurz vor seinem Lebensende in freund-
schaftlichster Weise entgegengekommen war. S. den Brief Tychos an G.
vom 4. Mai 1600. Op. VIII, 24.
56) p. 55. Parallaxe oder parallaktische Differenz heifst der Winkel,
den zwei Linien einschliefsen, die von einem Sterne nach zwei verschie-
denen Punkten der Erde gezogen sind. Aus der Gröfse der Parallaxe in
Verbindung mit der Lage der Erdörter läfst sich die Entfernung des
Sternes berechnen, wie späterhin (p. 311 ff.) ausführlich gezeigt wird.
57) p. 56. Wie oben zu p. 55 bemerkt, hat Chiaramonti die neuen
Sterne und namentlich die Frage nach dem Orte derselben in einer eigenen
umfangreichen Schrift behandelt, die im zweiten und dritten Tage des
Dialogs scharf mitgenommen wird. Die hier gemeinte Stelle findet sich
im Schlufsworte des Antitycho p. 357 und lautet: At objident allqui novas
Uluxisse Stellas ut tempore Hipparci, et nostro Jioc aevo non semel ncmpe
anno 1572 in Cassiopeja, et 1604 in sagittario. Verum non sunt nupera
eiusmodi lumina caelestium corporum certae partes, oportet adversarios in
Anmerkungen zum ersten Tag. 505
stdlis iunlo imn anica tempore clcscri^ytis, de qiiihus nemo diibitat quin cae-
lestes sinf^ lüiquam mufationcm dcmonsfrare, quod praestare non p)Ossunf.
58) p. 56. Woher die in Anfülinmgszeiclien gesetzte Stelle genommen
ist — und ebenso die Stellen p. 78 und p. 82 — ist mir trotz vieler
Mühe nicht gelungen zu ermitteln. In den Briefen über die Sonnenflecken
(Op. III, 501) erwähnt Galilei die nämliche Ansicht, welche im nachstehen-
den Citate ausgesprochen wird und welche mit der anfänglichen Ansicht
Scheiners über das Wesen der Sonnenflecken Ähnlichkeit besitzt.
59) p. 58. Markus Welser, Duumvir von Augsburg, hatte am
6. Januar 1612 Galilei gebeten, seine Ansicht über drei Briefe Scheiners,
die unter dem Pseudonym Apdlcs post täbidam veröfi'entlicht worden waren,
ihm mitzuteilen. Die Antwort Galileis auf diese Aufforderung und auf
spätere Briefe Welsers und Schriften Scheiners bilden die obengenannten
Lettere intorno alle maccJne solari, welche von der Accademla dei Llncei
1613 mit einem Vorworte von Angelo de Filiis herausgegeben wiirden.
S. Einleitung p. XXXI.
60) p. 59. Vgl. Arist. De coelo IT, 12. 291, b, 24ö'. Über den Vor-
zug der sinnlichen Erfahi-ung vor der Spekulation vgl. zu p. 34.
61) p. 63. Diese erregten damals noch immer hohe Bewunderung; die
ersten Pomeranzen- und Apfelsinenbäume waren 1548 in Europa bekannt
geworden und zwar dmch den Portugiesen Juan de Castro.
62) p. 65. Die Frage nach der Bewohnbarkeit des Mondes ist uralt.
So hatte der Pythagoreer Philolaus gelehrt, dafs der Mond von Riesen
bewohnt werde. Plutarch äufsert sich in seiner Schrift Bc facie in orhc
hinae XXIV, 7 ff. sehr vernünftig über die Bewohnbarkeit und die Mög-
lichkeit eines Lebens auf dem Monde und zwar in ähnlichem Sinne wie
hier Galilei.
63) p. 66. Opposition zweier Gestirne heifst diejenige Stellung, bei
welcher (annähernd) die Erde in gerader Linie zwischen denselben steht,
der Winkel Stern — Erde — Stern also 180° beträgt; Konjunktion findet
statt, wenn 'eines der Gestirne zwischen der Erde und dem anderen steht,
also jener Winkel 0° beträgt; Quadratur, wenn der Winkel 90", Sexter-
schein (aspetfo scsfite] vgl. p. 337), wenn er 60*^ beträgt. Es werden
bisweilen noch andere solcher „Aspekte" unterschieden.
64) p. 67. Nach vorliegender Stelle könnte man glauben, dafs G.
auch auf dem Monde Land und Wasser unterscheiden wolle und nur vor-
sichtigerweise sich nicht bestimmt äufsere. Er verwirft aber weiter unten
fp. 105) diese Ansicht ausdrücklich in Übereinstimmung mit den heutigen
Astronomen. Diese Stelle hat wohl Nelli zu der irrigen Angabe verleitet, dafs
Galilei auf dem Monde Meere annehme (Vita e Commereio Letterario di
Galileo Galilei. Losanna 1793. II, 573). Das Vorhandensein von Mond-
gebirgen und die Ursachen der Phasenänderungen sind schon von Pytha-
goras gelehrt worden. Die Flecken auf dem Monde waren von manchen
für Spiegelbilder der Land- und Wassermassen der Erde gehalten wor-
den. (Vgl. Plut. Bc facie in orhe lanae); auch heute noch ist man sich
nicht völlig klar über den Wesensunterschied der hellen und dunkeln Par-
tieen, man hält letztere meist für lockeres, erstere für festes Erdreich.
65) p. 69, Da scheinbar der Mond aufser der allgemeinen täglichen
Bewegung von Ost nach West eine sehr beträchtliche Eigenbewegung von
506 Anmerkungen zum ersten Tag.
West nach Ost besitzt, welch letztere etwa 12" den Tag beträgt, so ver-
gehen nicht 24, sondern ungefähr 25 Stunden, bis er an zwei auf einander
folgenden Tagen an dieselbe Stelle des Himmels zurückgekehrt ist.
66) p. 69. Wenn eine Kugel um eine aufserhalb derselben gelegene
Achse derart rotiert, dafs man sich beide in starrer Verbindung mit ein-
ander denken kann, so ist die Frage, ob man sagen soll, die Kugel drehe
sich bei ihrer Bewegung auch um sich selbst oder nicht. Kopernikus,
und an dieser Stelle auch Galilei, sagt in solchen Fällen, es finde keine
Rotation um die eigene Achse statt, während man heutzutage dies im
Gegenteil als eine Rotation bezeichnet. Dreht sich hingegen eine Kugel
so, dafs der Mittelpunkt einen Kreis beschreibt und jede mit der Kugel
starr verbundene gerade Linie sich selbst parallel bleibt, so sagt Koper-
nikus, die Kugel besitze eine Rotation um sich selber, die in entgegen-
gesetztem Sinne erfolge, wie die Bewegung des Mittelpunktes; wir pflegen
dies als eine Kreisbewegimg ohne Eigenrotation zu betrachten. Die viel-
fach erörterte Frage ist ein ziemlich müfsiger Wortstreit; nur mufs man
den jeweiligen Sprachgebrauch kennen, um nicht zu Mifsverständnissen ver-
leitet zu werden. Vgl. auch zu p. 371. — Um den verwickelten Mondlauf
zu erklären, hat Ptolemäus angenommen, dafs der Mond nicht unmittelbar
eine Kreisbahn um die Erde beschreibe, sondern um einen Punkt kreise,
der seinerseits erst sich um die Erde dreht. Der von diesem Punkt be-
schriebene Kreis wird der deferierende, der Kreis des Mondes um jenen
Punkt der Epicyclus genannt. — Nach dem Sprachgebrauche Galileis
ist es also ganz richtig, wenn er sagt, dafs man für den Fall der epicj'C-
lischeu Bewegung dem Monde eine Drehung um seine Achse zuschreiben
müsse, um zu erklären, dafs er der Erde stets dieselbe Seite zuwende.
67) p. 69. Nach der Lehre der Pythagoreer gab es eine Gegenerde,
a.vxLi%av genannt, welcher von den verschiedenen Anhängern dieser Schule
eine sehr verschiedene Rolle zugewiesen wurde. Vgl. Arist. de coel.
II, 13. 293, a, 23flf. Von einigen wurde sie mit dem Monde identificiert,
und darauf scheint Galilei hier anzuspielen.
68) p. 69. Im folgenden wird die sogenannte Libration des Mondes
beschrieben. Man findet vielfach die falsche Angabe, dafs Galilei erst m
Jahre 1637 oder kui-z vorher dieselbe entdeckt und die erste Mitteilung
darüber in dem Briefe an Alfonso Antonini, datiert „aus meinem Kerker
von Arcetri den 20. Februar 1637", gemacht habe, wozu übrigens die Be-
merkung zu fügen ist, dafs die Datierung jenes Briefes nach florentini-
schem Stile zu verstehen ist, der Brief also 1638 geschrieben wm-de.
Spätestens mufs Galilei vielmehr die Entdeckung im Jahre 1631 gemacht
haben, und selbst das ist nur möglich, wenn man die Annahme macht,
dafs er die im Jahre 1630 druckfertig gewordenen Dialoge noch nach-
träglich revidiert habe. — Ebenso irrig ist die sogar bei Lalande,
Astronomie §§ 3175 ff. sich findende Angabe, dafs Galilei die parallak-
tische Libration und die Libration in Breite gelehrt habe. Er kennt
in Wahrheit nur die erstere und untersucht freilich, welchen Einflufs
die Veränderung der Breite des Mondes auf sein Aussehen von einem
Punkte der Erdoberfläche aus übt. Dies ist aber ganz etwas Anderes, als
was wir Libration in Breite nennen. Nach Galileis ausdrücklichen Worten
erscheint vom Erdmittelpunkt aus stets derselbe Punkt im Centrum der
Anmerkungen zum ersten Tag. 507
Mondscheibe. Tliatsächlich ist dies aber nicbi der Fall, was (zum Teil)
daher rührt, weil die Rotationsachse des Mondes nicht genau senkrecht
zur Mondbahn steht, sondern einen Winkel von etwa 6" mit der Senk-
rechten bildet. Die durch diesen Umstand bedingten Änderungen der
sichtbaren Mondfläche sind .es, welche man Libration in Breite nennt.
(Vgl. z. B. Epstein, Geonomie p. 510 if.) — Gerade die bedeutenderen
Quellen der Libration, die Libration in Länge und Breite kannte Galilei
also noch nicht, sondern nur die verhältnismäfsig unbedeutende parallak-
tische. Er scheint allerdings bemerkt zu haben, dafs sich die thatsäch-
lichen Librationen auf die Parallaxe allein nicht zurückführen lassen, wie
aus einer Stelle obengenannten Briefes vom Jahre 1638 (Op. IIT, 181 jper
Je qnaU . . . verso cU noi) hervorgeht. Da er aber seiner Blindheit wegen
die Beobachtungen damals nicht fortsetzen konnte, gelangte er nicht zur
vollständigen Erkenntnis des Phänomens; diese verdankt man Hevel, Eiccioli
und Cassini. — Die beiden Flecken, welche Galilei zur Konstatierung der
Libration benutzte, sind das gröfsere im Westnordwesten gelegene Mare
Crisium und der kleinere im Ostsüdosten befindliche Grimaldi. (In dem
Briefe an Antonini sind die beiden Flecken irrtümlich mit einander ver-
wechselt.) — Drachen (Dragone) = Mondbahn; der Teil, der nördlich von
der Ekliptik liegt, ist der „obere Bauch"; derjenige, welcher südlich der
Ekliptik liegt, der „untere Bauch" des Drachens.
69) p. 7L Für dieses sogenannte „aschgraue" oder „sekundäre" Mond-
licht wird im folgenden die richtige Erklärung gegeben. Dieselbe rührt
von Leonardo da Vinci her. Vgl. The Literary Worlcs of Leonardo da
Vinci compiled and edited fnmi tlic Original Mamtscripts hy Jean Paul
Eichter. London 1883. Vol. IL No. 902. In deutscher Übersetzung lautet
eine der fraglichen Stellen: „Etliche Leute haben gemeint, der Mond be-
sitze einiges Eigenlicht, welche Ansicht falsch ist, weil man sie auf jene
Helligkeit gegründet hat, die sich zwischen den Hörnern des Mondes zeigt,
wenn er jung ist. Sie ist in der Nähe des hellen Teiles schwach, am
Eande des dunkeln Feldes hingegen so hell, dafs viele glauben, sie sei
ein weiterer heller Kreis, der die Umgrenzung vervollständige, wo die
Spitzen der von der Sonne erleuchteten Hörner aufhören. Diese Ver-
schiedenheit des Feldes rührt daher, dafs der Teil des Feldes, der dem
hellerleuchteten Teile des Mondes benachbart ist, im Vergleich zu dessen
Glanz dunkler aussieht, als er ist ; jener obere Teil hingegen, der aussieht
wie ein Stück eines hellen Kreises von gleichförmiger Breite, entsteht da-
durch, dafs dort der Mond heller ist als die Mitte oder als das Feld, in
dem er sich befindet, und im Vergleich zu dessen Dunkelheit an besagter
Grenze heller aussieht, als er ist. Diese Helligkeit zu jener Zeit rührt von
unserem Ocean nebst den Binnenmeeren her, welche um diese Zeit von
der schon untergegangenen Sonne beleuchtet w^erden, sodafs das Meer als-
dann dem dunkeln Teile des Mondes denselben Dienst erweist, welchen
der Mond am fünfzehnten uns erweist, wenn die Sonne untergegangen ist.
Und jenes geringe Liebt, welches der dunkele Teil des Mondes besitzt,
verhält sich zur Helligkeit des beleuchteten Teils wie .... [Lücke im
Manuskript.] Willst du sehen, wieviel heller der dunkele Teil des Mon-
des ist als das Feld, wo selbiger Mond sich befindet, so bedecke den hellen
Teil des Mondes mit der Hand oder auch mit einem vom Auge weiter
508 Anmerkungen zum ersten Tag.
entfernten Gegenstand." Abgesehen von dem Irrtum, dafs Leonardo die
Hauptrolle nicht dem Festland der Erde, sondern dem Meere zuschreibt,
hat diese Darstellung mit derjenigen Galileis manche Ähnlichkeit; ob
aber eine mittelbare oder unmittelbare Beeinflussung durch Leonardo
stattgefunden hat, bleibt dabei noch immer, zweifelhaft. — Unabhängig
von Leonardo gab eine richtige Erklärung des Phänomens Mästlin, der
Lehrer Keplers, der sie 1592 seinem Auditorium vortrug und 1596 in seiner
DissertaUo de edipsibus veröffentlichte. Die Stelle wird citiert von Kepler,
Asfronomiae pars Optica cap. VI, 10 (Ed. Frisch Bd. IL p. 289). Die
weiter unten fp. 96) erwähnte Ansicht, dafs das aschgraue Licht durch
die Bestrahlung seitens der Venus veranlafst sei, ist, wie Kepler angiebt,
von Tycho de Brahe aufgestellt worden.
70) p. 73. Mit ausdrücklichen Woi'ten spricht Aristoteles meines
Wissens nirgends von einer undurchdringlichen Härte des Himmels. Doch
galt sie vor und zu Galileis Zeit als eine notwendige Konsequenz seiner
Lehre. Über die Ansicht, dafs die Sterne verdichteter Himmelsstoff seien,
s. zu p. 45.
71) p. 73. Dafs die Berührung zwdsehen zwei Substanzen nicht immer
eine gegenseitige sein müsse, hat Aristoteles behauptet. Vgl. zu p. 45. —
Der „hervorragende Professor" von Padua, der dieses „schwierige Kapitel"
ausführlich behandelt, war vermutlich Cesare Cremonini, der hochberühmte
Verehrer des Aristoteles und seines Exegeten Alexanders von Aphrodisias
(Wohlwill). Doch scheint er seine ..schönen Gedanken" über diesen Gegen-
stand nur mündlich vorgetragen zu haben; wenigstens konnte Herr Favaro,
der auf meine Bitte die zunächst in Betracht kommenden Schriften Cre-
moninis einsah, nichts Hierhergehöriges ermitteln.
72) p. 74. Diese von Simplicio gebilligte Ansicht, die freilich im
Widerspruch zu seiner früher geäufserten Ansicht von der Undurchsichtig-
keit des Mondes steht, wui'de namentlich von Julius Caesar La Galla ver-
fochten. Vgl. zu p. 90.
73^ p. 75. In dem dritten Briefe Galileis an Welser wird in ähn-
licher Weise wie hier die Fähigkeit der Erde Licht zu reflektieren be-
wiesen, namentlich Op. HI p. 491 ff.; etwas verschieden ist die Darstellung
im Saggiatore (Goldwäger), weil einem anderen Zwecke dienend (Op. IV
p. 237ff).
74) p. 78. Über die in Anführungszeichen gesetzte Stelle vgl. zu p. 56.
75) p. 8L Was Galilei als Irradiation bezeichnet, ist die Erscheinung,
dafs ein helles Centrum, wie Sterne, entfernte Flammen als strahlige
Figuren erscheinen. Sie rührt, wie er richtig bemerkt, von den Feuchtig-
keitströpfchen im Auge her; zum Teile aber auch von einer Asymmetrie
des Auges. Vgl. Helmholtz, physiologische Optik § 14.
Was man heutzutage als Irradiation bezeichnet, ist das scheinbare
übergreifen einer hellen Fläche über eine benachbarte dunkele, wie z. B.
die Mondsichel einem gröfseren Kreise anzugehören scheint, als der dunkele
Teil der Scheibe. Über die Erscheinungen dieser Art imd ihre Erkläning
siehe Plateau, Poggend. Ann. Ergänzungsbd. I; Helmholtz, physiologische
Optik § 21. Bei dem vorliegenden Phänomen spielen beide Arten der
Irradiation eine Rolle. Vgl. auch p. 350 ff. 377.
Anmerkungen zum ersten Tag'. 509
76) p. 82. Über die in Anführungszeichen gesetzte Stelle vgl. zu p. 56.
77) p. 83. Die Prozedur des Weifssiedens silberner Gefäfse (holUre nel
hianchhncnto) ist z. B. beschriefben bei Benvenuto Cellini, Trattato delV
Oreficeria Cap. V. — Die Gefäfse werden dabei in einer Lösung von Wein-
steinrahm, und Kochsalz erhitzt, als Lösungsmittel dient Wasser oder Urin.
78) p. 86. Tcnchrae sunt x^rivatio Inminis, Finsternis ist der
Mangel an Licht. Vgl. Ar. de anima II, 7. 418, b, 18 ff. Joxst öh xo
(päg Evavxiov elvai tü5 Gy.Öxbi' k'azi ds xb Gzoxog öxs^rjaig XT^g xoiavxrig e'^ecog
EK diaq)avovg, coßxs öriXov oxi y.al rj xovxov naoovGla xo cpäg ißxcv.
79) p. 87. Es ist die Frage, ob sich Galilei hier die Mondkugel mit
einem Liniennetz überzogen denkt, wie man es auf der Erdkugel sich
denkt, oder ob der Ausdruck Grad hier nur eine unbestimmte Mafseinheit
bezeichnen soll wie p. 32.
80 j p. 88. Die folgende Erklärung mag im wesentlichen richtig sein;
dann ist aber anderseits die Erörterung p. 85, die an die Betrachtung der
Figur anknüpft, nicht zutreffend. Dort war die Helligkeit der Fläche blofs
von der Menge der auffallenden Strahlen abhängig gemacht worden.
81) p. 89. pietra serena eine blaugraue Sandsteinvarietät, die haupt-
sächlich in den Steinbrüchen des Monte Cecioli bei Fiesole gebrochen und
in Florenz vielfach als Baustein verwendet wird. (Favaro.)
82) p. 90. Gemeint ist entweder Lodovico delle Colombe oder wahi'-
scheinlicher Julius Caesar La Galla. Ersterer schrieb au Clavius am
27. Mai 1611, also nicht lange nach dem Bekanntwerden des galileischen
Nuntius Sidereus, dafs die scheinbaren Erhöhungen und Vertiefungen auf
dem Monde nur an seinem inneren Kerne hafteten; dieser aber sei von
einer vollkommen kugelförmigen, durchsichtigen und deshalb unsichtbaren
Hülle umgeben. Galilei richtete an Gallanzoni, welcher ihm den Brief
delle Colombes eingesandt hatte, am 16. Juli 1611 eine Entgegnung.
(Op. III, 122 u. 124 ff.) Julius Caesar La Galla hatte in seinem Buche
De PJiaeHomenis in Orbe Lunae (Venedig 1612) gleichfalls die galileischen
Ansichten bekämpft, der Form nach nicht unfreundlich, und ihnen gegen-
über die im Text erwähnte Ansicht verfochten. Die Randbemerkungen,
welche Galilei in ein Exemplar dieses Buches eingeschrieben hat, sind
nebst der Schrift La Gallas in der Alberischen Ausgabe veröffentlicht
(Op. III, 2.30 ff).
83) p. 96. Man vermifst im folgenden eine Erklärung jenes kupfer-
farbigen Lichtes, welches der Mond bei totalen Mondfinsternissen meistens
zeigt. Bekanntlich rührt dasselbe von der Brechung der Sonnenstrahlen
beim Durchgang durch die Erdatmosphäre her. — Die völlige Auslöschung
des Mondes ist verhältnismäfsig selten beobachtet worden. (Kepler 1601
am 9. December, 1620 am 15. Juni, Hevel 1642 am 25. April, in London
1816 am 10. Juni. Vgl. Epstein, Geonomie p. 489.)
84) p. 96. Vgl. zu p. 71.
85) p. 96. Unter dem Namen „Thesenbüchlein" (Jibretfo di conclusimii)
citiert Galilei meist die in der Einleitung (p. XXXIX, LIX) bereits erwähn-
ten Dlsquisitlones mathematicae von Scheiners Schüler Locher; die
Bezeichnung lihretfo dl conclusionl besagt, dafs der Inhalt des Buches, wie
auf dessen Titel angegeben ist, von dem Verfasser in öffentlicher Dispu-
tation verteidigt wurde. Die hier kritisierte Stelle findet sich p. 59 ff. —
510 Anmerbungeu zum ersten Tag.
Kleomedes, wahrscheinlich Zeitgenosse des Augustus, Verfasser des 1539
unter dem Titel Ciidka conskleraüo meteorum griechisch herausgegebenen
Buches, — Vitellio lebte gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Italien,
war aber von Geburt ein Thüringei*. Sein Werk ist zusammen mit dem
des Arabers Alhazen 1572 von Risner unter dem Titel Opticae Thesaurus
herausgegeben worden; die hier gemeinte Stelle findet sich darin lib. IV
p. 77. — Macrobius ist der bekannte Verfasser der Saturnalien und des
Somnium Schpionis, das Citat ist aus letzterer Schrift genommen (I, 19, 12).
86) p. 97. Was das heilsen soll, geht aus der Erwideruug p. 101
hervor; der citierte Autor meint, mit wachsendem Monde bleibe die Inten-
sität des sekundären Lichtes dieselbe.
87) p, 100. Daraus geht hervor, dafs Galilei dem Monde einen Durch-
messer von etwas mehr als 2000 Miglien beilegt. Eine Miglie ist gleich
3000 Ellen (braccla)^ wie z. B. aus der Berechnung p. 191 sich ergiebt.
Die Elle ist bei Galilei etwa gleich einem halben Meter, wie daraus zu
entnehmen ist, dafs der Palast Sagredos 6 Miglien vom Turme von Burano
entfernt sein soll (vgl. p. 266); die Entfernung ist nämlich etwa 9 km.
Aus der Angabe p. 390, dafs 60 Miglien auf einen Grad des Erdumfangs
gehen, läfst sich natürlich nichts schliefsen, da Galilei noch keine rich-
tige Vorstellung von der Gröfse der Erde hatte, diese vielmehr unter-
schätzte. — Nach Galileis Zeit wurde von dem Grofsherzog Leopold von
Toskana, dem späteren Kaiser Leopold IL, eine einheitliche Elle für Toskana
eingeführt, welche eine Gröfse von 550,8 mm hatte. S. Op. XI, 192 Fufs-
note. Davon wird die galileische Elle nicht sehr viel verschieden sein. —
G. nahm also an, der Mond habe etwa einen Durchmesser von 3000 km;
die wahre Gröfse desselben beträgt 3480 km. Die damals übliche An-
nahme war, dafs der Durchmesser des Mondes zu dem der Erde sich ver-
halte wie 2:7 (vgl. Tycho de Brahe, Progi/mnastnata p. 474); heute
nimmt man das Verhältnis 3:11 an, welchem jenes ziemlich nahe kommt.
Vgl. z. B. Epstein, Geonomie p. 472.
88) p. 100. Sonst nämlich liefsen sich die intensiven Schatten der
Mondberge nicht erklären, wie gleich auseinandergesetzt wird.
89) p. 100. Merkwürdig genug, dafs die Schwindeleien dieses Men-
schen sich annähernd bewahrheiten sollten. Der erste Telegraph beruhte
auf der Fernwirkung (shnpatia) des elektrischen Stromes auf eine Magnet-
nadel. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs hier eine Anspielung auf Gio-
vanni Battista della Porta, den Verfasser der Magia naturalis vorliegt,
welcher p. 128 der Ausgabe von 1589 auf dieses Geheimnis zu sprechen
kommt und schreibt: Et amico longe äbsenti, etiam carceribus occluso, possumus
incumhentia nimtiare, quod duobus nauticis pyxidis, alphäbeto circumscriptis,
fieri posse non vereor. S. Favaro, Gal. Galilei e lo studio di Padova
I, 339.
90) p. 104. Diese eigentümliche Bemerkung Galileis, dafs das asch-
graue Licht des Mondes vor Neumond stärker sei als nach Neumond, ist
meines Wissens niemals auf ihre Richtigkeit hin geprüft worden. Sie
würde selbstverständlich nur für Europa Geltung beanspruchen können.
91) p. 104. Diese dem Simplicio zugeteilte Frage war in der ed. princ.
irrtümlich beim Drucke ausgefallen, wurde aber am Rande auf ein ein-
geklebtes Papier beigedruckt. In dem Exemplar der paduanischen Semi-
Anmerkungen zum zweiten Tag. 511
Fehlende an den Rand geschrieben, vermehrt um einen Zusatz, den wir
als Fufsnote im Teste gegeben h'aben.
92) p. 104. Bei der Sammetweberei wird die Haardecke auf dem
Grundgewebe dadurch hervorgebracht, dafs eine zweite Kette, die sogenannte
Polkette, kleine aufrecht stehende Schleifen (Xoppen) liefert, die in Quer-
reihen über den Stoif hinlaufen. Läfst man die Maschen bestehen, so er-
hält man den ungeschnittenen Sammet; werden die Noppen hingegen auf-
geschnitten, so erhält man den geschnitteneu Sammet. Durch teilweises
Aufschneiden der Noppen lassen sich verschiedenartige Muster hervor-
bringen (geblümter Sammet). — Ermesintaft, leichtes Seidenzeug, benannt
nach der persischen Stadt Ormus.
93) p. 107. Auch dies scheint ein Hieb gegen Aristoteles zu sein,
der glaubte oder dessen Anhänger doch glaubten, ein abgeschlossenes
System des Wissens aufgestellt zu haben.
94) p. 108. Der Pythagoreer Archytas aus Tarent, berühmt sowohl
als Staatsmann, wie als Mathematiker, Astronom und Mechaniker, war ein
Zeitgenosse Piatos. Die hier angeführte fliegende Taube war ein hölzerner
Automat.
95) p. 109. Trotz ihrer Harailosigkeit wurden diese Sätze von der
Kongregation, welche vor Anstrengung des eigentlichen Processes gegen
Galilei mit der Prüfung des Dialogs beauftragt worden war, beanstandet.
Vgl. Einleitung p. LXVIII.
96) p. 109. Aus diesem Vergleich könnte man entnehmen wollen,
dafs Galilei an eine momentane Fortpflanzung des Lichtes glaubte. Aus
anderen Äufserungen (vgl. Biscorsi Op. XIII, 45 if.) geht indessen hervor,
dafs er eine solche mindestens als unbewiesen ansah.
Zweiter Tag.
1) p. 113. Bei Galilei erscheint die Schule des Galen den Peripatetikern
gegenüber als fortgeschritten und aufgeklärt. Im allgemeinen aber galt
umgekehrt die Bekämpfung der Autorität des Galen als Wahlspruch der
neuen fruchtbaren Forschungen auf medicinischem Gebiete, so schon bei
Paracelsus, so auch bei Vesal und Fallopia. Die Peripatetiker hielten
namentlich zähe an der aristotelischen Lehre fest, dafs die Nerven ihren
Ursprung im Herzen nehmen und dafs sie hohl seien, um den Spiritus ani-
malcs den Durchtritt zu gestatten. Aristoteles behandelt diesen Gegen-
stand De animalium generatione V, 2. 781, a, 20. ot yaQ noQoi (= Nerven)
r&v cdG&7^zt]Qlo3v nttvxav . . . teLvovGl nqog Tr}v yMQÖiav.
2) p. 113. Ipse dixit (er selbst hat es gesagt, avibg e(f>a), das Schlag-
wort des Autoritätsglaubens.
3) p. 114. Dieser lustige Einfall Galileis erinnert an die satirische
Schilderung der Akademie von Lagado in CTidlivcrs Travds von Swift.
MöglicherAveise hat diesem die galileische Stelle vorgeschwebt.
4) p. 114. Vgl. Arist. De anim. gen. V, 1. 780, b, 21 ot yovv in tüv
u^vyi^iärcov ymI (pQeärcov ertorf aOTSQag oQÜOiv.
512 Anmerkungen zum zweiten Tag.
5) p. 114. Der Cisterzienserabt Joachim (von Floris in Kalabrienj
lebte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts; ihm wird jene kirchen-
feindliche Lehre von dem Evangelium aetermim zugeschrieben, die in Wahr-
heit von der extremen socialreformatorischen Partei des Fj-anciskanerordens
ausging. Seine vermeintlichen und wirklichen Schriften wurden späterhin
als Ausflüsse hoher prophetischer Gabe betrachtet und mufsten sich dem-
gemäfs die mannigfachsten Deutungen gefallen lassen. Auch bei Dante
geschieht Joachims Erwähnung (Parad. XII, 140). Näheres über ihn z. B.
bei Eenan in der Revue de deu.x mondes. 18GG. Juillet— Aoüt p. 94ff.
6) p. 115. Zur Zeit Galileis stand die Astrologie {astrologia judiciaria),
d. h. die angebliche Kunst aus der Stellung der Gestirne auf menschliche
Schicksale Schlüsse zu ziehen, in hohem Ansehen. Man wendete nun auch
häufig die Eegeln der Astrologie auf die Vergangenheit statt auf die Zu-
kunft an, indem man z. B. das Horoskop bedeutender Männer der Ge-
schichte für die Stunde ihrer Geburt stellte und daraus ihre Lebensdauer
u. s. w. berechnete. Diese Prophetieen ex post fielen begreiflicherweise stets
richtig aus, wie Galilei spöttisch bemerkt. — Die vorliegende Stelle scheint
in das schon IG 30 druckfertig gewordene Manuskript nachträglich ein-
geschoben zu sein; denn am 1. April 1631 wurde eine päpstliche Bulle
gegen die astroJogi jucUciarü erlassen, und kurz danach mufs der Druck
des Dialogs bis hierher fortgeschritten sein, wie aus dem Briefe Galileis
an Marsili vom 20. März 1631 hervorgeht (Op. VI, 378). Galilei scheint
Veranlassung gehabt zu haben, sich gegen unliebsame Verwechslungen mit
den Astrologen zu verwahren.
7) p. 115. Der zu Anfang dieser alchjmistenfeindlichen Stelle erwähnte
Jiumor melancholicus hat, wie Herr Prof. Kopp in Heidelberg auf meine
Anfrage mir mitteilte, schwerlich eine specifisch alchymistische Bedeutung.
Es soll wohl nur im Anschlufs an die damals übliche Lehre von den vier
Kardinalsäften und den vier Temperamenten angedeutet werden, dafs man
die Alcbymisten für nicht ganz zurechnungsfähig zu halten habe (FavaroJ.
— Der Spott Galileis über die unsinnigen Deutungen alter Mythen in alchy-
mistischem Sinne scheint sich gegen ein ganz bestimmtes Buch oder eine
bestimmte Person zu richten, wiewohl diese Deutungen sehr üblich waren;
interessante Mitteilungen darüber s. bei Kopp, Beiträge zur Geschichte
der Chemie, I. Stück p. 12 — 20. — Bei Job. Fr. Picus de Mirandula,
Libri III de auro (Ursellis 1598) heifst es z. B.: „So [nämlich in alchy-
mistischem Sinne] erklärt Michael Psellus den Befehl des Eurystheus, der
nach den goldenen Äpfeln lüstern war; so wird bei Suidas die Fahrt
Jasons zu den Kolchem gedeutet: die Argonauten hätten nicht das goldene
Vliefs des Phrixus holen wollen, sondern eine Widderhaut, auf welcher
das Verfahren Gold zu machen beschrieben wurde.'" — Die Hinweisungen
Galileis beziehen sich teilweise auf allbekannte Mythen. Was aber ist
mit der Verwandlung Jupiters in glühende Flammen gemeint (Semelesage?),
was mit jenem Mercurius Inferj^res? Ist letzteres eine Anspielung auf den
Vater der Alchymie, jenen Hermes, nach welchem sie auch die hermetische
Kunst genannt wird? Sind die „goldenen Zweige" die bei Virgil (Aen.
VI, 136 if.) erwähnten, deren Äneas zum Eintritt in die Unterwelt bedarf,
oder liegt eine Beziehung auf die goldenen Äpfel der Hesperiden vor?
Vielleicht sind Galileis Aufserungen durch den 1G14 verstorlienen Aleby-
Anmerkungeu zum zweiten Tag. 513
misten Antonio Neri provociert, von dessen Tinktur der Grofsherzog von
Toskana den Rest geerbt haben soll. Vgl. Edelgebohrene Jungfrau Alcliy-
mia p. 255. (Tübingen 1730.)
8) p. 117. Gemeint ist Alexander von Aphrodisias, genannt der Exeget,
der um 200 n. Chr. den Lehrstuhl der aristotelischen Philosophie in Athen
inne hatte. Er lehrte die Existenz einer individuellen menschlichen Seele,
die zugleich mit dem Leibe vergehe, und legte demgemäfs die aristoteli-
schen Schriften aus. Dem gegenüber erlangte im Mittelalter und später-
hin die Ansicht des Averroes grofse Verbreitung, wonach kein individueller,
sondern nur ein unvergänglicher Gesamtintellekt der Menschheit existiert;
auch diese Ansicht wurde in die Schriften des Aristoteles hineingedeutet.
Beide Richtungen sind mit dem christlichen Dogma unvereinbar und wur-
den am 19. Dezember 1512 durch das fünfte Lateranconcil verdammt. —
Die ron Galilei hier erzählte Anekdote wird von Fiorentino {Pktro Pom-
ponaszi^ Firenze 1868. p. 32G) citiert, worauf Herr Dr. Wohlwill die Güte
hatte mich aufmerksam zu machen. Fiorentino läfst durchblicken, dafs
es sich vielleicht um Zabarella (f 1589) handele, ohne dies ausdiücklich
zu behaupten. Mir scheint die galileische Erzählung eher eine andere
Version des Vorfalls zu sein, den Fiorentino an anderer Stelle Tp. 336)
erwähnt. Danach würde der gesinnungslose Autor, der dem Aristoteles
auf Wunsch der Zensur bald die eine, bald die andere Ansicht zuspricht,
Pendasio sein (f 1603).
9) p. 117. Es ist nicht recht klar, ob die Zensurbehörde oder der
Philosoph mit Herkules verglichen ist; letzteres scheint natürlicher zu sein.
Es würde aus dieser Stelle dann hervorgehen, dafs Pendasio, oder wer
sonst gemeint ist, zu anderen Zeiten oder anderen Personen gegenüber
sehr schrofl auf seinen Ansichten bestand. — Die mäonischen (= lydischen)
Mägde sind die der Königin Omphale, bei welcher Herkules Weiberdienste that.
10) p. 119. Dies geschieht p. 396 ff. Gemeint ist die Stelle De coelo
II, 14. 296, b, 3.
11) p. 120. Die Villa delle Selve, welche Salviatis Eigentum war und
in der Galilei von 1610 bis 1614 oftmals Gastfreundschaft genofs, besitzt
eine solche als Aussichtspunkt über Florenz und Umgegend dienende Kuppel.
S. p. 362.
12) p. 121. Bereits bei Kopernikus (De revol. lib. I. cap. 5) heifst es:
inter mofa aequal'dcr ad cadcm, non jyerdpitHy mohis, inter visum dico et
videns. — Vom Standpunkte der reinen Kinematik ist es allerdings richtig,
dafs sich alle Erscheinungen eines bewegten Pimktsy-stems erklären
lassen, gleichgültig, welchen der Punkte des Systems man als ruhend be-
trachten mag. Handelt es sich aber um die mechanische Erklärung
der relativen Bewegungen, die in dem System stattfinden, so liegt die
Sache doch anders. Man kann dann die vor sich gehenden Erscheinungen
unter Umständen nur so erklären, dafs man an Stelle der üblichen ein-
fachen mechanischen Grimdprincipien kompliciertere setzt. Wollte man z. B.
die Achsendrehung der Erde leugnen und statt dessen, dem Scheine ent-
sprechend, eine Drehung des übrigen Weltalls im entgegengesetzten Sinne
annehmen — was rein kinematisch allerdings statthaft ist — so dürfte
das jetzt tlbliche Beharrungsgesetz keine Geltung mehr beanspruchen; man
müfste dasselbe vielmehr ersetzen durch ein anderes: wenn auf einen be-
GALiLEt, WüUsjsteme. 38
514 Anmerkungen zum zweiten Tag.
wegten materiellen Punkt keine Kraft wirkt, so legt er eine (gewisse)
Kreisevolvente zurück. — Dafs Galilei übrigens selbst diesen Unterschied
zwischen der rein kinematischen und der mechanischen Auffassungsweise
erkannt hat, geht aus seiner, wenn auch unrichtigen Theorie von Ebbe
und Flut hervor.
13) p. 121. Es scheint die Stelle De anim. mot. cap. 2. 698, b, 8 ff.
gemeint zu sein.
14) p. 123. Von den aristotelischen Beweisen dafür, dafs die Kreis-
bewegungen des Gegensatzes ermangeln, war schon oben (p. 41) die Rede;
der „gewisse Zweck", den Aristoteles mit jenem Satze verfolgt, ist der,
die Lehre von der ünveränderlichkeit der Himmelssubstanz darauf zu
gründen.
15) p. 124. Galilei hat die von ihm entdeckten Jupitersmonde auf
den Rat Belisario Vintas, des toskanischen Staatsseki-etärs, mit dem Namen
der Mediceischen Gestirne belegt, zu Ehren des grofsherzoglichen Hauses
von Toskana. Die Entdeckung dieses Planetensystems im kleinen war
ein Hauptbeweggruud für Galilei sich endgültig zu Gunsten des koperni-
kanischen Sj'-stems zu entscheiden, wiewohl er es schon lange vox'her für
richtig hielt.
16) p. 124. Jenseits der Fixsternsphäre nahm man vielfach noch eine
neunte sternenleere Sphäre an, das sogenannte prhmmi mobile^ um diesem
die 24-stündige Bewegung, der Fixsternsphäre hingegen diejenige Bewegung
zuzuschreiben, welche die Präcession der Fixsterne hervorruft. Es wird
dies p. 127 noch etwas näher erläutert. Infolge der Präcession scheinen
die Fixsterne in etwa 26000 Jahren einen Umlauf um den Pol der Eklip-
tik zu vollenden.
17) p. 125. Die in jener Zeit unendlich oft erörterte Streitfrage, ob
die Himmelssphären aus festem Stoff bestünden oder flüssig seien, ist schon
oben p. 73 gestreift worden. Mit besonderer Energie war namentlich
Tycho de Brahe gegen die von den Peripatetikern (ob auch von Aristo-
teles?) gelehrte undurchdringliche Härte des Himmels aufgetreten. In der
Rosa Ursina von Scheiner bilden die Citate aus der Bibel, den Kirchen-
vätern und den Px-ofanschriftstellern, welche angeblich zu Gunsten der flüs-
sigen Natur des Himmels sprechen, einen eigenen langen Abschnitt.
18) p. 125. Die Planeten drehen sich in entgegengesetzter Richtung
zur täglichen Bewegung vermöge ihrer bekannten Eigenbewegungen, die
Fixsterne vermöge der Präcession. — Dafs auch ein Teil der elementaren
Sphäre an der täglichen Drehung des Himmels sieh beteiligt, wird von
Aristoteles (Meteor. I, 7. 344, a, 11) darum behauptet, weil er auch
Kometen, Sternschnuppen u. dgl. der elementaren Sphäre angehören läfst
und weil diese die 24-stündige Drehung mitmachen. Vgl. p. 148.
19) p. 126. Arist. Phys. Ausc. VIII, 1. 251, a, 10.
20) p. 128. Die nämliche Ansicht ist bereits p. 107 ausgesprochen.
Ausführlicher gerechtfertigt vom mathematischen Standpunkt wird sie in
den Discorsi (Op. XIII, 34ff.J.
21) p. 129. Frustra fit per plara qiiod jätest fieri per panciora. Es ist
zwecklos mehr Mittel aufzuwenden, wo wenigere ausreichen.
22) p. 130. Vgl. Arist. de coelo II, 14. 296, a, 27. Die in Anführungs-
Anmerkungen zum zweiten Tag. Öl5
zeichen gesetzte Stelle ist eine fast wörtliche Übersetzung des aristote-
lischen Textes.
23) p. 130. Unter cLm offenbar stattfindenden Zurückbleiben (vTto-
Xsinoneva cpaivExui) wird die Thatsache verstanden, dafs die Planeten etwas
länger als 24 Stunden brauchen, um einen Umlauf am Himmel zu voll-
enden; diese längere Dauer ist eben die Folge ihrer (teils scheinbaren,
teils wirklichen) Eigenbewegung. — Über das prinmm mobile vgl. p. 127
und Anmerkung zu p. 124.
24) p. 130. Vgl. Arist. de coelo II, 14. 296, b, 9 ff., sowie p. .35 ff.
25) p. 130. Vgl. Arist. de coelo II, 14. 297, a, 2 ff .
26) p. 131. Ptolemäus bringt seine Einwände gegen die Bewegung
der Erde im 4. und G. Kapitel des ersten Buche« des Almagest vor. Die
im 4. Kapitel enthaltenen Erörterungen werden auffälligerweise im Dialog
nur wenig eingehend (in den Gesprächen des dritten Tages) besprochen,
während manches darauf Bezügliche in dem Briefe an Mazzoni (Op. II, Iff.)
und an Ingoli (Op. II, 80 ff.) vorkommt. Das G. Kapitel nimmt bei seiner
Argumentation Bezug auf das fünfte; es dürfte daher von Interesse sein,
die Kap. 4, 5 und 6 hier in deutscher Übersetzung zu geben, die freilich
bei den mancherlei Unklarheiten des Originals vielleicht nicht überall das
Richtige trifft, und die an manchen Stellen der Rechtfertigiing uod Er-
läuterung bedürfte.
Kap. IV. Die Erde ist der Mittelpunkt des Himmels.
Wenn man nun nach dieser Untersuchung [über die Gestalt der Erde] zu
der über die Lage der Erde übergeht, so erkennt man, dafs die Erscheinungen
in ihrer Umgebung nur dann stattfinden können, wenn wir die Erde nach Ai-t des
Centrums einer Kugel in den Mittelpunkt des Himmels versetzen. Denn andern-
falls müfste sie entweder auFserhalb der Achse liegen und gleichzeitig von beiden
Polen ebendieselbe Entfernung besitzen, oder sie müfste sich auf der Achse be-
finden und einem der Pole näher liegen als dem anderen, oder endlich sie müfste
weder auf der Achse gelegen sein, noch auch in gleicher Entfernung von den Polen
sich befinden. — Gegen die erste der drei Annahmen spricht nun folgendes.
Dächte man sich die Erde für irgendwelchen Standort nach oben oder unten ver-
schoben, [betrachtet man somit die Punkte der Erde, welche in der Ebene Welt-
achse— Erdcentrum liegen,] so würden die [zwei] Punkte, welche eine gerade Sphäre
besitzen, niemals Tag- und Xachtgleiche haben, da allenthalben das oberhalb der
Erde Befindliche von dem unterhalb der Erde Befindlichen durch den Horizont
ungleich geschieden wird. Für die Punkte mit schiefer Sphäre aber würde ent-
weder gleichfalls überhaupt keine Tag- und Nachtgleiche stattfinden oder nicht
in der Mitte des Übergangs vom Sommer- zum Winterwendekreis; denn deren
Abstände fallen notwendig ungleich aus, da nicht mehr der Äquator, der gröfste
von den ümdrehungskreisen um die Pole, sondern einer der nördlichen oder süd-
lichen Parallelkreise von dem Horizont halbiert wird. Nach allgemeinem Zuge-
ständnis aber sind diese Abstände allenthalben gleich, wie denn auch die Ver-
längerung des längsten Tages bei der Sommersonnenwende gegenüber der Tag- und
Nachtgleiche gleich ist der Verringerung des kürzesten Tags bei der Wintersoimen-
wende. Nähme man aber die Verschiebung in östlicher oder westlicher Richtung
an, [betrachtet man somit Punkte, welche aufserhalb der Ebene Weltachse — Erd-
centrum liegen,] so würden weder die Gröfsen und Entfernungen der Gestirne
gleich und dieselben am Morgen wie am Abend sein, noch würde die Zeit vom
Aufgang bis zur Kulmination gleich sein der Zeit von der Kulmination bis zum
Untergang, was offenbar den Thatsachen durchaus widerspricht. — Was die zweite
der Annahmen betrifft, Avonach man sich die Erde auf der Achse gelegen denkt,
aber näher an den einen Pol geschoben als an den anderen, so läfst sich dagegen
folgendes erinnern. In diesem PaUe würde in jeder Zone die Ebene des Hori-
zontes überall den oberhalb und den unterhalb der Erde gelegenen Teil des
38*
516 Anmerkungen zum zweiten Tag.
Himmels in ungleicher Weise von einander scheiden je nach dem Betrage der
Verschiebung, und zwar ungleich an jeder einzelnen Stelle und ungleich je nach
der Lage dieser Stelle. Nm- bei gerader Sphäre würde der Horizont den Himmel
halbieren können, bei der schiefen aber würde dort, wo der nähere Pol stets
sichtbar ist, der über der Erde befindliche Teil stets kleiner sein, der unter der
Erde befindliche gröfser; es würde folglich auch der gröfste Kreis, der mitten
durch den Zodiacus läuft, vom Horizont in zwei ungleiche Teile geteilt werden,
ein Verhalten, das man nirgends beobachtet; vielmehr zeigen sich immer und
überall sechs Zeichen des Tierkreises über der Erde, während die sechs anderen
unsichtbar sind, und wenn andererseits diese nunmehr ganz über die Erde hervor-
treten, werden die_ übrigen gleichzeitig unsichtbar. — Sobald überhaupt die Erde
nicht unter dem Äquator selbst gelegen wäre, sondern nach Norden oder Süden
gegen einen der Pole hin abwiche, so würden in merklicher Weise zur Zeit der
Äquinoktien die östlichen Schatten der Sonnenuhren nicht mehr mit den westlichen
eine gerade Linie bilden. — Daraus geht hervor, dafs auch die dritte der Annahmen
nicht zum Ziele führen kann, da die beiderlei Widersprüche der ersten zwei An-
nahmen sich bei ihr gleichzeitig ergeben. Kurz es würde eine totale Störung der-
jenigen Ordnung stattfinden, welche bei der wechselnden Länge von Tag und
Nacht wahrgenommen wird, sobald wir die Erde nicht im Mittelpunkte annehmen
wollten; abgesehen davon, dafs auch die Verfinsterungen des Mondes nicht mehr
an allen Stellen des Himmels in dem Augenblicke eintreten könnten, wo er der
Sonne diametral gegenübersteht, da häufig die Erde zwischen ihnen stünde, wenn
jene sich nicht in entgegengesetzter Stellung, sondern in geringerer als Halbkreis-
entfernung von einander befinden.
Kap. V. Die Erde ist im Verhältnis zum Himmel als ein Punkt
zu betrachten.
Dafs aber die Erde für die sinnliche Wahrnehmung als ein Punkt zu be-
trachten ist im Vergleich zur Entfernung der Sphäre der sogenannten Fixsterne,
dafür ist folgendes ein wichtiger Beweisgrund. Von allen Teilen der Erde aus
scheinen überall zur selben Zeit sowohl die Gröfsen als die Abstände der Gestirne
völlig gleich, wie denn die Beobachtungen identischer Gestirne von verschiedenen
Zonen aus nicht die geringste Abweichung von einander bemerken lassen; nicht
zu vergessen, dafs die in irgend welcher Gegend der Erde aufgestellten Sonnen-
uhren sowie die Centren der Armillarsphären sich ebenso verhalten wie das wirkliche
Erdcentrum, dafs diese Instrumente die Visiex'richtungen und Schattenumdrehungen
in der Weise übereinstimmend mit den Annahmen betrefis der Erscheinungen be-
wahi-en, wie wenn sie im Mittelpunkte der Erde selbst sich befänden. — Ein
klarer Beweis dafüi- ist auch der, dafs die durch das Auge gelegten Ebenen,
welche wir Horizonte nennen, überall die ganze Sj^häre des Himmels halbieren,
was nicht stattfinden würde, wenn die Gröfse der Erde gegen die Entfernung der
Himmelskörper merklich wäre; vielmehr könnte dann nur die durch den Mittel-
punkt der Erde gelegte Ebene die Sphäre halbieren, die Ebenen aber durch einen
Punkt der Erdoberfläche würden überall das unter der Erde Befindliche gröfser
machen als das darüber Befindliche.
Kap. VI. Die Erde führt auch keine fortschreitende Bewegung aus.
Ebenso wie vorher kann man zeigen, dafs die Erde unmöglich irgendwelche
Bewegung nach vorgenannten schiefen Richtungen oder überhaupt je aus der Lage
im Mittelpunkte sich entfernen kann. Es träten dann nämlich dieselben Erschei-
nungen ein, wie wenn sie eine andere Lage als die im Mittelpunkte einnähme.
Daher glaube ich auch, dafs es überflüssig ist, die Ursachen der Bewegung nach
dem Mittelpunkte [des Weltalls] hin zu untersuchen, zunächst darum, weil die
Erde den Mittelpunkt einnimmt und weil sich alle schweren Körper nach ihr hin
bewegen, wie dies die Erscheinungen selbst deutlich lehren. Das Verständnis
dafür würde allein schon durch den Umstand ermöglicht werden, dafs, wie gesagt,
die Erde als kugelförmig und als im Mittelpunkt b&findlich nachgewiesen ist, und
dafs durchweg an jeder Stelle auf ihr das Streben und die Bewegungen der
schweren Körijer — ich meine die spontanen — überall und jederzeit rechtwinklig
zu der Berührungsebene gerichtet sind, die dm-ch den Punkt des Niederfallens
Anmerkungen zuni zweiten Tag. 517
gelegt wird. Aus dieser Thatsache nämlich geht hervor, dal's, wenn jene Körper
nicht von der Erdoberfläche gehindert würden, sie wirklich sich zum Mittelpunkte
begäben, weil auch die nach dem Centrum hinführende Gerade stets senkrecht
steht auf derjenigen Berührungsebene der Kugel, die durch den Schnittpunkt der
Geraden hindurchgeht.
Wer es aber für widersinnig hält, dafs ein solches Gewicht wie die Erde
weder auf irgendwelcher Unterlage ruht, noch sich bewegt, beurteilt, glaube ich,
die Verhältnisse falsch, indem er die ihm nächstliegenden Erscheinungen statt der
Eigentümlichkeit des Weltganzen zum Mafsstab nimmt. Denn ich glaube, man
würde keinen Anstofs nehmen, wenn man einsähe, dafs jene Erde, so grofs sie ist,
verglichen mit dem ganzen umgebenden Körper, im Verhältnis eines Punktes zu
diesem steht. Dann nämlich wird es möglich scheinen, dafs etwas verhältnis-
mäfsig so Kleines von dem schlechthin Gröfsten und dabei gleichmäfsig Verteilten
beherrscht und von allen Seiten her in gleicher Weise nach allen Richtungen be-
einflufst werde. Auch giebt es kein Unten und Oben im Weltall in Bezug auf die
Erde, wie man denn bei einer Kugel sich nichts dergleichen vorstellen kann. Was
aber die spontane und naturgemäfse Bewegung der auf ihr befindlichen Körper
betrifft, so werden die leichten, aus dünnen Teilen bestehenden nach aufsen,
gleichsam nach der Peripherie hin geschleudert; sie scheinen an jeder Stelle einen
Trieb nach oben zu besitzen, weil dasjenige, was uns allen zu Häupten ist und
oben genannt zu werden pflegt, nach der umschliefsenden Fläche zu gerichtet
ist. Die schweren^ aus dichten Teilen zusammengesetzten Körjjer andererseits
bewegen sich nach der Mitte, gleichsam zum Centrum hin; sie scheinen nach unten
zu fallen, weil dasjenige, was uns allen zu Füfsen ist und iinten genannt zu
werden pflegt, nach dem Erdcentrum zu gerichtet ist. Sie gruppieren sich aber
natürlich um die Mitte herum infolge des allseitigen, völlig gleichmäfsigen Wider-
strebens und des Widerstandes, den sie gegenseitig ausüben. Danach läfst sich
denn auch leicht begreifen, dafs die ganze Masse der Erde, die so grofs ist im
Vergleich zu dem, was sich zu ihr hin bewegt, durch den Antrieb der so ganz
kleinen schweren Körper völlig unbewegt bleibt und gleichsam die niederfallenden
Dinge auffängt. — Hätte sie aber auch eine gemeinsame und gleiche Bewegung
wie die anderen schweren Körper, so mirde sie offenbar durch ihr gewaltiges
Übermafs von Gröfse beim Fallen allen anderen voraneilen und es blieben die
lebenden Wesen, sowie die losgelösten schweren Körper in der Luft schwebend
zurück, jene aber wäre schliefslich sehr bald selbst über den Himmel hinaus ge-
fallen. Dergleichen aber ist schon in der blofsen Vorstellung überaus lächerlich.
Manche stimmen dem bei, da sie es für ziemlich überzeugend halten und
keine Gegengründe anzuführen wissen. Sie meinen aber, es sei nichts dagegen
einzuwenden, wenn sie etwa den Himmel unbcAvegt annähmen, die Erde aber um
dieselbe Achse von Westen nach Osten sich drehen liefsen, oder auch beide sich
irgendwie bewegen liefsen, nur gleichfalls um die genannte Achse und entsprechend
dem Betrage der wechselseitigen Überholung. Es entgeht ihnen aber, dafs in
Anbetracht der Himmelsbewegungen möglicherweise niclits dieser vereinfachenden
Annahme im Wege steht; auf Grund aber der Erscheinungen in unserer nächsten
Nähe und in der Luft würde auch dieses sich höchst lächerlich ausnehmen. Denn
wir wollen ihnen zugeben, — so sehr es den Thatsachen widerspricht — dal's dann
einerseits ' das Feinste und Leichteste entweder sich gar nicht bewegt oder ganz
ebenso, wie dasjenige, was entgegengesetzte Beschaffenheit besitzt, während doch
die der Luft beigemischten Dinge, selbst die minder feinen, sich so deutlich
leichter bewegen als die mehr erdigen Substanzen; dafs andererseits das Dichteste
und Schwerste eine so heftige und gleichmäfsige Eigenbewegung besitzt, während
wiederum eingestandenermafsen die erdigen Stoffe bisweilen selbst bei fremder
Einwirkung sich nicht nachgiebig erweisen: sie müfsten dann aber zugeben, dafs
die Umdrehung der Erde schlechthin schneller ist als alle Bew^egungen, die in
ihrer Umgebung stattfinden, insofern sie in kurzer Zeit eine solche Lageuänderung
bewirkt, dafs alles, was nicht fest auf ihr ruht, scheinbar ein und dieselbe der
Erde entgegengesetzte Bewegung ausführt; es könnte dann nie so scheinen, als
ob eine Wolke oder sonst etwas, was da fliegt oder gewoi'fen wird, sich nach
Osten bewegte; stets nämlich würde die Erde allem voraneilen und die östliche
Bewegung überholen, sodafs alles Übrige nach Westen und nach rückwärts zu
weichen schiene.
518 Anmerkungen zum zweiten Tag.
Denn wenn man sagen wollte, auch die Luft werde in derselben Weise und
ebenso schnell wie die Erde herumgeführt, so würden nichtsdestoweniger die in
ihr befindlichen Körper allenthalben hinter der gemeinsamen Bewegung zuriick-
zubleiben scheinen. Oder wenn auch diese, gleichsam mit der Luft in eins ver-
wachsen, mit herumgeführt werden sollten, so könnte nunmehi- weder eine Be-
wegung nach vor- noch nach rückwärts aufzutreten scheinen, vielmehr würden
scheinbar jene Körper stets an derselben Stelle verharren und weder beim Fliegen
noch beim Werfen irgendwie hin- und herschwanken, was doch alles so deutlich
thatsächlich stattfindet, wie wenn keinerlei Verzögerung oder Beschleunigung bei
ihnen durch die Bewegung der Erde hervorgerufen würde.
Was die Gründe betrifft, die Tycho de Brake gegen das koperni-
kanische System anführt, so sind sie hauptsächlich in seinen Epistoluc
astronomkae (Vraniburgi 1596) enthalten. So heifst es in einem an
Christoph Rothmann, den Astronomen des Landgrafen Wilhelm IV.
von Hessen -Kassel, gerichteten Brief vom 24. November 1589 (p. 167):
Da ich sehe, dafs Dir die kopernikanische Ansicht von den drei Be-
wegungen der Erde sehr gefällt, will ich gegen jede nur einen nicht sehr schwer
verständlichen Einwand richten, obgleich man deren viel mehr erheben könnte.
Was erstlich ihre tägliche Bewegung um die eigene Achse angeht, vermöge deren
die Erde sich angeblich in 24 Stunden umdreht, und durch welche der allgemeine
Lauf von Ost nach AVest erklärt werden soll: so sage mir, wie ist es möglich,
dafs eine Bleikugel von einem sehr hohen Turm in richtiger AVeise fallen gelassen,
aufs genaueste den lotrecht darunter gelegenen Punkt der Erde trifft? Dafs dies
ganz und gar unmöglich ist, wenn inzwischen die Erde sich gedreht hat, da ihr
Lauf ein äufserst rascher ist, darüber wird Dich die mathematische Überlegung
vergewissem. Denn in einer Zeitsekunde mufs auch in unseren ziemlich hohen
Breiten die Erde sich __ um etwa 1.50 ,,gröfsere Schritte" (pa.<isiis maiores) drehen.
Daraus berechne das Übrige. Denn der Fall des Bleis folgt nicht der Luft, son-
dern durchschneidet sie gewaltsam. Betreffs der zweiten, jährlichen Bewegung,
welche die achte Sphäre in solche Ferne rücken wäirde, dafs die von der Erde
beschriebene Bahn im Vergleich mit jener [achten Sphäre] verschwindend klein
sein müfste: sprich, hältst Du es für wahrscheinlich, dafs der Raum zwischen der
Sonne, dem angeblichen Centrum des Weltalls, und dem Saturn noch nicht den
700. Teil desjenigen Raumes beträgt, welcher zwischen diesem und der Fixstern-
sphäre sich befindet, eines Raumes, der zudem ga^z sterueuleer ist? Dies aber
ist notwendig der Fall, wenn die jährliche Bahn der Erde nur eine scheinbare
Gröfse von einer Minute haben soll. Ja selbst dann werden notwendigerweise die
Fixsterne dritter Gröfse, welche eine Minute im Durchmesser haben, notwendig
an Umfang gleich dieser Erdbahn sein müssen, d. h. sie w^erden 2284 Erdhalb-
messer im Durchmesser betragen ; denn sie werden etwa um 7 850 000 solcher
Halbmesser entfernt sein. L^nd nun gar die Sterne erster Gröfse, deren scheinbare
Gröfse bei etlichen 2, bei etlichen beinahe 3 Minuten beträgt! Und wenn gar
die achte Sphäre noch höher hinaufgeräckt wird, damit dort die jährliche Erd-
bewegung völlig verschwinde! Ermittle dieses, bitte, mathematisch, und Du
wirst sehen, was für Absurditäten schon bei solcher Erwägung — um von anderen
ganz zu schweigen — aus jener Annahme sich ergeben. Die dritte Erdbewegung
fällt mit Aufhebung der jährlichen von selbst. Oder sollte sie in Deinen Augen
mit ihr zugleich bestehen können: wie in aller Welt ist es möglich, dafs die Erd-
achse entgegengesetzt zur Bewegung des Mittelpunktes Jahr aus Jahr ein derart
rotiert, dafs sie trotzdem zu ruhen scheint? Wie ist es ferner möglich, dafs die
Achse und das Centrum zwei verschiedene Bewegungen besitzen in einem einzigen
einfachen Körper, ganz zu geschweigen von jener dritten noch hinzukommenden
täglichen?
Noch eingehender spricht Tycho an einer anderen Stelle Tp. 188 f.)
der E2:)isfolae astronomkae seine Bedenken gegen das kopernikanische System
ans. Bei dieser Gelegenheit bringt er die Erfahrungen beim Schiefsen
als Belege für die Unbewegtheit der Erde vor, etwa in der Weise, wie
es Galilei ihm hier in den Mund legt. Sodann fährt er fort:
Anmerkungen zum zweiten Tag. 519
Wenn inanclie glauben, ein Geschofs, das man vom Schiffe aus in die Höhe
schleudere, werde, wenn dies innerhalb des Schiffsraumes geschehe, auf die näm-
liche Stelle niederfallen, wohin es bei ruhendem Schiffe gelangt, so bringen sie
das unüberlegt vor, denn die Sache verhält sieb ganz anders. Je schneller viel-
mehr die Vorwärtsbewegung des Schiffes ist, ein um so gröfserer Unterschied wird
sich herausstellen.
In späterer Zeit glaubte übrigens Tycho die Achsendrehung der Erde
nicht mehr so leicht abthun zu können. In den nach seinem Tode (1602)
gedruckten Frogymnasmata heifst es p. 662: Alibi hoc non adco Jevc, nt
putafur^ de motu diiirno duhkmi resolvrmus. Dafs er hingegen jemals die
Achsendrehung der Erde gelehrt habe, wie z. B. Caras Sterne in seiner
Schrift: Die allgemeine Weltanschauung in ihrer historischen
Entwicklung (Stuttgart 1889, p. 50) behauptet, ist ganz unrichtig. —
Der erste, der auf die von Tjcho erwähnten Erscheinungen des freien Falles
auf bewegten Schiffen hingewiesen hat, scheint nach Wohlwill (Die Ent-
deckung des Beharningsgesetzes. Weimar 1884, p. 71) Giordano Bruno
gewesen zu sein. W. verweist auf G. Bruno, Cetia delJe Ccneri Dialog. III.
Cf. Operc italinne ed. Wagner 1830. I. p. 171.
27) p. 134. Christian Wursteisen (Ursfisiiis, ÄUasideros), geboren 1544
in Basel (nicht in Rostock, wie Galilei irrtümlich angiebt), Geschichtschreiber,
Theolog und Astronom, einer der ersten Anhänger des Kopernikus. Er
machte in Italien Propaganda für das neue System, wie er denn nach
seinem eigenen Geständnis mehr ein pädagogisches Talent, als ein selb-
ständiger Forscher war. Er schrieb: Quaestiones riovae in fhcoricas pJanc-
taruni Purhadiii (1568) und Elementa ArifJimeficae (15 73). Seit 1586 war er
Stadtschreiber von Basel und starb als solcher 1588. — Man hat aus vor-
liegender Stelle schliefsen wollen, dafs Galilei selbst zuerst von Wursteisen
mit dem kopernikanischen System bekannt gemacht worden sei. Es liegt
dazu jedoch um so weniger Anlafs vor, als die Worte Sagredo und nicht
Salviati in den Mund gelegt sind, welch letzterer doch höchstens als Re-
präsentant Galileis gelten könnte. Aber selbst Sagredo erzählt ja, dafs er
in unmittelbare Berührung mit Wursteisen nicht gekommen sei. — Noch
viel unglaubwürdiger ist freilich die von Vossius, De Uinversne Matheseos
Natura et Constitutione (Amsterdam 1650, p. 192), von Weidler, Ilistoria
astronomiae (Wittenberg 1741, p. 396), von Laplace u. a. gegebene Er-
zählung, dafs Mästlins Vorträge in Italien, die wahrscheinlich gar nicht
stattgefunden haben, Galilei die erste Kenntnis von der kopernikanischen
Lehre gegeben hätten. Hätte Galilei eine Andeutung machen wollen, von
wem er zuerst davon gehört habe, weshalb sollte er sich nicht unter der
Bezeichnung „unser gemeinsamer Freund" oder „der Akademiker" genannt
haben, wie dies an so vielen anderen Stellen des Dialogs geschieht?
28) p. 136. Vgl. zu p. 15.
29) p. 137. Unter kapellieren versteht man das Verfahren, mittels
dessen silberhaltiges Blei auf seinen Silbergehalt geprüft wird; der dabei
benutzte, aus Knochenasche geschlagene Tiegel heifst nämlich Kapelle.
30) p. 138. Von wem rührt das Argument der Centrifugalkrait her?
Bei Galilei wird es dem Ptolemäus zugeschrieben (p. 199\ findet sich aber
in Wahrheit nicht bei ihm; die Worte, die im Abnagest am meisten an
die von Galilei gebrauchten anklingen, sind in dem oben übersetzten
6. Kapitel des ersten Buches enthalten (p. 117). [Hätte sie aber auch
520 Anmerkungen zum zweiten Tag.
.... über den Himmel hinaus gefallen.] Diese ganze Stelle ist aber nicht
gegen die Achsendrehung der Erde, sondern gegen die Annahme einer Be-
wegung des Erdcentrums gerichtet, gegen die Annahme von einem Fallen
der Erde, hat also eine ganz andere Bedeutung, als die von Galilei ihr
beigelegte. Ebensowenig wird von Tycho die Centrifugalkraft als Argu-
ment gegen Kopernikus angeführt; hingegen wird sie allerdings, z. B. von
Mästlin in seiner Schrift Epifome asfronomka (Heidelbei-g 1582), worin er
im Widerspruch mit seinen mündlichea Vorträgen einen antikopernika-
nischen Standpunkt einnimmt, zur Widerlegung der Erddrehung benutzt.
31) p. 138. Es sind die sogenannten Tretmühlen gemeint, deren
wesentlicher Bestandteil ein innen mit Sprossen versehenes Kad bildet.
Auf diesen Sprossen steigen Arbeiter — soviele, als die Breite des Rades
gestattet — in die Höhe, das Rad weicht aus, der Arbeiter sinkt wieder
an die unterste Stelle, und das Steigen beginnt von neuem. Auch jetzt
noch wird von diesen Maschinen Gebrauch gemacht, wenn auch nicht in
dem Umfange wie zur Zeit Galileis. — Die Mange ist eines der im
Mittelalter üblichen Antwerke, d. h. der technischen Hilfsmittel für Be-
lagenangszwecke; sie diente zum Schleudern grofser Steinblöcke. Von ihr
ist schon in dem Gedichte Abbos (Anfang des 10. Jahrhunderts) de ohsi-
dionc Lutetiae die Rede: I, 364:
Conficiunt longis aeque lignis geminatis
Mangana, quae proprio vulgi libitu vocitantur,
Saxa quibus jaciunt ingentia.
32) p. 139. Die Identität des Wahren und Schönen oder vielmehr
das gemeinsame Aufgehen dieser Ideen in der Idee des Guten ist in erster
Linie eine platonische Lehre. Vgl. Br2J. VI, 505 ff. — Aber auch Aristo-
teles betont die Identität des Schönen und Guten, indem ersteres das ob-
jektiv Gute im Verhältnis zu dem auffassenden Subjekte bezeichnet. RJiet.
I, 9. 1366, a, 34. De anima III, 7. 431, b, 11.
33) p. 142. Welchen Text des Aristoteles Galilei benutzt hat, liefse
sich vielleicht aus dem hier gegebenen Citat ermitteln, namentlich aus dem
„tcsto 97", welches ich durch „im 97. Paragraphen'' übersetzt habe. In
unseren Aristoteles -Ausgaben werden die Paragraphen gewöhnlich nicht
mit durchgehender Nummer gezählt, sondern ihre Zählung beginnt kapitel-
weise von neuem. So ist die hier citierte Stelle im ersten Paragraphen
des 14. Kapitels enthalten. Die vorangegangenen 13 Kapitel enthalten in
der Didotschen Ausgabe zusammen 95 Paragraphen, sodafs die Einteilung
des von Galilei benutzten Textes zwar nicht ganz, aber doch annähernd
mit der unsrigen übereinstimmt. Vgl. Anm. zu p. 16.
34) p. 145. Vgl. p. 396.
35) p. 146. Petitio principii ist ein bekannter logischer Kunstaus-
druck, womit derjenige fehlerhafte Beweis bezeichnet wird, der die Behaup-
tung mittels einer von der Behauptung abhängigen Prämisse erhärten will.
Der aristotelische Syllogismus auf die kanonische Form gebracht, würde
lauten:
A) Wenn die Erde sich dreht, kann der Körper nicht lotrecht fallen.
B) Der Körper fällt aber lotrecht.
C) Also dreht sich die Erde nicht.
Anmerkun<fen zum zweiten Tag. 521
Die zweite Prämisse ist aber in diesem Falle zweifelhaft, solange der
Schlufssatz zweifelhaft ist. — Diese zweite Prämisse selbst wird hier ter-
mlnus meclius (mezzo tcrmine) genannt, während üblicherweise der Mittel-
begriff mit dieser Benennung belegt wird. — Ifjnotum per aequc ignotum:
Unbekanntes durch ebenso Unbekanntes.
36) p. 148. Über die Beteiligung eines Teils der elementaren Sphäre
an der täglichen Rotation, wie Aristoteles sie lehrte, vgl. zu p. 125.
37j p. 148. Hier und anderwärts (z. B. p. 161) ist sehr zu beachten,
wie Galilei einen Unterschied des Beharrens bei „natürlichen" und bei
„gewaltsamen" Bewegungen statuiert. Es zeigt dies abermals und von
anderer Seite her, wie fern ihm damals noch das richtige Beharrungsgesetz
gelegen hat, zu dessen allgemeiner Erkenntnis er überhaupt nicht dui'ch-
gedrungen ist, und zwar gerade infolge davon, dafs er das Beharren der
Bewegung vor allem stets zur Stützung des kopernikanischen Systems
verwerten wollte. — Am Schlüsse der Rede Salviatis (p. 149) tritt gleich-
falls eine Unsicherheit in der Handhabung des Beharrungsgesetzes hervor,
insofern die Luft, im Gegensatz zu dem, was Galilei den Salviati sagen läfst,
in keiner Weise die Bewegung des Steins fördern kann, wenn beide das
Bestreben haben, sich mit der nämlichen Geschwindigkeit zu bewegen.
G. kann sich eben noch nicht völlig von der Vorstellung losmachen, die
ihn in früheren Jahren beherrscht hat, dafs ein mitgeteilter Antrieb (virius
imprcssa) allmählich erlösche. — Eine Art von Korrektur erfährt diese
Auffassung allerdings durch die Worte Salviatis p. 150 „oder, besser ge-
sagt, die vorhandene nicht zu stören" (o, per mc(jllo cVirc, non impecUrgli
ü giä concepito).
38) p. 151. Man könnte die Frage aufwerfen, ob Galilei jemals den
Versuch anstellte. Aus der Darstellung im Dialoge scheint sehr bestimmt
hervorzugehen, dafs dies nicht der Fall ist. Da G. aber in dem Briefe an
Ingoli (Op. II, 99) ausdrücklich das Gegenteil versichert, so mufs man dieser
Versicherung Glauben schenken, wiewohl es zu bedauern bleibt, dafs er
nicht detaillierteren Bericht gegeben hat, namentlich inwieweit der Luft-
widerstand die Ergebnisse beeinflufste. Bekanntlich hat später (1640)
Gassendi Versuche in dieser Richtung gemacht und beschrieben. (Vgl.
Gassendi, de motu impresso a motore iranslaio in den Opuscula plnlosophica.
Lugduni 1658, p. 478 ff.) Auch in Italien hat Giovanni Cotunio, Lektor
an der Universität zu Bologna, au.f schnellfahrenden Schiffen Pfeile senk-
recht in die Höhe geschossen, gelangte aber zu widersprechenden Ergeb-
nissen (Chiaram. JDifesa p. 338). Die Thatsachen waren übrigens den
Matrosen längst bekannt. — Der Tadel, dafs die Gegner des Kopernikus
Versuchsergebnisse als ihrer Sache günstig hinstellten, ohne die Versuche
je ausgeführt zu haben, richtet sich namentlich gegen Tycho. (Vgl. die
p. 519 übex'setzte Stelle aus den Epist. astr.)
39) p. 153. Vires acquinitd euiido (neue Kräfte erwerben sie im Laufe)
mit Bezug auf Vcrg. Aeti. IV, 175.
40) p. 154. Es scheint die Stelle auf p. 25 gemeint zu sein, wo
freilich die Äufserung Sagredos nur an Salviati gelichtet ist, während
Simplicio sich an der Debatte gar nicht beteiligt.
41) p. 155. Diese Art der Begründung weist deutlich darauf hin, dafs
G. nicht sowohl dem eigentlichen Beharrungsgesetz auf die Spur gekommen
522 Anmerkungen zum zweiten Tag.
ist, als vielmehr dem Satze, dafs ein Körper auf einer Potentialfläche
sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit längs einer kürzesten Linie bewegt,
wenn er gezwungen iit auf derselben zu verbleiben, und nur die Potential-
kräfte auf ihn wirken. Freilich sind dann die späteren Folgerungen aus
diesem Gesetze, soweit sie sich auf den freien Fall und die Wurfbewegungen
beziehen, nicht völlig legitim, denn bei diesen Bewegungen ist der fallende
Körper nicht gezwungen auf derselben Potentialfläche zu verharren. Vgl.
Einl. und Anm. zu p. 184. 302. 316.
42) p. 157. Über die aristotelische Lehre vom Beharrungsgrunde der
Bewegung vgl. Zeller, Philosophie der Gi'iechen, 3. Aufl., II, 2 p. 356.
„Die Wirkung des Bewegenden auf das Bewegte denkt sich Aristoteles
durch eine fortdauernde Berührung beider bedingt." In der Fufsnote hierzu
heifst es sodann unter Hinweis auf Phys. VIII, 4. 255, a, 34. YIII, 1. 251,
b, Iff. Gen. et corr. I, 6. 322, b, 21. I, 9. 327, a, 1. Gen. an. II, 1.
734, a, 3. Metapli. IX, 5: „Dafs diese Berührung des Bewegenden mit
dem Bewegten nach Aristoteles nicht blofs eine einmalige, durch die es
nur den ersten Anstofs erhielte, sondern eine während der ganzen Dauer
der Bewegung fortgehende sein soll, erhellt namentlich aus seinen Annahmen
über die Wurfbewegung. Hier scheint sich ein Körper zu bewegen, nach-
dem er aufgehört hat, mit dem Bewegenden in Berührung zu stehen. Dies
kann aber Aristoteles nicht zugeben; er nimmt daher an {Plnjs. VIII, 10.
2G6, b, 27 ff. 267, b, 11 vgl. IV, 8. 215, a, 14. De insomn. 2. 459, a,
29 ff.), der Werfende bewege zugleich mit dem geworfenen Körper auch
das Medium, durch welches der letztere sich bewegt (wie Luft oder Wasser),
und zunächst von diesem gehe die Bewegung des Geworfenen aus, wenn
es sich vom Werfenden entfernt hat. Weil aber diese Bewegung fortgeht,
nachdem die des Werfenden schon aufgehört hat, während doch nach seiner
Voraussetzung die des Mediums zugleich mit der des Werfenden aufhören
mufs, greift er zu der seltsamen Auskunft, dafs das Medium noch bewegen
könne, wenn es auch selbst nicht mehr bewegt werde: ovy^ a^a naverat
xivovv Kai Kivovue^'ov, alXa kivovi.uvov (.isv a'jua orav 6 kiv&v Ttavarjrai, m-
v&v, nivovv 8\ k'n iarlv (267, a, 5). Das Gesetz der Trägheit, kraft dessen
jede Bewegung fortdauert, bis sie durch eine Gegenwirkung aufgehoben
wii-d, ist ihm demnach noch nicht bekannt. — Wie sich freilich die natür-
liche Bewegung der Elemente, vermöge deren jedes derselben dem ihm
eigentümlichen Ort zustreben soll, aus einer Berührung mit einem Bewegenden
ableiten lasse, würde schwer zu sagen sein; ist doch durch das, was F/n/s.
VIII, 4. 254, b, 33 ff. De eocJo IV, 3, Schi, steht, nicht einmal dargethan,
dafs sie überhaupt von anderem bewegt werden." Was diese letzte Be-
merkung Zellers betrifft, so scheint er zu übersehen, dafs Aristoteles das
Fortbestehen der Bewegung nur in dem Falle auf die Berührung oder auf
die Wirksamkeit eines Mediums zurückführt, wo es sich um gewaltsame
Bewegungen handelt; die natürlichen Bewegungen der Elemente hingegen
gehen bei ihm aus immanenten Trieben hervor. Bewegtes und Bewegendes
sind in diesem Falle gewissermafsen identisch; der JVIitwirkung eines Me-
diums bedarf es daher in diesem Falle nicht, wenngleich ein solches fördernd
einwirken kann und thatsächlich fördernd einwirkt. Eine Hauptstelle, auf
welche sich die peripatetische Lehre vom Beharren der Bewegung gründet,
ist von Zeller nicht angeführt: De coclo 111, 2. 301, b, 17. Sie lautet in
Anmerkungen zum zweiten Tag. 523
deutscher Übersetzung: „Da man nun unter Natur das dem Dinge selbst
innewohnende J3ewegungsprincip versteht, unter Gewalt aber, das einem
fremden Dinge innewohnende, insofern es ein fremdes ist, da ferner jede
Bewegung entweder natürlich oder gewaltsam ist, so wird die natürliche
Bewegung, etwa die Abwärtsbewegung eines Steines, durch Gewalt noch
beschleunigt werden, die widernatürliche aber überhaupt nur durch sie zu-
stande kommen. Zu beiden Zwecken dient gleichsam als Werkzeug die Luft;
denn diese hat die Eigentümlichkeit zugleich leicht und schwer zu sein.
Demgemäfs wird sie die Aufwärtsbewegung bewirken, insofern sie leicht
ist, sobald sie einen Anstofs erhält und so gewaltsam in Thätigkeit kommt;
die Abwärtsbewegung hingegen [wird sie bewirken], insofern sie schwer
ist, denn gleichsam dicht sich anschmiegend giebt sie [den bewegten Körper]
beidemale weiter. Daher bewegt sich das gewaltsam Bewegte, auch wenn
das Bewegende nicht nachfolgt. Wäre nämlich ein derartiges Medium nicht
vorhanden, so gäbe es überhaupt keine gewaltsame Bewegung, aber auch
die natürliche Bewegung eines jeden Körpers unterstützt es auf dieselbe
Weise." Die Widerlegung dieser aristotelischen Lehre gehört zu den Glanz-
partieen des Dialogs; es ist aber nicht zu vergessen, dafs in vieler Be-
ziehung Galilei an Benedetti einen Vorgänger hatte. So namentlich hatte
dieser bereits behauptet, dafs das Medium nicht nur nichts zum Beharren
der Bewegung beitrage, sondern umgekehrt das Haupthindernis für die
Beharrung abgebe. (lo. Ba. de Benedictis, Divcrsarum speculaiionum libcr
Taurbn 1585. p. 184. Whewell, Histonj of the inductivc sciences II, 17;
Wohlwill, die EnidccTcuncf des Bcharrimgsgesetzes p, 25.)
43) p. 157. Was nicht ist, übt keine Wirkungen aus. Vgl. Arist.
Meüiph. II, 4. 999, b, 8.
44) p. 159. Vgl. die zu p. 157 citierte Stelle aus De eocJo III, 2.
301, b, 17.
45j p. 164. Wohlwill (Die Entdeckung des Beharrungsgesetzes p. 77)
macht darauf aufmerksam, wie die einfachsten Folgerungen aus dem Be-
harrungsgesetze zu Galileis Zeiten als etwas völlig Neues und Merk-
würdiges angestaunt wurden. Er verweist in dieser Beziehung auf die
Widmung und Vorrede der französischen Übersetzung (vom Jahre 1634)
von Galileis Schrift Delhi Seienza Mcccanica, wo Mersenne die hier be-
rührten Erfahrungen als staunenswerte Erscheinungen bezeichnet.
46) p. 165. Das Wesen des Spieles mit der „Rollscheibe" (ruzzola)
geht mit h'nreichender Deutlichkeit aus dem Texte hervor. Die erste Idee
zu dieser hier eingeflochtenen Betrachtung kam Galilei am 11. April 1607.
Vgl. Einl. p. XXL
47) p. 165. Dieser erkenntnistheoretische Satz bezieht sich, wenn wir
die Kantische Terminologie gebrauchen wollen, nur auf analytische Ui'teile
und synthetische Urteile a priori. Galilei nennt hier Urteile nur dann
wahr, wenn sie mit dem Bewufstsein der Allgemeingültigkeit und Not-
wendigkeit ausgesprochen werden, und behauptet mit Recht, dafs diese
niemals durch blofse iMitteilung, ja auch nicht durch blofse Erfahrung zu-
stande kommen.
48) p. 166. Vgl. die pseudo- aristotelische Schrift 2Iechanka cap. 8.
851, b, 15ff. : z/t« u t« exqoyyvXa v.cu ixeqKpsQfi tröv ayri^axav cvxtvjjToreoa;
49) p. 168. Unter den bleiernen Spielmarken (ehiose) sind Bleimünzeu
524 Anmerkungen zum zweiten Tag.
zu verstehen, die von den Kindern selbst in steinernen Formen geprägt
und beim Spielen statt des Geldes benutzt werden (Favaro).
50) p. 169. Das italienische glocatori dl palla a corda ist durch
„Schlagballspieler" wiedergegeben. Es scheint sich um das noch jetzt in
Italien übliche Ballspiel zu handeln, bei welchem der fast kopfgrofse Ball
mittels einer Art Pritsche geschlagen wird, die im wesentlichen aus einem
Netzwerk von Darmsaiten (cordc) besteht. Die Spieler teilen sich in zwei
Parteien, deren Schranken durch eine über die Mitte des Spielplatzes
laufende Querlinie bezeichnet werden. An dem einen Ende des Platzes
wird der Ball kräftig nach der Seite der Gegenpartei hingeschlagen, von
dieser, nachdem er einmal die Erde berührt hat, zurückgeschlagen u. s. f.
Es kommt dabei vor allem darauf an, den Rückschlag nicht zu versäumen.
Der von Galilei angegebene Kunstgriff hat demgemäfs den Zweck, der
Gegenpartei den Rückschlag zu erschweren oder unmöglich zu machen.
51) p. 169. Dieses Nationalspiel der Italiener, welches sie giuoco
dcUe palle oder giuoco ddle hoccie nennen und welches hie und da auch
in Deutschland gespielt wird, besteht in folgendem. Die Spieler teilen
sich in zwei gleichstarke Parteien. Jeder Spieler hat eine eigene Kugel;
einer, der bei Beginn des Spiels durch das Los, später von der sieg-
reichen Partei bestimmt wird, hat aufser seiner eigenen Kugel noch eine
kleinere, paUino genannt. Dieser wirft nun zuerst den pallino aus und
sucht dann mit seiner eigenen Kugel, die er aus einer bestimmten Ent-
fernung zu werfen hat, diesem so nahe als möglich zu kommen. Die
übrigen Teilnehmer versuchen abwechselnd dasselbe, entweder nämlich sich
dem paUino mit der eigenen Kirgel möglichst zu nähern, oder die Kugel
des Gegners, welche dem j^aUbw zunächst liegt, davon zu entfernen. ;^ch
jeder Runde gilt die Partei als siegreich, welche eine oder mehrere Kugeln
zunächst an den paUino herangespielt hat (Favaro).
52) p. 172. Es ist damit wohl die lateinisch geschriebene Abhand-
lung Be motu nafuraUtcr accelerato gemeint, die in den Discorsi fast wört-
lich reproduzier-t wird (Op. XI, 74 — 80).
53) p. 173. Ygl. Archimedes, Bc lineis spiralibiis cap. 11: Ei' na sv-
&£ia ETtL^svid-y yoaftjUK iv inmiöa nal (i.ivovtog xov hsgov negarog avräg
iooxa'^ifüg neQtEve^&uöa ccTtoKaraßva&T] ndXiv^ d9sv coQi.ia6ev, aft« ds rä ygafifiä
7t£ Qtayoiiiva (piQijrai n Cafisi^ov iGoxuyiiog avzb mvrä %ara rag ev&Eiag ciQi,d-
^Evov dito lov fxivovrog nsQarog, rb Caiievov eXiKa yguTpet. iv ro5 imneöa.
Wenn eine gerade Linie in einer Ebene gezogen wird, und diese mit gleich-
förmiger Geschwindigkeit um den einen festliegenden Endpunkt sich dreht,
bis sie in ihre anfängliche Lage zurückkehrt, und wenn sich gleichzeitig
mit der Drehung der Linie irgend ein Punkt auf der Linie mit gleichför-
miger Geschwindigkeit bewegt, an dem festliegenden Ende beginnend, so
wird der Punkt auf der Ebene eine Spirale beschreiben.
54) p. 173. Völlig ferne liegt Galilei einstweilen noch der Gedanke,
dafs ein Körper unter der gleichzeitigen Wirkung einer nach einem Punkte
gerichteten Anziehungskraft und einer gewissen Anfangsgeschwindigkeit
eine Bahn beschreiben könne, welche niemals durch das Centrum der An-
ziehung hindurchführt. Er betrachtet es vielmehr als selbstverständlich,
dafs eine l'ortdauernde Anziehuncr von selten eines Punktes den angezogenen
Anmerkungen zum zweiten Tag. 525
Körper schliefslich an diesen Punkt gelangen lassen mufs. Ebenso hat
Galilei nirgends die überkommene Auffassung verlassen, die nicbt sowohl
von einem Angezogenwerden des schweren Körpers spricht, als vielmehr
von einem Trieb des Körpers nach dem Erdmittelpunkt. So wenig schein-
bar auf diesen Wechsel der Auffassung ankommt, der mehr einen ver-
änderten Sprachgebrauch als eine sachlich neue Erkenntnis darstellt, so
förderlich war dieser doch nachmals für den Fortschritt, der Erkenntnis.
Eine nach mancher Seite hin richtigere Ansicht über das Wesen der
Schwere hat Kepler gehabt; ja man darf behaupten, dafs er die allge-
meine Gravitation vor Newton gelehrt habe, abgesehen von der, allerdings
überaus wesentlichen, Bestimmung betreffs der Gröfse der Attraktion. Vgl.
die Introdiirfio zu Keplers De motibufi sfcllae Martis (Ed. Frisch vol. III,
p. 151). Hier findet sich u. a. der Satz: Gravitas est affcctio corporra
mutua infer cognaia corpora ad imitioncm seu conjundioncm (quo rerum ordine
est et facidtas magnctira), ut multo magis Terra traliat lapidem, quam Japis
petit Terram.
Die nun folgende Betrachtung über die absolute Bewegung eines auf
der rotierenden Erde fallenden Körpers ist eine der unbegreiflichsten
Sonderbarkeiten des Dialogs. Galilei war zur Zeit, als er sein Werk ver-
öffentlichte, längst im Besitz der gereifteren Erkenntnis, dafs die Bahn in
erster Annäheiiing eine Parabel sein mufs; er spricht auch ausdrücklich
das folgende nicht als eine Behauptung, sondern als eine Vermutung aus
und versichert später in einem Briefe an Carcaville vom 5. Juni 1637
(Op. VII, 155), die Sache sei nicht emst gemeint gewesen. Offenbar hatte
Galilei sich in früherer Zeit, ehe er den Schlüssel zu dem richtigen Ver-
ständnis in Händen hatte, jene Hypothese gebildet, die ja immerhin etwas
Bestechendes hat, insofern sie an Einfachheit mit der aristotelischen nicht
nur konkurriei-en kann, sondern sie noch überbietet. Dafs sie aber auch
noch im Dialog vorgeführt wird, ist nur zu erklären, wenn man daran
denkt, dafs dieser, w^enn auch blofs im höchsten Sinne des Wortes, eine
Agitationsschrift ist, die ausnahmsweise auch überreden statt überzeugen will.
Das Irrige in der angestellten Betrachtung liegt zunächst in den
Prämissen. Galilei benutzt nämlich erstens sein unrichtiges Beharrungs-
gesetz, durch welches ein Beharren in der Kreisbewegung ausgesagt wird.
Dieses giebt zwar da, wo es sich um kleine Strecken handelt, annähernd
richtige Resultate, ist aber hier, wo die Distanzen von derselben Ordnung
sind, wie die Dimensionen der Erde, gänzlich unstatthaft. Zweitens ist ihm
noch unbekannt, dafs die Beschleunigung der fallenden Körper nicht als
konstant angesehen werden darf, sobald die Entfernung vom Erdcentrum
beträchtlich zu- oder abnimmt.
Stellen war uns nun aber auf den galileischen Standpunkt und be-
nutzen gleichfalls seine unrichtigen Prämissen, so gelangen wir dennoch
nicht zu dem von ihm angegebenen Resultate. Dafs er von falschen Vor-
aussetzungen ausging, ist nicht nur entschuldbar, sondern beinahe selbst-
verständlich. Dafs er hingegen nicht ernsthaft prüfte — wozu seine
Mittel ausreichten — was auf Grund dieser Voraussetzungen und seiner
eigenen Fallbewegiingslehre eintreten müsse, ist um so verwunderlicher,
als er scheinbar kein geringes Gewicht auf das Resultat legt und es an
verschiedenen Stellen des Dialogs schon vorher in Aussicht stellt (p. .35.
526 Anmerkungen zum zweiten Tag.
37. 48), sowie an späteren sich darauf bezieht (p. 257. 279 und sonst).
— Bezeichnet man die Entfernung der Turmspitze vom Mittelpunkte mit q^
die jeweilige Entfernung des Steines vom Mittelpunkte mit r, den Winkel,
um welchen der Turm seit Beginn des Falles sich gedreht hat, mit 0, so
würde, wenn Galilei Recht hätte, d. h. wenn der Kreis CIA die wirkliche
Bahn wäre, die Relation bestehen müssen:
r ^ Q cos 0 ,
also
Q — r = ^ (l — cos &) = 2 Q sin^ -- •
Nach der galileischen Fallbewegungstheorie ist hingegen, da & propor-
tional der Zeit wächst,
Q — r =^TiQr^
wo 1: eine Konstante bedeutet. Diese Ausdrücke können aber offenbar
nicht identisch sein, nicht einmal für den Fall kleiner Werte von 0, da
dann die Konstanten in den beiden Formeln durchaus verschiedene Werte
besitzen. Überdies ist eine Beschränkung auf kleine Werte von & hier
der Natur der Sache nach unzulässig.
In anderer Beziehung ist freilich diese ganze Herleitung von grofser
Bedeutung für die Geschichte der Mechanik, insofern vielleicht zum ersten
Male in klarer Weise das Princip der Zusammensetzung verschiedenartiger
Bewegungen zur Analyse von thatsächlich in der Natur stattfindenden Be-
wegungen benutzt wird.
55) p. 177. Bekanntlich ist bei ein und derselben Anfangsgeschwindig-
keit die Wui'fweite dann ein Maximum, wenn der Abgangswinkel ein
halber Rechter ist. Es war dies schon lauge vor Galilei von Tartaglia
behauptet, wenn auch nicht bewiesen worden.
56) p. 180. Über die Reise Sagredos nach dem Orient vgl. Einl.
p. LT. Der dem Sagredo in den Mund gelegte Einfall rührt aus dem Jahre
1607 (vgl. Einl. p. XXI), also aus der Zeit vor der Reise Sagredos; man
ersieht daraus, dafs die persönlichen Verhältnisse und die scheinbar cha-
rakteristischen Äufserungen der Interlocutoren des Dialogs nur ganz im
allgemeinen der Wirklichkeit entsprechen.
57) p. 183. Das hier erwähnte Thesenbüchlein (Jihreüo cU con-
dusioni) führt diese Bezeichnung, weil sein Inhalt in öffentlicher Disputation
verteidigt werden sollte. Gemeint ist die 112 Quartseiten umfassende
Schrift des Jesuiten Clementi, deren voller Titel lautet: Encidoxxiedia am-
pUssimo Principi Sdpioni Card. Burghesio, dedicata expUcata et defensa
cenhim phüosopliids assertionihus a Clemenfe de Clementibus in Cöllegio
Bomano Soddatis Jesu. An. MDCXXIIII. Boniac, ex typ. Jacöbi Mascardi.
(Vgl. Favaro, La Libreria di Galileo Galilei. Roma 1887 p. 26.) Die
im Text verspottete Stelle findet sich auf p. 157 des Büchleins.
58) p. 184. Diese Stelle enthält wohl die gröfste Annähening an
die Erkenntnis des allgemeinen Beharrungsgesetzes, soweit eine solche
im Dialog niedergelegt ist; auch die Biseorsi führen nicht wesentlich über
diese Stufe hinaus. Aber auch hier ist die Unveräuderlichkeit der Ge-
schwindigkeit neben der unveräuderlichkeit der Richtung nicht erwähnt,
und die ganze Stelle macht durchaus keinen Anspruch darauf, ein funda-
Anmerkungen zum zweiten Tag. 527
mentales Princip zu formulieren. Es ist sehr fraglich, ob im vorliegenden
Fall Galilei eine Unveränderlichkeit der Geschwindigkeit überhaupt zu-
gegeben haben würde.
59) p. 187. Die im folgenden auseinandergesetzte Praxis der Vogel-
schützen und ebenso die sie erläutei*nde Theorie ist unrichtig, und zwar
auch dann, wenn man, wie im vorliegenden Fall offenbar geschieht, von
der Einwirkung der Schwere auf die Flugbahn des Geschosses absieht.
Galilei läfst den Salviati versuchsweise sein irriges ßeharrungsgesetz hier
sogar auf den Fall ausdehnen, wo das Centrum der Rotationsbewegung
nicht der Erdmittelpunkt ist, sondern das Auge des Schützen. Sagredo
berichtigt nachher den Fehler, gleichwohl scheint aus dieser Stelle hervor-
zugehen, dafs Galilei selbst eine Zeit lang in der irrigen Meinung be-
fangen war. (Vgl. Einl. p. LVII.) Die Meinung Salviatis ist offenbar, dafs,
abgesehen von der Schwere, die Kugel, welche aus dem rotierenden
Flintenlauf abgefeuert wird, gleichzeitig die fortschreitende und die ro-
tierende Bewegung beibehalte, also eine archimedische Spirale beschreibe;
in Wahrheit aber legt sie, bei Vernachlässigung der Fallbewegung, eine
gerade Linie zurück. Die Richtung derselben fällt mit der Diagonale
eines Rechtecks zusammen, dessen eine Seite der verlängerte Radius, dessen
andere die entsprechende Tangente ist; die beiden Rechteckseiten müssen
sich dabei verhalten wie die Schufsgeschwindigkeit zu der linearen Ge-
schwindigkeit der rotierenden Laufmündung. — In dem vorher besprochenen
Falle, wo der senkrecht gerichtete Kanonenlauf um den Erdmittelpunkt
sich drehte, konnte, wie nachher ganz richtig auseinandergesetzt wii'd, die
Betrachtung als korrekt angesehen werden, da diese Rotationsbewegung
in Anbetracht der thatsächlichen Dimensionen kaum verschieden von einer
Translationsbewegung war.
60) p. 189. Hier ist Galilei im Unrecht; östliche Horizontalschüsse
müssen auf der rotierenden Erde theoretisch in der That höher, westliche
tiefer gehen als auf der unbewegten Erde. Der Irrtum ist wiederum her-
vorgerufen durch das falsche Beharrungsgesetz, nach welchem eine horizon-
tale Anfangsbewegung eine beständige Kreisbewegung um den Erdmittel-
punkt im Gefolge haben soll. Doch scheint hier G. in seine eigene
Erklärung ein gewisses Mifstrauen gesetzt zu haben, da er nachher (p. 191),
auf den gegnerischen Standpu.nkt sich stellend, überschlagsweise den Be-
trag der Sehr geringen Abweichung zu berechnen versucht, die eintreten
müfste. Diese Rechnung ist aber auf völlig verfehlter Grundlage ange-
stellt und führt nur insofei'n zu einem richtigen Ergebnis, als die Gröfse
der Abweichung in der That recht unbedeutend ist.
61) p. 191. Die Annahme, dafs die Versuche in diesem Falle unter
dem Äquator angestellt werden, ist nicht, wie G. meint, ein den Gegnern
eingeräumter Vorteil; im Gegenteil würde sich die Abweichung unter jeder
anderen Breite bedeutender herausstellen. Auch wird die Voraussetzung,
dafs man sich unter dem Äquator befinde, bei der folgenden Rechnung in
keiner Weise benutzt.
62) p. 191. Die Art, wie Galilei die Rechiuing führt, ist kaum zu
verstehen und sicherlich falsch. Es scheint, als ob er sein Verfahren ent-
sprechend dem Falle gestaltet habe, wo es sich um Bewegungen am Himmel
handelt, bei welchen die Erde als Punkt, der Beobachtungsort als Gen-
528 Anmerkmig-en zum zweiten Tag.
trum der Himmelsbewegvingen betrachtet werden darf. Dies ist aber hier
völlig unzulässig.
63) p. 191. In dem Werke des Kopernikus Be rcvoluHonihits orhium
cadestium findet sich im 12. Kapitel des ersten Buchs eine von Galilei
und anderen vielfach benutzte Sinustafel.
64) p. 192. In der cdliio princrps und allen anderen mir zugänglich
gewesenen Ausgaben steht umgekehrt: ma gli orcideutaJi riuscirehbon hassi,
cd alii gli orioüall Dies ist jedoch sachlich unrichtig und mufs auf einem
Schreibfehler Galileis beruhen. Denn Sagredo will doch offenbar sagen:
Die Kanoniere haben sich die Übung erworben, die durch die Erdbewegung
verursachte Abweichung gewissermafsen instinktiv mit in Rechnung zu
ziehen, d. h. nach Westen schon von vornherein das Ziel höher zu nehmen,
da ohne dieses Mittel die Schüsse zu tief gingen. Stünde nun in Zukunft
die Erde still, und die Kanoniere blieben bei ihrer bisherigen Praxis, so
würden die westlichen Schüsse nunmehr zu hoch gehen müssen, die öst-
lichen hingegen zu tief.
65) p. 197. Fast wörtlich übereinstimmend mit der nachstehenden
Darstellung ist die in dem Briefe an Ingoli gegebene. Vgl. Op. II, 101.
66) p. 201. Die Vorliebe Galileis, Argumente des Gegners mit einem
noch vermehrten Schein von Richtigkeit zu umgeben, bevor er sie wider-
legte, bethätigte er auch bei mündlichen Disputationen. Auf die Zuhörer
übte dies, wie sich begreifen läfst, häufig eine belustigende Wirkung. Vgl.
die Schilderung Querenghis in seinem Briefe an den Kardinal Alessandro
d'Este vom 20. Januar 1616. (Op. VIII, 383.)
67) p. 202. Nostrum scire sit quoddam remm'mi unser Wissen sei eine
Art von Wiedererinnerung. Diese Lehre wird von Plato, insbesondere in
seinem Mcno^ c. XIV — XVI, vorgetragen.
68) p. 205. Die Ausführungen über das Wachsen der Entfernung
von der Peripherie sind ganz im Geiste moderner Infinitesimalrechnung
gehalten, deren erste Keime bei Galilei verschiedentlich zu entdecken sind.
— Nennt man den Radius i?, die Entfernung auf der Tangente a;, so ist
die Entfernung von der Peripherie '[/T?''* -\- x^ — B ; für ein kleines x ist
dieses, mit Vernachlässigung höherer Potenzen von ic, gleich ^^, also
tinendlich klein von der zweiten Ordnung.
69) p. 206. Die galileischen Ansichten über das Wesen der Centri-
fugalkraft sind freilich in ihrem letzten Ergebnis falsch, enthalten aber
auf der anderen Seite soviel Neues bezüglich der Methode und Auffassung
mechanischer Probleme, dafs sie gleichwohl zu dem Bedeutendsten ge-
hören, was im Dialoge enthalten ist, ja zu dem Bedeutendsten, was Galilei
überhaupt geleistet. Kopernikus hatte zur Widerlegung der Meinung, es
müsse durch die Centrifugalkraft alles davonfliegen, was nicht niet- und
nagelfest sei, auch hier nur das schlechte Argument vorzubringen gewufst,
dafs die kreisfönnige Bewegung um den Mittelpunkt der Erde nicht mit
anderen Kreisbewegungen verglichen werden dürfe, weil sie im Gegensatze
zu diesen eine „natürliche '' Bewegung der Körper sei. — Richtigere An-
sichten über die Centrifugalkraft stellte zuerst Benedetti auf, der hier
wie in anderen mechanischen Fragen als der bedeutendste Vorgänger
Galileis zu betrachten ist. Namentlich war er der erste, der lehrte, dafs
Anmerkungen zum zweiten Tag. 529
der Trieb eines mit dem rotierenden Körper verbundenen Körpers längs
der Tangente der Kreisbahn im Trennungspunkte gerichtet sei (vgl. Wohl-
will, Die Entdeckung des Beharrungsges. p. 27). Galileis Methode hätte
vollständig ausgereicht, die Centrifugalkraft auch ihrer Gröfse nach richtig zu
beurteilen, was erst später Huyghens thatsächlich leistete. Er wollte aber
zu viel beweisen und scheiterte infolge dessen; er meinte nachweisen zu
können, dafs, wie gering auch die Schwere und wie grofs auch die Ro-
tationsgeschwindigkeit angenommen werden möge, gleichwohl nie der Fall
eintreten könne, dafs der Körper fortgeschleudert werde. — Es ist merk-
würdig genug und für das historische Verständnis wissenschaftlicher Ent-
deckungen höchst belehrend, zu sehen, wie schwer es ist, ein richtiges Princip
konsequent zu Ende zu denken. Uns kommt es fast unbegreiflich vor, wie
G., der die parabolische Bahn geschleuderter Körper zu entdecken wufste, der
andererseits wohl auch einsah, dafs die Centrifugalkraft nichts anderes ist,
als eine Folge des Beharrungsgesetzes, sich dennoch nicht durchringen konnte
zu der Erkenntnis, dafs infolge der Centrifugalkraft und der (konstanten)
Schwere ein Stein auf der Erdoberfläche eine parabolische Bahn beschreiben
müfste, die je nach der Geschwindigkeit der Erddrehung und der Gröfse
der Gravitationskonstante den Umfang der Erde von innen oder von aufseu
berührt. Sobald das erstere der Fall ist, kann wegen des Widerstandes
der Erde eine Bewegung überhaupt nicht zustande kommen, im letzteren
Falle aber würde ein Fortschleudern allerdings eintreten. Thatsächlich
sind die Bedingungen für den ersten Fall vorhanden, wie duix-h Rechnung
leicht festzustellen ist; infolge dessen bewirkt die Centrifugalkraft nur
eine Verminderung, nicht aber eine vollständige Aufhebung des Gewich-
tes des Körpers. — Freilich mufste das unrichtige Beharrungsgesetz
Galileis ihm bei dieser Untersuchung sehr hinderlich sein. Bei den früheren
Gelegenheiten betrachtete er als „natürliche" Bewegung die kreisförmige,
mit 24-stündiger Periode; hier spricht er von dem Impuls längs der Tan-
gente, es schwebt ihm also ein richtiges Beharrungsgesetz vor. Er unter-
scheidet aber zwischen diesen beiden Dingen, und darin mag eine Haupt-
quelle für die Irrtümer liegen, die er begeht. In Wirklichkeit existiert
eben nur dieser Impuls längs der Tangente, dieser wird durch die Schwere
fortwährend und zwar mit Erfolg bekämpft, und infolge dieser beiden
Faktoren im Verein mit dem Widerstand der festen Erde kommt erst die
Kreisbewegung zustande, welche Galilei anderwärts die natürliche nennt.
70) p. 207 ad destruendum sufficit unum. Zur Widerlegung einer Be-
hauptung genügt ein einziger [widersprechender] Umstand.
71) p. 208. Diese Frage ist sonderbar, fast unverständlich formuliert;
wie sie gemeint ist, geht aber aus der Fortsetzung mit hinreichender
Deutlichkeit hervor.
72) p. 210. Unter der dritten Proportionalen zu den beiden
Strecken BA und C versteht man bekanntlich diejenige Strecke a\ welche
der Bedingung genügt
B~A:C =C:x.
Komposition heifst diejenige Transformation einer Proportion, bei welcher
a : h = c : d übergeht in {et -\- Jj) : h = (c -|- <0 • ''•
Galilei, Weltsysteme 34
530 Anmerkungen zum zweiten Tag.
73) p. 210. Der erste der beiden Einwände Sagredos ist thatsächlicli
berechtigt und wird im folgenden aucb nur ungenügend widerlegt; der andere
beruht auf der falschen, nachher berichtigten Vorstellung, dafs die Fall-
beschleunigung proportional dem Gewichte oder doch wesentlich von ihm
abhängig sei.
74) p. 211. Es ist dies wohl das erste Mal, dafs, ganz in der heute
üblichen Weise, die Abhängigkeit einer veränderlichen Gröfse von einer
anderen figürlich dargestellt wird; die Zeiten werden als Abscissen, die zu-
gehörigen Geschwindigkeiten als Ordinaten abgetragen. Schon dieser Ver-
such allein reicht aus, um dem vorliegenden Abschnitte des Dialogs eine
hohe historische Bedeutung zu sichern.
75) p. 211. So ganz „offenbar" ist dies nicht, wenn es auch that-
sächlich richtig ist. Galilei hat in den Dlscorsl auf diese Proportio-
nalität der Fallgeschwindigkeit mit der Fallzeit seine ganze Ableitung der
Fallgesetze gegründet. Gleichwohl meinte er selbst noch im Jahre 1604
(vgl. den Brief an Paolo Sarpi Op. VI, 24), dafs die Geschwindigkeiten
sich verhielten wie die durchfallenen Strecken, was völlig unrichtig ist
und als unrichtig später von ihm selber nachgewiesen wird. — Oder meint
G., die Eichtigkeit seiner Behauptung folge offenbar aus der entworfenen
Figur? In diesem Falle bedürfte es aber der Rechtfertigung dieser Figur;
es müfste gezeigt werden, dafs die Strecken FG, III, KL auf einer und
derselben durch den Punkt A laufenden geraden Linie endigen müssen.
76) p. 211. Bei der Darlegung dieser zweiten angeblichen Ursache für
eine Geschwindigkeitsabnahme stellt sich Salviati zunächst auf den Stand-
punkt, dafs die Fallgeschwindigkeit dem Gewichte proportional sei. Diese
falsche aristotelische Ansicht wird nachher aber dahin berichtigt, dafs eine
solche Proportionalität nicht besteht; die völlige Unabhängigkeit der Fall-
geschwindigkeit vom absoluten und specifischen Gewichte freilich wagt
Galilei hier noch nicht zu behaupten, er spricht sie vermutungsweise erst in
den Biscorsi aus (Op. XIII, 74).
77) p. 212. Was Galilei sagen will, Avürde in moderner Ausdrucks-
weise lauten: Die eine „Bewegung" (nämlich die von der Centrifugalkraft
herrührende) ist ein Unendlichkleines von der zweiten Ordnung, die andere
(die Fallbewegung) ein Unendlichkleines erster Ordnung; die erstere ist
daher ohne Einflufs. — So erstaunlich es nun auf der einen Seite ist, ein
wie tiefes Verständnis für die fundamentalen Begriffe der Infinitesimal-
rechnung wir bereits bei Galilei finden, so täuscht er sich bei dem vor-
liegenden Probleme dennoch. Sein Irrtum rührt daher, dafs er bei der
CJentrifugalkraft unter der „Bewegung" stets die durchlaufene oder zu
durchlaufende Strecke, bei der Fallbewegung hingegen die erlangte Ge-
schwindigkeit in Rechnung zieht. Nimmt man in beiden Fällen die
Strecken, oder in beiden Fällen die Geschwindigkeiten, so werden die un-
endlichkleinen Gröfsen von gleicher Ordnung, woraus sich ergiebt, dafs die
Centrifugalkraft nicht ohne Einflufs ist.
78) p. 214. Im Original steht ira Ja srganfe c la circonferenza; sc-
gantc mufs jedoch Druck- oder Schreibfehler für iangentc sein.
79) p, 214. Aristoteles lehrt, dafs die Fallgeschwindigkeit eines und
desselben Körpers umgekehrt proportional sei der Dichtigkeit des Mediums,
und dafs die Fallgeschwindigkeit verschiedener, aber gleichgestalteter
Anmerkungen zum zweiten Tag. 531
Körper, direkt proportional ihrem Gewichte sei. Vgl. Arist. Phys. II, 8.
215, a, 25 flf. Gegen diese Anschauungen war Galilei schon während seiner
Anstellung in Pisa aufgetreten.
80j p. 215. Es scheint die Stelle Arist. De gen. ei corr. I, 2. 316, a, 10
gemeint zu sein, die sich auf Plato bezieht, obgleich sein Name nicht ge-
nannt ist. Es heifst dort z. B. "I8ol ^' äv tig y,cd in tovtcov oaov 8m(pi-
QovGiv Ol cpvötKäg Kca Xoyiy.äg ßy.oTtovvteg. Vgl. auch p. 415.
81) p. 215. „Die Kugel berühi-t die Ebene in einem Punkte." —
Über die Anwendbarkeit abstrakter mathematischer Sätze auf reale phy-
sische Verhältnisse wurde von Alters her gestritten. So führt Aristoteles
{Metapli. II, 2. 998, a, 3) eine Äufserung von Protagoras an, wonach
Lineal und Kreis sich nicht einpunktig berühren, und billigt diese Wider-
legung der Mathematiker. Die von Galilei verfochtene Ansicht gab denn
auch seineu peripatetischen Gegnern heftigsten Anstofs; so bekämpft An-
tonio Rocco gerade diesen Satz mit besonderer Lebhaftigkeit. (Op. II, 253 ff.)
82) p. 217. Der von Simplicio angeführte, allerdings nicht aus-
reichende Beweis des Peripatetikers ist doch nicht ohne weiteres zu
verwerfen. Die Sache liegt vielmehr so, dafs es erst einer besonderen
Definition bedarf, was unter der Länge einer Kurve zu verstehen sei; eine
solche hat nun allerdings ihre Schwierigkeiten und, um sie korrekt zu ge-
stalten, bedarf es eines mit vielen Kautelen umgebenen Grenzübergangs.
Dann aber läfst sich in der That ein strenger Beweis für das Axiom
des Archimedes geben. (Vgl. z. B. Scheeffer in den Acta mafh. Bd. V,
49 - 82.)
83) p, 223. G. legte ein solches Gewicht auf seine im vierten Teile
des Dialogs niedergelegte Theorie von Ebbe und Flut, in welcher er die Haupt-
stütze des kopernikanischen Systems zu finden glaubte, dafs er anfänglich
dem Dialog den Titel BiaJogo del flusso e reflusso zu geben beabsichtigte.
84) p. 224. Diese Worte erinnern an die Motivierung, welche Galilei
bei seinem zweiten Verhör am 30. April 1633 vor dem Kommissar der
Inquisition für den im Dialog festgehaltenen Standpunkt abgab. In der
von ihm zu Protokoll gegebenen Erklärung (Gebier, Akten p. 82 f.) heifst
es (nach der Übersetzung von Rausch): „Da mir diese Entschuldigung,
wie gesagt, nicht genügte, so recurrierte ich auf jene Entschuldigung, die
darin liegt, dafs ein jeder von Natur geneigt ist, an seinen eigenen Sub-
tilitäten und daran Gefallen zu finden, sich dadurch scharfsinniger als die
meisten Menschen zu erweisen, dafs er auch falsche Sätze durch ingeniöse
und blendende Beweisfühningen wahrscheinlich zu machen weifs."
85) p. 224. Obgleich die folgenden Erörterungen nur als „Extrazu-
gabe" (per eolmo e huona misura) angestellt werden, so ist doch erst in
ihnen die Ahnung des wahren Sachverhalts enthalten, wiewohl auch hier
wesentliche Irrtümer unterlaufen. Für das Verständnis ist zu beachten,
dafs im folgenden unter Geschwindigkeit stets lineare Geschwindigkeit,
nicht Winkelgeschwindigkeit zu verstehen ist. G. macht nun mit vollem
Recht darauf aufmerksam (p. 231), dafs bei Kreisbewegungen die „Schleuder-
kraft" (la proiesio)ie, la causa clclla proieziotie) abnimmt, wenn bei gleich-
bleibender linearer Geschwindigkeit der Radius des Kreises zunimmt. Wenn
er hingegen, obgleich nur vermutungsweise, den Satz ausspricht, dafs bei
gleichen Winkelgeschwindigkeiten die Centrifugalkraft konstant bleibe, also
532 Anmerkungen zum zweiten Tag.
unabhängig von dem Radius sei (p. 231), so irrt er. Die Quelle seines
Irrtums ist folgende. Er hat ganz richtig bemerkt, dafs bei gleichem
Radius die Centrifugalkraft mit wachsender linearer oder Winkelgeschwindig-
keit gleichfalls wächst; er meint aber, wie nachher ausgesprochen wird,
sie sei der Geschwindigkeit proportional, während sie in Wahrheit dem
Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist; es schwebt ihm mithin, wenn
mit r der Radius, mit v die lineare Geschwindigkeit bezeichnet wird, für
den Betrag der Centrifugalkraft die Formel - vor, während die richtige
von Huyghens (Horologium osciUatorium. Pars V.) gefundene Formel ihren
Wert auf -^ normiert. Nennt man die Winkelgeschwindigkeit «, sodafs
V = 7- CO, so geht die erstgenannte Formel in co über, wird also von r un-
abhängig, die huyghenssehe Formel aber in >-co^, welche zeigt, dafs bei
gleicher Winkelgeschwindigkeit die Centrifugalkraft dem Radius propor-
tional ist. Bei dem gleich nachher angeführten Zahlenbeispiel hat aller-
dings G. insofern Recht, als bei einem Radius, der sechsmal so grofs ist,
und bei einer linearen Geschwindigkeit, die zweimal so grofs ist als in
einem anderen Falle, die Centrifugalkraft einen ger-ingeren Betrag annimmt
als in diesem anderen Falle. Sie beläuft sich nämlich auf f des dann
geltenden Wertes; G. dachte aber, wiewohl er es an dieser Stelle nicht
ausdrücklich ausspricht, dafs sie nur -^ desselben betrage, weil die
Winkelgeschwindigkeit nämlich in diesem Verhältnis sich vermindert hat.
86) p. 226. Im folgenden wird der Versuch gemacht, das sogenannte
Princip der virtuellen Geschwindigkeiten zur Begründung einer Theorie
der Centrifugalkraft zu verwerten. So glücklich Galilei mit diesem Princip
bei anderer Gelegenheit, namentlich in der schon frühe verfafsten, aber erst
nach seinem Tode verölfentlichten Schrift Bella sciema meecanica operierte,
so wenig kann man den vorliegenden Versuch als gelungen ansehen; inter-
essant bleibt aber unsere Stelle schon darum, weil Galilei, abgesehen von
den noch unvollkommenen Bemühungen Leonardo da Vincis und Guido
Ubaldis, der erste ist, welcher dem Princip korrekten Ausdruck verliehen
hat. Die Erläuterung des Satzes von den virtuellen Geschwindigkeiten
wird hier nur durch die Anwendung auf den Hebel gegeben, in der Schrift
Bella scienza meecanica aber wird er auch auf die übrigen mechanischen
Potenzen angewendet.
87) p. 228. Hier taucht zum ersten Male die später so vielfach er-
örterte Frage auf, welche Quantität als Mafs der „Kraft" eines bewegten
Körpers zu gelten habe; die Frage führte später zu dem bekannten er-
bitterten Streit, ob das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit, die so-
genannte Bewegungsgröfse, oder das Produkt aus Masse und Quadrat der
Geschwindigkeit, die sogenannte lebendige Kraft, als Mafs dafür anzusehen
sei. Über die Berechtigung und den Sinn beider Anschauungsweisen vgl. z. B.
Dühring, Kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik
(Leipzig 1877) p. 223ff,
88) p. 232. Unter dem „Thesenbüchlein" sind die schon p. 96 er-
wähnten Bisquisitiones mathematicae von Scheiners Schüler Locher ver-
standen. An ihnen wird im folgenden eine überaus scharfe Kritik geübt,
schärfer und eingehender als es das herzlich unbedeutende Schriftchen
Anmerkungen zum zweiten Tag. 533
eigentlich verdient hätte. Es scheint, dafs G. bei Abfassung dieser, sach-
lich ja völlig berechtigten, Kritik Kenntnis von der Absicht Scheiners hatte,
in einem grofsen Werke gegen G-alilei, namentlich betreffs der Priorität
der Sonnenfleckenentdeckung, zu polemisieren; wenigstens liefse sich sonst
schwer die Animosität Galileis gerade gegen dieses Werkchen erklären, in
welchem sein Name an mehreren Stellen mit der höchsten Achtung ge-
nannt wird; es wiederholte nur, soweit es von der Frage der Weltsysteme
handelte, die landläufigen Argumente gegen Kopernikus, allerdings ver-
brämt mit einigen originellen Albernheiten, die indessen eine so ausführ-
liche Behandlung und Widerlegung seitens Galileis nicht genügend recht-
fertigen. Galilei wollte vermutlich Scheiners Angriffen zuvorkommen; frei-
lich gelang ihm dies nicht; denn das scheinersche Werk, die Rosa ursina,
erschien infolge der langen Verhandlungen über das Imprimatur des ga-
lileischen Dialogs früher auf dem Büchermarkte. — Das zweite hier er-
wähnte Werk ist das Buch von Chiaramonti (Scipio Claramontius) : De
tribus novis steUis, quae annis 1572, IGOO, 1604 comjMruerc. Caesenae 1628.
Dieses Buch hat Galilei bei Abfassung der Giornaia prima seines Dialogs
noch nicht gekannt, wie daraus hervorgeht, dafs die Polemik dagegen,
deren Hauptteil am Beginn der Giornaia tcrsa sich findet, weit eher in
den Rahmen des ersten Tages gepafst hätte. Dort aber wird nur gegen
den Antitycho desselben Verfassers zu Felde gezogen. Vgl. Anm. zu p. 55.
Auf die Angriffe, die im galileischen Dialoge gegen Chiaramonti gerichtet
werden, erwiderte dieser in seinem Buche Difcsa di Scipione Chiaramonti da
Cesena al siio Antiticone, e libro delle tre nuovc stelle, dalle opposisioni delV
Autore de' due massimi sistemi Tolcmaieo e Copernicano. Firenzc appresso
il Landini 1633.
89) p. 232. Die in den Disquisitiones enthaltenen Einwände gegen das
kopernikanische System finden sich in den Abschnitten XII, XIII, XIV
(p. 23 — 35) dieses Schriftchens; die gegen die Achsendrehung der Erde
gerichteten, welche von G. zunächst besprochen werden, sind in XIV (p. 28flf.)
enthalten.
90) p. 233. Unter einer deutschen Meile wurde damals, wie jetzt,
der 5400**' Teil des Ac[uators verstanden; doch war die deutsche Meile nur
eine Rechnungseinheit, nicht aber ein praktisch wirklich benutztes Läugen-
mafs, da die Dimensionen der Erde nur sehr roh bekannt waren.
91) p. 236. Unter dem Doppelten eines Verhältnisses verstan-
den die Alten, u.nd nach ihrem Vorbilde Galilei, das, was wir das Quadrat
eines Verhältnisses nennen.
92) p. 237. Die nun folgende Berechnung ruht, wie selbstverständ-
lich, auf der unrichtigen Grundlage, dafs die Beschleunigiingskonstante der
Schwere unabhängig von der Entfernung vom Mittelpunkt ist, in Wirk-
lichkeit nimmt sie ab im quadratischen Verhältnis der Entfernung vom
Mittelpunkte. Dafs daran Galilei nicht dachte, ist weniger auffällig, als
dafs er nicht erwähnenswert fand, dafs in der Nähe des Mondes mög-
licherweise ein Fallen nach diesem hin stattfinden könne; denn die "Vor-
stellung eines Falles auf anderen Weltkörpern als der Erde war ihm keines-
wegs fremd.
93) p. 237. Hier wird abermals die schon p. 214 erwähnte Streit-
frage berührt.
534
Anmerkungen zum zweiten Tag.
94) p. 238. Die von G. erwälinten Versuche können nur ganz roh
gewesen sein, schon weil es an einem genauen Mafs für kleine Zeiträume
fehlte. In der That ist denn auch das Ergebnis derselben stark unrichtig.
In Wirklichkeit durchfällt, ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes, ein
schwerer Körper innerhalb 5 Sekunden eine Strecke von 122,5 Metern,
welches etwa 200 Ellen sind, d. h. etwa das Doppelte von dem, was
Galilei angiebt. Die Versuche Galileis konnten freilich den Faktor des
Luftwiderstandes noch nicht eliminieren, indessen hätte er einen so ge-
ringen Wert unter keinen Umständen finden dürfen.
95) p. 238. Was den Algorithmus der Quadratwurzelausziehung be-
trifft, so war er zu Galileis Zeit nur in Aufserlichkeiten von unserem
Verfahren verschieden. Der Unterschied bestand darin, dafs gerade wie
bei der Division (vgl. zu p. 312) die jedesmal abzuziehenden Produkte
nicht hingeschrieben, sondern Multiplikation und Subtraktion gleichzeitig
erledigt werden. Sodann werden die Stellen des Radikanden nicht „her-
untergenommen", sondern man denkt sich die Ziffern des Restes mit den
nächsten beiden Stellen der Wurzel kombiniert und schreibt bei der Sub-
traktion stets unter die Ziffer, von welcher subtrahiert wird; daher ge-
hören die im Schema nebeneinander stehenden Ziffern nicht immer zu
einer und derselben dekadischen Zahl. Das Verfahren wird an einem Bei-
spiele leicht verständlich sein. In dem nachstehenden Schema sind drei
3 1 34 1 89
1 2
1 3 i 31 1 89
28 2 10
;
1^
|18
3\U\B9
1 2 10 ==
363
183
Stadien der Quadratwurzelberechnung dargestellt, wie man sie zur Zeit
Galileis zu schreiben pflegte. Ein Druckfehler der früheren Ausgäben
(24240 statt 24244) ist im Texte der Übersetzung verbessert.
96) p. 239. regula aurca ist dasselbe, was wir Eegeldetri nennen,
d. h. die Berechnung des vierten Gliedes einer Proportion, von welcher
dreie bekannt sind.
97) p. 240. Die hier erwähnte Beziehung zwischen der erreichten Ge-
schwindigkeit eines fallenden Körpers und der durchfallenen Strecke ist,
wie auch Sagredo nachher hervorhebt, schon einmal benvitzt worden, näm-
lich p. 29. Der Beweis dafür findet sich in den Discorsi (Op. XIII, 169 f.).
98) p. 241. Die nähere Begründung, die freilich verfehlt ist ebenso
wie die Behauptung selbst, folgt p. 245.
99) p. 242. Die Betrachtungen über die pendelnde Bewegung eines
schweren Körpers, der einen durch den Erdmittelpunkt führenden Schacht
durchfällt, sind allerdings insoweit i-ichtig, als wirklich ein ebenso grofser
Anmerkungen zum zweiten Tag. 535
Ausschlag diesseits wie jenseits des Mittelpunktes stattfinden würde. Wäh-
rend aber Galilei diese Fallbewegung unter der Voraussetzung betrachtet,
dafs die Gravitation konstant bleibe-, und daher auf sie den Satz anwendet,
welcher die vorhin erwähnte Beziehung zwischen durchfallener Strecke
und erreichter Geschwindigkeit ausspricht, geht in Wirklichkeit die Be-
wegung wegen Verminderung der Gravitation im Inneren der Erde nach
einem anderen Gesetze vor sich, nach demselben nämlich, welches kleine
Pendelschwingungen beherrscht; auf diese findet aber die genannte Be-
ziehung keine Anwendung.
100) p. 242. Die folgende Darstellung leidet an einer gewissen Un-
klarheit. Sollen die Zahlen die am Schlüsse eines jeden Zeitintervalls
erreichten Gesehwindigkeitsstufen darstellen? oder die durchschnittliche
Geschwindigkeit innerhalb jedes Zeitintervalls? Nur das erstere ist mög-
lich, denn im letzteren Falle müfsten bei gleichmäfsig beschleunigter Be-
wegung die Zahlen, welche die wachsenden Geschwindigkeiten darstellen,
proportional der Reihe der ungeraden Zahlen 1, 3, 5... sein. Wenn
nun aber ersteres der Fall ist, wie kommt es, dafs die Zehn zweimal in
der Reihe auftritt? Dies hätte nur dann seine Berechtigung, wenn der
höchste Geschwindigkeitsgrad nicht an den Schlufs des zehnten Zeitinter-
valls, sondern in die Mitte des elften fiele; dann wäre aber auch der
höchste Geschwindigkeitsgrad nicht, wie im Texte angenommeft wird, 10,
sondern 10^. Wenn ferner die verschiedenen Geschwindigkeiten einfach
addiert werden, -um die zurückgelegte Strecke zu ermitteln, so würde dies
zwar in Anwendung auf die Durchschnittsgeschwindigkeiten der successiven
Zeitintervalle statthaft sein, nicht aber in Anwendung auf die Endgeschwin-
digkeiten. Wenn endlich Sagredo nachher an die Spitze der Zahlenreihe
die Null setzt, so werden nunmekr die Anfangsgeschwindigkeiten in den
aufeinanderfolgenden Zeiten dargestellt, dann aber giebt die letzte Zahl
wiederum nicht den höchsten Geschwindigkeitsgrad an. Freilich werden
alle diese Inkorrektheiten bei einem Grenzübergang zum Unendlichen eli-
miniert, und das ist es, was Galilei vorschwebt. — Die kon-ekte Dar-
stellung für diskrete Zeitintervalle würde etwa so zu geben sein:
Geschwindigkeiten :
Anfang
Mitte
Ende
desl.
Zeitintervalls
0
1
2
2.
2
3
4
3.
4
5
6
4.
6
7
8
5.
8
9
10
6.
10
9
8
7.
8
7
6
8.
6
5
4
9.
4
3
2
10.
2
1
0
Aus dieser Tabelle geht hervor, dafs die Summe der mittleren Ge-
schwindigkeiten dasselbe Ergebnis liefert, wie die höchste erreichte Ge-
schwindigkeit, multipliziert mit der halben Anzahl der Zeitintervalle.
101) p. 243. Die graphische Darstellung der Geschwindigkeiten in
536 Anmerkungen zum zweiten Tag.
ihrer Abhängigkeit von der Zeit mittels rechtwinkliger Koordinaten ist hier
vollkommen korrekt durchgeführt; noch bedeutsamer aber ist der Gedanke,
die durchfallene Strecke als Flächeninhalt des Dreiecks zur Darstellung
zu bringen. Es ist das erste Beispiel einer Integration, welches über das
rein geometrische Gebiet hinaus auf das der Mechanik hinübergreift. Rein
geometrische Integrationen sind seit dem Altertume bekannt; die berühm-
ten Untersuchungen des Archimedes, die Quadratur des Kreises und ver-
wandte Fragen betreffend, sind Beispiele dafür.
102) p. 245. Vgl. zu p. 14 — Die Erwiderung Sagredos auf diese
von Simplicio citierte Bemerkung des Aristoteles ist nicht ganz zutreffend.
Man erwartet eher: „Aber die vorliegenden Untersuchungen über die natur-
wissenschaftliche Frage der Bewegung zeigen doch, dafs auch auf diesem
Gebiete mathematische Strenge möglich ist."
103) p. 245. Damit wird die p. 241 in Aussicht gestellte Fort-
setzung der Pendelfrage eingeleitet. Das von Galilei hier angeregte Problem,
die Bewegung zweier an einem Faden befestigten schweren Körper, würde
eine eingehende mathematische Behandlung verdienen, die meines Wissens
noch nicht stattgefunden hat. Vermehrt man die Anzahl der schweren
Körper und vollführt den Übergang zum Unendlichen, so gelangt man
dann zu den Schwingungen eines schweren biegsamen Fadens. — Die An-
sicht Galileis, dafs auch abgesehen von dem Luft- (und Reibungs-)wider-
stand ein Stillstand eintreten müsse, ist jedenfalls irrig. — Es ist noch
zu bemerken, dafs der hier gemachte Versuch Galileis, das Gewicht des
biegsamen Fadens mit in Rechnung zu ziehen, als ein Versuch zur Be-
handlung des „physischen" Pendels, im Gegensatz zum blofs „mathema-
tischen" aufgefafst worden ist, (Vgl. Rosenberger, Geschichte der Physik
II, 29.) Dies trifft insofern nicht zu, als auch bei dem physischen Pen-
del eine Starrheit aller seiner Teile Voraussetzung ist. Das hier erwähnte
Problem ist nun zwar durch die Ausführung von Pendelversuchen an-
geregt worden, gehört aber, streng genommen, überhaupt nicht zur Theorie
des Pendels.
104) p. 246. Die im folgenden vorkommenden Citate aus den Bis-
quisitiones mathematicae Scheiners sind nicht immer wortgetreu; nament-
lich war Galilei genötigt die Buchstaben, welche sich auf zwei in dem
Büchlein enthaltene Figuren beziehen, wegzulassen und auf andere Weise
auszudrücken, was Scheiner meinte. Der Sinn der citierten Stellen ist dabei
stets gewahrt. Aufser diesen absichtlichen Änderungen, die Galilei vor-
nahm, haben sich einige andere Abweichungen eingeschlichen, die zum
Teil als blofse Druckfehler anzusehen sind. Diese offenbar unbeabsichtigten
Abweichungen vom Original der Bisquisitiones habe ich im Texte wieder
entfernt (so p. 255 rotarenturne statt rotarent we; p. 256 ferrentur statt
feruntur-^ p. 257 circum\volvat statt circumvolvatur-^ p. 258 in illorum . . .
statt illorum u. s. w.), die Änderungen der anderen Art sind selbstverständ-
lich beibehalten worden.
105) p. 246f. Motus terrae . . . (Disq. matJi. p. 28f.) „Die jährliche
Bewegung der Erde zwingt die Kopernikaner auch die tägliche Umdrehung
derselben zu behaupten; sonst würde stets dieselbe Erdhalbkugel der Sonne
zugewendet sein, während die abgewendete stets im Schatten läge." —
Hanc . . . „dafs diese Drehung der Erde aber unmöglich ist, beweisen
Anmerkungen zum zweiten Tag. 537
wir folgendermafsen." — Ob die Annahme der jährlichen Erdbewegung in
Verbindung mit der Annahme, dafs keine Achsendrehung stattfinde, die
von Scheiner oder die von Galilei angegebenen Folgen haben würde, läuft
auf dieselbe Streitfrage hinaus, die schon p. 69 Anm. berührt worden ist.
Auffallend ist nur, dafs G. dort den entgegengesetzten Sprachgebrauch be-
folgt wie hier.
106) p. 247. Bö voll werden in Venedig unsere Weinbergsschnecken
(Hclix pomatia L.) genannt. — Seit dem Altertume wurde dem wachsen-
den Monde ein gedeihlicher Einflufs auf Schnecken, Muscheln, Krebse u. dgl.
zugeschrieben. Vielleicht spottet auch an dieser Stelle Galilei über die
Magia naturalis von Jo. Bapt. Porta, wo die nämliche abergläubische An-
sicht vorkommt. (Magia naturalis, Ausg. von 1561. fol. 19^)
107) p. 247. Bis positis . . . {Disq. math. p. 29). „Dies vorausge-
setzt, mufs, wenn sich die Erde im Kreise dreht, alles, was sich in der
Luft senkrecht über derselben befindet, in durchaus proportionaler Bewe-
gung mit ihr sich bewegen." . . . Quodsi: „Wenn wir daher diese [über
verschiedenen Punkten der Erdoberfläche befindlichen] Kugeln als gleicli
an Gewicht, Gröfse und Schwere annehmen, sie in die Mondsphäre ver-
setzen und sie dem freien Falle überlassen, wenn wir ferner die Bewegung
nach unten gleichsetzen der Bewegung im Kreise (was sich jedoch nicht
so verhält, da die Kugel A u. s. w.), so werden wenigstens sechs Tage
verfliefsen: in dieser Zeit wird die Kugel A sechsmal um die Erde und
mit der Erde in freier Luft kreisen u. s. w."
108) p. 247. Statt der Zahlen 12 und 36 stehen in der editio princeps
und in allen anderen Ausgaben die Zahlen 72 und 200. Dieser Fehler
ist von Galilei selbst bemerkt worden und da es ihm sehr unangenehm
war, gerade bei dieser Gelegenheit sich einen lapsus zu schulden kommen
zu lassen, so bat er seinen Schüler und Freund Castelli in einem Briefe
vom 17. Mai 1632 (Op. VII, If.), in die Druckfehlerverzeichnisse der für
das römische Jesuitenkolleg bestimmten Exemplare bedruckte Papierstreifen
einzukleben, worauf der Fehler verbessert war.
109) p. 247. Ironische Anspielung auf die p. 215 gemachten Bemer-
kungen Simplicios. — quandoque honus dormitat Honierus. Bisweilen schläft
auch der gute Homer. (Horat. Ars poet. 359.)
110) p. 248. Hier findet sich im Princip schon die Theorie der öst-
lichen Abweichung beim Fall, auf welche Newton 1679 von neuem die
Aufmerksamkeit der Royal Society in London lenkte. Man machte darauf-
hin auch Versuche, die indessen ergebnislos blieben; später wurden die-
selben von Guglielmini (1791), Benzenberg (1802 und 1804) und Reich
(1832) mit besserem Erfolg wiederholt.
111) p. 250. Das bewegende Princip bestand nach der herrschenden
Naturphilosophie in vielen Fällen, wie z. B. bei der Bewegung der Himmels-
sphären, in einer geistigen Einwirkung. Diese wurde entweder als ausgehend
von dem bewegten Körper selbst betrachtet {inteMgcntia informans), wie im
Falle der beseelten Wesen und nach einigen auch im Falle der Himmels-
sphären; oder man nahm eine geistige Einwirkung von aufsen durch einen
Engel an (intelligent ia assistcns), wie es die gewöhnliche Annahme bei den
Himmelssphären war. (Vgl. z. B. den Biscorso contro il moto della Terra
von Lodovico delle Colombe Op. II, 369 f.)
538 Anmerkungen zum zweiten Tag.
112) p. 250. Die hier und anderwärts (vgl. p. 287) geführte Polemik
gegen die Unterscheidung natürlicher und gewaltsamer Bewegungen ist
eine wahrhaft befreiende That; gerade diese aristotelische Distinktion war
eine der drückendsten Fesseln, die die Entwicklung einer gesunden Mecha-
nik im höchsten Mafse hemmte. Freilich hat Galilei selbst sich keines-
wegs überall, selbst in späterer Zeit nicht immer, von dem Einflufs dieser
überlieferten Vorstellungen ganz losmachen können, wie aus vielen Stellen
des Dialogs hervorgeht.
113) p. 250. Dafs sie auch geradezu identisch sein können
(che (■'■' potessero anco essere il mcdisimo in numero). Der Sinn dieses Aus-
drucks ist nicht recht klar. Es scheint gemeint zu sein: die beiden Prin-
cipien können auch bei einer einzigen Bewegung zur Geltung kommen.
114) p. 252. si ah externa. (Disq. maili. p. 31.) „Wenn [diese Be-
wegung] von einem äufseren [Principe herrührt], ist es etwa Gott, der sie
durch ein beständiges Wunder hervorruft? oder ein Engel, oder die Luft?
Diese wird allerdings von vielen als Ursache angegeben, aber fälschlich."
115) p. 252. Hier übersetzt Galilei, statt wie sonst den lateinischen
Text zu eitleren. Dieser lautet: Quid circumagit aerem, natura an violcntia?
Primum est contra veritatem et experientiam et Coi^ernicum l. I. c. 8.
116) p. 253. Die Stelle bei Kopernikus findet sich De Bev. orb. cael.
l. I. c. 8. Quid ergo diceremiis de nubibus, caeterisque quomodolibet in aere
pendentibus vel subsidentibus, ac rursum tendetitibus in subJimia? nisi quod
non solum terra cum aqueo elemento sibi coniuncto sie moveatur, sed non modica
quoque pars aeris, et quaecumque eodem modo terrae cognationem habet? Sive
propinquus aer terrea aqueave materia permixttis eandem sequatur naturam
quam terra, sive quod acquisititius sit motus aeris, quem a terra per contigui-
tatem perpetua revolutione ae absque rcsist-entia participat. Vicissim non
dispari admiratione supremam aeris regionem motum sequi caelestem aiunt,
quod repentina illa sydera, cometae inquam et jpogoniae vocata a Graecis,
indicant, quarum generationi ipsum deputant locum, quae instar aliorum quoque
syderum oriuntur et oceidunt. Nos ob magnam a terra distantiam eam aeris
partem ah illo terrestri motu destitutam dicere xwssumus. Proinde tranquillus
apparcbit aer^ qui terrae proximus, et in ipso suspensa, nisi vcnto, vel alio
quovis impetu idtro citroque, ut contingif, agitentur.
117) p. 253. oboriuntnr difficiJUmae .... [Bisq. math. p. 32.) „[In
diesem Falle] erheben sich äufserst schwierige, ja völlig unlösbai'e Fragen
zweiter Art: Jenes innere Princip ist entweder ein Accidens oder eine
Substanz. Im ersteren Falle, was für eines? Denn eine im Kreise herum
führende Qualität scheint bis jetzt nicht bekannt zu sein."
118) p. 253. Quae etiamsi . . . {Disq. math. p. 32.) „Wenn es aber
auch eine solche gäbe, wie könnte sie sich in so entgegengesetzten Dingen
finden? Im Feuer, wie im Wasser, in der Luft, wie in der Erde, in
lebenden Wesen, wie in leblosen?
119) p. 254. Si sceundum . . . (Ib. p. 32.) „Im zweiten Falle [wenn
man nämlich jenes Princip für eine Substanz erklären wollte] ist es ent-
weder eine Materie oder eine Form oder eine Verbindung. Dem stehen
aber wiederum die vielen verschiedenen Wesenseigentümlichkeiten der Dinge
entgegen, wie z. B. von Vögeln, Schnecken, Steinen, Pfeilen, Schneeflocken,
Rauchwolken, Schlössen, Fischen u. s. w., die sich trotz ihrer specifischen
Anmerkungen zum zweiten Tag. 539
und gen arischen Unterschiede sämtlich von Natur aus kreisförmig bewegen
würden, während sie doch so verschiedene Naturen besitzen." — Der Zusatz
■yicmpc sl dicas iale pvincipium esse siibstantiam rührt von Galilei her.
120) p. 255. Si terra sfaret . . . (Bisq. maih. p. 32.) „Wenn die
Erde durch den Willen Gottes stehen bliebe, würden dann die übrigen
Dinge ihre Rotation fortsetzen oder nicht? In letzterem Falle ist es
falsch, dafs sie sich von Natur drehen, in ersterem tauchen die früheren
Fragen wieder auf. Es wäre wahrlich wunderbar, dafs die Möve nicht
zu dem Fische, die Lerche nicht zu ihrem Neste, der Kabe nicht zu der
Schnecke und dem Felsen gelangen könnte, wenn er auch wollte." — Im
Original finden sich komischerweise nach den einzelnen hier aufgezählten
Tier- und Sachnamen Buchstaben, die auf die vorhin erwähnte Figur Be-
zug nehmen: Die Möve M zu dem Fische N u. s. w.
121) p. 256. Insupcr qui fit . . . (Bisq. math. p. 32.) „Überdies wie
kommt es, dafs diese so verschiedenartigen Dinge sich nur von West nach
Ost i-arallel dem Äquator bewegen? Dafs sie sich immerfort bewegen,
niemals ruhen?"
122) p. 256. Quare, quo sunt . . . ,, Warum um so schneller, in je
yrofserer Höhe sie sich befinden, um so langsamer, in je geringerer?"
123) p. 256. Quare, quae . . . {Bisq. math. p. 33.) „Warum sollten
die dem Äquator näheren in einem gröfseren Kreise herumgeführt werden,
die entfernteren in einem kleineren?"
124) p. 256. Quare pila eadem {Bisq. math. p. 33.) „Warum sollte
die nämliche Kugel unter dem Äquator sich als Ganzes um den Mittel-
punkt der Erde auf ungeheuerer Bahn dahinwälzen, am Pole hingegen
sich um ihren eigenen Mittelpunkt ohne Kreisbahn in äufserster Langsam-
keit drehen?"
125) p. 256. Quare eadem res . . {Bisq. math. p. 33.) „Warum soll
ein und dieselbe Sache, z. B. eine bleierne Kugel, wenn sie einmal um
die Erde auf einem gröfsten Kreise herumgegangen ist, diese nicht überall
auf einem gröfsten Kreise umwandern, sondern vom Äquator weggebracht,
sich in kleineren Kreisen bewegen?"
126) p. 256. Gemeint ist die Verschiebung der Fixsterne infolge der
Präcession. Diese ist übrigens nicht etwa von Ptolemäus, sondern von
Hipparch entdeckt.
127) p. 257. Si latio circularis. {Bisq. math. p. 33.) „Wenn die
Kreisbewegung den schweren und leichten Körpern von Natur zukommt,
wie steht es dann mit der geradlinigen Bewegung? Denn wenn diese
natürlich ist, wieso kann dann gleichzeitig die Kieisbewegu,ng eine natür-
liche sein, während sie doch specifisch von der geradlinigen verschieden
ist? Wenn sie aber gewaltsam ist, wie kommt es, dafs eine in die Höhe
fliegende Rakete ihr funkenstiebendes Ende aufwärts von der p]rde weg-
hebt und es nicht im Kreise dreht?"
128) p. 257. Quare centrum . . . {Bisq. math. p. 33.) „Warum be-
schreibt der Mittelpunkt der fallenden Kugel unter dem Äquator eine
Spirale in dessen Ebene, unter anderen Breitenkreisen eine Spirale auf
einer Kegelfläche, während sie am Pole der Achse entlang fällt, eine cylin-
drische Spirale beschreibend?"
129) p. 258. Si tota terra . . . {Bisq. math. p. 33.) „Wenn die ganze
540 Anmerkungen zum zweiten Tag.
p]rde samt dem Wasser vernichtet würde, so würde aus den Wolken der
Hagel oder Regen nicht mehr niederfallen, sondern blofs dem natürlichen
Trieb folgend, sich kreisförmig drehen. Auch kein Feuer, nichts Feuriges
würde mehr in die Höhe steigen, da sich nach der nicht unwahrscheinlichen
Ansicht von jenen kein Feuer oben befindet.''
130) p. 258. Quibiis tarnen . . . {Disq. math. p. 33.) „Wogegen jedoch
Erfahrung und Vernunft sprechen.''
131) p. 259. Lajjis in centro . . . [Disq. math. p. 34.) „Ein in den
Mittelpunkt versetzter Stein wird entweder nach irgend einem Punkte der
Erde in die Höhe steigen oder nicht. Im letzteren Falle ist es also falsch,
dafs die Teile blofs wegen ihrer Trennung vom Ganzen sich zu diesem
hinbewegen. Der ersten Annahme widersetzt sich alle Vernunft und Er-
fahrung, die schweren KöiiDer würden dann im Mittelpunkt ihrer Schwere
keine Ruhe finden. Desgleichen: wenn ein (an der Wand der Höhlung)
aufgehängter Stein, welcher später losgelöst wird, nach dem Mittelpunkte
hinfällt, so trennt er sich vom Ganzen in Widerspruch mit Kopernikus;
wenn er hängen bleibt, so schlägt das aller Erfahrung ins Gesicht, da wir
ganze Gewölbe zusammenbrechen sehen." — Der hier von Scheiner er-
hobene Einwand gegen die kopernikanische Auffassung der Schwere ist
nicht unbegründet. Die Entgegnung, welche dem Salviati in den Mund ge-
legt wird, und in welcher sich eine Ahnung der allgemeinen Gravitation
kundgiebt, ist zwar sachlich richtig, kann aber nicht als eine genügende
Verteidigung der kopernikanischen Ansicht gelten, die eben eine solche
nicht zuläfst.
132) p. 260. Hier ist der Ausdruck Moment (momcnto) im strengen
Sinne zu nehmen, er bedeutat also das Produkt aus der Masse in die
Entfernung von dem fraglichen Punkte. An anderen Stellen ist der Ter-
minus in vagerer Bedeutung aufzufassen.
133) p. 260. Der Name des Kopernikaners wird auch in den Disq.
mafJi. nicht genannt; wer daher der „praccqnms quiclam Copernici defenso/'
{Disq. mafJi. p. 34) gewesen ist, wird um so schwerer zu ermitteln sein,
als die erwähnte Ansicht vielleicht nur mündlich ausgesprochen wurde. —
Indessen ist die Rüge, die Scheiner diesem Kopemikaner erteilt, völlig be-
rechtigt, wiewohl sie natürlich nichts gegen Kopernikus und das koperni-
kanische System beweist; höchst merkwürdig ist es, dafs Galilei hier ent-
weder den Sinn der Worte bei Scheiner nicht richtig verstanden hat oder
sich in der Sache selbst ein Versehen zu schulden kommen läfst. — Galilei
scheint die Sache so zu verstehen: der ungenannte Autor hat einerseits
die Erdbewegung mit der eines rollenden Rades verglichen, andererseits
die von Kopernikus angegebenen Dimensionen der Erde und der Ekliptik
angenommen; will man nun jenen Vergleich unter allen Umständen bei-
behalten, so können diese Daten unmöglich richtig sein, denn nach ihnen
wüi-de die Ekliptik zu grofs oder die Erde zu klein sein und nicht um-
gekehrt, wie Scheiner (nach Galileis irriger Auffassung) sagt. — Der
Sinn bei Scheiner ist aber offenbar ein anderer; er betrachtet als die in
erster Linie beizubehaltende Annahme die über die Dimensionen der Erde
und der Ekliptik und er findet mit Recht die erstere Annahme von der
radähnlichen Bewegung der Erde damit unvereinbar, weil diese dann
die Ekliptik zu klein, die Erde aber zu grofs mache. — Später hat
Anmerkungen zum zweiten Tag. 541
sich Galilei selbst von seinem hier begangenen Irrtum überzeugt und in
das Exemplar des Dialogs, das im Seminar von Padua noch aufbewahrt
wird, eigenhändig die Bemerkung an den Rand geschrieben, welche im
Texte als Fufsnote übersetzt worden ist, und mit welcher er seinen Fehler
eingesteht.
134) p, 261. Die von Galilei angedeutete Möglichkeit liegt dann vor,
wenn der eine Kreis auf dem anderen nicht blofs rollt, sondern daneben
auch gleitet. Mit den Eigenschaften der Cykloiden hatte sich Galilei zeit-
weilig eifrig beschäftigt (vgl. Op. Suppl. 364 ff.), die hier berührte specielle
Frage hat er zuerst in einem verloren gegangenen Briefe an Fra Fulgenzio
Micanzio aus dem Jahre 1635 behandelt, wie aus der Antwort des
letzteren hervorgeht. Ausführlich behandelt wird die Sache, wenn auch
nur der Fall des Rollens und Gleitens eines Kreises auf einer Geraden,
in den Discorsi (Op. XllI, 25 f.); dort stellt Galilei allerdings fälschlich in
Abrede, dafs die von ihm betrachtete Bewegung gleichzeitig ein Gleiten
involviere.
135) p. 261 des Kopernikaners. Im Original steht del Copernico^
welches nur ein Druckfehler für del Copernicano sein kann, veranlafst
wahrscheinlich durch das folgende Copernico.
136) p. 261. Es ist Chiaramonti gemeint; über ihn vgl. zu p. 55
und 232.
137) p. 262. Et primo (Clar. De fr ib. nov. sfell. p. 472.) „Erst-
lich wird, wenn man die Meinung des Kopernikus gelten läfst, das Krite-
rium der Naturphilosophie, wo nicht gänzlich aufgehoben, so doch stark
erschüttert."
138) p. 265. Die an und für sich sehr schöne Betrachtung über die
Schwankungen des Fernrohrs auf der Mastspitze steht nur in sehr loser
Verbindung mit dem behandelten Gegenstande. Galilei hat sie aber ein-
geflochten, um für seine von ihm ungemein hoch geschätzte Methode zur
Bestimmung der geographischen Länge mittels der Jupitersmonde eine
Lanze zu brechen. Er hatte diese Methode an Spanien verkaufen wollen,
aber nach langen Verhandlungen zerschlug sich das Projekt, ebenso wie
ähnliche Unterhandlungen mit den Niederlanden resultatlos verliefen. Eine
der Einwendungen, die man gegen seine Methode machte, war eben der
Hinweis auf das Schwanken des Fernrohrs. Übrigens hatte Galilei, um
den Einflufs der Schwankungen des Schiffes gänzlich zu eliminieren, einen
besonderen Apparat, eelatone oder testier a, erfunden. Es war dies eine Art
Pickelhaube, die fest auf dem Kopfe safs und mit einem Fernrohr für ein
Auge versehen war. (Vgl. Op. VI, 267.)
139) p. 266. Burano, bekannter, in der Nähe Venedigs auf einer
Laguneninsel gelegener, von Schiflfsbauern, Seilern, Fischern bewohnter Ort.
Die Angabe, dafs dieser Turm von Sagredos Palast sechs Miglien entfernt
ist, beweist, dafs eine Miglie ungefähr l^/^ Kilometer beträgt.
140) p. 268. cum Terra (Clar. De trib. nov. sfell. p. 472 f.)
„Mit der Erde bewegt sich die umgebende Atmosphäre; ihre Bewegung
jedoch, wiewohl schneller und ungestümer als der schnellste Wind, würde
von uns nicht wahrgenommen, sondern für die vollkoinme^iste Windstille
gehalten werden, wenn nicht etwa noch eine andere Bewegung hinzutritt.
Was heilst aber Sinnestäuschung, wenn das keine Sinnestäuschung istV"
542 Amnerkiingen zum zweiten Tag.
141) p. 269. Praefcrca . . . (Ib. p. 473). „Überdies drehen aucli wir
uns infolge des Kreisens der Erde u. s. w."
142) p. 270. Ex hac (Ib. p. 473). „Auf Grund dieser Ansicht
müssen wir unseren Sinnen als ganz und gar trügerischen und für das
Sinnliche stumpfen Erkenntnismitteln mifstrauen, selbst wenn sich dieses
Sinnliche in nächster Nähe befindet. Wie können wir also Wahrheit er-
warten, die ihren Ursprung einer so trügerischen Fähigkeit verdankt?"
143) p. 274. Chiaramonti dachte sich wohl unter einer solchen Ge-
lenkverbindung etwas Ähnliches, wie die Ineinanderschachtelung der Him-
melssphären bei Aristoteles oder wie die Nachahmung derselben an dem
damals üblichen Apparate, welchen man sphaera materialis nannte.
144) p. 275. Finr/amus modo .... (Ib. p. 476). Die Übersetzung ist
im Texte selbst gegeben.
145) p. 277. Diese Elemente der sj)härischen Astronomie (i primi
elementi ädJa sfrraj bildeten zu Galileis Zeit eines der wichtigsten, auf
allen Universitäten gelesenen Kollegien für angehende Mathematiker. Der
Vortrag schlofs sich gewöhnlich an das unzähligemal kommentierte Buch
des Sacrobosco Sphacra mimdi an. Auch Galilei hatte in Padua „Sphaera"
zu lesen (vgl. Eavaro, Galileo Galilei e lo Studio di Padova. Firenze 1883.
I, 142) und verfafste ein zu seinen Lebzeiten freilich noch nicht ge-
drucktes, aber nach seinem Tode von Urbano Daviso veröffentlichtes
Schriftchen Traitato dcllei Sfera. welches offenbar für den Schülerkreis Galileis
bestimmt war und in welchem der Verfasser seinen Stoff vom Standpunkte
des ptolemäischen Systems vorträgt (vgl. auch zu p. 448).
146) p. 278. Galilei hatte im Juli 1610 die auffallende Gestalt des
Saturn entdeckt und war der Meinung, diese rühre daher, dafs der
Hauptplanet von zwei Nachbarsternen begleitet sei. Bekanntlich ver-
öffentlichte er diese Entdeckung in Form eines Anagramms, dessen Ent-
zifferung Kepler vergeblich versuchte; die Lösung war: Altissimum plane-
tam iergnninum ohservavi. Die Ringgestalt des Saturn hat Galilei trotz
der Versicherungen Libris und Alberis noch nicht erkannt, sie wurde erst
von Huyghens aufgefunden (^IJe Sahirni luna ohservafio nova' 1656;
Sysiema Saturniuni. Hagae 1669). Die hier erwähnte Rotation des Sa-
turn beruht demnach auf unrichtigen Beobachtungen, Galilei war noch
nicht im Besitz der Mittel, diese zu konstatieren; die Rotationsdauer be-
trägt bei diesem Planeten 10 bis 11 Stunden, gewils ist sie viel geringer,
als Galilei vermutet haben mochte. — Übrigens legt G. wohl mit Absicht
diese Bemerkung dem Sagredo in den Mund, um nicht die volle Verant-
wortung für deren Richtigkeit zu übernehmen. — Über die Bewegung
der Sonnenflecken und der Sonne selbst vgl. p. 375 ff. — Mediceische
Gestirne = Jui^itersmonde. Vgl. zu p. 124.
147) p. 278. Über Galileis Beschäftigung mit dem Magnetismus vgl.
zu p. 432.
148) p. 279. Die folgende Betrachtung Sagredos ist etwas sophistisch,
ein besonderes die Ruhe bedingendes Princip ist vom Standpunkt der
Peripatetiker nicht erforderlich. Der ganzen Auseinandersetzung mifst G.
offenbar einen sehr hohen wissenschaftlichen Wert nicht bei, wie unter
anderem auch wiederum daraus hervorgeht, dafs er sie dem Sagredo in
den Mund legt.
AnmerkiniCTen zum zweiten Ta». 543
149) p. 279. Diese Bemerkung ist für den erkenntnistheoretischen
Dogmatismus, dem Galilei huldigt, charakteristisch; ein Kantianer würde
dem, was Sagredo hier äufsert, und was der natürliche Menschenverstand
ohne weiteres billigt, nicht beistimmen dürfen. In ähnlicher Weise wie
Chiaramonti geht — mufafis mutandis — z. B. auch Helmholtz in seiner
Schrift: „Die Erhaltung der Kraft" davon aus, dafs man deswegen zwischen
materiellen Punkten wirkende Centralkräfte supponieren müsse, weil sonst
eine Naturerkenntnis unmöglich sei, eine Ansicht, die er freilich später
modifizierte.
150) p. 284. Vgl. Cop. de. rev. lib. I. cap. 10. Quis enim in Iwc
pulcherrlmo feniplo lampadcm haue in alio vel meliori loco poncret, quam
unde tohini simtU 2wssif ilhiminare?
151) p. 285. Difftcilius est .... „Es ist schwieriger, sich ein im
Verhältnis zu seinem Subjekte übermäfsiges Accidens zu denken, als ein
Subjekt ohne Accidens wachsen zu lassen. Kopernikus also hat die
gröfsere Wahrscheinlichkeit für sich, wenn er die unbewegte Sphäre der
Fixsterne vergröfsert, als Ptolemäus, der die Bewegung der Fixsterne zu
ungeheuerer Geschwindigkeit steigei*t." Das Citat scheint der Schrift
Keplers De Stella nova in pede Serpentarü (Pragae IGOG) entnommen zu.
sein, wo dem Sinne nach solche Äufserungen sich finden, wenn auch mit
wesentlich anderen Worten, so z. B. Vol. II, p. 674 der Ausgabe von
Frisch. Interim perpende philosoplie, multo magis lue [apud PtolemaeumJ
desiderari proportionem aeeidentis ad suum subjectum, quam jure quis apud
Copernieum desiderare polest proportionem partis mundl ad xmrtem. Kee
enim aeeidentia sunt sine suhjeeto idoneo. Credihilius, magnum esse sub-
jectum sine motu, quam magnum motum in parvo suhjeeto. Zwischen Kepler
und Chiaramonti war eine heifse litterarische Fehde entbrannt, seitdem
letzterer gegen den von Kepler so hochverehrten Tycho seinen Antitycho
geschrieben. Kepler nahm sich des verstorbenen Lehrers und Freundes in
seinem Tychonis Brahei Bani Hyperaspistcs adversus Scipionis Claramontii
Caesenatis Bali Boctoris et Equitis Anti-Tyclwnem. Francofurti 162b tapfer
an. Darauf erwiderte Chiaramonti in seiner Schrift Apologia Sc. Clara-
montii pro Antifychone suo adversus Hypcraspistem lo. Kepler i. Venet.1620;
aber auch in seinem Buche Be tribus stellis novis setzte er, wie wir sehen,
seine erbitterte Polemik mit den schlechtesten Wafi^en fort.
152) p. 290. Aristarch aus Samos, einer der bedeutendsten Astro-
nomen aller Zeiten, lebte um 270 v. Chr. Er lehrte (S. Plut. Bc facie
in orhe lunae c. VI, 3) in der That bereits die doppelte Erdbewegung,
ähnlich wie Kopernikus, und entfesselte dadurch einen ähnlichen Sturm
der orthodoxen Fortschrittsfeinde gegen sich wie Galilei; von allen so-
genannten Vorläufern des Kopernikus ist er der einzige, dessen Ansprüche
ernstlich in Betracht kommen, während die Lehre der Pythagoreer uach
Inhalt und Begründung der Priorität des Kopernikus keinen Eintrag thun.
544 Anmerkungen zum dritten Tag.
Dritter Tag.
1) p. 291. Die ersten Wecliselreden zwischen Sagredo und Salviati
finden in Abwesenheit Simplicios statt. Die scenische Einkleidung ist hier
besonders hübsch und verrät das dramatische Talent Galileis, so nament-
lich die Wendung, mit welcher der ankeuchende Simplicio nachher begrüfst
wird. Galilei versuchte sich thatsächlich auf dem Gebiete der Komödie;
wir besitzen von ihm noch einen ausführlichen Lustspielentwurf (Op. XV,
305 — 320).
2) p. 291. Darin steckt eine arge Malice gegen Scheiner und Chiara-
monti, denn auch deren Namen werden wenigstens im Texte des Dialogs
nirgends genannt (wohl aber in den Postillen). Die folgende Charakteristik
mufste diese aufs höchste reizen, wiewohl sie sich vielleicht nicht in erster
Linie auf sie bezieht.
3) p. 293. In puncto regressus mecliat quies: An der Umkehrstelle
mufs eine Ruhepause eintreten; vgl. Arist. Phys. Lib. VIII, 7. 261, b, 2,
wo es heifst: 0av£Q6v ovv ort rjQefii^ast iv ra ivavxia xo (lezaßdkXov. —
Die hier angeregte Frage wird wider Erwarten nicht weiter verfolgt; sie
gab Galilei schon in der Zeit seiner pisaner Professur zu denken (vgl. Op.
XI, 35 f.) und beschäftigte ihn noch in späten Jahren (vgl. den Brief an
Fulgenzio Micanzio vom 30. Jan. 1637, Op. VII, 148).
4) p. 294. Galilei stand früher mit Chiaramonti auf freundschaftlichem
Fufse, wie z. B. aus der Stelle im Saggiatore hervorgeht (Op. IV, 171),
wo auf Ch. als auf einen tüchtigen Gegner Tychos aufmerksam gemacht
wird. Vgl. Einl. p. LVIII.
5) p. 294. Damit ist in erster Linie Kepler gemeint, welcher in
seiner Schrift De Stella Nova Serpenfarü (Ed. Frisch. Vol. II, p. 670 f.)
gegen die Arroganz und Ignoranz des Antonio Lorenzini da Montepulciano,
des Verfassers eines Discorso intorno alla nuova Stella (Padova 1605) und
einer Schrift De Numero, Ordine et Motu Coelorum, adversus recentiores (Pa-
risiis 1606), zu Felde zieht und die italienischen Mathematiker auffordert,
solchen litterarischen Unfug nicht ungestraft zu lassen: Quid ad Iiaec vos
Italici mathematici: Clavi, übalde, Magine, G-alilaee, Gethalde, Ruhee, ceteri
plurimi? quid Säbaude Crestine? quid Galli ceteri, in quorum patria excusus
est alius Bali huius lihellus, idem agens Latino idiomate? Cur ad hoc tan-
tum dedecus tanta cum patientia connivetis? An verum ego suspicor, nugas
hasce indignas putatis quas publice refellatis? Es war übrigens gegen die
lorenzinische Schrift allerdings eine Erwiderung erschienen, nämlich ein im
paduanischen Bauerndialekt geschriebener Dialog; es ist sehr wahrschein-
lich, dafs dieser von Galilei selbst herrührt oder doch auf dessen Inspira-
tion zurückzuführen ist. Vgl. Galileo Galilei cd il „Dialogo de Cecco di
Ronchitti da Bruzene in perpuosito de la Stella nuova." Studi e ricerche di
Antonio Favaro. Venezia 1881, in den Atti del Reale Istituto Veneto di
Scienze, Lettcrc cd Arti tom. VII, serie V p. 194—276. Der Hinweis Ga-
lileis auf die lächerliche Rolle, welche die Italiener dem Auslande gegen-
über spielen würden, wenn man dergleichen Schriften wie die Lorenzinis
unwiderlegt liefse, ist wohl die einzige im Dialog enthaltene direkte Be-
ziehung auf den in der Vorrede ausgesprochenen Zweck des Buchs, den
Anmerkungen zum dritten Tag. 545
Ausländern zu zeigen, dafs man in Italien auf der Höhe der Wissenschaft
stehe.
6) p. 295. Damit wird der Übergang gemacht zu der sehr ausführ-
lichen Kritik von Ohiaramontis öfters erwähntem Werk, dessen voller Titel
lautet: I)e irihus novis stellis quae Annis 1572, 1600, 1604 comparuere libri
tres Scipionis Claramontü Caesenatis. In quihus demonstratur rationihus, ex
2)araUaxi praesertim ductis Stellas eas fuisse suhlunares, et non coelestes ad-
ver sus Tychonem , Gemmam, Maestlinum , Bigesseum, Hageciwm, Santucium,
Kcplerum, aliosque plures quorum rationes in contrar'mm adductae solvuntur.
Caesenae: apud losephum Nerium, 1628. — Es ist schon darauf hingewiesen
worden, dafs diese ganze Kritik gar nicht hierher gehört, sondern weit besser
in den Kahmen des ersten Tages gepafst hätte, dafs aber Galilei, als er
an diesem arbeitete, noch keine Kenntnis von dem Buche Ch.s hatte.
7) p. 295. Diese Astronomen werden später aufgeführt (p. 298 f.);
es sind ihrer in Wahrheit dreizehn, nur werden Peucer und Schuler für
einen gerechnet, da bei deren Rechnungen die gleichen Daten zu Grunde
liegen. Unrichtig ist übrigens die Angabe, dafs die sämtlichen in Be-
tracht kommenden Astronomen den neuen Stern für „am Firmamente"
stehend hielten, bei Busch und Ursinus war dies z. B. nicht der Fall.
8) p. 298. Über Keplers Verhältnis zu Chiaramonti vgl. zu p. 285
und Einl. p. LVII.
9) p. 298. Die Arbeiten der im folgenden erwähnten Astronomen hat
Gh. nicht selbst eingesehen, er hat vielmehr die ausführliche Kritik in
Tychos Hauptwerk benutzt, welches den Titel führt: Ästrononüae instau-
ratae Progymnasmata, quorum haec prima pars de restitutione moimim Solls
et Lunae stellarumque inerrantium tractat et praeterea de admiranda nova
Stella anno 1572 cxorta lueidenter agit. TJraniburgi et Pragae 1602. Tycho
hatte bereits im Jahre 1573 eine kleine Schrift über den neuen Stern ver-
öffentlicht mit dem Titel: De nova et nullius aevi memoria, a mundi ex-
ordio, prius eonspecta stclla, quae in fme anni 1572 omnium primo apparuit,
contemplatio maihematica. Dieselbe ist von neuem im ersten Bande der
Progymnasmata p. 582 — 592 abgedruckt, enthält aber etwas abweichende
Daten, weil Tycho anfänglich noch ungenau bestimmte Fixsternörter be-
nutzt hatte. — Paul Hainzel, Konsul von Augsburg, mit Tycho eng
befreundet, hatte nach dessen Angaben einen riesigen Quadranten bei Geg-
gingen in der Nähe von Augsburg bauen lassen , der kaum von vierzig
kräftigen Männern auf die zu seiner Aufstellung bestimmte Anhöhe geschafft
werden konnte (Beschreibung und Abbildung Progyvm. p. 356 ff".). Mittels
dieses Apparates stellte er die Beobachtungen des neuen Sternes an. —
Caspar Peucer, Vater und Sohn, aus Wittenberg, interessierten sich beide
für den neuen Stern; ersterer korrespondierte über ihn mit Hainzel und
dem Landgrafen Wilhelm IV von Hessen; der Sohn disputierte über diesen
Gegenstand mit dem Wittenberger Professor Wolfgaug Schuler, dem
Kollegen und Freunde seines Vaters. — Thaddäus Hagek, Freund Ty-
(^hos, kaiserlicher Leibarzt zu Prag; schrieb: Dialcxis de novae et pritts in-
cognUae Stellae inusitatae magnitudinis et spien didissimi luminis apparitione
deque eiusdem vero loco constituendo. Francof. 1574. — Landgraf Wil-
helm IV von Hessen, der bekannte eifrige Förderer der Astronomie,
hatte seine Beobachtungen Tycho mitgeteilt, welcher sie in den Pro-
Galii.ei, Weltsysteme. 35
546 Anmerkungen zum dritten Tag.
gymnasmata p. 490 ff. bespricht. — Elias Camerarius, Professor in Frank-
furt a/0. (nicht zu -verwechseln mit Joachim Camerarius, dem Herausgeber
des Almagest); seine Schrift hat Tycho nicht selbst gesehen, seine Beob-
achtungen waren ihm aber durch Hagek bekannt geworden. — Adam Ur-
sinus aus Nürnberg behandelt den neuen Stern in seiner Proguosticatio
anni 1574. — Hieronymus Munoz, Professor der Mathematik und der
hebräischen Sprache in Valencia, Seine Beobachtungen sind Tycho nur
durch die Citate von Cornelius Gemma bekannt geworden. — Georg
Busch, Maler aus Erfurt, aus Liebhaberei auch Astronom, schrieb in
deutscher Sprache über den neuen Stern. — Erasmus Reinhold, Sohn
des berühmten Verfassers der Tahulae PrutJienicae, Arzt in Saalfeld, erwähnt
den neuen Stern in seinem Prognosticon aströlogicum anno 1574 desünatum.
Tycho hebt hervor, dafs Reinhold ohne Namensnennung die Beobachtungen
des Landgrafen sich angeeignet, auch die Polhöhe von Kassel benutzt habe,
obgleich er damals in Saalfeld oder Erfurt gewesen sein müsse (Prociymii.
p. 700). — ■ Franciscus Maurolycus, Abt in Messina (1495 — 1575),
einer der ersten, der den neuen Stern sah (8. Nov. 1572), wird in den
Progymnasmata nicht erwähnt. Ob er, wie Libri vermutet {Uist. des sciences
math. en Italie III, 114), eine eigene Schrift über den Stern in der Cas-
siopeja hat drucken lassen, steht dahin. Clavius erzählt, dafs ihm aus Si-
zilien eine Abhandlung (disputatio) des Maurolycus über den neuen Stern
geschickt worden sei, aus welcher er eine Hauptstelle mit den auch bei
Galilei angegebenen Daten citiert (Christopliori Clavii Banibergensis ex so-
cietate lesii in Sphaeram loannis de Sacro Bosco Commentarius. 3. Auflage.
Romae 1585, p. 194). — C'hiaramonti entnahm die Beobachtungen des
Maurolycus gleichfalls dem Citate bei Clavius (Ciaram. De tribus steUis
novis p. 42). — Cornelius Gemma aus Löwen, Sohn des bekannteren
Astronomen Reiner Gemma oder Gemma Frisius. Er schrieb zuerst eine
kleinere Abhandlung über den neuen Stern, die noch während seiner
Dauer erschien, handelte über denselben aber auch in dem grofsen Werke
De divinis mundi Char acter ismis. Antwei-p. 1575. — Zu bemerken ist, dafs
bei Tycho noch eine ganze Reihe anderer Astronomen über diesen Gegen-
stand zu Worte kommt. Er teilt sie in drei Klassen, in solche, die wie
er selbst gar keine Parallaxe konstatieren konnten und das Phänomen da-
her in Fixsternweite versetzten, in solche, die eine geringe Parallaxe fanden,
die aber nicht ausreichte, um den Stern sublunarisch zu machen, und in
solche, die ganz unhaltbare Ansichten über ihn aufstellten, namentlich
auch meinten, er sei sublunarisch.
Bei den im folgenden vorkommenden Zahlenangaben und Rechnungen
habe ich offenbare Druck- oder Schreibfehler der editio princeps beseitigt,
eigentliche Rechenfehler aber im Texte beibehalten und die nötigen Be-
merkungen dazu in die Noten verwiesen. Alberi, der sich rühmt, die Rech-
nungen in seiner Ausgabe i'ichtig gestellt zu haben — was nicht gerade
sehr schwierig ist — bat in Wahrheit die meisten Fehler stehen lassen.
Die Verbesserung der Rechnungen empfiehlt sich nicht, weil nicht blofs
Ziffern, sondern bisweilen auch der Text abgeändert werden müfste. Die
folgende Übersicht giebt die Resultate des 12. bis 25. Kapitels bei Chia-
ramonti wieder (Ciaram. De tribus novis stellis p. 60 — 110).
10) p. 298. In der editio princeps des Dialogs und in allen übrigen
Anmerkungeu zum dritten Tag. 547
Ausgaben ist hier Schulers Name nicht genannt, sondern nur der Hainzels;
dafs er nur irrtümlich fehlt, geht aus p. 317 hervor. — Zwei andere Fehler
der ed pr. (das Resultat der 7. Rechnung wird dort zu 31 Halbm. an-
gegeben statt zu 32, die Parallaxe bei der zehnten Rechnung zu 4' 30"
statt zu A^ 30') sind von Alberi richtig gestellt, hingegen ist die richtige
Angabe von -^ Halbm. bei der 8. Rechnung fälschlich in 1-|- Halbm. ver-
wandelt worden; Alberi hat offenbar nicht beachtet, dals bei letzterer die
Entfernung von der Erdoberfläche, nicht die vom Erdmittelpunkte an-
gegeben wird.
11) p. 309. Die hier folgende Tabelle der Beobachtungen ist in etwas
übersichtlicherer Form gegeben worden als in den sonstigen Ausgaben;
ferner ist die von Tycho gefundene Sternhöhe von 27^* 45', welche in der
ed. princ. als gröfste bezeichnet wird, als kleinste richtig gestellt worden.
Hinzugefügt ist die „kleinste Sternhöhe" des Landgrafen, welche in der
ed. pr. fehlt; sie wird p. 311 benutzt, kann also nur irrtümlich weggelassen
worden sein; der Irrtum ist schon bei Alberi verbessert. Im übrigen ist
zu bemerken, dafs die Daten nicht überall mit den von Tycho in den Pro-
fiymnasmaia angegebenen genau übereinstimmen , sowie dafs einige über-
haupt von den betreffenden Astronomen nicht unmittelbar mitgeteilt sind,
sondern erst aus anderen Angaben derselben sich ergeben, und zwar nicht
immer in genauer Übereinstimmung mit den vorliegenden. — So sind z. B.
in der früheren Schrift Tychos (vgl. zu p. 298) die Sternhöhen nicht an-
gegeben, wohl aber ist die Deklination aus Fixsterndistanzen berechnet; in
Verbindung mit der Polhöhe von Herritzwad, dem Beobachtungsorte Tychos,
ergeben sich daraus als gröfste und kleinste Sternhöhen 83**59' und 27*^57',
ein Ergebnis, das annähernd mit den Daten der Tabelle übei-einstimmt.
Ferner ist von den sechs Beobachtungen des Camerarius die erste, auf die
untere Kulmination liezügliche von G. falsch augegeben, sie müfste nach
Progymn. p. 692 ff. und Ciaram. De trib. nov. stell, p. 30 in 24*^8' umgeändert
werden; die Änderung im Texte des Dialogs war aber nicht statthaft, weil
nachher p. 313 mit dem falschen Werte gerechnet wird, der richtige würde zu
einem ganz unbrauchbaren Ergelmisse, nämlich zu einer negativen Parallaxe
führen. Dies hebt auch Ciaram. in seiner Difesa cd suo Antiticone . . .
Firemc 1633, p. 171 hervor. Sodann sind die Polhöhen öfters sehr zwei-
felhaft, meist nach den Angaben in der Cosmographia des Petrus Apianus
angenommen. — Wirkliches Vertrauen kann man nur den Beobachtungen
Tychos, wie er sie in den Proggmnasmata niedergelegt hat, schenken.
12) p. 312. Es ist damit die Sinustafel gemeint, welche Kopernikus
am Schlufs des zwölften Kapitels im ersten Buche seiner Bcvohdioncs giebt.
Diese enthält die Sinus der Winkel des ersten Quadranten von zehn zu
zehn Minuten fortschreitend auf fünf Dezimalstellen. Sie wurde bereits
p. 191 benutzt. — Irrtümlicherweise wird nachher der Winkel liDC zu
154*^ 45' angegeben, es mufs heifsen 154*^ 35'. Alberi hat diesen Fehler
allei-dings korrigiert, aber den Sinus des falschen Winkels stehen lassen;
der Sinus des richtigen Winkels würde 42920, nicht 42657 heifsen müssen.
Im Resultat wird dadurch eine, wenn auch nicht sehr erhebliche Abwei-
chung verursacht. — Regula aurea ist das, was wir Regeldetri zu nennen
pflegen (vgl. zu p. 239). Was das Divisionsverfahren bei Galilei betrifft,
so ist folgendes zu bemerken: der Divisor steht vor dem Dividertdus, von
35*
548 Anmerkungen zum dritten Tag.
ihm durch einen Strich getrennt, der Quotient über dem Dividendus. Die
bei der Division auftretenden Teilprodukte wei-den nicht hingeschrieben,
sondern sofort abgezogen, ähnlich wie bei dem jetzt vielfach üblichen
„österreichischen" Verfahren; nur vyerden die Ziffern des Dividendus nicht
„heruntergenommen", sondern unter jede Ziffer die entsprechende Restziffer
geschrieben, so dafs nicht immer die in dem Schema neben einander stehenden
Ziffern zu einer und derselben dekadischen Zahl gehören. In praxi war
es dabei wohl gebräuchlich, jede Ziffer, die als Minuend gedient hatte,
durchzustreichen, wie es z. B. in Tartaglias General irattato di numeri e
mlsure (Vineffia 1556) geschieht. Um das im Text wiederholt angewendete
Verfahren verständlich zu machen, sei hier auf diese Weise der Quotient
von 1728540:396 berechnet:
4 43
1) 39G I 1728540 2) 396 \ 1728540
144 1447
25
436 4365
3) 396 1 1T28S40, 4) 396 | 172SB4Ö
14478 14478,,
259 259,,
1 in
Das erste Stadium der Rechnung zeigt, dafs die erste Ziffer des Quotienten
4, der erste Rest 144 beträgt; das zweite, dafs die zweite Ziffer des Quo-
tienten 3, der Rest 257 beträgt; das dritte, dafs die dritte Ziffer des Quo-
tienten 6, der Rest 198 beträgt; das vierte ergiebt die letzte Ziffer 5 des
Quotienten und den Rest 0.
Das Verfahren, nach welchem im übrigen diese und die folgenden
Rechnungen erledigt werden, ist enthalten in der Formel
2sin^sin(A-^)
d = ^j-- , £ = (h — h) — {cp — 9)'),
wo qo die Polhöhe des nördlicheren, cp' die des südlicheren Beobachters, //
die Kulminationshöhe des Sternes für den ersteren, h' die für den letzteren
Beobachter, d' endlich die Entfernung des Sternes vom zweiten Beobachter
bedeutet, ausgedrückt in Erdradien.
13) p. 313. Es ist schon vorher (zu p. 309) bemerkt worden, dafs
die hier benutzte untere Kulminationshöhe von 24 '^ 28' von Camerarius
nicht beobachtet worden ist, sondern statt dessen eine solche von 24° 8',
welche ebenso wie die beiden anderen von ihm gefundenen Werte eine
negative Parallaxe ergeben, wenn sie mit den Beobachtungen von Munoz
kombiniert werden. Die Beobachtungen des letzteren sind übrigens offen-
bar nur bis auf halbe Grade genau.
14) p. 315. Der Sinus des Winkels BBC ist in allen Ausgaben
fälschlich zu 97845 angegeben, er beträgt in Wahrheit 97827.
15) p. 316. Die Art und Weise, wie Galilei die Rechnungen korri-
giert, ist streng genommen nicht zulässig. Wenn er z. B. in dem vorlie-
Anmerkungen zum dritten Tag. 549
genden Falle anDimmt, die Parallaxe sei statt 4^ 42' 30" nur 20', so mufs
er die Differenz von 4" 22' 30" irgendwie auf beide Beobachter verteilen.
Da er aber den Winkel BDC als -richtig beibehält, so legt er damit den
Beobachtungsfehler dem Maurolycus allein zur Last; eine ebensolche Be-
vorzugung des nördlichen Beobachters findet, in allen folgenden Fällen statt.
Die Abweichungen im Resultat sind freil'ch, mit Rücksicht auf die rohen
Beobachtungen, durch dieses unrichtige Verfahren nicht sehr erheblich.
16) p. 317. Diese zweite Berechnung benutzt nicht die in der Tabelle
p. 310 angegebenen Daten, aus welchen sich, wie man sie auch kombi-
nieren mag, eine negative, also unmögliche Parallaxe ergeben würde. Nach
dem Vorgange Chiaramontis benutzt G. vielmehr als gröfste Stemhöhe
Hainzels 76" 34' 30", als gröfste Sternhöhe Schulers nicht die wirklich
beobachtete von 79" 56', sondern eine solche von 80*^ 15', welche aus der
kleinsten Sternhöhe und der Polhöhe berechnet ist. Vgl. Ciaram. De fr ib.
stell, nov. p. 66.
17) p. 318. Die dritte Berechnung basiert, wie aus der Gröfse der
Winkel BAD, BDC, BCD hervorgeht, auf der Annahme, dafs Tycho
eine Sternhöhe von 27° 56', Hainzel eine solche von 20'' 10' beobachtet
habe. Es ist also hier die schlechtere, von Ch. freilich als besser bezeich-
nete Beobachtung Tychos, wie er sie in seiner ersten Schrift veröffentlicht
hatte, benutzt, und auch diese nicht genau richtig; die Beobachtungen
Hainzels hingegen sind nur auf ganze Minuten abgerundet.
18) p. 318. Bei der vierten Berechnung ist wiederum die schlech-
tere Beobachtung Tychos von Chiaramonti zu Grunde gelegt worden. Der
Sinus des Winkels BDC würde besser 43234 statt 43235 heifsen müssen.
Der Divisor 116 entspricht hier (und ebenso bei den folgenden Rechnungen)
selbstverständlich nicht der wirklich gefundenen Parallaxe von 14', sondern
der verbesserten von 4'.
19) p. 319. Bei der fünften Rechnung ist als gröfste Sternhöhe
Hainzels 76" 34' 30" benutzt. Die Sehne BD ist fälschlich zu 4034 an-
gegeben; es wäre 4304 zu schreiben, da der Winkel BAI) 2" 28' beträgt,
auch das Resultat wird dadurch beeinflufot.
20) p. 319. Bei der sechsten Rechnung ist als kleinste Sternhöhe
von Camerarius 24" 17' benutzt.
21 j p. 319. Bei der achten Rechnung mufs der Sinus des Winkels
BDC (welcher 158" 31' beträgt) 36623 statt 36643 heifsen.
22j p. 320. Es mufs im Nenntr des Bruchs 300 000 statt 100 000
heifsen. Es ergeben sich daher auch nicht, wie es im Texte heifst, etwas
mehr als 30^, sondern etwas weniger als 30^ Halbmesser.
23) p. 321. Bei der zwölften Rechnung würde die Sehne BD,
welche einem Winkel von 9" 54' entspricht, besser 17 257 als 17 258
heifsen. — Aufser den hier besprochenen Fehlern, welche im Texte bei-
behalten worden sind, befinden sich sowohl in der Originalau.'^gabe wie in
allen folgenden, die Alberische einbegriffen, eine Menge Druckfehler, die
im Texte verbessert vnirden.
24) p. 323. Damit die Beobachtung eine möglicherweise richtige sei,
genügt es nicht, dafs der gröfseren Polhöhe eine gröfserc Kalminationshöhe
des Sternes entspreche, sondern es mufs aul'serdem die Ditlereuz der Stern -
höhen gröfser sein als die Differenz der Polhühen.
550 Anmerkungen zum dritten Tag.
25) p. 325. Es ist das derjenige Stern, den man heute als % Cassio-
pejat' zu bezeichnen pflegt. Nach Tycho betrug die Entfernung des neuen
Sterns von diesem l" 31' (Progrjmn. p. 344).
26) p. 327. Das folgende Verfahren Galileis liefert, wie er selbst an-
deutet, nur eine untere Grenze für die Entfernung des Sternes. Bezeichnet
(p die Polhöhe, A^ die obere, h^ die untere Kulminationshöhe, cö^ die Pol-
distanz bei der oberen, cog bei der unteren Kulmination, so berechnet G.
eine untere Grenze für die Entfernung c gemäfs der Formel:
sin {R — cp -\- Wg)
sin ((»2 — G>i)
oder, da w^ = h^ — 9), 0)2 = 9' — 1h-,
cos ^9
e ^ i
sin (293 — \ — h.^
Den genauen Wert von e würde man finden nach den Formeln
1 /79~i 9 > 2 cos 9) cos CO, cos Wo , .
c = y^' + ^^ wo ^ = -^^ i_^ + sin9,,
Sm (^032 — WiJ
cos 95 sin (wj •\- 0)2)
sin (0)2 — «i)
^ bedeutet dabei die Entfernung der Ebene des Sternes vom Erdmittel-
punkt, ■)} den Radius des von ihm beschriebenen Kreises, den Radius der
Erde gleich 1 angenonmaen.
27) p. 327. Da man zur Zeit Galileis unter Sinus dasjenige vei'stand,
was wir Sinuslinie nennen, so bedurfte es noch einer Bezeichnung für den
Radius oder die Hypotenuse, auf welche die Gröfse der Sinuslinie bezogen
wird; sie pflegte Sinus totus genannt zu werden.
28) p. 328. Nämlich die Angaben der früheren Schrift Tychos, wo-
nach die obere Kulminationshöhe 84*^, die untere 27" 45' beträgt. — Von
den Beobachtungen des Camerarius sind die Werte 80 "^ 30' und 24'' 17'
zu Grunde gelegt, welches nicht die für den Gegner günstigsten sind,
trotz der gegenteiligen Versicherung Galileis.
29) p. 329. Die Thatsache der atmosphärischen Strahlenbrechung war
schon den Alten bekannt, so namentlich dem Ptolemäus. Doch herrschten
noch zui- Zeit Galileis sehr unklare Vorstellungen darüber, namentlich hielt
man vielfach den Betrag der Refraktion auch für abhängig von der Ent-
fernung des Gestirns. Demgemäfs giebt Tycho in den Progymnasmata (p-79,
124, 280) besondere Refraktionstabellen für Sonne, Mond und Fixsterne.
Kepler bestreitet in seiner Schrift Ad VitelUonem Paralipomena, quibtis
Astronomiae Pars Optica Traditur (Francofurti 1604) diese Ansicht und
giebt selbst eine nicht übele Refraktionstabelle fEd. Frisch 11, 20.5), die
lange Zeit als mafsgebend betrachtet wurde. — Im italienischen Texte
scheint übrigens hier eine Verstümmelung vorzuliegen. Die Übersetzung
ist daher nicht ganz wortgetreu.
30) p. 331. Die von Chiaramonti hier erwähnte Fehlerquelle ist that-
sächlich bei dem von Tycho benutzten Instrumente vorhanden gewesen, wie
dieser selbst versichert {Proyymn. p. 343), nur ist die Gröfse des Fehlers,
Anmerkungen zum dritten Tag. 551
im Verhältnis zu der damals überhaupt eiTeichbaren Genauigkeit überaus
gering und kommt für die Entscheidung der hier vorliegenden Frage gar
nicht in Betracht.
31) p. 334. Die aristotelischen Beweise der Endlichkeit des Welt-
alls finden sich vornehmlich in seiner Schrift Bc coelo lib. I, cap. VI und
VII, und yat. aiisc. lib. IE, cap. VI. Die Unendlichkeit der Welt war
insbesondere von Giordano Bruno gelehrt worden, und die Rücksicht auf
dessen Schicksale bewegt wohl Galilei, auf diese heikele Frage sich, nicht
näher einzulassen. Er selber scheint, im Gegensatz zu Kepler, an die
Unendlichkeit der Welt zu glauben. Vgl. p. 39 und den Brief an Ingoli
Op. II, 73.
32) p. 334. Galilei erlebte es häufig, dafs peripatetische Philosophen
sich weigerten an seinen Versuchen und Beobachtungen sich zu beteiligen.
So lehnte es Cremoniui in Padua, Libri in Pisa ab, durch einen Blick ins
Fernrohr sich von der Wahrheit der astronomischen Entdeckungen Galileis
zu überzeugen. (Vgl. Favaro, Galileo Galilei e lo studio cli Padova. Firenzc
1883, I, 394 f.)
33 j p. 337. Vgl. zu p. 66.
34) p. 342. Nach der schulmäfsigen Logik besteht jede Definition
eines Begriffs in der Angabe des (/enus und der diffcrentia specifica. Die
übliche Definition des Menschen, welche zugleich eines der gewöhnlichsten
Bei>piele abgab, um das Wesen der Definition zu erläutern, lautete dem-
entsprechend animal mortale rationale; wenn man also von der diffcrentia
specifica absieht, die in dem rationale ihren Ausdruck findet, so bleibt blofs
das Genus Tier übrig.
35) p. 343. Nuper tue in litore . . . „Jüngst sah ich mich [mein BildJ
am Gestade, als das Meer windstill dalag." Verg. Btic. Ecl. II, 25 f.
36) p. 344. Man wird annehmen dürfen, dafs diese Einwürfe vor Ver-
öffentlichung des Dialogs Galilei noch nicht bekannt waren; er würde sonst
ihre Widerlegung in dem Dialog nicht unterlassen haben, denn er befolgt
ja sonst als Regel, gerade auch triviale, wenigstens heutzutag trivial er-
scheinende Argumente in ihrer Nichtigkeit darzuthun. Der (in der Über-
setzung durch kursiven Druck ausgezeichnete) handschriftliche Zusatz des
paduanischen Exemplars war also wohl durch die ihm unmittelbar zuvor
gemachten Einwendungen hervorgerufen worden; wer indessen die littera-
risch hervorragenden Persönlichkeiten gewesen sein mögen, habe ich nicht
ermitteln können.
37) p. 347. Dafs die Breite des Brunnenschachtes nichts mit der Sache
zu thun habe, ist denn doch sehr irrig. Bezeichnet man die Bi'eite des
Schachtes mit Z>, die Tiefe mit h und nimmt an, dafs die Beobachtung
unter dem Äquator angestellt werde, so ist die Sichtbarkeitsdauer des
Sternes proportional demjenigen Winkel x, dessen Gröfse bestimmt ist durch
_ b
38) p. 348. Die folgende Darstellung steht, was die Komposition be-
trifft, in Widerspruch mit dem, was auf p. 336 S. gelehrt wurde. Schon
in dieser ersten Partie wiirde der bedeutende Wechsel in der scheinbaren
Gröfse des Mars und der Venus, sowie die Phasenändeiimg der letzteren
552 Anmerkungen zum dritten Tag.
besprochen, und zwar in der Weise, dafs gerade auf Grund dieser That-
sachen eine Skizze des kopernikanischen Systems konstruiert wird. Als
wäre alles dies nicM vorangegangen, wird nun hier abermals das Fehlen
dieser Erscheinungen als Haupteinwand gegen das System bezeichnet. Diese
widerspruchsvolle Art der Darstellung ist dadurch zu erklären, dafs der
Dialog sicherlich zum Teil aus vorrätig gewesenen Stücken zusammengewebt
ist, die nicht immer zu einander passen. Bei wiederholter Durchsicht scheint
G. das Inconcinne der Komposition selbst bemerkt zu haben; wenigstens
scheint es, als ob das handschriftliche Einschiebsel des Exemplars von
Padua gerade zwischen diese beiden Darstellungen gesetzt sei, um den
Widerspruch minder grell hervortreten zu lassen; dem sachlichen Inhalte
nach würde sich das eingeschobene Stück ja besser in den Eahmen des
zweiten Tages gefügt haben.
39) p. 350. Im folgenden wird in gröfserer Ausführlichkeit die bereits
p. 80 f. erwähnte Erscheinung der Irradiation besprochen, von der G., wie
er selber ausspricht, auch schon in früheren Werken gehandelt hatte; so
in den Lettcre intorno alle maccJtie solari (Op. 111,471) und im Suggiatore
(Op. IV, 227 ff.). Er hätte auch den Astronomkas Nuncius erwähnen dürfen.
Vgl. Op. m, 74.
40) p. 351. Simplicio hat früher (p. 75) behauptet, sie, wenn auch
flüchtig, gelesen zu haben.
41) p. 356. Allerdings mufsten zur Erklärung der Ungleichheiten in
der Planetenbewegung vom Standpunkte des ptolemäischen Systems kom-
plizierte und ungeheuerliche Annahmen von excentrischen Kreisbewegungen
und Epicykeln gemacht werden; indessen Avurden solche durch das koperni-
kanische System noch keineswegs vollständig überflüssig gemacht. Erst
die drei berühmten von Kepler entdeckten Gesetze der Planetenbewegung
verbanden mit verhältnismäfsiger Einfachheit genaue Übereinstimmung zwi-
schen Theorie und Erfahrung. Hier wäre der Ort gewesen, wo Galilei die
unendlichen Verdienste Keplers nach Gebühr hätte preisen und zugleich
die Lücke hätte ausfüllen können, die der Dialog enthält, insofern er die
Ungleichheiten der Sonnen- und Planetenbewegungen völlig unerwähnt läfst.
Diese Nichterwähnung • der keplerschen Gesetze gehört zu den auffallend-
sten Sonderbarkeiten des Dialogs. Vgl. Einl. p. LH ff.
42) p. 357. Über die Stelle bei Kopernikus ist insofern unrichtig re-
feriert, als nicht dieser selbst versucht hat, durch Häufung von Kreisen
das gewünschte Ziel zu erreichen, sondern nur von anderen spricht, die
dies gethan. In seiner an Papst Paul III. gerichteten Vorrede schreibt er
nämlich: liaque nolo Sanctitatem Timm laterc, mc nihil aliud movisse ad co-
gitundum de alia ratione subducendorum motuum sx^haerarum mundi, quam
quod intellexi, matJiematicos sibi iims non constare in Ulis perqidrendis.
Primum enim usque adeo incerti sunt de motu solis et lunae, ut nee ver-
tcntis anni perpetuam magnitudincm dcmonstrare et ohservare possint. Deinde
in constituendis motibus, cum illarum, tum aliarum quinque errantium stella-
rum, neque iisdem principiis et assumptionibus ac apimrcntiiim revohttionum
motuumque dcmonstrationibus utuntur. Älii namqxie circulis Jiomoccntris solum,
alii eccentris et epicyclis, quibus tamen quaesita ad plenum non assequuntur.
Nam qui homocenfris conßsi sunt, etsi motus aliquos diversos ex eis componi
demonstraverint , nihil tamen certi, quod nimirum phacnomenis respon-
Anmerkungen zum dritten Tag. 553
deret, indc statuere lootuerunt. Qiii vcro excogitaocrunt ecccnfrica, etsi magna
ex parte apparentes motus congrucntibus x^er ea numeris ahsolvisse videantur,
2)leraque tarnen Interim admiserunty quae primis principiis de motics aequali-
tate videntiir contravenire. Rem quoqU'C praecipuam , Jioc est tmtndi formam
ac partium eins certam symmetriam, non potuerunt invenire, vel ex Ulis col-
tigere; sed accidit eis perinde, ac si quis e diversis locis manus, pedcs, caput,
aUaqiie memhra optime quidem, sed non unius corporis comparatione dcpicta,
sumcret, mdlatenus invicem sibi respondentibus , ut monstrum potius quam
liomo ex Ulis componerctur.
43j p. 360. Apollonius von Perga in Pamphylien, einer der be-
deutendsten Geometer des Altertums, lebte um 200 v. Chr.; er bildete na-
mentlich die Lehre von den Kegelschnitten aus.
44) p. 361. Der von Gr. dem Salviati in den Mund gelegte Bericht
über die Entdeckung der Sonnenflecken hat den Zweck, seine Priorität
gegenüber den Ansprüchen Scheiners zu wahren, welche dieser auf seine
angeblich schon im März 1611 gemachten Beobachtungen und auf die
unter dem Pseudonym Apelles geschriebenen Briefe gründete. Öfi'entlich
war übrigens Schein er bisher (bis 1630) nicht in feindseliger Weise gegen
G. aufgetreten; doch mufs dieses in Privatcirkeln geschehen sein, weil sonst
der Ausfall Galileis im Saggiafore sinnlos sein würde. Nur in den Disqui-
sitiones mathcmaticae vom Jahre 1614 p. 66 hatte Seh. geschrieben: Quae
[pJiaenomena in Sole] quoniam ah aliquot nunc annis prodierunt ah Apelle
in tahidis duplicihus, deinde etiam a D. Galilaeo ; er hatte damit,
anscheinend in gutem Glauben, doch bereits den Versuch gemacht, seine
Prioritätsansprüche zu wahren, die ihm bisher nur durch das hingeworfene
Wort Galileis in seinem ersten Briefe an Welser (vgl. Einl. p. XXX) be-
sti'itten waren; Gehässigkeiten gegen G. lagen ihm damals noch so fern,
dafs er in derselben Schrift mehrfach mit höchster Anerkennung von diesem
spricht, wie er ihm denn auch ein Exemplar mit sehr höflichem Begleit-
brief zusandte. Ob Seh. bona fide die Priorität gegenüber Galilei bean-
spruchen durfte, ist allerdings sehr zweifelhaft. Der bekannte Ordensbruder
Scheiners, Paul Guldin, versicherte später, er habe jenem die galileische
Entdeckung mitgeteilt, und erst danach habe Seh. seine Beobachtungen
angestellt (Op. X, 67; 234); doch kann diese Mitteilung, wie von Brau.n-
raühl mit Recht hervorhebt, nur auf die Oktoberbeobachtungen Scheiners
Einflufs geübt haben; die Märzbeobachtungen müssen, wenn sie überhaupt
stattgefunden haben, unabhängig davon gewesen sein; ihnen hatte aber
Scheiner offenbar auch keinerlei Wert beigemessen. In feindseliger Weise
führte den litterarischen Streit zuerst Galilei, wahrscheinlich, wie gesagt,
durch mündliche Äufserungen Scheiners provociert; er deutete, wenn auch
ohne Namensnennung, so doch in nicht mifszuverstehender Weise, im Sag-
giafore (Op. IV, 149 f.) an, dafs ihn Scheiuer um den Ruhm der Sonnen-
fleckenentdeckung zu bringen versuche. Gegen diesen Angriff erfolgte Schei-
ners erbitterte Abwehr in der liosa Ursina, die 1630 vollendet wurde und
in Brazza erschien. Der Dialog Galileis wurde zwar erst 1632 veröflPent-
licht, war indessen bereits Mitte Mai 1630 druckf'ertig, sodafs irgendwelche
Beziehung auf die Bosa Ursina sich in ihm nicht findet, wenn auch häufig
das Gegenteil behauptet worden ist. Galilei hatte jedoch bei Abfassung
des Dialogs Kenntnis von dem bevorstehenden Erscheinen der Bosa (Op.
554 Anmerkungen zum dritten Tag.
VI, 327) und vermutlicli auch von ihrem polemischen, vielleicht sogar
von ihrem wissenschaftlichen Inhalte; er führt deshalb mittels des hier
eingeflochtenen Berichtes einen neuen Streich gegen seinen Widersacher. —
Dieser Bericht giebt jedoch zu mancherlei Bedenken Anlafs. Galilei will
die Sonnenflecken schon im Jahre 1610 und zwar vor seiner im August
erfolgten Abreise nach Florenz entdeckt haben. Wie ist dann zu erklären,
dafs er weder in seinen Briefen an den Grofsherzoglich Toskanischen Staats-
sekretär Belisario Vinta aus jener Zeit, noch in dem Briefe an Kepler vom
19. August irgendwelche Andeu.tung über diese seine Entdeckung macht?
Namentlich teilt er Vinta selbst solche Entdeckungen mit, die er sonst
einstweilen geheim zu halten wünscht. Sollte er also wirklich schon da-
mals Sonnenfleeke gesehen haben, was sehr wohl möglich ist, und was ihm
von seinem Freunde Fra Fulgenzio Micanzio, freilich in viel späteren Jah-
ren, bestätigt wird, so würde er allerdings vor allen Rivalen die Priorität
voraus haben; er mufs jedoch seiner Sache noch nicht sicher gewesen sein
und keinerlei Wert auf die Entdeckung gelegt haben. — Scheiner hat nach
der Erzählung in der Vorrede zu seiner Bosa Ursina die ersten Flecken
im März 1611 wahrgenommen; wenn dies wahr sein sollte, so scheint aber
auch er zunächst der Sache keine hohe Bedeutung beigelegt zu haben, da
er seine weiteren Beobachtungen wahrscheinlich auf Grund des ihm von
Guldin zugegangenen Berichts erst am 21. Oktober 1611 wieder aufnahm.
Galilei verbreitete inzwischen in Rom während seines dortigen Aufenthalts,
der von Ende März bis Juni 1611 dauerte, die Kunde von den Sonuen-
flecken in weitere Kreise (vgl. z. B. die Vorrede von Angelo de Filiis zu
den Lettere solari Op. V, 6, 636). — Sobald man die erste gedruckte Ver-
öffentlichung als entscheidend für die Priorität betrachtet, so hat Scheiner
diese vor Galilei voraus; hingegen war es dieser, der sie früher erblickt
und zuerst über das Wesen der Erscheinung richtige Anschauungen auf-
stellte, die er als Entgegnung auf die Apellesbriefe Scheiners in den an
Welser gerichteten Lettere intorno alle maccJiie soleiri vom 4. Mai, 14. August
und 12. Dezember 1612 zusammenfafste. Der unerquickliche Streit brachte
allerdings auf der einen Seite der Wissenschaft Förderung, weil er eine
gründliche Diskussion der einschlägigen Fragen und fortgesetzte sorgfältige
Beobachtungen veranlafste, auf der anderen Seite aber wurde er für Ga-
lilei verhängnisvoll, weil durch ihn die Erbitterung des einflufsreichen Je-
suiten aufs höchste gesteigert wurde. — Der wahre erste Entdecker —
wenn dieser Titel durch die erste Veröffentlichung in Buchform verdient
wird — war weder Galilei noch Scheiner, sondern Johannes Fabricius; er
legte seine Ergebnisse nieder in der Schrift: lo. Fabritii Frisii De maculis
in Sole observatis et apparente earum cum Sole conversione, narratio (Witte-
lergae 1611), deren Widmung vom 13. Juni 1611 datiert ist; die entspre-
chenden Beobachtungen wurden im Dezember 1610 angestellt. Auch ist
diese Schrift keineswegs, wie von mancher Seite behauptet wird, obskur
geblieben; vielmehr spricht Kepler von ihr mit den Worten der höchsten
Anerkennung und trägt nicht das mindeste Bedenken, Fabricius als den
Entdecker zu bezeichnen. Sehr verwunderlich bleibt es, dafs weder Scheiner
noch Galilei in ihrer Polemik Fabricius erwähnen, obwohl ersterer mit
dem Vater des Johann F. in Korrespondenz stand. Will man das blofse
Erblicken der Erscheinung als mafsgebend betrachten, so käme auch Kepler
Anmerkungen zum dritten Tag. 555
selbst iu Betracht. Er sah am 17/27. Mai 1GÜ7 bereits einen Sonnen-
flecken, hielt ihn aber für den Merkur und beschreibt diesen vei'meintlichen
Merkurdurchgang in seinem Phaenonicnon singiiJurc scu Merciirius in Sole
ll/ipsiac 1600). Als ihm später von anderer Seite her die Existenz der
Sonnenflecken bekannt geworden war, sah er seinen Fehler ein und scherzte
mit bestem Humor darüber; auch machte er darauf aufmerksam, dafs ein
in der Viia Caroli Magnl von Eginhard erwähnter Merkurduichgang vom
Jahre 807 wahrscheinlich auf die falsch gedeutete Beobachtung eines Son-
nenflecks zurückzuführen sei. S. auch Einl. p. XXLV, XXIX, LX.
45) p. 362. Viel auffallender als die Behauptung Galileis, dafs er
schon 1610 in Padua Sonnenflecke gesehen habe, ist die, dafs die jährliche
Fleckenperiode ihm schon bei Lebzeiten Salviatis bekannt gewesen sei.
Salviati starb im März 1614, also mehr als sechzehn Jahre mufsten bei
Beendigung des Dialogs verflossen sein, seitdem Galilei von einer That-
sache wufste, der er die höchste Bedeutsamkeit zumafs und deren Bedeut-
samkeit er im Momente der Entdeckung schon durchschaute, wenn wir
dem vorliegenden Berichte Vertrauen schenken. Und diese ganzen sechzehn
Jahre sollte er, der schon so manchen Prioritätsstreit auszufechten hatte,
haben verstreichen lassen, ohne eine Mitteilung darüber zu machen, ganz
im Gegensatze zu seinem sonstigen Brauche, möglichst früh, wenn nötig
unter dem Schutze eines Anagramms, von seinen Entdeckungen Kunde zu
geben? Hingegen gerade um die Zeit, wo sein Rivale Scheiner die gleiche
Thatsache in der Itosa ürsina der wissenschaftlichen Welt mitteilte {Rosa
Ursina p. 161 ff", und 225), entschliefst auch er sieh endlich zur Veröffent-
lichung des so lange ohne jeden ersichtlichen Grund gewahrten Geheim-
nisses. Hier ist der Verdacht kaum zurückzudrängen, dafs Galilei entweder
wirklich die Rosa Ursina bei Abfassung der vorliegenden Stelle kannte
und die lange Zeit, die zwischen der Druckfertigkeit des Dialogs im Jahre
1630 und dem Drucke selbst verflofs, dazu benutzte, um diesen Passus
einzuschieben; oder dafs er, ebenso wie von dem bevorstehenden Erscheinen
der Rosa, so auch von deren Inhalt einiges wufste, dafs er, um dem Ri-
valen zuvorzukommen, noch zuletzt zu weiteren Beobachtungen der Sonnen-
flecke ■ schritt und so selbständig die Entdeckung gemacht hat. DaCs
Scheiner aufs höchste entrüstet war, als zwei Jahre nach dem Erscheinen
seines Werks sein Rivale auftrat und diese Entdeckung vor achtzehn Jahren
gemacht zu haben behauptete, ist nicht nur begreif lieb, sondern auch ge-
rechtfertigt; zum mindesten mufste Galilei, wenn seine Erzählung glaubhaft
sein sollte, den Grund seines rätselhaften Schweigens angeben. Aber auch
später (in dem Briefe an Fulgenzio Micanzio vom 9. Februar 1636, Op.
VII, 59) giebt er weiter nichts an als: „Ich entdeckte sie (die Neigung
der Sonnenachse zur Ekliptik) vor ihm, wie ich überzeugt bin, aber ich
hatte keine Gelegenheit davon zu sprechen aufser im Dialog." Auch ist
zu beachten, dafs, wie im folgenden noch angegeben werden wird, die Dar-
stellung mancherlei Unebenheiten enthält, die Folge einer raschen Nieder-
schrift zu sein scheinen; ganz abgesehen davon, d;ifs der Hauptzweck, die
jährliche Sonnenfleckenperiode als Argument für die Erdbewegung zu be-
nutzen, als völlig verfehlt bezeichnet werden mufs.
46) p. 364. Man bediente sich solcher aus zehn Kreisen zusammen-
gesetzten Sphären (sphaerac matcriaUs) teils zu Veranschaulichuugs- und
556 Anmerkungen zum dritten Tag.
Lehrzwecken, teils — und dann mufsten sie besonders sorgfältig gearbeitet
sein — zu wirklieben Beobachtungen Qnstnimenfum armülare, Armillar-
sphäre). Die Beschreibung der Armillarspbären ist bereits im fünften Buche
des Almagests von Ptolenaäus gegeben (vgl. p. 405).
47) p. 366. Dies ist vollständig unklar, der Meridian hat mit diesen
Erscheinungen nichts zu thun. Der ganzen Darstellung liegt der Fehler zu
Grunde, dafs die Ausdrücke „höher" und „tiefer" nicht, wie es sein sollte,
sich auf den Horizont als Niveau beziehen, sondern auf die Ekliptik. Wenn
es also im Texte heifst, Anfangs- und Endpunkt der scheinbaren Flecken-
bahnen liegen gleich hoch, so bedeutet das nicht, sie liegen in einer ho-
rizontalen Linie, sondern in einer zur Ekliptik parallelen. Diese schlecht
gewählte Ausdrucksweise in Verbiudung mit der Figur, in welcher die
Ekliptik wirklich wagerecht gezeichnet ist, verführen nun zu dem weiteren
Irrtum, den Längenkreis, in welchem sich die Sonne jeweilig befindet, mit
einem Vertikalkreise zu identificieren. Bei der hier besprochenen Stellung
der Erde liegt nämlich die Achse der Sonne allerdings in der Ebene eines
Längenkreises, nicht aber notwendig in der des Meridians. Nun wird freilich
der Terminus Meridian auch in weiterem Sinne gebraucht, und zwar auch
von Galilei (vgl. zu p. 400 und Op. III, 23), nämlich für jeden durch die
Pole gehenden gröfsten Kreis, nicht blofs für den durch den Zenith gehen-
den; aber auch in diesem Sinne ist die galileische Darstellung unrichtig;
sie wäre in diesem Falle nur dann korrekt, wenn die Maximalkrümmung
zur Zeit der Solstitien einträte. — Man vermifst ferner in der galileischen
Darstellung die Angaben über den Betrag der Neigung der Sonnenachse
gegen die Ekliptik, sowie die Angaben über die Zeit, zu welcher die vier
charakteristischen Lagen von der Erde eingenommen werden. Bekanntlich
ist der Sonnenäquator um etwa 11 \^ gegen die Ekliptik geneigt; die Tage
des geradlinigen Fleckendurchgangs sind der 10. Juni und der 10. Dezem-
ber, an ihnen also befindet sich die Erde in der Schnittlinie von Sonnen-
äquator und Ekliptik, während am 10. September und 10. März die stärkste
Krümmung der Fleckenbahnen stattfindet, und die Erde in der Ebene
steht, welche durch Sonnenachse und Ekliptikachse hindurchgeht.
48) p. 369. Der im folgenden gemachte Versuch, auf Grund der
veränderlichen Fleckenbahnen die Unwahrscheinlichkeit der Drehung der
Sonne um die Erde nachzuweisen, ist verfehlt. Seine vermeintliche Be-
weiskraft beruht im wesentlichen auf dem „dritten" Umstände, dafs
wenn die zur Ekliptik schiefe Sonnenachse bei Drehung der Sonne um die
Erde sich selber parallel bliebe, das Aussehen der Fleckenbahnen stets
dasselbe sein müfste. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, vielmehr er-
gäben sich dann genau die Erscheinungen, welche thatsächlich stattfinden,
wie man sich leicht überzeugt. Damit wird denn auch der Schlufs hin-
fällig, dafs man der Sonnenachse noch eine weitere jährliche Rotation um
die Ekliptikachse zuschreiben müsse, um die centrale Stellung der Erde
aufrecht zu einhalten ; somit würde auch die etwaige Sonnenbewegung nicht
besonders kompliciert, wenigstens nicht komplicierter sein, als wenn die
Sonnenachse senkrecht zur Ekliptik stünde. — Wenn Galilei daher später-
hin sich rühmt (Op. VII, 59), dafs er die Neigung der Sonnenachse zur
Ekliptik benutzt habe, um der Natur ihr gröfstes Geheimnis zu entreif.<en,
während Scheiner mit diesem Schatze nichts anzufangen »ewulst habe, so
Anmerkungen zum diitten Tag. 557
ist dies ebenso unbegründet, wie die Ansprüche auf die Priorität der Ent-
deckung es allem Anscheine nach sind. — Merkwürdig ist es, dafs aufser
von Scheiner selbst (in seinem Prodromus pro Sole tnohili et Terra stcibili
contra Galilaeum a Galileis. Pragae 1651) meines Wissens nirgends auf
die Unzulänglichkeit dieses Beweises für die Erdbewegung aufmerksam ge-
macht worden ist, derselbe im Gegenteil fz. B. von Alberi im Supplement-
band zu seiner Ausgabe der galileischen Werke p. L) Anerkennung ge-
funden hat.
49) p. 371. Kopernikus schrieb bekanntlich der Erde aufser der täg-
lichen Rotation um die eigene Achse vmd der jährlichen Rotation um die
Sonne auch noch eine jährliche um eine zur Ekliptikebene senkrechte
Achse zu, die sogenannte Deklinationsbewegung. Da er nämlich unter einer
Rotation nur eine solche Bewegung versteht, bei welcher der sich bewe-
gende Körper mit dem Mittelpunkte der Drehung in starrer Verbindung
steht, so würde bei der Rotation der Erde um die Sonne die Erdachse
zunächst ihre Richtung fortwährend ändern, und es bedurfte einer wei-
teren Bewegung, um diese Änderung wieder rückgängig zu machen. Selbst-
verständlich mufs diese dieselbe Periode haben, wie jene. — Galilei meint
also: wenn man der Sonne, ähnlich wie Kopernikus der Erde, zwei ver-
schiedene Rotationen um sich selber beilegt, so mufs die Periode der einen
Rotation mit der Umlaufszeit der Sonne um die Erde übereinstimmen; es
ist aber dann kein zureichender Grund vorhanden, warum sie eher mit der
jährlichen Umdrehung als mit der täglichen übereinstimmt. — Dieser ganze
Vergleich mit der Erdbewegung pafst aber nicht, denn Galilei will ja
durch seine zweite der Sonne beizulegende Rotation gerade bewirken, dafs
die Sonnenachse nicht sich selber parallel bleibt. — Über die dritte von
Kopernikus der Erde beigelegte Bewegung wird ausführlicher gesprochen
p. 416 f.
50) p. 372. Im Italienischen liegt hier ein Anakoluth vor, welches
in der Übersetzung durch das eingeschobene „alles erklärt" beseitigt ist.
51) p. 373. Die im folgenden besprochenen Einwände Scheiners (oder
Lochers, seines Schülers) finden sich in den Disquisitiones mathemaficae,
Abschn. XIII p. 23 — 28. Der im Text begonnene Satz lautet in deutscher
Übersetzung vollständig folgendermafsen : „Die Erde also samt dem Monde
und unserer ganzen elementaren Welt versetzte Kopernikus, ein im übrigen
durch Gelehrsamkeit hervorragender Mann, zwischen den Himmel des Mars
und der Venus, die Sonne stiefs er hinab in den Mittelpunkt des Weltalls;
die Sonne wie auch das Firmament liefs er stillestehen, die Erde sich be-
wegen und zwar in dreifacher Bewegung, der jährlichen, der Deklinations-
und der täglichen Bewegung; um alles das deutlicher zu machen, fügen
wir hier sein System bei [auf Seite 24 ist eine Figur, welche das Schema
des kopernikanischen Systems darstellt]; hierbei ist das Firmament ABCB
der oberste Himmel und unbeweglich, die östliche Seite bei u4, die süd-
liche bei j5, die westliche bei C, die nördliche bei T>: i^ F die Sphäre des
Saturn, GH die des Jupitei-, JK die des Mars, deren Dicke bis zur Sphäre
JRS der Venus reicht, und innerhalb deren die elementare Welt LMNP
enthalten ist; die Erde P und der Mond 31 durchwandern diese in einem
Jahre von Osten nach Westen, mit ihrem Mittelpunkt den Kreis OPQ
beschreibend, welcher den Orhis magnus oder den Orbis anmms vorstellt;
558 Anmerkungen zum dritten Tag.
weiter nach innen folgt die Sphäre ES der Venus, welche die des Mars
TV umfafst, und in dem Mittelpunkte dieser und aller anderen hat die
Sonne ihren Sitz."
52) p. 374. Die Witzeleien in den 1614 erschienenen Disquisitiones
über das Verhältnis gewisser Bibelstellen zu dem kopernikanischen System
sind ein deutlicher Beweis, dafs damals, also kurz vor dem 1616 erfolgten
Verbote der Lehre von der Erdbewegung, selbst Scheiner keinen unverein-
baren Widerspruch zwischen Bibel und Kopernikus finden konnte. — Ga-
lilei spricht sich über diese theologischen Dinge weitläufig in dem berühm-
ten Briefe an die Grofsherzogin Mutter Christine aus (Op. 11, 26 — 64).
Die Art und Weise, wie er hier seiner Entrüstung über Scheiners Äufse-
rungen Ausdruck verleiht, entspricht ganz dem, was er in diesem Briefe
als gefährliche Folge des Verbots des kopernikanischen Systems voraussagt.
In dem Streite der Parteien, meinte er damals (Op. II, 37), würden leicht
Gründe vorgebracht werden, denen man höhere Beweiskraft beimesse, als
der heiligen Schrift.
53) p. 374. Die Stelle bei Tycho wird in den Disquisitiones selbst
citiert, sie findet sich in den Progymnasmata p. 481.
54) p. 375. Vgl. Cop. De revol. lib. I, cap. X, wo es gegen den Schlufs
heifst: Quod autem nihil eorum apparct in fixis, immensam illorum arguit
celsituäinem , quae faciat etiam annui motus orhem sive eins imaginem ab
oculis evanescere, quoniam omne visibile longitudincm distantiae licibd aliquam,
ultra quam non ampUus sxjectatur, ut demonstratur in opticis. Ähnlich am
Schlüsse von cap. VI im ersten Buche.
55) p. 375. Die Entfernung der Sonne wurde, ^Ane man sieht, von
den damaligen Astronomen gewaltig unterschätzt, sie beträgt bekanntlich
etwa 2.3 000 Erdradien.
56) p. 375. Hier ist zum ersten Male eine Andeutung darüber, dafs
die Sonne wechselnde Entfernung besitzt, bisher war immer nur von voll-
kommenen Kreisen die Rede, in deren Mittelpunkte entweder die Sonne
oder die Erde steht. Diese unvorbereitete Erwähnung ist nach den bis-
herigen Auseinandersetzungen einigermafseu üben-aschend.
57) p. 375. In Wahrheit ist bekanntlich der scheinbare Durchmesser
sämtlicher Fixsterne noch bei weitem kleiner. Auch in den schärfsten
Fernröhren erscheinen die Fixsterne als unteilbare Punkte; wir können
daher auch nicht das Mindeste aussagen über ihre wahre Gröfse, wiewohl
uns von einigen die Entfernung annähernd bekannt ist. Wahrscheinlich
unbegründet ist auch die damals herrschende i^nsicht, dafs der scheinbare
Durchmesser der Sterne „erster Gröfse" den der Sterne „geringerer
Gröfse" übertreffe. Wäre der nächste Fixstern so grofs wie die Sonne,
so würde sein scheinbarer Durchmesser 0,004" betragen. Ein grofses
Verdienst Galileis besteht aber jedenfalls darin, auf die ungeheure Über-
schätzung der scheinbaren Fixstemdurchmesser hingewiesen zu haben, wie-
wohl er selbst sie noch immer viel zu grofs annimmt.
58) p. 376. In der editio princeps steht hier centosdmilionesima parte;
der einige Male wiederholte Fehler beruht darauf, dafs nicht, wie dort
fälschlich angegeben wird, 220^ = 106 480 000, sondern = 10 648 000 ist.
Der Fehler ist schon in der paduanischen Ausgabe von 1744 verbessert. —
Unter orhis magnus wii'd sowohl die Erdbahn selbst als auch die Kugel
Anmerkungen zum dritten Tag. 559
verstanden, welche mit dem Radius der Erdbahn um die Sonne beschrieben
ist; verschieden davon ist nach dem damals herrschenden, aber nicht immer
strenge innegehaltenen Sprachgebrauch die Eklij)tik, welche am „Firma-
ment" verläuft; daher die Ausdrucksweise, dafs die Erde sich „unter" der
Ekliptik bewegt.
59) p. 376. Dafs der Durchmesser der Sonne 11 Erdhalbmesser be-
trägt, ist eine Konsequenz der damals üblichen, falschen Annahme, dafs
die Sonne 1208 Erdradien von uns entfernt sei, und der richtigen, dafs
ihre scheinbare Gröfse etwa -|-^ beträgt.
60) p. 377. Al-Fergani (oder Alfagrano oder Alfragan) lebte um
800 und war Hauptastronom des Kalifen Al-Mamum. — Albategnius
(geb. zu Eatan in Mesopotamien um die Mitte des neunten Jahrhunderts,
gestorben um 928), der bedeutendste arabische Astronom, Entdecker der
Bewegung des Sonnenapogäums. Die Hauptwerke der genannten Astro-
nomen wurden von ßegiomontan herausgegeben unter dem Titel: Alfra-
f/ani rudimenta astronomiae et Albategnii Über de motu stellarum, ex öbser-
vationibus tum proprüs, tum Ptolemaei (Nürnbei-g 1537). — Thebit, einer
der arabischen Bearbeiter des Almagest von Ptolemäus, lebte von 836 bis
901. — Clavius (geb. 1537 zu Bamberg, gest. 1612), Jesuit, lebte gröfs-
tenteils in Rom, wo er als Lehrer der Mathematik fungierte. Er gehörte
der von Gregor XIII. berufenen Kommission zur Beratung der Kaleuder-
reform an und galt als der bedeutendste Mathematiker seiner Zeit. Seine
gesammelten Werke: Opera mathematica , 5 Foliobände, erschienen in
Mainz 1612.
61) p. 378. Die hier angeführte, freilich recht rohe und unzuverlässige
Methode, die höchstens zum Beweise dienen kann, wie sehr die scheinbare
Gröfse der Sterne bisher überschätzt wurde, setzt Galilei mit etwas grö-
fserer Ausführlichkeit auch in seinen Operazioni asironomiche auseinander
(Op. V, 378 ff.). Er ersann noch ein anderes Verfahren, von welchem wir
durch ein Tagebuch Niccolö Arrighettis wissen (Op. V, 387 ff.).
62) p. 378. Die Stelle ist etwas unklar, es ist fraglich, ob die Über-
setzung genau den richtigen Sinn getroffen hat. Der italienische Text
lautet: tisando perb Ja soUta cautela, che si osserva nel prenderc angoli cos)
acuti, di non formare il Concor so de' rag(ji visuali nel centro delV occlno,
dove non vanno se non refratti, ma oltre all' occMo, dove reahncnte la gran-
dczza della pupüla gli manda a concorrcre. Klarer ist die Auseinander-
setzung in den Operazioni asironomiche. Die Brechung der Lichtstrahlen
im Auge hat mit der Sache nichts zu thun, auch wird darauf nachher
nicht zurückgekommen. Da die Pupille kein Punkt ist, daher auch noch
Licht von dem Sterne empfangen kann, wenn sie sieh innerhalb desjenigen
Winkelraums befindet, der von den gemeinsamen Tangenten des Fadens
und des Sternes gebildet wird, so bedarf es allerdings der von Galilei an-
gedeuteten Berücksichtigung der Pupillengröfse. Indessen konmien bei dem
principiell richtigen Versuche noch so viele andere Schwierigkeiten hinzu,
wie die Beugung des Lichtes und vor allem die Bewegung des Sternes,
dafs man sich wundern mufs, wie Galilei immerhin mit solcher Bestimmt-
heit ein für die damalige Zeit überraschendes Resultat aussprechen konnte.
— Jedenfalls hätte Galilei noch hinzufügen müssen, dafs der Durchmesser
560 Anmerkungen zum dritten Tag.
der Schnur gröfser als der der Pupille sein mufs, widrigenfalls ein Ver-
decken des Sternes durch den Faden überhaupt nicht stattfinden kann.
63) p. 379. In allen Ausgaben steht statt pag. oder fac. 167 das
falsche cap. 167. Die Stelle, welche hier citiert wird, ist übersetzt in der
Note zu p. 140.
64) p. 381. Wenn allgemein f der Durchmesser der Schnur, p der
der Pupille ist, d der Abstand von Schnur und Pupille und x die Ent-
fernung des Strahlenschnittpunktes vom Auge, so ist x : {x -\- (t) = p : f^
d . . . . f
also X = ^ . Bei dem im Text gewählten Beispiele ist — = 4 ,
P
cZ = 30, also ir-=10, mithin der Strahlenschuittpunkt vom Auge 10 Ellen,
vom Faden 40 Ellen entfei'nt.
65) p. 382. Ratio evcrsa, arithmetischer terminus technicus, der an-
gewendet wird, wenn nicht, wie gewöhnlich, nach dem vierten, sondern
nach dem dritten Gliede einer Proportion gefragt wird, nicht zu verwech-
seln mit unserm „indirekten Verhältnis".
66) p. 382. Die zu diesem Zweck zu benutzenden Daten sind: Jupiter-
entfernung = .5 Sonnenfernen, ^farsentfernung = 1^ Sonnenfernen ; Jupiter-
umlaufszeit 12 Jahre, Marsumlaufszeit 2 Jahre.
67) p. 382. Kopernikus entwickelt seine Theorie der Präcession in
den ersten Kapiteln des dritten Buches seiner Bevolnüones^ er schätzt die
Periode der Präcessionsbewegung auf 25 816 ägyptische Jahre (cap. 6).
68) p. 387. Der lateinische Originaltest lautet {Disci. math. p. 28):
Unde interrogare luhcret 1. Cid hono tantae machmae; an produdae ob tan-
iillum terrae pimctidum? Cur igitur 2. Tarn remotae, td tantiüae appareani,
et nihil fcrme in terram possint? 3. Ad quid insana illa inter ipsas atque
Saturnum vorago? frustra scilicet sunt omnia, quibus ratio probahiUs milla
patrocinatur.
69) p. 388. Hier liegt eine naive, philosophisch unberechtigte An-
schauung zu Grunde. Wenn wir sagen, ein Objekt scheine uns klein, so
ist entweder die Rede von dem wissenschaftlichen terminus der „schein-
baren Gröfse", einer gewissen Winkelgröfse also, die nicht von dem In-
strumente abhängt, womit das Objekt betrachtet wird; oder man denkt
an das bald mehr, bald weniger richtige Urteil über die wahre Gröfse,
welches bewufst oder unbewufst auf Grund der „scheinbaren Gröfse"
und der geschätzten Entfernung zustande kommt. Das vergröfserte Sehen
mit dem Fernrohr, auf welches G. anspielt, beruht darauf, dafs das be-
waffnete Auge nicht den Körper selbst, sondern ein näher gelegenes Bild
desselben betrachtet. Um mit dem Fernrohr erst den linken, dann den
rechten Rand eines Objektes zu fixieren, hat man es um denselben Winkel
zu drehen, wie das unbewafi"nete Auge. Hätten wir angeborene Fernrohre
vor den Augen, so würden mithin die Dinge dieselbe scheinbare Gröfse
besitzen wie jetzt. Der Fehler des Auges, den Galilei eigentlich hervor-
heben möchte, ist wohl nicht der, dafs uns entfernte Dinge so klein er-
scheinen, sondern dafs die Dinge, die uns so klein erscheinen, keine Details
mehr zeigen, undeutlich sind. Bei strengem Sprachgebrauch ist es auch un-
zulässig zu sagen: der Körper scheint uns (oder der Erde) so grofs, wie er
ist; darin liegt ein Vergleich zwischen Unvergleichbarem, wie wenn man
Anmerkuiigen zum dritten Tag. 561
sagte: der Körper wiegt so viel, als er gi'ofs ist. Es könnte höchstens jene
Ausdrucksweise besagen wollen, das Urteil, das wir uns über die wahre
Grüfse bilden, sei zutreffend. Dann' aber ist das Klein-Erscheinen der Sterne
nicht in erster Linie auf einen Fehler des Auges, sondern auf den Fehler
unserer Urteilskraft oder auf den Mangel an Erfahrung zurückzuführen. —
Ausführlich, wenn auch wenig überzeugend, spricht sich Galilei über schein-
bare Gröfse aus im Saggiatore (Op. IV, 218 f.).
70) p. 389. Ad homincm „gegen den Mann", ein terminus der Dia-
lektik; man versteht darunter einen Beweis, der sich nicht auf bewiesenen
oder allgemein anerkannten Prämissen aufbaut, sondern auf den vom Gegner
für richtig gehalteneu; ein solcher Beweis hat daher zwar keinen wissen-
schaftlichen Wert, kann aber zur Überzeugung des einen Gegners dienen.
71) p. 390. Gemeint ist Ingoli, Rechtsanwalt in Ravenna, der IG IG
an Galilei einen Brief gerichtet hatte, worin er die kopernikanische Lehre
bekämpfte. Galilei erwiderte mit einem, bei seinen Lebzeiten nicht ge-
druckten, Schi-eiben (Op. II, 64 — H-'^), worin er in ähnlicher Weise wie
im Dialog für Kopernikus argumentiert, u. a. auch die vermeintliche Not-
wendigkeit einer Yeränderung der Polhöhe widerlegt (ib. p. 105 f.). Ga-
lilei thut übrigens hier und in dem Briefe an Ingoli wahrscheinlich Tycho
Unrecht; die Stelle der Progymnasmata (p. 684), welche sich mit einer
Beobachtung Christoph Rothmanns beschäftigt, ist nicht ganz klar; sie
bedeutet vielleicht nur, dafs die gewöhnliche Methode der Polhöhenbestim-
mung infolge der jährlichen Erdbewegung zu einem anderen Resultate im
Winter als im Sommer führen müfste, dafs also diese ^Methode wegen der
Fixsternparallaxe dann nicht ohne weiteres zuverlässig sei. Wenn man
mithin dennoch nach dieser üblichen Methode die Polhöhe ermittelt und
zu verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Ergebnisse findet, so würde das
allerdings die Erdbewegung erweisen.
72) p. 394. Zu Galileis grofsen Verdiensten gehört die Hervorhebung
aller mathematischen Grenzübergänge. Bei ihm, wie bei Buouaventura
Cavalieri, der unter seinem Einflüsse stand, finden sich demgemäfs auch
die ersten Ansätze zur Infinitesimalrechnung. Der hier ausgesprochene Ge-
danke findet nähere Ausführung in den Discorsl (Op. XIII, 42 fl'.).
73j p. 395. Aufgangs Azimuthe: so habe ich das italienische Ja-
ütudini otiive wiedergegeben. Laiiindo ortiva (und entsprechend latifxdo
occidua) bedeutet eigentlich den Bogen des Horizontes zwischen dem Auf-
gangspunkt (Untergangspunkt) eines Gestirnes und dem Schnittpunkt von
Horizont und Äquator, also das, was speciell bei der Sonne gegenwärtig
Morgen- und Abendweite genannt zu werden pflegt, während die Azimuthe
von dem Schnittpunkte des Meridians mit dem Horizonte gezählt Averden.
Bedeutet J.'das Aufgangsazimuth , 8 die Deklination des Sternes, cp die
Polhöhe, so ist cos A =
' cos 9
74) p. 396. Auf dieses „Hauptbedenken" gegen das kopernikanische
System ist schon von vornherein die Aufmerksamkeit gelenkt (vgl.
p. 144 f.). Seine Beseitigung, soweit es sich auf die Fixsterne bezieht,
wird sofort in Angrifl" genommen; soweit es die Sonne betrifft, folgt seine
Erledigung p. 407 ff. Dafs die Sache dunkel oder auch nur schwierig sei,
sagt Kopernikus eigentlich nicht, er schickt nur seinen beiden Auseinander-
Gai.ii.ei, Weltsysteme. 36
562 Anmerkungen zum dritten Tag.
Setzungen (De revol. lib. I, cap. XI) die Bemerkung voraus, dafs diese
Dinge mehr anschaulich gemacht als beschrieben werden _ müssen {ßiiae
ociilis sublici quam clici desideranf).
75) p. 399. Trotz der gegenteiligen Versicherungen Galileis findet an
den Sternen der Ekliptik infolge der Erdbewegung allerdings eine schein-
bare Verschiebung in Länge statt, welche, auch bei Annahme einer Ver-
teilung der Fixsterne über eine einzige Kugeloberfläche — abgesehen von
ihrer Geringfügigkeit — konstatierbar ist. Zwei benachbarte Fixsterne der
Ekliptik müssen nämlich zu der Zeit, wo die Erde ihnen näher steht, eine
gröfsere scheinbare Entfernung besitzen als zur Zeit, wo die Erde von
ihnen weiter entfernt ist, mit anderen Worten: die Fixsterne der Ekliptik
scheinen weiter von einander entfernt, wenn sie (annähernd) in Konjunk-
tion, als wenn sie in Opposition zur Sonne sich befinden. Die durchschnitt-
liche Längenverschiebung der Ekliptiksterne würde sich allerdings, wie
Galilei ausführt, der Wahrnehmung entziehen, die Abweichung von dieser
mittleren Bewegung aber bemerkbar werden, so dafs auch hier von Recht-
und Rückläufigkeit gesprochen werden könnte.
76) p. 400. Diese Prophezeiung hat sich ganz in der von Galilei an-
gegebenen Weise erfüllt; Bessel hat die erste Fixsternparallaxe durch Ver-
gleich eines vermutlich näheren mit einem vermutlich ferneren Fixsterne
aufgefunden.
77) p. 400. Unter Koluren werden die beiden durch die Himmeispole
und die Äquinoktien, resp. die Solstitien laufenden gröfsten Kreise ver-
standen. Der Solstitialkolur steht zur Ekliptik senkrecht, nicht aber der
Aquinoktialkolur, beide sind zugleich ,. Meridiane", wie Galilei angiebt,
wenn dieses Wort im Sinne von „Stundenkreis" genommen wird, d. h.
einen beliebigen durch die Himmelspole laufenden gröfsten Kreis bedeutet
(vgl. zu p. 366). — Wenn im folgenden von „Höhe" die Rede ist, so
bezieht sich dieser Ausdruck (elevasione) auf die scheinbare Entfernung
von der Ekliptik, würde also nach strengem Sprachgebrauch durch „Breite"
zu ersetzen sein.
78) p. 405. Über die Armillarsphären vgl. zu p. 364.
79) p. 405. Aufser den Beschreibungen, die Tycho von seinen Instru-
menten in anderen Werken giebt, hat er eine besondere Schrift über diesen
Gegenstand verfafst: Astronomiac instauratae Mechanka (Wandesburgi 1598);
Galilei besafs davon (Fav. La JAhrcriu p. 41) die spätere in Nürnberg er-
schienene Ausgabe vom Jahre 1602. Allbekannt ist Tychos grofsartiges,
in den Epistolac astronomicac beschriebenes Observatorium Uranienburg auf
der im Sunde gelegenen Insel Hwen oder Hveen.
80) p. 405. In Wahrheit war der Ort, von dem aus Galilei (nicht
Salviati) den Eintritt des Solstitiums beobachtete, die Villa Bellosguardo
bei Florenz, die Eigentum eines gewissen Lorenzo Segni war; Galilei be-
wohnte sie vom 15. August 1617 bis zum Jahre 1631. über seine Be-
obachtungen berichtet er an Cesare Marsili am 5. April 1631 (Op. VI,
379); sie bezweckten namentlich, eine etwaige Veränderung der Ekliptik-
schiefe festzustellen. Von dort aus ist die zum karrarischen Bergland ge-
hörige Felsengrui^pe Pietrapana mittels des Fernrohrs sichtbar.
81) p. 410. Im Original und in sämtlichen Ausgaben steht irrig sojira
il diametro statt sopra il po'jJendicoJo del diametro.
Anmerknngen zum dritten Tag. 563
82) p. 411. Die zu Galileis Zeit übliche Terminologie sprach nicht
nur von Polen gröfster, sondern auch von Polen beliebiger Kugelkreise,
worunter ihre (beiden) sphärischen Mittelpunkte verstanden wurden.
83) p. 417. Über die dritte sogenannte Deklinationsbewegung der
Erde, die von Kopernikus gelehrt wurde, vgl. zu p. 371.
84) p. 417. Der hier angeführte Versuch wird auch im Saggiaiore
besprochen, wo wir erfahren, dafs Galilei ihn des öfteren, auch in Gegen-
wart von Virginio Cesarini, an welchen der Saggiatore gerichtet ist, an-
gestellt hat (Op. IV, 304).
85) p. 418. William Gilbert aus Colchester, Leibarzt der Königin
Elisabeth, hatte sein berühmtes Werk über den Magneten im Jahre 1600
veröffentlicht (der vollständige Titel des Buches lautet: GiiiJielmi Gilberti
Colcestrensis, Medici Londinensis, J)e Magnete, Magneticisque Corporihus, Et
De Magno magnete tellure; Physiologia nova, plurimis argumentis, et experi-
mentis demonstrata. Londini JExcudel)af Petrus Short Anno MBC). Schon
1602 finden wir Galilei mit eifrigen Studien über den Magnetismus be-
schäftigt und gemeinsam mit Fra Paolo Sarpi (vgl. Favaro, Gal. Galilei
e lo studio di Padova II, 214) die Lektüre des gilbertschen Buches be-
treibend. Später entwickelte sich ein lebhafter Briefwechsel zwischen ihm
und dem Sekretär des Grofsherzogs Cosimo IL, in welchem Galilei den
Ankauf eines Magneten, den Sagredo besafs, seitens des Grofsherzogs be-
fürwortete und vermittelte. Es ist das derselbe, welcher im Dialog später-
hin (p. 424. 427) mehrfach erwähnt wird. Bei dieser Gelegenheit wurden
auch manche interessante theoretische Fragen zur Sprache gebracht, wie
die Veränderung der Intensität bei der Übersendung des Magneten von
Padua nach Florenz (Op. VI, 52), eine Frage, die übrigens schon Gilbert
berührt hatte (Gilbert, De Magnete lib. II, cap. XXXIV, p. 105 ss.), und
die auch im Dialog näher erörtert wird (p. 423). Was Galilei zu den Er-
gebnissen Gilberts hinzufügt, ist nicht gerade viel; er erklärt die verstär-
kende Wirkung der Armierung und macht auf Irrtümer Gilberts aufmerk-
sam. Einige der zu ersterem Zweck erfundenen Versuche rühren indessen
schon von Gilbert her, wie die Einschiebung eines Blattes Papier zwischen
Armierung und Anker; dafs er die Vermutung Gilberts betreffs der Eigen-
rotation einer magnetischen Kugel in Analogie zur Achsendrehung der
Erde leugnet, ist zwar verdienstlich, aber doch nur ein negatives Ergebnis
Den Irrtum, dafs die Erde in dem Sinne, wie Gilbert es meint, ein Magnet
sei, d. h. aus Magneteisen bestehe, adoptiert Galilei und sieht darin fälsch-
lich wie dieser eine Erklärung der unveränderten Erdachsenrichtung.
86) p. 420. Die nicht magnetische Natur des Wassers hebt auch
Gilbert hervor, der in ihr zugleich den Erklärungsgrund für die Deklina-
tion [variatio) der Magnetnadel sieht (lib. IV). Merkwürdigerweise spricht
Galilei von der Deklination gar nicht.
87) p. 421. Vgl. zu- p. 89.
88) p. 422. Galilei spricht von der Inklination, die 1544 von dem
Nürnberger Georg Hartmann entdeckt, von dem Engländer Robert
Norman zuerst (1576) gemessen, von Gilbert im fünften Buche seines
Werkes ausführlich untersucht wird. Gilbert nennt sie drelinafio, während
die Deklination, wie oben angegeben, bei ihm variatio heifst. Galilei meint
fälschlich, Gilbert sei der Entdecker der Inklination (p. 430\ wiewohl
36*
5(34 Anuicrkuiij^cii /.um diiUcii TiiR-.
dieser solhsl, Nonii;i,ii als solclicii iifiiiit, (Oilbori, De Mii<iii(ir lib. 1, cai). 1,
1.. 7 f.).
89) p. 422. (lilbei-t stellte die meisten seiuer Versuche mit kugel-
röiiiiigou Maii;iiotiui an, die er als ,, kleine Erde" (jutx^oyi/, terreUa) be-
züicbnot.
90) p. 424. Oilbort büschroibi die Art und Weise, wi(^ er natürliche
Magneto armiert, im 17. Kapitel des 2. Buches (p. 86—87). Er stülpt
über die boüdeii Pole je eine eiserne Kappe (cassis fcrrea); an einer der
selben sind Haken, an der anderen Ösen befestigt, die in einander greifen
und dadurch die Kappen gegen den Stein pressen. Die verstärkende Wir-
kung der Armierung erklärt Gilbert bei dieser Oeiegenheit, wie es scheint,
ganz ähnlich wie (Jalilei, wenn auch in etwas diuikeler Ausdrucksweise.
91) p. 424. Es scheint die Stelle bei (lilbert lib. II, cap. 17, p. HG
gemeint zu sein, wo es heifst, dafs ein Magnet, der ohne Armatur 4 Unzen
tra,goii k()nne, durch die Armatur eine Tragfähigkeit von 12 ITnzeu erlange.
(Vgl. auch den Brief an Cesare Marsili vom 27. Juni l(i2(; Op. VI, 314 f.)
(Jalilei citiert nicht selten nachlässig.
92) p. 424. Vom Magnoten wurden zahllose fabelhafte Dinge seit
dem Altertum erzählt. In erster Linie scheint aber unter den lügenhaften
vVutoren Johannes Baptista Porta verstanden zu werden, der in den früheren
Auilagen seiner Magia iiatundis (z. B. Antverpiae 1561) fast nur Unsin-
niges über den Magneten zu berichten weifs, wie m;in die Keuschheit einer
Erau mit seiner Hilfe fesstellen kann u. dgl. m. Späterhin hat er indessen
neben zahlreichen Irrtümern auch manches Wahre behauptet. Über sein
Projekt eines Eernsprechapparats auf Grund magnetischer Eigenschaften
vgl. zu p. 100.
93) p. 429. Über die verschiedenen Erklärungsversuche der nnigne-
tischon Erscheinungen lese man bei Gilbort das 2. Kapitel des 3. Buches
(p. GOss.). Durch besondere Originalität zeichnet sich die Tlieorie Portas
au,s; er erklärt den Magneten für ein Gemisch von Stein und Eisen, die
in ewigem Kriege liegen-, da der Stein das Übergewicht hat, so ruft das
Eisen stanunverwandte lülfstruppen herbei, daher die Anziehung des
Eisens. — Die Erklärung durch Sympathie thut Gilbert ganz kurz ab:
Alii si/mpalliiam mootcnuii causam. Scd compassio licet esset, tum tarnen
compassio causa est. Non enini efßcicns causa passio ulla recte dici potest
(p. 63 f.).
94) p. 430. Hufs die Entdeckung der Inklination talschlich von Galilei
(lilbert zugeschrieben wird, ist oben bereits bemerkt worden (zu p. 422).
95) p. 430. Gilbert hatte zur Erklärung der Erdrotation angenonunen,
dafs eine schwebende Magnetkugel in Drehung geraten könne (Gilbert, De
Maeinete lib. VI, cap. IV); diese irrige Ansicht fand bei den Physikern der
Folgezeit vielen Anklang, Galilei widersjiricht ihr mit Recht (p. 432 f.).
96) p. 431. Die Ollapotrida oder Oliopatrida, wi'irtlich „fauliger
Topf" {= pot pourri), bekaiuites, ursprünglich spanisches Nationalgericht,
das aus Schweine- und Hanunellleisch, Brot, Knoblaiich, Zwiebeln, CJurken,
Safran u. s. w. bereitet wird.
97) p. 433. Die sphärische Astronomie, gewöhnlich schlechtweg „Sphäre"
genannt, wurdo meist im Anschlufs an das Buch Sacroboscos vorgetragen.
(Joannes de Sacrobosco, aus England stanmiend, starb als Professor
Arimf;rkunf(firi zum viertx-n Tii^^, 5G5
der Mathematik zu Paris um 125f;.) Die von Galilei gemeinte Stelle
befindet sich im ersten Kajüte I der Spkmra muncli und lautet: //cm cum
arjua HÜ co>jjus liomogenettm , toi/um cum 2'Ojrtihus eimdcm crü rafdonis: Hcd
jjartes aquac (sicut in rjuttulis et rorihm herbarum accidUj robmdam natura-
Ufer appctunt formam. F/rgo d totum, cuiuH sunt partes. ^)\HWi Begründung
der Kugelgestalt, welche, cum (jrano satis verstanden, gar nicht so unrichtig
ist, wurde aufser von Galilei auch von anderen, wie /.. B. von Glavius
(Commcnfarms in Sphacram 3. AuH. p, 1 1 5) als nicht stichhaltig betrachtet.
Vierter Tag.
\) p. 435. Das vierte Buch des Dialogs ist eine l^'inarheitung und
Erweiterung des am 8. Januar 1616 an den Kardinal Orsino tlbersendct<m
Discwso sopra ü flmso c rcftusso dct marc (Op. 11, 387 — 406); ja der ganze
Dialog über die Weltsysteme ist, in seiner jetzigen Gestalt wenigst/ens.
daraus hervorgegangen. In dem Discorso wird jedoch nur die Erklärung
der täglichen Periode der Gezeiten gegeben, sei es, dafs Galilei 1616
in seinen Forschungen noch nicht weiter vorgedrungen war, sei es, dafs
er dem Kardinal Orsino gegenüber sich eine Beschränkung auf das Aller-
hauptsächlichste auferlegen zu sollen glaubte. — Die von Galilei ge-
gebene Erklärung der Gezeiten stützt sich auf die durch die Doppel-
bewegung der Erde bewirkte Ungleichförmigkeit, mit welcher sidi ein
Punkt der P^rdoberfläche bewegt. Dieser Erklärungsversuch, der in seinen
Grundzügen schon in den ersten Jahren von Galileis paduanischer Professur
gf-geben worden ist (s. Einl. p. XVII), ist im wesentlichen verfehlt und
fand wohl auch nur in Galileis nächstem ^Veunde.skreise nennenswerten
Beifall. Vor allem lassen sich die thatsächlichen Erscheinungen nicht in
volle Übereinstimmung mit seiner Ansicht bringen; diese Erfahrungsthat-
sachcn waren Galilei eben nur unvollkommen bekannt, sonst würde er
zweifellos selbst zur Erkenntnis von der TJnhaltbarkeit seiner Theorie durch-
gedrungen sein. Insbesondere war er der Meinung, die Periode der Ge-
zeiten hänge auch von Gestalt und Tiefe der Meere ab und sei nur zufällig
im mittelländischen Meere eine etwa sechsstündige (p. 453). In Wahrheit
ist — abgesehen von engbegrenzten Lokalitäten — die Dauer der Periode
allenthalben dieselbe: innerhalb eines Zeitraumes von etwa 24 Stunden
50 .Minuten treten zwei Maxima und zwei Minima des Wasserstandes auf.
fJalilei spricht durchweg von einer täglichen Periode, berücksichtigt aber
nirgends die so auffällige und längst vor ihm bekannte tägliche Verspätung
der Gezeiten um jenen Betrag von etwa 50 Minuten. Da nun diese täg-
liche Verspätung identisch mit der täglichen Verspätung der Mondkulmi-
nat.ion ist, und da aufserdem bei Voll- und Neumond die Höhe der Gezeiten
ein Maximum erreicht, so hat man von Alters her und zwar mit Recht
die Gezeiten mit dem Monde in Zusammenhang gebracht, obgleich da«
Wesen der Sache erst von Newton erkannt wurde, nachdem Kepler bereit«
sehr richtige Andeutungen daiüber gegeben hatte. <JaliIei verwirft die
.Vnsicht von einem direkten Einflufs des Mondes auf irdische Bewegung»-
566 Anmerkungen zum vierten Tag.
Verhältnisse und betrachtet sie fast als abergläubisch. Damit steht nicht
im Widerspruch, wenn er, um die halbmonatliche Gezeitenperiode zu er-
klären, einen indirekten scheinbaren Einflufs des Mondes zuläfst, Vielehen
er in sehr geistreicher Weise von seinem Standpunkte aus zu motivieren
sucht (vgl. zu p. 473); sein Erklärungsversuch würde freilich statt der
wirklich stattfindenden halbmonatlichen Periode eine monatliche zur Voraus-
setzung haben. — Die jährliche Periode, von der Galilei spricht, ist, wenn
überhaupt zu konstatieren, von ganz nebensächlicher Bedeutung und mufs
als eine von Wind und Wetter abhängige Erscheinung avifgefafst werden.
Überdies würde aus dem, was Galilei darüber sagt, folgen, dafs die Ge-
zeiten um die Äquinoktien schwächer, um die Solstitien stärker auftreten;
davon findet aber eher das Gegenteil statt.
So leicht es danach ist, die Theorie Galileis an der Hand der That-
sachen zu widerlegen, so schwer dürfte es sein, einen Fehler in den Schlüssen
nachzuweisen, die er aus der doppelten Erdbewegung zieht. Auch ist dies
trotz des allgemeinen Verdammungsurteils, das über seine Theorie gefällt
wird, in eingehender Weise niemals geschehen. Ich halte es für sehr wohl
möglich, dafs die von Galilei aufgestellte Theorie in der Hauptsache nicht
unrichtig ist, dafs aber die Erscheinungen, die ihr zufolge eintreten müfsten,
zu geringfügig sind, um neben der Mondflut bemerkt zu werden. Da das
Phänomen der Gezeiten noch keineswegs vollständig in seinen höchst kompli-
zierten Details erforscht ist, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
dafs die galileische Ansicht zur Aufklärung sekundärer Fluterscheinungen
mit herangezogen werden kann. Um die quantitativen Verhältnisse würdigen
zu können, welche auf Grund dieser Anschauungsweise eintreten würden,
bedürfte es vor allem einer mathematischen Behandlung der Sache, die
freilich grofse Schwierigkeiten bietet. — Nur wenig verschieden von dem
galileischen Gedanken würde die Vorstellung sein, dafs die Verminderung
der Schwere duri h die Centrifugalkraft, wie sie bekanntlich thatsächlich
stattfindet, gröfser ist auf der der Sonne abgewendeten Seite der Ex'de,
geringer hingegen auf der der Sonne zugekehrten, weil noch die Centrifugal-
kraft in Rechnung zu ziehen ist, welche durch die jährliche Bewegung der
Erde verursacht wird.
2) p. 436. Während im gröfsten Teile des mittelländischen Meeres
die Flut sehr unbedeutend ist, steigt sie nach Galilei in Venedig auf
„5 — 6 Fufs" (vgl. p. 453), d. h. da wahrscheinlich bei G. 1^ Fufs = 1 Elle
zu setzen ist, auf 3 — 4 Ellen oder 1-^ — 2 Meter, was freilich mit den
Thatsachen schlecht übereinstimmt; ihr wahrer Betrag ist vielmehr kaum
1 Meter. Galilei interessierte sich auch nach Veröfi"entlichung des Dialogs
lebhaft für die Flutphänomene in Venedig, er bittet z. B. seinen Freund
Fulgenzio Micanzio um Auskunft über mancherlei Einzelheiten in einem
Briefe vom 30. Januar 1637 (Op. VH, 145). — Auf die Reise Sagredos
nach Aleppo (1608 — 1611) in seiner Eigenschaft als venetianischer Konsul
wird im Dialog wiederholt angespielt. (Vgl. p. 180. 265. 461.)
3) p. 439. Der geistliche Würdenträger, der, wie man aus dem Texte
ersieht, eine gar nicht übele Erklärung von Ebbe und Flut gab, ist der
durch seine Lebensschicksale berühmte Erzbischof von Spalatro, Marc' An-
tonio de Dominis; seine auf diesen Gegenstand bezügliche Schrift führt
den Titel Eurqms sive sentenüa de ßuxu et refluxu maris (Romae 1624).
Anmerkungen zum vierten Tag. 567
Seine Erklärung ist im wesentlichen identisch mit der von Stevinus ge-
gebenen; namentlich wird bei beiden auch dem dem Monde diametral
gegenüberliegenden Punkt anziehende (bei Stevinus auch eventuell ab-
stoisende) Kraft auf das Wasser zuerkannt {Lcs Oeuvra Mdfhcmafiqucs De
Simon Sfevin de Brugcs. Leyden 1634. T. II, 177—183). — Die Meinung,
wonach Ebbe und Flut der Mondwärme ihr Dasein verdankten, wurde,
wie aus der Postille hervorgeht, hauptsächlich von Girolamo Borro ver-
treten. Er war zur Zeit, wo Galilei studierte, Professor der Medizin und
Philosophie zu Pisa, wo er sich durch seine atheistischen Lehren (^„supra
octaoam sphaerain nihil est") die Verfolgung der Inquisition zuzog. Schon
in einer der frühesten Schriften Galileis, in den Scrmones de motu gravhmi,
wird seiner Erwähnung gethan. Wie Herr Favaro mir mitteilte, legte
Borro seine Ansicht über die Gezeiten nieder in der Schrift: Del flnsso
et rcfliisso del mare et dcW inmidatione del Nilo (Fiorenza appresso Giorgio
Marescotio). Vgl. insbesondere p. 122 — 144 daselbst.
4) p. 440. Vgl. Pseudo-Arist. Quaest. mech. cap. I, 847, a, 11. &av-
/.(d'^srca t&v ^lev Kara (pvöLV Gvfißatvovzoav, o'öcov ayvoeirai xo aixiov. — Die
Zurückführung von Ebbe und Flut auf ein Wunder war vom Papst Urban VIII.
l)ei seinen Gesprächen mit Galilei als die wahre Erklärung angesehen worden;
ilarum geht Galilei nicht ohne weiteres über diesen Verzicht auf eine Er-
klärung zur Tagesordnung über, wie es in ähnlichen Fällen selbst die
frommsten und orthodoxesten Autoren zu thun pflegten. Freilich mochte
Urban eine viel weiter gehende Berücksichtigung seiner Winke erwartet
haben; Stellen wie diese und wie die am Schlüsse des Dialogs befriedigten
seine Eitelkeit ganz ixnd gar nicht. Und doch hatte Galilei sein Möglichstes
gethan, um einer so wenig diskutabeln Ansicht einigermafsen gerecht zu
werden. Die Ironie, die ein moderner Leser vielleicht in diesen Stellen
vermuten möchte, ist sicher nicht beabsichtigt. So ernsthaft man freilich
über Dinge, an die man nicht glaubt, mag reden wollen, es wird eine
Satire daraus.
5) p. 442. Aus dem Vergleich dieser Stelle mit p. 453 ergiebt sich,
riafs 10 Spannen {pahni) etwa gleich 5 Fufs (pied'i)^ oder 1 Fufs gleich
2 Spannen sein mufs. Dies steht allerdings in Widei-spruch mit anderen
Angaben aus jener Zeit; so heifst es in der Ül)ersicht der Längenmafse
bei Clavius (In Sphaeram loannis de Sacro Bosco commentariiis. 3. Aufl.
Rom 1585. p. 209): Pes continet palmos 4 vel digitos 16. Doch sind die
Mafse dort überhaupt nicht identisch mit den bei Galilei vorkommenden.
Es scheint vielmehr der pes bei Clavius zwar mit dem pie bei Galilei an-
nähernd übereinzustimmen, nicht aber der jjalmus bei jenem und der pulmo
bei diesem.
6) p. 442. Unter Lido (oder Lio) im weiteren Sinne wird die lange
schmale Dünenkette (die Nehrung) verstanden, welche die venetianischen
Lagunen (das Hafl:') vom adriatischen Meere trennt. Vier Einfahrten führen
aus dem offenen INIeere in die Lagunen; die beiden wichtigsten sind der
Porto di Lido (im engeren Sinne) und der Porto di Malamocco.
7) p. 442. Ebbe und Flut wurden als ein Atmen der Erde aufgefal'st
von Apollonius v Tyana, dem bekannten neupythagoreischen Philosophen,
der zur Zeit Neros lebte.
568 Anmerkungen zum vierten Tag.
8) p. 444. Fusina liegt südwestlich von Venedig in der sogenannten
Laguna morta, wo der Canale di Brenta in die Laguna viva ausmündet.
Das Wasser der Brenta wird auch jetzt noch in einer Wasserleitung der
Stadt Venedig als Trinkwasser zugeführt. — Lisza bedeutet eigentlich
Schlagbaum.
9) p. 448. Galilei untersucht hier die Abhängigkeit der Schwingungs-
dauer einer sogenannten stehenden oder stationären Welle von der Länge
und Tiefe des Gefäfses. Die Formel, welche diese Abhängigkeit für den
Fall ausspricht, dafs die Länge gegenüber der Tiefe sehr beträchtlich ist,
lautet t = -7=, wo f die Schwingungsdauer, l die Länge, h die Höhe des
Gefäfses, g die Beschleunigungskonstante der Schwere bedeutet. — Die
Anwendung der Lehre von den stehenden Wellen auf die Niveanverände-
rungen gröfserer Wasserbecken ist sehr bemerkenswert. In neuerer Zeit
ist man wieder auf denselben PJrklärungsversuch zurückgekommen: so fafst
Forel die „scicfies" der Schweizerseen, insbesondere des Genfer Sees, gleich-
falls als stehende Wellen auf.
10) p. 449. Obgleich hier die künstliche Nachahmung dieses ümstandes
als unmöglich bezeichnet wird, behauptet Galilei weiter unten (p. 451)
im Widerspruch damit, einen Apparat erfunden zu haben, der dies leistet.
In dem Discorso sopra il flusso e reflusso del Mare (Op. II, 395) drückte
er sich korrekter aus, indem er nur die Schwierigkeit, nicht aber die Un-
möglichkeit eines solchen Apparates betont. Vgl. die folgende Anm.
11) p. 451. Es bleibt zweifelhaft, ob Galilei einen solchen Apparat
wirklich ausgeführt hat oder nur an einen gezeichneten Entwurf denkt;
von Versuchen, die er damit angestellt hätte, ist nichts bekannt. In dem
JMscorso sopra il flusso e reflusso del Mure (Op. II, 397) sagt er mit den-
selben Worten wie hier: io ho Ja costrusione di una maccliina und verspricht
nähere Angaben künftig zu machen (e a suo tempo la dicJtiarero).
12) p. 453. Selbstverständlich ist diese Erzählung von dem Selbst-
morde des Aristoteles nur eine Fabel, die von Galilei selbst als solche
betrachtet wird (vgl. p. 467); sie beruht auf dem Berichte des Elias Cre-
tensis (p. 507, D Col.). — Die hier erwähnten Strömungen in der Meer-
enge des Euripus, welche Euböa von dem griechischen Festlande trennt,
sind übrigens in der That höchst eigentümlich, und ihre Erklärung macht
auch heute noch Schwierigkeiten. Während sich nämlich den gröfsten Teil
des Monats die gewöhnlichen Fluterscheinungen dort abspielen, findet vom
9. bis 13. und vom 21. bis 26. jedes Monats, also um die Zeit der Qua-
draturen, 12 — 14 mal des Tags ein Wechsel von Ebbe und Flut statt.
Forel fafst auch diese Erscheinungen als eine Wirkung der „seiches" im
Golfe von Talanti auf (vgl. oben zu p. 448).
13) p. 454. Die geographischen Anschauungen Galileis sind hier nicht
korrekt. San Lorenzo ist Madagaskar; inwiefern nun durch den Kanal von
Mozambique die Gewässer des indischen und des „äthiopischen" Meeres mit
einander zusammenhängen sollen, ist umsoweniger verständlich, als dieses
nämliche äthiopische Meer durch die Magelhaensstrafse mit der Südsee
{Oceano del Sud) in Verbindung stehen soll. Es scheint, dafs sich Galilei
die Lage Madagaskars südlich von Afrika gedacht hat und unter dem
äthiopischen Meeie den südlichen Teil des atlantischen Oceans versteht.
Anmerkungen zum vierten Tag. 569
14) p. 459. Es sind die Passatwinde, von denen Galilei spricht. Die
von ihm gegebene Erklärung ist ziemlich ähnlich der heutzutage als richtig
betrachteten. Gegenwärtig nimmt man an, dafs eine kalte Luftströmung
von den Polen nach dem Äquator hin stattfindet, dafs in geringeren Breiten
die Luft sich nicht sofort der dort herrschenden Rotationsgeschwindigkeit
der Erde anbequemt, sondern bis zu gewissem Grade die geringere Ge-
schwindigkeit der höheren Breiten beibehält und dadurch scheinbar nach
Westen abgelenkt wird. Die letzten Spuren der Passatwinue auf der nörd-
lichen Erdhemisphäre machen sich während des Sommers bis etwa zum
39. Breitengrad fühlbar, so dafs die nachherigen Bemerkungen Sagredos
über das Vorherrschen der Ostwinde auch auf dem mittelländischen Meere
auf einer völlig richtigen Beobachtung beruhen.
15) p. 461. Der bisherige Inhalt des vierien Tages ist im wesent-
lichen schon in dem Biscorso sopra ü flusso e reflusso del marc enthalten,
nur dafs dort blofs die tägliche Periode erwähnt wird; das folgende hin-
gegen ist neu hinzugekommen.
16) p. 462. Diese Ansicht des Aristoteles und seiner Schule ist mehrfach
im Dialog erwähnt woi'den. Vgl. p. 125. 148.
17) p. 462. Die von Simplicio hier ausgesprochene Ansicht ist im
wesentlichen diejenige Bacons (vgl. dessen Abhandlung De fluxu et refhixu
inaris in Works of Francis Bacon. London 1765. Vol. V. p. 90 ff.). Nur
läfst dieser nicht geradezu die elementare Sphäre von der Mondsphäre fort-
reifsen; er hält vielmehr den Trieb der ost-westlichen Bewegung für eine
das ganze Weltall beherrschende Erscheinung, die um so schwächer hervor-
tritt, je mehr man sich dem Mittelpunkte des Weltalls, der Erde, nähert.
Er fügt hinzu, dafs, wenn das Festland der Erde eine grofse Insel wäre,
die Gezeitenperiode halbtägig sein müfste; da es aber im wesentlichen aus
zwei grofsen Kontinenten bestehe, so werde dadurch eine etwa viertel-
tägige Periode bewirkt. — Es ist sehr wahrscheinlich, dafs Galilei hier
ausdrücklich Bacons Ansicht zur Diskussion stellen und bekämpfen wollte;
sie war ihm durch einen Mr. Richard White bekannt geworden, wie aus
einem bei Libri (Hisfoire des sciences mafhcmaüques en Balic IV, 466) ver-
öffentlichten Briefe von Tobie Matthew an Bacon aus dem Jahre 1619
hervorgeht. Daher ist denn auch die vorliegende Stelle in dem aus dem
Jahre 1616 stammenden Biscorso sopra ü flusso e reflusso del marc noch
nicht enthalten; sie scheint vielmehr aus der Umarbeitung einer in jenem
Briefe erwähnten Entgegnung Galileis auf die Baconsche Theorie hervor-
gegangen zu sein.
18) p. 463. Nach orthodox-aristotelischer Lehre waren die vier Ele-
mente in der Reihenfolge Erde, Wasser, Luft und Feuer kugelförmig jedes
um das vorangehende geschichtet. Dies wurde wenigstens als die ideale
Lage betrachtet, wenn man auch thatsächliche Abweichungen in der Lage-
rung, gewissermafsen Störungen des Gleichgewichts, zugab; diese Störungen
hatten dann zur Folge, dafs die am unrichtigen Orte befindlichen Elemente
sich nach dem normalen Orte hinbewegten. Die Richtigkeit der Annahme
einer feurigen Si)häre ist aber schon vor Galilei vielfach geleugnet worden,
so insbesondere von Paracelsus und Cardanus, die überhaupt dem Feuer
die elementare Xatur absprachen.
19) p. 463. „Goldwäger" = Saggiatore. S. Op. IV, 306 ff.
570 Anmerkungen zum vierten Tag.
20) p. 464. Aus der täglichen Erdrotation allein versuchte z. B. Seleucus
aus Seleucea in Babylonien (um 150 v. Chr.) Ebbe und Flut zu erklären.
Vgl. Plut. Plac. phil. III, 17, 5. Ähnliche Ansichten hatten, wie es scheint,
Cerigario und Cesalpino. S. Op. VI, 378. Vgl. auch zu p. 482.
21) p. 465. Galilei weist hier und sonst jede unmittelbare Einwirkung
von Sonne und Mond auf Bewegungsverhältnisse der Erde mit einer ge-
wissen Leidenschaftlichkeit zurück. Er ist eben der Hauptvertreter der
Ansicht, wonach jede unanschauliche Wirkung, jede sogenannte quaUtas
occulta, alle Fernkräfte als absurd und unwissenschaftlich, fast als aber-
gläubisch gelten. „Durch Aristoteles und seine Nachfolger war die Lehre
von den natürlichen Eigenschaften der Körper stark diskreditiert worden;
man hatte endlich eingesehen, dafs es jeden Fortschritt der Wisser schaft
hindere, wenn man jede Erscheinung, die man nicht auf andere zurückzu-
führen vermochte, als eine Folge der natürlichen Eigenschaften der be-
ireffenden Materie, als eine berechtigte Eigentümlichkeit derselben ansah
und damit jede weitere Diskussion aufgab." (Rosenberger, Gesch. der
Physik, 2. Teil, p. 237.) Newton brachte die Fern Wirkungen wieder zu
Ehren und erklärte denn auch mit ihrer Hilfe die Gezeiten. Doch be-
müht man sich neuerdings teilweise mit Erfolg — was Newton selbst
übrigens nicht für unmöglich ausgegeben hatte — die scheinbaren Fern-
wirkungen auf Nahewirkungen zurückzuführen, so dafs der galileische
Standpunkt, wenn auch ganz abweichend von der Weise seines Urhebern,
eine Art von Rehabilitation erfährt.
22) p. 467. Galilei war ein begeistei'ter Verehrer Ariosts; seinen
Rasenden Roland wufste er fast auswendig. Er spielt hier auf die Scene
an, wo Roland aus den sichersten Anzeichen entdeckt, dafs die von ihm
geliebte Angelica ihr Liebesglück bei Medor gesucht und gefunden habe,
sich aber in die Täuschung hineinreden will, dafs er sich geirrt habe {OH.
für. XXIir, 114 — 117),
23) p. 468. Da nach den stark unrichtigen Annahmen, welche Galilei
benutzt, die Sonnenentfernung 1208 Erdhalbmesser beträgt, so mufs er die
1208
jährliche Geschwindigkeit für ——mal, oder für etwa 3 mal gröfser erklären
als die tägliche Geschwindigkeit unter dem Äquator.
24) p. 470. Der im nachstehenden abermals (vgl. p. 245) hervor-
gehobene Isocbronismus der Pendelschwingungen, den Galilei nach dem oft
Aviederholten Berichte Vivianis im Dome von Pisa an einer schwingenden
Lampe entdeckt haben soll, ist bekanntlich nur annähernd, nicht streng
richtig, wie übrigens Galilei selbst in der hier gegebenen Darstellung an-
deutet; die wahre Tautochrone, d. h. die Kurve, auf welcher die Dauer
der Schwingungen eines schweren Körpers unabhängig von deren Amplitude
ist, ist nicht der Kreis, sondern die Cycloide. Ebenso ist es nicht richtig,
dafs das Fallen von einem Punkte A nach einem Punkte B auf vor-
geschriebener Bahn am raschesten erfolgt, wenn diese vorgeschriebene Bahn
ein Kreisbogen ist; auch die „Brachistochrone" ist eine Cycloide, Hingegen
ist streng richtig, dafs das Fallen längs sämtlicher Sehnen eines Kreises,
welche im tiefsten Punkte desselben zusammentreffen, gleiche Zeit in An-
spruch nimmt. In den Discorsi (Op. XIII, 181) findet sich der Beweis
dafür; Galilei war schon frühzeitig, spätestens 1602, im Besitz dieser Eut-
Anmerkungen zum vierten Tag. 571
deckung. Vgl. den Brief an den Marchese del Monte vom 29. November
1602 (Op. VT, 20).
25) p. 473. Der Vergleich eines um die Sonne kreisenden Tlaneten
mit den Schwingungen eines Pendels ist ziemlich willkürlich und kann
nicht, wie es Libri {Hisf. des scknces mafJt. IV, 290) anzudeuten scheint,
als eine Vorahnung der allgemeinen Gravitation aufgefafst werden. Galilei
vergleicht die Sonne mit dem Aufhängungspunkt des Pendels, Erde und
Mond mit zwei an dem Pendelfaden hängenden Gewichten und gelangt so
zu einer freilich wenig brauchbaren Störungstheorie. Er denkt sich die
Erde in unveränderlicher Entfernung von der Sonne, den Mond hingegen
in wechselnder Entfernung von dem Aufhängungspunkt, d. h. der Sonne;
dadurch findet nach moderner Aiisdrucksweise eine Verlegung des Schwin-
gungsmittelpunktes statt, so dafs bei Vollmond sich die Erde langsamer,
bei Neumond schneller bewegen müfste. Eine treffendere, aber gleichfalls
unrichtige Analogie der faktischen Planetenbewegung mit Pendelschwin-
gungen liefse sich in der Weise behaupten, dafs man ein sphärisches Pendel,
am besten eins mit geringem Ablenkungswinkel, zum Vergleich heranzöge;
ein solches beschreibt bekanntlich annähernd Ellipsen , die in speziellen
Fällen auch Kreise sein können; die Erde würde dann mit dem schweren
Körper, der Mittelpunkt der Ellipse mit der Sonne in Parallele zu stellen
sein; die Bewegung des schweren Körpers um diesen Mittelpunkt erfolgt
in diesem Falle ebenso, wie wenn jener frei wäre und von diesem mit
einer der Entfernung proportionalen Kraft angezogen würde. — Die Folge-
rungen, die Galilei aus seinem Vergleiche zieht, sind — man mufs sagen
zufällig — richtig. Der wahren Störungstheorie zufolge bewegt sich näm-
lich in erster Annähening nicht die Erde selbst, sondern der Schwerpunkt
von Erde und Mond in einer Ellipse um die Sonne, während gleichzeitig
Mond und Erde um diesen gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Dieses
Kreisen findet nun in demselben Sinne statt, wie die Bewegung des Schwer-
punkts um die Sonne, und daher kommt es, dafs in der That, wie auch
aus der galileischen Anschauungsweise sich ergiebt, die Erde bei Voll-
mond eine Verzögerung, bei Neumond eine Beschleunigung erfährt. Es
träte aber das gerade Gegenteil ein, wenn das Kreisen von Erde und
Mond um den gemeinsamen Schwerpunkt in entgegengesetztem Sinne er-
folgte wie die Bewegung des Schwerpunkts um die Sonne, während nach
Galilei in diesem Falle die Bewegung der Erde in den Sjzygien ganz die-
selbe wie vorher bleiben würde. — Übrigens beträgt die ganze durch die
Störung bewirkte scheinbare Verschiebung der Sonne, welche in den Qua-
draturen ihr Maximum erreicht, nur etwa G". In den Beobachtungen aus
der Zeit Galileis konnte also kein Anhaltspunkt für seine Vermutung ge-
geben sein. Am auffallendsten aber sind die beiden nachstehenden Momente:
einmal vernachlässigt Galilei die bei weitem bedeutendere, aus den kepler-
schen Gesetzen folgende Beschleunigung der Erde in der Sonnennähe, ihre
Verzögerung in der Sonnenferne; sodann folgt zwar aus seiner Theorie in
Übereinstimmung mit den Thatsachen, dafs die t^ezeiten bei Vollmond
intensiver sein müssen als gewöhnlich; hingegen trgiebt sich in Wider-
spruch mit der Erfahrung, dafs sie bei Neumond schwächer sein müfsten.
26 j p. 476. Die beiden hauptsächlichsten, auf allen Universitäten
damals gelesenen astronomischen Kollegien waren die „Sphacra" und die
572 Anmerkungen zum vierten Tag.
„Tlieoricae lilcmetanim". In dem letzeren wurden die speciellen Bewegungs-
verhältnisse jedes Planeten behandelt. Mit Ausnahme der Sonne nämlich
liefs man jeden Planeten sich nicht in einem einfachen Kreise um die
Erde drehen, sondern um einen Punkt kreisen, der seinerseits erst die Erde
umkreist. Die Gröfsenverhältnisse des „deferierenden Kreises" und des
Epicyclus waren somit festzustellen, aufserdem noch, da man die Erde
nicht im Centrum des Deferens annahm, die Lage des Centrums innerhalb
desselben. — Wenn Galilei nachher die Theorie des Mars als besonders
schwierig und als einen Hauptgegenstand der damaligen astronomischen
Forschungen bezeichnet, so liegt darin wohl ein Hinweis auf Keplers be-
rühmtes Hauptwerk Astronomia nova akioUy'tjrog seu Physica coeJestis ira-
(Ufa commentarns de motihiis stellae Mortis (Pragae 1609), in welchen auf
Grund der Marsbeobachtungen die beiden ersten der drei sogenannten
keplerschen Gesetze aufgestellt werden. Die Art, wie Galilei von diesen
unvergleichlichen Leistungen seines ihm befreundeten Zeitgenossen spricht
oder vielmehr nicht spricht, beweist, dafs er sie nicht in ihrer vollen
Bedeutung würdigte.
27j p. 478. Der hier aufgestellte Satz und seine Begründung ist
zwar, wenn man den Standpunkt Galileis im Princip acceptiert, richtig;
es würde sich aber daraus ergeben, dafs die Intensität der Gezeiten um
die Solstitien gröfser, um die Äquinoktien kleiner ist als sonst. Die da-
mals herrschende und nicht ganz unbegiündete Ansicht war aber, dafs
umgekehrt zur Zeit der Äquinoktien die Fluten die höchsten Beträge er-
reichen, wie es z. B. Bacon in seiner oben (zu p. 462) erwähnten Abhand-
lung ausspricht. Galilei vermeidet merkwürdigerweise bei Besprechung der
monatlichen und jährlichen Periode jeden näheren Vergleich seiner Theorie
mit der Erfahrung.
28) p. 482. Wie aus der Postille hervorgeht, ist Seleucus gemeint
(vgl. zu p. 464), dessen eigentümlicher Erklärungsversuch von Ebbe und
Flut durch Plutarch überliefert worden ist. S. Plut. Plac. phil. III, 1 7, 5 :
ZliXcVKog 6 ^ci&ifjiicaiKbg, y.tv&v nal ovrog rrjv yr^v, civriKonzeiv avi'^g t?j ötvrj
q>r}al liiv nzQLGxqocpriv Tf;g 6£Xrivr]g' xov 6s ^£xcc'S,v ancporeQcov täv öcoficcTOiv
avzmeQiöTtoj^ievov Ttvevfiarog '/.cd s^niTtxovxog sig x6 AxXavxiKov nelayog^ naxa
Xoyov civxä Gvyy.vK&ö&at xrjv &dXa6ßav.
29j p. 483. Es ist auffällig, dafs im Dialog von Keplers wissen-
schaftlichen Ansichten ausdrücklich nur zweimal die Eede ist, einmal wo
es sich um eine verhältnismäfsig unbedeutende Sache, nämlich um die
Polemik Chiaramontis gegen ihn (p. 2.32, 285, 298), handelt, und an vor-
liegender Stelle, wo seine Meinung sehr mit Unrecht als gänzlich verfehlt
hingestellt wird. Die Sätze, welche Kepler über die allgemeine Schwere
und das damit zusammenhängende Flutphänomen in der Einleitung zu der
Astronomia nova ausspricht, sind im Gegenteil ein Zeugnis für die Tiefe
seines Blicks. Ganz abgesehen von seinen anderen Leistungen ist er allein
schon um deswillen als ein Vorläufer Newtons anzusehen. Auch werden
diese in der Einleitung ausgesprochenen Gedanken nicht von den Ein-
wänden getroffen, die Whewell dagegen erhebt (History of tlic inductive
Sciences 3. Aufl. London 1857. Vol. II. p. 100 ff.); diese richten sich viel-
mehr gegen anderweitige phantastischere, doch aber mit vieler Wahrheit
Anmerkungen zum vierten Tag. 573
durchsetzte Ansichten Keplers, welche er im 34. Kapitel der Asfronomia
itova auseinandersetzt.
30) p. 483. Cesare Marsili - hatte am 17. März 1631 aus Bologna
eine Abhandlung an Galilei geschickt, worin er behauptete, eine Verände-
rung des Meridians der Kirche S. Petronio in Bologna beobachtet zu haben.
Auf dem Boden der Kirche war nämlich die Meridianrichtung eingegraben,
wie sie es auch jetzt noch ist; doch rührt das jetzige Meridianzeichen erst
von Gian Domenico Cassini (1653) her. Die schwerlich richtigen und für
die Erdbewegung wenig beweisenden Beobachtungen Marsilis ergaben eine
Abweichung der Meridianrichtung von dem früheren Meridianzeichen; in
der allerneuesten Zeit will man allerdings ähnliche, aber ganz minimale,
für die Mefsinstrumente des 17. Jahrhunderts unwahrnehmbare Schwan-
kungen des Meridians und der geographischen Breite eines Ortes bemerkt
habe]].
31) p. 485. Über diese vielbesprochene Schlufsstelle des Dialogs, die
auf die Äufserungeii des Papstes Urban VlII. anspielt, vgl. Einl. p. LXV
und zu p. 440.
Berichtigung.
Seite 93 Z. 2 v. o. lies Wolken- und Feuersäule statt Wolkensäule.
NAMEN- UND SACHREGISTER.
Namen- und Sachregister.
Die mit * bezeichneten Ziffern weisen darauf hin, dafs das Stichwort sich vorzugsweise oder aus-
schliefslich auf die Anmerkung zu der entsprechenden Seite bezieht.
Abergläubische Meinungen. Einflufs
des Mondes auf Schnecken 247. Die
wilde Jagd (tregenda) 419.
Abila (und Calpe) 52*.
Absolute Bewegung eines auf rotie-
render Erde fallenden KörjDers 3.ö*.
36. 171 ff.
Accademia dei Lincei 21*. 58*. s.
Akademiker.
Accidentien lassen auf das Wesen
der Dinge schliefsen 422.
Adler, fliegender, der einen Stein fal-
„ len läfst 150.
Ägäisches Meer 456. 458.
Ägypten 122.
Ärzte 112.
Äther (= ffimmelsstoff) 9*. 17 ff. 40ff.
Äthiopisches Meer 454.
Akademiker, der (oder „unser gemein-
samer Freund" = Galilei) 21*. 28*. 31.
58*. 69*. 75*. 172. 2.S5. 265. 294. 361.
377. 424. 472.
Aktäon 123. 429.
Alabaster 420.
Albategnius 377*.
Alchymisten 115.
Aleppo (Haleb) 121. 180.
Alexander von Aphrodisias 73*. 117.
Alexandrette (== Iskanderun) im tür-
kischen Vilajet Haleb 180.
Alfergani (Alphragauus) 377*.
Alhazen 96*.
Allmacht Gottes 109.
Allwissenheit Gottes 109.
Alter, hohes, das manche Tiere und
Pflanzen erreichen 42.
Amerika 51. 104. 122.
Anakoluth im italienischen Original
46*. 372.
Analytische Methode 54.
Anatomische Zergliederungen 112.234.
Anatomisches: Nerveuursprung 113.
Beschaffenheit uud Zweck der Ge-
lenke 273.
GAtiiLEi, Weltsysteme.
Ancona 440. 442.
Angelo de Filiis 58*.
Anthropocentrischer Standpunkt
verworfen 64. 384. 421.
Antichthonen 69*.
Antipathie und Sympathie 429.
Antipoden 345.
Antitycho (Werk von Chiaramonti)
55* ff. 261.
Antrieb {impeto) in der Bedeutung von
„lebendiger Kraft" 23 ff.
Apelles (Pseudonym Scheiners) 58*. 362.
Apollonius von Perga 360.
Apollonius von Tyana 442*.
Apparat zur Demonstration der Flut-
erscheinungen 451.
Archimedes 173. 217. 405.
Architektur 110.
Archytas 108*.
Ariosts rasender Roland 467.
Aristarch 290. 333. 349.
Aristoteles. Seine Schrift de coelo 9fi\
Beweise für die Dreidimeusionalität
10* ff. Strenge Beweise in den Na-
turwissenschaften nicht erforderlich
14*. Unterscheidung von himmlischer
und elementarer Substanz 9*. 19. De-
finition der Natur 15*. 16. 34. 136.
Einfache Bewegungen und einfache
Körper 15 ff". Kreisbewegung voll-
kommener als geradlinige 19. Die
Natur unternimmt nichts Vergebliches
20*. 34. 64. Sinnlichen Wahrnehmun-
gen ist mehr zu trauen als blofsen
Spekulationen 34*. 49. 54. 59. Die
Teile zeigen dasselbe Verhalten wie
das Ganze 35*. 51. 445. Natürliche
Bewegung der Elemente 35. Gewalt-
same Bewegungen sind nicht von
Dauer 34*. 49. Seine Verdienste um
die Logik 37. 137. Herleituug der
Äthereigenschaften 40* f. Erzeugung
und Zerstörung bedingt durch das
Vorhandensein von Gegensätzen 400'.
90. Auf Grund der neuen Entdeckun-
gen würde Ar. seine Meinungen än-
37
578
Namen- und Sachregister.
dem 54. Die Ergebnisse seiner aprio-
rischen Schlüsse sind in Wahrheit a
posteriori gefunden 54. Die Kometen
sind nach ihm süblunarisch 55. Über
astronomische Dinge kann nicht mit
voller Entschiedenheit gehandelt wer-
den 59. Undurchdringlichkeit des Him-
mels 55. 73*. Ar. der Schutzherr aller
Wissenschaft 55. 60. Definition der
Dunkelheit 86. Die Erde wirkt nicht
auf die HimmelsköqDer ein 101. Seine
unberechtigte Autorität 111 ff. Seine
angebliche Kenntnis des Ferm-ohi-sll4.
Seine Verunstaltung der Lehre von
der relativen Bewegung 121. Kreis-
bewegungen sind nach ihm nie ein-
ander entgegengesetzt 41. 123. Gründe
gegen die Erdbewegung 130 ff. 396.
Erklärung der Beharrung bei gewalt-
samer Bewegung 157. Seine mecha-
nischen Probleme 166.440. Ar. geht
nicht auf fachmännische Einzelheiten
ein 172. Der obere Teil der Elemen-
tarsphäre macht die tägliche Rotation
mit 125. 148. Schülerhafter Schnitzer
desselben 199. Seine Widerlegung
Piatos bezüglich des Wesens der
Erkenntnis 202. Die Fallgeschwin-
digkeit proportional dem Gewichte
nach Aristoteles 214*. 237. Tadelt
Plato wegen zu grofser Vorliebe für
die Mathematik 215. 415. Mischung
geradliniger und ki-eisförmiger Bewe-
gung 148. 278. In puncto regressus
mecliat quies 293. Beweise für die
Endlichkeit der Welt 334. Er gesteht
dem Erdkern gröfsere Festigkeit zu
421. Mathematik und reale Verhält-
nisse 215*. 219. Sein angeblicher
Selbstmord 453. 467. Er kennt noch
nicht die Details der Planetenbewe-
gungen 475. Welchen Text G. be-
nutzt hat 143*.
Arithmetische Operationen 238*. 312*.
Armierung eines Magneten 424.
Armillarsphäre 364. 405.
Aschgraues oder sekundäre* Licht des
Mondes 71* ff. 95 ff'. Dass. ist heller
vor als nach Neumond 103 f.
Aspekte 66*. 337.
Astrologie 115.
Astronomische Fragen, noch unge-
löste 475.
Atmosphäre, ihre Bewegung nach An-
sicht der Peripatetiker 125. 148. 458 ff',
nach Ans. des Kopernikus 149. 458 ff'.
Atomistische Hypothese zur Erklä-
rung stoff'licher Veränderungen 42 f.
Ausdehnungen s. Dimensionen.
Ausland, Rücksicht auf die Meinung
desselben 4 f. 294.
Autoren und Publikum, s. litterarische
Zustände.
Autoritätsglaube, Polemik dagegen
112 ff'. 137. 166. 418.
Axiome: wer die A. bestreitet, gegen
den ist keine Diskussion möglich 36.
A., welchen angeblich die Erdbewe-
gung widerstrebt 271.
B.
Bacon, Sir Francis 462*.
Balearen 438.
Baukunst 110.
Baumwolle 158.
Beharrung 30*. Erklärung derselben
bei gewaltsamen Bewegungen nach
Aristoteles 157 ff'. Beharrung auch in
schiefer Richtung 184*.
Beharrungsgesetz vonGal. noch nicht
in vollkommener Allgemeinheit er-
kannt 20*. 30*. 154 f. ^189*. Fortge-
schrittenste Erkenntnis desselben bei
Gal. 184*. 202.
Bellosguardo 405*.
Benedetti 157*. 205*.
Bernstein 74.
Berührung zwischen elementaren und
Himmelskörpern 45*. 73. Mathema-
tische und physische Berührung 215.
Einpunktige Berühi'ung 220.
Beschleunigte Bewegung 21ff. 235 ff'.
Bewaldete Stellen, dunkeles Aussehen
derselben 104.
Bewegung. Geradlinige und kreisför-
mige B. 15 ff'. Relative B. 119 ff; 263.
391. Entgegengesetzte Bewegungen
40. 123. 293. Gewaltsame und natür-
liche B. 130. 148. Kritik dieser Un-
terscheidung 250 f. 287. Zusammen-
setzung von Bewegungen 173. 185.
431. B. der Tiere 273. B. imd Ruhe,
ihre wichtige Rolle in der Natur 136.
Bewegung mufs ein Subjekt haben 126.
Bewegungsgröfse 228*.
Bildhauer und Bildhauerkunst 108.
110. 116.
Blattgold (zum Nachweis von Luft-
strömungen) 159. Anwendung dess.
bei magnetischen Versuchen 425.
Bologna 483.
Borro, Girolamo 439.
Bosporus, Strömungen daselbst 456.
Bovoli (venetianisches Wort fürWeiu-
bergsschnecke. Hei ix pomatia) 247.
Brachistochrone 470*.
Brahe, Tycho de 55*. 71*. 125*. 131.
186. 232. 261. 298*. 374ff. 379. 389. 405.
Brechung des Lichtes 329. Br. im
Auge 378.
Briefe über die Sonnenfiecken 58*. 351.
362.
Namen- und Sachregister.
579
Brunnenschacht; im tiefen B. sieht
man die Sterne bei Tag 114. Sicht-
barkeitsdauer eines Sternes vor einem
B. 344. 346 ff.
Bruno, Giordano 39*. 334*.
Buchstabenschrift 98. 110.
Buonarruoti, Michelangelo 108. 110.
Burano 266.
Busch, Georg (Maler und astronomi-
scher Dilettant aus Erfurt) 298.
C.
Calabrien 454.
Calpe 52.
Camerarius 298.
Candia 121. 438.
Card an US 463*.
Cassini 483*.
Cavalieri 394*.
Cecco de' Ronchitti 294*.
celatone = testiera 265*.
Cellini, Benvenuto 83*.
Centrifugalkraft 138. 199 ft'. 206*.
224*.
Cerigario 464*.
Cesalpino 464*.
Chalcedon 421.
Chamäleon (als Beispiel eines trägen
Tieres) 288. '
Charybdis 438. 456.
Chiaramonti (Verfasser des Antitycho
und des Buches über die neuen Sterne)
55* ff. 232. 261 ff. 293 ff. Mit einer
gewissen Achtung behandelt 271. 277.
294.
China 51.
chiose (Bleischeiben zum Spielen) 168*.
Citate aus unbekannten Autoren 56.
78. 82. 458.
Clavius 10*. 377. 442*.
Clemens de Clementibus (demente de'
Clementij 188*.
Colombe, Lodovico delle 90*.
Corfu 121. 442.
Corsica 438.
Cotunio, Giovanni 151*.
Cremonini 45*. 46. 73*. Anspielung
auf ihn vielleicht 419.
Cycloiden 261*. 470*.
Cylindrische Schraubenlinie 16.
Cypern 121.
U.
Dämonen, soki-atische 165
Deferierender Kreis 69*. 476*.
Definition; Verhältnis der D. zu den
aus ihr gezogenen Schlüssen 109.
Deklinationsbewegung der Erde
371*. 396. 416 ff'. 429.
Diamant 63. 83.
Diana 115.
Dicht und dünn 45*. 46.
Dichtkunst HO.
Dilemma 135.
Dimensionen; Beweis, dafs es nur
drei D. giebt 12 ff.
Diopter 405.
Discorsi, Verweise darauf 21*. 23*.
28*. 30*. 109*. 128*. 172*. 211*. 394*.
470*. 487*.
Disputationen, öffentliche 41. 74. 484.
Divisionsverfahren bei Galilei 312*.
Dominis, Marc' Antonio de 439*.
Drachen (dragone) = Mondbahn 69*.
70.
Dramatische Begabung Galileis 80.
291*.
Drei zahl bei den Pythagoreem 10.
Dunkelheit der Erde 50 ff. D. glatter
Flächen 75 ff'. Ihre Definition nach
Aristoteles 86*.
E.
Ebbe und Flut 435—485. Galileis Theo-
rie beweist, dafs er von der Unzu-
länglichkeit des rein kinematischen
Standpunktes in der Frage der Welt-
systeme überzeugt war 121*. Zwischen
Ebbe und Flut keine Pause 292.
Edelsteine, ihr eingebildeter Wert ijö.
Sonstige Eigenschaften 74. 91.
Ehrgeiz des Entdeckers 224. 489.
Einfache Bewegungen 15 ff.
Einfache Körper 15 ff'.
Eisen, Stetigkeit und Glanz de.ss. 428.
Ekliptik und Erdbahn (orbis magnus)
bei strengem Sprachgebrauch von ein-
ander verschieden 376*. Beobachtun-
gen Galileis über Veränderungen ihrer
Schiefe 405*.
Elba 433.
Elementare Substanz im Gegensatz
zur himmlischen 9. 15 u. ö.
Elementarsphäre s. Atmosphäre und
Feuer.
Elemente, ihre natürliche Bewegimg
34 f.
Elle 23. 100*. 191.
Encyclopädie (von Clemens de Cle-
mentibus) 183*.
Endlichkeit der Welt, Zweifel daran
39*. 334.
Endymion 115.
Entdecker und Eiünder 425.
Entdeckungen und Erfindungen, un-
berechtigte Aneignung von solchen
98. Staunenswerte E. des Menschen-
geistes HO.
Entstehen und Vergehen 40 ff'. 50 tt'.
64. Entst. u. Verg. ganzer Himmels-
körper findet nicht statt 53.
37*
580
Namen- und Sackregister.
Epicykeln 69*. 357. 475. 476*.
Epicyklisclie Bewegung 69.
Episodische Kompositionsweise des
Dialogs 170.
Erdachse, unveränderliche Neigung
der E. 410. 412. 417. 429.
Erdbewegung, „di-itte", s. Deklina-
tionsbewegung der Erde.
Erde, ein Himmelskörper nach Koper-
nikus 9; unzerstörbar als Ganzes 49.
64; ihre Veränderlichkeit ein Yorzug
62; Ähnlichkeit imd Unähnlichkeit
mit dem Monde 66 ff. Phasen der
Erde vom Monde aus gesehen 67; sie
vermag Lieht zu reflektieren 92 fF. ;
wii'kt auch auf die Himmelsköri^er
101. E. bewegt sich nicht erst, seit
Pythagoras gelehrt hat, dafs sie sich
bewegt 199. E. ein Magnet 418 ff.
Verschiedene Bedeutung des Wortes
E. 421.
Erdkern 419. 421.
Erhaltung der Kraft 24.
Erkenntnis, verschiedene Arten der
E. 107 f.
Erkenntnis theoretische Ansichten
Galileis 279. 388*. 480. Vgl. Unbe-
wufstes Wissen.
Ermesintaft 104.
Essigfliegen 42*.
Euklid 218.
Euripus, Strömimgen daselbst 453*.
F.
Fabricius, Johannes, der Entdecker
der Sonnenflecken 361*.
Falkeniere 278.
Fall; lotrechter F. als vermeintlicher
Beweis gegen die Bewegung der Erde
131 ff. Widerlegung 145 ff. Absolute
Bewegung eines auf rotierender Erde
fallenden Körpers 171 ff. F. in einem
die Erde durchbohrenden Schachte
14-2. 242. 251. Östliche Abweichung
beim F. 248*.
Fallbeschleunigung von G. zu ge-
ring angegeben 237.
Fallgeschwindigkeit längs schiefer
Ebenen 25 ff. 29. F. proportional der
Fallzeit 211. F. nicht proportional
dem Gewichte 214. 237. Beziehung
zvidschen F. und durchfallener Strecke
29. 240.
Fallgesetze 25 ff. 235 ff.
Fallursache uns unbekannt 249.
Fallzeit blofs von der Fallhöhe ab-
hängig 162. F. eines von der Mond-
sphäre bis zum Erdmittelpunkt fal-
lenden Körpers 232 ff".
Feder, relative und absolute Bewegung
einer Schreibf. 180 f.
Fehler bei astronomischen Beobach-
tungen 305. 405.
Fernrohr 55. 56. 59. 67. 70. 81. 114
u. ö. Gebrauch des F. auf Schiffen
265 ff. „Vorspiegelungen" der Fern- ^
rohrlinseu 56. 278. 351.
Feuchte Stellen sehen dunkler aus als
trockene 103. 104.
Feuer Sphäre, ihre Existenz bezwei-
felt 463.
Feuersäule, die vor den Kindern Is-
rael herschwebte 93.
Finsternisse 72. 75.
Firmament (= Fixsternsphäre) 297 u.ö.
Fixsterne, Parallaxe der F. 144. 393ft\
483. Verteilung der F. im Weltall
340. Scheinbare Gröfse und Entfer-
nung 374 ff. Neue mit Hilfe des Fern-
rohrs sichtbar gewordene 385. Me-
thode zur Bestimmung ihrer schein-
baren Gröfse 378 ff'.
Fixsternsphäre 124 ff.
Flittergold (zur Konstatierung von
Luftzug dienend^, 159.
Fragen, unerledigt bleibende, deren
Lösung auf ein anderes Mal verscho-
ben wird 43. 172. 202. 236. 394. 472.
Frankreich 122.
„Freund, unser gemeinsamer" (Galilei)
s. Akademiker.
Fusina 444.
Fufs (pie) = 2 Spannen (palmi) bei
Galilei 442*. 453.
Galenus 113.
Gegensätze bedingen nach Aristoteles
Entstehen und Vergehen 40. 49. 9'».
123. Kontradiktorische G. 136.
Gegner des Kopernikus stellen Versuche
als günstig für ihren Standpunkt hin,
ohne sie je ausgeführt zu haben 151.
190. G. d. K. werden Anhänger dess.,
aber nicht umgekehrt 134.
Gelenke der Tiere 273.
Gemeinsame Bewegung so gut wie'
nicht vorhanden 121. 391 u. ö.
Gemischte Bewegungen 15. 17. 257.
Gemma, Cornelius 298.
Genua 440.
Geometrisches 209. 216 ff. 303.
Gerade Linien minder vollkommen als
Kreislinie 19. G. L. die kürzeste zwi-
schen zwei Punkten 217.
Geradlinige Bewegung 20 ff. 34 tt'.
48 f. 175. 416 u. ö.
Geschwindigkeit, Definition dersel-
ben 25 f.
Geschwindigkeitsstufen zwischen
der Ruhe und einer bestimmten Ge-
schwindigkeit 22 ff.
Namen- und Sachregister.
581
Gesichtssinn, Un Vollkommenheit den
G. 350. 388.
Gewaltsame und natürliche Bewegung
130. 148. 157*. 161 u. ö. Polemik
gegen diese Begriffe 250. 287.
Gezeiten s. Ebbe und Flut.
Gibraltar 52. 141. 442.
Gilbert 418 ff'.
Gold Wäger s. Saggiatore.
Gott, seine Allmacht und Allwissenheit
107 ff". Die Art seiner Erkenntnis 109.
Grad, in dem Sinne von Mafseiuheiten
ohne bestimmte Gröfse 32*. 87*. 178.
468.
Gran 442.
Graphische Darstellung veränderlicher
Gröfsen 211. 243.
Gravitation, allgemeine 21*. 36. 102f.
260.
Grenzkreis des Lichtes (cerchio ter-
minator deUa luce) 408.
Griechenland 122.
Grimaldi, Mondlandschaft 69*.
Gröfse, scheinbare 87. 388*.
Grofsherzog von Toskana, Magnet des
G. 408. 424. 427.
H.
Hagek, Thaddäus 298.
Hainzel 298.
Hartmann, Georg, Entdecker der In-
klination der Magnetnadel 422*.
Helligkeit rauher Flächen 75 ff. H.
glatter, aber unpolierter Flächen 84.
Herkules 117. Säulen des H. 141.456.
Himmel, ob fest oder flüssig? 125.
Himmelskörper, als Ganzes unzer-
störbar 53. Wechselwirkung der H.
63. Vollkommene Rundheit ders. 84.
88 f.
Himmlische Substanz im Gegensatz
zur elementaren 9. 15. 50. 73.
hu mar melancholicus 115.
Huyghens 206*. 278*.
I.
Jahreszeiten, Erklärung der J. vom
Standpunkte des kopernikanischen Sy-
stems 407 ff'.
Jaspis 63. 420.
Tndien 110.
[ndischer Ocean 454.
Infinitesimalrechnung, Keime der
1. bei G. 20.5*. 243*. 394*.
Ingoli 151*. 390*.
Inklination der Magnetnadel 422. 430.
Instrumente, astronomische 305. 331.
364. 105.
Integration 243*.
Intellekt, menschlicher und göttlicher
11. 108 f.
Intelligenzen als bewegende Princi-
pien 250.
intelligentia assistens und informans
250*.
Joachim von Floris 114*.
Irradiation 80 f. 350 ff. 377.
Isochronismus der Pendelschwingun-
gen 245. 470.
Jupiter, Umlaufszeit 124. . Jupiters-
monde s. Mediceische Gestirne.
K.
Kairo 100.
Kalabrien 454.
Kalligraphische Kunststücke 182.
Kandia (= Kreta) 121. 438.
Kanonenschüsse als Argument gegen
die Erdbewegung 132. 176 ff.
Kap der guten Hoffnung 141.
Karmel 345.
Katechetische Methode 296.
Kepler 39*. 55*. 71*. 232. 285. 294*.
298. 334*. 435*. 476*. 483*.
Keplersche Gesetze 30*. 476*.
Kerze zur Konstatierung von Luftzug
159.
Kleomedes 97.
Kolur 400.
Kometen 55 ff'. 255. 261.
Komposition des Dialogs (Episoden)
170.
Komposition von Gröfsenverhältnis-
sen 210*.
Konjunktion 66*. 68.
Konstantinopel 456.
Kopernikanor waren vordem Anhän-
ger des Ptolemäus, aber nicht umge-
kehrt 133 f. Ungenannter K. 261.
Kopernikus genannt 2. 9 u. ö. Be-
handelt die Einwürfe gegen sein Sy-
stem nur kurz 176. Wichtigste Ar-
gumente gegen sein System 144. 395.
407. Die Sinustafel in seinem Werke
191. 312. 378. Seine Ansichten über
Centrifugalki-aft 206*. Entfernung des
Mondes von der Erde nach seiner An-
gabe 238. Nachfolger Aristarchs be-
züglich der Annahme einer jährlichen
Erdbewegung 290. 333. Über die Be-
wegung der Atmosphäre 252 f. Sein
Scharfsinn gepriesen, weil er sich durch
scheinbar widersprechende Thatsachen
nicht irre machen liefs 349. 354. 389.
Seine Ansichten über die geradlinige
Bewegung und das Wesen der Schwere
21*. 257. Motive für die Aufstellung
seines neuen Systems 356. t^ber Prä-
cession 382. Über den Mangel einer
Fixsternparallaxe 374 f. 3S9.
582
Namen- und Sachi-egister.
Korfu 121. 442.
Kork 158.
Korsika 438.
Kraft, eingeprägte (virtü impressa)
157 ff. Lebendige K. = Antrieb (im-
peto) 23 ff. Erhaltung der leb. K. 24*.
Kreis, voUkommener als gerade Linie
19. Definition und unzählige Eigen-
schaften dess. 109. Kreis mit unend-
lich grofsem Radius geht in die ge-
rade Linie über 394. Kr. die einfachste
Fläche 222. Verhältnis von Umfang
zu Durchmesser 234 f. 247 f.
Kreisförmige Bewegung ist die na-
türliche Bewegung aller Weltkörper
20 ff. 34. Vielleicht auch die ihrer
Teile 35*. 48. Ermangelt nach Ar.
des Gegensatzes 41. 123. Kreisbewe-
gung fallender Körper 35. 48. 171 ff.
257. 273. Kreisbewegung und Centri-
fugalkraft s. Centrif.
Kreter, Trugschlufs vom Kr. 44.
Kugel, Berührung zwischen K. u. Ebene
215 ff. K. einfachster Körper 222.
Möglichkeit eine vollkommene K. her-
zustellen 222.
Kugelgestalt der Erde und anderer
Weltkörper infolge des gleichmäfsigen
Strebens der Teile zum Ganzen 36.
102 f. Vollkommenheit der Kugelge-
stalt 84. 89. Die K. kann nicht Ur-
sache der Unzerstörbarkeit sein 89 f.
L.
La Galla, Julius Cäsar 90*.
L an dgraf(Wilhehn IV. von Hessen) 298.
latitudo ortiva und occidua 395*.
Lebensdauer, verschiedene, von Tie-
ren und Pflanzen 42.
Leichtes und Schweres 35. 45 f. In
absolutem und relativem Sinne 207.
214 f.
Leier (musikalisches Instrument) 425.
Leier (Sternbild, dessen hellster Stern
Wega heifst) 378. 406.
Leonardo da Vinci 38. 226*.
J eitere solar i ('Briefe über die Sonnen-
flecken) 58*. 75. 351.
Libration des Mondes 69 f.
libretto di conclusioni s. Thesenbüchl.
Licht der Himmelskör^jer im Gegensatz
zur Dunkelheit der Erde 50. Fort-
pflanzung des L. 109*. Brechung des
L. 329. 878.
Lido (Nehrung der venezianischen La-
gune) 442.
Litter arische Zustände: Totschweigen
unbequemer Ansichten 60. Aneignung
fremder Ansichten 98. Lügenhafte
Autoren 424*. Voreingenommenheit
der Autoren füi- gewisse Ansichten 291 f.
Lizza Fusina 444*.
Locher s. Scheiner.
Logik. Aristoteles' Verdienste um die
L. 37. 137. petitio principii 146. ter-
minus medius 146. ignotum per aeque
ignotum oder per ignotius 146. 217.
Dilemma 135. Relativität 386. argu-
mentatio ad hominem 389. ad de-
struendum sufficit unum 207. a for-
tiori 217. 233. Wesen der Definition
109. Beweisbarkeit wahrer, Unbeweis-
barkeit falscher Behauptungen 136. 427.
Kontradiktorische Gegensätze 136. Ex
suppositione argumentieren 456.
Lorenzini 294.
S. Lorenzo = Madagaskar 454.
Luft behält eine mitgeteilte Bewegung
nur kui'ze Zeit bei 159. 458. Konsta-
tierung von Luftzug 159.
M.
Macrobius 12*. 97.
Madagaskar 454.
Mästlin 71*. 138*.
Magelhaens-Strafse 141. 454. 456.
Magnet 278. 418—433. Südpol des M.
stärker als Nordpol 422. Einflufs der
Armatur 424 ff. M. des Grofsherzogs
von Toskana 424. 427.
Magnetische Kraft 70.
Magnetnadeln^ angebliche Sy mpath ie
zweier entfernten M. 100.
Malerei 76. 84. 110.
Malta 438.
Mange (mangano) 138*.
Mare Crisium (Mondlandschaft) 69*.
Marmor 420.
Mars, Umlaufszeit desM. 124. M. macht
den Astronomen besondere Mühe 476.
Wechselnde Entfernung und schein-
bare Gröfse 348 ff.
Marsili, Cesare 421*. 483.
Mastspitze legt gröfsere Strecke zu-
rück als Mastfufs 182 f. Von der M.
herabfallender Stein 148 ff.
Mathematik, Wiclitigkeit der M. für
die Naturwissenschaften 215. Anwen-
dung der M. auf reale Verhältnisse
215 f. 247 f. Vollkommenheit ihrer
Erkenntnisse 108.
Mathematische Strenge (nach Arist.)
in den Naturwissenschaften nicht er-
forderlich 14*. 245. 429.
Maurolycus 298*.
Mediceische Gestirne (= Jupiters-
monde) 124*. 278. 286. 355. 385. 472.
Medusenhaupt 63.
Meer, Gezeiten s. Ebbe und Flut. Strö-
mimgen 438. 454. Verschiedene Tiefen
439.
Namen- und Sachregister.
583
Meilen, deutsche 233.
Meinen und Wissen 419.
Mercurius Interpres 115.
Meridian 366*. 400. Veränderungen
der M.-Richtung 483.
Merkur (Planet) 56.
Methoden, wissenschaftliche 34. 49.
54. 57.
Mexiko 51.
Michelangelo Buonaruotti 108. 110.
Miglie (ca. 1% km) 100*. 191. 238. 266.
390.
Mikroskop, Anspielmig auf dass. viel-
leicht 350.
Mittelländisches Meer, Entstehung
dess. 52. Ebbe und Flut in ihm 453
u. ö.
Mittelpunkt der Erde, ob identisch
mit d. M. der Welt 35 ff. 130. 145.
Erscheinungen in einem bis zum M.
der Erde reichenden Schachte 142. 242.
251. 348.
Molukken 141.
Moment 227 f. 260.
Momentankräfte 23*.
Mond: Veränderungen dess. bis jetzt
nicht wahrgenommen 52. Aussehen
seiner Oberfläche 52. Ob bewohnt?
65. 105. Ähnlichkeiten und ünähnlich-
keiteu mit der Erde 66 ff. Gestalt 66.
Dunkelheit 66. Gebirgigkeit 67. 74.
91. 100. Phasen 67. Rotation 69.
Libration 69. Sekundäres (aschgraues)
Licht 71 ff. 96. 103 f. Finsternisse 72.
75. 97. Gradnetz auf dem M. 87*.
Durchmesser 100*. Ob Wasser und
Land auf ihm 104 f. Umlaufszeit 124.
473. Entfernung von der Erde =
56 Erdi-adien 238. Einflufs d. M. auf
Schnecken 247. M. scheint den Wan-
derer zu begleiten 271. Einflufs auf
Ebbe und Flut 437. 438. 473 f. Pa-
rallaxe 302.
Moskau 100.
Most, Erzeugung vonFHegen aus seinem
Dunste 42*.
Munoz 299.
Musik HO. 425.
N.
Natur, Definition der N. 15*. 16*. 136.
Reichtum der Mittel, über die sie ver-
fügt 104. Öfters nahezu identifiziert
mit Gott 108.
Natürliche und gewaltsame Bewegun-
gen 34. 49. 157*. Natürliche Bewegung
aller Weltkörper die Kreisbewegung
20. Polemik gegen die Vorstellung
von n. und gewaltsamen Bewegungen
250 ff. 287. N. Bewegung mufs noch
viel sicherer beharren als künstlich
verliehene 148. 161. Natüii. Kreis-
bewegung der elementaren Körper er-
lischt in gröfserer Entfernung von der
Erde 253.
Neapel 440.
Nebelflecke 385.
Negroponte (= Euböa) 453.
Nervenursprung 113.
Norman, Robert 422*.
Numerisches Rechnen 238*. 312*.
0.
OUa potrida 431.
Olymp 345.
Opposition der Planeten 66.
Orakelsprüche 114.
Orbis magnus 376*. 410. 446 u. ö.
Ovid 114.
P.
Padua 270. 361; hei-vorragender Pro-
fessor von P. (wahrscheinlich Cremo-
nini) 73.
Paduanisches Exemplar des Dialogs;
handschriftl. (in den Text der Über-
setzung aufgenommene) Zusätze dess.
22. 32 f. 104. 260. 264. 343 ff'.
Pädagogische Kunst Galileis 152.
Palästina 141.
paJla a corda 169*.
paUe di legno a chi piü s'accosta n
un segno 169*.
palmo 442*.
Papirius 12*.
Paracelsus 463*.
Parallaktische Differenz, Parallaxe
55*. 297. 311. P. der Fixsterne 144.
396. 400 ff'. P. von Sonne und Mond
302.
Pendasio 117*.
Passatwinde 459 fl'.
Pendel 24. 159. 241. 245. 470.
Peripatetiker, ungenannter 90. 113.
419. 438.
Peripatetische Ansichten: Vollkom-
menheit der Kugelgestalt 84. 88. Un-
durchdringlichkeit des Himmels 55. 73.
Verwerfung der vü'tus impressa 157.
Nervenursprvmg 113. Studium von
Detailfragen ist für den Pliilosophen
unnötig 172. 236. Schädlichkeit mathe-
matischer Studien 215. 415. Bewegung
der Atmosphäre s. Atm.
Perlmutter 91.
Persien 122.
Perspektive 58. 478.
petitio principii 146.
Pfeile, der Länge und Quere nach ab-
geschossene 160.
584
Namen- und Sachregister.
Phantasie gründet ihre Vorstellungen
auf Erfahrungseindrücke 65.
Phasen des Mondes und der Erde 67.
74; der Venus 336. 349. 355; des Merkur
355.
Philolaus 67*.
Philosophie, vermeintlicher Untergang
der Ph. 40. 60.
Philosophische Ansichten Galileis 65.
388*. 422. 440. S. auch Erkenntnis-
theoretische Ans. G.s und Unbe-
wufstes Wissen.
Photometrie, Anfänge einer solchen
bei G. 94 f.
pie (Fufs) 442*.
Pietrapana 406.
pietra serena 89*. 421.
Planeten; ihre Einwirkung auf die
Erde 101; Entfernungen nach den
Annahmen v. Ptolemäus 382*.
Planetenbewegung 336 ff. 357 ff.
Plato 11. 21. 31. 215. 415 u. ö.
Platonische Lehre von dem unbe-
wufsten Wissen und der Wieder-
erinnerung s.Unbewufstes Wissen.
Plutarch 65*.
Pointier ung der Gegensätze zwischen
dem ptolem. und kop. Systeme 135 f
288.
Pole von Kugelkreisen 411*.
Pomeranzenstrauch 63.
Porphyr 420.
Porosität der Materie 219.
Porta, Giambattista 100*. 247*. 424*.
Präcession der Fixsterne 124. 256. 382 f.
2irimum mobile 124*. 297.
Principien der Bewegung, innere und
äufsere 248 ff.
Propontis 456.
Ptolemäus 9. 35 u. ö. Seine Gründe
gegen die Erdbewegung 119. 137 f
199 ff. P. bezweifelt die Richtigkeit
der Armillarsphäre des Ai-chimedes 405.
Publikum und Autoren 82. 291. 425.
s. auch Litterarische Zustände.
Pulsschläge, als Zeitmafs 23. 32. 162;
bei Schlafenden und Wachenden 151.
Pupille, veränderliche Gröfse der P.
und Methode zu ihrer Bestimmung
379 ff.
Pythagoras 54. 199; sein Lehrsatz 54.
109.
Pythagoreer 11.
Quadrant (astronomisches Instrumental
392.
Quadratur 66*. 68. 96.
Quadratwurzelausziehung 238*.
qualitates occultae 465. 483.
R.
Räderuhren 469 f.
Rafael 110.
Ragusa 442.
Raketen 257.
ratio eversa 382*.
Reflexion des Lichtes an glatten und
rauhen Flächen 74 ff.
Refraktion 329. 378.
regiila aurea 239. 312 ft'.
Relative Bewegung 120fl'. 180ff. 263.
391.
Relativität gewisser Begriffe 386.
Religiöse Dinge sollen nicht scherz-
haft behandelt werden 374.
Reiter, der einen Körper fallen läfst 163.
R. fühlt deutlich den Widerstand der
Luft 138. 457.
Rocco, Antonio 30*.
Rohr, in dessen Ende ein Stein ein-
geklemmt ist (Kinderspielzeug) 201 ff.
Roland, Rasender, von Ariost, citiert
467.
Rollscheibe (ruzzola) 165.
Rom 361.
Rostock 134.
Rothmann, Christoph 131*. 390*.
Rückläufigkeit der Planeten 357 ff.
399.
Ruhe; ob zwischen entgegengesetzten
Bewegungen R. eintreten mufs? 293.
Rute (canna) 236.
Rute (pertica) 293.
S.
Sacrobosco 277* 433. 489.
Sänger, der heilige (il sacro poeta) 458.
Saggiatore (Goldwäger) 55*. 75. 351.
417*. 463.
S a g r e d 0 , Giovanfrancesco ; charakte-
ristische Züge 78. 85. 110. 139. Seine
Reise nach Aleppo 180. 265. 436. 461.
S. der belehrende Teil 186. 188. 265 f.
Salviati, Filippo; charakteristische
Züge 139. Seine Villa 120. 362. 405*.
Sammet, verschiedene Arten 104.
San Lorenzo = Madagaskar 454.
Sardinien 438.
Saturn; Umlaufszeit 124; Achsendrehuug
278; vermeintliche Begleiter 385.
Schacht bis zum Mittelp. d. Erde s.
Mittelp.
Schein und Sein 388*.
Scheiner 97*. Kritik der Disquisitiones
mathematicae seines Schülers Locher
232—261 u. 373 ff.; = Apelles 58. 3(>2.
Schiefe Ebene, Fall längs d. seh. E.
25 ff.
Schiff, Fall eines Steines von der Mast-
Namen- und Sachregister.
585
spitze eines Schiffes 131. 150 ff. Son:
stige Beobachtungen auf bewegten
Schiffen 180. 197. 392.
Schiffahrtskunde 110.
Schlagball s. Spiele (palla a corda).
Schnellwage 228.
Schönheit und Wahrheit 139.
Schöpfung scentrum, Berechnung sei-
ner etwaigen Lage 31.
Schöpfungshypothese Galileis 20 ff.
Schreiberkunststücke 182.
Schreib fe der, absolute und relative
Bewegung einer solchen 180 f.
Schrift,' Erfindung der S. 98. HO.
Schriftsteller und Publikum 82. 98.
Schritt eines Fufsgängers 191.
Schüsse mit Kanonen als Argumente
gegen die Erdbewegung 132 f. 177
—192.
Schützenkunststücke 187*.
Schwarzes Meer 456.
Schwere, Wesen der Seh. 260. Seh. und
Gewicht bei Galilei nicht durch ter-
mini von einander verschieden 214 f.
u. ö. Ob Seh. nach dem Mittelp.
der Erde oder dem des Weltalls ge-
richtet sei 35 f. 130.
Schwere und leichte Körper 35.
Schwerpunkt 260.
Scylla und Charybdis 438. 456.
Seiches 448*. 453*.
Selenographie (Mondbeschreibung)
52.
Seleucus 464*. 482*.
Selve, ViUa delle 120*. 362.
Sextant 331.
Sexterschein (aspetto sestile) 66*. 337.
Sicilien 438. 454.
Silberne Gefäfse, Verschiedenheit ihres
Glanzes und ihrer Farbe je nach Art
ihrer Bearbeitung 83. 104.
Simplicio; charakteristische Züge 87.
112. 183. 290. 292; reist häufig uach
Padua 269 f.
Sinus totus 327*.
Sirius 81. 353.
Skulptur 108. HO.
Sokrates 107.
Sokratische Dämonen 165.
Solstitium, Beobachtung seines Ein-
tritts durch Galilei 405 f.
Sonne; Parallaxe 302; Entfernung von
der Erde 375; scheinbarer Durch-
messer 375; wechselnde Entfernung
375*; Zusammenhang von Ebbe und
Flut mit der S. 437. 478 ff. Unregel-
mäfsigkeiten bei ihrer scheinbaren
Bewegung 476.
Sonnenfinsternisse 97.
Sonnenfleckcn 55 ff. 278. 361—372.
Briefe über d. S. 58. 59. 75.
Sophismen 44.
Sorites 44.
Spanien 122.
Spanne (imlmo) 198. 205. 442.
Sphäre, astronomisches Instrument 364.
405. S. des Himmels, ihre Festigkeit
bestritten 46. 73. 463.
Sphärische Astronomie (Sphaera, Sfera)
277. 433. 476.
Spiegel, ebene 76; kugelförmige 79 ff.
Spiele; ruzzolal65*; chiosal68*; palla
a corda 169*; palle di legno 169*;
canna, in cima della quäle . . . 201.
Spirale, cylindrische 16; archimedische
und sonstige Sp. 173.
Sterne, nach perip. Ansicht verdich-
teter Äther 46. Neue St. v. 1572 u.
1604. 55 f. 232. 261. 289. 293—332.
Stevinus, Simon 439*.
Stichlinge (spillancole) , als Beispiel
kleiner Fische 386.
Stiller Ocean 454.
Störungstheorie Galileis 473*.
Stofskräfte 22*.
Strenge mathematischer und natur-
wissenschaftlicher Beweise 14.
Strömungen des Meeres 438. 454; im
Euripus 453*.
Südsee (Oceano del Sud) 454.
ex suppositione 456.
Sympathie und Antipathie 429.
Syrien 121. 265. 436.
T.
Tag und Nacht, erklärt vom Stand-
punkte des kopernikanischen Systems
408.
Tangente; längs der T. sucht sich der
kreisförmig bewegte Körper zu ent-
fernen 203 f.
Tartaglia, Niccolo 177*.
Tautochrone 470*.
Teleologischer Standpunkt 64. 384 f.
421.
Teleskop, s. Fernrohr.
terrella 422*.
testiera = celatone 265*.
Text des Aristoteles, von Galilei be-
nutzter 16*.
Thebit 377.
Theorie der Planeten i^Theorica plane-
tarum), astronomisches Kolleg 476.
Thermometer 32*.
Thesen büchle in (von Scheiners Schü-
ler Locher) 96. 232 ff. 373 ff. ; von Cle-
menti 183*.
Tiere, ihre Bewegung 273; ihr Ermüden
284. 287.
Tierkreis 276 u. ö.
Tizian 110.
586
Namen- und Sachregister.
tregenda (Wilde Jagd) 419*.
Tretmühlen 138. '
Trugschlüsse 44.
Tycho de Brahe 55. 71*. 125*. 131'. 186.
232. 261. 298*. 374 flf. 379. 389. 405.
U.
übaldi, Guido 226*.
Übertragung von Zuständen eines
Subjekts auf ein anderes 157. 159.
Uhren 324. 469 f. 492.
Unbewufstes Wissen 12*. 26. 95. 152.
165 ff. 176. 202. 266. 393.
Unendliches im Verhältnis zum End-
lichen 107. 128.
Unendlichkeit der Welt 39*. 334*.
Unendlich kleine Gröfsen von ver-
schiedener Ordnung 205*. 212*.
Unvevänderlichkeit des Himmels,
angebliche Beweise dafür 40. U. kein
Vorzug 62.
Unze (= Via Pfund) 424.
Ursinus 298.
Urzeugung 42.
Venedig 121.; Ebbe und Flut daselbst
292. 436. 442. 453. Versorgung mit
Trinkwasser 444.
Venus 56. 96. 336. 349. 377.
Veränderlichkeit d. Himmels 50 ff. 64.
Verhältnis; dasDopi^elte eines V.236*.;
Zusammensetzung von Verhältnissen
210.
Versuche, physikalische u. Beobach-
tungsmethoden 76. 80. 85. 88.103.379ff'.
417. 426.
Vinci, Leonardo da 38. 71*.
Virgil 114; citiert 343.
Virtuelle Geschwindigkeiten, Princip
der V. G. 226*.
Visiereinrichtungen (Diopter) an
Quadranten und Sextanten 332. 405.
Vitellio 97.
Vögel; als Beweisgrund gegen die Erd-
bewegung 138. 176. 193; durch welchen
Kunstgriff V. im Fluge geschossen
werden 187 ff.
W,
Wachstum ist Werk der Natur, nicht
des Menschen 107.
Wärmegrade 32.
Wage (Mefsinstrument) 227.
Wage (Sternbild) 408 u. ö.
Wagen (Sternbild = grofser Bär) 406.
Wahrheit und Schönheit identisch 139.
W. ist unabhängig von der Beredsam-
keit ihres Vertreters 57. W. und Irr-
tum 440. 443.
Wald, dunkeles Aussehen des W. 104.
Wechselwirkung der Himmelskörper
auf einander 63; der Erde und der
Himmelskörper 101.
Wega (ital. Lira) 378. 406.
Weinstock, sein Wachstum 107. 384.
Wellen, stehende oder stationäre 448*.
Wels er, Marcus 58. 361.
Weltsystem, kopernikanisches. Skizze
des k. W. 337 ff.
Wendekreis 406. 411.
Widerstand gegen die Bewegung 226.
Wilde Jagd (tregenda) 419.
Wilhelm IV., Landgraf von Hessen-
Cassel 298.
Wind, sein Nichtvorhandensein als Be-
weis gegen die Erdbewegung 138. 268.
Passatwinde 459 ff.
Wissen, unbewufstes 12*. 26. 95. 152.
165 ff'. 176. 202. 266. 393; wahres und
vermeintliches Wissen 107; Wissen
und Meinen 419.
Wolken; ihr Verhalten als Beweis
gegen die Erdbewegung 138.
Wolkensäule, die vor den Kindern
Israel herschwebte 93.
Wunder 22. 440.
Wursteisen, Christian 134.
Z.
Zabarella 117*.
Zeitniafs; als solches dienen für kleine
Zeitintervalle Pulsschläge 23. 32.
Zodiacus s. Tierkreis.
Zusammensetzung von Bewegungen
173. 185. 431.
Soeben geht uns die traurige Nachriclit zu, dals der Herausgeber
Herr Emil Straufs Sonnabend den 6. Februar 1892 in noch nicht
vollendetem 33. Lebensjahre einer Lungenentzündung erlegen ist.
Die Verlagsbuchhandlung.
BINDING SECT. JUN 1 1972
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
QB Galilei, Galileo
^ Dialog über die beiden
1891 hauptsächlichsten Weltsysteme
Physical &
Applied Sei.