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Full text of "Dialog über die beiden hauptsächlichtsten Weltsysteme, das Ptolemäische und das Kopernikanische. Aus dem Italienischen übers. und erläutert von Emil Strauss"

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DIALOG 


BEIDEN  HAUPTSÄCHLICHSTEN  WELTSYSTEME, 

DAS  PTOLEMÄISCHE  UND  DAS  KOPERNIKANISCHE , 


GALILEO   GALILEL 


AUS   DEM  ITALIENISCHEN  UBEESETZT  UND  ERLÄUTERT 


EMIL   STRAUSS, 

OTID.   LEHRER    AN    DER   REALSCHULE    „PHILÄNTHROPIn"   IN    FRANKFURT 


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LEIPZIG, 

DRUCK    UND    VEllLx\G   VON-  B.  G.  TKUBNEK. 
1891. 


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Vorwort  des  Herausgebers. 


Der  Dialog  Galileis  über  die  beiden  bauptsäcbliclisten  Weltsysteme 
darf  als  eines  der  merkwürdigsten  Bücher  bezeichnet  werden^  die  je 
geschrieben  worden:  einerseits  um  der  tragischen  Schicksale  willen, 
die  es  über  seinen  Verfasser  heraufbeschwor,  andererseits  und  vor- 
nehmlich aber  wegen  seines  in  anziehendster  Form  gebotenen  Inhalts. 
Das  hauptsächliche,  aber  keineswegs  einzige  Interesse  des  Buches  liegt 
darin,  dafs  es  in  greifbarer  Anschaulichkeit  die  Berührung  moderner 
Wissenschaft  mit  scholastischer  Naturphilosophie  und  die  daraus  sich 
ergebenden  Reaktionen  dem  Leser  enthüllt.  Wie  dem  Geologen  die 
Kontaktstellen  verschiedenartiger  Gesteine  und  die  dort  eintretenden 
Umwandlungen  der  Gesteinsnatur  das  Verständnis  der  Erdgeschichte 
ermöglichen,  so  ist  Galileis  Buch  für  den  Kulturhistoriker  ein  Schlüssel 
zur  Erfassung  des  Umschwungs  in  der  Weltanschauung.  Aus  ihm  kaim 
er  ermessen,  was  es  heifst,  eine  neue  Idee  wie  die  kopernikanische  für 
weite  Kreise  fafslich  und  mundgerecht  zu  machen.  Es  kommt  aber  in 
dem  Buche  keineswegs  blofs  die  Frage  der  beiden  Weltsysteme  zur 
Sprache,  es  handelt  sich  mehr  noch  um  die  ganze  Methode  wissen- 
schaftlicher Forschung.  Diese  sollte  von  nun  ab  anscheinend  bescheidener, 
in  Wahrheit  aber  mühevoller  und  fruchtbarer  sein5  sie  glaubt  nicht  mehr 
alles  a  priori  wissen  zu  können  oder  gar  schon  zu  wissen,  sie  übernimmt 
vielmehr  die  schwere  Aufgabe,  in  scheinbar  germgfügigen  Indicien,  in 
alltäglichen  und  demioch  unbeachteten  Erscheinungen  die  Spuren  folgen- 
schwerer Gesetze  zu  finden.  Das  Buch  Galileis  belehrte  seine  Zeitge- 
nossen —  und  diese  Belehrung  dürfte  auch  heute  für  weite  und  ein- 
flufsreiche  Kreise  noch  nicht  überflüssig  geworden  sein  — ,  dafs  nicht 
in  logisch  geschultem  Denken  und  in  einer  Anzahl  von  fortigen  Formeln 
das  Wesen  der  Wissenschaft  und  der  wissenschaftlichen  Erziehung  sich 
erschr»pft,  dafs  vielmehr  die  unendlich  viel  schwierigere  Kunst,  durch 
Beobachtung  und  Versuche  den  Thatsacheu  Rechnung  zu  tragen,  das 
Hauptmittel  der  Erkenntnis  ist. 

Bei  dem  grofsen  Interesse,  welches  das  Buch  beansprucht,  ist  der 
bisherige  Mangel   einer   deutschen   Ausgabe   im  Grunde  verwunderlich. 


IV  Vorwort  des  Herausgebers. 

Allerdings  enväliut  die  im  Jahre  1654  vou  Viviani  uiedergescliriebeiie 
Biograj)liie  Galileis  eine  deutsclie  Übertragung  des  Dialogs;  wenn  diese 
Angabe  gegen  alle  Walirsclieiuliclikeit  ihre  Richtigkeit  haben  sollte, 
so  ist  die  Übersetzung  heute  gänzlich  verschollen.  Der  Versuch  eine 
deutsche  Ausgabe  zu  veranstalten  bedarf  sonach  wohl  keiner  weiteren 
Rechtfertigung.  Die  Schwierigkeiten  des  Unternehmens  sind  freilich 
nicht  gering:  einmal  ist  es  ohne  Willkürlichkeiten  der  Übersetzung  fast 
unmöglich,  jener  Formschönheit  des  Originals  gerecht  zu  werden,  die 
den  Dialog  zu  einem  klassischen  Werke  der  italienischen  Litteratur 
stempelt;  sodann  aber  sollte  eine  für  weitere  Kreise  bestimmte  Aus- 
gabe —  und  eine  solche  zu  veranstalten,  war  der  Zweck,  den  ich  mir 
setzte  —  von  Rechtswegen  diejenigen  Hinweise  enthalten,  die  das 
Verständnis  und  die  Würdigung  des  Buches  erleichtern,  die  es  aus 
seiner  Zeit  heraus  nach  seinen  Vorzügen  und  Schwächen  begreiflich 
machen,  und  die  dem  Leser  die  Möglichkeit  bieten,  den  Erkenntnis- 
fortschritt zu  verstehen,  der  sieh  in  ihm  vollzieht.  Nach  beiden  Rich- 
tungen hin  läfst  die  vorliegende  Ausgabe,  wie  mir  wohl  bewufst  ist, 
manches  zu  wünschen  übrig.  Es  rührt  dies  teils  und  vorwiegend  da- 
her, dafs  meine  Kräfte  zu  einer  tadellosen  Erfüllung  der  Aufgabe  nicht 
ausreichten,  teils  auch  daher,  dafs  ein  unerwünschtes  Mifsverhältnis 
zwischen  dem  Umfange  der  erforderlichen  Auseinandersetzungen  und 
dem  Texte  des  Dialogs  vermieden  werden  sollte.  Ob  es  mir  gekmgen 
ist,  wenigstens  einigermafsen  dem  mir  vorschwebenden  Ziele  mich  ge- 
nähert zu  haben,  stelle  ich  dem  Urteile  des  Lesers  anheim. 

Ich  habe  mich  nicht  entschliefsen  können,  so  nahe  dieser  Ge- 
danke lag,  eine  verkürzte  Bearbeitung  vorzunehmen;  denn  wenn- 
gleich gewisse  Partieen  des  Dialogs  für  unser  Gefühl  vielleicht  allzu 
eingehend  sich  mit  der  Widerlegung  veralteter  Ansichten  beschäftigen, 
so  schien  es  mir  doch  nicht  statthaft,  derartiges  zu  unterdrücken.  Der 
Dialog  ist  eben  mehr  als  ein  Buch,  es  spielt  sich  in  ihm  ein  Stück 
Kulturgeschichte,  ein  Denkprocess  der  Menschheit  ab.  Wollte  man 
die  sachlich  minder  wichtigen,  aber  historisch  sehr  wertvollen  Epi- 
soden von  mehr  scholastischem  Gepräge  oder  die  Kritik  von  Büchern, 
die  uns  heute  einer  solchen  nicht  für  wert  erscheinen,  in  der  Über- 
setzung beseitigen,  so  würde  allerdings  das  Werk  vielleicht  in  noch 
glänzenderem  Lichte  erscheinen,  ohne  dafs  die  materielle  Belehrung, 
die  man  auch  jetzt  noch  aus  ihm  schöpfen  kann,  wesentlich  beein- 
trächtigt würde;  aber  das  Verständnis  für  den  bedeutsamen  Umschwimg 
in  der  Geschichte  der  Wissenschaft,  den  Galilei  in  so  hervorragender 
Weise  herbeiführen  half^  würde  damit  nur  getrübt  und  erschwert.  Die 
Geschichte,    namentlich    die    einer    Wissenschaft,    macht    eben    keine 


Vorwort  des  Herausgebers.  V 

Sprünge:  wie  das  Neue  sclioii  vor  Galilei  in  Keimen  angelegt  war, 
so  ist  das  Alte  in  ihm  imd  um  ihn  noch  nicht  völlig  erstorben,  er 
kämpft  in  sich  dagegen  an  und  doch  übt  es  noch  Einflnfs  auf  Stoff 
und  Form  seiner  Untersuchimgen.  Die  Spuren  davon  wegzutilgen 
darf  man  sich  meines  Bedünkens  nicht  erlauben,  wenn  man  Interesse 
für  die  Wandlungen  wissenschaftlicher  Anschauungen  erwecken,  nicht 
aber  einen  Heroenkultus  fördern  will,  der  auf  keinem  Gebiete  Segen 
stiftet. 

Eine  Geschichte  des  Buches,  die  bei  dem  Interesse,  das  sie  von  jeher 
erAveckt  hat,  nicht  wohl  entbehrt  werden  kann,  ist  in  der  Einleitung 
gegeben,  die  wichtigsten  sonstigen  Thatsachen  aus  Galileis  Leben  sind 
mit  hinein  verflochten.  Die  Anmerkimgen,  die  zum  Teil  recht  grofse 
Mühe  verursacht  haben,  enthalten  teils  historische,  teils  sachliche 
Notizen;  aufserdem  berichtigen  sie  irrige  Anschauungen  Galileis.  Da 
ich  mir  die  Ausgabe  auch  in  Händen  von  Schülern  unserer  höheren 
Schulen  denke,  wird  man  hoffentlich  diese  heutzutage  nicht  eben 
schwierige  Kritik  immerhin  als  erwünschte  Zugabe  betrachten. 

Der  Übersetzung  ist  der  Text  der  Editio  princeps  zu  Grunde  ge- 
legt, wiewohl  derselbe  durch  viele  Druckfehler  entstellt  ist.  Manche 
derselben  schleppen  sich  durch  alle  italienischen  Ausgaben  hindurch-, 
in  solchen  Fällen  habe  ich  wohl  in  den  Anmerkungen  auf  die  Unrichtig- 
keit der  Lesart  aufmerksam  gemacht;  eine  eigentliche  Textkritik  je- 
doch einer  Übersetzung  beizufügen,  erschien  mir  überflüssig  und  un- 
zweckmäfsig. 

Als  einen  besonderen  Vorzug  vor  den  verbreiteteren  italienischen 
Ausgaben  möchte  ich  erwähnen,  dafs  die  Randinhaltsangaben,  die  so- 
genannten Postillen,  der  Editio  princeps  sich  in  vorliegender  Aus- 
gabe wirklich  da  befinden,  wohin  sie  gehören.  Hingegen  ist  die 
alphabetische  Zusammenstellung  derselben  am  Schlüsse  des  Buches, 
deren  Wert  in  der  Übersetzung  noch  problematischer  sein  würde  als 
im  Original,  durch  ein  Namen-  und  Sachregister  ersetzt.  —  Die  hand- 
schriftlichen Zusätze  Galileis  zu  dem  in  der  paduanischen  Seminar- 
bibliothek aufloewahrten  Exemplar  des  Dialogs  sind  fast  vollständig 
übersetzt  und  zwar  auf  Grund  der  Publikation  Favaros.^)  Dabei  sind 
diejenigen  sechs  Einschaltungen  (p.  22,  32,  104,  2G0,  264,  343),  welche 
Galilei  selbst  an  eine  bestimmte  Stelle  des  Dialogs  verwies,  in  den 
Text  aufgenommen  und   durch  lairsivcn  Druck  ausgezeichnet,  die  übri- 


1)  Le  Aggiunte  Autografe  Di  Galilei  AI  Dialogo  Sopra  I  Due  Massimi  Sistemi 
Neir  Exemplare  Posseduto  Dalla  Biblioteca  Del  Seniiuario  Di  Padova.  Modena, 
Societä  Tipografica  1880. 


VI  Vorwort  des  Herausgebers. 

gen  au  den  Sclilurs  des  ganzen  Werkes  gestellt.  Unübersetzt  geblieben 
sind  nur  abgerissene,  mir  unverständlich  gewesene  Sätze. 

Von  Galilei  berrübrende  oder  auf  ihn  bezügliche  Schriften  sind 
citiert,  soweit  sie  dariu  enthalten  sind^  nach  dem  von  Eugenio  Alberi 
veranstalteten  Sammelwerke^):  Le  Opere  Di  Galileo  Galilei.  Prima 
Edizione  Completa  etc.  Firenze  Societä  Editrice  Fiorentina  1842 — 1856 
(15  Bde.  und  ein  Supplementbd.).  Um  anderwärts  sich  findende  Citate 
auch  in  der  Übersetzung  leicht  auffindbar  zu  machen,  sind  am  Kopfe 
jeder  Seite  die  Alberischen  Seitenzahlen  angegeben.  Die  im  Erscheinen 
begriffene  Edizione  nazionale,  bezw.  die  genaue  Reproduktion  derselben^ 
welche  vom  italienischen  Unterrichtsministerium  unter  der  Leitung  des 
um  die  Galileistudien  hochverdienten  Antonio  Favaro,  Professors  in 
Padua,  veranstaltet  wird,  habe  ich  leider  nicht  mehr  benutzen  können, 
da  bis  jetzt  nur  der  erste  Band  erschienen  ist. 

Es  erübrigt  mir  die  überaus  angenehme  Pflicht,  allen  denen  aufs 
wärmste  zu  danken,  die  mich  bei  der  Lösung  meiner  Aufgabe  unter- 
stützt haben,  insbesondere  dem  eben  geuaimten  Herrn  Ant.  Favaro, 
sowie  Herrn  Dr.  Emil  Wohlwill  in  Hamburg,  die  beide  in  liebens- 
würdiger Weise  jeder  an  sie  gerichteten  Bitte  entsprachen,  ohne  die 
damit  verknüpfte,  bisweilen  recht  erhebliche  Mühe  zu  scheuen.  In 
den  Anmerkmigen  sind  die  Notizen,  die  ich  diesen  Herren  verdanke, 
als  von  ihnen  herrührend  kemitlich  gemacht;  der  fördernde  Eiuflufs 
aber,  den  ich  durch  ihre  Schriften  sowohl  wie  durch  briefliche  Mit- 
teilungen erfahren  habe,  erstreckt  sich  viel  weiter,  als  danach  scheinen 
könnte.  —  Desgleichen  sage  ich  wärmsten  Dank  der  Verwaltung  der 
Biblioteca  Nazionale  zu  Florenz,  die  mir  durch  gütige  Vermittelung 
der  Königl.  preufsischen  Unterrichtsverwaltung  zugänglich  gemacht 
wurde,  sowie  den  Verwaltungen  der  Königl.  Bibliothek  zu  Berlin,  der 
Bibliotheken  zu  München,  Darmstadt,  der  Stadtbibliothek  imd  der 
Freiherrl.  Karl  v.  Rothschildschen  Bibliothek  zu  Frankfurt  a/M.,  des- 
gleichen dem  Lihaber  der  Firma  Joseph  Baer  &  Co.  daselbst,  der  mir 
aus  seinem  reichen  Antiquariate  mit  gröfster  Uneigennützigkeit  das 
für  meine  Zwecke  Erforderliche  zur  Verfügung  stellte.  —  Für  das 
bereitwillige  Entgegenkommen  des  Herrn  Verlegers  gegenüber  meinen 
Wünschen  in  Bezug  auf  Ausstattung  bin  ich  ihm  von  Herzen  ver- 
pflichtet. 

Frankfurt  a'M.,  September  1891. 

E.  Straiifs. 


1)  Die  Citate  aus  dem  Dialog  selbst  sind  nach    der  Seitenzahl  vorliegender 
Übersetzung  angeführt. 


Einleitung. 

Im  folgenden  soll  eine  kurze  Darstellung  der  wichtigsten  That- 
sachen  aus  Galileis  Leben  gegeben  werden  unter  Hervorbebung  dessen, 
was  mit  seiner  Stellung  zur  kopernikanisclien  Lebre  und  mit  der  Ge- 
schichte des  Dialogs  zusammenhängt. 

Galileo  Galilei  wurde  im  Jahre  1564  zu  Pisa  geboren,  nach 
der  gewöhnlichen,  nicht  ganz  verbürgten^)  Annahme  am  18.  Februar 
(a.  St.).  Sein  Vater  Vincenzio,  Tuchhändler  in  Florenz,  ein  Mann 
von  feiner  Bildung,  Kenner  der  Mathematik  imd  noch  mehr  der  Musik- 
theorie, hatte  sich  mit  seiner  Gemahlin  Giulia  kurz  vorher  nach  Pisa 
begeben.  Dort  verlebte  Galilei  mindestens  die  ersten  zehn  Jahre  seines 
Lebens.  Da  die  Mittel  der  Familie  kärglich  waren,  konnte  der  Knabe 
nicht  eben  eiaen  hervorragenden  Unterricht  geniefsen.  Doch  erlangte 
er  bei  seinen  natürlichen  Gaben  schon  frühzeitig  eine  grofse  Fertig- 
keit in  den  klassischen  Sprachen  und  lernte  die  römischen  und  grie- 
chischen Autoren  gründlich  kennen.  Späterhin  studierte  er,  wahr- 
scheinlich in  der  Klosterschule  von  Vallombrosa,  Logik  und  Dia- 
lektik. Im  Jahre  1580  oder  81  bezog  Galilei  die  Universität  seines 
Geburtsortes  Pisa  —  die  Familie  war  inzwischen  wieder  nach  Florenz 
übergesiedelt  —  um  dort  nach"  dem  Wunsche  des  Vaters  dem  damals 
einträglichsten  Studium  der  Medicin  obzuliegen.  Indessen  interessier- 
ten ihn  philosophische  Studien  mehr,  wenngleich  die  herrschende  Schule 
ihn  nicht  befriedigen  konnte.  Diese  nannte  sich  die  peripatetische;  sie 
wollte  damit  ihre  Verwandtschaft  mit  der  von  Aristoteles  gegründeten 
peripatetischen  Schule  des  Altertums  zum  Ausdruck  bringen.  Doch 
ist  es  keineswegs  statthaft,  alle  von  den  Peripatetikern  jener  Zeit  ver- 
tretenen Meinungen  als  wirklich  aristotelisch  zu  betrachten,  da  viel- 
fach eine  mifsverständliche  Auffassung  des  Aristoteles  dabei  zu  Grunde 
lag.  Galilei  bekämpfte  damals  schon  bei  Gelegenheit  akademischer 
Disputationen  die  aristotelischen  und  pseudo-aristotelischen  Ansichten 


1)  Vgl.    Favaro,    Galileo    Galilei  e  lo    studio   di    l'adova.      (Firenze    18831 
Vol.  I.  p.  5. 


VIII  Einleitimg. 

aufs  lebhafteste.  lu  weit  höherem  Mafse  als  Aristoteles  zog  ihn  Plato 
an,  von  dem  er  —  nicht  immer  richtig  —  manche  Lehren,  insbesondere 
anf  das  Wesen  der  Erkenntnis  bezügliche,  auch  im  Dialoge  mit  Vor- 
liebe zur  Sprache  bringt.  Vor  allem  aber  suchte  er  aus  eigener 
Kraft  zur  Erkenntnis  durchzudringen,  ohne  auf  die  Worte  eines  Meisters 
zu  schwören;  es  dürstete  ihn  nach  Ideen  und  Thatsachen,  die  Schul- 
philosophie aber  bot  ihm  nichts  als  Worte. 

Zu  jener  Zeit  soll  er  nach  der  Erzählung  Vivianis^),  als  er  im 
Dome  von  Pisa  das  Schaukeln  einer  Lampe  beobachtete,  die  Unab- 
hängigkeit der  Schwingungsdauer  eines  Pendels  von  der  Gröfse  des 
Ausschlags,  den  sogenannten  Isochronismus  der  Pendelschwingungen, 
entdeckt  und  auf  Grund  dieser  Entdeckung  einen  Apparat  zin*  Messung 
der  Häufigkeit  des  Pulsschlags  ersonnen  haben.  Bis  zu  seinem  neun- 
zehnten Lebensjahre  hatte  Galilei  noch  keine  Gelegenheit  gehabt, 
sich  mathematische  Kenntnisse  anzueignen.  Als  ihm  aber  die  ersten 
Elemente  der  Geometrie  durch  Ostilio  de'  Ricci,  einen  Freund  seines 
Vaters,  bekannt  geworden  waren,  wurde  er  von  glühender  Begeisterung 
für  die  Mathematik  erfüllt,  sodafs  er,  anfänglich  gegen  den  Wunsch 
seines  Vaters,  sich  ihr  ganz  zu  widmen  beschlofs.  Er  studierte  zvi- 
nächst  Euklid,  später  aber  beschäftigten  ihn  besonders  die  Schriften 
des  Archimedes.  Er  konstruierte  im  Verfolg  dieser  Studien  eine  Art 
hydrostatischer  Wage,  die  auf  dem  archimedischen  Satze  von  dem 
Gewichtsverluste  eines  in  eine  Flüssigkeit  eintauchenden  Körpers  be- 
ruhend, das  Mischungsverhältnis  zweier  Metalle  zu  bestimmen  erlaubte.  ^) 
Da  die  archimedischen  Grundsätze  der  Hydrostatik  mit  der  Annahme 
absolut  leichter  Körper,  d.  h.  solcher  Körper,  die  den  „natürlichen 
Trieb"  haben  sich  vom  Weltmittelpunkt  zu  entfernen,  unvereinbar 
sind,  andererseits  aber  diese  Lehre  des  Aristoteles  von  den  sch^veren 
und  leichten  Körpern  einen  Grundstein  in  dem  Gebäude  seiner  Natur- 
philosophie bildet,  so  trug  sicherlich  die  Beschäftigung  mit  Archimedes 
nicht  wenig  dazu  bei,  seine  Abneigung  gegen  die  peripatetische  Schule 
zu  verstärken.  —  Aufserdem  behandelte  Galilei  damals  verschiedene  Sätze 
über  den  Schwerpunkt  fester  Körper,  die  er  mehreren  angesehenen 
Mathematikern  zur  Begutachtung  vorlegte,  u.  a.  dem  Lektor  der  Mathe- 
matik in  Padua,  Moletti,  dessen  Nachfolger  im  Amte  er  später  wer- 
den sollte. 


1)  Op.  XV,  332. 

2)  Wir  besitzen  über  diesen  Apparat  eine  kleine  Abhandlung  Galileis,  die 
erst  nach  seinem  Tode  gedruckt  wurde:  La  bilancetta ,  nella  quäle,  ad  imi- 
tazione  d'Archimede  nel  problema  della  Corona,  s'insegna  a  trovare  la  proporzione 
del  misto   di  due  metalli,  e  la  fabbrica  dello  strumento.     Op.  XIV,  199 — 205. 


Einleituno-.  IX 

Daneben  fesselte  ihn  zu  jener  Zeit  die  Lektüre  Dantes,  wie  denn 
Galilei  sein  ganzes  Leben  hindurch  ein  begeisterter  Verehrer  der  Dicht- 
kunst, der  Musik  und  der  bildenden  Künste  blieb,  der  sich  auf  allen 
diesen  Gebieten  auch  mit  Glück  selbstthätig,  wenngleich  nur  als 
Dilettant,  versuchte.  Über  Dantes  Inferno  hielt  er,  wahrscheinlich 
1587  oder  1588,  in  der  florentinischen  Akademie  zwei  Vorträge,  die 
erst  im  Jahre  1855  gedruckt  worden  sind.  Man  hat  aus  einer  Stelle 
dieser  Vorlesungen^)  schliefsen  wollen,  dafs  Galilei  damals  noch  An- 
hänger des  ptolemäischen  Systems  war,  insofern  dort  der  Mittelpunkt 
der  Erde  als  identisch  mit  dem  der  Welt  betrachtet  wird.  Obgleich 
er  nun  damals  thatsächlich  noch  nicht  Kopernikaner  war,  wie  wir 
sehen  werden,  so  reicht  doch  die  angeführte  Begründung  nicht  aus-, 
denn  Galilei  konnte  bei  einer  Erläuterung  der  Diviua  Commedia  sich 
auf  keinen  anderen  Standpunkt  stellen  als  auf  den  Dantes.  Ob  er  ihn 
teilte,  darüber  sich  bei  solcher  Gelegenheit  auszulassen,  wäre  über- 
flüssig, ja  geschmacklos  gewesen. 

In  dem  gleichen  Jahre  1587  betrat  Galilei  zum  ersten  Male  den 
Boden  Roms,  der  späterhin  der  Schauplatz  so  denkwürdiger  Erleb- 
nisse für  ihn  werden  sollte.  Er  suchte  bei  dieser  Gelegenheit  die 
Bekanntschaft  mit  dem  Jesuiten  Clavius^),  damals  dem  angesehen- 
sten Astronomen  und  Mathematiker  in  Italien.  Er  stand  mit  ihm  bis 
zu  dessen  1612  erfolgtem  Tode  in  freundlichen  Beziehungen,  sie  er- 
litten freilich  während  Galileis  paduanischer  Professur  eine  Unter- 
brechung, da  dieser  in  Diensten  der  venetianischen  Republik  sich 
gegenüber  den  Jesuiten,  die  im  Jahre  1606  aus  allen  Territorien  der 
Republik  vertrieben  wurden,  grofse  Zurückhaltung  auferlegen  mufste. 
Der  Kommentar  des  Clavius  zur  „Sphaera"  des  Sacrobosco  galt  damals 
—  vom  Standpunkte  der  Antikopernikaner  mit  Recht  —  als  das  beste 
Lehrbuch  der  Elemente  der  Astronomie  und  erlebte  zahlreiche  Auf- 
lagen.^) Selbstverständlich  kannte  und  benutzte  es  Galilei,  wovon 
auch  im  Dialoge  deutliche  Spuren  bemerkbar  sind.  —  Als  Galilei  sich 
mit  Clavius  in  Rom  in  Verbindung  setzte,  war  wohl  sein  Hauptzweck 
durch  Empfehlung    seitens   des   einflufsreichen  Mannes   eine  Professur 

1)  Op.  XV,  15. 

2)  Christoph  Cbivius,  geboren  lülM  zu  Bamberg,  ist  am  bekanntesten  durch 
seine  Wirksamkeit  zu  Gunsten  der  gregorianischen  Kaleuderretbrm,  die  in  Italien 
im  Jahre  1582  eingeführt  wurde. 

3)  Der  Titel  der  mir  vorliegenden  Ü.  Auflage  lautet:  Christophori  Clavii 
Bambergensis  ex  societate  Jesu  in  sphaeram  loannis  de  Sacro  Bosco  Commen- 
tarius.  Nunc  tertio  ab  ipso  auctore  recognitus,  plerisque  iu  locis  locupletatus. 
llomae,  ex  officina  Dominici  Basae  MDLXXXV. 


X  Einleitung. 

an  einer  der  italienisclien  Universitäten  zu  erhalten.  Wenigstens  seilen 
wir  ihn  vorher  und  nachher  bemüht,  eine  solche  Stellung  zu  erlangen, 
die  ihm  bei  seinen  kärglichen  Mitteln  schon  aus  materiellen  Gründen 
höchst  wünschenswert  erscheinen  mufste.  Durch  Vermittlung  des  zu 
jener  Zeit  sehr  angesehenen  Mathematikers  Marchese  Guidobaldo  del 
Monte,  der  ihn  dem  Grofsherzog  von  Toskana,  Ferdinand  I,  warm  em- 
pfahl, wurde  denn  in  der  That  Galilei  im  Jahre  1589  für  drei  Jahre  zum 
Lektor  der  Mathematik  in  Pisa  ernannt.  Angenehm  war  diese  Stellung 
freihch  nicht;  abgesehen  von  dem  kärglichen  Gehalte,  das  er  bezog, 
stand  er  mit  seinen  Kollegen,  zu  denen  der  fanatische  Gegner  aller 
Neuerungen  Giulio  Libri  gehörte,  auf  dem  denkbar  schlechtesten  Fufse; 
nur  zu  Jacopo  Mazzoni,  unter  dessen  Leitung  er  philosophische  Studien 
trieb,  stand  er  in  freundschaftlichen  Beziehungen.  Die  Lossagung  von 
der  aristotelischen  Naturphilosophie,  die  Anerkennung,  welche  G.  den 
bedeutsamen  Ideen  Benedettis*)  zollte,  das  Avaren  Dinge,  welche  die 
herrschende  Schule  aus  sachlichen  und  persönlichen  Gründen  nicht 
verzeihen  konnte. 

Aus  der  Zeit  der  Pisaner  Professur  stammen  verschiedene  Ab- 
handlungen über  mechanische  Fragen,  in  denen  der  jugendliche  For- 
scher noch  mühsam  mit  dem  Stoffe  ringt.  Die  bekannteste  ist  eine 
in  dialogischer  Form  abgefafste  Schrift,  die  Sermones  de  motu  gravium. 
Dieselbe  ist  zum  ersten  Male  in  der  Alberischen  Ausgabe  der  Werke 
(XI,  9  —  55)  im  Jahre  1854  veröffentlicht  worden;  es  sind  ihr  fünf 
weitere  kleine  Abhandlungen  beigefügt,  die  von  dem  Herausgeber  offen- 
bar irrig '^)  in  eben  jene  Zeit  verlegt  werden,  während  sie  teilweise 
augenscheinlich  auf  einem  weit  vorgeschritteneren  Standpunkt  stehen. 
In  der  neuerdings  erscheinenden  Ausgabe  der  galileischen  Werke,  die 
von  Favaro  besorgt  wird,  sind  noch  andere  interessante,  der  pisanischen 
Zeit  angehörige  Aufsätze  über  Bewegungs fragen  enthalten.  (I,  243 
—366.)  Die  Sermones  dürfen  jedoch  als  das  Reifste  aus  jener  Periode 
angesehen  werden,  wir  beschränken  uns  daher  auf  deren  Besprechung. 
Zunächst  erkennen  wir  aus  der  unbedingten  Verehrung,  mit  der  G. 
im  Gegensatz  zu  späteren  Anfserungeu  in  dieser  Schrift  von  Ptolemäus 
spricht '%  und  aus  der  Bemerkung,  der  Erde  sei  die  Ruhe  „angenehmer" 


1)  Giovanni  Battista  Benedetti  (1530 — 1590),  Venetianer  von  Geburt,  war  in 
wichtigen  Tragen  der  Mechanik  ein  Vorläufer  Galileis.  Auch  er  war  leidenschaft- 
licher Gegner  der  Peripatetiker.  Sein  Hauptwerk:  Diversarum  speculationuin 
math.  et  physicarum  liber.     Taurini   1585. 

2)  Darauf  hat  Wohlwill  aufmerksam  gemacht  (Die  Entdeckung  des  Be- 
harrungsgesetzes, AVeimar  1884.  p.  31  ff.),  dem  ynv  uns  in  unserer  Darstellung 
auch  sonst  bisweilen  anschliefsen.  3}  Op.  XI,  11. 


Einleitung.  XI 

als  die  Bewegung'),  dals  er  damals  wirklich  noch  Anhänger  des  ptole- 
mäischeu  Weltsystems  war.  Weiterhin  aber  finden  wir,  dafs  er  in  der 
Bewegungslehre  die  Anschauungen  Benedettis,  der  freilich  in  keiner 
galileischen  Schrift  namentlich  erAvähnt  wird^),  im  wesentlichen  sich 
aneignet  und  in  eigentümlicher  Weise  weiterbildet.  In  erster  Linie 
bekämpft  er  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  im  Dialog  über  die  Welt- 
systeme^) die  sonderbare  aristotelische  Anschauung,  dafs  bei  „ge- 
waltsamen" Bewegungen  (wie  z.  B.  bei  horizontalem  und  vertikalem 
Wurfe)  die  Ursache  des  Andauerns  der  Bewegung  in  der  Bewegung 
des  Mediums  zu  suchen  sei;  G.  führt  dasselbe  vielmehr  wie  Bene- 
detti  auf  eine  virtus  impressa,  auf  eine  dem  Körper  von  der  ursprüng- 
lichen Bewegungsursache  fetwa  dem  schleudernden  Arme)  eingeprägte 
Kraft  zurück ,  mit  anderen  Worten  auf  das  Beharrimgsvermögen. 
Er  hat  über  diese  virtns  impressa  freilich  noch  sehr  unrichtige 
Anschauungen,  nimmt  namentlich  an,  dafs  dieselbe  mit  der  Zeit  ab- 
nehme und  schliefslich  erlösche;  hingegen  giebt  er  sich  keiner  Täu- 
schung darüber  hin,  dafs  dieses  Wort  das  Wesen  der  Sache  nicht  ent- 
hülle, wie  gleichfalls  im  Dialog  über  die  Weltsysteme  ausgeführt  wird.*) 
Zu  einem  völlig  konsequenten  Standpunkte  bezüglich  des  Beharrens 
der  Bewegung  ist  er,  wie  sich  später  zeigen  wird,  zeitlebens  nicht  ge- 
langt, sodafs  es  nur  sehr  bedingt  richtig  ist,  Galilei  die  Entdeckung 
des  Beharrungsgesetzes  zuzuschreiben.  —  Auch  die  Unterscheidung 
zwischen  gewaltsamer  und  natürlicher  Bewegung,  die  eines  der  schwer- 
sten Hindernisse  für  den  Fortschritt  der  Mechanik  bildete,  wird  in 
den  Sermones  beibehalten,  und  auch  diese  Fessel  hat  Galilei  nie  ganz 
abgestreift.  Mit  Lebhaftigkeit  bekämpft  er  hingegen  unter  Bezugnahme 
auf  seine  Studien  zu  Archimedes  die  Existenz  absolut  leichter  Körper, 
während  er  wiederum  die  aristotelische  Lehre  von  den  über  einander 
geschichteten  vier  Elementarsphäreu  und  von  deren  Umschliefsung 
durch  die  Mondsphäre  anerkemit.  Weiterhin  folgt  die  Untersuchung, 
ob  bei  Übergang  einer  Bewegung  in  die  entgegengesetzte  ein  Ruhe- 
zustand eintreten  müsse;  er  verneint  diese  Frage  im  Gegensatze  zu 
Aristoteles.  Auch  im  Dialoge  über  die  Weltsysteme  wird  die  Sache 
gestreift,   ohne   aber  ausführlichere   Behandlimg  zu   finden.®)     Sodann 


1)  Op.  XI,  18. 

2)  Dagegen  wird  der  averroistische  Peripatetiker  Girolamo  Borro  citiert;  auf 
ihn  nimmt  auch  der  Dialog  über  die  Weltsysteme  Bezug.  Übrigens  citiert  Galilei 
überhaupt  wenig,  und  seine  Citate  sind  nicht  selten  formell  wie  sachlich  ungenau. 

3)  Man  vgl.  XI,  13—15  mit  Dial.  157—1(31. 

4)  Vgl.  Op.  XI,  18  und  Dial.  :i4<)f. 

5)  Dial.  p.  '293. 


XII  Einleitung. 

kommt  G.  auf  die  falsche,  ja  thörichte  aristotelische  Behauptung  zu 
sprechen,  dafs  die  Fallgeschwindigkeit  proportional  dem  Gewichte  und 
umgekehrt  proportional  der  Dichtigkeit  des  Mediums  sei.  Neben  vielen 
zutreffenden  und  scharfsinnigen  Bemerkungen  über  diesen  Gegenstand 
tritt  doch  noch  eine  völlig  unzureichende  Anschauung  über  den  Ver- 
lauf der  Fallbewegung  und  die  dabei  wirksamen  Ursachen  hervor.  G. 
meint,  die  Verzögerung  beim  Emporsteigen  eines  in  die  Höhe  gewor- 
fenen Körpers  rühre  von  der  Abnahme  der  virtus  impressa  her;  im 
Augenblicke,  wo  diese  sich  bis  zum  Betrage  der  Schwere  vermindert 
habe,  finde  der  Umschlag  der  Bewegung  in  die  entgegengesetzte  statt; 
anfänglich  sei  dabei  noch  immer  ein  Rest  derselben  vorhanden,  sodafs 
aus  diesem  Grunde  die  Bewegung  nach  unten  erst  langsamer,  dann 
schneller  erfolge;  von  dem  Momente,  wo  die  virtus  impressa  ganz  auf- 
gezehrt sei,  werde  die  Bewegung  gleichförmig.  Diese  letzteren  An- 
sichten stehen  sogar  hinter  dem,  was  Beuedetti  geleistet  hatte,  be- 
trächtlich zurück,  einen  so  grofsen  Fortschritt  gegen  die  herrschen- 
den Anschauimgen  andererseits  schon  die  Art  der  Problemstellung,  näm- 
lich das  Eingehen  auf  den  faktischen  Verlauf  der  Bewegung,  bekundet. 
Übrigens  begnügte  sich  G.  nicht  mit  diesen  theoretischen  Erörterungen, 
er  stellte  auch  wirkliche  Fallversuche  an  und  zwar  von  dem  berühm- 
ten schiefen  Glockenturme  von  Pisa,  der  sich  zu  solchen  ganz  beson- 
ders eignete.  „Von  der  Höhe  dieses  Turmes  erlitt  die  peripatetische 
Philosophie  einen  Schlag,  von  dem  sie  sich  nie  wieder  erholte."^) 

Der  Hafs  seiner  Kollegen  und  eines  Halbblutprinzen  des  Hauses 
Medici,  welchen  er  durch  eine  freimütige  Kritik  einer  von  diesem  erfun- 
denen Maschine  sich  zum  Gegner  gemacht  hatte,  zwang  ihn  nach  Ablauf 
des  Trienniums  im  Jahre  1592  seine  Stellung  in  Pisa  aufzugeben.  Galilei, 
dessen  Vater  inzwischen  gestorben  war,  und  auf  dem  die  Sorge  für 
seine  Geschwister  lastete,  mufste  sich  nach  einer  anderen  Stellung  um- 
sehen. Wiederum  leistete  ihm  der  Marchese  del  Monte  vortreffliche 
Dienste;  durch  seine  Empfehlung  gelang  es  Galilei,  die  seit  vier  Jahren 
vacante  Stelle  eines  Lektors  der  Mathematik  in  Padua  zu  erhalten. 
Die  Bestallungsurkunde  ist  datiert  vom  26.  September  1592,  am  7.  De- 
cember  hielt  er  in  Padua  seine  Antrittsrede.  —  Eine  glücklichere 
Wahl  hätte  G.  nicht  treffen  können,  denn  nirgends  sonst  in  Italien 
wurden  der  Forschung  so  wenig  äufsere  Hindernisse  in  den  Weg  ge- 
legt als  auf  dem  Boden  der  Republik  Venedig.  Die  Jahre,  die  er  in 
Padua  verlebte,  waren  denn  auch  seine  glücklichsten  und  an  wissen- 
schaftlichen   Ergebnissen    reichsten.      Zwar    sind    seine    bedeutendsten 


1)  Favaro,  Galileo  Galilei  e  lo  studio  cli  Padova  I,  4; 


Einleituug.  XIII 

Werke  erst  uacli  Ablauf  dieser  Periode  geschrieben,  das  Material  dazu 
aber  liJitte  er  gröfstenteils  in  Padua  gewonnen.  Uns  interessiert  dabei 
vorwiegend  sein  Verhältnis  zur  kopernikauischen  Lehre  und  den  sonst 
im  Dialoge  behandelten  Materien. 

Wie  und  wann  Galilei  zuerst  von  der  kopernikanischen  oder  der 
„pythagoreischen"^)  Lehre,  wie  man  sie  damals  nannte,  Kunde  bekam, 
steht  nicht  fest;  auch  ist  dieser  Frage  eine  besondere  Wichtigkeit  nicht 
beizumessen.  Denn  mag  auch  die  neue  Lehre  in  jener  Zeit  Avenig  An- 
hänger auf  italienischem  Boden  gezählt  haben,  bekannt  war  sie  allent- 
halben. Jeder  Verfasser  eines  Lehrbuchs  der  Astronomie  fühlte  sich 
verpflichtet  von  ihr  zu  reden,  freilich  nur  um  sie  zu  verurteilen,  wo 
nicht  gar  sie  lächerlich  zu  macheu.  Ja  selbst  vor  den  Zeiten  des  Koper- 
nikus  pflegte  man  die  Unmöglichkeit  einer  Erdbewegung  nach  dem 
Vorgange  des  Aristoteles,  des  Ptolemäus  und  speciell  des  Sacrobosco, 
des  Verfassers  der  oftmals  kommentierten  „Sphaera",  zu  beweisen.  Es 
lag  also  jetzt  um  so  näher,  auf  die  moderne  Erneuermig  und  Ver- 
tiefung des  antiken  Gedankens  der  Erdbewegung  hinzuweisen,  wie  sie 
von  Seiten  des  Kopernikus  stattgefunden  hatte.  Was  in  den  früheren 
astronomischen  Komj)endien  dem  Leserkreise  und  selbst  dem  Verfasser 
mehr  als  müfsiger  Ballast,  als  übertrieben  gewissenhafte  Gründlichkeit 
erscheinen  mochte,  insofern  es  sich  um  die  Widerlegung  einer  Ansicht 
handelte,  die  niemand  mehr  ernstlich  teilte,  das  gewann  immerhin, 
seitdem  wieder  Vertreter  dieser  Ansicht  unter  den  Lebenden  geweilt 
hatten,  aktuelles  Interesse.  Freilich  wurde  die  Bedeutung  des  Mannes 
und  seiner  Sache  in  Italien,  wenn  wir  von  Giordano  Bruno  absehen, 
verkannt")  und  die  Argumente,  die  man  gegen  die  neuerstandene  Lehre 
anzuführen  hatte,  waren  noch  immer  die  fadenscheinig  gewordenen, 
bis  zum  Überdrufs  wiederholten  der  Vergangenheit.  Aber  der  Name 
des  Kopernikus  und  die  Schlagworte  seiner  Lehre,  wenn  auch  nicht 
immer   die   gründliche   Detailausführung   seines    Systems,   waren  jedem 


1)  Einzelne  Philosophen  der  pythagoreischen  Schule,  wie  Philolaus,  Hera- 
clicles,  Ecphantus  sprachen  allerdings  von  einer  Bewegung  der  Erde,  aber  in  so 
unbestimmter  Weise  und  in  so  ungenügender  Begründung,  dafs  man  sie  als  wirk- 
liche Vorläufer  des  Kopernikus  nicht  ansehen  darf,  wiewohl  Kopernikus  selbst  sie 
als  solche  nennt.  Anders  steht  es  mit  Aristarch  aus  Sanios,  der  in  der  That 
das  Richtige  mit  grofser  Bestimmtheit  aussprach  und  dessen  Lehre  daher  auch 
im  Altertume  ebenso  verketzert  wurde  wie  im  Jahre  IG  IG  die  des  Frauenburger 
Domherrn.     (Vgl.  Plut.  de  fac.  in  orbe  lunae  VI,  3.) 

2)  Als  kenntnisreicher  Astronom,  dessen  Beobachtungen  Beachtung  verdien- 
ten, wurde  K.  übrigens  in  Italien  bisweilen  anerkannt,  so  von  Magini.  {Ygl.  Libri 
bist,  des  sciences  math.  en  Italic  IV,  43.) 


XIV  Einleitung. 

Faclimaime  bekannt,  nicht  sowohl  durcli  das  Studium  seines  Werkes*) 
als  in  der  Regel  durch  Darstellungen  aus  dritter  und  vierter  Hand. 
Danach  ist  die  Frage,  wer  Galilei  mit  dem  kopernikanischen  Systeme 
bekannt  gemacht  habe,  ebenso  unberechtigt,  wie  wenn  man  heutzutage 
feststellen  wollte,  durch  welchen  Anlafs  ein  Gelehrter  von  der  Descen- 
denztheorie  Kenntnis  erhalten  habe;  er  selbst  würde  wahrscheinlich 
die  Frage  nicht  beantworten  können.  Damit  soll  keineswegs  behauptet 
werden,  dafs  der  Baseler  Christian  Wursteisen,  möglicherweise 
auch  Mästlin,  der  Lehrer  Keplers,  von  denen  der  eine  gewifs,  der 
andere  nach  unverbürgten  Nachrichten  vielleicht,  in  Italien  für  das 
System  Propaganda  machte,  sich  keine  Verdienste  um  die  Sache  er- 
worben hätten;  aber  anzunehmen,  dafs  Galilei  durch  Zufälligkeiten, 
wie  die  Wandervorlesungen  Wursteisens-)  zu  dem  sein  Leben  und 
Wirken  beherrschenden  Standpunkte  gebracht  worden  sei,  ist  verfehlt. 
Galilei  war  wahrlich  nicht  der  Mann,  der  die  Argumente  gegen  eine 
Lehre  immer  wieder  zu  seinen  Ohren  dringen  liefs,  ohne  eine  selbst- 
ständige vorurteilsfreie  Prüfung  derselben  anzustellen.  Er  wird  sehr 
bald  das  Werk  des  Kopernikus  zur  Hand  genommen  haben,  ob  er  nun 
zu  Füfsen  Wursteisens  gesessen,  oder  von  dessen  Vorträgen  durch 
Dritte  Kunde  bekommen  hat,  oder  ob  nichts  derart  geschehen  ist.  Da 
Wursteisen  schon  1588  starb,  Galilei  aber  noch  nach  dieser  Zeit,  wie 
wir  sahen,  dem  kopernikanischen  Systeme  fremd  gegenüberstand,  so 
ist  eine  unmittelbare  Einwirkung  des  einen  auf  den  anderen  unglaub- 
lich. Mau  kann  höchstens  zugeben,  dafs  eine  gewisse  mittelbare  An- 
regung durch  solchen  äufseren  Anlafs  gegeben  wurde.  Genug,  wir 
wissen  mit  Bestimmtheit  von  keiner  Lebeusperiode  Galileis,  in  der  er 
beide  Systeme  kannte  und  dabei  dem  ptolemäischen  vor  dem  koperni- 
kanischen innerlich  den  Vorzug  gegeben  hätte.  —  Dafs  ihn  freilich 
äufsere  Rücksichten  bewogen,  seine  wahi-en  Überzeugungen  zu  ver- 
schweigen, ja  zu  verleugnen,  ist  ebenso  gemfs.  In  seiner  Stellung  als 
Lektor  der  Mathematik  in  Padua,  welche  ihm  die  Kollegien  „Sphaera" 
imd  „Theoricae  planetarum'^  zur  Pflicht  machte,  war  es  unvermeidlich 


1)  Der  Titel  des  im  Todesjahre  des  Verfassers  erschienenen  Werkes  lautet: 
Nicolai  Copemici  Torinensis  De  ReTolutionibus  Orbium  coelestium  Libri  VI. 
Habes  in  hoc  opere  iam  recens  nato,  et  sedito,  studiose  lector,  motus  stellarum. 
tarn  fixarum  quam  errantium,  cum  ex  ueteribus,  tum  etiam  ex  recentibus  ob- 
seruationibus  restitutos:  et  nouis  insuper  ac  admirabilibus  hypothesibus  ornatos. 
Habes  etiam  Tabulas  expeditissimas,  ex  quibus  eosdem  ad  quoduis  tempus  quam 
facillime  calculare  poteris.  Igitur  eme,  lege,  fruere.  'AytcofihQrjtog  ovösig  daCza. 
Norimbergae  apud  Job.  Petreium,  Anno  MDXLIII. 

2)  Vgl.  Dial.  p.  133  f. 


Einleitung.  .  XV 

in  der  Frage  der  Weltsysteme  Partei  zu  ergreifen;  in  welchem  Sinne 
er  es  that,  lehrt  uns  ein  gedrängter,  für  die  Hand  seiner  Schüler  be- 
stimmter Auszug  seines  Kollegs  über  sphärische  Astronomie,  der  erst 
nach  seinem  Tode  im  Jahre  1656  gedruckte  Trattafo  della  Sfera  o  Cosmo- 
cjrafia  (Op.  III,  1—52).  Galilei  behandelt  darin  in  der  damals  üblichen 
Weise,  nur  mit  ganz  besonderer  Klarheit,  den  üblichen  Stoff.  Er  be- 
weist die  Kugelgestalt  und  die  kreisförmige  Bewegung  des 
Himmels,  die  Kugelgestalt  der  Erde,  ihre  centrale  Stellung,  ihre 
Kleinheit  im  Vergleich  zu  der  Himmelskugel,  ihre  Unbeweglich- 
keit,  die  doppelte  Bewegung  der  Himmelskörper;  er  spricht  dann 
von  den  verschiedenen  auf  der  Himmelskugel  angenommenen  Kreisen, 
erläutert  die  ungleiche  Tagesdauer,  die  V^erschiedenheit  der  Jahreszeiten 
in  den  verschiedenen  Erdzouen,  die  Mond-  und  Soimenfinsternisse,  die 
Mondphasen,  die  Präcession.  Überall  spricht  er  so,  wie  ein  innerlich 
überzeugter  Anhänger  des  ptolemäischen  Systems  sich  nicht  anders 
ausdrücken  Avürde,  ja  man  kann  aus  dieser  Abhandlung  die  landläufigen 
Ansichten,  die  Galilei  später  so  energisch  bekämpfte,  vielleicht  am 
besten  kennen  lernen.  Nur  in  der  Frage  der  Achsendrehung  der  Erde 
legt  er  sich  eine  gewisse  Zurückhaltung  auf,  indem  er  nicht  wie  sonst 
in  dieser  Schrift  das  althergebrachte  Käsonnement  ohne  weiteres  sich 
aneignet,  sondern  die  angeblichen  Gründe  des  Ptolemäus  gegen  diese 
Art  der  Bewegung  nur  als  solche  mitteilt  und  so  diesem  die  Ver- 
antwortung für  ihre  Richtigkeit  überläfst.  ^)  Man  mag  daraus  viel- 
leicht schliefsen  wollen,  dafs  Galilei  noch  nicht  vollüberzeugter  An- 
hänger des  Kopernikus  war,  dafs  er  einstweilen  nur  die  Achsendrehung 
der  Erde  billigte,  als  er  die  Schrift  abfafste,  was  vermutlich  in  den 
ersten  Jahren  seines  Aufenthaltes  in  Padua  geschah;  sicher  ist,  dafs 
dieselbe  noch  1606  und  später  in  den  Händen  seiner  Schüler  sich  be- 
fand, als  er  schon  längst  ins  kopernikanische  Lager  übergegangen 
war.  Seine  wahre  Ansicht  geht  hervor  aus  den  1597  geschriebenen 
Briefen,  von  denen  der  eine  an  den  oben  genannten  Jacopo  Mazzoni-), 
der  andere  an  Kepler  gerichtet  ist,  welchem  er  für  den  ihm  übersandten 
Frodromiis  dissertationum  cosmographicaruin  dankt.  ^)  Einen  besonde- 
ren Vorwurf  kann  man  gegen  Galilei  wegen  der  Verheimlichung 
seiner  Überzeugung  nicht  erheben.  Die  Argumente,  auf  welche  er  in 
späterer  Zeit  sich  in  erster  Linie  berief,  standen  ihm  damals  noch 
nicht  zu  Gebote;   seine   Amtspflicht   erheischte   nichts   weiter   von   ilim 


1)  (»p.  III,  IS. 

2)  Op.  II,  1. 
8)   Op.   VI,   11. 


XVI  .  Einleitung. 

als  die  Überlieferung  des  liergebrachten  Stoifes,  aucli  seine  Schüler 
erwarteten  von  ihm  schwerlich  etwas  Anderes.  Jede  erhebliche  Neue- 
rung, die  er  in  seinem  öffentlichen  Unterrichte  etwa  vorzunehmen  ge- 
wagt hätte,  würde  seinen  schon  damals  zahlreichen  Gegnern  will- 
kommenen Anlafs  geboten  haben,  ihn  lächerlich  und  damit  auf  dem 
Katheder  unmöglich  zu  machen.  Galilei  mufste  sich  sagen  —  und 
bei  den  unsittlichen  Verhältnissen,  den  Kabalen  und  Ränken,  die  an 
italienischen  Universitäten  der  damaligen  Zeit  auch  schon  im  Schwange 
waren,  kann  man  ihm  nicht  Unrecht  geben  —  er  mufste  sich  sagen, 
dafs  er  durch  vorzeitiges  Aussprechen  seiner  Überzeugung  das  Ohr 
seiner  Schüler  verheren  werde,  dafs  er  damit  auch  in  Zukimft  sich  der 
Möglichkeit  beraubte,  im  Dienste  der  Wahrheit  thätig  zu  sein,  und 
dafs  es  nicht  nur  aus  persönlichen,  sondern  auch  aus  sachlichen  Grün- 
den klüger  sei  zu  warten,  bis  er  ein  die  Gegner  erdrückendes  Beweis- 
material aufgehäuft  habe.  Erhebt  man  doch  noch  heute  zuweilen  gegen 
den  Entdecker  der  Jupiterstrabanten  und  der  Phasenänderung  der  Venus 
den  Vorwurf,  er  sei  auch  in  der  Folge  noch  mit  ungenügenden  Waffen 
in  den  Kampf  für  die  Lehre  von  der  Erdbewegung  ausgezogen.^)  Ob 
auch  die  Furcht  vor  einem  Konflikt  mit  der  Kirche  ihn  damals  zurück- 
hielt, läfst  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  so  wahrscheinlich  es 
auch  ist.  Diese  hatte  noch  keine  entschiedene  Stellung  zu  der  Lehre 
von  der  Erdbewegung  genommen,  wiewohl  gerade  zu  der  Zeit,  wo 
Galilei  nach  Padua  übersiedelte,  die  Liquisition  Hand  an  Giordano 
Bruno,  den  begeisterten  Anhänger  des  Koj)ernikus,  legte.  Da  jedoch 
hierbei  wesentlich  andere  Motive  mitwirkten,  da  Galilei  selbst  in  seinem 
Briefe  an  Kepler  fvom  4.  Aug.  1597)^),  worin  er  seinem  geprefsten 
Herzen  Luft  macht,  nur  von  Furcht  vor  dem  Fluche  der  Lächerlich- 
keit, nicht  geradezu  von  Furcht  vor  der  Kirche  spricht,  so  braucht 
man  diese  immerhin  nicht  für  das  damalige  Verhalten  Galileis  ver- 
antwortlich zu  machen.  —  Der  Brief  an  Kepler  beweist  nun  aber, 
dafs  Galilei,  mochte  er  sich  äufserlich  auch  die  gröfste  Zurückhaltung 
auferlegen,  unablässig  thätig  war,  die  Lehre  des  Kopernikus,  der  er 
„schon  seit  vielen  Jahren"  anhing,  innerlich  zu  verarbeiten.  Er  er- 
zählt, dafs  er  mittels  derselben  viele  nach  der  anderen  Hypothese  vmver- 
ständliche  Naturerscheinungen  habe  erklären  können,  und  dafs  er  Gründe 
für  die  neue  Lehre  und  Widerlegungen  gegnerischer  Gründe  bereits 
niedergeschrieben   habe.      Diese    letztere  Bemerkung  ist  für  die  Ent- 


1)  So   der  verdienstvolle  .Jesuitenpater  Angelo   Secchi,   so  der  Dominikaner 
Olivieri  (S.  Favaro,  G.  G.  e  lo  studio  di  Padova  I,  1G6;. 

2)  Op.  VI,  11. 


Einleitung.  XVII 

stehuugsgescliichte  des  Dialogs  über  die  Weltsysteme  von  besonderer 
Wichtigkeit;  deim  die  erwähnten  Aufzeichnungen  haben  wir  als  den 
ersten  Keim  des  Dialogs  zu  betrachten.  Auch  läfst  sich  wohl  ver- 
muten, dafs  u.  a.  zu  diesen  ältesten,  später  freilich  umgearbeiteten  Stücken 
diejenigen  Partieen  des  Dialogs  gehören,  welche  zwar  gegen  die  aristo- 
telische Schule  aufs  schärfste  Opposition  machen,  in  welchen  aber  ein 
scholastisches  Gepräge,  eine  Verwandtschaft  mit  der  Denkmethode  der 
bekämpften  Schule  unverkennbar  ist.  Dahin  gehören  die  Stellen,  wo 
Galilei  gewissermafsen  ein  Konkurrenzunternehmen  dem  Aristotelismus 
entgegensetzen  will,  wo  er  aus  metaphysischen  Formeln,  aus  der  Drei- 
dimensionalität  und  der  angeblich  daraus  folgenden  Vollkommenheit 
der  Welt,  oder  aus  Sätzen  wie  „die  Natur  unternimmt  nichts  Vergeb- 
liches", aus  der  vermeintlichen  Nutzlosigkeit  der  geradlinigen  Bewegung 
und  verwandten  Betrachtmigen  die  Erdbewegung  wahrscheinlich  zu 
machen  versucht.^)  Es  starren  uns  diese  Teile  seltsam  entgegen  aus 
einem  in  vieler  Beziehung  so  lebeiisfrisch  und  modern  angehauchten 
Werke.  Sie  zeigen,  ebenso  wie  manche  andere,  dafs  Galilei  nicht  nur, 
als  er  sie  in  ihrer  ersten  Fassung  niederschrieb,  sondern  auch  weit 
später  noch,  als  er  sie  umarbeitete  und  veröffentlichte,  keineswegs  der 
Fesseln  ganz  ledig  war,  deren  er  spottete.  —  Eine  weitere  Frage,  zu 
der  der  Brief  an  Kepler  Anlafs  giebt,  ist  die:  welche  auf  andere  Weise 
unerklärlichen  Naturerscheinungen  konnte  G.  mittels  der  koperuikani- 
schen  Lehre  damals  schon  erklären?  Da  er  seine  astronomischen  Ent- 
deckungen noch  nicht  gemacht  hatte,  da  die  Auffindung  des  Beharruugs- 
gesetzes,  soweit  man  von  einer  solchen  sprechen  darf,  und  die  Unter- 
suchungen über  den  Fall  nicht  unmittelbar  mit  der  Frage  der  Weltsysteme 
zusammenhängen,  so  kann  nur  eine  Anspielung  auf  das  Phänomen  von 
Ebbe  und  Flut  uud  die  damit  zusammenhängenden  Probleme  vorliegen. 
Dies  ist  umsomehr  anzunehmen,  als  Galilei  auch  in  späterer  Zeit  von 
allen  Naturerscheinungen  gerade  diese,  und  diese  allein,  für  absolut 
unvereinbar  mit  dem  ptolemäischen  Systeme  erklärte,  wenn  man  nicht 
zur  Erklärung  durch  ein  Wunder  seine  Zuflucht  nehmen  wolle.  Es 
steht  sonach  fest,  wie  ich  glaube,  dafs  der  im  wesentlichen  irrige  Ge- 
danke der  Zurückführung  von  Ebbe  und  Flut  auf  die  Erdbewegung 
schon  dieser  frühen  Lebensperiode  Galileis  angehört.  Eine  fertige 
Formulierung  seiner  diesbezüglichen  Ansichten  liegt  im  Jahre  IG  10 
vor,  denn  er  erwähnt  eine  Abhandlung  de  maris  aestu  in  dem  bekann- 
ten Briefe  vom  7.  Mai  jenes  Jahres  au  Belisario  Vinta.-)  Daher  ist 
es  auch  begreiflich,  dafs  Galilei  selbst  dann  noch,  als  der  Dialog  längst 


1)  Dial.  20ff.  2)  Oj).  VI,  98. 

Galilei,  Weltsysteme. 


XVIII  Einleitung. 

auf  viel  breiterer  Grundlage  geplant  und  teilweise  ausgeführt  war,  in 
seiner  vermeintlielien  Erklärung  der  Gezeiten  den  Ausgangs-  und  Ziel- 
punkt der  ganzen  Darstellung  erblickt  und  dies  auch  im  Titel  zum 
Ausdruck  bringen  will.  Freilich  mufs  es  auffallen,  dafs  wir  bis  zum 
Jahre  1615,  abgesehen  von  dem  Schreiben  an  Vinta,  ihn  diesen  Gegen- 
stand weder  brieflich  noch  sonstwie  behandeln  sehen.  Da  indessen 
seine  wissenschaftliche  Thätigkeit  in  jenen  Jahren  voll  und  ganz  dem 
Fallprobleme,  rein  astronomischen  Untersuchungen  und  etwa  noch 
hydrostatischen  Fragen  gewidmet  war,  so  mag  dadurch  jener  Gedanke 
einstweilen  in  den  Hintergrund  gedrängt  worden  sein,  abgesehen  davon 
dafs  die  Scheu  vor  einer  öffentlichen  Anerkennung  der  Lehre  von  der 
Erdbewegung,  die  seiner  Erklärung  der  Gezeiten  zu  Grunde  lag,  ihn 
noch  lange  zurückhielt. 

In  den  unvergleichlich  fruchtbaren  Jahren  des  paduanischen 
Aufenthalts  kam  zu  dem  Material,  das  späterhin  im  Dialog  verarbeitet 
wurde,  eine  reiche  Fülle  hinzu.  In  jene  Jahre  fällt  vor  allem  die 
Fortsetzung  der  in  der  pisanischen  Zeit  begonnenen  mechanischen 
Untersuchungen.  Erst  in  Padua,  nicht  schon  in  Pisa,  wie  seit  Alberi 
vielfach  angenommen  wurde'),  gelangte  Galilei  zu  dem  wichtigsten 
Forschungsergebnisse,  das  wir  ihm  überhaupt  verdanken,  zvi  den  Ge- 
setzen der  Fallbewegung.  So  war  er  im  Jahre  1602,  wie  aus  dem 
Briefe  an  Guidobaldo  del  Monte  vom  29.  November  1602  hervorgeht"), 
im  Besitze  des  schönen  Satzes,  welcher  die  Gleichheit  der  Falldauer 
längs  sämtlicher,  im  tiefsten  Punkte  eines  vertikalen  Kreises  endigen- 
den Sehnen  aussagt;  es  ist  nicht  wohl  denkbar,  dafs  er  zu  diesem 
auch  im  Dialoge  und  in  den  Discorsi^)  behandelten  Satze  gelangte, 
ohne  zugleich  das  Gesetz  der  Fallbewegung  zu  keimen.  Zwei  Jahre 
später  spricht  er  in  einem  Briefe  vom  16.  Oktober  1604  an  Paolo 
Sarpi,  den  berühmten  Geschichtsschreiber  des  tridentinischen  Koncils, 
das  Gesetz  mit  deutlichen  Worten  aus*);  freilich  versucht  er  damals 
noch,  es  aus  einem  falschen  Princip  abzuleiten,  aus  dem  Princip,  die 
erreichten  Geschwindigkeiten  seien  proportional  den  durchfallenen 
Räumen.  Eben  deshalb  mufs,  Avie  Wohlwill  ^)  hervorhebt,  die  klassische, 
den  Discorsi  zu  Grunde  liegende  Abhandlung  de  motu  accelerato'^), 
welche  bereits  die  Proportionalität  der  Geschwindigkeiten  mit  den  Fall- 
zeiten lehrt,  erst  nach  der  Zeit  des  Briefes  an  Sarpi  entstanden  sein. 
Wohl  aber  hatte  Galilei  schon  in  Pisa  den  annähernden  Isochronismus 


1)  Vgl.  oben  p.  X.  2)  Op.  VI,  20. 

3j  Dial.  471  und  Op.  XIII,  181.  4)  Op.  VI,  24. 

5)  S.  oben  p.  X.  6)  Op.  XI,  74. 


Einleitung.  XIX 

der  Pendelschwingmigen  entdeckt  und  mit  dem  Wesen  der  beschleu- 
nigten Bewegung  sicli  insofern  vertraut  gemacht,  als  er  die  Notwen- 
digkeit des  Durchlaufens  aller  Geschwindigkeitsstufen  zwischen  der 
Ruhe  und  einer  erreichten  Geschwindigkeit  erkannt  hatte.  Diese  Not- 
wendigkeit wird  späterhin  im  Dialog  und  in  den  Discorsi^)  mit  weit 
gröfserer  Bestimmtheit  und  Klarheit  dargelegt  und  betont,  als  in  den- 
Sermones  de  motu  gravkim,  offenbar  darum,  weil  das  Verständnis 
gerade  dieses  Punktes  Galilei  selbst  und  seinen  Zeitgenossen  besondere 
Schwierigkeiten  geboten  hat.  An  und  für  sich  haben  diese  Probleme 
mit  der  Streitfrage  der  Weltsysteme  wenig  zu  schaffen;  da  sie  jedoch 
als  wichtige  Episoden  im  Dialoge  berührt  werden,  so  hat  es  für  den 
Leser  ein  Interesse  über  die  Entstehuugszeit  der  galileischen  Unter- 
suchungen orientiert  zu  sein. 

In  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  Diskussion  über  das 
kopernikauische  System  stehen  dagegen  die  Erörterungen  Galileis  über 
das  Beharren  der  Bewegung;  denn  nur,  wenn  die  von  der  Erdbewegung 
einem  irdischen  Körper  mitgeteilte  Bewegimg  diesem  verbleibt,  auch 
nachdem  er  nicht  mehr  in  Verbindung  mit  der  Erde  steht,  läfst  sich 
das  kopernikauische  System  mit  den  alltäglichen  irdischen  Vorgängen 
in  Übereinstimmung  bringen.  Lange  Zeit  hindurch  war  es  üblich, 
Galilei,  eben  weil  er  die  Verträglichkeit  der  alltäglichen  Erfahrung 
mit  der  Erdbewegung  so  klar  erläutert  hat,  ohne  weiteres  als  den 
Entdecker  des  Beharrungsgesetzes  zu  betrachten,  desjenigen  Teiles 
des  Beharrungsgesetzes  wenigstens,  der  aussagt,  dafs  ein  in  Be- 
wegung befindlicher,  unter  dem  Einflüsse  keiner  bewegenden  Kraft 
mehr  stehender  Körper  sich  geradlinig  mit  gleichförmiger  Geschwin- 
digkeit ohne  Ende  weiterbewegt.  So  frühe  nun  auch  Galilei,  wie  wir 
sahen,  in  die  Fufstapfen  Beuedettis  tretend,  von  der  wunderlichen 
aristotelischen  Auffassmig  sich  losgemacht  hatte,  so  hat  er  doch  nie- 
mals die  erwähnte  oder  eine  gleichwertige  Formulierung  des  Beharrungs- 
gesetzes ausgesprochen.  Er  kennt  nur  oder  benutzt  jedenfalls  nur  die  eine 
vermeintliche  Thatsache,  dafs  ein  Körper  bei  horizontaler  Aufangs- 
bewegung,  unter  welcher  G.  stets  eine  Kreisbewegung  um  den  Erd- 
mittelpunkt versteht,  diese  Kreisbewegung  in  gleichförmiger  Geschwin- 
digkeit beibehält.  Die  einzige  im  Dialog  enthaltene  Andeutung  einer 
allgemeineren  Auffassung-)  findet  sich  p.  184,  wo  gesagt  wird,  dafs  die 
aus  einem  schräg  gerichteten  Rohre  abgeschossene  Kugel  in  Richtmig 


1)  Dial.  22  ff  und  Op.  XHf,  156. 

2)  Es  käme  allenfalls  noch  die  Stelle  Dial.  202 f.  in  Betracht,  doch  .sa>>t  aiic 
diese  niclits  ülier  die  Geschwindigkeit  der  Beliarrnngsbewegung  aus. 

1.* 


XX  Einleitung. 

des  Laufes  weiterfliegen  würde,  wenn  die  Schwere  sie  nicht  nach  unten 
ablenkte.  Dabei  ist  aber  weder  von  der  Gleichförmigkeit  der  ferneren 
Bewegung  die  Rede,  noch  wird  eine  allgemeine  Formulierung  ver- 
sucht. Ebenso  findet  sich  in  den  Discorsi  eine  lichtvolle  Stelle'),  wo 
die  begründete  Vermutung"  (odmochim  rationahüc  videbitur,  si  accipia- 
mus  .  .  .)  des  Beharrens  auch  in  schiefer  Richtung  gelegentlich  aus- 
gesprochen wird,  ohne  dafs  jedoch  von  dieser  Erkenntnis  in  den  späteren 
Entwicklungen  Gebrauch  gemacht  würde,  so  naheliegend  dies  nach 
moderner  Auffassung  gewesen  wäre.  Am  allerwenigsten  hat  Galilei 
je  die  Fallbeschleunigung  aus  dem  Zusammenwirken  der  einmal  er- 
reichten Geschwindigkeit  mit  dem  in  jedem  Moment  hinzutretenden 
Impuls  der  Schwere  abgeleitet.  Näheres  über  das  Verhältnis  Galileis 
zum  Beharrungsgesetz  enthält  die  mehrfach  erwähnte  vortreffliche  Studie 
Wohlwills;  vgl.  auch  die  Anmerkungen  zu  Dial.  p.  20,  30,  148,  155 
184,  187,  189.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dafs  gerade  der  specielle  An- 
lafs  zu  der  Beschäftigung  mit  der  Frage  der  Beharrung,  nämlich  die 
Vereinbarkeit  der'  täglichen  Erfahrung  mit  dem  kopernikanischen 
System,  ein  Hindernis  für  die  volle  Erkenntnis  war,  insofern  eben 
hierdurch  nahegelegt  wurde,  die  Beharrung  in  der  Kreislinie  als  Natur- 
gesetz anzusehen.  Hätten  ausschliefslich  seine  mechanischen  Unter- 
suchungen Galilei  auf  die  Spur  des  Beharrungsgesetzes  gebracht,  so 
würde  er  schwerlich  die  reife  Frucht  migepflückt  gelassen  haben.  Da 
er  aber  um  der  kopernikanischen  Lehre  willen  zunächst  zu  dem  kreis- 
förmigen Beharren  um  das  Erdcentrum  geführt  wurde,  und  ein  Zweifel 
an  der  strengen  Gültigkeit  dieser  Art  der  Beharrung  nie  in  ihm  auf- 
stieg, und  da  jene  Kreisbewegungen  keine  Verallgemeineniiig  auf  den 
Fall  eines  Beharrens  in  beliebiger  Richtung  zuliefsen,  so  war  es  ihm 
unmöglich  einen  festen  unverrückbaren  Standpunkt  in  dieser  Frage  zu 
gewinnen.  „Und  doch  genügte,  als  Galilei  seine  Forschmig  abgeschlossen, 
ein  Geist  vom  Range  Balianis,  ein  klarer  Kopf  ohne  hervorragende 
schöpferische  Begabung,  um  den  Worten  des  Meisters  zu  entnehmen, 
was  dieser  unausgesprochen  gelassen  hatte.  Es  genügte,  möchte  man 
sagen,  dafs  er  als  zweiter  an  die  gleiche  Gedankenfolge  trat,  dafs  der 
Ursprung  und  die  Entwicklungsgeschichte  des  neuen  Princips  ihm 
nicht  ein  innerlich  Erlebtes  waren  und  dafs  eben  deshalb  jene  be- 
schränkenden Bestimmungen  in  der  Formulierung  und  Auffassung  für 
ihn  die  Bedeutung  verloren  hatten".^)  Trotzdem  die  Formulierung 
des  Gesetzes  bei  Galilei  also  nicht  allgemein  ist,  da  sie  sich  nicht  auf 
beliebig  gerichtete  Anfangsbewegungen  bezieht,  ja  strenge  genommen 


1)  Op.  Xm,  201.  2)  Wohlwill,  1.  c.  p.  112. 


Einleitung.  XXI 

iiiclit  richtig  ist,  insofern  sie  die  Beharrung  in  der  Kreislinie,  nicht 
die  geradlinige  Beharrung  behauptet,  so  ist  dennoch  der  Wert  seiner 
Ergebnisse  nicht  hoch  genug  anzuschlagen.  Wenn  es  dafür  noch  des 
Beweises  bedürfte,  so  brauchte  man  blofs  die  staunende  Bewunderuno- 
in  Betracht  zu  ziehen,  mit  der  die  Zeitgenossen  die  diesbezüglichen 
Stellen  des  Dialogs  entgegennahmen  \\  die  in  der  That  nach  Form  und 
Inhalt  zu  den  glänzendsten  Partieen  desselben  zu  zählen  sind.  Bei 
einigen  der  hierher  gehörigen  Betrachtungen  läfst  sich  bis  auf  den 
Tag  genau  angeben,  wann  die  erste  Idee  derselben  dem  Verfasser  kam; 
so  finden  sich  mitten  zwischen  Aufzeichnungen  Galileis  über  Ausgaben 
und  Einnahmen  unter  dem  Datum  des  11.  April  1607  Notizen  über 
die  ruzsola  (Rollscheibe)  und  über  relative  Bewegungen;  es  sind  kurze 
Andeutungen  dessen,  was  Sagredo  im  Dialog  ausführlich  erörtert.^) 

Ein  weiterer  im  Dialog  mehr  episodisch  behandelter  Stoff'),  dem 
GaHlei  in  Padua  seine  vollste  Aufmerksamkeit  zuwandte,  waren  die 
magnetischen  Erscheinungen.  Wir  finden  ihn  sjjätestens  seit  1602  mit 
dem  Studium  derselben  beschäftigt,  angeregt  offenbar  durch  das  im 
Jahre  1600  erschienene  Buch  Gilberts  „De  Magnete".  Mit  seinen 
Freunden  Fra  Paolo  Sarpi  und  Francesco  Sagredo  betrieb  er  gemein- 
sam die  Lektüre  des  von  ihm  hochbewuuderten  Engländers,  und  wieder- 
holte, ja  überbot  teilweise  die  Gilbertschen  Versuche.  Er  adoptierte  fast 
durchweg  die  Ansichten  Gilberts;  namentlich  glaubte  er  irrigerweise  wie 
dieser,  dafs  das  ganze  Erdinnere  aus  Magneteisen  bestehe  und  dafs  die 
Unveränderlichkeit  der  Erdachsenrichtung  eine  Folge  des  Erdmagnetis- 
mus sei;  doch  trat  er  anderen  Irrtümern  freimütig  entgegen,  wie  der 
Vermutung  Gilberts,  dafs  eine  freischwebende  Magnetkugel  von  selbst 
rotiere.  Am  Schlüsse  der  Gespräche  des  dritten  Tags  widmet  Galilei 
dem  berühmten  Zeitgenossen  und  seinen  Leistungen  eine  ziemlich  aus- 
führliche Besprechung;  er  war  sich  bewufst,  in  ihm  einen  Mitstreiter 
zu  haben,  nicht  nur  für  die  kopernikanische  Sache,  sondern  überhaupt 
für  eine  moderne  Art  des  naturwissenschaftlichen  Betriebs  gegenüber 
der  vergilbten  Papierweisheit  der  Peripatetiker. 

So  wenig  Galilei  schon  vor  der  Zeit  seines  glänzenden  Eroberungs- 
zugs am  Himmel  die  Wahrheit  des  kopernikanischen  Systems  be- 
zweifelte, so  sehr  mufsten  ihn  doch  die  überraschenden  Entdeckimgen, 
die  er  mit  Hilfe  des  von  ihm  verbesserten  und  zuerst  für  astronomische 
Zwecke   benutzten  Fernrohres   machte,   in  seinen  Ansichten  bestärken 


1)  Vgl.  Wohlwill,  Beharrungsgesetz  p.  77. 

2)  Favaro,  G.  G.  e  lo  studio  di  Padova  H,  180.     Dial.  10,5  ff.,  180  f. 

3)  Dial.  418—433. 


XXII  Einleitung. 

und  ihm  den  Wunsch  nahelegen,  auch  die  Zeitgenossen  von  der  Be- 
deutuno-  dieser  Entdeckungen  für  die  neue,  scheinbar  so  phantastische 
Lehre  zu  überzeugen.  Im  März  1610  erschien  sein  „Sternenbote",  der 
Sidereiis  nuncius,  der  allenthalben  bei  Freund  vmd  Feind  gewaltigsten 
Aufruhr  erregte.  Vor  allem  waren  es  die  im  Januar  desselben  Jahres 
zuerst  aufgefimdenen  Jupitersmonde,  die  mediceischen  Gestirne,  wie 
Galilei  sie  nannte,  die  mit  imerbittlichster  Klarheit  dem  sinnlichen 
Auge  einerseits  bewiesen,  dafs  das  Centrum  der  Planetenbewegungen 
nicht  durchweg  die  Erde  sein  könne,  und  die  andererseits  den  weite- 
ren wichtigen  Einwand  gegen  die  koperuikanische  Lehre  hinfällig 
machten,  dafs  ihr  zufolge  der  Mond  eine  ungebührliche  Sonderstellung 
einnehme,  da  er  allein  von  allen  beweglichen  Himmelskörpern  nicht 
die  Sonne  umkreisen  sollte,  sondern  die  Erde.  Hatte  man  doch  jetzt 
einen  gar  von  vier  Monden  umkreisten  Planeten.  Die  Analogie  zwischen 
Erde  und  Himmelskörpern  oder,  wie  man  sich  damals  häufig  ausdrückte, 
der  Umstand,  dafs  die  Erde  ein  Stern  sei  war  der  von  den  Gegnern 
vielleicht  zumeist  bestrittene  Punkt  der  Diskussion;  er  wurde  damit 
verständlich.  Galilei  deutet  dies  selber  am  Schlüsse  des  Berichtes  übei* 
die  von  ihm  gemachten  Entdeckungen  an*)  und  wagt  damit  zum  ersten 
Male  öffentlich  sich  zu  Gunsten  der  Lehre  von  der  Erdbewegung  aus- 
zusprechen. Nachdem  er  so  lange  verschwiegen,  wessen  sein  Herz  voll 
Avar,  glaubte  er  durch  die  Wunderbotschaften,  die  er  vom  Himmel 
brachte,  endlich  das  Recht  erwirkt  zu  haben,  seine  Stimme  für  die 
fast  greifbar  gewordene  Wahrheit  zu  erheben.  Auch  die  gebirgige 
Natur  des  Mondes,  die  durch  das  Fernrohr  erschlossen  war,  und  die 
übrigen  Analogieen  zwischen  Erde  und  Mond,  welche  ähnlich  wie 
später  im  Dialog^)  schon  im  Sidereus  nuncius  hervorgehoben  werden^ 
benutzte  er  als  Argumente  für  die  im  wesentlichen  gleichartige  Natur 
der  Erde  und  der  Himmelskörper.  Betreffs  ausführlicherer  Erörterungen 
verweist  er  wiederholt'')  auf  das  Werk  De  systemate  mundi. 

Zum  ersten  Male  seit  dem  Briefe  an  Ke^aler  von  Jahre  1597  hören 
wir  damit  wieder  von  schriftlichen  Aufzeichnungen,  welche  die  Lehre 
der  Weltsysteme  zum  Gegenstande  hatten.  Was  damals  vermutlich 
kürzere  Notizen  oder  kleinere  Abhandlungen  gewesen  waren,  hatte  sich 
nunmehr  ausgewachsen  zu  einem  gröfseren  Ganzen,  das  der  Haupt- 
sache nach  wohl  schon  das  enthalten  sollte,  was  im  Dialog  uns  vor- 
liegt. Aus  dem  Briefe  vom  7,  Mai  1610  an  den  toskanischen  Staats- 
sekretär Belisario  Vinta  erfahren  wir,  dafs  zu  den  "\A^erken,  mit  deren 
Abfassung  Galilei   damals    beschäftigt   war,  und   für  deren  Vollendung 


1)  Op.  m,  98.  2)  Dial.  66 tf.  3)  Op.  III,  72,  73. 


I 


Einleitung.  XXIII 

er  die  nötige  Mufse  ersehnte,  aucli  zwei  Bücher  De  systemate  seu  con- 
stitutione universi  gehörten-,  er  nennt  sie  eine  „gewaltige  Konception, 
voll  philosophischer,  astronomischer  nnd  geometrischer  Untersuchungen." 
Soweit  ihnen  überhaupt  damals  eine  fertige  Gestalt  zukam,  scheinen 
sie  in  lateinischer  Sprache  und  in  Abhandlungsform,  nicht  dialogisch 
abgefafst  gewesen  zu  sein. 

Die  Ruhe,  die  zur  Fertigstellung  dieses  wie  der  anderen  geplan- 
ten Werke  nötig  war,  hoffte  Galilei  nach  21-jähriger,  von  beispiel- 
losem Erfolg  begleiteter  Lehrthätigkeit  besser  finden  zu  können,  wenn 
er  von  der  Pflicht  des  Kollegienlesens  entbunden  würde.  So  bewarb 
er  sich  denn  um  die  Stellung  eines  Grofsherzogiich  Toskanischen  Mathe- 
matikers und  Philosophen,  auf  die  er  um  so  eher  rechnen  durfte,  als 
er  dem  Erbgrofsherzog  Cosimo  IL,  der  nimmehr  seit  1609  den  Thron  be- 
stiegen hatte,  während  der  Uuiversitätsferien  regelmäfsig  mathematischen 
Unterricht  erteilt  hatte.  Es  waren  gewifs  nicht  blofs  materielle  Gründe 
und  ehrgeizige  Absichten,  die  ihn  zu  diesem  verhängnisvollen  Schritte 
bewogen.  Er  dachte  sicherlich  vor  allem  durch  den  vielbeneideten 
Glanz,  der  den  Hofmann  nun  einmal  umstrahlte,  hinreichende  Autori- 
tät zu  gewinnen,  um  seine  innersten  Überzeugungen  aussprechen  zu 
dürfen-,  er  holfte,  dafs  seine  Feinde,  die  bornierten  sowohl  wie  die  bos- 
haften, fernerhin  nicht  mehr  wagen  würden,  die  neuen  von  ihm  ver- 
tretenen Gedanken  lächerlich  zu  machen  oder  zu  ignorieren.  Er  hatte 
empfunden,  dafs  zur  Bekehrung  der  Massen  gute  Gründe  nicht  aus- 
reichten; die  Machtstellung  des  Mannes,  nicht  die  Güte  der  Sache  sah 
er  auch  in  wissenschaftlichen  Fragen  häufig  den  Ausschlag  geben; 
und  da  er  endlich  einen  Erfolg  seiner  Mühen  und  Arbeiten  sehen 
wollte,  trachtete  er  danach,  seine  goldenen  Früchte  auch  in  silbernen 
Schalen  aufzutischen.  Aber  es  sollte  die  Zeit  kommen,  wo  er  nur 
allzu  schmerzlich  fühlte,  dafs  die  scheinbaren  Annehmlichkeiten  seiner 
Stellung  teuer  erkauft  waren  durch  Nachteile  anderer  Art.  Der  Ruhm 
seiner  astronomischen  Entdeckungen  würde  ihm,  wo  immer  er  seiuen 
Wohnsitz  aufschlug,  trotz  aller  Neider  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen 
wissenschaftlichen  Welt  gesichert  haben.  •  Und  wären  ihm  auf  dem 
Katheder  zu  Padua  auch  Kämpfe  nicht  erspart  geljlieben,  der  starke 
Arm  der  Republik  Venedig,  die  selbst  vor  dem  Bannstrahle  des  Papstes 
sich  nicht  beugte,  hätte  ihn  vor  dem  äufsersten  geschützt,  während 
das  toskanische  Fürstenhaus  unter  jesuitischem  Einflufs  stand  und 
nimmer  gewagt  hätte  sich  mit  Rom  zu  überwerfen,  am  wenigsten  dem 
Hofmathematikus  zu  liebe,  mochte  dieser  auch  ein  Galilei  sein. 

Kurz  vor  seiner  im  September  1610  erfolgenden  Übersiedlung 
nach  Florenz  fügte  Galilei   seinen   astronomischen  Entdeckungen  eine 


XXIV  Einleitung. 

neue  hinzu;  er  beobaclitete  Ende  Juli  1610  die  auffallende  Gestalt 
des  Saturn,  den  er  für  begleitet  von  zwei  Nacbbargestirnen  liielt.  Die 
wahre  Figur  zu  ermitteln  gelang  ihm  nicht,  es  blieb  dies  Huyghens 
vorbehalten.  —  Endlich  fallen  vielleicht  noch  in  die  nämliche  Zeit, 
allerdings  auf  Grund  von  Zeugnissen,  die  aus  bedeutend  späterer  Zeit 
stammen,  auch  die  ersten  Beobachtungen  der  Sounenflecken,  die  in- 
dessen einstweilen  zu  imbestimmten  Ergebnissen  geführt  haben  müssen. 
Galilei  würde  sonst  schwerlich  verfehlt  haben  in  seinem  Briefwechsel 
mit  Kepler  und  Belisario  Vinta  davon  zu  sprechen.  Er  selbst  datiert 
in  dem  ersten  Briefe  an  Welser  diese  Entdeckung  vom  November 
1610,  im  Dialog  aber  schon  aus  der  Zeit  der  paduanischen  Professur.^) 
Ein  erbitterter  Prioritätsstreit,  auf  den  wir  mehrfach  zurückzukommen 
haben,  entspann  sich  später  darüber  und  trug  nicht  wenig  dazu  bei, 
die  künftigen  Schicksale  über  Galilei  heraufzubeschwören. 

Gleich  nachdem  Galilei  festen  Fufs  in  Florenz  gefafst  hatte,  richtete 
er  von  neuem  sein  Augenmerk  auf  die  Litteratur  über  die  Weltsysteme, 
er  bittet  alsbald  den  toskauischen  Gesandten  in  Prag,  Giuliano  de' 
Medici,  der  mit  dem  gleichfalls  dort  weilenden  Kepler  engste  Fühlimg 
hatte,  um  Zusendimg  einschlägiger  Bücher.^)  Aber  mehr  als  durch 
irgendwelches  Bücherstudium  förderte  er  seine  Sache  —  denn  als  seine 
Sache  sah  er  nunmehr  die  Verteidigung  der  kopernikanischen  Lehre 
an,  und  der  Volksmund  bezeichnete  bald  die  Kopernikaner  als  Gali- 
leisten  —  durch  eine  neue  Entdeckung  von  der  gröfsten  Tragweite. 
Am  11.  Dezember  konnte  er,  zunächst  noch  in  der  Form  eines  Ana- 
gramms, wie  er  sie  ähnlich  vorher  bei  VeröflFentlichung  seiner  Saturn- 
beobachtungen benutzt  hatte,  nach  Prag,  bald  darauf  nach  Rom  an 
Clav  ins  und  nach  Brescia  an  seinen  treuen  Schüler  imd  Freund 
Castelli  berichten,  dafs  Venus  und  wahrscheiulich  auch  Merkur  eine 
Phasenänderung  durchmache  ähnlich  wie  der  Mond.  Damit  war  im 
wesentlichen  jedweder  Einwand  gegen  die  centrale  Stellung  der  Sonne 
im  Planetensystem  entfallen,  und  der  Beweis  für  die  Dunkelheit  der 
Planeten  erbracht,  also  eine  neue  Analogie  zwischen  Erde  und  Plane- 
ten festgestellt.  Nur  die  physikalischen  Gründe,  die  Erscheinungen 
auf  der  Erde  selbst,  durften  den  Verständigeren  unter  den  Gegnern 
noch  Bedenken  gegen  die  koperuikauische  Lehre  zurücklassen;  denn 
Galilei  hatte  noch  nichts  von  der  im  wesentlichen  schon  fertigen  neuen 
Bewegungslehre,  die  auch  diese  Schwierigkeiten  beseitigte,  in  weite- 
ren Kreisen  bekannt  gegeben.     Von   astronomischer   Seite    stand  der 


1)  Op.  in,  382  und  Dial.  361. 

2)  Op.  VI,  124. 


Einleitung.  XXV 

Erdbewegimg  nichts  mehr  entgegen,  wenn  mau  die  mangelnde  Parallaxe 
der  Fixsterne  nicht  etwa  als  Gegengrimd  betrachten  will. 

Am  Schlüsse  dieses  für  ihn  so  ereignisreichen  Jahres  hätte  Galilei 
einen  befriedigenden  Rückblick  auf  die  errungenen  Erfolge  werfen 
können.  Er  hatte  wissenschaftlich  erreicht,  was  er  ein  Jahr  zuvor  in 
seinen  kühnsten  Träumen  nicht  hoffen  durfte;  er  hatte  auch  äufserlich 
das  erlangt,  was  er  ersehnte.  Aber  ein  Tropfen  Bitterkeit  vergällte  ihm 
den  Freudenkelch.  Er  sah  noch  immer  das  Häuflein  derer,  die  sich 
um  Kopernikus  scharten,  klein,  verschwindend  klein  gegen  die.  Nach- 
beter ererbten  Formelkrams.  Es  ergriff  ihn  bisweilen  eine  verzweifelte 
Hoffnimgslosigkeit,  sodafs  er  seine  eigenen  Bestrebungen  gleichsam 
verhöhnte.  So  schreibt  er  am  30.  Dezember  1610  an  Castelli*):  „Um 
die  eigensinnigen  Gegner  zu  überzeugen,  die  einzig  und  allein  auf  den 
eiteln  Beifall  der  blöden  dummen  Menge  Wert  legen,  wäre  es  auch 
dann  noch  nicht  genug,  wenn  die  Sterne  zur  Erde  herabstiegen  und 
von  sich  selber  Zeugnis  ablegten.  Seien  wir  auf  das  eine  bedacht, 
selbst  uns  Erkenntnis  zu  verschaffen,  und  suchen  wir  in  dieser  unseren 
einzigen  Trost.  In  der  Volksgunst  uns  weiter  zu  bringen  oder  den 
Beifall  der  Büchergelehrten  zu  gewinnen,  das  zu  wünschen  und  zu 
hoffen,  wollisn  Avir  unterlassen."  Dieses  Gefühl  der  Resignation  aber,  das 
als  vorübergehende  Stimmung  nur  zu  sehr  begreiflich  ist,  war  denn 
doch  nicht  von  langer  Dauer.  Es  begann  eine  Periode,  wo  im  Gegen- 
teile Galilei  in  der  mannhaftesten  Weise  die  Pläne,  die  er  bei  Über- 
nahme seiner  neuen  Stellung  zweifelsohne  im  stillen  gefafst,  ins  Werk 
setzte.  Auf  dem  Gipfel  seiner  geistigen  Höhe  stehend,  entfaltete  er 
auch  die  höchste  moralische  Kraft,  er  legte  alle  Menschenfurcht  bei- 
seite und  wirkte  imverdrossen  an  der  dornenvollen  Aufgabe,  den  stei- 
nigen unfruchtbaren  Boden  der  herrschenden  Naturphilosophie  imizu- 
pflügen  und  ihm  als  erste  Frucht  die  allseitige  Billigung,  die  Popu- 
larisierung der  Lehi-e  von  der  Erdbewegung  abzugewinnen. 

Von  dem  Enthusiasmus  für  dieses  Ziel  erfüllt,  reiste  er  am 
23.  März  1611  nach  Rom,  zunächst  mit  der  Absicht,  dort  die  Wahr- 
heit seiner  Entdeckungen,  an  der  man  vielfach  noch  ZAveifelte,  zur 
Anerkennung  zu  bringen.  Gelehrten  und  geistlichen  Würdenträgern 
zeigte  er  die  Jupiterstrabanten,  die  Mondgebirge,  die  Phasen  der  Venus 
und  die  Sonnenflecken.  An  der  Richtigkeit  der  Thatsachen  liefs  sich 
fürder  nicht  mehr  zweifeln,  ja  es  wurde  von  dem  berühmten,  dem 
Jesuitenorden  angehörigen  Kardinal  Robert  Bellarmin  ausdrücklich 
ein  Gutachten  des  römischen  JesuitenkoUegiums  provociert,  durch  Avelches 


1)  Op.  VI,  135. 


XXVI  Einleitung. 

Clavius  nebst  drei  anderen  Professoren  des  Kollegiums  die  Wahrheit 
der  neuen  Entdeckungen  attestierten.  Galilei  erlebte  Triumphe  wie 
wohl  kein  Astronom  oder  Mathematiker  zuvor.  Papst  Paul  V.  empfing 
ihn  aufs  gnädigste,  mit  Entzücken  lauschten  Kardinäle  seinen  durch- 
sichtigen Vorträgen,  in  denen  er  sein  unvergleichliches  Lehrtalent  zur 
Geltung  brachte.  Er  wurde  zum  Mitgliede  der  Accademia  dei  Lincei 
(Akademie  der  Luchsäugigen)  ernannt,  die  Fürst  Federigo  Cesi  im 
Jahre  1603  in  Rom  gegründet  hatte;  auf  die  Zugehörigkeit  zu  dieser 
Akademie  spielt  er  an,  wenn  er  sich  in  seinen  dialogischen  Schriften 
als  den  Akademiker  bezeichnen  läfst.  —  Der  Hauptzweck  seiner  Reise 
war  diesmal  gewesen,  die  Thatsachen  zur  Anerkennung  zu  bringen; 
inwieweit  er  aus  diesen  in  seinen  Vorträgen  Schlüsse  auf  die  Gültig- 
keit des  kopernikanischen  Systems  zog,  ist  nicht  genau  bekannt.  Er 
scheint  darin  Vorsicht  geübt  zu  haben,  um  das  nächste  Ziel,  das  er 
erstrebte,  nicht  zu  verfehlen.  Aber  welch  tiefen  Eindruck  die  Dar- 
legungen Galileis  oder  die  Thatsachen  selbst  auf  einsichtige  Hörer, 
wie  auf  einen  Clavius,  machten,  beweist  eine  schon  von  Kepler  her- 
vorgehobene Stelle')  in  der  letzten  Ausgabe  des  Gommentars  von 
Clavius  zur  Sphaera  des  Sacrobosco.  Dort  spricht  am  Schlüsse  eines 
75-jährigen  Lebens  derselbe  Mann  seine  Zweifel  an  der  Wahrheit  des 
ptolemäischen  Systems  aus,  der  während  dieses  ganzen  Lebens  jenen 
Standpunkt  vertreten  und  ihn  nachdrücklich  verteidigt  hatte.  Galilei 
stand  damals  mit  den  römischen  Jesuiten  auf  bestem  Fufse;  das  gute 
Verhältnis  mag  Avohl  eben  in  Clavius,  einem  hochverdienten  und  für 
seine  Wissenschaft  wahrhaft  begeisterten  Manne,  eine  wesentliche 
Stütze  gefmiden  haben.  Unglücklicherweise  starb  Clavius  schon  im 
folgenden  Jahre  (am  6.  Februar  1612),  er  hätte  viel  dazu  beitragen 
können,  um  in  der  Folge  auf  die  Entschliefsungen  der  Kirche  mäfsigend 
einzuwirken. 

Ob  Galilei  rückhaltslos  seine  innersten  Überzeugungen  in  Rom 
offenbarte  oder  nicht:  bei  seinen  Freunden  und  Feinden  stand  es  fest, 
dafs  er  vollüberzeugter  Kopernikaner  sei.  Da  die  Zahl  sowohl  seiner 
principiellen  Gegner  als  der  persönlichen,  deren  Neid  durch  die  ihm  wider- 
fahrenen Ehren  wachgerufen  war,  sich  stetig  mehrte,  so  begann  nun 
bald  ein  Intriguenspiel,  das  den  fürchterlichen  Mann  verderben  sollte, 
der  die  versteinerte  Wissenschaft  zu  neuem  Leben  zu  erwärmen,  der 
tote  und  lebende  Autoritäten  von  ihrem  Piedestal  zu  stürzen  drohte. 
Wissenschaftlich   ihm  beizukommen  war  schwer,  man  mufste  also  den 


1)  Kepler,  Opera  ed.  Frisch.  VI,  117;  Chr.  Clavii  Opera  mathematica.  Mogunt. 
1612.  III,  75. 


Einleitung.  XXVI  [ 

Kampf  auf  ein  anderes  Terrain  hinüberspielen,  auf  das  Gebiet  des 
Glaubens.  Nicht  als  ob  die  kopernikaniscbe  Lehre  jetzt  zum  ersten 
Male  an  dem  Mafsstabe  der  heiligen  Schrift  gemessen  worden  wäre. 
So  sehr  auch  Kopernikus  von  vornherein  in  der  Widmung  seines  Werks 
sich  gegen  das  Hereinziehen  der  Bibel  verwahrt,  so  hatte  doch  schon 
Luther  den  Narren  Kopernikus  verspottet,  der  die  Welt  auf  den  Kopf 
stellen  wollte  und  im  Widerspruch  zu  der  bekannten  biblischen  Er- 
zählung im  Buche  Josua,  die  Sonne  ruhen,  die  Erde  sich  bewegen  liefs. 
Einer  der  ersten  Anhänger  des  Kopernikus,  Joachim  Rhäticus 
(eigentlich  Georg  Joachim)  hatte  in  einer  eigenen  Schrift  Kopernikus 
und  Bibel  in  Einklang  zu  bringen  versucht,  Tycho  de  Brahe  hatte  in 
seinem  Briefwechsel  mit  Christoph  Rothmann,  dem  Hofastronomen 
des  Landgrafen  Wilhelm  IV.  von  Hessen-Cassel,  auf  den  Widerspruch 
mit  der  heiligen  Schrift  hingewiesen,  Kepler  bemühte  sich  des  öfteren 
die  Bibel  im  kopernikanischeu  Simie  zu  interpretieren:  kurzum  die 
übele  Gewohnheit,  die  Bibel  in  den  Streit  auch  über  andere  Materien 
als  über  Glaubenswahrheiten  hineinzuziehen,  war  zu  jener  Zeit  allent- 
halben im  Schwange.  Dabei  war  zweifelsohne  die  herrschende  An- 
schauung, dafs  es  wissenschaftlich  nicht  fair  sei  so  zu  verfahren:  etwa 
wie  man  heutzutage  es  mifsbilligt,  in  politischen  Kämpfen  die  Ansicht 
und  Person  des  regierenden  Fürsten  als  Kampfesmittel  zu  verwenden. 
Die  Verehrung  und  Rücksicht  der  Wissenschaft  für  die  Bibel  sollte 
darin  ihren  Ausdruck  finden,  dafs  man  imabhängig  von  ihr  die  Wahr- 
heit erforschte  und  nachträglich  die  heilige  Schrift  so  auslegte  —  und 
das  war  die  Aufgabe  der  Theologen  —  dafs  sie  mit  dem  anderweitig 
für  wahr  Erkannten  übereinstimmte.  So  schwer  das  oft  auch  mög- 
lich war,  ein  ultimum  refiigium  blieb  stets,  von  dem  man  allerdings 
nicht  gerne  Gebrauch  machte;  man  sagte,  die  Bibel  bequeme  sich  in 
ihrer  Ausdrucksweise  dem  Verständnis  der  grofsen  Menge  an.  Nie- 
mals hat  Galilei,  und  schwerlich  je  ein  anderer  Kopernikaner,  die  Bibel 
als  Beweismittel  für  die  Lehre  der  Erdbewegung  anführen  wollen.  Es 
ist  darum  einer  der  sinnlosesten,  nichtsdestoweniger  häufig  gegen 
Galilei  ausgesprochenen  Vorwürfe,  dafs  er  nachmals  nicht  als  schlech- 
ter Astronom,  sondern  als  schlechter  Theologe  verurteilt  worden  sei. 
Anzunehmen,  dafs  ihn  gar  Feindseligkeit  gegen  die  Kirche  beeinflufst 
hätte,  wie  es  etwa  bei  Giordano  Bruno  der  Fall  war,  ist  völlig  aus- 
geschlossen. Er  war  ibr  gegenüber  voll  kindlicher,  echt  katholischer 
Fügsamkeit,  die  festhält  an  einer  von  frühester  Jugend  unauslöschlich 
eingeprägten  Ehrfurcht  vor  allem,  was  mit  der  Kirche  zusammenhängt, 
einer  Ehrfurcht,  die  vielleicht  etwas  Aufserliches,  Gewohnheitsmäfsiges 
hatte,  die  aber  ganz  und  gar  mit  ihm  verwachsen,  nicht  künstlich  ge- 


XXVIIT  Einleitung. 

macht  war.  Bis  zur  genaimten  Zeit  hatte  er  sich  über  das  Verhält- 
nis der  koperiiikanischen  Lehre  zur  heiligen  Schrift  überhaupt  nicht 
geäufsert.  Um  so  auffallender,  dafs  während  seines  römischen  Aufent- 
haltes seine  Name  zum  ersten  Male  in  den  Akten  der  Inquisition  er- 
scheint. Es  ist  unbekannt,  ob  eine  Denunciation  eines  seiner  persön- 
lichen Feinde  vorlag,  oder  ob  die  Inquisition  aus  eigener  Initiative  dem 
gefahrlichen  Neuerer  ihre  Aufmerksamkeit  schenkte.  Denn  gefährlich 
waren  in  gewissem  Sinne  die  Lehren  Galileis  doch,  seine  Bekämpfung 
der  Autorität  des  Aristoteles  machte  jede  andere  Autorität  erzittern; 
der  Heide  Aristoteles  und  die  katholische  Kirche  hatten  insofern  soli- 
darische Interessen.  Man  forschte  damals,  ob  Galilei  in  den  Inquisi- 
tionsprocess  CesareCremoninis,  eines  seiner  ehemaligen  päd uanischen 
Kollegen,  verwickelt  gewesen  sei.  Cremonini  galt  damals  als  eine 
Leuchte  der  Peripatetiker,  äufserte  aber  bedenkliche  Ansichten  bei 
seiner  Interj)retation  der  aristotelischen  Schriften  über  die  Seele,  und 
stand  im  Gerüche  atheistische  Anschauungen  zu  verbreiten.  Das  per- 
sönliche Verhältnis  zwischen  ihm  imd  Galilei  war  nicht  imfreundlich 
gewesen,  wissenschaftlich  aber  waren  sie  Antipoden.  Gehörte  doch 
Cremonini  zu  denen,  die  sich  zeitlebens  weigerten  einen  Blick  durch 
das  Fernrohr  zu  werfen.  Gegen  ihn  polemisiert  Galilei  mehrmals  im 
Dialog,  teils  mit  teils  ohne  Nennung  seines  Namens. 

Galilei  hatte  damals  die  Absicht  sein  Werk  de  systemate  mundi, 
das  er  im  Sidereus  nuncius  angekündigt  hatte, .  fertig  zu  stellen  und 
zu  veröffentlichen.  Man  erwartete  dies  allgemein  von  ihm,  wie  nicht 
nur  aus  einem  Briefe  des  Fürsten  Cesi  vom  4.  August  1612^)  sondern 
auch  aus  den  einleitenden  Worten  seiner  1612  erschienenen  Abhand- 
lung Trattato  dei  Gallcgiantl^)  hervorgeht,  beiläufig  bemerkt,  einer  der 
bedeutendsten  Schriften  Galileis.  Er  zögerte  indessen  sein  Buch  über 
die  Weltsysteme  zu  vollenden,  stutzig  gemacht  nicht  sowohl  durch 
seine  Gegner  als  durch  seine  Freunde,  die  ihn  wie  z.  B.  Paolo  Gualdo^) 
warnten,  mit  einer  so  phantastischen  Lehre  vor  die  Öffentlichkeit  zu 
treten.  Die  Gründe,  die  er  in  der  erwähnten  Abhandlung  für  sein 
Säumen  anführt,  sind  schwerlich  ernst  zu  nehmen;  denn  die  Bewegungs-  j 
Verhältnisse  der  Jupitersmonde,  die  er  angeblich  erst  sorgfältiger  er- 
forschen wollte,  sind  auch  späterhin  im  Dialog  nur  ganz  obenhin  be- 
sprochen'), imd  über  die  Sonnenflecken  war  Galilei  im  Jahre  1612 
soweit  im  klaren,  dafs  er  mit  ihrer  Hilfe  die  Sonnenrotation  für  er- 
wiesen ansah.-'')     Es   ist  freilich  nicht   ausgeschlossen,  dafs  er  damals 

1)  Op.  VIII,  224.  2)  Op.  XII,  9.  3)  Op.  VHI,  142. 

4)  Am  eingehendsten  Dial.  124. 

5)  S.  Trattato  dei  Gallegianti  Op.  XII,  10. 


Einleitung.  XXIX 

dem  Werke  über  die  Weltsysteme  ein  anderes  Gejiräge  zu  geben  ge- 
dachte, als  es  nacbher  erhielt.  Er  plante  vielleicht  ein  mehr  fach- 
wissenschaftliches  Buch  mit  gröfserem  mathematischem  Apparat,  zu 
welchem  ihm  dann  allerdings  noch  manches  Material  gefehlt  haben 
mag.  Immerhin  bleibt  es  schmerzlich  zu  bedauern,  dafs  er  sich  durch 
die  Ängstlichkeit  seiner  Freunde  oder  durch  Bedenken  welcher  Art 
auch  immer  zurückhalten  liefs.  Seine  Feinde  und  die  immer  mifs- 
trauischer  werdende  Kirche  gewannen  infolgedessen  Zeit  ihm  seine 
Aufgabe  mehr  und  mehr  zu  erschweren,  nicht  durch  neugeschmiedete 
Geisteswaffen,  sondern  durch  Aufbietung  der  brutalen  geistigen  Polizei- 
gewalt, über  welche  die  Kirche  ja  verfügte.  Schon  wurden  die  theologi- 
schen Argumente  mit  gröfserer  Ungeniertheit  gebraucht,  schon  schrieb 
Lodovico  delle  Colombe  eine  von  Unwissenheit  strotzende,  in  an- 
mafsendstem  Tone  abgefafste  Brochüre  gegen  die  Kopernikaner  ^)  —  selbst- 
verständlich war  es  allein  auf  Galilei  dabei  abgesehen  —  in  der  die  hei- 
lige Schrift  das  letzte  Argument  bildete;  schon  entstand  eine  Art  von 
Verschwörung  gegen  Galilei,  deren  Haupt  sein  ehemaliger  Schüler,  der 
nunmehrige  Erzbischof  von  Florenz  Marzimedici  war.  Noch  durfte 
Galilei  hoffen  Sieger  zu  bleiben,  wenn  er  jetzt  in  voller  Rüstung  auf 
dem  Kampfplatze  erschien;  er  that  es  nicht  und  versäumte  so  den 
entscheidenden  Augenblick. 

Zu  den  Widersachern  Galileis  gesellte  sich  in  jener  Zeit  ein  Mami, 
der,  wahrscheinlich  in  höherem  Grade  als  sich  im  einzelnen  nach- 
weisen läfst,  verhängnisvoll  in  sein  Leben  eingegriffen  hat,  der  Jesuiten- 
pater Christoph  Scheiner.  Bei  Gelegenheit  von  Galileis  römischem 
Aufenthalte  hatte  der  Ordensgenosse  Scheiners,  Faul  Guldin,  der  be- 
kannte angebliche  —  aber  nicht  wirkliche  —  Entdecker  der  nach  ihm 
benannten  Regel,  auch  den  Demonstrationen  der  Sonnenflecken  seitens 
G.s  beigewohnt.  Dieser  erzählt  nun  später,  dafs  Scheiner  durch  ihn 
zuerst  von  jener  Entdeckung  Galileis  Kenntnis  erhalten  und  infolge  dieser 
Anregung  erst  seine  eigenen  Beobachtungen  angestellt  habe.^)  Die 
Sonnenflecken  waren  inzwischen  auch  von  Johann  Fabricius  be- 
obachtet und  jedenfalls  von  diesem  zuerst  in  einer  gedruckten  Schrift  er- 
örtert worden,  sodafs  man  heute  nicht  mit  Unrecht  ihn  als  den  Ent- 
decker zu  bezeichnen  pflegt,  während  weder  Galilei  noch  Scheiner  seines 
Namens  in  der  späteren  litterarischen  Fehde  Erwähnung  thun.  Scheiner 
giebt  freilich  bezüglich  seiner  ersten  Beobachtungen  später  eine  andere 
Darstellung  und  behauptet  bereits  im  März  KUl  und  dann  im  Oktober 


1)  Abgedruckt  Op.  II,  339  ff. 

2)  Op.  X,  67  u.  234. 


XXX  Einleitung. 

desselben  Jahres  in  Ingolstadt  Fleckenbeobachtungen  gemacbt  zu  haben, 
ohne  von  anderen  Bestrebungen  dieser  Art  etwas  zu  wissen.^) 

Wie  dem  auch  sei,  er  schrieb  im  Jahre  1612  an  den  Augsburger 
Patricier  Markus  Welser  drei  Briefe,  in  denen  er  seine  Beobach- 
tungen der  Sonnenflecken  und  seine  Ansichten  über  deren  Natur  mit- 
teilt. Er  hielt  die  Flecken  damals  für  Planeten,  die  sich  in  engen 
Kreisen  um  die  Sonne  bewegten,  eine  Ansicht,  der  man  auch  in  Italien 
später  vielfach  huldigte.^)  Welser  schickte  die  Briefe  und  ebenso 
eine  später  geschriebene  ausführlichere  Abhandlung^)  Scheiners,  der 
sich  Äpelles  post  fabiilam  nennt,  zur  Begutachtung  an  Galilei.  Dieser 
antwortete  in  drei  Briefen  (vom  4.  Mai,  14.  August  imd  1.  Dezember 
1612),  worin  er  anfänglich  noch  vorsichtig  und  zweifelnd,  später  aber 
mit  gröfserer  Bestimmtheit  über  das  Wesen  der  Flecken  sich  ausläfst. 
Er  erklärt  sie,  ähnlich  wie  in  der  Einleitung  zu  dem  aus  gleichem 
Jahre  stammenden  Trattato  dei  Gallegianti,  für  unmittelbar  mit  der 
Sonne  in  Verbindung  stehende  Gebilde,  die  entstehen  und  vergehen 
und  somit  die  peripatetische  Doktrin  von  der  Unveränderlichkeit  des 
Himmels  widerlegten;  er  meint,  sie  liefsen  sich  noch  am  ehesten  mit 
den  Wolken  in  unserer  Atmosphäre  vergleichen  und  folgert  vor  allem 
aus  ihren  Bewegungen  die  Achsendrehung  der  Sonne.  Auch  auf  die 
kopernikanische  Lehre  kommt  er  wiederholt  und  so  auch  am  Schlüsse 
zu  sprechen*),  er  hält  mit  seiner  Hoffnung  auf  baldige  allgemeine 
Anerkennung  derselben  nicht  zurück.  Die  Prioritätsfrage  wird  von 
Galilei  eben  nur  gestreift;  er  sagt  beiläufig,  er  habe  die  Flecken  seit 
18  Monaten  beobachtet^),  eine  Angabe,  die,  wie  oben  bemerkt,  auf  den 
November  1610  zurückführt,  also  nicht  im  vollen  Einklänge  mit  der 
Datierung  im  Dialoge  und  anderweitigen,  aus  späterer  Zeit  stammen- 
den Nachrichten  steht,  welche  die  Entdeckung  noch  weiter  zurück- 
verlegen. Scheiner  kannte  in  der  zuletzt  geschriebenen  Abhandlung 
noch  keinen  der  Briefe  Galileis;  deim  obwohl  der  erste  bereits  ein- 
getroffen war,  verstand  er  ihn  doch  nicht,  da  er  des  Italienischen  da- 


1)  Rosa  Ursina  (Bracciani  1626—30)  Vorrede.  —  Neuerdings  stellt  v.  Braun- 
mühl  (Christoph  Scheiuer,  Bamberg  1891)  die  Ansicht  auf,  dafs  die  Beobach- 
tungen Sch.s  im  März  unabhängig  von  Galilei  angestellt  wurden,  die  im  Oktober 
hingegen  durch  Guldins  Nachrichten  veranlafst  wurden.  —  Seh.  hat  aber  oifen- 
bar  jenen  ersten  Beobachtungen  sehr  wenig  Beachtung  geschenkt. 

2)  Vgl.  Dial.  56  f.  und  Op.  m,  501. 

3)  Diese  Abhandlung  setzt  sich  aus  3  weiteren  an  Welser  gerichteten  Briefen 
(vom  16.  .Januai",  14.  April  und  25.  Juli  1612)  zusammen. 

4)  Üp.  ni,  507. 

5)  Op.  III,  382. 


I 


Einleitung.  XXXI 

mals  noch  nicht  mächtig  war;  Prioritätsansprüche  erhebt  er  damals 
(25.  Juli  IG  12)  noch  nicht.  Galileis  Anworten  wurden  1613  zu  Rom 
von  der  Accademia  dei  Liucei  mit  einem  Vorworte  von  Angelo  de 
Filiis  herausgegeben,  in  welch  letzterem  konstatiert  wird,  dafs  Galilei 
in  Rom  verschiedenen  mit  Namen  genannten  Personen  die  Sonnen- 
flecken im  Jahre  1611  gezeigt,  und  ebenso  schon  mehrere  Monate  zuvor 
in  Florenz  —  aber  nicht  in  Padua  oder  Venedig  —  vielen  Freunden 
Kenntnis  davon  gegeben  habe.  ^) 

Inzwischen  hatten  die  Gegner  Galileis  geschickt  operiert,  um  ihn 
auf  den  schlüpfrigen  Boden  theologischer  Erörterungen  zu  locken; 
man  war  sicher,  dafs,  wenn  er  erst  diesen  betreten,  es  ein  leichtes  sei 
ihn  zu  Fall  zu  bringen.  Die  fromme  Mutter  des  Grofsherzogs  Cosimo  IL, 
Christina  von  Lothringen,  spielte  dabei,  wohl  mehr  geschoben  als 
schiebend,  eine  Hauptrolle.  Ein  Tischgespräch  über  Galileis  Ent- 
deckungen und  Ansichten  wurde  an  der  grofsherzoglichen  Tafel  insceniert 
und  zwar  in  Gegenwart  des  Galilei  treuergebenen  Castelli;  dabei  fiel 
die  Aufserung,  die  kopernikanische  Lehre  sei  mit  der  heiligen  Schrift 
unvereinbar.  Castelli  nahm  sich  seines  Lehrers  an,  die  Grofsherzogin 
Mutter  widersprach,  nach  Castellis  Emjifindung  hauptsächlich,  um  Gegen- 
gründe zu  hören.  Selbstverständlich  liefs  Castelli  seinem  Meister  über 
den  Vorfall  Bericht  zugehen  und  dieser  antwortete  in  einem  längeren 
Schreiben  vom  21.  Dezember  1613^),  worin  er  eine  ausführliche  Dar- 
legung seiner  Ansichten  über  Bibelexegese  gab  und  die  so  gewonnenen 
Grundsätze  auf  die  streitigen  Stellen  der  heiligen  Schrift  anwendete. 
So  interessant  es  dem  Theologen  sein  mag,  diese  Ansichten  kennen  zu 
lernen,  für  die  Geschichte  der  Wissenschaft  sind  sie  nur  insofern  von 
Wichtigkeit,  als  man  aus  jenen  Sätzen,  die  von  höchster  Ehrfurcht 
für  die  Bibel  und  die  Kirche  Zeugnis  ablegen,  die  aber  andererseits 
mit  einem  für  damalige  Zeitläufte  nicht  genug  zu  bewunderndem  Mute 
für  das  Recht  der  freien  Naturforschung  plaidieren,  einen  Strick  zu 
drehen  suchte,  um  ihren  Urheber  zu  Fall  zu  bringen.  Es  ist  wohl 
überflüssig  zu  bemerken,  dafs  Galileis  Versuche,  die  heilige  Schrift  mit 
der  kopernikanischen  Lehre  in  Einklang  zu  bringen,  Sophismen  sind, 
so  ernsthaft  er  selbst  von  ihrer  Beweiskraft  überzeugt  war.  Die  bibli- 
schen Aufserungeu  über  den  Bau  des  Weltalls  geben  in  naiver  ^^'eise 
die  Eindrücke  eines  Volkes  wieder,  dem  es  zwar  nicht  an  Naturgefühl, 
wohl  aber  an  allen  naturwissenschaftlichen  Kenntnissen  fehlte,  imd 
stehen  daher  wirklich  in  Widerspruch  nicht  nur  mit  dem  koperni- 
kanischen, sondern  auch  mit  dorn  ptoleinäischcn  Systeme.     Galilei  aber 

1)  Op.  Vi\  0^71'.  2)  Ol).  II,  6  —  13. 


XXXII  Einleitung. 

war  niclit  wenig  stolz  auf  seine  in  der  Tliat  von  subtilstem  Scliarf- 
siriTi  zeugende  Leistung ;  er  verscliickte  Abschriften  an  seine  Freunde 
und  hoffte  nicht  nur  seine  persönlichen  Gegner  abgefertigt  zu  haben, 
sondern  wahrscheinlich  auch  durch  seine  Argumente  einen  Druck  auf 
die  Entschliefsungen  der  Kirche  auszuüben. 

Denn  unabhängig  von  dem  widerlichen  Intriguenspiel  gegen  die 
Person  Galileis  beschäftigte  man  sich  im  Schofse  der  Inquisition  jetzt 
ernsthaft  mit  der  Frage,  wie  die  Kirche  sich  zu  der  Lehre  von  der 
Erdbewegung  zu  stellen  habe.  Das  Werk  des  Kopernikus  war  zwar 
mehr  als  70  Jahre  unbeanstandet  geblieben,  sei  es,  weil  ein  kirchlich 
anstöfsiger  Streit  darüber  sich  nicht  erhoben  hatte,  sei  es,  weil  man 
sich  täuschen  liefs  durch  die  den  Absichten  des  Kopernikus  völlig 
zuwiderlaufende  Vorrede  Osianders  zu  dem  Werke  des  grofsen  Refor- 
mators, und  dafs  man  daher  des  Glaubens  lebte,  es  handle  sich  bei 
jener  Reform  nur  um  eine  mathematische  Fiktion  zur  Erleichterung 
der  Berechnung  der  Planetenbewegungen.  Seitdem  aber  diese  „Fiktion" 
ernst  genommen  und  als  Wahrheit  verteidigt  wurde,  wie  es  allein  dem 
Sinne  des  Urhebers  gemäfs  war,  seitdem  die  Feinde  und  infolge  davon 
auch  die  Freunde  der  Lehre  immer  wieder  in  theologische  Erörte- 
rungen verfielen,  sah  sich  das  heilige  Officium  veranlafst,  Stellung  zu 
diesen  Fragen  zu  nehmen.  Vor  allem  war  es  der  Kardinal  Bellarmin, 
der  zu  einer  Entscheidung  drängte;  so  grofs  sein  Interesse  an  den 
neuen  astronomischen  Entdeckungen  war,  so  sehr  er  Galilei  persön- 
lich schätzte  und  ihn  zu  schützen  suchte,  so  unbeugsam  war  er  in  ] 
kirchlichen  Angelegenheiten.  Er  erkannte  die  ganze  der  Kirche  drohende  | 
Gefahr,  die  nicht  nur  in  dem  Widerspruche  der  kopernikanischen  "Lehre 
mit  der  heiligen  Schrift  bestand  —  dieser  liefs  sich  schlimmstenfalls 
zwar  nicht  wirklich,  aber  für  die  Zwecke  der  Kirche  in  ausreichender 
Weise,  weginterpretieren,  wie  Bellarmin  in  einem  Briefe  an  Foscarini 
selbst  zugab  ^);  aber  die  weitaus  gröfsere  Gefahr  einer  auf  dem  Boden 
der  astronomischen  Reform  neu  emporspriefsenden  Weltanschauung 
wird  dem  weiten  Blick  des  Kardinals  gleichfalls  nicht  entgangen  sein. 
Auf  diesen  Mann  einzuwirken,  darauf  war  offenbar  Galileis  Wunsch 
und  Hoffnung  gerichtet;  ihm  sollte  der  Brief  an  Castelli  vom  21.  Dez. 
1613  in  die  Hände  kommen.^) 

Über  die  Erwägungen,   die   wahrscheinlich   schon    im  Jahre   1614 


1)  Berti,  Copernico  e  le  vicende  del  sistema  coi^ernicano  in  Italia  nella 
seconda  meta  del  secolo  XVI  e  nella  prima  del  secolo  XVII  (Roma  1876)  p.  121. 
—  Übersetzt  bei  Reusch,  der  Procefs  Galileis  imd  die  Jesuiten  (Bonn  1879)  p.  G2ft'. 

2)  Op.  II,  14. 


Einleitung.  XXXIII 

im  Schofse  der  Inquisition  gepflogen  wurden,  verlautete  zwar  zunächst 
iji  Florenz  noch  nichts  Bestimmtes;  doch  scheint  man  dort  für  die 
liichtung,  in  welcher  der  Wind  wehte,  feinfühlig  genug  gewesen  zu 
sein^  um  sich  zur  Anwendung  gröberen  Geschützes  gegen  Galilei  er- 
mutigt zu  fühlen.  Ahnlich  wie  ein  Jahrhundert  zuvor  in  Mantua  der 
Augustiuermönch  Ambrogio  Fiandino  die  Kanzel  mifsbrauchte,  um  die 
Ideen  des  grofsen  Philosophen  Pomponazzi  zu  bekämpfen,  so  wagte 
es  jetzt  in  Florenz  der  Dominikaner  Tommaso  Caccini,  gerade  ein  Jahr 
nach  dem  Briefe  Galileis  an  Castelli,  in  der  fanatischsten  Weise  gegen 
die  Kopernikaner  und  die  Mathematiker  überhaupt  zu  predigen.  Wenn 
die  Absicht  dabei  war,  einen  Skandal  zu  provocieren,  so  wurde  sie 
auf  das  vollständigste  erreicht.  Alle  Welt  war  zwar  entrüstet,  selbst 
die  Ordensgenossen  Caccinis;  aber  probat  war  das  Mittel  doch  gewesen, 
insofern  es  unzweifelhaft  dazu  beitrug  die  Verhandlungen  der  Inqui- 
sition in  Flufs  zu  bringen.  Unmöglich  konnte  man  solche  Vorfälle 
sich  des  öfteren  wiederholen  lassen.  Caccini  imd  seine  Hintermänner 
„wufsten,  wie  es  gemacht  wird."  —  Galilei  rüstete  sich  zur  Abwehr. 
Dazu  boten  sich  ihm  zwei  Wege:  entweder  er  suchte,  ohne  auf  theo- 
logische Fragen  einzugehen,  mit  dem  Aufwände  aller  ihm  zu  Gebote 
stehenden  Hilfsmittel  die  Erdbewegung  naturwissenschaftlich  zu  er- 
weisen, mittelbar  also  eine  etwaige  kirchliche  Verwerfung  des  Systems 
in  möglichst  grellen  Widerspruch  zu  allen  Vernunftwahrheiten  zu 
bringen;  oder  er  wies  einerseits  hin  auf  die  kirchliche  Unanstöfsigkeit 
der  Lehre,  und  hob  andererseits  die  Gefahr  hervor,  die  der  Kirche  aus 
der  Parteinahme  gegen  eine  möglicherweise  wahre  Lehre  erwachsen 
könne.  Der  dem  Naturforscher  angemessenere  Weg  wäre,  wie  die 
mafsgebenden  Personen  sehr  wohl  herausfühlten^),  der  erstere  gewesen. 
Aber  sei  es,  dafs  das  Werk  De  systemate  miindi  noch  nicht  reif  für 
die  Veröffentlichung  war  —  und  Eile  that  Not  —  oder  dafs  GaKlei, 
der  auf  seine  theologischen  Erörterungen  hohen  W^ert  legte,  sich 
gröfseren  Erfolg  von  der  anderen  Taktik  versprach,  wie  sie  denn  auch 
anscheinend  gefahrloser  und  versöhnlicher  war:  kurz,  um  die  mittler- 
weile akut  gewordene  Gefahr  eines  kirchlichen  Verbots  der  Lehre  ab- 
zuwenden, entschlofs  er  sich,  die  in  dem  Briefe  an  Castelli  ausge- 
sprochenen Gedanken  detaillierter  auszuführen  und  zwar  in  Gestalt 
eines  Schreibens  an  die  Grofsherzogin  Mutter  Christine  (Op.  II,  26—6-1:). 
Was  in  dieser  berühmten  Schrift,  wie  auch  in  manchen  Stellen  des 
Dialogs,  besonders  wohlthuend  berührt,  ist  die  scharfe  Betonung  des  Ge- 
dankens, dafs  die  beiden  Systeme   sich  durchaus  ausschüefsen,  dafs  es 


1)  Op.  Vm,  352,  355. 

Galilei,  Weltsystonie. 


XXXIV  Einleitung. 

keine  Vermittlung  gebe,  dafs  man  niclit,  wie  in  Fragen  des  Rechts, 
der  Politik  u.  dgl.  ein  Kompromifs  schliefsen  könne,  bei  dem  ein  Über- 
gewicht der  gröfseren  Beredsamkeit  oder  selbst  der  gröfseren  Intelligenz 
Vorteile  für  die  eine  oder  andere  Seite  herauszuschlagen  vermöge.^) 
Er  zielt  offenbar  darauf  ab,  die  Kirche  zur  Nichtintervention  zu  ver- 
anlassen: denn  diese  mufste  ungern  zu  einer  profan-wissenschaftlichen 
Frage  Stellung  nehmen,  wenn  ihr  nicht  durch  anderweitige  Deutung 
der  gefällten  Entscheidung  späterhin  ein  Rückzug  in  Aussicht  gestellt 
blieb.  Galilei  sagt  sehr  verständlich,  wenn  auch  versteckt  hinter  ehr- 
erbietigen Redewendungen:  Hütet  Euch  die  Bewegung  der  Erde  als 
Irrlehre  zu  verdammen,  denn  hier  kann  nicht,  wie  sonst  so  häufig, 
eine  nachträgliche  Wortverdrehung  den  begangenen  Fehler  aus  der 
Welt  schaffen  wollen.  Seine  Warnung  sollte  ungehört  verhallen, 
aber  er  hat  Recht  behalten.  Von  seiten  der  katholischen  Kirche 
ist  vielleicht  manche  grausamere  und  schädlichere  Mafsregel  getroffen 
worden  als  das  Verbot  der  kopernikanischen  Lehre;  keine  jedoch,  die 
in  so  eklatanter  Weise  als  verkehrt  von  den  Gegnern  der  Kirche  nach- 
gewiesen werden  kann,  keine,  deren  Unrichtigkeit  von  ihr  selbst  so 
ohne  weiteres  zugegeben  werden  mufs  und  zugegeben  wird. 

Ungefähr  zu  derselben  Zeit,  wo  Galilei  mit  der  Ausarbeitung  jener 
denkwürdigen  Schrift  beschäftigt  war,  schickte  der  Dominikanerpater 
Lorini  dem  Präfekten  der  Indexkongregation  eine  Abschrift  des  Briefes 
an  Castelli  ein,  nicht  ohne  einige  bedenkliche  Verstärkungen  des  Aus- 
drucks anzubringen,  mit  der  Aufforderung  gegen  die  Kühnheit  der 
Galileisten  einzuschreiten.  Die  Deuunciation  Lorinis  wurde  dem  hei- 
ligen Officium  übermittelt  und  dieses  that  sofort  Schritte,  um  sich  in 
den  Besitz  des  Originals  von  Galileis  Brief  zu  setzen;  trotz  aller  an- 
gewendeten Schlauheit  führten  diese  Bemühmigeu  jedoch  nicht  zum 
Ziele.  Der  Procefs  der  Inquisition  war  damit  gegen  Galilei  eröffnet. 
In  die  Einzelheiten  desselben  einzugehen  ist  an  dieser  Stelle  nicht 
nötig.  Es  genügt  das  Ergebnis,  soweit  es  festgestellt  ist,  mitzuteilen. 
Im  Dezember  1615  war  Galilei  nach  Rom  gereist,  sowohl  um  seiner 
persönlichen  Angelegenheit  willen,  als  um  das  drohende  Verbot  der 
kopernikanischen  Lehre  zu  hintertreiben.  Das  gegen  ihn  eröffnete 
Verfahren  scheint  ihn  nicht  sehr  beängstigt  zu  haben;  er  mochte  über 
den  vermutlichen  Ausgang  durch  seine  mit  den  Verhältnissen  ver- 
trauten Freunde  beruhigt  worden  sein  und  in  seinem  heiligen  Eifer 
für  die  Sache  der  Wahrheit  seine  privaten  Interessen  fast  vergessen 
haben.     Eine  fieberhafte  Thätigkeit,   eine  glänzende  Beredsamkeit  ent- 


1)  Op.  n,  4.S,  45.     Dial.  57. 


Einleitung.  XXXV 

faltete  er  nach  deu  Scliildenmgen  von  Ohrenzeugen  in  jener  Zeit;  in 
den  Cirkeln,  vor  denen  er  mit  den  Gegnern  disputierte,  erzielte  er 
grofse  moralische  Erfolge;  man  ist  entzückt  über  die  feine  Ironie,  mit 
der  er  anscheinend  noch  das  Gewicht  der  gegnerischen  Gründe  ver- 
stärkt, um  sie  dann  in  ihr  Nichts  zerfallen  zu  lassen,  ganz  wie  es 
Salviati  im  Dialoge  thut;  er  trägt  dem  Kardinal  Orsini  seine  Theorie 
der  Gezeiten  vor  und  schickt  ihm  (am  8.  Januar  IG  16)  eine  schrift- 
liche Ausarbeitung  seines  Vortrags  zu,  dieselbe  Schrift,  aus  deren  Um- 
arbeitung und  Erweiterung  nachmals  der  vierte  Tag  des  Dialogs  her- 
vorging. An  dem  Felsen  der  Kirche  aber  prallte  ebenso  seine  irrige 
Fluttheorie  ab,  wie  bessere  Argumente.  Am  24.  Februar  1616  gaben 
die  theologischen  Konsultoren  der  Inquisition  ihr  Gutachten  über  die 
beiden  folgenden,  ihnen  vorgelegten  Sätze  ab:  1)  Die  Sonne  ist  der 
Mittelpunkt  der  Welt  und  besitzt  keinerlei  Ortsbewegung.  2)  Die 
Erde  ist  nicht  der  Mittelpunkt  der  Welt  und  nicht  unbeweglich,  son- 
dern bewegt  sich  als  Ganzes  sowie  in  täglicher  Bewegung. ')  Diese 
sonderbar  formulierten  Sätze  wurden  folgendermafsen  begutachtet. 
Ad  1)  Alle  sagten,  genannter  Satz  sei  philosophisch  thöricht  und  ab- 
surd, aufserdem  formell  ketzerisch,  insofern  er  ausdrücklich  den  an 
vielen  Stellen  der  heihgen  Schrift  sich  findenden  Lehren  widerspricht, 
hinsichtlich  des  Wortlautes  sowohl  als  hinsichtlich  der  gemeinen  Er- 
klärung und  Sinnesdeutung  seitens  der  heiligen  Väter  und  der  Doktoren 
der  Theologie.  Ad  2)  Alle  sagten,  dieser  Satz  sei  philosophisch  ebenso 
zu  beurteilen,  rücksichtlich  seiner  theologischen  Wahrheit  sei  er  zum 
mindesten  irrig  im  Glauben.  —  Am  folgenden  Tage,  dem  25.  Februar 
1616  beschlofs  das  heilige  Officium  auf  Grund  dieses  Gutachtens  seiner 
Konsultoren:  Kardinal  Bellarmin  solle  Galilei  zu  sich  bescheiden  und 
ihn  ermahnen  genannte  Meinung  aufzugeben;  wenn  er  sich  weigere  zu 
gehorchen,  solle  ihm  der  Kommissar  der  Inquisition  vor  Notar  und 
Zeugen  den  Befehl  erteilen,  dafs  er  sich  durchaus  enthalte,  sothane 
Lehre  und  Meinung  zu  lehren  oder  zu  verteidigen  oder  über  sie  zu 
handeln;  wenn  er  sich  dabei  aber  nicht  beruhige,  solle  er  eingekerkert 
werden.^)  —  Aufserdem  wurde  (vermutlich  in  derselben  Sitzung  der 
Inquisition)  beschlossen,  von  dem  ergangenen  Gutachten  der  Index- 
Kongregation  Kenntnis  zu  geben,  deren  Aufgabe  bekanntlich  darin  be- 
steht, kirchlich  anstöfsige  Bücher  zu  verbieten  oder  zu  suspendieren, 
l)is  das  Anstöfsige  entfernt  ist,  sowie  die  zu  diesem  Behufe  notwen- 
digen Korrekturen  vorzunehmen. 


1)  Gebier,  die  Akten  des  galileisclien  Processes.     (Stuttgart  1877)  p.  47f. 

2)  Gebier,  Akten  p.  48f. 

c* 


XXXVI  Einleitung. 

Was  zunächst  den  letzteren  BescKLufs  betrifft,  so  erging  am  5.  März 
1616  denn  auch  wirklich  das  berüchtigte  Dekret  dieser  Behörde;  in 
demselben  werden  zunächst  einige  andere  Bücher  verboten,  sodann 
heifst  es:^) 

„Und  weil  ferner  zur  Kenntnis  vorgenannter  heiliger  Kongregation 
gelangt  ist,  dafs  jene  falsche,  der  heiligen  Schrift  durchaus  wider- 
sprechende pythagoreische  Meinung  von  der  Beweglichkeit  der  Erde 
und  UnbewegKchkeit  der  Sonne,  welche  Nicolaus  Copernicus  De  revo- 
lutionibus  orhium  coelestium,  sowie  Didacus  Astunica  in  lob  lehren, 
sich  jetzt  verbreitet  und  von  vielen  gebilligt  wird;  wie  zu  ersehen  ist 
aus  einem  gedruckten  Briefe  eines  gewissen  Karmeliterpaters,  dessen 
Titel  lautet:  Lettera  del  R.  Padre  Maestro  Paolo  Antonio  Foscarini, 
Carmelitano,  sopra  l'opinione  de  Pittagorici,  e  del  Copernico,  della  mo- 
hilitä  della  Terra,  e  stahilitä  del  Sole,  et  il  niiovo  Pittagorico  Sistema 
del  Mondo,  in  Napoli  per  Lazzaro  Scoriggio  1615,  worin  genannter 
Pater  zu  zeigen  versucht,  vorgenannte  Lehre  von  der  Unbeweg- 
Hehkeit  der  Sonne  im  Mittelpimkte  der  Welt  und  von  der  Beweg- 
lichkeit der  Erde  sei  in  Übereinstimmung  mit  der  Wahrheit  und 
widerspreche  nicht  der  heiligen  Schrift:  darum,  damit  sothane  Mei- 
nung nicht  zum  Schaden  der  katholischen  Wahrheit  um  sich  greife,  be- 
schlofs  man,  genannten  Nicolaus  Copernicus  de  revolutionihns  orhium  und 
Didacus  Astunica  in  loh  zu  suspendieren,  bis  sie  verbessert  würden, 
das  Buch  des  Karmeliterpaters  Paulus  Antonius  Foscarini  aber  ganz 
zu  verbieten  und  zu  verdammen,  und  alle  anderen  Bücher,  die  dasselbe 
lehrten,  gleichermafsen  zu  verbieten.  Wie  sie  denn  durch  gegenwär- 
tiges Dekret  alle  respektive  verboten,  verdammt  und  suspendiert  wer- 
den. Zu  ürkund  dessen  ist  gegenwärtiges  Dekret  mit  Unterschrift 
und  Siegel  Sr.  Erlaucht  und  Hochwürden  des  Herrn  Kardinals  von 
S.  Caecilia,  Bischofs  von  Albano,  unterzeichnet  und  ausgefertigt  wor- 
den am  5.  März  1616." 

Wir  ersehen  aus  dem  Wortlaute  des  Dekrets,  dafs  das  Werk  des 
Kopernikus  nicht  ohne  weiteres  verboten  wurde,  dafs  nur  diejenigen 
Bücher  als  verdammenswert  bezeichnet  werden,  die  wie  das  Foscari- 
nische  es  sich  zur  Aufgabe  machten  die  Wahrheit  der  Lehre  und  ihre 
Konkordanz  mit  der  heiligen  Schrift  zu  erweisen.  Es  lag  also  nicht 
in  der  Absicht  der  Kongregation,  die  Berechnung  der  Planetenbewegung 
auf  Grund  der  kopernikanischen  Annahmen  zu  verbieten,  nur  durften 
diese  Annahmen  nicht  als  Wahrheit,  sie  mufsten  als  mathematische 
Fiktion  gelehrt  werden.     Demgemäfs  wurde  denn   auch  Kopernikus  in 


1)  Gebier,  Akten  p.  50. 


Einleitung.  XXX  VI! 

der  Folge  (1620)  verbessert,  d.  h.  alle  die  Stellen  seines  Werkes,  die 
apodiktisch  von  der  Erdbewegung  und  dem  Stillestehen  der  Sonne 
reden,  wurden  auf  eine  hypothetische  Forui  gebracht.  Die  hypothe- 
tische Behandlung  seiner  Lehre  liefs  man  also  im  allgemeinen  zu  imd 
von  dieser  Erlaubnis  wurde  Gebrauch  gemacht. 

Wie  stand  es  nun  aber  mit  der  Ausführung  des  anderen,  speciell 
auf  Galilei  bezüglichen  Beschlusses,  der  in  der  Sitzung  vom  25.  Februar 
gefafst  wurde?  Durch  WohlAvills  scharfsinnige  Studie  „Der  Inqui- 
sitiousprocess  des  Galilei"  ist  diese  Frage  angeregt  imd  in  zahlreichen 
Schriften  behandelt  worden,  sie  ist  noch  immer  kontrovers.  —  Am 
26.  Februar  beschied  nämlich  Bellarmin  Galilei  zu  sich,  machte  ihm 
Mitteilung  von  dem  bevorstehenden  Dekret  der  Indexkongregatiou  und 
ermahnte  ihn  die  kopernikanische  Lehre  aufzugeben.  Soweit  ist  der 
Thatbestand  verbürgt;  und  wenn  damit  alles  Vorgefallene  wieder- 
gegeben ist,  wenn  Galilei  sich  dabei  beruhigte,  so  war  zwar  der  Schlag 
für  ihn  schmerzlich  genug.  Er  durfte  von  nun  ab  an  einer  der 
Lebensaufgaben,  die  er  sich  gestellt,  nur  mit  gefesselten  Händen  ar- 
beiten; denn  von  dem,  was  er  als  Wahrheit  erkamite,  mufste  er  wie 
die  ganze  katholische  Christenheit  als  von  eiuer  Hypothese  reden. 
Aber  er  durfte  immerhin  davon  reden,  und  er  konnte  bei  seiner  Kmist 
der  Darstellung  hoffen,  dafs  er  auch  so,  trotz  aller  Erschwerung,  dem 
verständigen  Hörer  verständlich  sein  werde.  Hat  nun  aber  Galilei  der 
Ermahnung  Bellarmins  Widerspruch  entgegengesetzt?  wurde  also  auch 
die  im  Beschlufs  der  Inquisition  vorgesehene  andere  Möglichkeit  aktuell? 
Wenn  dies  geschah,  so  mufste  der  Kommissar  der  Inquisition  ein- 
schreiten, vor  Notar  und  Zevigen  Galilei  verbieten,  irgendAvie,  auch 
nur  hypothetisch,  über  die  kopernikanische  Lehre  zu  handeln,  und  ihn 
für  den  Fall  der  Widersetzlichkeit  mit  Einkerkermig  bedrohen.  Wenn 
es  soweit  kam,  war  Galilei  für  alle  Zeiten  in  Sachen  der  Erdbewegung 
mundtot  gemacht.  Die  Entscheidung  der  Frage  ist  von  erheblicher 
Wichtigkeit;  denn  einer  der  Rechtsgründe  des  zweiten  Inquisitions- 
processes  gegen  Galilei  wurde  durch  die  Annahme  geschaffen,  dafs  er 
das  speciell  ihm  auferlegte  Schweigen  gebrochen  habe.  Ein  von  Notar 
und  Zeugen  unterschriebenes  Dokument  über  das  Vorgefallene  —  und 
ein  solches  mufs  doch  wohl  ausgefertigt  worden  sein,  wenn  der 
zweite  Fall  eintrat  —  liegt  nicht  vor;  das  Aktenstück,  welches  mau 
früher  dafür  ansah,  ist  entweder  eine  sogenannte  Registratur  d.  h. 
„eine  vom  Notar  der  Inquisition  gemachte  und  den  Akten  einverleibte 
amtliche  Aufzeichnung'^'),  oder  es  verdankt  einer  im  Jahre  1632  oder 

1)  Reusch,  der  Process  GaHleis.p.  133,  der  seinerseits  Grisar  citiert. 


XXXVIIl  Einleitimg. 

1633  gemachteu  Fälschung  seineii  Ursprung.  Gegen  die  Echtheit 
sprechen  gewichtige  Gründe.  Vor  allem  besitzen  wir  ein  auf  Wunsch 
Galileis  von  Bellarmin  ausgestelltes  Zeugnis  über  das,  was  sich  damals 
ereignete*);  darin  ist  von  dem  Sonderverbote  keine  Rede.  Weiter  ist 
das  ganze  Verhalten  Galileis  in  der  Folgezeit  und  seine  Aussage  bei 
dem  zweiten  Process,  wie  sich  zeigen  wird,  kaum  erklärlich,  sobald 
man  das  Sonderverbot  als  wirklich  ergangen  annimmt.  Endlich  ist 
es  trotz  der  üblichen  Geheimhaltung  aller  Inquisitiousbeschlüsse  un- 
begreiflich, dafs  die  Sonderstellung  Galileis  zu  dem  Dekrete  vom  5.  März 
auch  der  Behörde  vinbekannt  gewesen  sein  soll,  die  naturgemäfs  in 
erster  Linie  die  Kontrolle  über  das  Verhalten  Galileis  zu  üben  hatte, 
d.  h.  der  römischen  Censur.  Und  doch  erteilte  diese  späterhin  dem 
Dialog  das  Imprimatur,  welches,  wie  es  nachher  hiefs,  erschlichen  sein 
sollte,  weil  Galilei  dem  Ceusor  von  dem  ihm  speciell  auferlegten 
Schweigen  keine  Kenntnis  gab.  Trotz  dieser  und  noch  einiger  anderer 
Gründe  kann  man  immerhin  —  wir  kommen  darauf  zurück  —  die 
Fälschung  jenes  Dokuments  nicht  mit  voller  Sicherheit  erweisen.  Und 
so  mag  denn  alles,  was  in  der  Folge  geschah,  so  unwahrscheinlich 
dies  auch  ist,  in  aller  Form  Rechtens  geschehen  sein.  Die  späteren 
Richter  Galileis  mögen  dann  persönlich  entlastet  sein,  aber  das  System 
ist  nur  um  so  schlimmer  gerichtet;  die  späterhin  begangene  Barbarei 
war  dann  ganz  in  der  Ordnung. 

Die  Scene  vom  26.  Februar  1616  bildete  den  Abschlufs  des  ersten 
gegen  Galilei  angestrengten  Processes.  Gegen  seine  Person  war  man, 
sehr  entgegen  den  Wünschen  seiner  Feinde,  glimpflich  verfahren;  seine 
künftige  Thätigkeit  hatte  man  ihm  freilich  mindestens  sehr  erschwert. 
Die  nächstfolgenden  Jahre  weisen  denn  auch  hervorragendere  Leistungen 
Galileis  nicht  auf;  eine  gewisse  Entmutigung  hatte  sich  seiner  be- 
mächtigt, nach  den  vergeblichen  Mühen  und  Kämpfen  der  letzten  Jahre 
wollte  er  ruhigere  Tage  verleben.-)  Namentlich  konnte  er  das  Werk 
De  systemate  miindi  in  der  Form,  die  vor  Erlafs  des  Indexdekrets 
geplant  war,  nicht  veröffentlichen.  Dafs  er  schon  damals  an  eine  Um- 
arbeitung dachte,  wie  sie  uns  im  Dialog  vorliegt,  ist  nicht  anzunehmen. 
Indessen  zeigt  der  Brief^),  den  er  einer  Abschrift  seiner  Abhandlung 
über  die  Erklärung  der  Gezeiten  beifügte,  als  er  dieselbe  an  den  Erz- 
herzog Leopold  von  Österreich  übersandte  (23.  Mai  1618),  wie  er  sich 
die  Möglichkeit  vorstellte,  seine  Gedanken  auszusprechen,  ohne  die 
notwendige  Rücksicht  auf  die  Kirche  zu  verletzen.  Er  nennt  darin 
seine  Ansicht  eine  Dichtung,   einen  Traum,   giebt  aber  vor,  auf  diese 


I 


1)  Gebier,  Akten  p.  91.  2)  Op.  IV,  154.  3)  Op.  VI,  278. 


Einleitung.  XXXIX 

denselben  Wert  zu  legen,  wie  ein  Dichter  auf  seine  Dichtung.  An  die 
Richtigkeit  seiner  Erklärung  glaube  er  nicht,  seitdem  eine  himmlische 
Stimme  ihn  aufgeklärt  habe.  Man  kann  zweifeln,  ob  diese  auch  im 
Dialoge  angewendete  Manier  mit  dem  Dekrete  sich  abzufinden  als  statt- 
haft gelten  konnte,  ob  das  die  hypothetische  Form  war,  wie  sie  dem 
Dekrete  und  der  in  den  nächsten  Jahren  üblichen  Praxis  entsprach; 
man  kann  aber  nicht  zweifeln,  dafs  sie  dem  etwaigen  verschärften 
Verbote,  dafs  nur  für  Galilei  galt,  aufs  bestimmteste  widersprach.  In 
demselben  Schreiben  findet  sich  auch  zum  ersten  Male  der  in  der 
Vorrede  zum  Dialog  wiederkehrende  Gedanke,  dafs  er  seinen  Einfall 
veröffentliche,  damit  kein  Fremder  oder  aufserhalb  der  katholischen 
Kirche  Stehender  sich  desselben  bemächtigen  und  Prioritätsansprüche 
darauf  erheben  könne.  Der  unausgesprochen  bleibende  Nebengedanke 
ist:  seht,  wie  schwer  durch  Euere  Schuld  der  katholische  Gelehrte  im 
Wettbewerb  mit  den  Ketzern  benachteiligt  ist.  Es  liegt  darin  eine 
ähnliche  agitatorische  Absicht,  wie  wenn  Campanella  später  sagte  ^), 
dafs  er  einige  deutsche  Edelleute  beinahe  zum  Katholicismus  bekehrt 
habe,  dafs  sie  ihn  aber  entrüstet  verlassen  hätten,  als  sie  von  dem 
Verbote  der  kopernikanischen  Lehre  gehört  hätten. 

Im  Jahre  1617  nahm  Galilei  die  Verhandlungen  mit  Spanien 
wieder  auf,  die  schon  vier  Jahre  zuvor  gespielt  hatten  und  die  auch 
später  wiederholt  in  Gang  gebracht  Avurden,  ohne  je  zu  einem  Ziel  zu 
führen.  Es  handelte  sich  dabei  um  eine  Methode  der  geographischen 
Längenbestimmimg  mittels  der  Jupiterstrabanten,  eine  Methode,  auf 
die  Galilei  ungemeinen  Wert  legte,  und  auf  deren  Vervollkommnung 
er  unsägliche  Mühe  verwendete.  Er  beabsichtigte  dieselbe  an  Spanien, 
später  an  die  Niederlande  zu  verkaufen,  doch  zerschlugen  sich,  wie 
gesagt,  die  Verhandlungen  stets. 

Im  Jahre  1619  begann  eine  litterarische  Fehde,  die  für  Galilei 
verhängnisvoll  werden  sollte,  da  sie  ihm  die  Feindschaft  der  Jesuiten 
zuzog.  Bis  dahin  hatte  er,  Avenigstens  zu  den  Jesuiten  in  Rom,  iu 
einem  leidlichen  Verhältnis  gestanden.  Die  Briefe  über  die  Sonnen- 
flecken mufsten  zwar  den  deutschen  Jesnitenpater  Scheiner  verdriefsen, 
da  namentlich  in  der  von  Angelo  de  Filiis  geschriebenen  Vorrede  die 
Priorität  der  Entdeckung  sehr  energisch  für  Galilei  in  Ans])ruch  ge- 
nommen wurde.  Indessen  hat  Scheiner  damals  kaum  Widerspruch  er- 
hoben; ja  in  dem  von  ihm  inspirierten  Büchlein  Disqw'sitiones  matlie- 
maticae  de  controversiis  et  novitatibus  astronomicis  seines  Schülers  Locher, 
welches    1614   zu  Ingolstadt  erschien,   Avird   an   mehreren   Stellen  von 


1)  Op.  IX,  176. 


XL  Einleitung. 

Galilei  mit  liöchster  AcMung  gesproclien  und  nur  schüclitern  die  Be- 
merkung gemacht^):  „Diese  [Erscheinungen  an  der  Sonne]  wurden  vor 
einigen  Jahren  zuerst  durch  Apelles  in  zwei  Gemälden,  sodami  auch 
durch  den  Herrn  Galilei  bekannt",  —  Die  drei  Kometen  des  Jahres 
1618  hingegen  sollten  Galilei  schwere  Kämpfe  mit  den  Jesuiten  bringen, 
Kämpfe,  bei  welchen  wissenschaftlich  in  der  Hauptsache  das  Recht 
nicht  auf  seiner  Seite  war.  Über  diese  Kometen  nämlich  hielt  Orazio 
Grassi,  Professor  am  römischen  Jesuitenkolleg,  einen  Vortragt),  worin 
er  im  wesentlichen  richtige  Ansichten  über  die  Natur  der  Kometen 
entwickelt,  ähnlich  denen,  die  Tycho  de  Brahe  früher  aufgestellt  hatte. 
Er  erklärt  sie  für  dunkele,  vom  Sonnenlicht  erleuchtete  Körper,  ver- 
gleicht ihre  Bewegung  mit  derjenigen  der  Planeten  und  versetzt  -sie 
vermutungsweise  in  die  Sphäre  zwischen  Mond  und  Sonne.  Diese  An- 
sichten bekämpfte  ein  Schüler  Galileis  Mario  Guiducci  in  einem  in 
der  Florentiner  Akademie  gehaltenen  Vortrage,  welcher  im  Juni  1619 
durch  den  Druck  veröffentlicht  wurde  unter  dem  Titel:  Discorso  delle 
Coniete  di  Mario  Guiducci.^)  Die  darin  aufgestellten  Ansichten  rührten 
von  Galilei  her,  auch  die  Redaktion  im  einzelnen  war  grofsenteils 
sein  Werk.  Neben  Ausfallen  auf  Scheiner '^)  und  vorsichtigen  An- 
spielungen darauf,  dafs  zur  vollen  Erklärimg  des  Kometenphänomens 
die  Lehre  von  der  Erdbewegung  herangezogen  werden  müsse  ^),  findet 
sich  als  wahrscheinlich  ausgesprochen,  dafs  die  Kometen  nichts  Reales 
seien,  sondern  eine  blofse  optische  Erscheinung,  hervorgebracht  durch 
Brechung  und  Reflexion  an  den  von  der  Erde  emporsteigenden,  mög- 
licherweise bis  in  die  Himmelsräume  sich  erhebenden  Dünsten.  Es 
werden  aber  beiläufig  auch  mancherlei  beachtenswerte  Erörterungen 
angestellt;  so  über  die  Irradiation,  die  minder  ausführlich  schon  im 
Nuncius  Sidereus  sich  finden  und  im  Dialoge  sich  wiederholen.")  Auf 
den  Discorso  Guiduccis  erschien  1619  eine  Entgegimng,  angeblich  von 
einem  Schüler  Grassis,  Lotario  Sarsi,  in  Wahrheit  aber  von  Grassi 
selbst  verfafst:  Libra  astronomica  ac  philosophica  qua  GaUlaei  Galilaei 
opiniones  de  cometis  a  Mario  Guiduccio  in  Florentina  Academia  ex- 
positae  atque  in  hicem  niiper  editae  examinantnr  a  Lotliario  Sarsio  Sigen- 
sanoJ)  Darin  wird,  wie  der  Titel  bereits  andeutet,  Galilei  selbst,  nicht 
Guiducci  —  und  zwar  in  sehr  boshafter  Weise  —  angegriffen.  Die 
Diskussion  dreht  sich  vielfach  nicht  mehr  um  die  Hauptfrage,  sondern 
um  gelegentlich  zur  Sprache  gekommene  Dinge:  ob  das  Fernrohr  nahe 


1)  Disq.  math.  p.  65.  2)  Abgedruckt  Op.  IV,  1—14. 

3)  Abgedruckt  Op.  IV,   15—60.  4)  Op.  IV,  20.  5)  Op.  IV,  52;  54. 

6)  Op.  IV,  40;  m,  73;  Dial.  80f.,  350ff.         7)  Abgedruckt  Op.  IV,  61—121. 


Einleitung.  XLI 

und  entfernte  Objekte  gleicli  stark  vergröfsere,  ob  ein  rotierendes  Ge- 
fäfs  die  darin  enthaltene  Luft  in  Bewegung  versetze,  ob  die  Reibung 
der  Luft  Wärme  erzeuge,  wie  die  Irradiation  kleiner  leuchtender  Kör- 
per zu  erklären  sei,  ob  Flammen  durchsichtig  seien  oder  nicht.  — 
Galileis  Freunde  waren  über  die  Händel,  in  die  er  sich  eingelassen 
hatte,  nicht  erbaut;  sie  schAvankten  lange,  wie  am  besten  auf  Pseudo- 
Sarsis  Schrift  zu  reagieren  sei.  Die  Ängstlichkeit,  mit  der  man  die 
notwendigen  Mafsregeln  erwog,  ist  höchst  charakteristisch;  wufste  man 
doch  nur  zu  gut,  dafs  es  unberechenbare  Folgen  haben  könne,  sobald 
man  die  allmächtigen,  vor  keinem  Mittel  zurückschreckenden  Jesuiten 
zu  Gegnern  habe.  So  kam  es,  dafs  Galilei  von  seineu  Freunden  zu 
einer  Entgegnung  gedrängt  und  gleichzeitig  zur  Vorsicht  gemahnt  wurde. 
Erst  im  Oktober  1622  beendigte  er  seine  Arbeit,  welche  in  Form 
eines  Briefes  an  Don  Virginio  Cesarini  abgefafst  war.  Er  schickte 
sie  nach  Rom,  um  vor  der  Drucklegung  das  Urteil  der  Mitglieder  der 
Accademia  dei  Lincei,  auf  deren  Kosten  die  Veröffentlichung  stattfand, 
einzuholen.  Dieses  fiel  sehr  günstig  aus,  nur  an  wenigen  Stellen  hielt 
man  es  für  zweckmäfsig  Änderungen  anzubringen.  Der  Saggiatore 
(Goldwäger)  —  dies  war  der  Titel  der  Schrift  —  sollte  namenthch 
deshalb  in  Rom  gedruckt  werden,  damit  durch  die  ausdrückliche  Ge- 
nehmigung der  römischen  Censur  die  von  Galilei  ausgesprochenen  An- 
sichten vor  nachträglicher  kirchhcher  Verfolgung  um  so  sicherer 
seien.  An  der  Spitze  dieser  Censurbehörde  steht  der  sogenannte  Ma- 
gister Sacri  Palatii;  in  diesem  Falle  nahm  jedoch  die  Prüfung  des 
Buches  nicht  der  Palastmeister  selbst  vor,  sondern  der  durch  seine 
migewöhnliche  Gelehrsamkeit  bekannte  Dominikaner  Nie colö  Riccardi, 
genannt  Padre  Mostro.  Am  2.  Februar  1623  stellte  dieser  dem  Werke 
ein  höchst  schmeichelhaftes  Zeugnis  aus;  er  wurde  kurz  darauf  in 
Florenz  auch  persönlich  mit  Galilei  bekannt  und  spielte  späterhin,  als 
er  selbst  Magister  Sacri  Palatii  geworden  war,  in  dessen  Leben  noch 
eine  wichtige  Rolle.  Während  des  Drucks  des  Saggiatore  trat  ein 
Wechsel  im  Pontificat  ein;  der  Kardinal  Maffeo  Barberini,  der  sich 
nunmehr  Urbau  VIII.  naimte,  wurde  am  6.  August  1623  zum  Papste 
gewählt.  Er  war  mit  Galilei  persönlich  bekannt,  schätzte  ihn  hoch, 
ja  er  hatte  seine  astronomischen  Entdeckungen  vormals  in  schwung- 
vollen Oden  besungen.  Ihm  wurde  die  Widmung  des  Saggiatore  an- 
geboten und  er  nahm  sie  an.  Im  Oktober  1623  erschien  der  „Gold- 
wäger" auf  dem  Büchermarkte.  Er  erregte  schon  durch  die  klassische 
Form,  die  ihn  zu  einem  Meisterwerke  italienischer  Prosa  stempelt, 
grofses  Aufsehen;  aber  auch  wissenschaftlich  interessante  Einzelheiten 
bringt  er  in  grofser  Zahl,   zum  Teil  solche,  die  im  Dialog  citiert  mid 


XLII  Einleitung. 

uoclimals  besprochen  wercleu. ')  Besondere  BeacMung  verdienen  wieder- 
liolte  Äufserimgen  über  die  Frage  der  Weltsysteme^  die  einer  bos- 
haften Provokation  der  Libra  astronomica  ihren  Ursprung  verdanken-) 
und  die  wiederum  mit  dem  Tndexdekret  allenfalls  vereinbar  sind,  nicht 
aber  mit  einem  an  Galilei  ergangenen  Sonderverbote.  Namentlich 
wird  an  einer  Stelle  (Op.  IV,  304)  die  von  Kopernikus  angenommene 
„dritte"  Bewegung,  die  sogenannte  Deklinationsbewegung,  welche  viel- 
fach besonderen  Anstofs  erregt  hatte,  in  ihrer  Bedeutung  klargelegt 
und  durch  Hinweis  auf  einen  Versuch,  ganz  wie  im  Dialog^),  erläu- 
tert. In  der  Einleitung  finden  sich  scharfe  Ausfälle  gegen  Scheiner, 
ohne  dafs  dessen  Name  genannt  würde;  gerade  um  jene  Zeit  war  der- 
selbe aus  Deutschland  nach  Kom  gekommen  und  hatte  dort  wahr- 
scheinlich sich  als  ersten  Entdecker  der  Sonnenflecken  geriert.  Wie 
wütend  die  Jesuiten  über  das  neu  erschienene  Werk  Galileis  waren, 
so  sehr  auch  Grassi  seinen  Zorn  zu  verbergen  suchte,  geht  nament- 
lich daraus  hervor,  dafs  man  trotz  der  Approbation  durch  die  römische 
Censur,  trotz  der  Widmung  an  den  Papst,  das  Buch  zu  denunzieren 
wagte,  dafs  man  darauf  hinarbeitete,  Galilei  abermals  in  einen  Inqui- 
sitionsprocefs  zu  verwickeln  und  sein  Buch  verbieten  zu  lassen;  diese 
Machinationen  blieben  indessen  für  jetzt  erfolglos. 

Das  anstandslos  dem  Saggiatore  erteilte  Imprimatur  und  die 
freundliche  Gesinnung  des  neuen  Papstes,  der  als  Freund  und  Be- 
schützer von  Künsten  und  Wissenschaften  bekannt  war,  und  der  auch 
als  Kardinal  Galilei  seine  Gewogenheit  mehrfach  nicht  nur  mit  Wor- 
ten versichert,  sondern  auch  durch  die  That  bewiesen  hatte,  belebten 
dessen  Hofihungen.  Er  hatte  schon  einige  Zeit  vor  der  Neubesetzung 
des  päpstlichen  Stuhles  an  einer  Erweiterung  seiner  Abhandlung  über 
Ebbe  und  Flut  gearbeitet."*)  Da  jetzt  die  Verhältnisse  äufserst  günstig 
zu  liegen  schienen,  da  Galileis  Freunde  Cesarini  und  Ciampoli,  beide 
Mitglieder  der  Akademie  dei  Lincei,  mit  einflufsreicheu  Stellungen  am 
päpstlichen  Hofe  bedacht  wurden,  da  ebenso  Cesi,  der  Begründer  und 
Leiter  der  Akademie  hoch  in  der  Gunst  Urbans  stand,  so  konnte 
Galilei  au  die  Fertigstellung  seines  immer  wieder  aufgeschobenen 
Werkes  über  die  Weltsysteme  denken.  Es  schien  der  Zeitpunkt  ge- 
kommen, wo  man  versuchen  durfte,  das  Verbot  der  kopernikanischen 
Lehre  rückgängig  zu  machen;  denn  Urban  war  zwar  nie  ein  Kopernikaner 
gewesen,  billigte  aber,  wie  aus  späteren  Äufserungen  hervorgeht  ^),  das 
Indexdekret   keineswegs.     Die  Freunde    bestürmten    daher    Galilei    — 


1)  Vgl.  Dial.  75.  351.  463.  2)  Op.  IV,  172,  182,  278,  304. 

3)  Dial.  417.  4)  Op.  IX,  25.  5)  Op.  IX,  176. 


Einleitung.  XLIII 

lind  sie  gössen  damit  nnr  Ol  in  das  Feuer,  das  in  ihm  nie  erloschen 
war  —  nach  Rom  zu  kommen,  um  dem  Papste  persönlich  seine  Hul- 
digung darzubringen  und  bei  dieser  Gelegenheit  für  die  Aufhebung 
des  Dekrets  vom  5.  März  1616  thätig  zu  sein.  Galilei  ging  denn 
auch  wirklich  im  April  1624  nach  der  ewigen  Stadt,  wurde  vom  Papste 
sehr  freundlich  empfangen,  scheint  aber  nicht  direkt  mit  demselben 
über  Kopernikus  und  seine  Sache  verhandelt  zu  haben,  sondern  nur 
durch  Vermittlung  des  Kardinals  Hoheuzollern.  Ein  sachliches  Ergeb- 
nis erzielte  er  nicht,  wenngleich  ihm  die  Genugthuung  wurde,  in  einem 
Breve  des  Papstes  an  den  Grofsherzog  —  im  Jahre  1621  war  auf 
Cosimo  II.  der  minderjährige  Ferdinand  IL  gefolgt  —  sein  Lob  in 
übers chwänglicher  Weise  erschallen  zu  hören. 

Da  eine  Aufhebung  des  Verbots  der  Lehre  von  der  Erdbewegung 
nicht  zu  erreichen  war,  so  hatte  sich  Galilei  von  neuem  die  Frage 
vorzulegen,  wie  er  über  die  Weltsysteme  sich  äufsern  kömie,  ohne 
wider  das  Dekret  zu  verstofsen.  Noch  während  seines  Aufenthaltes 
in  Rom  machte  er  einen  Versuch  in  dieser  Richtung.  Es  bot  sich 
ihm  dazu  folgender  Anlafs.  Im  Jahre  1616  hatte  Francesco  Ingoli, 
Rechtsanwalt  aus  Ravenna,  an  Galilei,  der  damals  in  Rom  weilte  und 
für  Kopernikus  agitierte,  eine  Schrift  in  Briefform  geschickt'),  worin 
er  unter  Versicherung  seiner  Hochachtimg  für  den  Entdecker  der  Ju- 
piterstrabanten die  kopernikanische  Lehre  bekämpfte.  Abgesehen  von 
einigen  plumpen,  dem  Verfasser  speciell  eigentümlichen  Schnitzern  ent- 
hielt die  Brochüre  nur  die  landläufigen,  Ptolemäus  und  Tycho  ent- 
lehnten Argumente.  Galilei  hatte  damals  entweder  das  Schreiben  für 
unwert  einer  Antwort  gehalten  oder  den  Zeitpunkt  für  wenig  geeignet 
geachtet:  kurz,  er  schwieg  8  Jahre.  Bei  seiner  diesmaligen  Anwesen- 
heit in  Rom  aber  entschlofs  er  sich  dem  Verfasser,  der  inzwischen 
Sekretär  der  Cougregation  de  propaganda  fide  geworden  war,  zu  ant- 
worten, hauptsächlich  wohl,  wie  gesagt,  um  sich  einen  modus  scrihendi 
zu  eigen  zu  machen,  wie  er  ihn  in  der  Folgezeit  brauchte,  wenn  er 
das  lang  geplante  Werk  über  die  Weltsysteme  zur  Ausführung  bringen 
wollte.  Dies  Antwortschreiben,  welches  das  Datum:  „Rom,  im  Früh- 
jahr 1624"  trägt,  ist  für  uns  insofern  von  Wichtigkeit,  als  es  eine 
Vorstudie  zum  Dialoge  bildete.  Als  Zweck  seiner  Erörterungen  Avird 
von  Galilei  dabei  —  in  ähnlicher  Weise    wie   in    dem  Briefe   an   den 


1)  Diese  bisher  noch  imgedruckte,  als  Manuskript  in  der  Vaticanbibliothek 
aufbewahrte  Schrift  führt  den  Titel:  De  situ  et  quiete  Terrae  contra  Copemici 
systema  disputatio.  Ihre  Verötfentlichung  durch  Favaro  steht  bevor,  der  auch 
eine  Entgegnung  Keplers  auf  die  Schrift  Ingolis  herausgeben  -wird.  Rendi  conti 
della  R.  Accademia  dei  Lincei  1891.  vol.  VII,  18. 


XLIV  Einleitung. 

Erzherzog  Leopold  und  wie  später  in  der  Vorrede  zum  Dialog  —  die 
Absicht  angegeben,  den  ausländischen  Ketzern  zu  zeigen,  dafs  man  die 
uaturwissenschaftHchen  Gründe  zu  Gimsten  der  kopernikanischen  Lehre 
in  Italien  sehr  wohl  kenne,  dafs  also  das  Lidexdekret  nur  aus  theo- 
logischen Gründen  erlassen  worden  sei.  Auch  sonst  finden  wir  hier 
vielfach  dieselben  Gedanken,  zum  Teil  mit  fast  denselben  Worten  aus- 
gedrückt, wie  im  Dialog.  Andererseits  kommt  auch  manches  zur 
Sprache,  was  verwunderlicherweise  und  wohl  nur  aus  Versehen  in  dem 
gröfseren  Werke  fehlt,  wie  die  ptolemäischen  Gründe  für  die  centrale 
Stellung  der  Erde  im  Weltall,  über  welche  Galilei  schon  in  dem 
Briefe  an  Mazzoni  vom  Jahre  1597,  wiewohl  von  etwas  anderen  Ge- 
sichtspunkten aus,  gehandelt  hatte.  Andere  Erörterungen  freilich  hat 
Galilei  im  Dialog  offenbar  mit  Absicht  unterdrückt,  weil  sie  sich  gegen 
gar  zu  kindische  Fehler  Ingolis  richten.  So  hatte  dieser  gemeint,  dafs 
die  kleinere  Parallaxe  der  Sonne,  die  gröfsere  des  Mondes  mit  der 
kopernikanischen  Lehre  unvereinbar  sei,  weil  ihrzufolge  die  Sonne  als 
Weltcentrum  vom  Firmamente  weiter  abstehe  als  der  Mond;  je  ent- 
fernter aber  ein  Himmelskörper  vom  Firmament  sei,  um  so  gröfser 
müsse  seine  Parallaxe  ausfallen.  Was  die  Übereinstimmungen  zwischen 
dem  Schreiben  an  Ligoli  und  dem  Dialoge  betrifft,  so  ist  z.  B.  zu  er- 
wähnen, wie  in  beiden  die  Hinneigung  des  Verfassers  zu  der  Annahme 
einer  unendlich  ausgedehnten  Welt  hervortritt^),  jener  gefährlichen 
von  Giordano  Bruno  vertretenen  Lehre,  die  Kopernikus  selbst  und 
ebenso  Kepler  nicht  billigten.  Ein  anderer  Punkt  ist  der  Hinweis  auf 
die  ungeheuere  Überschätzung  der  scheinbaren  Fixsterngröfse,  wie  sie 
alle  Astronomen,  Tycho  nicht  ausgenommen,  sich  zu  schulden  hatten 
kommen  lassen;  eine  falsche  Grundlage,  auf  der  ein  ganzes  Gebäude 
falscher  Folgerungen  errichtet  worden  war.'^)  Mit  verdientem  Spott 
überschüttet  Galilei  den  häufig  von  seinen  Gegnern  ausgesprochenen 
Gedanken,  dafs  nach  kopernikanischer  Lehre  das  Firmament  unverhält- 
nismäfsig  grofs  sei,  dafs  bei  einer  solchen  Entfernung  desselben  die 
Fixsterne  nicht  die  Einwirkung  auf  die  Erde  üben  könnten,  die  sie 
faktisch  üben.  Wie  es  Galileis  durchweg  festgehaltener  Brauch  ist, 
nur  das  Nächstliegende,  das  für  den  unmittelbaren  Zweck  Notwendige 
anzuführen,  so  spricht  er  auch  hier  nicht  etwa  den  Zweifel  aus  — 
den  er  gewifs  als  berechtigt  ansah  —  ob  die  Einwirkung  der  Fix- 
sterne auf  die  Erde  überhaupt  in  etwas  anderem  bestehe  als  in  der 
geringen  Lichtwirkung;  er  weist    vielmehr  nur  den  logischen  Fehler 


1)  Vgl.  II,  73  mit  Dial.  39,  334. 

2)  Vgl.  II,  79  mit  Dial.  375 ff. 


Einleitung.  XLV 

eines  derartigen  Räsonnements  nach^  er  sagt:  um  behaupten  zu  können, 
dafs  die  kopernikauische  Entfernung  der  Fixsterne  zu  grofs  sei,  müsse 
man  zuvor  wissen,  dafs  die  thatsäclilicli  geübte  Wirkung  nicht  bei  der 
kopernikanischen,  sondern  bei  der  ptolemäiscbeu  Entfernung  zustande 
komme. ')  Im  Dialog  wird  das  Argument  iLgoiIs"  iki  ganz  ähnlicher 
Weise  abgethan,  nur  dafs  sieh  dort  die  WicerWgung  gegen  Scheiner 
richtet,  der  schon  vor  Ingoli  in  seinen  Disquisitiones  mathematicae 
dieselbe  Überlegung  angestellt  hatte.  -)  Ferner  kommt,  wie  nicht  anders 
zu  erwarten,  der  senkrechte  Fall  als  Scheinargument  der  Peripatetiker 
gegen  Kopernikus  zur  Si^rache,  und  wie  im  Dialog  richtet  Galilei  seine 
Angriffe  sowohl  gegen  die  zu  Grunde  liegende  falsche  Logik,  wie  gegen 
die  unrichtigen  von  den  GegTiern  angeführten  Thatsachen.  ^)  Dabei 
geschieht  auch  des  oft  citierten  Versuches  Erwähnung,  der  nach  Wohl- 
will*) vermutlich  zuerst  von  Giordano  Bruno  erörtert  wurde,  nämlich 
des  Fallversuchs  mit  einem  Steine,  der  einmal  auf  ruhendem,  einmal 
auf  bewegtem  Schiffe  von  der  Mastspitze  abgelassen  wird.  Die  Aristo- 
teliker  versicherten,  ohne  den  Versuch  je  ausgeführt  zu  haben,  der  Stein 
falle  auf  bewegtem  Schiffe  nicht  am  Fufse  des  Mastes  nieder,  sondern 
um  ebensoviel  davon  entfernt,  wie  das  Schiff  während  des  Falles  sich 
bewegt  habe.  Die  Kopernikaner,  welche  meist  auch  den  Versuch  nicht 
anstellten,  gaben  in  der  Regel  die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  zu, 
leugneten  aber,  dafs  die  „natürliche"  Drehungsbewegung  mit  der  „ge- 
waltsamen" des  Schiffes  in  Parallele  gestellt  werden  dürfe.  Galilei  hält  diese 
Verteidigung  nicht  etwa  für  gänzlich  unrichtig,  auch  er  hat  die  tausend- 
jährige Unterscheidung  von  natürlichen  und  gewaltsamen  Bewegungen 
nicht  ganz  verworfen;  den  Hauj)tnachdruck  aber  legt  er  auf  die  üm-ichtig- 
keit  der  Thatsache,  die  er  einerseits  theoretisch  mittels  seines  Beharrmigs- 
gesetzes,  andererseits  empirisch  durch  Hinweis  auf  den  Ausfall  des  Ver- 
suchs widerlegt.  Galilei  sagt  in  dem  Briefe  an  Ingoli  bestimmt  aus, 
dafs  er  den  Versuch  ausgeführt  habe  und  zwar  mit  dem  Erfolge,  wie 
er  seiner  vorher  durch  Vernunftschlüsse  gewonnenen  Überzeugung  ent- 
sprach.^) Im  Dialog  ist  die  Darstellung  so  gehalten,  dafs  man  eher 
an  die  Nichtausführung  des  Experiments  glauben  möchte")-,  da  uns 
Details  der  Ausführung  nicht  mitgeteilt  werden,  so  scheint  diese  nicht 
eine  sehr  sorgfältige  gewesen  zu  sein.  —  Fast  wörtlich  stimmen  im 
Briefe  an  Ingoli  und  im  Dialoge  diejenigen  Partieen  überein,  welche  die 


1)  Op.  II,  86.  2)  Disq.  math.  p.  28;  Dial.  388. 

3)  Vgl.  II,  96—103  mit  Dial.  14.5 ff. 

4)  Wohlwill,  Ueharrungsgesetz  p.  71. 

5)  II,  99.  6)  Dial.  151  f. 


XLVI  Einleitung. 

Bewegungserscliemimgen  unter  Deck  eines  Scliiffes  scliildem.  ^)  — 
Ein  weiteres,  gänzlich  verfeliltes  Argument  Ingolis,  das  Galilei  — 
aber  wohl  mit  Uni-echt  —  auch  bei  Tycho  finden  will"),  bestand  darin, 
dafs  infolge  der  jährlichen  Erdbewegung  die  Polhöhe  eines  Ortes  eine 
bedeutende  Ände-^JiJQCf,  «^3'iidden  müsse:  wenn  schon  die  Bewegung  auf 
der  Erde  um  eine  K.Strec.fe  von  60  Miglien  (=  1")  eine  Veränderung 
der  Polhöhe  um  1^  hervorrufe,  was  müsse  da  erst  bei  der  so  viel 
ausgiebigeren  Bewegung  der  Erde  im  Weltenraum  eintreten?  —  Dieser 
Unsinn  findet  sowohl  im  Dialoge  wie  im  Briefe  an  Ingoli  ausführliche 
Widerlegung.^)  —  Auch  der  im  Saggiatore  bereits  erwähnte  Versuch 
zur  Klarstellung  der  sogenannten  Deklinationsbewegung  der  Erdachse 
wiederholt  sich  hier  und  im  Dialoge/)  —  Die  wahrscheinlich  schon 
aus  weit  früherer  Zeit^)  stammenden  Bemühungen  Galileis,  in  Kon- 
kurrenz mit  der  aristotelischen  Begründung  einer  einheitlichen  Natur- 
auffassimg  ein  eigenes,  recht  seltsames  System  aufzustellen,  wonach 
die  geradlinige  Bewegung  aus  der  wohlgeordneten  Welt  verbannt  wird, 
werden  uns  in  dem  Schreiben  an  Ingoli  zum  ersten  Male  vorgeführt; 
sie  nehmen  sich  im  Rahmen  des  Dialogs  noch  bizarrer  aus  als  in  einer 
Polemik  gegen  einen  unwissenden  Schwätzer.")  —  Den  Schlufs  des 
Briefes  bildet  der  Hinweis  auf  die  Thatsache,  dafs,  abgesehen  von 
Sonne  und  Erde,  wo  die  Sache  streitig  ist,  die  nichtleuchtenden 
Weltkörper  sämtlich  Planeten  sind,  die  leuchtenden  Fixsterne,  dafs  also 
auch  wahrscheinlicherweise  die  Sonne  zu  diesen,  die  Erde  zu  jenen 
gehört. '') 

Der  Brief  an  Ingoli  wurde  zwar  bei  Lebzeiten  Galileis  nicht  ge- 
druckt*), er  gelangte  jedoch  zur  Kenntnis  kleinerer  Kreise.  Ciampoli 
las  daraus  dem  Papste  vor,  dem  Erzbischof  Corsini  von  Bologna  wurde 
ein  Exemplar  zugeschickt.  Von  einer  weiteren  Verbreitung  sah  man 
zum  Teil  auch  deswegen  ab,  weil  eine  neue  antikopernikanische  Schrift 
in  Aussicht  stand,  die,  wie  es  hiefs,  auch  gegen  die  galileische  Ab- 
handlung über  Ebbe  und  Flut  sich  richten  sollte.  Es  war  ein  ehe- 
maKger  Freund  Galileis,  der  Ritter  Scipione  Chiaramonti,  der  gegen 
ihn  zu  Felde  ziehen  wollte.  Sein  Buch  erschien  jedoch  erst  1628  und 
bekämpfte  zwar  die  kopernikanische  Lehre,  aber  ohne  specielle  Be- 
ziehung auf  Galilei  imd  dessen  Theorie  von  Ebbe  und  Flut.  j 


1)  n,  101  f.  und  Dial.  197  f.  2)  Vgl.  zu  Dial.  390. 

3)  Vgl.  Op.  IT,  105—107  mit  Dial.  390—394. 

4)  Op.  II,  108-  IV,  304;  Dial.  417.  5)  Vgl.  oben  p.  XVII. 
6)  Op.  n,  112;  Dial.  20  ff.            7)  Op.  ü,  114  und  Dial.  282. 
8)  Die  erste  Veröffentlichung  fand  erst  im  Jahre  1812  im  Giornale  Enciclo 

pedico  di  Firenze  statt. 


Einleitung.  XL  VIT 

Galilei  hatte  bald  nach  seiner  Rückkelir  von  Rom  nun  ernstlich 
begonnen,  das  Werk  über  die  Weltsysteme  in  die  Form  zu  bringen, 
in  der  es  späterhin  vollendet  wurde;  sechs  Jahre  hatte  er  daran  zu 
arbeiten.  In  welcher  Weise  er  die  kopernikanische  Lehre  vorzubringen 
habe,  stand  ihm  nunmehr  fest.  Er  wufste,  dafs  dies  nur  in  hypothe- 
tischer Form  geschehen  dürfe,  und  wiewohl  es  noch  immer  zweifelhaft 
sein  konnte,  was  unter  hypothetischer  Form  zu  verstehen  sei,  so  zog 
er  doch  aus  der  Aufnahme,  die  der  Saggiatore  und  der  Brief  an  Ingoli 
bei  dem  Papste  und  bei  anderen  mafsgebenden  Persönlichkeiten  ge- 
fanden hatte,  den  Schlufs,  dafs  er  die  stärksten  Gründe  für  die  Wahr- 
heit der  kopernikanischen  Lehre  vortragen  könne,  wenn  er  nur  nicht 
vergafs  hinzuzufügen,  dafs  diese  Gründe  durch  die  kirchliche  Entschei- 
dung ihren  Wert  einbüfsten.  Er  stellte  sich  dabei  keineswegs  auf  den 
Standpunkt  derer,  die  zwar  auf  Grund  der  kopernikanischen  Lehre  eine 
einfachere  Berechnung  der  scheinbaren  Gestirnsbewegungen  für  mög- 
lich hielten,  aber  aus  physikalischen  oder  sonstigen  Gründen  die  Erd- 
bewegung für  absurd  erklärten.  Es  ist  ihm  also  nicht  darum  zu  thim, 
dieser  gemäfsigten  Ansicht  Anhänger  zuzuführen,  in  der  Hoffnung 
etwa,  dafs  damit  wenigstens  eine  Zwischenstation  zur  Wahrheit  er- 
reicht sei,  dafs,  mit  anderen  Worten,  die  Duldung  gegenüber  einer 
solchen  hypothetischen  Verwertung  des  Systems  dessen  Vorzüge  im 
Laufe  der  Zeit  in  immer  helleres  Licht  stellen  und  dafs  infolge  da- 
von der  hypothetischen  Anerkennung  früher  oder  später  die  volle, 
ungeteilte  folgen  werde.  Trotz  aller  Maskierung,  welche  eine  äufser- 
liche  Unterwerfung  unter  die  Kirche  dokumentieren  sollte,  war  es  G. 
heiligster  Ernst  um  die  Erringung  des  vollen  Siegerpreises.  Mit  fein- 
ster Ironie  wendet  er  sich  gegen  die  Leute  des  wissenschaftlichen 
Kompromisses,  indem  er  den  Spiefs  umdreht  und  umgekehrt  von  den 
Astronomen  der  alten  Schule  behauptet,  es  sei  ihnen  nur  um  irgend- 
welche Hypothese  zu  thun,  auf  Grund  deren  die  Berechnung  der  schein- 
baren Planetenbewegungen  ermöglicht  werde,  während  es  ihnen  gleich- 
gültig sei,  ob  dabei  nach  anderen  Seiten  hin  migeheuerliche  Annahmen 
mit  unterliefen.^)  Nichts  mufste  den  Lesern  Galileis  paradoxer  er- 
scheinen, als  eine  solche  Auffassung.  War  man  doch  gewohnt  das 
genaue  Gegenteil  in  unzähligen  Schriften  mit  wenig  Witz  und  viel 
Behagen  vorgetragen  zu  hören.  Aber  je  paradoxer  Galileis  Worte 
klangen,  um  so  kräftiger  mufste  die  darin  liegende  W^ahrheit  agita- 
torisch wirken,  nachdem  sie  einmal  als  solche  erkannt  war.  Dafs  für 
ihn  speciell  ein  Hinderungsgrund  vorliege,  sich  über  diese  Fragen  so 


1)  Dial,  356. 


XLVIII  Einleitung. 

auszulassen,  wie  es  jeder  andere  Katliolik  durfte,  daran  dachte  er  nie 
im   entferntesten;  und  wäre   dieser  Gedanke    in  ihm  aufgestiegen,   so 
mufsteu  seine  Besorgnisse   schwinden,  wo   er  sich  im  Besitze  des  von  ) 
Bellarmin   ausgestellten  Zeugnisses   wuCste.      Nur  in   einer  Beziehung 
ist  die  Stellung  zu  dem  Indexdekrete  gegenüber  den  seither  verfafsten  j 
Schriften  eine  etwas  veränderte.     Durchweg  nämlich   wird   zwar  auch  ' 
im  Dialog  über  die  Weltsysteme   die   etwaige  kirchliche  Entscheidung 
als  mafsgebend  anerkannt,  aber  sie  wird  —  aufser  in  der  Vorrede  — 
mehr  als  bevorstehend  wie  als  wirklich  ergangen  hingestellt.  ^)    Woraus  t 
Galilei  die  Berechtigung  herleitet  so  zu  sprechen,  ist  schwer  zu  sagen,  j 
Man  darf  wohl  annehmen,  dafs  er,  wie  auch  mancher  moderne  katho-  ) 
lische  Schriftsteller  der  Ansicht  war,  es   sei  im  Jahre  1616   nur  das  ) 
Buch    des  Koperuikus    verurteilt   worden,    über    die    Zulässigkeit    der 
Lehre  selbst  aber  sei  nichts   entschieden  worden.     Indessen  mag  ihm 
auch   als  Rechtfertigung   vorgeschwebt  haben,   dafs  der  Dialog  in  der 
Zeit  vor  dem  Indexdekrete   spielt,   wie   daraus  hervorgeht,   dafs   einer 
der  Interlocutoren,  Salviati,  schon  vor  Erlafs  desselben  gestorben  war. 
Freilich   bindet    sich   Galilei    in    seinem  Werke    sonst    durchaus  nicht 
daran,  nur  solcher  Thatsachen  Erwähnung  zu  thun,   die  vor  Salviatis! 
Tode  spielen.    Immerhin  mag  er  die  dialogische  Form  des  Werks  undj 
die  Person  des  Vertreters  der  kopernikanischen  Lehre  mit  aus  diesemj 
Grunde  so  gewählt  haben,  wie  es  thatsächlich  geschah.    Allem  Anscheine|il 
nach  hat  sich  Galilei  zu  der  Gesprächsform  erst  nach  seiner  Rückkehr 
aus  Rom  entschlossen;  wir  finden  sie  zum  ersten  Male  in  einem  Briefe! 
vom  7.  Dezember  1624  an  Cesare  Marsili  in  Bologna  erwähnt^)    Welche;! 
Vorteile   sie  ihm  bot,   abgesehen  davon,  dafs   die  kirchliche  Entschei- 
dimg als  noch  nicht  gefallen  bezeichnet  werden  konnte,  liegt  auf  der 
Hand.      Der    Autor    selbst    entzog   sich,    formell    wenigstens,    einiger-! 
mafsen  der  Verantwortung  für  das,  wozu   die  Personen  seines  Dramasj 
sich  bekennen;   und   wiewohl  kein  Leser  zweifeln  kann,  dafs  in  allen] 
wesentlichen   Stücken  Salviati   der  Träger   der   vom  Autor   gebilligtenj 
Ansichten   ist,  so  scheint  Galilei  doch  an  einigen  Stelleu,  wo  es  sichl 
um  minder  wichtige  Fragen  handelt,   die  Rolle   des  Belehrenden  nuif 
darum  Sagredo  zugewiesen  zu  haben,  um  die  Fiktion  zu  unterstützen.! 
dafs   er  sich   nicht   ohne  weiteres   mit   Salviati    identificiere.^)      Aufsei] 
diesen  in  erster  Linie  mafsgebenden  Gründen  bewogen  auch  ästhetischelj 
und  didaktische  Rücksichten  Galilei  zu  der  Wahl  der  Dialogform,  die] 
er  schon  in  seinem  Jugendwerke,   den  Sermones  de  motu  gravium,  an 


1)  Vgl.  z.  B.  Dial.  372. 

2)  Op.  VI,  300.  3)  Dial.  186,  188,  265  ff. 


Einleitung.  XLIX 

gewendet  liatte  und  von  der  er  später  aucL.  in  seinem  wichtigsten 
Werke,  den  Dlscorsi,  Gebraucli  maclite.  Die  treffliche  Charakteristik, 
die  psychologischen  Feinheiten,  die  dramatische  Kunst,  welche  mit 
höchster  Spannung  der  Lösung  eines  Rätsels  entgegensehen  läfst,  der 
kunstvoll  geschlungene  und  dann  entwirrte  Knoten  des  Paradoxons, 
all  das  mufs  selbst  das  Interesse  des  stumpfsten  Lesers  erwecken, 
mufs  ihn  durch  die  Form  für  den  Inhalt  gewinnen.  Die  platonische 
Lehre  von  dem  unbewufsten  Wissen  mid  der  Wiedererinnerung,  die 
Galilei  mit  besonderer  Vorliebe  erwähnt,  beeinflufst  seine  Darstellung; 
er  will  nicht  nur  die  erkannte  Wahrheit  überliefern,  auch  den  psycho- 
logischen Vorgang  bei  dem  Akte  der  Erkenntnis  veranschaulicht  er,  er 
giebt  uns  ein  litterarisches  Gegenstück  zu  der  berühmten  Mathematiker- 
gruppe der  Raphaelischen  „Schule  von  Athen",  welche  malerisch  die 
Stufen  der  Erkenntnis  darstellt.  —  Die  ganze  Inscenierung,  die  an  die 
platonischen  Dialoge  erinnert  und  erinnern  will,  legt  ein  rühmliches 
Zeugnis  für  die  künstlerische  Befähigung  Galileis  ab-,  auch  hat  er 
nicht  geringen  Wert  auf  die  gewählte  Einkleidung  gelegt,  wie  er  selbst 
in  einem  Briefe  vom  24.  Dezember  an  den  Fürsten  Cesi  zu  erkemien 
giebt');  und  wenn  er  dabei  die  Absicht  ausspricht,  den  Rat  und  die 
Hilfe  der  Freunde  für  diesen  Zweck  in  Anspruch  zu  nehmen,  so  ist 
das  als  blofse  Höflichkeitsformel  aufzufassen;  geht  ja  doch  sein  dra- 
matisches Talent  zur  Genüge  aus  dem  Lustspielentwurf  hervor,  den  wir 
von  ihm  besitzen.  —  Der  Schauplatz  des  Gespräches  ist  der  am  Canale 
grande  gelegene  Palast  Sagredos  in  Venedig;  den  im  Dialog  wieder- 
gegebenen Erörterungen  hat  man  sich  andere  als  vorausliegend  zu 
denken,  die  ihren  Ausgang  von  der  Besprechung  des  Gezeitenphäno- 
mens genommen  haben.  Ein  bestimmter  Zeitpunkt,  in  dem  die  Unter- 
redungen stattfänden,  ist  nicht  fingiert,  wie  denn  z.  B.  das  oben  er- 
wähnte Buch  Chiaramontis  kritisiert  wird,  obgleich  es  14  Jahre  nach 
dem  Tode  Salviatis  erschien. 

Was  die  Personen  unseres  didaktischen  Dramas  betrifft,  so  sind 
Salviati  und  Sagredo  historische  Figuren,  deren  äufsere  Lebensverhält- 
nisse im  allgemeinen  der  Wirklichkeit  entsprechend  geschildert  sind; 
ihr  Andenken  ist  durch  den  Dialog  und  die  Discorsi  unvergänglich 
geworden.  Filippo  Salviati  wurde  geboren  am  28.  Januar  1583;  er 
ging  aus  einer  der  zahlreichen  florentinischen  Kaufmannsfamilien  her- 
vor, welche  es  xur  Zeit  der  Republik  zu  hohem  Reichtum  und  An- 
sehen gebracht  hatten;  Vater,  Grofsvater  und  Urgrofsvater  hatten 
Senatorenrang.     Mit   Galilei  wurde   Filippo    wahrscheinlich   in    Padua 


1)  Op.  VI,  sas. 

Galilei,  WeltsystemB. 


L  Einleitung. 

bekannt,  wo  er  dessen  Unterriclit  genofs.  Seine  Verehrung  für  den 
grofsen  Landsmann  bewog  ikn,  nachdem  Galilei  Padua  verlassen 
und  sich  wieder  in  seiner  Heimat  angesiedelt  hatte,  diesem  seine  in 
der  Nähe  von  Florenz  gelegene  Villa  dclh  Sehe  zum  Wohnsitz  an- 
zubieten. Galilei  machte  in  der  That  von  diesem  Anerbieten  seit  An- 
fang des  Jahres  1611  oftmals  Gebrauch;  viele  seiner  Beobachtungen 
mag  er  auf  der  Kuppel  des  wundervoll  gelegenen  Landhauses,  die  einen 
Ausblick  bis  in  die  karrarischen  Berge  bietet,  gemeinsam  mit  dem 
Freunde  angestellt  haben.  Im  Jahre  1612  wurde  Salviati,  jedenfalls 
auf  Fürsprache  Galileis  hin,  zum  Mitglied  der  Accademia  dei  Lincei 
ernannt.  Doch  im  folgenden  Jahre  schon  mufste  er  infolge  eines 
Etikettenstreites  mit  einem  Angehörigen  der  Medicäerfamilie  die  Heimat 
verlassen')  und  fand  in  Barcelona  am  22.  März  1614  einen  frühzeitigen, 
von  Galilei  tiefbeklagten  Tod.  Im  Dialog  schildert  Galilei  in  der 
Person  Salviatis  wohl  mehr  sich  selbst  als  seinen  Freund;  nur  wo  es 
sich  um  besonders  wichtige  Entdeckungen  handelt,  wird  zur  Vermei- 
dung jedweden  Mifsverständnisses  zwischen  Salviati  und  dem  „Aka- 
demiker" unterschieden;  unter  letzterem  ist  dann  eben  Galilei  selbst 
verstanden. 

Giovan  Francesco  Sagredo  wurde  am  19.  Juni  1571  in  Venedig 
geboren  als  Sohn  des  hochangesehenen  Patriciers  Nicolö  Sagredo,  der 
sich  vielfach  im  Dienste  der  Republik  auszeichnete.  Francesco  war 
seit  1597  oder  1598  gleichfalls  Schüler  Galileis  in  Padua.  ^)  Trotz 
seines  lebhaften  Interesses  für  die  Naturwissenschaften  und  die  Mathe- 
matik und  trotz  mancher  bemerkenswerten  Leistungen  auf  diesen  Ge- 
bieten wollte  er  nicht  als  Gelehrter  gelten;  sein  ausgeprägtes  Standes- 
bewufstsein  wies  ihm  seine  Laufbahn  an,  die  nur  den  Staatsgeschäften 
der  Republik  gewidmet  sein  konnte.  Seine  schnelle  Fassungsgabe,  sein 
gesundes  Urteil,  sein  feines  Verständnis  befähigten  ihn,  über  wissen- 
schaftliche wie  praktische  Fragen  sich  eine  bestimmte  Ansicht  zu  bilden; 
Autoritäten  vermochten  nicht  ihn  einzuschüchtern,  auch  Gahlei  gegen- 
über hielt  er  gelegentlich  an  seiner  Meinung  fest,  und  nicht  immer 
war  das  Unrecht  auf  seiner  Seite.  In  allen  Lebenslagen  bewährt  er 
sich  als  teilnehmendster  Freund  Galileis,  er  hilft  ihm  aus  finanziellen 
Verlegenheiten,  er  lädt  ihn  zur  Teilnahme  an  Erholungsreisen  ein,  er 
bietet  seinen  Einflufs  auf,  um  bei  den  „Reformatoren"  der  Universität 
Padua  eine  Gehaltserhöhung  seines  Lehrers  und  Freundes  durchzusetzen, 
er  giebt  ihm  hygienische  Ratschläge  und  sucht  ihn  zu  seiner  Lebens- 


1)  Favaro,  Gal.  Galilei  e  lo  stud.  di  Padova  II,  426. 

2)  Favaro,  1.  c.  I,  195;  Op.  XI,  377. 


Einleitung.  LI 

führuiig  zu  bekehren,  welche  die  eines  geistreichen  Weltmannes  war. 
Im  Jahre  1609  ging  Sagredo  als  Konsul  der  venezianischen  Republik 
nach  Aleppo  in  Syrien,  wo  er  bis  1(311  verweilte.  Er  war  also 
während  der  Übersiedlung  Galileis  nach  Florenz  abwesend;  zweifellos 
würde  er  ihm  aufs  entschiedenste  widerraten  haben,  Padua  zu  ver- 
lassen, wie  er  denn  ganz  bestürzt  war,  als  er  bei  seiner  Rückkehr  von 
dem  Geschehenen  Kenntnis  erhielt.  Am  1.  März  1620  starb  er,  eine 
der  liebenswürdigsten  und  charakteristischsten  Erscheinungen  aus  Gali- 
leis Bekanntenkreis.  —  Im  Dialog  steht  Sagredo  zwischen  den  Fach- 
männern Salviati  und  Simplicio  als  der  gebildete  Laie;  er  ist  günstig 
prädisponiert  für  die  neuen  Lehren,  und  wenn  er  durch  die  gepflo- 
genen Erörterungen  erst  völlig  für  sie  gewonnen  ist,  so  kennt  sein 
Enthusiasmus  keine  Grenzen.  Er  rekapituliert  öfters  die  schwerer 
verständlichen  Argumente,  um  sie  in  populärere  Form  zu  bringen, 
greift  übrigens  auch  häufig  mit  eigenen  Gedanken  in  die  Debatte  ein; 
namentlich  werden  ihm  diejenigen  Einlulle  in  den  Mund  gelegt,  für 
die  der  Autor  nicht  die  volle  Verantwortung  übernehmen  mag,  die  er 
aber  doch  für  bedeutend  genug  hält,  um  sie  nicht  verloren  gehen  zu 
lassen. 

Die  dritte  im  Dialoge  auftretende  Person,  Simplicio,  ist  der 
Repräsentant  der  konservativen,  autoritätengläubigen  Wissenschaft,  der 
Büchergelehrsamkeit.  Der  Name  spielt  einerseits  auf  die  Einfalt  des 
guten  Mannes  an,  andererseits  ist  er  in  Erinnerung  an  den  bekannten, 
dem  sechsten  nachchristlichen  Jahrhundert  angehörigen  Kommentator 
der  aristotelischen  Schriften  gewählt.  Dafs  in  ihm  eine  bestimmte 
Person  porträtiert  wird,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Es  werden  wohl 
Züge  verschiedener  Peripatetiker  zu  dieser  typischen  Figur,  einem  köst- 
lichen Gegenstücke  des  goetheschen  Wagner,  verschmolzen  worden 
sein.  Dafs  Simplicio  nicht  etwa,  wie  Galileis  Gegner  vorgaben,  Papst 
Urban  VIII.  sein  solle,  wenngleich  Galilei  notgedrungen  ihm  auch 
dasjenige  Argument  in  den  Mund  legte,  welches  ürban  mit  Vorliebe 
anzuwenden  pflegte,  bedarf  kaum  der  Widerlegung.  Abgesehen  davon, 
dafs  der  Papst  im  übrigen  durchaus  nicht  den  Standpunkt  Simplicios 
teilte,  würde  man  Galilei  wahrlich  eine  arge  Thorheit  zumuten,  wenn 
man  glauben  wollte,  er  habe  zu  den  ohnehin  schon  zahlreichen  äufsereu 
Schwierigkeiten  sich  mutwillig  eine  weitere  in  den  Weg  gelegt.  Sim- 
plicio sollte  eben  alle  Gründe  der  Antikopernikaner  ins  Gefecht  führen, 
und  so  mufste  ihm  auch  das  Argument  des  Papstes  in  den  Mund  ge- 
legt werden.  —  Die  Charakteristik  Simplicios  im  Dialog  zeugt  von 
dem  wahrhaft  genialen  dichterischen  Vermögen  Galileis.  S.  ist  ein 
Büchermensch    ohne    Falsch    und    Tücke,    der    hierdurch    gegen    viele 

d* 


LH  Einleitung. 

seiner  realen  Gesinnungsgenossen  vorteilhaft  absticht.  Zwar  zeigt  er 
hie  und  da  Spuren  von  Eigensinn  ujid  rechthaberischem  Wesen,  giebt 
sich  aber  doch  alle  erdenkliche  Mühe,  so  sauer  es  ihm  wird,  für  den 
Standpunkt  seines  mit  so  fremdartigen  Mitteln  operierenden  Gegners 
Verständnis  zu  gewinnen.  Die  neuen  Lehren  hält  er  anfänglich  für 
ein  unheilvolles,  auf  die  Untergrabung  aller  Wissenschaft  gerichtetes 
Unterfangen;  doch  aber  möchte  er  sie  kennen  lernen,  schon  um  dar- 
über mitsprechen  zu  können.  Schliefslich  aber  kann  er  sich  dem 
starken  Eindruck,  den  sie  auf  ihn  machen,  kaum  entziehen,  und  selbst 
seine  Nachtruhe  leidet  darunter.  Die  Hoffnung  aber,  dafs  alles  doch 
noch  beim  alten  bleiben  könne,  verläfst  ihn  bis  zuletzt  nicht  und  ge- 
währt ihm  Trost. 

Welches  ist  nun  die  eigenthche  Absicht,  die  Galilei  mit  dem 
Dialog  zu  verwirklichen  versuchte?  Mancher  moderne,  vielleicht  auch 
mancher  zeitgenössische  Leser  mag  von  einem  Werke,  das  über  die 
beiden  hauptsächlichsten  Weltsysteme  zu  handeln  versprach,  ganz 
etwas  anderes  erwartet  haben,  als  er  thatsächlich  vorfindet.  Yor  allem 
scheint  der  Titel  einerseits  eine  ins  Detail  gehende  Auseinandersetzung 
über  die  Erklärung  der  astronomischen  Erscheinungen  durch  die  kom- 
plizierte Epicykeltheorie  des  Ptolemäus  und  seiner  Nachfolger  zu 
versprechen,  andererseits  hofft  man  im  Gegensatze  dazu  die  ver- 
einfachenden, aber  noch  immer  nicht  ganz  einfachen  Annahmen  des 
Kopernikus  in  ähnlicher  Durchführimg  wie  in  dessen  klassischem 
Werke,  nur  vielleicht  in  anmutigerer  Form  erörtert  zu  finden.  Man 
vermutet  wohl  auch  eine  lichtvolle  Auseinandersetzung  über  die  in 
den  Jahren  1609  und  1619  veröffentlichten  keplerschen  Gesetze,  welche 
die  noch  übrig  bleibende  Komplikation  des  kopernikanischen  Systems 
auf  bewundernswerte  W^eise  beseitigten:  aber  von  alle  dem  findet  sich 
im  Dialog  kaum  eine  Andeutung.  Man  kann  das  Werk  gelesen  haben 
und  dabei  zu  der  Meinung  gelaugt  sein,  Kopernikus  lasse  die  Planeten 
in  exakten  Kreisen  wandeln,  deren  Mittelprmkt  die  Sonne  sei,  und 
man  kann  glauben,  dafs  der  Autor  diese  Ansicht  billige.  In  dieser 
Beziehung  führt  das  Buch  den  unvorbereiteten  Leser  geradezu  irre, 
sodafs  man  nicht  umhin  kann,  darin  einen  bedeutenden  Fehler  des- 
selben zu  sehen.  Ob  der  ursprüngliche  Plan  des  Werkes  de  systemate 
mimdi  diesen  Fehler  nicht  vielleicht  ausgeschlossen  hätte,  steht  dahin. 

Die  Erklärung  dieser  anfänglich  sehr  befremdenden  Erscheinung 
ist  nicht  schwer  zu  geben.  Galilei  wollte  kein  astronomisches 
Lehrbuch  schreiben,  keine  Anleitung  zur  Berechnung  der  Planeteu- 
bahnen geben,  er  wollte  nur  eines:  die  mehr  oder  weniger  thörichten 
Vorurteile     gegen     jede     Erdbewegung     ihres     Scheines      entkleiden, 


Einleitung.  LIII 

mochteu  diese  nun  im  Kreise  von  Dilettanten  oder  Gelehrten,  von 
Philosophen  oder  Astronomen  herrschend  sein.  Von  allen  diesen  Vor- 
urteilen waren  es  nun  aber  die  physikalischen  Einwände  fast  aus- 
schliefslich,  welche  ernsthafte  wissenschaftliche  Widerlegung  erforderten. 
Daher  interessiert  die  physikalische  Seite  des  kopernikanischen  Systems 
Galilei  vorwiegend,  und  die  Partieen  des  Dialogs,  die  sich  mit 
dieser  beschäftigen,  sind  bei  weitem  die  wertvollsten.  Wäre  ihm 
der  Titel  nicht  aufgenötigt  worden,  so  würde  dieser  die  Absicht  des 
Buches  deutlicher  kundgegeben  haben.  Den  physikalischen  Beweis 
für  die  Erdbewegung  wollte  G.  erbringen  und  zwar  in  so  gemeinver- 
ständlicher Weise,  als  nur  eben  angängig  war,  er  wollte  diese  als 
Extravaganz  verschrieene  Lehre  popularisieren  und  gleichzeitig  eine 
Vorstellung  vo]i  dem  geben,  was  er  für  die  wahre  Methode  der  Natur- 
forschung erkannt  hatte.  Die  Form  der  Darstellung  ist  darauf  be- 
rechnet, einen  möglichst  grofseu  Leserkreis  zu  gewinnen,  aber  freilich 
war  zu  jener  Zeit  nicht  daran  zu  denken,  breiten  Volksmassen  derlei 
Dinge  zugänglich  zu  machen.  Es  konnte  sich  nur  um  die  verhältnis- 
mäfsig  kleine  Schar  der  Gebildeten  handeln,  obgleich  auch  diese,  da- 
mals wie  allezeit,  zähe  an  den  von  Jugend  auf  eingeimpften  Vor- 
urteilen hingen,  und  man  auch  ihnen  die  plumpsten  logischen  Schnitzer, 
die  gröbste  Unkenntnis  der  Thatsachen  zutrauen  durfte.  —  Ob  in 
Einzelheiten  Kopernikus  nicht  vielleicht  geirrt  habe,  erörtert  Galilei 
im  Dialoge  nicht.  Wie  er  über  gegnerische  Argumente  dachte,  die 
von  dieser  Seite  her  Kopernikus  angriffeji,  erfahren  wir  z.  B.  aus  dem 
Briefe  an  Ingoli:  er  vergleicht  dort  den  Antikopernikaner,  welcher 
solche  Gründe  anführt,  mit  dem  Manne,  der  ein  schönes  neuerbautes 
Haus  niederreifseu  will,  weil  der  Ofen  raucht.  Alle  quantitativen  Be- 
wegungsverhältnisse der  Himmelskörper  werden  demgemäfs  im  Dialog 
nur  flüchtig  besprochen;  blofs  in  den  grofsen  Grundzügen  werden 
die  beiden  einander  gegenüberstehenden  Systeme  charakterisiert.  Eine 
solche  Beschränkung  der  Aufgabe  ist  an  und  für  sich  vollkommen 
berechtigt;  aber  man  erwartet  von  Anfang  an  einen  nachdrücklichen 
Hinweis  darauf,  dafs  die  thatsächlichen  Vorgänge  viel  verwickelter  sind, 
als  das  im  Dialoge  gegebene  Schema  der  kopernikanischen  Lehre 
andeutet.  Dieser  Hinweis  fehlt,  erst  am  vierten  Tage  des  Dialogs 
findet  sich  eine  beiläufige  Andeutimg  von  einer  möglicherweise  vor- 
handenen Ungleichmäfsigkeit  der  Erdbewegung.')  Von  Keplers  Riesen- 
arbeiten ist  keine  Rede,  seinen  Namen  nennt  zAvar  Galilei  einige 
Male,    einmal    aus    ziemlich    geringfügigem   Anlafs    bei    einer  Polemik 


1)  Dial.  473  ff. 


LIV  Einleitung. 


un- 


gegen  Cliiaramonti,  eiu  anderes  Mal  um  ihm  eine  milde,  aber 
berechtigte  Eüge  wegen  seiner  Ansichten  über  die  Anziehung  des 
Mondes  zu  erteilen.^)  Ja  es  scheint,  dafs  Galilei  die  Hauptwerke 
Keplers,  die  Astrouomia  nova  seu  de  motibus  stellae  Martis  und  die 
Harmonice  mundi  nie  gelesen  hat;  wenigstens  spricht  er  nirgends, 
weder  im  Dialog  noch  sonst  wo,  von  den  mühevollen  und  grofsartigen 
Entdeckungen  imseres  Landsmannes,  und  wiewohl  er  seinen  Namen 
mit  Achtung  nennt  —  wenigstens  in  den  für  die  Öffentlichkeit  be- 
stimmten Schriften,  nicht  stets  in  seinen  Briefen  —  so  hat  er  doch 
die  ganze  Geistesgröfse  des  Mannes  nicht  anerkannt,  der  unzweifelhaft 
als  Astronom,  wenngleich  nicht  als  Physiker  und  als  Reformator  der 
herrschenden  Weltanschauung,  den  Vorrang  vor  dem  grofsen  toskani- 
schen  Philosophen  hat. 

Die  Aufgabe,  die  sich  Galilei  stellte,  bestand  also  darin,  die  Lehre 
von  der  Erdbewegung  auf  ihre  Wahrheit  hin  zu  prüfen;  dafs  sie  die 
scheinbaren  Bewegungen  der  Himmelskörper  im  allgemeinen  hin- 
reichend zu  erklären  vermöge,  stand  bei  den  einsichtigeren  antikoper- 
nikanischen  Astronomen,  wie  Magini  imd  anderen,  im  grofsen  und 
ganzen  fest.  Diese  Seite  der  Frage  erfährt  daher  keine  sehr  ausführ- 
liche Besprechung.  Anders  verhielt  es  sich  mit  den  physikalischen 
Thatsachen,  denen  gegenüber  das  kopernikanische  System  allerdings 
absurd  erscheinen  mufste,  solange  das  Beharnmgsgesetz  nicht  bekannt 
war;  und  anders  stand  es  auch  mit  dem  Verhältnis  jener  Lehre  zu 
den  herrschenden  naturphilosophischen  Anschauungen,  die  von  Aristo- 
teles ererbt  und  durch  jahrhundertelange  Geistesarbeit  assimiliert,  mit 
einer  heutzutage  fast  unvorstellbaren  Allgewalt  die  Geister  beherrschten. 
Ein  grofser  Teil  der  Anziehungskraft,  die  der  Dialog  noch  heute  un- 
vermindert auf  den  Leser  übt,  beruht  gerade  darauf,  dafs  er  uns  die 
Macht  der  überkommenen  Lehren  in  anschaulichster  Weise  schildert, 
indem  er  ihnen  zugleich  einen  tödlichen  Schlag  versetzt.  Alle  die 
Männer,  die  vor  Galilei  im  16.  Jahrhundert  Aristoteles  bekämpften, 
stehen  doch  noch  immer  im  Banne  seiner  Formeln.  Was  wollte  die' 
Losbröckelung  einzelner  Bausteine  besagen?  was  war  es,  wenn  Car- 
danus einzelnen  Punkten  der  aristotelischen  Lehre  von  den  Elementeni 
seine  Anerkennmig  versagt,  oder  Avenn  Tycho  de  Brahe  die  Realität' 
der  Himmelssphären  bestreitet,  wobei  dahingestellt  bleiben  mag,  inwie-| 
weit  Aristoteles  für  diese  ihm  zugeschriebene  Ansicht  verantwortlich! 
ist?  Trotz  der  geharnischten  Worte,  die  dabei  gegen  Aristoteles  falleuji 
fanden  die  Denkmittel,   die  Forschungsmethode  und  überwiegend  auch! 


1)  Dial.  285,  483. 


Einleitung.  LV 

die  positiven  Ergebnisse  seiner  Philosophie  bei  diesen  sich  selbst  sehr 
kühn  erscheinenden  Neuerern  keinen  Widerspruch.  Aber  an  die 
Wurzel  des  scheinbar  noch  immer  so  triebkräftigen  Baumes  der 
peripatetischen  Wissenschaft  legte  in  wirksamer  Weise  zuerst  Galilei 
die  Axt. 

Die  neue  Philosophie  lehrte ,  die  Erde  sei  ein  Stern  wie  andere 
Sterne,  die  Sterne  seien  Erden  wie  unsere  Erde.  Gegen  diese  Er- 
kenntnis sträubte  sich  die  herrschende  Schule,  und  dieser  Satz  war  es 
auch  im  Grunde,  gegen  den  die  Kirche  sich  wehrte.  Bisher  galten 
die  Himmelskörper  als  ewig  unveränderlich,  als  unvergleichlich  er- 
haben über  die  schmutzige  Hefe  des  Weltalls,  die  Erde.  Man  sah  in 
ihnen,  wenn  auch  nicht  mehr  Götter,  so  doch  englische  Intelligenzen 
(mtelligentiae  assistcntes  oder  informantes),  und  doch  liefs  man  sie  um 
die  Erde  kreisen,  und  doch  sollten  sie  geschaffen  sein,  um  dieser  zu 
dienen.  Von  diesen  teleologischen  und  anthropocentrischen  Anschau- 
vmgen  die  Geister  zu  befreien,  zu  lehren,  dafs  die  Himmelskörper  zwar 
nicht  wesensgleich,  aber  doch  vergleichbar  mit  der  Erde  sind,  war 
der  erste  Schritt  zu  der  gefährlichen  Erkenntnis  —  und  dies  fühlten 
die  konservativen  Mächte  instinktiv  heraus  —  dafs  auch  der  Mensch 
nicht  um  irgend  wacher  Gespenster  willen,  dafs  keine  Gespenster  um 
seinetwillen  thätig  sind,  dafs  er  seine  eigenen  Bahnen  zu  wandehi  hat, 
wie  sie  seiner  Natur  gemäfs  sind. 

Mit  der  Widerlegung  der  aristotelischen  imd  sonstigen  Beweise 
für  die  grundverschiedene  Natur  von  Himmel  und  Erde  und  mit  den 
Argumenten  für  die  Verwandtschaft  zwischen  beiden  beschäftigt  sich 
der  erste  Tag  des  Dialogs.  —  Die  Vereinbarkeit  der  alltäglichen  Be- 
wegungserscheiuungen  auf  der  Erde  mit  deren  Achsendrehung  bildet 
der  Hauptsache  nach  den  Inhalt  des  zweiten  Tages.  Hier  sowohl  wie 
in  den  Gesprächen  des  ersten  Tags  wird  die  Bewegimgslehre  des 
Aristoteles,  die  das  Fundament  für  seine  ganze  Naturphilosophie  bildet, 
einer  eingehenden  Kritik  unterworfen.  Hier  finden  sich  jene  Stellen 
über  die  Wirksamkeit  der  Beharrung,  die  bei  den  Zeitgenossen  so 
grofses  Aufsehen  erregten.  Die  allgemeine  Erkenntnis  freilich  ist  in 
ihnen,  wie  früher  bemerkt,  noch  nicht  enthalten.  —  Das  dritte  Buch 
handelt  von  der  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne,  enthält  aber  auch 
einen  langen  Abschnitt  über  den  im  Jahre  1572  neuerschienenen  Stern 
in  der  Cassiopeja,  worin  gegen  Chiaramouti  bewiesen  werden  soll, 
dafs  auch  der  Himmel  Veränderungen  unterworfen  ist.  Er  würde  also 
im  Grunde  besser  in  den  Rahmen  des  ersten  Tages  sich  gefügt  haben. 
—  Der  vierte  Tag  endlich  behandelt  das  Problem,  das  den  Ausgangs- 
punkt der  Gespräche  gebildet  hat,  die  Frage,  wie  mit  Hilfe  der  Erd- 


LVI  Einleitung. 

bewegung  die  Gezeiten  zu  erklären  seien.  —  Auf  die  vielen  episodi- 
schen, zum  Teil  höclist  bedeutsamen  Erörterungen  hier  einzugehen, 
dürfte  um  so  weniger  nötig  sein,  als  in  den  Anmerkungen  sich  hin- 
reichend Gelegenheit  dazu  bietet.  Dafs  zahlreiche  Irrtümer  bei  diesen 
Erörterimgeu  unterlaufen,  wird  niemand  auffällig  finden,  der  Schriften 
aus  der  vorgalileischen  Zeit  kennt;  bei  Leonardo  da  Vinci,  bei  Tar- 
taglia,  bei  Nicolas  Cusanus,  bei  Giambattista  Porta  u.  a.,  in  geringerem 
Grade  auch  bei  Benedetti,  heilst  es  mühsam  das  Körnchen  AVahrheit 
aus  der  Spreu  des  Irrtums  herauslesen,  bei  Galilei  berührt  der  Irrtum 
unangenehmer,  weil  die  Wahrheit  überwiegt. 

Der  Dialog  ist  grofsenteils   entstanden  aus   der  Umarbeitung  imd 
Verwebung  einzelner  vorrätig  gewesener  Stücke.     Wie  man  sich  diese  'j 
Umarbeitung    zu    denken  habe,    geht  am  deutlichsten   hervor   aus   der  | 
Vergleichung  der  entsprechenden  Partieen  des  Dialogs  mit  dem  Briefe 
an  Ingoli  und  mit  dem  im  Jahre  1616  an  Orsini  gerichteten  Discorso 
sopra  ü  flusso  e  reflusso  del  niare.     Es   rühren   daher  manche  Uneben- 
heiten der  Komposition:   so   sind  z.   B.   die   Abschnitte  p.   335  f.   und 
348  ff.  zwei  verschiedene  Bearbeitungen  desselben  Gegenstandes,   deren 
jede  für  sich  berechtigt  wäre,   die   aber   als  Teile  eines  und  desselben 
Ganzen  im  Widerspruch  miteinander   stehen.     Deim  nachdem  in   der 
ersteren   Partie    schon    der    bedeutende   Wechsel    in    der    scheinbaren 
Gröfse  des  Mars  imd  der  Venus,  sowie  die  Phasenänderung  der  Venus 
gelehrt    worden   ist  und  zwar  in  der  Weise,    dafs   gerade  auf  Grund; 
dieser   Thatsachen    eine    Skizze    des    kopernikanischen    Systems    kon 
struiert  wird,  hebt  die  zweite  Partie  damit  an,  dafs  als  Haupteinwand 
gegen    das   System    das    scheinbare    Fehlen    dieser   Erscheinungen   be 
zeichnet  wird.     Dieser  Widerspruch   tritt  in  den   modernen  Ausgabeij 
des  Dialogs  noch  nicht  einmal  so  grell  hervor  wie  in  der  editio  jynnj 
ceps,  weil  in  jenen  ZAvischen  den  genaimten  Abschnitten  ein  nachträgl 
liches    Einschiebsel    Galileis    aus    dem    paduanischeu   Exemplar    (siehd 
p.  Lxxvi)  untergebracht  ist.    Es  scheint  sogar,  dafs  Galilei  diesen  Zusat;| 
später    hauptsächlich    darum    an    jener    Stelle    einschaltete,     um    di< 
inconcinne    Darstellung    einigermafsen    zu   verdecken.    —    Auch    sonsl 
findet  sich  im  Dialog  mehrfach  ein  und  dieselbe  Sache  an  verschiedene! 
Stellen  besprochen,   ohne   dafs   an  der   späteren  Stelle  auf  die  früher' 
Bezug  genommen  würde;  oder  es  wird  diese  Beziehung  auf  ganz  äufsei 
liehe  Weise  dadurch  hergestellt,   dafs   es  am  Schlüsse  heifst,   man  eif 
innere  sich,  darüber  schon  einmal  diskutiert  zu  haben.     Bisweilen  hail 
Galilei   Ausarbeitungen,    die    er    seit    langem    fertig    liegen   hatte,    a]| 
deren  völlige  Richtigkeit  er  aber  nicht  mehr  glaubte,  gleichwohl  deni 
Dialoge  einverleibt;  mit  ein  paar  der  letzten  Redaktion  angehörige 


Einleitung.  LYll 

Worten  wird  dann  gewissermafsen  ein  Strich  durch  die  unmittelbar 
zuvor  gepflogenen  Erörterungen  gemacht.  Dahin  gehört  z.  B.,  was  über 
die  angebliche  Praxis  und  Theorie  des  Schiefsens  der  Vögel  im  Fluge 
(p.  188)  mitgeteilt  wird.  Dahin  gehört  auch  die  noch  weit  auffälligere 
Verteidigung  eines  Satzes,  der  aus  früher  Zeit  stammend  Galilei  so 
wohl  gefallen  haben  mufs,  dafs  er  ihn  trotz  nunmehriger  besserer  Er- 
kenntnis nicht  unterdrücken  mag  und  ihn  noch  immer  als  wahr- 
scheinlich hinstellt.  Es  ist  der  Satz,  dafs  ein  auf  der  rotierenden  Erde 
fallender  Körper  sich,  absolut  genommen,  möglicherweise  in  einer 
Kreisbahn  bewege.^) 

Aus  welcher  Zeit  die  verschiedenen  Partieen  des  Dialogs  stammen, 
wird  sich  im  einzelnen  schwerlich  ermitteln  lassen,  Avenn  auch  manches 
mit  Gewifsheit,  manches  vermutungsweise  darüber  angegeben  Averden 
kann.  So  scheint  der  Schlufs  des  dritten  Tages,  der  von  dem  Magne- 
tismus handelt,  im  Jahre  162G  geschrieben  zu  sein,  da  Galilei  damals 
sich  wieder  mit  diesem  Gegenstände  zu  beschäftigen  begann.-)  —  Die 
auf  Cesare  Marsili  bezügliche  Stelle  am  Ende  des  ganzen  Werks 
wurde  noch  1631  hinzugefügt,  als  schon  sechs  Bogen  des  Buches  ge- 
druckt waren.  Ferner  mufs  der  erste  Tag  vor  der  Veröffentlichimg 
des  chiaramontischen  Werkes  De  tribus  novis  atellis,  also  vor  dem 
Jahre  1628  geschrieben  worden  sein,  da  Galilei  dort  von  demselben  keine 
Kenntnis  verrät.  Es  ist  sogar  auffallend,  dafs  er  den  p.  56  aus- 
gesprochenen Tadel,  Ch.  habe  im  Antitycho  den  neuen  Sternen  nicht 
die  gebührende  Aufmerksamkeit  geschenkt,  bei  einer  späteren  Revision 
nicht  zurücknahm,  nachdem  Ch.  ein  umfangreiches  Buch  über  den 
Gegenstand  verfafst  hatte.  Die  sehr  ausführliche  Kritik  dieses  späteren 
Werkes  ist  im  ZAveiten  und  dritten  Buche  des  Dialogs  enthalten.  Ob- 
gleich Galilei,  Avie  es  scheint,  den  auf  die  kopemikanische  Lehre  be- 
züglichen Teil  des  Über  de  tribus  novis  steUis  schon  im  Jahre  1626 
vor  dem  Erscheinen  des  Buchs  kannte"),  so  Avird  doch  die  Polemik 
dagegen  am  Schlüsse  des  zAveiten  Tages  erst  nach  der  Veröffentlichung 
des  Buches  verfafst  Avorden  sein.  Mit  Gewifsheit  ist  dies  anzmiehmen 
von  der  Widerlegung  der  chiaramontischen  Rechnungen  bezüglich  des 
neuen  Sternes  von  1572,  mit  der  die  Erörterungen  des  dritten  Tages 
anheben.  —  Bei  diesem  Anlafs  sei  es  gestattet,  über  das  Verhältnis 
von  Ch.  zu  G.  einiges  mitzuteilen.  Der  Cavaliere  Scipione  Chiaramonti 
aus  Cesena  war  mit  Galilei  seit  1592  bekannt,  stand  aber  lauge  Zeit 
aufser  Verbindung  mit  ihm.     Im  Jahre  1613,  als  es  sich  um  den  An- 

1)  Näheres  darüber  zu  Dial.  p.  173.  2^  Op.  VI,  314. 

3)  Vgl.  Op.  VI,  309.    Die  Note  Alberis  ist  unrichtig. 


LVIII  Einleitung. 

kauf  einer  künstlichen  Uhr  für  den  Grofsherzog  handelte,  fand  wieder 
eine  Annäherung  statt;    Galilei    gab  bei  dieser  Gelegenheit   den  Rat, 
das  Gutachten  des  von  ihm  mit  warmen  Worten  empfohlenen  Ch.  ein- 
zuholen, den    er  als   verständigen  Mathematiker  kennen  gelernt  habe 
und  der  Gelegenheit  hätte,  die  Uhr  in  Cesena  zu  besichtigen.^)    Dieser 
dankte   für   Galileis   Freundlichkeit  in  überschwänglichen  Worten,    es 
war  eben  damals  noch  nicht  kompromittierend,  mit  Galilei  auf  gutem'; 
Fufse  zu  stehen.     Chiaramonti  nämlich  war  einer  jener  geschmeidigen,| 
talentvollen    Mämier,    die    sich   für    eine  Sache    nicht    um    der    Sachelj 
willen  erwärmen  und  denen  der  Gedanke  ferne  liegt,   dafs  es  um  eine 
mühsam  erworbene,  festbegründete  Überzeugung  doch  ein  schönes  Ding 
sei.     Das  orthodoxe  Peripatetikertum  war  nun  einmal  der  angemessene 
Standpunkt  für  den  Professor  in  Perugia  —  diese  Stellung  bekleidete 
damals  Chiaramonti  —  und  da  er  auch  weiterhin  Carriere  zu  machen 
gedachte,   so   galt  es   selbstverständlich  in   seinen  Augen  als   ein  ver 
dienstliches  W^erk,  gegen  alle  Neuerer  zu  Felde  zu  ziehen.    Als  erstenj 
ersah    er    sich   Tycho    de    Brahe    aus,    welcher   im  Widerspruch    mii 
Aristoteles    behauptet   hatte,    die  Kometen    und    der   neue   Stern    von 
1572  gehörten  nicht  der  elementaren,   sondern  der  Himmelsregion  an 
So   entstand  der   Aiditycho,    der  im   Jahre  1621    erschien,  und   der  ei 
sich  zur  Aufgabe  machte,   die   subluuare  Natur   der  Kometen   zu  er- 
weisen.    In  dieser  Frage   stand  Ch.  in  keinem  Gegensatze   zu  Galilei 
Dieser  nämlich  beurteilte   ungerechterweise  Tycho   ebenfalls   sehr  un 
günstig  und  nahm  in  der  Kometenfrage  einen  Standpunkt  ein,  der  siel 
mit  dem  Chiaramontis  vereinigen  liefs;   ja  G.  spricht  noch  im  Saggia 
tore^)   von  dem  Antitycho   mit  lobenden  Worten.     Wohl  aber  nahn 
er  Anstofs   an   der  weitergehenden  Absicht   seines   ehemaligen  Freun 
des,    die    modernen   Lehren    von    der    Veränderlichkeit    des    Himmelt 
überhaupt  als  unbegründet  zu  erweisen  und   zu  zeigen,   dafs  auch  dii 
neuen    Sterne    von    1572,    1600    und    1604    mit    den    peripatetischei 
Lehren  in  keinem  Widerspruch  stünden.     Durch  den  Antitycho  gerie 
Ch.  zunächst  in  eine  heftige  litterarische  Fehde   mit  Kepler,  der  siel 
in  seinem  1625    veröffentlichten    Tyclionis    Brahel   JDanl   Hypcraspistc 
seines  verstorbenen  Lehrers  Tycho   aufs  ritterlichste   annahm  und  ij 
einem  Anhang  auch  gegen  Galileis  Saggiatore  einige  nicht  sehr  wesent 
liehe,  sachlich  wohlbegründete,   in  der  Form   überaus   freundliche  Ein 
Wendungen    machte.     Chiaramonti  antwortete    in    seiner    Apolo<jia   Si 
Claramonüi   pro   Anüfychone    suo   adversus    Hyperaspistem    lo.   Keplev 
(Ven.  1626).     Galilei  hatte  die  Absicht,   auf  jenen  Anhang  im  Dialo: 


1)  Op.  VF,  202.  2)  Op.  IV,  171.     Vgl.  Dial.  294. 


Einleitung.  LIX 

zu  erwidern;  es  imterblieb  dies  aber,  einmal  wohl,  weil  es  sich  um 
ziemlich  unwichtige  Dinge  handelte,  sodann  Aveil  trotz  der  gegenteiligen 
Äufserung  Galileis^)  wenig  darauf  zu  erwidern  war.  Hatte  Chiara- 
monti  im  Antitycho  die  Frage  der  neuen  Sterne  nur  gestreift,  so 
wollte  er  nun  darüber  ex  professo  handebi,  und  damit  auch  das  be- 
rühmteste Werk  Tychos,  die  Progymnasmata ,  worin  der  neue  Stern 
von  1572  in  Verbindung  mit  vielen  anderen  wichtigen  astronomischen 
Fragen  ausführlich  besprochen  wird,  vernichten;  zugleich  bot  sich 
ihm  willkommener  Anlafs,  noch  einmal  gegen  Kepler  zu  polemisieren, 
denn  dieser  hatte  in  seiner  Schrift  De  Stella  nocet  in  pede  Scujittaril 
über  den  neuen  Stern  von  1G04  ganz  ähnliche  Ansichten  aufgestellt, 
wie  Tycho  über  den  von  1572  in  den  Progymnasmata.  Das  Buch 
Chiaramontis  ist  das  mehrfach  erwähnte,  dessen  vollständiger  Titel 
lautet:  De  Tribus  Novis  StelHs  Quae  Annis  1572.  1600.  1G04  Com- 
paruere  Libri  Tres  Scipionis  Claramontii  Caesenatis  In  quibus  demon- 
stratur  rationibus,  ex  Parallaxi  praesertim  ductis  Stellas  eas  fuisse  Su- 
blunares,  et  non  Caelestes  Adversus  Tychonem,  Gemmam,  Maestlinum, 
Digesseum,  Hagecium,  Santucium,  Keplerum,  aliosque  plures  Quorum 
Ratioues  in  Contrarium  adductae  solvuntur.  Illustriss.  Ac  Reverendiss. 
Francisco  Card.  Barberino.  Caesenae:  Apud  losephum  Nerium  Impress. 
Cameralem  1628.  Darin  soUte  die  sublunarische  Natur  der  neuen 
Sterne,  wie  im  Antitycho  die  der  Kometen,  erwiesen  und  neben- 
bei in  einem  besonderen  Kapitel  die  kopernikauische  Lehre  widerlegt 
werden.  Wie  früher  angegeben,  hatte  Galilei  das  Manuskript  des  auf 
die  kopernikauische  Lehre  bezüglichen  Teiles  schon  162ö,  also  zwei 
Jahre  vor  dem  Erscheinen  des  Buches,  in  Händen  gehabt,  sodafs  also 
der  Schluis  des  zweiten  Tages  des  Dialogs,  der  sich  mit  diesem  Teile 
beschäftigt,  kurz  darauf  entstanden  sein  könnte.  Da  aber  der  übrige 
Teil  des  chiaramontischen  Buchs  erst  während  des  Drucks  Galilei  be- 
kannt wurde,  so  ist  die  Kritik  desselben  zu  Beginn  des  dritten  Tags 
jedenfalls  nicht  vor  1628  verlafst,  wie  übrigens  auch  aus  einem  Brief 
Castelhs  vom  5.  August  1628  hervorgeht.-)  Im  gleichen  Jahre,  wo 
das  Buch  von  den  neuen  Sternen  erschien,  avancierte  sein  Verfasser 
zum  Professor  in  Pisa,  ein  Beweis  von  der  Stärke  der  gegen  Galilei 
in  seiner   eigenen  Vaterstadt   gerichteten    Strömung. 

Auch  die  im  Dialog  enthaltene  Polemik  gegen  Scheiners  Lisqnisl- 
tlones  scheint  erst  spät,  wahrscheinlich  im  Jahre  1629  niedergeschrieben 
worden  zu  sein.  Denn  ohne  besonderen  Anlafs  würde  G.  dem  herzlich 
unbedeutenden  Büchlein,  das  schon  1614  erschienen  Avar  und  keineswegs 


1)  Op.  VI,  310.  2)  Op.  Suppl.  2: 


LX  Einleitung. 

grofses  Aufsehen  erregt  hatte,  schwerlich  solche  Aufmerksamkeit  ge- 
widmet haben.  Ein  solcher  Anlafs  lag  aber  für  ihn  doch  wohl  erst  vor, 
als  er  im  Jahre  1629  hörte,  dafs  Scheiner  ein  grofses  Werk  über  die 
Sonnenflecken,  die  Bosa  Ursina,  drucken  lasse.  ^)  Es  steht  zwar  nicht 
fest,  wieviel  Galilei  von  dem  polemischen  und  sachlichen  Inhalt  der  Rosa 
vor  ihrem  Erscheinen  wufste,  aber  dafs  Angriffe  gegen  ihn  und  gegen 
seine  Prioritätsansprüche  auf  die  Sonnenfleckenentdeckung  zu  erwarten 
waren,  konnte  nicht  zweifelhaft  sein.  So  versuchte  denn  Galilei  dem 
Gegner  im  Dialog  zuvorzukommen  mid  dazu  bot  sich  kein  besserer 
Anlafs  als  eine  Besprechung  des  Werkchens,  das  u.  a.  auch  die  ko- 
pernikanische  Lehre  bekämpfte.  Eine  Anspielung  auf  die  1630  voll- 
endete Rosa  Ursina  findet  sich  hingegen  nicht  im  Dialog.  Da  nun 
Galilei,  wäre  ihm  Scheiners  Werk  bekannt  gewesen,  den  triftigsten 
Grund  gehabt  hätte,  auf  den  von  ihm  vorausgesagten  Umschwmig  in 
den  Ansichten  Scheiners,  der  zwar  teilweise  schon  in  den  letzten 
Briefen  an  Welser,  mit  voller  Deutlichkeit  aber  erst  in  der  Rosa  sich 
dokumentiert,  triumphierend  hinzuweisen,  so  haben  wir  anzunehmen, 
dafs  der  1632  veröffentlichte,  aber  schon  im  Mai  1630  druckfertig  ge- 
wordene Dialog  an  den  auf  Seh.  bezüglichen  Stellen  seit  1630  keine 
Ändenmg  mehr  erfuhr.  Das  Erscheinen  der  Rosa  Ursina  rechtfertigte 
die  Erwartungen  Galileis  und  seiner  Freunde-,  sie  brachte  wirklich 
eine  äufserst  erbitterte  Polemik,  deren  Ausgangspunkt  die  Stelle  in 
der  Einleitung  des  Saggiatore  bildet^),  avo  sich  Galilei  beklagt  hatte, 
dafs  ihm  andere  den  Ruhm  der  Sonnenfleckenentdeckung  streitig 
machten.  Ein  ganzes  äufserst  weitschweifiges  und  langweiliges  Buch 
des  dickleibigen  Folianten  ist  mit  dieser  Polemik  angefüllt.  Was  die 
Prioritätsfrage  betrifi't,  so  sind  Scheiners  Ansprüche  Galilei  gegenüber, 
wie  oben  bemerkt,  zwar  nicht  berechtigt,  sie  können  aber,  obgleich 
dies  nicht  wahrscheinlich  ist,  bona  fidc  erhoben  sein;'  in  der  Ver- 
öftentlichung  durch  den  Druck  ist  ja  Seh.  unzweifelhaft  Galilei  zuvor- 
gekommen, während  Fabricius  ihnen  beiden  voranging.  Hingegen 
spricht  Seh.  nirgends  davon,  dafs  seine  seit  1612  völlig  veränderten 
Anschauungen  über  die  Natur  der  Sonnenflecken  nur  durch  die  Aus- 
einandersetzungen Galileis  in  den  Lettere  intorno  edle  macclüe  solari 
veranlafst  sind,  und  dieses  Schweigen  ist  es,  was  auch  die  Aufrichtig- 
keit seiner  übrigen,  zum  Teil  unkontrollierbaren  Behauptungen  ver- 
dächtig erscheinen  läfst.  Andererseits  ist  aber  in  der  Rosa  viel  sach- 
lich Neues  und  Richtiges  enthalten,  vor  allem  die  genauere  Festlegung 
des  Sonnenäquators  und  die  damit  zusammenhängende  Erkenntnis  von 


1)  Op.  YI,  327;  IX,  147.  2)  Op.  IV,  löO. 


Einleitung.  LXI 

der  periodischen  Formveräuderuiig  der  scheinbaren  Fleckenbahnen*,  aber 
auch  sonst  eine  Menge  auf  die  Flecken  bezüglichen  dankenswertesten 
Details,  das  zum  Teil  in  imserer  Zeit  neu  entdeckt  werden  mufste,  da 
es  in  Vergessenheit  geraten  war.  Nun  j&ndet  sich  auch  im  Dialog, 
der  zwei  Jahre  nach  der  Rosa  erschien,  die  Neigung  der  Sonnenachse 
gegen  die  Ekliptik  nebst  den  daraus  fliefsenden  Folgerungen  erörtert^), 
und  zwar  in  einer  Weise,  die  offenbar  darthun  soll,  Galilei  habe  schon 
vor  IG  14  von  dieser  Thatsache  Keimtnis  gehabt.  Es  läfst  sich  nicht 
leugnen,  dafs  diese  Darstellung  sehr  auffiillig  ist'-)  und  mindestens  den 
Schein  gegen  sich  hatte.  Die  Empfindimgen  Scheiners,  als  ihm  der 
Dialog  zuerst  zu  Gesichte  kam,  sind  daher  nicht  ganz  unerklärlich: 
die  vernichtende  Kritik  der  Disquisitiones  und  gleichzeitig  der  schein- 
bare Raub  an  der  Rosa  versetzten  ihn  und  das  ganze  jesuitische  Lager 
in  grenzenlose  Wut,  die  nur  um  so  gefährlicher  war,  weil  sie  sich  zu- 
nächst nicht  litterarisch  austobte. 

Das  Erscheinen  des  Dialogs  schob  sich  infolge  einer  Menge  von 
äufseren  Schwierigkeiten  lange  hinaus.  Am  24.  Dezember  1629  hatte 
Galilei  an  Cesi  geschrieben,  er  sei  im  wesentlichen  fertig,  er  habe  fast 
nur  noch  die  Verbindungsglieder  zwischen  die  einzelnen  Erörterungen 
einzuschieben  und  die  Einleitung  abzufassen.  Gleichzeitig  spricht  er 
die  Absicht  aus,  nach  Rom  zu  kommen,  um  den  Druck,  der  aus  den 
gleichen  Gründen  wie  beim  Saggiatore  dort  stattfinden  sollte,  selbst  zu 
überwachen.  Am  12.  Januar  1630  schreibt  er  au  Marsili,  er  sei  mit 
der  Revision  des  Manuskripts  beschäftigt;  am  16.  Februar  teilt  er  ihm 
mit,  dafs  er  Ende  des  Monats  nach  Rom  abzureisen  gedenke.  Die 
Aussichten  auf  die  Erlangung  der  Druckerlaubnis  schienen  günstig  zu 
sein,  da  einerseits  Gahleis  einflufsreicher  Freund  und  Fürsprecher 
Ciampoli  den  Papst  zu  gewinnen  suchte,  andererseits  seit  1629  der- 
selbe Riccardi  als  Magister  Sacri  Palatii  an  der  Spitze  der  römischen 
Censur  stand,  der  das  Imprimatur  für  den  Saggiatore  in  so  schmeichel- 
haften Ausdrücken  abgefafst  hatte.  Vor  allem  sah  Castelli,  der  sich 
inzwischen  in  Rom  niedergelassen  hatte,  die  Dinge  im  rosigsten  Lichte 
und  hoffte,  dafs  sich  auch  die  letzte  Schwierigkeit  durch  Galileis 
persönliche  Anwesenheit  in  Rom  beseitigen  lasse. 

Die  Abreise  Galileis  verschob  sich  indessen  bis  zum  Begimie  des 
Mai.  In  Rom  angekommen,  wurde  er  wiederum  vom  Papste  huldvoll 
empfangen.  Auch  Riccardi,  dem  das  Manuskript  übergeben  wurde, 
machte  anfänglich  keine  erheblichen  Schwierigkeiten;  er  meinte  zAvar, 
die   hypothetische  Auffassmig   der  koperuikanischen  Lehre   im  Dialog 


1)  Dial.  362  ff.  2)  Vgl.  zu  Dial.  362. 


LXIT  Einleitung. 

sei  niclit  dieselbe,  welche  bei  der  Korrektur  des  Bucbes  von  Koperni- 
kus  im  Jahre  1620  für  die  Indexkongregation  mafsgebeiid  gewesen 
sei,  aber  er  hielt  es  für  möglich,  durch  Beifügung  einer  geeigneten 
Einleitung  und  Schlufsbetrachtung  und  durch  Korrekturen  im  einzelnen 
das  Werk  auf  diesen  hypothetischen  Standpunkt  zu  bringen.  Zu  diesem 
Behufe  wurde  die  Korrektur  des  Dialogs  dem  Dominikanerpater  Raffaello 
Visconti,  dem  sachverständigen  Kollegen  Riccardis,  aufgetragen.  Nach- 
dem dieser  die  notwendig  scheinenden  Änderungen  vorgenommen  und 
seine  Approbation  ausgesprochen  hatte,  welche  noch  der  Bestätigung  von 
Seiten  des  Magister  Sacri  Palatii  bedurfte,  versprach  Riccardi  den  Papst 
zu  Gunsten  Galileis  zu  stimmen.  Der  Widerstand  des  Papstes  war  haupt- 
sächlich gegen  die  Zurückführung  der  Gezeiten  auf  die  Erdbewegung 
gerichtet;  er  hatte  dafür  nämlich  eine  eigene  Theorie,  er  meinte,  man 
dürfe  die  göttliche  Allmacht  nicht  beschränken  wollen,  es  müsse  für 
Gott  auch  auf  anderem  Wege  als  auf  dem  von  Galilei  gelehrten  mög- 
lich sein  jene  Erscheinungen  hervorzurufen.  Galilei  mufste  sich  darum  vor 
allem  dazu  verstehen,  den  beabsichtigten  Titel  des  Buches,  der  Ebbe  und 
Flut  ausdrücklich  erwähnte,  abzuändern.  Abgesehen  davon,  so  meinte 
Riccardi,  werde  es  sich  nunmehr  nur  um  Kleinigkeiten  handeln.  Um  in- 
dessen schon  jetzt  wegen  des  Drucks  mit  einem  Verleger  verhandeln 
zu  können,  bemühte  sich  G.  mit  Erfolg,  dafs  Riccardi  die  formelle 
Approbation  für  den  Druck  in  Rom  ausstellte,  mit  der  Klausel  frei- 
lich, dafs  jeder  Bogen  noch  einer  Durchsicht  unterworfen  werden  sollte, 
ehe  er  der  Presse  übergeben  würde;  aufserdem  wurde  die  Vorrede 
skizziert,  die  in  ihrer  fertigen  Gestalt  zwar  als  ein  Werk  Galileis  zu 
gelten  hat,  die  aber  den  Weisungen  Riccardis  in  dem,  was  sie  aus- 
spricht und  noch  mehr  in  dem,  was  sie  verschweigt,  durchweg  Rech- 
nung trägt.  Mitte  Juni  kehrte  Galilei  nach  Florenz  zurück,  nachdem  die  '|  • 
Verabredung  getroffen  worden  war,  Galilei  solle  dort  Widmung,  Register 
u.  s.  w.  fertig  stellen  und  im  Herbste  sich  nochmals  in  Rom  einfinden. 
Inzwischen  aber  hatten  die  Verhältnisse  sich  in  der  Weise  ge- 
ändert, dafs  es  Galilei  wünschenswert  erschien,  sein  Buch  in  Florenz 
statt  in  Rom  drucken  zu  lassen.  Angeblich  und  zum  Teil  auch  wirk- 
lich war  es  die  mittlerweile  ausgebrochene,  allen  Verkehr  zwischen 
Florenz  und  Rom  erschwerende  Pest,  welche  die  Übersendinig 
des  Manuskripts  oder  gar  eine  abermalige  Reise  Galileis  verhinderte. 
Noch  mehr  aber  mag  der  Tod  des  allezeit  für  Galilei  thätig  ge- 
wesenen Fürsten  Cesi,  des  Begründers  der  Accademia  dei  Lincei,  so- 
wie die  in  Rom  beginnende  Verfolgung  der  Astrologen,  mit  welchen 
die  Astronomen  vielfach  in  einen  Topf  geworfen  wurden,  zu  jenem 
Entschlüsse  beigetragen  haben.    Dadurch  aber  entstanden  fernere  Weite- 


i 


Einleitung.  LXIII 

rungeu.  Galilei  faud  zwar  in  Landini  mit  Leichtigkeit  einen  floren- 
tinischen  Verleger,  auch  die  Approbation  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Censur  für  Florenz  scheint  ohne  Schwierigkeit  erlangt  worden 
zu  sein;  denn  bereits  am  11.  September  1G30  erteilte  der  Generalvicar 
des  Erzbischofs  von  Florenz,  Pietro  Nicolino,  und  der  Generalinquisitor 
von  Florenz  Clemente  Egidio,  am  Tage  darauf  auch  der  grofsherzog- 
liche  Censor  Niccolö  Antella  das  Imprimatur.^)  Galilei  und  sein  Ver- 
leger wären  damit  rechtlich  befugt  gewesen  den  Druck  in  Florenz 
vorzunehmen.  Indessen  schien  es  rücksichtsvoller  und  sicherer,  von 
dem  veränderten  Vorhaben  dem  römischen  Obercensor,  der  sich  so 
eingehend  mit  der  Sache  beschäftigt  hatte,  Kenntnis  zu  geben;  ein 
zwingender  Grund  zu  diesem  Verhalten  lag  aber  durchaus  nicht  vor, 
und  die  Folge  lehrte,  dafs  eine  solche  Rücksicht  im  Interesse  Riccardis 
besser  unterbheben  wäre.  Wenn  Riccardi  jetzt  streng  korrekt  ver- 
fahren wollte,  mufste  er  es  ablehnen,  sich  mit  der  Censur  eines  in 
Florenz  erscheinenden  Buches  zu  befassen;  es  fehlte  ihm  dazu  an  jeder 
Kompetenz;  dafs  Galilei  anfänglich  das  Werk  in  Rom  wollte  drucken 
lassen,  koimte  ihm  doch  unmöglich  eine  solche  verleihen.  Ging  er 
also  gleichwohl  auf  Unterhandlungen  ein,  so  konnte  dabei  nur  die  Ab- 
sicht ausschlaggebend  sein,  durch  Abdruck  seiner  besonders  wertvollen 
Anerkennung  der  Ungefährlichkeit  des  Buches  diesem  den  Weg  zu  er- 
leichtern. Es  ist  daher  schwer  begreiflich,  wie  man  aus  dem  Abdruck 
dieser  Approbation  Galilei  später  einen  Vorwurf  machen  konnte,  wie- 
wohl man  ja  zugeben  mufs,  dafs  dieselbe  rechtlich  wertlos  war.  ^) 
Irrig  ist  es  also,  wenn  man  sagt,  Galilei  sei  nicht  befugt  gewesen,  das 
Imprimatur  Riccardis  dem  Dialog  beizufügen;  vielmehr  war  Riccardi 
nicht  befugt,  den  Druck  in  Florenz  zu  begutachten.  Wenn  er  dies 
dennoch  that,  und  wenn  der  römische  Obercensor  das  Censurrecht  selbst 
nicht  kannte  oder  es  nicht  strenge  handhabte,  so  brauchte  Galilei  ge- 
wifs  nicht  ihn  an  Korrektheit  zu  überbieten.  Riccardi  also  lehnte 
die  Einmischung  in  die  Sache  nicht  ab,  sondern  stellte  verschiedene 
Forderungen  auf;  namentlich  handelte  es  sich  um  Einleitung  inid 
Schlufs,  die  nochmals  zur  Begutachtung  nach  Rom  geschickt  Averdeu 
mufsten.  Im  übrigen  wurde  nach  etlichem  Hin-  und  Widerreden  auf 
Verwendung  Nicolinis,  des  grofsherzogiichen  Gesandten  in  Rom,  und 
seiner  Gattin  Caterina  die  erneute  Durchsicht  des  Dialogs  dem  Domi- 
nikanerpater Giacinto  Stefani  übertragen.    Gab  dieser  seine  Zustimmung 


1)  Vgl.  das  Facsimile  des  Titelblattes  der  Originalausgabe. 

2)  Die  reclitliflic  Ungültigkeit  des  römischen  lini)riinatur  dokumentiert  sich 
schon  in  dem  Mangel  des  Datums. 


LXIV  Einleitung. 

und  war  der  Padre  Maestro  mit  Einleitung  und  Schlufs  zufrieden,  so 
trat  damit,  vom  Standpunkte  Galileis  betrachtet,  das  schon  früher 
erteilte  Imprimatur  des  römischen  Obercensors  in  Kraft.  Denn  an  Stelle 
der  oben  erwähnten  Klausel,  von  welcher  die  Gültigkeit  des  römi- 
schen Imprimatur  abhängig  gemacht  worden  war,  trat  nunmehr  die 
Approbation  Stefanis  und  die  Billigung  von  Vorrede  und  Schlufs 
durch  den  Magister  Sacri  Palatii.  Was  konnten  alle  diese  Förmlich- 
keiten, die  an  und  für  sich  überflüssig  waren,  anderes  bedeuten,  als  , 
dafs  durch  ihre  Erfüllung  Galilei  das  Recht  erhielt,  auch  die  Druck-  j 
erlaubnis  Riccardis  dem  Dialoge  beizufügen?  Trostlos  ist  es  freilich  | 
die  Konfusion  des  armen  Paters  zu  sehen,  der  in  einer  Zeile  schreibt,  , 
er  sei  nicht  kompetent  die  Druckerlaubnis  zu  erteilen  und  gleichwohl 
in  der  nächsten  verspricht,  ein  Zeugnis  darüber  auszustellen,  dafs  er 
das  Buch  approbiere,  wofern  er  nur  Einleitung  und  Schlufs  zuge- 
schickt erhalte^);  dabei  hatte  er  diese  Stücke  auf  seinen  Wunsch  min- 
destens seit  einem  Vierteljahre  in  Händen.'')  Am  24.  Mai  1631  end- 
lich setzte  sich  Riccardi  in  Verbindung  mit  dem  florentinischen  In- 
quisitor demente  Egidio,  der  in  Wahrheit  schon  vor  drei  Viertel- 
jahren das  Imprimatur  erteilt  hatte.  Er  schreibt^):  „Da  der  Verfasser 
dort  [in  Florenz]  die  Sache  zu  erledigen  wünscht,  so  kaim  Euer  Hoch- 
würden von  Ihrer  Autorität  Gebrauch  machen  und  das  Buch  unab- 
hängig von  meiner  Revision  approbieren  oder  nicht  approbieren;  wobei 
ich  jedoch  in  Erinnerung  bringe,  dafs  es  die  Meinung  unseres  Herrn 
[des  Papstes]  ist,  dafs  als  Titel  und  Gegenstand  des  Buches  nicht 
Ebbe  und  Flut  gelten  soll,  sondern  unbedingt  nur  die  mathematische 
Erörterung  der  kopernikanischen  Lehre  von  der  Erdbewegung;  diese 
soll  den  Zweck  haben  zu  beweisen,  dafs  abgesehen  von  der  göttlichen 
Offenbarung  und  der  Kirchenlehre  die  Erscheinungen  von  jenem  Stand- 
punkte aus  sich  erklären  lassen,  unter  Widerlegung  aller  gegenteiligen 
Überzeugungen,  welche  die  Erfahrung  und  die  peripatetische  Philo- 
sophie an  die  Hand  geben:  in  der  Art,  dafs  niemals  jener  Meinung 
die  absolute  Wahrheit,  sondern  nur  die  hypothetische,  und  zwar  ohne 
Bezugnahme  auf  die  heilige  Schrift,  zugestanden  werden  darf.  Auch 
mufe  darauf  hingewiesen  werden,  dafs  das  Buch  blofs  geschrieben 
wird,  um  zu  zeigen,  dafs  man  alle  Gründe  kenne,  die  für  diesen  Stand- 
punkt sich  anführen  lassen,  und  dafs  man  nicht  aus  mangelnder  Kennt- 
nis derselben  diese  Ansicht  verurteilt  habe,  entsprechend  dem  Anfang  \ 


1)  Vgl.   den  Brief  Riccardis   an  den  toskanischen   Gesandten  Niccolini  vom 
28.  April  1631.  Op.  IX,  243. 

2)  Op.  VI,  375  und  IX,  209.  3)  Gebier,  Akten  p.  57. 


Einleitung.  LXV 

• 

und  Schlufs  des  Buches,  welche  ich  später  korrigiert  übersenden  werde. 
Unter  diesen  Vorsichtsmafsregeln  wird  dem  Buche  hier  in  Rom  nie- 
mand etwas  in  den  Weg  legen." 

Nachdem  der  Inquisitor  Egidio  am  31.  Mai  auf  dieses  Schreiben 
erwidert  hatte,  Galilei  gehe  mit  voller  Bereitwilligkeit  auf  alle  Korrek- 
turen ein^),  schickte  Riccardi  endlich  am  19.  Juli  die  fertiggestellte 
Vorrede  aus  Rom.  In  dem  Begleitschreiben  gestattet  er  zwar,  sti- 
listische Änderungen  daran  vorzunehmen,  nicht  aber  sachliche.  „Am 
Schlüsse",  heifst  es  sodann,  „mufs  die  Peroration  des  Werkes  {delle 
opere?)  dieser  Vorrede  entsprechen,  indem  Signore  Galilei  die  ihm 
von  unserem  Herrn  [dem  Papste]  mitgeteilten  Gründe  bezüglich  der 
göttlichen  Allmacht  hinzufügt,  die  den  Geist  beruhigen  sollen,  wemi- 
gieich  man  deu  pythagoreischen  Gründen  sich  nicht  entwinden  könnte." "-) 

Die  Entstehungsgeschichte  dieser  nun  endlich  eingetroffenen  Vor- 
rede läfst  nichts  Günstiges  von  ihr  erwarten;  sie  bietet  denn  in  der 
That  ein  überaus  klägliches  Schauspiel.  Man  sieht  Galilei  sich  drehen 
und  winden,  um  einerseits  alles  kirchlich  Anstöfsige  zu  vermeiden 
und  andererseits  nicht  geradezu  zu  lügen.  Er  nennt  das  gegen  die 
kopernikanische  Lehre  gerichtete  Dekret  zwar  nützlich  und  opportun, 
aber  ob  es  sachlich  gerechtfertigt  sei,  darüber  mufs  er  vermeiden  sich 
zu  äufsern.  Er  nennt  die  Gegner  des  Edikts  zwar  leichtfertig,  aber 
wiederum  bekennt  er  sich  sachlich  weder  für  noch  gegen  sie.  Das  Edikt 
sei  nicht  ohne  sein  Vorwissen  veröffentlicht  worden;  man  sollte  danach 
beinahe  glauben,  es  sei  auf  seinen  Rat  geschehen.  Er  fügt  hinzu,  mau 
habe  seine  eigenen  Untersuchungen  seiner  Zeit  sehr  wohl  gekannt, 
keineswegs  also  habe,  wie  behauptet  worden  sei,  mangelhafte  Kennt- 
nis das  Zustandekommen  des  Edikts  verschuldet.  Der  Zweck  des 
Buches  sei,  den  fremden  Nationen  gerade  das  Falsche  dieser  Beschuldi- 
gung nachzuweisen.  Selbstverständlich  ist  zwischen  den  Zeilen  zu 
lesen:  um  so  schlimmer,  wenn  man  nach  so  überzeugenden  Unter- 
suchungen dennoch  die  Lehre  des  Kopernikus  ächtete.  Fast  jeder 
Satz  enthält  in  ähnlicher  Weise  einen  unausgesprochenen  Hinter- 
gedanken; die  unleugbare  Geschicklichkeit,  mit  der  dieser  Eiertanz 
ausgeführt  wird,  verdient  zwar  in  gewisser  Weise  Bewimderung,  aber 
das  Unbehagen,  einen  Geist  wie  den  Galileis  zu  so  unwürdigen 
Sprüngen  genötigt  zu  sehen,  verläfst  den  Leser  nicht. 

Die  Vorrede  traf  in  Florenz  ein,  nachdem  der  Druck  des  Textes 
bereits  begonnen  hatte  —  am  20.  März  1631  waren  schon  6  Bogen 
fertig  gestellt  —  sie  mufste  daher  später  auf  einem  besonderen  Bogen 


1)  Gebier,  Akten  p.  58.  2)  Gebier,  Akten  p.  C2. 

Galilei,  Wsltgysteine. 


LXVI  Einleitung. 

hinzugefügt  werden:  unglücklicherweise  wurden  überdies  andere  Typen 
gewählt  als  die  für  den  Text  verwendeten.  Auch  daraus  schmiedete 
man  nachher  Waffen  gegen  den  Verfasser.  Was  die  „Peroration"  be- 
trifft, die  das  mehrfach  erwähnte  Argument  des  Papstes  bringt,  so 
mufste  Galilei  glauben,  den  Wunsch  des  Pajjstes  mit  der  von  ihm  ge- 
wählten Wendung  erfüllt  zu  haben.  Die  mafslose  Eitelkeit  Urbans 
versprach  sich  zwar  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  ausführlichere 
Behandlung,  in  Wahrheit  aber  läfst  die  Ehrerbietung,  womit  am 
Schlüsse  des  Dialogs  allseitig  die  dem  Simplicio  in  den  Mund  gelegte 
Betrachtung  aufgenommen  wird,  nichts  zu  wünschen  übrig.  —  Das 
Titelkupfer,  welches  Aristoteles,  Ptolemäus  und  Kopernikus  im  Ge- 
spräche mit  einander  darstellt,  und  das  Titelblatt  beanspruchen  gleich- 
falls ein  gewisses  Interesse.  Die  zweimal  verwendete  Vignette  von 
drei  wechselseitig  sich  beifsenden  Delphinen  wurde  nämlich  später  für 
anstöfsig  befunden,  weil  ihr  irgend  eine  geheimnisvolle  oder  boshafte 
Anspielung  zu  Grunde  liegen  sollte  —  welche,  wird  nicht  gesagt.') 
Als  sich  dann  freilich  herausstellte,  dafs  dieselbe  Vignette  auch  bei 
anderen  Werken  des  Landinischeu  Verlags  Verwendung  gefunden  hatte, 
mufste  man  dieses  Bedenken  fallen  lassen.  —  Der  italienische  Titel 
ist  aus  dem  unserer  Ausgabe  beigefügten  Facsimile  des  Titelblattes 
ersichtlich;  in  wörtlicher  deutscher  Übersetzmig  lautet  er:  Gcsprc 
von  Galileo  Galilei,  Mitylicde  der  AJcademie  dei  Lincei,  au fser ordentlich 
Mathematiker  der  Universität  Fisa,  erstem  PhilosopJien  und  Mathematike: 
des  DurchlaucJdigsten  Grofsherzogs  von  Toskana.  Barin  wird  in  Sitzungeii 
an  vier  Tagen  über  die  beiden  hauptsächlichsten  Weltsysteme,  das  jotole- 
mäische  und  das  kopernikamsehe ,  gehandelt;  mit  unparteiischer  Vorfüh- 
rung der  philosophischen  und  der  natürlichen  Gründe  sowohl  für  den  einen 
als  für  den  anderen  Standpunkt.  —  Das  Format  der  Originalausgabe 
ist  Oktav,  nicht,  wie  meist  angegeben  wird,  Quart.  Der  eigentliche 
Text  des  Dialogs  ist  auf  458  Seiten  enthalten;  davor  befinden  sich 
unpaginiert  Titelkupfer  und  Titelblatt,  die  Widmung  an  den  Grofs- 
herzog  und  die  Vorrede;  dahinter  zwei  Seiten  Druckfehlerverzeichnis, 
sowie  die  (nicht  vollständige)  alphabetische  Zusammenstellung  der  im 
Buche  vorkommenden  Randinhaltsangaben  (Postillen). 

Im  Februar    IG32   war  der  Druck  beendigt,   am  22.   überreichte 
Galilei    dem  Grofsherzog  Ferdinand  II.   das   erste  Exemplar   des   ihm 
gewidmeten  Buches,  Tags  darauf  sandte  er  an  Cesare  Marsili  in  Bolognaj 
32  Exemplare.     Die  Erwartungen,    mit  denen  man   dem  Dialog  ent 
gegensah,  waren  allseitig  aufs  höchste  gespannt,  und  sie  wurden  nicht 


1)  Vgl.  das  beigegebene  Facsimile. 


Einleitung.  LXVII 

enttäusclit.  Mit  den  überscliwäiigliclisteu  Ausdrücken  des  Entzückens  be- 
grüfsten  die  Freunde  Galileis  das  Erscheinen  des  Werks.  Castelli  hatte 
schon  A^or  Fertigstellung  desselben  geschrieben,  er  werde  von  nun  ab 
nur  noch  zwei  Bücher  lesen,  das  Brevier  und  den  Dialog,  und  in  ähn- 
lichem Stile  ergeht  er  sich,  nachdem  er  es  gelesen.  Fulgenzio  Mican- 
zio  in  Venedig,  Campanella  und  der  24-jährige  Torricelli  in  Rom, 
Baliani  in  Genua,  Alfonso  Antouini  in  Verona,  Gassendi  in  Lyon  sind 
des  Lobes  voll;  und  so  lebhaft  die  Freunde  des  Fortschritts  den  Dialog 
willkommen  hiefsen,  ebenso  niederschmetternd  wirkte  er  auf  die  Feinde, 
vor  allem  auf  die  Jesuiten.  Von  der  Möglichkeit,  dafs  eine  von  dem 
Magister  Sacri  Palatii  und  von  der  florentinischen  Censur  gebilligte 
Schrift  ernstlich  beanstandet  oder  gar  der  Verfasser  zur  Verantwor- 
tung gezogen  werden  könne,  sprach  niemand. 

Aber  das  Unerwartete  geschah.  Im  August  1632  ging  auf 
päpstliche  Anordnung  dem  Verleger  die  Weisung  zu,  den  Verkauf 
des  Dialogs  zu  sistieren. ')  Eine  eigens  zu  diesem  Zwecke  berufene 
Kongregation  gab  ihre  Meinung  dahin  ab,  dafs  die  Inquisition  gegen 
Galilei  wegen  Veröffentlichung  seines  Buches  einzuschreiten  habe.  Am 
2.3.  September  beschlofs  demgemäfs  das  h.  Officium,  Galilei  für  den 
Oktober  nach  Rom  vor  seinen  Richterstuhl  zu  eitleren;  die  Vorladung 
wurde  Galilei  am  2.  Oktober  vom  Inquisitor  in  Florenz  bekannt  ge- 
geben, er  mufste  sie  vor  Notar  und  Zeugen  eigenhändig  unterschreiben. 
Wie  das  gekommen  war,  läfst  sich  unschwer  erraten.  Die  Jesuiten 
hatten  meisterhaft  operiert;  sie  hatten  den  Papst  so  geschickt  bei 
seiner  schwächsten  Seite,  der  Eitelkeit,  zu  fassen  gewufst,  indem  sie 
das  Buch  als  eine  gegen  ihn  gerichtete  Verhöhnung  darstellten,  dafs 
Urban  von  nun  ab  ein  harter  grausamer  Gegner  des  von  ihm  früher  so 
hoch  bewunderten  und  so  schwungvoll  besungenen  Galilei  wurde.  Dafs 
nur  die  Machinationen  der  Jesuiten,  in  erster  Linie  jedenfalls  Scheiners 
und  Grassis,  die  nun  anhebende  Verfolgung  ins  Leben  gerufen  hatten, 
geht  unter  anderem  aus  den  eigenen  Geständnissen  ihrer  Ordensbrüder 
hervor. ") 

Auf  die  Einzelheiten  des  Processes,  eines  der  denkwürdigsten  der 
Geschichte,  an  dieser  Stelle  einzugehen  ist  unmöglich;  es  knüpft  sich 
daran  eine  reiche  Litteratur,  aus  welcher  wir  die  nachstehenden,  sehr 
verschiedene  Standpunkte  vertretenden  Schriften  hervorheben:  Wohl- 
will, Der  Inquisitionsprocess  des  Galileo  Galilei  (Berlin  1870); 
V.  Gebier,  Galileo  Galilei  und  die  römische  Curie  (Stuttgart  1876); 
Wohlwill,    Ist    Galileo    Galilei    gefoltert    worden?     (Leipzig    1877)- 

1)  Op.  Vn,  S.  2)  Op.  VII,  47. 


LXVni  Einleitung. 


Reusch,  Der  Proeess  Galileis  und  die  Jesuiten  (Bonn  1870);  Grisar, 
Galileistudieu.     Historisch- theologische   Untersuchungen  über  die  Ur-   »j 
teile  der  römischen  Kongregationen  im  Galileiprocess  (Regensburg  1882).  m\ 

Anscheinend  konnte  gegen  den  Verfasser  des  Dialogs  noch  am 
ersten  einfach  auf  Grund  des  Indexdekrets  vorgegangen  werden,  da 
unzweifelhaft  Galilei  die  hypothetische  Zulässigkeit  der  kopernika- 
nischen  Lehre  in  einem  wesentlich  anderen  Sinne  aufgefafst  hatte,  .  , 
als  es  bestenfalls  statthaft  war.  Dies  Verfahren  war  jedoch  darum  | 
nicht  wohl  angängig,  weil  wegen  eines  etwaigen  Verstofses  gegen 
das  Dekret  der  Dialog  zwar  verboten  werden  konnte,  im  übrigen 
aber  der  Censor  die  Hauptverantwortung  trug.  Um  also  Galilei  selbst 
zu  fassen  und  Riccardi  möglichst  zu  schonen,  mufste  eine  andere 
Grundlage  für  den  Proeess  geschaffen  werden.  Man  suchte  daher  in  i 
erster  Linie  als  gravierendes  Moment  den  Beweis  zu  erbringen,  dafs 
Galilei  das  Imprimatur  auf  unredlichem  Wege  erlangt  habe,  insofern 
er  von  dem  specielleu,  nur  auf  ihn  bezüglichen  Verbote  vom  25.  Febr. 
1616  dem  Censor  keine  Kenntnis  gegeben  habe.  Wie  oben  angegeben 
liegen  gewichtige,  wenngleich  nicht  absolut  beweisende  Gründe  dafür 
vor,  dafs  Galilei  keinerlei  Sondervorschriften  gemacht  wurden,  dafs 
also  das  entscheidende  Aktenstück,  welches  das  Gegenteil  beurkundet, 
sachlich  Falsches  enthält,  wo  nicht  gefälscht  ist.  Die  wenigst  mifs- 
lungenen  Versuche,  das  Aktenstück  zu  rehabilitieren,  laufen  im  wesent- 
lichen darauf  hinaus,  dafs  einerseits  der  Vorgang  im  Jahre  1616 
etwas  formlos  war  und  die  Beteiligten  infolge  dessen  selbst  nicht 
ganz  klar  über  seine  Bedeutung  waren,  und  dafs  andererseits  die  Deu- 
tung des  Aktenstücks  als  eines  Sonderverbots  fälschlich  erst  von 
Riccardi  1632  aufgebracht  worden  sei. 

In  der  vorberatenden  Kongregation  wurden  offenbar  auf  Riccardis 
Initiative  nachstehende  Belastungsmomente  gegen  den  Dialog  hervor- 
gehoben :  ^) 

1 )  Die  ordnungswidrige  Beifügung  des  Imprimatur  für  Rom.  2)  Die 
Loslösung  der  Vorrede  vom  Texte  durch  Druck  mit  anderen  Typen, 
sowie  die  geringschätzige  Behandlung  des  [vom  Papste  herrührenden] 
Schlufsargumentes  gegen  die  kopernikanische  Lehre.  3)  Das  häufige 
Verlassen  des  hypothetischen  Standpunktes  bei  Behandlung  der  koper- 
nikanischen  Lehre.  4)  Die  Fiktion,  als  sei  eine  [kirchliche]  Entschei- 
dung gegen  diese  Lehre  noch  nicht  ergangen,  sondern  erst  zu  erwar- 
ten. 5)  Die  scharfe  Polemik  gegen  antikopernikanische,  von  der  Kirche" 
hochgeschätzte  Schriftsteller.     6)  Die  Behauptung,  zwischen  göttlicher 


1)  Gebier,  Akten  p.  56. 


Einleitung.  LXIX 

1111(1  menschlicher  Auffassung  mathematischer  Wahrheiten  bestehe  eine 
gewisse  AhnHchkeit.  ^)  7)  Das  Argument,  dafs  zwar  Ptolemäer  Koper- 
nikaner  würden,  aber  nicht  umgekehrt.-)  8)  Die  Zurückführung  von 
Ebbe  und  Flut  auf  die  Erdbewegung.  9)  Die  Überschreitung  des 
Verbots  vom  25.  Februar  1616.  Die  8  ersten  Punkte  könnten,  wde 
es  in  dem  Aktenstück  heifst,  verbessert  werden,  wenn  man  sich  von 
dem  Buche  irgendwelchen  Nutzen  verspräche;  es  blieb  also  in  Wahr- 
heit nur  der  letzte  Anklagepmikt  übrig.  In  der  Folge  freilich  ver- 
schob sich  der  Standpunkt  der  Inquisition,  und  die  Verfolgung  wegen 
ketzerischer  Gesinnung  trat  zu  der  wegen  Ungehorsams  hinzu.  Die 
Gestellung  Galileis  in  Rom  war  zwar  für  den  Oktober  1632  befohlen 
worden,  aber  Gesundheitsrücksichten  ermöglichten  dem  69-jährigeu 
Greise  die  Abreise  von  Florenz  erst  am  20.  Januar  1633.  Dafs  der 
Grofsherzog  seinen  Unterthan  und  Schützling  auszuliefern  sich  weigern 
werde,  wie  es  vielleicht  die  venetianische  Republik  gethan  haben  würde, 
daran  war  nicht  zu  denken.  Nach  Galileis  Ankunft  in  Rom  verstrichen 
zwei  Monate,  während  deren  er  aus  besonderer  Vergünstigung  im  Palaste 
des  toskanischen  Gesandten  Niccolini  wohnen  durfte,  ohne  dafs  er 
irgend\vie  amtliche  Kenntnis  von  dem  Fortgange  des  gegen  ihn  ein- 
geleiteten Verfahrens  erhalten  hätte.  Da  er  nicht  unfreundlich  be- 
handelt wurde,  sah  er  dem  Ausgang  zuversichtlich  entgeo-en,  und  diese 
Hoffnung  auf  eine  glückliche  Wendung  verliefs  ihn  bis  zuletzt  nicht. 
Am  12.  April  1633  fand  das  erste  Verhör  statt,  es  bezog  sich  haupt- 
sächlich auf  das  Verbot  des  Jahres  1616.  Die  Aussagen  Galileis,  zu 
deren  Bekräftigung  er  das  Zeugnis  Bellarmins  zunächst  abschriftlich 
vorlegte,  gipfeln  darin,  dafs  er  von  einem  speciellen  Verbote  nichts  weifs. 
Die  ferneren  Verhöre  fanden  am  30.  April,  am  10.  Mai,  das  letzte 
vielbesprochene  am  21.  Juni  1633  statt.  Während  der  Zeit  zwischen 
dem  ersten  und  dem  zweiten  Verhör  wurde  Galilei  in  einem  Zimmer 
des  Inquisitionsgebäudes  in  Haft  gehalten.  Soweit  es  sich  um  That- 
sächliches  handelte,  sind  Galileis  Angaben  durchweg  als  völlig  auf- 
richtig wenigstens  der  Absicht  nach  zu  betrachten,  während  er  kein 
Bedenken  trägt,  seine  inneren  Überzeugungen  zu  verleugnen.  Mau 
hat  sich  die  Frage  vorzulegen,  was  denn  geschehen  wäre,  wenn  Galilei 
seine  Avahren  Gesinnungen  zum  Ausdruck  gebracht  imd  standhaft  an 
ihnen  festgehalten,  also  trotz  aller  Einwirkungen  sich  geweigert  hätte, 
die  kopernikanische  Lehre  abzuschwören.  Em  Zweifel  ist  kaum  mög- 
lich, er  würde  entweder  das  Schicksal  Giordano  Brmios  geteilt  haben, 
der  am    17.  Februar    1600   den  Feuertod   erlitt,    oder  bestenfalls   sein 


1)  Dial.  p.  108  f.  2)  Dial.  p.  134  f. 


LXX  Einleitung. 

Leben  laug  im  Kerker  der  Inquisition  haben  sclimaebteu  müssen.^) 
Wollte  der  70-jälirige  Greis,  der  die  Freuden  und  die  Schönheit  der 
Welt  in  so  vollen  Zügen  zu  geniefsen  und  mit  so  glühenden  Farben  zu 
schildern  wufste,  dies  Martyrium  nicht  auf  sich  nehmen,  wollte  er  die 
"Wissenschaft  nicht  des  Besten  verlustig  gehen  lassen,  was  er  ihr 
geben  konnte  —  die  Discoisl  waren  noch  ungeschrieben  —  so  mufste 
er  abschwören,  und  wenn  er  den  falschen  Schwur  zu  leisten  sich  be- 
quemte, so  dünkte  es  ihm  nicht  in  höherem  Mafse  raisittlich,  wohl 
aber  voraussichtlich  klüger,  schon  in  den  Verhören  seine  Überzeugung 
zu  verleugnen.  Ob  er  dabei  so  weit  gehen  mufste  zu  behaupten,  der  Dia- 
log sei  geschrieben  worden,  um  die  Gründe  für  die  kopernikanische  Lehre 
als  nicht  stichhaltig  nachzuweisen,  ob  es  gerechtfertigt  war,  als  Motiv 
für  die  „scheinbare"  Bevorzugung  jener  Lehre  im  Dialog  die  Eitelkeit 
eines  Autors  auf  seine  ungewöhnlich  scharfsinnigen  Einfälle  anzugeben, 
ob  er  sich  bereit  zu  erklären  brauchte,  in  einer  späteren  Schrift  ein- 
gehender imd  deutlicher  die  Unhaltbarkeit  jener  Gründe  aufzudecken, 
läfst  sich  freilich  mit  gutem  Grunde  bezweifeln.  Aber  darf  man  sich 
wundern,  dafs  das  verderblichste  aller  Gifte,  die  Unfreiheit  des  Denkens, 
auch  gut  und  grofs  angelegte  Naturen  in  den  Staub  wirft? 

Die  Befragung  Galileis  über  seine  Gesinnung  {super  hdantionc)  fand 
im  vierten  und  letzten  Verhöre  vom  21.  Juni  1033  statt.  Er  blieb 
bei  seiner  Aussage:  „Ich  halte  an  jener  koperuikanischen  Ansicht  nicht 
fest  und  habe  nicht  an  ihr  festgehalten,  seitdem  mir  der  Befehl  mit- 
geteilt worden  ist,  sie  aufzugeben;  im  übrigen  bin  ich  in  Ihren  Hän- 
den, thun  Sie,  wie  Ihnen  beliebt."-)  Das  Aktenstück  fährt  fort:  „Und 
als  man  ihm  gesagt  hatte,  dafs  er  die  Wahrheit  sagen  möge,  sonst 
werde  er  der  Folter  unterworfen  werden,  antwortete  er:  „„Ich  bin  hier, 
iTm  Gehorsam  zu  üben,  ich  habe  an  jeuer  Meinung,  wie  gesagt,  nicht 
festgehalten.""  Und  da  nichts  weiter  aus  ihm  herauszubringen  war, 
wurde  er  in  Ausführung  des  Dekrets  [der  Inquisition  vom  16.  Juni] 
nach  Bewirkung  seiner  Unterschrift  an  seinen  Ort  zurückgeschickt." 
Unter  dem  Aktenstücke  steht  der  mit  zitternder  Hand  geschriebene 
Namenszug  Galileis.  Wenn  der  Schlufs  des  Aktenstücks  echt  ist, 
so  hat  also  Galilei  keine  physische  Folter  erdulden  müssen^  sondern 
nur  die  sogenannte  leichte  Schreckung  {territio  levis  oder  verhaltsX 
Im  Widerspruch  damit  steht  allerdiugs,  dafs  in  dem  nachstehend  aus- 
zugsweise   mitgeteilten    Urteile    gesagt   wird,    es    habe    ein   peinliches 


i 


1)  Reusch  citiert  J.  Clarus  L.  V.  §  Haeresis  p.  368:   Si  haereticus  nolit  ad 
fidem  ecclesiae  redire,  tunc  de  consuetudine  igne  comburitur. 

2)  Gebier,  Akten  p.  114. 


Einleitimg.  LXXI 

Verhör  {rujoroso  csame)  stattgefvmden.  Dem  lierrschenden  Spracli- 
gebrauche  gemäfs  scheint  ein  solches  die  wirkliche  Folterung  oder 
doch  die  „schwere  Schreckung"  (tcrntio  f/ravis  oder  realis)  in  sich 
schliefsen  zu  müssen.  Letztere  bestand  darin,  dafs  dem  Verhörten 
nach  Abführung  in  die  Folterkammer  die  Anwendung  der  Folterin- 
strumente erläutert  wurde;  unter  Umständen  wurden  dabei  auch  die 
Vorbereitungen  zur  wirklichen  Folterung  getroffen,  der  Angeklagte 
mufste  sich  entkleiden,  er  wurde  gebunden  u.  s.  w.  Ob  Galilei,  wie 
nach  dem  Texte  des  Urteils  im  Grunde  anzunehmen  ist,  dieser  tcrritio 
realis  unterworfen  wurde,  steht  trotz  des  Wortlauts  in  der  Urteils- 
formel dahin;  denn  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dafs  auch  das  Schlufs- 
verhör  selbst,  von  welchem  bei  nichtgeständigen  Angeklagten  allerdings 
die  Folterung  in  der  Regel  ein  Teil  ist,  rigoroso  csauie  genannt  werden 
kann.  Zur  wirklichen  Ausführung  der  Folterung  kam  es  schwerlich. 
Den  22.  Juni  hatte  Galilei  im  Dominikanerkloster  Santa  Maria 
sopra  Minerva  in  Gegenwart  der  Kardinäle  und  Prälaten  des  heiligen 
Officiums  der  Verlesung  des  in  italienischer  Sprache  abgefafsten  Ur- 
teils beizuwohnen.  Die  Urteilsformel  beginnt  mit  Nennung  der  zehn 
Kardinäle,  die  als  Richter  fungiert  hatten,  von  denen  aber  nur  sieben 
das  Urteil  unterschrieben.  ^)  Darauf  folgt  eine  Rekapitulation  des  frühe- 
ren luquisitiousprocesses,  in  der  das  Sonderverbot  des  Jahres  1616  als 
thatsächlich  ergangen  betrachtet  wird.  Dann  heifst  es  weiter^):  „Da 
nun  unlängst  hier  ein  Buch  erschien,  welches  im  vorigen  Jahre  in 
Florenz  gedruckt  ist  und  dessen  Aufschrift  zeigte,  dafs  du  der  Ver- 
fasser desselben  seiest,  da  der  Titel  lautet:  Biahc/o  di  Galileo  Galilei 
ddU  due  massimi  sisfcmi  del  niondo,  Tolomaico  e  Copernicano,  und  da 
der  h.  Kongregation  mitgeteilt  wurde,  dafs  infolge  der  VeröfFentlichuug 
besagten  Buches  die  falsche  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  und 
dem  Stillestehen  der  Sonne  alle  Tage  mehr  Fufs  fasse:  so  wurde 
besagtes  Buch  sorgfältig  geprüft  und  in  demselben  eine  offenbare  tTber- 
tretung  des  oben  erwähnten,  dir  erceilten  Befehles  gefunden,  indem  du 
in  diesem  Buche  die  früher  verdammte  und  dir  ausdrücklich  als  ver- 
dammt bezeichnete  Lehre  verteidigt  hast,  wiewohl  du  in  besagtem 
Buche  durch  verschiedene  Wendmigen  die  Meinung  zu  erwecken  dich 
bemühest,  du  stelltest  sie  als  unentschieden  und  ausdrücklich  nur  als 
probabel  hin,  was   aber  auch  ein  sehr  schwerer  L*rtum   ist,   da   eine 


1)  Darauf  hat  zuerst  M.  Cautor  aufmerksam  gemacht.  Zeitschrift  f.  Math. 
u.  Phys.     9.  Jahrg.     .-5.  Heft.    p.  11)4. 

•2)  Die  Übersetzung  nach  Reusch,  der  Procefs  Galileis  und  die  Jesuiten  (Bonn 
1879)  p.  325ff. 


LXXII  Einleitung. 

Meinung,  von  welcher  erklärt  und  definiert  worden  ist,  sie  wider- 
spreche der  h.  Schrift,  in  keiner  Weise  probabel  sein  kann. 

„Demgemäfs  wurdest  dii  auf  unseren  Befehl  vor  dieses  h.  Offi- 
cium beschieden,  wo  du  bei  deiner  eidlichen  Vernehmung  das  Buch 
als  von  dir  verfafst  und  in  Druck  gegeben  anerkanntest.  Du  ge- 
standest ein,  dafs  du  vor  etwa  zehn  oder  zwölf  Jahren,  nachdem  dir 
der  oben  erwähnte  Befehl  bereits  erteilt  worden  war,  besagtes  Buch 
zu  schreiben  angefangen  und  dafs  du  die  Erlaubnis  zum  Drucke  des- 
selben nachgesucht  habest,  ohne  denjenigen,  welche  dir  diese  Erlaub- 
nis gaben,  mitzuteilen,  dafs  dir  der  Befehl  erteilt  worden,  die  fragliche 
Lehre  nicht  für  wahr  zu  halten,  zu  verteidigen,  noch  in  irgend  einer 
Weise  zu  lehren. 

„Du  hast  ferner  eingestanden,  besagtes  Buch  sei  an  mehreren 
Stellen  so  gehalten,  dafs  der  Leser  sich  die  Meinung  bilden  könne, 
die  für  die  falsche  Meinung  vorgebrachten  Gründe  seien  so  vorgetragen, 
dafs  sie  eher  durch  ihre  Beweiskraft  geeignet  zu  überzeugen  als  leicht 
zu  widerlegen  seien,  —  indem  du  zu  deiner  Entschuldigung  angäbest, 
du  seiest  in  einen,  wie  du  sagtest,  deiner  Absicht  so  fern  liegenden 
L-rtum  verfallen  infolge  der  Abfassung  des  Buches  in  dialogischer 
Form  und  infolge  des  natürlichen  Gefallens,  welches  jeder  an  seiner 
eigenen  Spitzfindigkeit  und  daran  findet,  sich  scharfsinniger  als  die 
meisten  Menschen  zu  erweisen,  dadurch  dafs  er  auch  für  die  falschen 
Sätze  ingeniöse  und  blendende  Wahrscheinlichkeitsgründe  zu  finden  wisse. 

„Und  nachdem  dir  eine  angemessene  Frist  für  deine  Verteidigung 
gesetzt  worden  war,  hast  du  ein  von  der  Hand  Seiner  Eminenz  des 
Herrn  Kardinals  Bellarmin  geschriebenes  Zeugnis  produciert,  welches 
du,  wie  du  sagtest,  dir  verschafft  hattest,  um  dich  gegen  die  Ver- 
leumdungen deiner  Feinde  zu  verteidigen,  welche  von  dir  sagten,  du 
hättest  abgeschworen  und  seiest  von  dem  h.  Officium  zu  einer  Bufse 
verurteilt  worden.  In  diesem  Zeugnisse  wird  gesagt,  du  hättest  nicht 
abgeschworen  und  seiest  auch  nicht  zu  einer  Bufse  verurteilt,  sondern 
es  sei  dir  nur  die  von  unserem  Herrn  abgegebene  und  von  der  h. 
Kongregation  des  Lidex  publicierte  Erklärung  mitgeteilt  worden,  des 
Inhalts,  dafs  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde  und  dem  Stillestehen 
der  Sonne  der  h.  Schrift  widerspreche  und  darum  nicht  verteidigt  und 
nicht  für  wahr  gehalten  werden  dürfe.  Da  nun  in  diesem  Zeugnisse 
die  beiden  Ausdrücke  des  Befehles,  docere  und  quovis  modo,  nicht  er- 
wähnt werden,  so  müsse  man  glauben,  sagtest  du,  dafs  du  im  Ver- 
laufe von  14  oder  16  Jahren  diese  ganz  aus  dem  Gedächtnisse  ver- 
loren, und  dafs  du  aus  diesem  Grunde  über  den  Befehl  geschwiegen 
hättest,   als    du    die  Erlaubnis   zum  Drucke   des  Buches  nachsuchtest.: 


\ 


Einleitung.  LXXllI 

Alles  dieses  sagtest  du  niclit,  um  deinen  Irrtum  zu  entsckuldigen, 
sondern  damit  er  nicht  bösem  Willen,  sondern  eitelem  Ehrgeiz  zu- 
geschrieben werde.  Besagtes,  von  dir  zu  deiner  Verteidigung  vor- 
gebrachtes Zeugnis  aber  ist  nur  geeignet,  dich  noch  mehr  zu  gravieren, 
nidem  du,  obschon  in  demselben  besagte  Meinung  als  der  h.  Schrift 
widersprechend  bezeichnet  wird,  nichts  destoweniger  gewagt  hast,  sie 
zu  erörtern,  zu  verteidigen  und  als  probabel  darzustellen.  Auch  dient 
dir  nicht  zur  Rechtfertigung  die  Erlaubnis,  welche  du  auf  geschickte 
und  schlaue  Weise  erschlichen  hast,  indem  du  von  dem  dir  erteilten 
Befehle  nichts  sagtest. 

„Da  es  nun  schien,  dafs  du  bezüglich  deiner  Intention  nicht  ganz 
die  Wahrheit  gesagt,  erachteten  wir  es  für  nötig,  das  peinliche  Ver- 
hör mit  dir  anzustellen.  Bei  diesem  hast  du,  —  jedoch  ohne  irgend 
welches  Präjudiz  für  das,  was  bezüglich  deiner  Intention  von  dir  ein- 
gestanden oder  gegen  dich,  wie  oben  erwähnt,  erwiesen  worden,  — 
katholisch  geantwortet.  Deshalb  sind  wir,  nachdem  wir  diese  deine 
Sache  nach  allen  Seiten  samt  deinen  oben  besagten  Geständnissen  imd 
Entschuldigungen  und  allem,  was  von  Rechtswegen  einzusehen  und  zu 
erwägen  war,  eingesehen  und  reiflich  erwogen  haben,  zu  dem  unten 
stehenden  definitiven  Urteile  gegen  dich  gelangt. 

„Nach  Anrufung  also  des  allerheiligsten  Namens  unseres  Herrn 
Jesu  Christi  und  seiner  glorreichen  allzeit  jungfräulichen  Mutter  Maria 
sprechen  wir,  als  Gerichtshof  sitzend,  nach  dem  Rate  und  Gutachten 
der  Hochwürdigen  Magister  der  h.  Theologie  und  der  Doktoren  beider 
Rechte,  die  unsere  Konsultoren  sind,  in  dieser  Schrift  unser  definitives 
Urteil  in  der  Streitsache  und  den  Streitsachen,  die  uns  vorliegen, 
zwischen  Seiner  Magnificenz  Carlo  Sincero,  beider  Rechte  Doktor, 
Fiskal.  Prokurator  dieses  h.  Officiums  einerseits,  und  dir,  Galileo  Galilei, 
als  hier  gegenwärtigem  und,  wie  oben  gesagt,  processiertem  und  ge- 
ständigem Angeklagten  andererseits,  indem  Avir  sagen,  aussprechen, 
urteilen,  erklären:  dafs  du,  oben  besagter  Galileo,  durch  die,  wie  oben 
erwähnt,  im  Processe  erwiesenen  und  von  dir  eingestandenen  Dinge 
dich  diesem  h.  Officium  der  Ketzerei  stark  verdächtig  gemacht  hast, 
nämlich  (verdächtig),  dafs  du  die  falsche  und  den  heiligen  und  gött- 
lichen Schriften  widersprechende  Lehre,  die  Sonne  sei  der  Mittelpunkt 
der  Welt')  und  bewege  sich  nicht  von  Osten  nach  Westen,  und  die 
Erde  bewege  sich  und  sei  nicht  der  Mittelpunkt  der  Welt,  geglaubt 
und  für  wahr  gehalten,  und  (dafs  du  geglaubt  und  für  wahr  gehalten"), 
es   dürfe   eine  Meinung,    auch    nachdem    sie    als   der  h.  Schrift  wider- 

1)  Im  Original  «tekt  „der  Erde". 


LXXIV  Einleitung. 

sprechend  erklärt  und  definiert  worden,  als  walirschemlieh  festgelialten 
nnd  verteidigt  werden;  —  und  dafs  du  infolgedessen  in  alle  Cen- 
suren  luid  Strafen  verfallen  bist,  welclie  durcli  die  h.  Canones  und 
andere  allgemeine  und  besondere  Konstitutionen  gegen  solclie,  die  sicli 
in  ähnlicher  Weise  verfehlt  haben,  festgesetzt  und  promulgiert  worden 
sind.  Wir  genehmigen,  dafs  du  von  diesen  (Censuren  und  Strafen) 
freigesprochen  werdest,  vorausgesetzt,  dafs  du  zuvor  mit  aufrichtigem 
Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben  die  oben  besagten  Irrtümer  und 
Ketzereien,  und  alle  anderen  der  katholischen  und  apostolischen 
Römischen  Kirche  zuwiderlaufenden  Irrtümer  und  Ketzereien  in  der 
Weise,  die  dir  von  uns  wird  angegeben  werden,  vor  ims  abschwörest, 
verfluchest  und  verwünschest. 

„Und  damit  dieser  dein  schwerer  vmd  verderblicher  Irrtum  und 
Fehltritt  nicht  ganz  ungestraft  bleibe  imd  du  in  Zukunft  vorsichtiger 
seiest,  und  zum  Beispiel  für  die  Anderen,  dafs  sie  sich  vor  ähnlichen 
Vergehen  hüten,  verordnen  wir,  dafs  das  Buch  Dialoghi  di  Galileo 
Galilei  durch  einen  öffentlichen  Erlafs  verboten  werde.  Dich  ver- 
urteilen wir  zu  förmlicher  Kerkerhaft  in  diesem  h.  Officium  für  eine 
nach  unserem  Ermessen  zu  bestimmende  Zeit,  imd  legen  dir  als  heil- 
same Bufse  auf,  drei  Jahre  lang  wöchentlich  einmal  die  sieben  Bufs- 
psalmen  zu  beten,  indem  wir  uns  das  Recht  vorbehalten,  besagte 
Strafen  und  Bufsen  zu  ermäfsigeu,  umzuwandeln  oder  ganz  oder  teil- 
weise zu  erlassen. 

„Und  so  sprechen,  verkündigen,  verordnen,  befehlen,  verurteilen 
und  behalten  wir  uns  vor,  in  dieser  und  in  jeder  anderen  besseren 
Weise  und  Form,  wie  wir  von  Rechtswegen  können  imd  müssen." 
[Folgen  die  Unterschriften.] 

Darauf  verlas  Galilei  knieend  die  folgende  AbschwörungsformeP): 

„Ich,  Galileo  Galilei,  Sohn  des  verstorbenen  Vincenzo  Galilei  aus 
Florenz,  siebenzig  Jahre  alt,  persönlich  vor  Gericht  gestellt  und  knieend 
vor  Eueren  Eminenzen,  den  Hochwürdigsten  Herren  Kardinälen  General- 
Inquisitoren  gegen  die  ketzerische  Bosheit  in  der  ganzen  christlichen 
Welt,  vor  meinen  Augen  habend  die  hochheiligen  Evangelien,  die  ich 
mit  meinen  Händen  berühre,  schwöre,  dafs  ich  immer  geglaubt  habe,  jetzt 
glaube  und  mit  Gottes  Hülfe  in  Zukunft  glauben  werde  alles,  was  die 
h.  katholische  und  apostolische  Römische  Kirche  für  wahr  hält, 
predigt  und  lehrt.  Da  ich  aber,  —  nachdem  mir  von  diesem  h.  Of- 
ficium der  gerichtliche  Befehl  verkündet  worden,  ich  müsse  die 
falsche  Meinung,  dafs  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt  und  unbe- 


1)  Die  Übersetzung  im  wesentlichen  nach  Reusch,  a.  a.  0.  p.  329  fF. 


Einleitung.  LXXV 

weglicli  und  die  Erde  nicht  der  Mittelpunkt  sei  und  sich  bewege,  ganz 
aufgeben  und  dürfe  diese  falsche  Lehre  nicht  für  wahr  halten,  ver- 
teidigen, noch  in  irgend  welcher  Weise  lehren,  weder  mündlich  noch 
schriftlich,  und  nachdem  mir  eröffnet  worden,  dafs  diese  Lehre  der 
h.  Schrift  widerspreche,  —  ein  Buch  geschrieben  und  in  Druck  gegeben, 
in  welchem  ich  die  nämliche  bereits  verdammte  Lehre  erörtere  und  mit 
vieler  Bestimmtheit  Gründe  für  dieselbe  anführe,  ohne  eine  Wider- 
legung derselben  beizufügen,  —  und  da  }ich  mich  dadurch  diesem 
h.  Officium  der  Ketzerei  stark  verdächtig  gemacht  habe,  nämlich  (ver- 
dächtig) für  wahr  gehalten  und  geglaubt  zu  haben,  dafs  die  Sonne  der 
Mittelpunkt  der  Welt  und  unbeweglich  und  die  Erde  nicht  der  Mittel- 
punkt sei  und  sich  bewege:  —  darum,  da  ich  wünsche.  Eueren  Emi- 
nenzen und  jedem  Christgläubigen  diesen  gegen  mich  mit  Recht  ge- 
fafsten  starken  Verdacht  zu  benehmen,  schwöre  ich  ab,  verfluche  und 
verwünsche  ich  mit  avifrichtigem  Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben 
besagte  L-rtümer  und  Ketzereien  und  überhaupt  allen  und  jeden 
anderen  der  besagten  h.  Kirche  widersprechenden  Irrtum  und  Sektierer- 
glauben. Und  ich  schwöre,  dafs  ich  in  Zukunft  niemals  mehr  etwas 
sagen  oder  mündlich  oder  schriftlich  behaupten  will,  woraus  mau  einen 
ähnlichen  Verdacht  gegen  mich  schöpfen  könnte,  und  dafs  ich,  weim 
ich  irgend  einen  Ketzer  oder  der  Ketzerei  Verdächtigen  kennen  lerne, 
denselben  diesem  h.  Officium  oder  dem  Inquisitor  und  Ordinarius  des 
Ortes,  wo  ich  mich  befinde,  denuncieren  will.  Ich  schwöre  auch  und 
verspreche,  alle  Bufsen  pünktlich  zu  erfüllen  und  zu  beobachten,  welche 
mir  von  diesem  h.  Officium  sind  aufgelegt  worden  oder  werden  aufgelegt 
werden.  Und  sollte  ich,  was  Gott  verhüten  Avolle,  irgend  einer  meiner 
besagten  Versprechungen,  Beteuerungen  oder  Schwüre  zuwiderhandeln, 
so  unterwerfe  ich  mich  allen  Strafen  und  Züchtigungen,  welche  durch 
die  h.  Canones  und  andere  allgemeine  imd  besondere  Konstitutionen 
gegen  solche,  die  sich  in  solcher  Weise  vergehen,  festgesetzt  und  pro- 
mulgiert worden  sind.  So  Avahr  mir  Gott  helfe  und  diese  seine 
h.  Evangelien,  die  ich  mit  meinen  Händen  berühre. 

„Ich,  besagter  Galileo  Galilei,  habe  abgeschworen,  geschworen 
und  versprochen  und  mich  verpflichtet,  wie  vorstehend,  und  zur  Be- 
glaubigung habe  ich  diese  Urkunde  meiner  Abschwörung,  die  ich  Wort 
für  Wort  verlesen,  eigenhändig  unterschrieben. 

„Rom  im  Kloster  der  Minerva  am  22.  Juni  1633. 

„Ich,  Galileo  Galilei,  habe  abgeschworen  wie  vorstehend,  mit 
eigener  Hand." 

Mit  diesem  erzwungenen  Meineide,  den  Galilei  selbstverständlich 
nicht,    wie   die  Sage   erzählt,    durch   ein  „Und   sie   bewegt   sich   doch" 


LXXVI  Einleitung. 


zurückualim^  erreichte  die  Seene  eiu  Ende,  eine  der  barbarisclisten, 
welche  in  der  Weltgeschichte  aufgeführt  wurden.  Galilei  wurde  darauf 
wieder  im  Inquisitionsgebäude  inhaftiert,  wo  er  sich  seit  dem  Tage 
des  Schluisverhörs  aufgehalten  hatte.  Er  verblieb  dort  bis  zum 
24.  Juni  und  wurde  dann  zunächst  wieder  in  den  toskanischen  Ge- 
sandtschaftspalast gebracht.  Bald  darauf  entliefs  man  ihn  nach  Siena, 
wo  er  bei  dem  Erzbischofe  Ascanio  Piccolomini,  einem  seiner  früheren 
Schüler,  bis  zum  Dezember  1633  verblieb,  um  dann  auf  eine  Villa  bei 
Florenz  stets  unter  Aufsicht  der  Inciuisition  überzusiedeln.  Diese  lag 
nahe  bei  dem  Kloster  S.  Matteo  in  Arcetri,  wo  Galileis  beide  Töchter 
als  Nonnen  lebten.^) 

Inzwischen  wurde  allenthalben  inner-  und  aufserhalb  Italiens  das 
gegen  Galilei  ergangene  Urteil  publi eiert;  der  Dialog  wurde  auf  den 
Index  gesetzt.     Als   man  endlich  im  Jahre  1757   die  Bücher,   welche  4 

die  koperuikanische  Theorie  lehrten,  freigab,  hielt  man  gleichwohl  das 
Verbot  des  Dialogs  aufrecht.  Die  Index- Ausgabe  vom  Jahre  1819  ent- 
hielt es  noch,  erst  am  25.  September  1822  wurde  es  aufgehoben;  die 
erste  Ausgabe  des  Index,  welche  den  Dialog  nicht  mehr  erwähnt, 
ist  die  vom  Jahre  1835.  Die  natürliche  Folge  des  Verbots  war, 
dafs  man  sich  heimlich  vielfach  bemühte,  Exemplare  aufzutreiben; 
4—6  Scudi  wurden  für  das  Buch  bezahlt,  für  damalige  Zeit  ein  sehr 
hoher  Preis.  Die  Inquisition  ging  noch  weiter,  sie  untersagte  Galilei 
auch,  irgendwelche  früheren  Schriften  neu  auflegen  zu  lassen  oder 
eine  neue  zu  veröffentlichen.  Glücklicherweise  fand  Galilei  Mittel,  diese 
Anordnimg  zu  umgehen. 

Was  den  Dialog  betrifft,  so  beschäftigte  sich  Galilei  auch  nach 
der  Veröffentlichung  desselben  und  nach  seiner  Verurteilung  mit  den 
darin  behandelten  Gegenständen.  Wie  er  es  bei  fremden  Schriften  zu 
thun  pflegte,  so  schrieb  er  auch  zu  seinem  eigenen  Werke  Randbe- 
merkungen. Die  Seminarbibliothek  zu  Padua  besitzt  noch  heute  ein 
Exemplar  der  editio  princeps  mit  handschriftlichen  Bemerkungen  Gali- 
leis; diese  sind  teilweise  in  die  späteren  Ausgaben,  freilich  oft  an 
unpassende  Stelle,  aufgenommen  worden,  zuerst  in  die  von  Toaldo  be- 
sorgte paduauische  Ausgabe  vom  Jahre  1744.  Vollständig  herausgegeben 
wurden  diese  Zusätze  von  Favaro^),  die  wichtigsten  sind  auch  in  unserer 
Ausgabe    übersetzt.     Einige    derselben    scheinen   gegen   den  Tractatus 

1)  Galilei  hatte  drei  uneheliclie  Kinder,  einen  Sohn  Vincenzo  und  zwei 
Töchter. 

2)  Antonio  Favaro,  Le  Aggiunte  Autografe  di  Galileo  al  Dialogo  sopra 
i  due  Massimi  Sistemi  nell'  Exemplaxe  posseduto  dalla  Biblioteca  del  Seminario 
di  Padova.     Modena  1880. 


Einleitung.  LXXVII 

syllepticus  (Rom  1633)  des  Jesuiten  Melchior  Inchofer  gerielitet  zu 
seiii^  eines  wütenden  Gegners  Galileis,  der  als  Begutachter  des  Dialogs 
loci  dem  Processe  mitgewirkt  hatte  und  der  in  der  genannten  Schrift 
behauptete,  die  koperuikanische  Lehre  sei  eine  ärgere  Ketzerei  als  die 
Leuguung  der  Unsterblichkeit  der  Seele  und  der  Schöpfung.') 

Der  Dialog  rief  eine  grofse  Zahl  von  Gegenschriften  hervor.  Zu- 
nächst erhob  der  s ehr iftge wandte  Chiaramonti,  der  es  seit  1628  zum 
Professor  in  Pisa  gebracht  hatte,  Protest  gegen  die  ihm  widerfahrene 
niederschmetternde  Kritik.  Seine  Schrift  führt  den  Titel:  Difesa  dl 
Scipione  Chiaramonti  da  Cesena  al  suo  AntUicone  e  Libro  delle  tre  nuove 
Stelle  dair  Oppositioni  ddV  Autore  de'  Diie  massimi  Sistemi  Tolemaico, 
e  Copernicano.  In  Firenze  appresso  il  Landini  1633.  Die  Antwort  ist 
betreffs  der  meisten  Punkte  ungemein  schwach,  in  manchen  Fällen 
geradezu  komisch.  Indessen  ist  auch  einiges  Richtige  darin;  nament- 
lich hebt  Ch.  hervor,  dafs  sein  erstes  Argument  gegen  die  koperui- 
kanische Lehre  in  dem  liber  de  trihiis  novis  stellis  von  Galilei  nicht 
beantwortet  worden  sei.  Es  war  dies  der  Einwurf,  dafs  Kopernikus 
nicht,  wie  er  es  in  Aussicht  stelle,  alle  Bewegungen  der  Himmels- 
körper aus  gleichförmigen  Kreisbewegungen  zusammensetze.  Dieser 
Einwurf  gehörte  freilich  zu  jenen,  die  „das  Haus  niederreifsen,  weil 
der  Ofen  raucht",  und  mit  diesen  beschäftigte  sich  Galilei  im  Dialoge 
überhaupt  nicht. 

Scheiner  liefs  zwar  gleich  nach  dem  Erscheinen  des  galileischen 
Buches,  in  welchem  er  so  heftig  angegriffen  wurde,  eine  Gegenschrift 
ankündigen.  Dieselbe  erschien  aber  erst  "nach  seinem  Tode;  sie  führt 
den  Titel  Christophorl  Scheinerl  Prodromus  pro  Sole  mohili  et  Terra 
staUli  contra  Galilaeum  a  Galäaeis  (Pragae  1651).  Er  scheint  es  vor- 
gezogen zu  haben,  den  Angriffen  Galileis  mit  fühlbareren  Waffen  als 
der  Feder  entgegen  zu  treten.  —  AVeitere  Gegenschriften  wurden  von 
Antonio  Rocco,  Giovanni  Barenghi,  dem  obengenannten  Melchior 
Inchofer  und  anderen  verfafst;  bis  in  unser  Jahrhmidert  hinein  reichen 
die  letzten  Spuren  des  Kampfes  gegen  die  kopernikanische  Lehre. 

Galileis  letzte  Lebensjahre  waren  von  Bitterkeit  und  Leiden  ver- 
giftet. Man  behandelte  ihn  auch  nach  seiner  Verurteilung  hart;  sein 
Gesuch,  wegen  körperlicher  Leiden  von  Arcetri  nach  Florenz  ziehen 
zu  dürfen,  wurde  abgelehnt;  der  Inquisitor  von  Florenz  mufste  Galilei 
bedeuten,  er  solle  sich  solcher  Gesuche  in  Zukunft  enthalten,  sonst 
werde  man  ihn  in  den  Kerker  der  Inquisition  zurückbringen  müssen. 
Dieser  Bescheid  ging  ihm  in  dem  Augenblicke  zu,   wo   er  von   seiner 


1)  Op.  VII,  49. 


LXXVIII  Einleitung. 

mit  dem  Tode  kämpfenden  Tochter  zurückkehrte,  die  denn  auch  kurz 
darauf  verstarb.  Seine  sehr  ausgebreitete  Korrespondenz  wurde  über- 
wacht, imd  was  uns  davon  erhalten  ist,  ist  unsäghch  rührend.  Schon 
längst  war  sein  Augenlicht  geschwächt,  im  Dezember  1637  erblindete 
er  gänzlich.  Da  endlich  im  März  1638  wurde  ihm  gestattet,  sein 
Haus  in  Florenz  wieder  zu  beziehen;  unter  Androhung  jedoch  von 
schweren  Strafen,  wenn  er  in  die  Stadt  ginge  oder  mit  irgend  jemand 
über  die  koperuikanische  Lehre  spräche.  Meist  zog  indessen  Galilei 
selbst  den  Aufenthalt  in  Arcetri  vor.  —  Aber  trotz  aller  nieder- 
schmetternden Erlebnisse  gab  er  sich  nicht  müfsigen  Klagen  hin;  er 
führte  vielmehr,  wie  gesagt,  einen  lebhaften  Avissenschaftlichen  Brief- 
wechsel und  vollendete  in  unverwüstlicher  Geistesfrische  sein  herr- 
lichstes Werk,  die  Discorsl  delle  nuovc  seiende,  durch  welche  er  der  Be- 
gründer der  theoretischen  Physik  geworden  ist;  diese  Geistesschöpfuug 
ohne  gleichen  mufste  sich  auf  Schleichwegen  in  die  Litteratur  stehlen. 
Nach  mancherlei  Schwierigkeiten  nämlich  wurden  die  Discorsi  durch 
Vermittlung  des  Grafen  Noailles  1638  im  Elzevirschen  Verlage  ge- 
druckt. Da  man  aber  Galilei  verboten  hatte,  irgend  welche  Schriften 
zu  veröffentlichen,  so  war  er  genötigt,  sich  den  Anschein  zu  geben, 
als  sei  die  Drucklegung  ohne  sein  Wissen  erfolgt.  —  Ähnlich  war  es 
mit  der  lateinischen  Übersetzung  des  Dialogs  von  Bernegger^)  und  der 
des  Briefes  an  Christina  von  Elia  Diodati  (unter  dem  Pseudonym 
Robertus  Robertinus)  gegangen.  Auch  eine  flämische  Übersetzung 
des  Dialogs  von  de  Weerdt  sollte  bei  den  Elzevir  erscheinen,  es 
ist  dieser  Plan  aber  nicht  zur  Ausführung  gekommen  (Op.  X,  252). 
Hingegen  wurde  wirklich  eine  Übertragung  ins  Englische  vorgenommen ; 
ob  es  dieselbe  ist,  die  1661  — 1665  von  Thomas  Salusbury  in  London 
veröffentlicht  wurde,  ist  zweifelhaft.  (Vgl.  Favaro,  Sopra  una  tradazioue 
inylese  lU  alcune  opere  di  Galileo  in  der  Rivista  delle  BiUioteche  man.  18 
und  19,  sowie  Op.  VH,  140.)  Viviani  erwähnt  in  seiner  Biograj)hie 
Galileis  aufserdem  eine  französische  und  eine  deutsche  Übersetzung; 
indessen  ist  diese  Angabe  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  irrig,  wenigstens 
ist  es  mir  nicht  gelungen,  irgend  welche  Spur  von  ihnen  zu  entdecken. 


1)  Systema  Cosmicum,  Authore  Galilaeo  Galilaei  Lynceo,  Academiae  Pisanae 
Mathematico  extraordinario,  Serenissimi  Magni-Ducis  Hetruriae  Philosopho  et 
Mathematico  Primario.  In  quo  Quatuor  Dialogis,  De  Duobus  Maximis  Mundi 
Systematibus,  Ptolemaico  &  Copemicano,  Utriusque  rationibus  Philosophicis  ac 
Naturalibus  indefinite  propositis,  disseritur.  Ex  Italica  lingua  Latine  conuersum. 
Accedit  Appendix  gemina,  qua  SS.  Scripturae  dicta  cum  Terrae  mobilitate  con- 
ciliantur.  Augustae  Treboc.  Impensis  Elzeviriorum ,  Typis  Davidis  Hautti. 
Anno  1G35.     Dieselbe  Übersetzung  erschien  mehrfach  mit  veränd^tem  Titel. 


Einleitung.  LXXIX 

Bis  in  die  letzten  Lebensjahre  blieb  Galilei  wissenscbaftlich  tbätig. 
Da  er  nicht  mehr  schreiben  konnte^  diktierte  er  oder  machte  münd- 
liche Mitteilnngen.  Namentlich  war  es  der  junge  Viviani^  der  ihm  bis 
zuletzt  treu  zur  Seite  stand,  dem  wir  seine  erste  Biographie  ver- 
danken, und  der  noch  manchen  bedeutsamen  Gedanken  des  grofsen 
Mannes  der  Vergessenheit  entrifs.  Am  8.  Januar  1G42,  in  dem  Jahre, 
wo  Newton  geboren  wurde,  starb  Galilei  in  Gegenwart  seines  Sohnes 
Vincenzo,  seiner  Schwiegertochter,  seiner  Schüler  Viviani  und  Torricelli, 
des  Pfarrers  und  zweier  Vertreter  des  h.  Officiums.  Auch  über  seine 
Bestattmig  entspann  sich  noch  ein  häfslicher  Streit;  schliefslich  wurde 
er  in  aller  Stille  in  einer  Nebenkapelle  der  Kirche  Santa  Croce  zu 
Florenz  beigesetzt.  Im  Jahre  1737  wurden  seine  Gebeine  in  das  linke 
Seitenschiff  der  lürche  übergeführt,  wo  sie  neben  denen  Vivianis 
ruhen;  ein  prächtiges  Denkmal  entschädigt  den  Toten  für  die  grau- 
same Verfolffung,  die  er  als  Lebender  erlitten. 


l 


^ 


1 


^■1 


D  I  A  LOGO 

D    I 

GALILEO  GALILEI  LINCEO 

MATEMATICO  SOPRAORDINARIO 

DELLO   STVDIO   DI   PISA. 

R  Filo/ofo,  e  Matematico  primär io  del 

SERENISSIMO 

GR.  DVCA  DI  TOSCANA. 

Doue  ne  i  congrefli  di  quattro  giornate  li  difcorre 
fopra  i  due 

MASSIMI  SISTEMI  DEL  MONDO 

TOLEMAICO,  E  COPERNICANO; 

Propoyiendo  indeterminatmnente  le  ragmii  Filofofiche,  c  Natiirali 
tanto  per  Pvna ,  quavto  per  Paltra  parte. 


CON  PRI    XfM^^TW^     VILEGI 


IN  FIORENZA,  Per  GioiBatifta  Landini  MDCXXXII. 
CON  LICENZA  DE'  SVPERIORl 


Imprimatur   ü   videbitur   Reuerendifs.    P.  Magiftro   Sacri 
Palatij   Apoftolici. 

A.  Epifcopus  Bellicaftenfis  Vicesgerens. 

Imprimatur 

Fr.  Nicolaus  Riccardius 

Sacri  Palatij  Apoftolici  Magifter. 

Imprimatur  Florentiae  ordinibus  confuetis  feriiatis. 
II.  Septembris  i6jo. 

Petrus  Nicolinus  Vic.  Geuer.  Florentiae. 

bnprimatur  die  ii .  Septembris  löjo. 

Fr.  Clemens  Fgidius  Inxjn.  Gener.  Florentiae. 

Stainpiß  adi  12.  di  Seftembre  i6jo. 
Niccolö  de  IT  Altella. 


h^-l 


Durchlaiiclitigster  Grof sherzog. ') 

So  selir  der  Mensch  von  jeglichem  anderen  i\e- 
schüpfe  sich  miterscheiden  mag,  so  wäre  doch  die 
Behauptung  nicht  eben  ungereimt,  dafs  die  Menschen 
unter  einander  kaum  minder  verschieden  sind.  Was  will 
Eins  gegen  Tausend  heifsen?  Doch  aber  püegt  man  zu 
sagen,  dafs  ein  Mann  für  tausend  gilt,  wo  tausend  nicht 
für  einen  gelten.  Solche  Wertverschiedenheit  schreibt  sich 
her  von  der  Ungleichheit  in  der  geistigen  Befähigung  des 
Menschen;  oder,  was  meines  Bedünkens  dasselbe  ist.  davon, 
ob  man  Philosoph  ist  oder  nicht:  denn  die  Philosophie,  als 
eigentliche  Geistesnahrung,  erhebt  den,  der  sie  geniefsen 
kann,  mehr  oder  minder  hoch  über  den  gemeinen  Haufen 
des  Volks,  je  nach  der  verschiedenen  Beschaffenheit  dieser 
Speise.  Wer  nach  höherem  Ziele  trachtet,  nimmt  den 
höheren  Eang  ein;  das  rechte  Mittel  aber  den  Blick  auf- 
wärts zu  lenken,  liegt  in  der  Beschäftigung  mit  dem 
grofsen  Buche  der  Natur,  dem  eigentlichen  Gegenstande 
der  Philosophie.  Obgleich  alles,  was  in  diesem  Buche 
zu  lesen  steht,  das  Erzeugnis  eines  allmächtigen  Künstlers 
und  somit  aufs  angemessenste  gegliedert  ist,  so  ist  doch 

Galilei,  Weltsysteme.  1 


2  [9.   10.] 

dasjenige  das  Nächste  und  Erforsch enswerteste.  was  uns 
das  Werk  und  die  darauf  verwendete  Kunst  von  der  er- 
habensten Seite  zeigt.  Der  Bau  des  Weltalls  verdient 
daher  nach  meiner  Ansicht  an  erster  Stelle  genannt  zu 
werden.  Denn  wie  er  allumfassend  alles  Andere  an  Grüfse 
übertrifft,  so  mufs  er  auch,  als  Kichtschnur  und  Stütze 
für  jegliches  Einzelding,  dem  Range  nach  diesen  voran- 
gehen. Wenn  es  daher  je  einem  Menschen  gelang,  sich 
geistig  vor  der  übrigen  Menschheit  ungewöhnlich  hervor- 
zuthun,  so  war  dies  mit  Ptolemäus  mid  Kopernikus  der 
Fall,  die  so  erhabene  Gedanken  im  Weltenbau  zu  lesen, 
zu  schauen,  zu  erforschen  wufsten.  Um  die  Werke  dieser 
Männer  drehen  sich  wesentlich  meine  vorliegenden  Ge- 
spräche; ich  glaubte  daher,  sie  keinem  Anderen  widmen 
zu  dürfen  als  Euerer  Hoheit.  Gleichwie  ihr  Inhalt  nämlich 
auf  den  Leistungen  dieser  Beiden  beruht,  meines  Erachtens 
der  gröfsten  Geister,  welche  uns  in  ihren  Werken  der- 
gleichen Untersuchungen  hinterlassen  haben,  so  ziemte  es 
sich,  um  der  Bedeutung  des  Gegenstandes  nicht  Abbruch 
zu  thun,  sie  zu  stützen  auf  die  Gunst  des  Gröfsten,  den 
ich  kenne,  auf  dafs  sie  Ruhm  und  Schutz  durch  ihn 
gewinnen  möchten.  Und  wenn  jene  beiden  mein  Denken 
so  erleuchtet  haben,  dafs  mein  vorliegendes  Werk  grofsen- 
teils  als  das  ihre  gelten  kann,  so  darf  es  auch  als  geistiges 
Eigentum  Euerer  Hoheit  angesehen  werden,  die  in  der 
Fülle  Hirer  Grofsmut  mir  Mufse  und  Ruhe  zur  Abfassung 
meines  Buches  gegeben  und,  nimmer  müde  mich  zu 
ehren,  mit  wirksamer  Unterstützung  schliefslich  die  Ver- 
öffentlichung desselben  ermöglicht  hat.  Möge  daher  Euere 
Hoheit    es    mit    gewohnter    Güte    entgegennehmen,    und 


|io.]  3 

wenn  sich  etliches  darin  findet,  was  den  Freunden  der 
Wahrheit  Erkenntnis  und  Vergnügen  bereiten  sollte,  so 
möge  solches  gelten  als  das  Werk  Euerer  Hoheit,  die 
durch  Ihre  Hilfsbereitschaft  bewirkt  hat,  dafs  in  Dero 
glücklichem  Reiche  Niemand  etwas  verspürt  von  den  ge- 
wöhnlichen iNöten  der  Welt.  Indem  ich  den  Segen  des 
Himmels  auf  Euere  Hoheit  herabflehe,  auf  dafs  diese 
fromme  und  hochherzige  Gepflogenheit  allezeit  mehr  sich 
l)ewähren  könne,  versichere  ich  Euere  Hoheit  meiner 
demütigsten  Ergebenheit. 

Euerer  Durchlauchtigsten  Hoheit 

demütigster  und  ergebenster  Diener  und  Yasall 

Galileo  Galilei. 


[11.] 


All  den  geneigten  Leser.-) 

In  den  letzten  Jahren  erliefs  man  in  Rom  ein  heilsames 
Edikt,  welches  den  gefährlichen  Ärgernissen  der  Gegenwart 
begegnen  sollte  und  der  pythagoreischen  Ansicht,  dafs  die 
Erde  sich  bewege,  rechtzeitiges  Schweigen  auferlegte.  Es  fehlte 
nicht  an  Stimmen,  w^elche  in  den  Tag  hinein  behaupteten, 
jener  Beschlufs  verdanke  seine  Entstehung  nicht  einer  sach- 
verständigen Prüfung,  sondern  sei  hervorgegangen  aus  Partei- 
leidenschaft, der  nicht  genügende  Kenntnisse  zur  Seite  stünden. 
Es  wurden  Klagen  laut,  dafs  Konsultoren,  welche  mit  dem 
Stande  der  astronomischen  Wissenschaft  völlig  unbekannt 
seien,  durch  ein  plötzliches  Verbot  den  forschenden  Cleistern 
die  Flügel  nicht  hätten  stutzen  sollen.  Unmöglich  konnte 
mein  Eifer  beim  Anhören  so  leichtfertiger  Beschwerden  stille 
bleiben.  Wohlvertraut  mit  jenem  so  weisen  Beschlüsse,  ent- 
schied ich  mich  dafür  auf  der  Schaubühne  der  Welt  als  Zeuge 
aufrichtiger  Wahrheit  aufzutreten.  Ich  w^ar  damals  in  Rom 
anwesend;  ich  hatte  die  höchsten  geistlichen  Würdenträger 
des  dortigen  Hofes  nicht  nur  zu  Zuhörern,  sondern  fand  auch 
ihren  Beifall.  So  erfolgte  denn  die  Veröffentlichung  jenes 
Dekrets  nicht,  ohne  dafs  man  mich  vorher  einigermafsen  davon 
in  Kenntnis  gesetzt  hätte.  Darum  ist  meine  Absicht  in  vor- 
liegender   mühevoller   Arbeit    den  fremden   Nationen    zu  be- 


M«-]  •  5 

weisen,  dafs  man  in  Italien  und  insbesondere  in  Rom  ül)er 
diese  Materie  ebenso  viel  weifs,  als  nur  immer  die  Forschung 
des  Auslandes  darüber  ermittelt  haben  mag.  Durch  Zusammen- 
stellung aller  eigenen  Untersuchungen  über  das  kopernika- 
nische  System  will  ich  zeigen,  dafs  die  Erkenntnis  von  alle 
dem  der  römischen  Zensur  voranging,  dafs  mithin  dieser 
Himmelsstrich  nicht  nur  die  Heimat  der  Dogmen  für  das 
Seelenheil  ist,  sondern  dafs  auch  die  scharfsinnigen  Ent- 
deckungen zur  Vergnügung  der  Geister  von  ihm  aus- 
gehen. 

Zu  diesem  Zwecke  habe  ich  im  Laufe  der  Unterredung 
die  Partei  des  Kopernikus  ergriffen,  wobei  ich  von  seinem 
System  ganz  nach  mathematischer  Weise  als  von  einer  Voraus- 
setzung ausgehe  und  mit  Hilfe  aller  möglichen  Kunstgriffe 
nachzuweisen  suche,  dafs  dieses  System  dem  von  der  Unbe- 
wegtheit  der  Erde  zwar  nicht  schlechthin  überlegen  ist, 
wohl  aber  in  Ansehung  der  Gegengründe,  die  von  den  zünf- 
tigen Peripatetikern  vorgebracht  werden.  Diese  Leute  geben 
sich  zufrieden,  im  Widerspruch  mit  ihrem  Namen ^),  Gespenster 
zu  verehren,  ohne  umherzu wandeln;  sie  suchen  nicht  vermöge 
eigenen  Nachdenkens  die  Wahrheit  zu  erforschen,  sondern 
einzig  und  allein  mittels  der  Erinnerung  an  vier  mifs ver- 
standene Principien. 

Drei  Hauptpunkte  werden  erörtert  werden.  Zuerst  werde 
ich  zu  beweisen  suchen;,  dafs  alle  auf  Erden  anstellbaren 
Versuche  ungenügende  Mittel  sind,  um  deren  Bewegung  dar- 
zuthun,  dafs  solche  vielmehr  unterschiedslos  ebensowohl  mit 
der  Bewegung  wie  mit  der  Ruhe  der  Erde  vereinbar  sind; 
bei  diesem  Anlafs  werden^  wie  ich  hoffe,  viele  dem  Altertum 
unbekannte  Beobachtungen  zur  Sprache  kommen.  Zweitens 
werden  die  Himmelserscheinungen  einer  Prüfung  unterzogen 
werden,    welche   so    sehr    zu    Gunsten    der    kopernikanischen 


6  ^  [11-  12.] 

Annahme  ausfällt,  als  ob  diese  durchaus  siegreich  daraus 
hervorgehen  sollte;  dabei  werden  neue  Forschungen  vorgeführt 
werden,  die  als  astronomische  Hilfsmittel  zu  betrachten  sind, 
nicht  aber  als  thatsächlich  gültige  Naturgesetze.  Drittens 
werde  ich  eine  geistreiche  Phantasie  zur  Sprache  bringen. 
Ich  habe  vor  vielen  Jahren  einmal  ausgesprochen,  dafs  auf 
das  dunkle  Problem  von  Ebbe  und  Flut  einiges  Licht  fallen 
könnte,  sobald  man  die  Bewegung  der  Erde  einräumen  wollte. 
Dieser  mein  Ausspruch  verbreitete  sich  von  Mund  zu  Mund, 
und  es  fanden  sich  barmherzige  Pflegeväter^),  welche  die 
arme  Waise  als  Kind  ihres  eigenen  Geistes  annahmen.  Damit 
nun  nicht  dereinst  ein  Fremder,  mit  unseren  eigenen  Waffen 
kämpfend,  vor  uns  hintrete  und  uns  schelte  wegen  der  ge- 
ringen Aufmerksamkeit,  die  wir  einer  so  wichtigen  Natur- 
erscheinung gewidmet  hätten,  hal^e  ich  es  für  richtig  gehalten, 
die  Gründe  darzulegen,  welche  die  Sache  plausibel  machen 
unter  der  Annahme,  dafs  die  Erde  sich  bewege.  Diese  Unter- 
suchungen werden  hoffentlich  der  Welt  beweisen,  dafs  andere 
Nationen  zwar  in  gröfserem  Umfange  Schiffahrt  betreiben 
mögen,  dafs  wir  ihnen  aber  in  wissenschaftlicher  Forschung 
nichts  nachgeben;  dafs,  wenn  wir  uns  bescheiden  die  Unbe- 
weglichkeit  der  Erde  zu  behaupten  und  die  gegenteilige  An- 
nahme nur  als  eine  mathematische  Grille  betrachten,  dies 
nicht  aus  Unkenntnis  der  Ideen  anderer  geschieht;  dafs  wir 
vielmehr,  von  anderem  abgesehen,  dies  aus  den  Gründen  thun, 
welche  die  Frömmigkeit,  die  Religion,  die  Erkenntnis  der 
göttlichen  Allmacht  und  das  Bewufstsein  von  der  Unzuläng- 
lichkeit des  Menschengeistes  uns  an  die  Hand  geben. 

Ich  dachte  weiter,  es  sei  von  grofsem  Vorteil  diese  Ge- 
danken in  Form  eines  Gesprächs  zu  entwickeln,  weil  ein 
solches  nicht  an  die  strenge  Innehaltung  der  mathematischen 
Gesetze    gebunden    ist    und    hie   und   da    zu   Abschweifungen 


[12.]  7 

(Jelegenheit  Ijietot,  die  iiichtj  iiiiiickT  interessant  sind  als  der 
Hauptgegenstand. 

Ich  besuchte  vor  vielen  Jahren  des  öfteren  die  Wunder- 
stadt Venedig  und  verkehrte  daselbst  mit  dem  Signore  Giovan 
Francesco  Sagredo''),  einem  Manne  von  vornehmster  Abkunft 
und  ausgezeichnetem  Scharfsinn.  Eben  dahin  kam  aus  Florenz 
Signore  Filippo  Salviati,  dessen  geringster  Ruhm  sein  edeles 
Blut  und  sein  glänzender  Reichtum  war;  ein  erhabener  Geist, 
der  nach  keinem  Genüsse  mehr  trachtete  als  nach  dem  des 
Forschens  und  Denkens.  Mit  diesen  beiden  unterhielt  ich 
mich  oft  über  die  erwähnten  Fragen  und  zwar  im  Beisein 
eines  peripatetischen  Philosophen,  dem  scheinbar  nichts  so 
sehr  die  Erkenntnis  der  Wahrheit  erschwerte,  als  der 
Ruhm,  den  er  durch  seine  Auslegungen  des  Aristoteles  er- 
worben hatte. 

Jetzt,  nachdem  der  grausame  Tod  den  Städten  Venedig 
und  Florenz  jene  beiden  erleuchteten  Männer  in  der  Blüte 
ihrer  Jahre  geraubt  hat,  habe  ich  versucht,  soweit  meine 
schwachen  Kräfte  es  vermögen,  sie  zu  ihrem  Ruhme  auf 
diesen  Blättern  fortleben  zu  lassen,  indem  ich  sie  als  redende 
Personen  an  den  vorliegenden  Gesprächen  sich  beteiligen 
lasse.  Auch  der  wackere  Peripatetiker  soll  nicht  fehlen; 
wegen  seiner  übermäfsigen  Vorliebe  für  die  Kommentare  des 
Simplicius,  schien  es  passend  unter  Verschweigung  seines 
wahren  Namens  ihm  den  seines  Lieblingsautors  zu  belassen. 
Mögen  die  Seelen  jener  beiden  grofsen  Männer,  die  meinem 
Herzen  stets  verehrungs würdig  bleiben  werden,  das  offen tliche 
Denkmal  meiner  nie  ersterbenden  Liel)e  hinnehmen;  mö<^e 
das  Andenken  an  ihre  Beredsamkeit  mir  behülflich  sein,  der 
Nachwelt  die  versprochenen  Untersuchungen  klar  darzulegen. 

Es  hatten  gelegentlich  allerlei  Unterredungen  zwischen 
genannten  Herren  stattgefunden,  die,  wie  es  zu  gehen  pflegt, 


8  [12.J 

willkürlich  heransgegriffeDe  Punkte  betrafen.  Dadurch  aber 
wurde  der  Durst  nach  Erkenntnis  in  ihren  Geistern  nur 
entflammt,  nicht  gelöscht.  Sie  fafsten  daher  den  klugen  Ent- 
schlufs  sich  an  einigen  Tagen  zusammenzufinden,  um  unter 
Ausschlufs  jedes  anderen  Geschäftes  in  geordneterer  Weise 
der  Betrachtung  und  Verehrung  der  himmlischen  und  irdischen 
Wunderwerke  Gottes  obzuliegen.  Als  die  Gesellschaft  im 
Palaste  des  erlauchten  S,  Sagredo  beisammen  war,  hub  nach 
den  üblichen,  aber  kurzen  Begrüfsungsceremonien  S.  Salviati 
folgendermafsen  an: 


I  i;i  14. 


Erster  Tag. 

Personen:  Salviati,  Sagredo  und  Simplicio. 

Salv.     Bei    unsereu    gestrigen    Gesprächen    sind    wir    sclilieislicli 
übereingekommen,  heute  so  klar  und  eingehend  als  möglich  diejenigen 
natürlichen  Gründe*^)   auf  ihre  Beweiskraft  hin   zu   prüfen,    welche   zu 
(hmsten   der   einen   und    der   anderen  Ansicht   von   den  Verehrern   der 
aristotelisch-ptolemäischen  Lehre  einerseits  und  von  den  Anhängern  des 
kopernikanischen  Systems  andererseits  bisher  vorgebracht  worden  sind. 
Da  nun  Kopernikus  die  Erde  zu  den  bewegten  Himmelskörpern  rechnet  beuachtct''"dic 
und  demgemäfs  sie  als  einen  Ball  gleich  den  Planeten  betrachtet,   so  3^^^  fi^ch'den 
werden  wir  zweckmäfsig  zunächst  untersuchen,  wie  es  um  die  Triftig-      Planeten, 
keit  und  Überzeugungskraft  derjenigen  peripatetischen  Schlüsse   steht, 
welche  erweisen  sollen,  eine  solche  Amiahme  sei  schlechthin  unmöglich, 
insofern    in    der    Natur    zweierlei    verschiedene    Substanzen    zu    imter- 
scheiden    seien,    eine    himmlische    und    eine    elementare''),   jene    unver- sSsTa'^lennot- 
äuderlich  und  unzerstörbar,  diese  veränderlich  und  vergänglich.    Diesen  rnderifch^^eie- 
Gegenstand  behandelt   er«)   in   der  Schrift  „Über  den  Himmel",  indem  Xuch  tacl" 
er  zuerst  seine  Ansicht  von  gewissen  allgemeinen  Gesichtspunkten  aus  "'^"^s't^Ieies.^"' 
wahrscheinlich  zu   machen   sucht   und  sie   dann  durch  speciellere  Er- 
fahrungen und  Beweise  stützt.     Ich  will   den  Gegenstand  in  der  näm- 
lichen Reihenfolge  behandeln   und  dann   meine  Ansicht   freimütig  mit- 
teilen;  ich   lasse  mir  dabei   gerne  Euere  Kritik  gefallen,   insbesondere 
die  des  Signore  Simplicio,   eines  so  eifrigen  Ivämj)en  und  Verteidigers 
der  aristotelischen  Lehre. 

Das  erste  Glied  in  der  Schlufskette  der  Peripatetiker  besteht  dariu, 
dafs    Aristoteles    die    Vollständigkeit    und    Vollkommenheit    der    Welt 
durch   den   Hinweis    darthut,    dieselbe    sei    nicht   eine    einfache    Linie, 
noch  auch  eine  blofse  Fläche,   sondern  ein  Körper  mit  Länge,  Breite  ^l^^^'^ll^  ^fH 
und  Tiefe:   da   es   nun   nicht   mehr   als  diese   drei  Ausdehnungen  gebe    ^"iikommen, 

'  00  weil     sie     arei- 

und  die  Welt  dieselben   besitze,   so  besitze   sie   alle   und   sei   aus  eben '"'"^""°°''' '^*- 
diesem  Grunde  vollkommen.   —   Dafs  nun  aber   aus   der  Linie,   welche 
definiert  ist  als  eine  blol's  der  Länge  nach  ausgedehnte  Gröfse,   durch 


IQ  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [14.] 

Hinzufügimg  der  Breite  sich  die  Fläche  ergiebt  und  durch  weitere 
Hinzufügung  der  Höhe  oder  Tiefe  daraus  der  Körper  entsteht,  dafs  so- 
dann über  diese  drei  Ausdehnungen  hinaus  kein  Übergang  zu  einer 
weiteren  möglich  ist,  mit  diesen  dreien  also  die  Vollständigkeit,  ich 
möchte  sagen  die  Allheit,  erschöpft  ist:  dafür  hätte  ich  von  Aristo- 
teles gerne  einen  strengen  Beweis  gehört,  umsomehr  als  sich  ein  solcher 
recht  klar  und  ohne  Schwierigkeit  führen  läfst. 

Simpl.  Was  habt  Ihr  deiui  an  den  wunderschönen  Beweisen  aus- 
k'weise^^drfür  zusctzcu,  die  im  zweiten,  dritten  und  vierten  Paragraphen  gleich  auf 
alhr  ""als' frei  ^^^^  Definition  der  Stetigkeit  folgen? ')  Steht  da  nicht  erstlich,  dafs 
'^"^'^giXr^'^^"  es  keine  anderen  als  jene  drei  Ausdehnungen  giebt,  weil  die  Drei  alles, 
die  Dreiheit  allseitig  ist?^^)  Wird  dies  nicht  durch  die  i^utorität  und 
le^DreiTahf bei  ^^^  Lchrc  der  Pjthagorcer  bekräftigt,  wonach  alles  durch  die  Drei, 
'^^"^  r^ern""^"  nämlich  durch  Anfang,  Mitte  und  Ende  bestimmt  ist,  diese  also  anzu- 
sehen ist  als  die  Zahl  der  Allheit?  Und  vergefst  Ihr  denn  ganz  den 
weiteren  Grund,  dafs  nämlich  gewissermafsen  nach  einem  Naturgesetz 
besagte  Zahl  bei  den  Opfern  für  die  Götter  Anwendung  findet,  dafs 
man,  der  Weisung  der  Natur  vollkommen  entsprechend,  bei  Dingen, 
die  in  der  Dreizahl  vorkommen,  nicht  aber  bei  einer  geringeren  Zahl, 
von  allen  spricht?  Denn  wenn  es  sich  um  zwei  Dinge  handelt,  sagt 
man  beide  und  nicht  alle;  wohl  aber  sagt  man  so  bei  dreien.  Diese 
ganze  Entwicklung  findet  Ihr  im  zweiten  Paragraphen.  Im  dritten 
liest  man  ad  pleniorem  scientiam^^),  dafs  die  Begrifi'e  Jedes,  All  und 
Vollkommenes  begrifflich  identisch  sind,  dafs  also  von  den  ausge- 
dehnten Gröfsen  der  Körper  allein  vollkommen  ist,  da  nur  er  durch 
die  Drei  bestimmt  ist,  welche  der  Ausdruck  der  Allheit  ist.  Da  er 
ferner  in  dreierlei  Richtung  geteilt  werden  kann,  so  ist  er  in  allen 
Richtungen  teilbar,  während  von  den  beiden  anderen  Gröfsen  die  eine 
blofs  auf  eine,  die  andere  auf  zwei  Weisen  teilbar  ist.  Es  entspricht 
nämlich  die  Teilbarkeit  und  Stetigkeit  der  Zahl  der  Dimensionen  5 
daher  ist  die  Linie  nur  in  einer  Richtung,  die  Fläche  in  zweien  stetig, 
der  Körper  hingegen  in  allen.  Giebt  er  sodann  für  die  in  Rede 
stehende  Behauptung  im  vierten  Paragraphen,  nach  einigen  anderen 
Lehrsätzen,  nicht  noch  einen  weiteren  Grmid  an?  Jeder  Fortschritt, 
sagt  er,  hat  einen  bisher  vorhandenen  Mangel  zur  Voraussetzung  —  und 
daher  ist  es  ein  Fortschritt,  wenn  man  von  der  Linie  zur  Fläche  über- 
geht, da  jene  der  Breite  ermangelt  —  das  Vollkommene  kann  aber 
nicht  mangelhaft  sein,  da  es  allseitig  ist;  man  kann  also  unmöglich 
von  den  Körpern  zu  einem  höheren  Gebilde  fortschreiten.  Scheint 
Euch  nun  nicht  von  all  diesen  Gesichtspunkten  aus  zur  Genüge  er- 
wiesen,  dafs   es   über   die   drei   Ausdehnimgen   der  Länge,   Breite   und 


[15.]  Erster  Tag.  H 

Tiefe  hinaus  einen  Übergang   zu    einer   weiteren   nicht   giel)t  und   dals 
darum  der  Köqier,  der  sie  sämtlich  besitzt,  vollkommen  istV 

Salv.  Bei  all  diesen  Erörterungen  habe  ich  mich,  offen  gesagt, 
liöchstens  zu  dem  einen  Zugeständnis  bewogen  gefühlt,  dafs  dasjenige, 
was  Anfang,  Mitte  und  Ende  hat,  vollkommen  zu  nennen  ist.  Dafs 
aber  darum,  weil  Anfang,  Mitte  und  Ende  eine  Dreiheit  bilden,  die 
Zahl  Drei  vollkommen  wäre  imd  die  Fähigkeit  besäfse,  diese  Voll- 
kommenheit auf  jede  Dreiheit  von  Dingen  zu  übertragen,  dies  zuzugeben 
fühle  ich  mich  nicht  im  mindesten  bewogen.  Ich  kann  z.  B.  nicht 
fassen  und  verstehen,  dafs  etwa  in  Ansehung  der  Beine  die  Zahl  Drei 
vollkommener  wäre,  als  Vier  oder  Zwei,  oder  dafs  die  Zahl  Vier  als' 
Zahl  der  Elemente  imvollkommen  sei,  der  Drei  hingegen  eine  höhere 
Vollkommenheit  zukäme.  Besser  wäre  es  also,  man  überliefse  derlei 
Nichtigkeiten  Schönrednern  und  begründete  seine  Behauptung  mit 
einem  strengen  Beweise,  wie  es  sich  in  den  deduktiven  Wissenschaften 
gehört. 

Simpl.  Ihr  nehmt  wohl  diese  Gründe  nicht  ernsthaft,  und  doch 
gehen  all  derartige  Betrachtungen  auf  die  Pythagoreer  zurück,  die  den 
Zahlen  eine  so  hohe  Bedeutimg  beilegten.  Es  scheint,  als  ob  Ihr,  der 
Ihr  Mathematiker  seid  imd,  wie  ich  gla.ube,  in  vielen  Fragen  Anhänger 
der  pythagoreischen  Schule,  auf  einmal  deren  Mysterien  geringschätzig 
behandelt. 

Salv.    Dafs  bei  den  Pythagoreern  die  Wissenschaft  von  den  Zahlen 
im  höchsten  Ansehen  stand,    imd  sogar  Plato^^)  den  menschlichen  Iw- ^j||"//^g^,ifj^e®^ 
tellekt  blofs  darum  bewunderte  und   ihn   als  gleichartig   mit  der  gött-  erdtswesendw 
liehen  Vernunft  betrachtete,   weil   er   das  Wesen   der  Zahlen  begreife,  ^^alT^l^cht' 
ist  mir  wohlbekannt,  ja  ich   neige   der  nämlichen  Ansicht  zu.     Aber      ^latos. 
ich  bin  weit  davon  entfernt  zu  glauben,  dafs  die  geheinmisvoUen  Eigen-  ^chen^^za^en- 
schaften,  derentwegen  Pythagoras  und  seine  Schule  die  Zahlenlehre  so  ,i^*d  Mädchen. 
hoch  schätzten,  jene  Albernheiten  sein  sollten,  die  im  Volksmunde  und 
in  den  landläufigen  Büchern  spuken.    Ich  weifs  vielmehr,  dafs  sie  jene 
Wimder    nicht    den    Schmähungen    und    der    Verachtimg    des    grofsen 
Haufens  preisgeben  wollten,  dafs  sie  die  Veröffentlichung  der  tief  ver- 
borgenen Zahleneigenschaften  imd  der  von  ihnen  entdeckten  inkommen- 
surabeln  und  irrationalen  Gröfsen  als  eine  Profanation  verurteilten  imd 
lehrten,    dafs,    wer    sie   offenbare,    dafür   im  Jenseits   zu   büfseu  habe. 
Einer  oder  der  andere  mag  daher,  um  den  gemeinen  Mann  abzuspeisen 
und  sich  seinen  Fragen  zu  entziehen,   ihm   gesagt  haben,   die  Zahlen- 
geheiimiisse  bestünden  in  jenen  Spielereien,  die  sich  nachher  im  Volke 
verbreiteten.      Es    Avar    das    ebenso    vorsichtig    mid    bedacht,    wie    das 
Verfahren  jenes  klugen  jimgeu  Mannes,  der  seiner  Mutter  oder  seiner 


12  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [16.] 

neugierigen  Frau  —  ich  weils  nicht  mehr  sicher  —  die  ihn  bestürmte, 
ihr  die  geheimen  Verhandkmgen  des  Senats  mitzuteilen,  ein  Märchen 
aufband,  um  ihre  lästigen  Fragen  los  zu  werden,  so  dafs  sie  nebst 
vielen  anderen  Weibern  vor  selbigem  Senate  sich  aufs  höchste  lächer- 
lich machten.'^) 

Simpl.  Ich  gehöre  nicht  zu  denen,  welche  nach  den  Mysterien 
der  Pythagoreer  sonderlich  lüstern  sind.  Aber  ich  entgegne,  um  auf 
miseren  Gegenstand  zurückzukommen :  die  von  Aristoteles  vorgebrachten 
Gründe  dafür,  dafs  die  Anzahl  der  Dimensionen  mehr  als  drei  weder 
beträgt,  noch  betragen  kann,  erscheinen  mir  zwingend;  auch  glaube 
ich,  dafs  wenn  es  einen  strengeren  Beweis  gäbe,  Aristoteles  ihn  nicht 
verschwiegen  hätte. 

Sagr.  Setzt  wenigstens  hinzu,  wenn  er  ihn  gekannt  oder  sich 
seiner  erinnert  hätte.  Aber  Ihr,  Signore  Salviati,  würdet  mir  einen 
grofsen  Gefallen  thmi,  wenn  Ihr  einen  augenscheinlichen  Beweis  bei- 
bringen wolltet;  nur  mufs  er  so  fafslich  sein,  dafs  ich  ihn  ver- 
stehen kami. 

Salv.  Nicht  nur  Ihr,  auch  Signore  Simplicio  wird  ihn  verstehen, 
ieometrischer  ^^  ^j.   jg^  Euch,   wcuu   aucli   unbewufsterweisc   längst   bekannt.  ^^)     Zu 

eweis  lur    die  J  /  o  / 

'"^^naiuä"""    besserem  Verständnis  wollen  wir  Papier   und  Feder  benutzen,   die   ich 
für    solche    Gelegenheiten    hier    schon    bereit    sehe,    und    eine    kleine 

Zeichnung  entwerfen.  Wir  markieren 
zimächst  zwei  Punkte  A  und  B-^ 
verbinde  ich  dieselben  einmal  durch 
die  krummen  Linien  AGB  und  ABB, 
dann  durch  die  Gerade  AB,  so  frage 
ich  Euch,  welche  dieser  Linien  nach 
Euerer  Meinung  die  Entfernung  zwischen  den  Endpimkten  A  imd  B 
bestimmt  und  weshalb? 

Sagr.  Nach  meiner  Meinung  die  gerade  Linie  und  nicht  die 
krummen,  teils  weil  jene  die  kürzeste  ist,  teils  weil  sie  einzig  in  ihrer 
Art  und  bestimmt  ist,  während  es  von  den  anderen  unzählige  giebt, 
die  unter  einander  ungleich  und  länger  als  die  gerade  Linie  sind;  jede 
Messung  aber  mufs  nach  meiner  Ansicht  von  dem  ausgehen,  was 
einzig  in  seiner  Art  und  selber  bestimmt  ist. 

Salv.  Wir  haben  also  in  der  geraden  Linie  ein  Mafs  für  die 
Strecke  zwischen  zwei  Pimkten.  Fügen  wir  jetzt  eine  andere  gerade 
Linie  hinzu,  welche  der  Linie  AB  parallel  ist  und  CD  heifsen 
möge,  so  dafs  zwischen  beiden  eine  Fläche  gelegen  ist;  ich  möchte, 
dafs  Ihr  mir  die  Breite  derselben  angeben  wolltet.  Sagt  mir  also, 
nach   welchem    Punkte    und   in    welcher   Weise    Ihr,    von    dem    End-        | 


|ir,.   17.]  Erster  Tag.  13 

punkte  A  ausgehend^  zu  der  Linie  CD  gelangen  wollt,  um  mir  die 
1^) reite  des  zwischen  beiden  Linien  enthaltenen  Flächenstücks  anzu- 
t^eben-,  ich  meine,  ob  Ihr  dieselbe  be- 
stimmen wollt  mittels  der  Länge  der 
Kurve  ÄE  oder  der  Geraden  AF 
oder  .... 

Simpl.  Mittels  der  Geraden  AF 
und  nicht  mittels  der  krummen  Linie, 
da  die  krummen  Linien  zu  solchem 
Zweck  bereits  als  untauglich  sich  erwiesen  haben. 

Sagr.  Was  mich  betrifft,  so  würde  ich  weder  die  eine  noch  die 
andere  benutzen;  denn,  wie  ich  sehe,  geht  die  Gerade  AF  in  schiefer 
Richtung.  Ich  möchte  vielmehr  eine  Linie  ziehen,  die  rechtwinklig 
auf  CD  steht;  denn  diese  und  diese  allein  scheint  mir  die  kürzeste  zu 
sein  im  Gegensatz  zu  den  unendlich  vielen  gröfseren  und  imter  sich 
ungleichen,  welche  von  dem  Endpmikte  A  nach  anderen  und  anderen 
Punkten  der  gegenüberliegenden  Linie  CD  sich  ziehen  lassen. 

Salv.  Euere  Wahl  und  der  Grund,  den  Ihr  dafür  anführt,  scheint 
mir  vortrefflich.  Wir  haben  also  bis  jetzt  das  Ergebnis,  dafs  die  erste 
Dimension  durch  eine  gerade  Linie  bestimmt  wird;  die  zweite,  nämlich 
die  Breite,  ebenfalls  durch  eine  gerade  Linie,  die  mit  jener  anderen, 
die  Länge  bestimmenden  einen  rechten  Winkel  bildet.  So  also  haben 
wir  die  zwei  Dimensionen  der  Fläche  bestimmt,  die  Länge  und  Breite. 
Wenn  Ihr  nun  aber  eine  Höhe  zu  bestimmen  habt,  wie  hoch  z.  B.  die 
Decke  dieses  Zimmers  über  dem  Fufsboden  sich  befindet,  so  kann  man 
doch  von  einem  beliebigen  Punkte  der  Decke  luiendlich  viele  teils 
gerade,  teils  krumme  Linien,  alle  von  verschiedener  Länge,  nach  im- 
endlich  vielen  Punkten  des  darunter  befindlichen  Bodens  ziehen.  Welche 
von  geuaimten  Linien   würdet  Ihr  nun  zu  Euerem  Zwecke  benutzen? 

Sagr.  Ich  würde  an  der  Decke  einen  Faden  befestigen  und  ihn 
durch  eine  daran  hängende  Bleikugel  sich  ungehindert  ausdehnen  lassen, 
bis  er  den  Boden  berührt.  Die  Länge  dieses  Fadens,  als  einer  geraden 
Linie  und  zwar  der  kürzesten  von  allen  Linien,  die  von  selbigem 
Punkte  nach  dem  Boden  sich  ziehen  lassen,  würde  ich  als  die  wahre 
Höhe  des  Zimmers  betrachten. 

Salv.  Ganz  richtig.  Wemi  Ihr  daim  von  dem  Punkte  des  Fufs- 
bodens,  der  durch  das  Ende  des  hängenden  Fadens  bezeichnet  ist 
—  der  Boden  als  wagrecht  angenommen,  nicht  etwa  als  geneigt  — 
zwei  andere  gerade  Linien  ausgehen  lasset,  eine  in  Richtung  der  Länge, 
die  andere  in  Richtung  der  Breite  des  Bodens,  welche  AVinkcl  werden 
diese  mit  dem  Faden  bilden? 


14  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [17.  18.] 

Sagr.  Sie  werden  selbstverständlich  rechte  Winkel  bilden,  wenn 
der  Faden  lotrecht  und  der  Boden  ganz  eben  und  genau  wagrecht  ist. 

Salv.     Wenn  Ihr  also  irgend  einen  Punkt  zum  Anfang   und   Aus- 
gangspunkt der  Messung   macht   und  von  ihm   eine   gerade  Linie  aus- 
gehen lafst,   die   zur   Bestimmung  der  ersten  Ausdehnung,   der  Länge, 
dienen    soll,    so    wird   notwendigerweise    diejenige,    welche    die    Breite 
definieren   soll,   rechtwinklig  zur   ersten   abgehen  und   die,   welche  die 
Höhe,  also  die  dritte  Ausdehnung,  bezeichnet,  ebenfalls  mit  den  beiden 
anderen  nicht    schiefe,    sondern    rechte   Winkel   bilden.      So   seht  Ihr 
denn   durch    die    drei  Perpendikel,   als   drei   in  ihrer   Art   einzige,   be- 
stimmte und  kürzeste  Linien,  die  drei  Dimensionen  festgesetzt:  AB  die 
Länge,    AC  die    Breite,    AD    die    Höhe. 
Da  nun  offenbar   durch  denselben  Punkt 
keine  weitere  Linie  gehen  kann,  welche 
mit  diesen  rechte  Winkel  einschliefst  und 

^^  ^  die  Dimensionen  doch  allein  durch  gerade, 

^^•^ — ß  auf  einander  recht^vinklige  Linien  be- 
stimmt werden  dürfen,  so  giebt  es  nicht 
mehr  als  drei  Dimensionen.  Ein  Ding  also,  das  diese  drei  besitzt, 
besitzt  sie  alle,  mid  wenn  es  alle  besitzt,  ist  es  nach  allen  Richtungen 
teilbar,  und  wenn  dem  so  ist,  ist  es  vollkommen  u.  s.  w. 

Simpl.  So?  Wer  sagt  denn,  dafs  man  keine  anderen  Linien  ziehen 
kann?  Warum  sollte  es  denn  unmöglich  sein,  von  unten  her  noch  eine 
weitere  Linie  im  Punkte  A  anlangen  zu  lassen,  die  mit  den  übrigen 
rechte  Winkel  bildet? 

Salv.  Ihr  könnt  doch  wahrhaftig  nicht  durch  einen  Punkt  mehr 
als  drei  auf  einander  rechtwinklige  Linien  legen. 

Sagr.  Ja;  denn  die,  welche  Signore  Simplicio  :^eint,  scheint  mir 
dieselbe  Linie  wie  DAzxa  sein,  nur  nach  unten  verlängert.  Auf  diese 
Art  könnte  man  noch  zwei  andere  ziehen;  es  wären  aber  die  nämlichen 
drei  wie  zuvor,  nur  mit  dem^Unterschiede,  dafs  sie  dann  sich  schnitten, 
während  sie  jetzt  sich  blofs  berühren.  Neue  Dimensionen  würde  man 
aber  dadurch  nicht  erhalten. 
Beinaturwis-  Simpl.    Ich  wiU  uicht  sagcu.  dafs  dieser  Euer  BeAveis  der  Strenge 

lenschaftlichen  ^  .  .  ,  ? 

Beweisen  ist    ermaugclc;   wohl  aber  kann  ich  mit  Aristoteles^^)  sagen,  dafs  man  in 

mathematische     -,  -.^  •  '     i      f  •    i  •  t^  i  •      i 

strenge  nicht  deu    Naturwisseuschafteu   nicht    immer    Beweise    von    mathematischer 

erforderlich. 

Strenge  zu  suchen  braucht. 

Sagr.  Allerdings  vielleicht  dann  nicht,  wenn  sie  unerreichbar  ist; 
wenn  sie  hier  aber  möglich  ist,  warum  nicht  Gebrauch  von  ihr  machen? 
Doch  es  wird  gut  sein,  auf  diese  Einzelheit  nicht  noch  mehr  Worte  zu 
verschwenden,  weil  meiner  Meinuns;  nach  Siijnore  Salviati  dem  Aristoteles 


[18.  19.]  Erster  Tag.  15 

und  Eucli  oline  jeden  Beweis  zugegeben  hätte,  dafs  die  Welt  ein 
Körper  sei  und  dafs  sie  Vollkommenheit  und  zwar  die  höchste  Voll- 
kommenheit besitze,  wie  sie  ja  das  höchste  Werk  Gottes  ist. 

Salv.     So  ist  es   in  der  That.     Lassen  .wir  also   die   allgemeinen 
Betrachtungen  des  Weltganzen  und  gehen  wir  über  zu  der  Betrachtung 
seiner  Teile,  deren  Aristoteles  im  ersten  Abschnitt  zwei  sehr  verschie-  ^i^^^-^^l^aij^^.' 
dene,  gewissermafsen  einander  entgegengesetzte  annimmt,  nämlich  einen  ^g^setzte^TeuT 
himmlischen  und  einen  elementaren:   jener  unentstanden,  unzerstörbar,  '^hTm^uschir' 
unveränderlich,  unbeeinflufsbar;   dieser  beständigem  Wechsel  und  fort-    "J^f^^tarer'''' 
währender  Änderung  unterworfen.     Diesen  Unterschied   schöpft  er  aus 
seinem   Grundprincipe,   nämlich    aus   der   Verschiedenheit   der   Orts  Ver- 
änderungen. ^')     Seine  Schlüsse  sind  dabei  folgende: 

Aus    der    sinnlichen    Welt    sozusagen   heraustretend    und    in    eine 
ideale   sich  versetzend,    unternimmt   er   es,   den  Bauplan   des   Weltalls 
zu    entwerfen    und   demgemäfs   zu   erwägen,    dafs    die   Natur    die    Ur- 
sache  der  Bewegung   ist^''),   die   Naturkörper  mithin   der   Ortsverände-  q'^^^^-^^'®''^^®'' 
rung  fähig  sind.     Er  erklärt  sodann,  dafs  die  Bewegungen  von  dreierlei  j^feis^i^f^e 
Art  sind,    nämlich    kreisförmig,    geradlinig   oder    aus  diesen  gemischt.  ^^"^  gemischte. 
Die  beiden   ersten  Bewegungsarten  nennt   er  einfach,    weil   von  allen '^®]J^^4g'j.°^^^j""'^ 
Linien  der  Kreis  und  die  Gerade  allein  einfach  sind.     Hierauf  definiert   ^jn^^cf^^feu 

er,  die  bisherige  Allgemeinheit  bedeutend  einschränkend,  von  den  ein-  läiig»  eiufacher 

7  o  o  7  Liinieu  er- 

fachen Bewegungen  sei  die  erste  die  Kreisbewegung,  d.  h.  die  um  die  folgend. 
Mitte  stattfindende,  die  beiden  anderen  seien  gerade  nach  oben  und 
nach  unten  gerichtet,  nämlich  nach  oben  die  von  dem  Mittelpunkt 
sich  entfernende,  nach  unten  die  dem  Mittelpunkt  zustrebende.  Daraus 
nun  schliefst  er,  dafs  notwendigerweise  die  einfachen  Bewegmigen  mit 
diesen  drei  Arten  erschöpft  sind,  dafs  es  also  nur  Bewegungen  nach 
der  Mitte,  von  der  Mitte  und  um  die  Mitte  gebe.  Dieses  steht,  wie 
er  sagt,  in  schönem  Einklänge  mit  dem  früher  über  den  Körper  Ge- 
sagten, der  ganz  wie  die  ihm  zukommende  Bewegmig  in  dreierlei 
Hinsicht  vollkommen  sei.  Nach  Feststellung  dieser  Bewegmigsarten 
fährt  er  fort  und  sagt:  da  von  den  Naturkörpern  einige  einfach,  andere 
aus  diesen  zusammengesetzt  seien  —  und  zwar  nemit  er  einfache 
Körper  solche,  die  von  Natur  einen  Antrieb  zur  Bewegung  haben,  wie 
das  Feuer  und  die  Erde  —  so  müssen  die  einfachen  Bewegungen  den 
einfachen  Körpern,  die  gemischten  den  zusammengesetzten  Körpern 
zukommen,  derart  jedoch,  dafs  die  zusammengesetzten  dem  vorlu'rr- 
schenden  Bestandteile  folgen. 

Sagr.  Haltet  gütigst  einen  Augenblick  ein,  Signore  Salviati.  Demi 
ich  verspüre  in  mir  eine  solclie  Menge  von  Zweifebi  sich  regen,  dafs 
ich  mich  ihrer  entledigen  mufs,  wenn  ich  Euerem  ferneren  Vortrag  auf- 


16  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [19.  20.] 

merk.sam  soll  folgen  können;  ich  müfste  .sonst,  um  meine  Einwürfe 
nicht  zu  vergessen,  darauf  verzichten,  dem  folgenden  meine  Aufmerk- 
samkeit zu  widmen. 

Salv.  Ich  mache  sehr  gern  eine  Ruhepause;  denn  auch  mir  ergeht 
es  ähnlich.  Ich  laufe  jeden  AugenbHck  Gefahr,  mich  zu  verirren,  während 
ich  durch  Klippen  und  stürmische  Wogen  segeln  soll,  die  mich,  mit 
dem  Sprichwort  zu  reden,  den  Kurs  verlieren  lassen.  Bringt  also  nur 
Euere  Einwürfe  vor,  ehe  ihre  Menge  zu  grofs  geworden  ist. 

Sagr.    Dem  Beispiele  des  Aristoteles  folgend,  habt  Ihr  mich  zuerst 
der    sinnlichen  Welt  weit  entrückt,    um  mir  den  Bauplan  zu  zeigen, 
nach  dem  sie  ausgeführt  werden  soll.     Ihr  ginget  zu  meiner  Zufrieden- 
heit von  dem  Satze  aus,   dafs  die  Naturkörper  von  Natur  aus  beweg- 
lich sind,  da  anderwärts  die  Natur  als  Ursache  der  Bewegung  definiert 
tliesTuf^steiue^^^^'^®^  ^^^*     Hier  kam  mich  ein  kleines  Bedenken  an:  warum  nämlich 
xi^turemweder  sagtc  Aristotclcs  richt,   dafs   von  den  Naturkörpern   einige  von  Natur 
™ur  u!i^eit°an-^^-*^^®olich,  andere  unbeweglich  sind,  während  es  doch  in  der  Definition 
gewandt.      hcifst,  die  Natur  sei  die  Ursache  der  Bewegung  und  der  Ruhe?    Wenn 
die  Naturkörper   alle  den  Trieb   zur  Bewegung  haben,   so  war  es  ent- 
weder  unstatthaft,   die  Ruhe   in   die  Definition  der  Natur  mit   aufzu- 
nehmen oder  es  war  unstatthaft,  eine  solche  Definition  an  dieser  Stelle 
einzuführen.^')     Wenn  er  mir  nachher  auseinandersetzt,   was    er  unter 
einfachen  Bewegungen  verstanden   wissen  will   und   wie   er   diese  nach 
den  zurückgelegten  Wegen  bestimmt,    indem    er  nämlich   einfache  Be- 
wegungen   diejenigen    nennt,    die    längs    einfacher    Linien    stattfinden, 
wenn  er  femer  sagt,   dafs    solche   einfache  Linien  blofs  der  Kreis  und 
die    gerade   Linie    sind,    so   will    ich   das    ruhig   hinnehmen   und  nicht 
Schraubenlinie  Spitzfindig    ihm    das    Beispiel    der    um     einen    Cylinder     gewundenen 
fa^he^Linie     Schraubeulinic   entgegenhalten,    wiewohl   diese  wegen    der   Gleichartig- 


( 


gelten. 


keit  ihrer  Teile  auch,  wie  mir  scheint,  zu  den  einfachen  Linien  ge- 
rechnet werden  könnte.  Hingegen  will  es  mir  gar  nicht  gefallen,  dafs 
ich  ihn  plötzlich  unter  Beeinträchtigung  der  Allgemeinheit  —  während 
er  scheinbar  die  nämlichen  Definitionen  nur  mit  anderen  Worten 
wiederholt  —  die  eine  Bewegimg  eine  solche  um  den  Mittelpunkt 
nennen  höre,  "die  anderen  sursum  et  deorsum,  d.  h.  aufwärts  und  ab- 
wärts gerichtet,  alles  Ausdrücke,  die  sich  nicht  aufserhalb  der  schon 
fertigen  Welt  anwenden  lassen,  sondern  diese  als  schon  geschaffen,  ja 
sogar  als  schon  von  uns  bewohnt  voraussetzen.  Wenn  aber  die  gerad- 
linige Bewegung  einfach  ist  blofs  wegen  der  Einfachheit  der  geraden 
Linie  und  wenn  die  einfache  Bewegimg  natürlich  ist,  nach  welcher 
Seite  sie  auch  gerichtet  sei,  aufwärts  oder  abwärts,  vorwärts  oder 
rückwärts,  nach  rechts  oder  nach  links  oder  nach  irgend  einer  anderen 


[20.  21]  Erster  Tag.  17 

denkbaren  Iliclitung,  vorausgesetzt  nur,  dafs  sie  geradlinig  ist,  so  wird 
auch  eine  solclie  Bewegung  manchen  Naturkörpern  zukommen  müssen, 
wenn  anders  nickt  die  Grundannahme  des  Aristoteles  mangelhaft  ist. 
Überdies  deutet  Aristoteles  offenbar  an,  es  gebe  in  der  Welt  nur  eine 
einzige  kreisförmige  Bewegung  und  demzufolge  nur  einen  einzigen 
Mittelpunkt,  auf  welchen  allein  die  auf-  und  abwärts  gerichteten  Be- 
wegungen sich  beziehen:  alles  Anzeichen,  dafs  er  die  Absicht  hat,  uns 
falsche  Karten  in  die  Hände  zu  spielen,  den  Bauplan  dem  fertigen  Gebäude  Aristoteles  pafst 
anzupassen,  nicht  aber  das  Gebäude  nach  den  Vorschriften  des  Planes  dem  weitge- 
aufzurichten.  Sobald  ich  nämlich  sage,  dafs  im  Weltall  tausenderlei  das  Gebäude 
Kreisbewegungen  möglich  sind  und  folglich  tausend  Mittelpunkte,  so 
wird  es  auch  tausenderlei  auf-  und  abwärts  gerichtete  Bewegungen 
geben.  Aufserdem  nimmt  er,  wie  wir  hörten,  einfache  und  gemischte  Be- 
wegungen an,  indem  er  als  einfach  die  kreisförmige  und  die  geradlinige 
Bewegimg  bezeichnet,  während  er  gemischt  die  aus  jenen  zusammen- 
gesetzte nennt.  Entsprechend  nennt  er  von  den  Naturkörpern  die  einen 
einfach  —  nämlich  die,  welche  von  Natur  einen  Trieb  zu  den  einfachen 
BcAvegungen  haben  —  andere  zusammengesetzt.  Dabei  weist  er  die 
einfachen  Bewegungen  den  einfachen  Körpern  zu,  die  zusammengesetzte 
den  zusammengesetzten.  Unter  zusammengesetzter  Bewegmig  versteht 
er  aber  nun  nicht  mehr  die  Mischung  geradliniger  und  kreisförmiger 
Bewegung,  wie  eine  solche  thatsächlich  stattfinden  kann;  er  führt  viel- 
mehr eine  neue  völlig  mimögliche  gemischte  Bewegung  ein:  so  wenig 
möglich,  als  es  möglich  ist  entgegengesetzte  Bewegungen  innerhalb  der- 
selben geraden  Linie  derart  zu  mischen,  dafs  daraus  eine  teils  nach 
oben,  teils  nach  unten  gerichtete  Bewegung  hervorginge.  Um  das 
Unpassende  und  die  Unmöglichkeit  dieser  Behauptungen  zu  mildern, 
beschränkt  er  sich  darauf,  derartige  gemischte  Körper  sich  dem  vor- 
waltenden Bestandteil  gemäfs  bewegen  zu  lassen.  Man  sieht  sich 
schliefslich  also  genötigt,  auch  die  Bewegung  längs  derselben  geraden  Die  geraduuige 

o  n  ?  D       o  o  j  •       -TT       Bewegung  uach 

Linie  bald  als  einfach,   bald  als  zusammengesetzt   anzusehen;   die   Jljin- Aristoteles  bia- 

1->T1J1J'      wilP"  einfacb, 

fachheit  der   Bewegung   ist   also  nicht   mehr    ausschlielslich  durch   die  bisweilen  ge- 

'='       ^  .  mischt. 

Einfachheit  des  zurückgelegten  Weges  bedingt. 

Simpl.  Haltet  Ihr  es  demi  nicht  für  einen  ausreichenden  Unter- 
schied, wenn  die  absolut  einfache  Bewegung  sehr  viel  schneller  vor 
sich  geht  als  die  durch  den  vorwiegenden  Bestandteil  bedingte?  Wie- 
viel schneller  bewegt  sich  ein  Stück  reiner  Erde  abwärts  als  ein 
Stückchen  Holz! 

Sagr.  Gut,  Signore  Simplicio;  wenn  mm  aber  aus  diesem  Grimde 
der  Begriff'  der  Einfaclilieit  anders  gefafst  werden  mufs,  so  werden 
erstlich  himderttausenderlei   gemischte  Bewegimgen   existieren;   sodann 

ü.\i.ii.Ki,  WeltSistemo.  2 


28  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [22]. 

aber  werdet  Ikr  nicht  mehr  imstaude  sein,  die  einfache  zu  definieren. 
Ja  noch  mehr:  wenn  die  gröfsere  oder  geringere  Geschwindigkeit  die 
Einfachheit  der  Bewegung  beeinflufst,  so  wird  niemals  ein  einfacher 
Körper  eine  einfache  Bewegung  ausfuhren.  Demi  bei  allen  natürlichen 
geradlinigen  Bewegungen  nimmt  die  Geschwindigkeit  fortwährend  zu 
und  ändert  folglich  ihre  Einfachheit,  die,  um  Einfachheit  zu  sein,  doch 
unveränderlich  sein  müfste.  Was  noch  wichtiger  ist,  Ihr  heftet  dem 
Aristoteles  einen  weiteren  Tadel  an,  dafs  er  nämlich  bei  der  Definition 
der  zusammengesetzten  Bewegung  der  Langsamkeit  und  Schnelligkeit 
keine  Erwähnung  thut,  welche  Ihr  jetzt  als  ein  notwendiges  und 
wesentliches  Erfordernis  hinstellt.  Ein  solches  Kriterium  läfst  sieh 
überdies  nicht  fruchtbar  verwerten,  weil  es  gemischte  Körper,  und  zwar 
recht  zahlreiche,  geben  wird,  die  sich  teils  schneller,  teils  langsamer 
bewegen  als  ein  einfacher,  wie  z.  B.  das  Blei  und  das  Holz  im  Ver- 
gleich zur  Erde.  Welche  dieser  Bewegungen  wollt  Ihr  da  einfach, 
welche  zusammengesetzt  nennen? 

Simpl.  Einfach  soll  die  heifsen,  welche  von  einem  einfachen 
Körper,  und  gemischt  die,  welche  von  einem,  zusammengesetzten  Körper 
ausgeführt  wird. 

Sagr.  Ausgezeichnet  fürwahr,  was  Ihr  da  sagt,  Signore  Simplicio! 
Vor  einer  Weile  habt  Ihr  festgesetzt,  dafs  die  einfache  und  die  zu- 
sammengesetzte Bewegung  mir  darüber  Auskunft  geben  sollen,  ob  ein 
Körper  einfach  oder  zusammengesetzt  sei  und  jetzt  soll  ich  aus  der 
Einfachheit  oder  Zusammengesetztheit  der  Körper  mir  Aufschlufs  über 
die  Einfachheit  oder  Zusammengesetztheit  der  Bewegungen  verschaffen : 
eine  vortreffliche  Regel,  um  schliefslich  weder  über  die  Bewegungen 
noch  über  die  Körper  zur  Klarheit  zu  gelangen.  Es  genügt  Euch  nun 
auch  zur  Feststellung  des  Begriffs  der  einfachen  Bewegung  nicht  mehr 
die  gröfsere  Geschwindigkeit;  Ihr  geht  vielmehr  so  weit,  dafs  Ihr 
noch  eine  dritte  Bedingung  erfüllt  wissen  wollt,  während  Aristoteles 
sich  zu  diesem  Zwecke  mit  einer  einzigen  begnügt,  nämlich  der  Ein- 
fachheit des  zurückgelegten  Weges.  Nach  Euerer  Ansicht  nämlich  ist 
nunmehr  die  einfache  Bewegung  eine  solche,  welche  längs  einer  ein- 
fachen Linie,  mit  einer  ganz  bestimmten  Geschwindigkeit  von  einem 
einfachen  beweglichen  Körper  ausgeführt  wird.  Nun  mag  meinetwegen 
Euere  Ansicht  richtig  sein;  wenden  wir  uns  aber  zu  Aristoteles  zurück, 
der  mich  belehrt  hat,  die  gemischte  Bewegimg  sei  diejenige,  welche  sich 
aus  der  geradlinigen  und  kreisförmigen  zusammensetze,  der  mir  dann 
aber  keinen  Körper  hat  ausfindig  machen  können,  der  von  Natur  eine 
solche  Bewegung  ausführte. 

Salv.     Ich   kehre    also    zu    Aristoteles   zurück,    der    seine    Unter- 


[22.  23.]  Erster  Tag.  19 

suchung  so  scliön  und  methodiscli  begomieu  hat.  Da  er  aber  mehr 
die  Absicht  hatte,  auf  ein  seinem  Geiste  schon  vorschwebendes  Ziel 
loszusteuern  und  es  zu  erreichen,  als  dahin  zu  gelangen,  wohin  ihn 
geradewegs  seine  Schlüsse  führten,  reifst  er  den  Faden  ab  und  schlägt 
einen  Seitenpfad  ein.  Er  teilt  uns  als  etwas  allgemein  Bekaimtes  und 
Zugestandenes  mit,  dafs  die  auf-  und  abwärts  gerichteten  Bewegungen 
dem  Feuer  und  der  Erde  eigen  sind-,  es  müsse  also  notwendigerweise 
aufser  jenen  ims  zugänglichen  Körpern  noch  ein  anderer  in  der  Natur 
vorhanden  sein,  dem  die  Kreisbewegung  zukomme.  Dieser  sei  sodann 
in  demselben  Mafse  vollkommener,  als  die  Kreisbewegimg  im  Vergleich 
zu  der  geradlinigen  vollkommener  sei.  Wievielmal  aber  jene  die 
letztere  an  Vollkommenheit  übertreffe,  bemifst  er  nach  der  Vollkommen- 
heit des  Kreises  gegenüber  der  geraden  Linie,  wobei  er  jenen  voll-j^^^j^^^j^^J;^^^^^^ 
kommen,  diese  unvollkommen  nennt:  darum  nämlich  unvollkommen,^°"^°°j'^^  ^^^^ 
weil  sie  entweder  im  Falle  der  Unendlichkeit  keinen  Abschlufs  und''"^^^''^"^;^*^^""'^ 
keine  Grenze  hat,  oder  im  Falle  der  Endlichkeit  nach  einem  aufser- 
halb  derselben  gelegenen  Punkte  verlängert  werden  kann.  Das  ist 
der  Grundstein,  die  Basis,  das  Fundament  des  ganzen  aristotelischen 
Weltgebäudes,  worauf  sich  alle  die  übrigen  Merkmale  gründen,  des 
Nicht-Leichten  und  Nicht-Schweren,  des  Unentstandenen,  des  Unver- 
gänglichen und  - —  abgesehen  von  der  Ortsveränderung  —  des  Unver- 
änderlichen u.  s.  w.  Alle  diese  Eigenschaften,  versichert  er,  kommen 
dem  einfachen,  kreisförmig  sich  bewegenden  Körper  zu,  während  er 
die  entgegengesetzten  Affektionen  der  Schwere,  Leichtigkeit,  Ver- 
gänglichkeit u.  s.  w.  den  von  Natur  sich  geradlinig  bewegenden  Kör- 
pern zuweist.  Sobald  also  in  dem  bisher  Festgestellten  sich  ein 
Mangel  zeigt,  darf  man  begründeterweise  an  allem  Übrigen,  das  sich 
darauf  aufbaut,  Zweifel  hegen.  Ich  stelle  nicht  in  Abrede,  dafs  die 
von  Aristoteles  bisher  aus  allgemeinen  Grundprincipien  gewonneneu 
Ergebnisse  im  weiteren  Fortgang  durch  specielle  Gründe  imd  Erfah- 
rungen nochmals  bekräftigt  werden;  diese  müssen  sämtlich  einzeln 
geprüft  und  erwogen  werden.  Da  aber  schon  bei  dem  bisher  Vorge- 
brachten sich  viele  nicht  unbedeutende  Schwierigkeiten  in  den  Weg 
stellen  —  und  doch  sollten  die  ersten  Principien  und  Grmidlagen 
unerschütterlich  fest  und  sicher  sein,  damit  man  olme  Zagen  auf  ihnen 
weiterlmuen  kann  —  so  wird  es  wohl  am  geratensten  sein,  bevor  die 
Menge  der  Zweifel  zu  sehr  anwächst,  einmal  auf  gut  Glück  zu  ver- 
suchen —  und  ich  glaube,  es  ist  möglich  —  auf  anderem  Wege  vor- 
zudringen, auf  dem  es  sich  kürzer  und  sicherer  geht,  und  nach  besser 
erwogenen  Bauregeln  die  ersten  Fimdamente  zu  legen.  Li  dem  Augen- 
blicke jedoch,  wo   wir   einstweilen   die  Entwicklungen   des   Aristoteles 


20  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [24.  25.] 

verlassen,  um  sie  seiner  Zeit  wieder  aufzunehmen  und  eingehend  zu 
prüfen ^^),  erkläre  ich  mich  einverstanden  mit  einer  seiner  bisherigen 
Behauptungen,  dafs  nämlich  die  Welt  mit  allen  Dimensionen  ausge- 
stattet und  darum  von  höchster  Vollkommenheit  ist.  Ich  setze  hinzu, 
dafs  sie  als  solche  durchaus  gesetzmäfsig  ist,  d.  h.  aus  Teilen  besteht, 
Der  Verfasser  (]jg  j^^^]^  höchstcn  imd  vollkommensteu  Gesetzen  angeordnet  sind.     Ich 

nimmt  an,  die  ~ 

k Jmme^n^  eord- §^^^^^ '   dicscr  Amiahmc  werdet  weder  Ihr,   noch  sonst  jemand  wider- 
°®*-        sprechen. 

Slmpl.  Wer  sollte  da  widersprechen!  Deun  erstens  rührt  sie 
von  Aristoteles  selbst  her;  dann  aber  scheint  schon  der  Name  Kosmos 
von  nichts  Ajiderem  hergenommen  zu  sein,  als  von  der  im  Weltall 
herrschenden  höchsten  Ordnung. '-') 

Salv.     Nach  Feststellung  eines   solchen  Princips    läfst   sich   ohne 
weiteres  schliefsen,  dafs,  wenn  die  Hauptmassen  des  Weltalls  vermöge 
^dueten^wfit^^^'®^'  Natur   bewcglich    sind,    ihre   Bewegungen    unmöglich   geradlinig 
uch^eSe'^OTad- ^^^^  audcrs  als  kreisförmig  sein  können.  ^'^)     Der  Grund  ist  ganz  ein- 
linige  Bewegungfg^gj^  ^^j^^j  Hcgt  auf  dcr  Hand.     Denn  was  sich  geradlinig  bewegt,  ver- 
ändert seinen  Ort  und  entfernt  sich  im  Fortgang  der  Bewegung  mehr 
und   mehr  von  dem  Ausgangspunkt  und  von  allen  im   Lauf  der  Be- 
wegung   erreichten   Punkten.      Käme    nun    einem    Körper    solche    Be- 
wegung von  Natur  aus  zu,  so  wäre  er  von  Anfang  an  nicht  an  seiner 
natürlichen  Stelle,    mithin  die  Anordnung  der  Teile    der  Welt   keine 
vollkommene.     Wir  setzen  aber  voraus,  dafs  ihre  Ordnung  vollkommen 
sei,   demgemäfs  köimen  sie  nicht  von  Natur  dazu  bestimmt  sein,   ihre 
Stelle    zu    wechseln    imd  folglich  auch  nicht,    sich  geradlinig    zu    be- 
Be^"aung"fhrer^^^o6^-     ^^   aufscrdcm    die    geradlinige  Bewegung'  ihrer    Natur   nach 
""^  ''^''eud'ifch  """  unendlich  ist  —  denn  die  gerade  Linie  ist  unendlich  und  von  unbe- 
stimmter Länge  —  so  kann  kein  beweglicher  Körper  den  natürlichen 
^we^gli^T^n  ^^'^®^   haben,    sich   in   gerader  Linie   dahin  zu   bewegen,   wohin  er  un- 
'^mögiich'      niögiich   gelangen    kami,   insofern    einer    solchen   Bewegung  kein   Ziel 
TO»  xr  *  gesetzt  ist.    LTnd  die  Natur,  wie  Aristoteles  selbst  sehr  richtig  bemerkt, 

Die  Natur  ver-  O  7  O  7 

leisten ''wasun-'^®^^^^^^  nicht,  was  Unmöglich  zu  leisten  ist,  versucht  also  nicht  dahin 
uiatl^M  ^^^  treiben,  wohin  zu  gelangen  unmöglich  ist.^')  Wollte  man  aber 
behaupten,  die  Natur  habe,  obgleich  die  gerade  Linie  imd  die  gerad- 
linige Bewegung  ins  Unendliche,  d.  h.  ins  Ziellose,  fortsetzbar  ist, 
dennoch  gewissermafsen  willkürlich  ihr  bestimmte  Grenzen  gesteckt  und 
den  Naturkörpern  den  natürlichen  Trieb  eingepflanzt,  sich  zu  diesen  hin 

^wegulf-''"^^-''  ^^^  bewegen,  so  entgegne  ich,  dafs  man  vielleicht  in  Phantasieen  sich  er- 
^'^'^  chalTs  ^^'  ,§6lien  darf,  die  Sache  habe  sich  in  dieser  Weise  aus  dem  Urchaos  ent- 
wickelt, wo  verschwommene  Materien  verworren  imd  ungeordnet  um- 
herschwebten.     Um  diese   zu   ordnen,    mag   dann   die  Natur   sich  sehr 


|25.J  Erster  Tag.  21 

uc'scliickt    der    geradlinigen    Bewesungen     bedient    haben:    wie    diese  Geradlinige  Be- 

.,  11  1        .         T—  -TT  1  1      •  vregung  geeig- 

iiiimlicn    einerseits    wohlgeordnete    Korper    in    Unordnung    zu    brmgennet,  die  verkehr 

.  j~.  •!  •  T  11  angeordneten 

vermögen,    so   sind    sie    im   Gegenteile    geeignet,    die    verkehrt    ange- Körper  zu  ord- 

ordneten  in  Ordnung  zu  bringen,    Ist  aber  einmal  die  beste  Verteilung 

lind  Stellung  herbeigeführt,  so  kann  unmöglich  in  ihnen  die  natürliche 

Xeigimg  bestehen  bleiben,  sich  auch  fernerhin  in  gerader  Linie  zu  be- 

wegen,   was  nunmehr   blofs  die  Wiederentfernung   vom  gehörigen  luid 

natürlichen    Orte,    also    die    Unordnimg    im    Gefolge    haben    würde. ^-) 

Wir  können  demnach  sagen,    es  diene  die  geradlinige  Bewegmig  dazu, 

lue   Baustoffe  für  das  Werk  herbeizuschaffen;    ist    dieses   aber  einmal 

fertig  gestellt,  so  bewegt  es   sich  entweder  nicht,  oder  wenn  es  sich 

bewegt,   so  bewegt  es  sich  kreisförmig.     Es  sei  denn,   dafs   wir  noch  nie  weitkörper 

°    '  °  .  nach  Plato  an- 

weiter  gehend  mit  Plato ^^)    sagen  wollten,   dafs  auch   die  Weltkörperfangs  geradlinig, 

°  :  "  .  .  .  später  kreisför- 

nach  ihrer  Schöpfung  imd  ihrer  endg'ültigen  h  ertigstellung  eme  gewisse  mig  bewegt. 

Zeit  hindurch  von  ihrem   Schöpfer   in  gerader  Linie   bewegt  Avurden, 

dafs  sie  aber,  angelangt  au  dem  bestimmten,  ihnen  zugewiesenen  Orte, 

der  Reihe  nach  in  Drehung  versetzt  wurden  und   so  von  der  geraden 

Bewegung  zur  kreisförmigen  übergingen,  in  welcher  sie  sich  dann  be- 

hauptet  haben  imd  bis  auf  den  heutigen  Tag  beharren.     Ein  erhabener 

Gedanke  imd  Piatos  wohl  würdig.    Ich  entsinne  mich  darüber  unseren 

gemeinsamen  Freund  von  der  Accademia  dei  Lincei^*)  reden  gehört  zu 

haben  und,    wenn  ich  mich  recht  erinnere,    war    seine  Ansicht    diese. 

Jeder  von  Natur  bewegliche  Körper,   der  durch  irgendwelche  Ursache 

in  den  Zustand  der  Ruhe  gebracht  worden  ist,   wird  freigelassen  sich  Ein  in  Kühe  bc- 

.    .  .  findlicher  Kör- 

iii  Bewegimg  setzen;  freilich  nur  dann,  wenn  er  von  Natur  eme  Vor-  per  wird  sich 

,  ,  •  11        "icht  bewegen, 

liebe  für  irgend  einen  besonderen  Ort  hat.     Denn  wenn  er  sich  allen  wenn  er  nicht 

°  ••-Oll  Vorliebe  für  ir- 

gegenüber  gleichmäfsig  verhielte,  würde  er  in  seiner  Ruhe  verharren,  gend  einen  be- 

f^    O  b  o  }  _  ■'sonderen  Ort  hat. 

da  er  nicht  mehr  Ursache  hat  nach  diesem  als  nach  jenem  sich  hm  zu 

bewegen.     Hat  er  aber  diesen  Trieb,   so   ergiebt  sich  mit  Notwendig- Der  bewegliche 

1  ,       O  ,  _  .  .  Körper  beschleu- 

keit,   dafs   er  bei   seiner  Bewegung  eine  fortwährende  Beschleuniguug  «igt  seine  Be- 

,  ,  .  .       wegung,  wenn  er 

erfährt.    Da  er  nämlich  mit  der  langsamsten  Bewegung  beginnt,  wird  sich  nach  dem 

»         .  °  j  1    OrteseinerWahl 

er  keine  Stufe  der  Geschwindigkeit  erreichen,  er  sei  denn  zuvor  durch      begiebt. 
alle    Stufen    geringerer  Geschwindigkeit    oder    meinethalben    gröfserer  Der  vom  Kuhe- 

O  n  O  ^11        zustand  aus- 

Langsamkeit  hindurchgegangen.    Denn  da  er  vom  Zustand  der  Ruhe,  als  gehende  Körper 
von  der  Stufe  imendlicher  Langsamkeit,  ausgeht,  so  ist  kein  Grund  für  stufen  der  Lang- 

.  ....         sanikoit  hin- 

ihii  vorhanden,  in  die  imd  die  bestimmte  Stufe  der.  Geschwindigkeit  em-durch.uerRuhe- 

....  .  ,      .  .  zustand  ist  die 

zutreten,  ohne  zuvor  in   eine  niedrigere  einzutreten   imd  m  eine  noch  stufe  mieud- 

'  "  lieber  liangsam- 

niedrigere,    bevor    in    diese.      Es    ist    vielmehr   nur    vernünftig    auzu-        toit. 
nehmen,  dafs  er  erst  durch  die  Stufen  hindurchgeht,  die  der  Anfangs- 
stufe   zunächst   liegen,    und   von    diesen   aus    erst    zu    den    entfernter 
liegenden  gelaugt;  die  Stufe  aber,  mit  der  er  seine  Bewegimg  begimit. 


22  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [26.] 

Der  Körper  be-  ist  cüe  der  böcbsteu  Langsamkeit,   nämlich   die  der  Rulie.     Nim  kami 
Bewegung  nur,  aber   diese   Bescbleunigimg  nur    zustande   kommen,   wenn    der   Körper 
dem  Ziele  r'ückt.bei    Seiner    Bewegung    eine    Förderung    erfäbrt    und    diese    Förderung 
bestebt  in  nicbts  Anderem  als   in  der  Annäberung  an  das  angestrebte 
Ziel,   d.  b.  au   denjenigen  Ort,  wobin  ibn  der  natürlicbe  Trieb  ziebt; 
dabei  wird  er  sieb  auf  dem  kürzesten,  also  dem  geraden  Wege  dortbin 
begeben.     Wir  können  mitbin  die  begründete  Vermutung  aussprechen. 
Um  dem  Körper  dafs  die  Natur,  um  einem  beweglichen  Körper,  der  zuvor  sich  in  Ruhe 
Grad  von  Ge-  befand,   cinc  bestimmte  Geschwindigkeit  mitzuteilen,   sich  des  Mittels 
eiuzupflcanzen,  bcdicut,  ilui  ciuc  gcwissc  Zeit  und  eine  gewisse  Strecke  hindurch  in 
tur  sich  gerad-  gerader  Richtung   zu  bewegen.     Besteht    diese  Erörterung   zu  Recht, 
so  dürfen  wir  uns  vorstellen,  Gott  habe  die  Masse   z.  B.  des  Jupiter 
erschaffen  und  wolle  ihm  nunmehr  eine  so  und  so  grofse  Geschwindig- 
keit verleihen,  die  er  alsdann  gleichförmig  in  alle  Ewigkeit  bewahren 
soll;  wir  werden  dami  mit  Plato   sagen  können,   dafs  er  ihm  anfangs 
verstattete  in  geradlinig  beschleunigter  Bewegung   fortzuschreiten  und 
dafs  er  dann,  auf  der  vorgeschriebenen  Stufe  der  Geschwindigkeit  an- 
Gicichfiirraige  gelangt,  dic  gerade  Bewegung  in  die   kreisförmige  verwandelte,  deren 
komiiit  der  kreis  Geschwindigkeit  dann  natürlich  einförmig  sein  mufs. 

gung  zu.  Sagr.     Ich  höre  von  dieser  Ansicht  mit  grofsem  Vergnügen,  glaube 

aber,   das   wird  in  noch  höherem  Mafse  der  Fall  sein,  wenn  Ihr  mir 

erst  ein  Bedenken  beseitigt  habt;    ich   begreife    nämlich   nicht  recht, 

wieso  notwendig  ein  beweglicher  Körper,  der  aus  dem  Zustande  der  Ruhe 

Zwischen  der  in  eiuc  Bcwcgung  eintritt,  zu  der  ein  natürlicher  Hang  ihm  innewohnt, 

ade  alle  vorhergehenden  Grade  der  Schnelligkeit  durchmachen  mufs,  deren 


digkeit  liegen  es  zwischcu  ciucm  beliebig  vorgeschriebenen  Grade  und  dem  Zustande 
Grade geringererder   Rubc   uueudlicb   viclc    gicbt:    als   wenn   die   Natur   der  Masse   des 
Jupiter  nicht  gleich  nach  ihrer  Schöpfung  die  kreisförmige  Bewegung 
nebst  der  betreffenden  Geschwindigkeit  hätte  zuerteilen  können. 

Salv.    Ich  habe  nicht  gesagt  und  möchte  mich  nicht  erdreisten 
Die  Natur  ver-  ZU  sageu,  dafs  CS  der  Natur  und  Gott  unmöglich  wäre,  iene  Geschwin- 

leiht  nicht  un-  P  .  . 

mittelbar  einen  digkcit,  vou  dcr  Ihr  sprccbt,  auch  unmittelbar  zu  verleiben-,  wohl  aber 

bestimmten  Grad  .  in  •    ^  pi  t-i*  iitt 

von  Goschwin-  sagc  ich,  dafs  die  Natur  de  facto  nicht   so  verfährt.     Em  solcher  Vor- 
sie  es' könnte,  gang   käme    also    auf   eine   Wirkung   hinaus,    Avie    sie    aufserbalb   des 
natürlichen  Verlaufs  liegt,  also  auf  ein  Wunder.*) 


*)  Es  möge  sich  ein  beiveglicher  noch  so  iviichtiger  Körper  mit  beliebiger  Ge- 
schtvindigkeit  bewegen  und  auf  einen  beliebigen  ruhenden  Körper  treffen,  so  wird 
letzterer,  und  sei  er  noch  so  schwach  und  widerstandsunfähig ,  niemals  sofort  im 
Augenblicke  des  Zusammentreffens  die  Geschwindigkeit  des  anderen  annehmen.  Ein 
deutliches  Zeichen,  dafs  dem  so  ist,  besteht  in  der  durch  den  Stofs  hervorgerufenen 
Schallwirkung,  die  man  nicht  vernehmen  oder  die,  besser  gesagt,  gar  nicht  statt- 


[27.]  Erster  Tag.  23 

Sagr.  Ihr  glaul^t  also,  ein  Stein,  der  aus  der  Ruhelage  in  die 
ihm  natürliche  Bewegung  nach  dem  Mittelpunkt  der  Erde  eintritt, 
müsse  durch  alle  Stufen  der  Langsamkeit  hindurchgehen,  die  unter- 
halb einer  beliebigen  Stufe  der  Geschwindigkeit  liegen? 

Salv.  Ich  glaube  es,  ja  ich  bin  dessen  sicher  und  zwar  mit  solcher 
Zuversicht,  dafs  ich  auch  Euch  darüber  völlig  vergewissern  kann. 

Sagr.  Wenn  ich  bei  allen  unseren  heutigen  Untersuchungen  auch 
nur  diese  eine  Erkenntnis  gewämie,  würde  ich  das  als  eine  bedeu- 
tende Errungenschaft  betrachten. 

Salv.  Soweit  ich  Euch  verstanden  zu  haben  glaube,  richtet  sich 
Euer  Haupteinwurf  gegen  die  Vorstellung,  dafs  ein  Körper  durch  jene 
unendlich  vielen  vorangehenden  Stufen  der  Langsamkeit  und  noch  dazu 
in  kürzester  Frist  hindurchgehen  soll,  bis  er  die  nach  dieser  Frist  ihm 
zukommende  Geschwindigkeit  erreicht.  Darum  will  ich,  bevor  ich 
weiter  gehe,  dieses  Bedenken  zu  beseitigen  suchen,  was  nicht  schwer 
ist.  Ich  brauche  Euch  blofs  zu  entgegnen,  dafs  der  Körper  zwar  durch 
die  o-enannten  Stufen  hindurchgeht,  aber  ohne   bei  diesem  Durchgang  Der  vom  Kuhe- 

^  o  7  .  stand    ;ms- 

auf  irgend  einer  Stufe  zu  verweilen.    Da  denmach  der  Durchgang  nicht  gehende  Körper 

o  .  .        geht  durch  alle 

mehr  als  einen  einzigen  Augenblick  erfordert,  aber  iede  noch  so  kleine  stufen  der  oe- 

o  ~  .  .  schwuidigkeit 

Frist  unendlich  viele  Augenblicke  enthält,  so  werden  wir  eine  genügende  hindurch,  ohne 

~  ^  .  .  auf  irgend  einer 

Menge  von  Augenblicken  zur  Verfügung  haben,  um  den  unendlich  vielen  zu  verweuen. 
verschiedenen  Stufen  der  Langsamkeit  je  einen  bestimmten  Zeitpunkt 
zuzuordnen,  mag  die  Frist  auch  noch  so  klein  sein. 

Sagr.  Soweit  folge  ich;  gleichwohl  kommt  es  mir  auffällig  vor, 
wemi  eine  Kanonenkugel,  —  als  solche  will  ich  mir  den  fallenden 
Körper  vorstellen  — •  die  doch  mit  solchem  Ungestüm  niederfällt,  dafs 
sie  in  weniger  als  zehn  Fulsschlägen  mehr  als  zweihundert  Ellen-*') 
zurücklegt,  im  Laufe  ihrer  Bewegung  einen  so  geringen  Grad  von  Ge- 
schwindigkeit soll  besessen  haben,  dafs,  weim  sie  diesen  beibehalten 
und  keine  weitere  Beschleunigung  erfahren  hätte,  sie  die  Strecke  nicht 
in  einem  ganzen  Tage  zurückgelegt  haben  würde. 

Salv.  Ihr  dürft  ruhig  sagen,  in  einem  ganzen  Jahre  nicht,  noch 
auch  m  zehn  oder  in  tausend  Jahren.  Ich  verbürge  mich.  Euch  davon 
zu  überzeugen,  ohne  dafs  Ihr  vielleicht  gegen  eine  der  einfachen  Fragen 
Einspruch  erhebt,  die  ich  an  Euch  richten  werde.  Sagt  mir  also,  ob 
Ihr  ohne  weiteres  zugebt,  dafs  jene  Kugel  beim  Fallen  immer  gröfseren 
Antrieb   und  Geschwindigkeit  erlangt. 

Sagr.     Dessen  bin  ich  völlig  gewifs. 


finden  imirde,  tvenn  der  vorher  ruhende  Körper  hei  Ankunft  des  bewegten  dieselbe 
Geschwindigkeit  empfinge  ivie  dieser. '^^) 


24  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [28.] 

Salv.  Und  wenn  ich  behaupte,  clals  der  an  irgend  einer  Stelle 
erreichte  Antrieb  der  Bewegung  gerade  grofs  genug  ist,  um  die  Kugel 
wieder  zu  der  Höhe  zurückzubringen,  von  der  sie  ausging,  werdet  Ihr 
mir  Recht  geben? 

Sagr.     Unbedingt,  sobald  sie  imgehindert  ihre  volle  Kraft  für  den 

einen  Zweck  verwenden  kami,  um  selbst  wieder  zur  früheren  Höhe  zu 

gelangen  oder  um  einen  anderen  ihr  gleichen  Körper  dahin  zu  bringen. 

Der  schwere  Kör- Ware  z.  B.  die  Erde  durch  den  Mittelpunkt  hindurch  durchbohrt  und 

per  erlangt  beim  .__ 

Fall  einen  An-  hefsc  man  die  Kugcl  aus  einer  Höhe  von  hundert  oder  tausend  Ellen 
reichend  ist,  umfallen,  SO  bin  ich  überzeugt,   dafs   sie  jenseits   des  Mittelpunktes   sich 

ihn  wieder  auf  .  .  .  pii-ti 

dieselbe  Höhe  ebcuso  wcit  übcr  dicscu  erhöbe,  als  sie  zuvor  gefallen  ist.    Eben  das- 

ZU  bringen. 

selbe  ist  der  Fall,  wie  der  Versuch  mich  lehrt,  bei  einem  an  einem  Faden 
aufgehängten  Gewichte.  Entfernt  man  dieses  aus  der  Ruhelage,  also 
der  lotrechten  Richtung,  und  überläfst  es  sich  selbst,  so  fällt  es  in  die 
lotrechte  Lage  zurück  und  überschreitet  sie  um  ebensoviel  oder  doch 
nur  um  soviel  weniger,  als  der  Widerstand  der  Luft  und  des  Fadens 
oder  anderer  Nebenumstände  dies  bewirken.  Auch  beim  Wasser,  wel- 
ches in  eine  Röhre  gegossen  ebenso  weit  steigt,  als  die  Höhe  seines 
Falls  betrug,  zeigt  sich  mir  das  nämliche.^') 

Salv.  Euere  Schlüsse  sind  untadelig.  Ihr  werdet  auch  sicherlich 
damit  einverstanden  sein,  dafs  die  Ursache  des  erlangten  Antriebes  die 
wachsende  Entfernung  des  Körpers  vom  Ausgangspunkte  und  die  An- 
näherung an  den  bei  der  Bewegung  erstrebten  Mittelpunkt  ist.  Werden 
aber  auch  zwei  gleiche  Körper,  wenn  sie,  ohne  Widerstand  zu  finden, 
längs  verschiedener  Linien  sich  abwärts  bewegen,  dennoch  gleiche  An- 
triebe erlangen,  die  Annäherung  an  den  Mittelpunkt  in  beiden  Fällen 
als  gleich  vorausgesetzt?  Räumt  Ihr  das  gleichfalls  ein? 
Sagr.    Ich  verstehe  die  Frage  nicht  recht. 

Salv.     Ich  werde   mich  besser  mit  Hilfe   einer  kleinen  Zeichnung 

verständlich  machen.  Ich  ziehe 
^      also  diese  Linie  AB  m  hori- 
zontaler   Richtung,    errichte 
im  Punkte  .B  die  Senkrechte 
CB  und  ziehe  dann  die  schiefe 
Verbindungshnie  CA.    Wenn 
ich  mir  nun  unter  der  Linie 
CA  eine  geneigte  Ebene  von 
ausgezeichneter    Glätte     mid 
Härte  vorstelle,   auf  welcher 
eine  vollkommen  runde  Kugel  von  härtestem  Stoff  sich  abwärts  bewegt; 
wenn  ferner  eine  zweite  derartige  Kugel  längs  der  Senkrechten  CB  in 


[28.  29.J  Erster  Tag.  "  25 

freiem  Falle  sich  bewegt^  so  frage  ich:  Räumt  Ihr  ein,  dafs  der  Antrieb 
der  Kugel,  welche  längs  der  geneigten  El)ene  fällt,  nach  Ankunft  in  Ä 
gleich  dem  Antriebe  sein  kann,  welche  die  andere  im  Punkte  B  er- 
langt, nachdem  sie  die  lotrechte  Strecke  CB  passiert  hat? 

Sagr.    Ich  glaube  bestimmt:  ja.    Denn  schliefslich  haben  sich  beide 
dem  Mittelpunkt   gleichviel   genähert   und  nach    dem,   was   ich  soeben  nie  Antriebe 
eingeräumt  habe,  würde  der  Antrieb  einer  jeden  von  beiden  genügen,  dirsich  gieich- 

•    1  11      1  •     1  1    •    1  TT..1  1      1  ^öl  <ie™  Mittel- 

um  Sich  selbst  wieder  zu  gleicher  Hohe  zu  erheben.  punkt  genähert 

Salv.    Sagt  mir  nun  noch,  wie  sich  Euerer  Ansicht  nach  die  näm-     ^gleich. 

liehe  Kugel    verhielte,    wenn    man    sie  auf  die   wagrechte  Ebene  AB 

legen  würde? 

Sagr.     Sie  würde  ruhig  liegen  bleiben,  da  die  Ebene  nach  keiner  Auf  der  wag- 

Ci    • ,  •     I      •    1  rechten  Ebene 

Seite    geneigt    ist.  bleibt  der  Körper 

Salv.     Auf  der  geneigten  Ebene  CA  hingegen  würde  sie  sich  ab-  "^""'^  "'^*°' 
wärts  bewegen,   aber  langsamer  als  längs   der  Senkrechten  CB,  nicht 
wahr? 

Sagr.  Ich  habe  eben  unbedenklich  zustimmen  wollen,  demi  dem 
Anschein  nach  ist  allerdings  die  senkrechte  Bewegung  CB  notwendig 
rascher,  als  die  schiefe  CA.  Wie  kann  aber  dann  der  auf  der  schiefen 
Ebene  fallende  Körper  nach  seiner  Ankunft  im  Punkte  A  ebensogrofsen 
Antrieb,  also  auch  die  nämliche  Geschwindigkeit,  besitzen,  wie  der  senk- 
recht herabfallende  im  Punkte  B?  Diese  Sätze  scheinen  sich  zu 
widersprechen.  ^'^) 

Salv.     Umsomehr  wird   es  Euch  unrichtig  vorkommen,   wenn  ich 
behaupte,  dafs  die  Geschwindigkeit  des  senkrecht  und  des  schief  fallen-Geschwindigkeit 
den  Körpers  genau  gleich  sind.    Und  doch  ist  dies  vollkommen  richtig,  neigten  Ebene 
ebenso  richtig  wie  die  Behauptung,  dafs  der  Fall  längs  der  Senkrech-  schwindigkeit 
ten  rascher  erfolgt  als  längs  der  schiefen  Ebene.  rechten,  und  Be- 

Sagr.    In  meinen  Ohren  klingt  das  wie  ein  schroffer  Widerspruch,  der  sonkrechteu 
Was  meint  Ihr,  Signore  Simplicio?  längs  der  go- 

Simpl.     Auch  mir  kommt  das  so  vor. 

Salv.  Ich  glaube,  Ihr  habt  mich  zum  besten  und  stellt  Euch,  als 
ob  Ihr  nicht  verstündet,  was  Ihr  besser  versteht  als  ich.  Sagt  mir 
doch,  Signore  Simplicio,  wenn  Ihr  Euch  vorstellt,  ein  bewegter  Körper 
übertreffe  einen  anderen  an  Geschwindigkeit,  Avelchen  Begriff'  verbindet 
Ihr  damit? 

Simpl.  Ich  stelle  mir  vor,  der  eine  lege  in  der  nämlichen  Zeit 
eine  gröfsere  Strecke  als  der  andere  zurück,  oder  die  gleiche  Strecke, 
aber  in  kürzerer  Zeit. 

Salv.  Sehr  wohl,  und  was  stellt  Ihr  Euch  unter  gleichen  Ge- 
schwindigkeiten zweier  Körper  vor? 


26  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [29.  30.] 

Simpl.  Ich  stelle  mir  darunter  vor,  dafs  sie  gleiche  Strecken  in 
gleichen  Zeiten  zurücklegen. 

Salv.     Sonst  nichts  als  das? 

Simpl.  Es  scheint  mir  dies  die  richtige  Definition  gleicher  Be- 
wegungen zu  sein. 

Sagr.     Wir  können   doch  noch   eine   andere   aufstellen:   es  heifsen 
Gesciiwiudig-  die  Geschwindigkeiten  auch  dann  gleich,  wenn  die  zurückgelegten  Wege 
gleich,  wenn  die  Sich  Verhalten  wie  die  Zeiten,  m  welchen  sie  zurückgelegt  Avorden  sind. 
Wege  den  zeiteuDiese  Dcfinition  ist  eine  allgemeinere. 

proportional 

Bind.  Salv.      So   ist   es;   denn   sie   umf'afst  sowohl  den  Fall,   wo   gleiche 

Strecken  in  gleichen  Zeiten,  als  auch  den,  wo  ungleiche  Strecken  in 
ungleichen,  aber  den  Strecken  jjroportionalen  Zeiten  durchlaufen  wer- 
den. Nehmt  nun  dieselbe  Figur  noch  einmal  vor  und  sagt  mir  so- 
dann, unter  Benutzung  des  Begriifs  der  rascheren  Bewegung,  warum 
Ihr  die  Geschwindigkeit  des  längs  CB  fallenden  Körpers  für  gröfser 
haltet  als  die  Geschwindigkeit  des  längs  CA  fallenden. 

Simpl.  Ich  glaube  darum,  weil  der  frei  fallende  Körper  in  einer 
Zeit  die  ganze  Strecke  CB  zurücklegt,  in  welcher  der  andere  auf  CA 
eine  kleinere  Strecke  als  CB  zurücklegt. 

Salv.  So  ist  es.  Es  hat  demnach  seine  Richtigkeit,  dafs  der 
Körper  schneller  in  der  senkrechten  Richtung  als  in  der  geneigten 
sich  bewegt.  Überlegt  nun,  ob  in  dieser  nämlichen  Figur  nicht  auch 
der  andere  Satz  zu  seinem  Recht  gelangen  kann,  und  ob  sich  nicht 
ei^eisen  läfst,  dafs  die  Körper  auf  beiden  Linien  CA  und  CB  gleiche 
Geschwindigkeiten  besitzen. 

Simpl.  Ich  kann  nichts  derartiges  entdecken;  es  scheint  mir  im 
Gegenteil  darin  ein  Widerspruch  mit  dem  eben  Gesagten  zu  liegen. 

Salv.  Was  meint  Ihr,  Signore  Sagredo?  Ich  möchte  Euch 
nicht  erst  lehren,  was  Ihr  schon  wifst,  imd  was  Ihr  mir  noch  eben 
ganz  richtig  definiert  habt. 

Sagr.  Die  Definition,  die  ich  angefühi-t  habe,  lautete,  dafs  die 
Geschwindigkeiten  der  Körper  gleich  genannt  werden  dürfen,  wenn  die 
von  ihnen  zurückgelegten  Wege  sich  verhalten  wie  die  Zeiten,  in  wel- 
chen sie  zurückgelegt  werden.  Soll  also  diese  Definition  hier  gelten, 
so  müfste  die  Zeit  für  das  Fallen  längs  CA  zu  der  Zeit  des  freien 
Falls  längs  CB  dasselbe  Verhältnis  haben,  wie  die  Linie  CA  selbst 
zur  Linie  CB.  Nur  begreife  ich  nicht,  wie  dies  möglich  ist,  sobald 
die  Bewegung  längs  CB  rascher  ist  als  längs  CA. 

Salv.  Und  gleichwohl  sollt  imd  müfst  Ihr  es  begreifen.  Sagt 
mir  doch:  findet  bei  diesen  Bewegungen  nicht  eine  fortwährende  Be- 
schleunigung statt? 


[30.  31,]  Erster  Tag.  27 

Sagr.  Ja;  aber  eine  gröfsere  ßeschleimigung  in  der  senkrechten 
als  in  der  schiefen  Richtung. 

Salv.  Ist  mm  aber  jene  Beschleunigung  in  der  senkrechten  Rich- 
tung so  grofs  im  Vergleich  zu  der  in  schräger  Richtung  stattfinden- 
den, dafs,  an  welcher  Stelle  auch  immer  auf  den  beiden  Linien  gleiche 
Stücke  angenommen  werden,  die  Bewegung  längs  des  senkrechten 
Stücks  rascher  sein  muTs  als  längs  des  schiefen? 

Sagr.  0  nein.  Ich  kann  vielmehr  auf  der  schrägen  Linie  eine 
Strecke  annehmen,  auf  welcher  die  Geschwindigkeit  sehr  viel  gröfser 
ist  als  auf  einer  anderen  ebenso  grofsen  Strecke  der  senkrechten  Linie. 
Ich  brauche  nur  die  Strecke  auf  der  senkrechten  Linie  in  der  Nähe 
des  Endpunktes  C,  die  Strecke  auf  der  schiefen  Linie  hingegen  recht 
Aveit  davon  entfernt  anzunehmen. 

Salv.  Die  Behauptung  also,  die  Bewegung  längs  der  Senkrechten 
sei  schneller  als  längs  der  schiefen  Linie,  erweist  sich  nicht  als  all- 
gemein richtig,  wie  Ihr  seht.  Sie  gilt  nur  bei  Bewegungen,  die  vom 
Anfangspimkte,  also  von  der  Ruhelage,  ihren  Ausgang  nehmen.  Ohne 
diese  Klausel  wäre  die  Behauptung  dermafsen  falsch,  dafs  ihr  Gegen- 
teil ebenso  gut  wahr  sein  könnte,  nämlich  dafs  die  Bewegmig  auf  der 
schiefen  Ebene  schneller  ist,  als  in  senkrechter  Richtung:  denn  man 
kann  auf  der  schiefen  Linie  eine  Strecke  annehmen,  die  in  kürzerer 
Zeit  durchlaufen  wird,  als  eine  ebenso  grofse  Strecke  auf  der  Senk- 
rechten. Da  also  die  Bewegung  auf  der  schiefen  Ebene  an  einigen 
Stellen  schneller,  an  anderen  weniger  schnell  ist  als  auf  der  Senk- 
rechten, so  wird  an  gewissen  Stellen  der  schiefen  Ebene  die  Zeit  der 
Bewegimg  des  Körpers  zu  der  Zeit  der  Bewegung  des  Körpers  an  ge- 
wissen Stellen  der  Senkrechten  ein  gröfseres  Verhältnis  haben  als  die 
entsprechenden  zurückgelegten  Wege;  an  anderen  Stellen  hingegen 
wird  das  Verhältnis  der  Zeiten 
kleiner  sein  als  das  der  zu- 
gehörigen Wege.  Es  mögen 
z.  B.  von  der  Ruhelage,  also 
vom  Pmikte  C  aus  zwei  be- 
wegliche Körper  sich  in  Be- 
wegung setzen,  der  eine  längs 
der  Senkrechten  CB,  der 
andere  längs  der  schiefen  Linie 
CA.  Li  der  Zeit,  wo  der  eine  Körper  die  ganze  Strecke  CB  zurück- 
gelegt hat,  wird  der  andere  das  kleinere  Stück  CT  zurückgelegt  haben. 
Die  Dauer  der  Bewegung  auf  CT  Avird  also  zur  Dauer  der  BeAvegimg 
auf  CB  —  weil  diese  beiden  Zeiten  gleich  sind  —  ein  gröfseres  Ver- 


28  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [31.  32.] 

liältuis  haben  als  die  Linie  CT  zu  CB,  da  eiu  imd  dieselbe  Gröfse  zu 
einer  kleineren  ein  gröfseres  Verhältnis  hat  als  zu  einer  gröl'seren.  2'^) 
Wenn  man  umgekehrt  auf  der  nötigenfalls  zu  verlängernden  Linie  CA 
eine  Strecke  gleich  CB  annimmt,  die  aber  in  kürzerer  Frist  passiert 
Avird,  so  würde  die  Zeit  für  Durchmessung  der  schiefen  Strecke  zu  der 
für  Zurücklegung  der  senkrechten  ein  kleineres  Verhältnis  haben  als 
jene  Strecke  zu  dieser.  Da  wir  mis  also  auf  den  beiden  Linien  Strecken 
nebst  den  entsprechenden  Geschwindigkeiten  denken  können  derart, 
dafs  die  Verhältnisse  der  Strecken  zu  einander  teils  kleiner  teils  gröfser 
sind  als  die  Verhältnisse  der  entsprechenden  Zeiten,  so  können  wir 
wohl  vernünftigerweise  zugeben,  dafs  auch  Strecken  vorhanden  sind, 
auf  welchen  die  zur  Bewegung  erforderlichen  Zeiten  dasselbe  Verhält- 
nis bewahren  wie  die  Strecken  selbst. 

Sagr.  Mein  gröfstes  Bedenken  ist  jetzt  gehoben  und  ich  begreife 
nicht  blofs  die  Möglichkeit,  sondern  geradezu  die  Notwendigkeit  dessen, 
was  mir  vorher  ein  Widerspruch  schien.  Ich  verstehe  aber  einstweilen 
noch  nicht,  dafs  zu  diesen  möglichen  oder  notwendigen  Fällen  der  hier 
vorliegende  gehört.  Es  müfste  sich  herausstellen,  dafs  die  Fallzeit 
längs  CA  zur  Zeit  des  freien  Falls  längs  CB  sich  ebenso  verhält  wie 
die  Linie  CA  zu  CB,  damit  man  ohne  Widerspruch  soll  sagen  können, 
die  Geschwindigkeiten  längs  der  schiefen  Linie  CA  und  längs  der 
senkrechten  CB  seien  gleich. 

Salv.  Seid  einstweilen  zufrieden,  dafs  ich  Euch  den  Unglauben 
benommen  habe;  die  volle  Erkenntnis  erwartet  ein  anderes  Mal,  wenn 
Euch  die  Untersuchungen  unseres  Akademikers  über  die  räumlichen 
Bewegungen  vorliegen.  ^'^)  Ihr  werdet  dort  bewiesen  finden,  dafs,  wenn 
der  eine  Körper  die  ganze  Linie  CB  durchfallen  hat,  der  andere  am 
Fufspunkte  T  des  von  B  auf  CA  gefällten  Perpendikels  angelangt  ist. 
Um  andererseits  den  Ort  des  nämlichen  senkrecht  fallenden  Körpers 
zu  finden  in  dem  Augenblicke,  wo  der  andere  in  A  ankommt,  errichtet 
blofs  im  Punkte  A  ein  Perpendikel  auf  CA  und  verlängert  es  bis 
zum  Schnitt  mit  CB-^  dort  wird  der  gesuchte  Punkt  liegen.  Inzwischen 
werdet  Ihr  bemerken,  dafs  es  völlig  richtig  ist,  die  Bewegung  längs 
CB  als  rascher  zu  betrachten  wie  die  längs  der  schiefen  Linie  CA  — 
die  zu  vergleichenden  Bewegimgen  immer  vom  Ausgangspunkte  C  an 
gerechnet  —  denn  die  Linie  CB  ist  gröfser  als  CT,  und  ebenso  ist 
die  Linie  von  C  bis  zum  Schnitt  mit  dem  im  Punkte  A  auf  CA  er- 
richteten Perpendikel  gröfser  als  CA:  darum  ist  also  die  Bewegung 
auf  jener  rascher  als  längs  CA.  Vergleichen  wir  aber  die  über  die 
ganze  Linie  CA  erstreckte  Bewegung  nicht  mit  der  ganzen  gleichzeitig 
stattfindenden  Bewegung  längs   der  verlängerten  Senkrechten,  sondern 


[32.  33.]  Erster  Tag.  29 

blofs  mit  dem  schon  in  kürzerer  Zeit  zurückgelegten  Teile  CB,  so 
ist  es  sehr  wohl  angängig,  dafs  der  längs  CA  über  T  hinaus  weiter 
fallende  Körper  nach  einer  solchen  Frist  in  Ä  ankommt,  dafs,  wie  CA 
zu  CB,  so  auch  die  eine  Zeit  zur  anderen  sich  verhält. 

Wir  wollen  mm  wieder  unser  erstes  Ziel  ins  Auge  fassen  und 
beweisen,  dafs  ein  schwerer  Körper,  der  von  der  Ruhelage  ausgeht,  bei 
seinem  Falle  durch  alle  die  Stufen  der  Langsamkeit  hindurchgehen 
mufs,  welche  einer  später  von  ihm  erreichten  Stufe  der  Geschwindig- 
keit vorangehen.  Wir  nehmen  dieselbe  Figur  wiederum  vor  und  er- 
innern uns,  dafs  nach  beiderseitigem  Zugeständnis  der  senkrecht  längs 
CB  fallende  Körper  und  der  schief  längs  CA  fallende  in  den  End- 
punkten B  imd  A  mit  gleichen  Stufen  der  Geschwindigkeit  eintreffen. 
Wir  gehen  nun  weiter,  imd  ich  glaube,  Ihr  werdet  ohne  jedes  Be- 
denken zugeben,  dafs  auf  ^ 
einer  Ebene,  die  weniger 
steil  ist  als  A  C ,  etwa 
auf  AD  die  Abwärtsbewe- 
gung noch  langsamer  als 
auf  der  Ebene  AC  statt- 
finden wird.  Daher  lassen 
sich,  wie  nicht  im  minde- 
sten zu  bezweifeln  ist,  Ebe-  ^  ^ 
nen  von  so  geringer  Neigimg  gegen  den  Horizont  angeben,  dafs  der 
bewegte  Körper,  also  die  von  Anfang  an  betrachtete  Kanonenkugel, 
erst  nach  einer  vorgegebenen  beliebig  grofsen  Zeit  den  Weg  bis  zum 
Endpunkte  A  zurücklegen  würde.  Um  nämlich  längs  BA  dorthin  zu 
kommen,  reicht  auch  unendliche  Zeit  nicht  aus,  und  die  Bewegung 
wird  um  so  langsamer,  je  geringer  die  Steilheit  ist.  Man  mufs  also 
unbedingt  zugeben,  es  lasse  sich  über  dem  Punkte  B  ein  Punkt  in 
solcher  Nähe  annehmen^  dafs  die  durch  ihn  und  den  Punkt  A  gelegte 
Ebene  von  der  Kugel  auch  nicht  in  einem  Jahre  zurückgelegt  würde.  — 
Nun  mülst  Ihr  noch  folgendes  wissen.  Der  Antrieb,  mithin  der  Grad 
der  Geschwindigkeit,  welchen  die  Kugel  bei  ihrem  Eintrefien  im  Punkte 
A  erreicht  hat,  ist  eine  solche,  dafs,  wemi  sie  von  nun  ab  mit  diesem 
Grade  von  Geschwindigkeit  sich  weiter  bewegte,  d.  h,  ohne  eine  Be- 
schleunigung oder  eine  Verzögerung  zu  erfahren,  sie  die  doppelte  Länge 
dieser  Ebene  in  einer  Zeit  zurücklegen  würde,  die  gleich  ist  der  auf  der 
schiefen  Ebene  verbrachten.^")  Wenn  nämlich  die  Kugel  etwa  in  einer 
Stunde  die  Ebene  passiert  hätte  imd  sodaim  mit  dem  im  Endpunkte 
A  erreichten  Grad  von  Geschwindigkeit  fortführe  sich  zu  bewegen,  so 
würde   sie   in   einer   weiteren   Stunde    eine   Strecke   zurücklegen   gleich 


30  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [33.  34.] 

dem  doppelten  von  DA.  Nun  sind  aber,  wie  wir  festgestellt  haben,  die 
von  den  Körpern  in  B  und  Ä  erreichten  Geschwindigkeitsgrade  stets 
gleich,  vorausgesetzt,  dafs  diese  von  einem  beliebigen  auf  CB  ange- 
nommenen Punkte  ausgehen  und  sich  abwärts  bewegen,  der  eine  längs 
der  schiefen  Ebene,  der  andere  längs  der  Senkrechten.  Der  senkrecht 
fallende  Körper  kann  also  von  einem  so  nahe  bei  B  gelegenen  Punkte 
ausgehen,  dafs  die  in  B  erreichte  Geschwindigkeitsstufe  nicht  aus- 
reichend wäre  —  wenn  sie  von  nun  au  beibehalten  würde  —  um  den 
Körper  über  eine  Strecke  von  der  doppelten  Länge  der  schiefen  Ebene 
in  einem  Zeiträume  von  einem  Jahre  oder  von  zehn  oder  von  hundert 
Jahren  zu  befördern.  Wir  können  also  folgendermafsen  schliefsen: 
wemi  wirklich  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Natur  ein  Körper  nach 
Entfernung  aller  äufseren  und  zufälligen  Hindernisse  sich  auf  einer 
schiefen  Ebene  mit  um  so  gröfserer  Langsamkeit  bewegt,  je  geringer 
die  Schiefe  ist,  so  dafs  schliefslich  die  Langsamkeit  unendlich  grofs 
wird,  sobald  nämlich  die  Schiefe  aufhört  und  die  Ebene  in  eine  wag- 
rechte Ebene  übergeht,  und  wenn  wirklich  die  in  irgend  einem  Punkte 
der  schiefen  Ebene  erreichte  Geschwindigkeitsstufe  gleich  ist  der  Ge- 
schwindigkeitsstufe, die  der  senkrecht  fallende  Körper  an  einer  ebenso 
hochgelegenen  Stelle  erreicht,  so  mufs  man  auch  notwendig  unserer 
Behauptung  beistimmen,  dafs  der  von  der  Ruhelage  aus  fallende  Kör- 
per durch  alle  die  unendlich  vielen  Stufen  der  Langsamkeit  hin- 
durchgehen und  folglich,  um  einen  bestimmten  Grad  von  Geschwin- 
digkeit zu  erlangen,  sich  zuerst  in  gerader  Linie  bewegen  mufs^') 
und  zwar  eine  kürzere  oder  längere  Strecke,  je  nachdem  die  zu  er- 
reichende Geschwindigkeit  kleiner  oder  gröfser  sein  soll  und  je 
nachdem  die  Ebene,  auf  der  er  sich  abwärts  bewegt,  weniger  oder 
mehr  geneigt  ist.  Es  läfst  sich  also  auch  eine  Ebene  mit  so  geringer 
Neigung  angeben,  dafs  der  Körper,  um  auf  ihr  den  vorgeschriebenen 
Grad  von  Geschwindigkeit  zu  erlangen,  längs  einer  aufserordentlich 
grofsen  Strecke  und  während  einer  aufserordentlich  langen  Zeit  sich 
bewegt  haben  mufs;  auf  der  wagrechten  Ebene  wird  er  also  von 
Natur  aus  niemals  auch  nur  die  geringste  Geschwindigkeit  erlangen, 
da  er  sich  auf  ihr  ja  überhaupt  nicht  bewegen  wird.  Die  Bewegung 
gimg^kann^nie- ^^^^1»^  ^^^  horizontaleu  Linie,  die  keine  Schiefe  oder  Steilheit  besitzt,  | 
iich!fweisTo*mei^^  ^^^^  uiclits  Audcrcs  als  die  Kreisbewegung  um  den  Mittelpunkt. 
glrlduligrBe- ^^^^^™^  ^^^^  ^1^0  ^^^  Kreisbewegung  niemals  ohne  vorangehende  gerad- 
standf Tomren.  I"iig6  Bcwcgung  zustaudc  kommcn-,  ist  sie  aber  einmal  zustande  ge- 
Kreisbewegung kommen,  so  wird  sie  in  Ewigkeit  mit  oieichförmiger  Geschwindigkeit 

ist  iu  Ewigkeit  ^  ^  ="  •    1  ITT    1      I      •  1 

gleichförmig,  fortdauern.  ^^)      Ich    kömite    Euch    diese    nämlichen    Wahrheiten    noch 
durch    andere    Erwägungen    erläutern    und    sogar    beweisen;    aber    ich  jj 


[34.  35.]  Erster  Tag.  31 

möchte  nicht  so  weit  von  unserem  Hauptgegenstande  abschweifen 
und  lieber  bei  einer  anderen  Gelegenheit  darauf  zurückkommen, 
umsomehr  als  wir  jetzt  auf  dieses  Thema  nicht  gekommen  sind  zum 
Zwecke  eines  strengen  Beweises,  sondern  nur  um  einen  Gedanken 
Piatos  ^^)  weiter  auszuführen.  —  Ich  will  daran  noch  eine  eigentümliche 
Beobachtung  unseres  Akademikers  reihen,  die  ans  Wunderbare  grenzt.  • 
Stellen  wir  uns  vor,  der  göttliche  Baumeister  habe  neben  anderen 
Entwürfen  den  Plan  gehegt,  im  Weltall  jene  Kugeln  zu  schaffen,  die 
wir  beständig  im  Kreise  sich  drehen  sehen;  er  habe  den  Mittelpunkt 
ihres  Kreislaufs  bestimmt  und  in  diesen  unbeweglich  die  Sonne  ver- 
setzt, habe  dann  alle  die  genamiten  Kugeln  am  nämlichen  Orte  ver- 
fertigt und  ihnen  den  Trieb  eingepflanzt,  von  hier  aus  sich  abwärts 
nach  dem  Mittelpunkte  hin  zu  bewegen,  bis  sie  den  Grad  von  Ge- 
schwindigkeit erlangt  hätten,  der  dem  göttlichen  Geiste  gut  schien; 
als  sie  diesen  erlangt,  seien  sie  sodann  in  Drehung  versetzt  worden, 
jeglicher  in  seinem  Kreise  die  zugewiesene  Geschwindigkeit  bewahrend. 
Es  fragt  sich  nun,  in  welcher  Höhe  und  welcher  Entfernung  von  der 
Sonne  der  Ort  gewesen  ist,  wo  zu  Anfang  jene  Kugeln  geschaffen 
wurden  und  ob  möglicherweise  die  Schöpfung  von  allen  an  einem  Orte 
stattgefunden  hat.  Zur  Lösung  dieser  Frage  hat  man  nach  den  An- 
gaben der  sachverständigsten  Astronomen  die  Gröfse  der  Kreise  zu 
Grunde  zu  legen,  in  welchen  die  Planeten  umlaufen,  sowie  die  Dauer 
dieser  Umläufe.  Aus  diesen  beiden  gegebenen  Gröfsen  berechnet  man, 
wievielmal  schneller  z.  B.  die  Bewegung  des  Jupiter  als  die  des  Saturn 
ist.  Findet  man  dann,  wie  es  thatsächlich  der  Fall  ist,  dafs  Juiiiter 
sich  schneller  bewegt,  so  mufs,  da  beide  von  gleicher  Höhe  ausgegangen 
sind,  Jupiter  tiefer  gefallen  sein  als  Saturn,  wie  es  denn  bekanntlich 
auch  wirklich  sich  verhält,  da  ja  seine  Bahn  innerhalb  der  Saturnbahn 
liegt.  Geht  man  aber  weiter,  so  kann  man  aus  dem  Verhältnis  der 
Geschwindigkeiten  des  Jupiter  und  Saturn,  aus  dem  Abstand  ihrer 
Bahnen  und  aus  dem  Mafse  der  Beschleunigung  bei  der  natürlichen 
Bewegung,  wieder  auffinden,  in  welcher  Höhe  imd  Entfernung  vom 
Mittelpunkte  ihrer  Umdrehungen  der  Ort  sich  befunden  hat,  von  dem 
sie  ausgingen.  Ist  dieser  aufgefunden  und  festgelegt,  so  fragt  es  sich.  Die  Orofse  der 
ob  bei  Mars,  wenn  er  gleichfalls  von  dort  bis  zu  seiner  jetzigen  BahnGe*ch«'iiXgkVit 
hinabgestiegen  ist,  die  Gröfse  der  Bahn  und  seine  Geschwindigkeit  mit  wegunt^haben' 
dem  durch  Rechnung  gefundenen  Ergebnis  stimmt;  ähnlich  steht  es  hHUnis^'^weiches 
mit  der  Erde,  mit  Venus  und  mit  Merkur,  bei  welchen  die  Gröfse  der  wegung  von 
Kreise  und  die  Geschwindigkeiten  der  Bewegung  so  nahe  mit  dem /u^auss'^iukt 
Resultate  der  Rechnung  überoinstimmon,  dafs  man  sich  nicht  geiuig  *'"''*i'"'^  ''• 
darüber  wundern  kami. 


32  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [35.  36.] 

Sagr.  Ich  bin  mit  gröfstem  Vergnügen  diesen  Erörtermigen  ge- 
folgt; wenn  ich  nicht  glaubte,  die  genaue  Ausführung  der  Rechnungen 
sei  eine  weitläufige,  mühevolle  und  vielleicht  mein  Verständnis  über- 
steigende Sache,  so  würde  ich  Euch  darum  bitten. 

Salv.  Das  Verfahren  ist  wirklich  weitläufig  und  schwierig,  auch 
bin  ich  nicht  sicher,  es  so  ohne  weiteres  vortragen  zu  kömien;  wir 
wollen  die  Sache  darum  auf  ein  anderes  Mal  verschieben. 

Simpl.  Haltet  es,  hüte,  meiner  geringen  Übung  in  den  mathemati- 
schen Wissenschaften  zu  gute,  wenn  ich  offen  gestehe,  dafs  Euere  Unter- 
suchungen, die  sich  auf  gröfsere  oder  Meinere  Verhältnisse  gründen  und  auf 
ähnliche  für  mich  nicht  hinreichend  klar  verständliche  Begriffe,  mir  meine 
Bedenken  oder,  besser  gesagt,  meinen  Unglaid)en  nicht  benommen  haben.  Es 
soll  notwendigenveise  jene  schivere  Bleikugel  von  100  Pfund  Gewicht,  wenn 
man  sie  von  der  Ruhelage  aus  fallen  läfst,  jede  noch  so  hohe  Stufe  der 
Langsamkeit  passieren,  tvährend  sie  doch  augenscheinlich  in  vier  Puls- 
schlägen mehr  als  hundert  Ellen  Wegs  zurücklegt:  ein  Picsultat,  das 
meiner  Überzeugung  nach  völlig  unverträglich  damit  ist,  dafs  sie  einmal 
eine  solche  Langsamkeit  soll  besessen  haben,  wie  sie  nicht  genügen  würde, 
um  jene  in  tausend  Jahren  auch  nur  einen  halben  Zoll  weiter  zu  bringen, 
wenn  nämlich  jene  Langsamkeit  beibehalten  würde.  Wenn  es  aber  dennoch 
so  ist,  möchte  ich  es  auch  gerne  begreifen  können. 

Sagr.  Signore  Salviati,  als  gründlicher  Fachmann,  meint  gar  manch- 
mal, die  Kimstausdrücke,  die  ihm  selbst  sehr  geläufig  und  vertraut  sind, 
müfsten  es  auch  anderen  sein,  er  vergifst  daher  bisweilen,  ivenn  er  zu  uns 
spricht,  dafs  er  mit  weniger  gelehrten  Erörterungen  unserer  mangelhaften 
Fassungsgabe  entgegen  kommen  sollte;  darum  will  ich  mit  seiner  Erlaub- 
nis, ohne  mich  in  solche  Höhen  zu  versteigen,  versuchen  wenigstens  teil- 
weise dem  Signore  Simplicio  den  Unglauben  durch  plausible  Gründe  zu 
benehmen.  Um  wieder  auf  den  Fall  der  Geschützkugel  zurückzidcommen, 
sagt  mir,  bitte,  Signore  Simplicio,  wollt  Ihr  nicht  einräumen,  dafs  beim 
Übergang  von  einem  Zustande  zu  einem  anderen  der  Fortgang  zu  einem 
näheren  naturgemäfs  leichter  und  bequemer  ist  als  zu  einem  entfernteren? 

Simpl.  Dies  verstelle  ich  und  räume  ich  ein.  Ich  zweifle  nicht  daran, 
dafs  z.  B.  ein  glühendes  Stück  Eisen  beim  Erkalten  von  zehn  Grad  Wärme 
eher  auf  neun  Grad  sinkt,  als  von  zehn  auf  sechs.^^) 

Sagr.  Sehr  wohl.  Sagt  mir  sodann:  wenn  jene  Kanonenkugel  von 
der  Kraft  des  entzündeten  Pidvers  senkrecht  in  die  Höhe  geschossen  wird, 
bewegt  sie  sich  dann  nicht  fortwährend  mit  abnehmender  Geschwindigkeit, 
bis  sie  den  höchsten  Punkt  erreicht  und  damit  zur  Ruhe  gelangt?  Und 
soll  man  nicht  vernünftigerweise  annehmen,  dafs  bei  der  Almahme  der 
Geschwindigkeit  oder,  wenn  Ihr  lieber  wollt,  bei  der  Zunahme  der  Lang- 


[36.  37.]  Erster  Tag.  »  33 

samJmt  der  Übergang  von  10  Grad  auf  11  eher  stattfindet  als  von  10 
auf  12?  und  von  1000  auf  1001  eher  als  von  1000  auf  1002?  hirg  von 
einem  heliehigen  Grad  eher  auf  einen  henachharten  als  auf  einen  ent- 
fernten? 

Simpl.    Freilich  ist  das  vernünftig. 

Sagr.  Welche  Stufe  der  Langsamlceit  liegt  aher  irgend  welcher  Be- 
ivegung  so  ferne,  dafs  nicht  der  Zustand  der  Buhe,  also  der  unend- 
licher Langsamlceit,  nicht  noch  weiter  ah  von  ihr  läge?  Darum  darf 
man  nicht  in  Ztveifel  ziehen,  dafs  besagte  Kugel,  bevor  sie  schliefslich  in 
den  Endzustand  der  Ruhe  gelangt,  alle  Stufen  immer  gröfserer  Langsam- 
keit durchmacht,  folglich  auch  eine  solche,  bei  welcher  sie  in  tausend  Jahren 
Iceinen  Zoll  weiterrücken  würde.  Ist  dies  aher  der  Fall  —  und  es  ist 
der  Fall  —  so  ivird  es  Euch  nicht  wundern  dürfen,  ivcnn  bei  der  Um- 
Jcehr  nach  unten  dieselbe  Kugel  vom  Zustande  der  Ruhe  aus  ihre  Ge- 
schwindiglceit  dadurch  wieder  erlangt,  dafs  sie  durch  die  nämlichen  Grade 
der  Langsamlceit  hindurchgeht,  die  sie  hei  der  Bewegung  nach  oben  durch- 
gemacht hat,  nicht  aber  dadurch,  dafs  sie  alle  anderen  höhe^'cn  Stufen  der 
Langsamlceit^^),  die  dem  Zustande  der  Ruhe  näher  liegen,  ausläfst  und 
sjirungiveise  zu  einer  entfernteren  übergeht. 

Simpl.  Aus  dieser  Erklärung  bin  ich  weit  eher  klug  geworden,  als 
aus  den  früheren  mathematischen  Spitzfindigkeiten.  Signore  Salviati  mag 
daher  seinen  Faden  wieder  aufnehmen  und  seine  Scldu ßfolgerungen  fort- 
setzen. 

Salv.     Wir  werden  also   zu  unserem  ursprüngliclien  Gegenstande 
zurückkehren    und    da   wieder   anknüpfen^    wo    wir    abgeschweift    sind. 
Wenn  ich  mich  recht  erinnere,  waren  wir  dabei,  festzustellen,  dafs  die 
geradlinige  Bewegung  unter  Voraussetzung  einer  wohl  geordneten  Welt 
nutzlos    sein  mufs;   wir   haben   weiter  hervorgehoben,   dafs    die    Sache 
bei   den   kreisförmigen  Bewegungen   anders   liegt:   denn   die   Bewegung 
des  Körpers   um   sich  selbst  hält  ihn  ja  stets  an  derselben  Stelle  fest, 
und    die   Bewegung   auf    dem   Umfange    eines   Kreises    um    dessen  un- 
verrückt festes  Centrum  hat  keine  Aufhebung  der  Ordnmig  weder  fürgungeu  brhigeu 
ihn  selber  noch  für  benachbarte  Körper  im  Gefolge.     Eine  solche  Be-keitn.Begreuzt- 
wegung  ist  nämlich  endlich  und  begrenzt,  und  nicht  blofs  das,  es  giebt  Teiie^'d«^  weu 
auch  keinen  Punkt  auf  dem  Umfang  des  Kreises,  der  nicht  zugleich '"''  n^ng."""^' 
Anfano;s-  und  Endpunlvt  der  Kreisbewegmig  wäre:  beim  Fortgang  seiner  Bei  der  Krois- 

O  ^  _  P     .  ,  bewegung  ist 

Bewe«cimo-   auf  dem   ihm   zugewiesenen   Kreise   läfst   der   Körper   allen  jeder  Punkt  «los 
übrigen  Raum  imierhalb  und  aufserhalb  desselben  frei  für  die  Bedürf-faiigs-uudEi.d- 
nisse   anderer  Körper,   ohne    ihnen  jemals   hinderlich   oder   störend   zu 
werden.     Da   es  sich   hier   um   die  Bewegung  handelt,  die  den  Körper 
beständig  vom  Ziele   entfernt   und   ihn   beständig   zu   ihm  hinführt,  so 

Ualilei,  Wultsystemo.  3 


34  '  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [37.  38.] 

kann    znnäclist   nur    sie    gieicliförmig    sein;    denn   die   Beschleunigung 
der  Bewegung    entstellt,    wenn   sich    der  Körper  nach   einem   erstreb- 
ten  Ziele   hin  bewegt    und   die   Verzögerung  tritt   ein   durch    die   Ab- 
Kreisbewegung ueiguug    sich   von  jenem  Ziele   zu   trennen   mid   zu    entfernen.     Da  er 
^  ? "rmig!''     aber  bei  der  Kreisbewegung  sich  stets  von  dem  natürlichen  Ziele  trennt 
imd  wieder   zu  ihm   hinbewegt,  so   sind  bei  ihm  Abneigung  und  Nei- 
gimg gleich;   aus   dieser  Gleichheit  geht  eine   weder  verzögerte,  noch 
beschleunigte  Geschwindigkeit  hervor,  d.  h.  eine  gleichförmige  Bewegung. 
Aus   dieser   Gleichförmigkeit    und   Begrenztheit   ergiebt   sich   die   Mög- 
Kroisbewegung  lichkeit  ciuer  ewigen  Fortdauer,  indem  die  Umläufe  sich  stets  wieder- 
dauem.      holcu;    auf  ciucr   unbegrenzten  Linie  hingegen  und  bei  einer  fortwäh- 
Geradiinige  Be-rcud   Verzögerten   oder  beschleunigten  Bewegung,    ist  von  Natur  aus 
von  Nauir  aus  eine  solchc  Fortdauer  unmöglich.     Ich  sage:  von  Natur  aus;  denn  die 
verzögerte  gradlinige  Bewegung   ist  gewaltsam,  kann  also  nicht   von 
ewiger   Dauer   sein^-'');   die    beschleunigte   Bewegung  hingegen    gelangt 
notwendig   einmal   ans  Ziel,   wenn   ein  solches  vorhanden  ist;  ist  aber 
keines  vorhanden,   so   kaim  auch   keine  Bewegung  zu  stände  kommen, 
weil   die  Natur  niemals   dahin   treibt,   wohin   es   unmöglich  ist  zu  ge- 
langen.     Demgemäfs    schliefse    ich,   dafs   nur   die   Kreisbewegung   von 
Natur  aus  den  das  Weltall  zusammensetzenden  NaturkörjDern  zukommen 
kann,  sobald  diese  sich  in  vollkommener  Ordnung  befinden;  die  gerad- 
Geradiinige  Be-linige  Beweguug  hingegen  kann  höchstens  dann  von  der  Natur  ihren 
Bestimmung,  dieKörpem  uud  dcrcu  Teilen  zugewiesen  werden,  sobald  sie  sich  aufser- 
voiikommene  halb   der   ihucu  vorgeschriebenen  Plätze  in   verkehrter  Anordnimg  be- 
bringeu,  wenn  finden    uud    daher    auf   dem    kürzesten   Wege   in  die  natürliche   Lage 
entfernt  wurden,  zurückgebracht  werdcu  sollen.     Danach  scheint  mir  der  8chlufs  völlig 
Biofs  Kühe  und  gerechtfertigt,    dafs   behufs   Aufrechterhaltung   der  vollkommenen  Ord- 
sind  geeignet  zurnung  die  bewegHcheu  Teile  der  Welt  notwendig  sich  kreisförmig  be- 
tung d.  Ordnung,  wegen,   die  etAva   nicht  kreisförmig  bewegten  notwendig  unbeweglich 
sein  müssen;  denn  nur  die  Ruhe  und  die  Kreisbewegung  sind  geeignet, 
die  Ordnung  aufrecht  zu  erhalten.     Auch  wundere  ich  mich  sehr,  dafs 
Aristoteles,  der  doch  glaubte,  die  Erdkugel  sei  in  den  Mittelpunkt  der 
Welt  gesetzt  imd  verharre   dort  unbeweglich,  die  natürlichen  Körper 
nicht  eingeteilt  hat  in  von  Natur  bewegliche  und  von  Natur  unbeweg- 
liche, zumal   da  er  früher  die  Natur   als  Ursache    der   Bewegung  und 
der  Ruhe  definiert  hat.^") 

Simpl.    Aristoteles,  der  trotz  seines  ungemeinen  Scharfsinnes  seinen 

Sinnliche  Er-  ,  .  -^  /  » 

fahrungen  ver-  Gcist  uicht  uugebührlich   überschätztc,   glaubte ,  dafs  die  sinnliche  Er- 
dienen den  Vor-  ;    o  7 

zug  vor menschfahrung    vor   ieder  vom   Menschengeiste   angestellten   Spekulation    den 

hohen  Spekula-  -r^..  ..  .. 

tionen.       Vorzug  verdicne^^)  und  sagte,  diejenigen,  welche  die  Siimeserfahrimgen 
erfahrungen   Icugueten,  scicu  würdig,  dafür  mit  dem  Verlust  ihrer  Sinne  zu  büfsen. 


[38.  39.]  Erstei-  Tag.  35 

Wer  ist  mm  so  blmd,  dafs  er  nicht  die  Teile  der  Erde  und  des  Wassers, leugnet,  ist  wert 

der  Sinne  ver- 

als   schwere  Körper    sich   von  Natur    abwärts   bewegen   sähe,   d.  h.   iniuattg  zu  gehen. 
der  Richtung  nach   dem  Mittelpimkte   des   Weltalls,   welcher  von   der 
Natur    selbst   der   geradlinigen  Bewegung  deorsum  als   Ende   und  Ziel 
angewiesen   ist?    wer   sähe   nicht    gleichfalls,   dafs    das   Feuer  und   die  Die  sinneser- 

fahrung  zeigt, 

Luft  sich  gerade  nach  oben  bewegen  zu  der  Wölbung  der  Mondsphäre^afs  das  Schwere 

sich  nach  der 

hin,   dem  natürlichen  Ziele   der  Bewegung   siirsiim?     Wo  nun  dies  soMitte,  d.  Leichte 

11  m  T  •  •  1     r  7  ■  •        nach  der  Wöl- 

klar  am  Tage   liegt,   und  wo   wir  wissen,   dafs   eaaem  est  ratio  totms^ung  der  Mond- 
en partium,  wie  kann  man  da  in  Abrede   stellen,   dafs   die  Lehre  von 
der  natürlichen  geradlinigen  Bewegung  der  Erde  ad  medium  und   des 
Feuers   a  medio  eine  offenbar  richtige  Behauptung  sei? 

Salv.  Vermöge  des  von  Euch  Bemerkten  könntet  Ihr  allerhöch- 
stens  auf  das  Zugeständnis  Anspruch  erheben,  dafs,  gerade  wie  die 
Teile  der  Erde  nach  ihrer  Trennung  vom  Ganzen,  d.  h.  nach  ihrer 
Entfernung  von  der  ihnen  gebührenden  Stelle,  mit  anderen  Worten 
nach  Aufhebung  und  Störung  der  natürlichen  Ordnung,  freiwillig  von 
Natur  aus  zu  ihr  auf  geradem  Wege  zurückkehren,  so  auch  die  An- 
nahme gerechtfertigt  sei  —  vorausgesetzt,  dafs  eadcm  est  ratio  totius 
et  partium  —  es  werde  die  Erdkugel  in  ihre  natürliche  Lage  in  gerad- 
liniger Bewegung  zurückkehren,  sobald  sie  daraus  gewaltsam  entfernt 
würde.  Dies,  wie  gesagt,  wäre  das  Einzige,  was  mau  Euch  einräumen 
könnte,  wenn  man  Euch  sehr  entgegenkommen  wollte.  Wollte  man 
aber  strengere  Kontrolle  üben,  so  könnte  man  erstens  in  Abrede  stellen,  ob  die  fallenden 

schweren  Körper 

dafs  die  Teile    der  Erde  nach  ihrer  Trennung  vom  (ranzen  zu  diesemeine  gerade  Linie 
in  geradHniger  Bewegung  zurückkehren  und  nicht  etwa  in  kreisförmiger    zweifelhaft. 
oder  in  gemischter;  es  sollte  Euch  schwer  genug  fallen,  das  Gegenteil 
zu    beweisen,    wie    Ihr    deutlich    aus    den   Erwiderungen    auf   die    von 
Aristoteles   und  Ptolemäus   angeführten   speciellen   Gründe   und  Erfah- 
rungen  ersehen  werdet.  ^^)      Wenn   zweitens  jemand  behaupten  wollte, 
dafs  die  Teile  der  Erde  sich  nicht  bewegen,  um  sich  nach  dem  Mittel- 
punkte   der  Welt   zu   begeben,   sondern   um  sich   mit  dem  Ganzen  zu 
vereinigen,    zu    dem    sie  gehören,    dafs   sie   also   den    Trieb   nach   dem  Die  Erde  ist 
Mittelpunkte  der  Erde   haben,   welchem   einmütigen  Trieb  zufolge  sie  folge  des  zu- 

TT11  -nii  11  1-1  11         sammenstrebens 

deren  Bildung  und  Erhaltimg  überhaupt  erst  ermöglichen:  wo  wolltet  der  Teile  nach 
Ihr  da  ein  anderes  Ganzes   imd   einen  anderen  Mittelpunkt  auftreiben,         Mn. 
nach  welchen  die  gesamte  Erdkugel  bei   einer  etwaigen  Störiing  ihrer 
Lage   zurückkehren   sollte,  damit   das  Verhalten   des  Ganzen   mit  dem 
seiner   Teile    übereinstimme?      Nehmt    hinzu,    dafs    weder  Aristoteles 
noch  Ihr  jemals   beweisen  werdet,   die  Erde   befinde  sich  de  facto  im 
Mittelpunkte  des  Weltalls-,  wenn  man  vielmehr  dem  Weltall  überhauptoie  Somie  steht 
einen  Mittelpunkt  zuschreiben    kann,  so  liefse  sich  eher  die  Sonne  alswahrscheiuuch- 


36  Dialog  über  die  Weltsysteme,  [39.  40.] 

keit  im  Mittel-  solchei'  betrachten,  wie  Ihr  im  Verfolg   imserer  Erörterungen  ersehen 

punkte  der  Welt 
als  die  Krde.    werdet. 

Wie  nun  aus  dem  übereinstimmenden  Streben  aller  Teile  der  Erde 
zum  Ganzen  sich  ergiebt,  dafs  diese  von  allen  Seiten  mit  gleichem 
Triebe  zu  ihr  hineilen  und,  um  sich  so  eng  als  möglich  mit  ihr  zu 
vereinigen,  sich  ihr  kugelförmig  anlagern,  warum  sollen  wir  nicht  an- 
nehmen, dafs  der  Mond,  die  Sonne  und  die  anderen  Weltkörper  gleich- 
falls nur  wegen  des  übereinstimmenden  Triebes  imd  des  natürlichen 
Zusammenstrebens  aller  sie  zusammensetzenden  Teile  von  runder  Ge- 
stalt sind?  Wenn  irgend  einmal  durch  irgendwelche  Gewalt  ein  Teil 
Natürlicher  vou  sciuem  Gauzcu  losgerissen  würde,  wäre  es  nicht  vernünftig  an- 
einesjedenweit-zunehmen,  dafs   er  von  selbst  durch   natürlichen  Trieb    dahin  zurück- 

körpers  nach  ,  ,  r^ , 

dessen  Mittel-  kehrte?   und   in   diesem  Sinne  zu  behaupten,  dafs    die   geradlinige   Be- 

punkt  hin  sich 

zu  begehen,    weguug  allen  Weltkörpern  zukommt  ?  ^) 

Simpl.  Sicherlich  werdet  Ihr  niemals  überzeugt  oder  von  irgend 
einer  vorgefafsten  Meinung  abgebracht  werden  können,  da  Ihr  die 
Axiome  der  Wissenschaften  nicht  nur,  sondern  sogar  handgreifliche 
Erfahrungen  und  die  Sinueswahrnehmungen  selber  leugnen  wollt.  Nicht 
sowohl  vermöge  Euerer  Beweise  werde  ich  meinen  Widerstand  auf- 
geben, als  vielmehr  weil  contra  negantes  principia  non  est  disputan- 
di(m.^^)  Um  auf  das  soeben  von  Euch  Vorgebrachte  einzugehen,  so 
frage  ich  Euch  —  da  Ihr  gar  in  Zweifel  zieht,  ob  die  Bewegung  der 
schweren  Körper  geradlinig  sei  oder  nicht  —  wie  könnt  Ihr  ver- 
Geradiinige  Be-nüuftigerweise  leugnen,  dafs  die  Teile  der  Erde,  d.  h.  die  allerschwer- 

wegung  schwerer  J^  .    -  -^.        ,  .        . 

Körper  durch  diesten  Stoffc,  sich  abwärts   gegen  den  Mittelpunkt   hm  m  gerader  Linie 

Sinne  wahrge-  '       ^  O    O  J:  ö 

nommen.  bcwegeu.  Wcuu  Ihr  solche  von  einem  sehr  hohen  Turme,  dessen 
Wände  genau  eben  und  senkrecht  gebaut  sind,  herabfallen  lafst,  so 
streichen  sie  doch  dicht  an  diesen  Wänden  hin  und  treffen  aufs  Haar 
in  demselben  Punkt  auf  die  Erde,  wo  sich  der  Fufspunkt  eines  Blei- 
lotes befinden  würde,  welches  genau  an  der  Stelle  oben  befestigt  ist, 
von  wo  aus  man  den  Stein  fallen  liefs?  Ist  das  nicht  ein  mehr  als 
evidenter  Beweis,  dafs  solche  Bewegung  geradlinig  und  gegen  den 
Mittelpunkt  hin  gerichtet  ist?  Ferner  zieht  Ihr  in  Zweifel,  dafs  die 
AristoteUscher  Teile  der  Erde  sich  deshalb    bewegen,  um,   wie  Aristoteles  behauptet, 

Beweis  dafür,  .  o        7  7  x         7 

dafs  die  schwerenuach   dem  Mittelpunkte   der  Welt   zu   ffelano;en:   als  hätte   er  es   nicht 

Körper  sich  he-       .  z-i  •  o  o 

wegen,  um  nachmit  triftigen  Grüudcu  durch  die  Lehre  von  den  entgegengesetzten  Be- 

dem  Mittel-  ^  .  .  .  •  .hn       t^- 

punkte  des  weit-wegungen  bewiesen,  indem  er  m  folgender  Weise  argumentiert.''")     Die 

alls  zu  gelangen.  ,  '  ^^  ^  .  ^  -^ 

Bewegung  der  schweren  Körper  ist  der  der  leichten  entgegengesetzt; 
die  Bewegmig  der  leichten  findet  aber,  wie  man  sieht,  geradewegs 
nach  oben  statt,  d.  h.  nach  dem  Umfange  der  Welt  zu,  also  ist  die 
Bewegung  der  schweren  gerade  nach  dem  Mittelpunkte  der  Welt  ge- 


[40.  41.]  Erster  Tag.  37 

richtet;   und  per  accideiis'^^)    geschielit  es,    dals   sie    nach  dem  Mittel-  i>ie  schweren 

Körper  bewegen 

pimkte   der  Erde   berichtet   ist,   da   dieser   thatsächlich   mit   ienem  zu-sichperaccidens 

"  '  •  •         rr,     -1       1         °="=^  •*®'"   ^^''•l- 

sammenfcillt.     Dann  aber  gar  mitersuchen  zu  wollen,  wie  em  Teil  des  mitteipunkte. 
Mond-  oder  Somienballs  sich  verhielte,  wenn  er  von  dem  ganzen  Balle  Die  Folgen  einer 

.  ..  II-  11T       unmöglichen 

losgelöst  würde,  ist  em  eiteles  Unternehmen;  denn  das  heilst  doch  die  Annahme  zu 
Folgen   einer   mimöglichen  Annahme   untersuchen.      Sind  ja  doch,  wieein eiteieaunter- 
Aristoteles  gleichfalls  beweist,  die  Himmelskörper   unveränderlich,   un- 
durchdringlich, unzerbrechlich,  so  dafs  Euere  Annahme  sich  nicht  ver- 
wirklichen kann.    Geschähe  es  aber  dennoch,  und  der  losgerissene  Teil 
kehrte  zum  Ganzen  zurück,   so  würde  er  es  nicht,  insofern  er  schwer 
oder   leicht    ist,    thun;    denn    wiederum    beweist  Aristoteles,   dafs   die  Himmelskörper 
Himmelskörper  weder  schwer  noch  leicht  sind.  weder  schwer 

Salv.  Wie  begründet  mein  Zweifel  ist,  ob  die  schweren  Körper 
sich  in  gerader  oder  senkrechter  Richtmig  bewegen,  sollt  Ihr,  wie  ge- 
sagt, schon  merken,  weim  ich  diesen  besonderen  Gegenstand  einer  Prüfung 
unterziehen  werde.  Betreffs  des  zweiten  Pimktes  wundere  ich  mich, 
dafs  Euch  noch  erst  der  Fehlschlufs  des  Aristoteles  nachgewiesen  werden 
soll,  der  doch  so  klar  zu  Tage  liegt,  und  dafs  Ihr  nicht  seht,  wie  Aristo- 
teles schon  voraussetzt,  was  erst  ermittelt  werden  soll.    Merkt  also  auf. 

Simpl.  Thut  mir  die  Liebe,  Signore  Salviati,  und  sprecht  mit 
gröfserer  Achtung  von  Aristoteles.  Wen  wolltet  Ihr  jemals  glauben 
machen,  dafs  er,  der  erste,  einzige,  nicht  genug  zu  bewimdernde  Er- 
forscher der  syllogistischen  Figuren,  des  Beweises,  der  Widerlegung, 
der  Methoden  die  Trug-  und  Fehlschlüsse  aufzudecken,  kurzum  der 
Vater  der  Logik,  einen  solchen  Denkfehler  soll   begangen  haben,  dafs  Aristoteles  kann 

1  I       1      f  •        -,         ■         A^\        ir    •  keinen  Denk- 

er das  als  bekannt  voraussetzte,  was   erst  zu  ermitteln  ist?    )     Meme  fehler  macheu, 

TT  f>     •!  1  1  1  11  da  er  der  Er- 

Herren,  man  muls  ihn  vorher  recht  verstehen,  und  dann  erst  versuchen,  ander  der  Logik 
gegen  ihn  anzukämpfen. 

Salv.  Signore  Simphcio,  wir  pflegen  hier  vertrauliche  Erörtenuigen, 
um  gewissen  Wahrheiten  auf  die  Spur  zu  kommen.  Ich  Averde  es  nie- 
mals übel  nehmen,  wenn  Ihr  meine  Irrtümer  aufdeckt;  wenn  ich  den 
Sinn  des  Aristoteles  nicht  gefafst  habe,  so  rückt  mir  das  freimütig 
vor,  ich  werde  Euch  dankbar  dafür  sein.  Vergönnt  mir  dagegen,  meine 
Bedenken  auseinanderzusetzen  und  auch  Einiges  auf  Euere  letzten  AVorte 
zu  erwidern.  Die  Logik  ist,  wie  Ihr  sehr  wohl  wifst,  das  Instrument 
der  Philosophie.  Aber  wie  jemand  ein  vortrefflicher  Instrumenten- 
macher sein  kann,  ohne  die  Instrumente  spielen  zu  können,  so  kann 
man  ein  grofser  Logiker  sein,  ohne  genügende  Fertigkeit  in  Anwen- 
dung der  Logik  zu  besitzen:  gerade  wie  es  viele  giebt,  die  die  Regeln 
der  Poetik  Euch  an  den  Fingern  herzählen  können,  während  es  ihnen 
nicht  gelmgt,  auch  nur  vier  Verse  zusammenzubrino-en.    Andere  kennen 


38  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [42.  43.] 

alle  Vorschriften  Leonardo  da  Vincis  •^^)  imd  kämen  in  Verlegenheit, 
wenn  sie  einen  Schemel  abmalen  sollten.  Ein  Instrument  zu  spielen 
lernt  man  eben  nicht  von  dem,  der  es  zu  bauen,  sondern  von  dem,  der 
es  zu  spielen  versteht;  die  Dichtkunst  erlernt  man  durch  die  be- 
ständige Lektüre  der  Dichter;  die  Fähigkeit  zu  malen  erlangt  man 
durch  fleifsiges  Zeichnen  und  Malen;  imd  so  lernt  man  das  Beweisen 
aus  der  Lektüre  der  Bücher,  die  zahlreiche  Beweise  enthalten,  also  aus 
den  mathematischen,  nicht  aber  aus  den  logischen.  —  Um  nun  zu 
imserem  Gegenstande  zurückzukehren,  so  behaupte  ich:  was  Aristoteles 
bei  der  Bewegung  der  leichten  Körper  wahrnimmt,  besteht  darin,  dafs 
das  Feuer  von  einem  beliebigen  Punkte  der  Erdoberfläche  aus  in 
gerader  Linie  von  dieser  sich  entfernt  und  in  die  Höhe  steigt,  dies 
heifst  eigenthch  sich  gegen  eine  gröfsere  Kugeloberfläche  als  die  der 
Erde  hin  bewegt,  wie  ja  Aristoteles  selbst  es  sich  zu  der  Wölbimg 
der  Mondsphäre  hinbewegen  läfst.  Dafs  nun  aber  diese  Kugelfläche 
mit  dem  Umfange  der  AVeit  zusammenfalle  oder,  mit  ihm  konzentrisch 
sei,  mithin  die  Bewegung  nach  jener  auch  eine  Bewegimg  nach  dem 
Umfange   der  Welt  sei,  läfst  sich  nicht  behaupten,  wenn   man  nicht 

FehiscMufs  des  schon  voraussctzt,  der  Mittelpunkt  der  Erde,  von  dem  das  aufsteigende 

^"mBeweiB^e^^  Leichte  sich  entfernt,  sei  gleichzeitig  auch  der  Mittelpunkt  der  Welt. 

jiiueipunkte  des  Dies  aber  heifst  doch,  der  Erdball  stehe  im  Mittelpunkte  und  dies  ist 
s  ste  t.  ^^    doch,    was    wir    bezweifeln   und    was  Aristoteles    zu   beweisen  be- 
absichtigt.    Und  das  sollte  nicht  ein  offenbarer  Fehlschlufs  sein? 

Sagr.  Dieser  Beweisgrund  des  Aristoteles  ist  mir  noch  aus  anderem 
Betracht  mangelhaft  und  nicht  zwingend  erschienen,  selbst  wenn  man 
ihm  zugäbe,  dafs  jene  Kugelfläche,  nach  der  das  Feuer  sich  geradewegs 
begiebt,  dieselbe  ist,  welche  die  Welt  einschliefst.  Denn  betrachtet 
man  innerhalb  eines  Kreises  einen  beliebigen  vom  Mittelpunkt  ver- 
schiedenen Punkt,  so  wird  jeder  bewegliche  Körper,  der  sich  von  diesem 
nach  beliebiger  Richtung  in  gerader  Linie  bewegt,  sich  ohne  jeden 
Zweifel  nach  dem  Umfange  begeben  und  bei  fortgesetzter  Bewegung 
auch  dahin  gelangen,  so  dafs  man  mit  vollem  Rechte  sagen  kann,  er 
bewege  sich  nach  dem  Umfange  hin.  Aber  daraus  darf  man  keines- 
wegs schliefsen,  dafs  eine  längs  dieser  Linien  stattfindende  Bewegimg 
in  entgegengesetzter  Richtung  nach  dem  Mittelpunkte  gerichtet  sei, 
wenn  nicht  der  angenommene  Punkt  selbst  das  Zentrum  ist  oder  die 
Bewegung  blofs  längs  der  Verbindungslinie  des  angenommenen  Punktes 

Der  Fehischiurs  mit  dem  Zentrum   stattfindet.      Wenn  man  daher  sagt:   das  Feuer  be- 
nach  anderer  wegt  sich  gcradewcgs  nach  dem  Umfange  der  Welt,  also  bewegen  sich 
aufg^fckt''  die  Teile  der  Erde,  welche   die   genau  entgegengesetzte  Richtung  ein- 
schlagen, nach  dem  Mittelpunkte  der  Welt,  so   ist  dieser  Öchlufs  nur 


[43.  44.]  Erster  Tag.  39 

gültig  unter  der  Voraussetzimg,  dafs  die  Verlängerung  der  vom  Feuer 
eingeschlagenen  Wege  durch  den  Weltmitteli^unkt  geht.  Da  wir  aber 
andererseits  sicher  wissen,  dafs  sie  durch  den  Mittelpunkt  der  Erde 
führen  —  denn  sie  stehen  senkrecht  und  nicht  schief  zur  Erdober- 
fläche —  so  mufs  man  zur  Rechtfertigung  des  Schlusses  die  Identität 
des  Erd-  imd  Weltmittelijunktes  voraussetzen  oder  zum  mindesten  an- 
nehmen, dafs  die  Teile  der  Erde  und  des  Feuers  nur  längs  einer  ein- 
zigen, durch  den  Mittelpunkt  der  Welt  führenden  Linie  auf-  und  ab- 
steigen. Dies  ist  aber  falsch  und  widerstreitet  der  Erfahrung,  welche 
uns  im  Gegenteile  lehrt,  dafs  die  Teile  des  Feuers  nicht  nur  längs 
einer  Linie,  sondern  längs  der  unendlich  vielen,  vom  Erdzentrum  nach 
beliebiger  Richtung  gezogenen  Linien  aufsteigen,  welche  alle  senkrecht 
auf  der  Erdoberfläche   stehen. 

Salv.  Ihr,  Signore  Sagredo,  bringt  auf  sehr  sinnreiche  Weise  den 
Aristoteles  in  dieselbe  Verlegenheit,  indem  Ihr  sein  offenbares  Mifs- 
verständnis  nachAveist;  Ihr  macht  aber  noch  auf  einen  weiteren  Übel- 
stand aufmerksam.  Wir  sehen,  dafs  die  Erde  kugelförmig  ist  und 
sind  darum  von  der  Existenz  ihres  Mittelpunktes  überzeugt;  nach  ihm 
hin  sehen  wir  alle  ihre  Teile  eilen,  wie  daraus  folgt,  dafs  deren  Be- 
wegungen stets  senkrecht  auf  der  Erdoberfläche  stehen;  wir  begreifen, 
dafs  sie   bei   der  Bewegimg  nach   dem  Erdmittelpunkte  ihrem  Ganzen,  Beweis,  dafs  es 

T,r  -1  -VT  11  •  'gerechtfertigter 

ihrer  gemeinsamen  Mutter  entgegeneilen.    Nun  soUten  Avir  uns  so  gut-istzuijehaupten, 

.  .  .  .  .  .  ^  die  schweren 

willig  eini'edeii  lassen,  ihr  natürlicher  Trieb  führe  sie  nicht  nach  dem  Körper  strebten 

111  nach  dem  Mittel- 

Mittelpunkt   der  Erde,    sondern   nach   dem  des  Weltalls,  von  dem  wirp^u^kte  der  Erde 

.  .      .  V  als  nach  dem  des 

nicht  wissen,  wo  und  ob  er  überhaupt  existiert?'*'')  oder  gesetzt  auch,  weitaiis. 
er  existiere,  so  ist  er  nur  ein  gedachter  Punkt,  ein  Nichts  ohne  irgend 
welche  Wirkungsfähigkeit.  —  Wenn  dann  Signore  Sim23ncio  zuletzt 
sagte,  es  sei  nichtig  zu  behaupten,  die  Teile  der  Soune  oder  des  Mondes 
oder  eines  anderen  Himmelskörpers  kehrten  nach  ihrer  gewaltsamen 
Loslösung  zu  dem  Ganzen  zurück,  dem  sie  angehören;  der  Fall  sei 
nämhch  unmöglich,  da,  wie  Aristoteles  beweise,  die  Himmelskörper 
unveränderlich,  undurchdringlich,  unteilbar  seien,  so  mufs  ich  darauf 
erwidern:  keine  der  Eigenschaften,  durch  welche  Aristoteles  die  Himmels- Die  unterschei- 

.  o  /  denden  Merk- 

körper  sich  von  den  elementaren  unterscheiden  läfst,  ruhen  auf  einem  ^^le  der  himm- 

_  ...    lischen  und  irdi- 

anderen  Grunde,  als   auf  den   Schlüssen   aus   der  Verschiedeuartigkeit  »cheu  Körper 

'  _         _  ^  "  sind  bedingt 

der  Ortsveränderungeii   bei   diesen    oder    ieueu.     Bestreitet    mau    also,  «iwrch  die  ihnen 

-  ,  ^  von  Aristoteles 

dafs  die   Kreisbewegung  ausschliefslich  den  Himmelskörpern  zukomme  zugeschriebenen 

.  Bewegungen. 

und  schreibt  sie  allen  beweglichen  Naturkörpern  zu,  so  mufs  man 
folgerichtig  auch  die  Attribute  des  Erzeugbaren  und  Uuerzeugbareu; 
des  Veränderlichen  oder  UnveränderHchen,  des  Teilbaren  oder  Unteil- 
baren in  gleicher  Weise   allen  Weltkörperii  gemeinschaftlich  ab-  oder 


40  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [44.  45.] 

zusprechen,  den  himmlisclien  also  ebenso  gut  wie  den  elementaren-, 
es  sei  denn,  dafs  Aristoteles  fälsclilieli  und  irrtümlicli  die  den  Himmels- 
körpern beigelegten  Attribute  aus  der  Kreisbewegung  abgeleitet  habe. 
Simpl.  Diese  philosophische  Methode  führt  zur  Untergrabung  aller 
Naturphilosophie,  zur  Verwirrung  und  Erschütterung  von  Himmel, 
Erde  und  Weltall.  Ich  glaube,  die  Zuverlässigkeit  der  Grundlagen  der 
peripatetischen  Philosophie  läfst  die  Besorgnis  nicht  aufkommen,  dafs 
nach  deren  Sturz  ein  neuer  Aufljau  der  Wissenschaften  möglich  sei.'^) 
Salv.  Seid  doch  nicht  bange  um  Himmel  imd  Erde  und  fürchtet 
ihren  Untergang  so  wenig  wie  den  der  Philosophie.  Denn  was  den 
Himmel  betrifft,  so  ist  die  Furcht  für  ihn,  den  Ihr  selber  für  vmver- 
änderlich  und  unbeeinflufsbar  haltet,  doch  unbegründet;  was  aber  die 
Erde  betrifft,  so  ist  es  eine  Veredelung  und  Vervollkommnung,  wenn 
wir  versuchen,  sie  als  ähnlich  den  Himmelskörpern  hinzustellen,  sie 
gewissermafsen  an  den  Himmel  zu  versetzen,  von  dem  Euere  Philo- 
Die  Philosophie  sophcu  sic  vcrbaunt  haben.  Die  Philosophie  selber  kann  von  unseren 
Erörterungen  Erörterungen  nur  Vorteil  haben;  denn  sind  unsere  Ansichten  richtig, 
der  Philosophen  so  dicut  das  zur  Bereicherung  der  Philosophie;  sind  sie  irrig,  so  wer- 
den  durch  ihre  Widerlegung  die  früheren  Lehren  umsomehr  befestigt. 
Seid  lieber  bange  um  gewisse  Philosophen  und  sucht  ihnen  zu  helfen, 
sie  zu  stützen;  denn  die  Wissenschaft  selber  kann  nur  Fortschritte 
machen.  Um  zu  unserem  Gegenstande  zurückzukehren,  so  bringt  frei- 
mütig vor,  was  Euch  zur  Verteidigung  der  aristotelischen  Lehre  von 
der  Verschiedenheit  der  himmlischen  und  irdischen  Substanz  eriuner- 
lich  ist:  der  Lehre,  dafs  jene  unerzeugbar,  imzerstörbar,  unveränderlich 
sei,  diese  hingegen  erzeugbar,  zerstörbar,  veränderlich. 

Simpl.    Einstweilen  sehe  ich  noch  nicht,  dafs  Aristoteles  des  Bei- 
standes bedarf,  da  er  unerschüttert   und   fest    seinen  Standpunkt  be- 
hauptet, ja   nicht   einmal   von  Euch   angegriffen,   geschweige   denn   zu 
Boden   geworfen   ist.      Wogegen    soll   bei   diesem   ersten  Angriff'  Euer 
Aristoteles,  um  Hieb   sich    richteu?      Aristoteles   schreibt:*'')    Alles  Entstehen  kommt 
barkeit  des    zustaudc    durch    einen    Gegensatz    an    irgendwelchem    Subjekte,    mid 
weisen.      ebcnso   alles   Vergehen  in   einem   Subjekte   durch  den    Übergang   von 
Entstehen  und  einem  Gegensatz   zum  anderen,   so  dafs   ein  Entstehen  und  Vergehen, 

Vergehen  finden  o  '  o  7 

nach  Aristoteles  jj^gj.]^!;  wohl    auf,  uur  bei  vorhandenen  Gegensätzen  stattfindet.     Ent- 

uur  bei  vorhan-  '  ° 

denen  Gegen-  cregeugesetzte  Diugc  aber  müssen  entgegengesetzte  Bewegungen  haben. 


Sätzen  statt. 


"O^D^ 


Der  Kreisbe-  Da  sich  also  ZU  ciuem  Himmelskörper  nichts  Entgegengesetztes  nach- 
andere Be-    weisen  läfst  —   denn   der  Kreisbewegung  ist  keine   andere   Bewegung 
gegengesetzt,  entgegengesetzt    —     so    hat    die    Natur    es    vortrefflich    eingerichtet, 
dafs    sie    das   Unerzeugbare   und  Unzerstörbare    den   Gegensätzen    ent- 
rückte.    Ist   nun   diese    erste   Grundlage    geschaffen,   so    folgt  daraus 


I  15.  46.J  Erster  Tag.  41 

mit    Leichtigkeit,    dafs     es    mivermehrbar ,     uuverHuderlich ,     uubeein- 

rtiiTsbar    und    endlich    ewig    sei    und    der    angemessene    Aufenthaltsort  »er  Himmel  die 

"...  .  .  .  .  Wohnung  für 

der   unsterblichen   Götter,   in  Ubereinstimmuno-   mit   der   Meinung  der    die  unsterb- 

...  ,  i-i  üchen  Götter. 

gesamten    Menschheit,    soweit    sie    die    Vorstellung    von    Göttern    be- 
sitzt.     Er    bestätigt    sodann    das    nämliche    auch    mittels    der    Sinnes- t'nveränderiich- 

•  1  1  •    1  T  Ti        TP  1     -n    •  ^®^*  ^^^  Himmels 

Wahrnehmung,    da,    soweit    menschliche    Überlieferungen    und   Erinne-von  den  sinnen 
rungen   reichen,    zu    keiner   Zeit    sich   irgend   etwas    rücksichtlich    der 
oberen   Himmelsregionen   im    ganzen,   noch   auch    rücksichtlich   irgend 
eines   dazu    gehörigen  Teiles  verändert    hat.     Dafs  sodann  der  Kreis- 
bewegung  keine    andere   entgegengesetzt    sei,    beweist  Aristoteles    auf  Beweis,  dafs  der 
vielerlei  Weisen.     Um  sie  aber  nicht  alle  zu  wiederholen,  will  ich  nur  keine  andere  Be- 
den   einen  offenkundigen  Beweis    anführen:    Da    es  nur   drei  einfache gege°ngesetzt ist. 
Bewegimgen  giebt,   nach  der  Mitte,  von  der  Mitte  und  um  die  Mitte, 
von   denen  die   beiden  geradlinigen  sursum  et  deorsum  augenscheinlich 
einander  entgegengesetzt  sind,  und  da  zu  einem  Begriffe  nur  ein  Gegen- 
satz existiert,   so  bleibt   demnach  keine  sonstige  Bewegung  übrig,  die 
der  Kreisbewegung  entgegengesetzt   sein  könnte.     Dies  ist  das  höchst 
scharfsinnige  und  überzeugende  Beweisverfahren  des  Aristoteles,  durch 
welches  die  Unvergänglichkeit  des  Himmels  dargethan  wird. 

Salv.  Das  ist  nichts  weiter  als  die  von  mir  schon  angedeutete 
Schlufskette  des  Aristoteles,  bei  welcher  das  Ergebnis  in  nichts  zu- 
sammenfällt, sobald  ich  bestreite,  dafs  die  den  Himmelskörpern  zu- 
geschriebene Bewegung  nicht  auch  der  Erde  zukomme.  Daraus  aber 
—  gesetzt,  der  übrige  Teil  Euerer  Erörterung  sei  einwandsfrei  —  folgt 
eine  der  drei  Möglichkeiten,  die  ich  vor  einer  Weile  aufgestellt  habe 
und  nochmals  anführen  will:  dafs  nämlich  entweder  die  Erde  gleich- 
falls unerzeugbar  und  unvergänglich  sei  wie  die  Himmelskörper,  oder 
dafs  die  Himmelskörper,  ebenso  wie  die  elementaren,  erzeugbar  und 
veränderlich  seien,  oder  dafs  die  Verschiedenheit  der  Bewegungen  nichts 
mit  dem  Entstehen  und  Vergehen  zu  thun  habe.  Der  Beweis  des 
Aristoteles  und  der  Euere  enthält  viele,  nicht  ohne  Aveiteres  zulässige 
Behauptungen;  um  ihn  besser  prüfen  zu  können,  wird  es  gut  sein,  ihn 
auf  eine  möglichst  gedrimgene  und  deutliche  Form  zu  bringen.  Ich 
bitte  Signore  Sagredo  um  Entschuldigung,  wenn  es  ihn  etwa  lang- 
weilt, immer  wieder  dieselben  Dinge  wiederholen  zu  hören;  er  mag 
sich  denken,  er  höre  die  Argumente  der  Gegner  bei  öffentlichen  Dis- 
putationen. Ihr  sagt:  ein  Entstehen  imd  Vergehen  findet  nur  statt, 
wo  Gegensätze  vorhanden  sind;  Gegensätze  sind  nur  vorhanden  bei 
den  einfachen  Naturkörpern,  welche  entgegengesetzter  Bewegungen 
fähig  sind;  entgegengesetzte  Bewegungen  sind  blofs  solche,  welche 
längs    gerader    Linien    zwischen    entgegengesetzten  Endpunkten    statt- 


42  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [46.  -i 7.] 

finden;  deren  giebt  es  aber  blofs  zweie,  von  der  Mitte  imd  nach  der 
Mitte;  nun  werden  solche  Bewegungen  von  keinen  andern  Naturkörpern 
ausgeführt,  als  von  der  Erde,  dem  Feuer  und  den  beiden  anderen 
Elementen;  also  findet  ein  Entstehen  und  Vergehen  nur  bei  den  Ele- 
menten statt.  Da  hingegen  die  dritte  einfache  Bewegungsart,  nämlich 
die  kreisförmige  um  die  Mitte,  keinen  Gegensatz  hat  —  die  beiden 
anderen  sind  nämlich  wechselseitig  entgegengesetzt,  ein  einzelnes  aber 
hat  keinen  Gegensatz  —  darum  fehlt  es  an  einem  Gegensatze  zu  dem 
Naturkörper,  dem  diese  Bewegungsart  zukommt;  hat  er  aber  keinen 
Gegensatz,  so  erweist  er  sich  als  unerzeugbar  und  unzerstörbar.  Eine 
derartige  Bewegung  kommt  aber  nur  den  Himmelskörpern  zu,  also 
sind  blofs  diese  unerzeugbar  und  unzerstörbar.  ■ —  Nun  scheint  es  mir 
zunächst  sehr  viel  leichter,  sich  zu  vergewissern,  ob  die  Erde,  ein  so 
Es  ist  leichter  orrofser  uud  ihrer  Nähe  wegen  uns  so  leicht  zugänglicher  Körper,  eine 

festzustellen,  ob»  »    _  ,  .  . 

die  Erde  sich  go  bedeutende  Bewegung  besitzt,  wie  es   die  Drehung  um  sich  selbst 

bewegt,  als  ob  _  _  ?      -,  . 

die  Zerstörung  innerhalb   vierundzwanzig  Stunden  wäre,   als  zu  begreifen  und  festzu- 

durcb  vorhaii-  '^  . 

dene  Gegensätze  stellen,  ob  das  Entstehen  und  Vergehen  durch  vorhandene  Gegensätze 

bedingt  ist.  '  "  ^ 

bedingt  sei  und  ob  es  überhaupt  in  der  Natur  ein  Entstehen  und  Ver- 
gehen und  Entgegengesetztes  giebt.  Wenn  Ihr,  Signore  Simplicio, 
mir  anzugeben  wifst,  wie  die  Natur  bei  der  Erzeugung  der  Hundert- 
tausende von  FKegen  aus  ein  wenig  Mostdunst  zu  Werke  geht'*^),  wenn 
Ihr  mir  nachweist,  welches  dabei  die  Gegensätze  sind,  was  vergeht 
und  wie  es  vergeht,  so  würde  meine  ohnehin  so  grofse  Hochachtung 
vor  Euch  noch  steigen,  denn  ich  begreife  von  alle  dem  nichts.  Und 
wie  gerne  würde  ich  erfahren,  inwiefern  und  weswegen  die  zerstören- 
den Gegensätze  so  freundhch  gegen  die  Krähe,  so  unerbittlich  gegen 
die  Taube,  so  duldsam  gegenüber  dem  Hirsch,  so  ungestüm  bei  dem 
Pferd  sind,  so  dafs  sie  jene  mehr  Jahre  am  Leben,  mithin  unzerstört 
lassen,  als  diese  Wochen.  Die  Pfirsich-  und  die  Olivenbäume  wurzeln 
doch  in  demselben  Erdreich,  sind  derselben  Kälte  und  derselben  Hitze 
ausgesetzt,  denselben  Regengüssen  und  Winden,  kurzum  denselben 
Gegensätzen:  und  doch  werden  jene  in  kurzer  Zeit  zerstört  und  diese 
leben  viele  Hunderte  von  Jahren.  Überdies  habe  ich  niemals  —  ich 
spreche  nur  von  Dingen,  die  innerhalb  des  Bereichs  der  Natur  liegen'^*') 
—  eine  Umwandlung  der  Substanzen  in  einander  begreifen  können,  ver- 
möge welcher  ein  Stoff  derartig  verwandelt  wird,  dafs  er  notwendig 
als  völlig  vernichtet  zu  gelten  habe,  ohne  irgend  ein  Spur  seines  frühe- 
ren Wesens  zu  hinterlassen,  und  dafs  ein  völUg  verschiedener  Körper 
aus  ihm  hervorgegangen  sein  sollte.  Wenn  ein  Körper  mir  jetzt  diesen 
Anblick  gewährt  und  ein  wenig  später  einen  anderen  sehr  verschie- 
denen, so  halte  ich  es  für  nicht  unmöglich,  dafs  dies  durch  eine  blofse 


[47.  48.]  Erster  Tag.  43 

Veränderung  in  der  Auorduims  der  Teile   geschieht,   ohne  dafs  etwas  Einfache  um- 

^  °  ^  '  lagerung  der 

vernichtet    oder    etwas   Neues    erzeugt   würde;    solche    VerwandkmgenTeiie  eines  Kör- 

...  pers  kann  ihm 

sind    ia   etwas    ganz  Alltägliches.      Darum  wiederhole    ich   nochmals :  sehr  verscMe- 

.  .  .  .    f.  .     deuartiges  AuB- 

da  Ihr  mich  überzeugen  wollt,  die  Erde  könne  sich  nicht  kreisförmig  sehen  verleihen, 
bewegen  infolge  ihrer  Zerstörbarkeit  imd  Erzeugbarkeit,  so  werdet  Ihr 
viel  mehr  Arbeit  haben  als  ich,   der   ich  Euch   mit  allerdings  schwie- 
rigeren Beweisgründen,  aber  mit  nicht  minder  triftigen,  das  Gegenteil 
beweisen  werde. 

Sagr.  Signore  Salviati,  verzeiht  mir,  wenn  ich  Euere  Erörterung 
imterbreche,  die  mir  zwar  aufserordentlich  gefällt,  weil  auch  ich  in 
diese  Zweifel  verstrickt  bin,  die  uns  aber  schwerlich  zu  einem  Ziele 
führen  wird,  wenn  wir  nicht  ganz  und  gar  unseren  Hauptgegenstand 
•fallen  lassen  wollen.  Kömiten  wir  daher  unseren  ursprünglichen  Gegen- 
stand weiterführen,  so  würde  ich  es  für  zweckmäfsig  halten,  die  Frage 
des  Entstehens  und  Vergehens  ein  anderes  Mal  einer  besonderen  und 
eingehenden  Prüfung  zu  unterwerfen,  und,  wenn  es  Euch  und  Signore 
Simplicio  genehm  ist,  wollen  wir  es  auch  mit  den  anderen  speciellen 
Fragen  so  halten,  die  im  Laufe  imserer  Überlegimgen  auftauchen.  Ich 
will  mir  diese  sorgfältig  merken,  um  sie  künftig  einmal  zur  Sprache 
zu  bringen  und  sie  gründlich  zu  untersuchen.  Was  nun  den  vorliegen- 
den Fall  anlangt,  so  sagt  Ihr  ja,  wenn  man  dem  Aristoteles  bestreite, 
dafs  im  Gegensatze  zu  den  anderen  Himmelskörpern  die  Erde  der 
kreisförmigen  Bewegung  unteilhaftig  sei,  dafs  dann  das  Verhalten  der 
Erde  bezüglich  des  Entstehens,  der  Veränderungen  u.  s.  w.  auch  auf 
die  Himmelskörper  auszudehnen  sei.  Wir  können  also  dahin  gestellt 
sein  lassen,  ob  ein  Entstehen  und  Vergehen  in  der  Natur  thatsächlich 
vorkomme   und   wollen   zu   ergründen   versuchen,    was    die   Erde    thut- 

Slmpl.  Ich  kann  unmöglich  ohne  Widerspruch  mit  anhören,  Avenii 
das  Vorhandensein  von  Entstehung  imd  Vernichtung  in  der  Natur  in 
Zweifel  gezogen  wird,  von  Dingen,  die  ^vir  fortwährend  vor  Augen  halben 
und  über  die  Aristoteles  zwei  ganze  Bücher  geschrieben  hat.^'^)  Wemi 
man  freilich  die  Axiome   der  Wissenschaften  bestreiten  imd  die  offen-  wenn  man  die 

.  .  .  Axiome  bestrei- 

kundigsten   Thatsachen   in   Zweifel   ziehen   will,   so   kann   man  —  wer  tet,  läfst  sich 

•  -n  1     •     1  1      T    1   •  •i®'^®  wider- 

wüfste  das  nicht?  —  alles  beweisen,  was  man  will,  und  jeden  beliebigen  sinnige  Behaup- 

,.,  f„  •        T'   ••     i.       tung verteidigen. 

Unsinn  verteidigen.  Und  wenn  Ihr  nicht  lag  aus,  Tag  em  Kräuter, 
Bäume  imd  Tiere  entstehen  imd  vergehen  seht,  so  weifs  ich  nicht,  was 
Ihr  seht.  Seht  Ihr  denn  nicht,  wie  fortwährend  die  Gegensätze  mit 
einander  ringen,  wie  die  Ei'de  sich  in  Wasser  verwandelt,  das  Wasser 
zu  Luft  wird,  die  Luft  in  Feuer  übergeht  und  wie  wiederum  die  Luft 
sich  verdichtet  zu  Nebeln,  Regen,  Hagel  und  Gewitter? 

Sagr.     Ja,  gewifs  sehen  wir  alles  das  und  darum  wollen  wir  der 


44  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [48.  49.] 

aristotelischen  Untersucliimg  in  diesem  Punkte,  nämlich  dem  Bedingt- 
seiu  von  Entstehen  und  Vergehen  durch  die  Gegensätze,  beipflichten. 
Wenn  ich  Euch  aber  auf  Grund  eben  dieser  dem  Aristoteles  zuge- 
standenen Prämissen  beweisen  werde,  dafs  die  Himmelskörper  ihrer- 
seits, ebenso  gut  wie  die  elementaren,  gleichfalls  erzeugbar  und  zer- 
störbar sind,  was  werdet  Ihr  dann  sagen? 

Simpl.  Dann  werde  ich  sagen,  dafs  Ihr  das  Unmögliche  möglich 
gemacht  habt. 

Sagr.  Sagt  mir  doch,  Signore  Simj)licio:  sind  nicht  jene  Eigen- 
schaften einander  entgegengesetzt? 

Simpl.    Welche? 

Sagr.  Ich  meine:  veränderlich,  imveränderlich,  beeinflufsljar,  uu- 
beeinflufsbar,  zerstörbar,  unzerstörbar? 

Simpl.     So  entgegengesetzt,  wie  möglich. 

Sagr.  Wenn  dies  der  Fall  ist  imd  wenn  es  aufserdem  richtig  ist, 
dafs  die  Himmelskörper  unerzeugbar  und  unzerstörbar  sind,  so  beweise 
ich  Euch  mit  zwingenden  Gründen,  dafs  die  Himmelskörper  erzeugbar 
imd  zerstörbar  sind. 

Simpl.     Das  kann  nur  durch  einen  Sophismus  geschehen. 

Sagr.  Hört  den  BeAveis  mit  an,  dann  mögt  Ihr  ihm  einen  Namen 
Himmelskörper  oreben  imd  ihn  vsaderlesjen.     Zu  den  Himmelsköriiern,  da  sie  imerzeug- 

erzeugbar  und  '^  .... 

zerstörbar,  weu bar   Und  imzerstörbar   sind,  existieren   in  der  Natur  Gegensätze,  näm- 

sie  unerzeugbar    _  _  '  . 

und  unzerstür-  üch   die   crzeugbaren  und   zerstörbaren  Körper.     Wo   aber  ein  Gegen- 
bar sind.  °  _  ^  ~ 

satz  vorhanden  ist,  giebt  es  ein  Entstehen  und  Vergehen.  Also  sind 
die  Himmelskörper  erzeugbar  imd  zerstörbar. 

Simpl.  Sagte  ich  Euch  nicht,  dafs  Euer  Beweis  nur  auf  einem 
Scheinbeweis,  Sophismus  beruhen  könne?     Es  ist  das  einer  iener  Scheinbeweise,  die 

sonst  Sorites  -^  _  J  ,  7 

genannt,  man  soust  wohl  Sorites  nennt,  Avie  der  vom  Kreter.  •''°)  Ein  Kjreter 
sagte,  alle  Kreter  seien  Lügner;  daher  mufste  er,  da  er  selbst  ein 
Kreter  war,  eine  Lüge  gesagt  haben,  als  er  sagte,  die  Kreter  seien 
Lügner-,  also  müssen  die  Kreter  die  W^ahrheit  sagen;  folghch  mufste 
er,  als  Kreter,  die  Wahrheit  gesagt  haben;  daher  war  sein  Aussj)riich, 
dafs  die  Kreter  Lügner  seien,  die  Wahrheit;  und  da  er,  als  Kreter, 
von  diesem  Ausspruch  mitbetroffen  war,  so  mufste  er  ein  Lügner  sein. 
So  köimte  man  in  E^vigkeit  mittels  dieser  Art  von  Trugschlüssen 
Aveiter  sich  im  Kreise  drehen,  ohne  jemals  zum  Ziele  zu  gelangen. 

Sagr.  Bis  jetzt  habt  Ihr  der  Sache  nur  einen  Namen  gegeben; 
es  erübrigt  noch,  den  Trugschlufs  zu  Avideriegen,  indem  Ihr  den  Fehler 
nachAveist. 

Simpl.  Was  die  Widerlegung  und  den  NachAveis  der  Fehlerhaftig- 
keit betrifl:t,  merkt  Ihr  denn  nicht  erstens   den  offenkundigen  Wider- 


welches  Euerer  Ansiclit  nach  die  ursprünglichen  Gegensätze  sind^   ^j^.suz  nicht  in  dem 


|4  9.  50.]  Erster  Tag.  45 

>l)ruch:  die  Himmelskörper  sind  unerzeugbar  und  unzerstörbar,  also 
-iud  die  Himmelskörper  erzeugbar  und  zerstörbar?  Sodann  hat  der 
<  ieo-ensatz  nicht  unter  den  Himmelskörpern  seinen  Sitz,  sondern  unter  Unter  den  mm- 

^  melskörpern 

ilini  Elementen,    welchen   die   Gegensätze   der  Bewegungen   nach    oben  herrschen  keine 

'  ^  °  •  r(  Gegensätze. 

und  nach  unten,  sowie  die  Gegensätze  des  Leichten  und  Schweren 
/.nkommen.  Der  Himmel  hingegen,  welcher  sich  kreisförmig  bewegt, 
also  in  einer  Weise,  zu  der  kein  Gegensatz  vorhanden  ist,  entbehrt 
des  Gegensatzes  und  ist  also  unzerstörbar. 

Sagr.  Sachte,  Signore  Simplicio;  hat  jener  Gegensatz,  vermöge 
il  essen  Ihr  gewissen  einfachen  Körpern  Vergänglichkeit  zuschreibt, 
seinen  Sitz  in  dem  vernichteten  Körper  selbst  oder  bezieht  er  sich 
auf  einen  fremden  Körper?  Ich  meine,  ob  z.  B.  die  Feuchtigkeit, 
durch  die  ein  Teil  der  Erde  zerstört  wird,  ihren  Sitz  in  der  Erde 
selbst  hat  oder  vielmehr  in  einem  anderen  Körper,  etwa  der  Luft  oder 
dem  Wasser?  Ich  glaube  doch,  dafs  Ihr,  ebenso  wie  bei  den  auf-  und  ^^^«^g'g«"«!*;«- 
aljwärts  gerichteten  Bewegimgen,  wie  bei  der  Schwere  und  Leichtigkeit,  ^e^Xhenlh^n 

tz  nicht  in  den] 
Cörper  selbst, 
ler  der  Zer- 
irung  anheiiu- 

Warme  mid  Kalte  an  demselben  Subjekte  auftreten.  Ihr  müfst  also  ^^i"- 
notgedrungen  annehmen,  dafs,  wenn  ein  Körper  zerstört  Avird,  dies 
durch  den  Gegensatz  der  eigenen  Eigenschaft  zu  der  eines  fremden 
Körpers  geschieht.  Damit  demnach  die  himmlische  Substanz  zerstör- 
bar sei,  genügt  die  Existenz  von  Körpern  in  der  Natur,  die  im  Gegen- 
satz zu  der  himmlischen  Substanz  stehen;  solche  aber  sind  die  Elemente, 
wenn  es  wahr  ist,  dafs  Zerstörbarkeit  und  Unzerstörbarkeit  Gegen- 
sätze sind. 

Simpl.  Nein,  das  genügt  nicht,  lieber  Herr.  Die  Elemente  sind 
nur  deshall)  Veränderungen  und  der  Zerstörung  ausgesetzt,  weil  sie 
in  gegenseitiger  Berührung  und  Mischung  sind  und  so  ihre  Gegensätze 
auf  einander  wirken  lassen  köimen.  Die  Himmelskörper  aber  sind 
von  den  elementaren  getrennt:  sie  werden  von   diesen  nicht  berührt.  Die  Himmeis- 

"  '  .  körper  berühren 

obgleich  sie  wohl   die  Elemente  berühren.      Wenn  Ihr  ein  Entstehen  die  Elemente, 

*-^  _  _  ^  .11          werden  aber 

und  Vergehen  bei   den  Himmelskörpern  nachweisen  wollt,   müfst  Ihr  nicht  von  diesen 
zeigen,  dafs  die  Gegensätze  bei  ihnen  ihren  Sitz  haben.  ^^) 

Sagr.  Hört,  wie  ich  Euch  die  Gegensätze  auch  bei  ihnen  nach- 
weise. Die  erste  Quelle,  aus  der  Ihr  die  Gegensätze  der  Elemente 
schöpft,  ist  der  Gegensatz  ihrer  Bewegungen  nach  oben  und  nach 
unten.  Also  müssen  notwendigerweise  auch  diejenigen  Princii)ien  im 
Gegensatze  zu  einander  stehen,  von  welchen  diese  Bewegungen  bedingt 
werden.  Da  nmi  die  Aufwärtsbewegung  des  einen  eine  Folge  seiner 
Leichtigkeit,    die    Abwärtsbewegung    des    anderen    eine    Folge    seiuer 


46  Dialog  über  die  Weltsj'steme.  [50.  51.] 

Schwere    ist,    so   sind    notwendig  Leichtigkeit    und   Schwere    einander 

entgegengesetzt.     Mit  demselben  Rechte   muXs   man  weiter  annehmen, 

dafs    diejenigen    Principien,    welche    wiedernm    die    Ursache    für    die 

Schwere  und   gchwcrc  dcs  einen  und  die  Leichtigkeit  des  anderen  abgeben,    zu  ein- 

Leichtigkeit,  ^  ^  . 

Dünne  und    ^udcr  im  Gegeusatzc  stehen.    Nach  der  Ansicht  Euerer  eigenen  Schule 

Dichtigkeit  sind  »  ^   o 

entgegenge-    ^-\^qj.  ^ülirt  Leichtigkeit  und  Schwere  von  Düime  und  Dichtigkeit  her: 

setzte  Quali-  ...  -         .  . 

täten.       ^igQ    werden    Dichtigkeit    und    Dünne    gleichfalls    Gegensätze    bilden. 
Diese  letzteren  Eigenschaften  haben  aber  in    so   ausgedehnter  Weise 
bei  den  Himmelskörpern  statt,  dafs  Ihr  die  Sterne  für  nichts  Anderes 
Sterne  an     als  für  dichtcrc  Tcilc  ihrer  Himmelssphären  haltet.      Dies    zugegeben, 
übrigen  Himmel  mufs  die  Dichtigkeit  der  Sterne  sozusagen  unendlich  mal  gröfser  sein, 
"""""legen.''      als  der  Rest  der  Himmelssphäre.     Es   geht  dies    aus  der  aufserordent- 
lichen  Durchsichtigkeit  des  Himmels  gegenüber  der  völligen  Uiidurch- 
sichtigkeit  der  Sterne  hervor,  sowie  aus  dem  Umstände,  dafs  in  jenen 
Höhen   aufser   der   gröfseren   oder   geringeren  Dichtigkeit,    beziehungs- 
weise Dünne,    keine   sonstigen  Eigenschaften   sich   finden,    welche   die 
Ursache    für    die    gröfsere    oder    geringere    Durchsichtigkeit    abgeben 
könnten.   Finden  sich  also  solche  Gegensätze  unter  den  Himmelskörpern, 
so  müssen  auch  sie  notwendigerweise  erzeugbar  und  zerstörbar  sein  in 
derselben  Weise,  wie  es  die  elementaren  Körper  sind,  oder  aber  es  ist 
nicht  das  Vorhandensein  der  Gegensätze  die  Ursache  der  Zerstörbarkeit. 
Simpl.     Keines   von  beiden  braucht  der  Fall  zu  sein;  denn  Dich- 
tigkeit  und   Dünne    sind    bei    den  Himmelskörpern    keine    Gegensätze, 
wie   sie   es   bei   den   elementaren   Körpern   allerdings   sind;   sie  werden 
Dünne  und    doi't  iiämlich   uicht   von   den   ursprünglich   einander   entgegengesetzten 
Himmelskörper  Eigenschaften   des    Warmen    mid  Kalten    hervorgerufen,    sondern    von 
Elemente  ver-  der  im  Verhältnis  zum  Umfange  gröfseren  oder  geringeren  Menge  von 
cremonini')    Materie.    Nun  sagen  Viel  und  Wenig  nur  eine  relative  Verschiedenheit 
aus,  dies  ist  aber  der  geringste  Grad  von  Verschiedenheit  und  hat  mit 
der  Erzeugung  und  Zerstörung  nichts  zu  thun. 

Sagr.  Danach  ist  Euere  Ansicht  diese  :^^J  damit  die  Dichtigkeit 
und  Dümie,  welche  die  Schwere  und  Leichtigkeit  der  Elemente  ver- 
ursachen, die  entgegengesetzten  Bewegungen  sursum  et  deorsum  be- 
wirken können,  welche  ihrerseits  wieder  die  zur  Erzeugung  und  zur 
Vernichtung  notwendigen  Gegensätze  hervorrufen,  genügt  es  nicht,  dafs 
das  Dichte  und  Dünne  blofs  durch  die  in  ein  und  demselben  Um- 
fange oder,  besser  gesagt,  in  ein  und  demselben  Volumen  enthaltene 
Menge  von  Materie  gekennzeichnet  sei  als  dicht  und  dünn;  sondern 
die  Dichtigkeit  und  Dünne  mufs  eine  Folge  der  ursprünglichen 
Gegensätze  von  Kalt  und  Warm  sein,  andernfalls  würden  sich  nicht 
die  angegebenen  Folgen   einstellen.     Wenn   dies  wirklich   der  Fall  ist, 


und  Zeratörbar- 
keit  der  Ele- 
mente lujge- 


[51.  52.]  Erster  Tag.  47 

sö  hat  uns  Aristoteles  hintergangen,  da  er  uns  das  von  Anfang  an  Aristoteles'  Er 
1  lütte  sagen  sollen.  Es  müfste  dann  so  hei  ihm  heifsen:  erzeughar  Erzeugbarkeit 
lind  zerstörbar  sind  diejenigen  einfachen  Körper,  die  einfacher  Be-  teit  der  Eie 
wpgimgen  nach  oben  und  nach  unten  fähig  sind,  welche  Bewegungen 
durch  die  Leichtigkeit  und  Schwere  bedingt  sind,  welch  letztere  durch 
die  Dichtigkeit  und  Dünne  verursacht  werden,  welche  ihrerseits  von 
dem  Mehr  oder  Weniger  des  Stoffes  herrühren  und  zwar  vermöge 
des  Warmen  mid  Kalten.  Nicht  aber  hätte  er  bei  der  einfachen  Be- 
wegung nach  oben  und  nach  unten  stehen  bleiben  dürfen;  denn  ich 
kann  Euch  versichern,  dafs,  um  die  Körper  schwer  oder  leicht  zu 
machen  und  sie  infolge  dessen  zu  entgegengesetzten  Bewegungen  zu 
veranlassen,  jede  beliebige  Art  von  Dichtigkeit  und  Dümie  genügt, 
mag  sie  durch  Wärme  und  Kälte  hervorgerufen  sein  oder  durch  irgend 
sonst  etwas;  Kalt  und  Warm  haben  mit  dieser  Erscheinung  nichts  zu 
thmi.  Ihr  werdet  finden,  dafs  ein  glühendes  Stück  Eisen,  das  doch 
gewifs  warm  genannt  werden  darf,  ebenso  schwer  ist  und  sich  ebenso 
bewegt,  wie  ein  kaltes.  Aber  auch  abgesehen  davon:  woher  wifst  Ihr, 
dafs  die  Dichtigkeit  und  Dünne  bei  den  Gestirnen  nicht  durch  Kälte 
und  Wärme  bedingt  sind? 

Simpl.  Daher,  weil  solche  Eigenschaften  im  Reiche  der  Himmels- 
körper nicht  existieren,  weil  diese  weder  warm  noch  kalt  sind. 

Salv.  Ich  sehe,  dafs  wir  abermals  von  einer  Flut  von  Schwierig- 
keiten auf  Nimmerwiedersehen  verschlungen  werden;  denn  wir  fahren 
einher  ohne  Kompafs,  ohne  Sterne,  ohne  Ruder,  ohne  Steuer;  da  ist 
es  natürlich,  dafs  wir  von  Klijipe  zu  Klippe  geworfen  werden,  auf 
Sandbänke  auflaufen  oder  ziellos  ohne  Ende  einhersegeln.  Wenn  wir 
also.  Euerem  Rate  folgend,  in  unserem  Hauptgegeustande  weiter  kommen 
wollen,  müssen  wir  einstweilen  diese  allgemeine  Erörterung  fallen 
lassen,  ob  die  geradlinige  Bewegung  in  der  Natur  notwendig  sei  und 
gewissen  Körpern  zukomme;  wir  müssen  vielmehr  zu  den  speciellen 
Beweisen,  Beobachtungen  und  Versuchen  übergehen.  Zuerst  wollen 
wir  alles  das,  was  Aristoteles,  Ptolemäus  und  andere  bisher  für  die 
Unbeweglichkeit  der  Erde  angeführt  haben,  zur  Sprache  bringen; 
zweitens  versuchen,  dies  zu  widerlegen;  endlich  solche  Thatsachen 
beibringen,  auf  Grund  deren  man  zur  Überzeugung  gelangen  kann, 
die  Erde  sei,  so  gut  wie  der  Mond  oder  ein  anderer  Planet,  imter  die 
von  Natur  kreisförmig  bewegten  Körper  zu  rechnen. 

Sagr.  Ich  gehe  um  so  lieber  darauf  ein,  als  ich  weit  mehr  mit 
Euerer  grundlegenden  allgemeinen  Erörterung  einverstanden  bin,  als 
mit  der  des  Aristoteles:  die  Euere  befriedigt  mich,  ohne  mir  irgendwie 
Anstofs  zu  geben,  die  andere  läfst  mich  bei  jedem  Schritte  straucheln. 


48  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [52.  53.] 

Aucli  weifs  ich  niclit,  warum  Siguore  Simplicio  nickt  gleich  durch 
den  einen  von  Euch  angeführten  Beweisgrund  für  die  Unmöglichkeit 
der  geradlinigen  Bewegung  überzeugt  worden  ist,  dafs  nämlich  diese 
Bewegung  unverträglich  ist  mit  der  Annahme,  die  Teile  der  Welt 
seien  in  bester  Verteilung  und  vollkommener  Ordnimg. 

Salv.  Bitte,  haltet  ein,  Signore  Sagredo,  •''^)  demi  soeben  fällt  mir 
ein  Weg  ein,  mit  dem  auch  Signore  Simplicio  einverstanden  sein 
könnte,  freilich  nur  dann,  wenn  er  sich  nicht  dergestalt  an  jedes  Wort 
des  Aristoteles  bindet,  dafs  er  es  für  einen  Frevel  hält,  auch  nur  von 
einem  einzigen  abzugehen.  Unzweifelhaft  giebt  es,  um  die  beste  Ver- 
teilimg  imd  die  vollkommene  Ordnung  der  Teile  der  Welt  aufrecht  zu 
erhalten,  keine  anderen  Mittel  als  die  Kreisbewegung  und  die  Ruhe. 
Die  geradlinige  Bewegung  hingegen  kann,  soviel  ich  sehe,  zu  nichts 
anderem  dienen,  als  irgend  ein  Teilchen  der  Hauptkörper,  das  durch 
irgendwelchen  Zufall  von  seinem  Ganzen  getrennt  imd  losgelöst  wurde, 
zu  diesem  Ganzen  zurückzubringen,  wie  wir  früher  bemerkten.  Be- 
trachten wir  nun  den  ganzen  Erdball  und  überlegen,  wie  es  mit  ihm 
stehen  kann,  sobald  er  und  die  anderen  Weltkörper  in  bester  und 
natürlicher  Ordnung  beharren  sollen.  Man  mufs  notgedrungen  sagen, 
dafs  er  entweder  ruhe  und  unbeweglich  an  seinem  Orte  beharre  oder 
dafs  er,  gleichfalls  an  derselben  Stelle  bleibend,  sich  um  sich  selber 
drehe,  oder  endlich,  dafs  er  um  einen  Mittelpunkt  auf  der  Peripherie 
eines  Kreises  herumlaufe.     Betreffs  dieser  Möglichkeiten  sagen  Aristo- 

Aristoteies  und  teles,  Ptolemäus  uud  alle  ihre  Anhänger  blofs,  dafs  er  stets  die  erste 

haupten  die    Vi'eise  üme  gehalten  hat  und  sie  in  Ewigkeit  beibehalten  wird,    näm- 

des  Erdbaua.   Hch    eine    beständige   Ruhe    an    demselben   Orte.      Warum    also    nicht 

lieber    von    vornherein    sagen,    dafs    seine    natürliche    Eigenschaft    die 

Natürlicher  Zu- Unbewcglichkeit  ist,   als  die  Beweo;uug  nach  unten  für  die  natürliche 

stand  des  Erd-  ,  •  t.  t  ■  -,  n  i  i        •  i 

baiis  verdient  ausgebcu,  cme  Bewegung,   die   er  memals  ausgeführt  hat  und  luemals 
als  die  gerad-'  ausführcii   wird?    Die  geradlinige  Beweguiio-  aber,  man  gestehe  es  ein, 

linige  Bewegung  .  OOoO?  O  ■; 

nach  unten  zu  benutzt  die  Natur  nur,  um  die  Teile  der  Erde,  des  Wassers,  der  Luft 
und  des  Feuers  und  jedes  anderen  Hauptweltkörpers  zu  ihrem  Ganzen 
zurückzuführen,  sobald  einer  von  ihnen  zufällig  von  ihm  getremit  und 
also  an  imgehörige  Stelle  versetzt  ist:  es  sei  denn,  dafs  auch  in  diesem 
Falle  zur  Wiederherstellung  der  Ordnung  eine  Art  von  Kreisbewegung 
sich  zweckmäfsiger  erwiese.  Mir  scheint,  dafs  diese  ursprüngliche  An- 
nahme auch  vom  Standpunkte  des  Aristoteles  den  sämtlichen  übrigen 
Folgermigen  sich  weit  besser  anpafst,  als  werm  man  die  geradlinigen 
Bewegmigen  für  das  den  Elementen  iimewohneude  ursprüngliche 
Princip  ausgiebt.  Dies  ist  augenscheinlich  der  Fall;  deim  wemi  ich 
den  Peripatetiker  frage,  ob  er,  der  die  Himmelskörper  für  unzerstörbar 


[53.  54.]  Erster  Tag.  49 

und  ewig  hält,  der  Meinung  sei,  dafs  die  Erde  das  nicht  ist,  sondern 
vergänglich  und  dem  Untergang  geweiht,  und  ob  er  glaube,  es  werde  Geradlinige  Be- 

".      "        .  .  C3       o    O  ;  o  7^  ^  wegungen  eher 

dereinst   eine  Zeit  kommen,    wo   zwar  Sonne,    Mond   und   die   übrigen  ^eu  Teilen  als 

'  -^  ....         '^^^  Elementen 

Uestirne  noch  immer,    die  Erde  aber  nicht  mehr  existiere,   diese  viel- i™  ß=i"^en  zu- 

'  '  zuschreiben. 

mehr  samt  den  übrigen  Elementen  zerstört  und  in  nichts  aufgelöst 
sei,  so  bin  ich  fest  überzeugt,  er  wird  dies  verneinen.  Die  Zerstörung 
und  Erzeugung  betrifft  also  nur  die  Teile  und  nicht  das  Ganze  und 
/war  die  allerkleinsten,  oberflächlichen  Teile,  die  fast  unmerklich  sind 
im  Vergleich  mit  dem  Gesamtvolumen.  Da  Aristoteles  die  Erzeugung 
und  Vernichtung  aus  dem  Gegensatz  der  geradlinigen  Bewegungen 
erklärt,  nun  so  lasse  man  diese  Bewegungen  den  Teilen,  die  allein 
sich  ändern  und  zerstört  werden,  dem  ganzen  Ball,  der  ganzen  Sphäre 
der  Elemente  aber  schreibe  man  entweder  die  Bj-eisbewegimg  oder 
eine  fortwährende  Ruhe  an  demselben  Orte  zu,  Eigenschaften,  die 
allein  zur  Bewahrung  und  Aufrechterhaltung  der  vollkommenen  Ord- 
nung geeignet  sind.  Was  von  der  Erde  gilt,  gilt  mit  demselben 
Rechte  vom  Feuer  und  dem  gröfsten  Teile   der  Luft.     Nach  peripate-  Peripatetiker 

•    1  -IT  T-ii  IT-  T    1        schreiben  unbe- 

tischer   Ansicht    wird    diesen    Elementen    als    immanentes    natürliches  gründeterweise 

den  Elementen 

Princip  eine  Bewegung  zugeschrieben,  die  sie  niemals  ausgeführt  haben  ^is  natürliche 


sie  niemals  aus- 

die    Bewegung    nennt,    die    sie    ausführen,    ausgeführt    haben    und    in  ^jf^®^"^ ^^li^i^g 
Ewigkeit   ausführen    werden.      Die    Peripatetiker    weisen    nämlich    der  ^"i^mer^aus-^ 
Luft    mid    dem   Feuer    die    Aufwärtsbewegung    zu,    in    welcher    diese       fahren. 
Elemente    sich    niemals    befunden    haben,     sondern    nur    eines     ihrer 
Teilchen,   imd   auch  dies   nur  darum,    um  sich  an  die  ihm  natürliche 
Stelle   zurückzubegeben,   nachdem   es   an   einer   unnatürlichen   sich   be- 
funden hat.     Andererseits  betrachten   sie    die  Kreisbewegung  als  ihrer 
Natur  widersprechend,  während  sie  doch  diese  fortwährend  ausführen; 
sie  vergessen  gewissermafsen  den    öfters   wiederholten  Ausspruch  des 
Aristoteles,  ein  Gewaltsames  könne  niemals  lange  währen. 

Simpl.     Auf  all  das   haben  wir  die   schlagendsten  Entgegnimgen 
bereit-,  doch  will  ich  sie  für  jetzt  unterdrücken,  um  auf  die  specielleren 
Gründe   und    sinnlichen  Erfahrungen    zu  kommen,    welche   schliefslich, 
wie  Aristoteles  mit  Recht  sagt,   den  Vorzug  verdienen  vor  allem,  was  fabrSngen  .^er" 
«lurch  menschliche  Spekulation  uns  an  die  Hand  gegeben  werden  kann.^ög"v",  menlch- 

Sagr.  Die  bisher  vorgebrachten  Argumente  mögen  uns  also  dienen  ''"''tuiuen.''"'''" 
*als  Anregimg  zu  der  Erwägung,  welche  von  den  beiden  allgemeinen 
Erörterungen  gröfsere  Wahrscheinlichkeit  besitzt,  die  des  Aristoteles, 
welche  uns  erweisen  soll,  dafs  die  Natur  der  sublunarischen  Körper 
erzeugbar,  vergänglich  u.  s.  w.  ist  mid  deshalb  ganz  verschieden  von 
dem  Wesen  der  Himmelskörper,    welche  unbeeinflufsbar,    imerzeugbar, 

Galilki,  Weltsysteme.  4 


50  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [54.  55.] 

unvergänglich  sind,  wie  aus  der  Verscliiedenlieit  der  einfaelien  Be- 
wegungen sich  ergiebt;  oder  die  des  Signore  Salviati,  der  infolge 
seiner  Voraussetzung,  die  Hauptteile  der  Welt  seien  bestens  geordnet, 
folgerichtig  den  Naturkörpern  die  geradlinige  Bewegung  als  völlig 
nutzlos  abspricht  und  der  Meinung  ist,  auch  die  Erde  sei  ein  Himmels- 
körper und  sei  mit  allen  Vorzügen  ausgestattet,  die  diesen  zukommen. 
Diese  Auffassung  steht  mir  bis  jetzt  weit  mehr  an^  als  die  andere. 
Signore  Simplicio  mag  also  die  Güte  haben,  alle  die  besonderen 
Gründe,  Versuche,  Natur-  und  Himmelsbeobachtungen  vorzubringen, 
welche  die  Ansicht  bestätigen,  die  Erde  sei  von  den  Himmelskörpern 
verschieden,  unbeweglich,  in  den  Mittelpunkt  der  Welt  gestellt  oder 
aus  irgend  sonst  einem  Grunde  verhindert  sich  zu  bewegen  nach  Art 
der  Planeten,  wie  der  Jupiter  oder  der  Mond;  Signore  Silviati  hingegen 
wird  die  Güte  haben,  Punkt  für  Punkt  zu  beantworten. 

Simpl.  Hier  hört  zunächst  zwei  sehr  schlagende  Beweise  dafür, 
dafs  die  Erde  grundverschieden  von  den  Himmelskörpern  ist.  Erstens: 
die  Körper,  die  erzeugbar,  vergänglich,  veränderlich  u.  s.  w.  sind,  sind 
grundverschieden  von  den  unerzeugbaren  ,•  unvergänglichen ,  unver- 
änderlichen u.  s.  w.;  die  Erde  ist  erzeugbar,  vergänglich,  veränder- 
lich u.  s.  w.,  die  Himmelskörper  sind  unerzeugbar,  unvergänglich, 
imveränderlich  u.  s.  w.;  also  ist  die  Erde  von  den  Himmelskörpern 
grundverschieden. 

Sagr.  Als  erstes  Argument  tischt  Ihr  uns  das  nämliche  Gericht 
auf,  das  heute  schon  einmal  da  war  und  eben  erst  abgetragen  worden  ist. 

Simpl.  Nicht  so  hitzig,  mein  Herr!  Hört  mich  zu  Ende,  und 
Ihr  werdet  die  Verschiedenheit  schon  merken.  Vorher  wurde  der 
Untersatz  a  priori  gefunden,  jetzt  werde  ich  ihn  a  posteriori  beweisen. 
Seht  zu,  ob  das  nicht  etwas  Anderes  ist.  Ich  beweise  also  den  Unter- 
satz, denn  der  Obersatz  ist  ganz  offenbar.  Die  sinnliche  Erfahrung 
lehrt  uns,   dafs  auf  Erden  ein  beständiges  Entstehen,   Vergehen,   Ver- 


weü^nfJmau  üoch  uach   Überlieferungen    und   Berichten    unserer   Vorfahren   jemals 
*^ruug  arihm  am    Himmel    beobachtet    wurde.      Also    ist    der    Himmel    imveränder- 
'*'° 'den  ist.^"*^  lieh   u.  s.  w.,    die    Erde    aber    veränderlich   u.  s.  w.    und    darum    vom 
Himmel  verschieden.  —  Den   zweiten  Beweis  entnehme   ich  einer  fun- 
damentalen und   wesentlichen   Thatsache,    der   folgenden  nämlich:    ein 
von   Natur   dunkler,    des   Lichts   ermangelnder  Körper    ist  von  jedem 
Von  Natur    leuchteuden  und  slänzenden  verschieden:  die  Erde  ist  ohne  Licht  und 

leuchteuaeKör-  _  _  ö  5 

per  siud  von  finstcr,  die  Himmelskörper  glänzend  und  voll  Lichtes,  also  u.  s.  w.    Man 

linsteren  ver-  '  i  »  ; 

schieden,      möge  mir  vorerst  darauf  antworten,   um   die  Menge   des  Stoffes   nicht 
zu  sehr  anwachsen  zu  lassen,  dami  werde  ich  noch  anderes  beibringen. 


[55.  56.]  Erster  Tag.  51 

Salv.  Den  ersten  Beweisgrund  anlangend,  dessen  Kraft  auf  der 
Erfahrung  beruht,  möchte  ich  bitten,  dafs  Ihr  mehr  ins  einzelne  die 
Änderungen  aufführtet,  die  Ihr  auf  Erden,  nicht  aber  am  Himmel  vor 
sich  gehen  seht,  und  derentwegen  Ihr  die  Erde  als  veränderlich  be- 
trachtet, den  Himmel  aber  nicht. 

Simpl.  Ich  sehe  auf  Erden  beständig  Kräuter,  Bäume,  Tiere  ent- 
stehen und  vergehen;  Winde,  Regen,  Gewitter  und  Stürme  sich  er- 
heben; kurz  das  Aussehen  der  Erde  in  fortwährendem  Wandel  be- 
griffen. Von  allen  diesen  wechsekiden  Erscheinungen  aber  ist  bei  den 
Himmelskörpern  nichts  zu  sehen;  ihre  Stellung  und  Gestalt  ist  seit 
Menschengedenken  aufs  genaueste  sich  gleich  geblieben,  ohne  dafs 
etwas  Neues   erzeugt,   noch   von  Früherem   etwas    zerstört  worden   ist. 

Salv.  Nun,  da  für  Euch  die  blofse  Wahrnehmbarkeit  oder,  besser 
gesagt,  die  wirkhche  Wahrnehmung  der  Erscheinungen  entscheidend 
ist,  so  müfst  Ihr  notwendig  China  und  Amerika  für  Himmelskörper 
halten;  demi  zuverlässig  habt  Ihr  dort  niemals  jene  Änderungen  beob- 
achtet, die  Ihr  hier  in  Italien  beobachtet;  sie  müssen  demnach,  soweit 
Euere  Wahrnehmung  reicht,  unveränderlich  sein. 

Simpl.  Wenn  ich  auch  diese  Veränderungen  an  jenen  Orten  nicht 
sinnlich  wahrgenommen  habe,  so  giebt  es  doch  zuverlässige  Berichte 
darüber,  abgesehen  davon,  dafs  nach  dem  Satze  eadem  est  ratio  totius 
et  iMTtium,  diese  Länder  ebenso  gut  wie  die  unsrigen  notwendig  ver- 
änderlich sind,  da  sie,  ebenso  gut  wie  diese,  Teile  der  Erde  sind. 

Salv.  Und  warum  habt  Ihr  nicht  selbst  mit  eigenen  Augen  diese 
Vorgänge  beobachtet  und  wahrgenommen,  ohne  Euch  erst  auf  die 
Glaubwürdigkeit  fremder  Berichte  verlassen  zu  müssen? 

Simpl.  Abgesehen  davon,  dafs  jene  Länder  unseren  Blicken  ent- 
zogen sind,  ist  ihre  Entfernung  so  grofs,  dafs  die  Sehkraft  nicht  aus- 
reichen würde,  um  dergleichen  Änderungen  zu  entdecken. 

Salv.  Da  seht,  wie  Ihr  von  selber  beiläufig  das  Trügerische 
Eueres  Beweisgrundes  aufgedeckt  habt.  Denn  wenn  Ihr  zugebt,  dafs 
man  die  bei  uns  auf  Erden  wahrnehmbaren  Änderungen  in  Amerika 
wegen  der  grofsen  Entfernung  von  hier  aus  nicht  bemerken  kann,  so 
könnt  Ihr  sie  noch  viel  weniger  auf  dem  Monde  sehen,  der  soviel 
hundertmal  weiter  entfernt  ist.  Wenn  Ihr  aber  an  die  Veränderungen 
in  Mexiko  auf  Grund  der  Nachrichten  von  dort  glaubt:  welche  Kmide 
ist  Euch  vom  Monde  zugegangen,  die  Euch  meldet,  dort  gingen  keine 
Veränderungen  vor  sich?  Daraus  also,  dafs  Ihr  am  Himmel  keine 
Änderungen  seht,  während  Ihr  die  etwa  stattfindenden  wegen  der  zu 
grofsen  Entfernung  nicht  bemerken  würdet  oder  daraus,  dafs  Ihr 
keinen  Bericht   von  ihnen  habt,  wo    ein   solcher  doch   unmöglich   ist. 


52  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [56.  57.] 

könnt  Ihr  nicht  schliefsen^  dafs  sie  nicht  statttinden;  wie  Ihr  anderer- 
seits ganz  richtig  aus  dem  Gesehenen  und  Gehörten  auf  Veränderungen 
unserer  Erde  schliefsen  dürft. 

Simpl.  Ich  will  Euch  auf  Erden  stattgefundene  Änderungen  aus- 
findig machen,  die  so  grofs  sind,  dafs,  fänden  sie  auf  dem  Monde  statt, 
sie  sehr  wohl  Yon  hienieden  beobachtet  werden  könnten.  Wir  wissen 
Entstehung  des  auf  Gruud  Uralter  Überlieferungen,  dafs  einst  an  der  Meerenge  von 
%'ieeres''du^ch''"Gibraltar  die  Felsen  Abila  und  Calpe  durch  andere  kleinere  Berge 
von  Abila  und  Zusammenhingen,  welche  einen  Damm  gegen  den  Ocean  bildeten.  ^^) 
Da  sich  aber,  aus  welcher  Ursache  auch  immer,  die  beiden  Berge 
trennten,  und  den  Wassern  des  Meeres  der  Zutritt  geöffnet  wurde, 
strömten  diese  in  solcher  Menge  ein,  dafs  sie  das  ganze  mittelländische 
Meer  bildeten.  Ziehen  wir  dessen  Gröfse  in  Betracht  und  das  ver- 
schiedenartige Aussehen  zwischen  einer  aus  der  Ferne  beobachteten 
Fläche  von  Wasser  und  Land,  so  hätte  unzweifelhaft  ein  solcher  Vor- 
gang  sehr  wohl  von  jemand,  der  auf  dem  Monde  gewesen  wäre,  be- 
obachtet werden  können,  ebenso  wie  wir  Erdbewohner  dergleichen 
Äuderungen  auf  dem  Monde  bemerken  müfsten.  Es  verlautet  aber 
nichts  davon,  dafs  man  je  so  etwas  gesehen  hätte.  Also  haben  wir 
keinen  Anhalt,  um  einen  der  Himmelskörper  für  veränderlich  u.  s.  w. 
erklären  zu  dürfen. 

Salv.  Dafs  so  weitgreifeude  Veränderungen  auf  dem  Monde 
stattgefunden  haben,  will  ich  mich  nicht  erkühnen  zu  behaupten;  aber 
ebensowenig  bin  ich  überzeugt,  dafs  solche  nicht  stattgefunden  haben 
können.  Eine  solche  Umwälzung  würde  uns  nur  als  eine  veränderte  Ab- 
stufung von  Helligkeit  und  Dunkelheit  gewisser  Mondpartieen  erscheinen 
und  doch  weifs  ich  nichts  von  wifsbegierigen  Selenographen  auf  Erden, 
die  eine  sehr  lange  Reihe  von  Jahren  hindurch  uns  so  genaue  Mond- 
beschreibungen geliefert  hätten,  dafs  man  auf  ihre  Aussage  hin  mit 
Bestimmtheit  die  Thatsache  einer  solchen  Veränderung  der  Mond- 
oberfläche in  Abrede  stellen  könnte.  Über  das  Aussehen  der  letzteren 
finde  ich  keine  eingehenderen  Angaben,  als  dafs  der  eine  sagt,  sie 
stelle  ein  menschliches  Gesicht  vor,  der  andere,  sie  gleiche  einer  Löwen- 
schnauze  und  der  dritte,  man  erblicke  auf  ihr  Kain  mit  einem  Bündel 
Reisig  auf  der  Schulter.  Die  Unveränderlichkeit  des  Himmels  also 
darauf  zu  gründen,  dafs  man  auf  dem  Monde  oder  auf  einem  anderen 
Himmelskörper  keine  von  der  Erde  aus  sichtbaren  Anderimgen  wahr- 
genommen hat,  ist  ein  gänzlich  unzuverlässiger  Schlufs. 

Sagr.  Mich  beschäftigt  noch  ein  anderes  Bedenken  gegen  diesen 
Beweis  des  Signore  Simplicio,  welches  ich  gerne  beseitigt  sähe.  Darum 
frage   ich   ihn,    ob   die   Erde   vor   dem   Einbruch    des    mittelländischen 


I  57.  58  ]  Erster  Tag.  53 

Meeres  erzeugbar  und  zerstörbar  war,   oder  ob  sie  damals  erst  anfing 
es  zu  sein. 

Simpl.  Ohne  Zweifel  war  sie  schon  vorher  erzeugbar  und  zer- 
störbar; dieses  war  nur  eine  so  gewaltige  Katastrophe ,  dafs  sie  auch 
iiuf  dem  Monde  hätte  beobachtet  werden  können. 

Sagr.  0,  weim  die  Erde  vor  besagter  Überschwemmung  schon 
crzeugbar  und  zerstörbar  war,  was  steht  im  Wege,  dafs  der  Mond 
('S  gleichfalls  ist,  auch  ohne  eine  solche  Umwälzung?  A¥arum  soll  auf 
dem  Monde  das  unbedingt  erforderlich  sein,  was  auf  Erden  nicht  von 
entscheidender  Bedeutung  war? 

Salv.  Ein  sehr  scharfsinniger  Einwurf.  Ich  möchte  aber  glauben, 
dafs  Signore  Simplicio  in  die  Stellen  bei  Aristoteles  und  den  anderen 
Peripatetikern  einen  etAvas  veränderten  Sinn  hineinlegt.  Diese  sagen, 
dafs  sie  darum  den  Himmel  für  unveränderlich  halten,  weil  an  ihm 
niemals  die  Entstehung  oder  Zerstörung  irgendwelchen  Sternes  beob- 
achtet worden  ist,  der  im  Vergleich  zum  ganzen  Himmel  vielleicht 
kleiner  sei  als  eine  Stadt  im  Verhältnis  zur  Erde;  und  doch  seien 
von  diesen  letzteren  unzählige  so  völlig  zerstört  worden,  dafs  keine 
Spur  von  ihnen  übrig  geblieben. 

Sagr.  Ich  war  vom  Gegenteile  überzeugt  und  glaubte,  Signore 
Simplicio  verleugne  diese  Auslegung  des  Textes,  um  seinen  Meister 
und  seine  Mitjünger  nicht  mit  einem  Vorwurf  zu  belasten,  der  noch 
häfslicher  ist  als  der  andere.  Wie  nichtig  ist  doch  die  Behauptimg: 
der  Himmel  ist  unveränderlich,  weil  keine  Sterne  an  ihm  entstehen 
und  vergehen!  Giebt  es  etwa  jemanden,  der  einen  Erdball  hätte  ver- 
gehen und  einen  neuen  entstehen  sehen?  Wird  nicht  von  allen  Philo- 
sophen zugegeben,  dafs  nur  ganz  ^wenige  Sterne  am  Himmel  kleinerantergang  eines 
sind    als   die  Erde,    wohl  aber    sehr   viele   weit,    weit    gröfser?      Der  unmögiicii  wie 

TT  •  Oi  TT*  1         •  T  1  •      1     I  /^  ■  ''^"^    '^''''    g'^'l^'Ö'^ 

Untergang  eines  Sternes  am  Himmel  ist  demnach  nichts  Germgeres  Erdballs. 
als  die  Zerstörung  des  gesamten  Erdballs.  Wenn  daher  notwendig  so 
gewaltige  Körper  wie  ein  Stern  vergehen  und  wieder  entstehen  müssen, 
um  ein  Entstehen  und  Vergehen  im  Weltall  mit  Recht  behaupten  zu 
können,  so  lafst  nur  diesen  Gedanken  ganz  fallen,  denn  ich  versichere 
Euch,  die  Zerstörung  des  Erdballs  oder  eines  anderen  Hauptwelt- 
körpers wird  niemals  beobachtet  werden;  niemals  wird  ein  solcher, 
nachdem  man  ihn  viele  verflossene  Jahrhmiderte  hindurch  beobachtet 
hat,  sich  auflösen  und  spurlos  verschwinden. 

Salv.  Um  aber  den  Wünschen  des  Signore  Simplicio  noch  mehr 
als  nötig  entgegenzukommen  und  ihn,  wo  möglich,  von  seinem  Irrtum 
zu  überzeugen,  bemerke  ich,  dafs  wir  in  unserer  Zeit  neue  Vorgänge 
die,  wie  ich  nicht  bezweifele,  Aristoteles 


54  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [58.  59.] 

Aristoteles    umstimmeu  würden,   wenn   er  heutigen  Tages   lebte.      Dies    geht    aus 
Grund  der  neuen  seiner  eigenen  Weise  zu  philosophieren  hervor.    Denn,  wenn  er  schreibt, 

Entdeckungen  ,     ,^    ",  „•  ^      o--  ••     J       T    l  M  •  1 

in  unserer  Zeit  er   halte   den  Himmel   lur    unverauderlich  u.  s.  w.,    weil   man  niemals 

seine  Ansicht  -r\       i  i        • 

ändern.  (Jort  etwas  Neues  hätte  entstehen  oder  etAvas  Früheres  vorschwmden 
sehen,  so  deutet  er  implicite  an,  dafs  er  im  Falle  einer  solchen  Be- 
obachtimg zur  gegenteiligen  Ansicht  sich  bekennen  würde  und  der 
sinnlichen  Erfahrung  mit  Recht  Tor  naturphilosophischen  Erwägungen 
den  Vorzug  gegeben  hätte.  Wenn  er  den  sinnlichen  Beobachtungen 
keinen  Wert  beigelegt  hätte,  würde  er  die  Unveränderlichkeit  jedenfalls 
nicht  aus  den  fehlenden  Beobachtungen  über  irgend  welche  Verände- 
rung geschlossen  haben. 

Simpl.  Als  wichtigste  Grundlage  betrachtete  Aristoteles  seine 
apriorischen  Erwägungen,  indem  er  die  Notwendigkeit  der  Unver- 
änderhchkeit  des  Himmels  durch  seine  einleuchtenden,  klaren  Natur- 
principien  darthut;  nachher  befestigte  er  a  posteriori  seine  Theorie 
durch  die  sinnliche  Wahrnehmung  und  die  alten  Überlieferungen. 

Salv.  Diese  Euere  Angaben  beziehen  sich  auf  die  Art  und  Weise, 
wie  er  seine  Lehre  niederschrieb,  aber  ich  glaube  nicht,  dafs  er  auf 
diesem  Wege  zu  ihr  gelangte.  Vielmehr  halte  ich  es  für  ausgemacht, 
dafs  er  zuerst  mittels  der  Sinne,  der  Erfahrung  und  der  Beobachtung, 
soviel  als  möglich,  von  der  Richtigkeit  der  Schlufsfolgerung  sich  zu 
überzeugen  versuchte  und  dann  erst  sich  nach  Mitteln  umthat,  sie  zu 
beweisen-,  so  nämlich  verfährt  man  gewöhnlich  in  den  deduktiven 
T.-    r.     r,    ,  Wissenschaften:   und   zwar   darum,   weil,    wenn    die   These   richtig   ist, 

Die  Gewifsheit  '  "  n  } 

'^M^iörTe^hoh  ™^^  ^^i  Benutzung  der  analytischen  Methode  leicht  auf  irgend  welchen 
'^duifg^d^s^Be'-  schon  bewiesenen  Satz  oder  zu  einem  selbstverständlichen  Axiome  ge- 
dManai^ischeiJangt;    ist   aber   die  Behauptung   falsch,    so   kann   man   ins  unendliche 

Methode,  weitergehen,  ohne  je  auf  irgend  eine  bekannte  Wahrheit  zu  treffen, 
wenn   man    nicht    gar    auf   eine    offenbare  Unmöglichkeit   oder    etwas 

pythagoras    Widersinniges  stöfst.     Zweifelt  nicht,  dafs  Pythagoras,  lange  bevor  er 

opferte  eine  .  '^  .    '  ./  O  >  O 

Hekatombe  um  dcu  Bewcis  gefunden,  um  dessentwillen  er  die  Hekatombe  opferte,  sich 

der  Auffindung  ^  ^  '  ,  ■  •  ■  ym 

eines  geometri-  vcrgcwissert  hat,  ob  das  Hyjjotenusenquadrat  im  rechtwinkligen  Dreieck 
willen.  den  Quadraten  der  beiden  anderen  Seiten  gleich  sei.  Das  Zutrauen 
zur  Richtigkeit  der  Behauptung  trägt  nicht  wenig  zur  Auffindung 
des  Beweises  bei,  in  den  deduktiven  Wissenschaften  wohlverstanden. 
Aber  mag  das  Schlufsverfahren  des  Aristoteles  von  apriorischen  Er- 
wägungen zu  aposteriorischer  Sinneswahrnehmung  fortgeschritten  sein 
oder  umgekehrt,  sicher  ist,  dafs  eben  jener  Aristoteles,  wie  mehrfach 
erwähnt,  den  similichen  Erfahrungen  vor  allen  Spekulationen  den 
Vorrang  einräumt,  abgesehen  davon,  dafs  wir  schon  geprüft  haben, 
wie  es   mit  der  Beweisführung   dieser  apriorischen  Erörterung    steht. 


[59.  60.]  Erster  Tag.  55 

Indem  ich  micli  zu  imserem  Gegenstande  wende,  bemerke  ich:  die  am 
Himmel  in  neuerer  Zeit  gemachten  Entdeckungen  sind  und  waren  der- 
art, dafs  sie  alle  Philosophen  vollauf  befriedigen  kömiten.    Denn  sowohl 
bei  einzelnen  Körpern  als  am  gesamten  Himmelsgewölbe  hat  man  ge- 
sehen und  sieht  man  noch  immer  Vorgänge  ähnlich  denen,  die  wir  bei 
ims  Erzeugung  imd  Vernichtung  nennen.     Es  ist   nämlich  von  ausge- 
zeichneten Astronomen  die  Entstehung  und  Vernichtung  vieler  Kometen 
in  Regionen    oberhalb    der  Mondsphäre  beobachtet  worden,   abgesehen 
von  den   beiden   neuen   Sternen  von  1572  und   1604,   die  ohne  jeden   Erscheinung 
Zweifel   einer   weit   höheren  Sphäre   angehörten    als  alle  Planeten.     Ja    am  Himmel, 
auf  der   Oberfläche   der   Sonne   sogar   sieht   man    mit   Hilfe   des   Fern-piecken,  weiche 
rohrs  dichte  dunkle  Gebilde  entstehen  und  sich  wieder  auflösen,   dem  oberfläch°e°"ut°-' 
Aussehen    nach   ganz  ähnlich  den  Wolken    der  Erdatmosphäre;    viele ^ "  ^geh^n. '^'"'' 
derselben  sind  so  umfangreich,    dafs  sie  nicht  nur  das  mittelländische  sonnenflecken, 
Meer,  sondern  auch  ganz  Afrika  und  Asien  bei  weitem  an  Gröfse  über-  lil  |l°/rAsie°n^ 
treffen.''^)     Nun,   wenn  Aristoteles   diese   Dinge  sähe,  was   meint  Ihr,    "°^ '^^"^^• 
Signore  Sim^^licio,  würde  er  sagen  und  thun? 

Simpl.    Ich  weifs  nicht,  was  Aristoteles,  der  Schutzherr  der  Wissen- 
schaften,   thun   oder    sagen  würde;    allerdings    aber    weifs   ich  einiges 
von  dem,  was  seine  Anhänger  thun  und  sagen,  und  was  sie  thun  und 
sagen  müssen,   um  nicht   des   Wegweisers,   Führers  und  Hauptes   der 
Philosophie  verlustig  zu  gehen.     Was  die  Kometen  angeht,  sind  denn  Widerlegung 
nicht  jene  modernen  Astronomen,   die  sie  zu  Himmelskörpern  machen '^^  ^durch"™^" 
wollten,  von  dem  Antitycho  widerlegt  worden  imd  zwar  widerlegt  mit     '^°''*y'=*'"- 
ihren    eigenen    Waffen,    mittels    Parallaxen"^)    und    hundertfältig   ver- 
schkmgenen    Rechnungen,    die    schliefslich    in    Übereinstimmung    mit 
Aristoteles   ergaben,    dafs    sie    sämtlich  elementaren  Ursprungs    sind? 
Und  nachdem   dieses   Fundament  der  Anhänger   der  neuen  Theorieen 
erschüttert   ist,    was   bleibt   ihnen   noch,    um   sich   auf  den  Füfsen   zu 
erhalten? 

Salv.  Gelassen,  Signore  Simplicio!  Was  sagt  Euer  moderner 
Autor  über  die  neuen  Sterne  von  1572  und  1604  und  über  die  Sonnen- 
flecken? Denn  betrefl's  der  Kometen  würde  ich  meinerseits  wenig  da- 
gegen haben,  man  mag  sie  nmi  als  unter  oder  über  dem  Monde  ent- 
standen denken;  auch  habe  ich  niemals  grofsen  Wert  auf  die  Red- 
seligkeit Tycho's  gelegt  und  bin  gern  geneigt  zu  glauben,  dafs  ihre 
Substanz  elementaren  Ursprimgs  sei,  dafs  sie  sich  aber  soweit  erheben 
können,  als  ihnen  gefällt,  ohne  an  der  Undurchdringlichkeit  des  peri- 
patetischen  Himmels  Widerstand  zu  finden,  den  ich  für  sehr  viel 
dümier,  nachgiebiger  und  feiner  halte  als  misere  Atmosphäre.  Die 
Berechnung    der   Parallaxen    anlangend,    so    bewirken    einerseits    der 


56  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [60.  61.] 

Zweifel,  ob  die  Kometen  eine  solche  besitzen,  andererseits  die  mangel- 
bafte  Übereinstimmung  der  Beobachtungen,  auf  welche  die  Rechnungen 
sich  stützen,  dafs  mir  die  eine  wie  die  andere  Meinung  verdächtig 
vorkommt,  namentlich  da  der  Antitycho  die  seinem  Zweck  zuwider- 
laufenden Beobachtungen  auf  seine  Weise  zuzustutzen  oder  für  irrig 
auszugeben  scheint. 

Simpl.  Was  die  neuen  Sterne  betrifft,  so  entledigt  der  Antitycho 
sich  derselben  aufs  beste  mit  vier  Worten:"')  die  neu  aufgetauchten 
Sterne  machten  nicht  einen  Teil  der  Himmelskörper  aus;  die  Gegner 
müfsten,  wenn  sie  dort  oben  ein  Entstehen  und  Vergehen  darthun 
wollten,  Änderungen  an  den  Sternen  nachweisen,  die  schon  so  lange 
Zeit  hindurch  beschrieben  worden  sind  und  von  denen  niemand  be- 
zweifele, dafs  sie  Himmelskörper  seien-,  das  aber  könnten  dieselben 
keineswegs.  Über  die  Gebilde  sodann,  welche  nach  einigen  auf  der 
Sonnenoberfläche  entstehen  und  vergehen,  spricht  er  gar  nicht;  daraus 
entnehme  ich,  dafs  er  sie  für  eine  Fabel  hält  oder  für  teleskopische 
Täuschungen  oder  bestenfalls  für  atmosphärische  Trübungen,  kurz  für 
alles  eher  als  für  himmlische  Substanzen. 

Salv.  Ihr  selbst  aber,  Signore  Simplicio,  was  für  eine  Antwort 
habt  Ihr  Euch  ausgedacht,  wenn  Euere  Gegner  Euch  diese  lästigen 
Flecken  vorhalten,  die  erschienen  sind,  um  den  Himmel  in  Verwirrung 
zu  bringen  und  mehr  noch  die  peripatetische  Philosophie?  Als  deren 
unerschro"ckener  Verteidiger  müfst  Ihr  notgedrungen  irgend  welchen 
Ausweg,  eine  Lösung  der  Schwierigkeiten  gefunden  haben,  und  diese 
dürft  Ihr  uns  nicht  vorenthalten. 

Simpl.  Ich  habe  über  diesen  besonderen  Pimkt  verschiedene  An- 
sichten gehört.''*)  „Die  einen  sagen,  es  seien  Sterne,  die  in  ihren 
Verschiedene    eigenen  Bahnen,  ähnlich  wie  Venus  und  Merkur,   sich  um  die  Sonne 

Ansichten  über "      »  '  ' 

"^^fle^cken^"  „drehen  luid  uns  bei  ihrem  Vorübergange  vor  der  Sonne  dunkel  er- 
„scheinen;  da  ihrer  eine  grofse  Zahl  sei,  so  geschehe  es  häufig,  dafs  ein 
„Teil  derselben  sich  anhäufe  mid  dafs  sie  dann  sich  wieder  trennen; 
„andere  halten  sie  für  atmosphärische  Vorgänge,  andere  für  Täuschmigen, 
„verursacht  durch  die  Fernrohrlinsen  u.  dgl.  m.  Ich  aber  neige  der 
„Ansicht  zu,  bin  sogar  fest  überzeugt,  dafs  sie  ein  Haufen  von  vielen 
„verschiedenartigen  undurchsichtigen  Körpern  sind,  die  gewissermafsen 
„zufällig  zusammentreffen;  darum  lassen  sich  oft  in  einem  Flecken 
„zehn  und  mehr  solcher  winzigen  Körperchen  zählen,  welche,  von  un- 
„regelmäfsiger  Gestalt,  wie  Schnee-  oder  Wollflocken  oder  wie  schwir- 
„rende  Mücken  erscheinen.  Sie  ändern  ihre  gegenseitige  Lage,  trennen 
„sich  bald  von  einander,  bald  nähern  sie  sich,  besonders  vor  der  Sonne, 
„um    welche    sie    sich,    als    um    ihren  Mittelpunkt,    bewegen.     Darum 


[61.  62.]  Erster  Tag.  57 

„braucht  man  aber  nicht  anzunehmen,  dafs  sie  entstehen  oder  ver- 
„gehen,  sondern  nur,  dafs  sie  sich  bisweilen  hinter  dem  Sonnenball 
„verbergen,  bisweilen  aber,  wiewohl  von  ihm  getrennt,  wegen  der  Nähe 
„des  übermäfsig  hellen  Sonnenlichtes  unsichtbar  sind.  In  die  excen- 
„trische  Sphäre  der  Sonne  sind,  ähnlich  wie  Zwiebelhäute,  Schichten 
„von  verschiedener  Dicke  in  einander  geschachtelt,  von  denen  jede,  mit 
„einigen  kleinen  Flecken  behaftet,  sich  bewegt.  Wiewohl  anfänglich 
„ihre  Bewegung  veränderlich  imd  imregelmäfsig  aiissah,  sollen  deimoch 
„nach  den  neuesten  Beobachtungen  genau  dieselben  Flecken  innerhalb 
„bestimmter  Fristen  wiedergekehrt  sein."  Dies  scheint  mir  der  zweck- 
mäfsigste  Ausweg,  den  man  bis  jetzt  gefmiden  hat,  um  Rechenschaft  von 
besagter  Erscheinung  zu  geben,  ohne  doch  die  Unzerstörbarkeit  und 
Unerzeugbarkeit  des  Himmels  fallen  zu  lassen.  Und  wenn  er  wirklich 
nicht  genügen  sollte,  so  wird  es  nicht  an  erleuchteten  Geistern  fehlen, 
welche  andere  bessere  finden  werden. 

Salv.  Wenn  der  Gegenstand  unseres  Streites  eine  Frage  der 
Jurisprudenz  oder  einer  anderen,  meuschl  che  Dinge  behandelnden 
AVissenschaft  wäre,  in  welchen  es  nicht  Wahrheit,  noch  Irrtum  giebt,  in  deu  xntur- 

.  Ol-  •  07  -Wissenschaften 

SO  könnte  man  zuversichtlich  emen  gröfseren  Scharfsinn,    eine  schlag-  erreicht  biorse 

'^  _      '  "     Beredsamkeit 

fertigere  Beredsamkeit,  eine  ausgedehntere  Belesenheit  erwarten  und  nichts. 
hoffen,  dafs,  wer  sich  durch  solche  Gaben  auszeichnet,  hier  die  Über- 
legenheit seines  Geistes  an  den  Tag  legen  und  Ruhm  dafür  ernten 
würde.  In  den  Naturwissenschaften  aber,  deren  Schlüsse  wahr  und 
notwendig  siud,  und  wo  menschliche  Willkür  keine  Stätte  hat,  mufs 
man  sich  hüten,  sich  auf  selten  des  Irrtums  zu  schlagen;  denn  tausend 
Männer  wie  Demosthenes  und  Aristoteles  würden  von  jedem  mittel- 
mäfsigen  Geiste  aus  dem  Sattel  gehoben,  wenn  dieser  das  Glück  ge- 
habt, die  Wahrheit  aufzufinden.  Darum,  Signore  Simplicio,  entschlagt 
Euch  nur  der  HoflPuung,  dafs  soviel  kenntnisreichere,  gelehrtere  und 
belesenere  Männer,  als  wir  es  sind,  der  Natur  zum  Trotz  den  Irrtum 
als  Wahrheit  erweisen  könnten.  Wenn  also  von  allen  bisher  vorge- 
brachten Ansichten  über  das  Wesen  der  Sonne nflecken,  die  soeben 
von  Euch  auseinandergesetzte  Euch  richtig  erscheint,  so  müssen,  wenn 
Ihr  Recht  habt,  alle  anderen  notAvendig  falsch  sein.  Um  Euch  mm 
den  Glauben  auch  an  diesen  völlig  grundlosen  Wahn  zu  benehmen, 
will  ich,  ganz  zu  geschweigen  von  tausend  anderen  Unwahrscheinhch- 
keiteii,  blofs  zwei  entgegenstehende  Beobachtungen  anführen.  Erstens 
sieht  man  viele  von  diesen  Flecken  vor  der  ]VIitte  der  Sonnenscheibe 
entstehen  und  ebensoviele  gleichfalls  vom  Umfange  der  Sonnenscheibe  zwingender  Be- 
entfernt  sich  wieder  aufl(>sen  und  verscliwinden:  ein  zwingender  Grund,  sonneutiecken 

*-       .  eutstehoD  und 

dafs  sie  wirklich  entstehen  und  sich  auflösen;  denn  wenn  sie,  ohne  zu     vergehen. 


58  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [62.  63.] 

entstehen    imd    zu    vergehen,    blofs    infolge    ihrer   Bewegung    sichtbar 

würden,  so  sähe  man  sie  sämtlich  am  änfsersten  Rand  der  Sonne  ein- 

imd  austreten.    Die  zweite  Beobachtung  beweist  für  diejenigen,  welche 

Schlagender  Bo- nicht  ganz  und  gar  der  Lehre  von  der  Perspektive  unkundig  sind,  aus 

unmittelbare   den  Scheinbaren  Gestalts-  und  Geschwindigkeitsänderungen  der  Flecken 

Berührung  der        _  ... 

Flecken  mit  der  i32it    Notwendigkeit,    dafs    sie    dem    Sonnenkörper    anhaften    und    mit 

diesem  oder  über  ihn  hin  in  dichter  Berührung  mit  seiner  Oberfläche 

sich  bewegen,  keineswegs   aber  sich  in  Kreisen  drehen,   die  von  ihm 

einen  gewissen  Abstand  haben.     Es    folgt    dies    aus    der    scheinbaren 

Bewegung  der  Verzögerung   der   Bewegung   in   der   Nähe   des    Sounenrandes   und   der 

Flecken  in  der  '='  ti         i  i  .  •  ,  -vy    i  i  r,  •  p   i 

Nähe  des     scheinbaren  Beschleumgung  in    der   JNahe    der    Sonnenmitte:    es    folgt 

Sonnenrandes  o        o  ^  j  o 

scheinbar  lang- dies  feriicr  aus  der  Form  der  Flecken,  welche  in  der  Nähe  des  Randes 

sam. 

Form  der     lauggestrcckt  im  Vergleich  zu  den  in  der  Mitte  befindlichen  erscheinen, 
Nähe dTs KaudesHud   zwar   darum,    weil   sie   in   der   Mitte    in   voller   Gröfse   erscheinen 
schTibeTa°n*^gge- und  SO,  wic  sie  wii'klich  beschaffen  sind;  in  der  Nähe  des  Randes  hin- 
die"*!:  Schein  gcgcn  zeigcu  sie    sich  infolge   des   Zurttcktretens   der  Kugeloberfläche 
verkürzt.     Beide  scheinbaren  Änderungen,  der  Gestalt  soAvohl  wie  der 
Bewegung,  entsprechen,  wie  bei  sorgfältiger  Beobachtung  und  Rechnung 
sich   herausstellt,    genau    dem,    was    man    erwarten    mufs,    wenn    die 
Flecken  mit  der  Sonne  zusammenhängen,   sind  hingegen  völlig  unver- 
einbar mit  der  Annahme  einer  Bewegung  in  Bahnen,   welche  eine  ge- 
wisse, wenn  auch  nur  geringe,    Entfernung   von  der  Sonne  besitzen; 
wie  denn  dieses   weitläufig  von  unserem  Freunde  in  den  Briefen  über 
die  Sonnenflecke  an  den  Herrn  MarMs  Welser  bewiesen  worden  ist.^^) 
i)ie  Sonnen-   j^y  ergicbt   sich  aus   eben  dieser  Gestaltsveränderung,    dafs   von   jenen 

flecken  sind  ö  ö?  J 

gistIu°so?dfrn  ^^"^^^^^    keiner   ein   Stern    oder   sonst    ein    kugelförmiger   Körper    ist; 

gieichsamdüune*^^^!!^  "^^^  allen  Körpern  erscheint  die  Kugel  allein  niemals  verkürzt 
Schichten,  ^^^j  uicmals  anders  als  vollkommen  rund.  Wäre  also  irgend  ein 
einzelner  Fleck  ein  runder  Körper,  wie  dies  von  allen  Sternen  ange- 
nommen wird,  so  würde  er  ebenso  rund  vor  der  Mitte,  wie  vor  dem 
Rande  der  Sonnenscheibe  erscheinen  müssen,  während  doch  die  bedeu- 
tende Verkürzimg  und  das  scheinbare  Schmälerwerden  nach  besagtem 
Rande  hin,  die  gröfsere  Breite  und  Ausdehnung  hingegen  nach  der 
Mitte  zu  uns  vergewissert,  dafs  es  sich  um  Schichten  handelt,  die  im 
Verhältnis  zu  ihrer  Länge  und  Breite  nur  geringe  Tiefe  oder  Dicke 
besitzen.  Dafs  endlich  die  Flecken  in  bestimmten  Perioden  völlig 
unverändert  wiederkehrten,  glaubt  nicht,  Signore  Simplicio;  wer  es 
Euch  gesagt  hat,  will  Euch  hintergehen.  Dafs  dem  wirklich  so  ist, 
könnt  Ihr  daraus  ersehen,  dafs  er  die  Flecken  tot  geschwiegen  hat, 
welche  auf  der  Sonnenfläche  selbst  in  beträchtlicher  Entfernung  vom 
Rande  entstehen  und  sich  auflösen;  ferner  daraus,  dafs  er  kein  Wort 


[63.  64]  Erster  Tag.  59 

über  die  perspektivische  Verkürzvuig  spricht,  welche  ein  zwingendes 
Argument  für  den  Zusammenhang  der  Flecken  mit  der  Sonne  ist. 
Was  an  der  Wiederkehr  der  nämlichen  Flecken  Wahres  ist,  steht 
gleichfalls  in  den  obengenannten  Briefen:  nämlich,  dafs  einige  von 
ihnen  lange  genug  andauern,  um  während  einer  vollen  Umdrehung  um 
die  Sonne,  welche  etwas  weniger  als  einen  Monat  dauert,  noch  nicht 
verschwunden  zu  sein. 

Simpl.  Ich  habe,  offen  gestanden,  nicht  lange  und  sorgfältig 
genug  beobachtet,  um  in  dieser  Frage  den  Thatbestand  völlig  zu  be- 
herrschen; doch  will  ich  auf  alle  Fälle  Beobachtungen  anstellen  und 
dann  versuchen,  ob  es  mir  gelingt,  die  Ergebnisse  der  Erfahrung  mit 
den  aristotelischen  Lehren  in  Einklang  zu  bringen;  denn  es  ist  klar, 
dafs  zwei  Wahrheiten  einander  nicht  widersprechen  köimeu. 

Salv.  Sobald  Ihr  die  sinnlichen  Beobachtungen  mit  den  bestbe- 
gründe teu  Lehren  des  Aristoteles  in  Einklang  bringen  wollt,  wird 
Euch  das  keine  grofse  Mühe  machen;  zum  Beweise:  sasrt  nicht  Aristo-    wegen  der 

,  -,  -,  •      1         /-<  grofsen  Entfer- 

teles ,    dafs  über  astronomische   Gegenstände  wegen  der    grofsen  Ent-  """g  des  Him- 

'  .  .  ,     ^  .  r  ™'''ä  kann  von 

fernung    des    Himmels    nicht    mit    voller    Entschiedenheit    gehandelt     ihm  nach 

"  ~  Aristoteles  nicht 

werden  könne  ?f°)  mit  voiier  Be- 

^  stimmtheit  ge- 

Simpl.     Gewifs  sagt  er  das.  handelt  werden 

Salv.     Versichert  er  nicht  auch,  dafs  die  Erfahrimg  und  die  sinn- 
liche Wahrnehmimg   vor   aller  Spekulation   den  Vorzug  verdient,    mag  Die  sinniiciie 
diese  auch  noch  so  wohlbegründet  erscheinen?  und  sagt  er  dies  uichtist  na'ch  Aruto- 
mit  voller  Entschiedenheit,  ohne  zu  schwanken?  lation  vorzu- 

Simpl.     Das  thut  er. 

Salv.  Von  diesen  beiden  Behauptungen,  welche  beide  von 
Aristoteles  aufgestellt  sind,  ist  die  zweite,  welche  den  Vorrang  der 
sinnlichen  Erfahrimg  vor  der  Spekulation  aussagt,  weit  bestimmter 
und  entschiedener,  als  die  erstere,  welche  den  Himmel  für  unver- 
änderlich ausgiebt.  Daher  verfahrt  Ihr  mehr  im  Sinne  des  Aristoteles, 
wenn  Ihr   den  Himmel   für   veränderlich   ausgebt,   weil   dies   der   sinn-  Der  Himmel 

.  ^.  ,  .  darf  im  Geiste 

liehen  Erfahrimg  entspricht,  als  wemi  Ihr  sagt,  der  Himmel  sei  miver-  Jer  aristoteii- 

.  .  .  .  .  sehen  Lehre  eher 

änderlich,    weil   Aristoteles   durch   Spekulation    zu    dieser  Ansicht   ge-  f^^  veränder- 

'  ^  "       höh  als  für  un^- 

langte.      Nehmt    hinzu,    dafs    wir    weit    besser    als    Aristoteles    über  veränderlich 

O  '  gelten. 

astronomische  Dinge  urteilen  können;  demi  er  gesteht  ja  selbst,   die    wir  können 
Erkeimtnis  derselben  sei  wegen  ihrer  Sinnenentrücktheit  für  ihn  schwerrohrebeMerüber 
und  räumt  damit  ein,   dafs,   wessen  Sinne  schärferer  ^Vahrnehmungen  ping°e°urtenen 
fähig  sind,  sich  ein  sichereres  Urteil  würde  bilden  können.     Vermöge 
des  Ferm'ohrs  ist  uns  nun   aber  der  Himmel  dreifsig-    bis   vierzigmal 
näher  gerückt,  als  er  dem  Aristoteles  war,  so  dafs  wir  an  ihm  hundert 
Dinge  imterscheiden  können,  von  denen  er  nichts  wufste,  unter  anderen 


60  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [64.  65.] 

auch  jene  Sonnenflecken,  die  für  ihn  durchaus  unsichtbar  waren.  Des- 
wegen können  wir  uns  ein  begründeteres  Urteil  über  den  Himmel  und 
die  Somie  bilden  als  Aristoteles. 

Sagr.  Ich  versetze  mich  in  den  Geist  des  Signore  Simplicio  und 
weifs,  dafs  die  Kraft  dieser  nur  allzu  überzeugenden  Gründe  Eindruck 
auf  ihn  macht.  Wenn  er  andererseits  aber  das  grofse  Ansehen  in 
Betracht  zieht,  das  Aristoteles  sich  beim  Publikum  erworben,  wenn  er 
die  Zahl  der  berühmten  Ausleger  in  die  Wagschale  wirft,  die  sich 
abgemüht  haben,  seine  Meinimg  zu  erforschen;  wenn  er  bedenkt,  wie 
so  nützliche  und  notwendige  Wissenschaften  einen  grofsen  Teil  der 
ihnen  gezollten  Achtung  blofs  dem  Ansehen  des  Aristoteles  verdanken, 
so  bringt  ihn  alles  das  aufser  Fassimg  und  erschreckt  ihn.  Ich  meine, 
ich  höre  ihn  es  selber  sagen:  Zu  wem  sollen  wir  künftig  unsere  Zuflucht 
nehmen,  der  unsere  Streitigkeiten  entschiede,  wenn  Aristoteles  ent- 
thront ist?    Zu  welchem  anderen  Autor  sollen  wir  ims  in  den  Schulen, 

Ergüsse  sim-  den  Akadcmicen,  den  Wissenschaften  bekennen?  Welcher  Philosoph 
hat  alle  Teile  der  Naturphilosophie  abgehandelt  und  zwar  in  so  konse- 
quenter Durchführung,  ohne  eine  einzige  Lücke  in  den  Schlufsketten? 
Und  so  soll  jener  Bau  veröden,  in  dem  so  viele  Wanderer  ein  Obdach 
gefunden?  jene  Zuflucht,  jenes  Heiligtum  zerstört  werden,  wo  so  viele 
Wissensdurstige  behaglich  sich  erquicken,  wo,  ohne  den  Unbilden  der 
Witterung  sich  auszusetzen,  man  Naturerkenntnis  gewinnt,  wenn  man 
nur  ein  paar  Blätter  umzuwenden  versteht?  Soll  jenes  Bollwerk  ge- 
schleift werden,  wo  man  geschützt  war  vor  jeglichem  feindlichen  An- 
grifl"?  Ich  fühle  Mitleid  mit  ihm,  wie  mit  jenem  Manne,  der  unter 
ungeheuerem  Zeit-  imd  Geldaufwand  mit  Hilfe  von  hundert  und  aber 
hundert  Werkleuten  einen  herrlichen  Palast  hat  aufführen  lassen  und 
daim  sehen  mufs,  wie  er  der  mangelhaften  Grundmauern  halber  einzu- 
stürzen droht.  Um  nicht  zu  seinem  Herzeleid  die  Mauern  zerstört  zu 
sehen,  die  mit  reizenden  Bildern  geschmückt  sind;  die  Säulen  zer- 
trümmert, welche  die  prächtigen  Galerieen  stützen;  die  vergoldeten 
Decken  eingestürzt,  die  Giebel  und  den  Marmorfries  zerfallen,  sucht  er 
dami  wohl  mit  Ketten,  Pfosten,  Pfeilern,  Stützmauern  und  Streben 
dem  Einsturz  vorzubeugen. 

Salv.  Nein,  solchen  Zusammenbruch  braucht  Signore  Simplicio 
noch  nicht  zu  fürchten;  ich  würde  mit  viel  geringerem  Aufwände  es 
übernehmen,  ihn  vor  Schaden  sicher  zu  stellen.  Die  Gefahr  liegt 
laicht  vor,  dafs  eine  so  grofse  Menge  gescheiter  und  scharfsinniger 
Philosophen   von    ein    paar   Lärmmachern    sich   ins    Bockshorn  jagen 

peripatetischo  lasscu.    Sie  braucheu  gegen  diese  nicht  einmal  die  Spitzen  ihrer  Federn 
^YeräuderTich'r  ZU  richten,  ihr  blofses  Stillschweigen  genügt,  um  sie  der  Verachtung 


[65.  66.]  Erster  Tag.  61 

und  dem  Geläcliter  des  Publikums  preiszugeben.  Wie  eitel  ist  doch 
der  Glaube,  man  könne  einer  neuen  Wahrheit  Eingang  verschaffen 
durch  Widerlegung  des  und  jenes  Autors.  Erst  mufs  man  verstehen, 
die  Köpfe  der  Menschen  umzuformen  und  sie  fähig  machen  zwischen 
Wahrheit  und  Irrtum  zu  unterscheiden;  das  aber  vermag  blofs  Gott 
allein.  —  Doch  wohin  sind  wir  von  einem  Gegenstand  zum  anderen 
geraten?  Ich  finde  meinen  Weg  nicht  zurück,  wenn  Euer  Gedächtnis 
mir  ihn  nicht  zeigt. 

Simpl.  Ich  erinnere  mich  sehr  wohl.  Wir  waren  bei  den  Eut- 
gegnungen  Antitychos  auf  die  Einwände  gegen  die  Unveränderlichkeit 
des  Himmels  stehen  geblieben;  Ihr  brachtet  dabei  die  von  ihm  nicht  Ije- 
rührte  Frage  der  Somientlecken  zur  Sprache.  Ihr  wolltet  dann,  glaube 
ich,  seine  Erwiderung  auf  den  Einwand  der  neuen  Sterne  in  Erwägung 
ziehen. 

Salv.  Jetzt  besinne  ich  mich,  was  noch  zu  thun  ist.  Um  also 
fortzufahren,  so  glaube  ich,  dafs  an  den  Entgegnungen  Antitychos 
mancherlei  auszusetzen  ist.  Erstens:  wenn  die  beiden  neuen  Sterne, 
die  er  nicht  umhin  kann  an  die  höchsten  Teile  des  Himmels  zu  ver- 
setzen, die  ferner  von  langer  Dauer  waren  und  schliefslich  ver- 
schwanden, ihn  an  der  Unveränderlichkeit  des  Himmels  nicht  irre 
machen,  weil  sie  nicht  festbestimmte  Teile  desselben  seien,  noch  auch 
Veränderungen  an  altbekamiten  Sternen,  wozu  dami  diese  Angst  und 
Sorge  wegen  der  Kometen  und  das  Bemühen,  sie  mit  aller  Gewalt 
von  den  himmlischen  Regionen  auszuschliefsen  ?  War  es  nicht  genug, 
wenn  man  von  ihnen  dasselbe  wie  von  den  neuen  Sternen  sagte?  weil 
sie  nämlich  keine  festbestimmten  Teile  des  Himmels  sind,  noch  Ver- 
änderungen an  einem  der  himmlischen  Sterne,  so  können  sie  weder 
dem  Himmel,  noch  der  Lehre  des  Aristoteles  Abtrag  thun.  Zweitens 
kann  ich  mich  nicht  in  seine  Auffassung  hineindenken,  wenn  er  auf 
der  einen  Seite  zugiebt,  dals  etwaige  Verändermigen  der  Sterne  aller- 
dings die  Sonderrechte  des  Himmels  aufheben  würden,  wie  die  Unzer- 
störbarkeit u.  s.  w.  und  zwar  deswegen,  weil  die  Sterne  einstimmig 
für  himmlische  Gebilde  gehalten  werden;  wemi  er  demgegenüber  aber 
keinen  Anstofs  an  der  Unveränderlichkeit  desselben  nimmt,  sobald  die 
nämlichen  Änderungen  aufserhalb  der  Gestirne  an  dem  übrigen  Himmels- 
gewölbe vor  sich  gehen.  Hält  er  den  Himmel  etwa  nicht  für  ein 
himmlisches  Gebilde?  Ich  wenigstens  glaubte  immer,  die  Sterne  hiefsen 
Himmelskörper  wegen  ihrer  Stellung  am  Himmel,  oder  weil  sie  aus 
der  nämlichen  Substanz  wie  der  Himmel  bestünden,  und  meinte  dem- 
gemäfs,  dafs  der  Himmel  himmlischer  sei  wie  sie,  ebenso  wie  es  nichts 
Irdischeres   oder  Feurigeres   giebt  als   die  Erde  imd   das  Feuer  selbst. 


62  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [66.  67.] 

Wenn  er  sodami  der  Somienfleckeii  keinerlei  Erwähnung  tliut,  von 
welchen  klar  bewiesen  ist^  dafs  sie  entstehen  und  sich  wieder  auflösen, 
dafs  sie  in  immittelbarer  Nähe  des  Sonnenkörpers  sich  befinden  und 
mit  ihm  oder  um  ihn  sich  drehen,  so  erweckt  mir  dies  den  Verdacht, 
jener  Autor  schreibe  wahrscheinlich  mehr  anderen  zu  liebe,  als  zu 
eigener  Befriedigung.  Ich  glaube  das,  weil  er  sich  als  Keuner  der 
Mathematik  zeigt  und  darum  immöglich  die  Beweise  unterschätzen 
kann,  dafs  besagte  Gebilde  der  Sonnenoberfläche  augehören  und  in  so 
gewaltigem  Umfange  ein  Entstehen  und  Vergehen  darthun,  wie  es 
auf  Erden  niemals  stattfindet.  Wenn  nun  dergleichen  Veränderungen 
in  solchem  Mafse  und  in  solcher  Häufigkeit  auf  dem  Sonnenballe 
selbst  vor  sich  gehen,  der  mit  Recht  für  einen  der  vornehmsten  Teile 
des  Himmels  gelten  kann,  welcher  Grund  soll  dann  ausreichen,  um 
uns  von  der  Unmöglichkeit  ähnlicher  Vorgänge  auf  anderen  Welt- 
körpern zu  überzeugen? 

Sagr.  Ich  kann  nur  mit  gröfster  Verwunderung,  ja  mit  gröfstem 
innerem  Widerstreben  anhören,  dafs  die  Eigenschaften  des  Unbeein- 
fiufs baren.  Unveränderlichen,  Unwandelbaren  u.  s.  w.  den  Naturkörpern, 
welche   das  Weltall  zusammensetzen,   als   etwas  Vornehmes  und  Voll- 

Erzeugbarkeit  ' 

und  verände-  kommeucs  zugeschriebeu  werden,  imd  im  Gegensatze  dazu  die  Wandel- 

rung  bedingen  ~  7  O 

"der  weukörpe?^^^'^^*^^^>  Erzcugbarkcit,  Veränderlichkeit  u.  s.  w.  als  etwas  sehr  UnvoU- 

"esetzten^ififen-^*^^^!^^^*^  gelten  sollcu.     Ich  für  mein  Teil  halte  die  Erde  für  höchst 

Schäften,      yornehm   imd   bewmidernswert   gerade   wegen    der    vielen    verschieden- 

Die  Erde  vor-  _  ^  o  O  . 

deTvi^ielauMbr^^^^o^^^  Wandeliingcn,  Veränderungen,  Erzeugungen  u.  s.  w.,  die  ohne 
Veränderungen.  U^f  ©rlafs  auf  ihr  sich  abspielcii.  Wäre  sie  im  Gegenteil  keiner 
Erde  unnütz  uudAnderimg   unterworfen,   sondern  nichts   als   eine   Sand  wüste   oder   eine 

müfsig  ohne  '^  ' 

Veränderungen.  Jaspiskugel,  odcr  wärcu  zur  Zeit  der  Sintflut  die  Gewässer,  welche 
sie  überfluteten,  gefroren  imd  hätte  sie  sich  in  eine  imermefsliche  Eis- 
kugel verwandelt,  wo  nichts  entsteht,  noch  vergeht,  noch  sich  ver- 
ändert, so  würde  ich  sie  für  ein  auf  der  Welt  unnützes  Ding,  für 
müfsig  und,  um  es  herauszusagen,  für  überflüssig  erachten,  so  gut  als 
wäre  sie  in  der  Natur  gar  nicht  vorhanden;  sie  würde  mir  wie  ein  ^^_^ 
totes  Wesen  verglichen  mit  einem  lebenden  erscheinen.  Dasselbe  gilt 
auch  vom  Monde,  vom  Jupiter  und  allen  anderen  Weltkugeln.  Je 
eingehender  ich  mich  in  die  Nichtigkeiten  der  landläufigen  Denkweise 
liineinversetze,  um  so  leichtfertiger  und  thörichter  finde  ich  sie.  Welche 
gröfsere  Thorheit  kann  man  sich  vorstellen,  als  wenn  man  Edelsteine, 
Silber  mid  Gold  für  Kostbarkeiten  erklärt,  die  Erde  und  den  Schlamm 
aber  für  völlig  wertlose  Dinge?     Kommt  es  denn  solchen  Leuten  gar 

Die  Erde  vor- nicht  in  den  Sinn,   dafs,   wäre  die  Erde  so  selten,  wie  die  höchst  ge- 
nehmer ais  Goid     ,     ,  T^i    •       T  1      /r  1-1 
und  Edeisteiue.  schätztcu  Kleiuodicn   imd  Metalle,   es   keinen  Fürsten   gäbe,   der  nicht 


|(;7.  68.]  .  Erster  Tag.  63 

ntTiie  eine  Menge  von  Diamanten  imd  Rubinen  und  vier  Fuhren 
<iuldes  hingäbe,  um  nur  soviel  Erde  zu  erkaufen,  als  man  braucht, 
um  einen  Jasminstrauch  in  ein  kleines  Gefafs  zu  pflanzen  oder  einen 
chinesischen  Pomeranzenstrauch ''^)  zu  säen,  um  zu  beobachten,  wie  er 
Ivcimt,  wächst,  so  schönes  Laub  hervorbringt,  so  duftende  Blüten  und 
>(>  liebliche  Früchte!    Also  nur  die  Seltenheit  oder  Häufigkeit  verleiht  Seltenheit  und 

"  .  Häufigkeit  ver- 

iu   den  Augen  der  Menge   einer   Sache  Wert  oder  Unwert:   sie  nennt    leihen  den 

^  P  _  _'  _  Dingen  Wert 

•  inen    Diamanten    herrlich,    weil   er    klarem   Wasser    ähnlich    ist    mid  ^^  unwert. 

würde  ihn  doch  nicht  gegen  zehn  Tonnen  Wassers  hingeben.     Wer  die 

I  nvergänglichkeit,  die  Unveränderlichkeit  u.  s.  w.  so  hoch  schätzt,  fühlt 

sich,    wie   ich   glaube,    durch   den   lebhaften   Wunsch,    recht   lange   in  cnzerstürbar- 

(lieser  Welt   zu  weilen   und   durch  die  Furcht  vor   dem  Tode  dazu  ge-    Leuten  aus 

Furcht  vor  dem 

(h'ängt.      Man    bedenkt    nicht,    dafs,    wenn    die    Menschen    unsterblich  Tode  hochge- 

»         _  _  '  '  ^  schätzt. 

wären,  ihnen  nichts  daran  läge  auf  die  Welt  zu  kommen.  Solchewerdiezerstör- 
Leute  verdienten  durch  den  Anblick  eines  Medusenhauptes  in  eine  verdient  in  eine 
lUldsäule  von  Jaspis  oder  Diamant  verwandelt  zu  werden,  um  höhere    wandelt  zu 

werden. 

\'ollkommenheit  zu  erlangen. 

Salv.  Vielleicht  wäre  ihnen  eine  solche  Metamorphose  ganz  vor- 
teilhaft; denn  besser  ist  es  meines  Dafürhaltens  gar  nicht  zu  denken 
;il.s  verkehrt  zu  denken. 

Simpl.  Unzweifelhaft  ist  die  Erde  viel  vollkommener,  wenn  sie, 
wie  es  wirklich  der  Fall,  wandelbar  und  veränderlich  ist,  als  wenn  sie 
i'ine  Steinmasse  wäre  selbst  von  härtestem  und  xmempfindlichstem 
Diamant.     Aber  ebensosehr,  wie  die  Eigenschaften  der  Erde  ihr  Vor-  Die  Himmeis- 

'  _  °  körper  sind  zum 

nrhmheit   verleihen,    würden    sie   die   Himmelskörper   unvollkommener  Dienste  der  Erde 

'  ^  bestimmt  und 

machen,  an  welchen  sie  überflüssig  wären.     Haben  doch  die  Himmels- '''■»"cheu  daher 

'  ~  nur  BeweRung 

k(")rper   wie   die  Sonne,    der    Mond  und   die   übrigen   Gestirne,    welche  '^teliuen ^"^ 
nur  zu  Dienstleistungen  für  die  Erde  bestimmt  sind,  für  diesen  Zweck 
nichts  weiter  nötig  als  ihre  Bewegmig  und  ihr  Licht. 

Sagr.  Also  hat  die  Natur  so  mächtige,  vollkommene  und  edele 
Himmelskörper  nur  darum  unveränderlich,  unvergänglich,  göttlich  ge- 
schaffen und  hingestellt,  um  der  veränderlichen,  hinfälligen  und  ver- 
gänglichen Erde  zu  dienen?  dem  zu  dienen,  was  Ihr  die  Hefe  der 
Welt,  den  Bodensatz  alles  Um-einen  nennt?  Und  wozu  den  Himmels- 
körpern Unsterblichkeit  verleihen,  um  einem  Vergänglichen  zu  dienen? 
Nehmt  die  einzige  nützliche  Dienstleistung  der  Erde  gegenüber  hin- 
weg, so  fehlt  der  unzähligen  Schar  der  Himmelskörper  jeder  Nutzen, 
jeder  Zweck;  denn  sie  haben  miter  einander  keine  Wechsehvirkung 
und  können  keine  haben,  da  sie  sämtlich  unwandelbar,  unveränderlich,  ^^i^.  Himmels- 
unempfindlich sind.  Ist  z.  B.  der  Mond  imempfindlich,  was  soll  die  kefne  wechsTi- 
Suniie  oder  sonst  ein  Gestirn  an  ihm  wirken?    Sicherlich  weit  weniger, '"einander.*" 


64  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [68.  69.] 

als  wer  durch  den  blofsen  Blick  oder  Gedanken  eine  grofse  Masse 
Goldes  schmelzen  wollte.  Ferner,  meine  ich,  müssen  die  Himmels- 
körper, um  zum  Entstehen  und  zum  Wechsel  auf  Erden  beizutragen, 
notwendig  selbst  veränderlieh  sein.  Denn  meiner  Auffassung  nach 
wäre  sonst  das  Eingreifen  des  Mondes  oder  der  Sonne  in  irdische 
Verhältnisse  dasselbe,  als  wenn  man  der  Braut  einen  Bräutigam  von 
Marmor  gesellte  und  aus  solcher  Verbindimg  Nachkommen  erwartete. 
Die  Teräiider-  Simpl.     Die  Vergänglichkeit,  die  Veränderung,  der  Wechsel  u.  s.  w. 

lichkeit  hnftet  \  o       o  ?  O!  ^  ^ 

nicht  an  dem  haften  nicht  an  dem  gesamten  Erdball,  der  als  Ganzes  nicht  weniger 

KrdbaU  im  o  7  o 

ganzen,  sondern  g^jor  ist  als  Somie  Und  Mond:  Erzcuguug  und  Untergang  kommen  nur 

au  gewissen  O  700  00 

Teilen.  seinen  äufseren  Teilen  zu.  Allerdings  aber  sind  Entstehen  und  Ver- 
gehen an  diesen  beständig  und  bedürfen  demgemäfs  ewiger  Einwirkung 
seitens  der  Himmelskörper;  darum  müssen  notwendig  die  Himmels- 
körper ewig  sein. 

Sagr.     Alles  sehr  wohl;  Avenn  aber  durch  die  Vergänglichkeit  der 

oberflächlichen  Teile   der  Ewigkeit   des   ganzen   Erdballs  kein  Eintrag 

geschieht,    wenn   ihm    vielmehr    diese   Erzeugbarkeit,   Vergänglichkeit, 

Himmelskörper  Veränderlichkeit   u,   s.   w.    zur    Zierde    und    Vollkommenheit    gereicht, 

an  ihrer  Ober-  . 

flache  veränder-  warum  kömit  Und  dürft  Ihr  nicht  Veränderungen,  Erzeugungen  u.  s.  w. 

lieh.  _  ,  ,  o       ?  O        & 

gleicherweise  an  den  äufseren  Teilen  der  Himmelskörper  zugeben?  Ihr 
verleiht  ihnen  damit  einen  Schmuck,  ohne  ihre  Vollkommenheit  zu 
verringern  oder  ihren  Einflufs  aufzuheben;  ja  Ihr  werdet  ihn  noch 
vergröfsern,  wenn  Ihr  ihn  nicht  auf  die  Erde  beschränkt,  sondern  sie 
auch  unter  einander  wirken  lafst  und  umgekehrt  auch  die  Erde  auf  sie. 

Simpl.  Das  ist  unmöglich,  weil  das  Entstehen,  die  Veränderung 
u.  s.  w.,  die  etwa  auf  dem  Monde  stattfände,  minütz  und  vergeblich 
wären  et  natura  nihil  frustra  facit. 

Sagr.     Und  warum  wären  sie  unnütz  und  vergeblich? 

Simpl.  Weil  wir  deutlich  sehen  und  mit  Händen  greifen  könuen, 
Erzeugung  und  dafs    alle    auf   Erden    stattfindenden    Veränderungen    ohne    Ausnahme 

\  eranderung  aut       _  O 

w^"?  sind  zum  mittelbar  oder  unmittelbar  zum  Nutzen,  zur  Annehmlichkeit,  zum  Vor- 

Wolile  des  Meu-  /  ' 

sehen  bestimn.t.^gii  jg^  Mcnscheu  bestimmt  sind.  Zur  Annehmlichkeit  des  Menschen 
entstehen  Pferde,  zur  Speise  der  Pferde  bringt  die  Erde  Gras  hervor 
imd  die  Wolken  bewässern  es.  Zur  Annehmlichkeit  und  Nahrung  des 
Menschen  werden  Kräuter,  Feldfrüchte,  Obst,  wilde  Tiere,  Vögel,  Fische 
erzeugt;  kurz,  wenn  wir  alles  das  sorgfältig  prüfen  und  zergliedern, 
werden  wir  als  Zweck,  zu  dem  sie  bestimmt  sind,  das  Bedürfnis,  den 
Nutzen,  die  Annehmlichkeit  und  das  Vergnügen  des  Menschen  erkennen. 
Nun,  welchen  Nutzen  könnten  jemals  dem  Menschengeschlecht  die 
Produkte  des  Mondes  oder  eines  anderen  Planeten  bringen?  Ihr 
müfstet    denn    sagen,    dafs    auch    auf    dem   Monde    Menschen    wohnen. 


[70.  71. T  Erster  Tag.  65 

die  seine  Früclite  genössen;  ein  märchenhafter,  wo  nicht  gottloser  Ge- 
danke.«-) 

Sagr.     Dafs   der  Mond   oder  ein   anderer  Planet  Kräuter,  Bäume  Der  Mond  bringt 

.  1P1  Ti  TXT-      1      keine  den  unsri- 

und  Tiere  ähnlich  den  imseren  hervorbringt,  dafs  dort  Hegen,  Winde,  gen  ähnliche 

_  ..  ,..f-,..  .  Krzeugniäseher- 

GeAvitter   hausen   wie   rings   um  die  Erde,   weifs  ich  nicht  und  glaube^or  und  ist  nicht 

'^  '  '^  von  Menschen 

ich  nicht;  noch  viel  weniger,  dafs  er  von  Menschen  bewohnt  ist.    Nur     bewohnt, 
verstehe  ich  nicht,  Avarum  man  notwendig  schliefsen  soll,  dafs,  sobald  Auf  dem  Monde 

'  o  /  7  möglicherweise 

dort   keine    den   irdischen   ähnliche   Dinge    erzeugt   werden,    überhaupt i^f^uK^isse,  die 

'-'  <~^  '  A    von  den  unseren 

keine  Erzeugung  auf  ihm  stattfindet,  dafs  nicht  andere  Dinge  dort  sein^e^chiedensind. 
können,  die  sich  verändern,  entstehen,  sich  auflösen,  die  nicht  nur 
von  den  unsrigen  verschieden,  sondern  auch  imserer  Phantasie  völlig 
entrückt  und  für  uns  geradezu  unvorstellbar  sind.  Gleichwie  sicher- 
lich jemand,  der  in  einem  ungeheueren  Walde  geboren  und  unter  Raub- 
tieren  imd   Vögeln   aufgewachsen    ist,   der   aber  niemals   das   Element  wer  das  Eie- 

°  "  .  .  T  ment  des 

des   Wassers    hat   kennen   lernen,    unmöglich    eine  Vorstellung  davon  Wassers  nicht 

<■  .  .  .  kennt,  kann  sich 

haben  kann,  dafs  es  in  der  Natur  eine  andere  Welt  giebt,  verschieden  ^^eder  schiffe 

"^  ;  noch  Fische 

von  der  Erde,  angefüllt  mit  Tieren,  welche  sich  ohne  Beine  und  ohne  vorstellen. 
Flügel  geschwind  bewegen  und  zwar  nicht  blofs  über  die  Oberfläche 
hin,  wie  die  vierfüfsigen  Tiere  über  die  Erde,  sondern  durch  alle  Höhen 
und  Tiefen;  die  nicht  nur  sich  bewegen,  sondern  an  jeder  beliebigen 
Stelle  sich  ausruhen  können,  ohne  sich  zu  bewegen,  was  die  Vögel  in 
der  Luft  nicht  zu  thun  imstande  sind;  dafs  ferner  dort  auch  Menschen 
wohnen,  die  Paläste  und  Städte  bauen,  die  ganz  bequem  ohne  Ermü- 
dung mit  Kind  und  Kegel,  Haus  und  Hof  in  die  entferntesten  Länder 
reisen  können;  gleichwie  sicherlich  jemand  in  dieser  Lage,  und  habe 
er  die  mächtigste  Einbildungskraft,  niemals  Fische,  Ocean,  Schiffe, 
Flotten,  eine  bewaffnete  Seemacht  sich  vorstellen  könnte,  ebenso  und 
in  noch  höherem  Grade  kann  es  auf  dem  Monde,  der  so  weit  von  uns 
entfernt  ist  nnd  möglicherweise  aus  einem  von  der  Erde  ganz  verschie- 
denen Stoffe  besteht,  Substanzen  geben  und  kömieu  dort  Vorgänge 
sich  abspielen,  die  nicht  nur  weit  ab  von  unserem  Vorstellungskreise, 
sondern  völlig  aufserhalb  desselben  liegen,  weil  sie  nicht  die  geringste 
Verwandtschaft  mit  irdischen  Verhältnissen  aufweisen  und  darum  völlig 
miausdeukbar  sind.  Mufs  ja  doch  jedes  Phantasiegebilde  entweder  ein 
schon  wahrgenommenes  Ding  wiedergeben  oder  eine  Verbindung  von 
früher  Avahr genommenen  Dingen  und  Teilen  sein,  wie  die  Sphinxe, 
Sirenen,  Chimären,  Centauren  u.  s.  w. 

Salv.  Ich  habe  mich  oft  in  Phantasieen  ergangen  über  dergleichen 
Dinge  und  schliefslich  glaube  ich  wohl  manches  ausfindig  machen  zu 
können,  was  auf  dem  Monde  nicht  ist  und  nicht  sein  kann;  aber  auch 
nicht  das  Geringste,    wovon    ich  glaubte,   es  sei  dort  oder  könn(^  auch 

Galilei,  AVeUsysteme.  5 


66  Dialoof  über  die  Weltsysteme.  [71.  72.] 

nur  dort  sein,  es  sei  denn  nur  ganz  im  allgemeinen  Geschöpfe,  die  ihm 

zum  Schmucke   gereichen,  indem  sie  wirken,  sich  bewegen  und  leben. 

Auf  dem  Monde  vielleicht  gauz  andcrs  wie  wir,  die  die  Gröfse  und  Schönheit  der  Welt 

geben,  die  von  und  ihrcs  Schöpfers  und  Lenkers  mit  Staunen  schauen  und  mit  unauf- 

unseren  ver- 
schieden sind,  hörlichem  Preisen  seinen  Ruhm  singen,  kurz  nach  meiner  Auffassung, 

das  bethätigen,  was  in  den  heiligen  Schriften  so  häufig  versichert  wird, 

die  beständige  Verherrlichung  Gottes  durch  alle  Geschöpfe. 

Sagr.  Dies  sind  Dinge,  die,  ganz  allgemein  zu  reden,  auf  ihm 
möglicherweise  vorhanden -sind.  Doch  möchte  ich  gerne  solche  erwähnen 
hören,  die  nach  Ihrer  Ansicht  dort  nicht  sind  und  nicht  sein  können 
und  die  sich  gewifs  mehr  ins   einzelne  aufzählen  lassen. 

Salv.  Merkt,  Signore  Sagredo,  dafs  wir  nun  zum  dritten  Male 
Schritt  für  Schritt,  ohne  es  zu  merken,  von  unserem  Hauptvorhaben 
abgekommen  sind  und  dafs  wir  bei  dergleichen  Abschweifungen  spät 
mit  unserer  Untersuchung  zu  Ende  kommen  werden.  Wenn  wir  also 
diesen  Gegenstand  aufsparen  wollen,  ebenso  wie  die  übrigen,  die  wir 
für  eine  besondere  Sitzimg  aufzuschieben  beschlossen  haben,  so  wird 
es  wohl  das  Beste  sein. 

Sagr.  Da  wir  gerade  beim  Monde  sind,  erledigen  wir,  bitte,  das, 
was  hierher  gehört,  um  nicht  noch  einmal  einen  so  weiten  Weg  zurück- 
legen zu  müssen. 

Salv.  Euer  Wille  geschehe.  Um  mit  ganz  allgemeinen  Verhält- 
nissen zu  begiimen,  so  glaube  ich,  dafs  der  Mondball  trotz  mancher 
Übereinstimmmig  mit  der  Erde  dennoch  von  ihr  sehr  verschieden  ist. 
Ich  will  zuerst  die  Ähnlichkeiten,  dann  die  Verschiedenheiten  nennen. 
Sicher  ist  der  Mond  hinsichtlich  der  Gestalt  der  Erde  ähnlich;  denn 
Erste  Ähnlich- diese   ist  unzweifelhaft   kuo-elförmig,   wie   sich   mit  Notwendic^keit  aus 

keit  zwischen  i-n.-.  i  -i  •  ia 

Mond  und  Erde  seinem   stcts   kreisförmig;en  Aussehen   ersfiebt,   sowie   aus  der  Art  und 

die  der  Geslalt.  ^  _  07 

Beweis  durch  Wcisc    scincr    Beleuchtuus'    seitens    der    Sonne.      Wäre    nämlich    seine 

die  Art  der  Be-  ... 

leuchtung  sei-  Oberfläche  eben,  so  würde  sie  in  einem  und  demselben  Auo-enblicke  in 

tens  der  Sonne.  '  _     '=' 

ihrer  ganzen  Ausdehnung  vom  Sonnenlichte  getroffen,  wie  auch  später 
auf  einmal  des  Lichtes  beraubt  werden,  nicht  aber  die  Teile  zuerst, 
welche  nach  der  Sonne  gekehrt  sind  und  dann  allmählich  die  benach- 
barten, so  dafs  erst  in  der  Opposition ^^)  die  ganze  scheinbare  Scheibe 
erleuchtet  wird.  Gerade  das  Gegenteil  davon  würde  stattfinden,  wemi 
die  sichtbare  Oberfläche  konkav  wäre;  in  diesem  Falle  nämlich  müfste 
die  Beleuchtung  auf  der  von  der  Sonne  abgewendeten  Seite  beginnen. 
Zweitens  ist  der  Mond,  wie  die  Erde,  an  und  für  sich  dunkel  und  un- 
Die  zweite  Äbn-durchsichtio',   durch    welch    letztere   Eigenschaft    er   imstande   ist,   das 

lichkeit  ist  die  TIPP  1  ■,  r.  1  f    n  ••' 

Dunkelheit  des  boniienlicht  aufzufaugeu  und  zurückzuwerfen,  was  anderenialls  unmog- 

Mondes  und  der  " 

Erde.        lieh  wäre.     Drittens  halte  ich  seine  Substanz  für  sehr  dicht  und  fest. 


[72.  73.]  Erster  Tag.  67 

ebenso  sehr  wie  die  der  Erde,  was  deutlich  erhellt  aus  der  gröfsteu-  Drittens:  me 
teils  imebenen  Oberfläche,  die,  mit  dem  Fernrohr  betrachtet,  zahlreiche  Mondes  wie  die 

.  .  der  Erde  dicht 

Erhabenheiten  und  Vertiefungen  aufweist.  Solcher  Erhabenheiten  giebt  «"»^  gebirgig, 
es  viele,  welche  in  aller  und  jeder  Beziehung  unseren  rauhesten  imd 
abschüssigsten  Gebirgen  ähneln.  Etliche  darunter  sind  langgestreckt 
und  ihre  Ausläufer  sind  Hunderte  von  Meilen  lang;  andere  sind  in 
gedrängteren  Gruppen;  auch  giebt  es  viele  abgesonderte  und  isolierte 
Klippen  von  ungeheuerer  Steilheit  und  Schroffheit.  Was  man  aber 
in  gröfster  Zahl  wahrnimmt,  sind  gewisse  sehr  hohe  Dämme  —  ich 
gebrauche  diesen  Ausdruck,  weil  mir  kein  anderer  bezeichnenderer  em- 
fällt  —  welche  Plateaus  von  verschiedener  Gröfse  einschliefseu  imd 
umgeben  und  mannigfaltige  Formen  besitzen,  vornehmlich  aber  kreis- 
förmige. Bei  vielen  befindet  sich  in  der  Mitte  ein  Berg  von  bedeuten- 
der Höhe;  einige  wenige  sind  mit  einer  ziemlich  dunkeln  Masse 
erfüllt,  ähnlich  der,  welche  die  mit  blofsem  Auge  sichtbaren  Flecken  zu- 
sammensetzt; diese  letzteren  sind  die  gröfsten  Flächen.  Die  Zahl  der 
kleinen  und  ganz  kleinen  ist  aufserordentlich  grofs,  und  auch  sie  sind 
alle  kreisförmig.  Viertens:  wie  die  Oberfläche  unseres  Erdballs  in  viertens:  Der 
zwei  Hauptpartieen  zerfällt,  nämlich  in  Land  imd  Wasser,  so  sehen  zwei  Teile,  einen 
wir  auf  der  Mondscheibe  einen  bedeutenden  Unterschied  zwischen  mehreinen  dunkleren, 

.  iT-iiT  T-w-  ^  •  -n  "^^^  ^^^  Erdball 

und  minder   crlänzenden  Feldern.      Damit  würde  meines  Erachtens  das  «  Meer  und 

^  ..  ,  ,  _       ,  Land  zerfällt. 

Aussehen    der    Erde    grofse    Ähnlichkeit    haben,    wenn    man    sie    vom 
Monde  oder  aus  ebenso  grofser  Entfernung  vom  Sonnenlichte  beleuchtet 
beobachten  könnte;  und  zwar  würde  che  Meeresoberfläche  dunkeler,  die    Meeresober- 
des   Landes   heller    erscheinen.''^)      Fünftens:   gerade   wie   wir  von   der   von  weitem 
Erde  aus  den  Mond  bald  voll  erleuchtet  erblicken,  bald  nur  zur  Hälfte,  sehen  au  Land, 
bald  mehr,    bald  weniger,   bisweilen    sichelförmig  und  gerade  wie  er  Fünftens:  pha- 
manchmal  ganz  unsichtbar  wird,  nämlich  dann,  wenn  die  Sonnenstrahlen^^Krde  "hnifch^' 
seine  Rückseite  treffen,  so  dafs  die  der  Erde  zugewandte  Seite  finster  und  in  sieichen 
bleibt,  ganz  ebenso   würde  vom  Monde   aus,   mit  aufs  Haar  gleichen 
Perioden  und  denselben  Phasenunterschieden  die  Beleuchtung  der  Erd- 
oberfläche durch  die  Sonne  sich  ausnehmen.     Sechstens  .  .  . 

Sagr.  Etwas  langsamer,  Signore  Salviati;  dafs  die  Beleuchtung 
der  Erde  hinsichtlich  der  Phasenverschiedenheiten  dem  Beobachter  auf 
dem  Monde  einen  ähnlichen  Anblick  gewährt,  wie  ihn  ims  der  Mond 
darbietet,  verstehe  ich  sehr  wohl,  aber  ich  begreife  noch  nicht,  warum 
diese  Phasenänderungen  sich  in  derselben  Periode  vollziehen.  Bewirkt 
doch  die  Beleuchtung  der  Sonne  auf  Erden  dasselbe  in  24  Stunden, 
was  auf  der  Mondoberfläche  in  einem  Monate  vor  sieh  geht. 

Salv.  Allerdings  gel)raucht  die  Sonne,  um  diese  beiden  Körper 
zu  erleuchten  und  die  gesamte  Oberfläche  mit  ihrem  Lichte  zu  treÖen, 


QP,  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [73.  74] 

bei  der  Erde  einen  gewöhnliclien  Tag,  bei  dem  Monde  einen  Monat; 
davon  allein  aber  hängen  die  Gestaltsverschiedenbeiten  nicht  ab,  welche 
die  beleuchteten  Teile  der  Erde  dem  Beobachter  auf  dem  Monde  zeigen 
würden,  sondern  auch  von  der  relativen  Stellung  des  Mondes  zur  Soime. 
Würde  z.  B.  der  Mond  genau  der  Bewegung  der  Sonne  folgen  und 
etwa  stets  in  gerader  Linie  zwischen  ihr  und  der  Erde  stehen  in  demjeni- 
gen Aspekte,  den  wir  Konjunktion  neimen,  so  würde  er  stets  die  der 
Sonne  zugewendete  Seite  erblicken,  sie  also  beständig  in  voller  Be- 
leuchtung vor  sich  haben.  Wemi  der  Mond  im  Gegenteil  stets  mit  der 
Somie  in  Opposition  sich  befände,  so  würde  er  niemals  die  Erde  sehen, 
da  deren  unbeleuchtete,  also  unsichtbare  Seite  beständig  gegen  den- 
selben gekehrt  wäre.  Befindet  sich  aber  der  Mond  in  Quadratur  mit 
der  Sonne,  so  wird  von  der  dem  Monde  zugekehrten  Erdhalbkugel  die 
der  Sonne  zugekehrte  Hälfte  beleuchtet,  die  andere  von  der  Sonne 
abgewendete  hingegen  dunkel  sein;  es  würde  also  der  beleuchtete  Teil 
der  Erde  vom  Monde  aus  in  Gestalt  eines  Halbkreises  erscheinen. 

Sagr.  Jetzt  verstehe  ich  alles  sehr  wohl;  ich  begreife  nun  voll- 
ständig, dafs  der  Mond,  wenn  er  die  Opposition  zur  Sonne  verläfst,  in 
welcher  er  von  dem  erleuchteten  Teile  der  Erde  nichts  sehen  konnte, 
und  wenn  er  dann  von  Tag  zu  Tag  der  Sonne  sich  nähert,  allmählich 
anfängt  einen  kleinen  Teil  der  beleuchteten  Erde  zu  erblicken,  und 
zwar  sieht  er  diesen  in  Form  einer  schmalen  Sichel  wegen  der  Kugel- 
gestalt der  Erde.  Indem  der  Mond  dami  bei  seiner  Bewegung  von 
Tag  zu  Tag  in  gröfsere  Nähe  zu  der  Sonne  gelangt,  erblickt  er  immer 
mehr  von  der  beleuchteten  Erdhalbkugel,  sodafs  er  in  der  Quadratur 
gerade  die  Hälfte  derselben  sieht,  wie  wir  ebensoviel  von  ihm  erblicken. 
Wenn  er  sodami  sich  der  Konjunktion  nähert,  wird  für  ihn  allmählich 
ein  gröfserer  Teil  der  beleuchteten  Oberfläche  sichtbar;  schliefslich  in 
der  Konjunktion  sieht  er  die  vollständige  Hemisphäre  beleuchtet.  Kurzum 
ich  sehe  vollständig  ein,  dafs  die  gleichen  Veränderungen,  welche  die  Erd- 
bewohner am  Monde  wahrnehmen,  dem  Beobachter  der  Erde  vom  Stand- 
punkte des  Mondes  aus  erscheinen  würden,  nur  in  umgekehrter  Reihen- 
folge. Wenn  nämlich  der  Mond  uns  voll  erscheint  und  in  Opj)osition 
zur  Sonne,  so  würde  für  ihn  die  Erde  in  Konjunktion  mit  der  Soime 
sich  befinden,  also  dunkel  erscheinen  und  imsichtbar  sein.  Der  Zu- 
stand hingegen,  der  für  uns  eine  Konjunktion  des  Mondes  mit  der 
Somie  ist,  wo  wir  also  Neumond  haben  und  den  Mond  nicht  sehen,  ist 
vom  Standpimkte  des  Mondes  Opposition  der  Erde  zur  Sonne,  gewisser- 
mafsen  Vollerde,  d.  h.  die  Erde  erscheint  voll  beleuchtet.  Mit  einem 
Worte:  ein  so  grofser  Teil  der  Mondoberfläche  uns  jeweilig  erleuchtet ' 
erscheint,    ein    ebenso   grofser  Teil    der  Erde    würde    gleichzeitig  vom 


[74.  75.]  Erster  Tag.  69 

Monde  aus  dunkel  aussehen,  und  soviel  für  uns  vom  Monde  un- 
beleucMet  bleibt,  soviel  von  der  Erde  ist  für  den  Mond  beleuchtet, 
sodafs  nur  bei  den  Quadraturen  gleichzeitig  wir  den  Mond  als  Halb- 
kreis, und  ein  Beobachter  auf  dem  Monde  die  Erde  als  Halbkreis  er- 
blicken würde.  In  einer  Hinsicht  nur  scheinen  mir  diese  wechsel- 
seitigen Beziehungen  sich  von  einander  zu  unterscheiden:  angenommen 
nämlich,  nicht  zugegeben,  es  befände  sich  jemand  auf  dem  Monde,  der 
von  dort  aus  die  Erde  betrachten  kömite,  so  würde  er  jeden  Tag  die 
ganze  Erdoberfläche  zu  Gesicht  bekommen  vermöge  der  24-  oder 
25-stündigen  Dauer  der  Bewegmig  des  Mondes  um  die  Erde. ''■'')  Wir 
aber  sehen  niemals  mehr  als  die  Hälfte  des  Mondes,  da  er  sich  nicht 
um  seine  Axe  dreht,  wie  er  es  müfste,  um  sich  uns  von  allen  Seiten 
zu  zeigen. 

Salv.  Es  sei  demi,  dafs  umgekehrt  gerade  durch  eine  Drehimg 
um  sich  selber  die  Unsichtbarkeit  der  anderen  Hälfte  bewirkt  wird; 
deiui  diese  Aimahme  wäre  für  den  Fall  der  epicyklischeu  Bewegung 
zu  machen. '''''')  Aber  Ihr  vergefst  einen  anderen  Unterschied,  der  eine 
Art  von  Gegenstück  zu  dem  von  Euch  hervorgehobenen  bildet. 

Sagr.    Welchen?  mir  fällt  augenblicklich  kein  anderer  ein. 

Salv.  Es  ist  der  folgende.  Wenn  die  Erde,  wie  Ihr  mit  Recht 
bemerkt,  nur  die  Hälfte   des   Mondes   erblicken  kann,   so   sieht  dafür  Die  ganze  Krde 

'  .  sieht  nur  die 

ieder  Teil  der  Erde  den  Mond:  hingegen  kann  man  nur  von  der  einenfäute  des  mou- 

•'  7  o    o  (jgg^  „ml  nur  die 

Hälfte  des  Mondes  aus   die  Erde   erblicken.     Deim   die  Bewohner  derHauto  des  Mon- 
des siebt  die 

oberen  für  ims  unsichtbaren  Mondhemisphäre  —  wenn  dieser  Aus-  s^'^^e  Krde. 
druck  gestattet  ist  —  entbehren  des  Anblicks  der  Erde-,  es  sind  dies 
vielleicht  die  Antichthonen. ")  —  Bei  dieser  Gelegenheit  fiillt  mir  eine 
neuerdings  von  unserem  Akademiker  am  Monde  gemachte  Beobachtimg 
ein,  die  notwendig  zu  zwei  Folgerungen  Anlafs  giebt.'''^)  Die  eine  ist 
die,  dafs  wir  ein  wenig  mehr  als  die  Hälfte  des  Mondes  erblicken;  die 
andere,  dafs  die  Bewegimg  des  Mondes  genauen  Bezug  zum  Mittelpunkt 
der  Erde  hat.  Der  Vorgang  und  die  Beobachtung  bestehen  in  folgen- 
dem.    Wenn  der  Mond  eine  Korrespondenz   und  natürliche  Sympathie  vou  der  Krde 

.  aus  sielit  mau 

mit  der  Erde  haben  sollte,  sodafs  er  mit  irgendeinem  ganz  bestimmten  mehr  ais  die 

'  .  .    HiilftedcsMoud- 

Teile  seines  Körpers  gegen  sie  hingerichtet  ist,  so  miü's  notwendig  die  ^aiis. 
gerade  Linie,  welche  die  beiden  Mittelpmdite  verbindet,  immer  durch 
denselben  Punkt  der  Mondoberfläche  gehen.  Wer  somit  vom  Erd- 
mittelpimkte  aus  den  Mond  beobachtete,  würde  immer  genau  dieselbe 
Scheibe  erblicken,  von  stets  gleicher  Grenze  umzogen.  Befindet  sich 
aber  jemand  auf  der  Erdoberfläche,  so  wird  der  Strahl,  der  vou  seinem 
Auge  zum  Centrum  der  Mondkugel  geht,  nicht  durcli  denselben  Punkt 
der    Mondoberfläche    gehen,    durch    welchen    die    Verbindungslinie    der 


70  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [75.  76. J 

Centreu  läuft,  es  sei  deuii  der  Moud  im  Zeuitli  des  Beobachters;  wenn 
derselbe  jedoch  im  Osten  oder  Westen  steht,  liegt  auf  ihm  der  Fufs- 
punkt  der  Gesichtslinie  über  dem  Fulspunkte  der  Centrallinie,  und 
darum  wird  ein  Teil  der  Mondkugel  gegen  den  oberen  Rand  hin  sicht- 
bar, während  ebensoviel  vom  unteren  Teil  verschwindet.  Ein  Teil 
wird  sichtbar,  sage  ich,  und  ein  Teil  verschwindet,  verglichen  mit  der 
Halbkugel,  welche  man  vom  Erdmittelpunkte  aus  erblicken  würde. 
Da  nun  der  Teil  des  Mondes,  der  beim  Aufgange  sich  oben  befindet, 
beim  Untergange  unten  ist,  so  wird  ein  recht  deutlicher  Unterschied 
im  Aussehen  dieser  oberen  und  unteren  Teile  sich  bemerkbar  machen, 
indem  von  den  Flecken  und  den  übrigen  bemerkenswerten  Eigentüm- 
lichkeiten dieser  Teile  einige  hervortreten,  andere  verschwinden.  Eine 
ähnliche  Veränderung  müfste  man  auch  am  nördlichen  und  südlichen 
Ende  derselben  Scheibe  bemerken,  je  nachdem  der  Mond  sich  in  dem 
oberen  oder  unteren  Teile  seines  Drachens  befindet.  Wenn  er  nämlich 
mehr  nach  Norden  steht,  so  wird  uns  ein  Teil  seines  nördlichen  Randes 
verborgen,  und  ein  Stück  am  südlichen  taucht  auf;  und  ebenso  um- 
gekehrt. Dafs  nun  diese  Folgen  sich  thatsächlich  einstellen,  darüber 
Zwei  Flecken  vergewissert  uns  das  Fernrohr.  Es  befinden  sich  zwei  besondere  Flecke 
deren  Boobach- auf  dem  Moudc,  vou  dcueu  der  eine,  wenn  der  Mond  den  Meridian 
dafs  er  bei  seinerpassiert,  uach  Nordwcstcu  gcwcndct  ist,  der  andere  ihm  fast  diametral 

Bewegung  naoli  ^  '  °  _ 

dem  Erdmittel-  gegenüber  lieg't.     Der  erste  ist  auch  ohne  Fernrohr  sichtbar,  nicht  so 

punkt  hin  ge-   O    o  _  ^  .  .  .  .  ^ 

richtet  bleibt,  ^^y  zwcitc.  Der  gcgcu  Nordwcsteu  gekehrte  ist  ein  eiförmiges  Fleck- 
chen, abseits  von  den  anderen  ganz  grofsen  gestellt;  der  gegenüber- 
liegende ist  kleiner,  gleichfalls  von  den  gröfsten  abgesondert  und  in 
sehr  hellem  Felde  gelegen.  An  diesen  beiden  nun  lassen  sich  sehr 
deutlich  die  schon  genamiten  Veränderungen  beobachten;  sie  zeigen 
sich  abwechselnd  bald  nahe  dem  Rande  der  Mondscheibe,  bald  soweit 
davon  entfernt,  dafs  der  Zwischenraum  zwischen  dem  nordwestlichen 
und  dem  Umfange  der  Scheibe  das  eine  Mal  mehr  als  doppelt  so  grofs 
ist  wie  das  andere  Mal.  Bei  dem  anderen  Fleck  macht  besagte 
Schwankung,  weil  er  dem  Umfange  näher  steht,  von  einem  Male  zum 
anderen  mehr  als  das  Dreifache  aus.  Daraus  ergiebt  sich,  dafs  der 
Mond,  wie  durch  magnetische  Kraft  gebannt,  stets  mit  seiner  einen 
Fläche  der  Erde  zugekehrt  ist  und  niemals  den  Blick  von  ihr  wendet. 

Sagr.  Wann  werden  die  neuen  Beobachtungen  und  Entdeckimgen 
mit  diesem  wunderbaren  Werkzeuge- ein  Ende  nehmen? 

Salv.  Wenn  die  Fortschritte  auf  diesem  Gebiete  gleichen  Schritt 
mit  anderen  grofsen  Erfindungen  halten,  ist  zu  hoffen,  dafs  man  im 
Verlauf  der  Zeit  dahin  gelangt,  Dinge  zu  sehen,  die  sich  unsere 
Phantasie  vorläufis;  nicht  ausmalen  kann.    Um  aber  zu  unserem  Gegen- 


II 


|76.  77.)  Erster  Tag.  71 

stände  zurückzukehren,  nenne  ich  als  sechste  Übereinstimmunc?  zwischen  sechstens:  Erde 

'  ,  ,  "  ,  und  Mond  be- 

Mond   und   Erde,   dafs   ebenso   wie   der  Mond    einen    grofsen   Teil   der  leuchten  sich 

•'  ~  wechselseitig-. 

Zeit  uns  die  mangelnde  Sonnenbeleuchtung  ersetzt  und  unsere  Nächte 
durch  Zurttckwerfimg  des  ihm  von  der  Sonne  zugesandten  Lichtes  er- 
hellt, so  auch  die  Erde  zur  Vergeltung  durch  Reflexion  der  Sonnen- 
strahlen auf  ihm,  weim  er  es  am  nötigsten  hat,  eine  sehr  lebhafte 
Beleuchtung  bewirkt,  meiner  Meinung  nach  viel  lebhafter  als  die,  welche 
wir  von  ihm  erfahren,  um  soviel  lebhafter  nämlich  als  die  Oberfläche 
der  Erde  gröfser  ist  als  die  des  Mondes. 

Sagr.  Nicht  weiter,  nicht  weiter,  Signore  Salviati!  Göiuit  mir 
die  Freude,  Euch  zu  zeigen,  wie  ich  nach  dieser  ersten  Andeutung  die 
Ursache  einer  Erscheinung  begrifl'en  habe,  über  die  ich  tausendmal 
nachgedacht  habe,  ohne  sie  begreifen  zu  kömieu.  Ihr  wollt  sagen,Die  Erde  reflek- 
dafs  ein  eigentümliches  zerstreutes  Licht  auf  dem  Monde,  namentlich  dem  Monde. 
wenn  er  die  Sichelform  hat,  von  der  Reflexion  des  Sonnenlichtes  an 
der  Erde  und  dem  Meere  herrührt ''^)-,  und  dieses  Licht  ist  um  so 
heller,  je  schmäler  die  Sichel  ist,  weil  alsdann  der  beleuchtete  Teil 
der  Erde,  welcher  vom  Monde  aus  gesehen  werden  kann,  nach  dem 
eben  Bewiesenen  gröfser  ist.  Der  beleuchtete  Teil  der  Erde,  soweit 
er  dem  Monde  sichtbar  ist,  ist  nämlich  so  grofs  als  der  dunkle  Teil 
des  Mondes,  der  gegen  die  Erde  gerichtet  ist.  Wenn  also  der  Mond 
eine  schmale  Sichel  bildet  und  folglich  der  finstere  Teil  grofs  ist,  so 
ist  auch  der  vom  Monde  aus  sichtbare  beleuchtete  Teil  der  Erde  grofs 
und  um  so  wirkungsvoller  die  Reflexion  des  Lichtes. 

Salv.  Genau  das  wollte  ich  sagen.  Wirklich,  es  ist  ein  hoher 
Genufs,  mit  urteilsfähigen  Leuten  von  guter  Fassmigsgabe  zu  sprechen, 
namentlich  wemi  man  zwischen  gegenüberstehenden  Wahrscheinlich- 
keiten schwankt  und  eine  Entsdieidung  sucht.  Ich  habe  öfters  mit 
so  harten  Köpfen  zu  thmi  gehabt,  dafs,  wenn  ich  zum  tausendsten  Male 
ihnen  das  von  Euch  selber  so  rasch  Begriftene  auseinandergesetzt  habe, 
sie  es  noch  immer  nicht  verstanden. 

Simpl.  Wenn  Ihr  damit  sagen  wollt,  dafs  Ihr  ihnen  das  Ver- 
ständnis dessen,  was  Ihr  meint,  nicht  habt  beibringen  können,  so 
wundere  ich  mich  sehr  und  bin  sicher,  dafs,  wer  es  bei  Euerer  Er- 
klärimg nicht  versteht,  es  schwerlich  bei  einer  anderen  verstehen  wird: 
denn  Euere  Ausdrucksweise  scheint  mir  aufserordentlich  klar.  Meint 
Ihr  aber,  Ihr  hättet  sie  nicht  zu  Euerer  Überzeugung  umgestimmt, 
so  wundert  mich  das  gar  nicht;  denn  ich  selbst  gestehe  zu  denen  zu 
gehören,  die  Euere  Auseinandersetzimg  verstehen,  sie  aber  nicht 
billigen.  Es  verbleiben  mir  vielmehr  sowohl  hierbei,  als  teilweise 
bei  den  übrigen    sechs  Ähnlichkeiten    vielerlei  Bedenken,    welche  ich 


72  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [77.  78  ] 

vorbriugeu  werde  ^  sobald  Ihr  mit  Euerer  Aufzählung  ganz  zu  Ende 
sein  werdet. 

Salv.     Der  Wunsch,   der    mich  beseelt,    einer  Wahrheit  auf  die 

Spur  zu  kommen,  wobei  mir  die  Einwürfe  verständiger  Menschen,  wie 

Ihr   es   seid,    sehr   förderlich   sein   können,    wird   mich   sehr   kurz  sein 

lassen   in  dem,   was   noch   erübrigt.     Mag  daher  als  siebente  Überein- 

siebenteiis:  Erdestimmung  gelten,   dafs  sich  beide  ebensosehr   die   gegenseitigen  Unbil- 

und  MoEd  ver-  »    ^  \  ,  .  -.    ,  . 

finstern  sich   (|eu  Vergelten,  wie  die  erwieseneu  Fremidlichkeiten:  so  kommt  es,  dafs 

wechselseitig.  o  /  i       ^  / 

der  Mond,  der  recht  oft  in  dem  vollsten  Glänze  seiner  Beleuchtung 
durch  das  Dazwischentreten  der  Erde  zwischen  ihn  und  die  Sonne  des 
Lichtes  beraubt  und  verfinstert  wird,  nun  auch  seinerseits  aus  Rache 
sich  zwischen  Erde  imd  Sonne  stellt  und  mit  seinem  Schatten  die 
Erde  verdunkelt.  Obgleich  zwar  die  Genugthuung  die  Beleidigung 
nicht  aufwiegt  —  denn  der  Mond  wird  recht  oft  und  sogar  recht  lange 
Zeit  völlig  umnachtet  von  dem  Erdschatten,  niemals  aber  ist  die  ganze 
Erde  und  niemals  ist  sie  für  sehr  lange  von  dem  Monde  verfinstert 
—  so  kann  man  dennoch  nicht  umhin,  in  Anbetracht  der  Kleinheit 
des  Mondes  verglichen  mit  der  Gröfse  der  Erde,  gewissermafsen  die 
Tapferkeit  seiner  Gesinnimg  anzuerkennen.  Soweit  die  Ähnlichkeiten; 
es  käme  jetzt  die  Reihe  an  die  Unterschiede.  Da  aber  Signore  Simplicio 
uns  seine  Bedenken  gegen  jene  vorzuführen  die  Güte  haben  will,  so 
wird  es  zweckmäfsig  sein,  diese  zuerst  zu  hören  und  zu  erwägen,  bevor 
wir  weiter  gehen. 

Sagr.  Ja;  denn  vermutlich  wird  Signore  Simplicio  betrefis  der 
Abweichungen  imd  Unterschiede  zwischen  der  Erde  und  dem  Monde 
weniger  heikel  sein,  da  er  ihre  Substanz  für  so  völlig  verschieden  hält. 

Simpl.  Von  den  Euererseits  angeführten  Übereinstimmungen,  die 
Ihr  bei  dem  Vergleich  zwischen  Erdft  und  Mond  hervorhebt,  kami  ich 
nur  die  erste  und  zwei  andere  mibeanstandet  lassen.  Ich  gebe  die 
erste  zu,  nämlich  die  Kugelgestalt,  obgleich  auch  hierbei  ein  Haken 
ist,  da  ich  glaube,  dafs  die  Kugel  des  Mondes  völlig  glatt  und  Avie 
ein  Spiegel  geschliffen  ist,  während  die  Erdkugel,  wie  wir  mit  Händen 
greifen  können,  ganz  rauh  und  uneben  ist.  Was  jedoch  diese  Uneben- 
heiten der  Oberfläche  anlangt,  so  wird  das  bei  einer  anderen  der  von 
Euch  aufgezählten  Ähnlichkeiten  in  Betracht  gezogen;  ich  behalte  mir 
daher  vor,  darüber  meine  Meinung  zu  änfeern,  wenn  auf  diese  die 
Rede  kommt.  Dafs  der  Mond  sodann,  wie  Ihr  als  zweite  Überein- 
stimmung anführt,  undurchsichtig  und  an  und  für  sich  dunkel  sei  wie 
die  Erde,  gebe  ich  nur  bezüglich  der  Undurchsichtigkeit  zu,  worüber 
mir  die  Sonnenfinsternisse  Gewifsheit  geben.  Wäre  nämlich  der  Mond 
durchsichtig,  so  würde  der  Himmel    bei  einer   totalen  Sonnenfinsternis 


[78.  79.]  Erster  Tag.  73 

iiiclit  so  dunkel  werden,  wie  er  es  tliat.süclilicli  wird;  es  würde  viel- 
mehr infolge  der  Durchsichtigkeit  des  Mondkörpers  ein  gebrochenes 
Licht  durch  ihn  herabstrahlen,  wie  wir  es  bei  sehr  dichten  Wolken 
])eobachten.  Die  Frage  der  Dunkelheit  hingegen  anlangend,  so  glaube 
ich  nicht,  dafs  der  Mond  ganz  und  gar  der  Leuchtkraft  ermangelt  wie  die 
Erde:   vielmehr  ist  meines   Dafürhaltens   iene  Helligkeit,  welche  man    sekundäres 

J  o  7^  Licht  ist  das 

aufserhalb   der   schmalen,   von   der   Sonne   beleuchteten  Sichel  an  demeigene  Licht  des 

.  .  .  .  .  Mondes. 

Übrigen  Teile  der  Scheibe  bemerkt,  sein  eigenes  natürliches  Licht  und 

nicht  ein  Reflex  der  Erde:   diese   halte   ich    wegen  ihrer  aulserordent-  »ie  Erde  un- 

'  '^  fähig  die  Sonnen- 

lichen  Rauhigkeit   und  Dunkelheit  für  unfähig,  die  Soiuienstrahlen  zu  «t'^ä^Jen  zu  re- 

o  "'  flektieren. 

reflektieren.  Bei  der  dritten  Parallele  stimme  ich  teilweise  mit  Euch 
überein,  teilweise  bin  ich  anderer  Meinung.  Ich  bin  damit  einver- 
standen, dal's  man  den  Körper  des  Mondes  für  sehr  fest  und  hart  wie 
den  der  Erde  zu  halten  habe,  ja  für  noch  weit  härter.  Denn  wenn 
wir  dem  Aristoteles   entnehmen,   der   Himmel    sei    von    undurchdring-  Himmeissub- 

.  .  .  .  .  •  1     •■  i\  stanz  undurch- 

licher  Härte  und  die  Gestirne  die  dichtesten  Teile  des  Himmels '  ),  so  dringlich  nach 

^[  Aristoteles. 

ist  wohl  notwendig,  dal's  sie  höchst  fest  und  völlig  midurchdring- 
lich  sind. 

Sagr.  Wenn  man  doch  ein  so  hartes  und  durchsichtiges  Bau- 
material für  Paläste  auftreiben  kömite,  wie  es  dieser  Himmelsstofl^  ist, 
wie  herrlich  wäre  das! 

Salv.  Im  Gegenteil,  es  wäre  sehr  ungeeignet;  denn  da  die  Himmels- 
substanz ihrer  vollkommenen  Durchsichtigkeit  wegen  ganz  und  gar 
unsichtbar  ist,  so  würde  man  stets  in  der  gröfsten  Gefahr  schweben, 
gegen  die  Pfosten  zu  stofsen  und  sich  den  Schädel  zu  zertrümmern, 
wenn  man  sich  durch  die  Zimmer  bewegt. 

Sagr.  Dieser  Gefahr  würde  man  doch  nicht  ausgesetzt  sein,  wenn 
es  wahr  ist,  was  einige  Peripatetiter  versichern,  dafs  sie  unberührbar  HimmeisBub- 

^  o  r  7  stanz  unberühr- 

sei;   wenn   mau   sie   nicht   einmal   berühren  kann,    so   kami    man  noch         »'»r. 
weniger  gegen  sie  anstofsen. 

Salv.  Dies  würde  die  Sache  nicht  bessern;  demi  mag  auch  die 
himmlische  Substanz  nicht  berührt  werden  kömien,  weil  sie  aller  greif- 
baren Eigentümlichkeiten  ermangelt,  so  kami  doch  umgekehrt  sie  die 
elementaren  Körper  berühren;  und  um  uns  zu  verletzen,  kommt  es 
auf  dasselbe  hinaus,  wemi  sie  auf  uns  stöfst;  ja  es  ist  noch  schlim- 
mer, als  wemi  Avir  gegen  sie  stiefsen.  Aber  lassen  wir  diese  Paläste 
oder  richtiger  diese  Luftschlösser,  und  halten  wir  Signore  Simplicio 
nicht  auf. 

Simpl.  Die  Frage,  die  Ihr  da  beiläufig  aufgeworfen  habt,  ]>ildet 
ein  schwieriges  Kapitel  der  Philosophie  und  ich  kenne  darüber  sehr 
schöne  Gedanken  eines  hervorragenden  Professors  von  Padua"');  es  ist 


keit. 


74  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [79.  80.] 

aber  hier  iiiclit  der  Ort  darauf  eiuzugelieu.  Um  also  wieder  zur  Sache 
zu  kommen,  entgegne  ich,  dafs  meiner  Meinung  nach  der  Mond  sehr 
fest  ist,  fester  als  die  Erde;  ich  schliefse  dies  aber  nicht  mit  Euch 
aus  der  Rauheit  und  Unebenheit  seiner  Oberfläche,  sondern  gerade  um- 
gekehrt daraus,  dafs  er,  gleich  unseren  härtesten  Edelsteinen,  fähig 
Mondoberfläche  ist,  eine  Glätte  und  einen  Glanz  anzunehmen,  wie  sie  der  bestgeschliffene 

glatter  wie  ein         .  .  .  p  •  r\ 

Spiegel,  bpiegel  nicht  besitzt;  denn  derartig  mufs  seine  Oberfläche  beschafli'en 
sein,  um  uns  eine  so  lebhafte  Reflexion  der  Sonnenstrahlen  zukommen 
zu  lassen.  Jene  Erscheinungen  sodann,  die  Ihr  Berge,  Klippen,  Dämme, 
Thäler  u.  s.  w.  nennt,  sind  alles  Täuschungen.  Ich  bin  bei  öffent- 
lichen Disputationen  zugegen  gewesen,  wo  geradezu  gegen  solche 
Krhöhuugen undjjeuerer    angeführt    wurde,    dafs    derlei    Erscheinungen    nur   von    dem 

Vertiefungen  .  ... 

auf  dem  Monde  cfröfseren   oder    g;erino;eren    Grade    der   Durchsichtigkeit    der    einzelnen 

sind  Tau-        o  o  o  O 

^'^vorgeTuf^"  ^®^^®  herrühren,  aus  welchen  innen  und  aufsen  der  Mond  zusammen- 
"^Tchiedene^ir  S^^®^^^  ist.  ^-)  Ahnlichcs  sehen  wir  oft  beim  Glase,  beim  Bernstein  und 
Dur'ifhsichug-  ^^ßi  vielen  gutgeschliffenen  Edelsteinen,  bei  welchen  durch  die  Undurcli- 
sichtigkeit  einiger  Teile  und  die  Durchsichtigkeit  anderer  scheinbare 
Vertiefungen  imd  Erhöhungen  auf  denselben  wahrzunehmen  sind.  Bei 
dem  vierten  Punkte  gebe  ich  zu,  dafs  die  Oberfläche  des  Erdballs  von 
weitem  gesehen  zweierlei  Eindrücke  hervorruft,  ich  glaube  aber,  dafs 
dieselben  gerade  entgegengesetzt  den  von  Euch  namhaft  gemachten 
sind;  meiner  Meinung  nach  würde  nämlich  die  Oberfläche  des  Wassers 
glänzend  erscheinen,  weil  sie  glatt  und  durchsichtig  ist,  die  der  Erde 
hingegen  würde  sich  dunkel  ausnehmen  wegen  ihrer  Undurchsichtig- 
keit  und  Rauheit,  die  sie  für  die  Reflexion  des  Sonnenlichtes  wenig 
geeignet  machen.  Die  fünfte  Verwandtschaft  anlangend,  so  gebe  ich 
sie  vollständig  zu  und  begreife,  dafs,  wenn  die  Erde  gleich  dem  Monde 
glänzte,  sie  demjenigen,  der  sie  von  dort  oben  aus  betrachtete,  unter 
Formen  erscheinen  würde,  ähnlich  denen,  welche  wir  am  Monde  er- 
blicken; ich  begreife  auch,  wieso  die  Periode  ihrer  Beleuchtung  und 
ihres  Formenwechsels  einen  Monat  betragen  müfste,  obgleich  die  Sonne 
sie  allseitig  innerhalb  24  Stunden  bestrahlt.  Schliefslich  habe  ich 
nichts  gegen  die  Behauptung  einzuwenden,  dafs  blofs  der  halbe  Mond 
die  ganze  Erde  zu  Gesicht  bekommt,  während  die  ganze  Erde  blofs 
die  Hälfte  des  Mondes  erblickt.  Im  übrigen  halte  ich  es  für  grund- 
falsch, dafs  der  Mond  Licht  von  der  Erde  empfangen  kann,  die  stock- 
flnster  ist,  imdurchsichtig  und  völlig  aufser  stände,  Sonnenlicht  zurück- 
zuwerfen, während  der  Mond  solches  allerdings  zu  uns  zurückwirft. 
Wie  gesagt,  halte  ich  das  Licht,  welches  man  auf  der  übrigen  Mond- 
fläche aufserhalb  der  durch  Somienlicht  glänzend  erhellten  Hörner 
wahrnimmt,  für   das   dem  Monde   eigentümliche   und  natürliche  Licht; 


[80.  81.]  Erster  Tag.  75 

es  müfste  sonderbar  zugehen,  wenn  uiicb  jemand  zu  anderer  Meinung 
brächte.  Der  siebente  Punkt,  die  wechselseitigen  Verfinsterungen, 
mag  auch  zugegeben  werden,  wiewohl  man  eigentlich  Somienfinster- 
nisse  zu  nennen  pflegt,  was  Ihr  Erdfinsternisse  nennen  möchtet.  Das 
wäre  etwa,  was  mir  vorläufig  als  Entgegnung  gegen  Euere  sieben 
Übereinstimmungen  in  den  Sinn  kommt.  Wenn  es  Euch  beliebt  auf" 
diese  Einwände  etwas  zu  erwidern,  so  werde  ich  es  gerne  hören. 

Salv.  Wenn  ich  Euere  Antwort  recht  verstanden  habe,  so  sind, 
wie  mir  scheint,  zwischen  Euch  und  uns  noch  einige  Eigenschaften 
sti'eitig,  die  ich  der  Erde  und  dem  Monde  gemeinsam  beigelegt  habe; 
es  sind  dies  die  folgenden.  Ihr  haltet  den  Mond  für  glatt  und  eben 
wie  einen  Si^iegel  und  aus  diesem  Grunde  für  geeignet,  das  Somieu- 
licht  zu  uns  zurückzuwerfen,  die  Erde  im  Gegenteil,  ihrer  Rauheit 
wegen,  für  unfähig  zu  einer  solchen  Refiexion.  Ihr  gebt  zu,  der  Mond 
bestehe  aus  fester  harter  Masse  und  folgert  dies  aus  seiner  Politur 
und  Glätte  und  nicht  aus  seiner  gebirgigen  Beschaffenheit 5  als  Grund 
der  scheinbaren  Gebirgigkeit  betrachtet  Ihr  die  gröfsere  oder  geringere 
Undurchsichtigkeit  oder  Durchsichtigkeit  seiner  Teile.  Schliefslich 
haltet  Ihr  jenes  sekundäre  Licht  für  das  eigene  Licht  des  Mondes  und 
glaubt  nicht,  dafs  es  von  der  Erde  reflektiert  sei.  Ich  habe  wenig 
Hoffnimg,  Euch  den  Irrtum  zu  benehmen,  dafs  die  Reflexion  am  Monde 
mit  der  eines  Spiegels  zu  vergleichen  sei,  da  ich  sehe,  dafs  die  hierauf 
bezüglichen  Stellen  des  „Goldwägers"  und  der  „Briefe  über  die  Sonne'' 
unseres  gemeinsamen  Fremides  an  Euerer  Meinung  nichts  geändert 
haben,  wenn  Ihr  anders  aufmerksam  gelesen,  was  über  diesen  Gegen- 
stand darin  steht.  ^^) 

Simpl.  Ich  habe  es  nur  ganz  obenhin  überflogen,  weil  mir  wich- 
tigere Studien  so  wenig  Zeit  übrig  lassen.  Wemi  Ihr  aber  einige 
dieser  Gründe  wiederholen  AvoUt  oder  andere  anführen  und  dadurch 
meine  Bedenken  zu  überwinden  hofi't,  will  ich  sie  aufmerksauier  mit- 
anhören. 

Salv.  Ich  werde  angeben,  was  mir  augenblicklich  gerade  beitallt; 
möglicherweise  ist  es  eine  Mischung  meiner  eigenen  (bedanken  und 
dessen,  was  ich  in  genannten  Büchern  gelesen  habe.  Ich  liin  durch 
sie,  wie  ich  mich  sehr  wohl  eriimere,  völlig  überzeugt  worden,  wie- 
wohl die  Schlüsse  beim  ersten  Blick  mir  sehr  paradox  vorkamen.  AV^ir 
wollen  feststellen,  Signore  Simplicio,  ob,  um  eine  Reflexion  des  Lichtes 
zu  bewirken  ähnlich  derjenigen  des  Mondes,  notwendig  die  reflektierende 
Oberfläche  glatt  und  eben  wie  ein  Spiegel  sein  mufs,  oder  ob  zu  diesem 
Zwecke  eine  nicht  glatte  mid  ebene,  sondern  rauhe  luid  imebene  Fläche 
geeigneter  sei.      Wemi    nun    zwei    verschiedene  Reflexe   von  zwei   uns 


76  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [81.  82.] 

gegenüberliegenden  Flächen  zu  uns  gelangten,  wovon  der  eine  glänzen- 
der, der  andere  weniger  glänzend  ist,  welche  der  beiden  Flächen,  glaubt 
Ihr,  erscheint  unseren  Augen  heller  und  welche  dunkler? 

Slmpl.  Ohne  Zweifel  würde  meiner  Meinung  nach  diejenige 
heller  erscheinen,  welche  mir  lebhafteres  Licht  zusendet,  die  andere 
hingegen  dunkler. 

Salv.  Habt  nun  die  Güte  und  nehmt  den  Ö^^iegel,  der  dort  an 
der  Wand  hängt  und  lafst  uns  hinaus  in  den  Hof  gehen.  Kommt, 
Btweis,''darsfie^^giiore  Sagrcdo !  Hängt  den  Spiegel  dort  an  die  Mauer,  wo  die  Sonne 
^°"/a°u'h 'i^t!''*' l^"i  scheint.  Entfernen  wir  uns  jetzt  und  ziehen  uns  in  den  Schatten 
zurück.  Hier  haht  Ihr  nun  zwei  vom  Sonnenlicht  getroffene  Flächen, 
die  Mauer  und  den  Spiegel.  Sagt  mir  mm,  welche  erscheint  Euch 
heller,  die  Mauer  oder  der  Spiegel?     Ihr  antwortet  nicht? 

Sagr.  Signore  Simplicio  mag  antworten,  er  hat  den  Einwand  ge- 
macht; was  mich  nämlich  betrifft,  so  bin  ich  durch  diesen  ersten  An- 
fang des  Versuchs  überzeugt,  dafs  notwendigerweise  die  Oberfläche  des 
Mondes  von  unvollkommener  Glätte  sein  mufs. 

Salv.  Sagt,  Signore  Simplicio,  sobald  Ihr  diese  Mauer  mit  dem 
daran  befestigten  Spiegel  zu  malen  hättet,  würdet  Ihr  dunklere  Farben 
benutzen,  Avemi  Ihr  die  Mauer  oder  wemi  Ihr  den  Spiegel  malt? 

Slmpl.     Sehr  viel  dunklere,  wenn  ich  den  Spiegel  male. 

Salv.  Wenn  nun  an  der  Oberfläche^  die  sich  heller  ausnimmt, 
die  Reflexion  des  Lichtes  kräftiger  ist,  so  mufs  die  Mauer  die  Sonnen- 
strahlen kräftiger  zurückwerfen  als  der  Spiegel. 

Simpl.  Sehr  schön,  mein  lieber  Herr!  Habt  Ihr  keine  besseren 
Versuche  als  diese?  Ihr  habt  mis  auf  einen  Fleck  gestellt,  wohin  der 
Reflex  des  Spiegels  nicht  fallt.  Aber  kommt  nur  mit  mir  ein  wenig 
mehr  herüber;  nun,  so  kommt  doch! 

Sagr.  Sucht  Ihr  vielleicht  die  Stelle,  wohin  der  Spiegel  seineu 
Reflex  wirft? 

Simpl.     Ja,  mein  Herr. 

Sagr.  0,  seht  ihn  dort  an  der  gegenüberliegenden  Mauer;  er  ist 
gerade  so  grofs,  wie  der  Spiegel  uiul  fast  so  hell,  wie  wenn  die  Sonne 
unmittelbar  hinschiene. 

Simpl.  Kommt  also  hierher  und  betrachtet  die  Oberfläche  des 
Spiegels  von  da  aus;  wagt  dami  noch  immer  zu  behaupten,  sie  sei 
dunkler  als  die  der  Mauer. 

Sagr.  Betrachtet  sie  nur  selber,  ich  habe  vorläufig  keine  Lust 
mich  blind  zu  machen;  ich  w^eifs  sehr  wohl,  ohne  sie  zu  betrachten, 
dafs  ihre  Helligkeit  an  Intensität  der  Sonne  gleichkommt  oder  wenig 
nachsteht. 


[82.  83.]  Erster  Tag.  77 

Simpl.  Wie  könnt  Ihr  also  sagen,  der  Reflex  an  einem  Spiegel 
sei  weniger  lebhaft,  als  der  an  einer  Mauer?  Ich  sehe,  dafs  an  der 
Mauer  drüben,  wohin  sowohl  der  Reflex  der  anderen  beleuchteten 
Wand  als  der  des  Spiegels  gelangt,  dieser  weit  heller  ist  als  jener; 
ebenso  sehe  ich,  dafs  der  Spiegel  selbst  von  hier  aus  mir  heller  er- 
scheint als  die  Mauer. 

Salv.  Euer  Scharfsinn  ist  mir  zuvorgekommen;  denn  gerade  dieser 
Beobachtung  bedurfte  ich  zur  Erklärung  dessen,  was  noch  fehlt.  Ihr 
bemerkt  also  den  Unterschied,  der  zwischen  den  beiden  Reflexen  an 
der  Fläche  der  Mauer  imd  an  der  des  Spiegels  stattfindet,  wiewohl 
beide  genau  in  der  gleichen  Weise  von  den  Sonnenstrahlen  getroffen 
werden.  Ihr  seht,  dafs  der  von  der  Mauer  herrührende  Reflex  sich 
nach  allen  gegenüberliegenden  Punkten  ausbreitet,  der  des  Spiegels 
hingegen  blofs  nach  einer  Richtung  hin  stattfindet,  so  dafs  nur  ein 
Flächenstück  von  der  Gröfse  des  Spiegels  selbst  durch  ihn  beleuchtet 
wird.  Ebenso  seht  Ihr,  wie  die  Fläche  der  Mauer,  von  einem  beliebigen 
Orte  aus  betrachtet,  in  ihrer  Helligkeit  sich  gleich  bleibt,  und  zwar 
überall  sehr  viel  heller  erscheint  als  die  Fläche  des  Spiegels,  mit  Aus- 
nahme der  einzigen  kleineu  Stelle,  wohin  der  Reflex  des  Spiegels  ge- 
langt; von  dort  aus  nämlich  erscheint  allerdings  der  Spiegel  viel  heller 
als  die  Mauer.  Mittels  dieser  sinnlich  so  leicht  wahrnehmbaren  und 
greifbaren  Versuche  kann  man  sich,  wie  mir  scheint,  mit  Leichtig- 
keit Gewifsheit  verschaffen,  ob  das  vom  Monde  zu  uns  gelaugende 
reflektierte  Licht  wie  von  einem  Spiegel  oder  wie  von  einer  Mauer 
zurückgeworfen  wird,  d.  h.  von  einer  glatten  Fläche  oder  von  einer 
rauhen. 

Sagr.  Wenn  ich  auf  dem  Monde  selber  wäre,  so  könnte  ich 
schwerlich  noch  deutlicher  die  Rauheit  seiner  Oberfläche  mit  Händen 
greifen,  als  sie  mir  jetzt  infolge  unserer  LTntersuchung  zum  Bewufst- 
sein  kommt.  In  jeder  beliebigen  Stellung  zur  Sonne  und  zu  uns  be- 
trachtet, zeigt  uns  der  Mond  seine  von  der  Sonne  getroffene  Oberfläche 
stets  gleich  hell,  eine  Erscheinimg,  die  aufs  Haar  dem  entspricht,  was 
die  Mauer  zeigte,  die  von  jeder  beliebigen  Stelle  aus  gesehen,  gleich 
hell  erscheint,  ganz  anders  als  bei  dem  Spiegel,  der  nur  von  einer 
Stelle  aus  glänzend  hell  sich  zeigt,  von  jeder  anderen  aber  dunkel. 
Ferner  ist  das  Licht,  das  vermöge  der  Reflexion  an  der  Mauer  zu  mir 
gelangt,  erträglich  und  schwach  im  Vergleich  zu  dem  äufserst  grellen 
und  blendenden  des  Spiegels,  das  fast  dem  ursprünglichen  und  direkten 
»Sonnenlichte  gleichkommt.  So  kömien  wir  demi  auch  ohne  uniuige- 
nt^hme  Empfindung  das  Antlitz  des  Mondes  betrachten,  während  bei 
der   Annahme,   dafs    er    eine    spiegelnde   Ober  Hache    besitze,   die   noch 


78  Dialog  liier  die  Weltsysteme.  [83.  84.] 

dazu  ihrer  Nähe  wegen  dieselbe  scheinbare  Gröfse  hat  wie  die  Sonne, 
sein  Glanz  unerträglich  wäre;  wir  würden  fast  glauben  eine  zweite 
Sonne  vor  uns  zu  haben. 

Salv.  Bitte,  Signore  Sagredo,  folgert  aus  meiner  Beweisführung 
nicht  mehr,  als  sich  daraus  folgern  läfst.  Ich  will  Euch  einen  Ein- 
wand machen,  der  nicht  so  leicht  zu  widerlegen  sein  dürfte.  Ihr  be- 
trachtet als  Hauptunterschied  zwischen  dem  Monde  und  dem  Spiegel, 
dafs  jener  das  Licht  nach  allen  Seiten  gleichmäfsig  reflektiert,  wie  die 

Ebene  Spiegel  Maucr,  der  Spiegel  hingegen  blofs   nach  einem  bestimmten  Orte  hin. 

flex  nach  biof=l]2r  folgert  daraus,  der  Mond  sei  der  Mauer  ähnlich,  nicht  dem  Spiegel. 

einer  Stelle,  ^  /  .  .  .      '  .  r      o 

sphärische    Darauf  entgegne  ich,  der  Spiegel  wirft  seinen  Widerschein  darum  blofs 

überallhin.  .  .  / 

nach  einem  Orte  hin,  weil  seine  Oberfläche  eben  ist.  Da  nun  die  Re- 
flexion der  Strahlen  unter  demselben  Winkel  erfolgt  wie  das  Einfallen, 
so  müssen  allerdings  diese  notwendig  vereint  nach  derselben  Stelle 
hin  geworfen  werden.  Die  Mondoberfläche  ist  aber  nicht  eben,  son- 
dern kugelförmig,  die  auf  eine  solche  Fläche  treffenden  Strahlen  werden 
gemäfs  dem  Gesetze  von  der  Gleichheit  des  Einfalls-  und  Reflexions- 
winkels nach  allen  Seiten  hin  zurückgeworfen  wegen  der  nach  unend- 
lich vielen  Richtungen  geneigten  Oberflächenteilchen  der  Kugel;  also 
kann  der  Mond  das  reflektierte  Licht  überallhin  entsenden  und  ist  nicht 
genötigt  es  nur  an  eine  einzige  Stelle  zu  werfen  wie  jener  Spiegel, 
der  eben  ist. 

Simpl.  Das  ist  gerade  eine  der  Einwendungen,  die  ich  dagegen 
erheben  wollte. 

Sagr.  Da  es  eine  ist,  so  müfst  Ihr  noch  mehrere  in  Bereitschaft 
haben;  nennt  sie  also,  denn  diese  erste  spricht  meiner  Meinung  nach 
eher  gegen  als  für  Euch. 

Simpl.     Ihr   habt   als   etwas  Selbstverständliches   hingestellt,   dafs 

der  Reflex   an   dieser  Mauer   so   hell   und   leuchtend   sei   wie   der   vom 

Monde   zu   uns   gelangende;   ich   halte   ihn  für  verschwindend  im  Ver- 

Die  wirkungs- gleich    mit    diesem.     „Denn   bei    dieser  Frage  der  Beleuchtung    mufs 

Himmelskörper  „man  bchutsam  sein  und  die  Wirkungssphäre  unterscheiden.    Und  wer 

gröfser  als  die  '  .... 

der  eieraentaren.^^wollte  zweifclu,  dafs  die  himmlischen  Körper  eine  grölsere  Wirkungs- 
„sphäre  haben  als  unsere  irdischen,  die  so  hinfällig  und  vergänglich 
„sind?  Was  ist  schliefslich  diese  Mauer  Anderes  als  ein  wenig  dunkle 
„Erde,  mifähig  Licht  auszustrahlen?"^^) 

Sagr.  Auch  hierin  irrt  Ihr  Euch  sehr,  glaube  ich.  Ich  gehe  aber 
auf  den  ersten  von  Signore  Salviati  erhobenen  Einwand  ein.  Ich  über- 
lege mir,  dafs  es  nicht  ausreichend  ist,  um  einen  Körper  sichtbar  zu 
machen,  wenn  die  Strahlen  des  leuchtenden  Körpers  auf  ihn  fallen; 
es  müssen  auch  die  reflektierten  Strahlen  in  unser  Auge  gelangen,  wie 


[84.  85.1  P^'stev  Tag.  79 

sicli  deutlicli  an  dein  Beispiel  jenes  Spiegels  zeigt.  Unzweifelhaft  treffen 
ihn  die  Lichtstrahlen  der  Sonne;  trotzdem  erscheint  er  uns  nur  hell 
und  erleuchtet,  sobald  wir  das  Auge  an  einen  ganz  bestimmten  Ort 
bringen,  nach  welchem  hin  die  Reflexion  stattfindet.  Überlegen  wir 
uns  jetzt,  was  eintreten  würde,  Avenn  der  Spiegel  kugelförmig  gekrümmt 
wäre.  Unfehlbar  werden  wir  finden,  dafs  von  dem  Reflex,  der  von  der 
ganzen  beleuchteten  Fläche  ausgeht,  nur  ein  ganz  kleiner  Teil  in.  das 
Auge  eines  einzelnen  Beobachters  gelangt,  weil  nur  ein  winziges  Teil- 
chen der  Gesamtoberfläche  der  Kugel  diejenige  Lage  hat,  welche  den 
Strahl  gerade  dem  Orte  des  Auges  zusendet.  Es  ist  daher  nur  ein 
ganz  kleiner  Teil  der  Kugelfläche,  der  dem  Auge  glänzend  erscheint, 
während  alles  Übrige  sich  dunkel  ausnimmt.  Wenn  also  der  Mond 
U'latt  wie   ein  Spiegel  wäre,   so  würde   nur  ein  ganz   kleiner  Teil  sich  wenn  der  Mond 

»  .  .  einem  sphäri- 

den  Augen  eines  einzelnen  Beobachters  von  der  Sonne  beleuchtet  zeigen,  fpben  spiegei 

ö  D       7  gliche,  wUre  er 

trotzdem  eine  vollständige  Halbkugel  den  Sonnenstrahlen  ausgesetzt  ""Sichtbar. 
wäre;  der  Rest  wäre  für  das  Auge  des  Beschauers  so  gut  wie  unbe- 
leuchtet, also  unsichtbar;  schliefslich  überhaupt  der  ganze  Mond  un- 
sichtbar, da  jenes  Teilchen,  von  dem  der  Reflex  herrührt,  wegen  seiner 
Kleinheit  und  grofsen  Entfernung  sich  der  Wahrnehmung  entziehen 
würde.  Und  wie  er  selbst  unsichtbar  bliebe,  würde  auch  die  von  ihm 
herrührende  Beleuchtung  verschwindend  sein;  denn  es  ist  doch  wohl 
unmöglich,  dafs  ein  leuchtender  Körper  durch  seinen  Glanz  unsere 
Dunkelheit  erhellt,  ohne  dafs  wir  ihn  sähen. 

Salv.  Haltet,  bitte,  ein,  Signore  Sagredo;  denn  der  Gesichtsaus- 
druck und  die  Gesten  des  Signore  Simplicio  verraten  mir,  dafs  er  ent- 
weder nicht  recht  versteht,  was  Ihr  vollkommen  klar  und  durchaus 
richtig  bemerkt  habt,  oder  es  doch  nicht  billigt.  Es  fällt  mir  jedoch 
eben  ein,  wie  ihm  durch  einen  anderen  Versuch  jeder  Zweifel  be- 
nommen werden  kann.  Oben  habe  ich  in  einem  Euerer  Zimmer  einen 
grofsen  Kugelspiegel  gesehen;  lassen  wir  ihn  hierher  schaffen  und 
während  er  gebracht  wird,  mag  Signore  Simplicio  noch  einmal  erwägen, 
wie  grofs  die  Helligkeit  ist,  die  hier  an  der  Wand  unter  dem  Balkon 
von  dem  Reflex  des  ebenen  Spiegels  herrührt. 

Simpl.  Ich  sehe,  dafs  sie  nicht  viel  geringer  ist,  als  wenn  die 
Sonne  unmittelbar  hinschiene. 

Salv.  So  ist  es  in  der  That.  Nun  sagt  mir,  wenn  wir  den  kleinen 
ebenen  Spiegel  wegnehmen  und  an  seine  Stelle  den  grofsen  sphärischen 
setzen,  welche  Wirkung  glaubt  Ihr,  werde  sein  Reflex  au  der  näm- 
lichen Wand  hervorbringen? 

Simpl.  Ich  glaube,  er  wird  eine  weit  stärkere  und  ausgielugere 
Beleuchtinig  hervorbringen. 


80  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [86.  87.] 

Salv.  Wenn  aber  keine  Beleuchtimg  stattfindet  oder  eine  so 
geringe^  dafs  Ihr  sie  kaum  bemerkt,  was  werdet  Ihr  dann  sagen? 

Simpl.  Wenn  ich  die  Wirkung  gesehen  habe,  werde  ich  über 
die  Antwort  nachdenken. 

Salv.  Hier  ist  der  Spiegel,  den  ich  neben  den  anderen  zu  stellen 
bitte.  Zunächst  aber  betrachten  wir  den  durch  den  ebenen  Spiegel 
hervorgebrachten  Kefiex  aus  der  Nähe;  achtet  sorgfältig  auf  seine 
Helligkeit;  seht  wie  hell  es  dort  ist,  wo  er  hinfällt  imd  wie  deutlich 
alle  jene  Details  der  Mauer  zu  sehen  sind. 

Simpl.  Ich  habe  mir  es  genau  angesehen;  lafst  jetzt  den  anderen 
Spiegel  neben  den  ersten  stellen. 

Salv.  Er  befindet  sich  bereits  da.  —  Er  wurde  hingestellt,  als 
Ihr  eben  die  Details  der  Mauer  zu  betrachten  anfingt,  und  Ihr  habt 
nichts  davon  bemerkt,  so  gewaltig  hat  die  Helligkeit  der  übrigen 
Wand  zugenommen.  Jetzt  mag  der  ebene  Spiegel  entfernt  werden. 
Da  seht  Ihr  jeden  Reflex  verschwunden,  wiewohl  der  grofse  Konvex- 
spiegel geblieben  ist.  Entfernt  auch  diesen  und  bringt  ihn  wieder 
her,  so  viel  Ihr  Lust  habt,  Ihr  werdet  keine  Veränderung  des  Lichtes 
an  der  Mauer  wahrnehmen.  Hier  habt  Ihr  also  einen  sinneufälligen 
Beweis,  dafs  der  Reflex  der  Sonne  an  einem  konvexen  Kugelspiegel  zur 
Beleuchtung  der  Umgebung  nicht  merklich  beiträgt.  Was  habt  Ihr 
nun  darauf  zu  erwidern? 

Simpl.  Ich  fürchte,  dafs  hier  etwas  nicht  mit  rechten  Dingen 
zugeht;  ich  bemerke  doch,  wenn  ich  in  den  Spiegel  sehe,  einen  leb- 
haften blendenden  Glanz;  und,  was  besonders  ins  Gewicht  fällt,  ich 
erblicke  ihn  überall,  von  wo  aus  ich  hineinsehen  mag.  Ich  sehe,  wie 
er  seine  Stelle  auf  der  Oberfläche  wechselt,  je  nachdem  ich  meinen 
Staudort  hier  oder  dort  eimiehme,  ein  zwingender  Beweisgrund,  dafs 
das  Licht  sehr  lebhaft  nach  allen  Seiten  reflektiert  wird  luid  folglich 
auch  ebenso  kräftig  nach  dieser  Wand,  wie  nach  meinem  Auge. 

Salv.  Daraus  könnt  Ihr  ersehen,  wie  vorsichtig  und  bedachtsam 
man  sein  mufs,  ehe  man  den  Ergebnissen  blofser  Spekulation  seine 
Zustimmung  erteilt.  Unzweifelhaft  klingt  das,  was  Ihr  sagt,  sehr  ein- 
leuchtend; deimoch  beweist  Euch  der  sinnliche  Versuch  das  Gegenteil. 

Simpl.     Wie  geht  das  denn  aber  zu? 

Salv.  Ich  will  Euch  meine  Ansicht  mitteilen,  die  Euch  allerdings 
vielleicht  nicht  völlig  befriedigt.  Erstlich:  die  so  lebhaft  glänzende 
Stelle,  die  Ihr  am  Spiegel  bemerkt  und  die  scheinbar  eine  ansehnliche 
Ausdehnung  auf  ihn  besitzt,  ist  bei  weitem  nicht  so  grofs,  sondern 
im  Gegenteil  winzig  klein.  Die  Lebhaftigkeit  des  Glanzes  aber  ver- 
ursacht in  Euerem  Auge  infolge  der  Reflexion  an  der  Feuchtigkeit  der 


[87.  88.]  Erster  Tag.  81 

Liderriinder,  die  sich  auch  über  die  Pupille  hin  fortsetzt,  eiue  uach- 
trägliche  Irradiation'^),  ähnlich  dem  Strahlenkranze,  welcher  eine  ent- 
fernte Kerzenflamnie  zu  umgeben  scheint-,  oder  sie  läfst  sich  vergleichen 
mit  dem  Glänze,  der  scheinbar  rings  um  einen  Stern  vorhanden  ist. 
Wenn  Ihr  z.  B.  das  kleine  Pünktchen  des  Sirius  bei  Tag  mit  dem 
Fernrohr  betrachtet,  wo  es  sich  ohne  Irradiation  zeigt,  und  es  vergleicht 
mit  dem  Bilde,  welches  das  unbewaffnete  Auge  nachts  davon  empfängt, 
werdet  Ihr   ohne    ieden   Zweifel   einsehen,    dafs    der    umstrahlte    Stern  P."^'^^  '^'%^C"1:' 

J  "  Qiatiou  erfahrt 

mehr  als  tausendmal  gröfser    erscheint  als  der  nackte  wirkliche  Kern.gt^//jj^|[°g'\^Jy. 
Einen    ähnlichen    oder   noch    gröfseren   Zuwachs    erfahrt    das    Sonnen-gci,e^nb«e^ver- 
bildchen,  das  Ihr  in  jenem  Spiegel  seht;  ich  sage  einen  noch  gröfseren,    ^'^"''^^'■'^^s- 
weil  es  lebhafteren  Glanz  besitzt  als  ein  Stern,  wie  daraus  hervorgeht, 
dafs   man   beim  Anblick  des   Sternes    bei    weitem   nicht  so   geblendet 
wird,  wie  durch   den  Reflex   des  Spiegels.     Der  Widerschein  also,   der 
sich  über  die  ganze  Wand  zu  verteilen  hat,   rührt  von   einem  kleinen 
Teile  jenes    Spiegels  her;    der   vorhin   von   dem   ebenen   Spiegel   verur- 
sachte verteilte  und  beschränkte  sich  auf  einen  ganz  kleinen  Teil  der- 
selben Mauer.     Was  Wunder  also,  wenn  der  erste  Reflex  sehr  lebhafte 
Beleuchtung  hervorbringt,  jener  andere  aber  fast  unmerklich  bleibt? 

Simpl.  Ich  befinde  mich  in  gröf serer  Verlegenheit  als  je  zuvor; 
nun  kommt  noch  die  andere  Schwierigkeit  hinzu,  wie  es  möglich  ist, 
dafs  diese  Mauer,  welche  aus  so  dunkelem  Stoße  besteht  und  eine  so 
rauhe  Oberfläche  besitzt,  das  Licht  kräftiger  und  lebhafter  zurückwirft, 
als  ein  gut  geschliffener  und  polierter  Spiegel. 

Salv.     Lebhafter  nein,   wohl   aber   über  ein   gröfseres  Gebiet  hin; 
denn  was  die  Lebhaftigkeit  anlangt,  so  seht  Ihr,  dafs  der  Reflex  dieses 
ebenen  Spiegelcheus ,   avo  er   unter  dem  Balkon  auftrifft,   eine  kräftige 
Beleuchtung    bewirkt;    die    übrigen    Teile    der    Wand    aber    sind    dem 
Reflex  der  Mauer  ausgesetzt,  woran  der  Spiegel  befestigt  ist,  und  sind 
daher  lange  nicht  so  hell  wie  der  kleine  vom  Reflex  des  Spiegels  ge- 
troffene Fleck.     Wenn  Ihr   die  Sache  von  Grund   aus  verstehen  wollt, 
so  überlegt  folgendes:    die  Rauheit   der  Mauer   besteht  darin,   dafs  sie^.' y"^^ ^^^^_" 
aus   unzähligen    äufserst   kleinen   Flächenteilchen   zusammengesetzt   ist,^^^^^"*^^^^!';'!!^,, 
die   nach   imzählig   verschiedenen  Richtungen  gewendet   sind;   darunter ^gh'tbar^a^is  das 
sind    notwendig   viele,    welche    die    reflektierten   Strahlen    nach    dieser  i^iJ°p"  r'^^""fleV- 
Richtung,   und  viele,   welche  sie  nach  einer  anderen  Richtung  zurück- Klärung' dafür, 
werfen:   kurz  es  giebt  keine  Stelle,  an  welche   nicht  eine  Menge  von 
Strahlen   gelangten  und  zwar    durch  Reflexion  an  einer  Menge  kleiner 
Flächen,    welche    über    die   gesamte   Oberfläche    des    rauhen,    von    den 
Lichtstrahlen    getroftenen   Körpers   zerstreut    sind.      Daraus   folgt   not- 
wendig, dai's  jeder  beliebige  Teil  irgend  einer  Fläche,  die  der  unmittel- 

Ualim'.i,   Weltsysteme.  6 


82  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [88.  89.] 

bar  beleuchteten  gegenüberliegt,  reflektiertes  Licht  empfangt  und 
folglich  hell  erscheint.  Es  folgt  ferner,  dafs  der  Körper  selbst,  auf 
welchen  die  beleuchtenden  Strahlen  fallen,  von  beliebigem  Orte  be- 
trachtet, ganz  erleuchtet  und  hell  erscheinen  mufs.  Daher  sendet  der 
Mond,  weil  er  eine  rauhe,  keine  glatte  Oberfläche  besitzt,  das  Soinien- 
liclit  nach  allen  Richtungen  und  zeigt  sich  allen  Beschauern  gleich- 
wenn  der  Mondmäfsig  hell.  Demi  wcmi  seine  sphärische  Oberfläche  noch  obendrein 
wäre,  würde  er  bhiuk  wie  ciu  Spicgel  wäre,  würde  sie  völlig  unsichtbar  bleiben,  inso- 

uiisichtbarsein.  i       D  7  .         ,  . 

fern  der  ganz  kleme  Teil,  durch  dessen  Reflex  ein  Sonnenbildchen 
entstehen  könnte,  dem  Auge  des  Beobachters  wegen  der  grofsen  Ent- 
fernung unsichtbar  bliebe,  wie  gesagt. 

Simpl.  Ich  verstehe  Euere  Darlegung  sehr  wohl;  deimoch  glaube 
ich  sie  mit  geringer  Mühe  widerlegen  und  die  Behauptung  aufrecht 
erhalten  zu  können,  dafs  der  Mond  rund,  völlig  glatt  ist,  und  uns  das 
Sonnenlicht  nach  Art  eines  Spiegels  zusendet.  Man  braucht  darum 
keineswegs  das  Bild  der  Sonne  in  ihm  wahrzunehmen;  denn  „nicht 
„durch  die  Form  der  Sonne  selbst  ist  es  möglich,  in  so  grofser  Ent- 
„fernung  die  kleine  Gestalt  der  Sonne  zu  erblicken,  sondern  es  wird 
„vermöge  des  von  der  Sonne  hervorgebrachten  Lichtes  die  Beleuchtung 
„des  ganzen  Mondballs  von  uns  wahrgenommen.  Etwas  Ahnliches 
„können  wir  an  einer  wohlpolierten  vergoldeten  Platte  sehen,  welche, 
„von  den  Strahlen  eines  leuchtenden  Körpers  getroff'en,  über  und  über 
„glänzend  erscheint;  erst  aus  der  Nähe  gesehen,  bemerkt  inan  in  der 
„Mitte  das  kleine  Bild  der  Lichtquelle."^«) 

Salv.  Indem  ich  gerne  meine  Unfähigkeit  eingestehe,  erkläre  ich, 
dafs  ich  von  Euerer  Darlegung  nichts  verstanden  habe  als  das  von 
der  vergoldeten  Platte.  Wenn  ich  mit  Euerer  Erlaubnis  ofifen  reden 
darf,  so  neige  ich  sehr  zu  der  Meinung,  dafs  Ihr  selbst  sie  nicht  ver- 
steht, sondern  diese  Sätze  auswendig  behalten  habt,  die  aus  Wider- 
spruchsgeist von  jemand  niedergeschrieben  worden  sind,  der  sich  seinem 
Widersacher  geistig  überlegen  zeigen  möchte;  freilich  nur  vor  einem 
Publikum,  das,  um  seinerseits  intelligent  zu  erscheinen.  Unverstandenem 
Beifall  zu  zollen  sich  nicht  entblödet  und  um  so  höhere  Meinung  von 
den  Leuten  hat,  je  weniger  es  sie  versteht;  wenn  nicht  etwa  der 
Autor  selbst  zu  der  »Sorte  gehört  —  und  es  gehören  recht  viele 
Manche  Schrift-  dazu  —  die  da  sclirciben,  was  sie  nicht  verstehen,   so  dafs  man  nicht 

steller  schrei-  .  ,        .-  „,  -    .  „     -,  ^y, 

ben,  was  sie   versteht,   was  Sie  schreiben.     Ohne   daher  auf  das  Übrige   einzugehen, 

nicht  verstehen,  '    _  _  cj  .j  / 

daher  versteht  bemerke    ich   bezüglich    der    vergoldeten    Platte:    wenn    dieselbe    eben 

man  nicht,  was  _  '='     _  _  <^  _ 

sie  schreiben,  uj^j  nicht  Sehr  grofs  ist,  kann  sie  allerdings  von  weitem  über  und  über 
glänzend  aussehen,  sobald  sie  von  einem  intensiven  Lichte  getroffen 
wird,    aber   auch  nur   dann,    wemi   das   Auge    sich   in   einer    ganz   be- 


[89.  90.]  Erster  Tag.  83 

stimmten  Richtung  befindet,  nämlich  in  der  der  reflektierten  Strahlen; 

.sie  wird  dabei  feuriger  erscheinen,  als  wenn  sie  etwa  von  »Silber  wäre, 

weil  sie  farbig  imd  Avegen  der  aufserordentlichen  Dichtigkeit  des  Metalls 

einer    höchst    vollkommenen  Politur    fähig  ist.      Wäre    nun    noch    die 

Oberfläche  zwar  völlig  glatt,  aber  nicht  genau  eben,  sondern  hätte  an 

verschiedenen  Stellen  verschiedene  Neigung,    so  würde   ihr  Glanz  sich 

auch  von  mehreren  Punkten  aus  wahrnehmön  lassen,  von  allen  denen 

nämlich,  nach  welchen  die  verschiedenen  Flächenteile  ihre  verschiedenen 

Reflexe  senden.     Aus   diesem  Grunde  giebt   man   den  Diamanten  beim    Diamanten 

Schleifen  viele  Facetten,  damit  man  ihr  herrliches  Funkeln  von  vielen  vieieu  Facetten 

geschliffen; 

Seiten  sehen  kann.     Wäre  aber  die  Platte  recht  grofs,  so  würde  man    -weshalb  dies 

.  .       .  geschieht. 

auch  wenn  sie  völlig  eben  wäre,  sie  doch  von  nahem  nicht  in  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  glänzen  sehen.  Um  mich  noch  deutlicher  zu  erklären: 
man  denke  sich  eine  ebene  sehr  grofse  vergoldete  Platte  dem  Sonnen- 
lichte ausgesetzt,  so  wird  das  Bild  der  Sonne  in  der  Entfernung  dem 
Auge  blofs  einen  Teil  der  Platte  einzunehmen  scheinen,  nämlich  den- 
jenigen, von  welchem  die  Reflexion  der  einfallenden  Soimenstrahlon 
herrührt.  Allerdings  wird  wegen  der  Lebhaftigkeit  des  Lichtes  be- 
sagtes Bild  von  einem  Strahlenkranz  umrahmt  und  deswegen  einen 
sehr  viel  gröfseren  Teil  der  Platte  einzunehmen  scheinen,  als  es  that- 
sächlich  der  Fall  ist.  Um  sich  davon  zu  überzeugen,  bemerke  man 
die  specielle  Stelle  der  Platte,  von  welcher  der  Reflex  ausgeht,  und 
ebenso  bezeichne  man  die  scheinbare  Gröfse  der  glänzenden  Fläche; 
alsdann  bedecke  man  den  gröfseren  Teil  derselben  und  lasse  nur  die 
Mitte  unbedeckt:  es  wird  sich  darum  die  Gröfse  der  anscheinend 
glänzenden  Stelle  für  einen  entfernten  Beobachter  durchaus  nicht  ver- 
mindern; vielmehr  wird  sie  noch  weit  über  das  Tuch,  oder  was  sonst 
zur  Bedeckung  gedient  haben  mag,  sich  auszudehnen  scheinen.  Wenn 
jemand  also,  weil  er  eine  kleine  goldene  Platte  von  weitem  über  und 
über  glänzen  gesehen  hat,  sich  einbildet,  dasselbe  müsse  auch  bei 
Platten  von  der  Gröfse  des  Mondes  gelten,  so  täuscht  er  sich  ebenso- 
sehr, als  wenn  er  den  Mond  für  so  grofs  wie  den  Boden  eines  Fasses 
hielte.  Ist  sodami  die  Platte  kugelförmig  gekrümmt,  so  nimmt  man 
blofs  an  einer  kleinen  Stelle  den  lebhaften  Reflex  wahr,  allerdings 
aber  wird  er  vermöge  seiner  Intensität  von  vielen  zitternden  Strahlen 
umrahmt  erscheinen.  Der  übrige  Teil  der  Kugel  sieht  farbig  aus,  und 
auch  das  nur,  wemi  er  nicht  den  höchsten  Grad  von  Politur  besitzt; 
denn  ist  er  vollkommen  glatt,  so  erscheint  er  dunkel.  Beispiele  dafür 
sehen  wir  täglich  an  den  silbernen  Gef  afsen  vor  Augen,  welche  durch  scheint  dunkler 
Weifssieden  nur  eine  matte  Oberfläche  erhalten  haben  ;^^)  sie  sind  dami    uertes;  Er- 

.  -  .  .  klarung  dafür. 

weifs   wie   Schnee   und   spiegeln   durchaus   nicht;    werden   sie   aber  an 


84  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [90.  91.] 

irgend  einer  Stelle  poliert,  so  erscheint  diese  sofort  dunkel  und  liefert 
Bilder  wie  •  ein  Spiegel.  Dieses  Dunkelwerden  beruht  aber  nur  auf 
dem  Abschleifen  des  feinen  Kornes,  welches  vorher  die  Oberfläche  des 
Silbers  rauh  machte,  so  dafs  es  das  Licht  nach  allen  Seiten  reflektierte 
und  daher  von  allen  Seiten  gleich  hell  erschien.  Werden  aber  nachher 
durch  das  Polieren  jene  winzigen  Unebenheiten  aufs  vollkommenste 
geglättet,  so  dafs  nunmehr -die  Reflexion  der  einfallenden  Strahlen  sich 
nach  einer  bestimmten  Stelle  richtet,  so  zeigt  sich  alsdaim  zwar  von 
dieser  Stelle  aus  die  polierte  Fläche  sehr  viel  heller  und  glänzender 
als  die  übrigen  blofs  weifsgesottenen  Partieeu;  von  allen  anderen 
Punkten  aus  scheint  sie  hingegen  sehr  dunkel.  Bekanntlich  ist  das 
Aussehen  polierter  Flächen  je  nach  dem  Standpunkte  des  Beobachters 
Polierter  stabi  go  verschieden,    dafs  in  der  Malerei  zum  Zweck  der  Nachahmung  und 

scheint  von  ^  .  .  ■  a    i  ^ 

mauchen     Wiedergabe    etwa    eines    polierten    Brustpanzers    remes    Schwarz    und 

Punkte«  aus  ge-  ~  _  -^  ^ 

sehen  ganz  heii,^(iifg   gleichzeitig  vcrwcndct   werden   mufs,   eines   neben  dem  anderen 

von  manchen  O  o  7  ^  ^ 

ganz  dnnkei.  ^^j^j  zwar  bei  Teilen  der  Rüstung,  die  ganz  gleichmäfsig  vom  Lichte 
getroflen  werden. 

Sagr.  Wenn  also  die  Herren  Philosophen  sich  nur  entschliefsen 
kömiten  einzuräumen,  es  seien  die  Oberflächen  des  Mondes,  der  Venus 
und  der  anderen  Planeten  nicht  so  glänzend  und  glatt  wie  ein  Spiegel, 
sondern  ein  haarbreit  weniger,  nämlich  wie  eine  matte,  aber  unpolierte 
Silberplatte,  so  wäre  das  ausreichend,  um  den  Mond  sichtbar  zu  macheu 
mid  würde  ihn  befähigen,  uns  das  Sonnenlicht  zurückzuwerfen? 

Salv.  Es  wäre  teilweise  ausreichend.  Er  würde  uns  aber  kein 
so  kräftiges  Licht  zusenden,  als  er  es  wirklich  thut,  da  er  gebirgig 
ist,  jedenfalls  voll  von  bedeutenden  Erhabenheiten  und  Vertiefungen. 
Die  Herren  Philosophen  werden  ihn  aber  niemals  für  weniger  glatt 
als  einen  Spiegel  ausgeben,  vielmehr  für  noch  glätter,  wemi  das 
denkbar  ist.  Da  sie  nämlich  glauben,  dafs  den  vollkommensten  Körpern 
auch  die  vollkommenste  Gestalt  zukommen  müsse,  so  ist  notwendig 
die  Kugelgestalt  jener  Himmelskörper  eine  völlig  unbedingte.  Überdies 
würde  ich  mir  kein  Gewissen  daraus  machen,  sobald  sie  mir  auch 
nur  die  geringste  Abweichung  zugestünden,  eine  sehr  viel  gröfsere 
anzunehmen.  Da  nämlich  eine  derartige  Vollkommenheit  kein 
Minder  oder  Mehr  zuläfst,  wird  sie  ebenso  durch  die  Breite  eines 
Haares  wie  durch  einen  Berg  aufgehoben. 

Sagr.  Hier  drängen  sich  mir  zwei  Bedenken  auf:  einmal  weifs 
ich  nicht,  weswegen  eine  stärkere  Unebenheit  eine  kräftigere  Zurück- 
werfung des  Lichtes  hervorrufen  soll;  sodami  ist  mir  unklar,  warum 
diese  Herren  Peripatetiker  gerade  auf  die  Kugelgestalt  so  versessen  sind. 

Salv. 


[91.  92.]  Er.ster  Tag.  85 

lasse   ich  Signore  8implicio   den   zweiten   zur   Erledigung.      Man   mufs  Rauhere  ober- 
zunächst   berücksichtigen,   dafs   die   nämlichen  Flächen   von  dem  näm-tierer.  (ia.s  Licht 

1-1  T  •    1  1  •  stärker  als 

liehen  Lichte   mehr   oder   weniger   erhellt   werden,  je   nachem   die   he- we°'ger  rauhe. 
leuchtenden  Strahlen   mehr   oder   weniger   schief  darauf  fallen,   derart,   str^hi^n  er*"- 
dafs  die  stärkste  Beleuchtung   im  Falle  senkrechter  Bestrahlung  statt-    »is  schiefe; 
findet.     Hier  seht  es   mit   eigenen  Augen.     Ich   falte   dieses  Blatt,   so  ^er  Faii  ist. 
dafs   der  eine  Teil  mit  dem  anderen  einen  Winkel   bildet,    und  lasse 
das   an  der  Wand  dort   üben   reflektierte   Licht    darauf  fallen.      Seht 
nun,   wie   die  Fläche,    welche   schief  von  den  Strahlen  getroffen  wird, 
weniger  hell  ist  als  die  andere,  auf  welche  das  reflektierte  Licht  senk- 
recht fällt  und  bemerkt,   wie   die  Beleuchtung  desto   schwächer  wird 
je  schiefer  ich  die  Strahlen  auffallen  lasse. 

Sagr.     Ich  sehe  die  Wirkung,  verstehe  aber  die  Ursache  nicht. 

Salv.  Wemi  Ihr  Euch  den  hundertsten  Teil  einer  Stunde  be- 
dächtet, würdet  Ihr  sie  finden;  aber  um  keine  Zeit  zu  verschwenden: 
hier  in  dieser  Figur  habt  Ihr  schon   ein  ^ 

Stück  Beweis.  ^ 

Sagr.  Der  blofse  Anblick  der  Figur 
hat  mir  alles  klar  gemacht,  fahrt  also  fort. 

Simpl.  Bitte  gebt  mir  die  Erklärung 
dazu;  ich  habe  keine  so  rasche  Auf- 
fassungsgabe. 

Salv.      Stellt    Euch    vor,    dafs    alle  ^ 
parallelen  Linien,    die  Ihr  von   den  End-  ^ 

punkten  A  und  5  ausgehen  seht,  Strahlen  seien,  welche  rechtwinkligschiefere  straii- 
auf  die  Linie  CD  auffallen.  Neigt  jetzt  die  Linie  CD,  bis  sie  in  die  weniger  inteu- 
schräge  Lage  von  DO  gelangt:  seht  Ihr  nicht,  dafs  ein  beträchtlicher  'dafür. 
Teil  der  Strahlen,  welche  CD  trafen,  an  DO  vorbeigehen,  ohne  diese 
Linie  zu  berühren?  Wenn  also  DO  von  weniger  Strahlen  beleuchtet 
wird,  so  ist  selbstverständlich  das  von  ihr  aufgefangene  Licht  schwächer. 
Kehren  wir  jetzt  zu  dem  Monde  zurück.  Da  dieser  Kugelgestalt  be- 
sitzt, so  müfsten,  wemi  seine  Oberfläche  an  Glätte  diesem  Blatt  Papier 
gleich  käme,  die  Teile,  welche  gegen  den  Rand  seiner  von  der  Somie 
beleuchteten  Hemisphäre  liegen,  aufserordentlich  viel  weniger  Licht 
empfangen  als  die  mittleren;  denn  auf  diese  fallen  die  Strahlen  recht- 
winklig, auf  jene  ganz  schief  auf.  Infolge  dessen  müfsten  beim  Voll- 
monde, wo  wir  fast  die  ganze  beleuchtete  Halljkugel  sehen,  die 
mittleren  Teile  sich  uns  weit  heller  zeigen,  als  die  am  Rande  ge- 
legenen; davon  ist  aber  nichts  zu  bemerken.  Stellt  Euch  nun  aber 
die  Fläche  des  Mondes  voll  von  sehr  hohen  Gebirgen  vor;  seht  Ihr 
nicht  ein,    dafs  die  Abhänge   und  Rücken,   die  über  die  Wölbimg  der 


yo 

y 

y 

y- 

y 

y 

gß  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [0'2.  93.] 

vollkommeueu  Kugel  emporragen,  vom  Somienschein  getroffen  und  in 
den  Stand  gesetzt  werden,  die  Strahlen  sehr  viel  weniger  schief  aufzu- 
fangen und  daher  ebenso  hell  zu  erscheinen  wie  alles  Übrige? 

Sagr.  Sehr  wohl;  weim  aber  dergleichen  Berge  vorhanden  sind, 
so  wird  allerdings  die  Sonne  sie  viel  unmittelbarer  bestrahlen  als 
eine  glatte  geneigte  Fläche;  andererseits  müfsten  aber  auch  zwischen 
gedachten  Bergen  alle  Thäler  dunkel  bleiben  infolge  der  riesigen 
Schatten,  welche  die  Berge  in  diesem  Augenblicke  werfen,  während 
die  mittleren  Teile,  mögen  sie  auch  Thäler  imd  Berge  in  Hülle  und 
Fülle  haben,  ohne  Schatten  erscheinen  würden,  weil  die  Sonne  senk- 
recht darüber  steht.  Daher  müfsten  also  doch  die  mittleren  Teile 
sehr  viel  heller  aussehen  als  die  Randteile,  über  welche  ebensoviel 
Schatten  als  Licht  gebreitet  ist.  Gleichwohl  sieht  man  von  einem 
derartigen  Unterschiede  nichts. 

Simpl.     Bedenken  dieser  Art   gingen   auch    mir   im  Kopfe   herum. 

Salv.  Wieviel  schneller  doch  Signore  Simplicio  die  Bedenken 
versteht,  welche  den  Ansichten  des  Aristoteles  zu  gute  kommen,  als 
deren  Widerlegung!  Ich  hege  halb  und  halb  den  Verdacht,  dafs  er 
die  Lösimg  bisweilen  mit  Fleifs  verschweige.  Im  vorliegenden  Falle, 
wo  er  doch  den  recht  scharfsinnigen  Einwand  ganz  allein  hat  auffinden 
kömien,  begreife  ich  nicht,  wie  er  nicht  auch  die  Entgegnung  hat 
ausfindig  machen  können.  Ich  will  deswegen  versuchen,  sie  ihm  in 
den  Mund  zu  legen,  wie  man  zu  sagen  pflegt.  Sagt  mir  also,  Signore 
Simplicio,  kann  nach  Euerer  Ansicht  da  Schatten  sein,  wo  die  Sonnen- 
strahlen hintreifen? 

Simpl.  Ich  glaube  nein,  ja  ich  bin  dessen  völlig  gewifs;  denn  da 
die  Sonne  die  Hauptleuchte  ist,  welche  mit  ihren  Strahlen  die 
Finsternis  verscheucht,  so  kann  unmöglich  Finsternis  herrschen,  wo 
sie  hingelangt.  Dami  haben  wir  ja  auch  die  Definition:  Tenehrae  sunt 
privatio  luminis.  "^) 

Salv.  Weim  also  die  Sonne  nach  der  Erde,  dem  Monde  oder 
einem  anderen  undurchsichtigen  Körper  hinschaut,  so  erblickt  sie 
niemals  einen  der  beschatteten  Teile  dieser  Körper,  da  sie  keine 
anderen  Augen  als  ihre  lichtspendenden  Strahlen  zur  Verfügung  hat. 
Es  würde  folglich  ein  Beobachter  auf  der  Sonne  niemals  etwas  Be- 
schattetes wahrnehmen;  denn  seine  Sehlinien  fielen  stets  mit  den  be- 
leuchtenden Sonnenstrahlen  zusammen. 

Simpl.     Das  ist  vollkommen  richtig,  ohne  jedwede  Einschränkung. 

Salv.  Wenn  aber  der  Mond  sich  in  Opposition  zur  Sonne  be- 
findet, welcher  Unterschied  ist  dann  zwischen  dem  Weg,  den  Euere 
Sehlinien  und  den  die  Sonnenstrahlen  zurücklegen? 


[93.  94.]  Erster  Tag.  87 

Simpl.  Jetzt  habe  ichs  verstanden.  Ihr  meint,  da  die  Seh- 
linien und  die  Sonnenstrahlen  zusammenfallen,  können  wir  keines  der 
beschatteten  Mondthäler  entdecken.  Entschlagt  Euch  doch,  bitte,  des 
Verdachtes,  als  ob  ich  heuchle  oder  mich  verstelle.  Ich  gebe  Euch 
mein  Wort  als  Edelmann,  dafs  ich  auf  diese  Lösung  nicht  verfallen 
bin;  imd  ohne  Euere  Hilfe  oder  lange  Überlegung  hätte  ich  sie  viel- 
leicht nie  ausfindig  gemacht. 

Sagr.  Die  Lösung  der  Schwierigkeit,  die  Ihr  gemeinschaftlich 
zuwege  gebracht  habt,  hat  auch  mich  völlig  befriedigt.  Gleichzeitig 
aber  hat  die  Betrachtung  des  Wegs  der  Somienstrahlen  und  der  Ge- 
sichtslinien mir  einen  neuen  Zweifel  an  dem  früher  Bemerkten  wach- 
gerufen. Ich  weifs  nicht,  ob  ich  ihn  verständlich  werde  ausdrücken 
kömien,  da  er  mir  jetzt  eben  gekommen  ist  und  ich  mir  die  Sache 
noch  nicht  in  meinei:  Weise  zurechtgelegt  habe;  aber  vielleicht  kommen 
wir  durch  gemeinsames  Bemühen  zur  Klarheit.  —  Es  ist  nämlich 
unzweifelhaft  richtig,  dafs  die  Randteile  einer  zwar  glatten,  aber  nicht 
polierten  Halbkugel,  die  von  der  Sonne  beleuchtet  wird,  weniger 
Strahlen  empfangen,  weil  sie  schief  beleuchtet  werden,  als  die  mittleren, 
welche  direktes  Sonnenlicht  haben.  Es  mag  gegen  den  Rand  hin  ein 
Streifen  von  etwa  20  Grad^')  vorhanden  sein,  der  nicht  mehr  Licht 
empfängt  als  ein  anderer  nach  der  Mitte  zu  gelegener,  welcher  nur 
4  Grad  breit  ist,  so  dafs  thatsächlich  jener  viel  dunkler  sein  wird  als 
dieser  und  auch  jedem  Beobachter  dunkler  erscheinen  wird,  sobald  er 
beide  von  vorne,  oder  sagen  wir  von  Angesicht  zu  Angesicht,  be- 
trachtet. Wenn  das  Auge  des  Beschauers  aber  an  eine  Stelle  ver- 
setzt würde,  von  wo  der  20  Grad  breite  dunkle  Streifen  nicht  gröfser 
aussähe  als  ein  4  Grad  breiter  inmitten  der  Halbkugel,  so  halte  ich 
es  nicht  für  ausgeschlossen,  dafs  jener  ebenso  hell  und  leuchtend  wie 
dieser  erscheinen  würde;  deim  schliefslich  gelangen  innerhalb  gleicher 
Winkelräume,  nämlich  von  je  4  Grad,  die  Reflexe  zweier  gleicher 
Strahlenmengen  ins  Auge:  die  Strahlen  nämlich,  welche  an  dem 
mittleren  Streifen  von  4  Grad  und  die,  welche  an  dem  Streifen  von 
thatsächlich  20,  scheinbar  aber  gleichfalls  von  4  Grad  reflektiert 
werden.  Eine  derartige  Lage  wird  nun  aber  das  Auge  einnehmen, 
wenn  es  zwischen  gedachter  Halbkugel  und  dem  leuchtenden  Körper 
sich  befindet,  weil  alsdami  die  Blickrichtung  imd  die  Strahlen  längs 
derselben  Linien  laufen.  Demnach  könnte  die  Mondfläche  doch  so 
ziemlich  glatt  sein  und  gleichwohl  an  den  Rändern  nicht  minder  hell 
erscheinen  als  in  den  mittleren  Teilen. 

Salv.  Das  Bedenken  ist  scharfsimiig  und  verdient  erwogen  zu 
werden.     Es    war  Euererseits    eine  Eingebung    des    Augenblicks;    ich 


gg  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [94.  95.] 

werde  gleichfalls  erwidern,  was  der  Augenblick  mir  eiugiebt,  vielleicht 
würde  mir  bei  reiflicherem  Nachdenken  etwas  Besseres  einfallen.  Ehe 
ich  aber  sonst  etwas  vorbringe,  wird  es  gut  sein,  erfahrungsgemäfs 
festzustellen,  ob  Euer  Einwand  ebenso  den  Thatsachen  entspricht,  wie 
er  scheinbar  beweiskräftig  ist.  Ich  nehme  also  dasselbe  Blatt  noch 
einmal  vor  und  falte  es  so,  dafs  ein  kleiner  Teil  gegen  das  Übrige 
vimgebogen  ist.  Wenn  wir  es  nun  dem  Lichte  aussetzen  und  zwar 
SO)  dafs  der  kleinere  Teil  direkt,  der  andere  aber  schief  von  den  Licht- 
strahlen getroffen  wird,  so  wollen  wir  prüfen,  ob  der  direkt  beschienene 
heller  aussieht.  Nun,  hier  sehen  wir  ohne  weiteres,  dafs  er  ganz 
deutlich  stärker  beleuchtet  ist.  Sollte  nun  Euer  Einwand  beweis- 
kräftig sein,  so  müssen  wir  zunächst  das  Auge  senken,  bis  der  andere, 
weniger  beleuchtete  Teil  uns  nicht  breiter  erscheint  als  der  heller  be- 
leuchtete, bis  er  also  unter  nicht  gröfserem  Gesichtswinkel  sich  zeigt 
als  dieser.  Es  müfste  dann,  behaupte  ich,  sein  Licht  sich  vermehren, 
bis  er  uns  so  hell  erscheint  wie  der  andere.  Nun,  jetzt  betrachte  ich 
ihn  und  sehe  ihn  so  schief,  dafs  er  mir  gar  schmäler  vorkommt  als 
jener,  aber  bei  alledem  wird  seine  Dunkelheit  in  meinen  Augen  nicht 
heller.     Seht  zu,  ob  es  Euch  ebenso  ergeht. 

Sagr.  Ich  habe  es  bemerkt;  mag  ich  auch  das  Auge  senken,  ich 
sehe  darum  gedachte  Fläche  nicht  sich  aufhellen  mid  mit  Licht  über- 
ziehen, ja  es  scheint  mir  eher,  als  würde  sie  dmikler. 

Salv.  Insoweit  können  wir  also  beruhigt  sein,  der  Einwand  ist 
nicht  triftig.  Was  die  Erklärung  der  Sache  angeht''*'),  so  werden 
nach  meiner  Meinung  wegen  der  beinahe  vollkommenen  Glätte  des 
Papiers,  nur  wenige  Strahlen  in  der  Richtung  des  einfallenden  Lichtes 
zurückgeworfen,  im  Verhältnis  zu  der  Menge  der  nach  entgegenge- 
setzter Seite  reflektierten.  Von  diesen  wenigen  gehen  umsomehr  ver- 
loren, je  mehr  die  Gesichtslinien  den  einfallenden  Strahlen  sich  nähern. 
Da  nun  nicht  die  einfallenden  Strahlen,  sondern  die  nach  dem  Auge 
hin  reflektierten  das  Objekt  hell  erscheinen  lassen,  so  geht  bei  dem 
Senken  des  Auges  einerseits  mehr  verloren,  als  auf  der  anderen  ge- 
Avonnen  wird,  wie  Ihr  denn  auch  selbst  eine  solche  vergröfserte 
Dunkelheit  glaubt  wahrgenommen  zu  haben. 

Sagr.  Ich  erkläre  mich  durch  das  Experiment  und  die  Erklärung 
für  befriedigt.  Es  erübrigt  noch,  dafs  Signore  Simplicio  auf  meine 
andere  Frage  antwortet  und  mir  auseinandersetzt,  aus  welchen  Beweg- 
gründen die  Peripatetiker  eine  so  vollkommene  Rundheit  der  Himmels- 
körper behaupten. 

Simpl.  Der  Umstand,  dafs  die  Himmelskörper  unerzeugbar,  mi- 
zerstörbar,    unveränderlich,     unempfindKch,     unsterblich  u.  s.  w.    sind. 


[95.  96.J  Erster  Tag.  89 

läfst  darauf  schlielsen,  dafs  sie  unbediiio;t  vollkommen  sind,  und  daraus    warum  die 

.  .  .  .  Peripatetiker 

erffiebt   sich,    dafs   ihnen   iede   Art   der   Vollkommenheit   eignet,   unter  die  voiikom- 

'^  '  _  ''  _  .  "»eie  Kugelge- 

anderem    auch    die    Vollkommenheit    der    Gestalt.      8ie    müssen    also  »tait  der  Him- 
melskörper an- 

kugelförmig    sein    und    zwar   unbedingt   und   vollkommen    kugelförmig      nehmen. 
und  nicht  rauh  und  unregelmäfsig. 

Salv.     Und  woher  entnehmt  Ihr  die  Unzerstörbarkeit? 

Simpl.  Unmittelbar  aus  dem  Mangel  an  Gegensätzen,  mittelbar 
aus  der  einfachen  Kreisbewegung. 

Salv.  Soweit  ich  aus  Euerer  Darlegung  ersehen  kann,  spielt  so- 
nach bei  Aufstellung  des  unzerstörbaren,  unveränderlichen  Wesens  der  ^'^  Jor""  '?* 

~  ■  nicht  Ursache 

Himmelskörper  die  Rundheit    keine  Rolle    als  Ursache   oder   iiotwen-j^^®^^u^"^^erst^°'^-^ 
diges  Erfordernis.    Denn  sobald  diese  die  Unveränderlichkeit  erzeugte/'""" '^^^^J^^^^^^''«'' 
würden  wir   willkürlich   das  Holz,   das  Wachs   und   andere   elementare 
Substanzen  unzerstörbar   machen  können,   indem  wir  ihnen  die  Kugel- 
gestalt verleihen. 

Simpl.  Und  ist  dem  nicht  wirklich  so?  Hält  sich  nicht  eine 
hölzerne  Kugel  besser  und  länger  als  eine  Pyramide  oder  eine  andere 
eckige  Figur,   die  aus  derselben  Menge  gleichen  Holzes  verfertigt  ist? 

Salv.     Das  ist  sehr  richtig;  aber  darum  wird  sie  nicht  unzerstör- 
bar   werden,    sondern   noch    immer    zerstörbar    bleiben    und   nur   von 
längerer  Dauer  sein.     Es   ist  also  zu  beachten,    dafs  zwar  der  Begriff" 
der  Zerstörbarkeit    einer   Steigerung   fähig   ist,    wie    wir    denn    in   der 
That  sagen  können,   dies   sei  weniger  zerstörbar  als  jenes,  z.  B.  der  es  giebt  ein 
Jaspis  weniger  als  die  pietra  serena.^^)    Bei  der  Unzerstörbarkeit  aberninder^ei "em 
giebt  es  kein  Mehr  oder  Minder,  und  es  ist  unzulässig  zu  sagen:  dies  zerstörbarkeit, 
ist  unzerstörbarer   als   ienes ,    wenn  beide   unzerstörbar  und  ewig  sind,  dem  der  Unzer- 

T\-       TT  1   •     1       1      •        1  /-<  störbarkeit. 

Die  Verschiedenheit   der  Gestalt  kami  daher  nur  bei  den  Stoffen  von  uie  voiikom- 
Einflufs    sein,    die    von    längerer   oder    kürzerer   Dauer    sind;    bei    den  cest^u  ist  bei 
ewigen  jedoch,  die  ja   alle  gleicherweise   ewig   sind,    hört   der  Einllufs  Körpern  von 
der  Gestalt   auf.     Da   demzufolge    die    himmlische  Substanz   nicht  ver-aber  bei  ewigen, 
möge    ihrer   Gestalt    unzerstörbar  ist,    sondern   aus   anderen   Gründen, 
so  braucht  man  nicht  so  ängstlich  auf  der  vollkommenen  Kugelgestalt 
zu  bestehen.     Denn  wenn  nur  die  Substanz  unzerstörbar  ist,   mag  die 
Gestalt   sein,   welche   sie  wolle,   sie  wird   immer  jene  Eigenschaft  be- 
halten. 

Sagr.     Ich  möchte  noch  eine  weitere  Überlegung  anstellen;  zuge- 
geben  nämlich,   die  Kugelgestalt   wäre   imstande.   Unzerstörbarkeit   zu 
verleihen,   so   behaupte   ich,    alle   Körper   von   ganz    beliebiger   Gestalt     weuu  die 
müssen   ewig   und   unzerstörbar   sein.      Da    nämlich   der   runde   Körper  ^wfg^e^Dauer 
unzerstörbar   ist,    so   würde   die   Zerstörbarkeit   au   den   'J'eik'u   haften,   müMen 'ahe 
welche    die    vollkommene    Rundung     beeinträchtigen,     wie     in    einemniuer  besitzen. 


90  Dialog  über  die  V/eltsysteme.  [96.  97  J 

Würfel  z.  B.  eine  vollkomineu  runde  und  folglich  unzerstörbare  Kugel 
steckt:  es  können  daher  blofs  die  Ecken,  welche  die  Rundung  bedecken 
und  verbergen,  zerstörbar  sein;  höchstens  diese  Vorsprünge,  diese 
Auswüchse,  wenn  ich  so  sagen  darf,  würden  der  Zerstörung  anheim- 
fallen. Wenn  wir  aber  genauer  zusehen,  so  stecken  auch  in  den 
Teilen  an  den  Ecken  wieder  kleinere  Kugeln  desselben  Stoffes  und 
auch  diese  müssen  wegen  ihrer  Rundung  im?;erstörbar  sein-,  dasselbe 
gilt  wieder  von  den  Resten,  die  jene  acht  kleineren  Kügelchen  be- 
decken: auch  in  diesen  lassen  sich  wieder  andere  denken.  So  wird 
schliefslich  der  ganze  Würfel  in  unzählige  Kugeln  zerlegt  und  man 
wird  ihn  also  für  unzerstörbar  erklären  müssen.  Diese  nämliche  Be- 
trachtung imd  eine  ähnliche  Zerlegung  läfst  sich  bei  allen  übrigen 
Körpern  anwenden. 

Salv.  Diese  SchluTsweise  ist  vortrefflich;  wenn  z.  B.  einer 
Kugel  aus  Krystall  infolge  ihrer  Gestalt  Unzerstörbarkeit  zukäme, 
d.  h.  die  Fähigkeit,  allen  inneren  und  äufseren  Änderungen  zu  wider- 
stehen, so  läfst  sich  nicht  absehen,  dafs  die  Hinzufüguug  weiterer 
Krystallmasse  und  damit  die  Ufaformung  etwa  in  einen  Würfel  sie 
innerlich  verändern  könnte;  aber  auch  äufserlich  nicht,  so  dafs  sie 
nunmehr  weniger  geeignet  wäre,  der  neuen  Umhüllimg  zu  widerstehen, 
die  aus  demselben  Stoffe  besteht,  als  sie  der  früheren  zu  widerstehen 
vermochte,  die  aus  verschiedenem  Stoffe  bestand.  Dieser  Schlufs  ist 
um  so  berechtigter,  wenn  die  Ansicht  des  Aristoteles  richtig  ist,  alle 
Zerstörung  sei  durch  Gegensätze  bedingt.  Welche  Umhüllung,  die 
man  der  Krystallkugel  geben  könnte,  wäre  ihr  weniger  entgegengesetzt, 
als  eine  aus  derselben  Krystallmasse  bestehende?  —  Indes  wir  merken 
nicht,  wie  die  Zeit  verfliegt;  wenn  wir  über  jede  Einzelheit  so  lange 
Reden  halten  wollen,  werden  wir  spät  mit  unseren  Erörterungen  zu 
Ende  kommen.  Auch  verwirrt  sich  das  Gedächtnis  bei  einer  solchen 
Mannigfaltigkeit  von  Dingen  derart,  dafs  ich  mich  kaum  der  Behaup- 
timgen  erinnern  kann,  welche  Signore  Simplicio  vorgebracht  hat,  um 
sie  der  Reihe  nach  zur  Erwägung  zu  stellen. 

Simpl.  Ich  erinnere  mich  sehr  wohl.  Betreffs  der  Gebirgigkeit 
des  Mondes  bleiljt  noch  die  von  mir  angeführte  Erklärung  dieser  Er- 
scheinmig  unwiderlegt;  man  kommt  nämlich  sehr  wohl  damit  aus, 
weim  man  sagt,  es  sei  dies  eine  Täuschimg,  welche  von  der  ungleichen 
Durchsichtigkeit  oder  Undurchsichtigkeit  seiner  verschiedenen  Teile 
herrührt. 

Sagr.    Vorhin,  als  Signore  Simplicio  die  scheinbaren  Unebenheiten 
des  Mondes  nach  dem  Vorgange  eines  seiner  peripatetischen  Freunde '^^)  ' 
der  gröfseren  oder  geringeren  Durchsichtigkeit  der  Teile   des  Mondes 


:  I 


[97.  98.]  Erster  Tag.  91 

ziischrie)),     wie     denn     iilmliche    Täuschungen    bei    verscliiedentliclien 
Krystallen  und  Edelsteinen  unterlaufen,   da  fiel  mir  ein   anderer  Stoff 
ein,  der  ein  noch  passenderes  Beispiel  für  ähnliche  Erscheinungen  ah- Perlmutter  ge- 
liebt:   ich  glaube,    besagter  Gelehrter    würde   ihn   mit    dem  teuersten  scheinbare  un- 

O       _     '  »  '  O  ^  ^         ^  ebenheit  der 

Preise  bezahlen:   ich  meine  die  Perlmutter,  welche  zu  allerlei  Figuren^i^^doberfläche 

'  °  nacnzuanmea. 

verarbeitet  wird.  Mag  man  den  daraus  verfertigten  Gegenständen  auch 
die  äufserste  Glätte  geben,  so  erscheinen  sie  doch  dem  Auge  au  ver- 
schiedenen Stellen  so  verschiedenartig  vertieft  und  erhaben,  dafs  man 
kaum  dem  Tastsinn  traut,  der  sie  als  eben  erkennt. 

Salv.  Dieser  Einfall  ist  in  der  That  sehr  schön;  und  was  bis 
jetzt  noch  nicht  geschehen  ist,  könnte  ein  anderes  Mal  ausgeführt 
werden.  Wenn  man  Kry stalle  und  Edelsteine  anführt,  bei  welchen 
die  Täuschung  auf  anderen  Gründen  beruht  als  bei  der  Perlmutter,  so 
kann  man  sehr  wohl  auch  diese  anführen.  Um  inzwischen  niemandem 
diese  Gelegenheit  zu  benehmen,  will  ich  die  passende  Antwort  für 
mich   behalten  imd   vorläufig   blofs   die   von   Signore    Simplicio    vorge-  " 

brachten  Einwände  zu  entkräften  versuchen.  Zu  diesem  Behufe  be- 
merke ich,  dafs  diese  Euere  Erklärung  zu  allgemein  gehalten  ist.  Da 
Ihr  sie  nicht  auf  sämtliche  Erscheinungen,  eine  nach  der  anderen, 
anwendet,  wie  sie  auf  dem  Monde  sich  zeigen  imd  wie  sie  mich  und 
andere  zu  der  Annahme  von  Gebirgen  auf  demselben  bewogen  haben, 
so  wird  sich  schwerlich  jemand  von  einer  solchen  Lehre  befriedigt 
fühlen.  Meiner  Meinmig  nach  findet  weder  Ihr  selbst  noch  sogar  der 
Urheber  dieser  Ansicht  in  ihr  eine  gröfsere  Befriedigung  als  in  irgend 
einer  anderen,  von  der  aufgestellten  Behauptung  abweichenden,  Mei- 
nung.    Von  den  vielen,  vielen  mannigfaltigen  Erscheinungen,  die  manüie  scheiuuaren 

ö  '  o  &  O       ;  Unebeuheiten 

des  INIoudes 
lassen  sieb  nicbt 

auch    nicht    eine    einzige    dadurch    nachahmen    köimen,    dafs   Ihr    eine  ,  "achahmeu 

o  ;  durch  ^  erweu- 

Kugel  nach  Euerem  Gutdünken  aus  mehr  oder  minder  durchsichtigen g^j4^^'^^^j^^^^,j 
und  undurchsichtigen  Teilen  zusammensetzt  und  ihre  Oberfläche  dann  "'^^^'s*^' ^*°°®- 
poliert.     Umgekehrt  kann  man  aus  iedem  festen,   nicht  durchsichtigen  verschiedenes 

r  O  J  ;  o  Aussehen  des 

Stoffe  Kugeln  herstellen,    welche   blofs    vermöge    ihrer  Erhabenheiten  Mondes  laist 

O  >  n  ^  gjch  mittels 

und  Vertiefimgen  und   des  Wechsels   der  Beleuchtung  aufs  Haar  die- Jedes  ^»^urc^.^-^ 
selben  verschiedenartigen  Bilder  gewähren,   die  von  Stunde  zu  Stunde   nachabmeu. 
am  Monde  zu  sehen  sind.  —  Ihr  werdet   die   der  Sonne   ausgesetzten  verschiedeue 

t:  Erscheinungen, 

Höhenkämme  in  hellem  Lichte   erblicken,   hinter  ihnen  die   Schatten-  weiche  die  oc- 

'  _  birgigkeit   des 

Projektionen  in   tiefem   Dunkel;    letztere   werden   gröfser   oder    kleiner>io"desdartuuu. 
erscheinen,  je  nachdem   die  Erhöhungen   mehr  oder  Aveniger  nahe  der 
Grenze  liegen,  die  den  beleuchteten  Teil  des  INIondes  von  dem  finsteren 
scheidet.    Besagte  Grenzlinie  wird  keinen  gleichmäfsigen  Verlauf  zeigen, 
wie  es   bei  einer  glattpolierten  Kugel  der  Fall   sein  müfste,   sondern 


92  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [98.  99.] 

gekerbt  imd  zackig  aussehen.  Ihr  werdet  viele  -erleuchtete  Spitzen 
finden ;,  die  abseits  von  dem  übrigen  leuchtenden  Teile  liegen.  Ihr 
werdet  sehen,  wie  die  obengenannten  Schatten  allmählich  kürzer 
werden,  wenn  die  Beleuchtung  mehr  von  oben  kommt,  bis  sie  ganz 
verschwinden  und  wie  schliefslich  keiner  mehr  sichtbar  ist,  wenn  die 
ganze  Hemisphäre  erleuchtet  ist.  Wenn  umgekehrt  sodann  das  Licht 
nach  der  anderen  Mondhemisphäre  rückt,  wird  man  die  nämlichen 
Hervorragungen  wie  zuvor  beobachten,  die  Schatten  hingegen  Averden 
sich  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin  projizieren  und  allmählich 
wachsen.  Von  alle  dem  kömit  Ihr,  ich  wiederhole  es,  mit  Euerer 
Undurchsichtigkeit  und  Durchsichtigkeit  nichts  darstellen. 

Sagr.  Doch  eines  wird  sich  nachahmen  lassen:  der  Vollmond, 
bei  welchem  wegen  der  allgemeinen  Helligkeit  weder  Schatten  zu 
sehen  sind,  noch  sonst  etwas,  was  durch  Erhabenheiten  und  Ver- 
tiefungen ein  wechselndes  Aussehen  erhalten  könnte.  Ich  bitte  Euch 
aber,  Signore  Salviati,  verschwendet  auf  diese  Einzelheit  nicht  noch 
mehr  Zeit;  wer  die  Geduld  gehabt  hat,  während  eines  oder  zweier 
Mondumläufe  Beobachtungen  anzustellen  und  von  dieser  mit  Händen 
greifbaren  Wahrheit  sich  nicht  überzeugt  hat,  der  mufs  als  völlig 
urteilsunfähig  aufgegeben  werden.  Und  wozu  mit  solchen  Leuten  Zeit 
und  Worte  vergeuden? 

Simpl.  Ich  habe  thatsächlich  die  betreffenden  Beobachtungen 
nicht  gemacht,  da  mich  die  Sache  nicht  interessierte,  ich  auch  kein 
Instrument  hatte,  mit  dem  ich  sie  hätte  anstellen  kömien;  aber  ich 
will  das  jedenfalls  noch  thmi.  Inzwischen  können  wir  diese  Frage  in 
der  Schwebe  lassen  vmd  zu  dem  nächsten  Punkte  übergehen,  nämlich 
zu  der  Prüfung  der  Gründe,  um  derentwillen  nach  Euerer  Meinung 
die  Erde  das  Sonnenlicht  ebenso  intensiv  reflektieren  kann  als  der 
Mond.  Nach  meiner  Meinung  ist  sie  so  dunkel  und  vmdurchsichtig, 
dafs  mir  ein  solcher  Vorgang  völlig  unmöglich  erscheint. 

Salv.  Die  Ursache,  aus  welcher  Ihr  die  Erde  für  ungeeignet  zur 
Beleuchtung  eines  anderen  Körpers  erachtet,  ist  gar  nicht  diese, 
Signore  Simplicio.  Wäre  es  nicht  merkwürdig,  wenn  ich  Euere  Ge- 
dankenverbindung besser  verstünde  als  Ihr  selbst? 

Simpl.  Ob  meine  Gedanken  richtig  oder  falsch  sind,  könnt  Ihr 
möglicherweise  besser  beurteilen  als  ich;  doch  richtig  oder  falsch, 
niemals  werde  ich  glauben,  dafs  Ihr  meine  Gedanken  besser  kennt  als  ich. 

Salv.  Und  doch  will  ich  Euch  sogleich  davon  überzeugen.  Sagt 
mir,  bitte:  Wenn  der  Mond  nahezu  voll  ist,  so  dafs  man  ihn  am 
Tage  und  auch  mitten  in  der  Nacht  sehen  kami,  Avann  scheint  er 
Euch  heller,  des  Tags  oder  des  Nachts? 


[99.  100.]  Erster  Tag.  93 

Simpl.     Unvergleiclilich    heller    des    Nachts.      Der   Mond    verhält  ^^«J^^^"^°^Ji^^* 
sich,  wie  mir  scheint,  ähnlich  der  Wolkensäule,  welche  vor  den  Kindern^"^  ^^^  '*'"  •^"*^®- 
Israel   einherzog   und   die,   solange   die  Sonne   am   Himmel   stand,   wie 
ein  Wölkchen  aussah,   des  Nachts  hingegen  in  hellem  Glänze  strahlte.  Der  Mond  bei 

'  _  .  .  Tage  gesehen 

So  habe  ich  manchmal  bei  Tage  mitten  unter  Wölkchen  gewisser  Art  el«'*'''*  f^^^ 

"  _  _         O  A\  ölkchen. 

den  Mond  beobachtet,  wo  er  ebenso  bleich  aussah,  wie  diese;  nachts 
aber  erscheint  er  dann  in  hellstem  Glänze. 

Salv.  Hättet  Ihr  also  niemals  Gelegenheit  gehabt,  den  Mond 
anders  als  bei  Tage  zu  sehen,  so  würdet  Ihr  ihn  für  nicht  heller  ge- 
halten haben  als  ein  solches  Wölkchen. 

Simpl.     Davon  bin  ich  fest  überzeugt. 

Salv.  Sagt  mir  mm:  glaubt  Ihr,  dafs  der  Mond  thatsächlich  die 
Nacht  mehr  leuchtet  als  den  Tag  über,  oder  dafs  dies  nur  aus  irgend 
welchem  Grunde  so  scheint? 

Simpl.  Meiner  Meinung  nach  leuchtet  er  an  und  für  sich  that- 
sächlich ebensosehr  tags  als  nachts;  sein  Licht  erscheint  uns  aber 
nachts  intensiver,  weil  wir  ihn  auf  dem  dunkehi  Himmelsgrunde  sehen; 
den  Tag  über  hingegen  ist  die  ganze  Umgebung  sehr  hell,  so  dafs  er 
sie  an  Lichtfülle  nur  wenig  übertrifft  und  uns  folglieh  nur  wenig 
leuchtend  erscheint. 

.Salv.  Sagt  mir  ferner:  habt  Ihr  jemals  den  Erdball  mitten  in 
der  Nacht  von  der  Somie  beleuchtet  gesehen? 

Simpl.  Diese  Frage  stellt  Ihr  wohl  nur  im  Spafs;  oder  haltet 
Ihr  mich  für  ganz  und  gar  von  Sinnen? 

Salv.  Nein,  nein;  ich  halte  Euch  für  einen  sehr  verständigen 
Menschen  und  frage  Euch  in  vollem  Ernste.  Darum  antwortet  nur, 
und  wemi  ich  dann  Euerer  Ansicht  nach  ungehörig  spreche,  so  Avill 
gerne  ich  für  unsinnig  gelten;  denn  wer  dumm  fragt,  ist  dummer  als 
der  Gefragte. 

Simpl.  Wenn  Ihr  mich  also  nicht  für  ganz  mid  gar  einfältig 
haltet,  nehmt  an,  ich  hätte  Euere  Frage  beantwortet  und  gesagt,  es 
sei  unmöglich,  dafs  jemand,  der  wie  wir  sich  auf  der  Erde  befindet, 
bei  Nacht  denjenigen  Teil  der  Erde,  wo  Tag  ist,  der  also  von  der 
Soime  beschienen  wird,  sehen  kann 

Salv.  Ihr  habt  demnach  niemals  Gelegenheit  gehabt,  die  Erde 
beleuchtet  zu  sehen  aufser  am  Tage,  den  Mond  aber  seht  Ihr  auch  in 
der  tiefsten  Nacht  am  Himmel  glänzen.  Dies  ist  die  Ursache,  Signore 
Simplicio,  wegen  deren  Ihr  die  Erde  für  weniger  glänzend  haltet  als 
den  Mond.  Kömitet  Ihr  die  Erde  beleuchtet  sehen,  während  Ihr  selbst 
Euch  an  einem  Orte  befind(it,  so  dunkel  wie  unsere  Nacht,  so  würde 
sie  an  Glanz  den  Mond  noch  zu  übertreffen  scheinen      Soll  daher  der 


94  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [100.  101.] 

Vergleich  passend  sein,  so  mufs  mau  das  Licht  der  Erde  imd  das  des 
Mondes,  wie  er  bei  Tage  und  nicht  wie  er  ])ei  Nacht  erscheint,  in 
Parallele  stellen;  wir  sehen  eben  die  Erde  nur  am  Tage  erleuchtet. 
Oder  ist  es  nicht  so? 

Slmpl.     So  ist  es  allerdings. 

Salv.      Nun   habt   Ihr    selbst   schon   eingestanden,   den   Mond   bei 

Tage  zwischen  weifslichen  Wolken  gesehen   zu  haben,   ohne   dafs  sein 

Aussehen    von    diesen    wesentlich    verschieden    gewesen    wäre.     Damit 

Wolken  ver-  gebt  Ihr  vou  Vornherein  zu,  dafs  diese  Wölkchen,  die  doch  aus  elemen- 

möaen  ebenso   ^  Tn-r>ni 

stark  von  der  tareu  Substanzeii  bestehen,   dieselbe  Beleuchtung,   ia  noch  stärkere  zu 

Sonne  be-  '  .       07    j 

leuchtet  zu    erlano'en  vermögen  als  der  Mond.    Ihr  braucht  Euch  nur  zu  vergegen- 

•werden  als  der  O  o  ^  o    o 

Mond.  wärtigen,  wie  Ihr  so  manchmal  gewaltige,  schneeweifse  Wolkenmassen 
gesehen  habt;  wenn  eine  solche  Wolke  ihre  Beleuchtung  in  tiefer 
Nacht  noch  behalten  könnte,  so  würde  sie  zweifelsohne  die  Umgebung 
mehr  erhellen  als  hundert  Monde.  Wären  wir  nun  gewifs,  dafs  die 
Erde  in  gleichem  Mafse  wie  eines  dieser  Wölkchen  von  der  Somie 
beleuchtet  würde,  so  würde  sie  unzweifelhaft  ebenso  glänzen  wie  der 
Mond.  Jeder  Zweifel  daran  aber  schwindet,  wenn  wir  die  nämlichen 
Wolken  in  der  Nacht  ebenso  dunkel  bleiben  sehen  wie  die  Erde.  Ja 
noch  mehr,  keiner  von  uns  ist  der  Täuschung  entgangen,  wenn  er 
einmal  in  der  Feme  tiefgehende  Wolken  gesehen  hat,  zu  zweifehi,  ob 
es  Wolken  oder  Berge  seien:  ein  deutliches  Zeichen,  dafs  die  Berge 
nicht  weniger  leuchten  als  jene  Wolken, 

Sagr.     Aber   wozu  noch   weitere   Erörterungen'?     Hier   oben  seht 

Ihr  den  Mond,  er  ist  fast  voll;  dort  drüben  die  hohe  Mauer,  auf  welche 

die  Sonne  scheint.     Geht  jetzt  hierher  zurück,   so  dafs  Ihr  den  Mond 

Mauer,  von  der  neben  der  Mauer  erblickt!    Nun  schaut  hin!  was  scheint  Euch  heller? 

Sonne  be- 
leuchtet und   «^eht  Ihr  nicht,    dafs  wenn  ein  Unterschied  da  ist,  er  zu  Gunsten  der 

mit  dem  Monde  '  ' 

verglichen,  ist  Maucr   suricht?     Die  Sonne   trifft  auf  iene  Wand,    von  dort  aus  wird 

ebenso  hell  wie  -••  07 

dieser.       jjjj.  Li^j^t,  auf  die  Wände  des  Saales  zurückgeworfen,  von  diesen  wird 
Dritter  Reflex  es  iu  ieucs  Gemach  reflektiert,   so  dafs  es    als  dritter  Reflex  in  dieses 

einer  Mauer 

Riebt  mehr  Lichteintritt.     Trotzdem  bin  ich  überzeugt,    dafs  dort  mehr  Licht  herrscht, 

als  erster  ara  _  .  . 

Monde.       als  wciin  das  Licht  des  Mondes  direkt  hingelangte. 

Simpl.     0,    das    glaube    ich   nicht;    denn    das   Licht   des   Mondes, 
namentlich  des  Vollmondes  ist  doch  gewaltig  helle. 

Sagr.     Es  scheint  so,    weil  die   benachbarten  Orte   in  Dimkel  ge- 
hüllt sind;   absolut   genommen   aber   ist   es   nicht   bedeutend  und  zwar 
Mondes^schwä-  geringer  als  das  Dämmerlicht  eine  halbe  Stunde  nach  Sonnenuntergang. 
"^  Dämmerung"  Dies  gellt  deutlich  daraus  hervor,    dafs  Ihr   nicht   früher  die  Schatten 
der   vom   Monde   beleuchteten  Körper    sehen    werdet.      Ob    ferner    der 
dritte   Reflex    in   jenem   Gemache    gröfsere   Helligkeit    besitzt    als    das 


[101.  102.]  Erster  Tag.  95 

direkte  Moncllicbt,  wird  sich  ermitteln  lassen,  wenn  man  jetzt  hinein- 
geht mid  ein  Buch  liest,  und  dann  heute  Abend  versucht,  ob  es  beim 
Mondlicht  leichter  oder  weniger  leicht  lesbar  ist;  ich  glaube  .bestimmt, 
dafs  es  schwerer  zu  lesen  sein  wird. 

Salv.  Ihr  könnt  jetzt  einsehen,  Signore  Simplicio  —  wenn  Euch 
anders  diese  Erklärung  befriedigt  hat  —  dafs  Ihr  in  der  That  selbst 
wufstet,  die  Erde  glänze  nicht  weniger  als  der  Mond-,  die  Erinnerung 
an  einige  Euch  bereits  bekannte,  nicht  erst  von  mir  Euch  mitgeteilte 
Verhältnisse  hat  Euch  darüber  vergemssert.  Ich  brauchte  Euch  ja 
nicht  erst  zu  lehren,  dafs  der  Mond  nachts  glänzender  aussieht  als  bei 
Tage,  Ihr  habt  das  schon  allein  gewufst.  Ebenso  war  Euch  bekannt? 
dafs  ein  Wölkchen  so  hell  aussieht  wie  der  Mond;  desgleichen,  dafs 
die  Beleuchtung  der  Erde  bei  Nacht  unsichtbar  ist:  kurz  Ihr  habt 
alles  gewufst,  ohne  zu  wissen,  dafs  Ihr  es  wufstet.  Danach  wird  man 
vernünftigerweise  ohne  Bedenken  zugeben  müssen,  dafs  der  Reflex 
der  Erde  den  finsteren  Teil  des  Mondes  ebenso  stark  erleuchten  kann, 
als  der  des  Mondes  die  finstere  Nacht  auf  Erden,  ja  um  so  stärker, 
insofern  die  Erde  vierzigmal  gröfser  ist  als  der  Mond. 

Simpl.  Wirklich,  ich  glaubte,  dieses  sekundäre  Licht  sei  das 
eigene  Licht  des  Mondes. 

Salv.     Auch   das   wifst   Ihr   selber   und   bemerkt    nur    nicht,    dafs 
Ihr  es  wifst.     Oder  sagt  mir,  habt  Ihr  etwa  nicht  von  selbst  gewufst,  Licht  empfau- 
dafs  der  Mond  nur  wessen    der  Dunkelheit  der  Umo-ebung  des  Nachts  sehen  heUer  in 

«=".  .  .  .  dunkler  Um- 

sehr    viel    heller    erscheint    als    bei   Tage?    und    wifst   Ihr    nicht    also    gehni.g  aus. 
überhaupt,    dafs   jeder    leuchtende   Körper    um    so   heller    aussieht,   je 
dunkler  die  Umgebung  istV 

Simpl.     Sehr  wohl  weils  ich  das. 

Salv.  Wenn  der  Mond  eine  Sichel  Ijildet  und  Euch  jenes  sekun- 
däre Licht  verhältnismäfsig  hell  erscheint,  so  befindet  er  sich  stets 
in  der  Nähe  der  Somie  und  ist  mithin  nur  in  der  Dämmermig  sicht- 
bar, nicht  wahr? 

Simpl.  Allerdings;  und  oftmals  habe  ich  gewünscht,  dafs  der 
Himmel  dunkler  würde,  um  gedachtes  Licht  in  gröfserer  Helle  zu 
sehen;  aber  vor  dem  Eintritt  völliger  Finsternis  ist  der  Mond  unter- 
gegangen. 

Salv.  Ihr  wifst  also  sehr  wohl,  dafs  dieses  Licht  in  finsterer 
Nacht  stärker  hervorträte? 

Simpl.  Jawohl;  mid  in  noch  höherem  Grade,  wenn  man  die  grelle 
IVlcuchtuug  der  Sichel  durch  die  Sonne  beseitigen  könnte,  durch 
welche  die  schwächere  der   übrigen   Scheibe    sehr   beeinträchtigt   Avird. 

Salv.     Ei,  ojeschieht  es  denn  nicht  bisweilen,   dafs  man  mitten  in 


9(3  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [102.  103.] 

finsterster  Nacht  die  ganze  Moadscheibe  sehen  kann,  ohne  dafs  sie 
irgendwie  Sonnenliclit  empfängt? 

Simpl.  Ich  wüfste  nicht,  dafs  dies  jemals  vorkäme  aufser  bei 
totalen  Mondfinsternissen. 

Salv.  Dann  also  müfste  dieses  sein  Licht  am  lebhaftesten  her- 
vortreten, da  es  auf  einem  völlig  dunkeln  Hintergrunde  und  ohne  die 
beeinträchtigende  Wirkung  der  hellen  Sichel  erscheint.  Wie  stand  es 
aber  bei  solcher  Gelegenheit  um  seine  Helligkeit? 

Simpl.  Ich  habe  ihn  manchmal  kupferfarbig  oder  in  schwach 
weifslichem  Lichte  gesehen;  bisweilen  aber  ist  er  dermafsen  verdvmkelt 
worden,  dafs  ich  ihn  völlig  aus  den  Augen  verlor.  ^^} 

Salv.  Wie  kann  man  also  jenes  Licht,  das  Ihr  bei  dem  bleichen 
Dämmerlichte  trotz  des  grofsen  Glanzes  der  benachbarten  Sichel  so 
deutlich  seht,  für  das  eigene  Licht  des  Mondes  halten,  während  es 
doch  in  finsterster  Nacht  bei  Abwesenheit  jedes  anderen  Lichtes  ganz 
und  gar  unsichtbar  ist? 

Simpl.  Es  soll  auch  die  Ansicht  ausgesprochen  worden  seiii,  l>e- 
sagtes  Licht  werde  ihm  von  anderen  Sternen,  insbesondere  von  seiner 
Nachbarin  Venus  mitgeteilt.  ^'^) 

Salv.  Auch  das  ist  völlig  haltlos;  denn  dann  müfste  er  gleich- 
falls zur  Zeit  der  totalen  Verfinsterung  sich  glänzender  als  je  zeigen, 
da  man  doch  nicht  behaupten  kann,  der  Schatten  der  Erde  ver- 
decke ihm  den  Anblick  der  Venus  oder  der  anderen  Gestirne.  Es 
wird  ihm  vielmehr  das  Licht  darum  völlig  entzogen,  weil  auf  der 
dem  Monde  zugekehrten  Erdhalbkugel  in  diesem  Falle  Nacht  herrscht, 
d.  h.  völliger  Mangel  an  Somienlicht.  Wenn  Ihr  sorgfältige  Beob- 
achtungen anstellt,  werdet  Ihr  deutlich  merken:  gleichwie  der  Mond 
als  Sichel  die  Erde  nur  ganz  wenig  erhellt,  mit  wachsender  Beleuch- 
tung von  Seiten  der  Soime  aber  uns  einen  immer  helleren  Reflex  zu- 
sendet, ganz  ebenso  zeigt  sich  der  Mond  recht  hell  beleuchtet,  wenn 
er  in  Sichelform  erscheint,  da  er  dann  wegen  seiner  Stellung  zwischen 
Sonne  und  Erde  einen  sehr  grofsen  Teil  der  erleuchteten  Erd- 
hemisphäre erblickt.  Wenn  er  sich  aber  von  der  Sonne  entfernt  und 
in  die  Quadratur  rückt,  so  wird  jenes  Licht  matter:  über  die  Qua- 
dratur hinaus  erscheint  es  sehr  schwach,  weil  er  nunmehr  des  AnbHcks 
der  sonnenbeleuchteten  Erdhälfte  verlustig  geht.  Es  müfste  aber 
gerade  das  Gegenteil  eintreten,  wemi  dies  Licht  sein  eigenes  oder  von 
den  Sternen  ihm  mitgeteiltes  wäre;  denn  zu  dieser  Zeit  können  wir 
ihn  in  tiefer  Nacht  und  in  ganz  finsterer  Umgebung  beobachten. 

Simpl.  Haltet  ein,  bitte.  Eben  erümere  ich  mich,  in  einem  vor 
kurzem   erschienenen    ThesenbücJilein,    das   viel   Neues  enthält,    gelesen 


[104.  105.]  Erster  Tag.  97 

zu  haben  *=''):  „jenes  sekundäre  Licht  sei  nicht  durch  die  Sterne  her-  Sekundäres 
„vorgerufen,  noch  das  eigene  Licht  des  Mondes  und  am  allerwenig- einigen  von  der 
„sten  gehe  es  von  der  Erde  aus,  sondern  es  rühre  von  der  Beleuch-  sacht, 
„tung  durch  die  Sonne  selbst  her.  Diese  dringt  wegen  der  teilweisen 
„Durchsichtigkeit  des  Mondballs  durch  seine  ganze  Masse  hindurch; 
„am  lebhaftesten  aber  beleuchtet  sie  die  Oberfläche  der  den  Sonnen- 
„strahlen  ausgesetzten  Hemisphäre.  Die  tieferen  Partien  aber  saugen 
„gewissermafsen  dieses  Licht  ein  und  durchtränken  sich  damit  nach 
„Art  einer  Wolke  oder  eines  Krystalls,  lassen  es  durch  und  werden 
„dadurch  deutlich  leuchtend.  Dies  beweist  er,  wenn  ich  mich  recht 
„erinnere,  durch  Berufung  auf  Autoritäten,  durch  die  Erfahrung  und 
„durch  Schlüsse;  er  führt  Kleomedes,  VifelUo,  Mncrohins  und  einen  oder 
„den  anderen  modernen  Autor  an.  Er  fügt  hinzu,  die  Erfahrung  be- 
„weise,  dafs  jenes  Licht  sich  sehr  hell  einige  Tage  nach  der  Kon- 
„junktion  zeige,  wo  der  Mond  eine  Sichel  bildet  und  dafs  er  dann 
„besonders  am  Rande  glänze.  Weiter  schreibt  er,  dafs  er  bei  Sonnen- 
„finsternissen,  wo  er  vor  der  Sonneuscheibe  steht,  sich  als  durch- 
„scheinend  erweise,  namentlich  am  äufsersten  Rande.  Die  Gründe 
„betreffend,  sagt  er,  da  das  Licht  nicht  von  der  Erde,  noch  von  den 
„Sternen,  noch  von  ihm  selbst  herrühren  kann,  so  bleibt  nichts  übrig, 
„als  dafs  es  durch  die  Sonne  verursacht  wird.  Überdies  ergeben  sich 
„aus  dieser  Aimahme  völlig  befriedigende  Erklärungen  aller  Einzel- 
„heiten  des  Vorgangs.  Denn  dafs  jenes  sekundäre  Licht  am  äufser- 
„sten  Rande  am  deutlichsten  wahrgenommen  wird,  ist  in  der  Kürze 
„des  Weges  begründet,  den  die  Sonnenstrahlen  zu  durchlaufen  haben. 
„Von  den  Linien,  welche  einen  Kreis  durchschneiden,  ist  nämlich  die 
„gröfste  die,  welche  durch  das  Centrum  geht,  die  anderen  aber  sind 
„um  so  kleiner,  je  weiter  sie  von  dieser  entfernt  sind.  Aus  demselben 
„Grunde,  sagt  er,  sei  zu  erklären,  dafs  dieses  Licht  wenig  abnimmt.**") 
„Schliefslich  läfst  sich  auf  diesem  Wege  die  Ursache  nachweisen,  warum 
„jener  hellste  Kreis  am  äufsersten  Rande  des  Mondes  sich  bei  einer 
„Sonnenfinsternis  an  dem  Teile  zeigt,  welcher  vor  der  Sonne  steht, 
„nicht  aber  an  dem  Rande,  der  über  die  Sonnenscheibe  hinausragt. 
„Dies  kommt  nämlich  daher,  dafs  die  Sonnenstrahlen  geradewegs  zu 
„unserem  Auge  durch  die  vor  der  Sonnenscheibe  betindlichen  Teile 
„dringen;  die  Strahlen  aber,  welche  durch  die  überragenden  Teile  hin- 
„durchgehen,  gelangen  nicht  in  unser  Auge." 

Salv.  Wenn  dieser  Philosoph  der  erste  wäre,  der  eine  solche  An- 
sicht aufgestellt,  so  würde  ich  nicht  erstaunt  sein,  ihn  dermafseu  in 
sie  verliebt  zu  sehen,  dafs  er  sie  für  wahr  hingenommen.  Wo  er  sie 
aber  von  andei-en  übernommen  hat,  so  kann  ich  keinen  ausreichenden 

CiAi.iLEi,  Woltsj-stüiiie.  7 


98  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [105.  106.] 

Entschuldigimgsgrund  finden,  dafs  er  das  Felilerliafte  derselben  nicht 
erkannte;  umsomehr  als  er  die  riclitige  Erklärung  der  Erscheinung 
kennen  gelernt  hat  und  durch  tausend  deutlich  sprechende  Kontroll- 
versuche sich  hätte  vergewissern  können,  dafs  die  Ursache  nichts 
Anderes  als  der  Reflex  der  Erde  sei.  Wie  einerseits  die  Kenntnis  des 
wahren  Sachverhalts  kein  günstiges  Zeugnis  ablegt  für  die  Umsicht 
dieses  Schriftstellers  und  ebenso  aller  anderen,  welche  diese  Erklärung 
verwerfen,  so  entschuldbar  erscheinen  auf  der  anderen  Seite  in  meinen 
Augen  die  älteren  Schriftsteller,  welche  sie  nicht  gehört  haben  und 
nicht  selbst  darauf  verfallen  sind,  die  aber  sicherlich  ihre  Richtigkeit 
ohne  das  mindeste  Widerstreben  zugeben  würden,  wenn  sie  dieselbe 
jetzt  hörten.  Soll  ich  offen  meine  Meinung  sagen,  so  kann  ich  mir 
immöglich  denken,  der  Autor  glaube  nicht  auch  an  sie.  Ich  vermute, 
dafs,  weil  er  selbst  sich  nicht  als  Urheber  derselben  aufspielen  kami, 
er  sie  gerne  unterdrücken  und  herabsetzen  möchte,  wenigstens  bei  den 
Einfältigen,  deren  Zahl  bekamitlich  Legion  ist.  Viele  freuen  sich  mehr 
des  lauten  Beifalls  der  Menge,  als  der  Beistimmung  seitens  einiger 
wenigen  hervorragenden  Mäimer. 

Sagr.  Nicht  weiter,  Signore  Salviati,  ich  bitte;  Ihr  trefft,  wie  mir 
scheint,  bei  dem,  was  Ihr  sagt,  den  Nagel  nicht  auf  den  Kopf  Demi 
wer  das  Publikum  ins  Garn  zu  locken  weifs,  versteht  auch  die  Kunst, 
fremde  Erfindungen  sich  anzueignen,  sie  müfsten  denn  so  alt  und  auf 
Kathedern  und  Gassen  so  breitgetreten  sein,  dafs  sie  mehr  als  all- 
bekannt sind. 

Salv.      0,  ich   denke    schlimmer    als    Ihr:    was    sagt  Ihr    da    von 
Es  kommt  auf  alt  uud  allbekannt'?     Kommt  es  nicht  auf  dasselbe  hinaus,  ob  die  An- 

dasselbe  hinaus,  itvt  i  -ii  tttit 

ob  die  Ausich- Sichten  uud  Entdeckungen  den  Menschen  neu  sind,  oder  ob  die  Men- 
scheu  neu  sind,scheii  ihucu  ucu  siud?  Weiiu  Ihr  zufrieden  wäret  mit  dem  Beifall 
sehen  den  An  der  Anfänger,  die  nach  imd  nach  in  die  Wissenschaften  eingeführt 
werden,  so  könntet  Ihr  Euch  als  den  Erfinder  der  Buchstabenschrift 
ausgeben  und  so  in  ihren  Augen  bewundernswert  erscheinen.  Mag  auch 
im  Laufe  der  Zeit  Euere  Schlauheit  an  den  Tag  kommen,  so  schadet 
das  für  Eueren  Zweck  wenig,  denn  neuer  Nachwuchs  macht  die  Schar 
Euerer  Anhänger  wieder  vollzählig.  —  Doch  wenden  wir  uns  dazu, 
dem  Signore  Simplicio  zu  zeigen,  auf  wie  schwachen  Füfsen  das 
Räsonnement  seines  modernen  Autors  steht;  es  laufen  dabei  falsche 
Thatsachen  unter,  nicht  zwingende  Schlüsse  und  unvollziehbare  Vor- 
stellungen. Erstlich  ist  es  falsch,  dafs  das  sekundäre  Licht  heller  am 
äufsersten  Rande  sei  als  in  der  Mitte,  so  dafs  gewissermafsen  ein  Ring 
oder  Kreis  entstünde,  der  heller  als  das  übrige  Feld  ist.  Betrachtet 
man   allerdings   den  Mond   im   Dämmerlichte,    so   scheint    ein    solcher 


[106.  107.]  Erster  Tag.  99 

Kreis  beim  ersten  Blick  vorlianden  zu  sein.  Es  ist  dies  aber  eine 
Täuschung-,  derselbe  rührt  von  der  Verschiedenartigkeit  der  Grenzen 
her,  welche  das  sekundär  erleuchtete  Feld  des  Mondes  umgeben.     Auf    Sekundäres 

.  .  .  .  Mondlicht 

der  Sonnenseite  nämlich  grenzt  es  an  die  hell  erleuchtete  Mondsichel,  scheint  in  Form 
auf  der  anderen  hingegen  stöfst  es  an  das  dunkle  Feld  des  dämmern- heii  am  äufaer- 
den  Himmels.     Im  Vergleich  zu  diesem  scheint  uns  die  Helligkeit  der  nicht  aber  iA 
Mondscheibe    gröfser,    während    sie   auf   der    anderen  Seite    Yon    dem  kiämng  dafür, 
gröfseren  Glänze  der  Sichel  übertroffen  wird.    Wenn  daher  der  moderne 
Autor  versucht  hätte,  durch  einen  Schirm,  etwa  das  Dach  eines  Hauses   Methode  das 
oder   sonst   etwas  Dazwischenliegendes ,  das   primäre  Licht   vom  Auge  iionducht  zu 
fernzuhalten,   so   dafs   blofs   der    nicht   sichelförmige   Teil   des   Mondes 
sichtbar  bliebe,  so  hätte  er  ihn  ganz  gleichmäfsig  leuchtend  gesehen. 

Simpl.  Ich  glaube  mich  jedoch  zu  erimiern,  dafs  er  schreibt,  sich 
eines  solchen  Kunstgriffs  bedient  zu  haben,  um  sich  die  leuchtende 
Sichel  zu  verdecken. 

Salv.  0,  wenn  es  so  steht,  so  ist  das,  was  ich  für  Mangel  an 
Sorgfalt  hielt,  eine  Lüge,  die  sogar  an  Dreistigkeit  grenzt,  denn  jeder 
kann  den  Versuch  beliebig  oft  wiederholen.  Dafs  sodann  die  Mond- 
seheibe bei  einer  Sonnenfinsternis  auf  andere  Weise  gesehen  werde,  als  Die  Scheibe  des 
durch  den  Mangel  jedweden  Lichtes,  bezweifele  ich  sehr,  namentlichsonneufinstemis 
wenn  die  Finsternis  keine  totale  ist,  wie  es  bei  den  BeobachtimgenMangei  an  Licht 
des  Autors  der  Fall  gewesen  sein  mufs.  Wenn  dieselbe  aber  auch 
leuchtend  erschiene,  so  steht  das  nicht  in  W^iderspruch,  sondern  in 
Einklang  mit  unserer  Meinung,  da  ja  die  ganze  sonnenbeleuchtete  Erd- 
halbkugel dem  Monde  gegenüber  liegt.  Mag  auch  von  dieser  ein  Teil 
durch  den  Schatten  des  Mondes  verdunkelt  sein,  so  ist  dieser  doch 
aufserordentlich  klein  gegen  den  übrigen,  der  hell  bleibt.  Was  er 
weiter  hinzufügt,  dafs  bei  solcher  Gelegenheit  der  Teil  des  Randes, 
der  vor  der  Sonnenscheibe  sich  befindet,  sehr  hell  erscheint,  nicht  so 
aber  der  über  die  Sonne  hinausragende,  und  dafs  dies  darum  geschehe, 
weil  durch  jenen  Teil  die  Sonnenstrahlen  direkt  in  unser  Auge  ge- 
langten, durch  diesen  aber  nicht,  so  gehört  das  zu  den  Fabeln,  welche 
beweisen,  dafs  alles  andere,  was  der  Erzähler  vorbringt,  gleichfalls  er- 
dichtet ist.  Denn  wenn  das  sekundäre  Licht  der  Mondscheibe  nur 
sichtbar  wird,  sobald  die  Sonnenstrahlen  direkt  in  imser  Auge  gelangen, 
merkt  denn  der  gute  Mann  dann  nicht,  dafs  wir  das  sekundäre  Licht 
überhaupt  nur  bei  Sonnenfinsternissen  sehen  könnten?  Wenn  schon 
bei  einer  Entfernung  von  noch  nicht  einem  halben  Grad  ein  Teil  der 
Mondscheibe  die  Sonnenstrahlen  nicht  in  imser  Auge  gelangen  läfst, 
wie  wird  es  dami  stehen,  wenn  seine  Entfenuuig  von  der  Sonne  zwanzig 
bis  dreifsig  Grad  beträgt  wie  bei  seinem  ersten  Wiedererscheinen  nach 

7* 


100  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [107.  108.] 

Der  Verfasser  Neumoncl?    Dieser  Herr  konstruiert  die  Thatsachen  Schritt  für  Schritt, 
leins  pafst  die  wic    cr   sic   gcradc   für   seine  Behauptung  gebraucht,   statt   seine  Be- 
seinen  Behaup- hauptungen  Schritt  für  Schritt  den  Thatsachen  anzupassen.     Hört:  um 
seine  Behaup-  ZU  ermöglichen,  dafs  das  Sonnenlicht  in  die  Substanz  des  Mondes  ein- 
sachen.       dringen   kann,   giebt   er   sie    für  halbdurchsichtig  aus,   etwa  nach  Art 
einer  Wolke  oder  eines  Krystalls.     Wie   stellt   er  sich  dann  aber  eine 
solche  Durchsichtigkeit  vor,  wenn  die  Sonnenstrahlen  durch  eine  mehr 
als   zweitausend  Miglien  dicke  Wolkenschicht   dringen   sollen?'*^)     An- 
genommen  aber,    er    antworte   kühn,    das   könne   bei   Himmelskörperu 
ganz   wohl   möglich   sein,   da    sie   von   anderem   Bau    seien   als   unsere 
elementaren  imreinen  imd   trüben  Stoffe;   widerlegen  wir  lieber  seinen 
Irrtum   durch   Gründe,   die   keine   Antwort   oder,   besser   gesagt,  keine 
Ausflucht  zulassen.     Wenn   er   an   der  Behauptung  festhalten  will,  die 
Substanz  des  Mondes  sei  durchsichtig,    so  mufs  er  dies   gelten  lassen, 
wenn  auch  die  Somienstrahlen  seine  ganze  Tiefe  zu  durchsetzen  haben, 
d.  h.  eine  Strecke  von  mehr  als  zweitausend  Miglien;  andererseits  aber 
mufs    er   einräumen,   dals   wenn   nur   ein   Hindernis    von    einer   Miglie 
oder  noch  weniger  sich  ihnen  in  den  Weg  stellt,  sie  dieses  nicht  besser 
durchdringen  als  einen  unserer  Berge.  ^'^) 

Sagr.    Ihr  ruft  mir  einen  Menschen   ins  Gedächtnis,   der  mir  ein- 
mal das  Geheimnis  verkaufen  wollte,  wie  man  mittels  der  Fernwirkung 
Possen,dereinemvon  Magnetnadeln  sich  mit  jemand  auf  eine  Entfernung  von  zwei-  bis 
spielt  wurde,  dreitausend  Miglien  unterhalten   könne.  ^'')     Ich  sagte  ihm,  dafs  ich  es 
heimnis  auftau-gernc    kaufcii   würdc,    ich    möchte    nur   vorher   eine   Prol)e   sehen;   ich 
jemandem  sicii  wollc   sic   schou  als  befriedigend  betrachten,   wenn  ich  mich  in  einem 
verkaufvn  wollte  meiner  Zimmer,  er  sich  in  einem  anderen  befände.    Er  erwiderte,  dafs 
in   so   kleiner  Entfernung   die  Wirkung  nicht   gut    wahrzunehmen   sei. 
Darauf  hiefs   ich  ihn   gehen,   indem  ich  ihm  sagte,  ich  verspürte  vor- 
läufig keine  Lust,  nach  Kairo   oder  Moskau  zu  reisen,   um  eine  Probe 
zu  veranstalten;   wemi   er  jedoch   gehen  wolle,   würde   ich   in  Venedig 
die  Rolle  des  anderen  übernehmen.   —  Aber  hören  wir,  wie  es  um  die 
Folgerichtigkeit  des  Autors  steht  und  wieso  er  zugeben  mufs,  der  Stoff 
des   Mondes    sei  höchst   durchlässig    für    die    Sonnenstrahlen    in    einer 
Tiefe  von  zweitausend  Miglien,  aber  so  undurchsichtig  wie  nur  irgend 
einer  unserer  Berge  bei  einer  Dicke  von  blofs  einer  Miglie. 

Salv.  Die  Berge  des  Mondes  selbst  legen  dafür  Zeugnis  ab.  Sie 
werfen,  auf  der  einen  Seite  von  der  Sonne  getroffen,  nach  der  ent- 
gegengesetzten tiefschwarze  Schatten,  die  sehr  viel  schärfer  begrenzt 
sind  als  die  Schatten  unserer  Berge.  Wären  sie  durchsichtig,  so  hätten 
wir  niemals  irgend  welche  Unebenheit  der  Mondoberfläche  kennen  ge- 
lernt, noch  jene  leuchtenden  Spitzen  erblicken  kömien,  welche  jenseits 


I  108.   1(»0.]  Erster  Tag.  101 

der  Grenze  des  erleucliteteu  Teils  gegen  den  finsteren  in  letzterem 
gelegen  sind.  Ja  eben  diese  Grenze  würden  wir  gar  nicht  so  deutlich 
sehen,  wenn  wirklich  das  Sonnenlicht  in  die  Tiefe  des  Mondes  ein- 
dränge. Nach  den  eigenen  Worten  des  Verfassers  müfste  der  Über- 
gang mid  die  Scheidelinie  zwischen  dem  sonnenbeleuchteten  und  un- 
beleuchteten Teile  sehr  verwaschen  und  aus  Hell  und  Dunkel  gemischt 
sein.  Denn  ein  Stoff,  welcher  den  Sonnenstrahlen  den  Durchgang  bis 
zu  einer  Tiefe  von  zweitausend  Miglien  verstattet,  mufs  doch  so  durch- 
sichtig sein,  dafs  er  bei  einer  Dicke,  die  noch  nicht  den  hundertsten 
Teil  davon  beträgt,  dem  Lichte  nur  ganz  geringen  Widerstand  ent- 
gegensetzt. Gleichwohl  ist  die  Grenze,  welche  den  erleuchteten  Teil 
von  dem  dunkeln  trennt,  scharf  und  so  deutlich  wie  der  Unterschied 
von  Schwarz  und  Weifs,  besonders  wo  die  Scheide  über  die  von  Natur 
helleren  und  rauheren  Partieen  des  Mondes  hin  wegläuft.  Wo  sie  hin- 
gegen die  von  alters  her  bekannten  Flecken  schneidet,  welche  Ebenen 
sind,  da  ist  wegen  ihrer  sphärischen  Krümmung  und  des  dadurch  be- 
dingten schiefen  Auffalls  der  Sonnenstrahlen  die  Grenze  minder  scharf, 
weil  die  Beleuchtung  daselbst  matter  ist.  Wenn  er  schliefslich  sagt, 
das  sekundäre  Licht  werde  mit  wachsendem  Monde  nicht  schwächer 
und  nebelhafter,  sondern  erhalte  sich  beständig  in  gleicher  Stärke, 
so  ist  das  durchaus  falsch.  Man  sieht  im  Gegenteil  in  der  Quadratur 
wenig  mehr  davon,  während  es  gerade  umgekehrt  lebhafter  erscheinen 
sollte,  da  man  es  unbeeinträchtigt  vom  Dämmerlichte  in  der  finster- 
sten Nacht  beobachten  kann.  —  Danach  gelangen  wir  zu  dem  Ergeb- 
nis, dafs  der  Reflex  der  Erde  nach  dem  Monde  sehr  bedeutend  ist. 
Was  aber  Euerer  ganz  besonderen  Beachtung  wert  ist,  Ihr  könnt 
daraus  eine  weitere  herrliche  Folgerung  ziehen:  wemi  es  nämlich  wahr 
ist,  dafs  die  Planeten  auf  die  Erde  durch  ihre  Bewegung  und  ihr  Licht 
einwirken,   so   wird    vielleicht   die   Erde    nicht   weniger   energisch  um-^^ie  ^rde  wirkt 

,  ,         ,  .  .  .  möglicherweise 

gekehrt  auf  sie  einwirken  und   zwar  o;leichfalls   durch  ihr  Licht,  mög-umgekehrt  mit- 

°  _  _  ~  _  .  tels  ihres  Licli- 

licherweise  auch  durch  ihre  Bewegung.    Wenn  sie  sich  alier  auch  nicht    tes  auf  die 

"        '^  _  _  HiiiiiuelskOri>cr 

bewegt,  so  kann  ihr  doch  diese  nämliche  Einwirkung  verbleiben;  denn,  «i»- 
wie  wir  gesehen  haben,  die  Wirksamkeit  des  Lichtes  ist  genau  die- 
selbe, die  des  reflektierten  Sonnenlichtes.  Die  BcAvegimg  aber  bewirkt 
nichts  weiter  als  die  Verschiedenheit  der  Aspekte,  die  in  derselben 
Weise  stattfinden,  mag  man  nun  die  Erde  sich  bewegen  und  die  Sonne 
feststehen  lassen,  oder  die  umgekehrte  Amiahme  machen. 

Simpl.  ihr  werdet  keinen  Philosophen  finden,  der  gesagt  hätte, 
die  Körper  der  unteren  Regionen  wirkten  auf  die  des  Himmels  ein 
und  Aristoteles  sagt  klar  das  Gegenteil. 

Salv.     Aristoteles    und   die   anderen,   welche   nicht  gewufst  haben, 


1Q2  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [109.  110.] 

dais  die  Erde  imd  der  Mond  sich  wech.selseitig  beleuchten,  sind  ent- 
schuldbar; sie  würden  aber  allerdings  Tadel  verdienen,  wemi  sie  von 
uns  zwar  das  Zugeständnis  und  den  Glauben  erwarteten,  der  Mond 
wirke  durch  sein  Licht  auf  die  Erde  ein,  wenn  sie  hingegen  die  Wir- 
kung der  Erde  auf  den  Mond  uns,  die  wir  sie  über  die  Beleuchtung 
des  Mondes  von  Seiten  der  Erde  belehrt  haben,  in  Abrede  stellen 
wollten. 

Simpl.  Mit  einem  Worte,  ich  fühle  eine  unüberwindliche  Ab- 
neigung dagegen,  diese  Gleichberechtigung  zuzugeben,  die  Ihr  zwischen 
Erde  und  Mond  statuieren  wollt,  indem  Ihr  jene  gewissermafsen  der- 
selben Rangklasse  zuweist  wie  die  Sterne.  Wenn  es  auch  sonst  nichts 
Aväre,  schon  die  weite  Trennung  und  Entfernung  zwischen  ihr  und  den 
Himmelskörpern  scheint  notwendig  für  einen  sehr  bedeutenden  Unter- 
schied beider  zu  sprechen. 

Salv.  Seht,  Signore  Simplicio,  was  ein  altes  Vorurteil,  eine  ein- 
gewurzelte Gewohnheit  nicht  alles  thut-,  sie  macht  Euch  so  verblendet, 
dafs  Ihr  sogar  Dinge  vorbringt,  die  gegen  Euch  siirechen,  und  sie  als 
günstig  für  Euere  Ansicht  auffafst.  Weim  Treimung  und  Entfernung 
Umstände  sind,  die  in  Eueren  Augen  eine  wesentliche  Verschieden- 
verwaudtschaftheit  bedingen,  so  mufs  umgekehrt  nahe  Nachbarschaft  Ähnlichkeit  im 
Mond  rücksicht-Gefolge  haben.  Wie  viel  näher  aber  ist  der  Mond  der  Erde  als  irgend 
welchem  anderen  Himmelskörper?  Durch  Euer  eigenes  Zugeständnis 
—  und  Ihr  habt  darin  manchen  Philosophen  zum  Gefährten  —  statuiert 
Ihr  eine  enge  Verwandtschaft  zwischen  Erde  und  Mond.  —  Nun  lafst 
uns  fortfahren;  bringt  vor,  was  sonst  etwa  zu  erwägen  wäre  betreffs 
Euerer  Bedenken  gegen  die  Ähnlichkeit  zwischen  diesen  beiden  Körpern. 

Simpl.  Es  wäre  noch  die  Festigkeit  des  Mondes  zu  besprechen, 
welche  ich  daraus  folgerte,  dafs  er  aufserordentlich  glatt  und  blank 
ist,  Ihr  aber  aus  seiner  gebirgigen  Natur.  Ein  weiteres  Bedenken  er- 
wuchs mir  aus  meiner  Überzeugung,  dafs  der  Widerschein  des  Meeres 
wegen  der  Gleichmäfsigkeit  seiner  Oberfläche  kräftiger  sei  als  der  des 
Landes,  dessen  Oberfläche  so  rauh  und  undurchsichtig  ist. 

Salv.  Auf  den  ersten  EiuAvand  bemerke  ich  folgendes:  gleichwie 
die  Teile  der  Erde  vermöge  ihrer  Schwere  zwar  das  Bestreben  haben 
sich  dem  Mittelpunkte  soviel  wie  möglich  zu  nähern,  dennoch  aber 
einige  weiter  von  ihm  entfernt  bleiben  als  andere,  die  Bergspitzeu 
nämlich  weiter  entfernt  sind  als  die  Ebenen  und  zwar  infolge  ihrer 
Härte  mid  Festigkeit  —  l)estttnden  sie  nämlich  aus  einem  flüssigen 
Festigkeit  des  Stoffc,  SO  würdeu  sic  sich  glätten  —    ebenso  spricht   die  Beobachtung 

Mondballs  er-  '  ,  ^ 

giebt  sich  aus  vou    Erhöhungen   auf   der   Kugelfläche   des    Mondes    für    deren   Härte, 
keit.         Denn   aller   Wahrscheinlichkeit   nach    hat    der   Mond    die   Kugelgestalt 


Olli 

Meere  schwache 


[110.   111.]  Erster  Tag.  103 

angenommen    infolge    des    gleichmäfsigen    Strebeus    seiner    Teile    nacli 
einem  und  demselben  Mittelpunkte.  - —  Den  zweiten  Einwand  betreffend, 
so  glaube  ich:  aus  unseren  Betrachtungen  und  Versuchen  mit  Spiegeln 
können  wir  klar    ersehen,   dafs   der  vom  Meere    bewirkte  Reflex    des  T-i«htrefle 
Lichtes  dem  des  Landes  weit  nachstehen  mufs,  soweit  es  sich  um  das  ais  vom  Lande 
überallhin  zerstreute  Licht  handelt.    Der  besondere  Reflex  freilich,  wel- 
chen  die   ruhende   Wasseroberfläche    nach   einer   bestimmten   Richtung 
entsendet,  erscheint   demjenigen,   der  sich  in  dieser  Richtung  befindet, 
aufserordentlich  intensiv;  aber  von  allen   übrigen  Stellen  aus  wird  die 
Oberfläche  des  Wassers  dunkler  als  die  des  Landes  erscheinen.    Um  uns 
sinnlich  davon  zu  überzeugen,  gehen  wir  dort  in  den  Saal  und  giefsen 
etwas    Wasser    auf   den    Fufsboden.      Sagt    mir:    sieht    diese    benetzteVerauch,  der  be- 
Fliese nicht  weit  dunkler  aus  als  die  anderen  trockenen?    Gewifs:  und     Reflex  des 
dieses  Aussehen   wird   sie   von  jedem   beliebigen  Standorte   aus  zeigen  "le"  ist  ais  der 
mit   Ausnahme    des    einzigen,    nach    welchem    hin   das   Licht,   Avelches 
durch  das  Fenster  eintritt,  reflektiert  wird.    Geht  jetzt  also  ganz  lang- 
sam rückwärts. 

Simpl.  Von  hier  aus  erscheint  mir  der  benetzte  Teil  heller  als 
der  übrige  Fufsboden,  und  ich  sehe,  dafs  dies  daher  rührt,  weil  der 
Reflex  des  durch  das  Fenster  eindringenden  Lichtes  nunmehr  nach 
mir  hin  gerichtet  ist. 

Salv.  Diese  Benetzung  hat  nur  bewirkt,  dafs  die  kleinen  Ver- 
tiefungen der  Fliesen  ausgefüllt  werden  imd  dafs  somit  deren  Oberfläche 
sich  in  eine  vollkommene  Ebene  verwandelt,  welche  nunmehr  das  ge- 
samte zurückgeworfene  Licht  nach  einer  Richtung  entsendet.  Der 
übrige  Fufsboden  aber  ist  rauh,  d.  h.  er  besteht  aus  zahllosen,  ganz 
verschieden  gerichteten,  winzigen  Teilchen,  so  dafs  die  Reflexe  nach 
allen  Richtungen  gelangen,  freilich  schwächer,  als  wenn  sie  alle  ver- 
eint dieselbe  Richtung  einschlügen.  Daher  ändert  sich  sein  Aussehen 
wenig  oder  gar  nicht,  wenn  mau  ihn  von  verschiedenen  Seiten  her 
betrachtet,  er  zeigt  sich  vielmehr  von  allen  Stellen  aus  gesehen  gleich 
hell,  aber  freilich  viel  weniger  hell  als  der  Reflex  der  benetzten  Stelle. 
Daraus  schliefse  ich,  daf^s  die  vom  Monde  aus  gesehene  Oberfläche 
des  Meeres,  da  sie  —  abgesehen  von  Inseln  und  Klippen  —  vollstän- 
dig eben  erscheinen  würde,  gerade  darum  sich  weniger  hell  ausnähme 
als  die  des  gebirgigen  imd  unebenen  Landes.  Wenn  ich  nicht  fürchtete 
über  das  Ziel  hinauszuschiefsen,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  so  würde 
ich  noch  anführen,  dafs  ich  das  sekundäre  Licht,  welches  der  Mond 
meiner  Ansicht  nach   dem  Reflex   der   Erde   verdankt,  merklich  heller    Sekuudäns 

'  Moiidliclit  heller 

zwei  oder  drei  Tage  vor  der  Koniunktion  beobachtet  habe  als  nachher;  vor  der  kou- 

.  .  .  juuktioualsuach 

d.  h.  daim  heller,   wemi   Avir  den  Mond  vor  Sonnenaufgang  im   Osten     derselben. 


104  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [111.  112.] 

erblicken,  als  zur  Zeit,  wo  er  sich  des  Abends  nach  Somieiiuntergang 
im  Westen  zeigt.  Dieser  Unterschied  rührt  daher,  dafs  die  Erdhälfte, 
welche  dem  im  Westen  stehenden  Monde  gegenüberliegt,  wenig  Meer 
und  sehr  viel  Land  enthält,  nämlich  ganz  Asien;  bei  seinem  Stande 
im  Westen  hingegen  liegt  er  einem  gewaltigen  Meere  gegenüber,  dem 
ganzen  atlantischen  Oceaii  bis  hinüber  nach  Amerika:  ein  sehr  triftiger 
Grund  für  das  dunklere  Aussehen  der  Wasseroberfläche  im  Vergleich 
zu  der  des  Landes.  ^^) 

Simpl.*)  Ihr  glaubt  also  wohl  auch,  dafs  die  grofsen  Flecken, 
die  auf  der  Fläche  des  Mondes  zu  sehen  sind,  Meere  seien,  die  übrigen 
helleren  Partieen  hingegen  Land  oder  etwas  Ahnliches?'") 

Salv.  Das,  wonach  Ihr  eben  fragt,  bildet  die  erste  der  Unähn- 
lichkeiten,  die  nach  meiner  Ansicht  zwischen  Mond  und  Erde  bestehen. 
Es  ist  an  der  Zeit,  dafs  wir  auch  dieses  Kapitel  erledigen,  demi  wir 
sind  nur  allzulange  bei  dem  Monde  verweilt.  Ich  bemerke  also:  wenn 
es  in  der  Natur  nur  eine  einzige  Art  und  Weise  gäbe,  um  zwei  von 
der  Soime  beleuchtete  Oberflächen  verschieden  hell  erscheinen  zu  lassen, 
nämlich  die,  dafs  die  eine  aus  Land,  die  andere  aus  Wasser  besteht, 
so  läge  allerdings  die  Notwendigkeit  vor,  auf  der  Oberfläche  des  Mondes 
Land  und  Wasser  zu  unterscheiden.  Da  uns  aber  mehrere  Ursachen 
bekannt  sind,  die  dieselbe  Wirkung  hervorbringen  können,  und  mög- 
licherweise noch  andere  uns  unbekannte  vorhanden  sind,  so  möchte 
ich  mich  nicht  erkühnen  ein  entscheidendes  Urteil  betreffs  des  Mondes 
abzugeben.  Wir  haben  bereits  früher  gesehen,  wie  eine  matte  Silber- 
platte durch  Behandlung  mit  dem  Polierstahl  ihr  weifses  Aussehen 
in  ein  dunkeles  verwandelt.  Feuchtes  Erdreich  erscheint  dunkeler  als 
trockenes;  auf  Bergabhängen  sehen  bewaldete  Stellen  weit  finsterer 
aus  als  nackte  und  unfruchtbare,  was  daher  rührt,  dafs  zwischen 
die  einzelnen  Bäume  viel  Schatten  fällt,  während  die  unbewachsenen 
Stellen  allenthalben  von  der  Sonne  erhellt  sind.  Diese  Beimischmig 
von  Schatten  bewirkt,  dafs  z.  B.  bei  dem  geblümten  Sammet  die  Farbe 
der  geschnittenen  Seide  infolge  der  zwischen  die  einzelnen  Haare  ver- 
teilten Schatten  viel  dunkler  scheint  als  die  der  ungeschuittenen,  ebenso 
glatter  Sammet  tiefer  gefärbt  als  aus  derselben  Seide  gewebter  Erme- 
sintafb.''^)  Wären  daher  auf  dem  Monde  Gegenden  nach  Art  unserer 
Wälder,  so  würden  sie  möglicherweise  das  Ansehen  der  von  uns  wahr- 
genommenen Flecken  haben  können;  aljer  auch  wemi  diese  Meere 
wären,  würde  ein  ähnlicher  Farbenunterschied  die  Folge  sein;   endlich 

*)  Nach  Euerer  Meinung  also  würde  der  Erdball  einen  ähnlichen  Eindruck 
machen,  ivie  die  beiden  Hauptpartieen,  die  wir  am  Monde  unterscheiden. 


J 


[112.  118.]  Erster  Tag.  105 

ist  es  nicht  ausgeschlossen,   dafs   die  Flecken   wirklich   eine  dunkelere 

Farbe    besitzen  als   das   Übrige,   ähnlich  wie   der   Schnee   den  Bergen 

eine    hellere  Farbe    verleiht.      Soviel   steht  fest,    dafs    die   dunkeleren  Die  dunkleren 

Teile    des   Mondes   Ebenen   sind,    in  welchen  nur   wenige   Felsen   und  sind  eben,  die 

Dämme    auftreten,    ohne   dafs    sie  jedoch   ganz    fehlten.      Die   anderen 

helleren  Partieen  sind  über  und  über  mit  Felsen,  Bergen,  kreisförmigen 

und    anders    gestalteten  Wällen   bedeckt;    besonders   finden   sich   rings 

um  die  Flecken  gewaltige  Bergzüge.     Dafs  die  Flecken  ebene  Flächen  ^,'"p?  um  nie 

o  O  o       o  Flecken  des 

sind,  geht  aus  der  Gestalt  der  Grenze  hervor,  welche  den  beleuchteten  Mondes  finden 

'    o  7  gjch  lange  Berg- 

Teil  von   dem   dunkeln   scheidet.      Sie  läuft  nämlich  über  die  Flecken       ketten. 

in  gleichmäfsigem  Zuge  hinweg,  während  sie  an  den  hellen  Teilen  ge- 
brochen und  gezackt  erscheint.  Ich  weifs  aber  doch  nicht,  ob  diese 
ebene  Beschaffenheit  der  Oberfläche  allein  zur  Erklärung  des  dunkeln 
Aussehens  ausreicht  und  glaube  es  kaum.  Auch  abgesehen  davon  halte 
ich  dafür,  dafs  der  Mond  sehr  verschieden  von  der  Erde  ist,  weil  er 
zwar  nach  meiner  Ansicht  nicht  aus  brachliegenden,  leblosen  Strichen 
Landes  besteht,  dennoch  aber  eine  Bewegung  und  ein  Leben  sich  auf 
ihm   nicht   mit  Sicherheit   behaupten   läfst,   noch  viel  weniger,  dafs  eroer  Mond  bringt 

keine  den  uns- 

Pflanzen,    Tiere    oder    andere    den   irdischen    ähnliche    Dinge    erzeugt,  ngen  ähnliche 
Wenn    es   dergleichen  Dinge    dort  giebt,   würden  sie    vielmehr  völlig  vor,  sondern, 

,   .     ,  ,  ^^  „  -  .      wenn  überhaupt 

verschieden    und    unserem    Vorstellungsvermögen    ganz    entrückt  sein,  weiche,  dann 
Ich  neige  aus  dem  Grunde  zu  dieser  Ansicht,  weil  ich  erstens  glaube,        dene. 
dafs    der   Stoff"   des   Mondballs    nicht    aus   Land    und   Wasser    besteht.  Mond  nicht  aus 

.  .  .  .    LauduudWasser 

Dies  allem  reicht  schon  hm,   eine  Erzeugung  und  einen  Wechsel,  wie    zusammen- 
er  auf  Erden  stattfindet,  auszuschliefsen.     Aber  gesetzt  auch,  es  gäbe 
auf  ihm  Land  mid  Wasser,  jedenfalls  würden  die  dort  lebenden  Tiere  und 
Pflanzen  von  den  unseren   völlig  verschieden  sein  und  zwar  vornehm- 
lich aus  zwei  Gründen.     Erstens  ist  für  alles  Leben  auf  der  Erde  die    wechselnde 

Stellung  der 

wechselnde  Stellimg  der  Sonne  völlig  unentbehrlich,  so  dafs  ohne  diesen  sonne,  weiche 

.  (-,  füreinKntstehen 

Wechsel  alles  zu  Grunde  ginge.    Nun  ist  aber  das  Verhalten  der  Sonne  bei  uns  unent- 

°      '^  1  AT         1     behrUch  ist,  ver- 

gegenüber    der    Erde    wesentlich    anders    als    gegenüber    dem    Monde.hait  sich  auf  dem 

°    °  •  r.       1  Monde  anders. 

Was  die  Tageszeiten  betrifft,  so  haben  wir  an  den  meisten  Punkten 
der  Erde  imierhalb  24  Stunden  einen  Wechsel  von  Tag  imd  Nacht,  Ein  natürlicher 
während  der  entsprechende  Vorgang  auf  dem  Monde  einen  Monatdem  Monde  einen 
dauert-,  sodann  vollzieht  sich  der  jährliche  Wechsel  zwischen  dem 
höheren  und  tieferen  Stande  der  Somie,  welcher  die  verschiedenen 
Jahreszeiten  und  die  Ungleichheit  der  Tage  und  Nächte  bei  uns  ver- 
ursacht, auf  dem  Monde  gleichfalls  innerhalb  eines  Monats.  Während 
ferner  bei  uns  der  höchste  und  tiefste  Stand  der  Sonne  sich  annähernd  Auf  dem  Monde 

,.,.  ,  Aiiji         schwankt  die 

um  47  Grad   unterscheidet  —   so   grofs   nämlich  ist  der  Abstand   deruöhe  der  sonne 

1   •  1  TT  1   •     1  r  "■"  ^^  Grad,  auf 

Wendekreise   von   einander   —   beträft   hingegen  der  Unterschied  aut  der  Krdc  um  47. 


106  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [IIa.   114.] 

dem  Monde  nur  wenig  mehr  als  10  Grad;  denn  um  ebensoviel  unter- 
scheidet sich  bei  der  Mondbahn  die  gröfste  Breite  diesseits  und  jen- 
seits der  Ekliptik.  Man  stelle  sich  nun  vor,  welche  Folgen  es  haben 
würde,  wenn  die  heifse  Zone  einen  halben  Monat  ohne  Unterbrechung 
von  der  Sonne  beschienen  würde;  es  versteht  sich,  dafs  unfehlbar  alle 
Bäume,  Kräuter  und  Tiere  vernichtet  würden.  Wenn  also  doch  auf 
dem  Monde  eine  Erzeugung  stattfände,  so  könnte  es  sich  nur  um 
Pflanzen  und  Tiere  von  völlig  anderer  Beschaffenheit  handeln.  Zweitens 
Auf  dem  Mou<ie halte  ich  es  für  ausgemacht,  dafs  es  auf  dem  Monde  nicht  regnet; 
würden  sich  nämlich  ähnlich  wie  auf  Erden  Wolken  zusammenballen, 
so  müfsten  sie  ein  oder  das  andere  Detail,  das  wir  mittels  des  Fern- 
rohres sehen,  verbergen  oder  doch  irgendwie  sein  Aussehen  verändern: 
eine  Erscheinung,  die  ich  trotz  langer  und  sorgfältiger  Beobachtungen 
niemals  bemerkt  habe;  im  Gegenteil  habe  ich  eine  stets  gleichförmige 
Heiterkeit  und  Reinheit  wahrgenommen. 

Sagr.  Darauf  könnte  man  erwidern,  dafs  vielleicht  Tau  in  grofser 
Menge  fiele  oder  dafs  es  nur  nachts  bei  mangelnder  Sonnenbeleuchtung 
regnete. 

Salv.  Wenn  wir  auf  Grund  anderer  Erscheinungen  ein  Recht  zu 
der  Vermutung  hätten,  dafs  der  Mond  ähnliche  Geschöpfe  erzeugt  wie 
die  auf  Erden  lebenden,  und  wemi  wir  blofs  die  Mitwirkung  des  Regens 
vermifsten,  so  würden  wir  daran  denken  dürfen  oder  an  sonst  einen 
Ersatz  des  fehlenden  Regens:  wie  etwa  die  Nilüberschwemmungen  in 
Ägypten  ein  solcher  sind.  Da  wir  aber  keine  einzige  der  vielen  Vor- 
bedingungen, die  für  eine  solche  Entwicklimg  unerläfslich  wären,  in 
TJbereinstimmung  mit  unseren  irdischen  Verhältnissen  verwirklicht 
finden,  hat  es  keinen  Zweck  eine  einzige  mühselig  zu  konstruieren 
und  auch  diese  nicht  einer  zuverlässigen  Beobachtung  zufolge,  sondern 
auf  Grund  einer  blofsen  Möglichkeit.  Wenn  übrigens  jemand  die  Frage, 
ob  dort  dieselben  oder  andere  Wesen  erzeugt  würden  wie  auf  Erden, 
blofs  nach  meinem  Gefühle  und  gesunden  Menschenverstände  von  mir 
beantwortet  wissen  wollte,  so  würde  ich  mich  dennoch  für  die  völlige 
Verschiedenheit,  ja  für  gänzliche  Unvorstellbarkeit  aussprechen.  Denn 
dies  allein  scheint  mir  dem  Reichtum  der  Natur  und  der  Allmacht 
des  Schöjifers  und  Lenkers  angemessen  zu  sem. 

Sagr.  Mir  ist  stets  als  höchste  Vermessenheit  erschienen,  wenn 
man  menschliche  Fassungsgabe  zum  Mafsstab  dessen  machen  will,  was 
die  Natur  zu  wirken  vermag,  während  im  Gegenteil  kein  Vorgang  in  der 
Natur  sich  abspielt,  sei  er  noch  so  uubedeutend,  zu  dessen  voller  Er- 
kenntnis auch  das  tiefste  Nachdenken  durchdringen  könnte.  Die  eitele 
Aiimafsung   alles  verstehen   zu   wollen,   entspringt   nur   aus  dem  ganz- 


I  114.  11 5. j  Erster  Tag.  107 

liehen  Mangel  irgend   welcher  Erkenntnis.'")     Satte  jemand  auch  nur 

einmal  versucht  eine  Sache  vollkommen  zu  verstehen  und  hätte  wirk-  Nur  wer  nichts 

^ .  .  .        vollkommen  ver- 

lieh geschmeckt,  was  Wissen  ist,  so  würde  er  erkennen,  dafs  er  keine    standen  hat, 

.  .  .  .  glaubt  alles  zu 

der  unendlich  vielen  anderen  Wahrheiten  begreift.  verstehen. 

Salv.  Unwiderleglich  ist,  was  Ihr  da  sagt.  Zum  Beweise  dient 
luis  das  Beispiel  derer,  die  etwas  verstehen  oder  verstanden  haben: 
je  weiser  sie  sind,  um  so  mehr  erkennen  sie  mid  um  so  freimütiger 
gestehen  sie,  dafs  sie  wenig  wissen.  Der  weiseste  Mann  Griechenlands, 
der  vom  Orakel  als  solcher  bezeichnet  wurde,  sagte  oifen,  er  sehe  ein, 
dafs  er  nichts  wisse. 

Simpl.  Es  mufs  also  das  Orakel  oder  Sokrates  selbst  gelogen 
haben,  da  jenes  ihn  preist  als  den  W^eisesten,  dieser  sagt,  er  keime 
sich  als  völlig  unwissend. 

Salv.     Weder  das  eine  noch  das  andere  braucht  der  Fall  zu  sein, 
da  beide   Aussprüche   wahr   sein  können.      Das  Orakel  nennt  Sokrates 
den   weisesten   von   allen   Menschen,   deren  Weisheit   eine   beschränkte  Kicbtigkeit  des 
ist.     Sokrates  erkennt  sich  für  unwissend  im  Vergleich  zur  absoluteiiweicher'sokrates 
Weisheit,  welche  unendlich  ist.     Da  aber  von  dem  Unendlichen  das  sten  Menschen 
Viele  kein  gröfserer  Teil  ist  als  das  Wenige   oder  das  Nichts   —   um 
z.  B.   eine  unendlich    grofse   Zahl    zu  erhalten,    thut    es   die    gleichen 
Dienste  Tausende  zu  summieren,  oder  Hunderte,  oder  Nullen  —  darum 
war  sich  Sokrates   wohl  bewufst,  seine   begrenzte  Weisheit  sei  nichts 
gegen  die  unendliche,  die  ihm  fehlte.    Da  aber  auch  bei  den  Menschen 
eine  gewisse  Erkenntnis   sich  findet  imd   zwar  ungleich  unter  sie  ver- 
teilt,  so   mochte  Sokrates   ein  gröfseres  Teil  als   andere   besitzen  und 
so  die  Antwort  des  Orakels  zu  Recht  bestehen. 

Sagr.  Ich  glaube  diesen  Punkt  sehr  wohl  zu  verstehen.  Die 
Menschen,  Signore  Simplicio,  besitzen  die  Macht  zu  handeln,  aber  nicht 
alle  gleichmäfsig.  Sicherlich  ist  der  Einflufs  eines  Kaisers  sehr  viel 
gröfser  als  der  eines  einfachen  Bürgers;  aber  dieser  wie  jener  ist  nichts 
im  Vergleich  zur  göttlichen  Allmacht.  Es  giebt  Leute,  die  vom  Land- 
bau mehr  verstehen  als  andere:  was  aber  hat  die  Kunst,  ein  Rebreis 
zu  pflanzen  gemein  mit  der  Kunst  es  Wurzel  schlagen  zu  lassen,  ihm 
Nahrung  zuzuführen,  von  dieser  einen  Teil  zum  Aufbau  der  Blätter 
auszuwählen,  einen  anderen  zur  Bildung  der  Ranken,  wieder  einen 
anderen  für  die  der  Trauben,  des  Fleisches  und  der  Haut  der  Beeren; 
alles  dies  aber  wirkt  die  allweise  Natur.  Nun  das  ist  ein  einziges 
von  den  unzähligen  Werken,  die  sie  zustande  bringt  und  in  ihm  allein  Göttliches 
oflenbart  sie  eine  unendliche  Weisheit;  daraus  läfst  sich  ermessen,  wie  uch  mai  unend- 
das  göttliche  Wissen  unendlich  mal  unendlich  ist. 

Salv.     Noch  ein  anderes  Beispiel.     Die  Kunst,  in  einem  Marmor- 


108  Dialof,'  über  die  Weltsysteme.  [115.   116] 

block  eine  herrliche  Statue  zu  entdecken,  hat  das  Genie  Buoiiarruotis 
Erhabenheit  deshoch  über  die  gemeinen  Geister  anderer  Menschen  gestellt,  nicht  wahr? 
Buonarruoti.  Und  doch  ist  ein  solches  Werk  nichts  anderes  als  eine  äufserliche, 
oberflächliche  Nachahmung  einer  einzigen  Körperhaltung  und  Glieder- 
stellung eines  unbewegten  Menschen.  Was  ist  eine  solche  verglichen 
mit  dem  Menschen,  wie  ihn  die  Natur  geschaffen,  an  dem  so  viele 
äufsere  und  innere  Organe  sich  befinden,  eine  solche  Menge  von 
Muskeln,  Sehnen,  Nerven,  Knochen,  welche  so  viele  mannigfaltige  Be- 
Avegungen  ermöglichen?  Und  nun  gar  die  Sinne,  die  Seelen  vermögen 
und  endlich  der  Verstand?  Können  wir  nicht  mit  Recht  sagen,  die 
Anfertigung  einer  Statue  stehe  unendlich  weit  zurück  hinter  der  Ge- 
staltung eines  lebendigen  Menschen,  ja  des  verachtetsten  Wurmes? 

Sagr.  Und  welch  ein  Unterschied  mag  wohl  zAvischen  der  Taube 
des  Archytas  und  einer  natürlichen  gewesen  sein?  ^) 

Simpl.  ^^  emi  ich  anders  zu  den  Mensehen  gehöre,  die  Verstand 
besitzen,  so  liegt  in  dem,  was  Ihr  sagt,  ein  offenbarer  Widerspruch. 
Als  einen  der  grofsen  Vorzüge,  ja  als  den  gröfsten  von  allen  betrachtet 
Ihr  an  dem  von  der  Natur  geschaffenen  Menschen  den  Verstand;  und 
doch  sagtet  Ihr  noch  eben  mit  Sokrates,  dafs  sein  Verstand  ein  Nichts 
sei.  Man  mufs  also  sagen,  auch  die  Natur  habe  nicht  verstanden  einen 
Geist  hervorzubringen,  der  versteht. 

Salv.  Euer  Einwand  ist  sehr  scharfsinnig;  um  darauf  zu  er- 
Avidern,  mufs  man  sich  auf  eine  philosophische  Unterscheidung  berufen 
und  feststellen,  dafs  der  Begriff  des  Verstehens  in  zweierlei  Weise  ge- 
braucht werden  kann,  nämlich  intensive  oder  extensive.  Extensive, 
Die  Begriffs-  d.  li.  bezüo;lich  der  Menge  der  zu  begreifenden  Dinge ,  deren  Zahl  im- 

fähigkeit  des  '='  "  "  T.T-  1 

Menschen  ist  eudlich  ist,  ist  dcr  menschliche  Verstand  gleich  Nichts,  hätte  er  auch 

intensive  bedeu-  _  ... 

tend,  extensive  tausend  W^ihrheitcii  erkannt;  denn  Tausend  ist  im  Vergleich  zur  Un- 
endlichkeit nicht  mehr  wie  Null.  Nimmt  man  aber  das  Verstehen 
intensive,  insofern  dieser  Ausdruck  die  Intensität  d.  h.  die  Vollkominen- 
heit  in  der  Erkenntnis  irgend  einer  einzelnen  Wahrheit  bedeutet,  so 
behaupte  ich,  dafs  der  menschliche  Intellekt  einige  Wahrheiten  so  voll- 
kommen begreift  und  ihrer  so  unbedingt  gewifs  ist,  wie  es  nur  die 
Natur  selbst  sein  kann.  Dahin  gehören  die  rein  mathematischen  Er- 
kenntnisse,- nämlich  die  Geometrie  imd  die  Arithmetik.  Freilich  er- 
kennt der  göttliche  Geist  unendlich  viel  mehr  mathematische  Wahr- 
heiten, denn  er  erkeimt  sie  alle.  Die  Erkenntnis  der  wenigen  aber, 
welche  der  menschliche  Geist  begriffen,  kommt  meiner  Meinung  an 
objektiver  Gewifsheit  der  göttlichen  Erkenntnis  gleich;  denn  sie  ge- 
langt bis  zur  Einsicht  ihrer  Notwendigkeit,  und  eine  höhere  Stufe  der 
Gewifsheit  kann  es  wohl  nicht  geben. 


[116.  117.]  Erster  Tag.  109 

Simpl.     Das  heifse  ich  entschieden  und  kühn  gesprochen. 

Salv.  Diese  Sätze  sind  allgemein  anerkannt  und  weit  erhaben 
über  den  Verdacht  der  Vermessenheit  oder  Kühnheit.''^)  Sie  thun  der 
Majestät  der  göttlichen  Allwissenheit  keinen  Eintrag,  so  wenig  es  die 
göttliche  Allmacht  beeinträchtigt,  wenn  man  sagt,  Gott  vermöge  nicht 
das  Geschehene  ungeschehen  zu  machen.  Aber  ich  vermute,  SigTiore 
Simplicio,  dafs  Ihr  Verdacht  schöpft,  Aveil  Ihr  meine  Worte  teilweise 
mifsverstanden  habt.  Um  mich  also  besser  auszudrücken,  so  erkläre 
ich,  dafs  zwar  die  Wahrheit,  deren  Erkenntnis  durch  die  mathemati- 
schen Beweise  vermittelt  wird,  dieselbe  ist,  welche  die  göttliche  Weis- 
heit erkennt:  allerdings  aber  will  ich  Euch  zugeben,  dafs  die  Art  und  i^^^.  göttliche 

'  <-'  o  7  Weise  des  Er- 

Weise,   wie   Gott   die   zahllosen    Wahrheiten   erkennt,    von    denen   wir  Rennens  Ton 

'  '  monschlicher 

nur  einige  wenige  kennen,  hoch  erhaben  über  unsere  Weise  ist.     Wir  verschieden. 
gehen  mittels  schrittweiser  Erörterung  weiter  von  Schlufs  zu  Schlufs,„^®"?5'''i^'='i«« 

«^  °  _  'Begreifen  erfolgt 

während  er  durch  blofse  Anschauung  begreift.     So  beginnen  wir  z.  B.,  ^"^  dem  wege 

o  ö  _  o  _  'des  Schhefaens. 

um  die  Kenntnis  einiger  Eigenschaften  des  Kreises  zu  gewinnen,  deren 
er  unendlich  viele  besitzt,  bei  einer  der  einfachsten,  stellen  diese  als 
seine  Definition  hin  und  gehen  von  ihr  aus  durch  Schlüsse  zu  einer 
zweiten  über,  von  dieser  zu  einer  dritten,  sodann  zu  einer  vierten  u.  s.  w. 
Der  göttliche  Intellekt  hingegen  begreift  durch  blofse  Erfassung  seines 
Wesens  ohne  zeitliches  Erwägen  die  unendliche  Fülle  seiner  Eigen- 
schaften.    In  Wirklichkeit  sind  diese  denn  auch  schon  in  den   Defini-^''^'"*^°"®° '*'"- 

lassen  virtuell 

tionen  aller  Dinge  virtuell   enthalten   und   bilden  schliefslich,  wiewohlf"''  Eigenschaf- 

^  '  ten  der  definier- 

an  Zahl  unendlich,  vielleicht  doch  m  ihrem  Wesen  und  im  göttlichen   *""  begriffe. 
Geiste  eine  Einheit.     Dies  ist  selbst  dem  menschlichen  Intellekt  nicht ^^«'^^'''=1^0 ^='^»1 

der  Eigenschaf- 

vöUig  fremd,   wohl   aber   ihm   durch   tiefen   dichten  Nebelschleier  ver- *e"  i^üden  viei- 

"  '  leicht  eine  Eiu- 

dunkelt;   er   wird   einigermafsen   heller    imd    durchsichtiger,   wenn   ^vir        ''»'* 

gewisse  Folgerungen  beherrschen,   welche    streng    bewiesen    und    der- 

mafsen  zu  unserem  geistigen  Eigentum  geworden  sind,  dafs  wir  rasch 

von   der   einen   zu   einer   anderen    übergehen  können.     Denn   ist  nicht 

z.  B.   im   Grunde   der   Satz,   dafs    das   Hypotenusenquadrat    gleich   der 

Summe   der  Kathetenquadrate  sei,  dasselbe,   als    dafs  Parallelogramme 

mit   gemeinsamer   Basis   zAvischen  Parallelen   einander   gleichen?     Und 

ist    schliefslich   dies   nicht    identisch   damit,   dafs   zwei   Flächen   gleich 

sein  müssen,  wenn  sie  auf  einander  gelegt  sich  decken,  ohne  dafs  die 

eine  über  die  andere  hinausragt?    Diese  Übergänge,  zu  welchen  miser  iherginge,  zu 

^  00;  \vek-heu  die 

Geist  Zeit  gebraucht,  die  er  schrittweise  vollführt,  durchläuft  der  gött-m<>"ächiichever- 

r^  '  '  .  nunft  Zeit  ge- 

liche   Intellekt   dem   Lichte   gleich   in   einem  Augenblicke"^')  oder,  was  braucht,  vou- 

p      ,  ,  '-  .  zieht  der  gott- 

auf  dasselbe  hinauskommt,  sie  sind  ihm  stets  alle  gegenwärtig.    Daraus  i"che  Intellekt 

.        .  .  iiionieutan ;  d.h. 

ergiebt  sich  mir,  dafs  unser  Erkennen  sowohl  hinsichtlich  der  Art  als^ie  sind  ihm  stets 

.  '  .  liegen  wärtig. 

hinsichtlich  der  Menge  des  Erkannten  unendlich  weit  gegen  das  gött- 


110  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [117.  118. j 

liehe  zurückstellt.  Doch  aber  verachte  ich  jenes  nicht  so  sehr,  dafs 
ich  es  für  absolut  Nichts  hielte.  Wenn  ich  vielmehr  betrachte,  wie 
viele  und  wie  wunderbare  Dinge  die  Menschen  verstanden,  erforscht 
und  ausgeführt  haben,  so  erkenne  und  begreife  ich  nur  zu  klar,  dafs 
der  menschliche  Geist  ein  Werk  Gottes  ist  und  zwar  eines  der  aus- 
gezeichnetsten. 

Sagr.     Schon  oft  habe  ich  bei  mir  Betrachtungen  angestellt  über 

das,  wovon   ihr    eben   sprecht,   über   den  Scharfsinn   des    menschlichen 

Bewuuderns-  Gcistes.      Und    weiiu    ich    die    vielen    wunderbaren   Entdeckungen   der 

werter  Scharf-  .        .  ^  " 

sinn  des  Men-  Mcnschhcit   in   Künstcu    und  Wissenschaften   durchgehe    und   dann   an 

Mphengeistes.  .  . 

mein  Wissen  denke,  das  mich  so  ganz  und  gar  nicht  befähigt  eine 
neue  ausfindig  zu  machen,  ja  auch  nur  das  Gefundene  zu  begreifen, 
dann  bin  ich  verwirrt  vor  Staunen,  niedergeschlagen  vor  Verzweiflung 
und  halte  mich  fast  für  unglücklich.  Wenn  ich  eine  vortreffliche 
Statue  betrachte,  sage  ich  bei  mir:  wann  wirst  du  lernen,  aus  einem 
Marmorblock  einen  solchen  Kern  herausschälen,  die  herrliche  Form 
entdecken,  die  er  verbarg?  oder  verschiedene  Farben  mischen  und  sie 
auf  einer  Leinwand,  einer  Mauerfläche  ausbreiten,  dafs  sie  das  ganze 
Reich  des  Sichtbaren  darstellen,  wie  ein  Michelangelo,  ein  Rafael, 
ein  Tizian?  Wenn  ich  erwäge,  wie  der  Mensch  die  musikalischen 
Intervalle  abzuteilen  gelernt,  Vorschriften  und  Regeln  aufgestellt  hat, 
um  sie  zum  wunderbaren  Ergötzen  des  Ohres  zu  verwenden,  wann  soll 
ich  da  aufhören  zu  staunen?  Und  die  vielen  verschiedenen  Instru- 
mente? Wie  erfüllt  die  Lektüre  der  vorzüglichen  Dichter  den  mit 
Verwunderung,  der  aufmerksam  die  Erfindung  und  Erklärung  ihrer 
Gedanken  verfolgt?  Was  sollen  wir  von  der  Baukunst  sagen,  von 
der  Schiffahrtskunde?  Aber  Avie.  ragt  über  alle  staunenswerten  Er- 
Erfindung der  findungen  die  Geisteshöhe  dessen  hervor,  der  das  Mittel  ersann,  die 
werter*  auane  Gedanken  jedwedem  Anderen  mitzuteilen,  wie  weit  entfernt  durch 
Raum  und  Zeit  er  auch  sein  mag?  zu  dem  zu  reden,  der  in  Indien 
weilt?  zu  denen  zu  reden,  die  noch  nicht  geboren  sind,  die  erst  nach 
tausend  und  zehntausend  Jahren  geboren  sein  werden?  Und  mit 
welcher  Leichtigkeit?  Durch  verschiedene  Verbindung  einiger  zwanzig 
Zeichen  auf  einem  Blatt  Papier.  Das  mag  uns  als  Krone  aller  be- 
wundernswerten Erfindungen  der  Menschen  gelten  und  den  Beschlufs 
unserer  heutigen  Gespräche  bilden.  Die  heifseste  Tageszeit  ist  vor- 
über, und  Signore  Salviati  wird  gerne,  glaube  ich,  sich  miserer  Kühle 
bei  einer  Gondelfahrt  erfreuen  wollen.  Morgen  werde  ich  Euch  beide 
erwarten,  um  die  begonnenen  Unterredungen  fortzusetzen. 


119.] 


Zweiter  Tag. 

Salv.  Wir  sind  gestern  vom  geraden  Wege  unserer  ErJh'terungen 
so  oft  und  so  weit  abgekommen,  dafs  ich  schwerlich  ohne  Euere  Hilfe 
wieder  ins  rechte  Geleise  komme  und  fortfahren  kann. 

Sagr.  Ich  finde  es  sehr  begreiflich,  dafs  Ihr  Euch  einigermafsen 
in  Verwirrung  befindet,  wo  ihr  den  Kopf  über  und  über  voll  habt 
mit  dem  bereits  Vorgetragenen,  wie  mit  dem  noch  Vorzutragenden. 
Ich  hingegen,  der  ich  als  blofser  Zuhörer  nur  das  Vernommene  im 
Gedächtnis  zu  behalten  brauche,  werde  hofl'entlich  durch  kurze  Zu- 
sammenfassung des  Bisherigen  den  Faden  unserer  Untersuchung  ent- 
wirren können.  Sofern  mich  also  mein  Gedächtnis  nicht  täuscht,  war 
der  Hauptgegenstand  unserer  gestrigen  Gespräche  der,  dafs  wir  von 
Grund  aus  prüften,  welche  der  beiden  Meinungen  wahrscheinlicher 
mid  begründeter  sei:  diejenige,  nach  welcher  die  Substanz  der  Him- 
melskörper unerzeugbar,  unzerstörbar,  unveränderlich,  unempfindlich, 
kurz  abgesehen  von  der  Ortsveränderung  jedem  Wechsel  entrückt 
ist,  und  darum  ein  fünftes  Element  darstellt,  welches  durchaus  ver- 
schieden ist  von  unseren  elementaren,  erzeugbaren,  zerstörbaren,  ver- 
änderlichen Körpern;  oder  die  andere  Ansicht,  nach  welcher  ein  solches 
Mifsverhältnis  zwischen  den  Teilen  des  Weltalls  in  Wegfall  kommt, 
die  Erde  vielmehr  sich  derselben  Vorzüge  erfreut,  wie  die  übrigen  das 
Weltall  zusammensetzenden  Körper,  mit  einem  Worte  ein  freibewegter 
Ball  ist,  so  gut  wie  der  Mond,  Jupiter,  Venus  oder  ein  anderer  Planet. 
Wir  hoben  zuletzt  viele  Übereinstimmungen  im  einzelnen  zwischen  der 
Erde  und  dem  Monde  hervor  und  zwar  mehr  mit  dem  Monde  als  mit 
einem  anderen  Planeten,  wohl  wegen  der  genaueren  mid  sinnlich  greif- 
bareren Kenntnis,  die  wir  infolge  seiner  geringeren  Entfernung  über 
ihn  besitzen.  Nachdem  wir  schliefslich  zu  dem  Ergebnis  gekommen 
sind,  diese  zweite  Meinung  habe  die  gröfsere  Wahrscheinlichkeit  für 
sich,  verlangt  es,  wie  mir  scheint  die  Folgerichtigkeit,  dafs  wir  die 
Frage  prüfen,  ob  die  Erde  für  imbeweglich  zu  halten,  wie  bisher  von 
den  meisten   geglaubt   wurde,  oder  für  beweglich,    wie    einige  Philo- 


1]^2  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [120.  121.] 

soplien  des  Altertums  glaubten  und  einige  neuerdings  meinen:  und 
wenn  für  beweglich,  wie  bescliaffen  ihre  Bewegung  sein  mag. 

Salv.  Nun  weifs  ich  wieder  genau,  welchen  Weg  wir  einzuschlagen 
haben.  Ehe  wir  aber  weiter  zu  gehen  beginnen,  möchte  ich  mir  eine 
Bemerkung  betreffs  Euerer  letzten  Worte  erlauben.  Ihr  sagtet,  wir 
seien  zu  dem  Ergebnis  gekommen:  die  Meinung,  nach  welcher  die  Erde 
für  gleichartig  mit  den  Himmelskörpern  gehalten  wird,  sei  wahr- 
scheinlicher als  die  entgegengesetzte.  Dies  habe  ich  jedoch  nicht  be- 
hauptet, ebensowenig,  wie  ich  irgend  eine  andere  der  streitigen  Lehren 
als  erwiesen  betrachten  werde.  Ich  habe  nur  die  Absicht  gehabt,  für 
und  gegen  beide  Ansichten  die  Gründe  imd  Gegengründe,  die  Ein- 
wände und  deren  Beseitigung  zur  Sprache  zu  bringen,  welche  andere 
bis  jetzt  vorgebracht  haben,  sowie  einiges  Neue,  auf  das  ich  durch 
langes  Nachdenken  gestofsen  bin.  Die  Entscheidimg  aber  stelle  ich 
dem  Urteil  anderer  anheim. 

Sagr.  Ich  hatte  mich  von  meiner  eigenen  Empfindung  fortreifsen 
lassen.  In  dem  Glauben,  andere  müfsten  ebenso  denken  wie  ich,  habe 
ich  verallgemeinert,  was  ich  beschränkter  hätte  ausdrücken  sollen. 
Ich  habe  mir  wirklich  einen  Irrtum  zu  schulden  kommen  lassen, 
namentlich  da  ich  die  Ansicht  des  hier  anwesenden  Signore  Simplicio 
nicht  kenne. 

Simpl.  Ich  gestehe,  die  ganze  letzte  Nacht  überdachte  ich  noch- 
mals unsere  gestrigen  Erörterungen  und  finde,  sie  enthalten  in  der 
That  viel  Schönes,  Neues  und  Treffendes.  Bei  alledem  fühle  ich  mich 
doch  weit  mehr  durch  das  Ansehen  so  grofser  Schriftsteller  bewogen, 
mid  insbesondere  —  Ihr  schüttelt  den  Kopf,  Signore  Sagredo,  und 
lächelt,  als  ob  ich  ganz  etwas  Ungeheuerliches  sagte. 

Sagr.  Ich  lächle  nur,  aber  glaubt  mir,  ich  ersticke  fast,  um  nicht 
laut  vor  Lachen  herauszuplatzen  5  denn  Ihr  habt  mich  an  eine  präch- 
tige Geschichte  erinnert,  bei  welcher  ich  vor  einigen  Jahren  Zeuge 
war,  gleichzeitig  mit  einigen  anderen  befreundeten  Edelleuten,  deren 
Namen  ich  Euch  noch  nennen  könnte. 

Salv.  Es  Avird  gut  sein,  wenn  Ihr  uns  die  Sache  erzählt,  sonst 
möchte  Signore  Simplicio  vielleicht  bei  der  Meinung  beharren,  er  sei 
es,  der  Euch  lachen  gemacht. 

Sagr.  Es  sei.  Ich  befand  mich  eines  Tages  im  Hause  eines  in 
Venedig  sehr  angesehenen  Arztes,  wohin  öfters  Leute  kamen,  teils 
ihrer  Studien  wegen,  teils  aus  Neugier,  um  eine  Leichensektion  von 
der  Hand  eines  ebenso  wahrhaft  gelehrten,  wie  sorgfältigen  und  ge- 
schickten Anatomen  ausführen  zu  sehen.  Diesen  Tag  nun  geschah  es, 
>fo°rTeine3Phiio-dafs  man  den  Urspi-ung  und  den  Ausgangspunkt  der  Nerven  aufsuchte, 


I 


[121.  122.]  Zweiter  Tag.  113 

welches  eine  bertilimte  Sti'eitfrao-e  zwischen  den  Ärzten  aus  der  Schule  sophen  bei  Ge- 

°  ,  .  .       legeuhoit  der 

des  Galen  und  den  Peripatetikern  ist.M    Als  nun  der  Anatom  zeigte,  wieAufsuchung  des 

^  '  °.    '  Nervenur- 

der  Hauptstanim  der  Nerven,  vom  Gehirn  ausgehend,  den  Nacken  ent-      sprungs. 

lang  zieht,  sich  durch  das  Rückgrat   erstreckt   und   durch   den  ganzen 

Körper  verzweigt,  und  wie  nur  ein  ganz  feiner  Faden  von  Zwirnsdicke 

zum  Herzen  gelangt,  wendete  er  sich  an  einen  Edelmann,  der  ihm  als 

Peripatetiker  bekannt  war,  und  um  dessentwillen  er  mit  aufserordent- 

licher  Sorgfalt    alles  blofsgelegt   und  gezeigt  hatte,  mit  der  Frage,  ob 

er   nun  zufrieden   sei   mid   sich   überzeugt   habe,    dafs   die   Nerven   im  rrsprmig  der 

_  ,  Nerven  nach 

Gehirn  ihren  Ursprung  nehmen  und  nicht  im  Herzen.     Worauf  unser  Aristoteles  und 

nach  Ansicht 

Philosoph,    nachdem   er  ein    V\' eilchen   in   Gedanken    dagestanden,    er-    der  Ärzte, 
widerte:    Ihr  habt   mir   das   alles    so   klar,    so    augenfällig   gezeigt   — 
stünde   nicht   der  Text   des  Aristoteles   entgegen,   der   deutlich   besagt, 
der  Nervenursprung  liege   im  Herzen,    man   sähe   sich  zu  dem  Zuge- 
ständnis gezwungen,  dafs  Ihr  Recht  habt. 

Simpl.  Ich  möchte  die  Herren  doch  darauf  aufmerksam  machen, 
dafs  dieser  Streit  über  den  Ursprimg  der  Nerven  keineswegs  so  aus- 
gemacht und  entschieden  ist,  wie  sich  mancher  vielleicht  einbildet. 

Sagr.  Er  wird  es  auch  zuverlässig  niemals  werden;  denn  es  wird 
nie  an  solchen  Widersachern  fehlen.  Indessen  benimmt  das,  was  Ihr 
sagt,  der  Antwort  des  Peripatetikers  nichts  von  ihrer  Wunderlichkeit-, 
denn  er  brachte  gegen  eine  so  augenscheinliche  Erfahrung  nicht  etwa 
andere  Erfahrungen  oder  Gründe  aus  dem  Aristoteles  vor,  sondern 
nichts  als  seine  Autorität,  das  blofse  ipse  dixit.'^) 

Simpl.  Aristoteles  hat  so  grofses  Ansehen  nur  durch  seine  schla- 
genden Beweise,  seine  tiefsinnigen  Untersuchungen  erlangt.  Nur  mufs 
man  ihn  verstehen,  und  nicht  nur  verstehen,  sondern  in  seinen 
Schriften  auch  so  bewandert  sein,  dafs  man  eine  vollkommene  Über- 
sicht über  sie  hat,  dafs  einem  jedes  seiner  Worte  stets  vor  der  Seele 
schwebt.  Denn  er  hat  nicht  für  den  grofsen  Haufen  geschrieben  und 
sich  nicht  den  Zwang  angethan,  seine  Schlüsse  nach  elementarer 
Weise  geordnet  an  den  Fingern  herzuzählen.  Er  bedient  sich  viel- 
mehr bisweilen  einer  verworrenen  Reihenfolge  und  bringt  den  Beweis 
einer  Behauptung  in  einem  Kapitel,  das  scheinbar  von  ganz  etwas  Erfordernisse, 
anderem  handelt.     Darum   bedarf   es    ienes    grofsen  Einblicks   in   das    weise  des 

.        .  .     .  ,.  Aristoteles  ein 

Ganze;   darum  mufs   man   diese    Stelle  mit  jener  kombimeren,    diesen  guter  Philosoph 
Paragraphen    mit   jenem    ganz    entlegenen    vergleichen.      Es    ist   kein 
Zweifel,  dafs,  wer  diese  Kunst  versteht,   aus   seinen  Büchern  die  Be- 
weise  für    alles   Erkennb3;re   schöpfen   kann;    deim  in  ihnen  ist   alles 
enthalten. 

Sagr.     Aber,  lieber  Signore  Simplicio,  weim  Euch  das  Durchein- 

Galilei,  Weltsysteme.  8 


zu  sein. 


114  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [122.  123.] 

auderwürfeln  des  Stoffes  niclit  verdriefst  und  Ihr  durch  Vergleich  und 
Kombination  einzekier  Splitterchen  die  Quintessenz  zu  erlangen  ver- 
rntteirn^  Phi-meint,  so  will  ich  die  Prozedur,  die  Ihr  und  Euere  wackeren  Kollegen 
jedem' Buchr^zumit  dem  Texte  des  Aristoteles  vornehmt,  mit  den  Versen  Virgils  oder 
erlernen.  Q^j^jg  anstellen,  will.  eiucn  Flicken  daraus  auf  den  anderen  setzen  und 
damit  alle  menschlichen  Angelegenheiten  und  Geheimnisse  der  Natur 
erklären.  Doch  wozu  brauche  ich  Virgil  oder  einen  anderen  Dichter? 
Ich  besitze  ein  weit  kürzeres  Büchlein  als  den  Aristoteles  und  den 
Ovid,  worin  alle  Wissenschaften  enthalten  sind  und  wovon  man  mit 
geringster  Mühe  die  vollkommenste  Übersicht  erlangen  kann;  es  ist 
das  Alphabet.^)  Kein  Zweifel,  durch  richtige  Anordnung  und  Ver- 
bindung dieses  und  jenes  Vokals  mit  dem  und  jenem  Konsonanten 
kann  man  die  zuverlässigste  Auskunft  über  jeden  Zweifel  erhalten, 
kann  die  Lehren  aller  Wissenschaften,  die  Regeln  aller  Künste  ge- 
mnnen;  gerade  wie  der  Maler  blofs  verschiedene  Farben  mischt,  die 
getrennt  auf  der  Palette  liegen,  von  dieser  ein  bifschen  und  von  jener 
ein  wenig,  und  daraus  Menschen,  Pflanzen,  Bauten,  Vögel,  Fische 
bildet,  kurz  alles  Sichtbare  nachahmt,  ohne  dafs  er  auf  seiner  Palette 
Augen,  Federn,  Schuppen,  Blätter  oder  Steine  hätte.  Ja  es  darf  sogar 
keines  der  nachzuahmenden  Dinge,  noch  auch  Teile  eines  solchen  sich 
wirklich  bei  den  Farben  befinden,  wenn  man  damit  alles  soll  darstellen 
können.  Wären  z.  B.  Federn  dabei,  so  könnte  man  sie  nur  gebrauchen, 
um  Vögel  oder  Federbüsche  abzumalen. 

Salv.     Ich  kenne  einige  Edelleute,  noch  heute  frisch  und  gesund, 

Avelche  zugegen  waren,  wie  ein  Doktor  an  einer  berühmten  Hochschule, 

Erfindung  des  r^jg  qj-  (J^s  vou  ihm  iioch   uicht   gesehene  Fernrohr  beschreiben  hörte, 

Fernrohrs  dem  _  " 

^"!,*°^^i,!f„'''^*' sagte,  die  Erfindimg  sei  dem  Aristoteles  entnommen.  Als  er  sich 
einen  Text  hatte  bringen  lassen,  suchte  er  eine  gewisse  Stelle  auf,  wo 
die  Gründe  abgehandelt  werden,  infolge  deren  vom  Boden  eines  sehr 
tiefen  Brunnens  die  Sterne  bei  Tag  am  Himmel  gesehen  werden 
köimen.  Er  sagte  zu  den  Umstehenden:  Hier  habt  Ihr  den  Brunnen, 
er  ist  das  Rohr;  hier  die  dichten  Dämpfe,  ihnen  ist  die  Erfindimg  der 
Linsen  nachgebildet;  hier  habt  Ihr  endlich  die  Verstärkung  der  Seh- 
kraft beim  Durchgang  der  Strahlen  durch  ein  dichteres,  dunkeles  und 
durchsichtiges  Mittel,  "^j 

Sagr.  Diese  Manier,  alles  Erkennbare  zu  umfassen,  ist  ähnlich 
der,  wonach  ein  Marmorblock  eine  oder  tausend  der  herrKchsten 
Statuen  enthält;  die  Schwierigkeit  ist  nur,  sie  ausfindig  zu  machen. 
Wir  dürfen  auch  sagen,  es  gehe  damit  wie  mit  den  Weissagungen 
Joachims^)  oder  den  Orakelsprüchen  der  Alten,  die  man  erst  nach 
dem  Ausgang  der  vorhergesagten  Dinge  versteht. 


nommen. 


[123.  124.]  Zweiter  Tag.  115 

Salv.  Denkt  Ihr  nicht  auch  an  die  Voraussagimgen  der  Astro- 
logen, die  aus  dem  Horoskop,  d.  h.  aus  der  Stellung  der  Gestirne, 
nachträglich  so  klar  herauszulesen  sind?^) 

Sagr.  Ebenso  steht  es  mit  der  Entdeckung  der  Alchymisten'),  die 
geleitet  von  dem  hnmor  melancholicus,  finden,  dafs  in  Wahrheit  alle  die   Alchymisten 

deuten  in  die 

erhabensten  Geister  der  Menschheit,  über  nichts  geschrieben  haben,  als    Fabein  der 

-.1  TT  IT  1  •     Dichter  das  Ge- 

über  die  Kunst,  Gold  zu  machen.  Um  nun  aber  diese  zu  lehren,  ohne  sie  heimnis  Goid  zu 
allem  Volke  zu  verraten,  habe  einer  diese,  der  andere  jene  Weise  aus- 
geheckt, um  unter  mancherlei  Einkleidimg  das  Geheimnis  anzudeuten. 
Nichts  ist  lustiger,  als  ihre  Kommentare  zu  den  alten  Dichtern  zu 
hören,  in  welchen  sie  die  wichtigsten  Mysterien,  versteckt  im  Gewände 
der  Fabeln,  aufspüren:  was  die  Liebeshändel  der  Mondgöttin  bedeuten, 
ihr  Herniedersteigen  zur  Erde  um  Endymious  willen,  ihr  Zorn  gegen 
Aktäon;  wann  Jupiter  sich  in  einen  Goldregen,  wann  in  glühende 
Flammen  verwandelt,  welche  tiefen  Kimstgeheimnisse  in  jenem  Mer- 
curius  Interprcs  stecken,  in  jenen  Entführungen  durch  Pluto,  in  jenen 
goldenen  Zweigen. 

Simpl.  Ich  glaube  und  bin  in  manchen  Fällen  gewifs,  dafs  es  nicht 
an  recht  wunderlichen  Köpfen  fehlt;  aber  deren  Albernheiten  dürfen 
nicht  zu  Ungunsten  des  Aristoteles  ausgebeutet  werden,  von  dem  Ihr, 
wie  mich  dünkt,  bisweilen  mit  zu  wenig  Achtung  sprecht.  ■  Das  blofse 
Alter  und  der  grofse  Ruf,  den  er  sich  nach  dem  Urteile  so  vieler 
ausgezeichneter  Männer  erworben  hat,  sollten  genügen,  um  ihn  achtungs- 
wert in  den  Augen  aller  Gelehrten  erscheinen  zu  lassen. 

Salv.  So  liegt  die  Sache  nicht,  Signore  Simplicio.  Gerade  einige 
seiner  gar  zu  engherzigen  Anhänger  sind  schuld  daran  oder  würden 
vielmehr  schuld  daran  sein,  dafs  man  ihn  minder  hoch  schätzt,  wenn 
wir  ihren  seichten  Erörterungen  beipflichten  wollten.  Ihr  aber,  sagt 
mir  mit  Vergunst,  seid  Ihr  wirklich  so  einfältig,  um  nicht  einzusehen,  Manche  An- 

°  .         '  °'.  '      hänger  des 

dafs,  wenn  Aristoteles  zugegen  gewesen  wäre,  wie  er  von  dem  Doktor  Aristoteles  ver- 

"  .  .  mindern  sein 

zum  Erfinder  des  Fernrohrs  gemacht  wurde,  er  weit  mehr  über  diesen  Ansehen  da- 

^  .         durch,  dafs  sie 

aufgebracht  gewesen  wäre,  als  über  die,  welche  den  Doktor  mid  seine  es  aUzusehr  ver- 

.  .  .  .        gröfseru  wollen. 

Auslegungsweise  verlachten?  Zweifelt  Ihr  etwa,  dafs  Aristoteles  seine 
Meinung  ändern  und  seine  Bücher  verbessern  würde,  wenn  er  von  den 
neuen  astronomischen  Entdeckungen  erführe;  dafs  er  sich  zu  so  sinnen- 
fälligen Lehren  bekennen  und  alle  die  kleinen  Geister  von  sich  ver- 
bannen würde,  die  engherzig  genug  es  über  sich  gewinnen,  jedes  seiner 
Worte  aufrecht  zu  erhalten,  die  nicht  einsehen,  dafs  wenn  Aristoteles 
so  wäre,  wie  sie  ihn  sich  vorstellen,  er  ein  Dummkopf,  ein  Eigen- 
sinniger, eine  Barbarenseele,  voll  tyrannischer  Willkür  wäre,  der  alle 
anderen    als    blödes    Vieh    betrachtet    mid    den    Kundgebungen    seines 


Komische  Ge- 
schichte von 
einem  Bild- 
hauer. 


116  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [124.  125.J 

Willens  deu  Vorrang  zuspricht  vor  der  Sinneswahruehmuug,  der  Er- 
fahrimg, der  Natur  selber?  Seine  Anhänger  haben  dem  Aristoteles 
die  Autorität  verliehen,  nicht  er  hat  sie  sich  angemafst  oder  genommen. 
Weil  es  leichter  ist,  unter  dem  Schilde  eines  anderen  Schutz  zu 
suchen,  ah  offenen  Antlitzes  in  die  Schranken  zu  treten,  fürchten  sie 
und  wagen  nicht,  einen  Schritt  von  ihm  sich  zu  entfernen.  Ehe  sie 
am  Himmel  des  Aristoteles  etAvas  ändern  lassen,  leugnen  sie  dreist, 
was  sie  am  Himmel  der  Natur  erblicken. 

Sagr.  Leute  solchen  Schlags  erimiern  mich  an  jenen  Bildhauer, 
der  aus  einem  grofsen  Marmorblock,  ich  weifs  nicht,  ob  das  Bild 
eines  Herkules  oder  eines  donnernden  Jupiters  geformt  hatte.  Mit 
wunderbarer  Kunst  hatte  er  ihm  solches  Leben,  so  grause  Majestät 
zu  verleihen  gewufst,  dafs  jeden  Beschauer  Furcht  anwandelte  und 
schliefslich  der  Künstler  selbst  sich  davor  zu  fürchten  begann,  wiewohl 
Ausdruck  mid  Bewegung  das  Werk  seiner  Hände  war.  So  grofs  war 
sein  Grauen,  dafs  er  sich  nicht  erkühnt  hätte,  ihm  fürder  mit  Hammer 
und  Meifsel  zu  nahen. 

Salv.  Ich  habe  mich  oft  gewmulert,  wie  es  möglich  ist,  dafs  die 
buchstabengläubigen  Anhänger  des  Aristoteles  nicht  herausfühlen, 
welchen  Abtrag  sie  dem  Ansehen  und  dem  Rufe  desselben  thun,  und 
wie  sie,  bestrebt  seine  Autorität  zu  vergröfsern,  umgekehrt  sie  herab- 
ziehen. Denn  wenn  ich  sie  halsstarrig  Sätze  verteidigen  sehe,  die 
handgreiflich  irrig  sind,  wenn  sie  mir  einreden  wollen,  so  zieme  es 
sich  für  den  wahren  Philosophen  und  so  würde  Aristoteles  selbst  ver- 
fahren, dann  komme  ich  von  der  Meinung  zurück,  dafs  seine  Schlüsse 
auf  anderen  mir  weniger  zugänglichen  Gebieten  ihre  Richtigkeit  haben. 
Sähe  ich  sie  hingegen  auf  Gruud  offenbarer  Wahrheiten  nachgeben 
und  ihre  Meinung  ändern,  so  würde  ich  glauben,  dafs  da,  wo  sie  auf 
ihrer  Meinung  beharren,  ihre  mir  mi verständlichen  oder  unbekannten 
Beweise  zuverlässig  richtig  seien. 

Sagr.  Oder  wenn  ihr  eigener  Ruf  und  der  des  Aristoteles  in 
ihren  Augen  zu  sehr  gefährdet  schiene,  sobald  sie  zugestehen,  er  habe 
dieses  oder  jenes,  von  einem  anderen  gefundene  Ergebnis  nicht  ge- 
kannt, thäten  sie  dann  nicht  besser,  es  dennoch  in  seinen  Schriften 
ausfindig  zu  machen,  durch  Verbindung  verschiedener  Stellen,  nach 
dem  von  Signore  Simplicio  angedeuteten  Rezepte?  Denn  wenn  alles 
Erkennbare  sich  in  ihm  findet,  mufs  auch  wohl  dieses  darin  ent- 
halten sein. 

Salv.  Signore  Sagredo,  zieht  dieses  scharfsinnige  Auskunftsmittel 
nicht  ins  Lächerliche,  denn  Ihr  scheint  mir  Eueren  Vorschlag  im 
Scherze  zu  machen.     Es  ist  aber  noch  nicht  lange  her,  dafs  ein  Philo- 


[125.  126.]  Zvreiter  Tag.  117 

soph   von  bedeutendem  Rufe    ein  Buch   über   die  Seele    verfafst   hatte, 
worin   er   bei  Wiedergabe   der   aristoteh'schen  Ansicht   über   die  Frage 
der  Unsterblichkeit  viele  Citate   aus  ihm  anführte   —  nicht  die  Citate 
Alexanders**),  welche,  wie  er  sagte,  überhaupt  diesen  Gegenstand  nicht 
behandelten,   geschweige    denn   etwas    damit   Zusammenhängendes    zur 
Entscheidung    brächten    —    sondern    andere    von    ihm    an    ganz    ver- 
borgenen Stellen  gefimdene,  die  einen  gefährlichen  Beigeschmack  hatten. 
Darauf   aufmerksam   gemacht,    dafs    er   Schwierigkeiten    haben    werde, 
die   Druckerlaubnis   zu   erlangen,    schrieb   er   dem  Freunde   zurück,   er  GeeinnungsioBe 
möge  deswegen  nicht  unterlassen,  die  Erledigung  der  Sache  zu  befür-  eines  peripate- 
worten;    demi    wenn    sonst    nichts   im  Wege    stünde,    sei   es   ihm   ein       sophen.'"" 
Leichtes,   die  Lehre  des  Aristoteles  abzuändern  und   durch  andere  Er- 
klärung und  mittels   anderer  Stellen  die   entgegengesetzte  Ansicht  als 
dem  Sinne  des  Aristoteles  gemäls  nachzuweisen. 

Sagr.  Alle  Achtung  vor  diesem  Gelehrten!  Er  läfst  sich  von 
Aristoteles  kein  X  für  ein  U  machen,  er  führt  ihn  an  der  Nase  herum 
und  läfst  ihn  nach  seiner  Pfeife  tanzen.  Ihr  seht,  wieviel  darauf 
ankommt,  den  günstigen  Zeitpunkt  abzupassen.  Man  mufs  mit  Her- 
kules sich  nicht  einlassen,  wenn  er  wütet  und  rast,  sondern  wenn  er 
mit  den  mäonischen  Mägden  schwatzt.^)  Oh  der  imerhörten  Nieder- 
trächtigkeit knechtischer  Geister!  Freiwillig  sich  zum  Sklaven  zu 
machen,  an  fremde  Willensmeinungen  sich  unauflöslich  zu  ketten,  sich 
überzeugt  und  überführt  nennen  zu  müssen  durch  Gründe,  die  so 
schlagend,  so  klar  beweisend  sind,  dafs  eben  diese  Leute  nicht  recht 
wissen,  ob  sie  auch  auf  den  Gegenstand  sich  beziehen  und  ob  sie  die  Engherzigkeit 
betreffende  Behauptung  zu  erhärten  bestimmt  sind!  Das  Tollste  aber  "häii''ge7 i es 
ist,  dafs  sie  unter  einander  uneins  sind,  ob  der  Autor  selbst  für  oder  "^*°*®  *^ 
gegen  die  Behauptung  Partei  ergriffen  habe.  Heifst  dies  nicht  einen 
Götzen  von  Holz  zu  seinem  Orakel  machen?  Von  ihm  soll  man  Aus- 
kunft erwarten,  ihn  fürchten,  ihn  verehren,  ihn  anbeten? 

Simpl.  Wenn  man  sich  aber  von  Aristoteles  lossagt,  wer  soll 
Führer  in  der  Wissenschaft  sein?  Nennt  Ihr  irgend  welchen  Autor! 
Salv.  Des  Führers  bedarf  man  in  unbekannten  ^vilden  Ländern, 
in.  offener  ebener  Gegend  brauchen  nur  Blinde  einen  Schutz.  Wer  zu 
diesen  gehört,  bleibe  besser  daheim.  Wer  aber  Augen  hat,  körper- 
liche und  geistige,  der  nehme  diese  zum  Führer!  Darum  sage  ich 
nicht,  dafs  man  Aristoteles  nicht  hören  soll,  ja  ich  lobe  es,  ihn  einzu- 
sehen und  ihn  fleifsig  zu  studieren.  Ich  tadele  nur,  wenn  man  auf 
Gnade  oder  Ungnade  sich  ihm  ergiebt,  derart,  dafs  man  blindlings  nie  zu  weit  go- 
jedes  seiner  Worte  unterschreibt,  und  ohne  nach  anderen  Gründen  zUgabratTAristo- 
forschen,    diese    als   ein  unumstöfsliches   Machtgebot   anerkennen    soll.*''^*^* '^ven^^^^' 


118  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [126.  127.] 

Es  ist  das  ein  Mifsbraucli,  der  eiu  anderes  schweres  übel  im  Grefolge 
hat:  man  bemüht  sich  nicht  mehr,  sich  von  der  Strenge  seiner  Be- 
weise zu  überzeugen.  Was  kann  es  Schmählicheres  geben  als  zu  sehen, 
wie  bei  öffentlichen  Disputationen,  wo  es  sich  um  beweisbare  Behaup- 
tungen handelt,  urplötzlich  jemand  ein  Citat  vorbringt,  das  gar  oft 
auf  einen  ganz  anderen  Gegenstand  sich  bezieht  und  mit  diesem  dem 
Gegner  den  Mund  verstopft?  Wenn  Ihr  aber  durchaus  fortfahren 
wollt,  auf  diese  Weise  zu  studieren,  nennt  Euch  fernerhin  nicht  Philo- 
wer  niemals  sophcu,  nennt  Euch  Historiker  oder  Doktoren  der  Auswendiglernerei; 
darf  "sich  nicht  dcun  wcr  nlcmals  philosophiert,  der  darf  den  Ehrentitel  eines  Philo- 
phiioaophen  an-  sophcu  nicht  bcansprucheu.  —  Doch  wir  thuu  gut  dem  Ufer  wieder 
zuzusteuern,  um  nicht  in  ein  unendliches  Meer  zu  geraten,  aus  dem 
wir  den  ganzen  heutigen  Tag  über  nicht  wieder  herausfänden.  Darum, 
Signore  Simplicio,  bringt  uns  Euere  Beweise  oder  des  Aristoteles  Gründe 
Die  Welt  der  uud  Bcwcisc,  uicht  aber  Citate  und  blofse  Autoritäten;  denn  imsere 
Untersuchungen  haben  die  Welt  der  Sinne  zum  Gegenstand,  nicht  eine 
Welt  von  Papier.  Da  nun  bei  unserer  gestrigen  Untersuchung  die 
Erde  der  Finsternis  entrückt  und  an  den  weiten  Himmel  versetzt 
worden  ist,  indem  wir  zeigten,  ihre  Zugehörigkeit  zu  den  sogenannten 
Himmelskörpern  sei  doch  nicht  eine  dermafsen  widerlegte  und  über- 
wundene Ansicht,  dafs  sie  nicht  noch  einigermafsen  lebensfähig  wäre, 
so  müssen  Avir  jetzt  prüfen,  was  es  für  sich  hat,  sie  für  feststehend 
und  völlig  unbewegt  zu  halten  —  ich  meine  den  Erdball  im  ganzen  — 
und  welche  Wahrscheinlichkeitsgründe  andererseits  für  ihre  Beweg- 
lichkeit und  für  die  oder  jene  bestimmte  Art  der  Bewegung  sprechen. 
Da  ich  in  dieser  Frage  schwankend  bin,  Signore  Simplicio  aber  mit 
Aristoteles  entschieden  für  die  Unbewegtheit  eintritt,  so  mag  er 
Schritt  für  Schritt  die  Beweggründe  für  seine  Meinung  beibringen,  ich 
die  Einwände  und  die  Gründe  für  den  entgegengesetzten  Staudpunkt, 
mid  Signore  Sagredo  mag  uns  seine  Empfindungen  zu  wissen  thun 
und  uns  sagen,  auf  welche  Seite  er  sich  hingezogen  fühlt. 

Sagr.  Ich  bin  völlig  einverstanden,  unter  der  Bedingung  jedoch, 
dafs  es  auch  mir  unbenommen  bleibt,  geeigneten  Orts  vorzubringen, 
was  der  gesunde  Menschenverstand  mir  eingiebt. 

Salv.  Ich  möchte  Euch  sogar  dringend  darum  gebeten  haben: 
denn  von  den  naheliegenderen,  gewissermafsen  gröberen  Betrachtungen 
sind  seitens  der  Schriftsteller  wenige  aufser  Acht  gelassen  worden,  so 
dafs  nur  die  schwierigsten  und  verborgensten  möglicherweise  zu  ver- 
missen sind  imd  fehlen.  Und  wo  fände  sich  ein  feinerer  Kopf,  um 
diese  aufzuspüren,  als  der  des  scharf-  und  weitblickenden  Signore 
Sagredo? 


[127.  128.]  Zweiter  Tag.  119 

Sagr.  Meinetwegen  will  ich  alles  sein,  wofür  Signore  Salviati 
mich  ausgiebt,  nur  wollen  wir  um  Himmels  willen  nicht  auf  diese 
Weise  durch  Höflichkeiten  abermals  von  unserem  Gegenstände  ab- 
kommen. Jetzt  bin  ich  Philosoph,  bin  im  Hörsaal  der  Wissenschaft 
und  nicht  auf  dem  Markte  beim  Stimmenfang. 

Salv.  Beginnen  wir  also  unsere  Betrachtung  mit  der  Erwägung, 
dafs,  welche  Bewegung  auch  der  Erde  zugeschrieben  werden  mag, 
dennoch  wir,  als  deren  Bewohner  und  somit  als  Teilnehmer  an  ihrer 
Bewegung,   von  dieser   unmöglich   etwas   merken  können,   ganz  als  obDie Bewegungen 

•    1  P.       T  1  •  ■     1-      1        tS  ■        -r,        'ler  Erde  sind 

Sie  nicht  stattfände,  vorausgesetzt,  da!s  wir  nur  irdische  Dmge  m  Be-   für  ihre  Be- 

'  .  .    .  .  wohner  nicht 

tracht   ziehen.     Demgegenüber  ist  es   freilich   ebenso   notwendig,    dafs  wahrnehmbar. 

scheinbar    diese    nämliche    Bewegung    ganz    allgemein    allen    anderen 

Körpern  und   sichtbaren   Gegenständen   zukommt,    die,    von   der  Erde 

getrennt,    deren  Bewegung  nicht  mitmachen.      Die    richtige  Methode, 

um  zu  erforschen,  ob  man  der  Erde  eine  Bewegung  zuschreiben  kann 

und  welche,   besteht  also  darin,   dafs  man  untersucht  und   beobachtet, 

ob  sich  an  den  Körpern  aufserhalb  der  Erde  eine  scheinl^are  Bewegung  ßie  Erde  kann 

■  keine  anderen 

wahrnehmen    läfst,    die    gleichermafsen    ihnen    allen   zukommt.      Denn  Bewegungen be- 

'  _        _  .         sitzen  als  solche, 

eine  Bewegung,  die   beispielshalber  nur   am  Monde   wahrnehmbar  ist,weiche scheinbar 

°  ,     ^ '  ^  .  .  ^     dem  übrigen 

hingegen  mit  Venus  oder  Jupiter  oder  anderen  Sternen  nichts  zu  thun    weitau  mit 

.  ...  .  Ausnahme  der 

hat,  kann  unmöglich  der  Erde  eigentümlich  sein,  noch  sonst  wo  ihrenErde  zukommen. 
Sitz  haben  als  im  Monde.     Nun  giebt  es  eine  solche  ganz  allgemeine,  nie  tägliche  Be- 

,  -  wegung  ist 

alle    anderen    beherrschende    Bewegung,    nämlich    die,    welche    Sonne,  scheinbar  eine 

_  dem  ganzen 

Mond,  die  anderen  Planeten,  die  P^ixsterne,  kurz  das  gesamte  Weltall  weitau  durch- 

"?  ^         aus  gemeinsame 

mit    alleiniger    Ausnahme    der    Erde    insgesamt    von    Ost    nach    V\  est  Bewegung  ab- 

.  .  .  .  (-,  p   T  gesehen  von 

innerhalb    eines    Zeitraums    von    vierundzwanzig    Stunden    auszuführen     der  Erde. 
scheinen.    Diese  nun,  soweit  es  wenigstens  beim  ersten  Blick  den  An- 
schein  hat,  könnte  ebenso   gut  eine  Bewegung  der  Erde  allein  sein, 
wie  der  ganzen  übrigen  Welt  mit  Ausnahme  der  Erde.     Denn  bei  der 
einen  Annahme   wie  bei   der  anderen  würden  sich   dieselben  Erschei- 
nungen.  ergeben.      Daher  kommt  es,   dafs  Aristoteles  und  Ptolemäus,  ^^''^j^^^'^J^^^^ ^^^^J'^ 
die    diese   Erwägung    sehr   wohl   verstanden,    gegen   keine   andere   Bt?- '"j^'^^^^JJ  |^^^^" 
wegungsart  Gründe  ins  Feld  führen  als  gegen  diese  tägliche.     Nur  an  '""IgUche^B^e^^ 
einer    Stelle    bringt    Aristoteles    noch    eine   Art    Einwand    gegen    eine      «-egung. 
andere  Bewegungsart,  die  ihr  von  einem  Alten  beigelegt  wurde,  worüber 
wir  an  geeigneter  Stelle  sprechen  werden.^'') 

Sagr.  Ich  verstehe  sehr  wohl,  dafs  Euere  Erwägung  strenge 
richtig  ist.  Es  stöfst  mir  aber  ein  Bedenken  auf,  das  ich  nicht  los- 
werden kami.  Da  nämlich  Kopernikus  doch  aufser  der  täglichen  Be- 
wegung der  Erde  ihr  noch  eine  weitere  zuschreibt,  so  müfste  uns 
diese    nach    dem    eben    erörterten  Grundsatze   zwar    an    der  Erde   an- 


120  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [128.  129.] 

scheinend  unmerkbar  sein,  aber  an  dem  ganzen  übrigen  Weltall  sicht- 
bar werden.  Ich  gelange  daher  zu  dem  Schlüsse:  entweder  er  hat 
offenbar  geirrt,  wenn  er  der  Erde  eine  Bewegung  zuerteilt,  zu  der 
kein  Gegenstück  am  gesamten  Himmelsgewölbe  zum  Vorschein  kommt, 
oder  ein  solches  Gegenstück  ist  vorhanden,  dann  läfst  Ptolemäus  sich 
einen  zweiten  Fehler  zu  schulden  kommen,  weil  er  diese  Bewegung 
nicht  ebenso  mit  Gründen  widerlegt,  wie  er  jene  widerlegt  hat. 

Salv.     Euer  Bedenken  ist  sehr  gerechtfertigt.    Wenn  wir  von  der 
anderen    Bewegungsart    handeln    werden,    sollt    Ihr    sehen,    wie    hoch 
Kopernikus    an    durchdringendem    Scharfsinn    über    Ptolemäus    steht, 
indem  er  gesehen  hat,  was  dieser  nicht  sah,   nämlich  wie   wunderbar 
sich  jene  zweite  Bewegung  in  der  Gesamtheit  der   übrigen  Himmels- 
körper wiederspiegelt.     Einstweilen  aber  wollen   wir  diesen  Teil  auf- 
schieben und   zu   unserer  ersten  Betrachtung  zurückkehren.     Ich  will 
vom  Allgemeinsten  ausgehend  die  Gründe  vortragen,  welche  zu  Gunsten 
der  Bewegung  der  Erde  zu  sprechen  scheinen,  um  sodann  von  Signore 
Simplicio   die   Gegengründe    zu  vernehmen.     Erstlich  also:    wenn  wir 
blofs  den  ungeheueren  Umfang  der  Sternensphäre   betrachten  im  Ver- 
gleich zu  der  Kleinheit  des  Erdballs,   welcher  in  jener  viele  Millionen 
Mal  enthalten  ist,   imd  sodami   an  die  Geschwindigkeit  der  Bewegung 
Warum  die    dcukeu,  iufolgc  dcrcu  in  einem  Tage  und  einer  Nacht  eine  ganze  Um- 
wegung  wahr-  drchung    vollzogcu    wird,    so    kann    ich    mir   nicht    einreden,    wie    es 
Erde  allein  als  jemand  für  Vernünftiger  und  glaublicher  halten  kann,  dafs  die  Himmels- 
weitaii  zu-    Sphäre  es  sei,  die  sich  dreht,  der  Erdball  hingegen  fest  bleibt. 

Sagr.  Wenn  sämtliche  Naturerscheinungen,  die  von  diesen  Be- 
wegungen abhängig  sind,  genau  ebenso  gut  aus  der  einen  Amiahme 
wie  aus  der  anderen  sich  erklären  lassen,  so  möchte  ich  nach  dem  ersten 
allgemeinen  Eindruck  die  Ansicht,  welche  das  ganze  Weltall  sich  be- 
wegen läfst,  um  die  Festigkeit  der  Erde  aufrecht  zu  erhalten,  für 
noch  unvernünftiger  halten,  als  weim  jemand  auf  die  Spitze  Euerer 
Kuppel  stiege ^^),  blofs  zu  dem  Zwecke,  um  eine  Aussicht  auf  die 
Stadt  und  ihre  Umgebung  zu  haben,  und  nun  verlangte,  dafs  man  die 
ganze  Gegend  sich  um  ihn  drehen  lasse,  damit  er  nicht  die  Mühe 
hätte,  den  Kopf  zu  wenden.  Es  müfsten  jedenfalls  viele  grofse  Vor- 
züge mit  dieser  Annahme  verbunden  sein,  welche  jener  abgehen,  damit 
eine  solche  Absurdität  in  meinen  Augen  ausgeglichen  und  aufgewogen 
würde,  und  sie  mir  glaublicher  vorkäme  als  die  entgegengesetzte  An- 
sicht. Aber  Aristoteles,  Ptolemäus  mid  Signore  Simplicio  müssen  doch 
wohl  ihren  Vorteil  dabei  finden  und  es  wird  gut  sein,  dafs  auch  wir  diese 
Vorzüge  hören,  wemi  solche  vorhanden  sind,  oder  dafs  man  mir  erklärt, 
Avarum  sie  nicht  vorhanden  sind  imd  nicht  vorhanden  sein  können. 


[129.  130.]  Zweiter  Tag.  121 

Salv.  Wie  ich  trotz  alles  Nachdenkens  keinerlei  Verschiedenheit 
hahe  finden  können,  so  glaube  ich  sogar  gefunden  zu  haben^  dafs  eine 
solche  Verschiedenheit  unmöglich  vorhanden  sein  kann.'^)  Nach 
meiner  Ansicht  ist  es  daher  vergeblich,  fernerhin  darnach  zu  suchen; 
merkt  also  auf.  Die  Bewegung  ist  nur  insofern  Bewegung  und  wirkt 
als  solche,  als  sie  in  Bezug  steht  zu  Dingen,  die  ihrer  ermangeln. 
Unter  Dingen  aber,  die  alle  gleichmäfsig  von  ihr  ergriffen  sind,  ist 
sie  wirkungslos,   so  sjut  als  ob  sie  nicht  stattfände.     Die  Waren,   mit  i-ür  ninge,  die 

.  .  .  .  .  .  gleithmafs-igvon 

welchen    ein   Schiff   beladen    ist,    bewegen    sich   insofern,    als   sie   von  einer  Bewegung 

ergriffen  sind, 

Venedig  abgehen  und  über  Korfu,  Kandia,   Cypern  nach  Aleppo   ge-  ist  diese  so  gut 
langen;    denn  Venedig,   Korfu,   Kandia   u.  s.  w.   bleiben  und  bewegen handen  und  übt 

.  .  nur  eine  Wir- 

sich  nicht  mit  dem  Schiffe.     Hingegen  ist  für  die  Warenballen,  Kisten  kung  bezüglich 

.  der  Dinge,  die 

und  sonstigen  Gepäckstücke,  die  als  Ladung  oder  Ballast  auf  dem  sich  nicht  an 
Schiffe  sind,  bezüglich  des  Schiffes  selbst  die  Bewegung  von  Venedig 
nach  Syrien  so  gut  wie  nicht  vorhanden,  ihre  gegenseitige  Lage 
ändert  sich  in  keiner  Weise;  und  zwar  rührt  dies  daher,  dafs  die  Be- 
wegung eine  gemeinschaftliche  ist,  an  welcher  sich  alles  beteiligt. 
Wenn  von  den  im  Schiffe  befindhchen  Waren  ein  Ballen  nur  einen 
Zoll  von  einer  Kiste  sich  entfernt,  so  wird  dies  für  ihn  eine  gröfsere 
Bewegung  in  Bezug  auf  die  Kiste  sein,  als  die  Reise  von  zweitausend 
Miglien,  die  sie  in  Gemeinschaft  zurücklegen. 

Simpl.  Diese  Lehre  ist  richtig,  wohl  begründet  und  durchaus 
peripatetisch. 

Salv.     Ich  halte   sie  für   älter  und   vermute,   dafs  Aristoteles,   als 
er   sie   von    irgend   welcher   guten   Schule   übernahm,    sie   nicht   völlig  A^L'loTeies,  den 
verstand,    sie    darum    in    veränderter   Form   niederschrieb    und    so   die  "gangem  ^t- 
Ursache    einer    verworrenen    Auffassimg    geworden    ist    unter    Beihilfe  .,bgeä"nd'err  haV 
derer,    die   jedes    seiner  Worte    aufrecht    erhalten    wollen.      Wenn   er 
schreibt,  dars  alles,  was  sich  bewegt,   sich  auf  etwas  Unbewegtem  be- 
wege ^^),    so   vermute   ich,   dafs    dies   mifsverständlich    gesagt  ist  statt: 
alles,   was  sich  bewegt,   bewegt  sich  in  Bezug  auf  etwas  Unbewegtes. 
Diese   Behauptung  hat   nicht    die    geringste   Schwierigkeit,   die   andere 
ihrer  viele. 

Sagr,  Ich  bitte  Euch,  lafst  ims  nicht  den  Faden  verlieren  mid 
setzt  die  begonnene  Untersuchung  fort. 

Salv.  Da  also  offenbar  die  Bewegung,  welche  vielen  beweglichen 
Körpern  gemeinsam  zukommt,  wirkungslos  und  in  Bezug  auf  die 
relative  Lage  derselben  gegen  einander  so  gut  wie  nicht  vorhanden 
ist  —  es  ändert  sich  ja  nichts  unter  ihnen  —  und  da  sie  blofs  auf 
die  relative  Lage  zu  solchen  Körpern  wirkt,  die  sich  an  der  Bewegung 
nicht    beteiligen  —   hier   nämlich   ändert    sich    das    gegenseitige   Ver-  dafs  die  tsg- ' 


122  Dinlog  über  die  Weltsysteme.  [130.  131.] 

liehe  Bewegiingliältnis  —  da  wir  ferner  das  Weltall  in  zwei  Teile  zerlegt  haben, 
kommt.  deren  einer  unbedingt  beweglich,  der  andere  unbeweglich  sein  mufs, 
so  kommt  es  für  alle  Folgen  dieser  Bewegung  auf  dasselbe  hinaus, 
ob  man  die  Erde  allein  sich  bewegen  läfst  oder  das  ganze  übrige 
Weltall.  Denn  die  Wirkung  einer  solchen  Bewegung  besteht  in  nichts 
anderem  als  in  der  gegenseitigen  Lage,  in  welche  die  Erde  und  die 
Himmelskörper  geraten,  und  aufser  dieser  gegenseitigen  Lage  ändert 
sich  nichts.  Wenn  es  nun  zur  Erziehmg  genau  derselben  Folgen 
gleichgültig  ist,  ob  die  Erde  allein  sich  bewegt  und  das  ganze  übrige 
Weltall  ruht  oder  die  Erde  ruht  und  das  ganze  Weltall  in  gemein- 
samer Bewegung   begriffen   ist:   wer   möchte  dann   glauben,   die  Natur 

Die  Natur  bietet —  wclche  doch  uach  allgemeiner  Ansicht  nicht  viele  Mittel  aufbietet, 

nicht  viele  '^  '  . 

Mittel  auf,  wo  wo   sie   mit   wenigen   auskommen   kann    —    habe    es   vorgezogen,    eine 

sie  mit  wemgen  •    i       i 

auskommt,    imcrmc  fsHche   Zahl   gewaltigster   Körper   sich    bewegen   zu    lassen  und 

zwar  mit  unglaublicher  Geschwindigkeit,   um  zu  bewirken,  was  durch 

die   mäfsige  Bewegung   eines   einzigen   um   seinen   eigenen  Mittelpunkt 

sich  erreichen  liefse? 

Simpl.      Ich  begreife   nicht   recht,   dafs    jene   mächtige   Bewegung 

für  die  Sonne,   den  Mond,   die  anderen  Planeten  und   die   unzählbare 

Schar  der  Fixsterne  so  gut  wie  nicht  vorhanden  sein  soll.    Nennt  Ihr 

denn  das  nichts,  wenn  die  Sonne  aus  einem  Meridian  in  einen  anderen 

AuB  der  tag-   tritt,   über  diesen  Horizont  emporsteigt,   unter  jenen   hinabsinkt,   bald 

wegung  eut-   Tag  bringt,  bald  Nacht,   wenn  der  Mond  ähnliche  Änderungen  durch- 
springt keinerlei  .  .  .-.„.'  „ 
veiändtru..g  macht  uud  desgleichen  die  anderen  Planeten  sowie  die  Iixsterne? 

körper  unter  Salv.     Alle    vou    Euch    aufgezählten    Veränderungen    sind    solche 

einander,  alle  _  _ 

Veränderungen  uxu'  lü  Bczug  auf  die  Erde.     Um  Euch  davon  zu   überzeugen,   denkt 

beziehen  sich  auf  .  .  i      •  *      n  i      tt 

die  Eide.    Euch  uur  die  Erde  weg;   es  giebt  dann  keinen  Auf-  noch  Untergang 
der  Sonne  oder  des  Mondes,  keine  Horizonte,  keine  Meridiane,  keinen 
Tag,  keine  Nacht:   kurz,  durch  besagte  Bewegung  wird  keinerlei  Ver- 
änderimg in  dem  Verhältnis  des  Mondes  zur  Sonne  oder  irgend  welchen 
anderen    Gestirnen    hervorgerufen,    seien    es    Planeten    oder  Fixsterne. 
Alle  Veränderungen  haben  vielmehr  Bezug  auf  die  Erde,    sie  kommen 
im  Grunde   nur  darauf  hinaus,   dafs   die   Sonne   erst  für  China,   dann 
für  Persien,   nachher  für  Ägypten,   Griechenland,  Frankreich,   Spanien, 
Amerika  u.  s.  w.  sichtbar  wird  imd  dafs  ein  gleiches  mit  dem  Monde 
und   den    übrigen  Himmelskörpern    geschieht.      Es    spielt    sich    genau 
derselbe  Vorgang  in  ganz  derselben  A^'eise  ab,  wenn  man,  ohne  einen 
so    grofsen    Teil    des    Weltalls    zu    behelligen,    den    Erdball    sich    um 
Zweite  Bestäti-  sich    sclbcr  drehen    läfst.   —    Die    Sch-svierigkeit   verdopj)elt   sich   aber, 
^"lifherBe-^'  insofern  eine  zweite  sehr  bedeutende   hinzutritt,      ^^'enn   man  nämUch 
^'^E^rde.'^'"^  jene  gewaltige  Bewegung  dem  Himmel  beilegt,  mufs  man  notwendiger- 


[131.  132.]  Zweiter  Tag.  123 

weise  diese  als  entgegengesetzt  den  besonderen  Bewegungen  der  sämt- 
lichen Planetensphären  ansehen,  die  alle  unstreitig  ihre  eigene  Be- 
wegung von  Westen  nach  Osten  haben  und  zwar  eine  sehr  gemäch- 
liche und  gemäfsigte.  Man  wird  dann  zur  Annahme  genötigt,  dafs 
sie  von  jener  reifsend  schnellen  täglichen  Bewegung  nach  der  entgegen- 
gesetzten Richtimg  fortgerissen  werden,  nämlich  von  Ost  nach  West. 
Läfst  man  hingegen  die  Erde  sich  um  sich  selber  bewegen,  so  fällt 
der  Gegensatz  der  Bewegmigen  hinweg  und  die  blofse  Bewegimg  von 
West  nach  Ost  schmiegt  sich  allen  Thatsachen  an,  erklärt  sie  alle  aufs 
befriedigendste. 

Simpl.     Was   den  Gegensatz   der   Bewegungen   betrifft,   so   würde  Einen  Gegen- 
das  wenig  zu  bedeuten  haben      Denn  Aristoteles  beweist,  dafs  Kreis-  kreisförmigen 

Bewegungen 

bewegimgen  nicht  einander  entgegengesetzt  sind,   und  dafs  der  schein-  giebt  es  nicht 

1  n  i        1      •     -1  •    1  •   ?i-    1  1  1       PH   nach  Aristoteles. 

bare  Gegensatz    bei   ihnen   nicht   wirklich   so   genannt   Averden   darf. ") 

Salv.  Beweist  das  Aristoteles  oder  behauptet  er  es  nur,  weil  es 
ihm  für  einen  gewissen  Zweck  j)afst?  Wenn  nach  seiner  eigenen  Ver- 
sicherimg dasjenige  einander  entgegengesetzt  ist,  was  sich  wechsel- 
seitig zerstört,  so  läfst  sich  nicht  absehen,  weswegen  zwei  bewegte 
Körper,  die  auf  einer  Kreislinie  einander  begegnen,  einander  weniger 
zu  leide  thun  sollen,  als  wenn  sie  auf  einer  geraden  Linie  einander 
begegneten. 

Sagr.  Bitte,  haltet  einen  Augenblick  ein.  Sagt  mir,  Signore 
Simplicio,  wenn  zwei  Ritter  auf  offenem  Felde  mit  eingelegter  Lanze 
aufeinander  losremien,  wenn  zwei  ganze  Geschwader  oder  zwei  Flotten 
zur  See  einander  beremien,  durchbohren  und  versenken,  würdet  Ihr 
solche  Zusammenstöfse   als   entgegengesetzte  Bewegungen   bezeichnen? 

Simpl.     Wir  nennen  sie  allerdings  entgegengesetzt. 

Sagr.  Wieso  gäbe  es  also  keinen  Gegensatz  bei  Kreisbewegungen? 
Da  die  genannten  Bewegimgen  auf  der  Erd-  oder  AYasseroberfläche 
stattfinden,  die  bekamitlich  beide  kugelförmig  sind,  so  stellen  sie  sich 
als  kreisförmig  heraus.  Wifst  Ihr,  Signore  Simplicio,  welche  Kreis- 
bewegungen nicht  einander  entgegengesetzt  sind?  Die  zweier  Kreise 
welche  einander  von  aufsen  berühren  und  von  denen  die  Umdrehung 
des  einen  von  selbst  die  des  anderen  in  umgekehrtem  Sinne  bewirkt. 
Ist  aber  ein  Kreis  im  Innern  des  andern,  so  müssen  nach  verschiedeneu 
Seiten  gerichtete  Bewegungen  auch  einander  entgegengesetzt  sein. 

Salv.  Entgegengesetzt  übrigens  oder  nicht  entgegengesetzt,  das 
ist  ein  Wortstreit.  Ich  weifs  nur,  dafs  in  Wirklichkeit  es  viel  ein- 
facher und  natürlicher  ist,  alles  mit  einer  Bewegimg  abzumachen,  als 
deren  zweie  einzuführen.  Wollt  Ihr  sie  nicht  entgegengesetzt  nennen, 
so    heilst    sie    umgekehrt.      Ich    stelle    auch    die    Einführung    dieser 


•124  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [132.  133] 

doppelten  Bewegung  nicht   als    etwas  Unmögliclies    hin   und    behaupte 

keineswegs,  daraus  einen  strengen  Beweis  für  die  Bewegung  der  Erde 

ableiten  zu  können,   sondern  nur  eine  erhöhte  Wahrscheinlichkeit  der- 

uriite  Bestäti-  sclbeu.      Die    UnWahrscheinlichkeit    verdreifacht    sich    durch    völligen 

gung  derselben  ,       .       .  /-^     i  i    i  ii        xt-  i    i  •  i      i  i   i 

Ansicht.      uuisturz   derjenigen  Ordnung,   welche   alle   Himmelskörper    beherrscht, 

bei   denen   die   Kreisbewegung  nicht   zweifelhaft,    sondern  vollkommen 

sicher  gestellt  ist.    Je  gröfser  nämlich  in  einem  solchen  Falle  die  Sphäre 

Je  grofser  die  igt^   um   SO   läugcrc  Zeit  nimmt   der   Umlauf  in  Anspruch,  je   kleiner, 

um  so  länger  um   SO    kürzcrc.     Saturn,    dessen   Bahn    an   Gröfse    die    aller   Planeten 

lauf.        übertrifft,  vollendet  sie  in  dreifsig  Jahren.    Jupiter  dreht  sich  in  seinem 

kleineren  Kreise   in  zwölf  Jahren   um,   Mars   in   zweien,   der  Mond  in 

seinem  viel  kleineren  innerhalb  eines  Monats.     Ebenso   deutlich  sehen 

Umlaufszeiten  wir   bci   dcu  Mcdiceischcn  Gestirnen^'')   das   dem  Jupiter   zunächst   be- 

der  Medice!-  .  .  _  rj    •,  -i*!- 

sehen  Gestirne. nachbartc     sciuen    umlaui    m    ganz    kurzer    Zeit,     namlich    m    etwa 

42  Stunden  abmachen,   das  folgende  in  etwa  drei  und  ein  halb  Tagen, 

das  dritte  in  sieben  und  das  entfernteste   in  sechszehn  Tagen.     Diese 

durchgehends   befolgte  Regel  wird    nun   bestehen  bleiben,    wenn  man 

24-stüudige  Be-  die  24-stündige  .Bewegung    einer   Drehung    der  Erde    zuschreibt;    will 

höchsten  sphäreman  abcr  die  Erde  unbewegt  lassen,  so  mufs  man  zuerst  von  der  ganz 

durchbricht  die  -nii-nTi  •  n  ii 

Ordnung  in  den  kurzen    Rcgcl    dcs    Moudcs    ZU    immer    grölseren    übergehen,    zu    der 
niederen,      zweijährigen  des  Mars,  von  da  zu  der  zwölfjährigen  Jupiters,  von  hier 
zu  der  30-jährigen  Saturns,  nun  aber  plötzlich  zu  einer  unvergleichlich 
viel  gröfseren  Sphäre,    der   man   gleichwohl   eine   volle  Umdrehung  in 
24  Stunden   beilegen   mufs.      Dabei   ist   dies    noch   diejenige  Annahme, 
Avelche  die  geringste  Störung  der  sonst  befolgten  Ordnung  herbeiführt. 
Denn  wollte   man  von  der  Saturnsphäre   zu  der  Fixsternsphäre  über- 
gehen und  sie  um  soviel  gröfser  annehmen,    als  es  ihrer  aufserordent- 
lich  langsamen  Umlaufszeit  von  vielen  tausend  Jahren"')  entspricht,  so 
müfste  man  mit  noch  viel  unverhältnismäfsigerem  Sprunge  von  dieser 
zu  einer  anderen  noch  gröfseren  übergehen  und  sie  mit  einer  24-stün- 
digen  Umdrehungsperiode  ausstatten.    Nimmt  man  aber  eine  Bewegung 
der  Erde  an,  so  wird  die  Gesetzmäfsigkeit  der  Perioden  aufs  beste  ge- 
wahrt; von  der  trägsten  Sphäre  des  Saturn  gelangt  man  zu  den  ganz 
unbeweglichen    Fixsternen.      Man    entgeht    damit    auch    einer    vierten 
Vierte  Bestäti-  Schwierigkeit,    die  notwendigerweise    zugegeben  werden   mufs,    sobald 
GrofseUngieich-mau  die  Stemensphärc   beweglich   amiimmt.     Ich   meine  die  gewaltige 
wegungen  bei  Ungleichheit   bei    den    Bewescungen    eben   dieser   Sterne,    von  welchen 

den  einzelnen       .    ?  .  .  .  '       . 

rixaternen,    cimgc    sich    aufserordeutlich    schnell    in    ungeheueren    Kreisen    drehen 

wenn  ihre  °  ,  ... 

Sphäre  eich  be-  müfstcu,  audcrc  schr  langsam  in  ganz  kleinen  Kreisen,  da  sich  die 
einen  in  gröfserer,  die  anderen  in  geringerer  Entfernung  vom  Pole  be- 
finden.    Dies   ist  ebenfalls   ein  Übelstand;    denn    einerseits   sehen  wir 


[133—135.]  •  Zweiter  Tag.  125 

alle  diejenigen  Sterne,  deren  Beweglichkeit  unzweifelliaft  feststeht,  sich 

alle  in  gröfsten  Kreisen  drehen,  anderuteils  scheint  es  wenig  Zweck  zu 

haben,  Körper,  welche  sich  kreisförmig  bewegen  sollen,  in  ungeheuere^^.^^sungen  d^er 

Entfernung  vom  Mittelpunkte  zu  setzen  und  sie  dann  in  ganz  kleinen   *^j,chiedelln 

Kreisen  sich  bewegen  zu   lassen.     Und    nicht   nur   die  Gröfse   der  ver-^'*'*®"  schneller 

o  uud  langsamer, 

schiedenen    Kreise    und    somit    auch    die    Geschwindigkeiten    der    Be- ^.."'^'^  "^i^. 

o  Sterneusphare 

wegungen  sind  bei  diesen  und  jenen  Fixsternen  ganz  verschieden,  ^^'■'^  bewegt, 
sondern  auch  dieselben  Sterne  ändern  ihre  Bahnen  imd  ihre  Geschwin- 
digkeiten: darin  besteht  der  fünfte  Übelstand.  Diejenigen  nämlich, 
welche  vor  zweitausend  Jahren  im  Äquator  standen  und  folglich  bei 
ihrer  Bewegung  gröfste  Kreise  beschrieben,  müssen,  weil  sie  heutzu- 
tage viele  Grade  von  ihm  entfernt  sind,  sich  langsamer  und  in  kleineren 
Kreisen  bewegen.  Nach  nicht  gar  so  langer  Zeit  wird  es  sogar  ge- 
schehen, dafs  einer  von  denen,  die  sich  bisher  stets  bewegt  haben, 
schliefslich  mit  dem  Pole  zusammenfällt  uud  dami  feststeht,  nachher 
aber,  nach  einiger  Zeit  der  Ruhe,  wiederum  anfängt  sich  zu  bewegen. 
Die  anderen  Gestirne  aber,  die  sich  unzweifelhaft  bewegen,  haben  alle, 
wie  gesagt,  als  Bahn  einen  gröfsten  Kreis  und  behalten  diese  unver- 
änderlich bei.  —  Die  Unwahrscheinlichkeit  wird  noch  vermehrt  —  es 
mag  dies  als  sechster  Übelstand  gelten  —  für  denjenigen,  der  gründlich  sechste  bb- 
zu  Werke  geht,  dadurch  dafs  man  sich  nicht  vorstellen  kann,  welche 
Festigkeit  jene  ungeheuere  Sphäre  haben  mufs,  in  deren  Tiefen  so 
viele  Sterne  dermafsen  dauerhaft  befestigt  sind,  dafs  sie,  ohne  irgend- 
wie ihre  gegenseitige  Lage  zu  ändern,  trotz  solcher  Verschiedenheit 
der  Bewegungen  gleichmäfsig  im  Umschwung  erhalten  werden.  Oder 
wenn  der  Himmel,  nach  der  sehr  viel  wahrscheinlicheren  Annahme, 
flüssig  ist^^),  mithin  jeder  Stern  für  sich  seine  Bahn  beschreibt:  nach 
welchem  Gesetze  und  aus  welchem  Grimde  sollen  ihre  Bahnen  derart 
geregelt  sein,  dafs  sie  von  der  Erde  aus  gesehen  wie  in  einer  einzigen 
Sphäre  enthalten  scheinen?  Um  dies  zu  erreichen,  scheint  es  mir  um 
ebenso  viel  leichter  und  bequemer,  sie  unbeweglich  statt  wandelnd  zu 
machen,  wie  etwa  die  Pflastersteine  auf  dem  Markte  leichter  in  Ord- 
nung bleiben  als  die  Kinderscharen,  die  sich  darauf  herumtreiben. 
Schliefslich  das  siebente  Bedenken:  schreiben  wir  die  tägliche  Um-  siebente  bo- 
drehimg  der  höchsten  Himmelsregion  zu,  so  hätte  man  dieser  eine 
solche  Gewalt  und  Kraft  zu  verleihen,  dafs  sie  die  unzählbare  Menge 
der  Fixsterne  mit  sich  fortreifst,  alles  Körper  von  gCAvaltigstem  Um- 
fang und  weit  gröfser  als  die  Erde,  ferner  alle  Planetensphären,  ol)- 
gleich  diese  wie  jene  von  Natur  aus  sich  in  entgegengesetzter  llichtung 
bewegen.  ^^)  Aufserdem  mufs  man  notwendig  einräumen,  dafs  auch 
das  Element  des  Feuers  und   der  gröfsere  Teil   der  Luft  u'leicherweise 


126  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [135.  136.] 

fortgerissen  werden;  somit  widersetzt  sich  einzig  und  allein  der  kleine 
Die  freischwe-  Erdball  hartnäckig  und  eigensinnig  solcher  Kraft :  eine  Annahme,  die, 

bende,  in  einem       ..,.  .,  •ii  ti  i-i 

flüssigen  Mittel  wie  mir  schcmt.   Viel   gegen   sich   hat.      Ich   wüfste  auch   nicht  zu  er- 
Erde  scheint  klären,    wcshalb  die  Erde,  ein  freischwebender,   um  ihren  Mittelpunkt 

nicht  fähig  zum  . 

Widerstand    balancierender  Körper,  der  von  Natur  ebensowenig  zur  Bewegung  wie 

gegen  die  6e-  .  .  .  .  •  a^-        i 

wait  der  tag-  zur   Ruhc   neigt,    der   rings   umgeben    ist   von   einem   flüssigen   Mittel, 

liehen  Be-  .  »    '  °        .       "       ^  .  ^  ' 

wegung.  nicht  auch  von  der  allgemeinen  Umdrehung  ergriffen  werden  sollte. 
Auf  derartige  Übelstände  stofsen  wir  aber  nicht,  wenn  wir  die  Erde 
sich  bewegen  lassen,  einen  so  kleinen,  unbeträchtlichen  Körper  im  Ver- 
gleich zum  gesamten  Weltall,  welcher  eben  darum  diesem  keinerlei 
Gewalt  anzuthun  vermag. 

Sagr.  In  meinem  Geiste  beginnen  sich  so  verworren  mancherlei 
Gedanken  zu  regen,  die  durch  die  angestellten  Untersuchungen  mir 
erweckt  worden  sind.  Soll  ich  mit  Aufmerksamkeit  dem  weiteren 
Vortrag  folgen  können,  so  mufs  ich  versuchen,  ob  es  mir  glückt,  sie 
besser  zu  ordnen  und  soviel  Wertvolles  daraus  abzuscheiden,  als  daran 
ist,  wenn  anders  etwas  daran  ist.  Vielleicht  wird  es  mir  leichter 
durch  Abfragen  mich  deutlich  zu  machen.  Darum  frage  ich  Euch, 
Signore  Simplicio,  erstlich  ob  nach  Euerer  Ansicht  ein  und  demselben 
einfachen  beweglichen  Körper  von  Natur  verschiedene  Bewegungen 
zukommen  können,  oder  ob  ihm  nur  eine  einzige  eigentümliche  und 
natürliche  verliehen  ist. 
Ein  einfacher  Simül.     ELocm  einfachen    beweglichen   Körper    kann    nicht    mehr 

beweglicher  ...  . 

Körper  hat  nur  als  cinc  einzige  natürliche  Bewecfuns  zukommen,  alle  anderen  nur  zu- 
eine natürliche  .  ^  ..  o       o  ; 

Bewegung,  alle  fällig  und  durch  Übertragung.     Wenn  z.  B,  jemand  im  Schiffe  umher- 

wegungen  sind  spaziert,  SO  ist  die  ihm  eigentümliche  Bewegung  das  Umherspazieren-, 

diejenige  hingegen,    welche   ihn   in   den  Hafen   führt,    ist   nur   auf  ihn 

übertragen.    Durch  sein  Umhergehen  wäre  er  niemals  ans  Ziel  gelangt, 

hätte  ihn  nicht  das  Schiff  durch  seine  Bewegung  dahin  geführt. 

Sagr.  Sagt  mir  zweitens:  mufs  notwendig  die  Bewegung,  welche 
durch  Übertragung  einem  Körper  mitgeteilt  wird,  während  er  selbst 
eine  von  der  mitgeteilten  verschiedene  Bewegung  vollführt,  an  und  für 
sich  ihren  Sitz  in  irgend  welchem  Subjekte  haben  oder  kann  sie  auch 
ohne  andere  Unterlage  in  der  Natur  vorhanden  sein? 

Simpl.      Aristoteles    giebt   Euch    auf   alle    diese    Fragen   Antwort. 
Es  giebt  keine  Er  lehrt  Euch:  wie  iedem  Bewegten  eine  Bewegung  entspricht,  so  jeder 

Bewegung  ohne  ''  ^  o        o  r  ;  J 

ein  bewegliches  Bewegung  ein  Bewegtes:  und  demnach  kann  ohne  Inhärenz  an  ihrem  Sub- 

Subjekt.  .  .  .      . 

jekte  eine  Bewegung  weder  existieren  noch  auch  nur  vorgestellt  werden.''') 
Sagr.     Ich  möchte  Euch  noch  bitten,   mir  drittens  zu  sagen,    ob 
nach  Euerer  Ansicht  der  Mond  und  die  übrigen  Planeten  und  Himmels- 
körper eine  eigene  Bewegung  besitzen  und  welches  sie  ist. 


[136.  137.]  Zweiter  Tag.  127 

Simpl.  Sie  besitzen  eine  solche  und  zwar  diejenige,  vermöge 
welcher  sie  den  Tierkreis  durchlaufen,  der  Mond  in  einem  Monat,  die 
Sonne  in  einem  Jahre,  Mars  in  zweien,  die  Sternensphäre  in  so  und 
so  viel  tausend  Jahren.  Dieses  sind  ihre  eigenen,  natürlichen  Be- 
wegungen. 

Sagr.  Inwiefern  aber  kommt  ihnen  die  Bewegung  zu,  vermöge 
deren  ich  die  Fixsterne  und  vereint  mit  ihnen  alle  Planeten  in 
24  Stunden  von  Ost  nach  West  gehen  und  wieder  nach  Osten  zurück- 
kehren sehe? 

Simpl.     Das  ist  eine  auf  sie  übertragene  Bewegung. 

Sagr.  Diese  hat  also  ihren  Sitz  nicht  in  ihnen;  und  wenn  sie 
nicht  in  ihnen  ihren  Sitz  hat  mid  doch  nicht  ohne  ein  Subjekt  sein 
kann,  dem  sie  anhaftet,  mufs  man  sie  zur  eigenen  natürlichen  Be- 
wegmig  einer  weiteren  Sphäre  macheu. 

Simpl.  Diese  Rücksicht  hat  die  Astronomen  und  Philosophen  be- 
wogen, eine  andere  oberste  Sphäre  ohne  Sterne  anzunehmen,  welcher 
von  Natur  die  tägliche  Umdrehung  eignet,  das  sogenannte  primum 
mohile.  Dieses  reifst  alle  miteren  Sphären  mit  sich,  indem  seine  Be- 
wegung auf  diese  sich  mitteilt  und  überträgt. 

Sagr.  Wenn  man  aber  ohne  Einführung  neuer  unbekannter  und 
so  gewaltiger  Sphären,  ohne  neue  Übertragungen  reifseud  schneller 
Bewegungen,  jeder  Sphäre  ihre  alleinige  einfache  Bewegung  läfst  und 
nicht  entgegengesetzte  Bewegungen  mischt,  sondern  sie  alle  in  dem- 
selben Sinne  vor  sich  gehen  läfst,  wie  es  notwendig  der  Fall  sein 
mufs,  da  sie  alle  auf  dasselbe  Princip  zurückgehen,  und  wenn  alles 
dennoch  vortrefflich  geht  und  aufs  schönste  zusammenstimmt,  warum 
diesen  Standpunkt  zurückweisen,  diesen  sonderbaren  und  mühevollen 
Annahmen  hingegen  beistimmen? 

Simpl.  Die  Kunst  ist  nur,  diese  einfache  und  mühelo-e  Methode 
zu  finden. 

Sagr.  Ich  glaube,  sie  ist  fix  und  fertig.  Lafst  die  Erde  das 
primum  mobile  sein,  d.  h.  lafst  sie  in  24  Stunden  sich  um  sich  selber 
drehen  und  zwar  in  derselben  Richtung  wie  alle  anderen  Sphären. 
Ohne  dafs  dann  eine  Übertragung  von  Bewegung  auf  irgend  welchen 
Planeten  oder  Fixstern  stattfindet,  werden  alle  in  gewohnter  Weise 
auf-  und  untergehen,  kurz  alle  die  bekamiten  Erscheinungen  zeigen. 

Simpl.  Die  Frage  ist  nur,  wie  die  Erde  zu  bewegen  ist,  ohne 
dafs  tausend  Übelstände  sich  herausstellten. 

Salv.  Alle  Übelstände  werden  der  Reihe  nach  beseitigt  werden, 
wie  Ihr  sie  vorbringt.  Das  Bisherige  enthält  nur  die  ersten  und  all- 
gemeinsten   Beweggründe,    vermöge   deren    es   nicht    so   ganz   imd   gar 


128  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [137.  138.] 

unwahrscheinlich  erscheint,   wenn  man   die  tägliche  Umdrehung  lieber 

der  Erde  als  dem  ganzen  übrigen  Weltall  zuschreibt.     Ich  stelle  diese 

Ein  einziger  uicht   als   unvcrbrüchliche   Gesetze   hin,   sondern   nur   als   Gründe,    die 

ein  strenger  Be- manches  für  sich  haben.     Da  ich  recht  wohl  einsehe,  dafs  ein  einziger 

wahrscheinlich  Versuch  odcr  ein  strenger  Beweis  für  das  Gegenteil  diese  mid  hmidert- 

uichte.       tausend   andere  Wahrscheinlichkeitsgründe   völlig   zu   Schanden  macht, 

so   brauchen   wir    uns    bei    diesen  nicht   aufzuhalten,    sondern    können 

weitergehen   und   hören,   was    Signore   Simplicio   erwidert,   ob   er   eine 

gröfsere  Wahrscheinlichkeit   und   bessere   Gründe   für   die   gegenteilige 

Meinung  anzuführen  hat. 

Simpl.  Ich  will  zuerst  eine  allgemeine  Bemerkung  über  diese 
Betrachtungen  im  ganzen  machen,  dann  zu  einigen  Einzelheiten  über- 
gehen. Durchgehends  stützt  Ihr  Euch,  wie  mir  scheint,  auf  die 
gröfsere  Einfachheit  und  Leichtigkeit,  mit  welcher  die  nämlichen 
Wirkungen  sich  vollziehen;  Ihr  meint,  als  Ursache  sei  die  Bewegung 
der  Erde  allein  ebenso  ausreichend  als  die  Bewegung  des  gesamten 
übrigen  Weltalls  mit  Ausnahme  der  Erde;  den  thatsächlichen  Vor- 
gang haltet  Ihr  aber  in  jenem  Falle  für  weit  leichter  als  in  diesem. 
Darauf  erwidere  ich:  auch  mir  scheint  es  so,  wenn  ich  an  meine  nicht 
nur  endliche,  sondern  so  ganz  geringe  Kraft  denke.  Für  die  Macht 
Eine  unendliche  des   Welteuleukers    aber,    welche   unendlich    ist,    ist    es    nicht    minder 

Macht  wird 

wahrscheinlich  leicht  das  Weltall  zu   bewegen   als    die  Erde    oder    einen   Strohhalm. 

groisen  als  einen Weuu  aber  sciuc  Macht  unendlich  ist,  warum  soll  sich  nicht  lieber  ein 

ihrer  selbst  offen-grofser   als   ciu    gauz   kleiner  Teil   derselben   oifenbaren?     Von  diesem 

allgemeinen  Gesichtspunkt  scheint   mir  daher  die  Beweisführung  nicht 

schlagend. 

Salv.  Wenn  ich  irgendwie  gesagt  hätte,  das  Weltall  bewege  sich 
wegen  Ohnmacht  seines  Lenkers  nicht,  so  würde  ich  geirrt  haben 
vmd  Euere  Rüge  wäre  angebracht.  Ich  gebe  Euch  zu,  dafs  einer  un- 
endlichen Macht  es  ebenso  leicht  ist,  hunderttausend  wie  eins  zu  be- 
wegen. Was  ich  sagte,  bezieht  sich  aber  nicht  auf  den,  der  bewegt, 
sondern  auf  das,  was  sich  bewegt;  und  zwar  nicht  nur  auf  die  ihm 
iime wohnende  Widerstandskraft,  welche  unzweifelhaft  bei  der  Erde 
geringer  sein  mufs  als  beim  übrigen  Weltall,  sondern  auch  auf  die 
vielen  anderen  eben  betrachteten  Einzelheiten.  Darairf,  dafs  es  einer 
unendlichen  Macht  besser  anstehe,  einen  grofsen  Teil  ihrer  selbst  zu 
Vom  unend-   offenbaren  als  einen  kleinen,  entgegne  ich,  dafs  vom  Unendlichen  ein 

liehen  giebt  es         .,        .  .  !  &    ö  7  ^ 

nicht  einen    Teil  uicht  gröfser  ist  als  ein  anderer,  wenn  beide  endlich  sind.  '''^)     So 

gröfseren  und    . 

einen  kleineren  ist    CS    uiistatthaft    ZU   sageii,    dafs    hunderttausend   ein   gröfserer  Teil 

Teil,  wenn  diese    ,  .  .  .  ... 

auch  ungleich  ciucr  miendlicheu  Zahl  sei  als  zwei,  wenn  gleich  jenes  fünfzigtaus end- 
mal gröfser  ist  als  dieses.     Wenn  es  zur  Bewegung  des  Weltalls  einer 


' 


[138.  139.]  Zweiter  Tag.  129 

endlichen  Kraft  bedarf,  mag  sie  auch  noch  so  vielmal  gröfser  sein  als 
die  zur  Bewegung  der  Erde  allein  erforderliche,  so  würde  darum  doch 
nicht  der  in  Anspruch  genommene  Teil  der  unendlichen  Kraft  gröfser 
sein,  und  derjenige,  welcher  müfsig  bliebe,  würde  nicht  aufhören  un- 
endlich zu  sein.  Darum  ist  es  ohne  Einflufs,  ob  für  eine  besondere 
Wirkung  etwas  mehr  oder  etwas  weniger  Kraft  aufgewendet  wird. 
Überdies  hat  die  Ausübung  solcher  Macht  nicht  als  Grenze  imd  Ziel 
die  blofse  tägliche  Bewegung,  sondern  es  giebt  in  der  Welt  andere 
Bewegungen  genug,  die  uns  bekannt  sind,  und  viele  andere  uns  un- 
bekamite  mag  es  aufserdem  geben.  Wenn  wir  also  die  bewegten 
Körper  in  Betracht  ziehen  und  wenn  wir  unzweifelhaft  die  Bewegung 
der  Erde  als  einen  kürzeren  und  einfacheren  Vorgang  zu  betrachten 
haben  als  die  des  Weltalls,  wenn  wir  endlich  unser  Augenmerk  auf 
so  viele  andere  Vereinfachungen  imd  Erleichterungen  richten,  die  blofs 
durch  diese  Annahme  sich  erreichen  lassen,  so  miifs  uns  nach  dem 
sehr  richtigen  Axiome  des  Aristoteles :  frustra  fit  per  plnra  quod  potest 
fieri  per  ijauciora"^^)  die  tägliche  Bewegung  der  Erde  viel  wahrschein- 
licher vorkommen  als  die  des  Weltalls  mit  Ausnahme  der  Erde. 

Simpl.  Ihr  habt  beim  Citieren  des  Axioms  eine  Klausel  wegge- 
lassen, auf  die  alles  ankommt,  besonders  im  vorliegenden  Falle,  den 
Zusatz  nämlich  aeqiie  hene.  Es  ist  demnach  zu  prüfen,  ob  man  allen 
Anforderungen  ebenso  gut  durch  die  eine  wie  durch  die  andere  An- 
nahme genügen  kann. 

Salv.  Ob  die  eine  und  die  andere  Annahme  die  Erscheinungen 
gleich  gut  erklärt,  wird  sich  erst  aus  der  speciellen  Prüfung  der- 
jenigen Erscheinungen  ergeben,  welche  zu  erklären  sind.  Denn  vor- 
läufig haben  wir  ex  hypothesi  untersucht  und  wir  werden  ferner  so 
untersuchen,  indem  wir  voraussetzen,  dafs  zur  Erklärung  der  Erschei- 
nungen beide  Standpunkte  gleich  geeignet  sind.  Die  Partikel,  die  ich  Bei  dom  Axiom 
ausgelassen  haben  soll,  habt  Ihr  vielmehr,  wie  ich  fürchte,  überflüssig  piura  etc.  ist 

-r>.-p,,  -T-»'!  -1  •      ^^^  Zusatz  aeque 

hinzugesetzt.  Das  Ebensogut  setzt  eine  Beziehung  zwischen  wemg-ö«»«  überflüssig, 
stens  zwei  Gliedern  voraus,  da  ein  Ding  nicht  eine  Beziehimg  zu  sich 
selbst  haben  kann,  wie  es  denn  keinen  Sinn  hat  etwa  zu  sagen,  die 
Ruhe  sei  eben  so  gut  wie  die  Ruhe.  Wenn  man  also  sagt:  es  ist 
zwecklos  mehr  Mittel  anzuwenden,  wo  Aveniger  ausreichen,  so  ist  es 
selbstverständlich,  dafs  dasjenige,  was  geschehen  soll,  in  beiden  Fällen 
dasselbe,  nicht  etwas  Verschiedenes  ist.  Da  man  nun  nicht  sagen 
kami,  ein  und  dasselbe  Ding  sei  ebenso  gut  wie  es  selbst,  so  ist  dem- 
nach der  Zusatz  ebenso  gut  überflüssig  und  schliefst  eine  Beziehung 
in  sich,  bei  welcher  nur  ein  Glied  vorhanden  ist. 

Sagr.     Wenn  es   uns  nicht  wie    gestern    ergehen   soll,   lafst  uns, 

Galilei,  Weltsysteme.  9 


130  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [139.   140.] 

bitte,  auf  unseren  Gegenstand  zurückkommen.  Signore  Simplicio  mag 
die  Bedenken  vorbringen,  die  nach  seiner  Ansicht  dieser  neuen  Welt- 
ordnung entgegenstehen. 

Simpl.  Diese  Weltordnung  ist  nicht  neu,  sondern  uralt.  Zum 
Beweise  dafür  mag  dienen,  dafs  Aristoteles  sie  widerlegt  und  zwar  auf 
Aristotelische  folgende  Weise.  ^^)  „Erstlich,  wenn  die  Erde  sich  bewegte,  sei  es  um 
stiustehen  der  ^^sich  sclbst,  SO  dafs  sie  im  Mittelpunkte  des  Weltalls  steht,  sei  es 
„im  Kreise,  so  dafs  sie  nicht  im  Mittelpmikte  steht,  so  mufs  notweu- 
„dig  eine  solche  Bewegung  eine  gewaltsame  sein;  denn  es  ist  nicht 
„die  der  Erde  natürliche  Bewegung.  Wäre  es  nämlich  ihre  natürliche 
„Bewegung,  so  würde  sie  auch  jedem  Teilchen  derselben  zukommen, 
„während  doch  diese  sich  sämtlich  in  gerader  Linie  nach  dem  Mittel- 
„punkte  hin  bewegen.  Da  es  sich  also  um  eine  gewaltsame  und  wider- 
„uatürliche  Bewegung  handelt,  kann  sie  nicht  von  ewiger  Dauer  sein; 
„die  Weltordnung  ist  ewig;  also  u.  s.  w.  Zweitens:  alle  anderen  kreis- 
„formig  bewegten  Körper  bleiben  offenbar  zurück  imd  haben  mehr 
„als  eine  Bewegungsart,  mit  Ausnahme  des  prininm  möbile.'^^)  Darum 
„müfste  sich  auch  die  Erde  in  doppelter  Weise  bewegen.  Wäre  dies 
„aber  der  Fall,  so  müfsten  sich  auch  Veränderungen  an  den  Fixsternen 
„zeigen,  die  nicht  wahrzunehmen  sind.  Es  gehen  vielmehr  dieselben 
„Sterne  ohne  jede  Veränderung  stets  an  derselben  Stelle  auf  und  unter. 
„Drittens:  wie  die  Bewegung  der  Teile,  so  ist  auch  die  des  Ganzen 
„von  Natur  nach  dem  Mittelpunkte  des  Weltalls  gerichtet,  und  darum 
hat  denn  auch  die  Erde  in  diesem  ihren  Ort."  Er  bringt  dann  die 
Streitfrage  vor,  ob  die  Bewegung  der  Teile  von  Natur  nach  dem  Mittel- 
punkte des  Weltalls  oder  nach  dem  der  Erde  gerichtet  sei  und  kommt 
zum  Schlüsse,  ihr  eigentlicher  Trieb  gehe  nach  dem  Mittelpunkte  des 
Weltalls  und  nur  zufällig  auch  nach  dem  Mittelpunkte  der  Erde, 
worüber  wir  gestern  ausführlich  gesprochen  haben.""**)  Er  bekräftigt 
schliefslich  das  Nämliche  durch  ein  viertes  Argument,  das  von  dem 
Verhalten  der  schweren  Körper  hergenommen  ist.  Wenn  diese  von 
oben  nach  unten  fallen,  kommen  sie  lotrecht  auf  der  Oberfläche  der 
Erde  an,  und  ebenso  kehren  lotrecht  in  die  Höhe  geworfene  Körper 
auf  dem  nämlichen  Wege  lotrecht  nach  unten  zurück,  wären  sie  auch 
in  unermefsliche  Höhe  geschleudert  worden:  alles  unwidersprechliche 
Gründe,  dafs  ihre  Bewegung  nach  dem  Mittelpunkte  der  Erde  gerichtet 
ist,  und  dafs  diese,  ohne  sich  irgendwie  zu  bewegen,  sie  erwartet  und 
empftingt.  Er  deutet  dann  zuletzt  noch  an,  es  seien  von  den  Astro- 
nomen weitere  Gründe  vorgebracht  worden^''),  die  zur  Unterstützung 
der  gleichen  Ansicht  dienten,  dafs  die  Erde  im  Mittelpunkte  des  Welt- 
alls stehe  und  unbewegHch  sei.    Er  führt  einen  einzigen  an,  dafs  näm- 


[140.  141.]  Zweiter  Tag.  131 

lieh  alle  ErscheinuDgen,  welche  man  bei  den  Bewegungen  der  Sterne 
wahrnimmt,  mit  der  Lage  der  Erde  im  Mittelpunkte  im  Einklang 
stehen,  was  nicht  der  Fall  wäre,  wenn  sie  nicht  dort  stünde.  Die 
übrigen  von  Ptolemäus  und  von  anderen  Astronomen  vorgebrachten 
Gründe  kann  ich  gleich  jetzt  anfuhren,  wenn  Ihr  meint,  oder  später, 
nachdem  Ihr  auf  die  Gründe  des  Aristoteles  das  entgegiaet  habt,  was 
Ihr  zu  sagen  wünscht. 

Salv.  Die  Argumente,  welche  man  bei  dieser  Frage  vorbringt, 
sind   von   zweierlei  Art.      Die   einen    beziehen    sich   auf   irdische   Vor- zweierlei  Arten 

.  von  Gründen  bei 

gänge,    ohne    mit    den   bternen   irgend    etwas   zu    thun  zu   haben,   die  der  rmersu- 
anderen  sind  von  den  Erscheinungen  und  Beobachtungen  am  HimmelErde  sich  bewegt 
hergenommen.     Die   Gründe  des   Aristoteles  sind  meist  den  uns  um- 
gebenden Verhältnissen  entnommen,  er  überläfst  die  anderen  den  Astro- 
nomen.    Darum  wird  es   zweckmäfsig   sein,   wenn  es  Euch  recht  ist, 
die    von   irdischen  Erfahrungen   hergenommenen    zunächst    zu    prüfen, 
später  werden  wir  zu  der  anderen  Klasse  übergehen.     Da  aber  von    Gründe  von 
Ptolemäus,  Tycho"'')  und  anderen  Astronomen  und  Philosophen   aufser  und  anderen 

,,.  .  .  aufser  denen  des 

den  Gründen  des  Aristoteles,  die  sie  übernommen,  bestätigt  und  ver-  Aristoteles, 
stärkt  haben,  auch  neue  aufgestellt  worden  sind,  so  können  wir  diese 
sämtlich  auf  einmal  in  Erwägung  ziehen,  um  Jiachher  nicht  zweimal 
Gleiches  oder  Ähnliches  entgegnen  zu  müssen.  Darum,  Signore  SimpHcio, 
seid  so  gut  und  berichtet  entweder  selbst  über  diese,  oder  lafst  mich 
Euch  diese  Mühe  abnehmen,  ich  thue  es  gerne  Euch  zu  liebe. 

Simpl.  Es  wird  besser  sein,  Ihr  bringt  sie  vor.  Da  Ihr  Euch 
eingehender  damit  beschäftigt  habt,  sind  sie  Euch  wahrscheinlich  ge- 
läufiger und  in  gröfserer  Zahl  bekannt. 

Salv.    Als  der  schlagendste  Grund  wird  von  allen  der  die  schweren 
Körper  betreffende  betrachtet,  insofern  diese  bei  ihrem  Falle  von  oben  Erstes  Argu- 
nach  unten  in   einer  geraden  und  lotrechten  Linie   auf  der  Erdober-  men  von  dem 
fläche   anlangen;  ein  scheinbar  unwiderleglicher  Beweis   für  die  Unbe-  von  oben  nach 
weglichkeit  der  Erde.     Denn  käme  ihr  die  tägliche  Umdrehimg  zu,  so  schweren  Kör- 
würde ein  Turm,  von  dessen  Spitze  man  einen  Stein  fallen  läfst,  durch 
die  Erdrotation  fortgeführt    werden  und  demnach  während   der  Zeit, 
die  der  Stein  zum  Fall  gebraucht,  viele  Himderte  von  Ellen  nach  Osten 
sich  entfernt  haben;  um  diese  Strecke  also  müfste  der  Stein  von  dem 
Fufse  des  Turmes  entfernt  niederfallen.    Als  Bestätigung  dessen  führen 
sie   einen   weiteren  Versuch   an,  nämlich    das  Fallen    einer  Bleikugel 
von  der  Spitze   eines   Schiffsmastes.     Wenn  das  Schiff  sich  nicht  be-Bestatigung  des- 
wegt,  bringen  sie  ein  Zeichen   an  der  Stelle   an,  wo  diese  aufschlägt,^"  Beispiel  des 
und    dies    geschieht    unmittelbar    am   Fufse    des    Mastes.      Wenn    man     spitze  des 
aber  von  derselben  Stelle  aus   dieselbe  Kugel   während  der  Bewegung  den  Körpers. 


132  Dialog  über  die  Weltsysteme.  .  [141.  142.] 

des  Schiffes  fallen  läfst^  so    wird   die  Stelle   des  Aufschlags   um  soviel 
von  der  früheren  entfernt  sein,  als  das  Schiff  während  des  Falles  der 
Bleikugel  vorwärts  gefahren  ist  und  zwar  blofs  aus  dem  Grunde,  weil 
die  natürliche  Bewegung  der  sich  selbst  überlassenen  Kugel  in  gerader 
Linie  gegen  den  Mittelpunkt  der  Erde  gerichtet  ist.     Dieses  Argument 
Zweites  Argu-  gewiuut  uoch  an  Beweiskraft  durch  den  Versuch  mit  einem  sehr  hoch 
meu  von  dem  uach  obcu  geschlcudertcu  Körper,  etwa  mit  einer  Kugel,  die  aus  einem 
hoch"  nach  oben  senkrecht    auf    den    Horizont    gerichteten    Kanonenlaufe    abgeschossen 
^''^Körpers.      wird.    Eiuc  solche  gebraucht  zudi  Steigen  und  Fallen   soviel  Zeit,  dafs 
in   unserer  Breite   das   Geschütz    samt  dem  Beobachter   viele  Miglieu 
mit  der  Erde  nach  Osten  getragen  würde  und  die  niederfallende  Kugel 
nimmermehr  in  der  Nähe  des  Geschützes  wieder  anlangen  könnte,  son- 
dern  um   soviel   westlich,  als  die  Erde  sich  inzwischen   weiter  bewegt 
Drittes  Argu-  hat.     Man  fügt  noch  einen  dritten  und  sehr  schlagenden  Versuch  hin- 
men  von  den  ZU,  der  in  folgendem  besteht:  man  schiefst  mit  einer  Feldschlange  eine 
West  geriohte-  Kugcl  iiis  blauc  uach  Osten  ab,  darauf  mit  gleicher  Ladung  und  unter 
Schüssen,     gleichem    Elevationswinkel    nach    Westen;    die    westliche    Schufsweite 
müfste  dann  aufserordentlich  viel  gröfser  als  die  andere  östliche  sein. 
Wenn  nämlich  die  Kugel  nach  Westen  sich  bewegt,  das  Geschütz  aber, 
von  der  Erde  getragen  nach  Osten,  so  müfste  die  Kugel  in  einer  Ent- 
fernung vom  Geschütz  auf  die  Erde  aufschlagen,  die  gleich  der  Summe 
der   beiden   Einzelbewegungen  ist,   nämlich   der   an  und  für  sich  nach 
Westen   gerichteten  Bewegung  der  Kugel   und  der  nach  Osten  gerich- 
teten  des  Geschützes,   das   von  der   Erde   dahin   getragen  wird.     Um- 
gekehrt   müfste    von    der   Bahn    der    nach   Osten    geschossenen  Kugel 
soviel    in   Abzug   kommen,    als    das    Geschütz    in   derselben    Richtung 
zurückgelegt  hat.     Gesetzt  z.  B.   die  Schufsweite  betrüge  an  sich  fünf 
Miglien   und   die   Erde   legte   in   der  betreffenden   Breite   während    der 
Flugzeit  drei  Miglien  zurück,  so  würde  die  nach  Westen  abgeschossene 
Kugel   acht   Miglien   weit  von   dem   Geschütze    zur   Erde    niederfallen, 
nämlich  ihre  fünf  eigenen  nach  Westen  gerichteten  Miglien,   vermehrt 
um  die  drei  nach  Osten  gerichteten  des  Geschützes.     Der  Schufs  nach 
Osten  hingegen   würde  nur  eine  Weite   von  zwei  Miglien  haben;  denn 
soviel  bleibt  übrig,  wenn  man  von  den  fünf  Miglien  des  Schusses  die 
drei   abzieht,   welche   das   Geschütz   in   derselben  Richtung   zurücklegt. 
Die  Erfahrung  lehrt  aber,  dafs  die  Schüsse  gleich  ausfallen,  also  steht 
das  Geschütz   fest  und  somit  auch   die  Erde.     Ebenso  beweisend  aber 
für    die    Unbewegtheit    der    Erde    wie    diese    Schüsse    sind    auch    die 
Argumentes  mit  Schüssc  uach  Südcu  odcr  Nordeii :  man  würde  nämlich  niemals  das  Ziel 

tels  der  nach     i        /v-  i  i  tt- 

Süd  und  Nord  treffen  können,   das  man  aufs  Korn   genommen,   alle    Schüsse   müfsten 
Schüsse,      westlich  vorbeigehen,  da  ja  die  Scheibe  von  der  Erde  nach  Osten  ge- 


[142.  143.]  Zweiter  Tag.  133 

tragen  worden  ist,  während  die  Kugel  die  Luft  durchscliueidet.  Und 
nicht  blofs  die  im  Meridian  abgegebenen,  sondern  selbst  die  östlich  Dasselbe  bestä- 
oder  westlich  gerichteten  dürften  nicht  treffen,  die  östlichen  müfsten  Schüssen  nach 
vielmehr  zu  hoch,  die  westlichen  zu  tief  gehen,  sobald  man  wagrecht 
zielt.  Denn  da  in  beiden  Fällen  die  Schüsse  längs  der  Tangente  er- 
folgen, d.  h.  in  einer  zum  Horizont  parallelen  Linie  und  da  bei  der 
täglichen  Bewegung,  wenn  sie  der  Erde  zugeschrieben  wird,  der  Hori- 
zont fortwährend  nach  Osten  sich  senkt  imd  von  Westen  her  sich 
hebt  —  eben  darum  scheinen  uns  ja  die  Sterne  im  Osten  empor- 
zusteigen, im  Westen  sich  zu  senken  —  so  müfste  also  die  Scheibe 
im  Osten  unter  die  Schufsrichtung  hinabsinken  und  ein  zu  hoher 
Schufs  wäre  die  Folge;  ebenso  müfste  das  Emporsteigen  der  Scheibe 
im  Westen  den  westlich  gerichteten  Schufs  zu  niedrig  ausfallen  lassen. 
Man  könnte  somit  niemals  nach  irgend  welcher  Richtung  richtig  zielen. 
Die  Erfahrung  steht  dem  aber  entgegen  und  man  mufs  demnach  zu 
dem  Schlufs  gelangen,  die  Erde  sei  unbeweglich. 

Simpl.  0,  das  sind  doch  Gründe,  auf  die  mimöglich  eine  stich- 
haltige Entgegnung  zu  finden  ist! 

Salv.     Sind  sie  Euch  etwa  neu? 

Simpl.  In  der  That,  ja.  Jetzt  erst  sehe  ich,  was  für  schöne 
Versuche  die  Natur  liebenswürdig  genug  gewesen  ist  uns  an  die  Hand 
zu  geben,  um  die  Erkenntnis  der  Wahrheit  zu  erleichtern.  0  wie 
schön  eine  Wahrheit  mit  der  anderen  übereinstimmt  und  alle  sich 
vereinigen  zu  unüberwindlicher  Stärke! 

Sagr.  Wie  schade,  dafs  es  zur  Zeit  des  Aristoteles  noch  keine 
Kanonen  gab!  Er  würde  mit  ihrer  Hilfe  die  Unwissenheit  zu  Paaren 
getrieben  und  über  die  Verhältnisse  des  Weltalls  seine  Ansichten  ohne 
jeden  Vorbehalt  geäufsert  haben. 

Salv.  Es  ist  mir  sehr  lieb,  dafs  Euch  diese  Gründe  neu  sind, 
damit  Ihr  nicht  wie  die  Mehrzahl  der  Peripatetiker  der  Meinung  lebt, 
wenn  man  sich  von  der  Lehre  des  Aristoteles  lossagt,  so  geschehe  dies 
aus  Mangel  an  Kenntnis  und  Verständnis  für  seine  Beweise.  Aber 
Ihr  werdet  zuverlässig  noch  andere  Neuigkeiten  zu  hören  bekommen, 
Ihr  werdet  Beobachtungen,  Versuche  und  Gründe  zu  hören  bekommen, 
die  von  den  Anhängern  des  neuen  Systems  gegen  dieses  selbe  System 
gerichtet  worden  sind  und  die  viel  gröfsere  Beweiskraft  besitzen  als 
die  von  Aristoteles,  Ptolemäus  und  anderen  Gegnern  dieser  Ansichten 
angeftthrten.     Ihr  werdet  Euch  also  überzeugen  können,  dafs  sie  nicht  Die  Kopemi- 

'^  _  "^  t        •    1        kauer  werdeu 

aus  Unwissenheit   mid  Unkenntnis  zu  ihrer  entgegengesetzten  Ansichtzu  ihrer  Ansicht 

'^    '^       "  nicht  durch  Ua- 

gelangt    sind.  kenntuis  der 

o  o         .  ...         Gegeugründe  be- 

Sagr.    Bei  diesem  Anlasse  mufs  ich  Euch  doch  einige  Erlebnisse    "^  wogen. 


134  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [143.  144.] 

erzälilen,    die   mir   begegnet   sind,    seitdem   ich   zuerst   von   der   ueueu 
Ansicht   habe   sprechen   hören.     Ich   war   noch   recht  jung  und  hatte 
kaum   den  Kursus    der  Philosophie  durchgemacht,   welche  ich  nachher 
liegen  liefs,  um  mich  anderen  Beschäftigungen  zu  widmen,  da  geschah 
Christian wurst-es,  dafs  ciu  gcwisser  Nordländer  aus  Rostock,  namens  Christian    Wurst- 
voriesungen   eiseu,  wcnu  ich  nicht  irre"-^),  ein  Anhänger  der  kopernikanischen  Mei- 
kanische  Lehre ;nungen,  iu  dicsc  Gegend  kam.     Er  hielt  in  einer  Akademie  zwei  oder 
deraeiiK;!!  war.  drei   Vorlcsungeu  über   diesen   Gegenstand   unter   grofsem   Zulauf  von 
Zuhörern,  wahrscheinlich  mehr  wegen  der  Neuheit  der  Sache  als  aus 
sonst  einem   Grunde.     Ich   blieb  jedoch   weg,  denn  ich  hatte  die  be- 
stimmte Empfindung,    dafs    eine   derartige   Ansicht   ein   barer   Unsinn 
sein  müsse.     Als  ich  nachher  etliche  fragte,  die  dabei  gewesen  waren, 
hörte  ich  sie  alle  darüber  spotten  mit  Ausnahme   eines   einzigen,   der 
mir  sagte,  die  Sache  sei  ganz  imd  gar  nicht  lächerlich.    Da  ich  diesen 
nun  für  einen  intelligenten  imd  umsichtigen  Menschen  hielt,  so  that 
es  mir  leid,  nicht  hingegangen  zu  sein.     Von  der  Zeit  ab  fing  ich  an, 
sobald  ich  auf  einen   Anhänger    der  kopernikanischen  Ansicht   stiefs, 
ihn  zu  fragen,  ob  er  von  jeher  dieser  Meinung  gewesen  sei.     So  viele 
ich  aber  auch  fragte,  ich  habe  keinen  einzigen  gefunden,  der  mir  nicht 
Die  Koperni-  gcsagt  hätte,  cr  sci  lange  Zeit  der  entgegengesetzten  Ansicht  gewesen, 
heTderent-   sci  aber  ZU  dicscr  übergegangen,  weil  die  für  sie  sprechenden  Gründe 
AnSchtg6wesen,ihn  Umgestimmt  hätten.    Ich  habe  dann  jeden  Einzelnen  auf  die  Probe 
des  Aristoteles  gestellt,  um  mich  zu  überzeugen,  in  welchem  Grade  er  mit  den  Grün- 
^lus  sLd  uie-  den  der  Gegenpartei  vertraut  sei,  und  habe  bei  allen  gefunden,  dafs 
"utgegengesetz- diese   ihucn   völlig  geläufig   waren.      Es   konnte   also   nicht  die  Rede 
weseii.  ^^  davou  sciu,  dafs  einer  aus  Unwissenheit  oder  Eitelkeit,   oder  um  den 
Schöngeist  zu  spielen,  wie  man  sagt,   sich  zu  dieser  Ansicht  bekannt 
hätte.     Umgekehrt  aber,  so  viele  der  Peripatetiker  und  Ptolemäer  ich 
gefragt  habe  —  und  ich  habe   deren  aus  Neugierde   gar  manche  exa- 
miniert  —   inwieweit  sie   das   Buch   des    Kopernikus    studiert    hätten, 
stets  habe  ich  gefunden,  dafs  ganz  wenige  es   flüchtig  gesehen  haben; 
keinen  Einzigen  aber,  glaube  ich,  der  es  verstanden  hätte.    Auch  habe 
ich  zu  ermitteln  versucht,  ob  von  den  Anhängern  der  peripatetischen 
Lehre  jemals   einer  die   andere  Meinung  gehabt  hätte,   imd  wiederum 
war    es   bei  keinem  der  Fall.      Darum   dachte   ich   bei   mir:  niemand 
verficht  die  Ansicht  des  Kopernikus,   der  nicht  früher  den  entgegen- 
gesetzten Standpimkt  vertreten  hat  und   nicht    sehr  wohl   unterrichtet 
war    über    die   Gründe    des    Aristoteles    und    des    Ptolemäus;    auf   der 
anderen  Seite  hat  kein  Anhänger  von  Ptolemäus  und  Aristoteles  vor- 
mals die  kopernikanische  Ansicht  geteilt  und  sich  von  ihr  der  aristo- 
teUschen  zu  liebe  losgelöst.    Als  ich  dies  erwog,  begann  ich  zu  glauben 


[144.  145.]  Zweiter  Tag.'  135 

dafs,  wer  eine  mit  der  Muttermilch  eingesogene  und  von  Unzähligen 
gebilligte  Ansicht  aufgiebt,  um  sich  zu  einer  anderen  zu  bekennen, 
die  nur  ganz  wenige  Anhänger  zählt,  von  allen  Schulen  geleugnet  wird 
und  in  der  That  höchst  paradox  scheint,  der  mufs  wahrlich  von  den 
triftigsten  Gründen  bewogen,  um  nicht  zu  sagen,  gezwungen  worden 
sein.  Darum  bin  ich  aufs  höchste  begierig  geworden,  dieser  Sache 
auf  den  Grund  zu  kommen,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  und  schätze  mich 
aufserordentlich  glücklich,  Euch  beiden  begegnet  zu  sein.  Von  Euch 
kann  ich  ohne  jede  Mühe  alles  hören,  was  über  diesen  Gegenstand 
gesagt  worden  ist  und  was  sich  vielleicht  überhaupt  darüber  sagen 
läfst,  ich  habe  die  Gewifsheit,  dem  Zweifel  mich  entwinden  und  zur 
Klarheit  durchdringen  zu  können. 

Simpl.  Wenn  Euer  Glauben  imd  Hoffen  nur  keine  Enttäuschung 
erfährt  und  Ihr  schliefslich  Euch  in  gröfserer  Konfusion  befindet  als 
zuvor! 

Sagr.     Ich  glaube  zuversichtlich,  das  wird  nicht  geschehen  können. 

Simpl.  Warum  nicht?  Ich  kann  mich  selbst  als  Beweis  an- 
führen, denn  je  weiter  wir  gehen,  um  so  konfuser  werde  ich. 

Sagr.  Das  ist  ein  Zeichen,  dafs  die  Gründe,  welche  Euch  bisher 
triftig  vorgekommen  sind  und  welche  Euch  die  Richtigkeit  Euerer 
Ansicht  zu  beweisen  schienen,  allmählich  ein  anderes  Ansehen  vor 
Euerem  Geiste  annehmen  und  Euch  sachte,  wenn  auch  nicht  zu  der 
entgegengesetzten  übergehen  lassen,  so  doch  ihr  geneigt  machen.  Ich 
aber,  der  ich  bisher  unparteiisch  war  und  noch  bin,  hoffe  zuversicht- 
lich zu  einer  befriedigenden  und  bestimmten  Ansicht  zu  gelangen.  Ihr 
selbst  werdet  das  nicht  in  Abrede  stellen,  wenn  Ihr  anhören  wollt, 
worauf  sich  meine  Hoffnung  gründet. 

Simpl.  Ich  höre  es  gerne,  imd  noch  lieber  wäre  es  mir,  wenn 
sich  bei  mir  dieselbe  Wirkung  einstellte. 

Sagr.  Habt  also  die  Güte  auf  meine  Fragen  zu  antworten.  Erst- 
lich sagt  mir,  Signore  Simplicio,  ist  nicht  das  Problem,  dessen  Lösung 
wir  suchen,  folgendes:  soll  man  mit  Aristoteles  und  Ptolemäus  an- 
nehmen, dafs  die  Erde  allein  unbewegt  im  Mittelpimkte  des  Weltalls 
steht,  alle  Himmelskörper  hingegen  sich  bewegen,  oder  soll  die  Sternen- 
sphäre stille  stehen,  in  ihrer  Mitte  die  Sonne  sich  befinden,  die  Erde 
aber  dem  Mittelpimkte  ferne  sein  und  diejenigen  Bewegungen  aus- 
führen, welche  scheinbar  der  Sonne  und  den  Fixsternen  zukommen? 

Simpl.    Das  ist  die  Frage,  um  die  es  sich  handelt. 

Sagr.  Sind  diese  beiden  Behauptungen  nicht  derart,  dafs  die 
Richtigkeit  der  einen  die  Unrichtigkeit  der  anderen  bedingt? 

Simpl.      So    ist   es.     Wir   stehen   vor    einem   Dilemma;    von    den 


136  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [145.  146.] 

beiden  Sätzen  mufs  der  eine  notwendig  richtig,  der  andere  falsch  sein. 
Denn  Ruhe  und  Bewegung  sind  kontradiktorische  Gegensätze,  neben 
denen  es  nichts  Drittes  giebt,  so  dafs  man  nicht  etwa  sagen  kann: 
die  Erde  bewegt  sich  nicht  und  steht  auch  nicht  stille;  die  Sonne  und 
die  Sterne  bewegen  sich  nicht  und  stehen  auch  nicht  stille. 

Sagr.  Erde,  Soime  und  Sterne,  was  spielen  sie  für  eine  Rolle  in 
der  Natur?  eine  unbedeutende  oder  eine  wichtige? 

Simpl.  Es  sind  die  bedeutendsten,  vornehmsten  Körper,  wesent- 
liche Bestandteile  des  Weltalls,  von  gewaltigstem  Umfange,  von  höch- 
ster Wichtigkeit. 

Sagr.     Und  was  für  Eigenschaften  sind  Bewegung  ujid  Ruhe? 

Simpl.     So  wichtige  und  wesentliche,  dafs   man  mittels  derselben 
B. wogung  und  die  Natur  sogar  definiert.^') 

Eigenschaften  in  SagP.  Immerwährende  Bewegung  und  völlige  Unbewegtheit  sind 
also  in  der  Natur  zwei  höchst  bedeutende  Attribute,  de  für  eine  durch- 
greifende Verschiedenheit  Zeugnis  ablegen,  namentlich  wenn  sie  den 
hauptsächlichsten  Körpern  des  Weltalls  zugeschrieben  werden;  es 
müssen  daher  ganz  verschiedenartige  Folgen  aus  ihnen  sich   ergeben. 

Simpl.    Gewifs,  so  ist  es. 

Sagr.  Antwortet  mir  nun  auf  einen  anderen  Punkt.  Glaubt  Ihr, 
dafs  es  in  der  Dialektik,  Rhetorik,  Physik,  Metaphysik,  Mathematik 
und  überhaupt  in  der  gesamten  Wissenschaft  Beweisgründe  giebt,  die 
ebenso  das  Falsche  wie  das  Wahre  plausibel  machen  und  erweisen 
könnten? 

Simpl.    0  nein,  im  Gegenteil  habe  ich  die  feste  Überzeugung,  dafs 
Das  Falsche  ist  zur  Erhärtiuig  einer  wahren  und  notwendigen  Behauptung  die  Natur 

nicht  ebenso  be-  .  .  "  .  .  . 

weisbar  wie  das  nicht  blofs  ciuen,  sondcm  zahlreiche  vortreffliche  Beweise  an  die  Hand 

Bichtige. 

giebt,  dafs  man  aus  einer  solchen  Schlüsse  ziehen  und   sie  in  tausend 
Zum  Beweise  und  aber  tausend  Fällen  verwerten  darf,  ohne  ie  auf  einen  Widerspruch 

richtiger  Be-  i  •        o       i   •  •  i     i 

hauptungen    ZU   stofsen,  dafs,    ie   mehr    em   Sophist  sie    umnebeln   möchte,   um   so 

lassen  sich  viele 

zwingende     klarer  stets  ihre  Gewifsheit   zu  Tage   tritt,   dafs   aber  umgekehrt,  wer 
nicht  so  zum  'einer  falschen  Behauptung  den  Schein  von  Wahrheit  zu  verleihen  und 

Beweise  falscher    .  .  i  i         i  rn  i  i  o        i   •  Ti 

Behauptungen  Sie  anderen  einreden  möchte,  höchstens  Irugschlüsse,  Sophismen,  Para- 
logismen,  Zweideutigkeiten,  verfehlte  Räsonnements  vorbringen  kann, 
die  ohne  Folgerichtigkeit  und  voll  unvereinbarer  Widersprüche  sind. 
Sagr.  Wenn  nun  die  Attribute  der  immerwährenden  Bewegimg 
und  der  immerwährenden  Ruhe  eine  so  wichtige  Rolle  in  der  Natur 
spielen,  und  wenn  sie  unter  einander  dermafsen  verschieden  sind, 
dafs  die  verschiedenartigsten  Folgen  aus  ihnen  sich  ergeben  müssen, 
namentlich  in  Anwendung  auf  die  Sonne  und  die  Erde,  so  gewaltige 
mid   ausgezeichnete   Körper   des   Weltalls,   wenn   ferner   unausbleiblich 


[146.  147.]  Zweiter  Tag.  137 

die  eine  der  beiden  kontradiktorischen  Behauptungen  wahr,  die  andere 
falsch  sein  mufs,  und  wenn  man  endlich  zum  Beweise  der  falschen 
nur  Trugschlüsse  vorführen  kann,  die  richtige  hingegen  durch  jedwede 
Art  von  »Schlüssen  und  Beweisen  sich  erhärten  läfst:  wie  sollte  dann 
derjenige  von  Euch  beiden,  der  die  Verteidigung  der  wahren  Behaup- 
tung unternommen,  mich  nicht  überzeugen  können?  Ich  mttfste  doch 
einen  stumpfen  Sinn  haben,  ein  schiefes  Urteil,  blöden  Geist  und  Ver- 
stand, müfste  mit  Blindheit  geschlagen  sein,  wenn  ich  das  Licht  nicht 
von  der  Finsternis,  Edelsteine  nicht  von  Schlacken,  Wahrheit  nicht 
von  Irrtum  sollte  unterscheiden  können! 

Simpl.  Ich  habe  Euch  schon  einmal  gesagt  und  wiederhole  es, 
dafs  der  gröfste  Meister,  der  uns  die  Sophismen,  Paralogismen  und 
andere  Scheinbeweise  kennen  gelehrt  hat,  Aristoteles  war,  der  auf 
diesem  Gebiete  nicht  hat  irren  können. 

Sagr.  Ihr  habt  es  immer  mit  Euerem  Aristoteles,  der  nicht 
sprechen  kann.  Ich  aber  sage  Euch,  dafs,  wenn  Aristoteles  hier  wäre, 
er  entweder  von  uns  überzeugt  würde,   oder  unsere  Gründe  widerlegte    Aristoteles 

"  '  ,  /^       wurde  die  geg- 

und  uns   eines   besseren   belehren    würde.     Aber  wie,  habt  Ihr  nichtoerischen  Argu- 

'  _  _  mente  wider- 

selbst  die  Versuche   mit  den  Geschützen,   die  Euch  mitgeteilt  wordeniegen  oder  seine 

^       "  Ausicht  andern. 

sind,  anerkannt,  bewundert  und  sie  über  die  des  Aristoteles  gestellt? 
Bei  alledem  giebt  Signore  Salviati,  soweit  ich  sehe,  nicht  zu,  dafs 
diese  Gründe,  die  er  selbst  angeführt,  die  er  sicherlich  aufs  genaueste 
geprüft  und  sondiert  hat,  ihn  überzeugt  hätten;  ja  selbst  bei  anderen 
noch  schlagenderen,  welche  er  seiner  Andeutung  zufolge  ims  hören 
lassen  will,  ist  dies  nicht  der  Fall.  Ich  weifs  nicht,  worauf  Ihr  den 
Vorwurf  gründet,  dafs  die  Natur  durch  ihr  hohes  Alter  kindisch  ge- 
worden sei,  dafs  sie  es  verlernt  habe,  lenkende  Geister  hervorzubringen, 
dafs  sie  nur  noch  Hörige  des  Aristoteles  zu  schaffen  vermöge,  die 
mit  seinem  Gehirne  begreifen,  mit  seinen  Simien  Avahrnehmen.  Aber 
hören  wir  die  ferneren  seiner  Ansicht  günstigen  Gründe,  um  nachher 
zu  ihrer  Prüfung  überzugehen,  sie  zu  kapellieren-'')  und  mit  der  Gold- 
wage zu  wägen. 

Salv.  Vordem  wir  weitergehen,  mufs  ich  Signore  Sagredo  darauf 
aufmerksam  machen,  dafs  ich  bei  unseren  Unterredungen  die  Rolle  des 
Kopernikaners  spiele  und  gewissermafsen  seine  Maske  vornehme;  wie 
es  aber  in  meinem  Inneren  unter  der  Wirkung  dieser  Gründe  aussieht, 
welche  ich  scheinbar  zu  seinen  Gunsten  vorbringe,  bitte  ich  nicht  nach 
memen  Worten  beurteilen  zu  wollen,  solange  Avir  uns  in  der  Hitze  des 
Komödienspielens  befinden,  sondern  erst,  wenn  ich  die  Verkleidung 
werde  abgelegt  halben;  Ihr  werdet  mich  dann  vielleicht  anders  erfin- 
den, als  ich  auf  der  Bühne  schien.  —  Gehen  wir  jetzt  weiter.    Ptolemäus 


138  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [147.  148.] 

und    seine   Anhänger    bringen    eine    Aveitere   Erfahriingstliatsache    vor, 

ähnlich  der  der  geschleuderten  Körper.    Sie  betrifft  solche  Dinge,  die, 

Argument  her-  yon  der  Erde  getrennt,  lange  Zeit  sich  schwebend  in  der  Luft  halten, 

genommen  von 

Wolken  und  wie  Wolken  und   fliegende   Vögel.      Da    sich  von    diesen  nicht  sagen 

Vögeln.  .  .  *^ 

läfst,  dafs  sie  von  der  Erde  getragen  werden,  weil  sie  dieser  nicht  an- 
haften, so  ist  es  scheinbar  unmöglich  für  sie  mit  der  raschen  Bewegung 
der  Erde  Schritt  zu  halten;  es  würde  uns  vielmehr  scheinen  müssen,  als 
ob  sie  alle  aufs  schnellste  sich  westlich  bewegen.  Wenn  wir,  von  der 
Erde  dahingetragen,  in  24  Stunden  unseren  Breitenkreis  zurücklegen, 
d.  h.  doch  mindestens  eine  Strecke  von  16000  Miglien,  wie  sollten  die 
Vögel  mit  einer  solchen  Bewegung  wetteifern  können?  Dahingegen 
sehen  wir  sie  ohne  merklichen  Unterschied  ebenso  gut  nach  Osten 
wie  nach  Westen  oder  einer  anderen  Himmelsgegend  fliegen.  Wenn 
Argument  her-  wir  fcmcr  sclmell  reiten,  so  fühlen  wir   im  Gesichte  einen  sehr  hefti- 

geiioramen  von  _  ' 

dem  Winde,  dercren  Luftzug:  wie  heftig  würdc  erst  der  Wind  sein,  den  wir  beständig; 

uns  beim  Reiten'^  '^ '  ^  _  '  ^ 

entgegenzu-  you  Ostcu  hcr  fühlcu  müfsten,  wenn  wir  in  so  raschem  Lauf  der  Luft 

wehen  scheint. 

entgegen  fortgeführt  würden?    Und  doch  fühlt  man  nichts  dergleichen. 
Argument  her-  _  Noch  ein  sinnreiches  Argument,  dem  eine  bestimmte  Erfahrung  zu 

genommen  von  _  _  .  . 

d«  fortachieu- Q^i-unde  Hcgt,  nämlich  folgendes:^")  Bei  kreisförmig  bewegten  Körpern 
streuende'n  Wir  zeigen  die  Teile  das  Bestreben,  von  dem  Mittelpunkte  sich  zu  entfernen, 

kung  der  Kota-         ^  '  ^  ' 

tionsbewegung.  '^^i.  ZU  fliehen,  sich  zu  zerstreuen,  wenn  nicht  die  Bewegung  sehr  lang- 
sam ist,  oder  genannte  Teile  nicht  sehr  fest  mit  einander  verbmiden 
sind.  Denkt  Euch  z.  B.  eines  der  grofsen  Räder,  die  von  einem  oder 
mehreren  im  Inneren  befindlichen  Menschen  in  Bewegung  versetzt,  zur 
Fortschaffimg  der  gröfsten  Lasten  dienen,  wie  der  grofsen  Steinblöcke 
für  die  Mange,  oder  der  beladenen  Schiffe,  die  aus  einem  Gewässer  in 
ein  anderes  geschafft  und  über  die  Erde  geschleift  werden.  ^^)  Ver- 
setzen wir  ein  solches  Rad  in  schnellste  Drehung,  und  die  Teile  des- 
selben wären  nicht  ungemein  dauerhaft  zusammengefügt,  so  würden 
sie  alle  fortfliegen.  Oder  wären  an  seinem  Umfange  Steine  oder 
sonstige  schwere  Massen  angebracht,  so  würden  sie,  wenn  auch  recht 
solide  befestigt,  dennoch  jenem  Antriel)  keinen  Widerstand  leisten 
können,  durch  welchen  sie  vielmehr  mit  grofser  Heftigkeit  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  weit  weg  vom  Rade,  also  vom  Mittelpunkte, 
geschleudert  würden.  Bewegte  sich  demnach  die  Erde  mit  einer  noch 
viel,  viel  gröfseren  Geschwindigkeit:  von  welchem  Gewichte,  durch 
wie  zähen  Kalk  oder  sonstigen  Mörtel  gebunden  müfsten  Steine, 
Häuser,  ganze  Städte  sein,  um  an  ihrer  Stelle  zu  verharren,  so  dafs 
sie  nicht  von  dem  reifsenden  Wirbel  gen  Himmel  geschleudert  wür- 
den? Menschen  und  Tiere,  die  gar  nicht  mit  der  Erde  verbunden 
sind,  sie  sollten  solcher  Kraft  Aviderstehen  ?      Und  doch  sehen  wir  im 


[148.  149.]  Zweiter  Tag.  139 

Gregenteil  nicht  nur  diese,  sondern  viel  widerstandsunfähigere  Dinge, 
Steinchen,  Sandkörner,  Blätter  ganz  ruhig  auf  der  Erde  liegen  und 
zu  ihr  niederfallen,  wenn  auch  in  sehr  langsamer  Bewegung.  —  Dies 
wären  so  die  häuptsächlichsten  Gründe,  Signore  Simplicio,  die  sich  auf 
irdische  Dinge  beziehen.  Es  erübrigen  noch  die  Gründe  der  anderen 
Art,  diejenigen  nämlich,  welche  auf  die  Himmelserscheinungen  Bezug 
nehmen.  Diese  haben  aber  in  Wahrheit  mehr  den  Zweck  zu  erweisen, 
dafs  die  Erde  sich  im  Mittelpunkte  des  Weltalls  befindet  mid  also 
nicht  die  jährliche  Bewegung  um  diesen  Mittelpunkt  besitzen  kann, 
welche  ihr  von  Kopernikus  beigelegt  worden  ist.  Wir  können  die- 
selben, weil  sie  einen  wesentlich  anderen  Stoif  behandeln,  später  an- 
führen, wenn  wir  die  Richtigkeit  der  bisher  vorgebrachten  werden 
geprüft  haben. 

Sagr.  Was  meint  Ihr,  Signore  Simplicio?  Glaubt  Ihr,  dafs 
Signore  Salviati  die  ptolemäischen  und  aristotelischen  Gründe  kennt 
und  sie  auseinanderzusetzen  versteht?  Seid  ihr  der  Meinung,  dafs 
irgend  ein  Peripatetiker  in  demselben  Mafse  Kenner  der  kopernika- 
nischen  Beweise  ist? 

Simpl.  Hätte  ich  nicht  infolge  der  bisher  gepflogenen  Unter- 
redungen mir  eine  sehr  hohe  Meinung  von  der  gründlichen  Gelehr- 
samkeit des  Signore  Salviati  und  von  dem  Scharfsinn  des  Signore 
Sagredo  gebildet,  so  hätte  ich  mit  deren  gütiger  Erlaubnis  nicht  übel 
Lust  mich  zu  entfernen,  ohne  weitere  Erörterungen  mit  anzuhören, 
demi  es  scheint  mir  unmöglich  so  handgreiflichen  Thatsachen  zu  wider- 
sprechen-, ich  würde  ohne  fernere  Erörterungen  bei  meiner  alten  An- 
sicht verharren  wollen.  Sollte  sie  dann  auch  wirklich  falsch  sein,  so 
stützt  sie  sich  doch  auf  so  plausibele  Gründe,  dafs  sie  entschuldbar 
sein  dürfte.  Wenn  das  Fehlschlüsse  sind,  wo  hat  es  dann  je  richtige 
Beweise  von  solcher  Schönheit  gegeben? 

Sagr.  Wir  wollen  doch  die  Entgegnungen  Signore  Salviatis  an- 
hören, die,  wenn  sie  richtig  sind,  unbedingt  noch  schöner  und  zwar 
unendlich  mal  schöner  sein  müssen;  wie  umgekehrt  jene  nur  häfslich, 
durchaus  häfslich  sein  können,   wenn  anders  die  metaphysische  Lehre^^''a^r  und  schon, 

'  _  ^     "^  .wie  Falsch  und 

richtig  ist,  dafs  Wahr  und  Schön   ein  und  dasselbe  sind,   ebenso  wie  Häfsiich  sind 

°  '  '  .  identisch. 

Falsch  und  Häfslich.^')  Darum,  Signore  Salviati,  lafst  uns  nicht  weiter 
Zeit  verlieren. 

Salv.  Wenn  ich  mich  recht  entsinne,  war  das  erste  der  von 
Signore  Simplicio  vorgebrachten  Argumente  folgendes:  Die  Erde  kami 
sich  nicht  kreisförmig  bcAvegen,  denn  diese  Bewegung  wäre  für  sie 
eine  gewaltsame,  könnte  also  nicht  ewig  andauern.  Die  Gewaltsam- 
keit der  Bewegung  folgte   aber  daraus,  dafs,  wenn  sie  natürlich  wäre. 


140  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [149.  150.] 

auch  die  Teile  der  Erde  von  Natur  aus  sich  im  Kreise  dreheu  mülsteri. 

Dies  ist  aber  unmöglich,   denn  die  natürliche  Bewegung  der  Teile  ist 

EntgegmiDg  auf  geradlinig  nach  unten  gerichtet.     Hier  entgegne  ich,  dafs  es  mir  lieb 

das   erste  Argu-^  ^  °  ■,-,■, 

ment  des  Ari-  gewcseu  wlirc,  wcmi  Aristotelcs'  sich  genauer  erklärt  hätte,  was  er  mit 
der  etwaigen  kreisförmigen  Bewegung  der  Teilchen  meint.  Denn  diese 
kreisförmige  Bewegung  kann  in  doppelter  Weise  verstanden  werden: 
entweder  so,  dafs  jedes  vom  Ganzen  losgelöste  Teilchen  sich  kreis- 
förmig um  seinen  Mittelpunkt  bewegt,  also  seine  eigenen  kleinen  Kreis- 
chen beschreibt;  oder  aber  so,  dafs  die  Teile,  weil  die  ganze  Kugel  in 
24  Stunden  um  ihren  Mittelpunkt  sich  dreht,  sich  gleichfalls  in 
24  Stunden  um  denselben  Mittelpunkt  bewegen.  Das  erste  wäre  ein 
ebenso  grofser  Unsinn,  als  wenn  man  sagte,  von  einer  Kreisperipherie 
müsse  jeder  Teil  selbst  ein  Kreis  sein;  oder  von  der  Erde  müsse  jeder 
Teil  eine  Kugel  sein,  weil  die  ganze  Erde  Kugelgestalt  besitze;  demi 
so  verlange  es  das  Axiom  eadem  est  ratio  totius  et  partium.  Meinte 
er  es  aber  im  anderen  Sinne,  dafs  die  Teile  in  Nachahmung  des  Ganzen 
sich  von  Natur  in  24  Stunden  um  den  Mittelpunkt  der  ganzen  Kugel 
bewegen,  so  behaupte  ich,  dafs  sie  das  thun.  Und  Euch,  als  Ver- 
treter des  Aristoteles,  liegt  es  ob  zu  beweisen,  dafs  dies  nicht  der 
Fall  ist. 

Simpl.  Das  hat  Aristoteles  an  der  nämlichen  Stelle  bewiesen, 
indem  er  sagt,  die  natürliche  Bewegung  der  Teile  sei  die  geradlinige 
Bewegimg  nach  dem  Mittelpunkte  des  Weltalls,  woraus  folgt,  dafs  die 
kreisförmige  ihnen  von  Natur  aus  nicht  eignen  kann. 

Salv.  Aber  seht  Ihr  nicht,  dafs  diese  nämlichen  Worte  auch  die 
Widerlegung  jener  Entgegnung  enthalten? 

Simpl.     Inwiefern?  und  wo? 

Salv.  Sagt  er  nicht,  die  Kreisbewegung  sei  für  die  Erde  eine 
gewaltsame  und  könne  darum  nicht  von  ewiger  Dauer  sein?  und  dies 
sei  absurd,  weil  die  Weltordnmig  ewig  ist? 

Simpl.     Das  sagt  er  allerdings. 

Salv.  Aber  wenn  das,  was  gewaltsam  ist,  nicht  ewig  dauern 
Das  Gewaitsamekann,  SO  kann  umgekehrt  das,  was  unmöglich  ewicr  dauert,  nicht  natür- 

kann  nicht  ewig  '  ö  '  O  O  7 

sein  und  was  \[q}i  geiu.     Die  Bewcguug  der  Erde   nach  unten  kann  aber  keinenfalls 

nicht  ewig  sein  o        o 

kaim,  kann  nichtewige  Dauer   haben,   kann  also   um   so  weniger  natürlich  sein.     Über- 
natürlich sein.  07  o 

haupt  kann  ihr  keine  Bewegung  natürlich  sein,  die  nicht  auch  von 
ewiger  Dauer  wäre.  Schreiben  wir  aber  der  Erde  eine  kreisförmige 
Bewegung  zu,  so  kann  diese  sowohl  ihr  als  den  Teilen  ewig  zukommen 
und  demnach  natürlich  sein. 

Simpl.  Die  gerade  Bewegung  ist  den  Teilen  der  Erde  durchaus 
natürlich.      Sie   ist   ewig,   denn   es   wird    niemals   geschehen,  dafs  jene 


[150.  151.]  Zweiter  Tag.  141 

sich  anders  als  geradlinig  bewegen,  immer  jedoch  unter  der  Voraus- 
setzung, dafs  alle  Hindernisse  beseitigt  sind. 

Salv.  Ihr  seid  in  einem  Mifsverstäudnis  befangen,  8ignore  Sim- 
plicio,  und  ich  will  doch  versuchen,  Euch  von  demselben  zu  befreien. 
Sagt  mir  also:  kann  nach  Euerer  Ansicht  ein  Schiff,  das  von  der 
Meerenge  von  Gibraltar  nach  Palästina  fährt,  zu  seiner  Fahrt  nach 
jener  Küste  ewige  Zeit  gebrauchen,  wenn  es  sich  mit  gieichmäfsiger 
Geschwindigkeit  bewegt? 

Simpl.     Unter  keinen  Umständen. 

Salv.    Und  warum  nicht? 

Simpl.  Weil  die  Strecke  der  Fahrt  eingeschlossen  und  begrenzt 
ist  von  den  Säulen  des  Herkules  und  .der  Küste  von  Palästina;  und 
ist  die  Entfernung  begrenzt,  so  wird  sie  auch  in  endlicher  Zeit  zurück- 
gelegt, es  sei  denn,  man  wollte  umkehren,  rückwärts  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  fahren,  und  dami  von  neuem  dieselbe  Strecke 
passieren.  Dies  aber  wäre  eine  unterbrochene  und  keine  stetige  Be- 
wegung. 

Salv.  Sehr  richtig  geantwortet.  Wie  ist  es  aber  mit  der  Fahrt 
von  der  Magalhaesstrafse,  durch  den  stillen  Ocean,  über  die  Molukken, 
das  Kap  der  guten  Hoffnung  und  von  dort  durch  dieselbe  Meeresstrafse 
abermals  über  den  stillen  Ocean  u.  s.  w.,  meint  Ihr,  dafs  diese  Fahrt 
sich  ewig  fortsetzen  läfst? 

Simpl.  Freilich,  denn  hier  handelt  es  sich  um  eine  in  sich  zurück- 
kehrende Kreisbewegung;  sie  liefse  sich  daher  ohne  jede  Unterbrechung 
durch  unendliche  Wiederholung  ewig  fortsetzen. 

Salv.  Es  könnte  also  ein  Schiff'  auf  dieser  Reise  in  ewiger  Fahrt 
begriffen  sein,  nicht  wahr? 

Simpl.  Wemi  das  Schiff  unzerstörbar  wäre,  ja.  Da  aber  das 
Schiff  zu  Grunde  geht,  so  müfste  die  Fahrt  notwendig  ein  Ende  finden. 

Salv.  Im  mittelländischen  Meere  aber  würde  das  Schiff,  auch 
wemi  es  unzerstörbar  wäre,  sich  dennoch  nicht  ewig  nach  Palästina 
hinbewegen    kömien,    da    die   Reise    eine    begrenzte    ist.      Zwei   Dinge  zwei  Erfordor- 

°  '  ,  .  .  "  ^  ^       lüsse  für  die 

smd   demnach    erforderlich     damit   ein   bewegter   Körper    ohne   Unter-  ««ige  Dauer 

.  der  Bewegung, 

brechung    sich    ewig   bewegen    kann:    einmal    mufs   die   Bewegungsart  tinbegrenztheit 

^  Bö  ^  ,.  des  Baums  und 

von  Natur  unbegrenzt  und   unendlich,  dann   aber  der  bewegte  Körper  unzorstorbar- 

.  '^  .  .  keit  des  Körpers. 

desgleichen  unzerstörbar  und  von  ewiger  Dauer  sein. 
Simpl.     Beides  ist  erforderlich. 
Salv.     Ihr  habt  also  ganz  freiwillig  das  Geständnis  abgelegt,  dafsGeradUnige  Be- 

.  ^  .  ....  wegung  kann 

unmöglich    iro'end    ein    beweglicher    Körper    sich    beständig    in   gerad-     nicht  ewig 

,.     .  .  -111  dauern  und  niit- 

Imiger   Bewegung    ])efinden    kann;    denn   eine   solche   ist   nach  Euerer  hin  der  Erde 

.      '^  .  .  •     T        c  "''^'"'^  natürlich 

eigenen  Ansicht,   ob   nun   nach   oben   oder   unten    gerichtet,  jedenfalls        sein. 


142  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [151.  152.] 

von  dem  Umfange  und  dem  Mittel^iunkte  begrenzt.  Mag  daher  auch 
der  bewegte  Körper,  d.  h.  die  Erde,  von  ewiger  Dauer  sein,  so  ist 
doch  die  gerade  Bewegung  ihrer  Natur  nach  nicht  ewig,  sondern  aufs 
bestimmteste  begrenzt  und  kann  daher  keine  natürliche  Bewegung  der 
Erde  sein.  Vielmehr  ist  Aristoteles,  wie  gestern  schon  hervorgehoben 
wurde,  selber  gezwungen,  den  Erdball  als  ewig  unbewegt  zu  betrachten. 
Wenn  Ihr  sodann  sagt,  die  Teile  der  Erde  bewegten  sich  nach  Be- 
seitigung der  Hindernisse  stets  nach  unten,  so  ist  das  ein  arges  Mifs- 
verständnis;  man  mufs  ihnen  umgekehrt  Hindernisse  bereiten,  ihnen 
entgegenwirken  und  Gewalt  anthun,  weim  sie  sich  in  der  angegebenen 
Weise  bewegen  sollen.  Denn  sind  sie  einmal  gefallen,  so  mufs  man 
sie  ja  gewaltsam  wieder  in  die  Höhe  werfen,  damit  sie  ein  zweites 
Mal  wieder  herunterfallen.  Was  die  Hindernisse  betrifft,  so  hemmen 
diese  blofs  die  Ankunft  im  Mittelpunkt.  Hätten  wir  einen  über  das 
Centrum  hinausreichenden  Schacht,  so  würde  gleichwohl  eine  Erd- 
scholle sich  über  dieses  nicht  hinausbewegen,  es  sei  denn,  dafs  sie, 
von  der  Wucht  des  Falles  fortgerissen,  es  überschritte,  um  wieder  zu 
ihm  zurückzukehren  und  schliefslich  in  ihm  zur  Ruhe  zu  kommen. 
Entschlagt  Euch  also  nur  ganz  und  gar  der  Hoffnung,  die  gerad- 
linige Bewegung  als  ein  thatsächliches  oder  auch  nur  als  ein  mög- 
liches natürliches  Attribut  der  Erde  oder  sonst  eines  beweglichen 
Körpers  aufrecht  erhalten  zu  können,  solange  das  Weltall  in  seiner 
vollkommenen  Ordnung  verharrt.  Und  wollt  Ihr  nicht  die  Kreisbe- 
wegung zugeben,  so  begnügt  Euch  blofs  ihre  Unbewegtheit  zu  be- 
haupten und  zu  verteidigen. 

Simpl.  Die  Unbeweglichkeit  anlangend,  scheinen  mir  bis  jetzt 
die  Argumente  des  Aristoteles  und  noch  mehr  die  anderen  von  Euch 
angeführten  eine  schlagende  Beweiskraft  zu  besitzen,  und  es  bedürfte 
zur  Widerlegung  meines  Erachtens  gewichtiger  Gegeugründe. 

Salv.  Wir  kommen  nun  also  zum  zweiten  Argument,  welches 
Entgeg.iuDR  auf  darin  bestand:    die   Körper,    über    deren  Kreisbewegung    kein   Zweifel 

das  zweite  .  '-       '   ^  . 

ArgTiment.  bcstcht,  bcsitzcn  mehr  als  eine  Bewegung  mit  Ausnahme  des  primum 
mohile.  Wenn  daher  die  Erde  sich  kreisförmig  bewegte,  müfste  sie 
eine  zweifache  Bewegung  besitzen,  daraus  aber  müfsten  Änderungen 
bezüglich  des  Auf-  und  Untergangs  der  Fixsterne  sich  ergeben,  die 
thatsächlich  nicht  zu  bemerken  sind;  also  u.  s.  w.  Die  einfachste  und 
angemessenste  Entgegnung  auf  diesen  Einwand  liegt  in  dem  Argumente 
selbst,  Aristoteles  legt  sie  uns  geradezu  in  den  Mund,  und  es  ist  un- 
möglich, dafs  Ihr,  Signore  Simj)licio,  sie  nicht  solltet  bemerkt  haben. 
Simpl.  Ich  habe  sie  nicht  bemerkt  und  bemerke  sie  noch 
immer  nicht. 


[162.  153.]  Zweiter  Tag.  143 

Salv.     Nicht  möglich,  sie  liegt  zu  sehr  auf  der  Hand. 

Simpl.  Ich  möchte  mit  Euerer  Erlaubnis  einen  Blick  in  den 
Text  werfen. 

Sagr.     Wir  wollen  sofort  einen  Text  holen  lassen. 

Simpl.  Ich  trage  ihn  immer  in  der  Tasche  nach.  Hier  ist  er, 
ich  weifs  genau,  dafs  die  Stelle  im  2.  Buche  über  den  Himmel  sich 
findet,  im  sechsten  Kapitel.  Hier  ist  sie  im  97.  Paragraphen.^^) 
Fraiterea  omnia,  quae  feruntur  lationc  circulari,  suhdeficere  videntur,  ac 
nioveri  pluribus  una  latione,  praeter  primani  sphaeram:  quare  et  Terram 
necessarium  est,  sive  circa  medium,  sive  in  medio  posita  feratur,  duabus 
moveri  lationihus.  Si  autem  hoc  acciderit,  necessarium  est  fieri  muta- 
tioncs  ac  conversiones  fixormn  astrornm.  Hoc  autem  non  videtur  fteri, 
sed  scmper  eadem  apud  eadem  loca  ipsius  et  oriuntur,  et  occidimt.  Ich 
sehe  da  keinen  Trugschlufs  und  der  Beweis  scheint  mir  völlig 
strenge. 

Salv.  Mir  hat  diese  Vorlesung  von  neuem  das  Fehlerhafte  der 
Beweismethode  bestätigt  und  überdies  eine  andere  Verkehrtheit  aufge- 
deckt. Darum  merkt  auf.  Zwei  Hypothesen  oder,  wir  können  sagen, 
zwei  Schlufsfolgerungen  sind  es,  die  Aristoteles  bekämpfen  will:  ein- 
mal nämlich  die  Ansicht,  nach  welcher  die  Erde  im  Mittelpunkte  steht 
und  sich  um  ihr  eigenes  Centrum  dreht;  sodann  die  andere  Annahme, 
nach  welcher  sie  aufserhalb  des  Mittelpunktes  sich  befindet  mid  in 
kreisförmiger  Bewegung  um  diesen  begrifi^en  ist.  Beide  Behauptungen 
bekämpft  er  gemeinsam  mittels  desselben  Argumentes.  Nun  behaupte 
ich,  dafs  seine  Kampfweise  beiden  gegenüber  verfehlt  ist.  Bezüglich 
der    ersten    Behauptung    besteht    sein    Irrtum    in    einem    Widerspruch  Argument  des 

i-  o  J-  Aristoteles 

mit  sich  selbst,  also  in  einem  Paralogismus ,  bezüglich  der  zweiten  in  gegen  die  Be- 

'  0  7»  weguug  der 

einer  fehlerhaften  Schlufsfolgerung.  Wir  beschäftigen  uns  zunächst '^'■l«.^^^,^']^;^^^^' 
mit  der  ersten  Behauptung,  welche  die  Erde  in  die  Mitte  des  Weltalls  ^''^''i«'^''*"- 
versetzt  und  sie  um  ihren  Mittelpunkt  sich  drehen  läfst;  wir  stellen 
ihr  den  Einwand  des  Aristoteles  gegenüber,  welcher  besagt:  Alle  be- 
weglichen Körper,  welchen  die  Kreisbewegung  eigentümlich  ist,  bleiben 
offenbar  zurück  und  besitzen  mehr  als  eine  Bewegung,  ausgenommen 
die  erste  Sphäre,  d.  i.  das  primum  mobile.  Wenn  also  die  Erde  im 
Mittelpunkt  steht  und  sich  um  ihr  eigenes  Centrum  dreht,  so  mufs 
sie  eine  doppelte  Bewegung  besitzen  und  zurückbleiben.  Wäre  dies 
aber  der  Fall,  so  müfsten  Änderungen  im  Auf-  und  Niedergang  der 
Fixsterne  stattfinden-,  davon  aber  ist  nichts  wahrzunehmen,  also  bewegt 
sich  die  Erde  nicht  u.  s.  w.  Hier  liegt  der  Fehlschlufs.  Um  ihn 
aufzudecken,  diskutiere  ich  mit  Aristoteles  folgendermafsen:  Du 
sagst,  Aristoteles,    die   im  Mittelpunkte    befindliche   Erde    könne   sich 


144  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [153.  154.] 

nicht  um  sich  selber  drehen,  weil  man  ihr  dann  notwendig  zwei  Be- 
wegungen zuschreiben  müfste.  Hätte  man  ihr  also  nur  eine  Bewegung 
beizulegen,  so  würdest  du  es  nicht  für  unmöglich  halten,  dafs  eine 
solche  ihr  zukommt;  denn  du  hättest  dann  ohne  Grund  dich  darauf 
beschränkt,  die  Unmöglichkeit  auf  die  Mehrheit  der  Bewegungen 
zurückzuführen,  wenn  auch  schon  eine  einfache  Bewegmig  der  Erde 
unmöglich  wäre.  Da  du  nun  von  allem  Bewegten  des  Weltalls  nur 
ein  einziges  statuierst,  das  blofs  eine  Bewegung  besitzt,  alles  andere 
hingegen  mit  mehr  als  einer  Bewegung  ausstattest;  da  du  ferner  ver- 
sicherst, dies  einzige  Einfach-Bewegte  sei  die  erste  Sphäre,  d.  h.  das- 
jenige, vermöge  dessen  die  Fixsterne  und  die  Planeten  übereinstimmend 
von  Osten  nach  Westen  sich  zu  bewegen  scheinen,  so  würdest  du, 
wenn  die  Erde  jene  erste  Sphäre  sein  könnte  und  demnach  durch  ihre 
einfache  Bewegung  die  scheinbare  Bewegung  der  Gestirne  von  Osten 
nach  Westen  verursachte,  ihr  diese  einfache  Bewegung  nicht  ab- 
sprechen. Wer  aber  behauptet,  dafs  die  Erde  im  Mittelpunkte  steht 
und  sich  um  sich  selber  dreht,  schreibt  ihr  keine  andere  Bewegung 
zu,  als  diejenige,  welche  die  scheinbare  Bewegung  der  Gestirne  von 
Ost  nach  West  verursacht;  sie  wird  also  dadurch  zu  jener  ersten 
Sphäre,  die  nach  deinem  eigenen  Eingeständnis  blofs  eine  einfache 
Bewegung  besitzt.  Wenn  du  also,  Aristoteles,  etwas  beweisen  willst, 
so  mufst  du  zeigen,  dafs  die  Erde,  wenn  sie  im  Mittelpunkte  des 
Weltalls  steht,  auch  nicht  eine  Bewegung  besitzen  kann,  oder  dafs 
auch  die  erste  Sphäre  keinerlei  Bewegung  haben  kann.  Andernfalls 
machst  du  bei  deinem  Syllogismus  einen  Fehlschlufs,  der  sich  darin 
kundgiebt,  dafs  du  ein  und  dasselbe  leugnest  und  zugiebst.  Ich 
komme  jetzt  zur  zweiten  Hypothese,  nach  welcher  die  Erde  vom 
Mittelpunkte  entfernt  steht  und  sich  um  diesen  dreht,  nach  welcher 
sie  also  ein  Planet  oder  ein  Wandelstern  ist;  gegen  diese  Hypothese 
ist  das  Argument  gerichtet  und  zwar  formal  richtig,  aber  materiell 
fehlerhaft.  Denn  zugegeben,  die  Erde  bewege  sich  dergestalt  und 
zwar  mit  doppelter  Bewegung,  so  folgt  daraus  dennoch  nicht  mit  Not- 
wendigkeit, dafs  in  diesem  Falle  Änderungen  im  Auf-  und  Untergang 
der  Fixsterne  erfolgen  müssen,  wie  ich  geeigneten  Ortes  erläutern 
werde.  Hier  will  ich  gerne  den  Irrtum  des  Aristoteles  entschuldigen, 
ja  ihu  sogar  loben,  dafs  er  das  scharfsinnigste  Argument  gegen  die 
Behauptung  des  Kopernikus  beigebracht  hat,  das  sich  beibringen  läfst. 
Wenn  nun  schon  der  Einwand  sinnreich  und  scheinbar  völHg  beweis-  I 
kräftig  ist,  so  ist,  wie  Ihr  sehen  werdet,  seine  Beseitigung  um  so 
scharfsinniger  und  geistreicher,  woher  demi  auch  nur  ein  Geist  von 
dem  Scharfsinne  eines  Kopernikus  sie  hat  entdecken  können.    Aus  der 


[154.  155.]  Zweiter  Tag.  145 

Schwierigkeit,  dieselbe  zu  verstehen,  werdet  Ihr  entnehmen  können, 
wieviel  schwerer  es  war  sie  aufzufinden.  Vertagen  wir  inz;vvischen 
die  Entgegnung;  Ihr  sollt  sie  seiner  Zeit  gehörigen  Ortes  hören ^^), 
wenn  wir  den  Einwand  des  Aristoteles  noch  einmal  vorgenommen  und 
ihn  sogar  zu  dessen  Gunsten  bedeutend  verstärkt  halben  werden.  —  Wir 
gelangen  sodami   zum  dritten,  gleichfalls  von  Aristoteles  herrührendenEntgegnung  a 

°  »  .^  .  .  .  das  dritte 

Argumente,  betreffs  dessen  keme  weitere  Entgegnung  erforderlich  ist,  Argument. 
da  zur  Genüge  gestern  und  heute  darauf  erwidert  worden  ist.  Er 
bringt  nämlich  den  Einwand  vor,  dafs  die  Bewegung  der  schweren  Körper 
von  Natur  geradlinig  nach  dem  Mittelpunkte  gerichtet  ist,  und  unter- 
sucht sodann,  ob  nach  dem  Mittelpunkt  der  Erde  oder  dem  des  Welt- 
alls; er  kommt  zum  Ergebnis,  dafs  sie  von  Natur  nach  dem  Mittel- 
punkte des  Weltalls,  nur  zufällig  aber  nach  dem  der  Erde  gerichtet  ist.  — ■ 
Wir  können  sonach  zum  vierten  Beweisgrunde  übergehen,  auf  welcheni^^'gegimug  a 

^  o  ^  _  _  das  vierte 

wir  recht  ausführlich  einzugehen  haben  werden,  weil  er  auf  diejenige  Argument. 
Erfahrung  sich  stützt,  welche  dem  gröfseren  Teile  der  noch  übrigen 
Argumente  ihre  Beweiskraft  verleiht.  Aristoteles  also  behauptet,  das 
sicherste  Argument  für  die  Unbeweglichkeit  der  Erde  sei  die  Beob- 
achtung, dafs  senkrecht  in  die  Höhe  geschleuderte  Körper  längs  der- 
selben Linie  an  den  nämlichen  Ort  zurückkehren,  von  dem  aus  sie 
geworfen  wurden;  und  zwar  auch  daini,  wenn  die  Bewegung  sich  sehr 
weit  in  die  Höhe  erstreckte.  Dies  aber  könnte  nicht  der  Fall  sein, 
wenn  die  Erde  sich  bewegte;  denn  während  der  Zeit,  wo  der  ge- 
schleuderte Körper,  getrennt  von  der  Erde,  sich  auf-  und  abwärts  be- 
wegt, würde  der  Ausgangspunkt  des  geschleuderten  Körpers  sich  infolge 
der  Erdumdrehung  ein  bedeutendes  Stück  nach  Osten  verschoben 
haben,  und  beim  Niederfallen  müfste  der  Körper  um  diese  Strecke 
von  genamiter  Stelle  entfernt  auf  die  Erde  stofsen.  Dahin  gehört 
deswegen  auch  das  Argument  betreffs  der  mit  einer  Kanone  in  die 
Höhe  geschossenen  Kugel,  ebenso  die  von  Aristoteles  und  Ptolemäus 
verwertete  Beobachtung,  dafs  die  aus  bedeutender  Höhe  fallenden 
schweren  Körper  in  gerader  und  lotrechter  Linie  auf  die  Erdoberfläche 
treffen.  —  Um  nun  mit  Entwirrung  dieser  Knoten  zu  beginnen,  frage 
ich  Signore  Simplicio:  wenn  jemand  dem  Ptolemäus  und  Aristoteles 
in  Abrede  stellte,  dafs  die  frei  fallenden  schweren  Körper  in  gerader 
und  lotrechter,  d.  h.  nach  dem  Mittelpunkte  gerichteter  Linie  herab- 
kämen, mit  welchen  Hilfsmitteln  würden  sie  es  beweisen? 

Simpl.  Mittels  der  sinnlichen  Wahrnehmung,  die  ims  belehrt, 
dafs  jener  Turm  gerade  und  lotrecht  ist  und  die  uns  zeigt,  dafs  jener 
Stein  beim  Fall  dicht  an  ihm  hinstreift,  ohne  auch  nur  um  Haares- 
breite   nach   der   einen    oder    anderen   ilichtuug    auszubiegen,    und   am 

Galilei,  Woltaysteino.  10 


146  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [155.  156.] 

Fufse  des  Turmes  anlangt,  genau  unterlialb  der  Stelle,  von  welcher  er 
abgelassen  wurde. 

Salv.  Weim  aber  von  ungefähr  die  Erdkugel  sich  im  Ki'eise  be- 
wegte und  demzufolge  auch  den  Turm  mit  sich  trüge,  gleichwohl  aber 
die  Beobachtung  lehrte,  dafs  der  fallende  Stein  dicht  an  der  Linie 
des  Turmes  hinstreift,  wie  müfste  dann  seine  Bewegung  beschaffen  sein? 

Simpl.  Man  müfste  in  diesem  Falle  eher  sagen  „seine  Bewegungen". 
Die  eine  nämlich  wäre  diejenige,  vermöge  deren  er  von  oben  nach  unten 
gelangt,  eine  andere  müfste  ihm  eigen  sein,  um  der  Bewegning  des 
Turmes  zu  folgen. 

Salv.  Seine  Bewegung  wäre  also  aus  zweien  zusammengesetzt, 
nämlich  aus  der,  mit  welcher  er  dem  Turm  entlang  fortschreitet  und 
aus  der,  mit  welcher  er  ihm  folgt.  Aus  dieser  Zusammensetzung 
würde  sich  ergeben,  dafs  der  Stein  nicht  mehr  jene  einfache,  gerade 
und  lotrechte,  sondern  eine  schräge  und  möglicherweise  krumme  Linie 
beschriebe. 

Simpl.  Ob  krumm,  weifs  ich  nicht;  aber  ich  begreife  sehr  wohl, 
dafs  sie  notwendig  schräg  sein  mufs  und  verschieden  von  jener  ge- 
raden Linie,  welche  er  im  Fall  der  Unbeweglichkeit  der  Erde  beschrieb. 

Salv.  Aus  dem  alleinigen  Umstände  also,  dafs  Ihr  den  fallenden 
Stein  sich  entlang  dem  Turme  bewegen  seht,  dürft  Ihr  noch  nicht  mit 
Sicherheit  auf  seine  gerade  und  lotrechte  Bewegung  schliefsen;  Ihr 
müfstet  denn  erst  voraussetzen,  die  Erde  stehe  fest. 

Simpl.     So  ist  es;   denn  wenn  die  Erde   sich  bewegte,   so  würde 
die  Bewegung  des  Steines  schräg  und  nicht  lotrecht  sein. 
Fehischiufs  des  Salv.     Da  habt  Ihr  nun  selber  klar  und  deutlich  den  Fehlschlufs 

Aristoteles  und 

ptoiemäus,    des  Aristotcles    und  Ptolemäus    entdeckt;    es   wird    dabei    als    bekamit 

■welche  als  be-  _  ' 

kanut  voraus-  vorausgcsetzt,  was  bewiesen  werden  soll. 


setzen,   was  be- 


iesen  werden  Simpl.     Wicso?      Mir    schcint    ein   tadelloser   Syllogismus 


soll. 


vorzu- 


liegen und  nicht  eine  petitio  priiicipiiJ'') 

Salv.  Ihr  sollt  hören,  wieso.  Sagt  mir  doch,  nimmt  man  nicht 
beim  Beweise  die  Schlufsfolgerung  als  unbekannt  an? 

Simpl.    Natürlich,  denn  sonst  wäre  es  überflüssig  sie  zu  beweisen. 

Salv.     Der  terminus  medius  aber  mufs  feststehen,  nicht  wahr? 

Simpl.  Das  mufs  er,  sonst  würde  man  iynotum  per  aeque  ignoUim 
beweisen  wollen. 

Salv.  Unsere  zu  beweisende  und  mithin  unbekannte  Schlufsfolge- 
rung ist  die  Unbewegtheit  der  Erde,  nicht  wahr? 

Simpl.     So  ist  es. 

Salv.  Und  ist  nicht  die  Prämisse,  die  feststehen  mufs,  der  gerad- 
linig lotrechte  Fall  des  Steines? 


[156.  157.]  Zweiter  Tag.  147 

Simpl.     Allerdings  ist  das  die  Prämisse. 

Salv.  Aber  haben  wir  nicht  eben  gezeigt,  dafs  wir  keine  Kenntnis 
davon  haben  kömien,  ob  die  Falllinie  gerade  und  lotrecht  ist,  wenn 
nicht  zuvor  bekannt  ist,  dafs  die  Erde  feststeht?  Bei  Euerem  Syllo- 
gismus hängt  also  die  Zuverlässigkeit  der  Prämisse  von  der  Zuver- 
lässigkeit der  Behauptung  ab.  Ihr  seht  also,  welch  arger  Fehlschlufs 
das  ist. 

Sagr.  Ich  möchte  dem  Signore  Simplicio  zuliebe  den  Aristoteles, 
wo  möghch,  verteidigen  oder  mich  doch  wenigstens  besser  von  der 
Triftigkeit  Eueres  Schlufsverfahrens  überzeugen.  Ihr  sagt:  die  Beobr 
achtung  der  Bewegung  des  Steines  am  Turme  entlang  reicht  nicht 
aus,  um  uns  zu  vergewissern,  dafs  die  Bewegung  des  Steines  lotrecht 
ist  —  dies  ist  die  Prämisse  des  Syllogismus  — ,  es  sei  denn,  dafs  mau 
die  Erde  von  vornherein  als  unbewegt  voraussetzt  —  welches  die  erst 
zu  beweisende  Behauptung  ist.  Wenn  nämlich  der  Turm  sich  mit 
der  Erde  bewegte,  und  der  Stein  entlang  an  ihm  fiele,  so  würde  die 
Bewegung  des  Steines  schräg  und  nicht  lotrecht  sein.  Darauf  will  ich 
entgegnen:  wenn  der  Turm  sich  bewegte,  so  wäre  es  unmöglich,  dafs 
der  Stein  beim  Fallen  an  ihm  entlaug  streifte,  imd  darum  ergiebt  sich 
aus  dem  Entlangfallen  das  Stillestehen  der  Erde. 

Simpl.  So  ist  OS  auch;  denn  damit  der  Stein  dicht  am  Turme 
hinstreifen  kann,  während  dieser  mit  der  Erde  sich  bewegt,  müfste  er 
zwei  natürliche  Bewegmigen  besitzen,  die  geradlinige  nach  dem  Mittel- 
punkte und  die  kreisförmige  um  den  Mittelpunkt,   was  unmöglich  ist. 

Salv.  Die  Verteidigung  des  Aristoteles  besteht  also  darin,  dafs 
der  Stein  unmöglich,  oder  wenigstens  seiner  Ansicht  nach  unmöglich, 
eine  aus  Geradem  und  Kreisförmigem  gemischte  Bewegung  ausführen 
kann.  Denn  hätte  Aristoteles  es  nicht  für  unmöglich  gehalten,  dafs 
der  Stein  sich  gleichzeitig  nach  dem  Mittelpunkte  und  um  ihn  be- 
wegte, so  würde  er  eingesehen  haben,  dafs  möglicherweise  der  fallende 
Stein  dem  Turme  entlang  streifen  könnte,  ebensowohl  wemi  letzterer 
sich  bewegt,  als  wemi  er  feststeht-,  er  würde  folglich  bemerkt  hal)en, 
dafs  aus  dem  Entlangfallen  nichts  über  die  Bewegung  oder  Ruhe  der 
Erde  sich  schliefsen  lassen  könnte.  Dies  entschuldigt  indessen  den 
Aristoteles  keineswegs,  nicht  luir  weil  er  bei  einem  so  wesentlichen 
Punkte  seiner  Beweisführung  es  ausdrücklich  hätte  sagen  müssen, 
wenn  dies  seine  Ansicht  war,  sondern  auch  deswegen,  weil  man  weder 
eine  solche  Thatsache  für  uiim(>glich  halten  darf,  noch  auch  glauben, 
dafs  Aristoteles  sie  für  imiu(')gllch  gehalten  luit.  Man  darf  ersteres 
nicht,  weil,  wie  ich  gleich  zeigen  werde,  sie  möglich,  ja  sogar  not- 
wendig   ist;    mau    kann    aber    auch    letzteres    nicht    behaupten,    weil 

10* 


]^48  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [157.  158.] 

Aristoteles    Aiüstoteles  selbst  emräumt,  dafs  das  Feuer  von  Natur  aus  sich  in  ge- 
das  rel"er  sich  rader  Linie  aufwärts  bewegt  und   gleichzeitig  jener   täglichen  Kreisbe- 
nach oben     weo-uns  folgt,  welche  vom  Himmel  aus  sich  auf  das  gesamte  Element 

seiner  Natur  o       o  o  7  u 

zufolge,  und   (Jes  Feucrs  und  auf  den   gröfseren  Teil   der  Luft    überträgt.  ^"^ )     Wenn 

kreisförmig  in-  "  ■  i  •  -r» 

folge  von     ej.   gg   also   uicht   für  unmöo-lich  hält,   dafs   die   geradlinige  Bewegung 

Übertragung  '^  _  '  _  "  <='  a        c 

bewegt.  nach  oben  mit  der  kreisförmigen  sich  mischt,  welche  von  der  Mond- 
sphäre auf  Feuer  und  Luft  übertragen  wird,  so  wird  er  um  so  weniger 
bei  dem  Steine  die  Mischung  von  geradliniger  Bewegung  nach  unten 
mit  kreisförmiger  in  Abrede  stellen  dürfen;  deim  letztere  wäre  dem 
ganzen  Erdball  eigentümlich,  von  dem  der  Stein  ein  Teil  ist. 

Simpl.  Ich  glaube  das  nicht.  Denn  wenn  das  Element  des  Feuers 
ebenso  wie  die  Luft  sich  an  der  Kreisbewegung  beteiligt,  so  ist  es  sehr 
leicht  möglich,  ja  notwendig,  dafs  ein  von  der  Erde  aufsteigendes 
Feuerteilchen  beim  Passieren  der  bewegten  Atmosphäre  dieselbe  Be- 
wegung empfängt,  es  handelt  sich  ja  um  einen  so  dünnen,  leichten 
und  leichtbeweglichen  Körper.  Dafs  aber  ein  sehr  schwerer  Stein  oder 
eine  aus  der  Höhe  herabfallende  Kanonenkugel,  die  doch  einen  selb- 
ständigen Willen  hat,  durch  die  Luft  oder  etwas  anderes  sich  fort- 
reifsen  lassen  sollte,  grenzt  an  das  völlig  Unglaubliche.  Abgesehen 
davon  haben  wir  ja  auch  den  eigens  hierfür  ersonnenen  Versuch  mit 
dem  Steine,  den  man  von  der  Spitze  eines  Schiffsmastes  herabfallen 
läfst  und  der,  wenn  das  Schiff  feststeht,  am  Fufse  des  Mastes  an- 
langt, der  aber,  wenn  das  Schiff  sich  weiter  bewegt,  um  ebensoviel  von 
diesem  Punkte  entfernt  niederfällt,  als  das  Schiff'  während  des  Falles 
vorwärts  gekommen  ist;  dies  beträgt  aber  mehrere  Ellen,  wenn  das 
Schiff  schnell  fährt. 

Salv.     Das  Beispiel   des   Schiffes  und   das   der   Erde,    wenn  man 

letzterer   die   tägliche   Umdrehung   zuerkennt,    sind   von   einander   sehr 

verschieden.^')     Denn  es  liegt  klar  auf  der  Hand,   dafs  die  Bewegung 

Unterschied    des  Schiffcs,  die  doch  für  es  keine  natürliche  ist,  auch  bezüglich  aller 

zwischen  dem  '  •         t» 

Fall  des  Steines  darin  befiudUchen  Gegenstände  nur  als  zufällige  Bewegung  zu  betrachten 

von  der  Mast-  °  ^  o  o        o 

spitze  des     jgf;      Daher    ist    es   kein   Wunder,    dafs    der  Stein,    den    man   auf  der 

Schiffes  und  dem  '  ' 

^Höhe'de^s"  Mastspitze  festgehalten  hat  und  nachher  losläfst,  sich  abwärts  bewegt 
Turmes.  ohne  Verpflichtung,  der  Bewegung  des  Schiffes  zu  folgen.  Die  täg- 
liche Bewegung  aber  wird  dem  Erdball  und  demnach  allen  seinen 
Teilen  als  etwas  ihnen  Eigentümliches  und  Natürliches  beigelegt.  Von 
der  Natur  ihnen  eingepflanzt,  haftet  sie  unvertilgbar  an  ihnen.  Daher 
hat  der  Stein  auf  der  Spitze  des  Turmes  in  erster  Linie  den  Trieb 
sich  in  24  Stunden  um  den  Mittelpunkt  seines  Ganzen  zu  bewegen, 
und  dieser  natürlichen  Neigung  giebt  er  stets  nach,  in  welche  Lage 
er  auch  versetzt  werden  mag.     Um  Euch  davon  zu   überzeugen,  mül'st 


! 


[158.  159.]  Zweiter  Tag.  149 

Ihr  nur  aus  Euerem  Geiste  eine  eingewurzelte  Vorstellung  ausrotten  und 
Euch  sagen:  ich  liabe  bis  jetzt  gemeint^  es  sei  eine  Eigenschaft  der 
Erde  ohne  Drehung  um  ihren  Mittelpunkt  festzustehen;  darum  habe 
ich  niemals  eine  Schwierigkeit  oder  einen  Widerspruch  in  der  Vor- 
stellung gefunden,  dafs  auch  jedes  ihrer  Teilchen  von  Natur  in  der- 
selben Ruhe  verharrt.  Wenn  aber  der  natürliche  Trieb  des  Erdballs 
darauf  gerichtet  sein  sollte,  in  24  Stunden  eine  Drehung  auszufülu-en, 
so  mufs  ebenso  andererseits  jeder  seiner  Teile  die  im  wandelbare,  von 
Natur  eingepflanzte  Neigung  haben  nicht  festzustehen,  sondern  die 
gleiche  Bewegung  mitzumachen.  Ohne  jedweden  Anstofs  wird  man 
daher  schliefsen  dürfen:  da  die  Bewegmig,  welche  dem  Schiffe  durch 
die  Kraft  der  Ruder  mitgeteilt  wird,  und  welche  sich  von  diesem  auf 
alle  darin  befindlichen  Dinge  überträgt,  keine  natürliche,  sondern  eine 
fremdartige  ist,  so  mufs  allerdings  jener  Stein,  sobald  er  mit  dem  Schiffe 
nicht  mehr  verbunden  ist,  seine  ursprüngliche  Natur  wieder  annehmen 
und  einzig  und  allein  der  ihm  natürlichen  Bestimmung  obliegen. 
Dazu  kommt  noch,  dafs  notwendig  wenigstens  der  Teil  der  Atmosphäre,  ner  Teil  der 
der  unterhalb   der   höchsten  Grebirgserhebimo-en  lieact,    durch  die    ün-  unterhalb  der 

"  o  o    ;  höchsten  Berge 

ebeuheit    der    Erdoberfläche    mitgerissen    imd    in    drehende    Bewescuno-  folgt  der  Krd- 

"  ^  _  o        o       bewegung. 

versetzt  wird,  oder  wegen  seiner  Vermischung  mit  reichlichen  Dämpfen 
imd  irdischen  Ausdünstungen  schon  von  Natur  die  tägliche  Bewegung 
mitmacht,  während  etwas  Entsprechendes  von  der  Luft  in  der  Nähe 
des  Schiffes  nicht  gilt.  Daher  ist  der  Schlufs  von  dem  Schiffe  auf 
den  Turm  nicht  beweiskräftig.  Der  von  der  Mastspitze  ausgehende 
Stein  tritt  nämlich  in  ein  Medium  ein,  welches  die  Bewegung  des 
Schiffes  nicht  mitmacht;  der  Stein  aber,  der  von  der  Turmspitze  aus 
sich  in  Bewegung  setzt,  befindet  sich  in  einem  Medium,  das  dieselbe 
Bewegung  wie  der  ganze  Erdball  besitzt,  so  dafs  er,  ohne  von  der  Luft 
behindert  zu  sein,  im  Gegenteile  von  deren  Bewegung  gefördert  Avird 
und  umsomehr  dem  allgemeinen  Laufe  der  Erde  folgen  kann. 

Slmpl.     Ich  begreife  nicht,  wie  die  Luft  im  Stande  sein  soll  einem 
mächtigen    Steinblock,    einer    dicken    eisernen    oder    bleiernen    Kugel, 
welche  z.  B.  zweihundert  Pfund  wiegt,  die  Bewegung  einzuprägen,   in  Bewegung  der 
welcher  sie  selbst  begiriffen  ist  und  welche  sie  allerdin";s  <i;anz  leichten  ganz  leichte, 

.  .  „  .  1    1  n        1  •    1  1-    1    al)"  "icht  sehr 

Gegenständen  wie  etwa   einer  Feder   oder   einer  Schneeflocke   wirklich  schwere  Dinge 
mitteilt.    Die  Erfahrung  belehrt  mich  im  Gegenteile,  dafs  ein  Gewicht 
von  jener  Gröfse,  auch  dem  stürmischsten  Winde  ausgesetzt,  dennoch 
keinen  Finger  breit  bewegt  wird:  stellt  Euch  darnach  vor,  ob  die  Luft 
es  mit  sich  fortzutragen  vermag. 

Salv.     Zwischen  Euerer  Beobachtimg  und  unserem  Falle  herrscht 
eine  gröfse  Verschiedenheit.     Thr  lafst  den  Wind  auf  den  in  Ruhe  be- 


fortzuführeu. 


]^50  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [159.  160.] 

fmdliclieii  Stein  einwirken,  wir  aber  lassen  die  Lnft,  die  sich  bereits 
bewegt,  auf  den  Stein  einwirken,  der  sieb  gleichfalls  mit  der  nämlichen 
Geschwindigkeit  bewegt.  Die  Luft  braucht  ihm  also  nicht  erst  eine 
neue  Bewegimg  mitzuteilen,  sondern  blofs  die  vorhandene  zu  unter- 
stützen oder,  besser  gesagt,  nicht  zu  stören.  Ihr  wollt  den  Stein  in 
eine  fremdartige,  seiner  Natur  nicht  angemessene  Bewegung  versetzen, 
wir  ihn  in  seiner  natürlichen  erhalten.  Wenn  Ihr  ein  passenderes 
Beispiel  vorbringen  wolltet,  müfstet  Ihr  sagen,  man  solle  beobachten, 
wenn  nicht  mit  leiblichen,  so  doch  mit  geistigen  Augen,  was  eintreten 
würde,  wenn  ein  von  der  Kraft  des  Windes  getragener  Adler  aus 
seinen  Klauen  einen  Stein  fallen  liefse.  Dieser  ist  in  dem  Augenblicke, 
wo  ihn  die  Krallen  losliefseu,  schon  mit  derselben  Geschwindigkeit 
wie  der  Wind  einhergeflogen  und  tritt  nach  seiner  Loslösung  in  ein 
ebenso  schnell  bewegtes  Medium  ein;  deswegen  hege  ich  starken  Ver- 
dacht, dafs  man  ihn  nicht  lotrecht  herabfallen  sähe,  sondern  dafs  er 
gleichzeitig  der  Richtung  des  Windes  und  überdies  der  seiner  eigenen 
Schwere  folgen,  dafs  er  demnach  eine  schräge  Bewegung  ausführen 
würde. 

Simpl.  Man  müfste  in  der  Lage  sein,  einen  solchen  Versuch 
anzustellen  und  je  nach  dem  Ausfall  seine  Entscheidung  treifen.  In- 
zwischen scheinen  bei  dem  Schiffe  die  Thatsachen  einstweilen  für 
unsere  Meinung  zu  sprechen. 

Salv.  Mit  Recht  sagt  Ihr  einstweilen,  denn  binnen  kurzem 
dürfte  die  Sache  ein  anderes  Ansehen  gewiunen.  Um  Euch  nun  nicht 
länger,  wie  man  sagt,  auf  die  Folter  zu  spannen,  sagt  mir,  Signore 
Simplicio:  glaubtet  Ihr  wirklich  von  Grund  der  Seele,  der  Versuch 
mit  dem  Schiffe  passe  so  genau  auf  unseren  Fall,  dafs  man  vernünf- 
tigerweise beim  Erdball  ein  entsprechendes  Ergebnis  wie  bei  ihm  zu 
erwarten  habe? 

Simpl.  Bisher  habe  ich  das  allerdings  geglaubt;  imd  obgleich  Ihr 
etliche  unbedeutende  Verschiedenheiten  aufgezählt  habt,  scheinen  sie 
mir  doch  nicht  so  ausschlaggebend,  um  mir  meine  Meinung  zu  be- 
nehmen. 

Salv.  Es  ist  mir  sogar  sehr  lieb,  wenn  Ihr  bei  ihr  verharrt  und 
daran  festhaltet,  dafs  die  Erscheinungen  bei  der  Erde  analog  denen 
beim  Schiffe  sein  müssen.  Nur  lafst  Euch  nicht  die  Laime  anwandehi 
Euere  Meinung  zu  ändern,  wenn  sie  sich  als  unverträglich  mit  Eueren 
Zwecken  erweisen  sollte.  Ihr  sagt:  weil  bei  ruhendem  Schiffe  der 
Stein  am  Fufse  des  Mastes  niederfallt,  bei  bcAvegtem  hingegen  vom 
Fufse  entfernt,  so  läfst  sich  umgekehrt  schliefsen,  dafs,  wenn  der  Stein 
am  Fufse  niederfällt,   das  Schiff  stille  steht;   und  ebenso   ergiebt  sich. 


I 


[160,  161. J  Zweiter  Tag.  151 

dafs,  wenn  er  entfernt  davon  niederfällt,  das  Schiff  sich  bewegt.  Da 
nun,  was  beim  Schiffe  gilt,  auch  bei  der  Erde  eintreten  mufs,  so  folgt 
aus  dem  Niederfallen  des  Steines  am  Fufse  des  Turmes  mit  Notwen- 
digkeit die  Uubewegtheit  des  Erdballs.    Ist  das  nicht  Euer  Beweis? 

Simpl.  Ja,  und  zwar  in  gedrängter  Fassimg,  was  sehr  zur  Er- 
leichterung des  Verständnisses  beiträgt. 

Salv.  Nun  sagt  mir:  wenn  der  von  der  Spitze  des  Mastes  abge- 
lassene Stein  auch  bei  dem  rasch  bewegten  Schiffe  genau  an  derjenigen 
Stelle  des  Schiffes  niederfiele,  wohin  er  bei  dem  ruhenden  Schiffe  auf- 
trifft, welchen  Wert  würden  dann  diese  Fallversuche  für  die  Entschei- 
dung der  Frage  haben,  ob  das  Schiff  feststeht  oder  fährt? 

Simpl.  Absolut  keinen.  Ebenso  z.  B.  wie  aus  dem  Schlagen  des 
Pulses  sich  nicht  erkennen  läfst,  ob  jemand  schläft  oder  wacht,  Aveil 
der  Puls  in  gleicher  Weise  bei  Schlafenden  wie  bei  Wachenden  schlägt. 

Salv.  Sehr  wohl.  Habt  Ihr  jemals  den  Versuch  mit  dem  Schiffe 
angestellt?  3*) 

Simpl.  Ich  habe  es  nicht  gethan,  wohl  aber,  denke  ich,  haben 
die  Schriftsteller,  welche  ihn  anführen,  sich  sorgfältig  mit  ihm  be- 
schäftigt. Überdies  liegt  die  Ursache  der  Verschiedenheit  so  sehr  auf 
der  Hand,  dafs  kein  Raum  zum  Zweifel  bleibt. 

Salv.  Dafs  jene  Autoren  ihn  möglicherweise  anführen,  ohne  ihn 
angestellt  zu  haben,  dafür  seid  Ihr  selbst  ein  klassischer  Zeuge.  Denn 
ohne  ihn  angestellt  zu  haben,  citiert  Ihr  ihn  als  sicher  mid  verlafst 
Euch  in  gutem  Glauben  auf  ihr  Wort.  Ebenso  haben  möglicher-,  ja 
notwendigerweise  auch  jene  gehandelt,  sich  nämlich  auf  ihre  Vorgänger 
verlassen,  ohne  daf^  man  jemals  auf  einen  käme,  der  den  Versuch 
wirklich  angestellt  hätte.  Denn  jeder,  der  das  thut,  wird  finden,  dafs^'er  vom  scmss- 
sich  das  gerade  Gegenteil  von  dem  ergiebt,  was  man  geschrieben  liest,  stein  triff  "auf 

AT  •     1        ..      1-    1  -T,  ,      •       ,  -.    n        -,  r.      •  dieselbe  Stelle 

Man   wird   namlich   zum   Ergebnis   kommen,    dafs    der   Stem   stets    an  ™ag  das  Schiff, 
derselben  Stelle  des  Schiffes  niederfällt,  maoj  dieses  feststehen  oder  sich    «'ler  stiiie 

stcheu. 

mit  beliebiger  Geschwindigkeit  bewegen.  Da  aber  die  Erde  und  das 
Schiff'  gleiches  Verhalten  aufweisen  müssen,  so  läfst  sich  aus  dem  lot- 
rechten Falle  des  Steines  und  dem  Aufschlag  am  Fufse  des  Turmes 
nichts  über  Bewegmig  und  Ruhe  der  Erde  ermitteln. 

Simpl.  Wemi  Ihr  mich  nicht  auf  den  Weg  des  Versuchs  ver- 
wiesen hättet,  so  Avürde  nach  meiner  Meinung  unser  Hin-  und  Wider- 
reden so  bald  noch  kein  Ende  nehmen.  Denn  mir  scheint  diese  Frage 
für  menschliche  Spekulation  so  unzugänglich,  dafs  hier  niemand  sich 
erkühnen  kann,  etwas  zu  glauben  oder  zu  vermuten. 

Salv.     Und  doch  erkühne  icli  mich  das  zu  thun. 

Simpl.     Ihr  hättet  also  nicht  nur  nicht  hundertmal,  sondern  auch 


152  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [161.  162.] 

niclit  einmal  die  Probe  darauf  gemacht  imd  seid  doch  des  Erfolges 
ohne  weiteres  sicher?  Ich  kehre  zu  meinem  Unglauben  und  meiner 
anfanglichen  Überzeugung  zurück,  dal's  die  hauptsächlichsten  Autoren, 
welche  den  Versuch  anfuhren,  ihn  auch  angestellt  haben  und  zwar  mit 
dem   von  ihnen  angegebenen  Erfolge. 

Salv.  Ich  bin  ohne  Versuch  gewifs,  dals  das  Ergebnis  so  aus- 
fällt, wie  ich  Euch  sage,  denn  es  mufs  so  ausfallen.  Ja  noch  mehr, 
ich  behaupte,  Ihr  selbst  wifst  ebenfalls,  dafs  der  Ausfall  kein  anderer 
sein  kann,  weim  Ihr  Euch  auch  stellt  oder  vorgebt  Euch  zu  stellen, 
als  wüfstet  Ihr  es  nicht.  Ich  verstehe  aber  das  Handwerk  mit  Ge- 
hirnen umzugehen  so  meisterlich,  dafs  ich  Euch  gewaltsam  ein  Ge- 
ständnis entreifsen  werde.  Aber  Öignore  Sagredo,  Ihr  seid  so  stille, 
imd  doch  schien  es  mir  nach  Euerer  Gebärde,  als  wolltet  Ihr  etwas 
sagen. 

Sagr.  Ich  wollte  wirklich  eine  Bemerkung  machen,  aber  Euere 
Äufserung,  Ihr  wolltet  dem  Signore  Simplicio  dermalsen  Gewalt  an- 
thmi,  dafs  er  sein  absichtlich  verstecktes  Wissen  offenbare,  hat  mich 
neugierig  gemacht  und  jeden  anderen  Wunsch  in  mir  erstickt.  Ich 
bitte  Euch  also,  Euer  Rühmen  wahr  zu  machen. 

Salv.  Wenn  nur  Signore  Simplicio  die  Güte  haben  will,  auf  meine 
Fragen  zu  antworten,  so  soll  es  an  mir  nicht  fehlen. 

Simpl.  Ich  werde  antworten,  was  ich  weifs  mid  bin  sicher,  nicht 
in  Ungelegenheiten  zu  kommen.  Demi  von  dem,  was  ich  für  falsch 
halte,  kann  ich  meines  Bedünkens  nichts  wissen,  da  alles  Wissen  die 
Wahrheit  und  nicht  den  Irrtum  zum  Gegenstande  hat. 

Salv.  Ich  wünsche  nicht,  dafs  Ihr  sagt  oder  antwortet,  Ihr 
wüfstet  irgend  etwas,  was  Ihr  nicht  völlig  sicher  wifst.  Sagt  mir  also: 
wenn  Ihr  eine  ebene,  völlig  glatte,  spiegelähnliche  Fläche  habt,  von 
stahlhartem  Stoffe,  die  nicht  horizontal,  sondern  etwas  geneigt  ist,  und 
Ihr  legt  einen  vollkommen  kugelförmigen  Ball  darauf,  aus  schwerem, 
sehr  hartem  Stoffe,  etwa  aus  Bronze,  was  würde  er,  sich  selbst  über- 
lassen. Euerer  Ansicht  nach  thun?  Meint  Ihr  nicht  auch,  wie  ich,  er 
würde  ruhig  liegen  bleiben? 

Simpl.     Und  die  Fläche  soll  geneigt  sein? 

Salv.     Freilich,  diese  Voraussetzmig  habe  ich  ja  gemacht. 

Simpl.  Keineswegs  glaube  ich,  dafs  er  liegen  bleibt,  im  Gegen- 
teil, ich  bin  völlig  gewifs,  dafs  er  sich  von  selbst  nach  der  geneigten 
Seite  bewegen  würde. 

Salv.  Habt  wohl  Acht,  was  Ihr  sagt,  Signore  Simplicio;  ich  bin 
nämlich  überzeugt,  dafs  er  überall  ruhen  würde,  wohin  Ihr  ihn  auch 
legtet. 


[162.  163.]  Zweiter  Tag.  153 

Simpl.  Wenn  Ihr  Euch  auf  eine  solche  Art  von  Annahmen  stützt, 
daini  fange  ich  an  zu  hegreiten,  warum  Ihr  zu  grundfalschen  Ergeh- 
nissen gelaugt. 

Salv.  Ihr  haltet  es  also  für  ausgemacht,  dafs  die  Kugel  sich 
von  seihst  nach  der  geneigten  Seite  bewegen  Avürde? 

Simpl.     Welche  Frage! 

Salv.  Und  Ihr  haltet  das  für  feststehend,  nicht  weil  ich  es  Euch 
gelehrt  hätte  —  ich  suchte  Euch  ja  das  Gegenteil  einzureden  — , 
sondern  aus  freiem  Antrieb,  nach  Euerem  gesunden  Menschenverstände. 

Simpl.  Jetzt  verstehe  ich  Eueren  Kunstgriff;  Ihr  habt  nur  so  ge- 
redet, um  mich  kirre  zu  macheu,  wie  das  Volk  sagt,  nicht  weil  Ihr 
selbst  so  dächtet. 

Salv.  So  ist's.  W^ie  lange  mid  mit  welcher  Geschwindigkeit 
würde  nun  die  Kugel  fortfahren  sich  zu  bewegen?  Beachtet,  dafs  ich 
von  einer  vollkommen  runden  Kugel  und  einer  ausgezeichnet  glatten 
Ebene  gesprochen  habe,  um  damit  alle  äufsereu  und  zufälligen  Hinder- 
nisse auszusChliefsen.  Ebenso  möchte  ich  denn  auch,  dafs  Ihr  von  der 
Luft  abseht,  welche  insofern  ein  Hinderuis  bildet,  als  sie  dem  Durch- 
schneiden einen  AViderstand  entgegensetzt,  desgleichen  von  allen  anderen 
zufälligen  Hemmnissen,  wenn  etwa  solche  vorhanden  sein  sollten. 

Simpl.  Ich  habe  das  alles  ganz  gut  verstanden.  Euere  Frage 
anlangend  antworte  ich:  sie  würde  ins  mieudliche  fortfahren  sich  zu 
bewegen,  wenn  die  Neigung  der  Ebene  so  lange  vorhielte  imd  zwar 
in  stetig  beschleunigter  Bewegung.  Denn  wie  die  Natur  der  schweren 
Körper  es  mit  sich  bringt:  vires  acquirunt  etindo.^^)  Dabei  wird  die 
Geschwindigkeit  um  so  gröfser  sein,  je  stärker  die  Neigmig  der 
Ebene  ist. 

Salv.  Wemi  man  aber  wollte,  dafs  die  Kugel  auf  der  nämlichen 
Ebene  sich  nach  oben  bewegte,  würde  sie  das  Euerer  Meinung  nach 
thun? 

Simpl.  Freiwillig  nicht,  Avohl  aber,  Aveim  man  sie  gewaltsam 
hinauf  schiebt  oder  stöfst. 

Salv.  Und  wemi  sie  nun  vermöge  eines  gewaltsam  ihi-  mitge- 
teilten Anstofses  hinaufgetrieben  würde,  wie  beschaffen  und  von  wie 
langer  Dauer  würde  ihre   Bewegung  dann  seinV 

Simpl.  Die  Bewegung  würde  immer  mehr  ermatten  mid  sich 
verzögern,  weil  sie  naturwidrig  ist;  sie  würde  ferner  länger  oder  kürzer 
andauern,  je  nach  der  Stärke  des  Impulses  und  nach  dem  Grade  der 
Steilheit. 

Salv.  Ihr  habt  also  bis  jetzt,  wie  mir  scheint,  das  Verhalten 
eines   bewegten   Körpers    auf   zwei    verschiedenen   Ebenen    geschildert. 


154  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [163.  164.] 

Auf  der  geneigten  Ebeue,  sagtet  Ihr^  bewegt  sich  der  schwere  Körper 
freiwillig  abwärts  in  beständig  beschleunigter  Bewegung,  und  um  ihn 
dort  in  Ruhe  zu  halten,  mufs  mau  Kraft  anwenden-,  bei  der  aufstei- 
genden Ebene  aber  ist  Kraft  notwendig,  um  ihn  vorwärts  zu  treiben 
imd  ebenso  auch,  um  ihn  darauf  festzuhalten.  Die  ihm  mitgeteilte 
Bewegung,  sagtet  Ihr  ferner,  vermindert  sich  in  diesem  Falle  beständig 
und  hört  schliefslich  ganz  auf.  Weiter  behauptet  Ihr  noch,  dafs  in 
dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle  es  einen  Unterschied  macht,  ob 
die  Abschüssigkeit  oder  Steilheit  gröfser  oder  geringer  ist,  in  der 
Weise,  dafs  gröfsere  Abschüssigkeit  auch  gröfsere  Geschwindigkeit  be- 
dingt; umgekehrt  hingegen  bewegt  sich  der  gleiche  Körper  imter  Ein- 
wirkung der  gleichen  Kraft  auf  der  ansteigenden  Ebene  über  eine  um 
so  gröfsere  Strecke,  je  geringer  die  Erhebung  ist.  Nmi  sagt  mir,  was 
mit  dem  nämlichen  Körper  auf  einer  Fläche  geschähe,  die  weder  ab- 
schüssig ist,  noch  ansteigt. 

Simpl.  Hier  mufs  ich  mich  ein  wenig  auf  die  Antwort  besinnen. 
Da  keine  Abschüssigkeit  vorhanden  ist,  so  kaim  kein  natüTlicher  Trieb 
zur  Bewegimg  vorhanden  sein;  da  auch  kein  Ansteigen  stattfindet,  so 
kami  ebensowenig  ein  Widerstand  gegen  die  Bewegung  vorliegen;  der 
Körper  mufs  mithin  unterschiedslos  weder  einen  Hang  sich  zu  bewegen 
noch  ein  Widerstreben  gegen  die  Bewegung  besitzen.  Er  mufs  also, 
wie  mir  scheint,  von  Natur  aus  ruhen.  —  Aber  wie  vergefslich  ich 
bin!  Es  ist  noch  nicht  lange  her,  dafs  Signore  Sagredo  mir  erklärt 
hat,  dies  müsse  der  Fall  sein.**^) 

Salv.  Das  ist  auch  meine  Ansicht,  vorausgesetzt,  dafs  man  ihn 
ruhig  hinlegte.  Wenn  man  ihm  aber  einen  Anstofs  nach  irgend  welcher 
Richtimg  gäbe,  was  würde  geschehen? 

Simpl.  Ich  kami  weder  einen  Grund  für  eine  Beschleunigung 
noch  für  eine  Verzögerung  entdecken,  da  weder  ein  Ab-  noch  ein  An- 
steigen stattfindet. 

Salv.  Gut;  wemi  aber  kein  Grund  für  eine  Verzögerung  vorliegt, 
so  kann  um  so  weniger  ein  solcher  für  ein  völliges  Stillestehen  vor- 
liegen. Wie  lange  mufs  demnach  der  Körper  fortfahren  sich  zu  be- 
wegen? 

Simpl.  Solange  als  die  Ausdehnimg  dieser  weder  steilen  noch 
geneigten  Fläche  vorhält. 

Salv.  Wäre  diese  Länge  also  imbegrenzt,  so  würde  die  Bewegimg 
auf  ihr  gleichfalls  ohne  Grenzen  sein,  d.  h.  ewig,  nicht  wahr? 

Simpl.  So  scheint  es  mir  allerdings,  vorausgesetzt,  dafs  der  Körper 
von  einem  dauerhaften  Stoff  wäre. 

Salv.     Dies  ist  ja  insofern  vorausgesetzt,  als  wir  sagten,  es  sollten 


[164.  165.]  Zweiter  Tag.  155 

alle  zurälligen,  äufserlichen  Hindernisse  entfernt  werden;  die  Zerstör- 
barkeit des  Körpers  aber  ist  in  diesem  Falle  eines  der  zufälligen 
Hindernisse.  Sagt  mir  nun:  was  ist  Euerer  Ansicht  nach  die  Ursache, 
dafs  die  Kugel  auf  der  geneigten  Ebene  freiwillig,  auf  der  ansteigenden 
hingegen  nur  gezwmigen  sich  bewegt? 

Simpl.  Der  Grund  ist  der,  dafs  der  Trieb  der  schweren  Körper 
darauf  gerichtet  ist,  sich  nach  dem  Mittelpunkte  der  Erde  hin  zu  be- 
wegen, dafs  dieselben  aber  aufwärts  nach  dem  Umfange  des  Weltalls 
hin  sich  nur  gezwungen  bewegen.  Die  geneigte  Ebene  aber  bewirkt 
Annäherung  an  den  Mittelpunkt,  die  ansteigende  Entfernimg  von  dem- 
selben.^^) 

Salv.  Eine  Fläche,  welche  weder  abschüssig  noch  ansteigend  ist, 
mufs  also  in  allen  ihren  Teilen  gleich  weit  entfernt  vom  Mittelpunkte 
sein.     Giebt  es  denn  nun  solche  Flächen  in  der  Welt? 

Simpl.  Daran  fehlt  es  nicht.  Da  habt  Ihr  die  unseres  Erdballs, 
vorausgesetzt,  dafs  sie  vollkommen  glatt  wäre,  und  nicht  rauh  imd 
gebirgig,  wie  sie  es  thatsächlich  ist;  sodann  aber  die  Wasseroberfläche, 
solange  sie  unbewegt  und  ruhig  ist. 

Salv.  Ein  Schiff,  Avelches  bei  Meeresstille  daliinfährt,  gehört 
mithin  zu  den  Körpern,  welche  über  eine  weder  steile,  noch  abschüssige 
Fläche  der  besprochenen  Art  sich  fortbewegen.  Es  ist  daher  bestrebt, 
nach  Entfernung  aller  zufälligen  und  äufserlichen  Hindernisse,  mit  der 
ihm  einmal  mitgeteilten  AnfangsgeschAvindigkeit  unablässig  imd  gleich- 
förmig sich  fortzubewegen. 

Simpl.     So  mufs  es  sein,  scheint  mir. 

Salv.  Und  vollzieht  der  Stein,  der  sich  auf  der  Spitze  des  Mastes 
befindet,  nicht  gleichfalls,  vom  Schifte  getragen,  eine  Bewegung  um 
den  Mittelpmikt  längs  einer  Kreisperipherie,  also  eine  Bewegmig,  die 
in  ihm,  abgesehen  von  den  äufsereu  Hindernissen,  unvertilgbar  fortbe- 
steht? Und  ist  diese  BcAvegmig  nicht  ebenso  geschwind  wie  die  des 
Schiftes? 

Simpl.     So  weit  ist  alles  in  Ordnimg.     Was  nun  weiter? 

Salv.  Zieht  daraus  rechtzeitig  selber  den  letzten  Schlufs,  wo  Ihr 
doch  selber  alle  Prämissen  gekamit  habt. 

Simpl.  Ihr  versteht  imter  dem  letzten  Schlüsse,  dafs  jener  Stein, 
da  ihm  seine  Bewegung  unvertilgbar  eingeprägt  ist,  diese  nicht  auf- 
geben, sondern  dem  Schifte  folgen  und  schliefsHch  an  demselben  Orte 
niederfallen  wird  wie  beim  ruhenden  Schiffe.  Auch  ich  meine,  dafs 
das  geschehen  würde,  wenn  nicht  äufsere  Hindernisse  einträten,  welche 
die  Bewegung  des  Steines  nach  dem  Loslassen  stören.  Solcher  Hin- 
demisse sind  aber  zweie  vorhanden:   das   eine  besteht  darin,   dafs  der 


156  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [165.  166.] 

Körper  anfser  Stande  ist,  die  Luft  blofs  durcli  seinen  Impuls  zu  durcli- 
sclineiden,  da  auf  ilin  die  bewegende  Kraft  der  Ruder  nicht  mehr 
wirkt,  wie  sie  es  that,  während  er  als  Teil  des  Schiffes  auf  dem  Mäste 
sich  befand;  das  andere  ist  die  neu  hinzutretende  Bewegimg  des  Ab- 
wärtsfallens,  die  auch  notwendig  der  anderen  fortschreitenden  Be- 
wegung hinderlich  sein  mufs. 

Salv.  Was  das  Hemmnis  der  Luft  anlangt,  so  stelle  ich  es  nicht 
in  Abrede;  und  wäre  der  fallende  Körper  von  leichtem  Stoff,  etwa 
eine  Feder  oder  eine  Wollflocke,  so  würde  die  Verzögerung  recht 
grofs  sein,  bei  einem  schweren  Steine  hingegen  ist  sie  aufserordentlich 
gering.  Ihr  selbst  habt  noch  eben  gesagt,  dafs  die  Kraft  des  stür- 
mischsten Windes  nicht  genügt,  um  einen  dicken  Stein  von  der  Stelle  zu 
bringen,  erwägt  darnach,  was  die  ruhende  Luft  gegen  den  Stein  aus- 
zurichten vermag,  wo  dieser  sich  nicht  geschwinder  als  das  Fahrzeug 
gegen  sie  bewegt.  Gleichwohl  gebe  ich  Euch,  wie  gesagt,  den  kleinen 
Einflufs  zu,  welchen  dieses  Hindernis  übt.  Ebenso  werdet  Ihr  mir 
zugeben,  davon  bin  ich  überzeugt,  dafs,  wemi  die  Luft  sich  mit  der- 
selben Schnelligkeit  wie  das  Schiff  und  der  Stein  bewegte,  der  Einflufs 
dieses  Hindernisses  völlig  schwinden  würde.  Was  das  andere,  die 
hinzutretende  Abwärtsbewegung,  betrifft,  so  ist  erstlich  klar,  dafs  die 
beiden  Bewegungen,  nämlich  die  kreisförmige  um  den  Mittelpunkt  und 
die  geradlinige  gegen  den  Mittelpunkt  nicht  entgegengesetzt  sind,  noch 
sich  gegenseitig  aufheben,  noch  mit  einander  unverträglich  sind.  Denn 
was  den  bewegten  Körper  anlangt,  so  hat  er  keinerlei  Widerstreben 
gegen  besagte  Bewegung;  Ihr  selbst  habt  ja  gesagt,  die  Abneigung 
sei  gegen  die  vom  Centrum  sich  abwendende  Bewegung  gerichtet, 
Neigung  hingegen  zeige  er  für  die  zum  Centrum  hinführende  Bewegung. 
Hieraus  folgt  mit  Notwendigkeit,  dafs  der  Körper  für  diejenige  Be- 
wegung, die  keine  Amiähermig  und  keine  Entfernung  vom  Mittelpunkte 
erzeugt,  weder  Abneigung  noch  Zuneigung  hat,  und  dafs  demnach  kein 
Grund  zur  Verminderung  des  ihm  eingej)rägten  Impulses  vorliegt.  Da 
nun  nicht  blofs  eine  bewegende  Ursache  vorhanden  ist,  welche  infolge 
der  neuen  Einwirkung  ermatten  müfste,  sondern  zwei  von  einander 
verschiedene,  deren  eine,  die  Schwere,  sich  blofs  damit  beschäftigt, 
den  Kfirper  nach  dem  Centrum  hinzuziehen,  während  die  andere,  die 
eingeprägte  Bewegung,  ihn  um  den  Mittelpmikt  zu  führen  bestrebt 
ist,  so  bleibt  kein  Anlafs  zu  einer  Hemmung  übrig. 

Simpl.  Euere  Beweisführung  ist  wirklich  dem  Anscheine  nach 
recht  plausibel,  in  Wahrheit  aber  ist  doch  ein  Haken  dabei,  von  dem 
sie  schwer  zu  befreien  ist.  Ihr  habt  durchweg  bei  Euerem  Schlufs- 
verfahren   eine    Voraussetzung   gemacht,   die  Euch   von   der  peripateti- 


|166.  167.]  Zweiter  Tag.  157 

Nclieu  Schule  nicht  leicht  zugegeben  Avird^  da  sie  dem  Aristoteles  schnur- 
stracks  widerspricht/^)      Ihr   betrachtet  es  nämlich   als   notorisch  und 
offenbar,   dafs   der  geschleuderte  Körper,   losgelassen   vom  Schleudern-  Der  geschieu- 
•len,  seine  Bewegung  fortsetzt  vermöge  der  ihm  von  dem  Schleudernden     wird  nach 

n  •  T^       f  T\-  •  -ir       p  Aristoteles  nicht 

selber   enigepragten   Krait.      Diese   eingeprägte   Kraft   aber   ist  in   der  »lurch  einge- 

.      ,  „     .  .  O    1       O  _^  prägte  Kraft, 

peripatetischen  Philosophie  etwas  ebenso  Verpöntes  wie  die  Über-  sondern  durch 
tragung  eines  Zustandes  von  einem  Subjekt  auf  ein  anderes.  Jene  bewegt. 
Schule  hält  vielmehr  daran  fest,  wie  Euch  bekannt  sein  wird,  dafs  der 
geschleuderte  Körper  von  dem  Medium  getragen  wird,  welches  in 
unserem  Falle  die  Luft  ist.  Wenn  daher  der  von  der  Mastspitze  ab- 
gelassene Stein  der  Bewegimg  des  Schiffes  folgen  sollte,  so  müfste 
man  diese  Thatsache  auf  die  Luft  zurückführen,  nicht  auf  eine  ihm 
eingeprägte  Kraft.  Ihr  nehmt  aber  an,  die  Luft  folge  nicht  der  Be- 
wegung des  Schiffes,  sondern  sei  ruhig.  Überdies  soll  die  Person, 
die  ihn  fallen  läfst,  ihn  nicht  schleudern,  noch  ihn  vermöge  des  Armes 
einen  Antrieb  mitteilen,  sondern  einfach  die  Hand  öffnen  und  ihn  los- 
lassen. So  wird  also  der  Stein  weder  infolge  einer  von  der  Hand  des 
Werfenden  mitgeteilten  Kraft,  noch  infolge  einer  Mitwirkung  der  Luft 
der  Bewegung  des  Schiffes  folgen  können,  er  wird  also  zurückbleiben 
müssen. 

Salv.  Ich  glaube  Eueren  Worten  entnehmen  zu  müssen,  dafs, 
wenn  der  Stein  nicht  von  jemandes  Arme  geschleudert  wird,  seine 
Bewegung  unter  keinen  Umständen  ein  Wurf  sei. 

Simpl.  Man  kann  daim  nicht  von  einer  eigentlichen  Wurfbe- 
wegung sprechen. 

Salv.  Demnach  hat  das,  was  Aristoteles  von  der  Bewegung  des 
Körpers  und  von  der  bewegenden  Ursache  des  Geworfenen  sagt,  mit 
unserem  Gegenstande  nichts  zu  thun;  und  hat  es  nichts  damit  zu 
thun,  warum  führt  Ihr  es  an? 

Simpl.  Ich  führe  es  an  anläfslich  jener  eingeprägten  Kraft,  die 
Ihr  erwähnt  und  benutzt  habt.  Da  diese  aber  in  der  Welt  iiieht 
existiert,  so  kann  sie  nichts  wirken,  denn  non  entiiim  nuUae  sunt  opc- 
rationes.'^^)  Man  mufs  daher  nicht  nur  bei  der  Wurfbewegimg,  sondern 
bei  jeder  anderen  nicht  natürlichen  die  bewegende  Ursache  in  dem 
Medium  suchen.  Darauf  ist  nicht  die  gebührende  Hücksicht  genommen 
und  darum  ist  das  bisher  Vorgebrachte  nicht  i)eweiskräftig. 

Salv.  Wohl  denn,  es  sei!  Sagt  mir  jedoch:  da  Euer  Einwand 
sich  durchaus  auf  das  Nichtvorhandensein  einer  eingeprägten  Kraft 
gründet,  werdet  Ihr  dann,  wemi  ich  den  Beweis  erbringe,  dal's  iukIi 
dem  Loslassen  des  geworfenen  Körpers  das  Medium  nichts  mit  der 
Fortsetzung  der  BeAvegnng  zu  tliun  hat,   das  Vorhandensein  einer  ein- 


158  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [167.  168.] 

geprägteii  Kraft  anerkennen  oder  werdet  Ihr  mit  anderen  Mittebi  einen 
Feldzug  zu  ihrer  Vernichtung  unternehmen? 

Simpl.  Nach  Beseitigung  der  Wirkung  des  Mediums  sehe  ich 
nichts,  wozu  man  seine  Zuflucht  nehmen  könnte,  aufser  zu  der  vom 
Werfenden  eingeprägten  Kraft. 

Salv.  Um  soviel  wie  möglich  ein  endloses  Hin-  und  Widerreden 
abzuschneiden,  wird  es  gut  sein,  wenn  Ihr  möglichst  deutlich  ausein- 
andersetzen wolltet,  in  welcher  Weise  das  Medium  die  fortgesetzte 
Bewegung  des  geworfenen  Körpers  bewirkt. 

Simpl.     Der  Werfende  hat  den  Stein  in  der  Hand,  er  bewegt  mit 

einer   gewissen   Geschwindigkeit  und   Kraft   den  Arm.      Dabei   bewegt 

Wirksamkeit  sich   der   Stein,    aber   ebenso   sehr   die   benachbarte   Luft,   so   dafs   der 

des  Mittels  bei  '        .  i         tt        i    i  i  •  •   ^ 

der  fortgesetzten ^tein  im  Augenblicke,  wo  er  von  der  Hand  losgelassen  wird,   sich  in 

Bewegung  des  o  7  o  ?  ^ 

geschleuderten  jgj.   L^jf^   befindet,    die   selbst   schon   in  lebhafter   Beweguncr   beo;riffen 

Körpers.  _  _"  .  . 

ist;   von   dieser  wird  er   dann   dahingetragen.     Wirkte   die  Luft   nicht, 
so  würde  der  Stein  dem  Werfenden  aus  der  Hand  vor  die  Füfse  fallen. 
Salv.     Und  Ihr  seid  so  leichtgläubig  gewesen,  dafs  Ihr  Euch  der- 
gleichen  Nichtigkeiten   habt    einreden   lassen,    während    Ihr    in   Euch 
Vielfache  Ver-  sclbst  Siuuc  hattet,   um  sie  zu  widerlegen  und  die  wahre  Sachlage  zu 
Gründe  gegen  begreifen?     So   sagt  mir  demi:   wenn   statt  ienes   grofsen  Steines  und 

die  von  .'\risto-  .      '^  1  1  t  •     p      1  p      i  m-       1  1 

teies  angenom- neuer  Kanoneiikugel,    die,    einfach    auf   den  Tisch    gelegt,    trotz    ledes 

Mcne  Ursache  ^  .  ... 

der  wurfbe-   noch  SO  ungestttmcn  Windes  unbeweglich  bleiben,  wie  Ihr  vor  kurzem 

wegung.  _  ^  _  °  ' 

versichert  habt,  eine  Kugel  von  Kork  oder  eine  ebenso  grofse  von 
Baumwolle  dalägen,  würde  sie  der  Wind  Euerer  Ansicht  nach  von 
der  Stelle  bewegen? 

Simpl.  Gewifs,  ich  bin  sogar  überzeugt,  dafs  er  sie  fortfuhren 
würde  und  zwar  um  so  schneller,  je  leichter  der  Stoff  ist.  Demi  nur 
aus  diesem  Grunde  sehen  wir  die  Wolken  mit  einer  Schnelligkeit 
dahinfliegen,  die  dem  sie  treibenden  Winde  gleichkommt. 

Salv.     Und  was  ist  Wind? 

Simpl.    Unter  Wind  versteht  man  nichts  anderes  als  bewegte  Luft. 

Salv.  Die  bewegte  Luft  trägt  also  ganz  leichte  Stoffe  weit  rascher 
und  auf  weit  gröfsere  Entfernungen  hin,  als  sehr  schwere? 

Simpl.     Gewifs. 

Salv.  Wenn  Ihr  aber  mit  dem  Anne  einmal  einen  Stein  werfen 
sollt  und  sodann  eine  Flocke  Baumwolle,  was  würde  sich  geschwinder 
und  in  gröfsere  Ferne  bewegen? 

Simpl.  Der  Stein  bei  weitem,  die  Baumwolle  würde  mir  geradezu 
vor  die  Füfse  fallen. 

Salv.  Wenn  aber  die  Bewegungsursache  des  geworfenen  Körpers, 
nachdem  die  Hand  ihn  losgelassen,   nur   die   vom  Arme   bewegte  Luft 


[168.  169.]  Zweiter  Tag.  159 

ist,  und  wemi  diese  besser  leichte  als  schwere  Stoffe  bewegt,  wie 
kommt  es,  dafs  das  Wurfgeschofs  von  Baumwolle  nicht  weiter  und 
schneller  fliegt  als  das  von  Stein?  Es  mufs  doch  im  Steine  noch 
etwas  anderes  sein,  abgesehen  von  der  Bewegung  der  Luft.  —  Weiter 
denkt  Euch  von  dem  Balken  dort  zwei  gleich  lauge  Fäden  herab- 
hängen, am  Ende  des  einen  sei  eine  Bleikugel,  am  anderen  eine  aus 
Baumwolle  befestigt.  Angenommen  man  entfernte  beide  gieichweit 
aus  der  lotrechten  Lage  und  überliefse  sie  sodann  sich  selbst,  so 
würden  sich  beide  unzweifelhaft  gegen  die  lotrechte  Lage  hinbewegen, 
von  dem  eigenen  Antrieb  um  eine  gewisse  Strecke  darüber  hinausge- 
führt werden  und  endlich  in  sie  zurückkehren.  Welches  von  beiden 
Pendeln  aber  würde  nach  Euerer  Meinung  sich  länger  bewegen,  bevor 
es  in  die  lotrechte  Ruhelage  zurückkehrt'? 

Simpl.  Die  Bleikugel  wird  tausendmal  hin-  und  hergehen,  die 
baumwollene  zwei-  oder  dreimal  höchstens. 

Salv.  Mithin  erhält  sich  jener  Antrieb,  jene  Beweglichkeit,  was 
auch  die  Ursache  davon  sein  mag,  länger  in  schweren  als  in  leichten 
Körpern.  —  Ich  komme  nun  auf  einen  anderen  Punkt  und  frage  Euch: 
warum  trägt  jetzt  die  Luft  nicht  die  Citrone  dort  auf  dem  Tische  weg? 

Simpl.     Weil  die  Luft  selbst  sich  nicht  bewegt. 

Salv.  Der  Werfende  mufs  also  der  Luft  ein^e  Bewegung  mitteilen, 
vermöge  deren  nachher  diese  den  geworfenen  Körper  bewegt.  Wenn 
aber  eine  solche  Kraft  sich  nicht  einprägen  läfst,  da  ein  Zustand  nicht 
von  einem  Subjekte  auf  ein  anderes  übergehen  kann,  wieso  kann  da 
ein  Übergang  vom  Arme  auf  die  Luft  stattfinden?  Ist  die  Luft  etwa 
kein  vom  Arme  verschiedenes  Subjekt? 

Simpl.  Darauf  läfst  sich  erwidern,  dafs  die  Luft,  weil  imierbalb 
ihrer  Region  weder  leicht  noch  schwer*^),  aufserordentlich  geneigt  ist, 
jeden  Impuls  aufzunehmen  und  ihn  ferner  zu  bewahren. 

Salv.  Wenn  uns  aber  die  Pendel  jetzt  eben  gezeigt  haben,  dafs 
der  Körper,  je  weniger  er  der  Schwere  teilhaftig  ist,  in  um  so  geringerem 
Mafse  die  Fähigkeit  besitzt,  seine  Bewegung  beizubehalten,  wie  soll 
da  die  Luft,  welche  innerhalb  der  Luft  gar  keine  Schwere  hat,  ganz 
allein  die  empfangene  Bewegung  beibehalten?  Ich  bin  der  Ansicht 
und  weifs,  auch  Ihr  seid  jetzt  der  Ansicht,  dafs,  wenn  kaum  der  Arm 
stille  hält,  so  auch  die  umgebende  Luft  sofort  wieder  ruhig  wird. 
Lafst  uns  ins  Zimmer  gehen  und  schwenken  wir  ein  Handtuch,  um 
die  Luft  so  viel  wie  möglich  aufzurühren;  sobald  das  Tuch  dann  ruhig 
ist,  bringe  man  ein  kleines  angezündetes  Kerzchen  ins  Zimmer  oder 
lasse  ein  Blatt  Flittergold  fliegen.  Ihr  werdet  dann  an  der  ruhigen 
Bewegung  des  einen  wie  des   anderen   bemerken,   Avie   die  Luft  sofort 


160  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [169.  170.] 

wieder  stille  wird.  Icli  könnte  Euch  tausend  derlei  Versuche  anführen, 
aber  wem  ein  einziger  nicht  schon  ausreicht,  an  dem  wäre  alle  Mühe 
verschwendet. 

Sagr.  Wenn  man  einen  Pfeil  gegen  den  Wind  abdrückt,  wie 
unglaublich  ist  es,  dafs  jenes  schmale  Streifchen  Luft,  von  der  Sehne 
getrieben,  durch  dick  und  dünn  den  Pfeil  begleitet!  Aber  auch  ich 
möchte  von  Aristoteles  über  einen  Umstand  Aufklärung  erhalten  und 
bitte  daher  Signore  Simplicio  gütigst  antworten  zu  wollen.  Wenn  mit 
demselben  Bogen  zwei  Pfeile  abgeschossen  werden,  einer  in  der  ge- 
wöhnlichen Weise  mit  der  Spitze  nach  vorne,  der  andere  quer, 
indem  man  ihn  nämlich  der  Länge  nach  auf  die  Sehne  legt  und 
aus  dieser  Lage  abschiefst,  dann  möchte  ich  wissen,  welcher  vou 
ihnen  weiter  fliegen  wird.  Habt  die  Gewogenheit  mir  zu  antworten, 
wemi  Euch  auch  vielleicht  die  Bitte  ein  bifschen  lächerlich  erscheint; 
nehmt  es  mir  nicht  übel,  dafs  ich  so  ungeschickt  bin,  und  meine 
Spekulationen  keinen  höheren  Aufschwung  nehmen. 

Simpl.  Ich  habe  niemals  einen  Pfeil  der  Quere  nach  abschiefseu 
sehen-,  trotzdem  glaube  ich,  dafs  er  in  dieser  verkehrten  Lage  noch 
nicht  den  zwanzigsten  Teil  so  weit  flöge  als  mit  der  Spitze  nach  vorn. 

Sagr.  Weil  ich  derselben  Meinung  gewesen  bin,  darum  habe  ich 
Anlafs  genommen,  an  der  Übereinstimmung  der  aristotelischen  Ansicht 
mit  der  Erfahrung  zu  zweifeln.  Wenn  ich  nämlich  hier  auf  den  Tisch 
zwei  Pfeile  lege  in  einem  Augenblicke,  wo  ein  kräftiger  Wind  geht, 
den  einen  längs  der  Windrichtung,  den  anderen  quer  dazu,  so  lehrt 
die  Erfahrung,  dafs  der  Wind  diesen  leicht  davonträgt,  jenen  aber 
liegen  lassen  wird.  Dasselbe,  meine  ich,  müfste  bei  den  zwei  Bogen- 
schüssen eintreten,  wenn  die  Lehre  des  Aristoteles  wahr  wäre.  Demi 
der  querliegende  Pfeil  wird  von  einer  grofsen  Menge  Luft  getrieben, 
von  einer  so  grofsen  nämlich,  als  seiner  Länge  entspricht,  während 
der  andere  nur  einen  Impuls  empfängt  von  soviel  Luft,  "wie  dem  ganz 
kleinen  Querschnitte  desselben  entspricht.  Ich  kann  mir  nicht  denken, 
woher  diese  Verschiedenheit  rührt  und  möchte  gerne  die  Ursache  von 
Euch  erfahren. 

Simpl.  Sie  liegt  auf  der  Hand,  dünkt  mich.  Der  mit  der  Spitze 
nach  vorn  abgeschossene  Pfeil  hat  nämlich  eine  geringe  Menge  Luft 
7A\  durchdringen,  der  andere  hingegen  eine  so  grofse  Menge  zu  durch- 
schneiden, als  seine  ganze  Länge  beträgt. 

Sagr.  Die  abgeschossenen  Pfeile  müssen  also  die  Luft  durcli- 
dringen?  Ei,  wenn  die  Luft  sich  mit  ihnen  bewegt,  wenn  sie  es 
sogar  ist,  die  sie  dahin  trägt,  wie  kann  dann  von  einer  Durchdringung 
die  Rede   sein?      Seht   Ihr   nicht    ein,   dafs   in   diesem  Falle   der    Pfeil 


[170.  171.]  Zweiter  Tag.  161 

sicli  mit  gröfserer  Geschwindigkeit  als  die  Luft  bewegen  müfste? 
Und  wer  teilt  diese  gröfsere  Geschwindigkeit  dem  Pfeile  mit?  Wollt 
Ihr  behaupten,  die  Luft  gebe  ihm  eine  gröfsere  Geschwindigkeit,  als 
sie  selbst  besitzt?  Ihr  seht  also,  Sig-nore  Simplicio,  die  Sache  ver- 
läuft gerade  umgekehrt,  wie  Aristoteles  sagt;  es  ist  ebenso  falsch,  das 
Medium  als  bewegende  Ursache  des  geworfenen  Körpers  zu  betrachten,   uas  Medium 

.  .  .  .  .  .  'bringt  die  Wurf- 

wie    es    richtig    ist,    dafs    dieses    allein    ihm    hinderlich    eutscegentritt.  Bewegung  nicht 

,  o    o  hervor,  sondern 

Habt  Ihr   aber   das  begriffen,   so  werdet  Ihr   auch   ohne  Schwierigkeit    i'i°'iert  sie. 

l)egreifen,    dafs,   wemi  die  Luft  sich   wirklich  bewegt,   sie  weit   besser 

den   Pfeil    der   Quere   als   der  Länge    nach    fortträgt.      Denn    in   jeuer 

Lage  wird  er  von  einer  gröfseren,   in   dieser  von   einer   ganz  geringen 

Menge  Luft  getrieben.     Schiefst  man  aber  mit  dem  Bogen,  in  welchem 

Falle  die  Luft  unbewegt  bleibt,  so  erfährt  der  querhegende  Pfeil,   der 

auf  viele  Luft  stöfst,   einen   bedeutenden   Widerstand,   der  der  Länge 

nach    abgedrückte    aber    überwindet    das   Hindernis    der    ganz    kleinen 

sich  entgegensetzenden  Luftmenge  mit  gröfster  Leichtigkeit. 

Salv.  Wie  viele  Behauptungen  im  Aristoteles  habe  ich  bemerkt 
—  ich  meine  stets  nur  in  seiner  Naturphilosophie  — ,  die  nicht  nur 
falsch  sind,  sondern  dermafsen  falsch,  dafs  ihr  diametrales  Gegenteil 
richtig  ist,  wie  in  diesem  Falle!  Um  aber  auf  unseren  Gegenstand 
zurückzukommen,  so  glaube  ich,  Signore  Simplicio  ist  nunmehr  über- 
zeugt, dafs  aus  der  Beobachtung  des  Steines,  der  immer  an  derselben 
Stelle  niederfällt,  sich  nichts  betreffs  der  Bewegung  oder  der  Ruhe 
des  Schiffes  schliefsen  läfst.  Und  wenn  das  Bisherige  ihn  noch  nicht 
befriedigen  sollte,  so  bleibt  ihm  noch  das  Mittel  des  Experimentes, 
welches  ihn  wohl  völlig  vergewissern  wird.  Bei  dessen  Ausführung 
würde  er  günstigsten  Falls  vielleicht  ein  Zurückbleiben  des  fallenden 
Körpers  bemerken,  sobald  dieser  aus  einem  sehr  leichten  Stoffe  be- 
steht und  die  Luft  der  Bewegung  des  Schiffes  nicht  folgt.  Wenn  sich 
aber  die  Luft  mit  gleicher  Geschwindigkeit  bewegt,  so  wird  keine 
denkbare  Verschiedenheit  weder  bei  diesem  noch  bei  irgend  welchem 
anderen  Versuche  stattfinden,  wie  ich  gleich  auseinandersetzen  werde. 
Wenn  nun  schon  in  diesem  Falle  keinerlei  Verschiedenheit  zu  Tage 
tritt,  was  soll  man  erst  bei  dem  von  der  Turmspitze  fallenden  Steine 
erwarten,  wo  die  Kreisbewegung  dem  Steine  nicht  nachträglich  und  zu- 
fällig beigebracht  wird,  sondern  ihm  von  Natur  und  für  alle  Ewigkeit 
zukommt,  wo  die  Luft  genau  der  BcAvegung  des  Turmes  und  der  Turm 
der  des  Erdballs  folgt?  Habt  Ihr  in  dieser  Sache  noch  ehie  Erwide- 
rung vorzubringen,  Signore  Simplicio? 

Simpl.  Nur  die  eine,  dafs  ich  die  Bewegung  der  Erde  bis  jetzt 
nocli  nicht  erwiesen  sehe. 

GAUtiKi,  Weltsystomc.  11 


1G2  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [171.   172.] 

Salv.  Ich  habe  auch  gar  nicht  den  Anspruch  erhoben^  sie  be- 
weisen zu  wollen,  sondern  blofs  zu  zeigen,  wieso  aus  dem  Versuche, 
der  von  den  Gegnern  als  Argument  für  die  Unbewegtheit  der  Erde 
beigebracht  wird,  sich  nichts  entnehmen  läfst,  und  das  nämliche  ge- 
denke ich  von  den  anderen  Versuchen  nachzuweisen. 

Sagr.  Bitte,  Siguore  Salviati,  vergönnt  mir,  bevor  wir  weiter 
gehen,  dafs  ich  eine  Schwierigkeit  aufs  Tapet  bringe,  die  mir  durch 
den  Kopf  ging,  während  Ihr  mit  solcher  Geduld  dem  Signore  Simplicio 
den  Versuch  mit  dem  Schiffe  ins  einzelne  zergliedert  habt. 

Salv.  Wir  sind  hier,  um  uns  auszusprechen,  imd  es  ist  gut,  wenn 
jeder  die  Schwierigkeiten  vorbringt,  die  ihm  aufstofsen,  denn  das  ist 
der  Weg,  welcher  zur  Erkenntnis  der  Wahrheit  führt.    Darum  sprecht! 

Sagr.  Wenn  wirklich  der  Antrieb,  mit  Avelchem  das  Schilf  sich 
Merkwürdige  beweQ-t,  dciu  Steine  unvertilo-bar   eingeprägt  bleibt,  nachdem   er  vom 

Eigenschaft  bei  '^    '  .  .  ^  o    r      O  .... 

der  Bewegung  Maste  dcs  Schiffcs  sich  entfernt  hat,  und  wenn  überdies  vdrklich  diese 

geworfener 

Korper.  Bewcgmig  kein  Hindernis  bildet  für  die  geradhnige  nach  miten  ge- 
richtete natürliche  Bewegung  des  Steines,  so  mufs  daraus  eine  wunder- 
bare Folgewirkmig  in  der  Natur  sich  ergeben.  Gesetzt,  das  Schiff 
stehe  still  und  die  FaUzeit  eines  Steines  von  der  Mastspitze  betrage 
zwei  Pulsschläge.  Es  bewege  sich  sodann  das  Schiff,  und  man  lasse 
von  derselben  Stelle  aus  wie  vorher  denselben  Stein  fallen;  dieser 
wird  aus  den  angegebenen  Gründen  gleichfalls  eine  Zeit  von  zwei 
Pulsschlägen  gebrauchen,  um  unten  anzulangen.  Während  dieser  Zeit 
wird  nun  aber  das  Schiff  etwa  zwanzig  Ellen  zurückgelegt  haben,  so 
dafs  die  wahre  Bahn  des  Steines  eine  schräge  Linie  von  weit  gröfserer 
Länge  gewesen  sein  mufs  als  die  frühere  gerade  und  lotrechte  Linie, 
deren  Länge  gleich  der  des  Mastes  ist.  Gleichwohl  wird  die  Kugel 
die  eine  wie  die  andere  in  derselben  Zeit  durchlaufen.  Nun  denke 
man  sich  weiter  die  Bewegung  des  Schiffes  noch  weit  mehr  beschleunigt, 
so  dafs  der  Stein  beim  Fall  eine  schräge  Linie  von  noch  weit  gröfserer 
Länge  als  die  vorige  wird  zurücklegen  müssen;  mit  einem  Worte,  mag 
die  Geschwindigkeit  des  Schiffes  wachsen,  wie  sie  will,  so  werden  die 
schrägen  Bahnen  des  Steines  immer  länger  und  länger  werden  imd 
dennoch  wird  er  sie  alle  in  Zeit  von  zwei  Pulsschlägen  zurücklegen. 
Wenn  mm  dementsprechend  auf  der  Spitze  eines  Turmes  eine  horizontal 
gerichtete  Feldschlange  aufgestellt  wäre  und  mit  ihr  wagrechte  Schüsse 
abgegeben  würden,  d.  h.  solche,  die  der  Horizontalebene  parallel  sind, 
mag  das  Geschütz  dann  stark  oder  schwach  geladen  sein,  die  Kugel 
also  einmal  tausend  EUen  weit  fliegen,  ein  andermal  viertausend, 
sechstausend,  zehntausend  Ellen  u.  s.  w.,  so  würden  alle  diese  Schüsse 
gleiche  Zeiten  beanspruchen  imd  zwar  dieselbe  Zeit,  welche  die  Kugel 


[172.  17.3.]  Zweiter  Tag.  163 

gebrauchen  würde,  um  von  der  Mündimg  des  Geschützes  bis  zur  Erde 
zu  gelangen,  wenn  man  sie  einfach  ohne  anderen  Impuls  lotrecht  fallen 
liefse.  Nun  scheint  es  eine  merkwürdige  Sache,  dafs  dieselbe  kurze 
Zeit,  die  für  den  senkrechten  Fall  zur  Erde  aus  einer  Höhe  von  etwa 
hundert  Ellen  nötig  ist,  auch  hinreicht,  um  die  nämliche  vom  Pulver 
fortgeschleuderte  Kugel  bald  vierhundert,  bald  tausend,  bald  vier- 
tausend, Imld  zehntausend  Ellen  weit  zu  treiben,  so  dafs  die  Kugel 
bei  allen  wagrechteu  Schüssen  stets  die  gleiche  Zeit  in  der  Luft 
verweilt. 

Salv.  Diese  Überlegung  ist  ihrer  Neuheit  wegen  sehr  schön,  und 
wenn  die  Thatsache  richtig  ist,  ist  sie  wunderbar-,  an  ihrer  Richtigkeit 
zweifele  ich  übrigens  nicht.  Wäre  nicht  das  zufällige  Hmdernis  der 
Luft  vorhanden,  und  man  liefse  gleichzeitig  mit  dem  Abfeuern  der 
Kugel  aus  dem  Geschütze  eine  weitere  Kugel  aus  derselben  Höhe 
hinunter  fallen,  so  würden  beide  in  demselben  Augenblicke  zur  Erde 
gelangen,  wie  ich  fest  überzeugt  bin,  mag  auch  jene  eine  Strecke  von 
zehntausend  und  diese  blofs  hundert  Ellen  zurückgelegt  haben;  vor- 
ausgesetzt, dafs  die  Erdoberfläche  eben  ist,  zu  welchem  Behufe  man 
der  Sicherheit  wegen  auf  irgend  einem  See  schiefsen  kömite.  Das 
Hindernis,  welches  die  Luft  bereitet,  Avürde  allerdings  die  sehr  rasche 
Schufsbewegung  verzögern.  —  Nun  aber  lafst  uns,  wenn  es  Euch  recht 
ist,  zur  Widerlegung  der  anderen  Argumente  schreiten,  da  Signore 
Simplicio,  wie  ich  glaube,  recht  wohl  die  Nichtigkeit  dieses  ersten 
einsieht,  welches  von  dem  Verhalten  der  von  oben  nach  unten  fallenden 
Körper  hergenommen  ist. 

Simpl.  Ich  fühle  mich  noch  nicht  frei  von  allen  Bedenken. 
Vielleicht  liegt  die  Schuld  an  mir,  da  ich  keine  so  leichte  und  rasche 
Fassmigsgabe  habe  wie  Signore  Sagredo.  Wenn  die  Bewegung,  die 
der  Stein  mit  dem  Schiffe  gemein  hatte,  solange  er  auf  dem  Mäste 
desselben  sich  befand,  in  ihm  auch  dami  noch  un vertilgbar  fortbe- 
stehen müfste,  nachdem  er  von  dem  Schiffe  sich  getrennt  hat,  so 
müfste  meines  Erachtens  auch  etwas  Ähnliches  eintreten,  sobald  man 
zu  Pferde  rasch  dahin  reitend  eine  Kugel  aus  der  Hand  fallen  läfst. 
Sie  müfste,  zur  Erde  gefallen,  ihre  Bewegimg  fortsetzen  uud  dem 
Laufe  des  Pferdes  folgen,  ohne  hinter  ihm  zurückzubleiben.  Ich  glaube 
abeV  nicht,  dafs  sich  dies  beobachten  läfst,  es  sei  demi,  der  Reiter 
werfe  die  Kugel  mit  Gewalt  in  der  Richtimg  der  Bewegung.  Sonst 
aber  wird  sie,  glaube  ich,  auf  der  Erde  liegen  bleiben,  wo  sie  niederfällt. 

Salv.  Ich  glaube,  Ihr  täuscht  Euch  sehr.  Ich  bin  sicher,  dafs 
die  Erfahrung  Euch  vom  Gegenteile  belehren  wird,  dafs  die  Kugel, 
auf   der   Erde    angelangt,    mit    dem    Pferde    lanfeu    und    nur    insoweit 

11* 


164  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [173.  174.] 

liinter  ihm  zurückbleiben  wird,  als  die  Raubeit  und  Unebenheit  des 
Weges  ihr  hinderlieh  ist.  Der  Grund  scheint  mir  auch  sehr  klar. 
Denn  wenn  Ihr,  ohne  Euch  zu  bewegen,  denselben  Ball  auf  der  Erde 
hinschöbet,  würde  er  getrennt  von  Euerer  Hand  nicht  auch  die  Be- 
wegung fortsetzen?  und  zwar  über  eine  um  so  gröfsere  Strecke,  je 
glatter  die  Oberfläche  ist,  so  dafs  er  z.  B.  über  das  Eis  sehr  weit  flöge? 

Simpl.  Das  ist  aufser  Zweifel,  wenn  ich  ihm  einen  Schwung  mit 
dem  Arme  gebe.  In  unserem  Falle  aber  ist  vorausgesetzt,  dafs  der 
Reiter  ihn  blofs  fallen  läfst. 

Salv.  So  soll  es  auch  sein:  wenn  Ihr  ihn  aber  mit  dem  Arme 
werft,  was  bleibt  sonst  an  der  Kugel,  nachdem  sie  Euch  einmal  aus 
den  Händen  ist,  als  die  von  Euerem  Arme  mitgeteilte  Bewegung?  Diese 
bleibt  in  ihr  bestehen  und  fährt  fort  sie  vorwärts  zu  bringen.  Was 
macht  es  nun  aus,  dafs  dieser  Schwung  dem  Ball  von  Euerem  Arme 
und  nicht  vom  Pferde  mitgeteilt  ist?  Wenn  Ihr  reitet,  bewegt  sich 
nicht  Euere  Hand,  imd  folglich  auch  der  Ball,  ebenso  schnell  wie  das 
Pferd?  Doch  sicherlich.  Ihr  braucht  also  nur  die  Hand  zu  öffnen,  so 
beginnt  der  Ball  seine  Bewegung  mit  einer  Geschwindigkeit,  die  ihm 
allerdings  nicht  durch  eine  von  Euch  ausgehende  Bewegung  des  Armes 
verliehen  wird,  sondern  von  der  Bewegung  des  Pferdes  selbst  bedingt 
wird.  Diese  wird  auf  Euch  übertragen,  auf  den  Arm,  auf  die  Hand 
und  endlich  auf  den  Ball.  Ja  noch  mehr:  wenn  der  Betreffende 
während  des  Reitens  mit  seinem  Arme  den  Ball  in  der  dem  Ritt  ent- 
gegengesetzten Richtmig  schleudert,  so  wird  dieser,  zur  Erde  gelangt, 
bisweilen,  trotzdem  er  in  entgegengesetztem  Simie  geworfen  war,  dem 
Laufe  des  Pferdes  folgen,  bisweilen  ruhig  liegen  bleiben  und  sich  nur 
dann  entgegengesetzt  zur  Reitrichtung  bewegen,  wenn  die  vom  Arme 
empfangene  Bewegung  an  Geschwindigkeit  die  des  Reitens  übertrifft. 
Es  ist  daher  eine  Albernheit,  wenn  manche  Leute  behaupten,  man 
könne  beim  Reiten  einen  Speer  in  der  Richtung  des  Reitens  durch 
die  Luft  werfen,  ihm  mit  dem  Pferde  folgen,  ihn  einholen  und  schliefs- 
lich  wieder  auffangen.  Es  ist  eine  Albernheit,  sage  ich,  denn  um  zu 
bewirken,  dafs  der  geworfene  Körper  einem  wieder  in  die  Hände  fällt, 
mufs  man  ihn  ganz  in  derselben  Weise  in  die  Höhe  werfen,  als  stünde 
man  stille.  Denn  mag  das  Tempo  des  Ritts  noch  so  rasch  sein,  wenn 
es  nur  gleichmäfsig  ist,  so  wird  der  geworfene  Körper,  wofern  es  sich 
nicht  um  einen  ganz  leichten  Gegenstand  handelt,  stets  in  die  Hand 
des  Werfenden  zurückkehren,  wie  hoch  er  auch  geworfen  worden  sei.'*-^) 

Verschiedeue  SagP.     Dicsc   Thcoric   macht    mir  einige    sehr   merkwürdige   Pro- 

merkwürdige •  _  _  '='_  _  "^ 

Probleme^ die  blcmc   begreiflich,    welche   sich    auf  eben   diese   Materie   der  Wurfbe- 

mit  der  Wulf-  . 

Bewegung  zu-  wcgimg   beziehen.      Das   erste   derselben    wird    dem   Signore    Simplicio 

sammenhangen.  o        o  o  j. 


[174.  175.]  Zweiter  Tag.  165 

sehr  seltsam  vorkommen.  Das  Problem  ist  dieses.  Ich  behaupte,  es  kann 
jemand,  der  irgendwie  sich  schnell  bewegt,  eine  Kugel  einfach  fallen 
lassen,  so  dafs  sie,  auf  der  Erde  angelangt,  nicht  nur  dem  Betreffenden 
nachläuft,  sondern  ihn  noch  bedeutend  überholt.  Dieses  Problem 
steht  im  Zusammenhange  mit  einem  anderen.  Es  kann  nämlich  ein 
Körper,  der  von  dem  Werfenden  auf  eine  horizontale  Ebene  geschleu- 
dert wird,  sich  neue  Geschwindigkeit  aneig-nen,  die  bedeutend  gröfser 
ist  als  die  von  dem  Werfenden  ihm  mitgeteilte.  Diese  Thatsache 
habe  ich  öfters  mit  Staunen  beobachtet,  wemi  ich  dem  Spiele  mit 
zusah,  l)ei  welchem  man  mit  Rollscheiben  wirft.'*")  Man  sieht  diese, 
einmal  aus  der  Hand  entlassen,  mit  einer  gewissen  Geschwindigkeit 
durch  che  Luft  fliegen,  welche  nachher  bei  Ankunft  auf  der  Erde 
sich  sehr  vergröfsert.  Wenn  sie  dann  bei  ihrer  rollenden  Bewegung 
auf  irgend  welches  Hhidernis  stofsen,  das  sie  in  die  Höhe  sjiringen 
läfst,  so  beobachtet  man,  wie  sie  sich  durch  die  Luft  langsam  be- 
Avegen;  auf  die  Erde  zurückgefallen,  beginnen  sie  wieder  mit  gröfserer 
Geschwindigkeit  zu  laufen.  Was  aber  noch  erstaunlicher  ist,  ich  habe 
auch  beobachtet,  dafs  sie  nicht  nur  stets  schneller  über  die  Erde  als 
durch  die.  Luft  fliegen,  sondern  auch,  dafs  von  zwei  auf  der  Erde 
zurückgelegten  Strecken  bisweilen  die  Bewegung  auf  der  zweiten 
rascher  vor  sich  geht  als  auf  der  ersten.  Was  meint  Ihr  nun  dazu, 
SigTiore  Simplicio? 

Simpl.  Ich  meine  erstens,  dafs  ich  niemals  eine  solche  Beobachtung 
gemacht  habe;  zweitens  meine  ich,  dafs  ich  nicht  daran  glaube;  drittens 
endlich  meine  ich,  dafs,  wenn  Ihr  mich  davon  überzeugtet  imd  mich 
das  auf  deduktivem  Wege  lehrtet,  Ihr  ein  mächtiger  Dämon  wäret. 

Sagr.  Einer  von  den  sokratischen  Dämonen  jedoch,  nicht  von 
denen  der  Hölle.  Aber  Ihr  kommt  immer  wieder  mit  Euerem  Lehren. 
Ich  sage  Euch,  wemi  jemand  die  Wahrheit  nicht  aus  sich  heraus 
erkennt,  so  ist  es  immöglich,  dafs  ein  anderer  sie  ihn  erkennen  läfst. 
Ich  kann  Euch  wohl  Dinge  lehren,  die  weder  falsch  noch  wahr  sind; 
die  wahren  oder  notwendigen  Dinge  aber,  d.  h.  solche,  welche  unmög- 
lich anders  sein  können,  weifs  jeder  halbwegs  Vernünftige  entweder 
von  selbst  oder  es  ist  unmöglich,  dafs  er  sie  jemals  wisse; ■^^)  das  ist 
auch,  wie  ich  weiCs,  die  Ansicht  des  Signore  Salviati.  Deshalb  erkläre 
ich  Euch,  dafs  die  Ursache  der  vorliegenden  Probleme  von  Euch 
zwar  gewufst,  aber  vielleicht  nicht  beachtet  Avorden  ist. 

Simpl.  Lassen  wir  für  jetzt  diesen  Streit  und  gestattet  mir  Euch 
zu  (M-klärcii,  dafs  ich  die  Dinge,  um  welche  es  sich  handelt,  nicht  ver- 
stelle und  nichts  von  ihnen  weifs.  Richtet  Euer  Augenmerk  nur 
darauf,  mir  die  Probleme  begreiflich  zu  machen. 


156  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [175.  176.] 

Sagr.  Dieses  erste  hängt  mit  folgendem  anderen  zusammen:  woher 
kommt  es  nämlich,  dafs,  wenn  man  die  Eollscheibe  mittels  eines  Bind- 
fadens fortschleudert,  sie  sehr  viel  weiter,  also  mit  gröfserer  Kraft 
fliegt,  als  wenn  man  sie  mit  der  blofsen  Hand  schleudert? 

Simpl.  Auch  Aristoteles  wirft  etliche  Probleme  auf,  die  sich  auf 
so  geschleuderte  Körper  beziehen.^*) 

Salv.  Ja,  und  zwar  sehr  geistreiche;  besonders  das  eine,  woher 
es  rührt,  dafs  runde  Scheiben  besser  laufen  als  viereckige. 

Sagr.  Traut  Ihr  Euch  auch  hiervon  nicht  zu,  den  Grund  ohne 
fremde  Belehrung  anzugeben? 

Simpl.     Doch,  doch.     Aber  lassen  wir  die  Sticheleien. 

Sagr.  Ebenso  gut  wifst  Ihr  auch  den  Grund  in  unserem  Falle. 
Sagt  mir  also:  wifst  Ihr,  dais  wenn  ein  Ding  sich  bewegt  und  dann 
gehemmt  wird,  es  stille  steht? 

Simpl.  Das  weifs  ich,  das  Hemmnis  mufs  nur  hini'eichend 
grofs  sein. 

Sagr.  Wifst  Ihr,  dafs  dem  Körper  sich  gröfsere  Hindernisse  in 
den  Weg  stellen,  wenn  er  sich  über  die  Erde,  als  weim  er  sich  durch 
die  Luft  zu  bewegen  hat,  da  die  Erde  rauh  und  hart,  die  Luft  weich 
imd  nachgiebig  ist? 

Simpl.  Gerade  weil  ich  das  weifs,  weifs  ich  auch,  dafs  die 
Scheibe  schneller  durch  die  Luft  als  über  die  Erde  fliegen  wird;  mit 
meinem  Wissen  steht  es  also  gerade  umgekehrt,  wie  Ihr  meintet. 

Sagr.  Sachte,  Signore  SimpUcio!  Wifst  Ihr,  dafs  die  Teile  eines 
Körpers,  der  sich  um  seinen  Mittelpunkt  bewegt,  Bewegimgen  nach 
allen  möglichen  Richtungen  ausfühi-en,  so  dafs  einige  im  Auf-,  andere 
im  Absteigen  begrifi'en  sind,  einige  vorwärts,  andere  rückwärts  gehen? 

Simpl,     Ich  weifs   es  und  zwar  hat  Aristoteles   mich  das   gelehrt. 

Sagr.     Wie  hat  er  es  Euch  bewiesen?     Sagt  mir  es,  bitte. 

Simpl.     Mittels  der  sinnlichen  Wahmehmmig. 

Sagr.  Aristoteles  also  hat  Euch  sehen  lassen,  was  Ihr  ohne  ihn 
nicht  gesehen  hättet?  Sollte  er  Euch  vielleicht  seine  Augen  geliehen 
haben?  Ihr  woUtet  sagen,  dafs  Aristoteles  es  Euch  mitgeteilt.  Euch 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daran  erinnert  hat,  nicht  aber,  dafs  er 
es  Euch  gelehrt  hat.  Wenn  also  eine  Rollscheibe,  ohne  ihren  Ort  zu 
verändern,  sich  um  sieh  selber  dreht,  nicht  parallel  zum  Horizonte, 
sondern  senkrecht  dazu,  so  steigen  gewisse  Teile  von  ihr  in  die  Höhe, 
die  gegenüberliegenden  hinimter,  die  oberen  bewegen  sich  in  der  einen, 
die  unteren  in  der  entgegengesetzten  Richtung.  Stellt  Euch  nun  eine 
Scheibe  vor,  die  ohne  Ortsveränderung  in  der  angegebenen  Weise  rotiert 
und  die  man  sodann  lotrecht  zur  Erde  fallen  läfst.     Glaubt  Ihr,    dafs 


[17G.  177.]  Zweiter  Tag.  167 

sie  auf  der  Erde  augekommeu,  fortfahren  wird,  wie  zuvor  sich  ohne 
Ortsverüuderimg  um  sich  selber  zu  drehen? 

Simpl.     Nein.  j 

Sagr.     Sondern  was  wird  sie  thim? 

Simpl.     Sie  wird  rasch  über  die  Erde  hinlaufen. 

Sagr.     Und  nach  welcher  Richtung? 

Simpl.     Nach  derjenigen,  nach  welcher  ihre  Drehung  gerichtet  ist. 

Sagr.  Bei  ihrer  Drehung  siud  verschiedene  Teile  zu  unterscheiden, 
die  oberen  nämlich,  welche  sich  umgekehrt  bewegen  Avie  die  imteren. 
Ks  ist  daher  anzugeben,  welche  Teile  bestimmend  für  ihre  Laufrichtung 
sind.  Was  nämHch  die  auf-  und  absteigenden  betrifft,  so  werden 
diese  einander  nichts  nachgeben  und  das  Ganze  wird  sich  weder  nach 
nuten  bewegen  infolge  des  Widerstandes  der  Erde,  noch  nach  oben 
infolge  der  Schwere. 

Simpl.  Die  Scheibe  wird  in  der  Richtung  über  die  Erde  rollen, 
nach  welcher  ihre  oberen  Teile  sich  zu  bewegen  streben. 

Sagr.  Und  warum  nicht  dahin,  wohin  die  entgegengesetzten 
streben,  also  die  die  Erde  berührenden? 

Simpl.  Weil  die  auf  der  Erde  befindlichen  durch  die  Rauheit 
der  Berührungsfläche,  nämlich  durch  die  Unebenheit  der  Erde  selbst, 
behindert  werden.  Die  oberen  aber,  welche  in  dünner,  nachgiebiger 
Luft  sich  befinden,  werden  ganz  wenig  oder  gar  nicht  behindert  und 
darum  wird  die  Scheibe  sich  in  deren  Richtimg  bewegen. 

Sagr.  Dadurch  also,  dafs  die  miteren  Teile  an  der  Erde  gewisser- 
iiiafsen  hängen  bleiben,  wird  bewirkt,  dafs  sie  ruhen  imd  blofs  die 
oljereu  vorwärts  treiben. 

Salv.  Wenn  daher  die  Scheibe  auf  Eis  oder  sonst  auf  eüie  sehr 
j^latte  Fläche  fällt,  so  wird  sie  nicht  so  gut  vorwärts  laufen,  sondern 
wird  vielleicht  ihre  Drehung  um  sich  selber  fortsetzen,  ohne  eine 
neue  fortschreitende  Bewegung  anzunehmen. 

Sagr.  Leicht  möglich,  dafs  es  so  kommen  würde;  jedenfalls  aber 
würde  sie  nicht  so  flott  dahin  rollen,  wie  wenn  sie  auf  eine  einiger- 
inafsen  rauhe  Oberfläche  fiele.  Sagt  mir  aber,  Signore  Simplicio, 
warum  die  Scheibe  bei  ihrer  raschen  Drehung  um  sich  selber  nicht 
schon  während  des  Fallens  in  der  Luft  sich  vorwärts  bewegt,  Avie  sie 
('S  nachher  auf  der  Erde  thut. 

Simpl.  Darum  weil  die  Luft  sie  oben  und  unten  umgiebt,  so 
dafs  weder  die  einen  noch  die  anderen  Teile  irgendwo  hängen  bleiben 
kinniten.  Wemi  aber  kein  Anlafs  für  die  Scheibe  vorliegt,  sich  eher 
nach  vorne  als  nach  hinten  zu  bewegen,  lallt  sie  lotrecht  hinunter. 

Sagr.     Es  kann  also  die  blofse  Rotationsbewegimg  ohne  sonstigen 


163  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [177.  178.] 

Antrieb  die  Scheibe,  wenu  sie  einmal  zur  Erde  gelangt  ist,  rasch 
vorwärts  treiben.  Kommen  wir  nun  auf  das  übrige  zu  sprechen. 
Jener  Faden,  den  der  Scheibenwerfer  sich  an  den  Arm  bindet,  um 
die  Scheibe  wickelt  und  mittels  dessen  er  sie  schleudert,  welchen 
Einflufs  übt  er  dabei? 

Simpl.  Er  zwingt  die  Scheibe  an  der  Schnur  abzulaufen  und 
dadurch  eine  drehende  Bewegung  anzunehmen. 

Sagr.  Wenn  also  die  Scheibe  auf  der  Erde  anlangt,  trifft  sie 
infolge  des  Fadens  mit  drehender  Bewegung  ein.  Wohnt  ihr  selber 
also  nicht  eine  Ursache  inne,  sich  rascher  über  die  Erde  hinzubewegen, 
als  es  der  Fall  war,  solange  sie  noch  in  der  Luft  verweilte? 

Simpl.  Ganz  gewifs,  demi  durch  die  Luft  hin  trieb  sie  einzig 
luid  allein  der  vom  Arm  des  Werfenden  ausgehende  Impuls,  und  wenn 
sie  auch  in  Rotation  begriffen  war,  so  fordert  sie  diese,  wie  gesagt, 
in  der  Luft  gar  nicht.  Wenn  sie  aber  zur  Erde  gelangt,  tritt  zur 
Bewegung  von  selten  des  Armes  die  Vorwärtsbewegung  vermöge  der 
Rotation,  und  dadurch  verdoppelt  sich  die  Geschwindigkeit.  Ich  be- 
greife jetzt  auch  sehr  wohl,  dafs  beim  Springen  der  Scheibe  ihre 
Geschwindigkeit  sich  verringert,  weil  ihr  der  fördernde  Einflufs  der 
Drehimg  abgeht,  und  dafs  beim  Zurückfallen  zur  Erde  diese  von 
neuem  sich  geltend  macht,  die  Scheibe  infolge  dessen  wieder  rascher 
als  in  der  Luft  sich  bewegt.  Es  erübrigt  mir  nur  noch  zu  verstehen, 
wieso  sie  bei  dieser  zweiten  Bewegung  über  die  Erde  hin  schneller  fliegt 
als  auf  der  ersten  Strecke;  sie  würde  sich  dann  ja  mit  beständiger 
Beschleunigung  ins  unendliche  fort  bewegen. 

Sagr.  Ich  habe  nicht  imbedingt  behauptet,  dafs  sie  das  zweite 
Mal  sich  schneller  bewegt  als  das  erste  Mal,  sondern  nur,  dafs  sie 
bisweilen  sich  schneller  bewegen  kann. 

Simpl.  Das  ist  es  eben,  was  ich  nicht  begreife  und  gerne  ver- 
stehen möchte. 

Sagr.  Auch  das  wifst  Ihr  ganz  von  selbst.  Sagt  mir  daher: 
wenn  Ihr  die  Scheibe  aus  Euerer  Hand  fallen  liefset,  ohne  dafs  sie  eine 
drehende  Bewegung  hätte,  was  würde  beim  Aufschlag  auf  die  Erde 
erfolgen? 

Simpl.     Nichts,  sie  würde  liegen  bleiben. 

Sagr.  Könnte  es  nicht  doch  geschehen,  dafs  sie  beim  Aufschlagen 
sich  in  Bewegung  setzte?     Überlegt  es  Euch  besser! 

Simpl.  Es  sei  denn,  wir  liefsen  sie  auf  einen  Stein  mit  ab- 
schüssiger Fläche  fallen,  wie  die  Kinder  es  mit  den  bleiernen  Spiel- 
marken"^'') machen.  Wemi  sie  dann  schief  auf  den  geneigten  Stein 
schlägt,  erhält  sie  eine  drehende  Bewegung,  infolge  deren  sie  auf  der 


[178.  179.J  Zweiter  Tag.  169 

Erde  eiue  fortschreitende  Bewegung  aunelimen  wird;  sonst  wüfste  ich 
nicht,  wieso  sie  umhin  könnte,  da  liegen  zu  bleiben,  wo  sie  aufschlägt. 

Sagr.  Hier  habt  Ihr  also  doch  eine  Möglichkeit,  Avie  sie  von 
neuem  eine  Rotation  erlangen  kann.  Wenn  also  die  Scheibe  in  die 
Höhe  gesprimgen  ist  und  wieder  hinunter  fällt,  warum  sollte  sie  nicht 
hin  und  wieder  auf  eine  schräg  in  der  Bewegungsrichtung  geneigte 
Fläche  eines  in  der  Erde  steckenden  Steines  aufschlagen,  durch  diesen 
Stofs  noch  eine  neue  Rotation  aufser  derjenigen  erlangen,  welche  sie 
durch  das  Ablaufen  an  der  Schnur  erhalten  hat,  ihre  Geschwindigkeit 
verdoppeln  und  sich  rascher  bewegen  als  bei  ihrem  ersten  Aufschlag 
auf  die  Erde? 

Simpl.  Jetzt  begreife  ich,  dafs  das  leicht  möglich  ist.  Ich  über- 
lege eben,  dafs,  wenn  die  Scheibe  eine  Drehung  in  der  umgekehrten 
Richtung  erhielte,  sie  beim  Auftrefifen  auf  die  Erde  das  umgekehrte 
Verhalten  zeigen  würde.  Die  Rotationsbewegung  würde  nämlich  die 
eigentliche  Wurfbewegimg  verzögern. 

Sagr.  Verzögern  imd  bisweilen  gänzlich  aufheben,  wenn  die 
Rotation  rasch  genug  wäre.  Daraus  entspringt  die  Erklärung  einer 
Erscheinung,  die  von  besonders  geschickten  Schlagballspielen!  zu  ihrem 
Vorteil  benutzt  wird.^°)  Sie  täuschen  nämlich  den  Gegner  dadurch, 
dafs  sie  den  Ball  schneiden  —  das  ist  der  Kunstausdruck  dafür  — 
d.  h.  ihn  mit  schräg  gehaltener  Pritsche  zurückschlagen;  dadurch  er- 
hält er  eine  zur  Wurfrichtung  entgegengesetzte  Drehung  um  sich 
selber,  und  die  Folge  ist,  dafs  beim  Aufschlag  auf  die  Erde,  wo  sonst 
bei  mangelnder  Rotation  ein  Aufspringen  nach  dem  Gegner  stattfände 
und  die  übliche  Zeit  zum  Zurückschlagen  bliebe,  der  Ball  jetzt  wie 
tot  auf  die  Erde  aufklatscht  oder  doch  bedeutend  weniger  zurückspringt 
als  gewöhnlich  und  so  keine  Zeit  zum  Zurückschlagen  läfst.  Auf 
ähnhchen  Ursachen  beruht  der  Kunstgriff',  den  man  bei  dem  Spiele 
anwenden  sieht,  wo  es  darauf  ankommt,  mit  hölzernen  Kugeln  mög- 
lichst nahe  an  ein  bestimmtes  Mal  zu  treäen.''')  Findet  das  Spiel 
auf  einem  steinigen,  holperigen  Wege  statt,  der  auf  tausend  AVeisen 
die  Kugel  ablenken  kömite,  statt  sie  zum  Ziele  zu  geleiten,  so  rollen 
die  Spieler,  um  allen  Hindernissen  zu  entgehen,  nicht  etwa  den  Ball 
über  die  Erde  hin,  sondern  werfen  ihn  sogleich  durch  die  Luft,  wie 
wenn  sie  eine  flache  Scheibe  zu  schleudern  hätten.  Da  aber  beim, 
Wurf  die  Kugel  mit  einer  gewissen  durch  die  Finger  hervorgebrachten 
Rotation  die  Hand  verläfst,  sobald  diese,  wie  es  gewöhnlich  geschieht, 
die  Kugel  von  miten  fafst,  so  würde  sie  beim  Aufschlag  auf  die  Erde 
in  der  Nähe  des  Males  sehr  weit  vorwärtslaufen  infolge  der  doppelten 
Bewegung  des  Wurfes  mid  der  Rotation.     Um  nun  zu  bewirken,   dafs 


170  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [179.  180.] 

sie  einhält,  umklammern  sie  die  Kugel  gescliickt,  iiidem  sie  die  Hand 
oben,  die  Kugel  unten  halten,  welch  letztere  von  den  Fingern  beim 
Wegschleuderu  die  entgegengesetzte  Rotation  erhält.  Infolgedessen 
bleibt  sie  beim  Aufschlag  in  der  Nähe  des  Zieles  liegen  oder  läuft 
nur  wenig  weiter.  —  Um  aber  zu  dem  Hauptproblem  zurückzukehren, 
welches  Anlafs  gegeben  hat  dieses  zweite  aufzuwerfen,  so  behaupte 
ich,  dafs  möglicherweise  jemand,  der  aufs  schnellste  sich  bewegt,  eine 
Kugel  aus  den  Händen  fallen  lassen  kann,  die,  auf  der  Erde  angelangt, 
nicht  nur  der  Bewegung  des  Betreffenden  folgt,  sondern  sogar  sich 
schneller  bewegt  als  dieser  und  ihn  überholt.  Um  eine  solche  Er- 
scheinung zu  beobachten,  denken  wir  uns  eine  in  Fahrt  begriffene 
Kutsche,  an  deren  Aufsenseite  ein  schräges  Brett  befestigt  sei,  der 
untere  Teil  desselben  nach  den  Pferden,  der  obere  nach  den  Hinter- 
rädern zu  gerichtet.  Wenn  nun  jemand,  der  im  Wagen  sitzt,  bei 
raschester  Fahrt  eine  Kugel  längs  des  geneigten  Brettes  hinabfallen 
läfst,  so  wird  sie  beim  Hinunterrollen  in  Drehimg  um  sich  selber  ver- 
setzt werden.  Diese  kommt  zu  der  durch  den  Wagen  eingeprägten 
Bewegung  hinzu  und  dadurch  Avird  die  Kugel  sehr  viel  rascher  über 
die  Erde  dahin  getragen  werden  als  die  Kutsche.  Bringt  man  noch 
ein  weiteres,  iii  umgekehrter  Richtung  geneigtes  Bret  an,  so  kann  man 
die  Bewegung  des  Wagens  derart  abstufen,  dafs  der  Ball,  nachdem  er 
das  Bret  zu  Ende  gelaufen,  bei  Ankunft  auf  der  Erde  unbeweghch 
liegen  bleibt  oder  auch  bisweilen  in  umgekehrter  Richtung  wie  der 
Wagen  läuft.  —  Doch  gar  zu  weit  sind  Avir  von  imserem  Gegenstande 
abgekommen,  und  Avenn  Signore  Simplicio  die  Widerlegung  des  ersten 
Argumentes  gegen  die  Erdbewegung  für  genügend  erachtet,  so  köinien 
Avir  zu  den  anderen  übergehen. 

Salv.  Die  bisherigen  Abschweifungen  entfernen  sich  von  dem 
abzuhandelnden  Stoffe  nicht  so  Aveit,  dafs  man  sie  völlig  abseits  liegend 
nennen  könnte.  Überdies  hängt  der  Gang  unserer  Erörterimgen  von 
all  den  Einfällen  ab,  die  nicht  blofs  einem,  sondern  die  drei  Leuten 
durch  den  Sinn  fahren,  Leuten,  welche  obendrein  zu  ihrem  Vergnügen  dis- 
putieren und  nicht  in  dem  Grade  an  jene  Beschränkmig  gebunden  sind, 
Aväe  jemand,  der  eine  Materie  als  Fachmann  methodisch  behandeln  AvoUte 
mit  der  Absicht,  seine  Untersuchungen  zu  veröffentlichen.  Unser  Ge- 
dicht braucht  sich  nicht  so  strikte  an  die  Regel  von  der  Einheit  der 
Handlung  zu  halten,  dafs  nicht  auch  Sj)ielraum  für  Episoden  bliebe.  Zu 
ihrer  Einführung  wird  jeder  kleine  Anhaltspunkt  dienen  dürfen,  und  so  sei 
es  mir  gestattet,  gleich  als  ob  wir  uns  versammelt  hätten,  um  uns 
Märchen  zu  erzählen,  jedes  vorzubringen,  das  mir  beim  Anhören  des 
Eurigen  einfällt. 


[ISO.  181.]  Zweiter  Tag.  171 

Sagr.  Das  ist  mir  ungemein  lieb,  und  da  wir  ims  denn  auf  eine 
solche  Ausführliclikeit  eingelassen  haben,  so  erlaube  ich  mir,  bevor 
wir  weiter  gehen,  Euch,  Signore  Salviati,  zu  fragen,  ob  Ihr  jemals 
darüber  nachdachtet,  Avelche  Vorstellung  mau  von  der  Bahn  eines 
schweren  Körpers  sich  zu  bilden  habe,  wenn  er  von  der  Turmspitze 
in  natürlichem  Falle  sich  abwärts  bewegt.  Wenn  Ihr  darüber  Unter- 
suchmigen  angestellt  habt,  sagt  mir,  bitte,  Euere  Meinmig. 

Salv.  Ich  habe  bisweilen  darüber  nachgedacht  und  zweifle  nicht 
im  geringsten,  dafs,  wenn  man  erst  die  Bewegungsart  sicher  ermittelt 
hätte,  vermöge  deren  der  schwere  Körper  sich  abwärts  nach  dem 
Mittelpunkte  des  Erdballs  hinbewegt,  man  nur  diese  mit  der  gemein- 
samen Kreisbewegung  der  täglichen  Umdrehung  zu  vermischen  hätte, 
um  genau  die  Art  von  Linie  zu  finden,  welche  der  Schwerpunkt  des 
Körpers  bei  der  Zusammensetzimg  zweier  derartiger  Bewegungen  be- 
schreiben würde. 

Sagr.  Was  die  einfache,  von  der  Schwere  hervorgerufene  Be- 
wegung nach  dem  Mittelpunkte  hin  betrifl't,  so  darf  man  meiner  Mei- 
nmig nach  unbedingt  und  unfehlbar  annehmen,  sie  sei  geradlinig, 
ganz  wie  es  im  Falle  der  Unbewegibeit  der  Erde  sein  würde. 

Salv.  So  weit  ist  die  Sache  nicht  nur  vermutungsweise  richtig, 
sondern  die  Erfahrmig  vergewissert  uns  davon  aufs  bestimmteste. 

Sagr.  Wie  kann  uns  darüber  die  Erfahrung  vergewissern,  wo 
wir  doch  stets  nur  das  Resultat  der  Zusammensetzvmg  der  beiden  Be- 
wegungen sehen,  der  kreisförmigen  und  der  abwärts  gerichteten? 

Salv.  Im  Gegenteile,  Signore  Sagredo,  wir  sehen  einzig  und  allein 
die  einfache  Abwärtsbewegung,  die  zweite  kreisförmige  gehört  ja  ge- 
meinsam der  Erde,  dem  Turm  und  uns  an,  gelangt  also  nicht  zur 
Wahrnehmung  und  ist  so  gut  wie  nicht  vorhanden.  Einzig  mid  allein 
diejenige  Bewegung  des  Steines,  welche  wir  nicht  mitmachen,  ist  für 
uns  bemerkbar.  Dafs  diese  aber  in  gerader  Linie  vor  sich  geht,  lehrt 
uns  die  sinnliche  Wahrnehmung,  denn  der  Stein  fällt  stets  parallel 
zu  eben  jenem  Turme,  und  letzterer  ist  geradlinig  und  lotrecht  zur 
Erdoberfläche  gebaut. 

Sagr.  Ihr  habt  Recht,  es  war  sehr  ungeschickt  von  mir,  auf 
eine  so  einfache  Sache  nicht  zu  kommen.  Wenn  nun  aber  diese  That- 
sache  allbekaimt  ist,  was  vermifst  Ihr  sonst  noch,  das  zur  Ergründuug 
der  Natur  jener  Bewegimg  nach  miten  zu  wissen  notwendig  Aväre? 

Salv.  Es  genügt  nicht  einzusehen,  dafs  sie  geradlinig  ist,  man 
mufs  auch  noch  wissen,  ob  sie  gleichförmig  ist  oder  ungleichförmig, 
d.  h.  ob  immer  die  nämliche  Geschwindigkeit  beibehalten  wird,  oder 
ob  eine  Verzögerimi;  oder  Beschleimigung  stattfindet. 


172  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [181.  182.] 

Sagr.  Es  ist  doch  aber  klar,  dals  die  Bewegimg  sich,  fortwährend 
beschleimigt. 

Salv.  A])er  auch  das  reicht  noch  nicht  hin.  Man  müfste  auch 
wissen,  in  welchem  Verhältnis  diese  Beschleimigung  stattfindet,  eine 
Aufgabe,  die  bis  jetzt  meines  Wissens  von  keinem  Philosophen  oder 
Mathematiker  gelöst  worden  ist,  obgleich  Philosophen,  und  insbesondere 
peripatetische,  ganze  Bände  und  umfangreiche  Abhandlungen  über  die 
Bewegung  geschrieben  haben. 

Simpl.  Die  Philosophen  beschäftigen  sich  Avesentlich  mit  dem 
Universellen;  sie  ermitteln  die  Defuiitionen  und  die  allgemeinsten 
Kriterien,  im  einzelnen  aber  überlassen  sie  die  nötigen  Kunstgriffe 
und  Nebendinge,  welche  dann  nur  mehr  Kuriositäten  sind,  den  Mathe- 
matikern. Aristoteles  hat  sich  begnügt,  vortrefflich  zu  definieren,  was 
im  allgemeinen  Bewegung  ist,  die  Haupteigenschaften  der  Ortsbe- 
wegmig  nachzuweisen,  dafs  es  nämlich  eine  natürliche  und  gewaltsame, 
eine  einfache  imd  zusammengesetzte,  eine  gleichmäfsige  und  beschleu- 
nigte Beweo'imo-  giebt.  Bei  der  beschleunigten  hat  er  sich  begnügt, 
den  Grund  der  Beschleunigung  nachzuweisen,  überläfst  hingegen  die 
Erforsclnmg  des  Verhältnisses  gedachter  Beschleimigung  und  anderer 
Einzelfragen  dem  Mechaniker  oder  sonst  einem  untergeordneten  Tech- 
niker. 

Sagr.  Ganz  wohl,  mein  lieber  Signore  Simplicio.  Ihr  aber, 
Signore  Salviati,  der  Ihr  bisweilen  von  dem  Throne  peripatetischer 
Majestät  herniedersteigt,  habt  Ihr  Euch  jemals  zum  Spafse  mit  der 
Erforschung  dieses  Verhältnisses  der  Beschleunigimg  beim  Falle  der 
schweren  Körper  beschäftigt? 

Salv.  Ich  habe  darüber  nicht  nachzudenken  brauchen,  insofern 
unser  gemeinsamer  Freund,  der  Akademiker,  mir  bereits  eine  von  ihm 
verfafste  Abhandlung  über  die  Bewegung  gezeigt  hat,  worin  diese 
Frage  nebst  vielen  anderen  gelöst  wird.^^)  Wir  würden  indessen  zu 
weit  abschweifen  müssen,  wenn  wir  darum  die  gegenwärtige  Erörte- 
rung, die  selbst  nur  eine  Abschweifung  ist,  unterbrechen  und,  wie 
man  zu  sagen  pflegt,  eine  Komödie  in  der  Komödie  auffuhren  wollten. 

Sagr.  Ich  will  Euch  vorläufig  von  dem  Berichte  darüber  ent- 
binden, unter  der  Bedingung  jedoch,  dafs  dies  zu  den  Gegenständen 
gehört,  die  nebst  anderen  in  einer  besonderen  Sitzimg  einer  Prüfung 
vorbehalten  werden,  denn  ich  bin  aufs  höchste  begierig  davon  Kenntnis 
zu  erlangen.  Inzwischen  kehren  wir  zurück  zu  der  Linie,  welche  von 
dem  schweren  Körper  bei  seinem  Falle  von  der  Turmspitze  herab  bis 
zum  Fufse  beschrieben  wird. 

Salv.     Wenn  die   gerade    Bewegung    nach    dem  Mittelpunkte   der 


I  182.   183.] 


Zweiter  Tag. 


173 


Erde  gleichförmig  wäre,  so  würde  wegen  der  ebenfalls  gleichförmigen 
Kreisbewegung  nach  Osten  sich  aus  beiden  eine  Bewegung  längs  einer 
jener  Spiralen  zusammensetzen,  wie  sie  Ärchimedes  in  seinem  Buche 
über  die  Spiralen  definiert.  ^^)  Eine  solche  entsteht,  wenn  ein  Punkt 
sich  gleichförmig  längs  einer  Geraden  bcAvegt,  während  diese  sich 
ihrerseits  im  Kreise  um  einen  festen  Endpunkt  als  Rotationscentrum 
dreht.  Da  aber  die  geradlinige  Bewegung  des  fallenden  schweren 
Körpers  eine  beständige  Beschleunigung  erfährt,  so  mufs  notwendig 
die  der  zusammengesetzten  Bewegimg  entsprechende  Linie  sich  all- 
mählich in  immer  wachsendem  Verhältnis  vom  Umfange  desjenigen 
Kreises  entfernen,  welchen  der  Schwerpunkt  des  Steines  beschrieben 
hätte,  wenn  er  stets  auf  dem  Turme  geblieben  wäre.  Und  zwar  mufs 
anfangs  die  Abweichung  von  demselben  klein,  sehr  klein,  ja  ganz 
winzig  sein;  demi  der  sich  abwärts  bewegende  Körper  geht  vom  Zu- 
stande der  Ruhe  aus,  insofern  er  zuerst  jeglicher  Abwärtsbewegung 
ermangelt;  später  geht  er  zur  geradlinigen  Bewegung  nach  unten  über 
und  mufs  also  notwendig  alle  Stufen  der  Langsamkeit  durchmachen, 
welche  zwischen  der  Ruhe  und  irgend  welcher  bestimmten  Geschwin- 
digkeit enthalten  sind;  solcher  Stufen  giebt  es  unendlich  viele,  wie 
schon  des  läugereu  erörtert  und  bewiesen  wurde. 


Die  von  dem 

Wemi  also    feststeht,    dafs    die   Beschleunigung    in    dieser  Weise^^^'/j^J^^lfJ^^j^? 
ihren  Fortgang;  nimmt,   und  es  überdies  richtis  ist 


Körper  beschrie- 

dafs   der   fallende   J>-/e^,X 


schwere  Körper  im  Mittelpunkte   der  Erde   anlangen  wird''*), 


ninP^  Voraussetzung 
muis     (ler  Drehung 

die  der  zusammengesetzten  Bewegung  entsprechende  Linie  folgender-  ihren''^Iige"e™ 
mafsen  beschaffen  sein:  sie  wird  sich  zwar  in  immer  wachsendem  Ver- wahrscheinlich 
hältnis  von  der  Turmspitze  oder,  besser  gesagt,  von  der  Ki-eisperipherie  *"pi'erie'sein. 
entfernen,  welche  die  Turmspitze  in- 
folge der  Erdumdrehung  beschreibt; 
aber  diese  Entfernimgen  werden 
kleiner  mid  kleiner  bis  ins  Unend- 
liche, je  weniger  sich  der  Körper 
von  seinem  Ausgangspunkte,  in  wel- 
chem er  ruhte,  entfernt  hat.  Über- 
dies mufs  genannte,  der  zusammen- 
gesetzten Bewegung  entsprechende 
Linie  im  Mittelpimkt  der  Erde  endigen. 
Unter  diesen  beiden  Voraussetzimgen 
habe  ich  nunmehr  um  den  Mittelpunkt 
Ä  mit  dem  Radius  A  B  den  Kreis  B I 

beschrieben,  der  mir  den  Erdball  vorstellen  soll.    Ich  habe  den  Radius 
AB   nach    C   verlängert    und    die    Höhe    BC   des    Turmes    markiert. 


174  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [183.  184.] 

Dieser  wird  von  der  Erde  auf  der  Peripherie  BI  dahin  getragen  und 
seine  Sj^itze  beschreibt  den  Bogen  CT>.  Halbiert  man  jetzt  die  Linie 
C A  im  Punkte  E  und  beschreibt  um  diesen  mit  dem  Halbmesser  EC 
den  Halbkreis  CIA,  so  meine  ich  nmi,  man  darf  es  als  sehr  wahr- 
scheinlich bezeichnen,  dafs  ein  Stein,  der  von  der  Spitze  C  des  Turmes 
herabfällt,  also  gleichzeitig  behaftet  ist  mit  der  allgemeinen  kreis- 
fiu-migen  und  mit  seiner  eigenen  geradlinigen  Bewegung,  eben  diesen 
Halbkreis  CIA  zurücklegt.  Denn  teilt  man  auf  der  Peripherie  CD 
einige  gleiche  Theile  ab:  CF,  FG,  GH,  HL  und  zieht  von  den 
Punkten  F,  G,  H,  L  nach  dem  Centrum  A  gerade  Linien,  so  werden 
uns  die  zwischen  beiden  Peripherien  CD  und  BI  gelegenen  Stücke 
der  Linien  stets  denselben  Turm  CB  darstellen,  der  von  dem  Erdball 
nach  DI  fortgeführt  wird.  Auf  diesen  Linien  stellen  die  Schnitt- 
punkte mit  dem  Halbkreis  CI  den  jeweiligen  Ort  des  fallenden  Steines 
dar.  Diese  Punkte  entfernen  sich  in  stets  wachsendem  Verhältnis  von 
der  Turmspitze,  und  dieser  Umstand  ist  es  eben,  der  bewirkt,  dafs  die  ge- 
radlinige Bewegung  längs  des  Turmes  uns  mehr  und  mehr  beschleunigt 
ersclieint.  Es  erklärt  sich  jetzt  auch,  wieso  infolge  der  unendlichen 
Kleinheit  des  Berührungswinkels  der  beiden  Kreise  DC  und  CI  die 
Entfernung  des  fallenden  Körpers  von  der  Peripherie  CFD,  also  von 
der  Turmspitze,  zu  Anfang  aufserordentlich  klein  ist.  Dies  läuft  auf 
dasselbe  hinaus,  wie  wenn  man  sagt,  die  Abwärtsbewegung  sei  bei 
zunehmender  Nähe  gegen  den  Punkt  C  hin,  d.  h.  bei  Annäherung  an 
den  Ruhezustand,  aufserordentlich  langsam  und  ins  Unendliche  ver- 
zögert. Endlich  begreift  es  sich,  wie  zuletzt  die  Bewegung  im  Erd- 
mittelpunkte A  enden  würde. 

Sagr.  Ich  verstehe  das  alles  aufs  beste  und  kann  nicht  anders 
glauben,  als  dafs  der  Schwerpunkt  des  fallenden  Körpers  eine  ähn- 
liche Linie  beschreibt. 

Salv.  Sachte  doch,  Signore  Sagredo!  Ich  habe  Euch  noch  drei 
artige  Einfälle  von  mir  mitzuteilen,  die  Euch  vielleicht  nicht  übel  be- 
hagen.     Wemi  wir    nämlich    die   Sache    recht    bedenken,    so    vollzieht 

Ein  von  der   erstciis  der  Körper  in  Wahrheit  nichts  anderes  als  eine  einfache  Kreis- 
Turmspitze  ^ 
herabfauender  ])ewegung,  gerade  wie  er  eine  solche  ausführte,  als  er  auf  dem  Turme 

Korper  bewegt  O       ö?    ö  ; 

KreisperIpheH" ^'^^^'^'     ^^^  zwcitc  Einfall  ist  uoch  hübschcr,  der  Körper  bewegt  sich 
Er  bewegt  sich  nämlich  durchaus  nicht  mehr  noch  weniger,  als  wemi  er  auf  dem  Turme 

nicbt  mehr  _  _  07 

noch  weniger,  geblieben   wäre.      Denn   die  Boo-en  CF,   FG,   GH  n    s.  w.,   welche  er 

als  wenn  er     '^  07^  / 

oben  geblieben  ^uf  dem  Turmc  zurückgclegt  haben  würde,  sind  genau  gleich  den  ent- 
Er  bewegt  sich  sprechenden  Bogen  des  Kreises  CI  unter  CF,  FG,  GHw.  s.  w.     Dar- 

gleichförmig,       ^  ,      '^  ,  ,  '  '  , 

nicht  be-     aus    folgt    drittens   die   merkwürdige  Thatsache,    dafs    die   wahre    und 

schleunigt.  .          _     '^  _  O  '_ 

wirkliche    Bewegung    des    Steines     durchaus    nicht    beschleunigt    ist, 


[184.  185.]  Zweiter  Tag.  175 

sondern  stets  gleiclimüfsig  und  einförmig,  da  alle  gleichen  auf  dem 
Kreise  CD  angegebenen  Bogen  und  die  entsprechenden  auf  dem  Kreise 
ÜI  bemerkten  in  gleichen  Zeiten  zurückgelegt  werden.  Auf  diese 
Weise  sind  wir  der  Aufsuchung  neuer  Ursachen  für  die  Beschleunigmig 
oder  für  andere  Bewegungsarten  überhoben.  Der  Körper  bewegt  sich 
nämlich^  mag  er  nun  auf  dem  Turme  bleiben  oder  von  ihm  hinuiiter- 
fallen,  stets  in  gleicher  Weise  kreisfi'irmig  mit  derselben  Geschwindig- 
keit und  derselben  Gleichmüfsigkeit.  Sagt  mir  nun,  was  Ihr  von 
dieser  meiner  Grille  haltet. 

Sagr.  Ich  erkläre  Euch,  dafs  ich  mit  Worten  nicht  genugsam  aus- 
drücken kann,  wie  wundervoll  sie  mir  erscheint.  Soweit  ich  augenblick- 
lich beurteilen  kami,  glaube  ich  nicht,  dafs  die  Sache  anders  zugeht. 
Wollte  Gott,  alle  philosophischen  Beweise  hätten  halb  so  viel  Wahrschein- 
lichkeit für  sich  wie  dieser!  Zu  meiner  völligen  Befriedigung  möchte 
ich  nur  noch  den  Beweis  dafür  hören,  dafs  jene  Bogen  gleich  sind. 

Salv.  Der  Beweis  ist  sehr  leicht.  Denkt  Euch  die  Linie  IE  ge- 
zogen; da  nmi  der  Halbmesser  des  Kreises  CD,  nämlich  die  Linie  CA, 
doppelt  so  grofs  ist  als  der  Halbmesser  CE  des  Kreises  Cl,  so  mufs 
der  Umfang  auch  dojjpelt  so  grofs  sein  als  der  Umfang  des  anderen, 
und  ebenso  jeder  Bogen  des  gröfseren  Kreises  doppelt  so  grofs  als 
ein  ähnlicher  Bogen  des  kleineren,  folglich  mufs  die  Hälfte  des  Bogens 
des  gröfseren  Kreises  gleich  dem  Bogen  des  kleineren  Kreises  sein. 
Weil  nun  der  Centriwinkel  CEI  am  Mittelpunkte  E  des  kleineren 
Kreises,  welcher  auf  dem  Bogen  CI  steht,  das  Doppelte  beträgt  von 
dem  Winkel  CAD  am  Mittelpunkte  des  gröfseren  Kreises,  der  auf 
dem  Bogen  CD  steht,  so  ist  demnach  der  Bogen  CD  die  Hälfte  eines 
dem  Bogen  CI  ähnlichen  Bogens  im  gröfseren  Kreise,  und  darum 
sind  die  Bogen  CD  und  CI  gleich.  In  derselben  Weise  läfst  sich 
der  Beweis  für  beliebige  Teile  erbringen.  —  Dafs  aber  die  Sache  be- 
treffs der  Fallbewegimg  der  schweren  Körper  genau  so  von  statten 
geht,  will  ich  vorläufig  nicht  als  sicher  hinstellen;  wohl  aber  behaupte 
ich,  dafs,  womi  die  von  dem  fallenden  Körj)er  beschrieliene  Linie  nicht 
genau  diese  ist,  sie  ihr  doch  aufserordentlich  nahe  kommt. 

Sagr.  Ich  aber  überlege  mir  eben  eine  andere  sehr  merkwürdige 
Sache,  Signore  Salviati.  Bestehen  nämlich  die  Betrachtungen  zu 
Recht,   so   wird   die   geradlinige  Bewegung   überhaupt   zu  AVasser   und  Geradlinige  Be- 

-NT  IT  -'i-i  •  ^  ^     ^  IT  •  weguiig  scheint 

die  Natur  bedient  sich  ihrer  niemals,   da  auch  dieienige  Aufsjabe,   die  >"  der  Natur 

.  .  ,  ^  ^  gänzlich  ausge- 

ihr  anfangs  zugestanden  wurde,  nämlich  die  Teile  der  HauptAveltkörper  schlössen  zu 
an  ihre  Stelle  zurückzubringen,  sobald  sie  von  ihrem  Ganzen  losgelöst 
sind  und  also  in  verkehrter  Anordnung  sich  befinden,   ihr  genommen 
und  ebenfalls  der  Kreisbewegung  zugewiesen  worden  ist. 


176  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [185.  186.  ] 

Salv.  Dies  würde  sicli  mit  Notwendigkeit  ergeben,  wenn  bewiesen 
wäre,  dal's  der  Erdball  sieb  kreisförmig  bewegt;  dafs  dieser  Beweis 
erbracht  sei,  behaupte  ich  aber  nicht.  Wir  haben  bis  jetzt  nur  er- 
wogen und  werden  fernerhin  nur  erwägen,  welche  Beweiskraft  die 
Gründe  haben,  die  von  den  Philosophen  zur  Erhärtung  der  Uubeweg- 
lichkeit  der  Erde  angeführt  worden  sind.  Gegen  diesen  ersten  von 
dem  lotrechten  Fall  der  schweren  Körper  hergenommenen  lassen  sich 
die  Einwände  erheben,  die  Ihr  vernommen  habt.  Ich  weifs  nicht, 
welche  Tragweite  Signore  Simplicio  diesen  beimifst;  ehe  wir  darum 
zu  der  Prüfung  der  anderen  Argumente  übergehen,  würde  es  gut  sein, 
wenn  er  etwaige  Gegenbemerkungen  vorbrächte. 

Simpl.  Was  dieses  erste  Argument  betriift,  so  gestehe  ich  in 
der  That,  allerhand  Öubtilitäten  gehört  zu  haben,  an  die  ich  nicht 
gedacht  "hatte.  Da  sie  mir  neu  sind,  so  kann  ich  uumöglich  die 
passenden  Erwiderungen  so  aus  dem  Ärmel  schütteln.  Indessen  be- 
trachte ich  den  lotrechten  Fall  nicht  als  einen  der  schlagendsten 
Gründe  für  die  Unbeweglichkeit  der  Erde.  Hingegen  weifs  ich  nicht, 
wie  man  sich  mit  den  Kanonenschüssen  abfinden  soll,  besonders  mit 
denen,  welche  der  täglichen  Bewegung  entgegen  gerichtet  sind. 

Sagr.  Ich  möchte,  das  Fliegen  der  Vögel  stünde  mir  nicht  mehr 
im  Wege,  als  mir  die  Kanonen  und  alle  anderen  oben  angeführten 
Versuche  Schwierigkeiten  machen.  Diese  Vögel  aber,  die  nach  Be- 
lieben vor-  und  rückwärts  fliegen  und  tausenderlei  Schwenkungen  aus- 
führen, und,  was  noch  mehr  heifsen  will,  ganze  Stimden  lang  in  der 
Luft  schweben,  diese,  sage  ich,  machen  mir  den  Kopf  etwas  wirre, 
und  ich  begreife  nicht,  wieso  sie  nicht  bei  den  mannigfachen  Schnör- 
keln die  Bewegung  der  Erde  verfehlen  und  wieso  sie  mit  einer  so 
grofsen  Geschwindigkeit  Schritt  halten  können,  die  ihren  Flug  bis- 
Aveilen  störend,  bisweilen  fördernd  beeinflussen  müfste. 

Salv.  Euer  Zweifel  ist  in  der  That  nicht  unbegründet  und  viel- 
leicht konnte  Kopernikus  selbst  keine  ihn  völlig  befriedigende  Lösung 
finden.  Aus  diesem  Grunde  mag  er  davon  geschwiegen  haben,  wie- 
wohl er  auch  bei  Prüfung  der  übrigen  Gegengründe  sehr  knapp  war: 
ich  glaube,  weil  er  zu  grofs  dachte,  weil  er  bedeutenderen  und 
höheren  Betrachtungen  nachhing,  gleichwie  der  Löwe  sich  kaum  rührt, 
wenn  ein  Hündchen  ihm  durch  Bellen  lästig  wird.  Wir  wallen  des- 
wegen den  Einwand  betreffs  der  Vögel  bis  zuletzt  aufsparen  und  in- 
zwischen Signore  Simplicio  hinsichtlich  der  anderen  zufrieden  zu 
stellen  suchen,  indem  wir  ihm  auf  die  übliche  Weise  zeigen,  dafs  er 
selbst  die  Lösung  in  Händen  hat,  wenn  er  es  auch  nicht  bemerkt. 
Wii-   machen   den  Anfang  mit   den  Schüssen    ins  Blaue,   die   mit   dem- 


I  186.  187.]  Zweiter  Tag.  177 

.selben  Geschütz,  Pulver  und  Gescliofs  einmal  nach  Osten,  ein  anderes 
Mal  nach  Westen  abgegeben  werden.  Sagt  mir,  welcher  Grund  es 
ist,  der  Euch  veranlafst  zu  glauben,  dafs  der  Schufs  nach  Westen 
—  sobald  man  die  tägliche  Umdrehung  dem  Erdball  zuschreibt  — 
sehr  viel  länger  ausfallen  müfste,  als  der  nach  Osten. 

Simpl.  Ich  fühle  mich  zu  dieser  Meinung  bewogen,  weil  das  Ge- 
schütz bei  dem  »Schufs  nach  Osten  der  Kugel  auf  dem  Fufse  folgt,  nach-  warum  scheiu- 

'^  .  ^  '  bar  der 

dem    diese    dasselbe   verlassen  hat.      Denn   es   wird   von   der  Erde   ge-  Kanouenschufs 

'^         nach  Westen 

tragen  und  bewegt  sich  demnach  ebenso  schnell  und  in  eben  derselben  iä"eef  ausfallen 

'^  ^  mufs  als  der 

Richtung  wie  diese,  so  dafs  das  Niederfallen  der  Kugel  auf  die  Erde  "^"^'^  ^sten. 
nicht  sehr  weit  von  der  Kanone  erfolgt.  Bei  dem  westlichen  Schusse 
hingegen  hat  sich  die  Kanone  vor  dem  Aufschlag  der  Kugel  weit  gegen 
Osten  zurückgezogen,  so  dafs  der  Zwischenraum  zwischen  Kugel  und 
Geschütz,  d.  h.  die  Schufsweite  länger  als  im  vorigen  Falle  erscheinen  wird 
und  zwar  um  so  viel  länger,  als  der  Weg  des  Geschützes  oder  der  Erde 
während  derjenigen  Zeit  beträgt,  wo  beide  Kugeln  in  der  Luft  verweilten. 

Salv.  Es  wäre  mir  lieb,  wenn  wir  irgend  welchen  Versuch  aus- 
findig machen  könnten,  der  der  Bewegung  dieser  Geschosse  entspricht, 
ähnlich  wie  der  Versuch  mit  dem  Schiffe  ein  Gegenstück  zu  der  Ab- 
wärtsbewegung der  fallenden  Körper  war.  Ich  überlege  mir  eben  die 
Art  und  Weise. 

Sagr.  Meiner  Meinung  nach  wäre  es  ein  ganz  angemessener  Ver- 
such, weim  man  einen  offenen  Wagen  nähme,  darin  eine  grofse  Bolzen-  versuch  mit 

'  .  .  einem  fahrenden 

armbrust   anbrächte  und   zwar  in  halber  Elevati on,    damit  die  Schufs- wagen  behufs 

•'  Beobachtung 

weite  möglichst  grofs  werde  ^-'0,  und  sodann,  während  die  Pferde  laufen,'^«'' ^e^if  V^'*^"" 

o  ö  /'  7  ■         heit  der 

einmal  in  der  Fahrtrichtung  und  einmal  nach  der  entgegengesetzten  Schüsse. 
Seite  schösse.  Dabei  müfste  man  aufs  genaueste  bemerken,  an  welcher 
Stelle  sowohl  bei  dem  einen  wie  bei  dem  anderen  Schusse  sich  der 
Wagen  befindet  in  dem  Zeitpunkte,  wo  der  Bolzen  auf  die  Erde 
schlägt;  denn  so  wird  man  genau  ermitteln  können,  um  wie  viel  weiter 
der  eine  als  der  andere  ausfällt. 

Simpl.  Dieser  Versuch  scheint  mir  sehr  angemessen,  und  ich 
zweifle  nicht,  dafs  die  Schufsweite,  d.  h.  die  Strecke  zwischen  dem 
Pfeile  und  der  Stelle,  wo  der  Wagen  im  Augenblicke  des  Niederfallens 
des  Pfeiles  sich  befindet,  sehr  viel  kleiner  sein  wird,  wemi  man  in  der 
Fahrtrichtung  des  Wagens  schiefst,  als  im  entgegengesetzten  Falle. 
Die  Schufsweite  an  und  für  sich  möge  z.  B.  dreihundert  Ellen  be- 
tragen, die  Fahrstrecke  des  Wagens  während  der  Zeit,  wo  der  Bolzen 
sich  in  der  Luft  befand,  sei  hmidert  Ellen  lang.  Schiefst  man  dem- 
nach in  der  Richtung  der  Fahrt,  so  legt  der  Wagen  von  den  drei- 
hundert  Ellen    des    Schusses    hundert    Ellen   zurück,    und    beim   Auf- 

Galilet,  Wültsjstcme.  12 


j^78  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [187.  188.] 

scWageii  de.s  Bolzens  auf  die  Erde  beträgt  mithm  der  Zwischenraum 
zwischen  ihm  und  dem  Wagen  blofs  zweihundert  Ellen.  Bei  dem 
zweiten  Schusse  hingegen,  wo  der  Wagen  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung fährt  wie  der  Bolzen,  wird  die  Strecke  zwischen  dem  Bolzen, 
der  seine  dreihundert  Ellen,  und  dem  Wagen,  der  seinerseits  noch 
weitere  hmidert  Ellen  in  entgegengesetzter  Richtung  zurückgelegt 
hat,  sich  vierhundert  Ellen  lang  herausstellen. 

Salv.  Gäbe  es  irgend  welches  Mittel,  um  diese  Schüsse  doch 
gleich  lang  ausfallen  zu  lassen? 

Simpl.  Ich  wüfste  kein  anderes,  als  dafs  man  den  Wagen  stille 
stehen  liefse. 

Saiv.  Das  versteht  sich;  ich  meine  aber,  wemi  man  den  Wagen 
in  vollem  Laufe  fahren  läfst. 

Simpl.  Es  sei  denn,  man  spannte  den  Bogen  stärker  beim  Schufs 
in  der  Fahrtrichtung  und  lockerte  ihn,  wenn  man  in  der  entgegenge- 
setzten schiefst. 

Salv.  Ihr  seht  also,  dafs  es  doch  noch  ein  anderes  Mittel  giebt. 
Aber  um  wieviel  stärker  müfste  man  ihn  spannen  und  um  wieviel  ihn 
nachher  lockern? 

Simpl.  In  miserem  Falle,  wo  wir  vorausgesetzt  haben,  dafs  der 
Bogen  dreihmidert  Ellen  weit  schiefst,  müfste  man  ihn  bei  dem  Schufs 
in  Richtvmg  der  Fahrt  derart  spannen,  dafs  er  nun  vierhundert  Ellen 
weit,  bei  dem  zweiten  derart  lockern,  dafs  er  nur  noch  zweihundert 
Ellen  weit  schiefst.  Denn  dann  würde  in  beiden  Fällen  die  Schufs- 
weite  in  Bezug  auf  den  Wagen  dreihundert  Ellen  betragen.  Dieser 
würde  nämlich  infolge  seiner  Vorwärtsbewegung  im  Betrag  von  hun- 
dert Ellen,  die  von  dem  vierhundert  Ellen  langen  Schufs  abzuziehen, 
hingegen  zu  dem  zweihundert  Ellen  langen  hinzuzuzählen  ist,  beide 
Schüsse  auf  den  Betrag  von  dreihundert  Ellen  bringen. 

Salv.  Welche  Wirkung  auf  den  Pfeil  aber  übt  die  gröfsere  oder 
geringere  Spannung  des  Bogens? 

Simpl.  Der  straff  gespannte  Bogen  treibt  ihn  mit  gröfserer  Ge- 
schwindigkeit, der  lose  mit  geringerer.  Derselbe  Pfeil  aber  fliegt  das 
eine  Mal  soviel  weiter  als  das  andere  Mal,  wie  die  Geschwindigkeit, 
mit  der  er  den  Hahn  verläfst,  in  dem  einen  Falle  gröfser  ist  als  im 
anderen. 

Salv.  Um  also  zu  bewirken,  dafs  der  Pfeil  sowohl  in  der 
einen  als  in  der  anderen  Richtung  sich  gleich  weit  von  dem  fahrenden 
Wagen  entferne,  mufs  bei  den  gemachten  Aimahmen  der  erste 
Schufs  eine  Anfangsgeschwindigkeit  z.  B.  von  vier  Grad  besitzen,  der 
zweite    blofs    von    zwei    Grad.      Solanj^e    mau    aber    denselben    Bogen 


[188.  189.]  Zweiter  Tag.  179 

anwendet^  erteilt  er  dem  Schusse  stets  eine  Anfangsgeschwindigkeit 
von  vier  Grad. 

Simpl.  So  ist  es;  und  wenn  man  also  mit  demselben  Bogen 
schiefst,  so  können  die  Schüsse  bei  fahrendem  Wagen  unmöglich  gleich 
ausfallen. 

Salv.  Ich  hatte  noch  vergessen  zu  fragen,  mit  welcher  Geschwin- 
digkeit  bei   diesem   speciellen  Versuch   der  Wagen   sich   bewegen  soll. 

Simpl.  Wir  müssen  annehmen,  die  Geschwindigkeit  betrage  einen 
Grad  im  Vergleich  zu  der  vom  Bogen  mitgeteilten,  welche  drei  beträgt. 

Salv.  Ja,  ja;  so  stimmt  die  Rechnung.  Doch  sagt  mir,  wenn 
der  Wagen  fährt,  bewegen  sich  nicht  auch  mit  der  nämlichen  Ge- 
schwindigkeit alle  im  Wagen  befindlichen  Dinge? 

Simpl.     Zweifelsohne. 

Salv.  Also  sowohl  der  Bolzen,  wie  der  Bogen  und  die  Sehne, 
auf  welche  er  gespannt  ist. 

Simpl.     So  ist  es. 

Salv.  Wenn  man  also  den  Bolzen  in  Richtung  des  Wagens  ab- 
drückt, so  prägt  der  Bogen  seine  Geschwindigkeit  von  drei  Grad  einem 
Bolzen  ein,  der  bereits  eine  solche  von  einem  Grad  besitzt,  da  ihn  ja 
der  Wagen  nach  jener  Richtung  mit  dieser  Geschwindigkeit  dahin- 
trägt;  er  besitzt  also  beim  Verlassen  des  Hahnes  vier  Grad  Geschwin- 
digkeit. Schiefst  man  hingegen  in  der  anderen  Richtung,  so  erteilt 
der  nämliche  Bogen  die  nämlichen  drei  Grad  Geschwindigkeit  einem 
Bolzen,  welcher  einen  Grad  Geschwindigkeit  in  entgegengesetzter 
Richtung  besitzt,  so  dafs  ihm  beim  Verlassen  der  Sehne  nur  zwei 
Grad  Geschwindigkeit  verbleiben.  Ihr  habt  aber  selbst  schon  ausge- 
sagt, dafs  man,  um  gleiche  Schufsweiten  zu  erzielen,  den  Bolzen  ein- 
mal mit  vier  Grad,  einmal  mit  zwei  Grad  Anfangsgeschwindigkeit  ab- 
schnellen mufs.  Ohne  dafs  also  am  Bogen  eine  Änderung  vorzunehmen 
wäre,  regelt  die  Fahrt  des  Wagens  selbst  die  Abgangsgeschwindig- 
keiten. Die  Ausführung  des  Versuchs  bekundet  die  Richtigkeit  dieser 
Thatsachen  dem,  der  Vernunftgründe  nicht  verstehen  will  oder  kann. 
Wendet  nun   diese   Überlegung  auf   das   Geschütz   an,    so  werdet  Ihr  Widerlegung 

^       °  ,  '  , .  .       des  von  den 

finden:   mag  die  Erde  sich  bewegen  oder  feststehen,    Schüsse,  die  mit  üstiichen  und 

»  O  '  '  .     westliclieu  Ka- 

derselben  Kraft  abgegeben  werden,  müssen  stets  gleich  ausfallen,  wie  "«'ißuscbüsseu 

"    o  '  .  Iiergeuommeueii 

immer    sie    gerichtet    sem    mögen.      Der   Irrtum    des   Aristoteles,    des  Argumoutes. 

Ptolemäus,  der  Euere  und  der  aller  anderen  entspringt  aus  der  festen 

und    eingewurzelten  Vorstellung    von    der  Unbeweglichkeit    der  Erde, 

von  der  Ihr  nicht  vermögt  und    wifst  Euch   frei    zu  machen,    selbst 

dann,  wenn  Ihr  Spekulationen  anstellen  wollt  über  die  Folgen,  die  im 

Falle   dei-  Erdbewegung    eintreten  würden.     Ebenso    bedachtet  Ihr  bei 


130  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [189.  190.] 

dem  vorhin  besprochenen  Argumente  nicht,  dafs,  solange  der  Stein 
auf  dem  Turme  verweilt,  er  bezüglich  der  Bewegung  oder  Nichtbe- 
wegung  sich  verhält  wie  der  Erdball;  weil  Ihr  nun  innerlich  fest 
daran  haltet,  dafs  die  Erde  stille  steht,  legt  Ihr  Eueren  Erörterungen 
über  den  Fall  des  Steines  stets  die  Voraussetzung  zu  Grunde,  dafs  er 
vom  Zustande  der  Ruhe  ausgehe,  während  man  doch  sagen  mufs:  wenn 
die  Erde  stille  steht,  geht  der  Stein  vom  Zustande  der  Ruhe  aus  und 
bewegt  sich  lotrecht  abwärts;  wemi  die  Erde  sich  aber  bewegt,  so 
bewegt  sich  der  Stein  ebenfalls  mit  der  gleichen  Geschwindigkeit  und 
geht  also  nicht  vom  Zustande  der  Ruhe  aus,  sondern  von  einer  Bewegung 
gleich  der  des  Erdballs,  mit  welcher  sich  die  hinzukommende  Abwärts- 
bewegung vermischt,  so  dafs  eine  schräge  Bewegung  daraus  hervorgeht. 

Simpl.  Aber  lieber  Gott,  wenn  er  sich  schräge  bewegt,  wieso 
sehe  ich  ihn  denn  sich  geradlinig  und  lotrecht  bewegen? 

Salv.  In  Bezug  auf  die  Erde,  auf  den  Turm  und  auf  uns,  die 
wir  alle  zusammen  die  tägliche  Bewegung  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Steine  machen,  ist  diese  tägliche  Bewegung  so  gut  wie  nicht  vor- 
handen, läfst  sich  nicht  fühlen  noch  wahrnehmen  und  ist  ohne  jede 
Wirkung;  unserer  Beobachtung  zugänglich  ist  allein  die  Bewegung, 
die  wir  nicht  teilen,  nämlich  die  Abwärtsbewegung  dem  Turme  ent- 
lang. —  Ihr  seid  nicht  der  erste,  der  sich  gegen  jene  Erkenntnis  sträubt, 
dafs  die  Bewegning  ohne  Einflufs  auf  das  gegenseitige  Verhalten  solcher 
Dinge  ist,  denen  sie  gemeinsam  zukommt. 

Sagr.  Ich  erinnere  mich  eben  einer  eigenartigen  Phantasie,  die 
Bemerkens-    eiucs  Tages  meine  Einbildungskraft  beschäftigte,  als  ich  auf  der  Fahrt 

wertes  Beispiel  "  _  "  _         _  " 

sagredos,  um  uacli  Alcppo  begriffen  war,   wohin   ich    als  Konsul   unserer  Vaterstadt 

zu  zeigen,  dafs        _  .  .  . 

die  gemeinsame  j.gjg^g  5G\      gjg   Ivömitc   vielleicht   ctwas  dazu   beitraüjcn,   diese   Einflufs- 

Bewegung  ein-  /  07 

flufsios  ist.  losigkeit  der  gemeinsamen  Bewegung,  dieses  „So  gut  wie  nicht  vor- 
handen sein"  für  alles  gleichzeitig  von  ihr  Betroffene  zu  erläutern. 
Ich  möchte,  wenn  es  Signore  Simplicio  gefiillig  ist,  mit  ihm  be- 
sprechen, was  ich  damals  für  mich  allein  phantasierte. 

Simpl.  Die  Dinge,  von  welchen  ich  hier  reden  höre,  sind  mir  so 
neu,  dafs  ich  sie  nicht  nur  nicht  langweilig,  sondern  höchst  interessant 
finde.     Darum  sprecht  nur! 

Sagr.  Angenommen,  während  meiner  ganzen  Fahrt  von  Venedig 
nach  Alexandrette  habe  sich  eine  Schreibfeder  an  Bord  befunden; 
wenn  nun  die  Spitze  derselben  vermocht  hätte,  ein  sichtbares  Merk- 
zeichen ihres  Weges  zu  hinterlassen,  wie  beschaffen  wäre  diese  Spur, 
dieses  Merkmal,  diese  Linie? 

Simpl.  Sie  würde  eine  Linie  hinterlassen  haben,  die  sich  von 
Venedig  bis  dorthin  erstreckte,   nicht   vollständig  gerade,   oder   besser 


1 


[100.  191.]  Zweiter  Tag.  181 

gesagt,  uiclit  in  vollkommenem  Kreisbogen,  sondern  bald  mehr,  bald 
weniger  gebogen,  je  nacMem  das  Fahrzeug  bald  mehr,  bald  weniger 
geschwankt  hat.  Diese  stellenweiseii  Ausbiegmigen  aber  von  einer 
oder  zwei  Ellen  nach  rechts  oder  links,  nach  oben  oder  imteii  würden 
bei  einer  Länge  von  vielen  hundert  Miglien  eine  geringe  Änderung 
au  dem  gesamten  Linienzug  hervorbringen,  so  dafs  sie  kaum  bemerk- 
bar wären.  Man  könnte  daher  die  Linie  ohne  wesentlichen  Fehler  als 
Teil  eines  vollkommenen  Kreises  l^etrachten. 

Sagr.  Es  wäre  also  die  eigentliche,  richtige,  wahrhafte  Bewegung 
jener  Federspitze  geradezu  ein  vollkommener  Kreisbogen  gewesen,  wenn 
die  Bewegung  des  Fahrzeugs  ohne  ein  Schwanken  der  Wellen  sanft 
und  ruhig  vor  sich  gegangen  Aväre.  Wemi  ich  nun  selljige  Feder  be- 
ständig  in  der  Hand  gehalten  und  sie  nur  hie  und  da  einen  oder  zwei 
Finger  breit  da-  und  dorthin  bewegt  hätte,  welche  Änderung  würde 
das  in  der  Hauptsache  an  dem  aulserordentlich  langen  Liuieiizug  her- 
vorgebracht haben? 

Simpl.  Eine  noch  geringere,  als  wenn  bei  einer  geraden  Linie 
von  tausend  Ellen  Länge  stellenweise  eine  Abweichung  von  der  abso- 
luten Geradheit  um  die  Breite  eines  Flohauges  stattfände. 

Sagr.  Hätte  also  ein  Maler  bei  seiner  Abfahrt  vom  Hafen  mit 
jener  Feder  auf  ein  Blatt  Papier  zu  zeichnen  begonnen  und  mit  der 
Zeichnimg  bis  zur  Ankunft  in  Alexandrette  fortgefahren,  so  hätte  er 
durch  Bewegung  der  Feder  ein  ganzes  Historienbild  mit  vielen  völlig 
richtig  konturierten  und  in  tausend  und  aber  tausend  Kichtimgen 
schattierten  Figuren  herstellen  können,  mit  Landschaft,  Baulichkeiten, 
Tieren  und  anderen  Dingen,  obgleich  die  eigentliche,  wahre  absolute 
Bewegimg,  welche  die  Federspitze  ausführt,  nur  eine  zwar  lange,  aber 
höchst  einfache  Linie  darstellen  würde.  Was  die  dem  Maler  eigene 
Thätigkeit  betrifft,  so  hätte  er  aufs  Haar  dasselbe  gezeichnet,  wenn 
das  Schiff  stille  gestanden  hätte.  Dafs  aber  von  der  aulserordentlich 
langen  Bahn  der  Feder  keine  andere  Spur  bleibt  als  die  auf  das  Papier 
gezeichneten  Striche,  rührt  daher,  dafs  die  bedeutende  Bewegung  von 
Venedig  nach  Alexandrette  dem  Papier  und  der  Feder,  sowie  allen  im 
Schiffe  befindlichen  Dingen  gemeinsam  zukam.  Die  winzigen  Be- 
wegungen aber  nach  vor-  und  rückwärts,  nach  rechts  und  links,  die 
von  den  Fingern  des  Malers  der  Feder,  nicht  aber  dem  Blatte  mitge- 
teilt werden,  konnten,  weil  sie  der  Feder  eigentümlich  waren,  ihre 
Spur  auf  dem  Papier  zurücklassen,  Avelches  in  Bezug  auf  solche  Be- 
wegungen als  unljewegt  angesehen  werden  darf.  Ganz  ebenso  ist  es 
richtig,  dafs,  wenn  die  Erde  sich  dreht,  die  Fallbewegung  des  Steines 
in  Wirklichkeit  eine  lauge  Linie  von  vielen  hundert,  ja  tausend  Ellen 


ig2  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [191.  192.] 

darstellt.  Weun  er  seine  Spur  in  eine  ruhende  Atmosphäre  oder  auf 
sonst  eine  Fläclie  einzeichnen  könnte,  so  würde  sie  als  eine  aufser- 
ordentKch  lauge  schräge  Linie  erscheinen.  Der  Teil  der  gesamten 
Bewegung  aber,  welcher  dem  Stein,  dem  Turm  imd  mis  gemeinsam 
zukommt,  ist  für  uns  unmerkhch  imd  gleichsam  nicht  vorhanden-, 
blofs  der  Teil  gelangt  zur  Wahrnehmimg,  an  welchem  sich  weder  der 
Turm  noch  wir  selbst  uns  beteiligen  und  dies  ist  schliefslich  die  Be- 
wegimg,  welche  der  Stein  bei  seinem  Falle  längs  des  Turmes  zurücklegt. 
Salv.  Ein  äufserst  scharfsinniger  Einfall,  um  diesen  für  das  Ver- 
ständnis vieler  Menschen  so  schwierigen  Punkt  zu  erläutern.  Nmi  aber 
können  wir,  wenn  Siguore  Simplicio  nichts  weiter  erwidern  will,  zu 
den  übrigen  Versuchen  übergehen;  ihre  Widerlegimg  wird  durch  die 
bisherigen  Auseinandersetzungen  nicht  wenig  erleichtert  werden. 

Simpl.  Ich  habe  nichts  weiter  zu  bemerken  und  war  halb  ver- 
sunken in  diese  Euere  Zeichnimg,  in  den  Gedanken,  wie  jene  nach  so 
vielen  Richtimgen,  hierin  imd  dorthin,  hinauf  und  hinunter,  vor-  und 
rückwärts  gezogenen  Striche,  die  in  hunderttausend  Krümmungen  mit 
einander  verflochten  sind,  in  Wahrheit  wesentlich  nichts  anderes  sind 
als  Stückchen  einer  einzigen,  ganz  und  gar  nach  der  nämlichen  Rich- 
tung verlaufenden  Linie,  die  nur  insofern  Um-egelmäfsigkeiten  enthält, 
als  sie  ein  kleines  bischen  nach  rechts  imd  links  abweicht  und  als 
die  Spitze  der  Feder  sich  bald  schneller,  bald  langsamer  bewegt,  aber 
mit  ganz  geringen  Unterschieden.  Ich  überlege,  dafs  in  derselben 
Weise  die  Niederschrift  eines  Briefes  von  statten  ginge  und  dafs  jene 
besonders  geschickten  Schreiber,  die  um  die  Gelenkigkeit  ihrer  Hand 
zu  zeigen,  in  einem  einzigen  Zuge,  ohne  die  Feder  vom  Blatte  abzu- 
setzen, mit  tausend  und  aber  tausend  Verschlingungen  ein  allerliebstes 
Geflecht  aufzeichnen,  die  Gesamtbewegung  der  Feder,  sobald  sie  in 
einer  schnell  fahrenden  Barke  sich  befänden,  in  einen  Schnörkel  ver- 
wandeln würden,  während  sie  wesentlich  eine  einzige  durchaus  nach 
derselben  Richtimg  gezogene  Linie  darstellt  und  nur  ganz  wenige 
Krümmungen  und  Abweichungen  von  der  ■vollkommenen  Geradheit 
aufweist.  Ich  freue  mich  sehr,  dafs  Signore  Sagredo  in  mir  diesen 
Gedanken  angeregt  hat.  Fahren  wir  also  weiter  fort,  denn  die  Er- 
wartung noch  anderes  derart  zu  vernehmen,  wird  meine  Aufmerksam- 
keit nur  erhöhen. 

Sagr.     Wenn    es    Euch  Vergnügen    macht,    ähnliche  Einfalle    zu 

Ironisch  gc-   vemehmeu,  an  die  nicht  gerade  jeder  denkt,  so  giebt  es  deren  genug, 

alberne' Kluge- namentlich   iu  Sachen   der   Schiffahrt.      Haltet  Ihr   es   nicht  für   einen 

wissen  Encycio-schönen  Gedaukcu,  der   mir   auch  auf  derselben  Reise   kam,   während 

pädie  ent-       .    _ 

nommen.     ich    bemerkte,    dafs    der    Korb,     also    die    Spitze    des    Schiffsmastes, 


[102.193.]  Zweiter  Tag.  183 

(ilme  dai's  letzterer  biegt  oder  bricht,  einen  gröfseren  Weg  zurückge- 
legt hatte  als  der  Ful«?  Da  nämlich  die  Spitze  weiter  vom  Erdmittel- 
punkte entfernt  ist  als  der  Fufs,  so  hatte  jene  den  Bogen  eines  Kreises 
l)eschrieben,  der  gröfser  ist  als  der  vom  FuTse  zurückgelegte. 

Simpl.  So  legt  denn  auch,  wenn  ein  Mensch  geht,  sein  Kopf 
i'inen  gröfseren  Weg  zurück  als  seine  Füfse? 

Sagr.  Das  habt  Ihr  ohne  jede  Hilfe,  blofs  durch  eigenes  Nach- 
denken vortrefflich  durchschaut.  Al)er  unterbrechen  wir  nicht  den 
Signore  Salviati! 

Salv.  Es  freut  mich  zu  sehen,  wie  Signore  Simplicio  an  Ge- 
schicklichkeit zunimmt,  wenn  anders  der  Einfall  sein  Eigentum  ist 
luid  er  ihn  nicht  aus  einem  gewissen  Thesenbüchlein ^'')  gelernt  hat, 
worin  sich  einige  andere  ebenso  hübsche  und  geistreiche  finden.  — 
Wir  kämen  sodann  auf  die  senkrecht  zum  Horizont  gerichtete  Kanone  Einwand  gegen 
/,u  sprechen,   d.  h.  auf  den  Fall,   wo   der  Schufs   in  Richtung   unseres  Bewegung,  her- 

•    1-I11  1  •     1  ^  TT-  iiTT  genommen  von 

.Scheitels  abgegeben  wird,  und  wo  die  Kugel  schlielshch  längs  derselben**«™ senkrechten 

.     .  ~  Kanouenschufs. 

liUiie  zu  demselben  Geschütze  zurückkehrt  trotz  der  langen  Zeit, 
w  iihreud  deren  sie  von  ihm  getremit  war  und  während  deren  die  Erde 
dieses  viele  Miglien  weit  nach  Osten  fortführte.  Scheinbar  müfste 
die  Kugel  um  eine  ebenso  grofse  Strecke  westlich  von  dem  Geschütze 
niederfallen;  dies  geschieht  aber  nicht,  also  hat  die  Kanone  unverrückt 
das  Wiedereintreffen  der  Kugel  abgewartet.  Die  Widerlegung  ist  die 
gleiche  wie  bei  dem  Herabfallen  des  Steines  vom  Turme:  der  ganze 
l'i'hler,   das  Mifsverständnis  liegt  darin,   dafs   stets  dasienige  als  wahr  Entgegnung 

'  _  o  ;  J         O  auf  den  Kin- 

vorausgesetzt  wird,   was  in  Frage   steht.     Denn  stets  hält  der  Gegner  J-'^'t^  "."*«'" 

°  '  ~  O  Nachweis  des 

im  Geiste  daran  fest,  dafs  die  Kugel  vom  Zustande  der  Ruhe  ausgeht,     '«ejscbeu 

-"  o  o         ?         i  elllers. 

wcim  sie  beim  Abfeuern  aus  dem  Geschütze  herausgeschleudert  wird. 
Imu  Ausgehen  vom  Zustande  der  Ruhe  kann  aber  nur  stattfinden  unter 
\'()raussetzimg  der  Unbewegtheit  des  Erdballs,  und  dies  ist  gerade  die 
III  Frage  stehende  Behauptung.  Ich  wiederhole  daher:  die  Entgeg- 
nung derer,  welche  die  Erde  sich  bewegen  lassen,  besteht  darin,  dafs 
das  Geschütz  nebst  der  darin  befindlichen  Kugel  sich  an  der  näm- 
lichen Bewegung  beteiligen,  welche  der  Erde  zukommt,  dafs  sie  sogar 
cl)enso  wie  letztere  diese  Bewegung  von  Natur  aus  besitzen,  dafs  also 
die  Kugel  keineswegs  vom  Zustande  der  Ruhe  ausgeht,  sondern  be- 
haftet mit  ihrer  Bewegung  um  den  Mittelpunkt,  diese  wird  aber  durch 
das  Schleudern  nach  oben  weder  aufgehoben  noch  gestört.  Solcher- 
i;«'stalt  folgt  sie  der  allgemeinen  Bewegung  der  Erde  nach  Osten  und 
hält  sieh  fortwährend  gerade  über  dem  Geschütze  sowohl  beim  Auf- 
steigen als  während  der  Rückkehr.  Denselben  Erfolg  werdet  Ihr  be- 
obachten,  wenn  Ihr  auf  einem   Schiffe   den  Versuch  anstellt,  mittels 


184  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [193.  194.] 

einer  Armbrust  eine  Kugel  senkrecht  in  die  Höhe  zu  scliiefsen;  sie 
wird  an  denselben  Ort  zurückkehren,  mag  das  Schiff  sich  nun  be- 
wegen oder  stille  stehen. 

Sagr.     Hierdurch  wird    alles    aufs    beste    erledigt.     Da    ich    aber 

bemerkt  habe,    dafs   Signore   Simplicio  Vergnügen  an    einer  gewissen 

Sorte  von  sinnreichen  Einfällen   findet,   auf  die  der  Gegner,  wie  man 

zu  sagen  pflegt,  hineinfallt,  so  möchte  ich  ihn  fragen,  ob  er,  die  Unbe- 

Andere  Wider-  wcglichkeit  der  Erde  einstweilen  vorausgesetzt.  Bedenken  dagegen  hat, 

selben  Ein-    clafs    ciu    Schufs    aus    einer    lotrechten,    nach   dem   Zenith   gerichteten 

waudes.  .  '        .  .  " 

Kanone  wahrhaft  lotrecht  ist,  und  dafs  die  Kugel  beim  Abfeuern  imd 
bei  ihrer  Rückkehr  dieselbe  gerade  Linie  einschlägt,  immer  unter  der 
Annahme,  dafs  alle  äufseren  Hindernisse  beseitigt  sind. 

Simpl.     Ich  sehe  ein,  dafs  die  Sache  genau  so  verlaufen  mufs. 

Sagr,  Wenn  aber  das  Geschütz  nicht  lotrecht  aufgepflanzt  wird, 
sondern  nach  irgend  welcher  Richtimg  geneigt,  wie  beschafl'en  mul's 
dann  die  Bewegung  der  Kugel  sein?  Fliegt  sie  etwa,  wie  vorher 
längs  einer  lotrechten  Linie  und  kehrt  auch  wieder  längs  dieser  zurück? 

Simpl.  Das  wird  sie  nicht  thuu,  sondern  nach  Verlassen  des  Ge- 
schützes wird  sie  ihre  Bewegung  in  der  geraden  Linie  fortsetzen, 
welche  die  Verlängerung  der  Axe  des  Laufs  bildet,  abgesehen  von  der 
Ablenkung,  die  sie  durch  ihr  eigenes  Gewicht  von  dieser  Richtung 
erfährt. 

Sagr.     Danach  ist   also   die   Richtung   des  Laufs  mafsgebend  für 

Geworfene    die  Beweguug  der  Kugel,   sie   verläfst  diese   Linie  nicht   oder  würde 

ihre  Bewegung  sie    doch  uicht  verlasscu,    wenn  ihr  eigenes    Gewicht   sie    nicht  nach 

geraden  Linie  uiiteii  ablenkte.  ^^)    Aus  diesem  Grunde  kehrt  sie,  wenn  der  Lauf  senk- 

fort,  die  sie  Le-  ii  i      t       t^  i  n  ^  • 

schrieben,  als  rocht  gestellt  Und  die  Kuojel  aufwärts  f?eschossen  wird,  längs  derselben 

sie  noch  mit         ,     ,       ^  '^  ^  ;  o 

dem  Werfenden  Linie  uach  untcu  zurück,  denn   die  Bewegung  der  Kugel,  insofern  sie 

in  Verbindung-  _  '  0007 

waren.  durch  die  Schwere  bedingt  wird,  ist  längs  der  nämlichen  lotrechten 
Linie  nach  imten  gerichtet.  Die  Flugbahn  der  Kugel  aufserhalb  des 
Geschützes  bildet  somit  die  Fortsetzung  des  Bahnteilchens,  das  inner- 
halb des  Laufes  enthalten  ist,  nicht  wahr? 

Simpl.     So  scheint  es  mir. 

Sagr.  Denkt  Euch  nun  den  Lauf  senkrecht  in  die  Höhe  gerichtet, 
während  gleichzeitig  die  Erde  sich  um  sich  selber  in  täglicher  Be- 
Avegung  dreht  und  das  Geschütz  mit  sich  fortträgt:  sagt  mir,  wie  be- 
schaffen wird  die  Bewegmig  der  Kugel  innerhalb  des  Laufes  sein  von 
dem  Augenblicke  ab,  wo  Feuer  gegeben  wird. 

Simpl.  Sie  wird  geradHuig  und  lotrecht  sein,  da  der  Lauf  lotrecht 
gerichtet  ist. 

Sagr.     Bedenkt  Euch  wohl,   denn  meiner  Meinung  nach  wird  sie 


Zweiter  Tag. 


185 


toi 


keineswegs  lotrecht  sein.  Sie  wäre  allerdings  lotrecht,  wenn  die  Erde 
feststünde,  weil  alsdann  die  Kugel  keine  andere  Bewegung  hätte  als 
ilit'  von  dem  Feuer  ikr  mitgeteilte.  Dreht  sich  aber  die  Erde,  so 
kommt  der  im  Geschütz  befindlichen  Kugel  gleichfalls  die  tägliche 
I  mdrehung  zu,  und  wenn  sie  also  noch  obendrein  den  Impiüs  des 
IVuers  empfängt,  so  legt  sie  die  Strecke  von  der  Stofsfläche  des  Laufs 
lii.s  zur  Mündung  in  doppelter  Bewegimg  zurück.  Durch  Zusammen- 
setzung dieser  beiden  ergiebt  sich,  dafs  die  . 
vom    Schwerpunkte    der    Kugel    ausgeführte 

I  icwegung  längs  einer  geneigten  Linie  erfolgt. 
Zu  besserem  Verständnis  sei  AC  das  aufwärts 
'gerichtete  Geschütz,  in  ihm  befinde  sich  die 
Kugel  i?.  Steht  die  Kanone  unbeweglich 
und  wird  dann  aljgefeuert,  so  nimmt  offenbar 
die  Kugel  durch  die  Mündung  A  ihren  Aus- 
u;ing,  und  ihr  Mittelpunkt  wird  beim  Passieren 
•  les  Laufes  die  lotrechte  Linie  A^  beschreiben. 
Dieselbe  Richtung  wird  sie  aufserhalb  des  m\'^^\ 
Geschützes  beibehalten,  sich  nämlich  scheitel- 
leeht  bewegen.  Wenn  aber  die  Erde  sich  im 
I\  reise    dreht    und    folglich    die   Kanone    mit  C  I^ 

<\y\\  fortträgt,   so  wird  üi  der  Zeit,   wo   die  Kugel   vom  Feuer   durch  P'e  Drehung 

"-"    '  '  •-->  der  Erde  vor- 

ili'u  Lauf  getrieben  wird,  das  von  der  Erde  fortgeführte  Geschütz  sich  """^sesetzt,  be- 

'-''•'  o  ^vegt  sich  die 

in  die  Lage  DE  begeben,  die  Kugel  B  wird  beim  Verlassen  des  Laufs  j^^^lfi^/^^'^jl^. 
;in  der  Mündimg  D  sich  befinden-,  der  Mittelpimkt  der  Kugel  hat  alsoi^°^r/,^t£',\\t! 
die   Linie   BD  zurückgelegt,    die  nicht   wie  vorhin  lotrecht,    sondern geretgterLilSe. 
-egen  Osten  geneigt  ist.     Da  nun,   Avie  bereits   angegeben,   die  Kugel 
ihie  Bewegimg   durch   die  Luft   fortsetzen  miifs   in   Richtung   der   Be- 
wegung innerhalb  des  Geschützes,  so  wird  sie  sich  gemäfs  der  Neigimg 
der  Linie  BD  weiterhin  bcAvegen,  demnach  keineswegs  eine  lotrechte, 
sondern  eine  nach  Osten  geneigte  Bahn  einschlagen  eben  dahin,  wohin 
Much  das  Geschütz  sich  bewegt.     Daher  wird  die  Kugel  der  Bewegung 
der  Erde  und  des  Geschützes   folgen  können.      So  habt  Ihr,   Signore 
Siiiiplicio,  den  Nachweis,  dafs  der  Schills,  der  scheinbar  lotrecht  sein 

II  Ulfs,  in  Wirklichkeit  dies  keineswegs  ist. 

Simpl.  Ich  verstehe  die  Sache  noch  nicht  so  recht;  und  Ihr, 
Signore  Salviati? 

Salv.  Ich  verstehe  sie  zum  Teil,  habe  aber  doch  ein  gewisses 
bedenken  dabei;  Gott  gebe,  dafs  es  mir  glückt,  es  auseinanderzusetzen. 
>U'iner  Meinung  nach  müfste  dem  eben  Bewiesenen  zufolge,  wenn  die 
Kanone  lotrecht 


185  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [195.  196.J 

nicht  westlich  vom  Geschütz,  wie  Aristoteles  imd  Tycho  wollen,  auch 
nicht  gerade  auf  das  Geschütz,  wie  Ihr  wollt,  sondern  sogar  recht 
weit  östlich  davon  niederfallen.  Denn  Euerer  Auseinandersetzung  zu- 
folge hesäfse  sie  zwei  Bewegungen,  welche  sie  übereinstimmend  nach 
dieser  Richtung  hintreiben,  nämlich  die  allgemeine  Bewegimg  der  Erde, 
die  das  Geschütz  und  die  Kugel  von  CA  nach  ED  führt,  und  die 
des  Feuers,  welches  sie  längs  der  geneigten  Linie  BD  treibt:  beides 
nach  Osten  gerichtete  Bewegimgen,  Avelche  demnach  die  Bewegimg  der 
Erde  übertreffen  müssen. 

Sagr.  Nein,  Signore.  Die  Bewegung,  welche  die  Kugel  nach 
Osten  führt,  rührt  allein  von  der  Erde  her;  das  Feuer  spielt  dabei 
keine  Rolle.  Die  Bewegung  hingegen,  welche  die  Kugel  aufwärts 
treibt,  rührt  allein  vom  Feuer  her  und  die  Erde  hat  nichts  damit  zu 
schaffen.  Zum  Beweise:  feuert  nicht  ab,  so  wird  die  Kugel  nimmer- 
mehr das  Geschütz  verlassen,  noch  sich  um  Haaresbreite  erheben; 
lafst  andererseits  die  Erde  stille  stehen  und  gebt  Feuer,  so  wird  die 
Kugel,  ohne  irgendwie  eine  geneigte  Richtung  einzuschlagen,  sich  in 
lotrechter  Linie  bewegen.  Hat  also  die  Kugel  zwei  Bewegungen,  eine 
nach  oben  und  eine  im  Kreise,  aus  deren  Zusammensetzimg  die  schräge 
Linie  DD  hervorgeht,  so  rührt  der  Impuls  nach  oben  allein  vom 
Feuer  her,  der  kreisförmige  allein  von  der  Erde  und  ist  dem  der 
Erde  gleich.  Und  eben  weil  er  ihm  gleich  ist,  so  hält  sich  die  Kugel 
stets  senkrecht  über  der  Mündimg  der  Kanone  und  fällt  schliefslich 
in  diese  zurück;  und  weil  sie  sich  stets  in  Richtung  des  Laufes  hält, 
erscheüit  sie  beständig  zu  Häupten  dessen,  der  sich  in  der  Nähe  des 
Geschützes  befindet  und  darum  scheint  sie  genau  lotrecht  in  Richtung 
unseres  Scheitelpunktes  emporzufliegen. 

Simpl,  Älir  bleibt  ein  anderes  Bedenken.  Da  doch  nämlich  die 
Bewegung  der  Kugel  im  Geschütz  aufserordentlich  schnell  ist,  so 
scheint  es  unmöglich,  dafs  in  diesem  kurzen  Augenblick  die  Verschie- 
bung der  Kanone  von  CA  nach  ED  der  schrägen  Linie  CD  eine 
solche  Neigung  erteilt,  dafs  die  Kugel  vermöge  dieser  in  der  Luft  mit 
der  Geschwindigkeit  der  Erde  Schritt  halten  kann. 

Sagr.  Ihr  verrechnet  Euch  mehrfach.  Erstlich  glaube  ich,  Ihr 
unterschätzt  die  Neigung  der  schrägen  Linie  CD  bedeutend;  denn  wie 
ich  fest  überzeugt  bin,  ist  die  Geschwindigkeit  der  Erdbewegung  nicht 
nur  unter  dem  Äquator,  sondern  auch  unter  unserer  Breite  gröfser  als 
die  der  Kugel  während  ihrer  Bewegung  durch  den  Lauf.  Somit  würde 
die  Strecke  CE  unbedingt  gröfser  sein  als  die  Gesamtlänge  des  Laufs 
imd  demzufolge  die  Neigung  der  schrägen  Linie  gröfser  als  ein  halber 
rechter  Winkel.     Aber  mag  die  Geschwindigkeit  der  Erde  im  Vergleich 


[196.  197.]  Zweiter  Tag.  187 

zu  der  vom  Feuer  bedingten  klein  oder  grofs  sein,  es  kommt  darauf 
nichts  au.  Denu  ist  die  Geschwindigkeit  der  Erde  gering  und  dem- 
nach auch  die  Neigung  der  schrägen  Linie  gering,  so  bedarf  es  auch 
nur  dieser  geringen  Neigung  der  schrägen  Linie,  um  zu  bewirken,  dal's 
die  Kugel  bei  ihrem  Fluge  sich  beständig  über  dem  Geschütze  hält. 
Kurz,  wenn  Ihr  die  Sache  mit  Bedacht  prüft,  werdet  Ihr  erkennen, 
dafs  die  Erde,  indem  sie  die  Kanone  von  CA  nach  ED  führt,  der 
schrägen  Linie  CD  gerade  das  Weniger  oder  Mehr  von  Neigung  erteilt, 
welches  erforderlich  ist,  um  den  Schufs  je  nach  Bedürfnis  zu  regu- 
lieren. Ihr  irrt  aber  zweitens,  wenn  Ihr  in  dem  Antrieb  des  Feuers 
die  Ursache  dafür  sucht,  dafs  die  Kugel  imstande  ist,  der  Bewegimg 
der  Erde  zu  folgen.  Ihr  fallt  in  denselben  Irrtum  zurück,  w^elchen 
eben  Signore  Salviati  begangen  zu  haben  scheint.  Dieses  Schritthalten 
mit  der  Erde  ist  nämlich  die  ursprünglichste,  ewige  Bewegimg,  uu- 
vertilgbar  und  unaufhörlich  verbimdeu  mit  der  Kugel,  als  einem 
irdischen  Gegenstande,  der  sie  von  Natur  besitzt  und  in  Ewigkeit  be- 
sitzen wird. 

Salv.  Geben  wir  uns  nur  zufrieden,  Signore  Simplicio,  deun  die 
Sache  geht  in  der  That  genau  so  zu.  Auf  Grund  dieser  Erörterimg 
begreife   ich   jetzt    auch    das   Jagdkunststückcheu   jener   Schützen,    die      wie  die 

•iini  T        1-r  1      ■  -,  -r       ^  1   •    n  -1  .        Schützen  die 

mit  der  Büchse  die    Vögel  in  der  Lult    schiefseu.'*-')     Ich    hatte  mir  vogei  ia  der 

eingebildet,   dafs  sie,   um   den  Vogel   zu  treifen,   einen  von  demselben 

verschiedenen  Zielpunklf  aufs  Korn  nähmen,   der  um  ein  Stück  weiter 

nach  vorne   liegt,    mehr   oder   weniger   je   nach   der   Schnelligkeit   des 

Flugs    und    der  Entfernung   des   Vogels,    damit    die   Kugel   nach   dem 

Abdrücken,  während  sie  in  Richtung  des  Zieles  fliegt,   durch  ihre  Be- 

wegmig  zur  selben  Zeit  an  denselben  Pimkt  gelangt,  wie  der  Vogel 

durch  seinen  Flug  und  sie   auf  diese  Weise  einander  begegnen.     Ich 

fragte  darum  einen  von  ihnen,  ob  das  ihr  Verfahren  sei,  er  verneinte 

dies    aber,    der   Kunstgriff  sei  viel  leichter    und   sicherer,    sie  gingen 

ganz  in  derselben  Weise  zu  Werke,   wie   weim   sie   auf  den   ruhenden 

Vogel  schössen;   sie  nähmen  nämlich   den   fliegenden  Vogel  aufs  Korn 

und  folgten  ihm  mit  der  Bewegung  der  Büchse,  immer  auf  ihn  zielend 

bis  zum  Augenblicke  des  Abdrückens,  sie  träfen  dann  ebenso  gut,  als 

wenn  diese  ruhten.     Es   mufs   also   die  doch  langsame  Bewegung  der 

Büchse,  welche  mit  dem  Korne  bei  ihrer  Drehimg  dem  Vogelfluge  folgt, 

sich  auch  auf  die  Kugel  übertragen,  und  mufs  mit  der  anderen  vom  Feuer 

herrührenden  Bewegimg    sich   vereinigen,    dergestalt,    dafs    die    Kugel 

dem  Feuer  die  gerade  Bewegung  nach  oben  verdankt,  dem  Laufe  aber 

die  Abweichung  zur  Verfolgimg  des  Vogelflugs:  ganz,  wie  es  eben  bei 

dem  Kanonenschüsse  festgestellt  wurde;  dort  verdankte  die  Kugel  dem 


Igg  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [197.  198."] 

Feuer  die  s  cheitelrechte  Bewegimg  in  die  Höhe,  der  Erdbewegung  hin- 
gegen die  Neigung  nach  Osten  und  die  Vermischung  von  beiden  Be- 
Avegungen  zu  einer  dritten,  welche  dem  Lauf  der  Erde  folgt  und  welche 
für  den  Zuschauer  blofs  gerade  nach  oben  und  hernach  längs  dersell)en 
Linie  nach  unten  zu  gehen  scheint.  Hält  man  also  das  Korn  beständig 
ins  Ziel,  so  wird  der  Schufs  in  jedem  Falle  richtig  sitzen;  steht  näm- 
lich das  Ziel  stille  und  man  visiert  richtig,  so  wird  auch  der  Lauf 
ruhig  sein  müssen;  bewegt  sich  aber  die  Scheibe,  so  wird  der  Lauf 
immer  auf  das  bewegte  Ziel  hindeuten.  Dies  giebt  auch  die  richtige 
widerieg^uug  EntseQ-nimff   auf  das   andere  Argument  an  die  Hand,   bei  welchem  es 

des  Einwaiides  O    O  O  <=>  _  ^  ^ 

von  den  südiichg^ßi^  ^^j^  Kanouenschüsse   nach  einer  südlich  oder  nördlich   gelegenen 

und  nördlich  "         " 


uonenschüsseu. 


Erde  sich  bewegte,  die  Schüsse  sämtlich  eine  Seitenabweichung  nach 
Westen  aufweisen  müfsten,  weil  während  der  Zeit,  wo  die  Kugel  das 
Geschütz  verlassen  hat  und  durch  die  Luft  nach  dem  Ziele  hinfliegt, 
dieses  nach  Osten  getragen  wird,  so  dafs  die  Kugel  westlich  vorbei- 
geht. Ich  entgegne  darauf  mit  der  Frage:  wird  das  Geschütz,  nach- 
dem es  auf  das  Ziel  gerichtet  und  in  dieser  Lage  belassen  worden 
ist,  stets  nach  eben  jenem  Zielpunkte  visieren,  einerlei,  ob  die  Erde 
sich  bewegt  oder  stille  steht?  Die  Antwort  mufs  lauten,  dafs  die 
Visierlinie  sich  durchaus  nicht  ändert.  Denn  steht  das  Ziel  fest,  so 
steht  auch  das  Geschütz  stille;  wenn  dieses  aber,  von  der  Erde  ge- 
tragen, sich  bewegt,  so  bewegt  sich  auch  die  Kanone  in  demselben 
Tempo;  wird  aber  derselbe  Zielpunkt  beibehalten,  so  sitzt  der  Schufs 
stets  richtig,  wie  nach  dem  eben  Gesagten  klar  ist. 

Sagr.  Wartet,  bitte,  einen  Augenblick,  Signore  Salviati,  ich 
möchte  erst  noch  einem  Gedanken  Ausdruck  geben,  der  mir  betreffs 
jener  Schützen  auf  fliegende  Vögel  im  Kopfe  herum  gegangen  ist. 
Sie  mögen  in  der  That  so  verfahren,  wie  Ihr  sagt;  ich  glaube  auch, 
dafs  infolge  davon  der  Vogel  wirklich  getroffen  wird.  Hingegen  bin 
ich  nicht  der  Ansicht,  dafs  dieser  Vorgang  völlig  analog  demjenigen 
bei  den  Kanonenschüssen  ist,  welche  sowohl  bei  bewegtem  Geschütz 
und  Ziel  als  bei  beiderseitiger  Ruhe  treffen  müssen.  Die  Verschieden- 
heit scheint  mir  in  folgendem  zu  bestehen.  Bei  dem  Schusse  mit  der 
Kanone  bewegt  sich  diese  und  das  Ziel  mit  gleicher  Geschwindigkeit, 
da  beide  von  der  Bewegung  des  Erdballs  mit  fortgeführt  werden;  ob- 
gleich nämlich  unter  Umständen  das  Geschütz  ein  wenig  näher  dem 
Pole  als  die  Scheibe  aufgepflanzt  ist,  also  seine  Bewegung  ein  weniges 
langsamer  ist,  insofern  sie  längs  eines  kleineren  Kreises  erfolgt,  so 
ist  ein  derartiger  Unterschied  doch  wegen  der  Geringfügigkeit  der 
Entfernung  vom  Geschütz  bis  zur  Scheibe  unmerklich.    Bei  dem  Schufs 


[198.  199.]  Zweiter  Tag.  189 

des  Vogelscliützen  hingegen  ist  die  Bewegung  der  Büchse,  mit  welcher 
er  dem  Yogel  nachfolgt,  im  Vergleich  zu  dessen  Flug  äufserst  lang- 
sam. Meiner  Meinung  nach  kann  somit  unmöglich  die  geringe  Be- 
wegung, welche  durch  die  Drehung  des  Laufes  der  darin  befindlichen 
Kvigel  erteilt  wird,  sich  nach  dem  Abfeuern  in  der  Luft  bis  zur 
Schnelligkeit  des  Vogelflugs  vervielfältigen,  derart,  dafs  besagte  Kugel 
immer  auf  den  Vogel  gerichtet  bliebe.  Vielmehr  scheint  es,  als  müsse 
sie  von  diesem  überholt  werden  und  dahinter  vorbeigehen.  Dazu 
kommt  noch,  dafs  in  diesem  Falle  die  Annahme  unstatthaft  ist,  die 
von  der  Kugel  durchschnittene  Luft  teile  die  Bewegung  des  Vogels; 
wohl  aber  beteiligen  sich  im  Falle  der  Kanone  diese  sowohl  als  die 
Scheibe  wie  auch  die  dazwischen  liegende  Luft  in  gleicher  Weise  an 
der  allgemeinen  täglichen  Bewegmig.  Dafs  also  der  Schütze  trifft, 
rührt,  wie  ich  glaube,  aufser  von  der  dem  Fluge  folgenden  Bewegung 
des  Laufes  auch  davon  her,  dafs  man  die  Visierlinie  ein  wenig  weiter 
nach  vorne  nimmt  und  dafs  man  überdies,  soviel  ich  weifs,  nicht  blofs 
mit  einer  Kugel  schiefst,  sondern  mit  einer  ganzen  Zahl  von  Kügelchen, 
die  in  der  Luft  sich  zerstreuen  und  dadurch  einen  ziemlich  grofsen  Raum 
bestreichen;  endlich  auch  daher,  dafs  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
diese  sich  aus  dem  Laufe  nach  dem  Vogel  hin  begeben,  aufserordeut- 
lich  grofs  ist. 

Salv.  Da  kami  mai>-  sehen,  wie  der  Geistesflug  Signore  Sagredos 
es  meiner  Langsamkeit  zuvorthut  und  sie  ül^erholt.  Ich  wäre  vielleicht 
auch  auf  diese  Verschiedenheiten  aufmerksam  geworden,  aber  nur  nach 
langer  geistiger  Arbeit.  Kehren  wir  nun  zur  Sache  zurück,  so  hätten  wir 
noch  die  nach  Osten  und  Westen  gerichteten  Horizontalschüsse  zu  er-   Widerlegung 

des  Einwandes 

wägen.     Die  ersteren  sollten,  wenn  die  Erde  sich  bewegte,   stets  über  ^o"  «J««»  Hori- 

'^  _  ...  .  o      7  zoutalscliüssen 

der   Scheibe   vorbeifliegen,   die   letzteren   zu  tief  gehen.      Demi   da   die  "»'■'>  ost  und 

ö       7  O  West. 

Östlichen  Teile  der  Erde  infolge  der  täglichen  Bewegung  beständig 
unter  die  zum  Horizont  parallele  Tangentialebene  hinabsinken,  woher 
es  auch  rührt,  dafs  die  Gestirne  im  Osten  scheinbar  emporsteigen,  da 
ferner  umgekehrt  die  westlichen  Teile  sich  emporheben,  infolge  wovon 
die  westlichen  Gestirne  scheinbar  herabsinken,  so  müfsten  demnach 
die  Schüsse,  die  längs  besagter  Tangente  auf  das  östliche  Ziel  gerichtet 
sind,  zu  hoch  ausfallen  —  dieses  senkt  sich  nämlich,  während  die 
Kugel  auf  der  Tangente  herankommt  —  die  westlichen  hhigfgen 
müfsten  zu  tief  gehen,  weil  die  Scheibe  während  der  Flugzeit  der 
Kugel  emporsteigt.  Die  Widerlegung  ist  ähnlich  wie  in  den  früheren 
Fällen. *''')  Gleichwie  nämlich  das  östlich  gelegene  Ziel  infolge  der 
Bewegung  der  Erde  sich  lieständig  unter  eine  unbeweglich  gedachte 
Tangente  hinal)senkt     so    neigt    sieb    iiuch    das   Geschütz    fortAvährend 


tuiigeu   als 


190  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [199.  200.] 

aus  demselben  Grunde  und  ist  stets  auf  dasselbe  Ziel  gerichtet,  so 
dafs  die  Schüsse  richtig  ausfallen.  Es  scheint  mir  hier  übrigens  der 
geeignete  Ort,  um  auf  eine  gewisse  Grofsmut  hinzuweisen,  mit  welcher  die 
kfn'lr^  eben"  zu  ^^^P^™^^^^^'?  viellcicht  iu  übertriebenem  Entgegenkommen,  die  gegne- 
mefd°man°che  i'ische  Partei  behandeln.  Ich  meine,  sie  räumen  den  Geg-nern  manche 
hrrten^Be'haup-  Versuchc  als  sicher  und  zuverlässig  ein,  welche  diese  in  Wahrheit  nie 
angestellt  haben,  wie  z.  B.  den  Versuch  mit  den  vom  Schiffsmast  auf 
bewegtem  Schiffe  herabfallenden  Körpern.  Dahin  gehört  nun  meiner 
festen  Überzeugung  nach  auch  der  vorliegende  Fall,  wo  zu  prüfen  ist, 
ob  die  östHchen  Kanonenschüsse  zu  hoch,  die  westlichen  zu  niedrig 
ausfallen.  Da  die  Gegner  diese  Prüfung,  wie  ich  glaube,  niemals  aus- 
geführt haben,  so  sähe  ich  es  gerne,  wenn  sie  mir  sagten,  wie  grofs 
sie  die  Verschiedenheit  der  Schüsse  im  Falle  der  Unbewegtheit  der 
Erde  und  im  Falle  ihrer  Bewegung  schätzen.  Au  ihrer  statt  mag 
jetzt  Signore  Simplicio  antworten. 

Simpl.  Ich  will  mir  nicht  anmafsen,  so  gründlich  antworten  zu 
kömien,  wie  vielleicht  ein  anderer,  der  mehr  von  der  Sache  versteht 
als  ich.  Ich  werde  indessen  angeben,  was  man  etwa,  wie  ich  meine, 
antworten  könnte  und  was  in  Wahrheit  von  dem  bereits  Vorgebrachten 
nicht  verschieden  ist.  Wenn  die  Erde  sich  nämlich  bewegte,  so 
würden  die  östlichen  Schüsse  immer  zu  hoch  gehen  u.  s.  w.,  da  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  die  Kugel  sich  längs  der  Tangente  bewegen 
müfste. 

Salv.  Wenn  ich  nun  aber  sagte,  dafs  dies  in  der  That  zutrifft, 
was  würdet  Ihr  thun,  um  meine  Behauptimg  zu  widerlegen? 

Simpl.  Man  würde  zur  wirklichen  Ausführung  des  Versuchs  zu 
schreiten  haben,  um  sich  hierüber  Aufklärung  zu  verschaffen. 

Salv.  Glaubt  Ihr  aber,  dafs  sich  ein  so  geschickter  Kanonier 
ffinde,  der  die  Verpflichtung  übernähme,  bei  jedem  Schusse  das  Ziel 
auf  eine  Entfernung  z.  B.  von  fünfhundert  Ellen  zu  treffen? 

Simpl.  Oh  nein.  Ich  glaube,  es  gäbe  keinen,  und  wäre  er  noch 
so  geübt,  der  verbürgen  könnte,  dafs  er  durchschnittlich  höchstens 
um  eine  Elle  irrt. 

Salv.  Wie  sollten  wir  uns  demnach  mittels  so  fehlerhafter  Schüsse 
Klarheit  über  unseren  Zweifel  verschafl'en  können? 

Simpl.  Wir  könnten  uns  auf  eine  doppelte  Weise  Sicherheit  ver- 
schaffen, einmal  durch  das  Abfeuern  vieler  Schüsse;  sodann  aber  mufs 
ja,  dank  der  grofsen  Geschwindigkeit  der  Erdbewegmig,  die  Abweichung 
vom  Ziele  meiner  Meinung  nach  aufserordentlich  grofs  sein. 

Salv.  Aufserordentlich  grofs,  d.  h.  viel  gröfser  als  eine  Elle; 
denn  eine  Schwankimg  in  diesem,  ja  iu  noch  höherem  Betrage  räumt 


1 


[200.  201.]  Zweiter  Tag.  191 

mau  als  gewöhnliches  Vorkommnis  ein^  auch  l)ei  Amiahme  der  Uube- 
weglichkeit  der  Erde. 

Simpl.  Ich  glaube  zuversichtlich,  dafs  die  AbAveichuug  weit  gröfser 
sein  würde. 

Salv.  Ich  möchte  doch  einmal  zu  unserem  Vergnügen  so  ül)er 
schlagsweise  den  Betrag  ausrechnen,  wenn  es  Euch  recht  ist.  Dies 
wird  uns  zugleich,  wenn  die  Rechnung  meiner  Erwartung  gemäfs 
sfällt,  als  Mahnung  dienen  können,  auch  bei  anderen  Gelegenheiten 
nicht  so  ohne  weiteres  klein  beizugeben,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
und  nicht  alles,  was  uns  durch  den  Kopf  schiefst,  gleich  als  richtig 
auszugeben.  Um  noch  alle  Vorteile  den  Peripatetikern  und  Anhängern 
Tychos  einzuräumen,  stellen  wir  uns  vor,  wir  befänden  uns  unter  dem 
Äquator,  um  mit  einer  Feldschlange  horizontal  nach  Westen  auf  fünf- 
hundert Ellen  Entfernung  zu  schiefsen.'^^)  Schätzen  wir  zunächst  so 
aufs  imgefähr,  wie  gesagt,  wieviel  Zeit  wohl  die  Kugel  nach  dem  Ver- 
lassen des  Geschützes  braucht,  um  zum  Ziele  zu  gelangen.  Bekannt- 
lich ist  diese  sehr  kurz,  sicherlich  nicht  länger  als  die  Zeit,  während 
deren  ein  Fufsgänger  zwei  Schritte  zurücklegt,  d.  h.  kürzer  noch  als 
eine  Sekunde.  Denn  gesetzt,  der  Fufsgänger  geht  drei  Miglien  in  der 
Stunde,  welches  neuntausend  Ellen  sind,  so  kommen  auf  die  Sekunde 
zwei  und  ein  halb  Schritte,  da  eine  Stunde  dreitausend  sechshimdert 
Sekunden  enthält;  die  Flugzeit  der  Kugel  beträgt  also  weniger  als 
eine  Sekunde.  Weil  nun  die  tägliche  Umdrehung  eine  Dauer  von  vier- 
undzwanzig Stunden  hat,  so  steigt  der  westliche  Horizont  in  der 
Stmide  fünfzehn  Bogengrade,  in  einer  Zeitminute  also  fünfzehn  Bogen- 
minuten  und  in  der  Zeitsekunde  fünfzehn  Bogensekunden.  Da  nun 
der  Schufs  eine  Zeitsekunde  dauert,   so   hebt  sich  der  westliche  Hori- Berechnung  des 

Betrags,  um 

zont  um  fünfzehn  Bogensekimden  und  um  ebensoviel  die  Scheibe,  also„  weichen  die 

_       ,  ,  ,  Kanonenschüsse 

um   fünfzehn   Sekunden    desienigen   Kreises,    dessen  Halbmesser    fünf-  ^»^  «^t'"  ^'ßi 

o         n  ;  unter  Voraus- 

hundert  Ellen  beträgt"^);  so  grofs  nämlich  ist  unserer  Voraussetzung^e*^^'^"^^^'"^^^'^" 
gemäfs  die  Entfernmig  der  Scheibe  von  dem  Geschütz.  Sehen  wir  Ztil^w. 
nmi  in  der  Tabelle  der  Bogen  und  Sehnen  nach  —  ich  habe  hier 
gerade  das  Buch  des  Kopernikus  — *'^)  den  wievielten  Teil  des  fünf- 
hundert EUen  langen  Radius  die  Sehne  eines  Bogens  von  fünfzehn 
Sekunden  ist.  Wir  finden  hier,  die  Sehne  einer  Bogemninute  betrage 
weniger  als  dreifsig  Himderttausendstel  des  Halbmessers,  also  die 
Sehne  einer  Bogensekunde  weniger  als  ein  halbes  Hunderttausendstel 
oder  als  ein  Zweihunderttausendstel,  demnach  die  Sehne  von  fünfzehn 
Sekunden  weniger  als  fünfzehn  Zweihunderttausendstel.  Was  aber 
weniger  als  fünfzehn  solcher  Teile  beträgt,  von  denen  zweihundert- 
tausend  aufs  Ganze  »rehen,  ist  um  so  mehr  weniser  als  vier  Hundertstel 


192  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [201.  202.] 

eines  Teiles,  von  welchem  fünfhundert  das  Ganze  ausmachen.  Also 
beträgt  die  Erhebung  der  Scheibe  während  der  Flugzeit  der  Kugel 
weniger  als  vier  Hundertstel  oder  als  ein  Fünf\mdzwauzigstel  einer 
Elle,  sie  wird  also  ungefähr  einen  Zoll  betragen.  Folglich  wird  die 
Abweichung  jedes  nach  Westen  gerichteten  Schusses  einen  einzigen 
Zoll  grofs  sein,  wenn  die  tägliche  Bewegung  der  Erde  zukommen  sollte. 
Wenn  ich  nun  behaupten  wollte,  dafs  eine  solche  Abweichung  that- 
sächlich  bei  allen  Schüssen  stattfindet  —  ich  meine,  dafs  sie  einen  Zoll 
tiefer  treffen,  als  sie  träfen,  wenn  die  Erde  sich  nicht  drehte  —  wie 
würdet  Ihr  es  anfangen,  um  mich  zu  widerlegen,  Signore  Simplicio, 
wie  würdet  Ihr  mir  durch  den  Versuch  zeigen,  dafs  dies  nicht  ge- 
schieht? Seht  Ihr  nicht  ein,  dafs  Ihr  mich  mimöglich  überführen 
könnt,  wenn  Ihr  nicht  erst  eine  so  genaue  Methode  des  Scheiben- 
schiefsens  erfindet,  dafs  man  nie  um  Haaresbreite  irrt?  Demi  wenn  die 
Schüsse  eine  Unsicherheit  von  ganzen  Ellen  zulassen,  wie  es  thatsäch- 
lich  der  Fall  ist,  so  werde  ich  stets  behaupten,  dafs  in  jeder  der  Ab- 
weichungen die  Zollbreite,  welche  von  der  Erdbewegung  herrührt,  mit 
enthalten  ist. 

Sagr.     Mit  Verlaub,  Signore  Salviati,  Ihr  seid  zu  grofsmütig.    Ich 

würde   den   Beripatetikern   sagen,   wenn   auch  jeder   Schufs   genau   das 

dluiffe^ifacii-  Centrum  der  Scheibe  treife,  so  stehe  das  keineswegs  mit  der  Bewegung 

is,  dafs  unter 
Voraussetzung 
der  Erdbe- 
wegung die  _ 

gTöfsere  Ab-^  erworbeu,  das  Geschütz  so  zu  richten,  dafs  die  Schüsse  trotz  der  Erd- 
Telnmuk  au  Ijcwegimg  alle  sitzen.     Ich  behaupte,  dafs  gerade,  wenn  die  Erde  stille 
Erde.        stünde,   die  Schüsse  fehl  gingen,   aber  die  östlichen  zu  tief,   die  west- 
lichen zu  hoch."^)     Nmi  mag  Signore  Simplicio  mich  widerlegen. 

Salv.     Eine  scharfsinnige  Bemerkmig,    wie   sie  Signore  Sagredo's 
würdig  ist.     Aber  mag  nun  jene  Abweichung  zum  Vorschein  kommen 
im  Falle   der  Ruhe  oder  im  Falle   der  Bewegung  der  Erde,  jedenfalls 
ist   sie   aufserordentlich   klein   und  mufs   also   unbedingt  verdeckt  sein 
durch  die   sehr   bedeutenden  Abweichungen,   welche   infolge   von   man- 
cherlei Ursachen  fortwährend  stattfinden.  —  Dies  alles  sei  gesagt  imd 
mu'^rXlr  vor^^^o®^^^^^^^®^^  ^^^  Gratiszugabe  für  Signore  Simplicio,  und  nur,  um  ihm 
ais''riIht?K  zu^-  ^^^^    ^eiz    ZU    Icgcu,    wie   vorsichtig    man    sein    mufs,    wenn  man  die 
|e^ge"übe^r'^di"e  Richtigkeit  so  mancher  Versuche  Leuten  einräumt,  welche  sie  niemals 
steiu^aben'  ausgeführt  haben,   sondern  welche  sie  tendenziöserweise   so   darstellen, 
wie  sie  sein  müfsten,   um   ihrer  Sache   zu   dienen.     Ich   bewillige  dies 
Signore   Simplicio   als   Zugabe,    sage    ich,    demi   die    Sache   liegt   ganz 
einfach  so,  dafs  die  Erscheinungen  bei  jenen  Schüssen  ganz  genau  die 
nämlichen  sein  müssen,  ob  der  Erdball  sich  nun  bewege  oder  ob  er  ruhe; 


weis,  dafs  unter  ^j^j^.  igj,jg  '^^  Widerspruch.     Demi  die  Kanoniere  haben  sich  von  jeher 


[202.  203.]  Zweiter  Tag.  193 

wie   denn  o-auz   das   gleiche   von   allen  Versuchen  odlt,   die   man   anoje-  Erfahrungen 

•  Tipi  -rn-i       "°"^  Gründe 

führt  hat  und  anführen  kann:  sie  haben  sämtlich  auf  den  ersten  Blick  eegen  die  Krd- 

bewegung  er- 

insofem  einen  Schein  von  Triftio'keit,  als  die  einojewurzelte  Vorstelluno'  scheinen  uns 

!=>  '  o  C53Q  lange  beweis- 

vou  der  Unbeweglichkeit  der  Erde  uns  in  Mifsverständnissen  befangen  ^^r^^ur^^'^^ar- 

ovl-iölf  heit  nicht  durch- 

^'^^'''i^^-  gedrungen  sind. 

Sagr.  Ich  für  mein  Teil  bin  soweit  vollauf  befriedigt  und  sehe 
sehr  wohl  ein:  wer  seiner  Vorstellung  ebenso  die  Thatsache  einprägt, 
dafs  die  tägliche  Umdrehungsbewegung  allen  irdischen  Gegenständen 
ausnahmslos  gemeinsam  und  zwar  von  Natur  aus  zukommt,  wie 
man  ihnen  nach  der  alten  Lehre  die  Drehung  um  den  Mittelpunkt 
aberkannt  hat,  der  wird  anstandslos  das  Fehlerhafte  und  Irrtümliche 
dessen  erkennen,  was  die  vorgebrachten  Argumente  mit  einem  Scheine 
von  Beweiskraft  umgeben  hat.  —  Es  bleibt  mir,  wie  ich  vorhin  ange- 
deutet habe,  nur  noch  ein  Bedenken  betreffs  des  Fliegens  der  Vögel. 
Da  diese  als  lebende  Wesen  die  Fähigkeit  besitzen,  nach  Belieben  sich 
in  tausendfältiger  Bewegung. zu  ergehen,  von  der  Erde  entfernt  lange 
in  der  Luft  zu  schweben  und  dort  in  den  regellosesten  Krümmungen 
sich  umherzutreiben,  so  begreife  ich  nicht  wohl,  wieso  bei  einer  solchen 
Mischung  von  Bewegungen  die  ursprüngliche  gemeinsame  Bewegung 
nicht  verloren  gehen,  sich  nicht  verwischen  sollte,  und  wieso  sie,  ein- 
mal derselben  verlustig  gegangen,  das  Versäumte  durch  ihren  Flug 
nachholen  mid  ausgleichen  können,  wieso  sie  mit  Türmen  imd  Bäumen 
mitkommen  können,  die  in  so  rasendem  Laufe  nach  Osten  stürmen; 
in  so  rasendem  Laufe,  sage  ich,  denn  die  Geschwindigkeit  auf  dem 
gröfsten  Kreise  der  Erdkugel  ist  nicht  viel  geringer  als  tausend  Miglien 
die  Stimde,  während  die  Schwalben  vielleicht  noch  nicht  fünfzig  zurück- 
legen. 

Salv.  Wenn  die  Vögel  darauf  angewiesen  wären  dem  Lauf  der 
Bäume  es  kraft  ihrer  Flügel  gleich  zu  thun,  so  wären  sie  freilich  übel 
daran.  Einmal  der  allgemeinen  Drehimgsbewegung  verlustig  gegangen, 
würden  sie  dermafsen  zurückbleiben  und  ihre  Bewegung  würde  einem 
etwaigen  Beobachter  mit  so  rasender  Geschwindigkeit  nach  Westen 
gerichtet  erscheinen,  dafs  diese  Geschwindigkeit  bei  weitem  die  eines 
Pfeiles  überträfe.  Ich  glaube  aber,  wir  würden  sie  überhaupt  nicht 
wahrnehmen  können,  so  wenig  man  die  Kanonenkugehi  sieht,  wenn 
sie  von  der  wütenden  Kraft  des  Feuers  geschleudert  durch  die  Luft 
sausen.  In  Wahrheit  aber  hat  die  Eigenbewegung  der  Vögel,  ich 
meine  ihr  Fliegen,  nichts  mit  der  allgemeinen  Bewegung  zu  schaffen, 
welche  von  jener  weder  unterstützt  noch  gehindert  wird.  Der  Um- 
stand, der  besagte  Bewegung  bei  den  Vögehi  unverändert  erhält,  ist 
die  Luft  selbst,  in  welcher  sie  sich  tumnit-ln.     Diese   folgt  von  Natur 

Galti-bi,  Weltsysteme.  13 


194  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [203.  204.] 

dem  Wirbel  der  Erdbeweguug  imd  wie  sie  die  Wolken  mit  sich  führt, 
so  auch  die  Vögel  und  alles  andere,  was  in  ihr  schwebt.  Um  also 
mit  der  Erde  mitzukommen,  haben  sich  die  Vögel  nicht  viel  den  Kopf 
zu  zerbrechen  und  sie  könnten  zu  diesem  Behufe  ebenso  gut  schlafen. 

Sagr.  Dafs  die  Luft  Wolken  mit  sich  fortführen  kami,  Gebilde, 
die  ihres  geringen  Gewichtes  wegen  aufserordentlich  leicht  beweglich 
sind  und  keinerlei  sonstigen  Trieb  haben  in  entgegengesetzter  Richtung 
sich  zu  bewegen,  sondern  vielmehr  auch  ihrerseits  an  irdische  Eigen- 
schaften und  Bedingungen  gebunden  sind,  begreife  ich  ohne  jede 
Schwierigkeit.  Dafs  aber  Vögel,  belebte  Wesen,  welche  sich  auch 
entgegengesetzt  zur  täglichen  Drehung  bewegen  können,  von  der  Luft 
nach  Unterbrechung  dieser  Bewegung,  von  neuem  in  dieselbe  versetzt 
werden  sollten,  kommt  mir  etwas  gezwungen  vor,  umsomehr,  als  sie 
feste  schwere  Körjaer  sind.  Wir  beobachten  doch  auch,  wie  oben  ge- 
sagt, dafs  Steine  und  andere  schwere  Körper  dem  Andrang  der  Luft 
gegenüber  sich  widerspenstig  erweisen, .  vmd  wenn  sich  ihr  Widerstand 
auch  überwinden  läfst,  nehmen  sie  doch  niemals  die  Geschwindigkeit 
des  Windes  an,  der  sie  dahin  trägt. 

Salv.  Wir  wollen  doch  auch  die  bewegte  Luft  nicht  mit  gar  so 
geringer  Kraft  ausstatten,  Signore  Sagredo,  sie,  die  imstande  ist, 
schwer  beladene  Schiffe  zu  treiben  und  zu  lenken,  Wälder  zu  entwur- 
zeln. Türme  umzustürzen,  sobald  sie  sich  mit  reifsender  Geschwindig- 
keit bewegt;  und  dennoch  kann  bei  diesen  heftigen  Wirkmigen  ihr 
noch  lange  nicht  eine  so  grofse  Geschwindigkeit  zuerkannt  werden  wie 
die  der  täglichen  Umdrehung. 

Simpl.  Da  seht  Ihr  also,  wie  die  bewegte  Luft  auch  bei  ge- 
worfenen Körperu  die  Fortsetzung  ihrer  Bewegung  bewirken  kann,  im 
Einklang  mit  der  Lehre  des  Aristoteles.  Es  schien  mir  gleich  ver- 
wunderlich, dafs  er  in  dieser  Beziehung  sich  sollte  geirrt  haben. 

Salv.  Sie  wäre  zweifellos  dazu  imstande,  wenn  sie  nur  im- 
stande wäre,  sich  selber  weiter  zu  l)ewegen.  Da  jedoch,  nachdem  der 
Wind  sich  gelegt  hat,  ein  Schiff  nicht  fortfahrt  sich  zu  bewegen,  noch 
auch  die  Bäume  fernerhin  umgerissen  werden,  und  da  also  die  Be- 
wegung der  Luft  nicht  fortdauert,  nachdem  der  Stein  die  Hand  ver- 
lassen hat  und  der  Arm  zur  Ruhe  gekommen  ist,  so  mufs  die  Ursache 
der  Bewegung  des  geschleuderten  Körpers  eine  andere  sein. 

Simpl.  Wieso  hört  die  Bewegung  des  Schiffes  auf  mit  dem  Auf- 
hören des  Windes?  Im  Gegenteil,  wenn  der  Wind  sich  gelegt  hat, 
ja  wenn  die  Segel  schon  gestrichen  sind,  sieht  man  das  Schiff  noch 
gauze  Miglien  weit  sich  fortbewegen. 

Salv.     Aber  das  spricht  ja  gegen  Euch,    Signore  Simplicio;   denn 


[204.  205.]  Zweiter  Tag.  195 

ist  die  Luft  ruhig,  welche  vorher  gegen  die  Segel  blies  und  so  das 
Schiff  trieb,  so  verharrt  dieses  jedenfalls  ohne  Mitvs^irkung  des  Mediums 
in  seiner  Fahrt. 

Simpl.  Man  könnte  sagen,  das  Wasser  sei  dasjenige  Medium, 
welches  das  Schiff  treibt  und  seine  Bewegung  im  Gange  erhält. 

Salv.  Gewifs  könnte  man  das  sagen,  wenn  man  das  Gegenteil 
von  dem,  was  richtig  ist,  sagen  wollte.  Denn  in  Wirklichkeit  ist  es 
gerade  das  Wasser,  welches  durch  seinen  grofsen  Widerstand  gegen 
die  Durchdringung  von  selten  des  Schiffsrumpfes  unter  lautem  Brausen 
sich  entgegenstemmt  und  ihm  nur  über  eine  kleine  Strecke  hin  die 
Geschwindigkeit  vergömit,  die  ihm  der  Wind  verleihen  würde,  wenn 
das  Wasser  nicht  hindernd  im  Wege  stünde.  Ihr  müfst  niemals  darauf 
geachtet  haben,  Signore  Simplicio,  mit  welcher  Heftigkeit  das  Wasser 
die  Barke  bespült,  während  sie  von  den  Rudern  oder  dem  Winde  rasch 
dahin  getrieben  durch  stehendes  Wasser  fährt.  Denn  hättet  Ihr  Euch 
diese  Erscheinung  angesehen,  so  käme  es  Euch  jetzt  nicht  bei,  solche 
Nichtigkeiten  anzuführen.  Ich  komme  zur  Einsicht,  dafs  Ihr  bis  jetzt 
zu  der  Herde  derer  gehört  habt,  die,  um  zu  erfahren,  wie  solcherlei 
Dinge  zugehen,  und  um  Kenntnisse  von  Naturerscheinimgen  sich  an- 
zueignen, sich  nicht  um  Schiffe,  Armbrust  und  Kanone  kümmern, 
sondern  sich  ins  Studierzimmer  zurückziehen,  Indices  und  Lexica 
durchblättern,  um  nachzusehen,  ob  Aristoteles  nichts  darüber  gesagt 
hat.  Haben  sie  sich  dann  des  wirklichen  Sinnes  der  Stelle  verge- 
wissert, so  verlangen  sie  nach  nichts  Weiterem  und  glauben  nicht,  dafs 
man  <larüber  sonst  noch  etwas  wissen  könne. 

Sagr.      Wie   glücklich,    wie    beneidenswert   sind  sie    doch!      Denn  ^rofses  benei- 

,  ,  .  .  denswertes 

wenn  jeder  von  dem   natürlichen  Drange   nach  Erkeimtuis   beseelt  ist,  <|'"ck  derer, 

"  0  7     (]je  sicli  ein- 

und  wenn  das  Sein  nicht  glücklicher  macht,  als  der  Glaube  an  dieses  reden  aiies  zu 

o  '  wissen. 

Sein,  so  erfreuen  sie  sich  eines  köstlichen  Gutes.  Sie  können  sich 
einreden,  sie  vei-stünden  und  wüfsten  alles  und  zwar  auf  Kosten  derer, 
die  nicht  zu  wissen  glauben,  was  sie  nicht  wirklich  wissen,  und  die  folg- 
lich einsehen,  wie  sie  noch  nicht  einmal  ein  winziges  Bruchstück  des 
Erkennbaren  erkannt  haben,  die  sich  abquälen  mit  Nachtwachen  und 
Untersuchungen,  die  unsäglich  mühevolle  Versuche  und  Beobachtungen 
anstellen.  —  Aber  bitte,  kehren  wir  zu  unseren  Vögeln  zurück.  In 
Bezug  darauf  habt  Ihr  behauptet,  dafs  die  mit  gröfster  Geschwindig- 
keit bewegte  Luft  ihnen  den  Teil  der  täglichen  Bewegmig  wiederer- 
setzen kann,  der  ilinen  bei  ihrem  lustigen  Hin-  imd  Herfliegen  verloren 
gegangen  sein  mag.  Darauf  entgegne  ich,  dafs  die  bewegte  Luft 
meines  Bedünkens  einem  festen  schweren  KJh-per  nicht  eine  solche 
Geschwindigkeit   zu    (^-teilen    vermag,    wie    sie    selbst   sie    besitzt.      Da 

1:5* 


196  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [205.  206.] 

nun  die  GescliAvindigkeit  der  Luft  gleich  der  der  Erde  ist,  so  scheint 
die  Luft  nicht  ausreichend,  um  den  Verkist,  den  die  Geschwindigkeits- 
abnahuie  bei  dem  Fkige  der  Vögel  bedingt,  Avieder  zu  ersetzen. 

Salv.  Euere  Überlegung  hat  anscheinend  viel  Wahrscheinliches, 
und  sachgemäfse  Bedenken  aufzuwerfen  ist  nicht  Sache  von  Dutzend- 
geisteru.  Gleichwohl  glaube  ich,  dafs  nach  Beseitigung  des  bestechenden 
Scheines  Euer  Zweifel  in  Wirklichkeit  nicht  im  mindesten  mehr  von 
Belang  ist  als  alle  früher  in  Betracht  gezogenen  und  widerlegten  Be- 
denken. 

Sagr.  Es  ist  nicht  im  geringsten  zweifelhaft,  dafs,  wenn  der 
Einwand  nicht  stichhaltig  ist,  sein  Wert  absolut  gleich  Null  ist.  Denn 
weiui  eine  strenge  Beweisführung  nur  zu  diesem  einen  Ergebnis 
führt,  so  läfst  sich  für  den  entgegengesetzten  Standpunkt  kein  Grimd 
anführen,  der  etwas  taugte. 

Salv.  Dafs  Euch  dieser  Einwand  mehr  zu  schaffen  macht  als 
die  anderen,  rührt  wohl  daher,  dafs  die  Vögel  lebendige  Wesen  sind 
und  darum  nach  Belieben  gegen  die  ursprüngliche,  allen  irdischen 
Dingen  anhaftende  Bewegung  anzukämpfen  vermögen.  Gerade  so  sehen 
wir  sie  ja  auch  bei  Lebenszeiten  in  die  Höhe  fliegen,  was  ihnen  als 
schweren  Körpern  unmöglich  sein  würde,  während  sie  nach  ihrem 
Tode  nur  abwärts  fallen  können.  Darum  meint  Ihr,  dafs  die  Gründe, 
die  bei  allen  anderen  Arten  obengenannter  Körper  mafsgebend  sind, 
hier  nicht  von  Belang  seien.  Das  ist  auch  völlig  richtig,  und  weil  es 
richtig  ist,  eben  darum  beobachtet  man  auch  ein  ganz  anderes  Ver- 
halten bei  jenen  geschleuderten  Körpern  als  bei  den  Vögeln.  Denn 
lafst  Ihr  von  der  Spitze  eines  Turmes  einen  toten  und  einen  lebenden 
Vogel  fallen,  so  wird  der  tote  sich  verhalten  wie  ein  Stein;  er  wird 
erstens  die  allgemeine  tägliche  Bewegung  ausführen,  sodann  aber  die 
Abwärtsbewegung  infolge  seiner  Schwere.  Ist  aber  der  losgelassene 
Widerlegung  Yocfel  lebendig,  was  hindert  ihn,   sich  durch  seinen  Flügelschlag  nach 

desjenigen  Em-  O  »'  '  . 

di^^Bewrun"  jeder  beliebigen  Himmelsrichtung  hinzuarbeiten,  ohne  dafs  dabei  die 
tfch^Iuf'dtr  tägliche  Bewegung  in  ihm  aufhörte?  Diese  neue  Bewegung,  als  ihm 
^°"z^ht.  ^^'  eigentümlich  und  nicht  von  ims  geteilt,  mufs  uns  bemerkbar  werden. 
Wenn  er  vermöge  seines  Fliegens  sich  gegen  Westen  bewegt  hat,  was 
sollte  ihn  daran  hindern  können,  vermöge  nochmaligen  Flügelschlags 
auf  den  Turm  zurückzukehren?  Denn  schliefslich  bestand  doch  der 
westlich  gerichtete  Flug  nur  darin,  dafs  von  der  täglichen  Bewegung, 
die  etwa  zehn  Grad  Geschwindigkeit  besitzen  mag,  ein  einziger  Grad 
in  Abzug  kam,  so  dafs  dem  Vogel  während  des  Flugs  insgesamt  neun 
Grad  verblieben.  Hat  er  sich  auf  die  Erde  niedergelassen,  so  hat  er 
dann  wieder  die  allgemeine  Geschwindigkeit  von  zehn   Grad  erlaugt; 


[206.  207.]  Zweiter  Tag.  197 

zu  diesen  kami  er  durch  ostwärts  gericlitetes  Fliegen  eiueu  Grad  hiu- 
zufügeii  und  mit  einer  Geschwindigkeit  von  elf  Grad  auf  den  Turm 
zurückkehren.  Kurz,  wenn  wir  die  Sache  wohl  überlegen  und  etwas 
tiefer  blicken,  so  unterscheiden  sich  die  Erscheinungen  des  Vogelflugs 
in  nichts  von  den  Erscheinungen  bei  Körpern,  die  nach  beliebigen 
Himmelsrichtungen  geschleudert  werden,  ausgenommen,  dals  diese  von 
einer  äufseren  Kraft  in  Bewegung  gesetzt  werden,  jene  von  einem 
inneren  Princip.  —  Hier  scheint  es  mir  nvm  angebracht,  um  dem  Nach- 
weise der  Nichticfkeit  aller  angeführten  Versuche  die  Krone  aufzusetzen,  versuch,  der 

.  .  .  .  ...  aUeiu  die 

dafs  ich    die  Art  und  Weise    zeige,    wie    sie    sämtlich    mit    leichtester^'ichtigkeitaiier 

_,  .  .  pegcu  die  Erd- 

Mühe  durchprobiert  werden  können."")     Schliefst  Euch  in  Gesellschaft  be^^eguDg  an- 

-■-  '  gefuurteu   v  er- 

eines  Freundes  in  einen  möglichst  grofsen  Raum  imter  dem  Deck  eines  ^"'^^"^  darthut. 
grofsen  Schiffes  ein.  Verschafft  Euch  dort  Mücken,  Schmetterlinge 
und  ähnliches  fliegendes  Getier;  sorgt  auch  für  ein  Gefäfs  u)it  Wasser 
und  kleinen  Fischen  darin;  hängt  ferner  oben  einen  kleinen  Eimer  auf, 
welcher  tropfenweise  Wasser  in  ein  zweites  enghalsiges  darimter  gestelltes 
Gefafs  träufeln  läfst.  Beobachtet  nun  sorgfältig,  solange  das  Schiff'  stille 
steht,  wie  die  fliegenden  Tierchen  mit  der  nämlichen  Geschwindigkeit 
nach  allen  Seiten  des  Zimmers  fliegen.  Man  ward  sehen,  wie  die 
Fische  ohne  irgend  welchen  •-  Unterschied  nach  allen  Richtungen 
schwimmen;  die  fallenden  Tropfen  werden  alle  in  das  untergestellte 
Gefäfs  fliefsen.  Wenn  Ihr  Euerem  Gefährten  einen  Gegenstand  zu- 
werft, so  braucht  Ihr  nicht  kräftiger  nach  der  einen  als  nach  der 
anderen  Richtimg  zu  werfen,  vorausgesetzt,  dafs  es  sich  um  gleiche 
Entfernungen  handelt.  Wenn  Ihr,  wie  man  sagt,  mit  gleicheii  Füfseu 
einen  Sprung-  macht,  werdet  Ihr  nach  jeder  Richtung  hin  gleichweit 
gelangen.  Achtet  darauf,  Euch  aller  dieser  Dinge  sorgfältig  zu  ver- 
gewissern, wiewohl  kein  Zweifel  obwaltet,  dafs  l)ei  ruhendem  Schiffe 
alles  sich  so  verhält.  Nun  lafst  das  Schiff*  mit  jeder  beliebigen  Ge- 
schwindigkeit sich  bewegen:  Ihr  werdet  —  wenn  nur  die  Bewegung 
gleichförmig  ist  und  nicht  hier-  und  dorthin  schwankend  —  bei  allen 
genannten  Erscheinungen  nicht  die  geringste  Veränderung  eintreten 
sehen.  Aus  keiner  derselben  werdet  Ihr  entnehmen  kömien,  ob  das 
Schiff  fährt  oder  stille  steht.  Beim  Springen  werdet  Ihr  auf  den 
Dielen  die  nämlichen  Strecken  zurücklegen  wie  vorher,  und  wiewohl 
das  Schifi'  aufs  schnellste  sich  beAvegt,  könnt  Ihr  keine  gröfseren 
Sprünge  nach  dem  Hinterteile  als  nach  dem  Vorderteile  zu  macheu: 
und  doch  gleitet  der  miter  Euch  befindliche  Boden  während  der  Zeit, 
wo  Ihr  Euch  in  der  Luft  befindet,  in  entgegengesetzter  Richtimg  zu 
Euerem  Sprunge  vorwärts.  Wemi  Ihr  Euerem  Gefährten  einen  Gegen- 
stand zuwerft,  so  braucht  Ihr  nicht  mit  gröfserer  Kraft  zu  werfen,  damit 


198  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [207.  208.] 

er  ankomme,  ob  uim  der  Freuucl  sich,  im  Vorderteile  imd  Ihr  Euch  im 
Hiuterteile  befindet  oder  ob  Ihr  umgekehrt  steht.  Die  Tropfen  werden 
wie  zuvor  in  das  untere  Gefäfs  fallen,  kein  einziger  wird  nach  dem 
Hinterteile  zu  fallen^  obgleich  das  Schiff,  während  der  Tropfen  in  der 
Luft  ist,  viele  Spannen  zurücklegt.  Die  Fische  im  Wasser  werden 
sich  nicht  mehr  anstrengen  müssen,  um  nach  dem  vorangehenden 
Teile  des  Gefafses  zu  schwimmen  als  nach  dem  hinterher  folgenden; 
sie  werden  sich  vielmehr  mit  gleicher  Leichtigkeit  nach  dem  Futter 
begeben,  auf  welchen  Punkt  des  Gefäfsraudes  man  es  auch  legen  mag. 
Endlich  werden  auch  die  Mücken  imd  Schmetterlinge  ihren  Flug  ganz 
ohne  Unterschied  nach  allen  Richtungen  fortsetzen.  Niemals  wird  es 
vorkommen,  dafs  sie  gegen  die  dem  Hinterteil  zugekehrte  Wand  ge- 
drängt werden,  gewissermafseu  müde  von  der  Anstrengung  dem  schnell- 
fahrenden  Schiffe  nachfolgen  zu  müssen,  und  doch  sind  sie  während 
ihres  langen  Aufenthaltes  in  der  Luft  von  ihm  getrennt.  Verbrennt 
man  ein  Korn  Weihrauch,  so  wird  sich  ein  wenig  Rauch  bilden,  man 
wird  ihn  in  die  Höhe  steigen,  wie  eine  kleine  Wolke  dort  schweben 
und  imterschiedslos  sich .  nicjit  mehr  nach  der  einen  als  nach  der 
anderen  Seite  hin  bewegen  sehen.  Die  Ursache  dieser  Übereinstim- 
mung aller  Erscheinungen  liegt  darin,  dafs  die  Bewegung  des  Schiffes 
allen  darin  enthaltenen  Dingen,  auch  der  Luft,  gemeinsam  zukommt. 
Darum  sagte  ich  auch,  man  solle  sich  unter  Deck  begeben-,  denn  oben 
in  der  freien  Luft,  die  den  Lauf  des  Schiffes  nicht  begleitet,  würden 
sich  mehr  oder  weniger  deutliche  Unterschiede  bei  einigen  der  ge- 
nannten Erscheinungen  zeigen.  So  würde  unzweifelhaft  der  Rauch 
ebensoweit  zurückbleiben  wie  die  Luft  selbst.  Desgleichen  würden  die 
Mücken  imd  Schmetterlinge,  von  der  Luft  behindert,  der  Bewegung 
des  Schiffes  nicht  folgen  können,  wenn  sie  sich  von  ihm  um  ein  be- 
trächtliches Stück  entfernten;  halten  sie  sich  aber  in  der  Nähe,  so 
würden  sie  unbehindert  und  ohne  Anstrengung  dem  Schiffe  nach- 
kommen, weil  es,  als  ein  unregelmäfsig  geformtes  Bauwerk,  die  be- 
nachbarten Teile  der  Luft  mit  sich  führt.  Aus  ähnlichen  Gründen  sehen 
wir  bisweilen,  wie  die  lästigen  Mücken  und  Bremsen  scharf  trabenden 
Pferden  nachfolgen  imd  sich  bald  auf  diesen,  bald  auf  jenen  Körperteil 
niederlassen.  Bei  den  fallender}  Tropfen  hingegen  würde  der  Unter- 
schied ganz  geringfügig  sein,  beim  Springen  und  beim  Werfen  schwerer 
Körper  sogar  völlig  unmerklich. 

Sagr.  Obgleich  es  mir  zur  See  niemals  in  den  Sinn  gekommen 
ist,  die  genannten  Beobachtungen  eigens  zu  diesem  Zwecke  anzustellen, 
so  bin  ich  doch  mehr  als  gewifs,  dafs  sie  zu  dem  angeführten  Er- 
gebnis   führen.      So  z.   B.   weifs    ich   noch,    dafs  ich    mich   in  meiner 


[208.  209.]  Zweiter  Tag.  199 

Kajüte  hundertmal  gefragt  habe,  ob  das  Schiff  fahre  oder  stille  stehe-, 
und  manchmal  habe  ich,  in  Gedanken  vertieft,  geglaubt,  es  gehe  in 
der  einen  Richtung,  während  es  sich  nach  der  entgegengesetzten  be- 
wegte. Darum  bin  ich  nunmehr  völlig  zufrieden  gestellt  und  fest  über- 
zeugt von  der  Bedeutungslosigkeit  aller  Versuche,  die  angeblich  mehr 
gegen  als  für  die  Umdrehung  der  Erde  sprechen  sollen.  —  Es  bleibt 
mm  noch  der  Einwand  zu  erledigen,  der  sich  auf  die  Erfahrung 
gründet,  dafs  durch  rasche  Drehung  Gegenstände,  welche  an  einer 
rotierenden  Maschine  haften,  fortgeschleudert  werden  und  wegfliegen. 
Darum  meinten  viele,  unter  anderen  Ptolemäus,  wenn  die  Erde  sich 
mit  solcher  Geschwindigkeit  um  sich  selber  drehe,  so  müfsten 
Steine  und  Tiere  bis  an  die  Sterne  geschleudert  werden,  die  Ge- 
bäude könnten  durch  keinen  noch  so  zähen  Mörtel  mit  dem  Fimda- 
mente  derart  verbimden  werden,  dafs  sie  vor  einem  solchen  Verderben 
geschützt  würden. 

Salv.  Bevor  ich  zur  Widerlegung  dieses  Eüiwaudes  schreite,  kann 
ich  nicht  umhin,  von  einer  Beobachtimg  zu  sprechen,  die  ich  tausend- 
mal gemacht  habe,  imd  die  stets  meine  Heiterkeit  erregte;  sie  bezieht 
sich  auf  den  Eindruck,  den  fast  alle  Menschen  haben,  wenn  sie  zum 
ersten  Male  von  jener  Bewegung  der  Erde  reden  hören.  Sie  hatten 
dieselbe  bisher  für  fest  und  unbeweglich  gehalten,  so  dafs  sie 
nicht  nur  au  dieser  Ruhe  niemals  gezweifelt  haben,  sondern  auch  fest 
überzeugt  waren,  alle  anderen  Menschen  hätten  sie  gleich  ihnen  für 
unbeweglich  von  Anbeginn  gehalten,  und  so  sei  sie  auch  die  ver- 
flossenen Jahrhunderte  hindurch  gewesen.  In  dieser  Ansicht  befangen 
stutzen  sie  dann,  wenn  sie  hören,  es  schreibe  ihr  jemand  Beweglich- 
keit zu:  als  ob  er  thörichterweise  dächte,  nachdem  er  sie  für  unbe-  Thorheit  man- 
cher Leute, 
weglich   gehalten,    dafs   sie   sich   dami   imd   nicht  früher  in  Bewegung^eic''«  R'a.»»^eu, 

o  o  '     ^  '^        a  jje  Erde  habe 

gesetzt  habe,  als  bis  Pythagoras  oder  sonst  wer  zuerst  behauptete,  si«  ^^  fewT'^n '  au 
bewege  sich.     Nun  wundere  ich  mich  ja  nicht,  wenn  ein  so  thörichter  tehaup°eu%^e- 
Gedanke  in  den  Köpfen  gemeiner  Leute  von  oberflächlicher  Sinnesart  ^Ji"h' bewege.^ 
Platz   greifen   kann  —  der   Gedanke   nämlich,    dafs   die    Anhänger   der 
Lehre    von    der   Erdbewegung    meinten,    die    Erde    hätte    seit    ihrer 
Schöpfung  bis  auf  die  Zeit  des  Pythagoras  stille    gestanden  und  wäre 
erst   in   Bewegung    geraten,    als   Pythagoras    diese  Ansicht    aufstellte. 
Dafs    aber    ein   Aristoteles    und    ein    Ptolemäus    diesen    schülerhaften 
Schnitzer  sich  zu  schulden  kommen  liefsen,   scheint  mir  in  der  That 
eine  höchst  verwuiulerliche  und  unentschuldbare  Naivetät. 

Sagr.  Ihr  meint  also  wirklich,  Signore  Salviati,  Ptolemäus  halt« 
es  für  nötig,  das  Stillestehen  der  Erde  Leuten  gegenüber  zu  vertei- 
digen, welche  zugebeu,  sie  habe  bis  zur  Zeit  des  .Pythagoras  stille  ge- 


200  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [209.  210.] 

standen   imd   sei  erst   dann   in  Bewegung  geraten,   als   Pytliagoras   ihr 
diese  Bewegung  zuschrieb? 

Salv.     Man  kaim   nicht  wohl  anders   annehmen,   wenn  man  sich 

die  Art   und  AVeise   genauer   ansieht,    wie    er   gegen  ihre   Behauptung 

ankämpft.     Seine  Gegengrüude  bestehen  in  dem  Hinweis  auf  die  Zer- 

Aristoteies  und  Störung   vou    Bauteu,    auf   das    Wegfliegen    von    Steinen,    Tieren,    ja 

scheinen  die  Meuschen  gegen  den  Himmel  hin.     Da  aber  eine  solche  Vernichtung, 

solchen  Leuten  q[^    solches    Fortschleudem    von    Gebäuden   und   Tieren   nur    möglich 

ges euüber  zu  •      t  t  n     i-       t-\     i 

bekämpfen,  die  j^f   wenn  vorher  welche  auf  Erden  vorhanden  sind,  und  auf  die  Erde 

glauben,  dafs  '  '  ^ 

die  Erde,  nach-  ^^^^   dauu  Mcuschen    besetzt    und    Gebäude    auf    ihr  errichtet    werden 

dem  sie  lange  o 

^suVdin^zur'  könueii,  wenn  sie  stille  steht,  so  wendet  sich  Ptolemäus  oöenbar  gegen 
^gora^s^sicrin' diejenigen,    welche    für    eine    gewisse   Zeit    der  Erde   Unbeweglichkeit 

""seufiTabe^'"  zugestehcu,  nämlich  für  die  Zeit,  wo  Tiere,  Steine  und  Bauleute  auf 
ihr  verweilen  und  Paläste  und  Städte  erbauen  konnten,  und  welche 
nun  plötzlich  die  Erde  sich  bewegen  lassen,  was  dann  zur  Zerstörung 
und  Vernichtung  der  Bauten,  Tiere  u.  s.  av.  führt.  Denn  wäre  seine 
Absicht  gewesen,  gegen  die  Ansicht  zu  streiten,  wonach  die  Erde  von 
ihrer  Schöpfung  an  eine  solche  Drehung  besitzt,  so  hätte  er  seine 
Widerlegung  folgendermafsen  formulieren  müssen:  Hätte  die  Erde  sich 
von  jeher  bewegt,  so  wäre  es  niemals  möglich  gewesen,  auf  sie  Tiere, 
Menschen  oder  Steine  zu  setzen,  geschweige  denn,  Gebäude  zu  er- 
richten, Städte  zu  gründen  u.  s.  w. 

Slmpl.  Ich  verstehe  nicht  recht,  worin  das  Unaugemessene  bei 
Aristoteles  und  Ptolemäus  liegen  soll. 

Salv.  Ptolemäus  argumentiert  entAveder  gegen  diejenigen,  Avelche 
die  Erde  für  beweglich  von  jeher  gehalten,  oder  gegen  den,  der  glaubt, 
sie  habe  eine  Zeitlang  'stille  gestanden  und  habe  sich  erst  später  in 
Bewegu.ng  gesetzt.  Im  ersten  Falle  hätte  er  sagen  müssen:  die  Erde 
hat  sich  nicht  von  jeher  bewegt,  demi  sonst  hätte  es  auf  Erden  nie- 
mals Menschen,  Tiere,  Bauten  gegeben,  die  Rotation  der  Erde  würde 
ein  Verweilen  auf  ihr  nicht  gestattet  haben.  Nun  sagt  er  aber  bei 
seiner  Argumentation  so:  die  Erde  bewegt  sich  nicht,  weil  Tiere, 
Menschen  und  Bauten,  welche  bereits  vorhanden  sind,  fortgeschleudert 
würden.  Also  nimmt  er  an,  die  Erde  habe  sich  einmal  in  einem  Zu- 
stande befunden,  der  Tieren  und  Meuschen  den  Aufenthalt  mid  eine 
Bauthätigkeit  gestattete.  Dies  hat  zur  Folge,  dafs  sie  eine  Zeitlang 
fest  gestanden  haben  mufs,  also  geeignet  war  für  das  Verweilen  von 
Tieren  und  das  Erbauen  von  Häusern.  Versteht  Ihr  jetzt,  was  ich 
habe  sagen  wollen? 

Simpl.  Ich  verstehe  es  und  verstehe  es  auch  nicht,  dies  beein- 
trächtigt aber  die  Güte  der  Sache  wenig.    Ein  Schnitzer  des  Ptolemäus, 


[210.211.]  Zweiter  Tag.  201 

der  aus  Unachtsamkeit  begangen  worden  ist,  vermag  nicht  die  Erde 
in  Bewegung  zu  versetzen,  wenn  sie  unbeweglich  ist.  Doch  lassen 
wir  die  Spülse  und  l:>eschäftigen  wir  uns  mit  dem  Nerv  des,  wie  mir 
scheint,  unwiderleglichen  Beweises. 

Salv.  Und  ich,  Signore  Simi^licio,  will  den  Knoten  noch  fester 
schürzen,  noch  enger  ziehen,  indem  ich  der  sinnlichen  Wahrnehmung 
noch  näher  bringe,  wie  richtig  es  ist,  dafs  schwere  Körper,  welche 
rasch  um  ein  festes  Centrum  geschwungen  werden,  den  Trieb  empfangen, 
sich  von  diesem  Centrum  zu  entfernen,  selbst  wenn  sie  von  Natur  die 
Neigung  haben,  sich  nach  ihm  hinzubegeben. '''')  Man  binde  an  das 
Ende  einer  Schnur    einen   kleinen,   mit  Wasser   gefüllten  Eimer.     Das  «chnciie  Rota- 

tiou  vermag  ein 

andere  Ende    halte   man  fest  in  der  Hand,    mache   sodann  Arm  und  i'^ortschieudem, 

'  ein  Zetstreueu 

Schnur  zum  Halbmesser,  das  Schultergelenk  zum  Mittelpunkt,  und  ^"  bewirken, 
lasse  um  dieses  das  Gefäfs  sich  rasch  bewegen,  so  dafs  es  einen  Kreis 
beschreibt.  Die  Ebene  desselben  mag  horizontal  oder  vertikal  oder 
beliebig  geneigt  sein:  in  keinem  Falle  wird  das  Wasser  aus  dem  Ge- 
fäfse  laufen.  Im  Gegenteil,  derjenige,  der  es  schwingt,  wird  fühlen, 
wie  die  Schnur  einen  Zug  ausübt  und  sich  von  der  Schulter  zu  ent- 
fernen strebt.  Macht  man  in  den  Boden  des  Eimers  ein  Loch,  so 
wird  man  beobachten,  wie  das*"  Wasser  ebenso  sehr  gen  Himmel 
herausspritzt,  wie  seitlich  und  nach  der  Erde  hin.  Bringt  mau  statt 
des  Wassers  Steine  hinein  und  schwingt  auf  dieselbe  Weise,  so  wird 
man  auch  in  diesem  Falle  die  gewaltsame  Spannung  der  Schnur  fühlen. 
Endlich  sieht  man,  wie  Kinder  dadurch  Steine  in  grofse  Entfernungen 
schleudern,  dafs  sie  ein  Rohr  im  Kreise  schwingen,  an  dessen  äufserem 
Ende  der  Stein  eingeklemmt  ist.  Das  alles  sind  Beweise  für  die 
Richtigkeit  der  Behauptung,  dafs  nämlich  die  Rotation  dem  Körper 
einen  Antrieb  nach  der  Peripherie  hin  erteilt,  sobald  die  Bewegung- 
rasch  ist.  Wenn  nun  die  Erde  sich  um  sich  selber  drehte,  so  würde 
die  Bewegung  der  Oberfläche,  namentlich  in  der  Nähe  des  Äquators, 
unvergleichlich  viel  schneller  sein  als  die  genannten  und  sie  müfste 
demnach  alles  gen  Himmel  schleudern. 

Simpl.  Der  Einwand  ist  meiner  Ansicht  nach  wohlbegründet  und 
sehr  gewichtig.  Es  müfste  meines  Bedünkens  sonderbar  zugehen^ 
wemi  es  Euch  gelänge,  ihn  zu  beseitigen  und  zu  widerlegen. 

Salv.  Die  Widerlegung  setzt  die  Bekanntschaft  mit  einigen  That- 
sachen  voraus,  die  Ihr  ebenso  gut  wifst  und  für  richtig  haltet  wie 
ich.  Ihr  denkt  aber  nicht  an  sie,  darum  seht  Ihr  nicht,  wie  zu  ver- 
fahren sei.  Ohne  dafs  ich  sie  Euch  also  erst  lehre  —  Ihr  wifst  sie 
ja  bereits  —  werde  ich  sie  Euch  blofs  in  Erinnerung  In-ingen  mid  so 
bewirken,  dafs  Ihr  selbst  den  Einwand  Aviderlegt. 


202  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [211.  212. J 

Simpl.     Ich  habe  mehrfticli  auf  Euere  Weise  zu  diskutieren  meiii 

Augenmerk    gerichtet,    und    bin    dadurch    zu    der  Meinung    veraulalst, 

isrn^eiTpirtu  ^'^^^  •^^'  ^^^  Platonischen  Ansicht  zuneigt,  dafs  nostrum  scire  sit  qiioä- 

wrede'^eriune-  ^^'^"^  rcminisci.  ^'')     Darum  benehmt  mir,  bitte,  diesen  Zweifel  und  sagt 

ru"g-        jjiir,  wie  Ihr  darüber  denkt. 

Salv.  Was  ich  von  der  Ansicht  Piatos  denke,  kann  ich  Euch 
einerseits  mit  Worten,  andererseits  aber  auch  durch  Handlungen  kund 
thmi.  Bei  den  bisher  gepflogenen  Diskussionen  habe  ich  schon  des 
öfteren  meine  Ansicht  zu  erkennen  gegeben.  Dieselbe  Methode  werde 
ich  auch  im  vorliegenden  Falle  befolgen.  Ihr  werdet  dann  später  an  der 
Hand  dieses  Beispieles  leichter  verstehen  können,  wie  ich  mir  die 
Aneignimg  von  Erkenntnis  denke,  vorausgesetzt,  dafs  wir  an  einem 
anderen  Tage  Zeit  finden  und  es  Signore  Sagredo  nicht  langweilt, 
eine  solche  Abschweifung  zu  machen. 

Sagr.  Es  wird  mir  sogar  sehr  angenehm  sein;  denn  ich  erinnere 
mich,  dafs  ich  zu  der  Zeit,  wo  ich  Logik  studierte,  niemals  den  viel- 
gerühmten vorzüglichen  Beweis  des  Aristoteles  habe  verstehen  können. 

Salv.  Fahren  wir  also  fort;  Signore  Simplicio  mag  so  gut  sein, 
mir  zu  sagen,  welche  Bewegung  das  in  die  Kerbe  des  Rohres  einge- 
klemmte Steinchen  ausführt,  während  der  Knabe  es  schwingt,  um  es 
in  die  Ferne  zu  schleudern. 

Simpl.  Solange  der  Stein  sich  in  der  Kerbe  befindet,  ist  seine 
Bewegung  kreisförmig;  er  bewegt  sich  nämlich  längs  eines  Kreisbogens, 
dessen  fester  Mittelpunkt  das  Schultergelenk  und  dessen  Ivadius  das 
Rohr  nebst  dem  Arme  ist. 

Salv.  Wenn  nun  der  Stein  aus  dem  Rohre  herausfährt,  wie  be- 
wegt er  sich  dann?  Setzt  er  seine  frühere  kreisförmige  Bahn  fort 
oder  bewegt  er  sich  längs  einer  anderen  Linie? 

Simpl.  Keineswegs  fährt  er  in  seiner  drehenden  Bewegung  fort; 
denn  sonst  würde  er  sich  von  der  Schulter  des  Schleudernden  nicht 
entfernen,  während  man  doch  sieht,  wie  er  weit  weg  fliegt. 

Salv.     In  welcher  Weise  bewegt  er  sich  also? 

Simpl.  Lafst  mich  ein  wenig  nachdenken,  denn  ich  habe  mir 
noch  niemals  die  Sache  überlegt. 

Salv.     Signore  Sagredo,   merkt  genau  auf,   wie  hier  das  quoddam 
rcnimisci,    Avenn    man    es    nur   richtig  deutet,    zum  Vorschein  kommt. 
Ihr  denkt  lange  nach,  Signore  Simplicio. 
Die  vom  Simpl.    Meiner  Meinung  nach  kann  die  Bewegung  beim  Verlassen 

Schleudernden    i         t-      /  .  »        ö 

eingepräste Be- der  Kerbe  nur  eine  geradlinige  sein;  ia  sie  mufs  notwendig  geradlinig 

wegung  kann         ...  ,      ^  O  7   J  »    o  O 

nur  geradlinig  sciu,  uisofem  CS  sich  blofs  Um  deii  neu  hinzutretenden  Antrieb  handelt. 

sein.  T-i  1  • 

Es  machte   mich   der  umstand   etwas  irre,   dafs   man   den  Stein  einen 


[212.  2VS.]  Zweiter  Tag.  203 

Bogeu  beschreibeu  sieht;  da  aber  dieser  stets  nacli  uiiteu  gekrümmt 
ist,  niemals  uach  eiuer  anderen  Richtung,  so  sehe  ich  ein,  dafs  diese 
Abweichung  durch  die  Schwere  des  Steines  bedingt  ist,  die  ihn  von 
Natur  nach  unten  zieht.  Der  eingeprägte  Antrieb  ist  geradlinig,  be- 
haupte ich  unbedingt. 

Salv.  Aber  längs  Avelcher  geraden  Linie  ist  er  gerichtet?  Denn 
man  kann  unendlich  viele  gerade  Linien  nach  allen  möglichen  Rich- 
tungen von  der  Kerbe  des  Rohrs  und  von  dem  Pimkte  aus  ziehen,  wo 
der  Stein  das  Rohr  verläfst. 

Simpl.  Er  bewegt  sich  längs  der  geraden  Linie,  welche  ebenso 
gerichtet  ist,  wie  die  Bewegung  des  Steines  mit  dem  Rohre. 

Salv.  Ihr  habt  bereits  hervorgehoben,  dafs  die  Bewegung  des 
Steines,  während  er  in  der  Kerbe  steckte,  kreisförmig  gewesen  ist. 
Der  Begriff  des  Kreises  und  der  der  Richtung  widersprechen  sich  aber, 
da  an  einer  Kreislinie  kein  Stück  gerade  ist. 

Simpl.  Ich  meine  nicht,  dafs  die  Schleuderbewegung  in  Richtung 
der  gesamten  kreisförmigen  erfolgt,  sondern  in  der  des  letzten  Punktes, 
bei  welchem  die  kreisförmige  Bewegung  aufhörte.  Ich  weifs  ganz  wohl, 
was  ich  meine,  aber  ich  kann  mich  nicht  gut  ausdrücken. 

Salv.  Auch  ich  merke,  dafs  Ihr  die  Sache  versteht,  es  stehen 
Euch  nur  die  richtigen  Bezeichnungen  nicht  zu  Gebote,  um  Euch  aus- 
drücken zu  können.  Nun,  diese  kann  ich  allerdings  Euch  lehren,  also 
Worte  lehren,  aber  nicht  Wahrheiten,  welche  thatsächliche  Bedeu- 
tung haben.  Um  es  Euch  mit  Händen  greifen  zu  lassen,  dafs  Ihr  die 
Sache  wifst,  dafs  Euch  blofs  die  Worte  fehlen  sie  auszudrücken,  sagt 
mir:  wemi  Ihr  eine  Kugel  aus  der  Büchse  schiefst,  nach  welcher  Rich- 
tung erhält  sie  einen  Antrieb  sich  zu  bewegen? 

Simpl,  Sie  erhält  den  Autrieb  längs  derjenigen  geraden  Linie 
sich  zu  bewegen,  welche  die  Richtung  des  Laufes  fortsetzt,  d.  h.  welclie 
weder  nach  rechts  noch  nach  links,  weder  nach  oben  noch  nach  luiten 
abweicht. 

Salv.  Mit  anderen  Worten,  welche  keinen  Winkel  mit  der  gerad- 
linigen im  Rohre  stattfindenden  Bewegung  bildet. 

Simpl.     Das  habe  ich  sagen  wollen. 

Salv.  AVemi  nun  also  die  Bewegung  des  geschleuderten  Steines 
sich  fortsetzen  soll,  ohne  einen  Winkel  mit  der  Kreislinie  zu  bilden, 
welche  er  zuvor  in  der  Hand  des  Schleudernden  beschrieb,  und  wemi 
diese  Bewegung  in  eine  geradlinige  übergehen  soll,  welches  mufs  dann 
diese  gerade  Linie  sein? 

Simpl.  Es  kann  nur  die  gerade  Linie  sein,  die  den  Kreis  im 
Treunungspunkte  berührt.     Denn  alle  anderen  scheinen  mir  verlängert. 


204  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [213.  214.] 

die  Peripherie  zu  schueitleu  und  würden  deshalb  einen  Winkel  mit 
ilir  einschliefsen. 

Salv.  Ihr  habt  Euere  Sache  vortrefflich  gemacht  und  Euch  als 
ein  halber  Mathematiker  bewiesen.  Behaltet  also  im  Gedächtnis,  dafs 
Euere  wahre  Ansicht  sich  in  folgenden  Worten  ausdrücken  läfst:  Der 
geschleuderte  Körper  empfängt  den  Antrieb  sich  längs  der  Tangeute 
des  Bogens  zu  bewegen,  welchen  der  schleudernde  Körper  beschreibt, 
und  zwar  längs  der  Tangente  in  demjenigen  Punkte,  wo  der  geschleu- 
derte Körper  sich  von  dem  schleudernden  trennt. 

Simpl.     Ich  verstehe  sehr  wohl;  das  ist  es,  was  ich  sagen  wollte. 

Salv.  Welcher  Punkt  einer  den  Kreis  berührenden  Linie  liegt 
nun  dem  ]\Iittelj)imkte  dieses  Kreises  von  allen  am  nächsten? 

Simpl.  Der  Berührungspunkt  ohne  Zweifel.  Denn  er  liegt  auf 
der  Peripherie,  alle  anderen  hingegen  aufserhalb  derselben;  die  Punkte 
der  Peripherie  aber  sind  alle   gleich  weit  vom  Mittelpunkte   entfernt. 

Salv.  Wenn  also  ein  Körper  vom  Berührungspunkte  aus  sich 
bewegt,  imd  zwar  längs  der  Tangente,  so  entfernt  er  sich  beständig 
soAvohl  vom  Berührimgspunkte  als  vom  Mittelpmikte  des  Kreises. 

Simpl.     Gewifs,  so  ist  es. 

Salv.  Wenn  Ihr  nun  die  von  Euch  ausgesprochenen  Ergebnisse 
im  Gedächtnis  behalten  habt,  stellt  sie  zusammen  und  sagt  mir,  was 
sich  daraus  schliefsen  läfst. 

Simpl.     Ich  glaube    doch  nicht    so  vergefslich   zu   sein,    dafs  ich 

mich  ihrer  nicht   zu  entsinnen   wüfste.     Aus   dem   bisher  Angeführten 

Ein  geschieu-  ergicbt  sich,  dafs  ein  geschleuderter  Körper,  wejcher  von  dem  8chleu- 

beweKt  sich    derndcu  schnell  im  Kreise   bewegt  wird,   in   dem  Augenblicke,   wo   er 

längs  der  Tau-  O  7  o  7 

gente  der     gich  vou  dicscm  eutfemt,  den  Autrieb  empfängt,  seine  Bewegung  längs 

frülieren  Kreis-  '  j  o  7  o       cy  o 

bahn  im  Tren-  einer  geraden  Linie  fortzusetzen,  welche  den  beim  Schleudern  beschrie- 

uungspuukte.  ö  }  ^ 

benen  Kreis  im  Trennungspunkte  berührt;  hierdurch  entfernt  sich  der 
geschleuderte  Körper  mehr  und  mehr  von  dem  Mittelpunkte  des  Kreises, 
den  er  während  des  Schleuderns  beschrieben  hat. 

Salv.  Ihr  wifst  also  jetzt  den  Grund,  warum  schwere  Körper, 
welche  an  dem  Umfange  eines  schnell  bewegten  Rades  haften,  wegge- 
schleudert werden  imd  über  die  Peripherie  hinaus  immer  weiter  vom 
Centrum  fortfliegen. 

Simpl.  Das  glaube  ich  sehr  wohl  zu  verstehen.  Durch  diese  neue 
Erkenntnis  aber  wird  mein  LTnglauben,  dafs  sich  die  Erde  mit  solcher 
Geschwindigkeit  im  Kreise  drehen  kömie,  ohne  Steine,  Tiere  u.  s.  w. 
fortzuschleudern,  eher  vermehrt  als  vermindert. 

Salv.  Ganz  ebenso,  Avie  Ihr  das  Bisherige  gewufst  habt,  werdet 
Ihr  auch    das  noch  Fehlende    wissen,    oder  wifst    es   vielmehr"   schon. 


[214.  215.]  Zweiter  Tag.  205 

Wemi  Ihr  darüber  iiaclidächtet,  würdet  Ihr  auch  ohne  meine  Hilfe 
darauf  kommen,  der  Kürze  halber  will  ich  Euch  aber  darauf  verhelfen. 
Bisher  wufstet  Ihr  von  selbst,  dafs  die  Kreisbewegung  des  Schleu- 
dernden dem  geschleuderten  Körper  einen  Antrieb  mitteilt  —  sobald 
sie  sich  von  einander  trennen  —  sich  längs  der  Tangente  der  kreis- 
förmigen Bahn  im  Trennungspunkte  zu  bewegen;  indem  er  seine  Be- 
wegung längs  dieser  fortsetzt,  entfernt  er  sich  dann  mehr  und  mehr 
von  dem  Schleudernden.  Ihr  habt  ferner  gesagt,  dafs  er  längs  dieser 
fortfahren  würde  sich  zu  bewegen,  wenn  nicht  infolge  seines  eigenen 
Gewichtes  ein  Antrieb  nach  unten  hinzukäme,  durch  welchen  die 
Krümmung  der  Flugbahn  hervorgerufen  wird.  Auch  scheint  Ihr  von 
selbst  gewufst  zu  haben,  dafs  diese  Biegung  stets  nach  dem  Mittel- 
punkte der  Erde  strebt,  weil  dorthin  alle  schweren  Körper  streben.  — 
Jetzt  gehe  ich  einen  Schritt  weiter  und  frage  Euch:  wird  der  Körper 
nach  der  Trennung  bei  Fortsetzung  seiner  geradlinigen  Bewegung  sich 
stets  gleichförmig  vom  Centrum  oder,  wenn  Ihr  wollt,  von  der  Peri- 
pherie jenes  Kreises  entfernen,  von  welchem  die  vorangehende  Be- 
wegung ein  Teil  war?  Denn  wenn  ein  Körper  von  dem  Berührungs- 
punkte der  Tangente  aus  sich  bewegt  und  zwar  dieser  Tangente  ent- 
lang, so  kommt  es  auf  dasselbe  hinaus,  ob  man  sagt,  er  entferne  sich 
gleichförmig  vom  Berührungspunkte  oder  vom  Mittelpunkte  des  Kreises, 
nicht  wahr? 

Simpl.  0  nein!  Denn  die  Tangente  entfernt  sich  in  der  Nähe 
des  Berührungspunktes  aufserordentlich  wenig  von  der  Peripherie,  mit 
welcher  sie  einen  unendlich  kleinen  Winkel  einschliefst.*''*)  Mit  zu- 
nehmender Entfernung  aber  wächst  die  Entfernung  von  ihr  in  stets 
gröfserem  Verhältnis.  In  einem  Kreise  z.  B.,  der  zehn  Ellen  im 
Durchmesser  hat,  wird  ein  Punkt  der  Tangente,  der  zwei  Spannen 
weit  vom  Berührungspunkte  entfernt  ist,  drei  bis  viermal  weiter  von 
der  Peripherie  entfernt  sein,  als  ein  Punkt,  der  von  der  Kontaktstelle 
blofs  eine  Spamie  Abstand  hat;  und  ein  Punkt  der  Tangente,  der  eine 
halbe  Spanne  entfernt  ist,  wird  meiner  Meinung  nach  ebenfalls  kaum 
den  vierten  Teil  so  weit  entfernt  sein,  als  der  zweite  Punkt.  In  der 
Nähe  der  Berührungsstelle,  in  einem  Abstände  von  etwa  em  bis  zwei 
Zoll,  würde  kaum  wahrzunehmen  sein,  dafs  die  Tangente  von  der 
Peripherie  verschieden  ist. 

Salv.  Also  ist  die  Entfernung  des  geschleuderten  Körpers  von 
der  Peripherie  der  vorher  zurückgelegten  kreisförmigen  Bahn  am  An- 
fange ganz  winzig? 

Simpl.     Fast  unmerklich.  » 

Salv.     Sagt   mir   nun,    bitte:    der   goschleudorto   Körper,    welcher 


206  Dialog  über  die  Weltsysteme.  .  [215.  216.] 

infolge  der  Schleuderbewegimg  den  Autrieb  erhält,  sich  längs  der 
Tangente  zu  bewegen^  und  der  sich  auch  wirklich  ihr  entlang  bewegen 
würde,  wenn  das  eigene  Gewicht  ihn  nicht  nach  unten  zöge,  wie  lange 
nach  der  Trennung  beginnt  er  nach  unten  abzuweichen? 

Simpl.  Ich  glaube,  dafs  er  sofort  damit  beginnt.  Denn  da  nichts 
vorhanden  ist,  was  ihn  stützen  könnte,  so  ist  es  unmöglich,  dafs  sich 
sem  eigenes  Gewicht  nicht  geltend  machen  sollte. 

Salv.     Wenn  folglich  jener  Stein,  der  von  dem  rasch  umgedrehten 

geschieuTerter  Radc  wcggeschlcudert  wird,   ebenso   den  natürlichen  Hang  hätte,   sich 

"gieToh  ufch   nach  dem  Mittelpunkte  besagten  Rades  zu  bewegen,   wie  er  in  Wirk- 

vonXm'^schreu^lichkeit  dcu  Hang  hat,    sich  nach    dem  Mittelpunkte   der  Erde  hin  zu 

abweichende   bewcgeu,  SO  wärc  CS  Icicht  möglich,  dafs  er  zu  dem  Rade  zurückkehrte 

Richtung   einzu-  .  t-v  i  -n        • 

schlagen,  oder  Vielmehr  sich  gar  nicht  von  ihm  entfernte.  Denn  da  zu  Begmn 
der  Trennung  die  Entfernuug  wegen  der  unendlichen  Spitzigkeit  des 
Berührimgsvtdnkels  so  aufserordentlich  winzig  ist,  so  würde  jeder  noch 
so  geringe  Trieb  nach  dem  Centrum  des  Rades  ausreichen,  um  ihn 
auf  der  Peripherie  zurückzuhalten.'''') 

Simpl.  Unter  der  unzutreifenden  und  unmöglichen  Voraussetzung, 
dafs  der  Trieb  der  schweren  Körjier  nach  dem  Centrum  des  Rades 
gerichtet  ist,  würden  dieselben  unzweifelhaft  nicht  gewaltsam  wegge- 
schleudert werden  oder  fortfliegen. 

Salv.  Auch  ich  setze  keineswegs  voraus  und  habe  keine  Veran- 
lassung vorauszusetzen,  was  thatsächlich  nicht  der  Fall  ist;  denn  ich 
stelle  gar  nicht  in  Abrede,  dafs  die  Steine  weggeschleudert  werden. 
Ich  bediene  mich  dieser  Voraussetzung  nur,  damit  Ihr  das  noch 
Fehlende  ohne  Schwierigkeit  angeben  könnt.  —  Stellt  Euch  nun  vor, 
die  Erde  sei  das  grofse  Rad,  welches,  mit  solcher  Geschwindigkeit 
gedreht,  die  Steine  wegschleudern  sollte.  Nun  habt  Ihr  mir  ja  sehr 
schön  zu  sagen  gewufst,  dafs  die  Bahn  des  geschleuderten  Körpers 
längs  der  geraden  Linie  gerichtet  ist,  welche  die  Erde  im  Trennuugs- 
punkte  berührt.  In  welchem  Betrage  wird  sich  nun  diese  Tangente 
von  der  Erdoberfläche  entfernen? 

Simpl.     Ich  glaube  auf  tausend  Ellen  noch  keinen  Zoll. 

Salv.  Der  geschleuderte  Körper  aber  weicht  von  der  Taugeute 
nach  dem  Mittelpunkte  der  Erde  hin  ab,  sagt  Ihr;  nicht  wahr? 

Simpl.  Ich  habe  es  gesagt  und  sage  noch  mehr.  Ich  begreife 
vollständig,  dafs  der  Stein  sich  nicht  von  der  Erde  trennen  wird. 
Denn  seine  Entfernung  nähme  anfangs  so  aufserordentlich  wenig  zu, 
dafs  der  Trieb  nach  dem  Erdmittelpunkte  tausendfach  überwiegen 
würde.  Dieser  Mittelpunkt  ist  aber  im  vorliegenden  Falle  zugleich 
der  Mittelpmikt  des  Rades.     Daher  mufs  man  in  der  That  einräumen. 


[216.  217.]  Zweiter  Tag.  207 

dafs  Steine,  Tiere  und  andere  schwere  Körper  nickt  weggeschleudert 
werden  köirueu.  —  Jetzt  aber  erregen  mir  die  ganz  leichten  Dinge, 
die  nur  eine  ganz  schwache  Neigung  haben,  sich  abwärts  nach  dein 
Erdmittelpunkte  zu  bewegen,  neue  Bedenken  Da  ihnen  nämlich  die 
Fähigkeit  abgeht,  zur  Oberfläche  zurückzugelangen,  so  sehe  ich  nicht 
ein,  warum  sie  nicht  fortgeschleudert  werden  sollten.  Ihr  wifst  aber 
ad  dcstrnendum  sufficit  unum."'^) 

Salv.  Wir  werden  auch  diesem  Einwände  begegnen.  Sagt  mir 
deswegen  zuvor,  was  Ihr  unter  leichten  Dingen  versteht;  meint  Ihr 
schlechthin  leichte  Stofl'e,  die  sich  nach  oben  bewegen,  oder  nicht 
absolut  leichte,  sondern  solche,  die  so  geringe  Schwere  haben,  dafs 
sie,  wenn  auch  langsam,  sich  nach  unten  bewegen?  Wenn  Ihr  näm- 
lich von  absolut  leichten  redet,  so  lasse  ich  sie  Euch  weggeschleudert 
werden,  soviel  Ihr  wollt. 

Simpl.  Ich  meine  diese  letzteren,  wie  etwa  Federn,  Wolle,  Baum- 
wolle u.  dgl.,  bei  welchen  jede  noch  so  geringe  Kraft  genügt,  um  sie 
in  die  Höhe  zu  heben,  imd  die  wir  dennoch  ganz  ruhig  auf  der  Erde 
liegen  sehen. 

Salv.  Da  eine  Feder  immerhin  in  gewissem,  wenn  auch  noch  so 
geringem  Grade  den  Trieb  besitzt,  sich  nach  der  Erdoberfläche  hin 
zu  bewegen,  so  behauj)te  ich:  dieser  genügt,  um  eine  Erhebung  derselben 
zu  verhindern.  Auch  Euch  ist  dies  wohlbekannt.  Sagt  mir  darum: 
wemi  die  Feder  infolge  der  Erdrotation  weggeschleudert  würde,  längs 
welcher  Linie  würde  sie  sich  bewegen? 

Simpl.     Längs  der  Tangente  im  Trennmigspunkte. 

Salv.  Und  wenn  sie  wieder  zurückkehren  sollte,  längs  welcher 
Linie  würde  das  geschehen? 

Simpl.  Längs  der  Verbindungslinie  der  Feder  mit  dem  Erdmittel- 
{)unkte. 

Salv.  Also  kommen  hier  zwei  Bewegungen  in  Betracht:  eine 
Schleuderbewegung,  welche  an  der  Berührungsstelle  beginnt  und  sich 
längs  der  Tangente  fortsetzt,  sodann  eine  zweite,  welche  von  dem 
Triebe  nach  unten  herrührt  und  längs  der  Sekante  nach  dem  Centrum 
vor  sich  geht.  Damit  also  die  Schleuderbewegung  zustande  komme, 
mufs  der  Antrieb  längs  der  Tangente  den  längs  der  Sekante  gerichteten 
Trieb  überwiegen.     Ist  es  nicht  so? 

Simpl.     Ich  glaube  ja. 

Salv.  Welche  Eigenschnft  mufs  nlx^-  notwendig  der  Scldeuder- 
bewegung  zukommen,  damit  sie  jenen  Trieb  überwiege  und  somit  die 
Losl()sung  und  Entfernung  der  Feder  von  der  Erde  veranlasse. 

Simpl.     Ich  weifs  es  nicht. 


208  Dialog  über  die  Weitsysteme.  [217.  218.] 

Salv.  Wie,  Ilir  wifst  es  nicht?  Es  handelt  sich  nm  einen  und 
denselben  Körper,  nämlich  um  eine  und  dieselbe  Feder:  wie  kann  nun 
ein  und  derselbe  Körper  die  Oberhand  über  sich  selber  gewiimen,  sich 
selber  besiegen?''^) 

Simpl.  Ich  kann  mir  nicht  denken,  wie  er  bei  der  Bewegung  sich 
selber  besiegen,  oder  sich  selber  unterliegen  kann,  es  sei  denn,  dafs 
er  sich  einmal  schneller,  ein  andermal  langsamer  bewegt. 

Salv.  Seht  Ihr,  Ihr  habt  es  doch  gewufst.  Wenn  also  die 
Schleuderbewegung  der  Feder  stattfinden,  und  demnach  die  Bewegung 
längs  der  Tangente  das  Übergewicht  haben  soll  über  die  Bewegung 
längs  der  Sekante,  wie  müssen  die  beiden  Geschwindigkeiten  be- 
schaffen sein? 

Simpl.  Die  Bewegung  längs  der  Tangente  mufs  bedeutender  sein 
als  die  längs  der  Sekante.  0,  wie  dumm  ich  bin!  Ist  sie  nicht 
hunderttausendmal  bedeutender  und  nicht  nur  als  die  Abwärtsbewegung 
der  Feder,  sondern  auch  als  die  des  Steines!  Und  ich  war  wirklich 
so  einfältig,  mir  einreden  zu  lassen,  die  Steine  könnten  durch  die 
Rotation  der  Erde  nicht  weggeschleudert  werden.  Ich  nehme  alles 
wieder  zurück  und  behaupte,  dafs,  wenn  die  Erde  sich  bewegte,  Steine, 
Elefanten,  Türme  und  Städte  notwendig  gen  Himmel  flögen.  Da  dies 
aber  nicht  geschieht,  so  behaupte  ich,  dafs  sich  die  Erde  nicht  bewegt. 

Salv.  Ei,  Signore  Simplicio,  ich  fürchte,  Euer  Blut  gerät  in  leb- 
haftere Bewegung  als  die  Feder.  Beruhigt  Euch  ein  wenig  und  hört 
mich  an.  Wenn  zum  Verbleiben  des  Steines  oder  der  Feder  auf  der 
Erdoberfläche  seine  Abwärtsbewegung  bedeutender  oder  ebenso  grofs 
sein  müfste,  wie  die  Bewegung  in  Richtung  der  Tangente,  so  würdet 
Ihr  mit  Recht  behaupten  dürfen,  der  fragliche  Körper  müsse  sich 
ebenso  schnell  oder  schneller  längs  der  Sekante  nach  unten  bewegen 
als  längs  der  Tangente  nach  Osten.  Aber  habt  Ihr  mir  nicht  vor 
kurzem  erklärt,  dafs  tausend  Ellen  Entfernung,  vom  Berührungspunkte 
aus  auf  der  Tangente  gemessen,  kaum  einen  Zoll  Entfernung  von  der 
Peripherie  bewirken?  Es  genügt  also  nicht,  dafs  die  Bewegmig  längs 
der  Tangente,  welche  mit  der  täglichen  Rotationsbewegung  identisch 
ist,  einfach  schneller  sei  als  die  Bewegung  der  Sekante,  welche  mit 
der  Abwärtsbewegung  der  Feder  identisch  ist;  sondern  jene  mufs 
sovielmal  schneller  sein  als  diese,  dafs  die  Zeit,  während  welcher  die 
Feder  etwa  tausend  Ellen  auf  der  Tangente  zurücklegt,  unbedeutend 
sei  im  Vergleich  zu  der  Zeit,  während  welcher  die  Abwärtsbewegung 
auf  der  Sekante  einen  Zoll  beträgt.  Dies  aber  wird  niemals  der  Fall 
sein,  behaupte  ich,  mag  jene  Bewegung  so  rasch  und  diese  so  lang- 
sam sein,  als  es  Euch  nur  immer  beliebt. 


[218.  219.] 


Zweiter  Tag. 


209 


Simpl.  Und  aus  welchem  Grunde  kann  die  Bewegung  längs  der 
Tangente  nicht  so  schnell  sein,  d^fs  der  Feder  nicht  Zeit  bliebe  zur 
Erdoberfläche  zu  gelangen? 

Salv.  Versucht  die  Sache  präcis  zu  formulieren,  so  werde  ich 
Euch  entgegnen.  Gebt  also  an,  wievielmal  geschwinder  jene  Be- 
wegung als  diese  nach  Euerer  Ansicht  mindestens  sein  mufs. 

Simpl.  Ich  will  etwa  sagen,  wemi  jene  eine  Million  mal  schneller 
ist  als  diese,  so  würde  die  Feder  und  sogar  auch  der  Stein  wegge- 
schleudert. 

Salv.  So  sagt  Ihr,  aber  Ihr  irrt;  und  die  Quelle  Eueres  Irrtums 
sind  nicht  etwa  mangelhafte  Kenntnisse  in  der  Logik,  Physik  oder 
Metaphysik,  sondern  in  der  Geometrie.  Denn  wenn  Euch  blofs  die 
ersten  Elemente  bekannt  wären,  so  wüfstet  Ihr,  dafs  man  vom  Kreis- 
mittelpunkte eine  gerade  Linie  nach  der  Tangeute  ziehen  kann  derart, 
dafs  die  Strecke  der  Tangente  zwischen  dem  Berührungspunkte  imd 
dem  Fufsjjunkt  der  gezogenen  Sekante  ein-,  zwei-,  dreimillionenmal 
so  grofs  ausfallt  als  die  Strecke  zwischen  der  Tangente  und  der  Peri- 
pherie. Je  näher  und  näher  die  Sekante  der  Berührungsstelle  rückt, 
um  so  mehr  wächst  dieses  Verhältnis  bis  ins  Unendliche.  Man  braucht 
daher  nicht  zu  fürchten,  wie  schnell  aucli  die  Rotationsbewegung  und 
wie  langsam  auch  die  Abwärtsbewegung  sei,  dafs  die  Feder  oder  etwas 
noch  Leichteres  anfangen  kann  in  die  Höhe  zu  steigen;  denn  stets 
überwiegt  der  Trieb  nach  unten  die  Geschwindigkeit  der  Schleuder- 
bewegung. 

Sagr.     Ich  verstehe  die  Sache  noch  nicht  ganz. 

Salv.     Ich  will  Euch 

ganz    allgemein    und 

sehr    leichte  Art    be- 


das 
auf 

weisen.  Es  sei  ein  Ver- 
hältnis gegeben  gleich  dem 
von  BA  zu  C,  und  zwar 
sei  BA  sovielmal  gröfser 
als  6',  wie  man  nur  immer 
will.  Ferner  sei  gegeben 
der  Kreis  mit  dem  Mittel- 
punkte D;  von  diesem  aus 
soll  eine  Sekante  derart 
gezogen  werden,  dafs  die 
Tangente  zu  dem  äufseren 


C 


n 


Geometrischer 
Beweis  der  Un- 
möglichkeit 
eines  Fort- 
sclileuderns  in- 
folge der  Eid- 
rotation. 


Abschnitte  der  Sekante  sich   verhalte   wie  BA  zu  ('.     Man   suche  zu 
diesem  Zwecke  die  dritte  Pro])()rtionale  AI  zu  den  beiden  Linien  I»  .4 

Galilei,  Weltsysteme.  1-i 


210  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [219.  220.] 

und  0;^^)  sodann  die  vierte  Proportionale  EG  zu  den  drei  Stücken 
BT,  lA  und  dem  Durelimesser;  endlich  ziehe  mau  von  dem  Punkte  G 
die  Tangente  GH.  Ich  behaupte,  dafs  damit  die  Aufgabe  gelöst  ist, 
dafs  also  HG  zu  GE  sich  verhält  wie  B  A  zu  C.  —  Demi  da  FE 
zu  EG  sich  verhält  wie  B I  zu  1 A,  so  folgt  durch  Komposition  FG 
zu  GE  wie  B  A  zu  AI.  Nun  ist  C  die  mittlere  Proportionale  zwischen 
BA  und  AI,  und  GH  die  mittlere  Proportionale  zwischen  FG  imd 
GE:,  es  mufs  sich  also  ebenso  wie  BA  zu  C,  auch  FG  zu  GH, 
d.  h.  HG  zu  GE  verhalten,  und  dies  war  in  der  Aufgabe  verlangt 
worden. 

SagT.  Ich  verstehe  diesen  Beweis,  gleichwohl  ist  mir  nicht  jeder 
Zweifel  benommen.  Im  Gegenteil,  es  ist  mir  so  verworren  zu  Mute,  dafs 
es  sich  wie  ein  düsterer  Nebel  um  meinen  Geist  lagert,  und  dafs  mir 
die  Richtigkeit  der  gezogenen  Schlüsse  nicht  mit  der  lichtvollen  Klar- 
heit in  die  Augen  springt,  wie  es  bei  mathematischen  Gründen  sonst 
zu  geschehen  pflegt.  Was  mich  verwirrt  macht,  ist-  der  folgende  Um- 
stand.''^) Allerdings  werden  die  Strecken  zwischen  Taugente  und 
Peripherie  in  der  Nähe  des  Berührungspunktes  unendlich  klein;  ebenso 
wahr  ist  es  aber  andererseits,  dafs  auch  die  Neiguug  des  Körpers  sich 
abwärts  zu  bewegen  in  ihm  um  so  geringer  ist,  je  näher  er  sich  dem 
Ausgangspunkte  seiner  Abwärtsbewegung,  d.  h.  dem  Ruhezustande  be- 
findet.- Dies  geht  klar  aus  dem  hervor,  was  Ihr  uns  früher  ausein- 
andergesetzt habt,  als  Ihr  den  Nachweis  liefertet,  wie  ein  fallender, 
vom  Zustande  der  Ruhe  ausgehender  Körper,  alle  Stufen  der  Lang- 
samkeit durchlaufen  mufs,  welche  zwischen  der  Ruhe  und  irgend 
welcher  bestimmten  Stufe  der  Geschwindigkeit  enthalten  sind  und 
welche  schliefslich  unendlich  klein  werden.  Dazu  kommt  noch,  dafs 
selbige  Geschwindigkeit  und  Neiguug  zur  Bewegung  noch  aus  einem 
anderen  Grunde  ins  Unendliche  abnimmt.  Es  rührt  dies  daher,  dafs 
die  Schwere  des  betrejffenden  Körpers  unendlich  abnehmen  kann.  Es 
sind  also  zwei  Ursachen  vorhanden,  welche  den  Trieb,  sich  nach  unten 
zu  bewegen,  verringern  und  demnach  ein  Fortschleudern  begünstigen, 
nämlich  die  Leichtigkeit  des  Körpers  und  die  Nähe  am  Ruhezustand 
mid  beide  sind  einer  Vermehrung  ins  Unendliche'  fähig.  Diesen  steht 
nur  eine  Ursache  gegenüber,  welche  das  Fortschleudern  hindert,  und 
obgleich  auch  diese  ins  Unendliche  vermehrbar  ist,  so  begreife  ich 
doch  nicht,  wieso  sie  allein  der  vereinten  und  verbundenen  Kraft  der 
anderen  beiden,  gleichfalls  ins  Unendliche  sich  steigernden,  die  Spitze 
bieten  kann. 

Salv.  Ein  Bedenken,  wie  es  Signore  Sagredos  würdig  ist.  Um 
es  ins  richtige  Licht  zu  setzen  derart,   dafs  wir  eijie  klarere  Einsicht 


[220.]  Zweiter  Tag.  211 

davon  erlangen  —  Ihr  sagt  ja  selbst,  dafs  Euere  Vorstellungen  dar- 
über unklar  sind  —  wollen  wir  uns  durch  eine  graphische  Darstellung 
die  Sache  verdeutlichen.^^)  Vielleicht  wird  diese  gleichzeitig  dazu 
beitragen,  Euer  Bedenken  leichter  zu  widerlegen.  Zeichnen  wir  also 
eine  lotrechte,  nach  dem  Centrum  gerichtete  Linie,  es  sei  dies  AC. 
Rechtwinkling  zu  ihr  laufe  die  horizontale 
Linie  AB,  längs  welcher  die  Schleuderbe- 
wegung gerichtet  wäre  und  auf  welcher  der 
geschleuderte  Körper  mit  gleichförmiger  Ge- 
schwindigkeit fortfahren  würde  sich  zu  be- 
wegen, wenn  die  Schwere  ihn  nicht  nach 
unten  zöge.  Man  denke  sich  nun  vom 
Punkte  A  eine  gerade  Linie  gezogen,  die 
mit  ^5  einen  beliebigen  Winkel  einschliefst; 
es  sei  dies  AE]  wir  tragen  auf  AB  einige  ^ 

gleiche  Strecken  AF,  FIT,  HK  ab  und  errichten  auf  diesen  die  Senk- 
rechten FG,  HI,  KL  bis  zum  Schnitt  mit  der  Linie  AE.  Da  nun, 
wie  früher  bemerkt,  der  fallende  schwere  Körper,  der  vom  Zustande 
der  Ruhe  ausgeht,  mit  der  Zeit  eine  immer  höhere  Stufe  von  Ge- 
schAvindigkeit  erlangt,  je  mehr  die  Zeit  wächst,  so  können  wir  uns 
vorstellen,  die  Strecken  AF,  FH,  HK  bedeuteten  gleiche  Zeiten,  die 
Perpendikel  FG,  HI,  KL  die  in  genannten  Zeiten  erlangten  Stufen 
der  Geschwindigkeit.  Es  läfst  sich  danach  die  Geschwindigkeitsstufe, 
welche  während  der  ganzen  Zeit  AK  erlangt  wird,  durch  die  Linie 
KL  in  ihrem  richtigen  Verhältnisse  zu  der  Stufe  HI  darstellen, 
welche  in  der  Zeit  AH  erworben  wird,  und  zu  der  Stufe  FG,  welche 
in  der  Zeit  AF  erworben  wird.  Diese  Stufen  KL,  HI,  FG  stehen 
offenbar  in  demselben  Verhältnis  zu  einander  wie  die  Zeiten  KA,  HA, 
FA.'^'^)  Zieht  man  noch  andere  Perpendikel  von  beliebig  gewählten 
Punkten  der  Strecke  FA  aus,  so  wird  man  immer  kleinere,  bis  ins 
Unendliche  abnehmende  Stufen  finden,  je  mehr  man  sich  dem  Punkte 
A  nähert,  der  den  ersten  Zeitmoment  mid  den  ursprünglichen  Ruhe- 
zustand repräsentiert.  Durch  Annäherung  an  den  Punkt  A  erhalten 
wir  also  ein  Bild  von  dem  anfänglichen  Triebe  zur  Abwärtsbewegung, 
welcher  ins  Unendliche  abnimmt,  wemi  der  Körper  dem  ursprünglichen 
Zustande  der  Ruhe  sich  nähert,  diese  Aimäherung  aber  ist  unendlicher 
Steigerung  fähig.  —  Wir  wollen  jetzt  die  andere  Geschwindigkeitsab- 
nahme aufsuchen,  welche  gleichfalls  bis  ins  Unendliche  stattfinden 
kann  und  welche  durch  die  Gewichtsabnahme  des  Körpers  bedingt 
wird.^*^)  Diese  wird  sich  dadurch  darstellen  lassen,  dafs  man  andere 
Linien    vom    Punkte  A    aus    zieht,    welche    kleinere    Winkel    als    den 


212  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [221.] 

Winkel  BAE  bilden,  wie  z.  B.  die  Linie  AD.  Dieselbe  scbneidet  die 
Parallelen  KL,  III,  FG  in  den  Punkten  M,  N,  0  und  stellt  uns  die 
in  den  Zeiten  AF,  AH,  AK  erlangten  Geschwindigkeitsstufen  F 0, 
UN,  KM  dar;  sie  sind  kleiner  als  die  vorher  betrachteten  Stufen 
FG,  HI,  KL,  welche  in  denselben  Zeiten  erworben  werden,  letztere 
aber  von  einem  schwereren,  erstere  von  einem  leichteren  Körper. 
Wenn  man  nun  durch  Annäherung  der  Linie  EA  an  J.  J5  den  Winkel 
EAB  verkleinert  —  was  bis  ins  Unendliche  möglich  ist,  gerade  wie 
das  Gewicht  sich  bis  ins  Unendliche  verringern  kann  —  so  vermindert 
sich  offenbar  gleichfalls  die  Geschwindigkeit  des  fallenden  Körpers 
und  demzufolge  auch  der  Grund,  der  ein  Fortschleudern  verhindert. 
Darum  scheint  es,  als  ob  bei  gleichzeitiger  Verminderung  ins  Unend- 
liche der  beiden  dem  Fortschleudern  entgegenwirkenden  Ursachen  dieses 
nicht  verhindert  werden  köimte.  Fassen  wir  das  ganze  Argument 
kurz  zusammen,  so  können  wir  sagen:  durch  Verkleinerung  des  Winkels 
EAB  verringern  sich  die  Geschwindigkeitsstufen  L K,  IH,  GF:^  durch 
Annäherung  der  Parallelen  KL,  HI,  FG  an  den  Scheitel  A  vermin- 
dern sie  sich  gleichfalls;  beide  Verminderungen  können  bis  ins  Un- 
endliche gesteigert  werden.  Die  Geschwindigkeit  der  Abwärtsbewegung 
wird  sich  also  so  sehr  vermindern  können  —  da  sie  auf  doppelte 
Weise  unendlich  klein  gemacht  werden  kann  —  dafs  sie  nicht  genügt, 
den  Körper  auf  die  Oberfläche  des  Rades  zurückzubringen  und  folglich 
nicht  imstande  -  ist,  die  Schleuderbewegung  zu  hindern  oder  aufzu- 
heben. 

Damit  nun  andererseits  das  Fortschleudern  gleichwohl  nicht  ein- 
trete, müssen  die  Strecken,  längs  welcher  der  fortgeschleuderte  Körper 
sich  abwärts  zum  Rade  hinzubegeben  hat,  so  kurz  und  unbedeutend 
sein,  dafs  trotz  der  bis  ins  Unendliche  erhöhten  Langsamkeit  beim 
Fallen  des  Körpers,  diese  dennoch  ausreicht  ihn  dahin  zurückzubringen. 
Es  müfste  also  eine  so  hochgradige  Abnahme  besagter  Strecken  statt- 
finden, dafs  sie  nicht  blofs  sich  ins  Unendliche  steigert,  sondern  auch 
die  zwiefache  Unendlichkeit  überwiegt,  die  bei  der  Abnahme  der  Fall- 
geschwindigkeit nach  unten  stattfindet.^^)  Wie  aber  ist  es  möglich, 
dafs  eine  Gröfse  stärker  als  eine  andere  abnimmt,  die  ihrerseits  zwie- 
fach unendlich  klein  wird?  Jetzt  seht,  Signore  SimpHcio,  wie  weit 
man  in  der  Naturphilosophie  ohne  Hilfe  der  Geometrie  kommt.  Die 
Stufen  der  Geschwindigkeit,  welche  teils  durch  die  Gewichtsabnahme 
des  Körpers,  teils  durch  Amiäherung  an  den  Ausgangspunkt  der  Be- 
wegung, also  an  den  Ruhezustand,  unendlich  klein  werden,  sind  gleich- 
wohl immer  bestimmt  und  proportional  den  Parallelen,  die  zwischen 
zwei  Schenkeln  eines  Winkels  enthalten  sind,  wie  des  Winkels  BAE 


[221.  222.]  Zweiter  Tag.  213 

oder  BAD  oder  eines  anderen  unendlich  spitzeren,  aber  immerhin 
geradlinigen  Winkels.  Die  Abnahme  der  Strecken  hingegen,  längs 
welcher  der  Körper  sich  zur  Oberfläche  des  Rades  zurückbegeben  miifs, 
ist  einer  anderen  Art  von  Abnahme  proportional,  einer  Abnahme,  wie 
sie  zwischen  Linien  stattfindet,  welche  einen  unendlich  viel  kleineren 
und  spitzeren  Winkel  einschliefsen  als  einen  noch  so  spitzen  geradlinigen 
Winkel,  einen  Winkel  von  folgender  Beschaffenheit.  Man  nehme  auf  der 
Senkrechten  A  C  einen  beliebigen  Punkt  C  an  und  beschreibe  um  ihn 
als  Mittelpunkt  mit  der  Strecke  CA  einen  Bogen  AMP.  Dieser  wird 
die  Parallelen,  welche  die  Stufen  der  Geschwindigkeit  veranschau- 
lichen, stets  schneiden,  so  klein  sie  auch  sein  mögen  und  in  einen  wie 
engen  geradlinigen  Winlcel  sie  auch  eingeschlossen  sein  mögen.  Die 
zwischen  dem  Bogen  und  der  Tangente  A  B  enthaltenen  Teile  der 
Parallelen  stellen  die  Gröfse  der  Strecken  dar,  um  welche  eine  Ab- 
weichung von  dem  Umfange  des  Rades  stattgefunden  hat;  sie  werden 
fortwährend  kleiner  imd  in  immer  stärkerem  Verhältnis  kleiner  als 
die  Parallelen,  auf  welchen  sie  liegen,  je  mehr  man  sich  der  Berüh- 
rimgsstelle  nähert.  Die  zwischen  den  geraden  Linien  enthaltenen 
Parallelen  nehmen  bei  der  Amiäherung  an  den  Scheitel  immer  in  dem- 
selben Verhältnis  ab:  wenn  z.  B.  die  Linie  AH  ioi  Punkte  F  halbiert 
ist,  so  wird  die  Parallele  ///  doppelt  so  grofs  sein  als  FG-^  halbiert 
man  F  A  nochmals  und  zieht  durch  den  Mittelpunkt  eine  weitere 
Parallele,  so  wird  diese  gleich  der  Hälfte  von  FG  sein.  Setzt  man 
die  Teilung  auf  diese  Weise  ins  Unendliche  fort,  so  wird  stets  die 
nächstfolgende  Parallele  halb  so  grofs  sein  als  die  nächst  vorangehende. 
Anders  aber  steht  es  mit  den  zwischen  der  Taugeute  imd  dem  Kreis- 
umfang enthaltenen  Linien.  Denn  teilt  man  F A  in  der  Weise  ein 
wie  vorher  und  nimmt  beispielsweise  an,  die  vom  Punkte  H  ausgehende 
Parallele  sei  doppelt  so  grofs  wie  die  vom  Punkte  F  ausgehende,  so 
wird  diese  mehr  als  doppelt  so  grofs  sein  Avie  die  folgende;  mid  wenn 
wir  auf  diese  Weise  an  die  Kontaktstelle  A  immer  näher  heranrücken, 
so  wird  sich  ergeben,  dafs  die  vorangehenden  Linien  die  folgenden 
an  Gröfse  drei-,  vier-,  zelm-,  hundert-,  tausend-,  hiniderttausend-,  hundert- 
millionenmal  u.  s.  w.  bis  ins  Unendliche  übertreffen.  Genannte  Linien 
werden  also  schliefslich  so  klein,  dafs  ihre  Kürze  bei  weitem  mehr  als 
ausreichend  ist,  um  einen  noch  so  leichten  geschleuderten  Körper  zur 
Umkehr  zu  veranlassen  oder  vielmehr  seiji  Verbleiben  auf  der  Peri- 
pherie zu  bewirken. 

Sagr.  Ich  verstehe  diese  Überlegung  und  die  ihr  zukommende 
Beweiskraft  sehr  wohl;  dennoch  glaul«»  ich,  weini  jemand  durchaiis 
daran    rüttehi    wollte,    so    könnte    er    noch   ßedenklichkeiten   erheben. 


214  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [222.  223.] 

Von  den  beiden  Ursachen,  welche  die  Abwärtsbewegung  des  Körpers 
bis  ins  Unendliche  verlangsamen  —  so  köimte  man  sagen  —  Avächst 
freilich  diejenige,  welche  durch  die  Nähe  beim  Ausgangspunkt  der 
Bewegung  bedingt  wird,  offenbar  stets  in  demselben  Verhältnis,  gerade 
wie  die  Paralellen  stets  zu  einander  dasselbe  Verhältnis  haben.  Dafs  aber 
die  Verminderung  eben  dieser  Geschwindigkeit  infolge  der  Gewichts- 
abnahme des  Körpers  ■ —  welches  die  zweite  Ursache  war  —  auch  in 
demselben  Verhältnis  stattfindet,  ist  nicht  so  selbstverständlich.  Wer 
bürgt  ims  dafür,  dafs  sie  nicht  im  Verhältnis  der  zwischen  Tangente'^) 
und  Peripherie  enthaltenen  Linien  oder  in  einem  noch  stärker  wachsen- 
den Verhältnis  erfolgt? 

Salv.  Ich  hatte  die  Annahme  zu  Grunde  gelegt,  dafs  die  Ge- 
schwindigkeiten natürlich  fallender  Körper  proportional  ihrem  Ge- 
wichte seien;  es  geschah  dies  dem  Siguore  Simplicio  imd  dem  Aristoteles 
zu  liebe'-'),  der  des  öfteren  dies  als  selbstverständliche  Behauptung 
anführt.  In  der  Rolle  des  Gegners  richtet  Ihr  dagegen  Eueren  Zweifel 
imd  behauptet,  möglicherweise  könne  die  Geschwindigkeit  in  stärkerem, 
ja  in  unendlich  mal  stärkerem  Verhältnis  wachsen  als  die  Schwere, 
wodurch  die  ganze  soeben  augestellte  Erwägung  haltlos  würde.  Zur 
Rechtfertigmig  brauche  ich  aber  nur  anzuführen,  dafs  das  Verhältnis 
der  Geschwindigkeiten  viel  kleiner  ist  als  das  der  Gewichte,  und  dafs 
demnach  das  Gesagte  nicht  nur  keine  Abschwächimg  erfährt,  sondern 
im  Gegenteil  eine  vermehrte  Geltung  beanspruchen  kann.  Als  Beweis 
dafür  führe  ich  den  Versuch  an,  der  uns  zeigt,  dafs  von  zwei  Kör- 
pern, deren  einer  vielleicht  dreifsig-  bis  vierzigmal  schwerer  ist  als 
der  andere,  wie  etwa  eine  Kugel  aus  Blei  und  eine  aus  Kork,  der 
schwerere  sich  noch  lange  nicht  doppelt  so  schnell  bewegt.  Da  nun 
ein  Fortschleudern  nicht  stattfindet,  wenn  selbst  die  Verminderung 
der  Fallgeschwindigkeit  im  Verhältnis  der  Schwere  erfolgte,  so  wird 
dies  um  so  weniger  der  Fall  sein,  sobald  die  Geschwindigkeit  sich  bei  be- 
trächtlicher Gewichtsabnahme  nur  wenig  verringert.  Aber  gesetzt 
auch,  die  Geschwindigkeit  vermindere  sich  in  weit  stärkerem  Verhältnis 
als  die  Schwere,  ja  mag  meinetwegen  das  Verhältnis  das  nämliche 
sein,  in  welchem  die  Parallelen  zwischen  Tangente  und  Peripherie  ab- 
nehmen, so  sehe  ich  keineswegs  einen  zwingenden  Grund,  warum  ein 
Fortschleudern  auch  noch  so  leichter  Stoffe  stattfinden  sollte;  ich  be- 
haupte vielmehr,  dafs  ein  solches  auch  in  diesem  Falle  nicht  eintreten 
würde.  Dabei  habe  ich  jedoch  nicht  leichte  Körper  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes  im  Auge,  d.  h.  solche,  die  gar  keine  Schwere  besitzen 
und  von  Natur  sich  aufwärts  bewegen,  sondern  solche,  die  sehr  lang- 
sam nach  unten   sich   bewegen,    also   sehr  geringe   Schwere    besitzen. 


[223.  224.]  Zweiter  Tag.  215 

Zu  dieser  Ansicht  werde  ich  durch  den  Umstand  bewogen,  dafs  als 
äufserste  und  oberste  Grenze  der  Gewichtsabnahme,  welche  in  dem- 
selben Verhältnis  wie  bei  den  zwischen  Tangeute  und  Peripherie  ent- 
haltenen Parallelen  stattfindet,  die  völlige  Gewichtslosigkeit  zu  be- 
trachten ist,  ebenso  wie  als  äufserste  Grenze  für  die  Abnahme  der 
Parallelen  die  Berührung  selbst  zu  gelten  hat,  d.  h.  ein  unteilbarer 
Punkt.  Nun  vermindert  sich  aber  die  Schwere  niemals  bis  zur 
äufsersten  Grenze,  weil  dann  der  Körper  überhaupt  nicht  schwer  wäre; 
wohl  aber  reduziert  sich  der  Abstand  des  geschleuderten  Körpers  von 
der  Peripherie  bis  zur  äufsersten  Kleinheit,  nämlich  in  dem  Augen- 
blicke, wo  er  auf  der  Peripherie  in  dem  Berührungspunkte  selber 
ruht,  so  dafs  er,  um  zu  ihr  zurückzukehren,  überhaupt  keinen  Raum 
zurückzulegen  hat.  Mag  daher  der  Trieb  sich  abwärts  zu  bewegen 
noch  so  schwach  sein,  er  ist  doch  immer  mehr  als  ausreichend,  um 
den  Körper  auf  die  Peripherie  zurückzubringen;  denn  er  steht  von  ihr 
um  die  kleinste  Strecke,  nämlich  um  Nichts,  ab. 

Sagr.  Die  Erwägung  ist  in  der  That  höchst  suljtil,  aber  in  dem- 
selben Mafse  beweiskräftig.  Man  mufs  es  nur  gestehen,  wer  natur- 
wissenschaftliche Fragen  ohne  Hilfe  der  Geometrie  behandeln  will, 
unternimmt  etwas  Unausführbares. 

Salv.  Signore  Simplicio  wird  anderer  Meinung  sein,  wiewohl  ich 
nicht  glaube,  dafs  er  zu  denjenigen  Peripatetikern  gehört,  die  ihren 
Schülern  vom  Studium  der  Mathematik  abraten,  weil  es  die  wissen- 
schaftliche Befähigung  beeinträchtige  und  sie  für  beschauliche  Zwecke 
ungeeigneter  mache. 

Simpl.  Ich  möche  Plato  dieses  Unrecht  nicht  anthim,  wohl  aber 
sage  ich  mit  Aristoteles,  dafs  er  sich  allzusehr  in  sie  versenkte,  allzu- 
sehr in  diese  seine  Geometrie  sich  verliebte.^")  Denn  im  Grmide  ge- 
nommen, Signore  Salviati,  sind  diese  mathematischen  Spitzfindigkeiten 
in  der  Theorie  wohl  richtig,  aber  auf  sinnliche  imd  physische  Materie 
angewendet,  stimmen  sie  nicht.  Die  Mathematiker  mögen  mittels  ihrer 
Priucipien  freilich  beweisen,  dafs  z.  B.  sphaet^a  tamjit  planum  in  puncto, 
eine  Behauptimg,  die  mit  der  vorHegenden  Ähnlichkeit  liat.'^^)  Fafst 
man  aber  die  Thatsachen  ins  Auge,  so  liegt  die  Sache  anders.  In 
derselben  Weise  beurteile  ich  diesen  Eueren  Berührungswinkel  imd 
Euere  Proportionen.  All  das  hält  nicht  Stich,  wemi  man  es  mit 
materiellen  sinnlichen  Dingen  zu  thun  hat. 

Salv.  Ihr  wollt  also  durchaus  nicht  glauben,  dafs  die  Tangente 
die  Erdoberfläche  in  einem  Punkte  berührt? 

Simpl.  Ich  glaube,  nicht  nur  in  einem  Punkte,  sondern  auf  einer 
Strecke  von  vielen,  vielen  Ellen,  vielleicht  vielen  Hunderten  von  Ellen 


216  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [2'24.  225.] 

berührt    eine    gerade  Linie    die  Wasseroberfläche   und    umsomehr    die 
Erdoberfläche,  ehe  sie  sich  von  ihr  trennt. 

Salv.  Wenn  ich  Euch  das  nun  zugestehe,  seht  Ihr  nicht,  dals 
dies  nur  um  so  schlimmer  für  Euere  Sache  ist?  Denn  sogar  unter 
der  Voraussetzung,  dafs  die  Tangente  von  der  Erdoberfläche  mit  Aus- 
nahme eines  einzigen  Punktes  getrennt  sei,  ist  die  Unmöglichkeit  des 
Fortschleuderns  unter  allen  Umständen  bewiesen  worden  und  zwar 
durch  Hinweis  auf  die  aufserordentliche  Kleinheit  des  Kontingenz- 
winkels,  wenn  der  Ausdruck  Winkel  hierfür  überhaupt  gestattet  ist. 
Um  wieviel  weniger  Grund  für  eine  Loslösung  des  geschleuderten 
Körpers  liegt  vor,  wenn  dieser  Winkel  völlig  verschwindet,  wenn  die 
Oberfläche  und  die  Tangente  vereint  ihren  Fortgang  nehmen?  Seht 
Ihr  nicht,  dafs  in  diesem  Falle  die  Schleuderbewegung  auf  der  Ober- 
fläche der  Erde  selbst  stattfinden  müfste,  was  soviel  heifst  als:  sie 
Die  Kraft  der  findet  uicht  statt?  Daraus  könnt  Ihr  entnehmen,  wie  grofs  die  Kraft 
währt  sich  bis- der  Wahrheit  ist-,  während  Ihr  versucht,  sie  zu  Fall  zu  bringen,  steht 
die  gegen  sie  sie  gerade  durch  Euere  Angrifle  um  so  fester  und  unbesiegbarer  da.  — 
griffe.  Nun  ich  Euch  aber  diesen  einen  Irrtum  benommen,  möchte  ich  Euch 
nicht  bei  dem  anderen  belassen,  bei  der  Ansicht  nämlich,  dafs  eine 
materielle  Kugel  eine  Ebene  nicht  blofs  in  einem  Punkte  berühre.  Ich 
möchte  auch,  dafs  die  —  wenn  gleich  auf  wenige  Stmiden  beschränkte  — 
Unterhaltimg  mit  Leuten,  die  einige  geometrische  Kenntnisse  besitzen. 
Euch  etwas  klardenkender  in  den  Augen  derer  erscheinen  lasse,  die 
nichts  davon  verstehen.  Um  Euch  zu  zeigen,  welchen  grofsen  Irrtum 
man  begeht,  wenn  man  behauptet,  eine  Kugel  z.  B.  von  Bronze  be- 
rühre eine  Ebene  z.  B.  von  Stahl  nicht  in  einem  Punkte,  sagt  mir: 
was  würdet  Ihr  von  jemand  denken,  der  steif  und  fest  behauptete, 
eine  Kugel  sei  in  Wahrheit  keine  Kugel? 

Simpl.     Ich   wäre   der   Meinung,    es   fehle   ihm   durchaus   an   Ver- 
stände. 

Salv.     In  dieser  Lage   befindet  sich  aber  der,   welcher   behauptet, 
Auch  die  mate-  die   materielle   Kugel   berühre   eine   gleichfalls    materielle   Ebene   nicht 
berührt  die    in  einem  Punkte;  denn  diese  Behauptung  ist  identisch  mit  der  anderen, 
blofs  iu  einem  dafs  die  Kugel  keine  Kugel  ist.     Zum  Beweise  dafür  sagt  mir,   worin 
Ihr   das  Wiesen   der  Kugel  findet,   d.  h.    welcher  Umstand   den  Unter- 
schied der  Kugel  von  allen  anderen  räumlichen  Gebilden  bedingt. 
Definition  der  Simpl.     Ich  glavibc,  das  Wcscu  der  Kugel  besteht  darin,  dafs  alle 

vom    Mittelpunkte    nach    der    Oberfläche     gezogenen    geraden    Linien 
gleich  sind. 

Salv.     Wenn  also  solche  Linien  nicht  gleich  sein  sollten,  so  würde 
ein  derartiger  Körper  unter  keinen  Umständen  eine  Kugel  sein. 


[225.  226.]  Zweiter  Tag.  217 

Simpl;     Nein. 

Salv.  Sagt  mir  demnächst,  ob  von  den  vielen  Linien,  die  man 
zwischen  ZAvei  Punkten  ziehen  kann,  aiifser  einer  geraden  Linie  noch 
eine  andere  moghch  ist. 

Simpl.     Nein. 

Salv.  Ihr  seht  auch  ein,  dafs  diese  einzige  gerade  Linie  notwendig 
kürzer  sein  mufs  als  jede  andere. 

Simpl.  Ich  sehe  es  ein  und  hin  auch  im  Besitze  eines  klaren 
Beweises  dafür,  welcher  von  einem  bedeutenden  peripatetischen  Philo- 
sophen herrührt.  Ich  glaube,  wenn  ich  mich  recht  erinnere,  dafs  er 
damit  einen  Tadel  gegen  Archimedes  verbindet,  weil  dieser  den  Satz 
als  bekaimt  voraussetzt,  während  er  ihn  hätte  beweisen  können. 

Salv.  Das  mufs  ein  grofser  Mathematiker  gewesen  sein,  der  zu 
beweisen  imstande  war,  was  Archimedes  weder  bewies,  noch  beweisen 
konnte.  Wenn  Ihr  Euch  des  Beweises  erinnertet,  würde  ich  ihn  gerne 
hören;  denn  ich  entsinne  mich  sehr  wohl,  dafs  Archimedes  in  den 
Büchern  über  die  Kugel  und  den  Cylinder  diese  Behauptung  unter  die 
Postulate  verweist,  imd  ich  bin  daher  überzeugt,  dafs  er  sie  für  unbe- 
weisbar hielt. 

Simpl.  Ich  werde  mich  des  Beweises  wohl  noch  erinnern,  denn 
er  ist  sehr  kurz  und  leicht. 

Salv.  Um  so  gröfser  die  Schande  für  Archimedes  und  der  Ruhm 
Evieres  Philosophen. 

Simpl.  Ich  will  dieselbe  Figur  entwerfen  wie  er.  Zwischen  den 
Punkten  A,  B  zieht  er  die  gerade  Linie 
AB  und  die  krumme  A  O-B^nnd  will  zeigen, 
dafs  die  gerade  Linie  die  kürzere  von  beiden 
ist.  Der  Beweis  lautet  folgendermafsen: 
er  nimmt  auf  der  Kurve  einen  Punkt  an,  er  heifse  C,  imd  zieht  zwei  Beweis  eine* 

'        _  '  .  .      Peripatetikers, 

weitere  gerade  Linien  AC,   CB.     Diese    beiden  zusammen  sind,    wie  Jars  die  gerade 

'^  '  .     .  ^    Linie  von  aUen 

Euklid  beweist,   gröfser  als   die  eine  AB.     Die  krumme  Linie  ^1  Cii  die  kürzeste  ist. 
aber  ist  gröfser  als  die  beiden  geraden  AC,  C B;  also  wird  die  krumme 
AGB  a  fortiori    viel    gröfser    sein    als   die    gerade  AB,    was    zu    be- 
weisen war. 

Salv.    Ich  glaube,  wenn  man  alle  Fehlschlüsse  der  Welt  zusammen-    i-ehisci.iurs 


suchte,    könnte    man    kein    passenderes    Beispiel    als    dieses    für    den  ppripatetikers, 

'  .  II-  ^^^  ignotmn  per 

gröbsten  aller  Schlufsfehler  finden,   nämlich   für  den,   welcher  ignotum  ianotius  bovidst. 
per  ignotms  beweist. ''^^') 

Simpl.     Inwiefern? 

Salv.      Ihr   fragt  noch?      Ist    nicht    die    unl)ekannte    Schlufsfolge- 
rung,  Avelche  Ihr  beweisen  wollt,  die,  dafs  die  Kurve  AC B  länger  ist 


218  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [226.  227.] 

als  die  Gerade  AB?  Das  Mittelglied,  das  als  bekannt  angenommen 
wird,  ist,  dafs  die  Kurve  AGB  gröfser  ist  als  die  beiden  geraden 
Linien  A  Cj  CB,  von  welcben  dann  weiter  bekannt  ist,  dafs  sie  zu- 
sammen gröfser  sind  als  AB,  nicbt  wahr?  Wenn  Ihr  nun  schon 
nicht  wifst,  ob  die  Kurve  gröfser  ist  als  die  eine  gerade  Linie  A  B, 
wie  viel  mehr  müfst  Ihr  dann  zweifeln,  dafs  sie  gröfser  sei  als  die 
beiden  Geraden  A  C,  CB,  von  welchen  feststeht,  dafs  sie  die  eine  A  B 
an  Gröfse  übertreffen? 

Simpl.     Ich  verstehe  noch  mcht  recht,  worin  der  Fehler  liegt. 

Salv.  Da  die  beiden  Geraden  zusammen  gröfser  als  AB  sind 
—  wie  aus  dem  Euklid  bekannt  ist  —  wird  dann  nicht  die  Kurve, 
sobald  sie  gröfser  ist  als  die  beiden  Geraden  AC,  CB,  um  so  mehr 
gröfser  sein  als  die  eine  Gerade  AB? 

Simpl.     Jawohl. 

Salv.  Dafs  die  Kurve  AGB  gröfser  ist  als  die  Gerade  AB,  ist 
die  Schlufsfolgerung,  welche  bekannter  ist  als  das  Mittelglied.  Denn 
dieses  besagt,  dafs  dieselbe  Kurve  gröfser  ist  als  die  beiden  Geraden 
A  C,  GB.  Wenn  nun  das  Mittelglied  weniger  bekannt  ist  als  die 
Schlufsfolgerung,  so  heifst  das  ignotum  per  ignoüus  beweisen.  —  Kehren 
wir  jetzt  zu  imserem  Gegenstande  zurück.  Es  reicht  aus,  wenn  Ihr 
einseht,  dafs  die  Gerade  die  kürzeste  von  allen  Linien  ist,  welche  man 
zwischen  zwei  Pimkten  ziehen  kann.  Was  nun  die  Hauptschlufsfolge- 
rmig  betrifft,  so  behauptet  Ihr,  eine  materielle  Kugel  berühre  die 
Ebene  nicht  in  einem  Punkte:  wie  wird  denn  nun  die  Berührungsstelle 
beschaffen  sein? 

Simpl.     Sie  wird  aus  einem  Teil  der  Oberfläche  bestehen. 

Salv.     Und  die  Berührungsstelle  eiuer  anderen  der  ersten  gleichen 

Kugel  wird  ebenfalls  ein  solches  Oberflächenteilchen  sein,  nicht  wahr? 

Beweis,  dafs  SlmpI.     Es  ist  kein  Grvmd  vorhanden,  warum  es  anders  sein  sollte. 

die  Kugel  die  _  _  '       _ 

Ebene  nur  in  Salv.     Weuu  also  die  beiden  Kugehi  sich  berühren,  werden  auch 

einem  Punkte        ...  .  . 

beruim.      diese  sich  mit  den  nämlichen  zwei  Oberflächen teilchen  berühren;  denn 

da  sich  jede  von  ihnen  derselben 
Ebene  anschmiegt,  müssen  sie 
das  auch  unter  einander  thun. 
Stellt  Euch  nun  zwei  einander 
berührende  Kugehi  mit  den 
Mittelpunkten  A,  B  vor.  Man 
verbinde  ihre  Mittelpunkte 
durch  die  Gerade  A  B,  Avelche 
die  Berührungsstelle  treffen  wird;  sie  mag  etwa  durch  den  Punkt  G 
gehen.    Man  ziehe  dann  von  einem  weiteren  Punkte  D  der  Berührungs- 


[227.  228.]  Zweiter  Tag.  219 

stelle  die  beiden  Geraden  ÄD,  BD.  Es  wird  dann  ein  Dreieck  ADB 
entstehen,  dessen  Seiten  AD,  DD  zusammen  der  einen  noch  übrigen 
Seite  AGB  gleich  sein  müssen,  da  jene  wie  diese  aus  zwei  nach 
Definition  der  Kugel  gleichen  Halbmessern  bestehen.  Demnach  wird 
die  gerade  Verbindungslinie  der  Mittelpunkte  A,  B  nicht  von  allen 
die  kürzeste  sein,  da  die  beiden  AD,  DB  ihr  gleich  sind.  Dies  ist 
nach  dem,  was  Ihr  eingeräumt  habt,  absurd. 

Simpl.  Dieser  Beweis  trifft  nur  auf  abstrakte,  nicht  aber  auf 
materielle  Kugeln  zu. 

Sal7.  Gebt  mir  dann  also  an,  worin  das  Fehlerhafte  meines  Be- 
weises besteht,  da  er  nicht  auf  materielle,  wohl  aber  auf  immaterielle, 
abstrakte  Kugeln  zutrifft. 

Simpl.     Materielle  Kugeln  sind  mancherlei  Einflüssen  unterworfen, 
denen  immaterielle  nicht  unterliegen.    Warum  könnte  nicht,  wenn  man    wamm  die 
eine  metallene  Kugel  auf  eine  Ebene  legt,  das  eigene  Gewicht  auf  die   die  Ebene  in 

•  T\i  1  1     o  •  •  •  1-1  1  einem  Punkte 

Ebene  emeu  Druck  ausüben,  so  dafs  sie  em  wenig  nachgiebt,  oder  beruh«,  nicht 
warum  könnte  die  Kugel  selbst  bei  der  Berührimg  sich  nicht  abplatten?  materieuc  und 
Überdies  wird  jene  Ebene  schwerlich  yoUkommen  sein  können,  wenn 
aus  sonst  keinem  Grunde,  doch  wegen  der  Porosität  der  Materie. 
Ebenso  schwierig  dürfte  es  sein,  eine  so  vollkommene  Kugel  aufzu- 
treiben, dafs  bei  ihr  alle  Linien  vom  Centrum  nach  der  Oberfläche 
ganz  genau  gleich  sind. 

Salv.  0,  alles  das  gebe  ich  Euch  gerne  zu,  aber  es  ist  völlig 
belanglos.  Denn  um  mir  zu  zeigen,  dafs  eine  materielle  Kugel  eine 
materielle  Ebene  nicht  in  einem  Punkte  berührt,  benutzt  Ihr  eine 
Kugel,  die  keine  Kugel,  mid  eine  Ebene,  die  keine  Ebene  ist.  Eueren 
Ausführungen  zufolge  giebt  es  entweder  solche  Dinge  nicht  auf  der 
^Velt,  oder  wenn  es  welche  giebt,  werden  sie  bei  Anstellung  des  Ver- 
suchs zerstört.  Ihr  hättet  also  besser  gethan  die  Behauptung,  wenn 
auch  nur  bedingungsweise,  zuzugeben,  dafs  nämlich,  wenn  es  eine 
materielle  Kugel  und  eine  materielle  Ebene  gäbe,  welche  vollkommen 
wären  und  blieben,  diese  sich  blofs  in  einem  Punkte  berührten;  Ihr 
hättet  daim  hinzusetzen  können,  dafs  es  solche  eben  nicht  giebt. 

Simpl.  Ich  glaube,  dafs  die  Behauptung  der  Philosophen  in 
diesem  Sinne  zu  verstehen  ist.  Denn  ohne  Zweifel  bewirkt  die  Un- 
vollkommenheit  der  Materie,  dafs  die  konkret  vorliegenden  Dinge  mit 
den  bei  abstrakten  Betrachtimgen  zu  Grunde  gelegten  nicht  überein- 
stimmen. 

Salv.  Wieso  stimmen  sie  nicht  überein?  Gerade  was  Ihr  selbst 
jetzt  eben  sagt,  beweist,  dafs  sie  genau  damit  übereinstimmen. 

Simpl.     Inwiefern? 


220  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [228.  229.] 

Salv.  Sagt  Ihr  nicht,  dafs  infolge  der  Unvollkommeiiheit  der 
Materie  ein  Körper,  der  vollständig  kugelförmig  sein  sollte,  und  eine 
Fläche,  welche  vollkommen  ehen  sein  sollte,  sich  in  Wirklichkeit  von 
anderer  Beschaffenheit  erweisen,  als  man  sie  in  ahstrado  sich  vorstellt? 

Simpl.     Allerdings  behaupte  ich  das. 

Salv.  Sobald  Ihr  also  in  concreto  eine  materielle  Kugel  auf  eine 
Die  abstrakten  materielle  Ebene  legt,    so  legt  Ihr  eine  nicht  vollkommene  Kugel  auf 

Verhältnisse        .  .  _^  iiiiTin 

entsprechen  ge-  euie  nicht  vollkommeue  Ebene,  und  von  diesen  behauptet  Ihr  dann, 
kreten.  dafs  sie  sich  nicht  in  einem  Punkte  berühren.  Ich  aber  behaupte, 
dafs  auch  in  abstracto  eine  immaterielle  Kugel,  die  keine  vollkommene 
Kugel  ist,  eine  immaterielle  Ebene,  welche  keine  vollkommene  Ebene 
ist,  möglicherweise  nicht  in  einem  Punkte,  sondern  mit  einem  Teile 
ihrer  Oberfläche  berühren  kann.  Insoweit  also  stimmt  das,  was  in 
concreto  eintritt,  ganz  mit  dem  überein,  was  in  abstracto  eintritt.  Es 
wäre  in  der  That  etwas  ganz  Neues,  wenn  die  Berechnungen  und 
Operationen  mit  abstrakten  Zahlen  schliefslich  nicht  stimmten,  sobald 
man  sie  in  concreto  auf  Gold-  und  Silbermünzeu  imd  Waren  anwendet. 
Wifst  Ihr,  wie  die  Sache  liegt,  Signore  Simplicio?  Gerade  wie  der 
Kalkulator,  damit  die  Zucker-,  Seide-  und  Wollerechnungen  stimmen, 
seine  Abzüge  für  das  Gewicht  der  Kisten,  der  Verpackung  imd 
sonstigen  Ballasts  machen  mufs,  so  mufs  der  Geometer,  wenn  er  die 
theoretisch  bewiesenen  Folgewirkungen  experimentell  studieren  will, 
die  störenden  Einflüsse  der  Materie  in  Abrechnung  bringen.  Wenn 
er  das  versteht,  so  versichere  ich  Euch,  alles  wird  accurat  ebenso 
stimmen  wie  die  zahlenmäfsigen  Berechnungen.  Die  Fehler  liegen 
also  weder  an  dem  Abstrakten  noch  an  dem  Konkreten,  weder  an  der 
Geometrie  noch  an  der  Physik,  sondern  an  dem  Rechner,  der  nicht 
richtig  zu  rechnen  versteht.  Hättet  Ihr  daher  eine  vollkommen^, 
wenn  gleich  materielle,  Kugel  und  Ebene,  so  zweifelt  nicht,  sie  würden 
sich  in  einem  Punkte  berühren.  Wenn  es  nun  solche  nicht  gäbe,  wie 
es  sie  in  der  That  nicht  giebt,  so  ist  es  sehr  verkehrt  zu  sagen 
sphaera  aenea  non  tangit  in  puncto.  Aber  noch  eins,  Signore  Simplicio! 
Zugestanden,  dafs  ein  vollkommen  kugelförmiger  Körper  und  eine  voll- 
kommene Ebene  materiell  nicht  existieren  können,  glaubt  Ihr,  dafs 
zwei  materielle  Körper  existieren  köimen,  die  an  ihrer  Oberfläche 
irgendwo  und  irgendwie,  meinetwegen  auch  imregelmäfsig,  ge- 
krümmt sind? 

Simpl.     Ich  glaube,  an  solchen  fehlt  es  nicht. 

Salv.     Wemi  es  solche  giebt,   so   werden   auch  sie   sich  in  einem 

Die  einpunktige  Puukte  bertthreu;   denn  die  einpunktige  Berührung  ist  keineswegs  ein 
keine  aus-    besonderes    Vorrecht    der    vollkommenen    Kugel    und    vollkommenen 


[•229.  230.]  Zweiter  Tag.  '  221 

Ebene.     Ja,   wer  diese  Frasje  s*enau  untersuchen  wollte,   würde  finden,    schuersiiche 

.  ,        .       .  .  .    -f^  ,    ,  .    ,  .      Eigentümlich- 

dafs  es  viel  schwieriger  ist.    zwei  Körper   zu   finden,   welche   sich  mit  keit  der  von- 

kommenen 

einem   Teile    ihrer   Oberfläche    berühren,    als    in    blofs    einem   Punkte.Kugein,  sondern 

aller  ge- 

Denn  damit   zwei  Flächen   sich   dicht  an  einander   schmiegen,   müssen     krümmteu 
entweder  beide  genau  eben  sein,  oder  die  eine  gewölbt  und  die  andere  es  ist  schwieri- 
ausgehöhlt;    die    Höhlung    der    letzteren    mufs    dann    aber    genau    der  «ud^f dirsich 
Wölbung    der    ersteren    entsprechen.      Diese    Bedingungen    sind    aber    -^^eUe^ih^M 
wegen  ihrer  strengen  Bestimmtheit  viel  schwerer  zu  verwirklichen  als  ^^hr?n  tis  mu 
die   anderen,   die   wegen   ihrer  unbestimmten  Allgemeinheit   einen  un-    '^Punkte'* 
endlichen  Spielraum  gewähren. 

Simpl.  Ihr  meint  also  zwei  Steine  oder  zwei  Eisenstücke,  die 
aufs  Geratewohl  aneinander  gelegt  werden,  berührten  sich  in  der  Regel 
blofs  in  einem  Punkte? 

Salv.  Bei  zufälliger  Berührung,  nein.  Denn  einmal  haftet  ge- 
wöhnlich an  ihnen  irgend  welche  Verunreinigung,  die  ein  wenig  nach- 
giebt;  sodann  achtet  man  nicht  darauf,  sie  ohne  jede  Erschütterung 
gegen  einander  zu  legen.  Eine  solche  reicht  aber  aus,  wenn  sie  auch 
noch  so  klein  sein  mag,  dafs  die  eine  Oberfläche  der  anderen  ein  wenig 
nachgiebt  und  demzufolge  wenigstens  über  eine  kleine  Stelle  hin  die  eine 
sich  auf  der  anderen  abdrückt.  Wenn  aber  ihre  Oberflächen  glatt 
poliert  wären,  wenn  sie  beide  zur  Vermeidung  jedweden  Drucks  auf 
einen  Tisch  gelegt  würden  und  man  sie  ganz  sachte  einander  näherte, 
so  zweifle  ich  nicht,  dafs  man  es  zu  einer  Berührung  in  blofs  einem 
Punkte  bringen  könnte. 

Sagr.  Mit  Euerer  Erlaubnis  mufs  ich  ein  Bedenken  zur  Sprache 
bringen,  das  in  mir  aufstieg,  als  ich  Signore  Simplicio  von  der  Un- 
möglichkeit reden  hörte,  dals  es  einen  materiellen  festen  Körper  von 
vollkommener  Kugelgestalt  geben  sollte,  und  als  ich  Signore  Salviati 
dem  gewissermafsen  zustimmen  sah,  indem  er  keinen  Widerspruch 
erhob.  Ich  möchte  mir  daher  die  Frage  erlauben,  ob  es  ebenso 
schwierig  ist,  einen  Körper  von  irgend  sonst  einer  Gestalt  zu  bilden,  oder 
um  mich  deutlicher  zu  erklären,  ob  es  mehr  Schwierigkeiten  macht, 
ein  Stück  Marmor  in  eine  vollkommene  Kugel  umzugestalten  als  in 
eine  vollkommene  Pyramide  oder  ein  vollkommenes  Pferd  oder  eine 
vollkommene  Heuschrecke. 

Salv.  Die  erste  Frage  lafst  mich  beantworten.  Zunächst  bitte 
ich  um  Entschuldigung  für  die  scheinbare  Zustimmimg,  die  ich  dem 
Signore  Simplicio  zollte;  sie  sollte  nur  eine  vorläufige  sein.  Auch 
ich  wollte,  ehe  wir  diesen  Gegenstand  verlassen,  demselben  oder  einem 
ganz  ähnlichen  Gedanken  wie  Ihr  Ausdruck  verleihen.  Ich  beantworte 
Euere  <*i-ste  Frage  und  behau})te,  dafs,  wenn  man  einem  Körper  irgend- 


222  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [230.  231.] 

Kugelgestalt  welclie  Gestalt  geben  kann,  ihm  keine  leichter  als  die  Kugelgestalt  zu 
stellen  als  jede  Verleihen    ist,    wie    sie    denn    auch    die    einfachste   ist    und  unter   den 
räumlichen    Figuren    dieselbe    Rolle    spielt    wie    der    Kreis    unter    den 
Konstruktion  ebcncn.     Die  Konstruktion  des  Kreises  ist  ja  von  den  Mathematikern, 
unter '^die      als  vou  allen  die  leichteste,    allein  für  würdig  gehalten  worden,  unter 
genommen,    die  Postulate  aufgcuommen   zu  werden,    welche  für   die  Konstruktion 
aller   anderen  Figuren  notwendig  sind.     Die  Herstellung  einer  Kugel 
Kugelförmige  ist  SO  Icicht,  dafs  man  nur  in  einer  ebenen  Platte  von  hartem  Metall 
schiedener    einen   kreisförmigen  Ausschnitt   anzubringen   und   in   diesem   einen  be- 
sieh mit  einem  liebigcu,  gauz  roh  abgerundeten  Körper  willkürlich  hin-  und  herzudrehen 
meute  her-    braucht;    cr   wird   dami   ganz   von   selbst,    ohne   dafs   man   sonst  einen 
Kunstgriff  anzuwenden  hätte,  die  denkbar  vollkommenste  Kugelgestalt 
annehmen,    vorausgesetzt,    dafs   besagter  Körper  nicht   kleiner   ist  als 
die  Kugel,   die  durch  jenen  Kreis   eben  hindurchgeht.     Was  dabei  be- 
sonders   beachtenswert    ist,    es    werden   sich   in   demselben   Ausschnitt 
Kugeln    von    verschiedener    Gröfse    herstellen    lassen.      Was    hingegen 
dazu  gehört,  ein  Pferd  oder,  wie  Ihr  sagt,  eine  Heuschrecke  zu  bilden, 
stelle  ich  Euerem  Urteil  anheim,  der  Ihr  wifst,  wie  wenige  Bildhauer 
auf    der  Welt    es    giebt,     die    imstande    sind,     das    zu    leisten.     Ich 
glaube,    Signore  Simplicio   wird  in   dieser  Frage  nicht  anders  denken 
als  ich. 

Simpl.  Ich  weifs  nicht,  ob  ich  irgendwie  anders  darüber  denke 
als  Ihr.  Meine  Meinung  ist,  dafs  keine  der  genannten  Figuren  voll- 
kommen hergestellt  werden  kaim.  Handelt  es  sich  aber  darum,  einen 
möglichst  hohen  Grad  der  Annäherung  an  die  Vollkommenheit  zu  er- 
zielen, so  ist  es  meiner  Meinung  nach  unvergleichlich  viel  leichter, 
einem  Körper  die  Gestalt  einer  Kugel  als  die  eines  Pferdes  oder  einer 
Heuschrecke  zu  geben. 

Sagr.  Woher  rührt  nun  aber  Eueres  Bedünkens  diese  gröfsere 
Schwierigkeit  ? 

Simpl.     Gerade   wie   die   leichte   Herstellbarkeit  der  Kugel  durch 
rnregeimiirsigeihre   absolutc   Einfachheit   und   Gleichförmigkeit   bedingt   wird,    so  er- 
i.erzu^teiien.^schwert   die   aufserordentliche   Unregelmäfsigkeit  der    übrigen   Figuren 
ihre  Anfertigung  imgemein. 

Sagr.    Da  also  die  Unregelmäfsigkeit  die  Schwierigkeit  verursacht, 
wird   auch  die  Gestalt  eines   mit  dem  Hammer  aufs   Geratewohl  zer- 
schlagenen Steines  zu  den  schwer  herstellbaren  gehören;   demi   sie  ist 
vielleicht  noch  unregelmäfsiger  als  die  eiiffes  Pferdes,  nicht  wahr? 
Simpl.     Allerdings  mufs  das  der  Fall  sein. 

Sagr.  Aber  sagt  mir:  die  Gestalt,  die  der  Stein  hat,  mag  sie 
sein,  wie  sie  will,  hat  er  in  höchster  Vollkommenheit,  oder  nicht? 


[231.  232.]  Zweiter  Tag.  223 

Simpl.  Diejenige,  welche  er  liat,  hat  er  in  solcher  Vollkommen- 
heit, (lafs  keine  andere  ihr  an  Genauigkeit  gleichkommt. 

Sagr.  Wenn  also  von  den  unregelmäfsigen,  mithin  schwer  her- 
stellbaren Gestalten,  dennoch  unendHch  viele  mit  höchster  Vollkommen- 
heit erhalten  werden  können,  welche  Veranlassung  hat  mau  dann  zu 
sagen,  dafs  die  einfachste,  und  folglich  leichteste  von  allen,  unmöglich 
vorhanden  sein  kann? 

Salv.  Ohne  den  Herren  zu  nahe  treten  zu  wollen,  ich  glaube, 
wir  führen  einen  Streit  um  des  Kaisers  Bart.  Während  wir  unsere 
Erwägungen  über  ernste  und  bedeutende  Fragen  fortsetzen  sollten, 
verschwenden  wir  die  Zeit  mit  nichtigem  Gezänk  über  völlig  uner- 
hebliche Dinge.  Seien  wir,  bitte,  eingedenk,  dafs  die  Frage  nach  Frage  nach 
dem  Bau   des  Weltalls   zu   den   gröfsten   mid   vornehmsten  Problemen  weitaiis  eiues 

_  .  ,  der  vornehmsten 

der  Naturwissenschaften  zählt,  umsomehr  als  sie  zur  Lösung  eines  Probleme. 
anderen  führt,  nämlich  zur  Erklärung  von  Ebbe  und  Flut,  die  seither 
von  allen  grofsen  Männern  versucht  imd  vielleicht  von  keinem  ge- 
funden worden  ist.^^)  —  Wenn  also  nichts  mehr  vorzubringen  ist  be- 
treffs der  völligen  Erledigung  des  Einwandes,  der  von  der  Rotation 
der  Erde  hergenommen  ist  —  es  war  dies  das  letzte  Argument  für 
die  Unmöglichkeit  der  Drehung  der  Erde  um  ihren  Mittelpunkt  — 
so  können  wir  nunmehr  zur  Prüfung  der  Gründe  für  und  wider  die 
jährliche  Bewegmig  übergehen. 

Sagr.  Ich  möchte  nicht,  Signore  Salviati,  dafs  Ihr  unseres  gleichen 
nach  dem  Mafsstab  Eueres  Geistes  beurteiltet.  Ihr,  der  Ihr  Euch  nur 
mit  den  höchsten  Fragen  zu  beschäftigen  pflegi,  haltet  für  nichtig 
und  trivial,  was  unserem  Geiste  als  angemessene  Nahrung  erscheint. 
Verschmäht  es  also  uns  zu  liebe  nicht,  bisweilen  zur  Befriedigung 
unserer  Neugierde  Euch  ein  wenig  herabzulassen.  —  Was  sodann  die 
Erledigung  des  letzten  Einwandes  betrifft,  der  sich  auf  das  Fort- 
schleudern infolge  der  täglichen  Rotation  bezog,  so  hätte  es  für  mich 
gar  nicht  alles  dessen  bedurft,  was  vorgebracht  wurde.  Gleichwohl 
ist  mir  das,  was  zum  Überflusse  zur  Sprache  kam,  so  merkwürdig 
vorgekommen,  dafs  es  nicht  nur  nicht  meinen  Geist  ermüdete, 
sondern  ihn  durch  den  Reiz  der  Neuheit  derart  fesselte,  wie  ich  es 
mir  nicht  angenehmer  wünschen  könnte.  Wenn  Ihr  also  sonst  noch 
eine  Untersuchung  hinzuzufügen  habt,  bringt  sie  nur  vor,  da  ich  für 
mein  Teil  gerne  davon  Kenntnis  nehmen  werde. 

Salv.  Ich  habe  stets  an  den  von  mir  selbst  gemachten  Ent- 
deckungen die  gröfste  Freude  gehabt;  nächst  diesem  hauptsächlichen 
Vergnügen  aber  ist  mir  das  Angenehmste,  sie  einem  Freunde  mitzu- 
teilen,  der  dafür  Verständnis   hat  und  Gefallen   daran  findet.     Da  Ihr 


224  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [232.  233.] 

nun  zu  diesen  gehört,  so  lasse  ich  meinem  Ehrgeiz  ein  wenig  die 
Zügel  schiefsen;  dieser  erbaut  sich  innerlich  daran,  wenn  ich  mich 
scharfsinniger  erweise  als  andere  Leute,  die  ihres  Scharfblicks  wegen 
berühmt  sind.^*)  So  will  ich  denn  als  Krönung  der  stattgehabten 
Erörterung,  als  Extrazugabe,  einen  anderen  Fehler  der  Anhänger  des 
Ptolemäus  und  des  Aristoteles  zur  Sprache  bringen,  welchen  sie  sich 
bei  dem  schon  besprochenen  Argumente  zu  schulden  kommen  lassen.  ^^) 

Sagr.     Seht,  wie  ich  lüstern  darauf  warte  ihn  zu  vernehmen. 

Salv.  Wir  haben  es  bis  jetzt  als  unumstöfsliche  Thatsache  hin- 
genommen und  dem  Ptolemäus  eingeräumt,  dafs  die  auf  den  Stein 
wirkende  Schleuderkraft,  welche  durch  die  Geschwindigkeit  des  um 
seinen  Mittelpunkt  sich  drehenden  Rades  erzeugt  wird,  in  demselben 
Mafse  wächst,  wie  die  Drehungsgeschwindigkeit  zunimmt.  Daraus 
ergab  sich,  weil  die  Geschwindigkeit  der  Erdrotation  bei  weitem  gröfser 
ist  als  die  jeder  künstlich  in  Bewegung  versetzten  Maschine,  dafs 
das  Fortschleudern  der  Steine  und  Tiere  u.  s.  w.  demnach  mit  gröfster 
Heftigkeit  erfolgen  müsse.  Nun  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dafs 
bei  dieser  Schlufsweise  ein  grober  Fehler  unterläuft,  sobald  wir  unter- 
schiedslos und  ohne  weiteres  die  Geschwindigkeiten  mit  einander  ver- 
gleichen. Wemi  ich  freilich  die  Geschwindigkeiten  desselben  Rades 
oder  zweier  einander  gleichen  Räder  in  Vergleich  stelle,  dann  wird 
allerdings  das  schneller  bewegte  die  Steine  mit  gröfserer  Kraft  fort- 
schleudern und  mit  wachsender  Geschwindigkeit  wird  in  demselben 
Die  Schleuder-  Verhältnis   die  Schleuderkraft   wachsen.   —  Man   vergröfsere   nun   aber 

kraft  wächst        .  .... 

nicht  im  ver-  die  Geschwindigkeit  nicht  durch  vermehrte  Umdrehungsgeschwindigkeit 

hältuis  der  °  ö    O  » 

durch  vergröfse-des  Radcs  scllist,  wclchcs  dadurch  geschähe,  dafs  man  die  Anzahl  der 

rimg  des  Kades  /  .  .    . 

hedingten     Umdrehungen    innerhalb    gleicher    Zeitintervalle    vermehrte,     sondern 

grufseren  Ge-  '^  '^  ' 

schwindigkeit.  durch  Vcrgröfscrung  des  Durchmessers,  durch  Herstellung  eines 
gröfseren  Rades,  wobei  die  Dauer  einer  Umdrehung  bei  dem  kleineu 
wie  bei  dem  grofsen  Rade  die  nämliche  bleiben  soll;  bei  dem  grofsen 
Rade  würde  dann  die  gröfsere  Geschwindigkeit  nur  durch  seinen 
gröfseren  Umfang  bedingt  sein.  Unter  diesen  Umständen  mag  nur 
niemand  glauben,  die  Schleuderkraft  beim  grofsen  Rade  wüchse  im 
Verhältnis  der  Geschwindigkeit  seines  Umfanges  zu  der  Geschwindig- 
keit des  Umfanges  des  kleineren  Rades.  Dies  nämlich  ist  durchaus 
falsch,  wovon  uns  einstweilen  ein  höchst  einfaches  Experiment  einen 
rohen  Beweis  liefern  mag.  Demi  wir  werden  einen  Stein,  den  wir 
mit  einem  ellenlangen  Rohre  schleudern  können,  mit  einem  sechs 
Ellen  langen  nicht  zu  schleudern  imstande  sein,  mag  auch  das  Ende 
des  langen  Rohres,  also  auch  der  darin  eingeklemmte  Stein,  sich 
doppelt   so   schnell   bewegen   als   die  Spitze   des   kürzeren   Rohres:   ein 


[233.  234.]  Zweiter  Tag.  225 

Fall,  der  eintreten  wird,  wenn  die  GescliAvindigkeiten  so  geregelt  sind, 
dafs  in  der  Zeit,  wo  das  gröfsere  Rohr  eine  ganze  Umdreliimg  macbt, 
das  kleinere  deren  drei  ausfülirt. 

Sagr.  Was  Ihr  da  sagt,  Signore  Salviati,  mufs  allerdings  ein- 
treten, ich  sehe  es  ein.  Aber  ich  kann  im  Augenblicke  nicht  so  rasch 
übersehen,  warum  gleiche  Geschwindigkeiten  nicht  die  gleiche  Wirkung 
beim  Fortschleudern  der  Körper  üben,  sondern  die  des  kleineren  Rades 
eine  lebhaftere  als  die  des  gröfseren  Rades.  Ich  bitte  Euch  daher^  mir 
zu  erklären,  wie  die  Sache  zugeht. 

Simpl.  Diesmal,  Signore  Sagredo,  erkenne  ich  Euch  nicht  wieder; 
sonst  pflegt  Ihr  im  Augenblicke  alles  zu  durchschauen  und  jetzt  lafst 
Ihr  bei  dem  Versuch  mit  den  beiden  Rohren  einen  Fehler  durch- 
schlüpfen, den  ich  habe  durchschauen  können  Er  rührt  von  der  ver- 
schiedenen Wirkungsweise  her,  wenn  man  das  Schleudern  einmal  mit 
dem  kurzen  und  einmal  mit  dem  langen  Rohre  ausführt.  Damit 
nämlich  der  Stein  die  Kerbe  verlasse,  darf  man  nicht  seine  Bewegung 
gleichmäfsig  fortsetzen,  sondern  mufs  in  dem  Augenblicke,  wo  sie  am 
schnellsten  ist,  den  Arm  einhalten  und  die  Geschwindigkeit  des  Rohres 
hemmen.  Infolge  davon  macht  der  Stein,  der  eben  in  schnellster  Be- 
wegung begriffen  ist,  sich  los  und  bewegt  sich  mit  Wucht  weiter.  Eine 
solche  Hemmung  läfst  sich  bei  dem  gröfseren  Rohre  nicht  vornehmen, 
welches  seiner  Länge  und  Biegsamkeit  wegen  der  Lenkung  des  Armes 
nicht  völlig  gehorcht.  Es  folgt  vielmehr  dem  Steine  noch  ein  Stück 
Wegs,  hält  ihn  also  mit  sanftem  Zügelzug  an  sich  und  läfst  ilm  nicht 
davon  fliegen,  wie  wemi  es  auf  ein  hartes  Hindernis  gestofsen  wäre. 
Wemi  beide  Rohre  auf  ein  Hemmnis  stiefsen,  welches  sie  zum  Stille- 
stehen brächte,  so  glaube  ich,  der  Stein  würde  in  dem  einen  wie  in 
dem  anderen  Falle  fortfliegen,  auch  wenn  die  Bewegungen  gleich  schnell 
sein  sollten. 

Sagr.  Mit  Signore  Salviatis  Erlaubnis  will  ich  dem  Signore 
Simplicio  einiges  erwidern,  da  er  sich  an  mich  gewandt  hat.  Ich  be- 
haupte, dafs  in  dem,  was  er  sagte,  Gutes  mid  Schlechtes  enthalten  ist: 
Gutes,  weil  fast  alles  wahr  ist.  Schlechtes,  insofern  es  nicht  im  ge- 
ringsten für  unseren  Gegenstand  von  Belang  ist.  Es  ist  sehr  richtig, 
dafs  die  Steine,  weim  der  Gegenstand,  der  sie  rasch  dahinträgt,  auf 
ein  unbewegliches  Hindernis  stöfst,  mit  Wucht  vorwärts  fliegen.  Es 
ist  das  dieselbe  Erscheinung,  welche  man  alltäglich  bei  einem  Boote 
beobachten  kami-,  sobald  ein  solches,  in  schneller  Fahrt  begriffen,  auf- 
läuft oder  auf  irgend  welches  Hindernis  stöfst,  so  verlieren  plötzlich 
alle  darin  Befindlichen  das  Gleichgewicht,  wenn  sie  unvermutet  davon 
betroffen  werden,  und  fallen  nach  der   l\ic'htung,  in  wehlier  das  Fahr- 

G&MLEi,  Weltsysteme.  15 


226  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [234.  235,] 

Die  tägliche    zeug  fulir.     Weiiii  der  Erdball  eiu  äkiiliches  Hindernis  anträfe,  welches 

gegeben, würdenganz  uud  gar   Seiner  Dreliung  sich   widersetzte,  und    welches  ihn  zum 

selbst  Berge,   Stillestchen  brächte,  so  würden  allerdings,  glaube  ich,  nicht  nur  Tiere, 

ganze  Krdbaii  Gebäudc  uud  Städte,  sondern  Berge,  Seeen  und  Meere  zerstört  werden, 

wenn  er  piütz-  weuu  uicht  gar  der  Erdball  selbst  zersplitterte.     Aber  nichts  von  alle 

Hindernis  zum  deui  hat  uiit  unsercm  Gegenstande  etwas  zu  thun;  wir  sprechen  ja  von 

würde.       dem,  was  eintreten  kann  bei  einer  gleichmäfsigen,   ungestörten,   wenn 

auch   sehr   schnellen   Drehung   der  Erde   um    sich    selbst.      Auch    das, 

was   Ihr    von    den    beiden    Rohren    sagt,    ist  •  teilweise    richtig.     Aber 

Signore  Salviati  wollte  damit  auch  kein  Beispiel  geben,  welches  ganz 

dem  Gegenstande  entspräche,   den  wir  behandeln,   er  wollte   nur  ganz 

von  ungefähr  unsere  Aufmerksamkeit  darauf  lenken,  dafs  es  einer  sorg- 

*  fältigen  Prüfung  bedarf,  ob  die  Schleuderkraft  bei  irgendwie  wachsender 

Geschwindigkeit  in  demselben  Verhältnis  wächst.     Wenn  z.  B.  ein  Rad 

von   zehn  Ellen    Durchmesser   sich   so   bewegt,   dafs   ein   Punkt   seiner 

Peripherie   in   einer   Zeitminute   hundert   Ellen   zurücklegt   und   darum 

Schwungkraft    genug    hat,    einen   Stein   fortzuschleudern,    so    fragt    es 

sich,  ob  diese  Kraft  hunderttausendmal  so  grofs  wird  bei  einem  Rade, 

welches  einen  Durchmesser  von  einer  Million  Ellen  besitzt.    Dies  stellt 

Signore  Salviati  in  Abrede  und  ich  neige   derselben  Ansicht  zu,   ohne 

sie  indessen  begründen  zu  können.     Eben  darum  habe  ich  ihn  gebeten, 

dies  zu  thun  und  bin  sehr  gespannt,  die  Erklärung  zu  hören. 

Salv.  Ich  bin  bereit  Eueren  Wunsch  zu  erfüllen,  soweit  es  in 
meinen  Kräften  steht.  Und  obgleich  Eucli  vielleicht  bei  meinen  ersten 
Worten  scheint,  als  beschäftigte  ich  mich  mit  nicht  hierher  gehörigen 
Dingen,  so  glaube  ich  doch,  wir  werden  beim  Fortgange  der  Unter- 
suchung finden,  dafs  dem  nicht  so  ist."^^)  Darum  sagt  mir,  Signore 
Sagredo:  worin  besteht  nach  Eueren  Beobachtungen  der  Widerstand, 
den  irgend  ein  Körper  der  Bewegung  entgegensetzt? 

Sagr.  Soviel  ich  einstweilen  sehe,  setzt  ein  Körper  der  Bewegung 
nur  dann  imieren  Widerstand  entgegen,  weim  er  einen  natürlichen 
Hang  und  Trieb  zu  der  entgegengesetzten  Bewegung  hat;  so  leisteu 
die  schweren  Körper,  welche  einen  Trieb  zur  Abwärtsbewegung  be- 
sitzen, Widerstand  gegen  eine  Bewegung  nach  oben.  Inneren 
Widerstand,  habe  ich  gesagt,  demi  diesen  meint  Ihr  vermutlich  und 
nicht  etwa  die  äufseren  Widerstände,  die  zufällig  und  sehr  verschieden- 
artig sein  können. 

Salv.  Das  habe  ich  sagen  wollen.  Euer  Scharfsiim  hat  meiner 
Umsicht  den  Rang  abgelaufen.  Wenn  ich  aber  einerseits  meine  Frage 
zu  knapp  bemessen  habe,  so  zweifle  ich  dagegen  auch,  dafs  Signore 
Sagredo   mit  seiner  Antwort  völlig  das   Richtige    getroffen    hat.     Ich 


[235.  236.]  Zweiter  Tag.  227 

glaube,  dem  Körper  wohnt,  abgesehen  von  dem  natürlichen  Triebe 
nach  der  entgegengesetzten  Richtung,  eine  andere  gleichfalls  innerliche 
und  natürliche  Eigenschaft  iime,  die  ihn  der  Bewegung  sich  wider- 
setzen läfst.  Ich  frage  darum  noch  einmal:  glaubt  Ihr  nicht,  die 
Neigung  der  schweren  Körper  sich  abwärts  zu  bewegen  sei  ebenso  ner  Trieb 
grofs  wie  der  Widerstand  derselbigen  Körper  gegen  eine  aufwärts  ge-  z"r  Bewegung 
richtete  Bewegung?  gleich  dem 

Sagr,     Allerdings    sind    sie    meiner  Meinung   nach   genau   gleich,  gegen  die  Be- 
Darum  sieht  man  auch  bei  der  Wage  zwei  gleichschwere  Körper  ruhig        oben. 
im  Gleichgewicht  bleiben,  da  die  Schwere  des  einen  Widerstand  leistet 
gegen    das    Emporschnellen    vermöge    der    Schwere,    mit    welcher    das 
andere  Gewicht  nach  unten  drückt  und  jenes  heben  möchte. 

Salv.  Sehr  gut!  Damit  demnach  eines  das  andere  hebe,  müfste 
das  nach  unten  drückende  an  Gewicht  zu-,  oder  das  andere  daran  ab- 
nehmen. Wenn  aber  in  dem  Gewichte  allein  die  Ursache  des  Wider- 
stands gegen  die  Bewegung  nach  oben  zu  suchen  ist,  woher  rührt  es 
dami,  dafs  bei  der  Wage  mit  ungleichen  Armen,  nämlich  bei  der 
Schnellwage,  bisweilen  ein  Gewicht  von  hundert  Pfund  trotz  seines 
Druckes  nach  unten  nicht  ausreicht,  um  eines  von  vier  Pfund,  das 
ihm  entgegenwirkt,  zu  heben,  ja  dafs  sich  sogar  jenes  von  vier  Pfund 
senken  und  infolge  dessen  das  von  hundert  Pfmid  in  die  Höhe  steigen 
kann?  Diese  Wirkung  übt  nämlich  das  Laufgewicht,  welches  als 
Gegengewicht  für  den  zu  wägenden  schweren  Körper  dient.  Wenn  der 
Widerstand  gegen  die  Bewegung  nur  auf  der  Schwere  beruht,  wieso 
kami  dami  das  vier  Pfund  schwere  Laufgewicht  dem  Gewichte  eines 
Ballens  Wolle  oder  Seide  von  achthundert  oder  tausend  Pfund  Wider- 
stand leisten,  ja  durch  sein  Moment  den  Ballen  besiegen  und  ihn 
heben?  Mau  kami  nicht  umhin,  Signore  Sagredo,  zu  sagen,  dafs  man 
es  hier  noch  mit  einem  anderen  Widerstände,  einer  anderen  Kraft  zu 
thun  hat,  als  blofs  mit  der  Schwere. 

Sagr.  Allerdings  mufs  das  so  sein;  so  nennt  mir  demi  jene 
zweite  Eigenschaft. 

Salv.  Es  ist  der  Umstand,  der  bei  der  gleicharmigen  Wage  fehlt. 
Bedenkt,  welcher  neue  Faktor  bei  der  Schnell  wage  eine  Rolle  spielt; 
ihm  mufs  notwendig  die  Ursache  der  neuen  Erscheinung  zugeschrieben 
werden. 

Sagr.  Ich  glaube.  Euer  Fragen  hat  mich  auch  auf  einen  Einfall  ge- 
bracht. Bei  beiden  Apparaten  hat  man  es  mit  einem  Gewichte  und 
einer  Bewegung  zu  thun.  Bei  der  gewöhnlichen  Wage  sind  die  Be- 
wegungen gleich,  und  aus  diesem  Grunde  mufs  das  eine  Gewicht  das 
andere  au  Schwere   übertreffen,  um  es   in  Bewegung   zu  setzen.      Bei 

15* 


228  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [236.  237.] 

der  Sclinellwage  hingegen  wird  das  kleinere  Gewiclit  das  gröfsere  nur 
dann  bewegen^  wenn  letzteres  infolge  seiner  geringen  Entfernung  vom 
Drelij)unkt  sich  nur  wenig  bewegt^  während  ersteres  wegen  seiner 
gröfseren  Entfernung  vom  Drehpunkt  sich  stark  bewegt.  Man  kommt 
also  zu  dem  Ergebnis,  dafs  das  kleinere  Gewicht  den  Widerstand  des 
gröfseren  dadurch  besiegt,  dafs  es  sich  bedeutend,  das  andere  hingegen 
nur  unbedeutend  bewegt. 

Salv.  Das  heifst  also:  die  Geschwindigkeit  des  weniger  schweren 
Körjiers  kompensiert  das  Gewicht  des  schwereren,  aber  langsameren 
Körpers. 

Sagr.     Meint  Ihr   aber,    die   Geschwindigkeit    könne    den  Maugel 

der  Schwere  völlig  ausgleichen?     Ist  also  das  Moment  und  die  Kraft 

Die  gröfsere  eiucs    Körpers    von    beispielsweise    vier    Pfund   Gewicht    ebenso    grofs 

Geschwindigkeit      ...  ,  .  .        . 

kompensiert   wie  dic  cincs  hundert  Pfund  schweren,  sobald  jener  eine  Geschwindig- 
gröfsereschwere.keit  von  hundert  Grad,  dieser  eine  solche  von  vier  Grad  besitzt?'*'') 

Salv.  Ganz  gewifs;  ich  könnte  Euch  das  mittels  vielfältiger  Ver- 
suche nachweisen,  einstweilen  aber  mag  die  Bestätigung,  welche  die 
Schnellwage  an  die  Hand  giebt,  ausreichen.  Bei  ihr  könnt  Ihr  beob- 
achten, wie  das  leichte  Laufgewicht  dem  sehr  schweren  Ballen  zu 
widerstehen  und  das  Gleichgewicht  zu  halten  vermag,  sobald  sein  Ab- 
stand vom  Stütz-  und  Drehpunkt  der  Schnellwage  den  Arm,  an 
welchem  der  Ballen  wirkt,  sovielmal  an  Gröfse  übertrifft,  wie  das 
absolute  Gewicht  des  Ballens  gröfser  ist  als  das  des  Laufgewichts. 
Diese  Unfähigkeit  des  grofsen  Ballens  vermöge  seines  Gewichtes  das 
soviel  leichtere  Laufgewicht  zu  heben,  kann  nur  in  dem  Unterschied 
der  Bewegungen  begründet  sein,  welche  beide  eventuell  auszuführen 
hätten.  Denn  unter  der  Annahme,  dafs  der  Ballen  hundertmal  schwerer 
ist  als  das  Laufgewicht  imd  dafs  die  Entfernung  des  Laufgewichtes 
vom  Drehpunkt  der  Schnellwage  hundertmal  so  grofs  ist  als  die  Ent- 
fernung des  Aufhängungspunktes  vom  Drehpunkt,  würde  ein  Sinken 
des  Ballens  um  einen  Zoll  das  Laufgewicht  hundert  Zoll  hoch  heben. 
Wenn  nun  aber  das  Laufgewicht  um  eine  Strecke  von  hundert  Zoll 
sich  hebt  in  der  nämlichen  Zeit,  wo  der  Ballen  sich  einen  Zoll  tief 
senkt,  so  heifst  das  mit  anderen  Worten:  die  Geschwindigkeit  des  sich 
bewegenden  Laufgewichtes  ist  hundertmal  so  grofs  als  die  Geschwin- 
digkeit des  in  Bewegung  begriffenen  Ballens.  Prägt  es  nun  Euerem 
Geiste  als  unumstöfslich  richtigen  Grundsatz  ein:  der  von  der  Ge- 
schwindigkeit der  Bewegung  herrührende  Widerstand  kompensiert  den 
durch  das  Gewicht  eines  anderen  Körpers  bedingten.  Es  ist  folglich 
ebenso  schwer  einem  Körper  von  einem  Pfund  Gewicht  Einhalt  zu 
thun,  wenn  er  sich  mit  einer  Geschwindigkeit  von  hundert  Grad  bewegt, 


[237.  238.]  Zweiter  Tag.  229 

als  einem  Körper  von  hundert  Pfund,  der  sich  mit  einer  Geschwindig- 
keit von  einem  Grade  bewegt.  Ferner  werden  zwei  gleiche  Körper 
allerdings  mit  gleichem  Widerstreben  sich  bewegen  lassen,  weim  sie 
in  gleich  schnelle  Bewegung  versetzt  werden  sollen;  wenn  der  eine 
aber  schneller  als  der  andere  bewegt  werden  soll,  so  wird  er  gröfseren 
Widerstand  leisten,  entsprechend  dem  Mehrbetrag  der  Geschwindigkeit, 
die  ihm  mitgeteilt  werden  soll.  —  Nach  diesen  Feststellungen  kommen 
wir  zu  der  Behandlung  unseres  eigentlichen  Problems.  Behufs  leichteren 
Verständnisses  entwerfen  wir  eine  kleine 
Zeichnung.  Um  das  Centrum  Ä  mögen  sich 
zwei  ungleiche  Räder  drehen.  Die  Peripherie 
des  kleineren  sei  B  G,  die  des  gröfseren  CEH-f 
der  Radius  ABC  sei  lotrecht,  und  durch  die 
Punkte  B,  C  seien  die  Tangenten  BF,  CD 
gezogen.  Sodaim  seien  auf  den  Bogen  BG, 
CE  die  beiden  Stücke  B  G  und  CE  von 
gleicher  Länge.  Angenommen  nun,  die  beiden 
Räder  bewegten  sich  um  ihren  Mittelpunkt 
mit  gleichen  Geschwindigkeiten  derart,  dafs 
zwei  Körper,  etwa  zwei  in  B  und  C  befind- 
liche Steine,  längs  der  Peripherieeu  BG  mid 
CE  mit   gleichen  Geschwindigkeiten  fortge-  ^^^ 

führt  werden;  es  würde  dann  also  in  derselben  Zeit,  in  welcher  der 
Stein  B  den  Bogen  B  G  durchläuft,  der  Stein  C  den  Bogen  C  E 
zurücklegen.  Ich  behaupte  nun,  dafs  die  Rotation  des  kleineren  Rades 
weit  eher  den  Stein  B  fortzuschleudern  vermag,  als  die  Rotation  des 
gröfseren  Rades  den  Stein  C.  Denn  da,  wie  früher  bemerkt,  das 
Fortschleudern  längs  der  Tangeute  erfolgen  mufs,  so  würden  die  Steine 
B  und  C,  sobald  sie  sich  von  dem  Rade  losreifsen  und  von  den 
Punkten  B  und  C  aus  ihre  Schleuderbewegung  beginnen  sollten,  durch 
den  ihnen  vermöge  der  Rotation  mitgeteilten  Antrieb  längs  der  Tan- 
genten B  Fj  CD  weggeschleudert  werden.  Es  ist  also  der  Trieb  der 
beiden  Steine  sich  längs  der  Tangenten  BF  und  CD  zu  bewegen  bei 
beiden  der  gleiche;  sie  würden  diesem  Triebe  auch  Folge  leisten,  wenn 
sie  nicht  durch  irgend  welche  andere  Kraft  abgelenkt  würden.  Oder 
ists  nicht  so,  Signore  Sagredo? 

Sagr.     So  vorhält  sich  die  Sache,  wie  mir  scheint. 

Salv.  Welche  Kraft  aber  ist  es,  nach  Euerer  Meimmg,  welche 
die  Steine  davon  •  zurückhält,  sich  längs  der  Tangente  zu  bewegen, 
wohin  die  Kraft  der  Rotation  sie  doch  in  Wahrheit  treibt'? 

Sagr.     Sie  werden  entweder  durch  die  eigene  Schwere  oder  durch 


230  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [238.  239.] 

irgend  welches  Bindemittel  in  ihrer  Lage  oder  ihrer  Befestigimg  auf 
den  Rädern  zurückgehalten. 

Salv.  Um  aher  einen  Körper  von  einer  Bewegung,  zu  der  er 
einen  Trieb  hat,  zurückzuhalten,  bedarf  es  doch  gröfserer  oder  ge- 
ringerer Kraft,  je  nachdem  die  Ablenkimg  eine  gröfsere  oder  kleinere 
sein  soll,  d.  h.  je  nachdem  er  bei  der  Ablenkung  in  der  nämlichen 
Zeit  eine  gröfsere  oder  geringere  Strecke  zurückzulegen  hat,  nicht 
wahr? 

Sagr.  Ja,  denn  es  wurde  schon  oben  bewiesen,  dafs  es  zur  Be- 
wegung eines  Körpers  eines  um  so  stärkeren  bewegenden  Faktors  be- 
darf, mit  je  gröfserer  Geschwindigkeit  er  bewegt  werden  soll. 

Salv.  Nun  erwägt,  dafs,  um  den  Stein  beim  kleineren  Rade  von 
der  Schleuderbewegung  abzulenken,  die  längs  BF  erfolgen  würde, 
und  um  ihn  am  Rade  festzuhalten,  die  eigene  Schwere  ihn  ablenken 
mufs  und  zwar  um  die  Länge  der  Sekante  FG  oder  des  Perpendikels 
von  G  auf  die  Linie  BF.  Hingegen  braucht  die  Ablenkung  bei  dem 
gröfseren  Rade  nicht  mehr  zu  betragen  als  die  Länge  der  Sekante  DE 
oder  des  Perpendikels  von  E  auf  die  Tangente  CD;  diese  letztere  ist 
aber  viel  geringer  als  im  vorigen  Fall  und  wird  immer  geringer  und 
geringer,  je  gröfser  das  Rad  wird.  Da  mm  diese  Ablenkungen  in 
gleichen  Zeiten  zu  erfolgen  haben,  nämlich  während  der  Zeiten,  wo 
die  beiden  gleichen  Bogen  B  G,  C  E  zurückgelegt  werden,  so  wird  die 
Ablenkung  des  Steines  B,  d.  h.  die  Strecke  FG  schneller  durchlaufen 
werden  müssen  als  die  andere  DE.  Es  wird  also  viel  mehr  Kraft  er- 
forderlich sein,  um  den  Stein  B  an  seinem  kleinen  Rade  als  den  Stein  C 
an  seinem  grofsen  festzuhalten.  Dies  heifst  mit  anderen  Worten:  die 
und  jene  geringfügige  Ursache  hindert  beim  grofsen  Rade  das  Fort- 
schleudern, während  sie  am  kleüieu  nicht  dazu  imstande  sein  wird. 
Es  ist  also  klar:  je  mehr  das  Rad  wächst,  umsomehr  verringert  sich 
die  Schwmigkraft. 

Sagr.  Dank  Euerer  ausführlichen  Zergliederimg  bin  ich  jetzt, 
wie  ich  glaube,  in  den  stand  gesetzt,  eine  meinen  Geist  l)efriedigende 
Darstellung  in  ganz  kurzen  Worten  zu  geben.  Vermöge  der  gleichen 
Geschwindigkeit  der  zwei  Räder  nämlich  wird  beiden  Steinen  gleicher 
Antrieb  eingeflöfst  längs  der  Tangenten  sich  zu  bewegen.  Die  Peri- 
pherie des  grofsen  Kreises  aber,  die  sich  nur  wenig  von  der  Tangente 
entfernt,  giebt  gewissermafsen  nach  und  lenkt  mit  sanftem  Zügelzug 
den  Instinkt  des  Steines,  wenn  ich  so  sagen  darf,  welcher  sich  von 
der  Peripherie  loszureifsen  strebt.  Daher  wird  jede  kleine  Gegen- 
wirkung, mag  sie  aus  eigenem  Antrieb  hervorgehen  oder  in  einem 
künstlichen  Bindemittel  bestehen,   gentigen  ihn  darauf  zurückzuhalten. 


[239.  240.]  Zweiter  Tag.  231 

Eine  derartige  Gegenwirkung  ist  aber  uiclit  imstande  am  kleineu  Rade 
das  uämliche  zu  leisten;  denn  dieses  folgt  nur  wenig  der  Richtung 
der  Tangente  und  sucht  allzu  eigenwillig  den  Stein  bei  sich  zu  be- 
halten. Wenn  nun  der  Zügel  oder  das  Bindemittel  nicht  stärker  ist 
als  dasjenige,  welches  den  anderen  Stein  mit  dem  gröfseren  Rade  zu- 
sammenhielt, so  entwindet  sich  der  Zaum  den  Händen  imd  der  Stein 
entfernt  sich  auf  der  Tangente.  Ich  sehe  daher  jetzt  nicht  nur  ein, 
dafs  alle  die  geirrt  haben,  welche  glaubten,  die  Schwungkraft  wüchse 
in  demselben  Verhältnis  wie  die  Geschwindigkeit  der  Rotation,  sondern 
ich  überlege  noch  weiter  so.  Da  die  Schwungkraft  bei  Zunahme  des 
Rades  abnimmt,  sobald  die  Räder  dieselbe  Geschwindigkeit  beibehalten, 
so  dürfte  vielleicht  der  folgende  Satz  richtig  sein:  damit  das  grofse 
Rad  ebensolche  Schleuderkraft  entfalte,  wie  das  kleine,  mufs  es  so 
sehr  an  Geschwindigkeit  zunehmen,  wie  es  an  Durchmesser  wächst. 
Dies  würde  eintreten,  wenn  die  ganzen  Umdrehungen  in  beiden  Fällen 
gleiche  Zeiten  beanspruchten.  Daher  darf  man  wohl  annehmen,  dafs 
durch  die  Rotation  der  Erde  ein  Stein  ebensowenig  weggeschleudert 
werden  kann,  wie  durch  ein  beliebig  kleines  Rad,  welches  sich  der- 
mafsen  langsam  dreht,  dafs  es  in  vierundzwanzig  eine  einzige  Um- 
drehung ausführt. 

Salv.  Ich  möchte  vorläufig  dieses  nicht  näher  untersuchen.  Es 
ist  genug,  dafs  wir,  wenn  ich  mich  nicht  täusche,  die  Belanglosigkeit 
des  Arguments  nachgewiesen  haben,  welches  beim  ersten  Blick  aufser- 
ordentlich  schlagend  schien  und  von  den  bedeutendsten  Mäimern  als 
solches  anerkannt  wurde.  Ich  will  Zeit  und  Worte  nicht  für  verloren 
erachten,  wenn  es  mir  gelungen  ist,  auch  in  den  Augen  des  Signore 
Simplicio  die  Lehre  von  der  Bewegmig  der  Erde,  ich  will  nicht  sagen, 
wahrscheinlich  erscheinen  zu  lassen,  aber  doch  als  glaubhaft  darzuthim, 
dafs  die  Meinung  der  Anhänger  des  Kopernikus  nicht  so  lächerlich 
und  thöricht  sei,  wie  der  grofse  Haufe  der  gewöhnhchen  Gelehrten 
amiimmt. 

Simpl.  Die  bisher  angeführten  Widerlegungen  der  Einwände 
gegen  die  tägliche  Drehung  der  Erde,  welche  sich  bezogen  auf  den 
Fall  der  schweren  Körper  von  der  Spitze  eines  Turmes,  auf  die  Wurf- 
bewegung lotrecht  nach  oben  oder  nach  irgendwelcher  seitlichen  Rich- 
tung, östlich,  westlich,  südlich  oder  nördlich  u.  s.  w.  haben  mir  den 
eingewurzelten  Unglauben  gegen  besagte  Lehre  teilweise  verringert. 
Aber  andere  schAvererc  Bedenken  tauchen  jetzt  in  meinem  Geiste  auf. 
Von  diesen  weifs  ich  mich  luibedingt  nicht  zu  befreien;  ich  glaube, 
Ihr  selbst  werdet  Euch  ihrer  nicht  entschlagen  köimen.  Vielleicht 
auch    sind    sie  Euch  gar  nicht  zu  Ohren    gekommen,    weil   sie    noch 


232  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [240.  241.] 

ganz  neuen  Datums  sind.     Es  sind  die  Einwendungen  zweier  Autoren, 

welche  ex  professo  gegen  Kopernikus  sclireiben.   Die  einen  sind  enthalten 

Andere  Ein-  j^  einem  „naturwissenschaftlichen  Thesenbüchlein":  die  anderen  rühren 

weudungfn  " 

zweier  moderner^Qj^  ciucm  bedeutenden  Philosophen  her,    der   zugleich  Mathematiker 

Schriftsteller  ^  '  _  " 

8®^<'.^        ist,    und   finden   sich   in   einer  Abhandlung,    worin   er  Aristoteles  vmd 

Kopernikus.  '  _  /  .  . 

dessen  Meinung  betreffs  der  Unveränderlichkeit  des  Himmels  vertei- 
digt.^**) Er  beweist  darin,  dafs  nicht  nur  die  Kometen,  sondern  auch 
die  neuen  Sterne,  nämlich  die  vom  Jahre  72  in  der  Cassiopeja  imd 
der  vom  Jahre  G04  im  Schützen  keineswegs  jenseits  der  Planeten- 
sphäi^e  standen,  sondern  unbedingt  unterhalb  des. Mondes  in  der  ele- 
mentaren Sphäre.  Er  beweist  das  im  Gegensatz  zu  Tycho,  Kepler 
und  vielen  anderen  astronomischen  Beobachtern,  und  zwar  bekämpft 
er  sie  mit  ihren  eigenen  Waffen,  nämlich  mittels  der  Parallaxen. 
Wenn  es  Euch  recht  ist,  werde  ich  die  Gründe  des  einen  und  des 
anderen  vorbringen,  denn  ich  habe  sie  mehr  als  einmal  aufmerksam 
gelesen.  Ihr  könnt  deren  BcAveiskraft  prüfen  und  Euere  Meinimg 
darüber  kundthim. 

Salv.     Dieweil  imser  Hauptzweck  ist,  alles  das  anzuführen  und  zu 
erwägen,  was  für  und  gegen  die  beiden  Systeme,  das  ptolemäische  und 
das  kopernikanische,  vorgebracht  wurde,  so  wird  es  rätlich  sehi,  nichts 
von  dem  zu  übergehen,  was  über  diese  Materie  geschrieben  worden  ist. 
Simpl.     Ich    will    also    mit    denjenigen    Einwänden    den    Anfang 
machen,  welche  in  dem  Theseubüchlein  enthalten  sind,  und  später  zu 
dem  anderen  übergehen.  ^'^)      Erstlich    berechnet    also    der  Autor    mit 
Erster  Einwandgrofsem  Scharfsjunc,  wieviele  Miglien  in  der  Stunde  eüi  Punkt  der  Erd- 
verfassers  des  obcrfläche   uuter   dem  Äquator  zurücklegt,  und  wieviele  Mighen  von 
büchieins".    anderen  Punkten  zurückgelegt  werden,  die  imter  anderer  Breite  liegen. 
Nicht  zufrieden  damit,  die  Beweguugen  in   Zeit   einer   Stunde  zu   er- 
forschen, findet  er  sie  auch  für  die  Zeit  einer  Minute,  imd  auch  damit 
nicht    zufrieden,    macht  er  sie  bis   auf  den  winzigen   Bruchteil    einer 
Sekunde  ausfindig.     Aber  noch  mehr,  es  gelingt  ihm  vollkommen  klar 
Eine  Kanonen-  ZU  beweiseu,  wicvlel  Migüeu  in  diesen  Zeitintervallen  eine  in  die  Mond- 
mehrair's'echs  Sphäre  versctztc  Kanonenkugel  zurücklegen  würde,  indem  er  sogar  die  An- 
chenfumvon  deruahme  macht,  dafs  diese  Sphäre  so  grofs  sei,  wie  es  Kopernikus  selbst 
zum  E^rdmitte^sich  vorstcllt,  um  damit  den  Gegnern  jede  Ausflucht  unmöglich  zu  machen, 
fallen,  nach  An'-Nach  Ausführung  dicscr  ausgesucht  scharf simügen  Rechnung  zeigt  er, 
fassers  de"   dafs  ein  von  dort  oben  herabfallender  schwerer  Körper  noch  mehr  als 
büchieins.    sechs  Tage  gebrauchen  würde,  um  bis  zum  Erdmittelpunkt  zu  gelangen, 
wohin  naturgemäfs   alles  Schwere   strebt.     Wenn  also  durch  göttliche 
Allmacht  oder  durch  ein  Wunder  der  Engel  eine  dicke  Kanonenkugel  dort- 
hinauf  geschafft  würde  und  zwar  an  die  Stelle  lotrecht  über  unserem 


[241.  242.]  Zweiter  Tag.  233 

Scheitel,  und  wenn  man  sie  dort  sich  selbst  überliefse,  so  wäre  es  nach 
seiner  und  meiner  Meinun<>'  völlig'  unglaublich,  dal's  sie  bei  der  Ab- 
wärtsbewegung sich  beständig  in  unserer  Scheitellinie  hielte  und  fort- 
führe während  so  vieler  Tage  sich  mit  der  Erde  um  deren  Mittelpmikt 
zu  drehen,  wobei  sie  unter  dem  Äquator  eine  Spirallinie  in  der  Ebene 
dieses  gröfsten  Kreises  beschrielje,  unter  anderer  Breite  hingegen 
Spirallinien  um  einen  Kegel  und  unter  den  Polen  eine  einfache  gerade 
Linie.  Er  unterstützt  und  bekräftigt  die  Unwahrscheinlichkeit  dieser 
Vorstelhmg  dadurch,  dafs  er  durch  Aufwerfen  von  Fragen  viele 
Schwierigkeiten  vorbringt,  die  unmöglich  von  den  Anhängern  des 
Kopernikus  beseitigt  werden  können.  Wenn  ich  mich  recht  erinnere, 
sind  es  .  .  . 

Salv.  Nur  langsam,  ich  bitte  Euch,  Signore  Simplicio!  Wollet 
mich  nicht  durch  soviel  Neues  gleich  auf  einmal  vernichten.  Mein 
Gedächtnis  ist  schwach  und  ich  mufs  daher  Schritt  für  Schritt  gehen. 
Es  fällt  mir  ein,  dafs  ich  auch  schon  habe  berechnen  wollen,  nach 
welcher  Zeit  ein  solcher  von  der  Mondsphäre  herabfallender  Stein  im 
Erdmittelpimkte  ankommen  würde,  und  ich  glaube  mich  zu  erinnern, 
dafs  es  nicht  so  lauger  Zeit  bedarf  Es  wird  daher  gut  sein,  wenn 
Ihr  ims  mitteilt,  welches  Verfahren  der  Autor  l)ei  seiner  Rechnung 
eingeschlagen  hat. 

Simpl.  Er  hat  es,  um  seine  Behauptung  a  fortiori  zu  erweisen, 
für  den  gegnerischen  Standpunkt  sehr  günstig  gestaltet,  indem  er  von 
der  Annahme  ausgeht,  dafs  die  Geschwindigkeit  des  längs  der  Vertikal- 
linie nach  dem  Erdmittelpunkte  fallenden  Körpers  gleich  sei  der  Ge- 
schwindigkeit seiner  Kreisbewegung  im  gröfsten  Kreise  der  Mond- 
sphäre. Auf  dieser  rechnerischen  Grmidlage  würde  er  in  einer  Stmide 
zwölftausendsechshundert  deutsche  Meilen'''^)  zurücklegen,  eine  Annahme, 
die  geradezu  unmöglich  ist.  Gleichwohl  um  mit  mehr  Vorsicht  zu 
Werke  zu  gehen,  als  eigentlich  nötig,  imd  um  dem  Gegner  alle  Vor- 
teile einzuräumen,  setzt  er  sie  als  richtig  voraus  und  folgert  dann 
daraus,  die  Dauer  des  Falles  müsse  imbedingt  mehr  als  sechs  Tage 
betragen. 

Salv.  Und  das  ist  sein  ganzer  Beweis?  Und  damit  will  er  dar- 
thun,  die  Zeit  jenes  Falles  betrage  mehr  als  sechs  Tage? 

Sagr.  Mir  scheint,  er  hat  sich  imgemein  entgegenkommend  be- 
wiesen; denn  wiewohl  es  in  seiner  Macht  lag,  dem  fallenden  Körper  jede 
beliebige  Geschwindigkeit  zu  verleihen  und  ihn  folglich  nach  sechs 
Monaten  oder  auch  nach  sechs  Jahren  zur  Erde  gelangen  zu  lassen, 
hat  er  sich  mit  sechs  Tagen  begnügt.  Aber  ich  bitte  Euch,  Signore 
Salviati,  stellt  meinen  gestörten  xippetit  wieder  her  und  teilt  mir  mit, 


234  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [242.  243.] 

in  welcher  Weise  Ihr  die  Rechuimg  augestellt  habt,  da  Ihr  sagt,  Ihr 
hättet  sie  schon  einmal  ausgeführt.  Deuu  ich  bm  überzeugt,  dals  Ihr 
Euch  nicht  damit  abgegeben  hättet,  Aväre  nicht  zu  diesem  Zwecke  ein 
sinnreiches  Verfahren  nötig. 

Salv.  Es  ist  nicht  genug,  Signore  Sagredo,  sich  an  ein  wjirdiges 
und  bedeutendes  Problem  zu  machen,  die  Kunst  ist  es  würdig  zu  be- 
handeln. Wer  wüfste  nicht,  dafs  bei  der  Zergliederimg  eines  Tieres 
sich  imzählige  Wunderwerke  der  umsichtigen  und  allweisen  Natur 
entdecken  lassen?  Aber  auf  eines,  das  der  Anatom  zerschneidet, 
kommen  tausend,  die  der  Fleischer  schlachtet.  Wenn  ich  jetzt  Euere 
Bitte  zu  erfüllen  suche,  so  weifs  ich  nicht,  ob  ich  im  Gewände  des 
einen  oder  des  anderen  auf  die  Schaubühne  treten .  werde.  Das  Auf- 
treten des  von  Signore  Simplicio  angeführten  Autors  macht  mir  indessen 
Mut,  und  so  will  ich  denn  nicht  säumen.  Euch  die  Methode  vorzu- 
tragen, die  ich  eingeschlagen  habe,  wenn  ich  mich  ihrer  noch  entsinnen 
kann.  Bevor  ich  indessen  Hand  ans  Werk  lege,  kann  ich  die  Be- 
merkimg nicht  imterdrücken,  dafs  ich  starken  Zweifel  hege,  ob  Signore 
Simplicio  die  Methode  getreu  wiedergegeben  hat,  nach  der  sein  Autor 
die  Dauer  des  Falles  der  Kanonenkugel  von  der  Mondsphäre  bis  zum 
Mittelpunkte  der  Erde  auf  mehr  als  sechs  Tage  berechnet.  Deim 
wenn  er  wirklich  angenommen  haben  sollte,  seine  Geschwindigkeit 
beim  Fallen  sei  gleich  der  der  Mondsphäre,  wie  Signore  Simplicio  ihn 
thatsächlich  annehmen  läfst,  so  würde  er  sich  als  völlig  bar  auch  nur 
der  ersten  und  einfachsten  geometrischen  Kenntnisse  bekennen.  Ja, 
ich  wimdere  mich,  dafs  Signore  Simplicio  selbst,  wenn  er  die  ange- 
führte Voraussetzimg  zugiebt,  die  grenzenlose  darin  enthaltene  Unge- 
heuerlichkeit nicht  bemerken  sollte. 

Simpl.  Dafs  ich  in  der  Wiedergabe  mich  geirrt  haben  sollte,  ist 
wohl  möglich;  einen  Fehlschlufs  aber  darin  zu  entdecken,  wüfste  ich 
sicherlich  nicht. 

Salv.  Vielleicht  habe  ich  nicht  recht  verstanden,  was  Ihr  be- 
richtet habt.  Sagt  Ihr  nicht,  der  Verfasser,  nehme  die  Geschwindigkeit 
der  Kugel  während  des  Falles  gleich  derjenigen  an,  welche  sie  bei  der 
Kreisbewegung  in  der  Mondsi)häre  besafs?  sagt  Ihr  nicht  weiter,  dafs 
sie  infolge  dieser  Geschwindigkeit  in  einer  Zeit  von  sechs  Tagen  sich 
hernieder  zum  Mittelpunkt  begäbe? 

Simpl.     Ich  glaube,  so  schreibt  er. 
ke'if''c?eTAr''u-  ^^^^-     ^^^    ^^   bemerkt   Ihr    nicht    die    ganze  Ungeheuerlichkeit 

"""pau  linei'^"'*^^^^'^*^^'  ßeli^uptimg?     Aber  Ihr   verstellt   Euch   sicherlich.     Unmöglich 
Körpers  aus  der]jami    Euch    imbekannt    sein,    dafs    der    Halbmesser    weniger    als    den 

Mondsphare.  '  » 

sechsten  Teil    der  Peripherie  beträgt    und    dafs    folglich  die  Zeit,    in 


[243.  244.]  Zweiter  Tag.  235 

welcher  der  Köii^er  eleu  Halbmesser  zimicklegt,  einen  geringeren 
Betrag  haben  muls  als  ein  Sechstel  der  Zeit,  welche  der  Körper  ge- 
braucht, um  mit  derselben  Geschwindigkeit  die  Peripherie  zurückzu- 
legen; dafs  folglich  die  Kugel,  die  mit  der  Geschwindigkeit  fallt, 
Avelche  sie  in  der  Mondsphäre  besafs,  in  weniger  als  vier  Stimden  im 
Zentrum  augelangen  wird.  Dabei  ist  die  Voraussetzung  gemacht,  dafs 
sie  in  der  Sphäre  innerhalb  vierundzwanzig  Stunden  eine  Umdrehung 
macht,  eine  Voraussetzung,  die  er  notwendig  machen  mufs,  damit  die 
Kugel  stets  in  derselben  Vertikallinie  verbleibt. 

Simpl.  Jetzt  sehe  ich  den  Fehler  sehr  wohl  ein,  aber  ich  möchte 
ihn  dem  Autor  nicht  ungerechterweise  zur  Last  legen.  Ich  mufs  mich 
in  der  Wiedergabe  seines  Beweises  geirrt  haben.  Damit  ich  nicht  in 
die  Lage  komme  ihm  noch  andere  aufzuhalsen,  möchte  ich  sein 
Buch  zur  Hand  haben.  Wenn  '  es  jemand  holen  könnte,  wäre  es  mir 
sehr  lieb. 

Sagr.  Ein  Lakai  wird  es  im  Nu  zur  Stelle  bringen,  es  soll 
gleich  ohne  Zeitverlust  geschehen.  Inzwischen  wird  ims  Signore  Sal- 
viati  durch  den  Vortrag  seiner  Berechnungsweise  erfreuen. 

Simpl.  Der  Diener  kann  es  holen,  denn  er  wird  es  aufgeschlagen 
auf  meinem  Studiertisch  finden  und  ebenso  das  des  anderen  Verfassers, 
der  gleichfalls  gegen  Kopeniikus  schreibt. 

Sagr.  Wir  wollen  auch  dieses  zu  gröfserer  Sicherheit  bringen 
lassen.  Inzwischen  wird  Sigiiore  Salviati  seine  Rechnimg  austeilen. 
Ich  habe  einen  Diener  abgeschickt. 

Salv.     Vor  allem  ist  in  Betracht  zu   ziehen,    dafs   die  Bewegimg 
der  fallenden  schweren  Körper  nicht  gleichförmig  ist,  dafs  sie  vielmehr 
vom  Zustande  der  Ruhe   ausgehen  imd   sich  unter  fortwährender  Be- 
schleimigimg  bewegen:   eine  Thatsache,    die  Jedermann    gekannt    imdoi^iiauo  Berech- 
beobachtet    hat    mit   Ausnahme    des    vorgenannten    modernen    Autors,  der  Kauonen- 

"  '  kugel  vou  der 

welcher    sie    mit    gleichförmiger  Bewegims;    ausstattet,    ohne    der    Be-^ondsphäre  bis 

^  ^  .  .  .    zum  Erdmittel- 

schleunigung  Erwähnimg  zu  thun.  Mit  dieser  unbestimmten  Erkenntnis  puukte. 
aber  läfst  sich  nichts  anfangen,  solange  man  nicht  weifs,  in  welchem 
Verhältnis  jenes  Wachsen  der  Geschwindigkeit  stattfindet.  Dies  aber 
ist  eine  Frage,  Avelche  bis  auf  unsere  Zeit  von  keinem  Philosophen  ge- 
löst und  die  zuerst  von  imserem  gemeinschaftlichen  Freunde,  dem  Aka- 
demiker,   beantwortet    und    erforscht    worden    ist.      In    etlichen    noch  Natürliche  Be- 

.  .  ,  ,     .  schleuniguugdcr 

imveröfFentlichten  Schriften,  die  er  mir  und  einigen  anderen  Freunden    Bewegung 

.  ,  .  fallender  Kurper 

im  Vertrauen  gezeigt  hat,  weist  er  nach,  dafs  die  Beschleunigung  der  erfolgt  gemäfa 

..     .  '  '  o        O  der  Aufeinander- 

geradlimg  sich  bewegenden  schweren  Körper   gemäfs  der  Aufeinander-  folge  der  unge- 
folge   der    ungeraden   Zahlen   von    der   Einheit   ab    erfolgt.      Bestimmt  ^^n  der  Kin- 
man   nämlich   beliebige,    aber    gleiche   Zeitintervalle    in    iruendwekher 


236  Dialog  über  ilie  Weltsysteme.  [244.  245.] 

Anzahl,  imd  legt  sodaiiu  der  Körper,  vom  Ruhezustand  ausgehend,  in 

dem  ersten  Zeitintervall  eine  so  imd  so  grofse  Strecke,  etwa  eine  Mefs- 

rute,  zurück,  so  wird  er  im  zweiten  Zeitintervall  drei  Ruten,  im  dritten 

fünf,  im  vierten  sieben  Ruten  zurücklegen  u.  s.  w.,  stets  fortschreitend 

wie    die    ungeraden    Zahlen.      Dies    kommt    schliefslich    auf  dasselbe 

ie  vom  schwe-hinaus,  wic  wenn  man  sagt,   dafs  die  zurückgelegten  Strecken  zu  ein- 

uTirckgeiegteu  ander    im    doppelten   Verhältnis    der    Zeiten''^)    stehen,    welche    zum 

alten  sich  wie Zurücklcgcn    der    Strecken    erforderlich    sind;    oder   wir    können    auch 

Zeiten.       sagcu:  die  zurückgelegten  Strecken  verhalten  sich  zu  einander  wie  die 

Quadrate  der  Zeiten. 

Sagr.  Welche  Wimder  habe  ich  vernommen!  imd  das  läfst  sich 
mathematisch  erweisen,  sagt  Ihr? 

Salv.     Mit  voller   mathematischer   Strenge;  und  nicht  nur  diese, 

sondern  viele  andere  Eigenschaften,  welche  den  natürlichen  sowie  auch 

den   Wurfbewegungen    zukommen    mid   die   unser   Freund   aufgefunden 

und  bewiesen  hat.     Ich  habe   sie   alle  zu  meinem  gröfsten  Vergnügen 

und  meiner  Verwimderimg  vernommen  und   studiert  imd  habe   damit 

anzes  wissens-ein   ueiics    umfasscndes   Wissensgebiet    erschlossen  gefimden,    das  auf 

der  ortsbewe*-  einen   Gegenstand  sich  bezieht,    über  welchen    hunderte    von   Bänden 

schlössen  von  geschrieben  worden  sind,   ohne  dafs  auch  nur  ein  einziges   der  darin 

miker.       enthaltenen    imzähligen    bewundernswerten    Ergebnisse    von    jemand 

früher    beobachtet    imd    verstanden    worden    wäre     als    von    unserem 

Freunde. 

Sagr.  Ihr  lal'st  mir  die  Lust  vergehen,  unsere  angefangenen 
Untersuchungen  noch  weiter  fortzusetzen,  ich  möchte  einzig  und  allein 
einen  der  angedeuteten  Beweise  vernehmen.  Darum  teilt  mir  sie  ent- 
weder gleich  jetzt  mit  oder  gebt  mir  wenigstens  das  feste  Versprechen 
eine  besondere  Sitzung  darüber  abzuhalten,  bei  der  ich  zugegen 
bin  imd  zugleich  auch  Signore  Simplicio,  weim  er  Lust  hat  die  Eigen- 
schaften imd  Gesetze  des  wichtigsten  Vorganges  in  der  Natur  kennen 
zu  lernen. 

Simpl.  Ohne  Zweifel  werde  ich  Lust  haben,  obgleich  ich  aller- 
dings, was  den  Naturphilosophen  betrifft,  es  nicht  für  notwendig 
erachte,  dafs  er  sich  auch  auf  gewisse  minutiöse  Details  einläfst.  Ich 
glaube  vielmehr,  eine  allgemeine  Kenntnis  von  der  Definition  der  Be- 
wegung, von  der  Unterscheidung  natürlicher  und  gewaltsamer,  gleich- 
förmiger und  beschleunigter  Bewegung  u.  dgl.  m.  reicht  völlig  aus. 
Denn  wäre  dem  nicht  so,  so  würde  Aristoteles  meiner  Meinung  nach 
nicht  verabsäumt  haben  uns   über  alles  Fehlende  zu  unterrichten. 

Salv.  Möglich.  Aber  verlieren  wir  damit  nicht  weiter  Zeit,  denn 
ich  verspreche,  einen  Vor-  oder  Nachmittag  eigens  für  diesen  Zweck 


[245.  246.]  Zweiter  Tag.  237 

Euch  zu  widmen,  um  Euch  zufrieden  zu  stellen.  Ja,  eben  fällt  mir 
ein,  Euch  schon  einmal  das  Versprechen  gegeben  zu  haben  diesen 
nämlichen  Wunsch  zu  erfüllen.  —  Wir  wollen  zu  der  angefangenen 
Berechnung  der  Zeitdauer  zurückkehren,  während  welcher  der  schwere 
fallende  Körper  von  der  Mondsphäre  bis  zum  Erdmittelpunkte  gelangen 
würde.  ^')  Um  nicht  willkürlich  und  aufs  Geratewohl  zu  Werke  zu 
gehen,  sondern  nach  völlig  strenger  Methode,  werden  wir  zuerst  durch 
mehrfach  wiederholte  Versuche  uns  Gewifsheit  darüber  verschaffen,  in 
welcher  Zeit  z.  B.  eine  eiserne  Kugel  aus  der  Höhe  von  hundert  Ellen 
auf  die  Erde  gelangt. 

Sagr.  Wobei  wir  jedoch  eine  Kugel  von  dem  und  dem  bestimm- 
ten Gewichte  zu  benutzen  haben  und  zwar  ebendieselbe  wie  die,  deren 
Fallzeit  vom  Monde  herab  wir  berechnen  wollen. 

Salv.  Das  ist  gleichgültig-,  denn  Kugeln  von  einem,  von  zehn, 
von  hundert  oder  von  tausend  Pfund  werden  alle  in  derselben  Zeit 
dieselben   hundert  Ellen  durchmessen. 

Simpl.  0,  das  glaube  ich  nicht,  ebensowenig  wie  Aristoteles, 
welcher  schreibt,  dafs  die  Geschwindigkeiten  der  fallenden  Körper  sich 
zu  einander  ebenso  verhalten  wie  ihre  Gewichte.  ^^) 

Salv.     Da  Ihr  das  als  richtig  hinnehmt,  Signore  Simplicio,  müfst  imum  des  ah- 
Ihr  auch  glauben,  dafs  wemi  man  zwei  Kugeln  aus  demselben  Materiale,    hauptet,  die 

•  •  TM>        in         ■   1         •  1-1  schweren  Kür- 

eine  von  hundert,   die  andere  von  einem  Pfund  Gewicht  im  gleichen  per  bewegten 

.  .     sich  heim  Fall 

Augenblick   aus   einer  Höhe  von  hundert  Ellen  herabfallen  läfst,   die  im  verhi.itnis 

....  ihrer  Schwere. 

grofse  auf  der  Erde  anlangt,  ehe  noch  die  kleinere  eme  emzige  Elle 
zurückgelegt  hat.  Nun  malt  Euch  den  Anblick  aus,  wenn  Ihr  es  ver- 
mögt, wie  die  grofse  Kugel  schon  auf  der  Erde  angelangt  ist,  während 
die  kleine  noch  in  einer  Nähe  von  weniger  als  einer  Elle  bei  der 
Spitze  des  Turmes  sich  befindet. 

Sagr.  Dafs  diese  Behauptimg  grundfalsch  ist,  bezweifele  ich  nicht 
im  entferntesten,  aber  auch  die  Richtigkeit  der  Eueren  verstehe  ich 
nicht  völlig.  Dennoch  nehme  ich  sie  auf  Treu  und  Glauben  hin,  weil 
Ihr  sie  mit  Bestimmtheit  aussprecht,  was  Ihr  sicherlich  nicht  thätet, 
wenn  Ihr  nicht  einen  zuverlässigen  Versuch  oder  einen  unumstöfslichen 
Beweis  dafür  hättet. 

Salv.  An  beidem  fehlt  es  mir  niciht.  Sobald  wir  dieses  Kapitel 
von  den  Bewegungen  getrennt  behandeln  werden,  will  ich  Euch  davon 
Mitteilung  machen.  Um  inzwischen  den  Faden  nicht  abzubrechen, 
setzen  wir  voraus,  die  Rechnmig  sei  anzustellen  für  eine  eiserne  Kugel 
von  hundert  Pfund;  nach  wiederholt  angestellten  Versuchen  fällt  diese 
aus   einer   Höhe   von   hundert   Ellen    in    einem  Zeitraum   von   fünf  Se- 


238  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [246.  247.] 

künden.'^'*)  Da  nun,  wie  gesagt,  die  vom  fallenden  Körper  durch- 
messenen  Strecken  im  doppelten  Verhältnis  der  Zeiten,  d.  h.  wie  die 
Quadrate  derselben  wachsen,  da  ferner  eine  Minute  das  Zwölffache 
von  fünf  Sekmiden  ist,  so  multiplizieren  wir  die  hundert  Ellen  mit 
dem  Quadrate  von  12,  d.  h.  mit  144,  und  finden  somit  14400  als  die 
Anzahl  der  Ellen,  welche  der  Körper  in  einer  Minute  zurücklegt.  Da 
eine  Stimde  gleich  GO  Minuten  ist,  so  multiplizieren  wir  derselben 
Regel  zufolge  14  400,  also  die  Anzahl  der  in  einer  Mümte  zurückge- 
legten Ellen,  mit  dem  Quadrate  von  60,  d.  h.  mit  3600;  wir  finden 
demnach  51840  000  als  Anzahl  der  in  einer  Stunde  zurückgelegten 
Ellen,  was  dasselbe  ist  wie  17  280  Miglien.  Wollen  wir  die  Strecke 
ermittehi,  die  in  vier  Stunden  zurückgelegt  wird,  so  werden  wir 
17  280  mit  Iß,  dem  Quadrate  von  4,  multiplizieren  und  276  480 
Miglien  herausbekommen.  Diese  Zahl  ist  weit  gröfser  als  die  Ent- 
fernung der  Mondsphäre  vom  Erdmittelpunkte,  welche  nur  196  000 
Miglien  beträgt,  sobald  man  die  Entfernung  des  Mondes  zu  56  Erd- 
halbmessern annimmt,  wie  es  der  moderne  Autor  thut,  ferner  den 
Erdhalbmesser  zu  3500  Miglien  rechnet,  und  die  Miglie  zu  3000  Ellen, 
welches  die  Gröfse  unserer  italienischen  Miglien  ist. 

Ihr  seht  also,  Signore  Simplicio,  dafs  die  Strecke  von  dem  Monde 
bis  zum  Erdmittelpunkte,  die  nach  Euerem  Rechenmeister  erst  nach 
mehr  als  sechs  Tagen  zurückgelegt  werden  kann,  in  bedeutend  weniger 
als  vier  Stunden  zurückgelegt  wird,  wenn  man  die  Rechnung  auf  die 
Erfahrung  gründet  und  nicht  auf  ein  Herzählen  an  den  Fingern. 
Rechnet  man  genau,  so  ergeben  sich  3  Stunden  22  Minuten  und 
4  Sekunden.    ,  ?; 


Sagr.  Ich  bitte  Euch,  werter  Herr,  bringt  mich  nicht  um  jene 
genaue  Berechnung,  denn  sie  mufs  wunderschön  sein. 

Salv.  Das  ist  sie  wirklich.  Nachdem  nämlich,  wie  gesagt,  durch 
sorgfältige  Beobachtung  festgestellt  ist,  dafs  ein'  solcher  Körper  beim 
Fall  die  Höhe  von  100  Ellen  in  5  Sekunden  zurücklegt,  können  wir 
so  sagen:  wenn  100  Ellen  in  5  Sekunden  zurückgelegt  werden,  in 
wieviel  Sekunden  werden  588  000000  Ellen  —  denn  das  ist  die  Länge 
von  56  Erdhalbmessern  —  zurückgelegt  werden?  Die  Regel  zur  Aus- 
führung dieser  Rechnung  ist  folgende:  man  multipliziere  die  dritte 
Zahl  mit  dem  Quadrate  der  zweiten,  man  erhält  dann  14  700  000  000; 
dies  ist  zu  dividieren  durch  die  erste  Zahl,  d.  h.  durch  100;  die 
Quadratwurzel  aus  dem  Quotienten,  welche  12  124  beträgi^  ist  dann 
die  gesuchte  Zahl.  Man  findet,  somit  12  124  Sekunden  oder  3  Stunden 
22  Minuten  4  Sekunden.  ^■^) 


[247.  248.]  Zweiter  Tag.  239 


Zweiter  Tag. 

100 

Ä 

5 
B 

588  000000 
C          25 

1 

14  700000  000 

22 

35956 

241 

10 

2422 
24244 

60 

12124 

202 

3 

Sagr.  Ich  ha))e  jetzt  wohl  das  Verfahren  kennen  gelernt,  aber 
ich  sehe  den  Grund  für  die  Richtigkeit  desselben  nicht  ein;  ich  glaube 
auch  nicht,  dafs  jetzt  der  richtige  Ztntpuukt  ist  danach  zu  fragen. 

Salv.  Ich  will  Euch  die  Erklärung  geben,  auch  ohne  dafs  Ihr 
sie  verlangt,  denn  sie  ist  sehr  leicht  zu  verstehen.  Bezeichnen  wir 
jene  drei  Zahlen  der  Reihe  nach  mit  den  Buchstaben  A,  B,  C.  A  und 
C  bedeuten  danach  die  Beträge  der  Strecken,  B  den  Betrag  der  Zeit; 
die  vierte  gesuchte  Zahl  entspricht  gleichfalls  einem  Zeitintervall.  Da 
wir  nun  wissen,  dafs  in  demselben  Verhältnis,  welches  die  Strecken 
A  und  C  zu  einander  haben,  auch  das  Quadrat  der  Zeit  B  zu  deoi 
Quadrate  der  gesuchten  Zeit  stehen  mufs,  so  hat  man  nach  der  regida 
aurea^'^)  die  Zahl  C  mit  dem  Quadrate  der  Zahl  B  zu  multiplizieren 
und  das  Produkt  durch  die  Zahl  A  zu  dividieren;  der  Quotient  wird 
das  Quadrat  der  gesuchten  Zahl  sein  und  die  Quadratwurzel  daraus 
die  gesuchte  Zahl  selbst.  Ihr  seht,  wie  leichtverständlich  das  Ver- 
fahren ist. 

Sagr.  So  geht  es  mit  allen  Wahrheiten,  nachdem  sie  einmal  ge- 
funden sind;  die  Kunst  ist  nur,  sie  zu  finden.  Ich  verstehe  das  ganze 
sehr  wohl  und  danke  Euch.  Wenn  Ihr  sonst  noch  etwas  Wissens- 
wertes über  diesen  Gegenstand  mitzuteilen  habt,  bitte  ich  Euch  es  zu 
thun.  Demi  wenn  ich  offen  sprechen  soll,  so  mufs  ich  mit  Verlaub 
des  Signore  Simplicio  sagen,  dafs  ich  aus  Eueren  Untersuchmigen 
stets  etwas  Schönes  und  Neues  lerne;  was  hingegen  seine  Philosophen 
betrifft,  so  wüfste  ich  nichts  von  Belang,  das  ich  bisher  von  ihnen 
gelernt  hätte. 

Salv.  Nur  allzuviel  wäre  über  jene  Ortsbewegungen  noch  zu 
sagen.  Wir  wollen  dies  aber  unserer  Übereinkmift  gemäfs  auf  eine 
besondere  Sitzung  verschieben.  Für  jetzt  will  ich  nur  eine  Bemerkung 
machen,  die  sich  auf  den  von  Signore  Simplicio  citierteu  Autor  bezieht. 
Derselbe  glaubt  seinem  Gegenpart  einen  grofsen  Vorteil  eingeräumt  zu 
haben,  weim  er  annimmt,  die  Kanonenkugel  könne  beim  Fall  von  der 
Mondspliäre    mit   einer   Geschwindigkeit    lierabkommen,    welche    gleich 


Wenn  ein  fallen 
der  schwerer 


240  Dialog  Über  die  Weltsysteme.  [248.  249.] 

der  Gescliwindigkeit  ist,  die  sie  beim  Verbleiben  in  dieser  Sphäre 
haben  würde,  wenn  sie  an  der  täglichen  Unidrehmig  teilnähme.  Dem- 
gegenüber behaupte  ich,  dafs  die  Kugel  beim  Fall  von  der  Mond- 
sphäre bis  zum  Mittelpmikte  der  Erde  eine  Geschwindigkeit  erreicht, 
die  mehr  als  das  Doppelte  der  Geschwindigkeit  beträgt,  welche  die 
Mondsphäre  bei  ihrer  täglichen  Umdrehung  besitzt,  und  zwar  werde 
ich  das  unter  Zugrundelegung  völlig  richtiger  und  nicht  willkürlicher 
"Voraussetzungen  nachweisen.  Ihr  müfst  nämlich  wissen^'):  wemi  ein 
■^dt?errächtrn*^^^^^®''^^  Körper  fällt  und  in  dem  bereits  angegebenen  Verhältnis  stets 
Geschwindig-  yermchrtc   Geschwindigkeit  sich   aneignet,   so   besitzt  er  an  ieder  be- 

keitsstiife    eben-  ~  o          ;  o 

solange  gleich- i--u;Q.gjj    Stcllc    sciuer   Bahn    eine    solche.  Geschwindigkeitsstufe,    dafs, 

formig  weiter-  O  o  /  / 

bewegt  würde  ^g^n   cr  fortfülirc   sich   mit   dieser   gleichförmig   ohne  Beschleunigung 

er   das  Doppelte     "^-"""^  o  o  o       o 

der  Strecke     „  bewesceu,  er  in  derselben  Zeit,  die  er  bisher  zum  Fallen  gebraucht 

zurücklegen,  die  '^0       7  '  _     _  <-> 

er  mit  hcschieu-^g^^    A^^^  Doppclte  der  bis  dahin  durchfallenen  Linie  zurücklegen  würde.' 

niffter Bewegung         ;    ^  i^^  ^ 

zurückgelegt  ^enn  z.  B.  jene  Kugel  beim  Fall  von  der  Mondsphäre  bis  zum  Mittel- 
punkte 3  Stunden  22  Minuten  4  Sekunden  gebraucht  hat,  so  behaupte 
ich,  sie  befindet  sich,  angelangt  im  Mittelpunkte,  auf  einer  solchen 
Geschwindigkeitsstufe,  dafs,  wemi  sie  ohne  weitere  Beschleunigung  mit 
dieser  gleichförmig  sich  zu  bewegen  fortführe,  sie  in  3  Stunden 
22  Minuten  4  Sekunden  das  Doppelte  der  Strecke  zurücklegen  würde, 
d.  h.  eine  Strecke  von  der  Gröfse  des  gesamten  Durchmessers  der 
Mondbahn.  Nun  beträgt  die  Entfernung  des  Mondes  vom  Mittel- 
punkte 19G000  Miglien,  welche  die  Kugel  in  3  Stunden  22  Minuten 
4  Sekunden  zurücklegt.  Wenn  also,  die  Richtigkeit  des  Bisherigen 
vorausgesetzt,  die  Kugel  die  Geschwindigkeit  beibehielte,  welche  sie 
bei  Ankunft  im  Mittelpunkte  besitzt,  so  würde  sie  in  abermals 
3  Stunden  22  Minuten  4  Sekunden  das  Doppelte  genannter  Strecke, 
also  392  000  Miglien  zurücklegen.  Befände  sie  sich  aber  in  der  Mond- 
sphäre, deren  Umfang  1232  000  Miglien  beträgt,  so  legte  sie  in  der 
nämlichen  Zeit,  also  in  3  Stunden  22  Minuten  4  Sekunden  172  880 
Miglien  zurück,  was  bedeutend  weniger  ist  als  die  Hälfte  von  392  000 
Miglien.  Daher  steht  es  mit  der  Bewegung  des  schweren  Körpers  in 
der  Mondsphäre  nicht  wie  der  moderne  Autor  meint,  d.  h.  die  be- 
treffende Geschwindigkeit  ist  nicht  so  grofs,  dafs  sie  der  fallenden 
Kugel  unmöglich  zukommen  könnte. 

Sagr.  Der  bei  der  Untersuchung  eingeschlagene  Weg  wäre  vor- 
trefflich und  würde  mich  völlig  befriedigen,  wenn  mir  nur  die  Sache 
mit  der  Fallgeschwindigkeit  ins  reine  gebracht  wäre,  dafs  nämlich  der 
Körper  das  Doppelte  der  schon  passierten  Strecke  zurücklegt,  sobald 
er  noch  einmal  die  bisherige  Falldauer  hindurch  sich  abwärts  zu  be- 
wegen  fortfährt   und   zwar   in   gleichförmiger  Bewegung   und   mit   der 


[249.  250.]  Zweiter  Tag.  241 

höchsten  beim  Fall  erreichten  Geschwindigkeit.  Dieselbe  Behauptung 
ist  schon  einmal  von  Euch  als  richtig  angenommen,  aber  nicht  be- 
wiesen worden. 

Salv.  Sie  gehört  zu  den  von  unserem  Freunde  bewiesenen  und 
Ihr  sollt  seiner  Zeit  näheres  darüber  erfahren.  Inzwischen  will  ich 
Euch  mittels  etlicher  Wahrscheinlichkeitsgründe  zwar  nicht  etwas  Neues 
lehren,  aber  Euch  doch  ein  gewisses  Vorurteil  dagegen  benehmen, 
indem  ich  Euch  zeige,  dafs  die  Sache  möglicherweise  sich  so  verhalten 
kanji.  Hängen  wir  an  einem  laugen,  düimen,  an  der  Decke  be- 
festigten Faden  eine  Bleikugel  auf,  entfernen  sie  aus  der  lotrechten 
Lage  und  überlassen  sie  dann  sich  selbst,  habt  Ihr  dann  noch  nicht 
beobachtet,  wie  sie  beim  Schwingen  von  selbst  jenseits  der  lotrechten 
eine  nicht  viel  geringere  Abweichung  erreicht  als  zuvor? 

Sagr.    Gewifs  habe  ich  es  beobachtet  und  bemerkt,  wie  die  Kugel, 
besonders   wenn    sie    recht    schwer   war,    fast    genau    so    hoch    wieder  Die  Bewpgimg 
steigt,  Wie   sie  herabfiel,   derart   dafs   ich  bisweilen  den  aufsteigenden  den  schweren 

TIP  P1-1  -T  1-  1  •  Körper  würde 

Bogen  für  ebenso   grofs   hielt   wie  den  absteigenden   und  meinte,  ihre  ^ei  Beseitigung 

Ol*  1  •■n'1-jcii  '  XI  11  1  T        ^^^  Hindernisse 

Schwingungen  könnten  in  Ewigkeit  fortdauern.     Ich  glaube,  dafs  diesewig  fortdauern. 

wirklich  geschähe,  wenn  man  das  Hindernis  der  Luft  beseitigen  könnte; 

diese  setzt   aber  dem  Durchschneiden  einen  Widerstand  entgegen  und 

bewirkt  so  eine  kleine  Verzögerung,  ein  Hemmnis  für  die  Bewegung 

des    Pendels.     Das   Hindernis    ist    aber    sehr    gering,    dafür  zeugt   die 

grofse  Anzahl  von  Schwingungen,  welche  vor  dem  völligen  Stillestehen 

des  Körpers  stattfinden. 

Salv.  Die  Bewegung  würde  dennoch  nicht  ins  Unendliche  fort- 
dauern, Signore  Sagredo,  wenn  man  auch  das  Hindernis  der  Luft  ganz 
und  gar  beseitigte,  denn  es  ist  noch  ein  anderes,  freilich  Aveit  ver- 
steckteres, vorhanden.  ^^) 

Sagr.     Welches  wäre  das?  ich  kann  mich  auf  keines  besinnen. 

Salv.  Es  wird  Euch  interessieren  davon  zu  hören.  Doch  davon 
später,  inzwischen  fahren  wir  fort.  Ich  habe  Euch  auf  die  Beobach- 
tung jenes  Pendels  verwiesen,  um  Euch  klar  zu  legen,  dafs  der  auf 
dem  absteigenden  Bogen  erworbene  Antrieb,  längs  welchem  die  Be- 
wegung eine  natürliche  ist,  an  und  für  sich  imstande  ist  dieselbe 
Kugel  in  gewaltsamer  Bewegung  über  eine  ebenso  grofse  Strecke  auf 
dem  ansteigenden  Bogen  hinzutreiben;  er  ist  an  und  für  sich  dazu 
imstande,  sage  ich,  nach  Beseitigung  aller  äufseren  Hindernisse.  Auch 
läfst  sich  ohne  weiteres  einsehen,  glaube  ich,  dafs  gerade,  wie  die 
Geschwindigkeit  auf  dem  absteigenden  Bogen  bis  zum  tiefsten  Punkte 
des  Perpendikels  beständig  zunimmt,  sie  von  diesem  ab  längs  des 
zweiten   ansteigenden  Bogens   bis   zu   dem   äufsersten  höchsten  Punkte 

GaIjIlei,  Weltsysteme.  IG 


242  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [250.  251.] 

sich  vermindert  und  zwar  in  denselben  Verhältnissen  sich  vermindert^ 
wie  sie  vorher  zugenommen  hat,  sodafs  die  Stufen  der  Geschwindig- 
keit in  Punkten,  die  gleichweit  von  dem  tiefsten  abstehen,  unter  ein- 
wenn  der  Erd-auder  gleich  sind.  Daraus  glaube  ich  entnehmen  zu  dürfen  —  wenn 
•wäre,  so  würde  ich  auf  eiuc  völlig  strcugc  Herleitung  Verzicht  leiste  —  dafs,  wenn 
durch  diesen  die  Erde  durch  den  Mittelpunkt  hindurch  durchbohrt  wäre,  eine  durch 
gender  Körper  dicseu  Schacht  liiudurch  sich  bewegende  Kanonenkugel  im  Mittel- 
Mitteipunkts  puuktc  eine  solche  Geschwindigkeit  erlangen  würde,  dafs  sie  infolge 
porsteigen,  als  derselben  über  den  Mittelpunkt  hinaus  eine  ebenso  grofse  Strecke  auf- 
feilen ist.  wärts  getrieben  würde,  als  sie  vorher  gefallen  ist;  dabei  würde  die 
Geschwindigkeit  jenseits  des  Centrums  um  die  nämlichen  Beträge  ab- 
nehmen, um  welche  sie  beim  Absteigen  zugenommen  hat,  und  die  Zeit, 
welche  zu  diesem  zweiten  Teile  der  Bewegung  erforderlich  wäre,  würde 
meiner  Ansicht  nach  der  für  den  Fall  erforderlichen  gleich  sein.*^'') 
Wenn  nun  der  Körper,  trotzdem  seine  Geschwindigkeit  von  dem 
gröfsten  im  Mittelpunkte  erreichten  Betrage  bis  zu  völliger  Aus- 
löschung sich  beständig  vermindert,  dennoch  in  eben  der  Zeit  über 
eine  solche  Strecke  hingeführt  wird,  wie  er  sie  in  der  nämlichen  Zeit 
zurückgelegt  hat  bei  einer  vom  Betrage  Null  bis  zu  jenem  höchsten 
Grade  zunehmenden  Geschwindigkeit,  so  erscheint  die  Annahme  wohl 
gerechtfertigt,  dafs  wenn  er  den  höchsten  Grad  von  Geschwindigkeit 
stets  beibehielte,  er  in  der  nämlichen  Zeit  jene  beiden  Strecken  1 
zurücklegen  würde.  Denn  teilen  wir  im  Geiste  jene  Geschwindig-  2 
keiten  in  wachsende  und  abnehmende  Stufen  ein^°"),  wie  etwa  die  3 
nebenstehende  Reihe  der  Zahlen,  sodafs  die  ersten  bis  zur  Zehn  4 
die  wachsenden,  die  anderen  bis  zur  Eins  hingegen  die  abnehmen-  5 
den  vorstellen,  jene  entsprechend  der  Zeit  des  Fallens,  diese  der  6 
Zeit  des  Emporsteigens,  so  bemerkt  man,  dafs  sie  vereinigt  zu-  7 
sammen  ebensoviel  ergeben,  als  wenn  einer  der  beiden  Teile  ganz  8 
aus  den  höchsten  Stufen  bestünde.  Es  mufs  also  die  ganze  9 
Strecke,  die  mit  allen  wachsenden  und  abnehmenden  Stufen  der  10 
Geschwindigkeit  zurückgelegt  wird,  d.  h.  also  der  ganze  Durch-  10 
messer  ebenso  grofs  sein  wie  die  Strecke,  welche  mit  den  gröfsten  9 
Geschwindigkeitsgraden  zurückgelegt  wird,  sobald  die  Anzahl  dieser  8 
Geschwindigkeiten  die  Hälfte  von  der  Gesamtheit  der  wachsen-  7 
den  und  abnehmenden  beträgt.  —  Ich  bin  mir  bewulst,  wie  schwer-  G 
fällig  ich  mich  ausgedrückt  habe;  Gott  gebe,  dafs  man  verstehen  5 
kaim,  was  ich  meine.  4 

Sagr.  Ich  glaube  das  sehr  wohl  verstanden  zu  haben  und  mit  3 
wenigen  Worten  auch  zeigen  zu  können,  dafs  ich  es  verstanden  habe.  2 
Ihr  habt  folgendes  sagen  wollen:   wenn   die  Geschwindigkeit  vom        1 


[251.  252.] 


Zweiter  Tag. 


243 


Ruhezustand  aus  allmählicli  um  die  nämlichen  Beträge  zunimmt,  wie  ein 
gleiches  bei  der  Zahlenreihe  stattfindet,  die  man  von  der  Einheit  oder 
vielmehr  von  der  Null  ah  begimiend  bis  zu  einem  beliebigen  Be-  0 
trage  hin  in  nebenstehender  Weise  ordnet;  wenn  demnach  die  1 
niedrigste  Stufe  der  Null  entspricht,  die  höchste  etwa  der  Fünf,  2 
so  ergeben  alle  diese  Geschwindigkeitsgrade,  mit  welchem  der  3 
Körper  sich  bewegt  hat,  zusammen  die  Summe  15.  Bewegt  sich  4 
aber  der  Körper  mit  der  nämlichen  Anzahl  von  Geschwindigkeits-  5 
stufen,  jede  derselben  aber  wäre  gleich  der  höchsten,  also  gleich  5, 
so  würde  die  Gesamtheit  aller  dieser  Geschwindigkeiten  das  Doppelte 
der  vorigen  Summe,  nämlich  30,  betragen.  Wenn  sich  also  der  Kör- 
per ebenso  lange  Zeit  hindvirch  bewegt,  aber  mit  gleichförmiger  Ge- 
schwindigkeit und  zwar  mit  der  von  der  höchsterreichten  Stufe  5, 
so  wird  er  das  doppelte  der  Strecke  zurücklegen,  die  er  in  beschleu- 
nigtem Zeitmafs  vom  Zustand  der  Ruhe  beginnend  zurückgelegt  hat. 
Salv.  Wie  es  von  Euerer  so  schnellen  und  eindringenden  Fassungs- 
gabe nicht  anders  zu  erwarten  war,  habt  Ihr  die  ganze  Sache  sehr 
viel  klarer  dargestellt  als  ich.  Ihr  habt  mich  sogar  auf  einen  wei- 
teren hieran  sich  anschliefsenden  €ledanken  gebracht.  Da  nämlich  bei 
der  beschleunigten  Bewegung  das  Wachsen  ein  stetiges  ist,  so  kami 
man  nicht  eine  bestimmte  Anzahl  von  Stufen  der  Geschwindigkeit  auf- 
stellen, da  diese  ja  fortwährend  wächst;  denn  wegen  der  von  Augen- 
blick zu  Augenblick  stattfindenden  Änderung  giebt  es  solcher  Stufen 
stets  unendlich  viele.  Daher  können  wir  den  uns  vorschwebenden 
Gedanken  besser  in  der  Art  erläutern  ^^^),  dafs 
wir  uns  ein  Dreieck  denken,  wie  etwa  neben- 
stehendes ABC.  Wir  nehmen  auf  der  Seite  ÄC 
beliebig  viele  gleiche  Teile  AD,  BE,  EF,  FG 
an  und  ziehen  durch  die  Punkte  D,  E,  F,  G  gerade 
Linien  parallel  zur  Basis  BC.  Dabei  sollen  die 
auf  der  Linie  AC  bemerkten  Stücke  gleiche  Zeiten 
bedeuten;  die  durch  die  Punkte  D,  E,  F,  G  gezoge- 
nen Parallelen  hingegen  mögen  die  beschleunigten, 
in  gleichen  Zeiten  um  gleiche  Beträge  wachsen- 
den Geschwindigkeiten  vorstellen.  Der  Punkt  A 
soll  den  Zustand  der  Ruhe  darstellen;  von  diesem 
ausgehend  möge  z.  B.  in  der  Zeit  AB  der  Körper 
die  Geschwindigkeitsstufe  BH  erreicht  haben,  im 
folgenden  Zeitabschnitt  möge  die  Geschwindigkeit  über  die  Stufe 
BH  hinaus  bis  zur  Stufe  EJ  gewachsen  sein,  und  in  der  Folge  mehr 
und   mehr  zugenommen  haben    entsprechend  dem  Wachsen  der  Linien 


244  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [252.  253.] 

Die  Beschieuni-i^/iTj  GL  u.  s.  w.  Da  aber  die  Besclileunigung  stetig  von  Augen- 
faUendenKörperblick  ZU  AugenbHck  vor  sieb  gebt  und  nicbt  ruckweise  von  einem 
von  Augenblick  Zeitiutervall  zum  anderen,  da  ferner  der  Endpunkt  A  als  kleinster  Ge- 
'  scbwindigkeitsbetrag  vorausgesetzt  worden  ist,  d.  b.  als  Zustand  der 
Rübe  und  als  Anfangsmoment  der  darauffolgenden  Frist  AD,  so  mufs 
offenbar  vor  Erreicbung  der  Gescbwindigkeitsstufe  BH  m  der  Zeit 
AD  ein  Durcbgang  durcb  unendlicb  viele  andere  kleinere  und  kleinere 
Stufen  stattgefunden  baben;  diese  wurden  erreiebt  in  den  unendKcb 
vielen  in  der  Zeit  DA  entbaltenen  Augenblicken,  welcbe  den  imend- 
licb  vielen  Funken  der  Linie  DA  entsprecben.  Um  also  die  uuend- 
licbe  Anzabl  der  Gescbwindigkeitsstufen  zu  versinnlicben,  welcbe  der 
Stufe  DH  vorangeben,  mufs  man  sieb  unendlicb  viele  kleinere  und 
immer  kleinere  Linien  denken,  welcbe  man  sieb  parallel  zu  DH  von 
den  unendlicb  vielen  Fmikten  der  Linie  DA  aus  gezogen  zu  denken 
bat.  Diese  unendlicbe  Anzabl  von  Linien  stellt  uns  aber  scbliefslicb 
die  Fläcbe  des  Dreiecks  AHD  dar.  So  können  Avir  uns  vorstellen, 
jede  von  dem  Körper  zurückgelegte  Strecke,  welcbe  vom  Rubezustand 
aus  in  gleicbförmig  bescbleunigter  Bewegung  passiert  wird,  babe  un- 
endlicb viele  GescbAvindigkeitsstufen  verbraucbt  imd  erforderlicb  ge- 
macht, entsprecbeud  den  unendlicb  vielen  Linien,  welcbe  man,  vom 
Punkte  A  beginnend,  parallel  der  Linie  HD  sieb  gezogen  denkt  und 
desgleicben  parallel  den  Linien  JE,  KF,  LG,  BC,  wobei  die  Be- 
wegung beliebig  weit  fortgesetzt  werden  mag. 

Wir  vervollständigen  jetzt  die  Figur  zu  dem  Parallelogramm  ^  iHJ5  C 
und  verlängern  bis  zum  Scbnitt  mit  seiner  Seite  BM  nicbt  nur  die 
im  Dreieck  bervorgehobenen  Parallelen,  sondern  die  unendlicb  vielen, 
welcbe  wir  uns  von  allen  Punkten  der  Seite  AC  gezogen  dacbten. 
Wie  nun  die  Linie  BC  von  den  unendlicb  vielen  Linien  des  Dreiecks 
die  gröfste  war  und  uns  die  böcbste  Stufe  der  von  dem  Körper  bei 
seiner  bescbleunigten  Bewegung  erreicbten  Gescbwindigkeit  vorstellte, 
und  wie  die  Fläcbe  besagten  Dreiecks  die  Gesamtbeit  und  Summe  aller 
Gescbwindigkeit  ist,  mit  welcber  er  in  der  Zeit  AC  die  fragiicbe 
Strecke  zurücklegte,  so  läfst  sieb  aucb  das  Parallelogramm  auffassen 
als  eine  Gesamtbeit  und  ein  Aggregat  ebensovieler  Gescbwindigkeits- 
stufen, die  aber  alle  der  böcbsten  BC  an  Gröfse  gleicbkommen.  Diese 
Summe  von  Gescb windigkeiten  beläuft  sieb  aber  auf  das  Doppelte  von 
der  Summe  der  im  Dreieck  entbaltenen  wachsenden  Gescb  windigkeiten, 
weil  das  Parallelogramm  das  Doppelte  des  Dreiecks  ist.  Wenn  also 
der  Körper,  der,  entsprecbend  dem  Dreieck  ABC,  beim  Falle  sieb 
der  Stufen  bescbleunigter  Gescbwindigkeit  bedient  bat  und  auf  diese 
Weise  in  so  langer  Zeit  eine  so  grofse  Strecke  zurückgelegt  bat,  dann 


[253.  254.] 


Zweiter  T;ig. 


245 


ersclieiiit  es  natürlich  und  glaublich,  dafs  er,  entsprechend  dem  Paral- 
lelogramme, unter  Verwendung  einförmiger  Geschwindigkeiten  in  gleich- 
mäfsiger  Bewegung  während  derselben  Zeit  die  doppelte  Strecke  zu- 
rücklegen würde  wie  bei  beschleunigter  Bewegung. 

Sagr.  Ich  bin  völlig  befriedigt.  Wemi  Ihr  das  eine  blofs  auf 
Wahrscheinlichkeitsgründen  beruhende  Untersuchung  nemit,  wie  wer- 
den dann  erst  die  strengen  Beweise  aussehen?  Wollte  Gott,  in 
der  ganzen  landläufigen  Philosophie  wäre  auch  nur  ein  ebenso  über- 
zeugender zu  finden. 

Simpl.      Man   braucht   in   der   Naturwissenschaft    nicht   die   exqui-  in  den  Natur- 
site mathematische  Strenge  anzuwenden.  ^"-)  ist  mathema- 

Sagr.  Ist  denn  aber  das  Problem  der  Bewegung  kein  natur-  uicht  erforder- 
wissenschaftliches? Und  doch  sehe  ich  nicht,  dafs  Aristoteles  auch 
nur  im  geringsten  eine  ihrer  Eigenschaften  nachweist.  Aber  lenken 
Avir  nicht  ab  von  unserer  Untersuchung.  Euch,  Signore  Salviati,  bitte 
ich,  nicht  zu  unterlassen  mir  die  Ursache  anzugeben,  welche  Ihr  für 
das  Aufliören  der  Pendelschwingungen,  abgesehen  von  dem  Widerstände 
des  Mittels  gegen  die  Durchschneidung,  im  Auge  hattet. '"'') 

Salv.     Sagt  mir:  von   zAvei    in  imgieicher  Entfernung  vom  Auf- Eiu au  längerem 

hängungspunkt  l)efindlichen  Körpern  vollführt  da  nicht  derjenige  lang-i'^'ngter  Körper 

Ol-  11  11"  T-i    1  1.    1  .         macht  lang- 

samere Schwingungen,  welcher  an  dem  längeren  laden  auigehängt  ist?samere  Schwiu- 

Sagr,     Allerdings,   wenn  beide   sich  gleichweit  aus  der  lotrechtentürzerem  Faden 

■j-  ,  „  aufgehängter. 

Lage  entiernen. 

Salv.  Diese  gröfsere  oder  geringere  Entfernung  thut  nichts  zur  Schwingungen 
Sache;  denn  ein  und  dasselbe  Pendel  vollführt  seine  wiederholten  deis  erfolgen 
Schwingungen   stets   in  gleichen  Zeiten,  mag  ^sTe''gror"oder' 

jene  sehr  grofs  oder  sehr  klein  sein,  d.  h. 
mag  sich  nmi  das  Pendel  sehr  weit  oder  nur 
ganz  wenig  aus  der  lotrechten  Lage  weg- 
begeben ;  und  wenn  sie  auch  nicht  völlig  gleich 
sind,  so  ist  doch  ihre  Verschiedenheit  un- 
merklich, wie  der  Versuch  Euch  lehren  kann. 
Wären  sie  aber  auch  sehr  ungleich,  so  würde 
das  unserer  Sache  nicht  schaden,  sondern 
nützen.  Zeichnen  wir  nämlich  die  lotrechte 
Linie  AB-^  im  Punkte  A  befestigt  möge  ein 
Gewicht  C  am  Faden  AC  hängen  imd  an 
demselben  Faden  weiter  nach  oben  ein  zweites 
Gewicht  F.   Entfernt  mau  den  Faden  AC  aus 

der  lotrechten  Lage  imd  überläfst  ihn  dann  sich  selbst,  so  werden  die 
Gewichte  Cimd  i?  sich  längs  der  Bogen  CBD  und  EGF  bewegen.    Da 


246  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [-254.  255.] 

nun  aber  das  Gewicht  E  kürzer  aufgehaugeu  ist  imd  da  es  nach  Euerer 
Ansicht  sich  weniger  ans  der  Gleichgewichtslage  entfernt,  so  hat  es 
das  Bestreben  schneller  zurückzukehren  und  häufigere  Schwingungen 
zu  machen,  als  das  Gewicht  C.  Es  Avird  daher  dieses  daran  hindern 
so  weit  nach  dem  Endpunkte  D  hin  auszuschlagen,  als  es  bei  völliger 
Freiheit  geschehen  würde;  indem  es  auf  diese  Weise  bei  jeder 
Schwingung  ein  beständiges  Hindernis  bereitet,  wird  es  das  Gewicht 
Ursache,  weicheendlich  zum  Stillestehen  bringen.   Nun  ist  der  Faden  selbst  —  auch  wemi 

das  Pendel 

iiemmt  und  es  man  die  Gewichte  sich  entfernt  denkt  —  aus  vielen  schweren  Pendeln 

zum  Stillsteheu  .  .  m    -i  t    i       •  •  i  n 

hiingt.  zusammengesetzt;  jeder  seiner  Teile  nämlich  ist  em  solches  Pendel, 
eines  immer  näher  dem  Punkte  A  aufgehangen  als  das  andere  imd 
daher  bestrebt  seine  Schwingungen  in  immer  kürzeren  Perioden  zu 
wiederholen.  Der  Faden  ist  also  imstande  ein  beständiges  Hindernis 
für  das  Gewicht  C  abzugeben.  Ein  Beweis  dafür  ist,  dafs,  wenn  wir 
den  Faden  AC  beobachten,  wir  ihn  nicht  straff  gespannt  erblicken,  son- 
Faden  oder   dem    gekrümmt.     Nehmen  wir    an   Stelle   des  Fadens   eine  Kette,   so 

Kette,  woran  das  -t  t-ii-  i  i  •titi 

Pendel  befestigiwerdeu  Wir  diesc  Erscheinung  noch  sehr   viel    deutlicher  wahrnehmen, 

ist,  krümmt  sicli  •         i  i  t^  /-i  • 

bei  dessen    besoudcrs  wenu  wir  den  schweren  Körper  6  weit  ans  der  lotrechten 

Schwingungen  -n  c  -r\  itt^  ■    ^  •  •  i 

im  Bogen  und  Lage  A  B  eutiemen.     Denn  da  die  Kette   aus  vielen  m  emander  ge- 

ist  nicht  strafi' 

gespannt,  lenkten  Teilchen  besteht,  von  welchen  jedes  ziemlich  schwer  ist,  so 
werden  die  Bogen  AEC,  AFD  merklich  gekrümmt  erscheinen.  Darum 
also,  weil  die  Teile  der  Kette  um  so  rascher  zu  schwingen  streben, 
je  näher  sie  dem  Punkte  A  sind,  lassen  sie  die  tiefsten  Teile  nicht 
so  weit  ausschlagen,  als  diese  von  Natur  aus  thun  würden.  Durch 
die  beständigen  Abzüge  an  den  Schwingimgen  des  Gewichtes  C  wird 
dieses  demnach  schliefslich  zum  Stillestehen  gebracht,  wenn  man  gleich 
das  Hindernis  der  Luft  entfernen  köimte. 

Sagr.  Eben  sind  die  Bücher  angelangt;  nehmt  sie,  Signore  Sim- 
plicio,  und  sucht  die  Stelle,  über  die  wir  im  Zweifel  sind. 

Simpl.  Hier  ist  sie,  da  wo  er  anfängt  gegen  die  tägliche  Be- 
wegung der  Erde  zu  argumentieren,  nachdem  er  zuvor  die  jährliche 
wiederlegt  hat. '"^j  Motus  terrae  annims  asserere  Copernicanos  cogit 
conversioneni  eiusdem  qiiotidanam;  alias  idem  terrae  liemisphaerium  con- 
tinenter  ad  Solem  esset  conversnm,  ohnmhrato  semper  avcrso.^^^)  Dem- 
nach würde  die  eine  Hälfte  der  Erde  die  Sonne  niemals  zu  sehen  be- 
kommen. 

Salv.  Nach  diesem  ersten  Debüt  scheint  mir  der  Mann  die  Lehre 
des  Kopernikus  sich  nicht  richtig  vorzustellen.  Denn  hätte  er  Acht 
gegeben,  wie  dieser  die  Achse  des  Erdballs  beständig  sich  selber  parallel 
sein  läfst,  so  würde  er  nicht  gesagt  haben,  die  Hälfte  der  Erde  sähe 
niemals  die  Sonne,  sondern  das  Jahr  sei  nur  ein  natürlicher  Tag,  d.  h. 


[255.  256.]  Zweiter  Tag.  247 

allenthalbeu  auf  der  Erde  hätte  man  sechs  Monate  lang  Tag  imd  sechs 
Monate  laug  Nacht,  wie  es  jetzt  bei  den  Bewohnern  der  Pole  der 
Fall  ist.     Doch  dies  mag  ihm  hingehen;  fahren  wir  fort. 

Simpl.  Weiter  heifst  es:  Haue  autem  (jirationem  Terrae  im- 
possibilem  esse  sie  demonstranms.  Was  nun  folgt,  ist  die  Erklärimg  der 
nachstehenden  P'igur,  wo  viele  schwere  absteigende  Körper  und  leichte 
ansteigende  abgemalt  zu  sehen  sind,  sowie  Vögel,  die  in  der  Luft 
schweben  und  dgl.  m. 

Sagr.  Zeigt  her,  bitte!  Ach,  was  für  schöne  Bilderchen!  Diese 
Vögel,  diese  Kugeln  und  die  anderen  schönen  Sachen! 

Simpl.  Es  sind  das  Kugeln,  welche  aus  der  Sphäre  des  Mondes 
kommen. 

Sagr.     Was  ist  denn  dies? 

Simpl.  Es  ist  eine  Schnecke,  die  mau  hier  in  Venedig  hovoli 
nennt  ^"'');  sie  kommt  auch  aus  der  Sphäre  des  Mondes. 

Sagr.  Ja,  ja;  darum  hat  auch  der  Mond  so  grofsen  Eiufluis  auf 
diese  Schalentiere,  die  wir  pesci  armal  nennen. 

Simpl.  Hier  folgt  dann  die  von  mir  angeführte  Berechnimg  der 
Wegstrecke,  Avelche  während  eines  natürlichen  Tages,  während  einer 
Stunde,  einer  Minute  und  einer  Sekimde  ein  unter  dem  Acjuator  ge- 
legener Punkte  der  Erde  zurücklegt,  und  ebenso  ein  solcher,  der  unter 
dem  acht  und  vierzigsten  Breitengrade  liegt.  Jetzt  kommt  die  Stelle, 
wo  ich  zweifle,  ob  ich  sie  nicht  vielleicht  falsch  wiedergegeben  habe; 
lesen  wir  sie  also.  His  positis,  necesse  est  terra  circulariter  mota,  omnia 
ex  aere  eidem,  etc.  Quod  si  liasce  pilas  aequales  ponemiis  pondere,  ma- 
gnitudine,  gravitate,  et  in  concavo  sphaerae  Lunaris  positas  libero  descensui 
permittamus,  si  motum  deorsum  aequemiis  cekritate  motui  circum  {quod 
tarnen  secus  est,  cum  pila  A,  etc.),  elahentur  niinimum  (iit  multum  ceda- 
mns  adversariis)  dies  sex:  quo  tempore  sexies  circa  terram,  etc.^^^) 

Salv.  Ihr  hattet  nur  allzu  getreu  den  Einwand  dieses  Maunes 
wiedergegeben.  Ihr  kömit  daraus  ersehen,  SigTiore  Simplicio,  mit  wel- 
cher Vorsicht  die  Leute  zu  Werke  gehen  müssen,  welche  andere  glau- 
ben machen  möchten,  woran  sie  vielleicht  selbst  nicht  glauben.  Denn 
dem  Verfasser  kann  doch  unmöglich  entgangen  sein,  dafs  er  sich  einen 
Kreis  vorstellte,  dessen  Durchmesser  zwölfmal  gröfser  ist  als  der  Um- 
fang, während  die  Mathematiker  lehren,  dafs  jener  weniger  als  den 
dritten  Teil  von  diesem  beträgt.  Es  ist  das  ein  Irrtum,  wie  wemi  man 
für  mehr  als  3G  ausgiebt,  was  weniger  ist  als  1.'"^) 

Sagr.  Vielleicht  stimmen  jene  mathematischen  Verhältniszahlen, 
welche  in  abstracto  richtig  sind,  nicht  so  ganz,  wenn  sie  in  concreto  auf 
physische,  elementare  Kreise  angewendet  werden.'"')    Ich  glaube  alle]*- 


248  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [256.  267.] 

dings,  dafs,  wenn  die  Böttcher  deu  Halbmesser  eines  Fafsbodeus  suchen, 
sie  sich  der  abstrakten  mathematischen  Regel  bedienen,  obgleich  diese 
Böden  sehr  materielle  vmd  konkrete  Dinge  sind.  Signore  Simplicio 
mag  also  eine  Entschuldigung  für  den  Irrtum  des  Verfassers  vorbrin- 
gen und  sagen,  ob  nach  seiner  Ausiclit  die  Physik  so  weit  von  der 
Mathematik  abweichen  kami. 

Simpl.  Diese  Ausflucht  halte  ich  nicht  für  ausreichend,  denn  die 
Differenz  ist  zu  grofs.  In  diesem  Falle  bleibt  mir  nichts  anderes  zu 
sagen  übrig,  als  quandoque  homis  etc.  Aber  gesetzt  auch  die  Rechnung 
Signore  Salviatis  sei  richtiger  imd  die  Fallzeit  der  Kugel  l)etrage  nicht 
mehr  als  drei  Stunden,  so  bleibt  es  meines  Dafürhaltens  jedenfalls 
höchst  wunderbar,  dafs  sie  von  der  Sphäre  des  Mondes,  also  aus  einer 
so  grofsen  Entfernimg  kommend  gleichwohl  von  Natur  aus  bestrebt 
sein  sollte,  immer  über  demselben  Punkte  der  Erde  zu  verharren,  über 
welchem  sie  zu  Anfang  ihrer  Bewegung  sich  befand  und  dafs  sie  nicht 
vielmehr  ein  sehr  grofses  Stück  dahinter  zurückbleiben  sollte. 

Salv.  Man  kann  die  Erscheinung  als  wunderbar  bezeichnen  oder 
als  nicht  wunderbar,  sondern  als  natürlich  und  alltäglich,  je  nach  den 
gemachten  Voraussetzungen.  Denn  Avenii,  den  Amiahmen  des  Autors 
zufolge,  die  Kugel  während  ihres  Aufenthaltes  in  der  Mondsphäre  die 
vierundzwanzigstündige  Kreisbewegung  der  Erde  luid  aller  übrigen 
innerhalb  der  Sphäre  enthaltenen  Gegenstände  mitgemacht  hat,  so  wird 
dieselbe  Kraft,  welche  sie  vor  dem  Fallen  in  KreisbcAvegung  versetzt 
hat,  sie  auch  beim  Fallen  in  dieser  Bewegung  erhalten.  Ja  sie  wird 
nicht  nur  sich  an  der  Bewegung  der  Erde  beteiligen  und  nicht  hinter 
ihr  zurückbleiben,  sie  mufs  sogar  dieser  zuvorkommen.^"^)  Denn  bei 
der  Amiäherung  au  die  Erde  mufs  die  drehende  Bewegung  in  immer 
kleineren  Kreisen  stattfinden;  wemi  also  die  Kugel  die  nämliche  Ge- 
schwindigkeit bewahrt,  welche  sie  in  der  Mondsphäre  hatte,  so  müfste 
sie,  wie  gesagt,  die  Rotation  der  Erde  überholen.  War  aber  die 
Kugel  in  der  Mondsphäre  unbeteiligt  an  der  kreisenden  Bewegung,  so 
braucht  sie  auch  beim  Fallen  sich  nicht  senkrecht  über  dem  Punkte 
zu  halten,  über  welchem  sie  beim  Beginn  des  Falles  schwebte.  Weder 
Kopernikus   noch   einer   seiner  Anhänger   wird   dies  behaupten  wollen. 

Simpl.  Der  Verfasser  wird  aber,  wie  Ihr  sehen  werdet,  den  Ein- 
wand machen,  dafs  er  fragt,  was  für  ein  Princip  eine  solche  Kreisbe- 
wegung der  schweren  und  der  leichten  Körper  bedingt,  ob  ein  inneres 
oder  äufseres. 

Salv.  Auf  dem  Boden  des  vorliegenden  Problems  verharrend  be- 
haupte ich,  dafs  dasselbe  Princip,  welches  die  Kugel  während  ihrer 
Anwesenheit    in    der    Mondsphäre    bewegte,    sie    auch    beim    Falle    in 


[257.  258.]  Zweiter  Tag.  249 

Drehung  erhält.     Ich  überlasse  es  dann  dem  Verfasser,  nach  Belieben 
es  für  ein  inneres  oder  äiifseres  zu  erklären. 

Simpl.  Der  Verfasser  wird  den  Beweis  liefern,  dafs  es  weder  ein 
inneres  noch  ein  äufseres  sein  kann. 

Salv.  Und  ich  werde  entgegnen,  dafs  dann  die  Kugel  in  der 
Moudsphäre  sich  nicht  bewegt  hat;  ich  bin  damit  von  der  Pflicht  ent- 
bunden erklären  zu  müssen,  warum  sie  beim  Fallen  stets  lotrecht  über 
demselben  Pimkte  verharrt,  in  Erwägung  nämlich,  dafs  dieses  Ver- 
harren dann  nicht  stattfindet. 

Simpl.  Gut;  da  aber  die  schweren  und  leichten  Körper  weder 
durch  ein  inneres  noch  durch  ein  äufseres  Princip  sich  kreisförmig  be- 
wegen können,  so  wird  sich  auch  der  Erdball  nicht  kreisförmig  be- 
wegen mid  so  gelangen  wir  zu  dem  gewünschten  Ergebnis. 

Salv.  Ich  habe  nicht  gesagt,  die  Erde  habe  weder  ein  äufseres 
noch  ein  inneres  Princip  der  Kreisbewegung;  ich  sage  nur,  dafs  ich 
nicht  weifs,  ob  sie  das  eine  oder  andere  habe;  mein  Nichtwissen  kann  es  ihr 
doch  nicht  benehmen.  Wenn  aber  Euer  Autor  weifs,  vermöge  welchen 
Princips  andere  unzweifelhaft  sich  beAvegende  Weltkörper  in  Drehung 
versetzt  werden,  so  behaupte  ich,  dafs  die  Bewegungsursache  der  Erde 
etwas  Ahnliches  sei  wie  das,  was  den  Mars,  Jupiter  oder  nach  seiner 
Ansicht  auch  die  Fixsternsphäre  bewegt.  Wenn  er  mir  Auskunft 
giebt,  was  das  Bewegende  dieser  Weltkörper  ist,  so  verpflichte  ich 
mich  ihm  sagen  zu  können,  was  die  Erde  bewegt.  Ja  noch  mehr,  ich 
will  dies  sogar  thun,  wenn  er  mich  nur  darüber  belehrt,  durch  welche 
Ursache  die  Teile  der  Erde  nach  unten  getrieben  werden. 

Simpl.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  allbekannt;  jedermann 
weifs,  dafs  es  die  Schwere  ist. 

Salv.      Ihr   irrt,    Signore    Simplicio;   Ihr   solltet  sagen,  jedermann 
weifs,  dafs  man  sie  Schwere  nennt.     Ich  frage  Euch  aber  nicht  nach 
dem  Namen,  sondern  nach  dem  Wesen  der  Sache.     Über  dieses  Wesenwir  wissen  uicht 
wifst  Ihr  nicht  im   geringsten  mehr,  als  Ihr  über  das  Wesen  des  be- schweren  Kör- 
wegenden  Princips   der  Sterne   wifst,   ausgenommen   den  Namen,  wel- bewegt,  ais  was 

,  .  1  1      1  1       1  •  1"     f>  j  ^^^  Sterne  im 

chen    man    jenem     gegeben    hat    und    der    emem    gelaung    und    ver- Kreisle  bewegt; 
traut   ist   durch  die   oft   wiederholte  Erfahrung,  die  man  tausendfältig  die  dafür  ge- 
den  Tag  über  macht.     In   der  That   aber   haben   wir   ebensowenig   ein      neimung. 
Verständnis  für  das   Princip   oder   die   Kraft,  welche  den   Stein  nach 
unten  treibt,  als   wir  begreifen,   was  ihn  nach  oben  bewegt,  nachdem 
er  die  Hand  des  Schleudernden  verlassen,  oder  was  den  Mond  in  seiner 
Kreisbahn  erhält,   abgesehen,  wie   gesagt,   von  dem  Namen   Schwere, 
welchen  wir  für   diesen  besonderen  und   eigenartigen   Zweck  gewählt 
haben,  während  wir  sonst  mit  allgemeinerem  Ausdrucke  bald  von  ein- 


250  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [258.  259.] 

geprägter  Kraft  reden,  bald  eine  informierende  oder  assistierende  In- 
telligenz annehmen,  nnd  bei  unendlich  vielen  anderen  Bewegungen 
als  Ursache  die  Natur  bezeichnen/") 

Simpl.  Ich  glaube,  der  Verfasser  fragt  sehr  viel  weniger,  als  was 
Ihr  zu  beantworten  Euch  weigert.  Er  will  ja  nicht  von  Euch  wissen, 
welches  besondere,  namentlich  zu  neunende  Princip  schwere  und  leichte 
Körper  in  Drehung  versetzt,  sondern  er  will  nur  hören,  mag  es  sonst 
beschaffen  sein,  wie  es  will,  ob  Ihr  es  für  ein  inneres  oder  äufseres 
Princip  haltet.  Denn  wiewohl  ich  nicht  weifs,  was  die  Schwere  ist, 
vermöge  deren  die  Erde  sich  nach  unten  bewegt,  so  weifs  ich  doch, 
sie  ist  ein  imieres  Princip,  weil  es  von  selbst  wirkt,  sobald  keine 
Hindernisse  vorhanden  sind.  Ebenso  weifs  ich  umgekehrt,  dafs  das 
Princip,  welches  sie  nach  oben  bewegt,  ein  äufseres  ist,  weim  ich  auch 
nicht  weifs,  was  die  ihr  von  dem  Schleudernden  eingeprägte  Kraft  ist. 

Salv.     Wie    viele    abseits    liegende   Untersuchungen  müfsten    wir 

führen,  weiui  wir  alle  Fragen  lösen  wollten,  von  denen  sich  eine  immer 

Die  Kraft,  weicheaii    (\[q    andere   knüpft!      Ihr    nennt    ein   äufseres,    vielleicht   auch   ein 

geworfene  Kör-  _  -^  _       _  ' 

per  iu  die  Höhewidematürliches,  gewaltsames  Princip  dasienige,  was  den  «'eschleuder- 

fübrt,  ist  ihuen  ^    ^  ...  . 

nicht  weniger  ^g^    schwcreu   Körpcr    nach    oben    treibt:   vielleicht   aber   ist   es   nicht 

natürlich,  als  ^  ' 

die  Schwere,  wenio;«!'   innerlich   und   natürlich,   als   das,  was   ihn  nach  unten  führt. 

welche  sie  nach  <-'  '  ' 

unten  bewegt.  ]y[an  kami  es  allenfalls  ein  äufseres  und  gewaltsames  nennen,  solange 
der  Körper  mit  dem  Schleudernden  in  Verbindung  steht;  getrennt  aber 
von  ihm,  welcher  äufsere  Umstand  ist  da  als  Beweger  des  Pfeils  oder 
der  Kugel  vorhanden?  Man  kann  nur  notgedrungen  zugeben,  dal's 
die  Kraft,  welche  ihn  in  die  Höhe  treibt,  nicht  weniger  innerlich  ist 
als  die,  welche  ihn  abwärts  bewegt.  Ich  halte  die  Aufwärtsbewegung 
infolge  eines  mitgeteilten  Antriebes  für  ebenso  natürlich,  wie  die 
durch  die  Schwere  bedingte  Abwärtsbewegung."-) 

Simpl.  Das  werde  ich  niemals  zugeben,  denn  dieser  liegt  ein 
inneres,  natürliches  und  ewiges  Princip  zu  Grunde,  jener  aber  ein 
äufseres,  gewaltsames  und  zeitlich  begrenztes. 

Salv.  Wenn  Ihr  mir  schon  das  Zugeständnis  verweigert,  dafs 
die  Principien  der  Abwärts-  und  Aufwärtsbewegung  bei  den  schweren 
Körpern  gleichermafsen  innerlich  und  natürlich  sind,  was  würdet  Ihr 
thun,  wenn  ich  Euch  gar  sagte,  dafs  sie  auch  geradezu  identisch 
sein  können?"^) 

Simpl.    Das  stelle  ich  Euerem  Urteile  anheim. 
sefztePrIncfXn         ^^^^'     ^^^^j  ich  möchtc  Euch   sclbst  entscheiden  lassen.     Darum 
^NatliTan  dem-"®^S^  ™^^-  gl^^^l^^  Ihr,  dafs  iu  ciuem  und  demselben  Naturkörper  innere 
ihren sifz^hib'en.P^'^^^ipi'^^^  ihren  Sitz  haben  können,  die  einander  entgegengesetzt  sind? 

Simpl.     Unbedingt  nein. 


I 

i 

i 


|-259.  260.]  Zweiter  Tag.  251 

Salv.  Welches  natürliclie,  innere  Bestreben  glanbt  Ihr  nun,  wohne 
der  Erde,  dem  Blei^  dem  Golde,  kurz  den  allerschwersten  Stofien  inne? 
zu  welcher  Bewegung,  meine  ich,  veranlafst  sie  das  ihnen  innewohnende 
Princip  nach  Euerer  Ansicht? 

Simpl.  Zu  der  Bewegung  nach  dem  Mittelpunkte  der  schweren 
Körper,  d.  h.  zum  Mittelpunkte  des  Weltalls  und  der  Erde,  wohin  sie 
sich  begeben  würden,  wenn  keine  Hindernisse  im  Wege  stünden. 

Salv.  Wenn  also  der  Erdball  von  einem  Schacht  durchbohrt 
wäre,  der  durch  seinen  Mittelpunkt  hindurch  ginge,  so  würde  eine 
Kanonenkugel,  die  man  hindurchfallen  liefse,  von  ihrem  natürlichen, 
inneren  Priuciii  bewegt,  sich  zum  Mittelpunkte  hinbegeben.  Diese 
ganze  Bewegung  würde  sie  von  selbst  und  vermöge  eines  inneren  Prin- 
cips  ausführen,  nicht  wahr? 

Simpl.    Davon  l)iii  ich  fest  überzeugt. 

Salv.  Wird  sie  nun  aber,  im  Mittelpunkte  augekommen,  sich 
Euerer  Ansicht  nach  noch  darüber  hinaus  bewegen  oder  immittelbar 
nach  der  Bewegimg  stille  stehen? 

Simpl.  Ich  glaube,  sie  würde  sich  um  eine  sehr  bedeutende  Strecke 
weiter  bcAvegeu. 

Salv.  Würde  diese  Bewegung  über  das  Centrum  hinaus  nicht 
aber  eine  aufwärts  gerichtete,  also  Euerer  Ansicht  nach  eine  Avider- 
natürliche  und  gewaltsame  sein?     Und  von  welchem  anderen  Princip  Die  natürliche 

°       ,  _  _  .     Bewegung  ver- 

wollt  Ihr  sie  herleiten,   wenn   nicht   von   dem   nämlichen,   welches  die  wandelt  sich 

'         .  .   '     .  von  selbst  in 

Kugel  zum  Mittelpunkt   hingeführt   hat   und   das    Ihr   ein   inneres  und  diejenige,  die 

_  °  man  widernatür- 

natürliches  genannt  habt?     Macht  Ihr  eine  äufsere  Ursache  ausfindig,iich  und  gewait- 

°  .  .  .  f '      sam  nennt. 

welche  die  Wurlljewegung  hervorruft,  und  die  neu  hinzutritt,  um  sie 
aufwärts  zu  treiben!  Und  was  von  dieser  Bewegung  über  den  Erdmittel- 
punkt hinaus  gilt,  kann  man  auch  hier  oben  bei  uns  erblicken.  Der 
innere  Antrieb  nämlich  eines  Körjjers,  welcher  eine  geneigte  Fläche 
hinabfällt,  wird  ihn,  wenn  diese  Fläche  imten  sich  umbiegt  und  nach 
oben  wendet,  ohne  irgendwelche  Unterbrechung  der  Bewegung  auch 
nach  oben  führen.  Eine  an  einem  Faden  hängende  Bleikugel  bewegt 
sich,  wenn  sie  aus  der  lotrechten  Lage  entfernt  wird,  freiAvillig  ab- 
wärts, von  ihrem  inneren  Bestreben  getrieben,  und  ohne  Ruhepause 
überschreitet  sie  den  tiefsten  Punkt  und  ohne  irgendwelche  neu  hin- 
zutretende Bewegungsursache  bewegt  sie  sich  nach  oben.  —  Ich  weifs 
ferner,  Ihr  werdet  nicht  in  Abrede  stellen,  dafs  ebenso  natürlich  und 
iimerlich  bei  den  schweren  Körpern  dasjenige  Princip  ist,  welches  sie 
nach  unten  führt,  als  bei  den  leichten  dasjenige,  welches  sie  nach  oben 
bewegt.  Aus  diesem  Grunde  führe  ich  Euch  eine  hölzerne  Kugel  vor, 
welche  durch  die  Luft  aus  grofser  Höhe  herabfällt  mul  sich  also  einem 


252  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [-260.  261.] 

inueren  Princip  gemäfs  bewegt;  an  der  Oberfläche  eines  tiefen  Ge- 
wässers angelangt,  setzt  sie  ihre  AbAvärtsbewegung  fort  imd  ohne 
sonstige  äufsere  Bewegnngsursache  taucht  sie  eine  bedeutende  Strecke 
unter.  Und  doch  ist  für  sie  die  Abwärtsbewegung  im  Wasser  wider- 
natürlich und  bei  alledem  wird  sie  durch  ein  Princip  bedingt,  welches 
der  Kugel  innewohnt,  nicht  von  aufseu  auf  sie  einwirkt.  Hier  habt 
Ihr  also  den  Beweis,  dafs  ein  Körper  vermöge  eines  und  desselben 
inneren  Princips  entgegengesetzte  Bewegungen  ausführen  kann. 

Simpl.  Ich  glaube,  auf  alle  diese  Einwände  lassen  sich  Ent- 
gegnungen machen,  wenn  mir  auch  vorläufig  keine  einfallen.  Aber 
wie  dem  auch  sei,  der  Verfasser  fährt  fort  zu  fragen,  von  was  für 
einem  Princip  diese  Kreisbewegung  der  schweren  und  der  leichten 
Körper  bedingt  sei,  ob  nämlich  von  einem  inueren  oder  einem  äufseren. 
In  der  Folge  beweist  er  sodann,  dafs  weder  das  eine  noch  das  andere 
der  Fall  sein  kann,  indem  er  sagt:  Si  ah  externa,  Deusne  illum  excitat 
per  continmmi  miracidum?  An  vero  Angelns,  an  Aer?  Et  hunc  quidem 
midti  assiynunt.     Sed  contra.^^'^) 

Salv.  Spart  Euch  die  Mühe,  die  Widerlegung  dieser  Ansicht 
vorzulesen;  denn  ich  gehöre  nicht  zu  denen,  welche  die  fragliche  Ur- 
sache in  der  umgebenden  Luft  erblicken.  Was  das  Wunder  oder  den 
Engel  betrifft,  so  möchte  ich  mich  eher  nach  dieser  Seite  hin  neigen. 
Demi  was  mit  einem  göttlichen  Wunder  und  mit  dem  Wirken  der 
Engel  anhebt,  wie  es  mit  der  Überführung  der  Kanonenkugel  in  die 
Mondsphäre  der  Fall  ist,  das  kann  sehr  wohl  auch  seineu  Fortgang 
auf  Grund  des  nämlichen  Princips  nehmen.  Was  die  Luft  anlangt, 
so  bin  ich  zufrieden  damit,  dafs  sie  die  Kreisbewegung  der  Körper 
nicht  hindert,  deren  Bewegung  angeblich  durch  sie  erst  ermöglicht 
wird.  Zu  diesem  Zwecke  genügt  es  —  und  mehr  ist  nicht  erforderlich 
—  dafs  sie  dieselbe  Bewegung  ausführt  und  ihre  Kreisbewegung  mit 
derselben  Geschwindigkeit  vollendet  wie  der  Erdball. 

Simpl.  Er  aber  wird  gleichermafsen  dagegen  sich  auflehnen  und 
fragen:  wer  führt  die  Luft  im  Kreise,  die  Natur  oder  äufsere  Gewalt? 
Dafs  es  die  Natur  nicht  sein  kann,  widerlegt  er,  indem  er  sagt,  dafs 
dies  der  Wahrheit,  der  Erfahrung  und  dem  Koperuikus  sell>er  wider- 
spreche. ^^^) 

Salv.  Dem  Kopernikus  widerspricht  dies  keineswegs;  er  schreibt 
nichts  Derartiges  und  der  Verfasser  erweist  ihm  allzuviel  Ehre,  wenn 
er  ihm  dies  in  den  Mund  legt.  Kopernikus  schreibt  vielmehr,  und  zwar 
nach  meiner  Ansicht  sehr  richtig,  der  der  Erde  benachbarte  Teil  der 
Atmosphäre  sei  eher  als  irdische  Ausdünstung  zu  betrachten  und 
könne  daher  die  nämliche  Natur  haben  wie  diese,  also  auch  von  Natur 


[-261.  262.]  Zweiter  Tag.  2Ö3 


ihr  in  der  Weise  folgen,  wie  die  Peripatetiker  den  oberen  Teil  der 
Atmosphäre  und  das  Element  des  Feuers  die  Bewegung  der  Mond- 
sphäre mitmachen  lassen.  ^^'')  Es  liegt  dann  diesen  ob  zu  erklären, 
ob  besagte  Bewegung  natürlich  oder  gewaltsam  sei. 

Simpl.  Der  Verfasser  wird  entgegnen:  wenn  Kopernikus  blofs 
den  unteren  Teil  der  Atmosphäre'  sich  bewegen  läfst,  während  der 
obere  an  genannter  Bewegung  nicht  teilnimmt,  so  wird  er  nicht 
Rechenschaft  ablegen  können,  wieso  jene  ruhende  Luft  eben  diese 
schweren  Körper  mit  sich  fortzuführen  und  sie  der  Bewegung  der  Erde 
folgen  zu  lassen  vermag. 

Salv.     Kopernikus   wird   sagen:    die   natürliche  Neigung  der  ele-^^^^^^^"""" 

^  ~  O        o  der  elementaren 

mentaren  Körper  der  Erdbewegung   zu  folgen,  giebt  sich  in  einer  be-^"""»«';  "^"' ^''^^ 

i  O        O  »       7    o  zxi  folgen  hat 

grenzten  Siihäre  kund,  aufserhalb   deren   ein  solcher  natürlicher  Trieb  eine  begrenzte 

Ol-'  Sphäre. 

aufhören  würde.  Abgesehen  davon  ist  es,  wie  gesagt,  nicht  die  Luft, 
welche  die  Körper  mit  sich  fortführt;  diese  machen  vielmehr  deren 
Bewegung  auch  getrennt  von  der  Erde  mit.  Demnach  fallen  alle  Ein- 
wendungen, welche  der  Verfasser  vorbringt,  um  zu  beweisen,  dafs  die 
Luft  nicht  solche  Erscheinmigen  verursacht,  in  nichts  zusammen. 

Simpl.  Da  es  also  nicht  an  dem  ist,  wird  man  die  genannten  Er- 
scheinungen als  Wirkungen  eines  inneren  Princips  betrachten  müssen. 
Gegen  diese  Behauptung  aber  oboriuntur  difficülimae,  imo  inextricahiles 
quaestiones  secundae,  nämlich  die  folgenden.  Principium  illiid  internum 
vel  est  accidens,  vel  substantia.  Si  p'iinum,  qualenam  illud?  nani  qua- 
litas  loco  motiva  circum,  Jiademis  mdla  videtur  esse  agnita.'^^'^) 

Salv.  Wieso  kennt  man  keine  solche  Qualität?  Gehören  denn 
nicht  diejenigen  Eigenschaften  hierher,  welche  alle  elementaren  Mate- 
rien gleichzeitig  mit  der  Erde  in  Bewegung  versetzen?  Seht,  wie 
hier  der  Verfasser  das  als  richtig  voraussetzt,  was  erst  bewiesen  wer- 
den soll. 

Simpr.  Er  behauptet,  dafs  man  davon  nichts  wahrnimmt  und  es 
scheint  mir,  dafs  er  darin  Recht  hat. 

Salv.  Von  uns  wird  es  nicht  wahrgenommen,  weil  wir  uns  gleich- 
zeitig mit  ihnen  drehen. 

Simpl.  Hört  den  anderen  Einwand.  Qiiae  cüamsi  esset,  quomodo 
tarnen  inveniretur  in  rebus  tnm  contrarüs?  in  igne  ut  in  aqua?  in  ai're 
id  in  terra?  in  viientibus  ut  in  anima  carentibus?^^^) 

Salv.  Angenommen  einstweilen,  Wasser  und  Feuer  seien  Gegen- 
sätze und  ebenso  Luft  und  Erde  —  wiewohl  sich  viel  darüber  reden 
liefse  —  so  könnte  höchstens  daraus  gelolgert  werden,  dafs  ihnen  die- 
jenigen Bewegungen    nicht    gemeinsam   zukommen    können,   die   unter 


254  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [262.  263.] 

einander  entgegengesetzt  sind.  Man  könnte  also  scliliefsen,  dafs  z.  B. 
die  Aufwärtsbewegung^  welche  von  Natur  dem  Feuer  zukommt,  nicht 
auch  dem  Wasser  zukommen  könnte,  sondern  dafs  vielmehr  wegen 
der  entgegengesetzten  Natur  von  Wasser  und  Feuer  jenem  die  ent- 
gegengesetzte Bewegung  zukommen  müsse  wie  diesem,  d.  h.  also  die 
Bewegung  nach  unten.  Die  Kreisbewegung  aber,  welche  weder  der 
nach  oben  gerichteten  noch  der  nach  unten  gerichteten  Bewegung  ent- 
gegengesetzt ist,  welche  vielmehr  mit  beiden  sich  mischen  kann,  wie 
Aristoteles  selbst  versichert,  warum  sollte  sie  nicht  gleichermafsen 
den  schweren  und  den  leichten  Körpern  zukommen?  Die  Bewegungen 
ferner,  welche  lebenden  und  leblosen  Wesen  nicht  gemeinsam  zukommen 
können,  sind  die  durch  das  Vorhandensein  der  Seele  bedingten.  Die- 
jenigen aber,  welche  dem  Körper  angehören,  insofern  dieser  von  ele- 
mentarer Natur  ist  und  folglich  teilnimmt  an  den  Eigenschaften  der 
Elemente  —  warum  sollten  diese  nicht  dem  Leichnam  und  dem  leben- 
den Wesen  gemeinsam  sein  können?  Wenn  also  die  Kreisbewegung 
den  Elementen  eigentümlich  ist,  so  wird  sie  auch  sämtlichen  zu- 
sammengesetzten Körpern  zukommen  müssen. 

Sagr.  Unbedingt  mufs  dieser  Autor  der  Ansicht  sein,  dafs  wenn 
eine  tote  Katze  aus  dem  Fenster  hinausfällt,  eine  lebende  unmöglich 
hinausfallen  kann;  denn  es  ist  nicht  in  Ordnung,  dafs  eine  Leiche 
Eigenschaften  besitzt,  die  auch  einem  lebenden  Wesen  zukommen. 

Salv.  Die  Schlüsse  des  Verfassers  beweisen  also  nichts  gegen 
denjenigen,  welcher  sagt,  das  Princip  der  Kreisbewegung  bei  schweren 
und  leichten  Körpern  sei  ein  inneres  Accidens.  Ich  weifs  nicht,  ob  es  ihm 
besser  gelingt  zu  zeigen,  dafs  jenes  Princip  keine  Substanz  sein  kann. 

Simpl.  Er  erhebt  dagegen  viele  Einwendungen.  Die  erste  ist 
folgende.  Si  secundum  [ncmpe  si  dicas  tale  principium  esse  suhstantiamj , 
illud  est  aut  materia,  mit  forma,  mit  compositum-^  sed  repugnant  iterum 
tot  diversae  rerum  naturae,  quales  sunt  aves,  limaces,  saxa,  sagittae,  nives, 
fmni,  grandines,  pisces  etc.;  quae  tarnen  omnia  specie  et  genere' differentia 
moverentur  a  natura  sua  circularitcr,  ipsa  naturis  diversissima,  etc.^^'^) 

Salv.  Wenn  die  genannten  Dinge  von  so  verschiedenartiger  Natur 
sind  und  darum  nicht  eine  gemeinsame  Bewegung  haben  können,  so 
wird  man,  um  für  alle  eine  befriedigende  Erklär mig  zu  geben,  sich 
auf  etwas  Anderes  besinnen  müssen  als  blofs  auf  die  beiden  Be- 
wegungen nach  oben  und  nach  unten.  Man  braucht  dann  eine  be- 
sondere für  die  Pfeile,  eine  für  die  Schnecken,  eine  andere  für  die 
Steine,  eine  für  die  Fische;  man  wird  auch  an  die  Regenwürmer,  an 
die  Topase,  an  die  Schwämme  zu  denken  haben,  die  unter  einander 
nicht  weniger  von  Natur  verschieden  sind  als  Hagel  und  Schnee. 


[263.  264.]  Zweiter  Tag.  255 

Simpl.  Ihr  scheint  Euch  über  diese  Argumente  lustig  machen 
zu  wollen. 

Salv.  Doch  nicht,  Signore  Simplicio;  es  ist  aber  schon  vorher 
erwidert  worden,  dafs  ebenso  gut  wie  eine  Bewegung  nach  unten  oder 
nach  oben  allen  genamiten  Gegenständen  zukommen  kann,  ihnen  auch 
eine  Kreisbewegung  wird  zukommen  können.  Und  vom  Standpunkte 
der  peripatetischen  Lehre  aus,  werdet  Ihr  nicht  einen  gröfseren  Unter- 
schied zwischen  einem  elementaren  Kometen  und  einem  Sterne  des 
Firm£?ments  machen  als  zwischen  einem  Fische  und  einem  Vogel? 
Und  doch  bewegen  sich  beide  kreisförmig.  Teilt  uns  nun  weiter  das 
zweite  Argument  mit. 

Simpl.  Si  terra  staret  per  voluntatetn  JDei,  rotarenturne  caetera  an 
non?  Si  hoc,  falsum  est,  a  natura  girari;  si  illiid,  redeunt  p'iores  quae- 
stiones.  Et  sane  mirum  esset,  quod  gavia  pisciculo,  alauda  nidulo  suo, 
et  corvus  limaci  petraeque  etiam  volcns  imminere  non  posset.^^^) 

Salv.  Was  mich  angeht,  so  würde  ich  darauf  ganz  allgemein  er- 
widern, dafs  wenn  einmal  der  Wille  Gottes  die  Erde  in  ihrer  täglichen 
Rotation  hemmt,  eben  derselbe  Wille  Gottes  auch  verfügen  wird,  was 
die  Vögel  zu  thun  haben.  Sollte  aber  gleichwohl  der  Verfasser  eine 
speciellere  Antwort  wünschen,  so  würde  ich  ihm  sagen,  dafs  sie  in 
diesem  Falle  genau  das  Gegenteil  von  dem  thäten,  was  sie  thun  wür- 
den, weim  sie  getremit  von  der  Erde  in  der  Luft  schwebten  und  nun 
vermöge  des  göttlichen  Willens  der  Erdball  in  eine  ungeheuer  rasche 
Bewegung  versetzt  würde.  Dem  Verfasser  erwächst  dann  die  Auf- 
gabe uns  zuverlässigen  Bericht  zu  erstatten,  was  in  einem  solchen 
Falle  geschähe. 

Sagr.  Ich  bitte  Euch,  Signore  Salviati,  räumt  doch  dem  Ver- 
fasser auf  meine  Fürsprache  hin  ein,  dafs  wenn  die  Erde  durch  den 
Willen  Gottes  stehen  bliebe,  die  anderen  von  ihr  getrennten  Dinge  ihre 
natürliche  Bewegung  weiter  im  Kreise  fortsetzten,  und  hören  wir,  was 
für  unmögliche  oder  ungebührliche  Folgen  sich  dann  einstellen  wür- 
den. Ich  für  meinen  Teil  kann  nämlich  keine  gröfseren  UmAvälzmigen 
erblicken,  als  die,  welche  der  Autor  selbst  vorbringt:  dafs  die  Lerchen, 
wenn  sie  auch  möchten,  nicht  üljer  ihrem  Neste,  die  Haben  nicht  über  den 
Schnecken  oder  den  Felsen  schweben  köiniten.  Infolge  davon  müfsten 
sich  die  Raben  die  Lust  nach  den  Schnecken  vergehen  lassen  und  die 
jungen  Lerchen  würden  vor  Hunger  und  Kälte  sterben,  da  sie  von 
ihren  Müttern  nicht  gefüttert  und  erwärmt  werden  könnten.  Das  ist 
der  ganze  Umsturz,  den  ich  bei  der  Amiahme  des  Verfassers  voraus- 
sehen kann.  Seht  Ihr  doch,  Signore  Simplicio,  ob  sich  ärgere  Un- 
geheuerlichkeiten daraus  ergeben  müssen. 


256  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [264.  265] 

Simpl.  Ich  kaim  keine  sclilimmeren  ausfindig  machen;  wohl  aber 
mufs  der  Verfasser  aufser  den  angeführten  noch  andere  Umwälzungen 
in  der  Natur  im  Auge  haben,  die  er  vielleicht  aus  gewichtigen  Grün- 
den nicht  hat  erwähnen  mögen.  Ich  will  also  jetzt  zu  dem  dritten 
Einwände  übergehen.  Insuper  qui  fd,  lä  istae  res  tarn  variae  iantiim 
moveantur  ah  occasu  in  ortum,  parallelae  ad  aequatoreni?  ut  semper 
moveantur,  numquatn  qiiiescant.^^^) 

Salv.  Sie  bewegen  sich  von  Westen  nach  Osten,  parallel  dem 
Äquator,  ohne  stille  zu  stehen,  genau  in  derselben  Weise,  wie  Ihr 
glaubt,  dafs  die  Fixsterne  sich  von  Osten  nach  Westen  bewegen,  parallel 
dem  Äquator,  ohne  stille  zu  stehen. 

Simpl.     Quare  quo  sunt  altiores  celerius,  quo  humiliores  iardius?^-^) 

Salv.  Weil  bei  einer  Kugel  oder  eiuem  Kreise,  der  sich  um  seinen 
Mittelpunkt  dreht,  die  entfernteren  Teile  gröfsere  Kreise,  die  näheren 
in  der  nämlichen  Zeit  kleinere  beschreiben. 

Simpl.  Quare,  quae  aequinoctiali  propiores  in  maiori,  qiiae  remo- 
tlores  in  minori  circulo  ferrentur?^^'^) 

Salv.  Um  es  der  Sternensphäre  gleichzuthun,  in  welcher  die  dem 
Äquator  benachbarten  Sterne  sich  in  gröfseren  Kreisen  bewegen  als 
die  entfernteren. 

Simpl.  Quare  pila  cadem,  sub  aequinoctiali  tota  circa  centrum 
terrae,  amhitu  maximo,  celeritate  incredibili;  sub  polo  vero,  circa  centrum 
proprium  giro  nidlo,  tarditate  suprcma  volvetur?^-^) 

Salv.  Um  es  den  Sternen  am  Firmament  gleichzuthim,  welche 
dasselbe  thäten,  wenn  die  tägliche  Bewegung  an  ihnen  haftete. 

Simpl.  Quare  eadem  res,  pila,  verhi  caussa,  phimhea,  si  semel 
ierram  circuivit  descripto  circulo  maximo,  eandem  td)iqiie  non  circummigret 
secundum  circidum  maximum?  sed  translata  extra  aequinoctialem ,  in 
cir cutis  minor ibus  agetur?^'^^) 

Salv.  Weil  es  die  Fixsterne  ebenso  machen  würden  oder  es  viel- 
mehr nach  der  Lehre  des  Ptolemäus  ^-'')  ebenso  gemacht  haben;  etliche 
standen  nämlich  einst  dem  Äquator  ganz  nahe  und  beschrieben  gröfste 
Kreise,  jetzt  aber,  wo  sie  entfernt  davon  sind,  beschreiben  sie  kleinere. 

Sagr.  0,  wenn  ich  alle  diese  schönen  Sachen  nur  im  Kopf  be- 
halten könnte,  ich  würde  das  für  einen  grofsen  Gewinn  erachten.  Ihr 
müfst  mir  das  Büchlein  leihen,  Signore  Simjjlicio,  demi  es  findet  sich 
unbedingt  eine  überwältigende  Fülle  seltener  und  auserlesener  Sachen 
darin. 

Simpl.     Ich  werde  es  Euch  zum  Geschenke  machen. 

Sagr.  Nein,  das  nicht,  ich  möchte  Euch  seiner  nicht  berauben. 
Aber  sind  die  Fragen  schon  zu  Ende? 


[265.  26G.]  Zweiter  Tag.  257 

Simpl.  Nein,  hört  nur!  Si  latio  circidaris  gravibus  et  levihus  est 
naturalis,  qtialis  est  ea,  quae  fit  secimdnm  lineam  rectani?  Nam  si 
naturalis,  quoniodo  et  is  motas  qui  circum  est,  naturalis  est  cum  specie 
differat  a  recto?  Si  violentus,  qui  fit  id  missile  ignitum  sursum  evdlans 
scintillosum  caput  sursum  a  terra  non  autem  circum  volvat  etc.^^'^) 

Salv.  Es  ist  schon  unzählige  Male  angegeben  worden,  dafs  die 
Kreisbewegung  dem  Ganzen  und  den  Teilen  natürlich  ist,  sobald  sie 
sich   in   bester  Anordnung  befinden,    die   geradlinige   Bewegung   dient   von  der  ge- 

^  .  .  .  ?  o       o  mischten  Be- 

dazu,  die  in  ihrer  Lage  gestörten  Teile  wieder  in  diese  zurückzuführen.wegung  nehmen 

"wir  den  kreis- 

Freilich  noch  besser  ist  es  zu  sagen,  dafs  weder  die  geordneten  noch  förmigen  xeü 

m    -1  •    1  m-     •         1  1  •    nicht  wahr,  weU 

die    uno-eordneten    Teile    sich    geradlinio;    bewegen,    sondern    dafs    sie  wir  selbst  uns 

•      1  Ti  1        •  T  ^-1  •  1111-     kreisförmig  be- 

eme  gemischte  Bewegungsart  besitzen,  die  mögucherweise  schlechthin  wegen, 
kreisförmig  ist.  Für  uns  aber  ist  nur  ein  Teil  dieser  gemischten  Be- 
wegung sichtbar  und  wahrnehmbar,  nämlich  der  geradlinige,  während 
uns  der  andere  kreisförmige  Teil  verborgen  bleibt,  weil  wir  selbst  an 
dieser  Bewegung  teilnehmen.  Damit  erledigt  sich  auch  der  Fall  der 
Raketen;  sie  bewegen  sich  aufwärts  und  im  Kreise,  wir  aber  können 
das  Kreisförmige  nicht  gesondert  wahrnehmen,  weil  dieses  auch  unserer 
eigenen  Bewegung  anhaftet.  Unser  Verfasser  aber  scheint  diese 
Mischung  niemals  begriffen  zu  haben;  denn  man  sieht  ja,  wie  er  un- 
umwunden sagt,  dafs  die  Raketen  gerade  nach  oben  und  keineswegs 
im  Kreise  sich  bewegen. 

Simpl.  Quare  centrum  spJiaei'ae  delapsae  suh  aequatore,  spiram  descrihit 
in  eins  piano,  suh  aliis  parallelis  spiram  descrihit  in  cono'^  sid)  polo  descendit 
in  axe,  lineam  giralem  decurrens,  in  superficie  cylindrica  consignatam?  ^'^) 

Salv.  Weil  die  vom  Centrum  nach  der  Oberfläche  der  Kugel  ge- 
zogenen Linien,  längs  welcher  die  schweren  Körper  fallen,  eine  Kreis- 
fläche beschreiben,  sobald  sie  am  Ac^uator  endigen,  hingegen  Kegel- 
flächen beschreiben,  sobald  sie  nach  einem  anderen  Parallelkreis  ge- 
zogen sind,  während  die  Achse  endlich  überhaupt  keine  Fläche  beschreibt, 
sondern  unbewegt  an  der  Stelle  bleibt.  Wenn  ich  Euch  offen  meine 
Meinung  sagen  soll,  so  kann  ich  aus  allen  diesen  Fragen  keinen  trif- 
tigen Gegengrund  gegen  die  Bewegung  der  Erde  entnehmen.  Denn 
zugestanden,  die  Erde  bewege  sich  nicht,  und  ich  fragte  den  Verfasser, 
wie  es  um  alle  diese  Besonderheiten  stünde,  wenn  die  Erde  sich  so 
bewegte,  wie  es  Kopernikus  will,  so  würde  er  sicherlich  sagen,  dafs 
alle  jene  Erscheinungen  eintreten  müfsten,  welche  er  jetzt  als  Mifs- 
stände  gegen  die  Ansicht  von  der  Bewegung  der  Erde  ins  Feld  führt. 
Im  Kopfe  dieses  Mannes  gelten  also  die  notwendigen  Folgerungen 
als  widersinnig.  Doch  lafst  uns,  bitte,  diese  langweiligen  Fragen 
möglichst  rasch  erledigen,  wenn  sie  noch  nicht  fertig  sind. 

Galilei,  Weltsysteme.  17 


258  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [266.  267.] 

Simpl.  Im  folgenden  wird  die  Ansicht  des  Kopernikus  und  seiner 
Anhänger  bestritten,  wonach  die  geradlinige  Bewegung  der  von  ihrem 
Ganzen  getrennten  Teile  nur  dazu  diene,  sie  mit  ihrem  Ganzen  wieder 
zu  vereinigen,  während  ihre  schlechthin  natürliche  Bewegimg  die  täg- 
liche Rotation  sei.  Ihnen  gegenüber  erhebt  er  den  Einwand,  dafs 
nach  dieser  Ansicht:  si  tota  terra  una  cum  aqua  in  nihilum  redige- 
retiir,  nulla  granclo  aut  xüuvia  e  mibe  decideret,  sed  naturaliter  tanhim 
circumferretur ;  neqiie  ignis  idlus  aut  igneum  ascenderet,  cum  in  illorum, 
non  improbahili  sententia,  ignis  nnllns  sit  supra}'^^) 

Salv.  Die  umsichtige  Fürsorge  dieses  Philosophen  ist  bewunderns- 
wert und  verdient  grofses  Lob.  Denn  nicht  zufrieden  damit,  an  die 
Dinge  zu  denken,  welche  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Natur  eintreten 
können,  will  er  sogar  gerüstet  sein  für  solche  Fälle,  von  denen  unbe- 
dingt feststeht,  dafs  sie  niemals  eintreten  werden.  Ich  will  also,  um 
eine  recht  schöne,  scharfsinnige  Schluisfolgerung  von  ihm  zu  hören, 
zugestehen,  dafs,  wenn  Erde  und  Wasser  vernichtet  würden,  weder 
Hagel  noch  Regen  fortan  niederfielen;  noch  feurige  Stojffe  in  die  Höhe 
sich  bewegten,  sondern  in  beständiger  Rotation  sich  schwebend  er- 
hielten.    Was  weiter?  was  will  mir  unser  Philosoph  entgegenhalten? 

Simpl.  Der  Einwand  ist  in  den  unmittelbar  folgenden  Worten 
enthalten.     Es  heifst  da:  quibus  tarnen  expericntia  et  ratio  adversatur.^'^^) 

Salv.  Jetzt  mufs  ich  die  Waffen  strecken.  Er  hat  einen  zu 
grofsen  Vorteil  vor  mir  voraus;  mir  fehlt  es  an  der  Erfahrung,  die  er. 
besitzt,  denn  ich  bin  noch  nie  in  der  Lage  gewesen  zu  sehen,  wie  der 
Erdball  samt  dem  Elemente  des  Wassers  zu  nichte  geworden  ist,  und 
habe  somit  noch  nie  beobachten  können,  wie  bei  einem  solchen  Welt- 
untergang im  kleinen  Hagel  und  Wasser  sich  verhielten.  Teilt  er  uns 
denn  wenigstens  zu  unserer  Belehrung  mit,  wie  es  sich  damit  verhielt? 

Simpl.     Das  sagt  er  nirgends. 

Salv.  Was  würde  ich  nicht  darum  geben,  mit  diesem  Manne 
mich  unterreden  zu  können,  um  ihn  zu  fragen,  ob  mit  dem  Ver- 
schwinden unseres  Erdballs  auch  der  gemeinsame  Schwerpunkt  ab- 
handen kam,  wie  ich  vermute!  In  diesem  Falle,  glaube  ich,  würden 
Hagel  und  Wasser  ratlos  und  verblüfft  in  den  Wolken  verharren  imd 
nicht  wissen,  was  sie  nunmehr  anfangen  sollen.  Möglicherweise  kömite 
auch  die  ganze  Umgebung  von  dem  grofsen,  durch  das  Verschwinden 
des  Erdballs  entstandenen  Vacuum  angezogen  werden  und  sich  in 
diesem  in  verdünntem  Zustande  verteilen,  namentlich  die  Luft,  welche 
in  hohem  Mafse  ausdehnbar  ist;  alles  würde  dann  mit  gröfster  Ge- 
schwindigkeit darin  zusammenströmen,  um  es  auszufüllen.  Vielleicht 
würden  die  festeren   und  materielleren  Körper,   wie  die  Vögel,  welche 


|267.  268.]  Zweiter  Tag.  259 

docli  wahrscheinlicli  in  grofser  Zahl  in  der  Luft  scliweben  mufsten,  sich 
in  gröfste  Nähe  des  Centrums  der  grofsen  Hohlkugel  begeben  —  denn 
es  wird  doch  wohl  vermutlich  den  Substanzen,  die  bei  kleinerem 
Volumen  eine  grofse  Masse  enthalten,  der  engere  Raum  angewiesen, 
während  den  dünneren  die  weiteren  Räume  überlassen  werden  —  dort 
würden  dieselben  schliefslich  Hungers  sterben  und  sich  in  Staub  ver- 
wandeln und  auf  diese  Weise  im  Verein  mit  der  geringen  Menge  Wassers, 
welches  sich  damals  in  den  Wolken  befand,  ein  neues  Kügelchen  bilden. 
Es  könnte  auch  der  Fall  sein,  dafs  eben  diese  Stoffe,  da  sie  das  Licht 
nicht  wahrnehmen  köuntjn,  das  Verschwinden  der  Erde  nicht  bemerk- 
ten und  blind  darauf  los  in  gewohnter  Weise  sich  abwärts  bewegten 
in  der  Hoffnung  auf  sie  zu  stofsen,  und  dafs  sie  sich  allmählich  nach 
dem  Mittelpunkt  begäben,  wohin  sie  auch  jetzt  gingen,  wenn  nicht  der 
Erdball  selbst  sie  daran  hinderte.  Schliefslich  um  unserem  Philosophen 
eine  minder  zweifelhafte  Antwort  zu  geben,  sage  ich,  dafs  ich  von  dem, 
was  nach  der  Vernichtung  des  Erdballes  eintreten  würde,  ebensoviel 
weifs  wie  er  von  dem,  was  mit  imd  um  denselben  vor  seiner  Schöpfung 
vorgegangen  ist.  Da  ich  gewifs  bin,  dafs  er  bekennen  würde,  er  könne 
sich  nicht  im  entferntesten  die  in  diesem  Falle  stattgefuudenen  Vor- 
gänge vorstellen,  so  darf  er  mit  mir  nicht  zu  strenge  ins  Gericht 
gehen  und  mnfs  mich  entschuldigen,  wenn  ich  sein  Wissen  von  den 
Vorgängen  nach  der  Vernichtung  des  Erdballs  nicht  besitze,  da  ich 
die  Erfahrung  nicht  gemacht  habe,  die  er  gemacht  hat.  Teilt  uns 
jetzt  mit,  ob  sonst  noch  etwas  dasteht. 

Simpl.  Hier  findet  sich  eine  Figur,  welche  den  Erdball  mit  einer 
grofsen  lufterfüllten  Höhlung  in  der  Mitte  darstellt.  LTm  zu  zeigen, 
dafs  die  schweren  Körper  sich  nicht  abwärts  bewegen,  um  sich  mit 
dem  Erdball  zu  vereinigen,  wie  Kopernikus  sagt,  versetzt  er  hier  diesen 
Stein  in  den  Mittelpunkt  und  fragt,  was  er,  sich  selbst  überlassen, 
anfangen  würde;  einen  anderen  bringt  er  an  die  Wand  dieser  grofsen 
Höhle  und  wirft  dieselbe  Frage  auf,  indem  er  bezüglich  des  ersten  so 
sagt:  Japis  in  ccntro  constitutus  aut  ascendd  ad  terrum  in  punctum  ali- 
quod,  aut  non.  Si  sccundum,  falsum  est,  xmrtes  oh  solam  seinnctionem 
a  toto  ad  illud  moveri.  Si  primuni,  omnis  ratio  et  experientia  renititur; 
neque  gravia  in  suae  gravitatis  centro  conquiescent.  Item  si  suspensus 
lapis,  liherattis  decidat  in  centrum,  separahit  se  a  toto,  contra  Copernicum: 
si  pendeat,  refragatnr  omnis  experientia,  cum  videamiis  integros  fornices 
corruere.  ^^^) 

Salv.  Trotz  meiner  mifslichen  Lage  will  ich  die  Antwort  darauf 
nicht  schuldig  bleiben;  freilich  habe  ich  mit  jemand  zu  Üiim,  der  aus 
Erfahrung  weifs,  wie  jene  Steine  in  der  grofsen  Höhle  sich  verhalten, 

17* 


260  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [268.  269.] 

Zuerst  sind  die  während  ich  eine  solche  Beobachtung  noch  nicht  gemacht  habe.     Ich 
Btanzeu  vorhau- erwidere,    dafs   meiner  Meinung   nach   die  schweren  Substanzen  früher 
das.  centrum  deryorhanden  sind  als  das  gemeinsame  Centrum  der  Schwere.     Ein  blofses 
Centrum,    welches    nur    ein   unteilbarer   Punkt   ist   und    daher    keine 
Wirkung  ausüben  kann,    ist    also  nicht  dasjenige,   was   die  schweren 
Substanzen  anzieht,    sondern    diese  streben  von  Natur  zu  einer  Ver- 
einigung hin  und  erschaffen  sich  erst  ein  gemeinsames  Centrum,   den 
Punkt  nämlich,  um  welchen  die  Teile    gleiche  Momente    besitzen.  ^^-) 
^rofse  mTs^ss  de^^^  ^^  daher  der  Meinung,  dafs  wenn  die  grofse  Masse  der  schweren 
schweren  Sub-  gubstauzcn  au  irgendwelchen  Ort  weggeschafft  wird,  dieienigen  Teilchen, 

stanzen  au  einen  ö  OO  ;  J         O  } 

anderen  Ort  so  ^gj^j^g  y^j^  ^^-^  G  auzeu  o'etreunt  waren,  diesem  folgen  und,  wenn  sie 

wurden  die  da-  c>  ;  O  ; 

^°".,sf*'®"'^*f°  nicht  auf  Hindernisse  stofsen,  solange  in  dieses  hineindringeu,   als  sie 

Teilchen  mit-  7  O  o        ; 

gehen.  Teile  vorfindeu,  die  ihnen  an  Schwere  nachstehen.  Angelangt  aber 
an  der  Stelle,  wo  sie  auf  schwerere  Materien  treffen,  werden  sie  sich 
nicht  weiter  abwärts  bewegen.  Darum  würde  nach  meiner  Meinung 
in  der  lufterfüllten  Höhle  das  ganze  Gewölbe  einen  Druck  ausüben 
und  widerwillig  über  jener  Luftmasse  nur  solange  bestehen  bleiben, 
als  die  Härte  der  Erdmassen  von  der  Schwere  nicht  überwunden  und 
zerstört  ist.  Einzelne  losgelöste  Steine  aber  würden,  glaube  ich,  nach 
dem  Mittelpunkte  hinfallen  und  nicht  auf  der  Luft  schwimmen.  Des- 
wegen dürfte  man  doch  nicht  behaupten,  sie  bewegten  sich  nicht  nach 
ihrem  Ganzen  hin;  denn  sie  bewegen  sich  dahin,  wohin  alle  Teile  des 
Ganzen  sich  bewegen  würden,  wenn  sie  ungehindert  wären. 

Simpl.  Schliefslich  kommt  noch  ein  gewisser  Fehler  zur  Sprache, 
den  der  Verfasser  bei  einem  Anhänger  des  Kopernikus  rügt.^"^^)  Dieser 
läfst  nämlich  die  Erde  ihre  jährliche  und  tägliche  Bewegung  in  der- 
selben Weise  ausführen,  wie  ein  Wagenrad  sich  auf  der  Erdkugel  und 
zugleich  um  sich  selbst  bewegt.  •  Er  schreibt  daher  entweder  der  Erde 
eine  zu  grofse  oder  der  Erdbahn  eine  zu  geringe  Ausdehnung  zu,  da 
365  Umdrehungen  des  Äquators  weit  weniger  betragen  als  die  Peri- 
pherie der  Erdbahn. 

Salv.  Ihr  irrt  Euch,  merkt  wohl,  luid  sagt  das  Gegenteil  von 
dem,  was  in  dem  Büchlein  geschrieben  stehen  mufs.  Denn  es  mufs 
heifsen:  er  legte  der  Erde  eine  zu  geringe  oder  der  Erdbahn  eine  zu 
grofse  Ausdehnung  bei;  nicht  aber:  der  Erde  eine  zu  grofse  und  der 
Erdbahn  eine  zu  geringe.^) 

Simpl.     Der    Fehler   liegt    keineswegs    an    mir.      Die    Worte    des 


( 


1)  Hier  ti^j^d  dem  Verfasser  des  Biiclüeins  der  TrrUini  zugeschriehen^  er  findet 
sich  aber  in  Wahrheit  nicht  darin. 


[269.  270.]  Zweiter  Tag.  261 

Büchleins  lauten:  non  videt  quod  vel  clrcnlum  anniium  aequo  minorem, 
vel  orhem  terreum  iusto  imUto  fahricet  maiorem. 

Salv.     Ob   der  erste  Verfasser  geirrt    Hat,    kann   ich   nicht    ent- 
scheiden, da  ihn  der  Verfasser  des  Büchleins  nicht  nennt;   aber  offen- 
bar und  unverzeihlich  ist   der  Irrtum  des  Büchleins,  mag  jener  erste 
Anhänger  des   Kopernikus    nun   geirrt  haben    oder   nicht.     Denn    der 
Autor  des  Büchleins   geht   über  einen  so  wesentlichen  Fehler  hinweg, 
ohne  ihn  zu  bemerken,   er  macht  nicht  auf  ihn  aufmerksam  und  ver- 
bessert ihn  nicht.     Dies   sei  ihm  indessen  verziehen,   da  es   eher  eine 
Unachtsamkeit  als  etwas  Schlimmeres  ist.     Wenn  ich  nicht  müde  und 
überdrüssig    wäre,     auf    diese    kleinlichen    Streitigkeiten    mich    ganz 
zwecklos  einzulassen  und  die  Zeit  damit  zu  vergeuden,  so  könnte  ich 
überdies   zeigen,   dafs   ganz  wohl  ein  Kreis,  der  mcht  gröfser  ist   alsnie  Möglichkeit 
ein  Wagenrad,  nicht   nur    mit   365,    sondern    sogar    mit    weniger    als 'soMosseu^  d?fs 
20    Umdrehungen    die    Peripherie    der    Erdbahn,    ja    eine    tausendmalPeriUeT^e  eJes 
gröfsere  zurücklegen  oder  beschreiben  kann.^'^^)     Ich  führe  dies  an,  um  Mair^'ch  um?^ 
zu  zeigen,  dafs  sich  weit  scharfsinnigere  Bemerkungen  an   den  Irrtum  KrelseTeiue 
des  Kopernikaners  ^' ■')  knüpfen  liefseu,  als   die  von  dem  Verfasser  des  legen  oder  be- 
Büchleins   gemachten.     Aber  ich  bitte  Euch,   schöpfen  wir   ein  wenig  die  gröfser  ist"' 
Atem,  um  uns  nun  mit  dem  anderen  Gegner  eben  desselben  Koperni-J'oVrofse  &eis. 
kus  zu  beschäftigen. 

Sagr.  Es  thut  wahrhaftig  auch  mir  Not,  obgleich  mir  nur  die 
Ohren  weh  thun.  Wenn  ich  nicht  hoffte,  geistvollere  Betrachtungen 
von  diesem  anderen  Autor  zu  hören,  würde  ich  mich  lieber  durch  eine 
Gondelfahrt  erfrischen. 

Simpl.  Ich  denke,  Ihr  werdet  von  ihm  Dinge  anderen  Schlages 
zu  hören  bekommen;  denn  er  ist  ein  durch  und  durch  gründlicher 
Philosoph,  besitzt  auch  ein  bedeutendes  mathematisches  Wissen  und 
hat  den  Tycho  in  Sachen  der  Kometen  und  der  neuen  Sterne  wider- 
legt."'^) 

Salv.     Ist  er  etwa  identisch  mit   dem  Verfasser  des  Antitycho? 

Simpl.  Derselbe.  Die  Widerlegung  betreffs  der  neuen  Sterne  be- 
findet sich  aber  in  dem  Antitycho  nur  insoweit,  als  der  Verfasser 
dort  nachweist,  dafs  diese  der  Unveräuderlichkeit  und  Unerzeugbarkeit 
des  Himmels  keinen  Eintrag  thun,  wie  ich  Euch  schon  mitteilte. 
Nach  Abfassung  des  Antitycho  aber  hat  er  mittels  der  Parallaxen  eine 
Methode  ausfindig  gemacht,  um  nachzuweisen,  dafs  auch  sie  elemen- 
tare Gebilde  sind,  Avelche  innerhalb  der  Mondsphäre  ihren  Sitz  haben. 
Er  hat  diese  Methode  in  einem  neuen  Buche,  De  trihas  noois  sfcllis  etc., 
veriJÖ'cutlicht  uud  darin  auch  die  Argumente  gegen  den  Kopernikus 
vorgebracht.      Ich    habe   Euch    neulich   angeführt,    was    er  über    diese 


262  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [270.  271.] 

neuen  Sterne  im  Antitycho  geschrieben  liat;  dort  stellte  er  nicht  in 
Abrede,  dafs  sie  am  Firmamente  standen,  führte  aber  den  Nachweis, 
dafs  ihr  Erscheinen  die  Unveränderlichkeit  des  Himmels  nicht  ver- 
ändere, und  zwar  blofs  auf  dem  Wege  philosophischer  Erörterung  in 
der  von  mir  angegebenen  Weise.  Ich  vergafs  Euch  zu  sagen,  dafs  er' 
später  Mittel  imd  Wege  gefunden  hat,  sie  vom  Himmel  zu  verbannen. 
Da  er  nämlich  bei  dieser  Widerlegung  rechnerische  Methoden  und 
Parallaxen  benutzt,  Dinge,  von  denen  ich  wenig  oder  nichts  verstehe, 
so  hatte  ich  dieselben  nicht  gelesen  und  blofs  die  rein  naturphilosophi- 
schen Einwände  gegen  die  Erdbewegung  studiert. 

Salv.  Ich  begreife  sehr  wohl  und  halte  es  für  angemessen,  dafs 
wir  nach  Anhörung  der  Einwände  gegen  Kopernikus  wenigstens  die 
Methode  anhören  oder  kennen  lernen,  durch  die  er  mittels  der  Parallaxen 
nachweist,  jene  neuen  Sterne  seien  elementar,  im  Gegensatz  zu  vielen 
hochangesehenen  Astronomen,  welche  ihnen  sämtlich  eine  sehr  hohe 
Stelle  anwiesen  und  zwar  am  Fixsternhimmel.  Da  dieser  Schriftsteller 
ein  so  kühnes  Unternehmen  zu  Ende  führt  wie  das,  die  neuen  Sterne 
vom  Firmament  bis  in  die  elementare  Sphäre  hinal)zuziehen,  so  ist  er 
wert  hoch  erhoben  und  selbst  unter  die  Sterne  versetzt  zu  werden, 
oder  wenigstens  verdient  sein  Name  unter  diesen  rühmlich  verewigt 
zu  werden.  Erledigen  wir  deshalb  so  rasch  als  möglich  jenen  ersten  i 
Teil,  worin  er  die  Ansicht  des  Kopernikus  bekämpft.  Begiimt  damit,  ^ 
seine  Einwände  vorzutragen. 

Simpl.  Es  wird  nicht  angehen,  sie  wortgetreu  vorzulesen,  denn 
sie  sind  sehr  weitläufig.  Indessen  habe  ich,  wie  Ihr  seht,  bei  dem 
wiederholten  aufmerksamen  Studium  derselben  am  Rande  die  Stellen 
bezeichnet,  welche  den  Nerv  des  Beweises  enthalten;  es  wird  genügen 
Die  kopernika-  dicsc  vorzulcseu.  Et  primo  si  opinio  Copernicl  recipiatur,  criterium 
mllht^diiaKli- naturalis  pliilosopläae  m  prorsus  ioUatiir,  vehementer  saltem  lahefactari 
sophi^zunichte'vwfe^wr.  ^^')  Dicscm  von  allen  Philosopheuschulen  anerkannten  Krite- 
rium zufolge  sind  die  Sinne  imd  die  Erfahrung  unsere  Leiter  beim 
Erforschen  der  Wahrheit.  Nach  der  kopernikanischen  Lehre  aber 
täuschen  sich  die  Sinne  gewaltig,  selbst  wenn  sie  mit  voller  Deutlich- 
keit aus  unmittelbarer  Nähe  wahrnehmen,  wie  in  ganz  klaren  Medien 
die  schwersten  Körper  lotrecht  und  gerade  sich  abwärts  bewegen  und 
nicht  um  Haaresbreite  von  der  geraden  Linie  abweichen;  trotz  alle- 
dem täuscht  sich  nach  Kopernikus  in  einem  so  klaren  Falle  der  Ge- 
sichtssinn und  jene  Bewegung  ist  keineswegs  gerade,  sondern  aus 
gerader  und  kreisförmiger  Bewegung  zusammengesetzt. 

Salv.     Dieses  ist  das  erste  Argument,  welches  Aristoteles,  Ptole- 
maus  und  alle  ihre  Anhänger  vorbringen,   welches  zur  Genüge  Beant- 


[271.  272.]  Zweiter  Tag.  263 

wortimg   gefimden   hat,   imd    dessen   Felilerliaftigkeit   oft   genug  nach- 
gewiesen wordeii  ist.    Wie  wir  klar  dargelegt  haben,  ist  die  Bewegung,Die  gemrinsame 
welche  uns  und  anderen  Körpern  gemeinsam  ist,  so  gut  wie  nicht  vor-  gut  wie  nicht 
handen.      Da    aber    richtige   Schlufsfolgerungen    sich    auf   tausenderlei 
Weisen   bestätigen   lassen,    will   ich   diesem   Philosophen   zuliebe   noch 
etwas  Weiteres  hinzufügen.     Übernehmt  Ihr,  Signore  Simplicio,  seinen 
Part  und  antwortet  auf  meine  Fragen.      Sagt    mir   zunächst,   welche  Das  von  den 
Wirkung  der   Stein    bei  seinem  Falle  von  der  Turmspitze    auf  Euch  den  Körpern 
ausübt,  sodafs  Ihr  seine  Bewegung  wahrnehmt;  denn  wenn  durch  seinen  Argument  wird 
Fall  keine   weitere   neue   Eiuwirkimg   auf  Euch    zu    derjenigen  hinzu-     widerlegt. 
träte,  die  er  schon  bei  seiner  Ruhe  auf  der  Turmspitze  ausübte,  wür- 
det Ihr  sicherlich  seinen  Fall  nicht  bemerken  und  nicht  imstande  sein 
zu  entscheiden,  ob  er  sich  bewegt  oder  stille  steht. 

Slmpl.  Ich  erkenne  seine  Abwärtsbewegung  durch  sein  Verhal- 
ten zum  Turme;  denn  ich  erblicke  ihn  jetzt  neben  jener  Marke  an 
besagtem  Turme,  dann  neben  einer  tieferen  und  so  fort,  bis  ich  ihn 
auf  der  Erde  angelangt  finde. 

Salv.  Wäre  also  jener  Stein  aus  den  Krallen  eines  fliegenden 
Adlers  einfach  durch  die  unsichtbare  Atmosphäre  hindurchgefallen, 
ohne  dafs  Ihr  sonst  ein  sichtbares,  feststehendes  Objekt  hättet,  um 
mit  ihm  den  Stein  zu  vergleichen,  so  würdet  Ihr  seine  Bewegung 
nicht  wahrnehmen  können? 

Simpl.      Allerdings    würde   ich  sie   wahrnehmen.     Denn    um    den 
Stein   zu   sehen,   wenn   er  noch   ganz    oben  ist,   müfste   ich   den  Kopf  wieso  mau  die 
heben  und  ihn  allmählich  entsprechend  dem   beständigen  Fallen  des  fallenden  Ki.r- 
Steines    senken,    kurz    fortwährend    mit  dem  Kopfe    oder  den  Augen 
seiner  Bewegung  folgen. 

Salv.      Jetzt  habt   Ihr    die    richtige   Antwort    gegeben.     Ihr   seid 
also  von  der  Unbewegtheit  des  Steines  überzeugt,  sobald  Ihr  ihn,  ohne  Die  Bewegung 
das  Auge  zu  bewegen,  stets  vor  Euch  erblickt;  hingegen  erkennt  Ihr,  weist  uns  die 
dafs  er  sich  bewegt,  wenn  Ihr  das  Gesichtsorgan,  nämlich  das  Auge,  angeschauten 
bewegen  müfst,   um  ihn  nicht  aus  dem  Gesicht  zu  verlieren.     Sobald 
Ihr  also  ohne  jede  Bewegung  des  Auges  ein  Objekt  stets  in  derselben 
Ansicht   vor  Euch    erblicktet,   so    würdet  Ihr    es    immer   für   ruhend 
halten,  nicht  wahr? 

Simpl.     Ich  glaube,  dafs  das  unbedingt  der  Fall  wäre. 

Salv.  Denkt  Euch  nun,  Ihr  wäret  in  einem  Schiffe  und  hättet 
das  Auge  auf  die  Spitze  der  Raa  gerichtet.  Glaubt  Ihr  nun  darum, 
weil  das  Schiff  sich,  wenn  auch  noch  so  schnell,  bewegt,  das  Auge 
bewegen  zu  müssen,  um  diese  Spitze  nicht  aus  dem  Gesichte  zu  ver- 
lieren und  ihrer  Bewegimg  zu  folgen? 


264  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [272.  273.] 

Simpl.  Ich  biu  überzeugt,  dafs  keinerlei  Veränclerimg  nötig  wäre; 
ganz  zu  geschweigen  von  der  Blickriclitung,  selbst  wenn  ich  mit 
einer  Flinte  dahin  visiert  hätte,  so  brauchte  ich  sie  bei  keinerlei  Be- 
wegung des  Schiffes  um  Haaresbreite  zu  verrücken,  um  sie  in  ihrer 
Richtung  aufs  Ziel  zu  belassen. 

Salv.  Und  zwar  rührt  dies  daher,  dafs  da§  Schiff  die  Bewegung, 
welche  es  der  Raa  mitteilt,  auch  Euch  und  Euerem  Auge  mitteilt, 
so  dafs  Ihr  nicht  nötig  habt,  letzteres  zu  bewegen,  um  die  Spitze  im 
Auge  zu  behalten;  infolge  davon  erscheint  sie  Euch  unbewegt.  Mit 
der  Bichtung  der  Gesichtslinie  vom  Auge  zur  Raa  verhält  es  sich  ebenso, 
ivie  wenn  zwei  Punkte  des  Schiffes  durch  ein  Tau  verbunden  wären.  Nun 
sind  aber  eine  Menge  von  Tauen  an  verschiedenen  Punkten  befestigt  und 
bewahren  ihre  Lage,  mag  das  Schiff  sich  fortbeivegen  oder  stille  stehen. 
Macht  nun  von  dieser  Überlegung  die  Nutzanwendung  auf  die  Rota- 
tion der  Erde  und  den  Stein  auf  der  Turmsj^itze.  Bei  ihm  vermögt 
Ihr  darum  nicht  die  Bewegung  wahrzunehmen,  weil  ebenso  wohl  Ihr 
wie  der  Stein  die  Bewegungsart,  die  nötig  ist  um  ihn  zu  verfolgen, 
gemeinsam  von  der  Erde  empfangen  habt  und  weil  Ihr  demnach  das 
Auge  nicht  zu  bewegen  braucht.  Kommt  daim  aber  die  Bewegung 
nach  unten  noch  hinzu,  welche  ihm  allein,  nicht  aber  Euch  angehört 
und  die  mit  der  kreisförmigen  sich  zusammensetzt,  so  ist  die  kreis- 
förmige nach  wie  vor  für  Euch  nicht  zu  bemerken,  weil  sie  Euch  und 
ihm  gemeinsam  ist,  und  blofs  die  geradlinige  kommt  zur  Wahrneh- 
mung; denn  um  sie  zu  verfolgen,  müfst  Ihr  das  Auge  abwärts  be- 
versucb,  der  bc  wegcu.  Um  Eucrcm  Philosophen  seinen  Irrtum  zu  benehmen,  möchte 
^meinsame  Be-icli  ihm  anraten,  folgende  Beobachtung  anzustellen.  Er  mag  auf  ein 
wlbfudfrabaHst  Schiff'  gehen,  dort  ein  recht  tiefes,  mit  Wasser  gefülltes  Gefäfs  sich 
geben  lassen,  ferner  sich  eine  Kugel  aus  Wachs  oder  einem  anderen 
Stoffe  verschaffen,  der  sehr  langsam  zu  Boden  sinkt,  sodafs  er  in  einer 
Minute  kaum  eine  Elle  fällt.  Er  lasse  sodann  das  Schiff'  so  schnell 
als  möglich  vorwärts  schaffen,  sodafs  es  in  einer  Minute  mehr  als 
hundert  Ellen  zurücklegt,  tauche  nun  sachte  genannte  Kugel  in  das 
Wasser  und  beobachte  sorgfältig  ihre  Bewegung.  Er  wird  dami  erst- 
lich bemerken,  dafs  sie  genau  nach  demselben  Punkte  des  Bodens  sich 
hinbewegt,  wie  wenn  das  Schiff  stille  stünde,  sodanm  aber  würde  für 
sein  Auge  und  in  Bezug  auf  das  Gefäfs  eine  solche  Bewegung  völlig 
lotrecht  und  gerade  erscheinen.  Und  doch  kann  man  nicht  läugnen, 
dafs  sie  zusammengesetzt  ist  aus  der  geradlinigen  Bewegung  nach 
unten  und  der  kreisförmigen  um  das  Element  des  Wassers.  Geschehen 
nun  solche  Dinge  schon  bei  nicht  natürlichen  Bewegungen  und  bei 
Materien,  bei  welchen  wir  Versuche   erst  im  Zustande  der  Ruhe  und 


i 


[273.  274.]  Zweiter  Tag.  265 

dann  in  dem  der  Bewegung  anstellen  können,  und  bemerkt  mau  gleich- 
wohl hinsichtlich  des  Scheines  keinerlei  Verschiedenheit,  sodafs  die 
Sinne  sich  trügerisch  zeigen,  wie  wollen  wir  da  bei  der  Erde  einen 
Unterschied  finden  können,  welche  seit  jeher,  was  Ruhe  und  Bewegung 
betrifft,  in  derselben  Verfassung  geblieben  ist?  Zu  welcher  Zeit  sollten 
wir  denn  ausprobieren,  ob  irgendwelcher  Unterschied  zwischen  den 
Bewegungen  auf  der  ruhenden  und  denen  auf  bewegter  Erde  statt- 
findet, wo  sie  doch  immer  und  ewig  blofs  in  einem  dieser  Zustände 
beharrt? 

Sagr.    Diese  Untersuchungen  haben  meinen  Appetit  wieder  einiger- 
mafsen  rege  gemacht,  der  mir  über  jenen  Fischen  und  Schnecken  teil- 
weise  vergangen   war.      Der   ersterwähnte  Punkt    bringt   mich   auf  die 
Berichtigung  einer  irrigen  Ansicht,  die  so  viel  Verführerisches  für  sich 
hat,  dafs  wahrscheinlich  nicht  einer  von  Tausenden  sie  für  zweifelhaft 
hielte.     Die  Sache   war  die.    Als  ich  zur  See  nach  Syrien  ging,  hatte 
ich   ein  sehr   gutes    Teleskop   bei  mir,  ein  Geschenk   unseres  gemein-  Subtiie  Erwa- 
samen  Freundes ,   der   es   wenige  Tage   zuvor   ersonnen  hatte.  ^■'^)     IchFernrohr  ebenso 
sprach  mit  den  Seeleuten  davon,  ein  wie  grofser  Nutzen  für  die  Schiff-SpUze  d.  Schiffs- 
fahrt  erwachsen  könnte,   wenn  man  das  Fernrohr  auf  dem  Mastkorb  seinem  Fufse 
des  Schiffes  verwendete,  um  Fahrzeuge  von  weitem  zu  entdecken  und  finden  kann. 
zu  erkennen.    Die  Nützlichkeit  wurde  zugegeben,  aber  dem  gegenüber 
auf  die  Schwierigkeit  hingewiesen,  es  bei  dem  beständigen  Schwanken 
des  Schiffes  zu  gebrauchen  und  insbesondere  auf  der  Spitze  des  Mastes, 
wo  die  Bewegung  so  viel  gröfser  ist;  mau  meinte,  es  sei  besser,  wenn 
man   es  am  Fufse   des   Mastes   verwenden  könnte,    wo   die  Bewegung 
geringer  sei  als  an  jeder  anderen  Stelle  des  Fahrzeugs.    Ich  liefs  mich 
zu   derselben  Ansicht  verleiten    —    ich  will  meinen  Irrtum  nicht  ver- 
hehlen —  und  erwiderte   im  Augenblick  nichts.     Ich  weifs  nun  nicht 
warum,  aber  die  Sache  ging  mir  im  Kopfe  herum,   ich  grübelte  nach 
und  entdeckte  schliefslich,  dafs  ich  in  meiner,  wenn  auch  verzeihlichen, 
Einfalt  als  richtig  zugegeben  hatte,  was  grundfalsch  ist.    Es  ist  näm- 
lich falsch,   dafs   die  sehr    grofse   Schwankung   des  Mastkorbs   gegen- 
über   der    kleinen    am   Fufse    des    Mastes    das   Auffinden    des    Objekts 
mittels  des  Fernrohres  erschwere. 

Salv.  Ich  wäre  der  nämlichen  Ansicht  gewesen  wie  die  Seeleute 
und  wie  Ihr  anfanglich. 

Simpl.  Auch  ich  wäre  dieser  Ansicht  gewesen  und  l)iii  es  noch; 
und  ich  glaube,  wenn  ich  hundert  Jahre  darüber  nachdächte,  Avürde 
ich  mich  zu  keiner  anderen  bekehren. 

Sagr.  Ich  werde  diesmal  also  Euch  beiden  gegenüber  den  Lehr- 
meister spielen  können,  wie  mau   zu  sagen  pflegt.     Da  nun  das  kate- 


266  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [274.  275.] 

chetisclie  Yerfahren,  wie  mir  scheint,  sehr  dazu  beiträgt  Klarheit 
über  die  Dinge  zu  schaffen,  abgesehen  von  dem  Vergnügen,  das  es 
macht  den  Partner  zu  überraschen  und  ihm  das  auf  die  Zunge  zu 
legen,  was  er  unbewufst  wiifste,  so  will  ich  mich  dieses  Kunstgriffs 
bedienen.  Erstlich  nehme  ich  an,  dafs  die  Schiffe,  Kaper  oder  was 
sonst  für  Fahrzeuge,  welche  man  zu  entdecken  und  zu  erkennen  sucht, 
recht  weit  entfernt  sind  d.  h.  4,  6,  10  oder  20  Mighen  weit,  denn  um 
nähere  zu  erkennen  bedarf  es  keines  Glases.  Das  Fernrohr  vermag  daher 
bequem  in  einer  solchen  Entfernung  von  vier  bis  sechs  Miglien  das 
ganze  Fahrzeug  und  selbst  einen  noch  weit  gröfseren  Gegenstand  zu 
erblicken.  Ich  frage  nun,  von  welcher  Art  und  Avaevielfältig  sind  die 
verschiedenen  Bewegungen,  welche  der  Mastkorb  infolge  des  Schwan- 
kens des  Schiffes  macht? 

Salv.     Nehmen  wir  an,   das   Schiff  fahre    nach    Osten.     Zimächst 
Verschiedene  würde  dami  bei  völlig  ruhigem  Meere  keine  andere  Bewegung  als  diese 

von  dem  Schwan-  r-      i  t^  i  i  fxr  ^  . , , 

ken  des  Schiffes  fortschreitende  stattfinden.     Kommt  nun  aber  das   Wogen  der  Wellen 

herrührende  Bo-  .     ^       .  .  ,,  iii  i_j_i  ipii- 

wegungen.  hiuzu,  SO  Wird  eiuc  wcitcre  Bewegung  dadurch  entstehen,  dals  der  hm- 
tere  und  vordere  Teil  des  Schiffes  sich  abwechselnd  hebt  und  senkt, 
wodurch  der  Mastkorb  sich  vor-  und  rückwärts  neigt.  Andere  Wellen, 
die  das  Schiff  von  der  Seite  her  treffen,  beugen  den  Mast  nach  rechts 
und  links;  wieder  andere  können  dem  Schiffe  eine  beträchtliche 
Drehung  erteilen  und  etwa  seinen  Besanmast  von  dem  genauen  öst- 
lichen Kurs  abbringen,  bald  nach  Nordost,  bald  nach  Südost;  andere 
heben  den  Kiel  in  die  Höhe  und  bewirken  so  eine  Hebung  und  Sen- 
kung des  ganzen  Schiffes,  ohne  seine  Richtung  zu  beeinflussen.  Alles 
Zwei  Arten  der  [^  allem  schclut   CS  mir  zwei  der  Art   nach  verschiedene  Bewegungen 

liagenändeniDg 

des  Fernrohrs  ^u  gebcii,  eluc,  wclchc  dlc  Lage  des  Fernrohres  hinsichtlich  des  Rich- 

werden  durch  .  .  .  .. 

das  Schwanken  tunscs winkeis  uud  ciiic,  welche  sie,   wie   wir  sagen  können,  linear  ver- 

des  Schiffs  be-  »  '  .          '  i  i     p         i  i  t>    i 

■wirkt.  ändert,  ohne  den  Richtungswinkel  zu  ändern,  so  dafs  also  das  Rohr 
des  Instrumentes  stets  sich  selber  parallel  bleibt. 

Sagr.  Sagt  mir  demnächst:  wenn  wir  zuerst  das  Fernrohr  dort 
auf  den  Turm  von  Burano"^^)  richten,  der  sechs  Miglien  von  hier  ent- 
fernt ist,  und  verändern  sodann  den  Richtungswinkel  nach  rechts 
oder  links,  nach  oben  oder  unten,  nur  um  soviel  wie  das  Schwarze 
am  Nagel,  welche  Wirkimg  würde  das  bezüglich  der  Sichtbarkeit  des 
Tm-mes  haben? 

Salv.  Es  würde  dadurch  der  Turm  sofort  aus  dem  Gesichtsfelde 
verschwinden;  denn  eine  Abweichung  von  diesem  Betrage  kann,  so 
klein  sie  hier  an  Ort  und  Stelle  ist,  in  solcher  Entfernung  Hunderte 
und  Tausende  von  Ellen  ausmachen. 

Sagr.     Wenn  wir  aber  ohne  Winkeländerung  das  Rohr  sich  selber 


[275.  276.]  Zweiter  Tag.  267 

parallel  um  10  oder  12  Ellen  fortrückten,  nach  rechts  oder  links, 
nach  oben  oder  unten,  welche  Wirkung  würde  das  hinsichtlich  des 
Turmes  haben? 

Salv.  Eine  ganz  und  gar  verschAvindende;  demi  da  die  Strecken 
hier  und  dort  zwischen  parallelen  Strahlen  enthalten  sind,  so  müssen 
die  Veränderungen  hier  gleich  denen  dort  sein.  Da  nun  das  Gesichts- 
feld des  Instrumentes  vielmals  gröfser  ist  als  jener  Turm,  so  ^vürden 
Avir  ihn  keineswegs  aus  den  Augen  verlieren. 

Sagr.  Um  jetzt  auf  unser  Schiff  zurückzukommen,  so  können 
wir  unbedenklich  behaupten,  dafs  die  Bewegung  des  Fernrohrs  nach 
rechts  und  links,  nach  oben  imd  unten,  oder  auch  vorwärts  und  rück- 
wärts in  einem  Betrag  von  20  bis  25  Ellen,  wenn  es  dabei  sich  selber 
parallel  bleibt,  die  Gesichtslinie  von  dem  fixierten  Punkte  des  Objektes 
um  nicht  mehr  als  um  eben  diese  25  Ellen  ablenken  kann.  Da  nun 
bei  einer  Entfernung  von  8  bis  10  Miglien  das  Gesichtsfeld  des  In- 
strumentes über  eine  viel  gröfsere  Fläche  sich  erstreckt  als  über  die 
des  Kapers  oder  was  sonst  für  ein  Boot  in  Sicht  kommt,  so  kann 
eine  so  geringe  Änderung  mich  dasselbe  nicht  aus  dem  Auge  verlieren 
lassen.  Das  Hinderliche,  die  Ursache  dafür,  dafs  man  das  Objekt  ver- 
liert, kann  also  nur  von  den  Veränderungen  des  Richtungswinkels  her- 
rühren; denn  durch  das  Schwanken  des  Schiffes  kann  keine  Verschie- 
bung des  Fernrohrs  um  eine  sehr  bedeutende  Anzahl  von  Ellen  nach 
oben,  unten,  rechts  oder  Knks  hervorgerufen  werden.  Setzt  nun  den 
Fall,  Ihr  hättet  zwei  Fernrohre,  eines  am  unteren  Teile  des  Schiffs- 
mastes,  das  andere  auf  der  Spitze  des  Mastes  oder  sogar  oben  an  der 
höchsten  Stenge,  wenn  mau  dieselbe  senkrecht  in  die  Höhe  richtet.  Beide 
mögen  auf  ein  10  Miglien  weit  entferntes  Fahrzeug  gerichtet  sein. 
Sagt  mir  nun,  ob  Ihr  glaubt,  dafs  bei  irgendwelcher  Schwankung  des 
Schiffes  und  Neigung  des  Mastes  eine  gröfsere  Änderung  hinsichtlich 
des  Richtungswinkels  bei  dem  in  höchster  Höhe  aufgestellten  Rohre 
stattfindet,  als  bei  dem  unteren.  Wenn  eine  W^elle  den  vorderen  Teil 
des  Schiffes  hebt,  wird  sie  allerdings  die  Spitze  der  Raa  30  bis  4< )  Ellen 
weiter  nach  hinten  werfen  als  den  Fufs  des  Mastes,  sodafs  das  obere 
Rohr  um  eine  gleiche  Strecke  rückwärts  geführt  wird,  während  das 
imtere  sich  vielleicht  imr  eine  Spanne  weit  bewegt;  die  Änderung  des 
Richtungswinkels  aber  ist  bei  dem  einen  Instrumente  so  grofs  als  bei 
dem  anderen.  Desgleichen  verschiebt  eine  von  der  Seite  kommende 
Welle  das  obere  Fernrohr  vielleicht  himdertmal  weiter  nach  rechts 
oder  links  als  das  untere,  die  Winkel  aber  ändern  sich  entweder  gar 
nicht  oder  um  gleiche  Beträge.  Die  Verschiel )ung  nach  rechts  und 
links,   nach  oben   und   unten,  nach  vorn   imd  hinten,  hat  aber  keinen 


268  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [276.  277.] 

merkliclieii  Einflufs  auf  die  Sichtbarkeit  entfernter  Objekte^  die  Ände- 
rung des  Winkels  hingegen  den  allergröfsten.  Man  mufs  also  not- 
wendig einräumen,  dafs  der  Gebrauch  des  Fernrohrs  auf  der  Spitze 
des  Mastes  keine  gröfseren  Schwierigkeiten  bereitet  als  am  Fufse 
desselben,  da  nämlich  au  beiden  Stelleu  die  Richtungsänderimgen 
gleich  sind. 

Salv.  Wie  behutsam  man  doch  sein  mufs,  ehe  man  eine  Behauptung 
zugiebt  oder  in  Abrede  stellt!  Ich  wiederhole,  wenn  man  so  kiihnlich 
aussprechen  hört,  dafs  wegen  der  stärkeren  Bewegung  der  Mastspitze 
im  Vergleich  zu  dem  Mastfufse  die  Anwendimg  des  Fernrohrs  oben 
weit  schwieriger  sei  als  unten,  jedermann  von  der  Richtigkeit  dieser 
Behauptung  überzeugt  sein  wird.  So  kann  ich  denn  auch  wohl  jene 
Gelehrten  entschuldigen,  die  sich  verzweifelte,  luid  doch  vergebliche. 
Mühe  geben,  um  die  Ansicht  derer  zu  bekämpfen,  welche  die  schein- 
bar so  deutliche,  gerade  nach  unten  gerichtete  Bewegung  der  Kanonen- 
kugel nicht  zugeben,  sondern  meinen,  sie  bewege  sich  in  einem,  noch 
obendrein  stark  geneigten,  sehr  schrägen  Bogen.  Doch  lassen  wir  sie 
sich  weiter  quälen  und  hören  wir  die  anderen  Einwände,  welche  in 
der  vorliegenden  Schrift  gegen  Kopernikus  erhoben  werden. 

Simpl.     Der  Verfasser  fährt  noch  immer  fort  zu  zeigen,  wie  nach 
jahrHche  Ba-  dci  Lehre  des  Kopernikus  die  Sinne  und  die  lebhaftesten  Sinueswahr- 
mt^ste^ei^en  be^nehmimgen  in  Abrede  gestellt  werden:    während  wir  z.  B.  das  Wehen 
lebhaften  winddcs  leiscsteu  Luftzugcs   vcrspürcu,    merken   wir  nichts  von  dem  Un- 
gestüm des  unaufhörlichen  Windes,  der  mit  einer  Geschwindigkeit  von 
2529  Miglien  in  der  Stunde  uns  trifft.    So  grofs  nämlich  ist  die  Strecke, 
welche  der  Erdmittelpunkt  bei  der  jährlichen  Bewegung  während  einer 
Stunde  in  seiner  Bahn   zurücklegt,   wie   der  Verfasser    sorgfältig    be- 
rechnet; und  weil,   wie  er  meint,  auch  nach  der  Ansicht  des   Koper- 
nikus cum  Terra   movetur  circumpositas  ai'r,  motus  tarnen  eins  velocior 
licet  ac  rapidior  celerrimo  qiiocumque  vento  a  nobis  non  sentiretur,  sed 
summa  tum  tranqiiillitas  repiitaretur ,   nisi  aliiis   motiis  accederet.     Quid 
est  vero  decipi  sensus,  nisi  haec  esset  deceptio?^^") 

Salv.  Der  Verfasser  mufs  der  Ansicht  sein,  dafs  jene  Erde,  welche 
Kopernikus  samt  der  umgebenden  Luft  sich  im  Kreise  bewegen  läfst, 
nicht  dieselbe  Erde  sei,  auf  welcher  wir  wohnen,  sondern  eine  andere 
davon  verschiedene.  Denn  unsere  Erde  trägt  auch  uns  mit  fort  und 
zwar  mit  der  nämlichen  Geschwindigkeit,  welche  sie  selber  und  welche 
die  angrenzende  Atmosphäre  hat.  Wie  können  wir  einen  Stofs  fühlen, 
während  wir  ebenso  rasch  dahin  eilen  wie  derjenige,  welcher  den 
Wenn  wir  stets  Stofs  auf  uus  fühi't?  Dicser  Herr  hat  vergessen,  dafs  auch  wir, 
TeUe  der  Atmo-cbeuso  wie  Erde  imd  Luft,  im  Kreise  fortgeführt  werden,  also  immer 


1 


[277.  278.]  Zweiter  Tag.  269 

mit   demselben  Teile   der  Atmosphäre   in   Beriiliruui?   bleiben ,   folfjlich  sphäre  in  Be- 

„  ?  o  rührung  bleiben, 

keinen  btofs  von  inr  empfangen  können.  fuhien  wir 

keinen  Stols. 

Simpl.  Docb  nickt!  Hört^  wie  die  unmittelbar  folgenden  Worte 
lauten:  Fraeterea  nos  quoqiie  rotamuy  ex  circumduciione  Terrae  efc^^^)     ' 

Salv.  Jetzt  weifs  ich  ihm  nicht  mehr  zu  helfen  und  ihn  zu  ent- 
schuldigen; entschuldigt  Ihr  ihn,  helft  ihm,   Signore  Simplicio. 

Simpl.  Im  Augenblick,  so  ohne  Vorbereitung,  fallt  mir  keine  be- 
friedigende Verteidigung  ein. 

Salv.  Na,  so  Averdet  Ihr  heute  Nacht  darüber  nachdenken  und 
ihn  dann  morgen  verteidigen;  inzwischen  höreii  wir  seine  anderen 
Gegengründe. 

Simpl.  Denselben  Einwand  führt  er  noch  weiter  aus,  indem  er 
zeigt,  dafs  man  nach  Kopernikus  die  eigenen  Sinneswahrnehmuno-en  in    "^°™  ^taud- 

"  '  ....  punkte  des  Ko- 

Abrede   stellen   müsse.      Denn   ienes   Princip,    infolge   dessen  wir   uns  pemitus  murs 

''  ^  ^  ^  ^  man  die  Sianes- 

samt  der  Erde  herumdrehen,    sei   entweder  für  ims  ein  inneres,  oder.^^'»^™ö^™""gen 

-  .  '  In  Abrede  stellen. 

em  uns  fremdes,  d.  h.  em  gewaltsames  Fortreifsen  von  selten  der 
Erde.  In  diesem  zweiten  Fall  würde  der  Tastsinn  das  unmittelbar 
mit  ihm  verbmidene  Objekt  und  seinen  Eindruck  auf  das  Sinnesorgan 
nicht  wahrnehmen.  Wenn  aber  das  Princip  ein  inneres  ist,  so  wür- 
den wir  eine  Ortsveränderung  nicht  wahrnehmen,  welche  von  uns  selbst 
ausgeht  und  würden  einen  unabänderlich  in  uns  vorhandenen  Hang 
gar  nicht  bemerken. 

Salv.     Der  Einwand  des  Verfassers  geht  also  darauf  hinaus,  dafs 
wir  jedenfalls  das  Princip,  vermöge   dessen   wir  uns  mit  der  Erde  be- 
wegen, wahrnehmen  müfsten,  sei  es  nun  ein  äufseres  oder  ein  inneres. 
Da  wir  es  aber  nicht  bemerken,  ist  es  weder  das  eine  noch  das  andere, 
also  bewegen  wir  ims  nicht  und  also  bewegt  sich  auch  die  Erde  nicht. 
Ich  behaupte  nun,  dafs    sowohl  das   eine  als  das  andere  der  Fall  sein  unsere  Bewe- 
kaim,    ohne    dafs    wir    etwas    davon   bemerken.      Dafs    es   ein  äufseres  ^"hinen^^er'"' 
Princip    sein    kann,   daran    wird  jeder  Zweifel   durch  den  Versuch 'mit  ron,°ohne""n 
dem    Schiffe    mehr   als    zur  Genüge    beseitigt;   ich   sage   mehr   als   zur  il^^mnTen^o^L 
Genüge,   deini    da  wir  das   Schiff  jederzeit  sich  bewegen  und   wieder^" '''den" """ 
stillestehen  lassen  können  und  mit  grofser  Genauigkeit  Beobachtungen 
anzustellen  imstande  sind,  ob  wir  mittels  einer  etwaigen  Verschieden- 
heit der  Tastempfindung  die  Bewegung   von   der  Ruhe  unterscheiden 
köimen,  und  da  wir  gleichwohl  sehen,  dafs  wir  ein  solches  Vermögen 
nicht  besitzen:  was  Wunders,  wenn  wir  uns  bei  der  Erde  in  der  näm- 
lichen  Ungewifsheit    befinden,   bei   der   Erde,   die   uns   möglicherAveise 
beständig  mit  sich  geführt  hat,  ohne  dafs  wir  jemals  die  Erscheinungen 
im  Falle    ihrer    Ruhe    hätten    kennen   lernen    können?      Ihr,    Signore  dio  Bewegung 
Simplicio,    seid    doch,    soviel    ich    weifs,    tausendmal    zu   Schiffe  nach^^'^v^hrüeuLbar* 


270  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [278.  279.] 

tiurch  den  Tast-Padua  gei'eist;  wenn  Ilir  aber  aufrichtig  gestehen  wollt,  habt  Ihr  nie- 
darin  Beünii-  mals  Euere  Beteiligung  an  dieser  Bewegung  gespürt,  es  sei  denn,  die 
Barke  sei  aufgelaufen  oder  auf  ein  Hindernis  gestofsen  und  sei  da- 
durch zum  Stillestehen  gebracht  worden,  sodafs  Ihr  und  die  anderen 
Passagiere  jjlötzlich  überrascht  wurdet  und  in  ein  gefährliches  Tau- 
meln gerietet.  Der  Erdball  müfste  auf  irgend  ein  Hindernis  stofsen, 
das  ihn  hemmte-,  dann,  versichere  ich  Euch,  würdet  Ihr  den  Euch 
innewohnenden  Antrieb  der  Bewegung  schon  merken,  wenn  Ihr  durch 
denselben  zu  den  Sternen  fortgeschleudert  mirdet:  durch  andere  Sinnes- 

Die  Bewegung  Wahrnehmungen  freilich,  aber  nur  in  Verbindung  mit  vernünftigen  Er- 
der Barke  mittels  .  . 
des  Gesichts-  wägiuigeu,   köunt  Ihr  die  Bewegung  der  Barke  bemerken,  mittels  des 


unter  zuMife-  Gesichtssimies  nämlich,  wenn  Ihr  die  Bäume  und  die  Bauten  betrachtet, 

nähme  vernünf- 
tiger Erwä-    welche  am  Lande  stehen  und  welche,   weil    ohne  Verbindimg   mit   der 

guugen  wahr-  -p,      ,  .    ,     .  .  .  ... 

nehmbar.     Barkc,  sich  lu  entgegengesetzter  Richtung  zu  bewegen  scheinen.    Wenn 
Krtibewegung  anihr  durch  eine  derartige  Beobachtung  Euch  von  der  Bewegung  der  Erde 

den  Sternen  ^  ^  ö        O 

wahrnehmbar  überzcugeu  wolltct,  SO  würde  ich  Euch  anraten,  die  Sterne  zu  be- 
trachten, welche  aus  eben  diesem  Grunde  sich  in  entgegengesetzter 
Richtung  zu  bewegen  scheinen.  —  Wenn  man  sich  aber  wmidert,  dafs 
man  genanntes  Princip  nicht  wahrnehme  für  den  FaU,  dafs  es  ein 
inneres  sei,  so  ist  das  noch  weniger  vernünftig.  Deim  da  wir  ein 
solches  nicht  einmal  bemerken,  wenn  es  von  aufsen  auf  uns  wirkt  und 
häufig  zu  wirken  aufhört,  aus  welchem  Grunde  sollten  wir  es  be- 
merken, wenn  es  unabänderlich  und  beständig  in  uns  seinen  Sitz  hat? 
Findet  sich  sonst  noch  eine  Bemerkung  über  dieses  Argument  vor? 

Simpl.  Noch  ein  schönes  Ausrufesätzchen.  Ex  hac  itaque  opi- 
nione  necesse  est  diffuJere  nostris  sensilus,  ut  penitus  fallacihus  vel  stu- 
pidis  in  scnsüihiis,  etiam  coniundissimis,  diuidicandis;  quam  ergo  veri- 
tatcm  sperare  possunms  a  facultate  adco  faUaci  ortum  trahentem'P^-) 

Salv.  Da  möchte  ich  doch  nützlichere  und  zweifellosere  Lehren 
daraus  ziehen,  nämHch  vorsichtiger  und  weniger  vertrauensselig  dem 
gegenüber  zu  sein,  was  bei  oberflächlicher  Betrachtung  die  Sinne  uns 
vorspiegeln,  die  uns  gar  leicht  täuschen  können.  Es  thut  mir  leid, 
dafs  der  Verfasser  sich  so  abquält,  uns  sinnlich  begreiflich  zu  machen, 
jene  Bewegung  der  fallenden  schweren  Körper  sei  einfach  geradlinig 
und  nichts  anderes,  dafs  er  zornig  wird  und  sich  in  Ausrafen  ergeht, 
weil  eine  so  klare,  handgreifliche,  offen  daliegende  Sache  in  Zweifel 
gezogen  werde.  Denn  dadurch  hat  es  den  Anschein,  als  glaube  er, 
dafs  die  Leute,  welche  die  Geradlinigkeit  in  Abrede  stellen  und  eher 
die  Kreisform  für  die  wahre  halten,  auch  sinnlich  eine  Bewegung  des 
Steines  im  Bogen  zu  erbhcken  glaubten.  Es  hat  diesen  Anschein: 
denn  er  fordert  mehr  ihre  Sinne  als  ihre  Vernunft  auf,  über  die  frag- 


[279.  280.]  Zweiter  Tag.  271 

liehe  Ersclieinuüg  sich  Klarheit  zu  verschaffen.  Das  ist  aber  nicht 
der  Fall^  Signore  Simplicio;  ich,  der  ich  für  keine  dieser  Ansichten 
Partei  ergriffen  habe  und  mich  bei  unseren  Vorstellungen  gleich  einem 
Schauspieler,  nur  als  Kopernikaner  maskiere,  habe  niemals  gesehen 
und  niemals  zu  sehen  geglaubt,  dafs  der  Stein  anders  als  lotrecht 
fällt,  imd  ebenso  ist  es  mit  den  Gesichtswahrnehmungen  aller  Anderen 
bestellt,  glaube  ich.  Es  ist  also  geratener  vom  Scheine  abzusehen, 
über  den  wir  alle  einig  sind,  und  durch  Vernunftgründe  uns  zur  Er- 
kenntnis durchzuringen,  ob  der  Schein  der  Wirklichkeit  entspricht  oder 
trügerisch  ist. 

Sagr.  Weim  ich  einmal  mit  diesem  Philosophen  zusammentreffen 
könnte,  der  mir  immerhin  weit  über  vielen  anderen  Anhängern  der- 
selben Meinungen  zu  stehen  scheint,  so  würde  ich  ihm  zum  Zeichen 
meiner  Verehrung  eine  Thatsache  ins  Gedächtnis  rufen,  die  er  sicher- 
lich schon  tausendmal  gesehen  hat.  Diese  schliefst  sich  hier  passend 
an,  da  sich  aus  ihr  entnehmen  läfst,  wie  leicht  mau  durch  den  blofsen 
Schein  oder,  wie  wir  sagen  wollen,  durch  die  Vorspiegelungen  der 
Sinne  getäuscht  werden  kann.  Ich  meine  die  Thatsache,  dafs,  wenn 
man  nachts  durch  eine  Strafse  geht,  man  von  dem  Monde  in  gleichem 
Schritte  begleitet  zu  werden  glaubt;  man  sieht  ihn  sich  entlang  den 
Dachtraufen  bewegen,  ganz  in  der  Weise,  wie  es  eine  Katze  thun 
würde,  die  wirklich  stets  hinter  einem  her  über  die  Dächer  liefe: 
ein  Schein,  der  ohne  Dazwischenkunft  des  Verstandes  nur  allzu  sicher 
den  Gesichtssinn  betrügen  würde. 

Simpl.  Es  fehlt  in  der  That  nicht  an  Beobachtungen,  die  uns 
das  Trügerische  der  blofsen  Sinneswahrnehmungen  beweisen.  Darum 
wollen  wir  einstweilen  auf  das  Zeugnis  der  Sinne  Verzicht  leisten 
und  die  folgenden  Argumente   hören,  welche,  Avie  der  Verfasser  sagt,    Argumente 

ö  .  .  gegeu  die  ErJ- 

ex  verum  natura  entnommen  sind.     Das   erste  besteht  darin,  dafs  der  bewegung  ex 

.  rerum  natura. 

Erde  unmöglich  gleichzeitig  drei  durchaus  verschiedene  Bewegungen 
sich  beilegen  lassen,  wemi  man  nicht  gegen  viele  handgreifliche  Axiome 
verstofsen  will.     Das  erste   dieser  Axiome  ist,  dafs  iede   Wirkimg  von  Drei  Axiome, 

;  «^       .  .         '^  die  als  offenbar 

irgendwelcher  Ursache  bedingt  wird:  das  zweite,  dafs  nichts  sich  selbst  richtig  voraus- 

"  .  -,  gesetzt  werden. 

erzeugt,  dafs  demnach  unmöglich  das  Bewegende  und  das  Bewegte 
völlig  identisch  sein  können.  Und  zwar  ist  dieses  nicht  nur  im  Falle 
eines  äufseren  bewegenden  Princips  richtig,  sondern  aus  den  ange- 
gebenen Grundsätzen  folgt  auch  das  Nämliche  im  Falle  eines  inneren 
bewegenden  Princips;  denn  andernfalls  würde,  da  das  Bewegende  als 
Bewegendes  Ursache  ist  und  das  Bewegte  als  Bewegtes  Wirkimg,  ein 
und  dasselbe  zugleich  Ursache  imd  Wirkung  sein.  Es  bewegt  also 
niemals  ein  Körper  als  Ganzes   sich  selbst  d.  h.  so,   dafs   er  ganz  Be- 


272  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [280.  281.] 

wegendes  und  zugleicli  gauz  Bewegtes  wäre.  Vielmehr  mufs  mau  bei 
eiuem  iu  Bewegung  befindlichen  Körper  irgendwie  das  Princip  unter- 
scheiden, welches  die  Bewegung  hervorbringt,  imd  dasjenige,  das  diese 
Bewegung  ausführt.  Das  dritte  Axiom  ist,  dafs  bei  allem  Sinnlich- 
Wahrnehmbarem,  eines,  insofern  es  eines  ist,  auch  nur  eine  Wirkung 
hervorbringt.  Die  Seele  z.  B.  ini  lebenden  Wesen  bewirkt  freilich  sehr 
verschiedene  Thätigkeiten,  aber  mittels  verschiedener  Werkzeuge,  so  das 
Sehen,  das  Hören,  das  Riechen,  die  Fortpflanzung.  Wenn  nun  diese 
Axiome  gleichzeitig  in  Betracht  gezogen  werden,  so  wird  es  völlig  eiii- 
Ein  einfacher  leuchtcud  sciu,  dafs  ein  einfacher  Körper  wie  die  Erde  nicht  von  Natur 

Körper,  wie  es  _  _  _ 

die  Erde  ist,   drei  völlig  verschiedene  Bewegungen  ausführen  kann;  deim  nach  den  zu 

kann  nidat  drei  "  O        O  5 

verschiedene  Be-Grunde  gelcgtcu  Annahmen  kann  sie  nicht  als  Ganzes  sich  selber  als 

wegungen  aus-  .  .    .  .    .^    .       .     . 

führen.  Ganzcs  m  Bewegung  setzen.  Man  mufs  also  bei  ihr  drei  Principien  für 
jede  der  drei  Bewegungen  unterscheiden,  sonst  würde  ein  und  dasselbe 
Princip  mehrere  Bewegungen  verursachen.  Wenn  in  ihr  aber,  abge- 
sehen von  dem  bewegten  Teile,  aufserdem  noch  drei  Principien  für 
natürliche  Bewegungen  existieren,  so  ist  sie  kein  einfacher  Körper, 
sondern  zusammengesetzt  aus  drei  bewegenden  Principien  und  emem 
Die  Erde  kann  bewegtcu  Tcilc.     Ist   also   die  Erde   ein   einfacher  Körper,  so  wird  sie 

keine  der  ihr        .-.,.  .  ..,., 

von  Kopernikusnicht   drci  verschiedeuc  Bewegungen  ausführen  können:  sie  wird  viel- 

beigelegten  Be-  .  o       O  ... 

wegungen  aus-  mchr  überhaupt  keine  einzige  der  von  Kopernikus  ihr  beigelegten  Be- 
wegungen auszuführen  vermögen,  da  sie  nur  einer  einzigen  Bewegung- 
fähig  sein  kann  und  da  aus  den  von  Aristoteles  angeführten  Gründen 
dieses  die  Bewegung  nach  dem  Mittelpunkte  sein  mufs,  wie  die  Teile 
der  Erde  beweisen,  welche  rechtwinklig  zu  der  sphärischen  Oberfläche 
sich  nach  unten  bewegen. 

Salv.      Der   Aufbau    dieses    Beweises    gäbe    zu    manchen    Bemer- 
kungen und  Erwägungen  Anlafs.    Da  wir  ihn  aber  mit  wenigen  Wor- 

Entgegnungen  tcu  widerlegen  können,  so  will  ich  mich   einstweilen  nicht  ohne  Not 

auf  die  gegen  .  ' 

■Ji^eErdbewegungweitläufig  darüber  ergehen,   um  so  weniger  als   die  Entgegnung  von 
gumente  ex   dem  Vcrfasscr  selbst  mir  an  die  Hand   gegeben  wird,  indem  er  sagt, 

ri-rum  natura.  .  .  .  ^   ^  .       .  . 

bei  lebenden  Wesen  bewirke  ein  und  dasselbe  Princip  verschiedene 
Thätigkeiten.  Daher  entgegne  ich  ihm  einstweilen  in  ähnlicher  Weise, 
dafs  auch  bei  der  Erde  ein  einziges  Princip  die  verschiedenen  Be- 
wegungen bedingt. 

Simpl.    Bei  dieser  Antwort  wird  sich  der  Urheber  des  Einwandes 

keineswegs    beruhigen.      Sie    findet    vielmehr    eine    niederschmetternde 

Widerlegung  in   dem,   was   unmittelbar  nachher   zur  Verstärkung   des 

unternommenen  Angriffs   hinzugefügt  wird,  wie  Ihr  gleich  hören  wer- 

Jegra  dit  Erd- ^®^"      ^^    erhöht   die   Beweiskraft   seines   Argumentes   nämlich   mittels 

bewegung.    (Jes    ferneren  Axioms,    dafs    die  Natur    am  Notwendigen    weder    spart 


[281.  282.]  Zweiter  Tag.  273 

noch  verschwendet.  Denen,  die  sich  mit  naturwissenschaftlichen  Be- 
obachtungen, namentlich  der  Tiere,  beschäftigen,  ist  diese  Thatsache 
evident.  Um  die  Tiere  nämlich  zu  mannigfaltigen  Bewegungen  fähig 
zu  machen,   hat   die  Natur  bei  ihnen   eine  Menge  von  Biegungen  an-6eienke  bei  den 

'  .  .  .  Tieren  notwen- 

gebracht    und    hat   an   diesen   Stellen   geschickt   die   Bewegungsorgane  dig,  um  deren 

^  .  .  *  O        O         ö  verschiedene  Be- 

verbunden, wie  an  den  Knieen  und  den  Hüften,  um  das  Niederlegen  der  wegungon  her- 

.  .  vorzubringen. 

Tiere  nach  deren  Belieben  zu  ermöglichen.  Ebenso  hat  sie  beim  Men- 
schen viele  Biegungen  und  Gelenke  am  Ellbogen  imd  au  der  Hand 
angefertigt,  die  ihn  zu  vielen  Bewegungen  befähigen.  Daraus  er- 
wächst nun  das    Argument  gegen  die   dreifache  Bewegung   der  Erde.  Anderes  Argu- 

...  .  .  .  meiit  gegen  die 

Entweder  kann  ein  einziger,  gleichartiger  Körper,  ohne  irgendwie  Ge-  dreifache  Erd- 
lenke zu  besitzen,  verschiedene  Bewegungen  ausführen  oder  er  bedarf 
dazu  der  Gelenke.  Wenn  es  ohne  Gelenke  möglich  ist,  so  hat  dem- 
nach die  Natur  die  Gelenke  der  Tiere  unnötigerweise  geschaffen,  was 
dem  Axiom  widerspricht;  sind  aber  die  Gelenke  notwendig,  so  kann 
die  Erde,  ein  einheitlicher,  gleichartiger,  gelenkloser  Körper  nicht  von 
Natur  aus  mehrere  Bewegungen  ausführen.  Ihr  seht  also,  wie  scharf- 
sinnig der  Verfasser  Euerem  Einwurf  begegnet,  als  wenn  er  ihn  voraus 
gesehen  hätte. 

Salv.     Meint  Ihr  das  ernstlich,  oder  ist  das  Ironie? 

Simpl.     Ich  spreche  im  vollsten  Ernste. 

Salv.     Dann  müfst  Ihr  Euch  auch  imstande  fühlen,  Eueren  Philo- 
sophen gegen   einen  oder   den  anderen  Einwand    zu    verteidigen,    den 
man  ihm  macht.      Antwortet  Ihr  mir  daher,  ich  bitte  Euch,  ihm  zu 
liebe,   da   er  selber  nicht  zugegen  sein  kann.     Ihr  gebt  also  erstlich 
als  richtig  zu,  dafs  die  Natur  den  Körper  der  Tiere  gegliedert  machte, 
ihm  Biegungen    und  Gelenke    verliehen  habe,   um  sie   zu  vielen   ver- 
schiedenartigen Bewegungen  zu  befähigen.    Ich  stelle  diese  Behauptung  Gelenke  der 
in  Abrede   und   sage,   dafs   die    Gelenke   dazu  dienen,   um  einen   oder  bestimmt,  «m 
mehrere   Teile   beweguugsfähig    zu   machen,    während    gleichzeitig    der^vegungen^der- 
übrige  Körper  in  Ruhe  bleibt;   ich  behaupte  ferner,  was  die  Art  und  ^^zXingeL"'' 
Mannigfaltigkeit  der  Bewegungen  betrifft,  dafs  sie  sämtlich  gleichartigBowogungen  der 
sind,  nämlich  kreisförmig.    Aus  diesem  Grunde  bemerkt  Ihr  auch,  dafs  vo^^eiMr  Art. 
die  Enden  aller   beweglichen  Knochen  gewölbt   oder   ausgehöhlt  sind.Die  Enden  aiier 


Von  diesen  sind  wieder  einige  sphärisch,  nämlich  diejenigen,  welche 
Bewegungen  nach  allen  Seiten  auszuführen  haben,  wie  es  z.  B.  der 
Arm  des  Fahnenträgers  im  Schultergelenk  thut,  wemi  er  die  Fahne 
schwenkt,  oder  der  des  Falkeniers,  wemi  er  mit  dem  Federspiel  den 
Falken  zurücklockt;  dahin  gehört  ferner  das  Ellbogengeleuk,  in  wel- 
chem der  Unterarm  sich  beim  Bohren  mit  dem  Bohrer  dreht.  Andere 
sind  nur  in  einer  Richtung  kreisförmig  und  fast  cylindrisch,  sodafs  sie 

Galilei,  Weltsysteme.  IS 


beweglichen 
Knochen  sind 


274  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [289.  283.] 

nur  eine    einzige  Biegimg    gestatten,    wie    die    aneinander    stofsenden 

Nachweis,  dafs  Glieder   der   Finger  u.  s.  w.      Ohne   indessen    einzelne   Beispiele    anzu- 

"Enden'der    füliren,    wird    diese   Erkenntnis    durch    eine    einzige    allgemeine   Über- 

und  die  Bewe-  legimg  gewonnen,   dafs  nämlich    ein    sich    bewegender  fester    Körper, 

Tieres  alle  kreis-dcsscn  eines  Ende  unbewegt  bleibt,  sich  nur  kreisförmig  bewegen  kann. 

müssen.      Da  uuu  ein  Tier,   wenn  es   eines   seiner  Glieder  bewegt,   es   von  den 

anstofsenden    nicht    trennt,    so    ist    eine    solche  Bewegung   notwendig 

kreisförmig. 

Simpl.  Ich  meine  es  nicht  in  diesem  Sinne,  vielmehr  sehe  ich 
das  Tier  hunderterlei  nicht  kreisförmige,  gänzlich  von  einander  ver- 
schiedene Bewegungen  ausführen;  ich  sehe  es  laufen,  tanzen,  springen, 
klettern,  schwimmen  u.  s.  w. 

Salv.     Ganz  richtig.     Allein    es  sind  dies  sekundäre  Bewegungen, 
Sekundäre  Be-  welchc  durch   die  primären  der  Gelenke   bedingt  werden.      Durch  die 
Tieres  werden  Bicgung  der  BcLue  in  den  Knieen   und   der  Schenkel  an  den  Hüften, 
mären  bedingt,  wclchcs  kreisförmige  Bewegungen  der  Teile  sind,  kommt  das  Si3ringen 
oder  das  Laufen  zustande,   welches   Bewegungen  des    ganzen   Körpers 
sind;  diese  brauchen  dann  nicht  kreisförmig  zu  sein.     Weil  nun  beim 
Für  die  Bewe-  Erdball  uicht   ciu  Teil   an  einem  anderen  unbeweglichen   sich  hinzu- 
bedarf es  keinerbewegen  hat,  sondern  die  Bewegung  sich  auf  den  Körper  im  Ganzen 
erstreckt,  bedarf  es  keiner  Gelenke. 

Simpl.    Das  wäre  möglich  —  ich  spreche  im  Sinne  meiner  Rolle 
—    wenn    es   sich  nur   um   eine   Bewegung  handelte,   es   handelt   sich 
aber  um  drei  ganz  von  einander  verschiedene  und  diese  sind  unverträg-      J 
lieh  mit  einem  Körper,  der  der  Gelenke  ermangelt.  ■■ 

Salv.  Das  würde  allerdings,  wie  ich  glaube,  die  Antwort  unseres 
Philosophen  sein.  Dagegen  nun  erhebe  ich  von  anderer  Seite  her 
einen  Einwand.  Ich  frage  Euch,  ob  Ihr  meint,  dafs  mit  Hilfe  von 
Gelenken  der  Erdball  in  den  Stand  gesetzt  werden  könnte,  drei  ver- 
schiedenartige Kreisbewegungen  auszuführen.  Ihr  antwortet  nicht? 
Da  Ihr  schweigt,  will  ich  für  den  Philosophen  antworten;  er  würde 
unbedingt  die  Frage  bejahen.  ^^^)  Sonst  nämlich  wäre  die  Überlegung 
überflüssig  und  nicht  zur  Sache  gehörig  gewesen,  dafs  die  Natur  die 
Gelenke  verwendet,  um  einem  beweglichen  Körper  verschiedene  Be- 
wegungen zu  ermöglichen,  und  dafs  dem  Erdball  aus  dem  Grunde, 
weil  er  keine  Gelenke  besitzt,  die  drei  ihm  zugeschriebenen  Bewegungen 
nicht  zukommen  können.  Hätte  er  geglaubt,  dafs  die  Erde  auch  mit 
Hilfe  von  Gelenken  nicht  zu  solchen  Bewegungen  fähig  gemacht  wer- 
den könnte,  so  hätte  er  gerade  herausgesagt,  der  Erdball  könne  keine 
drei  verschiedene  Bewegungen  ausführen.  Dies  festgestellt,  bitte  ich 
an  wunsc     j^^gjj^  ^j^^j  g^att   Eucrcr,  wenn  es  möglich   wäre,  den  gelehrten  Ver- 


[283.  284.]  Zweiter  Tag.  275 

fasser  des  Beweises,  die  (lüte  zu  haben  micli  zu  belehren,  wie  man  die  mitteis  weicher 
Gelenke   und  Glieder   einzurichten  hätte,   damit   die   drei   Bewegungen  Erdball  die  drei 
bequem    ausführbar    seien.      Ich    gebe    Euch    Zeit    zur   Antwort,    vier  Bewegungen 
Monate,  ein  halbes  Jahr,  wenn  Ihr  wollt.    Inzwischen  glaube  ich,  dafs      können. 
ein  einziges  Princip   am  Erdball  mehrere  Bewegungen  hervorbringen  Ein  einziges 
kann,  ganz   in  der  Weise   —    ich   habe   das   schon   vorher  bemerkt  —  mehrere  Bewe- 
wie  ein  einziges  Princip  mittels  verschiedener  Werkzeuge  vielfach  ver-        rufen.  ^ 
verschiedene   Bewegungen    bei    dem  Tiere  bewirkt.     Was   die   Gliede- 
rung  betrifft,  so   ist  eine   solche  unnötig,   da  die  Bewegung  sich  auf 
das  Ganze  und  nicht  auf  einzelne  Teile   erstrecken  soll;  und  insofern 
diese  Bewegungen  kreisförmig  sein  sollen,  ist  die  einfache  Kugelgestalt 
die  schönste  Gliederung,  die  man  sich  nur  wünschen  kann. 

Simpl.  Man  dürfte  höchstens  zugeben,  dafs  dies  bei  einer  ein- 
zigen Bewegung  der  Fall  sein  kann,  aber  bei  drei  verschiedenen  ist 
es  nach  meiner  und  des  Autors  Ansicht  nicht  möglich,  wie  er  im 
folgenden  zur  Bekräftigung  seines  Einwandes  weiter  schreibt.  Stellen 
wir  uns  mit  Kopernikus  vor,  die  Erde  bewege  sich  aus  eigener  Kraft  Anderer  Ein- 

"-^  .    °  wand  gegen  die 

und  infolge  eines   inneren  Princips  von  West  nach  Ost  in  der  Ebene  dreifache  Erd- 

.       .  .  ...  .  .  .  bewegung. 

der  Ekliptik  und  überdies  drehe  sie  sich  gleichfalls  infolge  eines  inne- 
ren Princips  um  ihren  eigenen  Mittelpunkt  von  Ost  nach  West  und 
drittens  endlich  lenke  sie  aus  eigenem  Antrieb  von  Norden  nach 
Süden  ab  und  umgekehrt.  Kann  nun  unsere  Vernunft  und  Urteils- 
kraft begreifen,  wie  ein  gleichartiger  Körper,  ohne  Angeln  und  Fugen, 
von  einem  und  demselben  natürlichen  und  unterschiedslosen  Princip, 
also  vermöge  eines  und  desselben  Triebes,  gleichzeitig  zu  verschiedenen 
und  fast  entgegengesetzten  Bewegungen  veranlafst  werde?  Ich  kann 
mir  nicht  denken,  dafs  es  jemanden  giebt,  der  so  etwas  behaupten 
möchte,  er  habe  denn  sich  vorgesetzt  diese  Behauptung  unter  allen 
Umständen,  recht  oder  schlecht,  zu  verteidigen. 

Salv.  Haltet  einen  Augenblick  ein  und  sucht  mir  diese  Stelle  in 
dem  Buche,  zeigt  her.  Fingamus  modo  mm  Copemico  terram  aliqua 
sua  vi  et  ab  indito  principio  impelU  ah  occasu  ad  ortuni  in  ecdipticae 
piano,  tum  rursus  revolvi  ab  indito  ctiam  principio  circa  suimet  centrum 
ah  ortu  in  occasum,  tertio  deflecti  rursus  suopte  nutii  a  septentrione  in 
ausfrum  et  vicissim^'^^)  Ich  vermutete,  Signore  Simplicio,  Ihr  hättet 
Euch  bei  der  Wiedergabe  der  Worte  des  Autors  geirrt:  ich  bemerkeschweror  Irrtum 
aber,  dafs  er  leider  selbst  sich  schwer  getäuscht  hat.  Zu  meinem  Be-  "Kopfriukus.*^* 
dauern  ersehe  ich,  dafs  er  sich  unterfangen  hat  eine  Behauptung  zu 
bekämpfen,  die  er  nicht  recht  verstanden  hat;  denn  das  sind  die  Be- 
wegungen nicht,  die  Kopernikus  der  Erde  zuschrieb.  Woher  weifs 
er,   dafs   Kopernikus   die  jährliche  Bewegung   in   der  Ekliptik    in  der 

18* 


276  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [284.  285.] 

entgegengesetzten  Richtung  vor  sich  gehen  läfst,  wie  die  um  den 
Mittelpunkt?  Er  mufs  sein  Buch  nicht  gelesen  haben,  wo  an  hundert 
Stellen  imd  zwar  schon  in  den  ersten  Kapiteln  zu  lesen  ist,  dafs  die 
beiden  Bewegungen  in  derselben  Richtung  erfolgen,  nämlich  in  der 
Richtung  von  West  nach  Ost.  Aber  ohne  das  von  Anderen  sich  sagen 
zu  lassen,  hätte  er  nicht  selbst  einsehen  müssen,  dafs,  wenn  man  der 
Erde  Bewegungen  beilegt,  deren  eine  man  der  Sonne,  die  andere  dem 
primum  mobile  entzieht,  diese  notwendigerweise  gleichgerichtet  sein 
müssen? 

Simpl.     Solltet  in  diesem  Falle  nicht  Ihr  samt  dem  Koperuikus 

Spitzfindiger  Euch  im  Irrtum   befinden?     Geht   die  tägliche  Bewegung  des  primum 

einfältiger  Bia-moLile  uicht  von  Osten  nach  Westen  vor  sich?     Und  ist  die  jährliche 

Kopernikus.  Bcwcguug  der  Soune  längs  der  Ekliptik  nicht  im  Gegenteil  von  West 

nach  Ost  gerichtet?     Wie  könnt  Ihr  da   diese  Bewegungen,  wenn  auf 

die  Erde  übertragen,  aus  entgegengesetzten  zu  gleichstimmigen  machen 

woUen?  , 

Sagr.  Jedenfalls  hat  uns  Signore  Simplicio  die  Quelle  des  Irr- 
tums bei  jenem  Philosophen  aufgedeckt;  offenbar  hat  dieser  dieselbe 
Erwägung  angestellt. 

Salv.  Benehmen  wir  jetzt,  wo  es  möglich  ist,  wenigstens  dem 
Der  Irrtum  des  Siguore   Simphcio    seiucn  Irrtum.     Er  wird,    da    er   die   Sterne  beim 

Gegners  wird     .„  .,__.  .  •iicii-'i- 

ofifenbart  und  Aufgang  am  Östlichen  Horizont  emporsteigen  sieht,  ohne  Schwierigkeit 
klärt,  wieso  die  begreifen,    dafs,   wenn    diese   Bewegung  .  nicht    den   Sternen   angehört, 

jälirliche  und  O  7  7  o        O  O  ; 

tägliche  Bewe-  notweudig    der   Horizont    sich    in    entgegengesetzter    Richtung    senken 

gung,  wenn  sie  i-i  -in 

der  Erde  zu-  mufs,   die  Erdc   demnach   sich  um  sich  selber,  entgegengesetzt  zu  der 

kommen,  gleich-      ■,      •    -,  t-,  .    -,  lo  in 

gerichtet,  nicht  schembaren    Bewegungsrichtung    der   Sterne,   d.  h.  von  Westen    nach 

entgegengesetzt 

sind.  Osten  drehen  mufs,  mit  anderen  Worten  in  der  Folge  der  Zeichen  des 
Tierkreises.  Was  sodann  die  andere  Bewegung  betrifft,  so  mufs  man, 
um  zu  bewirken,  dafs  die  Sonne  scheinbar  die  Reihe  der  Zeichen  des 
Tierkreises  durchläuft,  wegen  der  Stellung  der  Sonne  im  Mittelpimkte 
des  Tierkreises  und  weil  die  Bewegung  der  Erde  längs  der  Peripherie 
dieses  Kreises  erfolgt,  annehmen,  dafs  die  Erde  den  Tierkreis  in  der- 
selben Ordnung  durchlaufe.  Denn  die  Sonne  scheint  stets  in  dem  ent- 
gegengesetzten Zeichen  zu  stehen,  in  welchem  sich  die  Erde  befindet: 
wenn  z.  B.  die  Erde  das  Zeichen  des  Widders  durchläuft,  wird  die 
Sonne  die  Wage  zu  durchlaufen  scheinen;  geht  die  Erde  durch  das 
Zeichen  des  Stiers,  so  wird  die  Sonne  im  Skorpion  zu  stehen  scheinen; 
befindet  sich  die  Erde  in  den  Zwillingen,  so  die  Sonne  im  Schützen. 
Das  ist  aber  eine  gleichstimmige  Bewegung  der  beiden  Weltkörper, 
und  zwar  eine  solche  in  der  Folge  der  Zeichen,  ebenso  wie  die  Drehung 
der  Erde  um  ihren  Mittelpunkt. 


[285.  286.]  Zweiter  Tag.  277 

Simpl.  Ich  habe  sehr  wohl  verstanden  und  Aveifs  nicht,  was  ich 
zur  Entschuldigung  eines  derartigen  Fehlers  vorbringen  soll. 

Salv.  Sachte  nur,  Signore  Simplicio!  Es  liegt  noch  ein  gröfserer 
vor  als  dieser.  Der  Verfasser  läfst  nämlich  die  Erde  vermöge  der 
täglichen  Bewegung  um  den  eigenen  Mittelpunkt  sich  von  Osten  nach 
Westen  bewegen,  begreift  also  nicht,  dafs  unter  diesen  Umständen  die 
24-stüudige  Bewegung  des  Universums  scheinbar  von  West  nach  Ost 
gerichtet  sein  müfste,  wovon  das  gerade  Gegenteil  richtig  ist. 

Slmpl.  0,  einen  so  schlimmen  Schnitzer  würde  sicherlich  ich 
nicht  einmal  gemacht  haben,  obgleich  ich  kaum  die  ersten  Elemente 
der  sphärischen  Astronomie  studiert  habe.  ^^°) 

Salv.    Bildet  Euch  nun  ein  Urteil,  in  welcher  Weise  dieser  Gegner 
des  Kopernikus   dessen  Schriften   studiert  haben  mufs,  wenn  er  diese  Aus  einem  an- 
vornehmste  und  hauptsächlichste  Hypothese   auf  den  Kopf  stellt,  aufirrtum  geht  her- 
weicher sich   alles  das  aufbaut,  worin  Kopernikus   von  der  Lehre  desGegner  Kopemi- 
Aristoteles   und   des  Ptolemäus  abweicht.     Was   sodann  die  dritte  Be-     diert  hat. 
wegungsart  betrifft,   die   der   Verfasser  gleichfalls    im   Sinne    des  Ko-  Es  ist  zu  be- 
pemikus   dem  Erdball  beilegt,   so    weifs    ich  nicht,    was   er   darunteroegner  die  dritte 
versteht.     Es  kann  sich  jedenfalls   nicht  um  die  Bewegung   handeln,  der  Erde  beige- 
weiche Kopernikus  gleichzeitig  mit  den  beiden  anderen  Bewegungen,  der  verstanden  hat° 
jährlichen  und  täglichen,  der  Erde  zuschreibt,  und  welche  mit  einer  Ab- 
Aveichung  nach   Süden  und  Norden   nichts  zu  thun  hat,   welche  viel- 
mehr nur  dazu   dient   die  Axe    der  täglichen  Drehung  beständig  sich 
selber  parallel  zu  erhalten.    Demnach  mnfs  der  Gegner  diese  entweder 
wirkHch  nicht  verstanden  haben  oder  sich  so  stellen,  als  habe  er  sie 
nicht  verstanden.     Wiewohl   nun  aber  dieses   eine  schwere   Versehen 
ausreichend  wäre,   um  uns   der  Verpflichtung  zu   entheben,    weiterhin 
mit   seinen  Einwänden    uns  zu  beschäftigen,    will  ich  sie   gleichwohl 
berücksichtigen,   da  sie   in  der  That  sehr  viel  höher  angeschlagen  zu 
werden  verdienen  als  die  von  tausend   anderen  nichtigen   Gegnern.  — 
Um  wieder  auf  den  Einwand  zurückzukommen,   so  behaupte  ich,  dafs 
die  beiden  Bewegungen,  nämlich  die  jährliche  und  die  tägliche,  keines- 
wegs entgegengesetzt  sind  und  demnach  durch  ein  und'  dasselbe  Princip 
hervorgerufen  werden  können.     Die  dritte  Bewegung  ergiebt  sich  ganz 
von  selbst  als  notwendige  Folge  der  jährlichen,  sodafs  man  —  wie  ich 
seiner  Zeit  beweisen  werde   —  kein  inneres   oder  äufseres  Princip  zu 
Hilfe  nehmen  mufs,  welches  die  Ursache  für  sie  abgäbe. 

Sagr.  Auch  ich  möchte  vom  Standpunkte  des  gesunden  Menschen- 
verstandes diesem  Gegner  etwas  erwidern.  Er  will  den  Kopernikus 
verdammen,  wenn  ich  ihm  nicht  aufs  säuberlichste  alle  Zweifel  lösen, 
alle  Einwendungen  widerlegen  kaim,  die  er  ihm  macht:  als  weim  aus 


278  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [286.  287.] 

meiner  ünwissenlieit  notwendig  die  üuriclitigkeit  seiner  Lehre  her- 
vorginge. Wenn  dieser  Titel  dem  Verfasser  ausreichend  erseheint,  um 
von  Rechts  wegen  einen  Schriftsteller  zu  verurteilen,  so  wird  er  es 
auch  nicht  für  ungehörig  betrachten  dürfen,  dafs  ich  den  Aristoteles 
und  Ptolemäus  mifsbillige,  da  er  ebenso  wenig  wie  ich  die  nämlichen 
Bedenken  zu  beseitigen  weifs,  die  ich  gegen  deren  Lehre  äufsere.  Er 
fragt  mich,  welches  die  Principien  seien,  vermöge  deren  der  Erdball 
seine  jährliche  Bewegung  durch  den  Tierkreis  und  seine  tägliche  um 
sich    selber    in    äquatorialer    Richtung    ausführt.      Ich    entgegne    ihm 

Widerlegung  darauf,  dafs   diese  Principien  etwas   Ahnhches  smd,   wie  die,  vermöge 
Einwandes    dcrcu  Satum  slch  in  30  Jahren  durch  den  Tierkreis  hindurch  und  in 

Beispiele  ande-  einer  vicl  kürzcrcu  Zeit  in  äquatorialer  Richtung  um  sich  selbst  be- 
körper  wcgt,  wic  das  Hervortretcu  und  Verschwinden  seiner  Nachbargestirne 
beweist.^"""')  Es  ist  etwas  Ähnliches,  wie  wenn  man  behauptete  — 
und  das  würde  er  ohne  Bedenken  zugeben  —  dafs  die  Sonne  in  einem 
Jahre  die  Ekliptik  durchläuft  und  gleichzeitig  parallel  dem  Äquator  sich 
in  weniger  als  einem  Monate  um  sich  selber  dreht,  wie  ihre  Flecke 
sinnenfällig  darthun.  Es  ist  etwas  Ahnliches,  wie  wenn  die  Mediceischen 
Gestirne  den  Tierkreis  in  12  Jahren  durchlaufen  und  sich  inzwischen  in 
ganz  kleinen  Kreisen  und  binnen  kürzester  Zeit  um  den  Jupiter  bewegen. 
Simpl.  Der  Verfasser  wird  Euch  alles  das  als  optische  Täu- 
schungen, verursacht  durch  die  Fernrohrlinsen,  in  Abrede  stellen. 

Sagr.  Das  hiefse  denn  doch  alle  Vorteile  für  sich  in  Anspruch 
nehmen,  wenn  man  einerseits  behauptet,  dafs  das  unbewaffnete  Auge 
sich  in  der  Beurteilung  der  geradlinigen  Bewegimg  beim  Fall  der 
schweren  Körper  nicht  täuschen  kann,  und  dafs  es  sich  andererseits 
bei  der  Wahrnehmung  dieser  anderen  Bewegungen  täuscht,  wo  seine 
Kraft  vermehrt,  aufs  Dreifsigfache  verstärkt  ist.  Entgegnen  wir  ihm 
also,  dafs  die  Erde  mehrfache  Bewegungen  in  sich  vereint  in  ähnlicher, 
vielleicht  in  derselben  Weise,  wie  der  Magnet  als  schwerer  Körper 
sich  abwärts  bewegt,  aufserdem  aber  zwei  Kreisbewegungen  besitzt, 
eine  horizontale  und  eine  vertikale  im  Meridian.  ^'*^)  Doch  wozu  so 
viele  Worte?  Wozwischen,  Signore  Simj)licio,  glaubt  Ihr,  dafs  nach 
der  Ansicht  des  Verfassers  eine  gröfsere  Verschiedenheit  obwalte, 
zwischen  der  geraden  und  der  kreisförmigen  Bewegung,  oder  zwischen 
der  Bewegimg  imd  der  Ruhe? 
Bewegung  ist  Simpl.      Jedenfalls    zwischen    der  Bewegung  und   der  Ruhe.     Es 

verschieden  als  gcht  dics  klar  daraus  hervor,  dafs  die  Kreisbewegung  nach  Aristoteles 

^  weguug^Ton*^  der  geradlinigen  nicht  entgegengesetzt  ist;  ja  er  giebt  sogar  zu,  dafs 
reis  ormiger.  ^.^  ^^^^  ^^  einander  vermischen  können,   was  bei  der  BeAvegimg  und 
der  Ruhe  unmöslich  ist. 


[287.  288.]  Zweiter  Tag.  279 

Sagr.      E«   ist    also    eine    minder  im  wahrscheinliche  Behauptmig, 
wenn  mau  einem  materiellen  Körper  zwei  innere  Principien,  eines  für  Es  ist  ehor  ge- 
die   geradlinige  Bewegmig   und   eines  für   die  kreisförmige  beilegt,  als     Erde  zwei 
wenn  man  ihm  zwei,  gleichfalls  innere  Principieu  zuschreibt,  eines  für   pien  für  die 
die  Bewegung  und  eines  für  die  Ruhe.^'*^)     Nun  stimmen  betreffs  der  mr  diT^e^- 
natürlichen  Neigung,  welche  den  Teilen  der  Erde  innewohnt,  zu  ihremgung  beizulegen, 
Ganzen  zurückzukehren,  nachdem   sie  gewaltsam  davon  getrennt  wor-  Bewegung  und^ 
den,  beide  Lehren  überein  und  sind  blofs  verschieden  rücksichtlich  der  ^""^Kvihe. 
Bewegung   des   Ganzen.     Denn   nach  der  einen  steht  dieses  vermöge 
eines  inneren  Princips  stille,  während  ihm  nach  der  anderen  eine  kreis- 
förmige   Bewegung    zugeschrieben    wird.      Nach  Euerem    und    Eueres 
Philosophen   Zugeständnis   aber  sind  zwei  Principien,   deren  eines  die 
Bewegung    und    das   andere    die   Ruhe   im  Gefolge  hat,  mit   einander 
ebenso   unverträglich,   wie   die  Wirkungen   dieser  Principien   mit  ein- 
ander  unverträglich   sind;  wogegen  doch   bei  der  geraden  und  kreis- 
förmigen   Bewegung    dies    nicht    der  Fall    ist,   da    sie   einander    nicht 
widersprechen. 

Salv.    Fügt  noch  hinzu,  dafs  höchst  wahrscheinlich  die  Bewegung 
eines  von  der  Erde  getrennten  Teiles,  der  sich  zu  seinem  Ganzen  wie-  Bewegung  der 
der  zurückbegiebt,  ebenfalls  kreisförmig  ist,  wie  früher  bemerkt  wurde,  bei  ihrerEück- 
so  wird  in  jeder  Hinsicht  für  den  vorliegenden  Fall  die  BewegKchkeit  zen  ist  mög" 
sich   annehmbarer  erweisen    als   die  Ruhe.     Fahrt  jetzt  fort^  Signore    kreisförmig. 
Simplicio,  mit  dem,  was  weiter  in  dem  Buche  steht. 

Simpl.     Der  Verfasser  verstärkt  noch  den  Einwand,  indem  er  auf 
eine   andere  Absurdität  hinweist,   dafs   nämlich  ein  und  dieselben  Be- 
wegungen   Dingen    von    ganz    verschiedener    Naturbeschaffenheit    zu- 
kommen.    Die  Beobachtung   lehrt  uns  aber,  dafs  das  Wirken  imd  dieverscMedeubeit 
Bewegung  von  Körpern  verschiedenartiger  Natur  verschieden  sind,  und  ermiTgifcliTdiT 
die   Vernunft    bestätigt    das.      Andernfalls    wäre    ims   jeder   Weg   ab-verschiedenartl- 
geschnitten,    um    die  Wesens  Verschiedenheiten  kennen  zu  lernen  und^*^^  nfnge* 
zu  unterscheiden,   wenn  diese  nicht  durch  Bewegimgen  und  Erschei- 
nungen charakterisiert  würden,  die  uns  zur  Erkenntnis  führten. 

Sagr.     Es   ist  mir  wiederholt  aufgefallen,  dafs  der  Verfasser  bei 
seinen  Speculationeu,   um  zu  beweisen,   dafs   eine  Sache  sich  so  oder 
so    verhält,   die    Wendimg   gebraucht:   auf  diese  Weise   pafst   sich  die 
Sache  miserer  Intelligenz  an,  andernfalls  wäre  uns  der  Zugang  zu  der 
Erkenntnis  dieses  oder  jenes  Umstandes  verschlossen,  oder  das  Krite-Natm-  schuf  die 
rium  der  Philosophie  würde  hinfällig  werden:  als  ob  die  Natur  zuerstnachüTret^-weise 
das  Gehirn  der  Menschen  geschaffen  und  sodann  die  Dinge  der  Fassungs- die'mensehii^ie 
gäbe   ihres   Verstandes   entsprechend    gebildet   hätte. '*^)      Ich   möchte  FäMgkeitTenr 
eher  glauben,   die  Natur  habe  zuerst   die  Dinge  nach  ihrer  Weise  ge-  ^"^  '"'g'"^*'" 


280  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [288.  289.] 

scliajffen  und  dann  erst  die  menscliliche  Vemmift  mit  der  Fähigkeit 
ausgestattet,  einiges  von  ihren  Geheimnissen,  wiewohl  mit  grofser 
Mühe,  zu  begreifen. 

Salv.  Ich  bin  derselben  Meinimg.  Sagt  uns  jedoch,  Signore 
Simplicio:  was  für  Körper  von  verschiedener  Natur  sind  es  demi, 
welchen  Kopernikus,  der  Erfahrung  und  Vernunft  zuwider,  die  näm- 
liche Bewegung,  das  nämliche  Wirken  zuschreibt? 

Simpl.     Was  für  Körper  es  sind?     Wasser  und  Luft  —  die  doch 

eine  von  der  Erde  verschiedene  Natur   besitzen   —    samt  allem,  was 

darin  ist,  jegliches  wird  die  drei  Bewegungen  besitzen,  die  Kopernikus 

Kopernikus    dem  Erdball  andichtet.     Der  Autor  beweist  sodann  mathematisch,  wie 

verschiedenarti- nach  Kopcmikus  cinc  Wolke,   welche   in  der  Luft   schwebt  und  lange 

gleiche  Wirk-  Zeit,  ohne  ihren  Ort  zu  verändern,  über  uns  stehen  bleibt,  notwendig 

alle   drei  Bewegungen  haben  mufs,  die  der  Erdball  hat.     Hier  ist  der 

Beweis,    Ihr    mögt  ihn    selber    lesen,   ich   kann  ihn    nicht   auswendig 

mitteilen. 

Salv.  Ich  will  mich  nicht  dabei  aufhalten  ihn  zu  lesen  und  halte 
es  im  Gegenteil  für  überflüssig,  dafs  der  Verfasser  ihn  aufgenommen; 
denn  keiner  der  Anhänger  der  Lehre  von  der  Erdbewegung  wird  nach 
meiner  Überzeugung  die  Thatsache  in  Abrede  stellen.  Sprechen  wir 
also,  die  Richtigkeit  des  Beweises  zugegeben,  von  dem  Einwände  als 
solchem.  ,  Ich  glaube  nicht,  dafs  sich  aus  ihm  etwas  Erkleckliches 
gegen  die  Ansicht  des  Kopernikus  schliefsen  läfst,  insofern  denjenigen 
Bewegungen  imd  Wirkungen,  vermöge  deren  man  zur  Erkenntnis  der 
Wesensverschiedenheit  gelangt,  in  keiner  Weise  Abbruch  geschieht. 
Antwortet  mir,  bitte,  Signore  Simplicio:  köimen  diejenigen  Eigen- 
schaften, in  welchen  gewisse  Körper  aufs  genaueste  übereinstimmen, 
dazu  dienen,  die  verschiedene  Beschaffenheit  dieser  Dinge  kennen  zu 
lernen? 
.  .  Simpl.     Nein,   im  Gegenteil:    denn  aus   der   Gleichheit  der  Wir- 

Aus  gemoin-  -t  ;  07 

scSiften'fäftt  kuugen    und    Eigenschaften    läfst    sich    nur   auf   eine    Gleichheit    des 
dltSÄsWesens  schliefsen. 
T«4"ii6rse°n*  Salv.    Daher  folgert  Ihr  die  Wesensverschiedenheiten  des  Wassers, 

der  Erde,  der  Luft  und   der  anderen  Körper,  die   sich  in  diesen  Ele- 
menten auflialten,   nicht   aus    denjenigen  Erscheinungen,   in  denen  alle 
diese  Elemente  und  was  darin  ist,  übereinstimmen,  sondern  aus  anderen 
Erscheinungen.     Ist  es  nicht  so? 
Simpl.     Ja,  so  ist  es. 

Salv.  Wenn  man  also  den  Elementen  alle  die  Bewegungen,  Wir- 
kungen und  sonstigen  Eigenschaften  beliefse,  welche  die  Verschieden- 
heit ihres  Wesens   bedingen,  so  Avären  wir  darum  nicht  aufser  Stand 


1 289.  290.]  Zweiter  Tag.  281 

;j;esetzt  zur  Erkenntnis  derselben  zu  gelangen,  wenn  man  auch  die- 
jenige Erscheinung  aufhöbe,  die  ihnen  allen  gemeinsam  zukommt  und 
die  demnach  nichts  beiträgt  zur  Unterscheidung  solcher  Körper.  ^ 

Simpl.    Euere  Überlegimg  ist,  wie  ich  glaube,  vollständig  richtig. 

Salv.  Ist  nun  nicht  Euere  Meinung,  sowie  die  des  Verfassers, 
des  Aristoteles,  des  Ptolemäus  imd  aller  ihrer  Anhänger,  dafs  die 
Erde,  das  Wasser  und  die  Luft  gleicherweise  von  Natur  unbeweglich 
um  den  Erdmittelpunkt  verharren? 

Simpl.     Das  wird  als  eine  unverbrüchliche  Wahrheit  angesehen. 

Salv.  Darum  läfst  sich  aus  dieser  gemeinsamen  natürlichen  Eigen- 
schaftj  nämlich  unbewegt  um  den  Mittelpunkt  zu  verharren,  kein  Argu- 
ment für  die  Verschiedenheit  dieser  Elemente  und  elementaren  Körper 
entnehmen;  sondern  man  mufs  eine  solche  Kenntnis  aus  anderen  nicht 
;j;t'meinsamen  Eigenschaften  schöpfen.  Nimmt  man  also  den  Elemen- 
ten blofs  diese  gemeinsame  Ruhe  und  beläfst  ihnen  all  ihre  sonstige 
Wirksamkeit,  so  ist  damit  keineswegs  der  Weg  verschlossen,  der  zur 
Erkenntnis  ihres  Wesens  führt.  Kopernikus  nimmt  ihnen  aber  nichts 
weiter  als  diese  gemeinsame  Ruhe  imd  verwandelt  sie  in  eine  durchaus 
i;».^meinsame  Bewegung,  während  er  ihre  Schwere  oder  Leichtigkeit,  die 
langsameren  oder  schnelleren  Bewegungen  nach  oben  und  unten,  die 
Dünne  und  Dichte,  die  Eigenschaften  des  Warmen  und  des  Kalten, 
des  Trocknen  und  des  Feuchten  bestehen  läfst.  Eine  solche  Absurdi- 
tät also,  wie   sie   sich  der  Verfasser  vorstellt,  ist  in  der  Behauptung  Die  überein- 

....  j.  o    gtimmung  der 

des  Kopernikus  kemeswegs  enthalten.     Die  Übereinstimmung  m  einer  Elemente  in 

^  °  .  °        .  einer  und  dor- 

luid   derselben    Bewegungsart    thut    ebensoviel    oder    ebensowenig    zursoiben Bewegung 

,  .  .       ••  T        T  .  .  besagt  nicht 

Sache,  wie  die  Übereinstimmung  in  einem  und  demselben  Zustande  dermehr  noch  min- 

,  ^  ,  .  .  der  als  die  TJber- 

Ivuhe,    sobald   es  sich  darum  handelt,  die  Verschiedenheit  oder  Nicht- einstimmung  in 

.  .  11  ri  einem  und  deni- 

verschiedenheit   des  Wesens   festzustellen,      feagt   nun,  ob  noch  andereseiben  zustande 

t  1       1      •       1  1  1  ^^"^  Kuho. 

•  legengründe  beigebracht  werden. 

Simpl.     Es  folgt  ein  vierter  Einwand,  der  sich  ebenfalls  auf  eine 
Xaturbeobachtung  gründet,  dafs  nämlich  Körper  derselben  Gattung  auch   Körper  der- 
in  der  Gattung  der  Bewegung  oder  aber  in  der  Ruhe  übereinstimmen.  ^haCn  Bewe°-^ 
Nach  der  Lehre  des  Kopernikus  aber  würden  Körper,  die  von  gleicheigielcherüattung. 
'iattung  und  einander   höchst   ähnlich  sind,   sich   hinsichtlich   der   Be- Anderes  Argu- 

^  .  .  .      '     .  ment,  ebenfalls 

wcgimg  vollief  verschieden  verhalten,  ia  in  diametralem  Gegensatze  zugegen  Kopemi- 

.    "       "^  °  '    -^  1      1-  -  kus  gerichtet. 

cniander  stehen.  Denn  es  würden  einander  ganz  ähnliche  bterne 
dennoch  ganz  verschiedene  Bewegungen  ausführen,  sechs  Planeten  näm- 
lich sich  beständig  im  Kreise  drehen,  die  Sonne  hingegen  und  alle 
l'ixsterne  beständig  bewegungslos  verharren. 

Salv.  Der  Form  nach  scheint  mir  das  Argument  zutreffend,  in 
der  Anwendung  aber,  oder  materiell,  ist  es,  wie  ich  glaube,  fehlerhaft. 


282  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [290.  291,] 

Wenn  nur  der  Verfasser  seine  Anualinie  aufrecht  erhalten  will^  so  wird 
sich  dann  ohne  Zweifel  die  Schlufsfolgerung  mit  ihrer  Spitze  gegen 
ihn  selber  richten.  Die  Schlufskette  bei  seinem  Beweise  ist  folgende: 
unter  den  Weltkörpern  giebt  es  sechs,  welche  sich  beständig  bewegen, 
es  sind  die  sechs  Planeten;  bei  den  übrigen,  der  Erde,  der  Sonne  und 
den  Fixsternen  ist  es  zweifelhaft,  welche  sich  bewegen  und  welche 
feststehen;  dabei  ist  es  notwendig,  dafs,  wenn  die  Erde  stille  steht, 
die  Sonne  und  die  Fixsterne  sich  bewegen;  es  ist  aber  auch  möglich, 
dafs  die  Sonne  und  die  Fixsterne  unbeweglich  wären,  wenn  die  Erde 
sich  bewegte;  in  der  Ungewifsheit  darüber  ist  es  nun  die  Frage,  wem 
am  angemessensten  die  Bewegung  zuzuschreiben  sei  und  wem  die 
Ruhe.  Der  gesunde  Menschenverstand  schreibt  vor,  dafs  die  Bewegung 
als  demjenigen  Körper  angehörig  erachtet  werden  mufs,  welcher  in 
Aus  der  Duukei-Gattung    uud  Weseu    zumeist    mit    den    unzweifelhaft   bewegten  Kör- 

heit  der  Erde  ^  .         .  ,  .  ^ 

und  der  Leucht-pern  Übereinstimmt,  und    die    Ruhe    als    demienigen    angehöriff,    wel- 

kraft  der  Sonne-'-  '  .  .  J         O  &  ö? 

und  Fixsterne  eher  vou  denselben  am   meisten  abweicht.     Da  nun  eine  ewige  Ruhe 

läfst  sich  die  ,  ,  ^  ^ 

Bewegung  von  und  eine   beständige  Bewegung  grundverschiedene  Eigenschaften  sind, 

jener  und  die  .  ^  o       o    o  ^  o  ^  7 

unbewegiichkeitso    ist    offenbar   anzunehmen,   dafs    die   Beschaffenheit  des  immer  be- 

von  diesen  er-  ' 

schiiefsen.  wcgtcu  Körpers  durchaus  verschieden  ist  von  dem  allezeit  imbewegten. 
Versuchen  wir  also,  da  wir  über  Ruhe  imd  Bewegung  keine  Klarheit 
haben,  vermöge  irgend  einer  anderen  wichtigen  Eigenschaft  zu  erfor- 
schen, welche  Körper  mit  den  unzweifelhaft  beweglichen  die  meiste 
Verwandtschaft  besitzen,  die  Erde  oder  die  Sonne  und  die  Fixsterne. 
Und,  siehe  da,  die  Natur  kommt  unserem  Bedürfnis  und  Wunsch  ent- 
gegen und  giebt  uns  zwei  bedeutsame  Eigenschaften  an  die  Hand, 
welche  nicht  minder  von  einander  verschieden  sind  als  Bewegung  imd 
Ruhe,  nämlich  Licht  und  Finsternis,  die  Eigenschaft  also  von  Natur 
die  höchste  Leuchtkraft  zu  besitzen  oder  dunkel  und  jeden  eigenen 
Lichtes  bar  zu  sein.  Es  sind  also  die  durch  eigenen  und  ewigen 
(irlanz  ausgezeichneten  Körj)er  grundverschieden  von  denen,  welche 
des  Lichtes  bar  sind.  Des  Lichtes  bar  ist  die  Erde,  die  höchste 
Leuchtkraft  besitzt  die  Sonne  und  nicht  minder  die  Fixsterne.  Die 
sechs  beweglichen  Planeten  entbehren  vollständig  des  Lichts,  ebenso 
wie  die  Erde,  ihre  Beschaffenheit  ist  also  mit  der  der  Erde  verwandt 
und  von  der  ^ler  Sonne  und  der  Fixsterne  verschieden.  Die  Bewegung 
kommt  also  der  Erde  zu,  unbeweglich  hingegen  ist  die  Sonne  und  die 
Fixsternsphäre. 

Simpl.  Der  Verfasser  wird  aber  nicht  einräumen,  dafs  die  sechs 
Planeten  finster  sind  und  wird  auf  diesem  verneinenden  Standpunkt 
beharren,  oder  aber  er  wird  die  enge  Verwandtschaft  zwischen  den 
sechs  Planeten   und  der  Sonne   samt  den  Fixsternen  und  andererseits 


[291.  292.]  Zweiter  Tag.  283 

die  Unähuliclikeit  zwisclieii  diesen  und  der  Erde  durch  andere  Um- 
stände begründen  als  durch  Licht  und  Finsternis.  Ja,  ich  besinne 
mich  eben,  bei  dem  folgenden  fünften  Einwände  ist  die  völlige  Ver- 
schiedenheit der  Erde  und  der  Himmelskörper  hervorgehoben.  Er  "^JJj'iedenleit 
schreibt  da:  Grofse  Verwirrung  und  Störung  würde  nach  der  koperni-  „^^H^^meu^ 
kanischen  Hypothese  im  Bau  des  Weltalls  und  seiner  Teile  einreifsen.'^PfP''^^'^''^^^^; 
Denn  unter  Himmelskörpern,  die  nach  Aristoteles,  Tycho  mid  anderen  '^^rej^^ej^'^" 
imveränderlich  und  unzerstörbar  sind,  unter  Körpern,  sage  ich,  die  nach 
allgemeinem  Eingeständnis,  auch  nach  dem  des  Kopernikus,  von  sol- 
chem Adel  sind,  welche  nach  des  letzteren  Versicherung  aufs  beste 
geordnet  und  verteilt  sind,  von  welchen  er  jede  Unbeständigkeit  ihrer 
Kraft  ausschliefst;  unter  Körpern,  sage  ich,  von  solcher  Reinheit  Avie 
Venus  und  Mars,  sollte  die  Hefe  aller  zerstörbaren  Materien,  die  Erde, 
das  Wasser,  die  Luft  und  alle  Mischungen  aus  ihnen  eine  Stelle  finden! 
Eine  wieviel  bessere  Anordnung  ist  es,  wieviel  mehr  der  Natur,  ja 
dem  göttlichen  Baumeister  selbst  angemessen,  wenn  das  Reine  von 
dem  Unreinen,  das  Vergängliche  von  dem  Unvergänglichen  gesondert 
wird,  wie  die  anderen  Schulen  lehren,  welche  nämlich  lehren,  dafs  diese 
unreinen  und  hinfälligen  Substanzen  in  den  engen  Hohlraum  der  Mond- 
sphäre eingeschlossen  sind,  während  dann  über  dieser  in  ununter- 
brochener Reihe  die  Himmelsgebilde  sich  erheben! 

Salv.    Es  ist  richtig,  dafs  das  kopernikanische  System  Verwirrung   Kopcmikus 
in   das  Weltall  des  Aristoteles  bringt,  wir  aber  handeln  von  unserem  wimmg  iu  das 

°    '  .        Weltall  dos 

wahren    und    wirklichen    Weltall.      Weim    der   Verfasser    sodann    die    Aristoteles. 
Wesensverschiedenheit    zwischen    der    Erde    und   den  Himmelskörpern  Fehischiufs  des 

Verfassers  des 

aus  der  Unzerstörbarkeit  von  diesen  und  der  Zerstörbarkeit  von  jener  Antitycho. 
auf  die  Weise  des  Aristoteles  herleiten  will  und  wenn  er  dann  aus 
dieser  Verschiedenheit  schliefst,  Sonne  und  Fixsterne  müfsten  sich  be- 
wegen, die  Erde  aber  unbeweglich  sein,  dann  läfst  er  sich  zu  einem 
Fehlschlüsse  hinreifsen,  indem  er  das  Unbekannte  schon  als  richtig 
voraussetzt.  Denn  Aristoteles  erschliefst  die  Unzerstörbarkeit  der 
Himmelskörper  gerade  aus  derjenigen  Bewegung,  betreffs  welcher  wir 
streiten,  ob  sie  diesen  oder  der  Erde  zukomme.  Über  die  Nichtig- 
keit dieser  rhetorischen  Beweise  haben  wir  zur  Genüge  gesprochen. 
Und  was  kann  thörichter  sein  als  zu  sagen,  die  Erde  und  die  Elemente  Thorhcit  der 

"  Bcliauptung,dars 

seien    aus    der    Gesellschaft    der   Himmelssphären    verbannt   und    aus-die  Frde  aufser- 

halb  des  Him- 

geschlossen  und  in  das  Innere   der  Mondsphäre  verwiesen!     Ist  denn  meis  sich  be- 
diese  nicht  auch  eine  der  Himmelssphären  imd  nach  allgemeinem  Zu- 
geständnis inmitten  aller  anderen  gelegen?     Eine  neue  Manier,  Reine 
und   Unreine,   Kranke   und   Gesunde   von   einander   zu   trennen,    indem 
man  die  von  der  Seuche  Befallenen  im  Herzen  der  Stadt  miterbringt! 


284  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [292.  293.] 

Icli  glaubte  immer,  das  Lazarett  müsse  man  in  möglichst  weiter  Ent- 
fernung davon  anlegen.  Kopernikus  bewundert  die  Anordnung  der 
Teile  des  Universums,  weil  Gott  das  gewaltige  Liebt,  welches  seinen 
Tempel  mit  höchstem  Glanz  erfüllen  sollte,  in  dessen  Mittelpunkt  und 
nicht  an  eine  Seite  gestellt  hat.  '^^)  Dafs  ferner  der  Erdball  seine 
Stelle  zwischen  Venus  und  Mars  hat,  werden  wir  binnen  kurzem  zu 
besprechen  haben;  Ihr  mögt  versuchen.  Euerem  Autor  zu  liebe,  sie 
von  dieser  Stätte  zu  entfernen.  Nur  lafst  ims  nicht  solche  rhetori- 
sche Floskeln  in  ernsthafte  Untersuchungen  eiuflechten,  überlassen  wir 
sie  Schönrednern  oder  besser  noch  den  pichtern,  welche  es  von  jeher 
verstanden  haben  durch  ihre  einschmeichelnden  Worte  auch  gemeine, 
ja  bisweilen  gefährliche  Dinge  zu  preisen  und  zu  erheben.  Weuu 
sonst  noch  etwas  zu  sagen  ist,  thun  wir  es  möglichst  bald. 

Simpl.     Als  sechstes  und  letztes  Argument  steht  hier,  es  sei  sehr 

Argument  ber-  uuwahrscheinlich,   dafs   ein  zerstörbarer  und    der  Auflösung  unterwor- 

deu  Tieren,   feuer  Körpcr  eine  beständige,  regelmäfsige  Bewegung  ausführen  kömie. 

welche  ruhebe- ^  ,  ^        _  .       ^  ^    •       •    i     i         m^  i    i  •    i  p    t       -i 

dürftig  sind,  Er  crläutcrt  dies  mit  dem  Beispiel  der  Tiere,  welche  sich  aui  die  ilmen 
Bewegung  na-  natürliche  Weise  bewegen  und  gleichwohl  müde  werden  und  der  Ruhe 
bedürfen,  um  neue  Kräfte  zu  sammeln.  Und  doch,  was  wollen  solche 
Bewegungen  besagen  neben  der  im  Vergleich  damit  Ungeheuern  Be- 
wegung der  Erde?  Und  sie  nun  gar  drei  abweichende,  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  aus  einander  strebende  Bewegungen  ausführen 
zu  lassen!  Wer  möchte  je  so  etwas  zu  behaupten  wagen,  er  sei  denn 
ein  geschworener  Verfechter  dieser  Meinungen?  Auch  ist  in  diesem 
Falle  hinfällig,  was  Kopernikus  vorbringt,  dafs  nämlich  bei  der  Erde 
wegen  des  Natürlichen,  Nichtgewaltsamen  dieser  Bewegung  auch  die 
Folgen  die  entgegengesetzten  sind  wie  bei  einer  gewaltsamen,  dafs  sich 
zwar  die  Dinge,  denen  man  Gewalt  anthut,  auflösen  und  nicht  langen 
Bestand  haben  können,  die  von  der  Natur  erschaffenen  hingegen  in 
ihrer  besten  Verteilung  beharren.  Es  ist  diese  Entgegnung  hinfällig^ 
sage  ich,  sie  wird  von  der  unsrigen  vernichtet:  denn  das  Tier  ist  auch 
ein  Naturkörper  und  nicht  künstlich  angefertigt,  seine  Bewegung  ist 
gleichfalls  natürlich  und  durch  die  Seele  bedingt,  also  durch  ein 
inneres  Princip;  gewaltsam  hingegen  ist  eine  Bewegung  nur  dann, 
Avenn  sie  von  einem  äufseren  Princip  herrührt,  zu  dem  das  Bewegte 
nichts  beiträgt;  gleichwohl  wird  das  Tier,  wenn  es  seine  Bewegung 
lange  Zeit  hindurch  fortsetzt,  müde  und  stirbt  sogar,  wenn  es  sich 
hartnäckig  zwingen  will.  Ihr  seht  also,  wie  allenthalben  in  der  Natur 
oinzeichen  vorhanden  sind,  welche  gegen  die  Behauptung  des  Koperni- 
kus sprechen  und  niemals  solche,  die  ihm  günstig  sind.  —  Um  nicht 
immer  die  Rolle  des  Gegners  spielen  zu  müssen,  hört,  was  er  gegen 


I 

J 


[293.  294.]  Zweiter  Tag.  285 

Kepler  vorbringt  — •  gegen  diesen  polemisiert  er  hier  —  betreffs  eines 
Einwandes,  welcben  eben  dieser  Kepler  gegen  diejenigen  erhebt,  denen 
es   unangemessen,    ja    unmöglich    scheint    der   Stemensphäre    eine    so 
ungeheuere  Ausdehnung  zu  geben,  wie  es  vom  kopernikanischen  Stand- 
punkte aus  erforderlich  ist.     Kepler  richtet  sieh  gegen  diese  mit  den 
Worten:  JDifficilius  est  accidens  praeter  modulum  suhjectl  Intendere,  qiia7n  Argument  von 
subjedum  sine  accidente  augere.     Copernicus  igitur  verisimilius   facit,  qiiiaten  desKoper- 
auget  orhem  stellarum  ftxarum  dbsqiie  motu,  quam,  Ptolemaeus,  qui  äuget 
motum  ftxarum   immensa  velocitate.'^^'^)     Diesen  Einwand  widerlegt  der 
Verfasser:  er  ist  erstaunt,   wie  Kepler  sich  so   sehr  täuschen  und  be-  Der  Verfasser 
haupten  kann,  bei  der  ptolemäischen  Annahme  wachse  die  Bewegung  erhebt  Einwand 
ohne  Verhältnis   zu  dem  Mafsstab   des   Subjekts.     Denn  nach  seiner, 
des  Verfassers,  Ansicht  wächst  die  Bewegung  in  demselben  Verhältnis 
wie  der  Mafsstab  und  wie  dieser  zunimmt,  nimmt  auch  die  Geschwin- 
digkeit   der    Bewegung    zu.      Dies    beweist    er,    indem    er    sich    einen  Die  Geschwin- 
Apparat    vorstellt,   der   in    24  Stunden    eine   Umdrehung  macht,   eine  Kreisbewegung 
Bewegung,  die  jedermaim  langsam  nennen  wird.     Denkt  man  sich  dannDurchmesser  des 
seinen  Radius  bis  zur  Sonne  verlängert,  so  wird  dessen  Endpimkt  die 
Geschwindigkeit  der  Sonne  besitzen,  wiewohl  seine  Bewegung  auf  dem 
Umfange  des  Apparats  ganz  langsam  von  statten  geht.     Wendet  man 
diese  Betrachtung  am  Apparate   auf  die    Sternensphäre   an  imd  denkt 
sich  auf  einem  Radius  einen  Punkt  in  der  Nähe  des  Centrums  in  einer 
Entfernung    gleich    dem  Radius    des   Apparats,    so    wird    dieselbe   Be- 
wegung, welche  auf  der  Stemensphäre  eine  aufserordeutlich  rasche  ist, 
in  diesem  Punkte  mit  äufserster  Langsamkeit  vor  sich  gehen.     Es  ist 
nur   die  Gröfse    des  Körpers,  welche   die  ganz  langsame  Beweg-ung  in 
eine  äufserst  rasche  verwandelt,  wiewohl  sie  dieselbe  Bewegung  bleibt. 
Und  so  wächst  demnach   die  Geschwindigkeit  nicht   aufser  Verhältnis 
zu  dem  Mafsstab  des  Subjekts,  vielmehr  wächst  sie  entsprechend  diesem 
imd  seiner  Gröfse,  ganz  im  Gegensatze  zu  der  Ansicht  Keplers. 

Salv.      Ich  kami   mir   nicht   denken,   dafs    der   Verfasser    eine    so 
geringe   und  niedrige  Meinung   von  Kepler  hat,  dafs  er  glaubt,  dieser 
habe  nicht  begriffen,  warum  das  äufserste  Ende  einer  vom  Mittelpunkt 
nach  der  Stemensphäre   gezogenen  Linie   sich  rascher  bewegt  als  ein. 
zwei  Ellen  vom  Mittelpunkt    entfernter   Punkt    derselben   Linie.     Er 
mufs   also   einsehen  und  begreifen,  die  Absicht   und  Meinimg  Keplers  Erklärung  des 
sei  gewesen,  es  als   einen  geringeren  Übelstand   zu  bezeichnen,   wemidei-kepieriscbeu 
man   einem   imbeweglichen   Körper    die   gewaltigste   Gröfse   zuschreibt,  Verteidigung. 
als  wenn  man  einem  immerliin  auch  höchst  mächtigen  Körper  eine  un- 
geheuere Geschwindigkeit  beilegt,  insbesondere  wenn  mau  auf  den  Modul, 
d.  h.   auf  die  Norm,  auf  das  übliche  Mafs   der  sonstigen  Naturkörper 


286  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [294.  295.] 

Rücksicht   uimint,   bei  welchen  mit   der  Entfernung  vom  Centrum  die 
Geschwindigkeit  abnimmt  d.  h.  die   periodischen  Umläufe  längere  Zeit 
Gröfse  und    erfordsm.     Bei  der  Ruhe  aber,  bei  welcher  es  kein  Miuder  und  Mehr 
Körpers  be-   gicbt,    macht    die    gröfsere    oder    geringere    Ausdehnung    des    Körpers 
verschiedeniieit keinen  Unterschied.      Wenn  also   die   Entgegnung   des  Verfassers   auf 
gung,  aber  nichtdas  Argumcnt  Keplers   zutreffend   sein  sollte,    so   mufs   der  Verfasser 
notwendig  der  Ansicht  sein,  dafs  es  für  das  bewegende  Princip  einerlei 
sei,  innerhalb   der  nämlichen  Zeit  einen  ganz   kleinen  oder  einen  un- 
geheueren Körper   zu  bewegen,   da  die  Vermehrung  der  Geschwindig- 
keit unzweifelhaft  von  der  Zunahme    des   Volumens    herrührt.      Dies 
Die  Ordnung  widcrspricht   aber  den  Bauregeln  der  Natur,   welche   bei   dem  Modell 
die  kleineren  'der  kleineren  Sphären  daran  festhält,  die  kleineren  Bahnen  in  kürzeren 
zeren,  die'grör"e- Zeiten  zurücklcgcn  zu  lassen,  wie  sich  bei  den  Planeten  zeigt  und  am 
"^Zeiten  zurück-'' allerdeutlichsten  bei  den  Mediceischen  Gestirnen.      So  währt  die  Um- 
egen  zu  '^^^'^*^jj.g]^^^gg2eit  dcs  Satum  länger  als  die  aller  übrigen  kleineren  Sphären 
und    zwar    dauert    sie    30  Jahre.      Von  dieser   nun    zu    einer    vielfach 
gröfseren    überzugehen    und   ihr    eine    24-stündige   Umdrehungszeit   zu 
verleihen  kann  mit  Recht   als   ein  Aufgeben  der  Regeln   des  Modells 
bezeichnet  werden.     Wenn  wir  also   sorgsam   aufmerken,   richtet  sich 
die  Entgegnung  des  Verfassers  nicht  gegen  die  Meinung  und  den  Sinn 
der   Keplers chen  Worte,  sondern   gegen  die  Auslegung  und  die  Aus- 
drucksweise.    Auch    hier  aber    hat   der  Verfasser  Unrecht  und  kann 
nicht  in  Abrede   stellen,   dafs   er   die  Deutung   der  Worte   absichtlich 
mifsverstanden  hat,  um  Kepler  eines  krassen  Irrtums  beschuldigen  zu 
können.     Der  Betrug  ist  aber  so  grob,  dafs  er  trotz  aller  Abzüge  am 
Werte   die   hohe  Meinung   von  Keplers    Gelehrsamkeit   doch  nicht  hat 
vernichten   können,  welche  alle  Gelehrten   hegen.   —  Doch  um  wieder 
auf  den  Einwand  gegen   die   beständige   Bewegung  der  Erde   zurück- 
zukommen, der  davon  ausgeht,  dafs  sie  diese  immer  fortsetzt,  ohne  zu 
ermüden,   während    die  Tiere,    die    sich    doch    gleichfalls   ihrer  Natur 
und    einem   inneren  Princip    gemäfs   bewegen,   müde   werden  und   der 
Ruhe  bedürfen,  um  ihre  Glieder  abzuspannen  .... 

Sagr.     Ich  meine  Kepler  zu  hören,   wie   er   darauf  erwidert,  dafs 

Wortspiel  als  CS   doch  Ticrc   giebt,   die   sich   dadurch  von   ihrer   Müdigkeit   erholen, 

gegnungKepiers.dafs  sic  sich  auf  der  Erde  wälzen;  dafs  man  also  nicht  zu  befürchten 

braucht,   der  Erdball  werde    müde.      Man   kami   vielmehr   mit   vollem 

Rechte  behaupten,  dafs  er  sich  einer  beständigen,  gänzlich  ungestörten 

Ruhe  erfreut,  indem  er  in  ewiger  Umwälzung  beharrt. 

Salv.  Ihr  seid  gar  zu  scharf  und  beifsend,  Signore  Sagredo; 
lassen  wir  lieber  die  Späfse  beiseite,  wenn  wir  so  ernsthafte  Gegen 
stände  behandeln. 


I 


[295.  296.]  Zweiter  Tag.      ^  287 

Sagr.     Verzeiht,  Signore  Salviati,  was  ich  da  sage,  ist  gar  nicht 
so  unangebracht,  wie  Ihr  es  hinstellt.    Denn  eine  Bewegung,  die  einem  Die  Tiere  wür- 
von  zurückgelegtem  Wege  ermatteten  Körper  zum  Ausruhen,  zur  Ver-  müden,  wenn 
treibung   der  Müdigkeit   dient,   kann  noch  viel   eher   den  Eintritt  der    so  vor  sfch  ° 
Müdigkeit  verhindern,  gerade  wie   die  vorbeugenden  Heilmittel  um  sodfm°Erdbaii  zu- 
eher  wirksam  sind   als   die   heilenden.     Ich  bin  fest  überzeugt,  wenn 
die  Bewegung  der  Tiere   in  der  Art  vor  sich  ginge  wie  die  der  Erde 
zugeschriebene,   so   würden   sie   durchaus   nicht  ermüden;  denn  meines 
Erachteus  rührt  die  Ermüdung  des  tierischen  Körpers  davon  her,  dafsursache  der  Er- 
das  Tier  blofs  einen  Teil  gebraucht,  um  diesen  und  den  ganzen  übrigen'""  Tifren! 
Körper   zu    bewegen.      So    z.  B.    werden    blofs    die  Unter-  und   Ober- 
schenkel beim  Gehen  benutzt,  um  ihr  eigenes  Gewicht  und   das   des 
ganzen  Körpers   fortzutragen,  hingegen  werdet  Ihr  bemerken,  wie  die 
Bewegung  des  Herzens   unermüdlich  vor  sich  geht,  weil  es  eben  nur 
sich   zu    bewegen  hat.      Überdies   bin   ich   mir  nicht   klar  darüber,  in-  Bewegung  des 
wiefern  wirkHch  die  Bewegung  des  Tieres  natürlich  ist  und  nicht  viel-    waUsanr'ais'^ 
mehr  gewaltsam.    Ich  glaube  sogar,  man  könnte  mit  Recht  behaupten. 


dafs  die  Seele  die  Glieder  des  Tieres  von  Natur  in  eine  widernatür- 
liche Bewegung  versetzt.  Wenn  nämlich  die  Bewegung  schwerer 
Körper  nach  oben  widernatürlich  ist,  so  kann  beim  Gehen  das  Heben 
des  Schienbeins  und  Schenkels,  die  schwere  Körper  sind,  nur  unter 
Anwendung  von  Gewalt  erfolgen  und  daher  nicht  ohne  Ermüdimg 
dessen,  der  sie  bewegt.  Wer  eine  Treppe  hinaufsteigt,  trägt  einen 
schweren  Körper  entgegen  seiner  natürlichen  Neigung  nach  oben,  und 
infolge  dessen  tritt  wegen  des  natürlichen  Widerstrebens  der  Schwere 
gegen  eine  solche  Bewegung  Ermüdung  ein.  Wenn  aber  ein  Körper 
eine  Bewegung  ausführen  soll,  gegen  welche  er  nicht  die  mindeste  Ab- 
neigung hat,  ist  da  irgendwelche  Erschlaffung  oder  Verminderung 
seiner  Energie  oder  Kraft  zu  befürchten  ?  Warum  sollte  die  Kraft  nie  Kraft  ver- 
sieh vermindern,  wo  sie  gar  nicht  zur  Anwendimg  kommt?  "iX,  wo  sie 

Simpl.      Der   Verfasser   gründet    seinen  Einwand    auf  den   Gegen-w^endungkommt. 
satz    derjenigen  Bewegungen,    welche    nach   seiner   Meinung   die   Erde 
ausführen  soll. 

Sagr.  Es  ist  bereits  bemerkt  worden,  dafs  diese  Bewegungen  Der  Einwand 
keinesTv^egs  entgegengesetzt  sind,  dafs  der  Verfasser  darin  sich  gröblich  aicii'  gegen  ihn 
getäuscht  hat;  so  kommt  es,  dafs  die  Spitze  des  Einwandes  ihre  ganze 
Kraft  gegen  den  Angreifer  selbst  richtet,  wenn  er  behauptet,  dafs  das 
primuni  mobile  alle  niederen  Sphären  entgegen  derjenigen  Richtung 
fortreifst,  in  welcher  diese  gleichzeitig  unaufhörlich  sich  bewegen. 
Sache  des  prininm  mobile  ist  es  also,  müde  zu  werden,  welches  nicht 
nur  sich  selber,   sondern  auch  so  viele  andere  Sphären   in  Bewegung 


288  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [296.  297.] 

erhalten  soll,  die  nocli  obendrein  ihm  durch  ihre  entgegengesetzt  ge- 
richtete Bewegung  Widerstand  leisten.  Man  mufs  demnach  die  letzte 
Schlufsfolgerung  des  Verfassers,  dafs  die  Naturerscheinungen  stets  zu 
einem  für  Aristoteles  und  Ptolemäus  günstigen  Ergebnisse  führten 
und  niemals  zu  einem,  das  nicht  gegen  Kojjernikus  spräche,  mit  grofser 
Vorsicht  entgegennehmen.  Es  ist  vielmehr  richtiger  zu  sagen:  da 
Für  wahre  Be-eiuc  der  beiden  Lehren  richtig,  die  andere  notwendig  falsch  ist,  so  ist 
starrt" man  Tuf  CS  uumöglich,  dafs  für  die  falsche  jemals  ein  Beweis,  eine  Erfahrung, 
weise,  nicht  aberein  richtiger  Grund  sich  finden  läfst,  der  ihr  günstig  wäre,  wie  um- 
gekehrt nichts  derartiges  der  wahren  Lehre  widersprechen  kann.  Es 
mufs  also  eine  grofse  Verschiedenheit  hervortreten  zwischen  den  Unter- 
suchungen und  Gründen,  die  von  der  einen  und  von  der  anderen  Seite 
für  und  gegen  diese  beiden  Meinungen  vorgebracht  werden,  die  Ent- 
scheidung über  den  Wert  derselben  aber  stelle  ich  Euch  selbst  an- 
heim,  Signore  Simplicio. 

Salv.  Ihr  habt  mir  vorhin,  fortgerissen  von  der  schnellen  Auf- 
fassungsgabe Eueres  Geistes,  das  Wort  abgeschnitten,  als  ich  noch 
etwas  auf  jenes  letzte  Argument  des  Verfassers  erwidern  wollte.  Ob- 
wohl Ihr  ihm  nun  zur  Genüge  geantwortet  habt,  will  ich  doch  unter 
allen  Umständen  noch  hinzufügen,  was  ich  vorhin  im  Sinne  hatte. 
Er  hält  es  für  höchst  unwahrscheinlich,  dafs  ein  der  Auflösung  und 
Zerstörung  unterworfener  Körper,  wie  es  die  Erde  ist,  beständig  eine 
regelmäfsige  Bewegung  ausführen  kann,  namentlich  in  Hinblick  auf 
die  Tiere,  die  wir  schliefslich  müde  mid  ruhebedürftig  werden  sehen; 
es  erscheint  ihm  um  so  unwahrscheinlicher,  als  eine  derartige  Bewegung 
im  Vergleich  zu  der  der  Tiere  unermefslich  geschwind  vor  sich  gehen 
müfste.  Nun  kann  ich  nicht  einsehen,  warum  er  an  der  Geschwindig- 
keit der  Erde  auf  einmal  Anstofs  nimmt,  wo  doch  die  so  sehr  viel 
gröfsere  der  Fixsternsphäre  ihm  nicht  mehr  Anstofs  giebt,  als  die  Ge- 
schwindigkeit eines  Apparates,  der  in  24  Stunden  eine  einzige  Drehung 
ausführt.  Wenn  aus  dem  Vergleich  der  Geschwindigkeit  der  Erd- 
drehung mit  dem  Modelle  des  Apparats  keine  belangreicheren  Schlüsse 
gezogen  werden,  so  darf  nur  der  Verfasser  seine  Furcht  betreffs  der  Ermü- 
dung der  Erde  fallen  lassen;  denn  kein  noch  so  schwaches  und  träges 
Tier,  nicht  einmal  ein  Chamäleon,  würde  müde  werden,  wenn  es  sich  in 
24  Stunden  nicht  mehr  als  fünf  oder  sechs  Ellen  bewegte.  Wenn  er 
Die  Ermüdung  aber  die  Geschwindigkeit  nicht  mehr  nach  dem  Modell  des  Apparats, 

der  Sternen-  i        i  i  -i  •  .    ,  .  i    r      i 

Sphäre  wäre  ehersoudem  absolut  beurteilen  will  und  darauf  Rücksicht  nimmt,  dafs  der 

ZU  befürchten, 

als  die  des  Erd-bewcgliche  Körper  in  24  Stunden  eine  aufserordentlich  grofse  Strecke 
zurückzulegen  hat,  so  müfste  der  Verfasser  sich  noch  viel  mehr  da- 
gegen sträuben,  diese  Geschwindigkeit  der  Sternensphäre  zuzusprechen^ 


I 


[297.  298.]  Zweiter  Tag.  289 

denn  diese  soll  mit  unvergleichlich  gröfserer  Geschwindigkeit,  als  sie 
die  Erde  besitzt,  tausende  von  Körpern  mit  sich  reifsen,  deren  jeder 
weit  gröfser  ist,  als  die  Erde. 

Es  wären  jetzt  noch  die  Beweise  zu  betrachten,  nach  welchen 
die  neuen  Sterne  von  1572  und  1604  sublunarische  und  nicht  himm- 
lische Erscheinungen  gewesen  sein  sollen,  wie  letzteres  allgemein  von 
den  damaligen  Astronomen  angenommen  wurde:  ein  wahrhaft  grofs- 
artiges  Unternehmen!  Ich  habe  indessen  gedacht,  weil  mir  die  Schrift 
neu  ist  und  weil  sie  durch  die  darin  enthaltenen  Rechnungen  einen 
grofsen  Umfang  besitzt,  dafs  es  zweckmäfsiger  wäre,  wenn  ich  sie  in 
der  Zeit  von  heute  Abend  bis  morgen  früh  einer  möglichst  genauen 
Durchsicht  unterwürfe  und  Euch  morgen  bei  Wiederaufnahme  unserer 
gewöhnlichen  Unterredungen  über  das,  was  ich  darin  gefunden  habe, 
Bericht  erstattete.  Bleibt  uns  dann  noch  Zeit,  so  wollen  wir  sie  be- 
nutzen, um  über  die  der  Erde  zugeschriebene  jährliche  Bewegung  zu 
sprechen.  Weim  Ihr  inzwischen,  insbesondere  Signore  Simplicio,  noch 
etwas  über  die  tägliche  Bewegung  zu  bemerken  habt,  die  ich  nun 
recht  weitläufig  geprüft  habe,  so  steht  ims  noch  ein  wenig  Zeit  zur 
Verfügung,  um  darüber  Erörterungen  zu  pflegen. 

Simpl.  Ich  habe  nur  das  eine  zu  bemerken,  dafs  die  heu^te  statt- 
gehabten Erörterungen  mir  allerdings  reich  an  sehr  scharfsinnigen 
und  geistvollen  Gedanken  erschienen  sind,  welche  vom  kopernikani- 
schen  Standpunkte  zu  Gunsten  der  Lehre  von  der  Erdbewegung  vor- 
gebracht worden  sind.  Aber  ich  kann  doch  nicht  sagen,  dafs  ich  mich 
geneigt  fühle  an  diese  zu  glauben,  da  schliefslich  alles  Vorgebrachte  doch 
nur  beweist,  dafs  die  Gründe  für  das  Stillestehen  der  Erde  nicht 
zwingend  sind;  aber  es  ist  kein  einziger  Beweis  von  zwingender 
Überzeugungskraft  für  die  gegnerische  Ansicht  augeführt  worden,  der 
die  Bewegung  darthäte. 

Salv.  Ich  habe  mir  niemals  die  Aufgabe  gestellt,  Signore  Sim- 
plicio, Euch  von  Euerer  Ansicht  zu  bekehren  und  möchte  noch  weniger 
mich  imterfangen,  entscheidend  über  eine  so  bedeutende  Streitfrage 
abzuurteilen.  Bei  den  bisherigen  wie  bei  den  folgenden  Disputationen 
ist  meine  Absicht  nur  die  gewesen  imd  wird  es  nur  sein.  Euch  klar 
zu  machen,  dafs  die  Anhänger  der  Lehre,  wonach  jene  äufserst  rasche 
24-stündige  Bewegung  blofs  der  Erde  angehöre  imd  nicht  dem  ganzen 
Weltall  mit  Ausnahme  der  Erde,  diese  ihre  Ansicht,  dafs  dem  so  sein 
könne  oder  müsse,  nicht  ins  Blaue  hinein,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
sich  gebildet  haben,  dafs  sie  vielmehr  die  Gründe  für  die  gegnerische 
Ansicht  sehr  wohl  anhörten,  kannten,  prüften  und  auch  nicht  ver- 
ächtlich   darauf   zu   erwidern    wufsten.      In   dieser    nämlichen  Absicht 

Galilei,  Weltsysteme.  19 


290  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [298.] 

werden  wir  zu  der  Betraclitimg  der  anderen  Bewegung  übergehen 
können^  wenn  dies  nach  Euerem  und  Signore  Sagredos  Geschmack  ist, 
zu  jener  anderen  Bewegung,  die  zuerst  von  Aristarch  aus  Samos  ^^^)  und 
sodann  von  Nikolaus  Kopernikus  gleichfalls  dem  Erdball  zugeschrie- 
ben worden  ist.  Diese  Bewegung  geht,  wie  Ihr  wahrscheinlich  schon 
gehört  habt,  unter  dem  Tierkreise  vor  sich,  innerhalb  eines  Zeitraums 
von  einem  Jahre  um  die  im  Mittelpunkte  des  Tierkreises  unbeweglich 
stehende  Sonne. 

Simpl.  Die  Frage  ist  so  grofsartig  und  bedeutend,  dafs  ich  sehr 
gespannt  bin,  darüber  reden  zu  hören,  da  ich  wohl  annehmen  darf, 
dafs  ich  Gelegenheit  habe,  alles  das  zu  vernehmen,  was  sich  über 
diesen  Gegenstand  sagen  läfst.  Ich  werde  dann  bei  mir  selber  in  aller 
Gemächlichkeit  noch  weiter  über  das  bereits  Vernommene  und  noch 
ferner  zu  Vernehmende  nachdenken  können,  und  wenn  ich  sonst  nichts 
dabei  gewänne,  so  ist  es  schon  etwas,  mit  gröfserer  Gründlichkeit 
über  diese  Dinge  reden  zu  kömien. 

Sagr.  Lafst  uns  also,  um  Signore  Salviati  nicht  allzusehr  zu  er- 
müden, unsere  heutigen  Unterhaltungen  beschliefsen  und  nehmen  wir 
morgen,  wie  gewöhnlich  unsere  Gespräche  auf,  in  der  Hoffnmig  recht 
viel  Neues  zu  hören. 

Simpl.  Ich  lasse  das  Buch  über  die  neuen  Sterne  hier,  nehme 
hingegen  das  Thesenbüchlein  wieder  mit,  um  noch  einmal  nachzusehen, 
was  darin  gegen  die  jährliche  Bewegung,  welclie  unseren  morgigen 
Gesprächsstoff  abgeben  soll,  geschrieben  steht. 


I 


[299.] 


Dritter  Tag. 

Sagr.  ^)  Die  lebhafte  Selinsnclit^  mit  der  ich  Euere  Ankunft  er- 
wartet habe,  um  die  neuen  Gedanken  über  die  jährKche  Umdrehung 
unseres  Erdballs  zu  vernehmen,  liefs  mir  die  verflosseneu  Stimden  der 
Nacht  recht  lange  erscheinen  und  ebenso  ging  es  mir  den  heutigen 
Morgen,  wiewohl  ich  ihn  nicht  müfsig  verbrachte,  sondern  ihn  ver- 
wendete, um  noch  einmal  im  Geiste  die  gestrigen  Erwägungen  durch- 
zugehen. Ich  zog  die  Gründe  in  Betracht,  welche  jede  der  beiden 
gegnerischen  Parteien  zu  Gunsten  ihres  Standj3unktes  anführt,  die  ari- 
stotelische und  ptolemäische  einerseits,  die  des  Aristarch  und  des 
Kopernikus  andererseits:  wirklich,  es  scheint  mir,  wer  auch  sich  ge- 
täuscht habe,  sein  Irrtum  ist  verzeihlich;  denn  dem  Anscheine  nach 
sind  diese  Gründe  so  plausibel,  dafs  jene  Männer  wohl  durch  sie  über- 
zeugt worden  sein  mögen;  nur  müssen  wir  uns  an  die  von  jenen 
ersten  bedeutenden  Schriftstellern  vorgebrachten  Gründe  halten.  Da 
jedoch  die  peripatetische  Ansicht  vermöge  ihres  Alters  zahlreiche  An- 
hänger und  Verehrer  gefunden  hat,  die  andere  Ansicht  hingegen  nur 
eine  ganz  geringe  Zahl,  einmal  ihrer  Dunkelheit  imd  sodann  ihrer  Neu- 
heit wegen,  so  bemerkt  man  unter  jener  grofsen  Zahl  und  namentlich 
unter  den  modernen  Vertretern  dieser  Richtung  manche,  welche  zur 
Aufrechterhaltung  der  von  ihnen  für  wahr  gehaltenen  Meinungen  sehr 
kindische,  wo  nicht  lächerliche.  Gründe  aufgebracht  haben. 

Salv.     Denselben  Eindruck  habe  ich  empfangen  und  zwar  in  um 
so  höherem  Grade  wie  Euer  Gnaden,  als  ich  Gründe  habe  vorbringen 
hören,    die    ich    mich    schämen    würde   zu   wiederholen:    nicht    sowohl 
um   den  Ruf  ihrer  Urheber   zu  schonen,  deren  Namen  man  stets  ver- Manche  Schrift- 
schweigen  kanu^),  als  vielmehr  um  der  Ehre  des  Menschengeschlechtes  sicu'berihreii 
keinen  Makel  anzuheften.     Wie  ich  mich  dann  aufs  Beobachten  legte,  e'rsTe'ine'Br" 
habe  ich  schliefslich  mich  überzeugt,  dafs    manche  Menschen  voreiligeweiche  "ie%iau- 
Schlüsse    ziehen,    sich    infolge    dessen    eine  Behauptung  in    den  Kopt und  pUs^en^h?! 
setzen  und  an  ihr  zähe  festhalten,  weil  diese  entweder  von  ihnen  selbst  diw^Beha^" 
oder  von  einer  bei  ihnen   wohl   accreditierten  Persönlichkeit  herrührt     *"°^  ''°' 

19* 


292  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [300.  301.] 

derart,  dafs  es  mimöglich  ist  diese  Ansicht  jemals  wieder  auszurotten. 
Die  Gründe,  welche  ihnen  dann  selber  einfallen  oder  welche  sie  von 
anderen  zur  Bestätigung  ihrer  vorgefafsten  Meinung  anführen  hören, 
mögen  sie  noch  so  einfältig  und  geistlos  sein,  werden  von  ihnen  ge- 
billigt und  ohne  weiteres  mit  Beifall  aufgenommen;  die  Einwände  hin- 
gegen, welche  man  ihnen  macht,  so  geistreich  und  überzeugend  sie 
seien,  nicht  nur  widerwillig  entgegen  genommen,  nein,  mit  Entrüstung 
sogar  und  heftigstem  Zorne.  Mancher  würde  sich  wutschnaubend  nicht 
entblöden  jedwedes  Mittel  zu  gebrauchen,  nur  um  den  Widersacher 
zu  unterdrücken  imd  verstummen  zu  machen;  ich  habe  in  dieser  Rich- 
tung so  manche  Erfahrung  gemacht. 

Sagr.  Leute  dieses  Schlages  leiten  also  nicht  den  Schlufs  aus 
den  Prämissen  ab  und  beweisen  ihn  nicht  durch  Gründe,  sondern 
wenden  und  drehen,  oder  besser  gesagt,  verdrehen  die  Prämissen  und 
Gründe  solange,  bis  sie  mit  ihren  schon  feststehenden  eingewurzelten 
Behauptmigen  stimmen.  Danach  ist  es  nicht  rätlich  sich  mit  der- 
gleichen Leuten  einzulassen,  um  so  weniger  als  ihre  Methode  nicht 
blofs  unerfreulich,  sondern  auch  gefährlich  ist.  Hingegen  können  wir 
die  Gespräche  mit  unserem  Signore  Simplicio  fortsetzen,  der  mir  von 
langer  Hand  als  grmidaufrichtiger  Maim  ohne  Falsch  und  Tücke  be- 
kannt ist  und  der  überdies  in  der  peripatetischen  Philosophie  trefflich 
Bescheid  weifs.  Darum  gebe  ich  mich  auch  der  festen  Überzeugimg 
hin,  dafs  zur  Unterstützung  der  Meinung  des  Aristoteles  nicht  leicht 
Gründe  sich  beibringen  lassen  würden,  die  ihm  entgingen.  Doch  seht, 
da  ist  er  eben,  ganz  aufser  Atem,  er  hat  heute  lange  auf  sich  warten 
lassen.  —  Wir  machten  Euch  eben  weidlich  schlecht,  Signore  Simplicio. 
Simpl.  Nicht  ich  verdiene  Vorwürfe,  Neptun  ist  schuld  an  meinem 
laugen  Ausbleiben:  er  hat  das  Meer  heute  Morgen  bei  der  Ebbe  so 
stark  zurückgezogen,  dafs  die  Gondel,  die  ich  benutzte,  nicht  weit  von 
hier  in  einem  nicht  fundamentierten  Kanäle  auf  dem  Trockenen  sitzen 
blieb,  so  dafs  ich  dort  länger  als  eine  geschlagene  Stunde  auf  die 
Wiederkehr  der  Flut  warten  mufste.  Wie  ich  nun  so  dastand,  ohne 
aus  der  Barke  aussteigen  zu  können,  welche  ganz  plötzlich  auflief, 
habe  ich  eine  Erscheinung  beobachtet,  die  mir  sehr  merkwürdig  vor- 
kam: beim  Sinken  des  Wassers  sah  man  dieses  nämlich  ganz  geschwind 
in  vielen  kleinen  Rinnsälen  abfliefsen,  weil  der  Schlammboden  gröfsten- 
Die  Bewegung  tcils   blofsgclcgt  War.     Während  ich  nun  meine   Aufmerksamkeit  auf 


zwischen  Ebbe  diese  Erscheinuug  richte,  sehe  ich  plötzlich,  wie  diese  Bewegung  auf- 

und  Flut  durcb  .  .  .  . 

keine  Euhepausehört,    wic    ohne    jedc   Pause   das    nämliche    Wasser    wieder    rückwärts 

unterbrochen.    „ .  •     i  i 

fliefst  und   das    Meer .  statt   rückläufig  wieder    rechtläufig    wird,    ohne 
auch  nur  einen  Moment  stationär  zu  bleiben.     Solange  ich  in  Venedig 


[301.  302.]  Dritter  Tag.  293 

bin,  habe  icli  noch  nie  Gelegenheit  gehabt,  diese  Erscheinung  zu  be- 
obachten. 

Sagr.  Dann  bliebt  Ihr  wohl  noch  nicht  oft  auf  dem  Trockenen 
zwischen  solch  kleinen  Rinnsalen  sitzen.  Diese  haben  ein  so  geringes 
Gefälle,  dafs  bei  einem  Sinken  und  Steigen  des  offenen  Meeres  um 
die  Dicke  auch  nur  eines  Blattes  Papier  gleichwohl  das  Wasser  um 
ziemlich  bedeutende  Strecken  in  ihnen  hin-  und  herläuft.  Ebenso  be- 
wirkt an  manchen  Seeküsten  ein  Steigen  des  Meeres  um  blofs  vier 
oder  sechs  Ellen,  dafs  das  Wasser  von  den  flachen  Gestaden  Hunderte 
und  Tausende  von  Ruten  landeinwärts  dringt. 

Simpl.  Das  verstehe  ich  sehr  wohl,  ich  hätte  aber  gedacht,  dafs 
zwischen  dem  letzten  Sinken  und  dem  Wiederbeginn  des  Steigens  eine 
merkliche  Ruhepause  eintritt. 

Sagr.  So  wird  sich  die  Sache  ausnehmen,  wenn  Ihr  an  Mauern 
oder  an  Pfähle  denkt,  wo  jene  Änderungen  in  vertikaler  Richtung  vor 
sich  gehen;  aber  auch  da  tritt  in  Wirklichkeit  keine  Ruhe  ein. 

Simpl.  Wegen  der  entgegengesetzten  Richtung  jener  beiden  Be- 
wegungen glaubte  ich,  es  müsse  zwischen  beiden  eine  Ruhe  statt- 
finden, in  Gemäfsheit  auch  der  aristotelischen  Doktrin,  welche  beweist, 
dafs  in  puncto  regressus  mediat  quies.^) 

Sagr.  Ich  erinnere  mich  dieser  Stelle  sehr  wohl,  aber  ebenso  er- 
innere ich  mich,  wie  wenig  ich  zur  Zeit,  wo  ich  Philosophie  studierte, 
von  dem  Beweise  des  Aristoteles  überzeugt  worden  bin,  ja  ich  wufste 
viele  gegenteilige  Erfahrmigen  anzuführen,  die  ich  Euch  jetzt  noch 
wiederholen  könnte.  Aber  ich  möchte  nicht,  dafs  wir  uns  wieder  auf 
Irrfahrten  einlassen,  da  wir  doch  zusammengekommen  sind,  um  über 
unsere  Angelegenheit  zu  verhandeln,  wo  möglich  ohne  solche  Unter- 
brechungen, wie  wir  sie  die  vergangenen  Tage  gehabt  haben. 

Simpl.  Wenn  es  auch  nicht  gerade  nötig  sein  wird,  unsere  Ge- 
spräche zu  unterbrechen,  so  werden  sie  sich  doch  ziemlich  in  die  Länge 
ziehen.  Gestern  nämlich  nach  Hause  zurückgekehrt,  fing  ich  an,  noch 
einmal  das  Thesenbüchlein  durchzulesen  und  finde  darin  höchst  treffende 
Argumente  gegen  jene  der  Erde  beigelegte  jährliche  Bewegung.  AYeil 
ich  mir  nicht  zutraute,  sie  so  genau  wiedergeben  zu  können,  habe  ich 
vorgezogen  das  Buch  wieder  mitzubringen. 

Sagr.  Daran  habt  Ihr  wohl  gethan.  Wemi  wir  indessen  das 
gestern  aufgestellte  Programm  einhalten  wollen,  werden  wir  erst  den 
Bericht  des  Signore  Salviati  über  das  Buch  von  den  neuen  Sternen 
entgegenzunehmen  haben,  dann  köimeu  wir  ohne  weitere  Unterbrechungen 
zur  Untersuchung  der  jährlichen  Bewegung  übergehen.  Nim  was  habt 
Ihr  mis  über  die  neuen  Sterne  mitzuteilen,  Signore  Salviati?     Sind  sie 


294  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [302.  303.] 

wirklich  vermöge  der  von  Signore  Simplicio  angeführten  Rechnungen 
des  Verfassers  vom  Himmel  in  jene  tieferen  Regionen  verpflanzt 
worden? 

Salv.  Ich  machte  mich  gestern  Abend  daran,  seine  Beweise  zu 
lesen  und  heute  Morgen  habe  ich  sie  noch  einmal  rasch  durchgegangen, 
um  mich  zu  überzeugen,  ob  wirklich  darin  geschrieben  stand,  was  ich 
den  Abend  zuvor  gelesen  zu  haben  glaubte,  oder  ob  nächtliche  Ge- 
spenster, Ausgeburten  meiner  Phantasie  mich  getäuscht  hatten.  Um 
es  kurz  zu  machen,  ich  finde  zu  meinem  grofsen  Herzeleid,  dafs  darin 
wirklich  Dinge  gedruckt  zu  lesen  sind,  wie  ich  sie  zur  Ehre  des  Philo- 
sophen lieber  nicht  gesehen  hätte.  Dafs  er  nicht  einsähe,  wie  aus- 
sichtslos sein  Unterfangen  ist,  scheint  mir  undenkbar,  denn  einmal 
liegt  die  Sache  gar  zu  sehr  auf  der  Hand,  sodann  erinnere  ich  mich 
auch,  dafs  der  Verfasser  von  unserem  akademischen  Freimde  lobend 
erwähnt  worden  ist*);  auch  wird  er  schwerlich  aus  Gefälligkeit  gegen 
andere  seinen  Ruf  derart  aufs  Spiel  gesetzt  haben,  dafs  er  sich  ent- 
schlossen haben  sollte,  ein  Werk  zu  veröffentlichen,  bei  dem  von  selten 
aller  Verständigen  nur  ein  abfälliges  Urteil  zu  erwarten  stand. 

Sagr.  Vergefst  aber  nicht,  dafs  auf  einen  Verständigen  mehr  als 
hundert  andere  kommen,  die  ihn  feiern  und  über  alle  Weisen  der 
Gegenwart  und  Vergangenheit  stellen  werden:  ihn,  der  es  verstanden 
hat,  die  peripatetische  Lehre  von  der  Unveränderlichkeit  des  Himmels 
gegen  eine  Schar  von  Astronomen  zu  verfechten  und  zwar  —  zu  ihrer 
Schande  sei  es  gesagt  —  mit  deren  eigenen  Waffen.  Was  sollten 
auch  vier  oder  sechs  Verständige  im  Lande,  welche  die  Nichtigkeit 
seiner  Arbeit  durchschauen,  gegen  die  Unzahl  derer  ausrichten,  die 
nicht  imstande  sind,  sie  zu  erkennen  oder  zu  begreifen,  die  sich  durch 
dergleichen  Marktschreierei  übertölj^eln  lassen  und  ihm  um  so  lauteren 
Beifall  klatschen,  je  weniger  sie  ihn  verstehen.  Nehmt  hinzu,  dafs 
auch  die  wenigen  Sachverständigen  es  verschmähen  werden,  auf  eine 
so  armselige  und  nichts  beweisende  Schreiberei  etwas  zu  erwidern, 
und  zwar  mit  vollem  Rechte,  denn  für  die  Verständigen  ist  es  über- 
flüssig und  bei  denen,  die  nichts  verstehen,  ist  alle  Mühe  vergeblich. 

Salv.  Die  angemessenste  Strafe  für  solches  Vergehen  wäre  in  der 
That  das  Schweigen,  wenn  man  nicht  durch  andere  Gründe  geradezu 
gezwungen  würde,  seinem  Unwillen  Luft  zu  machen:  einmal  laden  wir 
Italiener  samt  und  sonders  den  Schein  von  Ignoranten  auf  uns  und 
machen  uns  in  den  Augen  der  Ausländer,  namentlich  der  Nichtkatho- 
liken,  lächerlich.  Ich  könnte  Euch  sehr  berühmte  Männer  nennen^), 
die  sich  über  unseren  Akademiker  und  alle  italienischen  Mathematiker 
lustig  machen,  weil  sie  die  albernen  Ausfälle  eines  gewissen  Loremini 


i 

! 


|:]03.  304.]  Dritter  Tag.  295 

gegen  die  Astronomen  in  die  Öffentlichkeit  gelangen  und  dort  un- 
widersprochen sich  behaupten  liefsen.  Und  doch  könnte  das  noch  hin- 
gehen mit  Rücksicht  auf  das  noch  mehr  den  Spott  herausfordernde 
Verhalten  der  Sachverständigen,  die  sich  scheinbar  die  Albernheiten 
von  Leuten  gefallen  lassen,  welche  Theorieen  bekämpfen,  ohne  sie 
zu  verstehen. 

Sagr.  Ich  brauche  kein  treffenderes  Beispiel  als  die  Dreistigkeit 
jener  Leute  und  die  unglückliche  Lage  eines  Mannes  wie  Kopernikus, 
der  sich  von  Gegnern  bekämpfen  lassen  mufs,  die  nicht  einmal  seine 
fundamentale  Behauptung  verstehen,  um  derentwillen  ihm  der  Krieg 
erklärt  wird. 

Salv.  Ihr  werdet  nicht  weniger  verwundert  sein  über  die  Art 
und  Weise,  wie  man  die  Ansicht  der  Astronomen  widerlegt,  wonach 
die  neuen  Sterne  höheren  Sphären  als  die  Planetenbahnen,  vielleicht 
sogar  dem  Firmamente  angehörten.'') 

Sagr.  Wie  könnt  Ihr  aber  in  so  kurzer  Zeit  dieses  ganze  um- 
fangreiche Buch  geprüft  haben,  welches  doch  notwendig  Beweise  in 
grofser  Zahl  enthalten  mufs? 

Salv.  Ich  habe  mich  auf  die  ersten  darin  angeführten  Gegen- 
gründe beschränkt;  diese  bestehen  in  zwölf  Beweisen,  welche  sich  auf 
die  Beobachtungen  von  zwölf  Astronomen^)  stützen,  und  alle  diese 
Astronomen  waren  der  Ansicht,  dafs  der  1572  in  der  Cassiopeja  auf- 
getauchte Stern  am  Firmament  stand.  Der  Verfasser  beweist  im 
Gegenteil  auf  Grund  dieser  Beobachtimgen,  derselbe  sei  sublunarisch 
gewesen,  indem  er  paarweise  die  Kulminationshöhen  vergleicht,  wie 
sie  von  mehreren  Beobachtern  an  Orten  verschiedener  Breite  gefunden 
wurden  und  dann  in  gleich  zu  erklärender  Weise  vorgeht.  Da  ich 
nun  bei  der  Prüfung  dieser  seiner  ersten  Schlufsfolgerungen  bemerkt 
zu  haben  glaube,  wie  wenig  der  Verfasser  imstande  ist  zu  Gmisteu 
der  Peripatetiker  etwas  gegen  die  Astronomen  auszurichten  und  wie 
immer  deutlicher  und  deutlicher  sich  die  Ansicht  der  letzteren  be- 
stätigt, so  habe  ich  seine  anderen  Methoden  nicht  mit  der  gleichen 
Geduld  prüfen  mögen,  ich  habe  sie  vielmehr  nur  ganz  flüchtig  an- 
gesehen in  der  Gewifsheit,  dafs  dabei  ebenso  wenig  herauskommt,  als 
bei  den  ersten  Einwendungen.  Es  geuügeu,  wie  Ihr  sehen  werdet,  in 
der  That  einige  wenige  Worte  zur  Widerlegimg  dieses  ganzen  Werkes, 
trotzdem  es  sich  auf  so  viele,  viele  mühsame  Rechnimgen  stützt,  wie 
Ihr  seht.  Hört  also  mein  Beweis  verfahren.  Der  Verfasser,  um,  wieMethode  c/nam- 
er  sagt,  die  Gegner  mit  ihren  eigenen  Waffen  zu  durchbohren,  bedient  Astronomen* zu 
sich  einer  grofsen  Zahl  von  Beobachtungen,  die  diese  selbst  angestellt  "Mlthofr.sr«"'^ 
haben  —  es  handelt  sich  immerhin  um  zwölf  oder  dreizehn  verschiedene  '^'wideriegen.^" 


296  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [304.  305.] 

Autoren  —  stellt  mit  einem  Teile  derselben  seine  Rechnungen  an  und 
gelangt  zu  dem  Ergebnisse,  gedachte  Sterne  hätten  unterhalb  des 
Mondes  gestanden.  Da  ich  nun  gerne  katechetisch  zu  Werke  gehe, 
der  Verfasser  selbst  aber  nicht  zugegen  ist,  so  mag  Signore  Simplicio 
im  Sinne  des  Verfassers  auf  die  Fragen  antworten,  die  ich  stellen 
werde.  Angenommen  also,  es  handle  sich  um  den  schon  genannten 
Stern,  der  1572  in  der  Cassiopeja  auftauchte,  so  sagt  mir,  Signore 
Simplicio,  glaubt  Ihr,  dafs  derselbe  gleichzeitig  an  verschiedenen  Orten 
gestanden  haben  kann,  nämlich  in  der  elementaren  Sphäre  und  zu- 
gleich inmitten  der  Planetenbahnen,  oder  in  noch  höheren  Regionen 
unter  den  Fixsternen  und  noch  unendlich  viel  weiter  als  diese? 

Simpl.  Unzweifelhaft  mufs  pian  ihn  an  eine  einzige  Stelle  imd 
in  eine  einzige  bestimmte  Entfernung  von  der  Erde  versetzen. 

Salv.  Wenn  also  die  Beobachtungen  der  Astronomen  richtig  und 
die  vom  Verfasser  angestellten  Rechnungen  fehlerlos  wären,  so  müfste 
aus  beiden  notwendig  in  allen  Fällen  genau  die  nämliche  Entfernung 
sich  ergeben,  nicht  wahr? 

Simpl.  So  weit  reicht  auch  mein  Verständnis,  dafs  ich  einsehe, 
dem  müsse  so  sein.  Auch  würde  der  Verfasser  schwerlich  Wider- 
spruch dagegen  erheben. 

Salv.  Wie  aber  würdet  Ihr  diese  vielen,  vielen  Rechnungen 
beurteilen,  wenn  auch  nicht  zweie  zu  gleichen  Ergebnissen  führen? 

Simpl.  Ich  würde  sie  sämtlich  für  fehlerhaft  erklären  und  die 
Schuld  entweder  dem  Rechner  oder  den  mangelhaften  Beobachtungen 
der  Astronomen  beimessen.  Allenfalls  könnte  eine,  aber  auch  nur  eine, 
richtig  sein;  indessen  wüfste  ich  nicht,  diese  herauszufinden. 

Salv.  Möchtet  Ihr  nun  eine  zweifelhafte  Behauptung  auf  fehler- 
hafter Grundlage  aufbauen  mid  als  bewiesen  hinstellen?  Gewifs  nicht. 
Die  Rechnungen  Eueres  Autors  nun  sind  derart,  dafs  keine  mit  einer 
anderen  stimmt.  Ihr  seht  also,  welches  Vertrauen  man  ihnen 
schenken   darf 

Simpl.  In  der  That,  wenn  die  Sache  so  steht,  so  liegt  da  ein 
merkwürdiges  Versehen  vor. 

Sagr.  Ich  möchte  doch  Signore  Simplicio  und  den  Verfasser  in 
Schutz  nehmen,  indem  ich  Signore  Salviati  darauf  aufmerksam  mache, 
dafs  seine  Gründe  allerdings  zutreffend  wären,  wenn  der  Verfasser  ver- 
sucht hätte,  die  Entfernung  des  Sternes  von  der  Erde  mit  Bestimmt- 
heit zu  ermitteln.  Ich  glaube  aber  nicht,  dafs  dies  seine  Absicht  war; 
er  wollte  vielmehr  auf  Grund  jener  Beobachtungen  nur  beweisen,  dafs 
der  Stern  sublunarisch  gewesen  sei.  Wenn  also  aus  besagten  Be- 
obachtungen und  sämtlichen  auf  sie  gegründeten  Rechnungen  die  Höhe 


[305.  306.]  Dritter  Tag.  297 

des  Sternes  immer  geringer  sich  ergiebt  als  die  des  Mondes,  so  ist 
auch  dies  schon  für  den  Verfasser  ein  ausreichender  Grund,  um  alle 
jene  Astronomen  der  krassesten  Unwissenheit  zu  zeihen,  da  sie  mangels 
geometrischer  oder  arithmetischer  Kenntnisse  aus  ihren  eigenen  Be- 
ohachtimgen  keine  richtigen  Schlüsse  zu  ziehen  verstanden. 

Salv.  Ich  werde  mich  also  an  Euch  wenden  müssen,  Signore 
Sagredo,  der  Ihr  mit  so  viel  Scharfsinn  die  Ansicht  des  Verfassers 
zu  halten  versucht.  Damit  auch  Signore  Simplieio,  der  mit  Rech- 
nmigen  und  Beweisen  nicht  so  Bescheid  weifs,  zum  mindesten  sich 
überzeugen  kann,  wie  verfehlt  die  Beweise  des  Verfassers  sind,  mache 
ich  zunächst  auf  folgendes  aufmerksam.  Der  Verfasser  selber  sowohl 
wie  alle  Astronomen,  gegen  welche  er  ankämjjft,  sind  einig  darüber, 
dafs  der  neue  Stern  keine  Eigenbewegung  hatte,  sondern  blofs  die 
tägliche  Drehung  des  primiim  mobile  mitmachte.  Sie  sind  hingegen 
uneins  betreffs  seiner  Lage,  indem  diese  ihn  in  die  Himmelsregion  ver- 
setzen, d.  h.  höher  hinauf  als  den  Mond,  möglicherweise  sogar  an  den 
Fixstemhimmel,  während  jener  ihn  für  benachbart  der  Erde  hält,  d.  h. 
für  tiefer  gelegen  als  die  Wölbung  der  Mondsphäre.  Da  nun  der 
neue  Stern,  imi  welchen  es  sich  handelt,  gegen  Norden  und  nicht  sehr 
weit  vom  Pole  stand,  sodafs  er  für  uns  Nordländer  niemals  imterging, 
so  war  es  nicht  schwer  mittels  astronomischer  Instrumente  seine 
Meridianhöhen  zu  bestimmen,  und  zwar  ebensowohl  die  kleinsten  bei 
der  unteren  Kulmination  als  die  gröfsten  bei  der  oberen.  Aus  dem 
Vergleich  dieser  Höhen,  wie  sie  sich  an  solchen  verschiedenen  Orten 
der  Erde  ergaben,  die  verschiedene  Entfernimg  vom  Nordpol  oder  ver- 
schiedene Polhöhen  besitzen,  liefs  sich  dann  auf  die  Entfernimg  des 
Sternes   schliefsen.     Deim  stand  er  am  Firmamente   bei  den  übrigen  Die  kleinsten 

"  und  gröfsten 

Fixsternen,  so   mufsten    die    verschiedenen   Meridianhöhen,  welche  an    Höhendes 

'      _  _  _  '  neuen  Sternes 

Orten  verschiedener  geographischer  Breite  aufgenommen  wurden,  unter  uuterscheidea 
einander  die  nämlichen  Differenzen  aufweisen,  wie  die  geographischenä^iiiedenenortea 

\  o       o      j.  nicht  mehr  von 

Breiten  oder  Polhöhen  selbst.     Wenn  z.  B.   die  Erhebung  des  SterneseiQ^iKier  ais  die 

'^  Polhöho,  sobald 

über    dem    Horizont    an    einem    Orte,    dessen   Polhöhe    45   Grad  war,  ^er  i»e«e  stem 

'  ^  ' am  iirmamente 

30  Grad  betrug,  so  mufste  die  Erhebimg  derselben  um  4  oder  5  Grad  »teht. 
mehr  betragen  in  den  nördlicher  gelegenen  Ländern,  in  welchen  die 
Polhöhe  ebenfalls  um  4  oder  5  Grad  grölser  war.  War  aber  die 
Entfernung  des  Sternes  von  der  Erde  im  Vergleich  zu  der  des  Firma- 
ments sehr  klein,  so  mufsten  seine  Meridianhöhen,  wenn  man  sich  nach 
Norden  begab,  beträchtlich  rascher  wachsen  als  die  Polhöhen.  Aus 
diesem  stärkeren  Wachstum,  also  aus  dem  Überschufs  des  Zuwachses 
der  Meridianliöhen  über  den  Zuwachs  der  Polhöhen  —  welcher  Über- 
schufs   parallaktische    Differenz    genaimt    wird    —    kann    man    ohne 


298  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [306.  307.] 

weiteres  mittels  einer  klaren  imd  sicheren  Methode  die  Entfernung  des 
Sternes  vom  Mittelpunkt  der  Erde  berechnen.  Nun  nimmt  der  Ver- 
fasser die  Beobachtungen  von  dreizehn  Astronomen  vor,  welche  unter 
verschiedenen  Polhöhen  stattfanden,  vergleicht  nach  eigener  Auswahl 
einige  derselben  mit  einander  und  berechnet  aus  zwölf  Paaren  von 
Beobachtungen,  dafs  die  Höhe  des  neuen  Sternes  stets  geringer  ge- 
wesen sei  als  die  Entfernung  des  Mondes.  Dies  erzielt  er  aber  nur 
dadurch,  dafs  er  in  geradezu  widerwärtiger  Weise  auf  die  krasseste 
Ignoranz  aller  derer  spekuliert,  denen  sein  Buch  in  die  Hände  fallen 
könnte.  Ich  bin  gespannt  darauf,  ob  die  anderen  Astronomen  schweigen 
werden,  insbesondere  Kepler,  auf  welchen  es  der  Verfasser  besonders 
abgesehen  hat  und  der  sonst  kein  Blatt  vor  den  Mund  zu  nehmen 
pflegt,  es  sei  denn,  er  habe  eine  Entgegnung  für  unter  seiner  Würde 
gehalten.^)  Um  Euch  nun  einen  Begriff  von  der  Sache  zu  geben,  habe 
ich  auf  dieses  Blatt  die  Schlufsfolgerungen  notiert,  welche  der  Ver- 
fasser aus  seinen  zwölf  Untersuchungen  zieht.  ^) 

Es  werden  zunächst  verglichen  die  beiden  Beobachtungen  von 

1)  Maurolycus  und  Haiiizel,  aus  welchen  sich  die  Entfernung  des 
Sterns  zu  weniger  als  3  Erdhalbmessern  ergiebt  bei  einer  parallakti- 
schen  Differenz  von  4"  42'  30" 3  Erdhalbm. 

2)  Aus  den  Beobachtungen  von  Hainzel  und  Schuler  ^'^)  berechnet 
sich  bei  einer  Parallaxe  von  8'  30"  seine  Entfernung  vom  Mittel- 
punkt auf  mehr  als 25  Erdhalbm. 

3)  Aus  den  Beobachtungen  von  TycJio  und  Hawzel  ergiebt  sich 
bei  einer  Parallaxe  von  10'  die  Entfernung  vom  Erdmittelpunkte  zu 
etwas  weniger  als 19  Erdhalbm. 

4)  Aus  den  Beobachtungen  Tychos  imd  des  Landgrafen  ergiebt 
sich  bei  einer  Parallaxe  von  14'  die  Entfernung  vom  Mittelpunkt  zu 
etwa 10  Erdhalbm. 

5)  Aus  den  Beobachtungen  von  Hainzel  und  Gemma  findet  man  bei 
einer  Parallaxe  von  42'  30"  eine  Entfernung  von  etwa  .    .  4  Erdhalbm. 

6)  Aus  den  Beobachtungen  des  Landgrafen  und  denen  von  Came- 
rariiis  erhält  man  bei  einer  Parallaxe  von  8'  eine  Entfernung  von 
etwa 4  Erdhalbm. 

7)  Aus  den  Beobachtungen  von  Tycho  und  Hagele  ergiebt  sich  bei 
einer  Parallaxe  von  G'  die '  Entfernung  von 32  Erdhalbm. 

8)  Aus  den  Beobachtungen  von  Hagele  und  ürsinus  ergiebt  sich 
bei  einer  Parallaxe  von  43'  eine  Entfernung  des  Sternes  von  der  Erd- 
oberfläche im  Betrag  von \  Erdhalbm. 

9)  Aus  den   Beobachtungen  des    Landgrafen  und  Bnsch's  ergiebt 


[307.  308.]  Dritter  Tag.  299 

sich   bei   einer  Parallaxe    von    15'   eine  Entfernimg   von   der  Erdober- 
fläche von ^L  Erdhalbm. 

10)  Aus  der  Beobachtung  von  Maurolycus  und  Munoz  ergiebt  sich 
bei  einer  Parallaxe  von  4**  30'  eine  Entfernung  von  der  Erdoberfläche 
im  Betrage  von |  Erdhalbm. 

11)  Die  Beobachtungen  von  Munoz  und  Gemma  führen  bei  einer 
Parallaxe  von  55'   zu   einer   Entfernung   vom   Mittelpunkte   von   etwa 

13  Erdhalbm. 

12)  Aus  den  Beobachtungen  von  Munos  und  Ursinus  folgt  bei 
einer  Parallaxe  von  1^  36'  eine  Entfernung  vom  Erdmittelpunkt  von 
weniger  als 7  Erdhalbm. 

Das  sind  die  zwölf  Untersuchungen,  welche  der  Verfasser  nach 
seiner  Auswahl  unter  den,  wie  er  selbst  sagt,  sehr  zahbeichen  mög- 
lichen Kombinationen  der  Beobachtungen  jener  dreizehn  Astronomen 
angestellt  hat.  Wahrscheinlich  sind  diese  zwölf  die  günstigsten  für 
den  Beweis,  den  er  erbringen  möchte. 

Sagr.  Ich  möchte  indessen  wissen,  ob  unter  den  vielen  übrigen 
Untersuchungen,  die  der  Verfasser  beiseite  gelassen  hat,  auch  solche 
sich  finden,  die  zu  seinen  Ungunsten  sprechen,  aus  denen  sich  also 
durch  Rechimng  ergeben  würde,  dafs  der  neue  Stern  oberhalb  des 
Mondes  stand,  was  ich  so  bei  dem  ersten  Blicke  wohl  vermuten  möchte. 
Denn,  wie  ich  sehe,  weichen  diese  Ergebnisse  derart  von  einander  ab, 
dafs  sie  das  eine  Mal  eine  vier-,  sechs-,  zehn-,  hundert-,  tausend-,  fünf- 
zehnhundertfach so  grofse  Entfernung  von  der  Erdoberfläche  liefern 
als  das  andere  Mal.  Ich  darf  also  wohl  vermuten,  dafs  von  den  nicht 
behandelten  Fällen  einer  oder  der  andere  für  die  gegnerische  Partei 
spräche.  Ich  glaube  das  um  so  mehr,  als  ich  jene  Astronomen  nicht 
für  ungeschickt  und  ungeübt  in  den  erforderlichen  Rechnungsmethoden 
halte,  welche  doch  wohl  nicht  etwas  so  völlig  Unbegreifliches  sein 
werden.  Es  würde  mir  in  der  That  mehr  als  wunderbar  erscheinen, 
wenn  auf  der  einen  Seite  unter  diesen  zwölf  Rechnungen  sich  welche 
finden,  die  den  Stern  bis  auf  wenige  Miglien  der  Erde  nähern  und 
andere  ihn  ganz  nahe  an  den  Mond  hinaufrücken,  während  sich  nicht 
eine  finden  sollte,  die  ihn  zu  Gunsten  der  Gegenpartei  wenigstens 
20  Ellen  über  die  Mondsphäre  hinaus  versetzte.  Noch  sonderbarer 
aber  wäre  es,  wemi  alle  jene  Astronomen  so  blind  gewesen  sein  soUten, 
ihren  so  offen  daliegenden  Fehler  nicht  zu  bemerken. 

Salv.  Bereitet  Euere  Ohren  darauf  vor,  mit  unbegrenzter  Ver- 
wunderung zu  vernehmen,  zu  welch  überschwäuglichem  Zutrauen  auf 
die  eigene  Autorität  und  auf  fremde  Dummheit  der  Widerspruchsgeist 
und  die  Sucht,  sich  vor  anderen  hervorzuthun,  hinreifsen  kömien.    Unter 


300  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [308.  309.] 

den  vom  Autor  beiseite  gelassenen  Rechnungen  finden  sich  welche,  die 
den  neuen  Stern  nicht  nur  über  die  Mondsphäre  hinausrücken,  son- 
dern auch  über  die  Fixsterne  hinaus,  und  nicht  etwa  wenige,  sondern 
die  Mehrzahl  derselben  führt  zu  diesem  Ergebnisse,  wie  Ihr  auf  dem 
anderen  Blatte  sehen  werdet,  worauf  ich  sie  notiert  habe. 

Sagr.  Was  sagt  mm  aber  der  Verfasser  über  diese?  Hat  er  sie 
vielleicht  nicht  in  Erwägung  gezogen? 

Salv.  Er  hat  es  gethan,  leider!  Er  sagt  indessen,  die  Beobach- 
tmigen,  welche,  der  Rechnung  unterworfen,  eine  unendlich  grofse  Ent- 
fernmig  des  Sternes  ergeben,  seien  irrig  und  dürften  nicht  mit  ein- 
ander kombiniert  werden. 

Simpl.  Das  scheint  mir  denn  doch  eine  schwächliche  Ausrede-, 
denn  die  Gegenpartei  kann  mit  demselben  Rechte  behaupten,  diejenigen 
seien  irrig,  auf  Grund  deren  er  den  Stern  in  die  elementare  Sphäre 
hinabzieht. 

Salv.  0,  Signore  Simplicio,  gelänge  es  mir,  Euch  den  Kunstgriff 
dieses  Autors  begreiflich  zu  machen,  wiewohl  nicht  viel  Kunst  dabei 
im  Spiele  ist,  so  wollte  ich  Euer  Staunen  und  Euere  Entrüstung  wach- 
rufen. Ihr  würdet  bemerken,  wie  er  seine  Einsicht  mit  dem  Schleier 
Euerer  Einfalt  und  der  der  übrigen  Philosophen  von  Fach  verhüllt 
mid  sich  in  Euere  Gunst  einschmeicheln  will,  indem  er  Euch  schön 
thut  imd  Euere  Eitelkeit  aufbläht.  Dabei  thut  er,  als  habe  er  die 
armen  Schlucker  von  Astronomen,  welche  die  unangreifbare  Un Ver- 
änderlichkeit des  peripatetischen  Himmels  bekämpft  haben,  überzeugt 
imd  verstummen  gemacht,  und  was  noch  mehr  sagen  will,  sie  ver- 
stummen gemacht  und  überzeugt  mittels  ihrer  eigenen  Waffen.  Ich 
werde  mir  alle  Mühe  geben,  Euch  das  klar  zu  machen.  Inzwischen 
bitte  ich  Signore  Sagredo,  Euch  und  mir  zu  verzeihen,  wenn  ich  ihn 
etwas  langweile,  indem  ich  mit  überflüssiger  Weitschweifigkeit  — 
überflüssig,  meine  ich,  für  seine  so  rasche  Fassungsgabe  —  versuche 
das  zu  enthüllen,  was  nicht  wohlgethan  wäre  Euch  verborgen  und 
unbekannt  zu  lassen. 

Sagr.  Ich  werde  mich  nicht  nur  nicht  langweilen,  sondern  Euere 
Erörterungen  sogar  mit  Vergnügen  hören.  0  dafs  doch  alle  peri- 
patetischen Philosophen  zugegen  wären,  um  einzusehen,  welchen  Dank 
sie  ihrem  Schützer  schulden! 

Salv.  Sagt  mir,  Signore  Simplicio:  habt  Ihr  recht  verstanden, 
warum  der  neue  Stern,  wenn  er  dort  gegen  Norden  im  Meridian  steht, 
für  jemanden,  der  von  Mittag  gegen  Mitternacht  reist,  sich  ebenso 
viel  über  den  Horizont  erhebt,  wie  der  Pol,  vorausgesetzt  dafs  der 
Stern  wirklich  am  Fixsternhimmel  steht;  warum  er  hingegen,  wenn  er 


ü 

M 


[309.  310.]  Dritter  Tag.  301 

beträchtlich  tiefer  stände,  also  der  Erde  näher,  sich  rascher  zu  erheben 
schiene  als  selbiger  Pol   und  zwar   um  so   rascher,  je  näher  er  steht? 

Simpl.  Ich  glaube  das  aufs  beste  verstanden  zu  haben.  Um  es 
Euch  zu  beweisen,  werde  ich  versuchen,  eine  mathematische  Figur 
davon  zu  entwerfen.  Auf  dem  grofsen  Kreise  hier  bezeichne  ich  den 
Pol  P  und  auf  den  beiden 
kleineren  zwei  Sterne,  welche 
von  dem  Punkte  Ä  der  Erde 
aus  betrachtet  werden.  Die 
beiden  Sterne  sollen  B  und  C 
heifsen,  sie  mögen  sich  in  der- 
selben Linie  ABC  mit  A  be- 
finden und  dem  Beschauer  vor 
dem  Fixsterne  D  zu  stehen 
scheinen.  Gehe  ich  nun  auf  der 
Erde  weiter  nach  E,  so  werden 
wir  die  beiden  Sterne  von  dem 
Fixsterne  D  weg,  näher  an  den 

Pol  P  gerückt  erscheinen  und  zwar  in  höherem  Grade  der  tiefer 
stehende  Stern  2?,  dessen  scheinbarer  Ort  nunmehr  in  G  sein  wird, 
in  geringerem  Grade  hingegen  der  Stern  C,  welcher  scheinbar  nach 
F  rückt.  Der  Fixstern  D  hingegen  wird  dieselbe  Entfernung  vom 
Pole  behalten. 

Salv.  Ich  sehe,  Ihr  versteht  die  Sache  vollständig.  Ebenso  werdet 
Ihr  vermutlich  einsehen,  dafs,  weil  der  Stern  B  tiefer  steht  als  C, 
der  Winkel  der  Sehlinien,  die  von  A  und  E  nach  C  gehen,  also  der 
Winkel  ACE,  kleiner  oder  wir  können  sagen  spitzer  ist  als  der  in  B 
von  den  Strahlen  AB  und  BE  gebildete  Winkel. 

Slmpl.     Die  Anschauung  zeigt  dies  aufs  deutlichste. 

Salv.  Da  ferner  die  Erde  sehr  klein,  von  fast  unmerklicher  Gröfse 
gegenüber  dem  Firraamente  ist,  demzufolge  also  die  Strecke  AE, 
welche  man  auf  der  Erde  zurücklegen  kann,  nur  sehr  kurz  ist  ver- 
glichen mit  den  unermefslich  langen  Linien  EG,  EF  von  der  Erde 
bis  zum  Firmament,  so  werdet  Ihr  einsehen,  dafs  der  Stern  T'  sich 
von  der  Erde  soweit  entfernen,  so  hoch  sich  erheben  kann,  dal's  der 
Winkel  der  von  A  und  E  nach  C  gezogenen  Linie  migemein  spitz 
würde,  fast  ganz  und  gar  unmerklich  und  verschwindend. 

Simpl.     Audi  das  verstehe  ich  vollkommen. 

Salv.  Nun  müfst  Ihr  wissen,  Signore  Simplicio,  dafs  die  Astro- 
nomen und  Mathematiker  mit  Hilfe  der  Geometrie  und  der  Arithmetik 
unfehlbare   Kegeln   entdeckt  haben,  um  aus  der  Gröfse  dieser  Winkel 


302  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [310.  311.] 

B  und  C  und  ihrer  Differenzen  in  Verbindung  mit  der  bekannten  Ent- 
fernung des  Punktes  A  von  E  bis  auf  eine  Spanne  genau  die  Ent- 
fernung der  Himmelskörper  zu  ermitteln,  immer  jedoch  ist  dazu  er- 
forderlich, dafs  besagte  Entfernung  und  Winkel  richtig  festgestellt  sind. 

Simpl.  Wenn  also  die  geometrischen  und  arithmetischen  Regeln 
richtig  sind,  so  müssen  alle  Fehler  und  Irrtümer,  welche  man  bei 
Ermittelung  der  Entfernung  von  neuen  Sternen,  Kometen  und  der- 
gleichen mehr  begeht,  auf  der  unrichtigen  Messung  der  Entfernung 
AE  und  der  Winkel  B,  C  beruhen.  Es  beruhen  daher  auch  alle  Ver- 
schiedenheiten, welche  bei  jenen  zwölf  Rechnungen  zu  Tage  treten, 
nicht  auf  Mängeln  der  Rechenregeln,  sondern  auf  Irrtümern  bei  der 
Feststellung  gedachter  Winkel  und  Entfernungen  mittels  der  Beobaeh- 
txmgsinstrumente. 

Salv.  So  ist  es,  auch  ergiebt  sich  daraus  keine  Schwierigkeit. 
Ihr  müfst  nun  genau  darauf  achten,  wie  bei  Entfernung  des  Sternes 
von  B  nach  C,  welche  eine  fortwährende  Verkleinerung  des  Winkels 
nach  sich  zieht,  der  Strahl  EBG  sich  beständig  von  dem  Strahle 
ABB  unterhalb  des  Winkels  entfernt.  Ihr  seht  dies  an  der  Linie 
ECF,  deren  unteres  Stück  EC  von  dem  Stücke  AC  weiter  entfernt 
ist  als  EB.  Niemals  aber  kann  der  Fall  eintreten,  dafs  bei  noch  so 
grofser  Entfernung  die  Linien  AD  und  EF  sich  vollständig  von  ein- 
ander trennen,  da  sie  schliefslich  an  dem  Sterne  einander  treffen  müssen. 
Höchstens  könnte  man  sagen,  dafs  sie  sich  trennten  und  einander 
parallel  würden,  sobald  die  Entfernung  unendlich  grofs  wäre,  ein  Fall, 
der  immöglich  eintreten  kann.  Da  aber,  merkt  wohl,  die  Entfernung 
des  Firmaments  im  Vergleich  zu  der  geringen  Gröfse  der  Erde,  wie 
gesagt,  als  unendlich  grofs  betrachtet  wird,  darum  läfst  sich  der  Winkel 
der  von  A  und  E  nach  einem  Fixstern  gezogenen  Strahlen  als  ver- 
schwindend ansehen  und  besagte  Strahlen  selbst  als  parallele  Linien. 
Daher  darf  man  erst  dann  behaupten,  der  neue  Stern  habe  am  Firma- 
ment gestanden,  wenn  aus  dem  Vergleich  der  an  verschiedenen  Orten 
gemachten  Beobachtungen  sich  rechnungsmäfsig  die  Unmerklichkeit 
besagten  Winkels  und  der  Parallelismus  der  Strahlen  ergiebt.  Ist  aber 
der  Winkel  von  merklicher  Gröfse,  so  mufs  notwendig  der  neue  Stern 
tiefer  als  die  Fixsterne  gestanden  haben,  ja  selbst  tiefer  als  der  Mond, 
sobald  der  Winkel  ABE  gröfser  ausfallen  sollte  als  der  entsprechende 
Winkel  im  Mittelpunkte  des  Mondes. 

Simpl.  Die  Entfernung  des  Mondes  ist  also  nicht  so  grofs,  dafs 
bei  ihm  ein  derartiger  Winkel  sich  der  Wahrnehmung  entziehen  würde? 

Salv.  0  nein,  er  ist  nicht  nur  beim  Monde,  sondern  sogar  bei 
der  Sonne  merklich. 


1 


[311.  312.]  Dritter  Tag.  303 

Simpl.  Wenn  die  Sache  so  liegt,  dann  kann  ja  auch  möglicher- 
weise dieser  Winkel  bei  dem  neuen  Sterne  wahrnehmbar  sein,  ohne 
dafs  er  tiefer  als  die  Sonne  oder  gar  als  der  Mond  stünde. 

Salv.  Allerdings  ist  das  möglich  und  im  vorliegenden  Falle  ist 
es  wirklich  so,  wie  Ihr  seiner  Zeit  sehen  werdet.  Ich  will  nur  zuvor 
den  Weg  Euch  derart  ebenen,  dafs  Ihr,  wiewohl  unbekannt  mit  astro- 
nomischen Rechnungen,  dennoch  einsehen  und  mit  Händen  greifen 
könnt,  wie  der  Verfasser  weit  mehr  das  Ziel  verfolgt  den  Peripate- 
tikern  zu  Gefallen  zu  schreiben,  dies  imd  jenes  zu  beschönigen  imd 
zu  vertuschen,  als  aufrichtig  die  nackte  Wahrheit  zu  erforschen.  Lafst 
uns  darum  weiter  fortfahren.  Nach  den  bisherigen  Auseinander- 
setzungen werdet  Ihr,  wie  ich  glaube,  vollständig  begreifen,  dafs  die 
Entfernung  des  neuen  Sternes  keinesfalls  so  unermefslich  grofs  sein 
kann,  dafs  der  öfters  genannte  Winkel  völlig  verschwindet  und  die 
beiden  Gesichtslinien  der  Beobachter  in  A  und  E  parallel  werden. 
Demgemäfs  seht  Ihr  auch  ein,  dafs,  wenn  die  Rechnung  auf  Griuid 
der  Beobachtungen  besagten  Winkel  völlig  gleich  Null  oder  die  Linien 
als  wirklich  parallel  ergiebt,  die  Beobachtungen  sicherlich  mit  einem, 
wenn  auch  minimalen  Fehler  behaftet  sein  müssen.  Sollte  aber  die 
Rechnung  gar  zu  dem  Ergebnis  führen,  dafs  dieselben  Linien  sich 
nicht  nur  bis  zur  Aquidistanz  d.  h.  bis  zum  Parallelismus  von  ein- 
ander trennten,  sondern  noch  über  diese  Grenze  hinaus  und  in  der 
Höhe  weiter  von  einander  entfernt  waren  als  unten,  so  mufs  man 
ohne  weiteres  schliefsen,  die  Beobachtungen  seien  nicht  genau  genug 
angestellt,  ja  sie  seien  geradezu  fehlerhaft,  da  sie  zu  einer  offenbar 
unmöglichen  Schlufsfolgermig  führen.  —  Ferner  mttfst  Ihr  mir  glauben 
und  als  zweifellose  Wahrheit  aimehmen,  dafs  zwei  gerade  Linien,  welche 
von  zwei  auf  einer  anderen  Geraden  liegenden  Punkten  ausgehen,  sich 
nach  oben  zu  weiter  von  einander  entfernen,  sobald  die  beiden  zwischen 
ihnen  und  der  dritten  enthaltenen  Winkel  zusammen  gröfser  sind  als 
zwei  Rechte;  dafs  hingegen  die  Linien  parallel  sind,  sobald  sie  gerade 
zwei  Rechte  betragen;  dafs  endlich,  sobald  sie  kleiner  als  zwei  Rechte 
sind,  die  Linien  konvergieren  imd  verlängert  mizweifelhaft  ein  Dreieck 
eiuschliefsen  würden. 

Simpl.  Ohne  Euch  Glauben  schenken  zu  müssen,  weifs  ich  das. 
Ich  bin  nicht  so  bar  geometrischer  Kenntnisse,  dafs  ich  nicht  einen 
Lehrsatz  kennte,  den  ich  tausendmal  im  Aristoteles  zu  lesen  Gelegen- 
heit hatte,  den  Lehrsatz  nämlich,  dafs  die  drei  Winkel  jedes  Dreiecks 
zusammen  zwei  Rechte  betragen.  Wenn  ich  also  iu  meiner  Figur  das 
Dreieck  ABE  vornehme  unter  der  Voraussetzung,  dafs  EA  eine  Gerade 
wäre,   so   sehe   ich  sehr  wohl  ein,   wieso   seine   drei  Winkel  A,  E,  B 


304  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [312.  313.] 

zvisammen  zwei  Rechte  sind  und  folglieh  die  beiden  Winkel  E  und  A 
allein  um  den  Betrag  des  Winkels  B  kleiner  als  zwei  Rechte.  Ent- 
ferne ich  also  die  beiden  Linien  AB,  EB  von  einander,  während  ich 
sie  jedoch  in  den  Punkten  A  und  E  festhalte,  bis  der  nach  B  zu  von 
ihnen  eingeschlossene  Winkel  verschwindet,  so  werden  die  beiden 
unteren  gleich  zwei  Rechten  und  die  Linien  schliefslich  einander 
parallel  geworden  sein.  Wollte  man  dann  noch  fortfahren  sie  von 
einander  zu  entfernen,  so  würden  die  Winkel  bei  E  und  A  zusammen 
gröfser  als  zwei  Rechte  werden. 

Salv.  Ihr  seid  ein  zweiter  Archimedes  und  habt  mich  weiterer 
Worte  überhoben,  um  Euch  zu  erklären,  dafs  die  Beobachtungen  ohne 
weiteres  irrig  sein  müssen,  sobald  aus  ihnen  folgt,  die  Winkel  A  und 
und  E  seien  zusammen  gröfser  als  zwei  Rechte.  Das  ist  es,  was  ich 
Euch  so  gerne  vollkommen  begreiflich  gemacht  hätte  und  was  ich 
befürchtete  nicht  so  erklären  zu  können,  dafs  es  ein  zünftiger  Philosoph 
der  peripatetischen  Schule  völlig  klar  einsähe.  Gehen  wir  nun  über 
zu  dem,  was  noch  übrig  bleibt.  Ich  knüpfe  wieder  an  das  an,  was 
Ihr  mir  vor  kurzem  zugegeben  habt,  dafs  der  Stern  nämlich  nicht 
an  mehreren  Orten  zugleich,  sondern  nur  an  einem  einzigen  sich  hat 
befinden  können.  Sobald  also  die  auf  die  Beobachtungen  der  Astro- 
nomen begründeten  Rechnungen  ihn  nicht  an  dieselbe  Stelle  versetzen, 
mufs  bei  den  Beobachtungen  notwendig  ein  Irrtum  begangen  sein,  sei 
es  bei  der  Bestimmung  der  Polhöhen  oder  bei  der  Bestimmung  der 
Sternhöhen,  kurz  bei  der  oder  jener  Operation.  Da  nun  von  den  vielen 
Untersuchungen,  die  aus  der  Kombination  je  zweier  Beobachtungen 
entspringen,  nur  ganz  wenige  den  Stern  an  dieselbe  Stelle  versetzen, 
so  köimen  demnach  nur  diese  wenigen  fehlerfrei  sein,  alle  anderen 
hingegen  sind  unbedingt  irrig. 

Sagr.  Man  mufs  also  diesen  wenigen  allein  mehr  Glauben  schenken 
als  allen  anderen  zusammen.  Da  nun,  wie  Ihr  sagt,  nur  wenige  über- 
einstimmen und  ich  unter  jenen  zwölfen  zweie  sehe,  welche  die  Ent- 
fernung des  Sternes  zu  vier  Erdhalbmessern  bemessen,  nämlich  die 
fünfte  und  sechste,  so  spricht  also  die  gröfsere  Wahrscheinlichkeit  für 
die  elementare  und  nicht  für  die  himmlische  Natur  des  neuen  Sternes. 

Salv.  So  ist  es  nicht.  Denn  weim  Ihr  genau  zuseht,  so  steht  da 
nicht  geschrieben,  die  Entfernung  habe  genau,  sondern  etwa  vier  Erd- 
halbmesser betragen.  Gleichwohl  werdet  Ihr  sehen,  dafs  diese  beiden 
Entfernungen  unter  einander  um  viele  hundert  Miglien  verschieden 
waren.  Hier  habe  ich  sie:  Ihr  seht  die  fünfte,  welche  einen  Betrag  von 
13389  Miglien  hat,  übertrifft  die  sechste,  welche  sich  auf  13100  Miglien 
beläuft,  um  fast  300  Midien. 


[313.  314.]  Dritter  Tag.  305 

Sagr.  Welches  sind  dami  also  die  wenigen  Ergebnisse,  welche 
übereinstimmend  den  Stern  an  dieselbe  Stelle  versetzen? 

Salv.  Unglücklicherweise  für  den  Verfasser  sind  es  gerade  fünf 
Resultate,  die  sämtlich  den  Stern  ans  Firmament  versetzen,  wie  Ihr 
aus  jener  zweiten  Aufstellung  erkennen  werdet,  wo  ich  viele  andere 
Kombinationen  aufzähle.  Ich  will  indessen  dem  Autor  mehr  zugestehen, 
als  er  vielleicht  verlangen  würde,  nämKch  dafs  ganz  einfach  bei  jeder 
Kombination  von  Beobachtungen  irgend  ein  Irrtum  unterläuft.  Dies 
ist  nach  meiner  Ansicht  ganz  und  gar  unvermeidlich,  denn  es  bedarf 
für  je  ein  Ergebnis  vier  verschiedener  Beobachtungen,  nämlich  der 
Bestimmung  von  je  zwei  Polhöhen  und  zwei  Sternhöhen,  die  von  ver- 
schiedenen Beobachtern  an  verschiedenen  Orten  und  mit  verschiedenen 
Instrumenten  angestellt  werden.     Jeder,  der  einige  Kenntnis  von  derlei  Astronomische 

o  7  o  Instrumente 

Verrichtungen  hat,  wird  zugeben,  dafs  bei  diesen  vier  Aufnahmen  un-  J^Ü""!.'^  i'^^'^J'?* 

O  }  r>  7  fehlerhafte  Er- 

möglich jeder  Fehler  auszuschliefsen  ist,  namentlich  wenn  man  bedenkt,gei'iii8se  liefern. 

dafs  bei  der  Aufnahme  einer  einzigen  Polhöhe  mittels  eines  und  des- 
selben Instrumentes,  an  einem  und  demselben  Orte  und  durch  einen 
und  denselben  Beobachter,  welcher  seine  Beobachtung  tausendmal  hat 
wiederholen  können,  gleichwohl  ein  Schwanken  um  einige,  ja  häufig 
auch  um  viele  Minuten  vorkommt,  wie  Ihr  aus  verschiedenen  Stellen 
eben  dieses  Buches  entnehmen  könnt.  Alles  dies  in  Betracht  gezogen, 
frage  ich  Euch,  Siguore  Simplicio,  ob  nach  Euerer  Meinung  der  Ver- 
fasser die  dreizehn  Beobachter  als  kluge,  verständige,  in  der  Hand- 
habung solcher  Instrumente  geschickte  Leute  ansieht,  oder  sie  für 
täppisch  und  unerfahren  hält. 

Simpl.  Er  mufs  sie  durchaus  für  vorsichtige  und  verständige 
Leute  ansehen;  er  hätte  ja  sonst,  wemi  er  sie  untauglich  zu  solcher 
Verrichtung  erachtete,  sein  eigenes  Buch  als  belanglos  ungeschrieben 
lassen  können,  da  es  sich  auf  völlig  irrige  Voraussetzungen  gründen 
würde.  Auch  die  Leser  würde  der  Verfasser  als  gar  zu  einfältig  be- 
trachten, wenn  er  glaubte,  sie  durch  die  Ungeschicklichkeit  solcher 
Leute  für  seine  falsche  Behauptung  gewinnen  zu  können. 

Salv.  Da  nun  die  Beobachter  fähige  Leute  sind  luid  trotzdem  ge- 
irrt haben,  da  also  ihre  Irrtümer  verbesserungsbedürftig  sind,  wenn 
anders  aus  ihren  Beobachtungen  soviel  Aufklärung  als  möglich  gewonnen 
werden  soll,  so  ist  es  angemessen,  möglichst  kleine  und  naheliegende 
Verbesserungen  und  Korrekturen  anzubringen,  vorausgesetzt,  dafs  sie 
ausreichen,  die  Beobachtungen  aus  dem  Bereich  der  Unmöglichkeit  in 
das  der  Möglichkeit  zu  rücken.  Wenn  sich  z.  ß.  ein  ofi'enkundiger  Irr- 
tum, eine  bare  Unmöglichkeit  bei  einer  Beobachtmig  durch  Hinzu- 
fügung oder  Wegnahme    von  zwei    bis   drei  Minuten    beseitigen    und 

Gai-ilei,  Weltsysteme.  20 


306  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [314.  315.] 

diese  durch  eine  solche  Korrektur  sich  ins  Bereich  der  Möglichkeit 
rücken  läfst,  so  darf  man  sie  nicht  durch  Hinzufügung  oder  Weg- 
nahme von  15,  20  oder  50  Minuten  richtig  stellen  wollen. 

Simpl.  Der  Verfasser  wird  dem  wohl  schwerlich  widersprechen; 
denn  zugegeben,  dafs  es  sich  um  urteilsfähige,  erfahrene  Männer  han- 
delt, so  mufs  man  ihnen  eher  einen  geringfügigen  als  einen  groben 
Fehler  zutrauen. 

Salv.  Merkt  jetzt  weiter  auf  Von  den  Stellen,  die  sich  dem 
neuen  Sterne  anweisen  lassen,  sind  einige  offenbar  unmöglich,  andere 
möglich.  Durchaus  unmöglich  ist  es,  dafs  er  unendlich  weit  über  den 
Fixsternen  stand,  denn  eine  solche  Lage  giebt  es  überhaupt  nicht  in 
der  Welt,  und  hätte  der  Stern  dort  gestanden,  so  wäre  er  für  uns  un- 
sichtbar gewesen.  Ebenso  unmöglich  ist  es,  dafs  er  sich  dicht  über 
die  Erdoberfläche  hin  bewegte,  imd  erst  recht  unmöglich,  dafs  er  sich 
innerhalb  der  Erdkugel  befand.  Mögliche  Orte  sind  die,  um  welche 
die  Streitfrage  sich  dreht;  denn  es  widerstrebt  unserem  Verstände 
nicht,  dafs  ein  sichtbares  Objekt  vom  Ansehen  eines  Sternes  ebenso 
wohl  über  als  unter  dem  Monde  sich  befinden  kann.  Wenn  man  nun 
mittels  Beobachtung  und  Rechnung  mit  dem  Grade  von  Gewifsheit, 
wie  er  Menschenkräften  erreichbar  ist,  zu  erforschen  sucht,  wel- 
ches in  der  That  seine  Stelle  gewesen  sei,  so  zeigt  sich,  dafs 
die  meisten  dieser  Rechnimgen  ihn  mehr  als  unendlich  weit  über 
das  Firmament  setzen,  andere  ihn  ganz  nahe  an  die  Erdoberfläche 
heranrücken,  einige  sogar  unter  die  Erdoberfläche;  von  den  übrigen 
Rechnungen,  welche  ihn  an  nicht  unmögliche  Orte  versetzen,  stimmen 
keine  mit  einander  überein;  mau  mufs  also  notgedrungen  zugeben,  dafs 
sämtliche  Beobachtungen  fehlerhaft  sind.  Soll  nmi  gleichwohl  so 
viele  Mühe  nicht  vergeblich  gewesen  sein,  so  mufs  man  seine  Zuflucht 
zu  Korrektionen  nehmen,  indem  man  an  allen  Beobachtungen  Ver- 
besserungen anbringt. 

Simpl.  Der  Verfasser  aber  wird  sagen,  dafs  diejenigen  Beobach- 
tungen, welche  den  Stern  an  unmögliche  Stellen  versetzen,  überhaupt 
keine  Berücksichtigung  erfahren  dürfen,  da  sie  unendlich  fehlerhaft 
und  irrig  sind;  blofs  diejenigen  seien  annehmbar,  welche  ihn  an  mög- 
liche Orte  versetzten;  nur  unter  diesen  habe  man  zu  wählen,  um  an 
der  Hand  der  wahrscheinlichsten  und  zahlreichsten  Übereinstimmimgen, 
wo  nicht  den  genau  richtigen  Ort,  d.  h,  die  wirkliche  Entfernimg 
vom  Erdmittelpunkt,  zu  ermitteln,  so  doch  wenigstens  zu  entscheiden, 
ob  der  Stern  in  der  elementaren  oder  himmlischen  Sphäre  stand, 

Salv.  Die  Erwägungen,  die  Ihr  jetzt  eben  anstellt,  sind  genau 
dieselben,  welche  der  Verfasser  zu  Gunsten  seiner  Sache  angestellt  hat, 


[315.  316.J  Dritter  Tag.  307 

aber  mit  unstatthafter  Übervorteilmig  des  Gegners.  Es  ist  das  gerade 
der  Hauptpunkt,  der  mich  über  die  Mafsen  das  Vertrauen  hat  an- 
staunen lassen,  welches  der  Verfasser  zu  seiner  eigenen  Autorität  und 
zu  der  Blindheit  xmd  Unachtsamkeit  der  Astronomen  hat.  In  dem 
Namen  der  letzteren  werde  ich  sprechen,  vertretet  Ihr  den  Staudpunkt 
des  Verfassers.  Erstlich  frage  ich  Euch,  ob  die  Astronomen  bei  den 
Beobachtungen  mittels  ihrer  Listrumente,  z.  B.  bei  der  Bestimmung 
der  Höhe  eines  Sternes  über  dem  Horizonte,  von  der  Wahrheit  ebenso 
wohl  nach  oben  als  nach  unten  abweichen,  d.  h.  ihn  irrtümlich  in 
einem  Falle  für  höher  halten  können,  als  er  wirklich  ist,  in  einem 
anderen  Falle  für  tiefer.  Oder  meint  Ihr,  der  Irrtum  könne  nur  von 
einer  Art  sein,  sodafs  die  Beobachter  stets  nach  oben,  niemals  nach 
unten  hin,  oder  umgekehrt  stets  nach  imten,  niemals  nach  oben  hin 
irren? 

Simpl.  Ich  zweifle  nicht,  dafs  ein  Irrtum  nach  der  einen  oder 
anderen  Richtimg  gleich  nahe  liegt. 

Salv.  Ich  glaube,  der  Verfasser  würde  ebenso  antworten.  Von 
diesen  zweierlei  Fehlern  nmi,  deren  sich  die  Beobachter  des  neuen 
Sternes  gleich  leicht  schuldig  gemacht  haben  kömien,  wird  der  eine, 
rechnungsmäfsig  verwendet,  den  Stern  zu  hoch,  der  andere  ihn  zu  tief 
setzen.  Da  wir  aber  einig  darüber  sind,  dafs  alle  Beobachtungen  mit 
einem  Fehler  behaftet  sind,  aus  welchem  Grunde  will  der  Verfasser, 
dafs  wir  diejenigen  als  besser  mit  der  Wahrheit  übereinstimmend  an- 
sehen sollen,  die  den  Stern  in  unsere  Nähe  versetzen,  als  diejenigen, 
die  ihn  in  übergrofse  Ferne  verweisen? 

Simpl.  Soweit  ich  aus  dem  Bisherigen  ersehen  kann,  verwirft  der 
Verfasser  nicht  die  Beobachtungen  und  Rechenergebnisse,  welche  den 
Stern  in  gröfsere  Ferne  als  den  Mond,  ja  selbst  als  die  Sonne  ver- 
setzen, sondern  blofs  die,  welche  nach  Eueren  eigenen  Worten  ihn  in 
mehr  als  unendlich  weite  Ferne  rücken.  Aus  demselben  Grunde,  aus 
welchem  Ihr  eine  solche  Entfernung  als  unmöglich  verwerft,  übergeht 
er  die  entsprechenden  Beobachtungen,  da  sie  von  dem  Richtigen  und 
Möglichen  unendlich  weit  abweichen  müssen.  Wenn  Ihr  also  den 
Verfasser  widerlegen  wollt,  so  scheint  mir,  Ihr  müfst  genauere  oder 
zahlreichere  Beobachtungen  oder  solche  von  besseren  Beobachtern  an- 
führen, welche  den  Stern  in  eine  so  imd  so  grofse  Entfernung  über 
den  Mond  oder  die  Sonne  hinaus  versetzen,  kurzum  an  einen  Ort,  der 
in  den  Grenzen  des  Möglichen  liegt,  ähnlich  wie  er  diese  zwölf  Er- 
gebnisse anführt,  welche  sämtlich  den  Stern  unter  den  Mond  an  wirk- 
lich in  der  Welt  vorhandene  Stellen  versetzen,  an  welchen  er  auch 
möglicherweise  gestandeu  haben  knnn. 

20* 


308  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [316.  317.] 

Salv.  Ja,  aber  gerade  hierin,  Signore  Simplicio,  liegt  des  Autors 
und  Euere  Verkehrtheit,  die  freilich  bei  ihm  aus  anderer  Ursache  her- 
rührt als  bei  Euch.  Ich  entnehme  Eueren  Worten,  dafs  Ihr  Euch 
die  Vorstellung  gebildet  habt,  die  Abweichungen  von  der  Wahrheit 
in  den  Ergebnissen,  d.  h.  in  der  Bestimmung  der  Entfernung  des 
Sternes,  nähmen  in  demselben  Verhältnis  zu  wie  die  Beobachtungs- 
fehler  bei  Benutzung  des  Instrumentes,  und  umgekehrt  sei  aus  der 
Gröfse  der  Abweichungen  ein  Rückschlufs  auf  die  Gröfse  der  Fehler 
möglich;  es  müsse  also,  wenn  aus  einer  solchen  Beobachtung  eine  un- 
endliche Entfernung  des  Sternes  sich  ergebe,  notwendigerweise  der 
Beobachtungsfehler  imendlich  grofs  imd  darum  unverbesserlich  ge- 
wesen sein,  die  Beobachtimg  mithin  keine  Berücksichtigung  verdienen. 
Die  Sache  liegt  aber  ganz  anders,  mein  lieber  Signore  Simplicio.  Dafs 
Ihr  nicht  verstanden  habt,  wie  es  damit  steht,  entschuldige  ich  gerne 
mit  der  Euch  mangelnden  Übung  in  solchen  Verrichtungen.  Aber 
nicht  mit  der  gleichen  Schonung  kann  ich  den  Irrtum  des  Verfassers 
behandeln;  er  verschweigt  seine  Kenntnis  der  Sachlage,  die  wir  nach 
seiner  Überzeugung  nicht  zu  durchschauen  vermögen  und  lebt  der 
Hoifnung,  imsere  Unwissenheit  mifsbrauchen  zu  können,  um  seiner 
Lehre  bei  der  Menge  der  Unverständigen  gröfseren  Credit  zu  ver- 
schaffen. Zur  Kenntnisnahme  also  für  alle,  welche  mehr  leichtgläubig 
als  sachverständig  sind,  und  .um  Euch  Eueren  Irrtum  zu  benehmen, 
vernehmt:  es  kann  vorkommen  und  wird  sogar  meistens  der  Fall  sein, 
dafs  aus  einer  Beobachtung,  die  Euch  beispielshalber  den  Stern  in 
die  Entfernung  des  Saturn  rückt,  durch  Vermehrung  oder  Verminde- 
rung der  aufgenommenen  Sternhöhe  um  nur  eine  einzige  Minute  eine 
solche  hervorgeht,  die  ihn  in  unendliche  Ferne  versetzt,  aus  einer 
mögHchen  also  eine  unmögliche.  Umgekehrt,  die  Rechnungen,  die  auf 
Grund  solcher  Beobachtungen  Euch  den  Stern  in  unendliche  Feme 
rücken,  können  häufig  durch  Hinzufügung  oder  Wegnahme  einer  ein- 
zigen Minute  ihn  in  eine  mögliche  Lage  versetzen.  Was  ich  hier 
von  einer  Minute  sage,  kann  auch  schon  bei  einer  Korrektion  von  der 
Hälfte,  von  dem  sechsten  Teile  einer  Minute  und  von  noch  weniger 
eintreten.  Nun  prägt  Euch  wohl  ein,  dafs  bei  den  gröfsten  Entfer- 
nungen, wie  z.  B.  bei  der  des  Saturn  oder  bei  der  der  Fixsterne,  die 
geringsten  Beobachtungsfehler  beim  Gebrauch  des  Instrumentes,  die 
bestimmte,  mögliche  Lage  in  eine  unendliche,  unmögliche  verwandeln. 
Anders  verhält  es  sich  mit  den  sublunarischen  und  den  geringeren 
Entfernimgen  von  der  Erde;  bei  diesen  kann  es  geschehen,  dafs  aus 
einer  Beobachtung  die  Entfernung  des  Sternes  sich  z.  B.  zu  vier  Erd- 
halbmessern herausstellt   und  bei  Hinzufügung   oder  Wegnahme  nicht 


^1 


[317.  318.]  Dritter  Tag.  309 

nur  einer  Minute,  sondern  von  zehn,  hundert  und  nocli  mehr  Minuten 
gleichwohl  die  Rechnung  keine  unendliche  Entfernung  ergiebt,  nicht 
einmal  eine  den  Mond  übertreffende.  Ihr  erseht  daraus,  dafs  die 
Gröfse  der  Beobachtungsfehler  sich  nicht  nach  dem  Rechenergebnis 
beurteilen  läfst,  sondern  nur  nach  der  wirklichen  Anzahl  der  Grade 
und  Minuten,  die  am  Instrumente  abgelesen  werden.  Diejenigen  Be- 
obachtungen sind  die  richtigeren  oder  minder  fehlerhaften  zu  nennen^ 
die  nach  Hinzufügvmg  oder  Subtraktion  der  geringsten  Minutenanzahl 
den  Stern  an  eine  mögliche  Stelle  versetzen.  Unter  den  möglichen 
Orten  wird  man  dann  denjenigen  für  den  wahren  ansehen  müssen,  in 
dessen  Nähe  die  Mehrheit  der  auf  Grund  der  richtigsten  Beobach- 
timgen  angestellten  Rechnungen  den  Stern  rücken. 

Simpl.  Ich  verstehe  nicht  recht,  was  Ihr  da  sagt,  und  kann  nicht 
ohne  weiteres  begreifen,  wieso  bei  den  gröfsten  Entfernimgen  mög- 
licherweise eine  bedeutendere  Abweichung  von  der  Wahrheit  durch 
einen  Fehler  von  einer  Minute  verursacht  wird,  als  bei  den  kleinen 
Entfernungen  durch  einen  solchen  von  zehn  oder  hundert  Minuten; 
und  doch  möchte  ich  das  gerne  verstehen. 

Salv.  Wenn  nicht  theoretisch,  so  werdet  Ihr  es  doch  praktisch 
ersehen  aus  der  kurzen  von  mir  angefertigten  Übersicht  aller  Kom- 
binationen und  eines  Teils  der  vom  Verfasser  weggelassenen  Rech- 
nungen, die  ich  ausgeführt  und   auf  dasselbe  Blatt  geschrieben  habe. 

Sagr.  Ihr  mülst  demnach  seit  gestern,  in  Zeit  von  nicht  mehr 
als  achtzehn  Stunden,  immerzu  nur  gerechnet  haben,  ohne  durch  Speise 
und  Schlaf  Euch  zu  erholen. 

Salv.  Ich  habe  gegessen  und  geschlafen,  aber  solche  Rechnuugen 
erledige  ich  sehr  rasch.  Offen  gestanden  habe  ich  mich  nicht  wenig 
gewmidert,  dafs  der  Verfasser  so  weitschweifig  ist  und  so  viele  für 
das  vorliegende  Problem  nicht  gerade  notwendige  Berechnungen  ein- 
flicht. Zu  völliger  Klarlegung  desselben  und  um  bequem  einsehen 
zu  können,  -vvie  aus  den  vom  Verfasser  benutzten  astronomischen  Be- 
obachtungen mit  viel  gröfserer  Wahrscheinlichkeit  sich  ergiebt,  dafs 
der  neue  Stern  weiter  entfernt  gewesen  ist  als  der  Mond  und  alle 
Planeten,  und  unter  den  Fixsternen  oder  noch  höher  gestanden  hat, 
habe  ich  auf  dieses  Blatt  alle  vom  Verfasser  aufgetührten  Beobach- 
tungen abgeschrieben,  welche  von  dreizehn  Astronomen  herrühren. 
Ihr  findet  da  die  Polhöhen  mid  die  Höhen  des  Sternes  beim  Durch- 
gang durch  den  Meridian,  sowohl  die  kleinsten  unterhalb  des  Poles 
wie  die  gröfsten  oberhalb  desselben,  aufgezeichnet:  es  sind  folgende'^): 


310 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[318—320.] 


Tycho 


Gröfste 
Stemliöhe 


Kleinste 
Sternhöhe 


Hainzel. 


Peucer  und  Schuh 
Landgraf  .     .     . 
Camerarius    .     . 


55»     58' 


48"     22' 


51"  54' 
51"  1»' 
52»     24' 


76» 
76» 
76» 
79» 
79» 


80' 


0' 


34' 

33'  45" 
35' 

56' 
30' 

30' 
27' 
26' 


Hagek 48»  22' 

Ursinus 49"  24' 

Munoz 39«  30' 

Maurolycus 38"  30^ 

Gamma 50»  50' 

Busch 51»  10' 

Reinhold 51"  18' 


30' 


79» 

67» 

62» 

79»     45' 

79»     20' 

79»     30' 


27»    57' 
So  in  seiner  ersten 
Schrift,  in  der 
späteren 
27»    45' 

9'     40" 
9'     30" 
9'     20" 
33' 
3' 
28' 
20' 
17' 
15' 


30' 


22»    40' 
23»      2' 


Um  nun  eine  Vorstellung  you  meinem  ganzen  Beweisverfahren 
zu  bekommen,  können  wir  von  nachstehenden  fünf  Rechnungen  aus- 
gehen, welche  der  Verfasser  übergangen  hat,  wahrscheinlich  weil  sie 
gegen  ihn  sprechen,  insofern  sie  den  Stern  um  viele  Erdhalbmesser 
über  den  Mond  hinausrücken.  Die  erste  derselben  beruht  auf  den 
Beobachtungen  des  Landgrafen  von  Hessen  und  denen  Tychos,  zweier 
ausgezeichneter  Beobachter,  wie  der  Verfasser  selbst  zugiebt.  Bei 
diesem  ersten  Beispiel  will  ich  das  Verfahren  angeben,  welches  bei  der 
Rechnung  einzuhalten  ist;  dieses  kann  Euch  dann  in  allen  übrigen 
Fällen  zur  Richtschnur  dienen,  da  sie  sich  nach  derselben  Regel  er- 
ledigen lassen  und  sich  nur  in  den  Daten  unterscheiden,  d.  h.  in  der 
Anzahl  der  Grade  der  Polhöhen  und  der  Höhen  des  neuen  Sternes 
über  dem  Horizonte.  Gesucht  wird  das  Verhältnis  der  Entfernung 
vom  Erdmittelpunkt  zu  dem  Halbmesser  der  Erdkugel,  dessen  absolute 
Gröfse  in  Miglien  hier  nichts  zur  Sache  thut.  Diese  letztere  Gröfse, 
sowie  die  Eutfei'nung  der  Beobachtimgsorte  von  einander  in  Miglien 
aufzulösen,  wie  es  der  Verfasser  thut,  heilst  Mühe  und  Zeit  vergeuden. 
Ich  weifs  nicht,  weshalb  er  es  gethan  hat,  umsoweniger,  als  er  schliefslich 
die  gefundene  Miglienzahl  wieder  in  Erdhalbmesser  zurückverwandelt. 

Simpl.  Vielleicht  thut  er  es,  um  mit  diesem  kleineren  Mafsstabe 
imd  dessen  Bruchteilen  die  Entfernung  des  Sternes  bis  auf  vier  Zoll 
genau  zu  finden.  Wir  gewöhnlichen  Leute  nämlich,  die  wir  von 
Eueren  arithmetischen  Regeln  nichts  verstehen,  sind  starr  vor  Staunen, 
wenn  wir  das  Ergebnis  hören  und  etwa  lesen:  also  war  der  Komet 
oder  der  neue  Stern  vom  Erdmittelpimkt  dreihimdertdreiimdsiebenzig- 


[320.  321.] 


Dritter  Tag. 


311 


tausendaclitliimdertimdsieben  ganze  Miglien  imd  noch  zweihundertund- 
elf  Viertausensiebenundneunzigstel  Miglien  —  in  Ziffern  373  SOl-^^-^j  — 
entfernt.  Aus  dieser  ungemeinen  Genauigkeit,  mit  der  noch  diese  win- 
zigen Bruchteile  angegeben  werden,  folgern  wir  dann,  dafs  Ihr  Euch 
unmöglich  schliefslich  um  hundert  Miglien  irren  könnt,  während  Ihr 
bis  auf  einen  Zoll  genau  gerechnet  habt. 

Salv.  Dieser  Euer  Entschuldigungsgrimd  wäre  annehmbar,  wenn 
bei  einer  Entfernung  von  Tausenden  von  MigHen  auf  eine  Elle  mehr 
oder  weniger  etwas  ankäme  und  wenn  die  Voraussetzungen,  die  wir 
als  richtig  zu  Grunde  legen,  so  sicher  feststünden,  dafs  wir  imstande 
wären  aus  ihnen  schliefslich  eine  völlig  unbezweifelbare  Wahrheit  ab- 
zuleiten. Nun  seht  Ihr  aber  bei  den  zwölf  Ergebnissen  des  Ver- 
fassers die  Entfernimgen  des  Sternes  von  einander,  und  mithin  von 
der  Wahrheit,  um  viele  Hunderte  und  Tauseude  von  Miglien  abweichen. 
Wenn  ich  also  mehr  als  gewifs  bin,  dafs  das  Gesuchte  notwendig  von 
der  Wahrheit  um  Hunderte  von  Miglien  abweichen  mufs,  wozu  bei 
der  Rechnung  mich  abquälen  aus  Angst,  auch  nur  um  Zolleslänge  zu 
irren?  —  Aber  kommen  wir  endlich  zu  dem  Verfahren  selbst,  wel- 
ches ich  in  folgender  Weise  bewerkstellige.  Tyclio  beobachtete  den 
Stern,  wie  aus  der  Tabelle  hervorgeht,  unter  einer  Polhöhe  von  55°  58', 
die  Polhöhe  des  Landgrafen  war  51''  18';  die  Höhe  des  Sterns  im 
Meridian  war  von  Tyclio  gefunden  zu  27*'  45',  vom  Landgrafen  zu 
23 '^  3'.     Diese  Höhen  sind  nachstehend,  wie  Ihr  seht,  verzeichnet. 


Tycho:        Polhöhe  55«  58' 
Landgraf:          „        51"  18' 

Steri 

höhe 

27»  45' 
23«     3' 

Nach  Subtraktion  d.  kleine- 
ren Höhen  von   den  gröfse- 
ren  verbleiben  die  Differen- 
zen     4'*  40' 

4»  42' 

Parallaxe 

2' 

Dabei  ist  die  Differenz  der 
Polhöhen  von  4°  40'  um  2' 
kleiner  als  die  Differenz  der 
Sternhöhen,  welche  4**  42'  be- 
trägt; also  beläuft  sich  die 
parallaktische  Differenz  auf  2'. 
Nachdem  dies  ermittelt  ist,  be- 
trachte ich  dieselbe  Figur  wie 
der  Verfasser,  nämlich  nach- 
stehende, bei  welcher  Ti  den  Ort 
des     Landgrafen,    I)    den     Ort 


312  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [321.  322.] 

TycJios,  C  den  Ort  des  Sterns,  Ä  den  Erdmittelpunkt,  ABE  die 
Zenithlinie  des  Landgrafen,  ADF  die  Tychos  bedeuten  soll,  der 
Winkel  BGB  endlich  die  Parallaxe.  Da  nun  der  Winkel  BAD, 
der  von  den  Zenitliliuien  eingeschlossen  wird,  gleich  der  Differenz 
der  Polhöhen  ist,  so  wird  er  4°  40'   betragen;  ich  notiere   das  hier-, 


Winkel  BAI)       4  ' 
„        BBF     92« 

BBC  154« 
BCD       0« 

40' 
20' 

45' 

2' 

Seine  Sehne:  '  8142 

(den  Erdradius  A  B  -m   100  000  Teilen 
angenommen.) 

58     42657 
8142 

8142 

85314 
170628 
42657 
341256 

58 

59 
3473    13294 
571 

aus  der  Tabelle  der  Bogen  und  Sehnen  ^^j  entnehme  ich  die  zugehörige 
Sehne  und  notiere  sie  daneben,  sie  beträgt  8  142  Teile,  wenn  der  Halb- 
messer AB  zu  100000  Teilen  angenommen  wird.  Sodann  finde  ich 
leicht  den  Winkel  BBC;  denn  die  Hälfte  des  Winkels  B  AB,  welche 
2^  20'  beträgt,  zu  einem  Rechten  addiert,  ergiebt  den  Winkel  BBF 
zu  92°  20'.  Zu  diesem  fügen  wir  den  Winkel  GBF,  also  die  Zenith- 
distanz  des  Sternes  bei  seiner  miteren  Kulmination,  welche  hier  62^  15' 
beträgt,  mid  erhalten  so  den  Winkel  BBG  zu  154^  45';  diesen  notiere 
ich  gleichfalls  nebst  seinem  der  Tafel  entnommenen  Sinus,  welcher 
42  657  beträgt;  darunter  schreibe  ich  den  Betrag  der  Parallaxe  0°  2' 
nebst  dem  zugehörigen  Sinus  58.  Weil  nun  in  dem  Dreieck  BGB 
die  Seite  B  B  zur  Seite  B  G  sich  verhält  wie  der  Sinus  des  gegen- 
überliegenden Winkels  BGB  zu  dem  Sinus  des  Winkels  BBG,  so 
wäre  mithin  die  Linie  B  G  gleich  42  657 ,  wenn  die  Linie  B  B  gleich 
58  wäre.  Nun  ist  aber  die  Sehne  B  B  gleich  8  142  solcher  Teile, 
deren  der  Radius  BA  100  000  enthält.  Da  wir  zu  ermitteln  suchen, 
wieviel  solcher  Teile  B  G  enthält,  so  haben  wir  also  nach  der  Regula 
aurea  zu  sagen:  Wenn  BB  gleich  58,  so  ist  BG  gleich  42657;  wenn 
also  B  B  gleich  8 142,  wie  grofs  ist  B  C?  Ich  habe  demnach  die 
zweite  Gröfse  mit  der  dritten  zu  multiplizieren  und  erhalte  347  313294, 
und  dieses  mit  der  ersten,  nämlich  mit  58  zu  dividieren ;  der  Quotient 
giebt  alsdann  an,  wieviel  solcher  Teile  die  Linie  B  G  enthält,  wie 
deren  der  Halbmesser  AB   100000  enthält.     Um  dann  zu  ermitteln. 


[323.  324.]  Dritter  Tag.  313 

wie  viele  Erdhalbmesser  BA  dieselbe  Linie  BC  enthält,  muis  mau 
abermals  den  gefundenen  Quotienten  durch  100  000  dividieren,  wodurch 
wir  erfahren,  wieviele  Erdhalbmesser  B  C  enthält.  Die  Zahl  347313294, 
dividiert  durch  58,  ergiebt  nun  aber  5988 160|,  wie  Ihr  aus  der  nach- 
stehenden Rechnung  erseht: 

59881601 
58    347313294 
5717941 
54  3 

Dieses  durch  100  000  dividiert  liefert  uns  59j5^VthjT) 
1(00  000  1  59(88160. 

Wir  können  aber  die  Operation  wesentlich  abkürzen,  wenn  wir  das 
erstgefundene  Resultat  347313294  gleich  durch  das  Produkt  von 
58  mid  100000  teilen,  nämlich: 

59 
58(00000  3473(13294 
571 
5 

uud  wir  erhalten  wiederum  59-|-|^f^-^|.  Soviele  Erdhalbmesser  sind 
in  der  Linie  B  C  enthalten;  fügt  man  dazu  einen  wegen  der  Linie  AB, 
so  werden  wir  nahezu  61  Halbmesser  für  die  gebrochene  Linie  ABC 
finden,  und  demnach  wird  die  gerade  Entfernung  des  Centrums  A  bis 
zum  Stern  C  mehr  als  60  Halbmesser  betragen.  Es  stellt  sich  also 
heraus,  dafs  dieser  um  mehr  als  27  Erdradien  nach  Ptolemäus,  und 
um  mehr  als  8  Erdradien  nach  Kopernikus  weiter  entfernt  gewesen 
ist  als  der  Mond,  vorausgesetzt,  dafs  die  Entfernung  des  Mondes  vom 
Erdmittelpunkt  nach  Kopernikus  52  Erdradien  beträgt,  wie  der  Ver- 
fasser angiebt. 

Auf  ganz  ähnliche  Weise  finde  ich  aus  den  Beobachtungen  von 
Camerarius  und  Munoz^'^),  dafs  der  Stern  in  annähernd  derselben  Ent- 
fernung, nämlich  gleichfalls  von  mehr  als  60  Erdhalbmessern,  sich 
befunden  hat.  Nachstehend  die  Beobachtimgen  und  darauf  folgend 
die  Rechnung: 


Ca 

merarius: 

Pol höhe 

52" 

24' 

Sternhöhe  24" 

28' 

Munoz : 

,. 

39" 

30' 

, 

11" 

30' 

DifiFere 

nzen  dei 

Differenzen 

der 

Polhöhen 

12» 

54' 

Ste 

rnhöhe 

n        12" 

58' 

12» 

54' 

Parall 

ixe  oder 

Winkel  BCB 

.       0« 

4' 

Winkel 

BAD 

12« 

54' 

seine 

Sohne: 

22466 

B  l)  C 

161  •' 

59' 

Sinus 

30930 

"' 

BGB 

0« 

4' 

116 

314 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[324.  325.] 


Regula  aurea: 

22466 
116       30930       22466 
673980 
202194 
67398 

BG  gleich 
beinahe  60. 

59 

59     .     . 
116    6948(73380 
1144 
10 

.  Entfernung 
Erdhalbm. 

Die  nachstehende  Rechnung  beruht  auf  den  beiden  Beobach- 
tungen von  Tyclio  und  3Iimo2]  aus  ihnen  ergiebt  sich,  dafs  der 
Stern  von  dein  Erdmittelpunkte  mehr  als  478  Erdhalbmesser  ent- 
fernt gewesen. 


Tycho:     Polhöhe  55°    58' 
Munoz:          „         39°    30' 

Stern  höhe  84" 
67° 

0' 
30' 

Differenzen  der                             Differenzen  der 
Polhöhen          16°    28'              Sternhöhen 

16° 
16° 

30' 

28' 

Parallaxe  oder  Winkel  SC Z>    .     .     .     . 

0° 

2' 

Winkel  BAD       16°    28'; 
„        BDC     104°    14' \ 
„        BCD         0°      2'/ 

seine  Sehne: 
Sinus: 

28640 
96930 

58 

Regula  aurea: 

58       96930 
28640 

28640 

3877200 
58158 
77544 
19386 

478 

58    27760(75200 

4506 

58 

Die  folgende  Untersuchung  ergiebt  die  Entfernung  des  Sternes  vom 
Mittelpunkte  zu  mehr  als  358  Halbmessern: 


Pfcucer:     Polhöhe  51°    54'                 Sternhöhe  79" 
Munoz:           „         39°    30'                          „           67° 

56' 
30' 

12°    24'                                       12° 
12° 
0° 
Winkel  BAD       12°    24';    Sehne:   21600 
5  D  (7     106°    16' 1    o.   „„      95996 
„        BCD        0»      2')    ^'^"'=          58 

26' 
24' 

~~2'~ 

[325.  326. J 


Dritter  Tag. 


315 


Regula  aurea: 
58       S5996       21600 
21600 
57597600 
95996 

191992 

"      I      357 
58  I 20735(13600 
3339 
42 


Aus  der  uächsteu  Ivecliuung  findet  sich,  die  Eutleriiuug  des  Sternes 
vom  Mittelpunkte  zu  mehr  als  716  Halbmessern. 


Landgraf:  Polhöbe 
Hainzel:            „ 

51»    18' 
48»    22' 

Sternhöhe  79«    30' 
76"    33' 

45" 

Winkel  BAI) 
.,        BDC 
„       BCD 

2«    56'                                2«    56' 

2»    56' 

0«      0' 

2»    56'                Sehne      5120 

101"    58'                 Q.   „„      97845' 

0"      0'     15")    S^""^=             7 

Regula  aurea: 
7       97845       5120 
5120 

15" 
"Tö" 

1956900 
97845 
489225 

7 

715 
5009 (66400 
134 

Dies  sind,  wie  Ihr  seht,  fünf  Ergebnisse,  Avelche  den  Stern  weit 
über  den  Mond  hinausrücken.  Dabei  bitte  ich  Euch,  den  Umstand  zu 
beachten,  auf  welchen  ich  kurz  zuvor  hingewiesen  habe:  dafs  nämlich  bei 
grofsen  Entfernungen  eine  Änderung  oder,  besser  gesagt,  eine  Korrek- 
tion von  ganz  wenigen  Minuten  den  Ort  des  Sternes  um  die  gewaltig- 
sten Strecken  verschiebt.  Wenn  z.  B.  bei  der  ersten  Rechnung,  wo 
sich  die  Parallaxe  zu  zwei  Minuten  und  die  Entfernung  des  Sternes 
zu  ()0  Erdhalbmessern  ergab,  jemand  behaupten  AvoUte,  derselbe  stünde 
am  Firmameiite,  so  hätte  er  an  den  Beobachtungen  nur  eine  Korrek- 
tion von  noch  nicht  2  Minuten  anzubringen;  alsdami  nämlich  hört  die 
Parallaxe  ganz  auf  oder  wird  doch  so  klein,  dafs  der  Stern  sich  in 
unermefslicher  Entfernung  befunden  haben  müfste,  wie  eine  solche  nach 
allgemeinem  Zugeständnis  das  Firmament  besitzt.  Bei  der  zweiten 
Untersuchimg  bewirkt  eine  Änderung  von  4  Minuten  das  nämliche; 
im  dritten  und  vierten  Falle  verursacht  wie  im  ersten  eine  Korrektion 


316  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [326.  327.] 

von  blofs  2  Minuten,  dafs  der  Stern  bis  über  die  Fixsterne  entrückt 
Avird;  in  dem  letzten  Beispiele  endlich  liefert  uns  schon  der  vierte 
Teil  einer  Minute,  nämlich  15  Sekunden,  ein  gleiches  Ergebnis.  So 
wird  es  hingegen  bei  den  sublunarischen  Entfernungen  nicht  aussehen, 
demi  stellt  Euch  nur  irgendwelche  ganz  beliebige  Entfernung  vor  imd 
versucht  die  vom  Verfasser  angestellten  Rechnungen  derart  zu  korri- 
gieren und  abzuändern,  dafs  sie  alle  diese  nämliche  Entfermmg  er- 
geben; Ihr  werdet  sehen,  wie  viel  gröfsere  Korrektionen  dann  anzu- 
bringen sind. 

Sagr.  Es  wird  nichts  schaden,  wemi  wir,  um  völlige  Aufklärung 
zu  erlangen,  ein  Beispiel  für  diese  Euere  Behauptung  behandeln. 

Salv.  Nehmt  Ihr  doch  nach  Euerem  Gutdünken  irgendwelche 
bestimmte  sublunarische  Entfernung  des  Sternes  an;  wir  werden  vms 
ohne  grofsen  Müheaufwand  vergewissern  können,  ob  solche  Korrek- 
tionen, wie  sie  ausreichend  waren,  um  ihn  unter  die  Fixsterne  zu  ver- 
setzen, ihn  auch  an  den  von  Euch  angenommenen  Ort  zu  bringen  ver- 
mögen. 

Sagr.  Um  eine  für  den  Verfasser  möglichst  günstige  Entfernung 
zu  nehmen,  wollen  wir  von  seinen  zwölf  Ergebnissen  das  gröfste 
wählen;  denn  wenn  er  den  entgegengesetzten  Standpunkt  einnimmt 
wie  die  Astronomen,  indem  diese  den  Stern  über  den  Mond,  jener 
hingegen  ihn  unterhalb  desselben  annimmt,  so  braucht  er  nur  nach- 
zuweisen, dafs  der  Stern  ein  ganz  klein  wenig  tiefer  stand  und  hat 
damit  den  Sieg  gewonnen. 

Salv.  Wir  nehmen  also  die  siebente  Untersuchung  zum  Aus- 
gangspunkt, welche  auf  den  Beobachtmigen  von  Tycho  und  Thaddäus 
Hagek  beruht,  und  derzufolge  der  Stern  um  32  Erdhalbmesser 
vom  Centrum  entfernt  ist.  Diese  Lage  ist  für  ihn  die  günstigste, 
und,  um  ihm  jeden  Vorteil  einzuräumen,  wollen  wir  den  Stern  an  den 
vom  Standpimkt  der  Astronomen  aus  migünstigsten  Ort  versetzen, 
nämlich  noch  über  das  Firmament.  Dies  vorausgesetzt,  untersuchen 
wir  nunmehr,  Avelche  Korrektionen  bei  seinen  elf  anderen  Rechnungen 
anzubringen  sind,  um  den  Stern  bis  in  eine  Höhe  von  32  Erdhalb- 
messem  zu  rücken.*^)  Wir  beghmen  mit  der  ersten,  welche  auf  den 
Beobachtungen  von  Hainisel  und  3Iaurolycus  beruht.  Hier  findet  der 
Verfasser  die  Entfernung  vom  Centrum  zu  ungefähr  3  Halbmessern 
bei  einer  Parallaxe  von  4°  42'  30".  Sehen  wir  nun,  ob  durch  eine 
Verkleinerung  dieser  letzteren  auf  blofs  20'  der  Stern  bis  zur  Höhe 
von  32  Erdhalbmessern  sich  entfernt.  Hier  habt  Ihr  die  Rechnung, 
kurz  und  gut:  ich  multipliziere  den  Sinus  des  Winkels  BBC  mit  der 
Sehne  BD  und  teile  das  Ergebnis,  nachdem  ich  die  5  letzten  Ziffern 


[327-329.] 


Dritter  Tag. 


317 


abgeschnitten   habe,    durch   den   Sinus    der   Parallaxe;   es   ergiebt   sich 
eine   Entfernung  von   28 1  Halbmessern.      Der  Stern    rückt   also   nicht 


Hainzel:          Polböhe  48»    22'         Sternhöhe  76»    34' 
Maurolycus:          „         38»    30'                  „           62» 

30" 

9»    52'                              14»    34' 
9»    52' 

30" 

Parallaxe     .     .     4»    42' 

30" 

Winkel   BAD        9»    52'               Sehne:  17200 

J5  2)C    108»    21'    30"]    «j.            94910 

„         ACD        0«    20'           J    ^'""'=        582 

94910 
17200 

18982000 
66437 
9491 

28 
582    16324(52000 
4688 
2 

einmal  durch  eine  Korrektion  von  4^  22'  30",  die  von  4''  42'  30" 
in  Abzug  gebracht  worden  ist,  in  eine  Höhe  von  32  Erdhalbmesseru. 
Diese  Korrektion  beträgt  —  ich  füge  das  für  Sigiiore  Simplicio  bei  — 
262^  IMinuten. 

Bei  der  zweiten  Rechnung  ^^),  die  sich  auf  die  Beobachtungen  von 
Hainzel  und  Schiller  stützt,  ergiebt  sich  für  die  Entfernung  des  Sternes 
bei  einer  Parallaxe  von  O''  8'  30"  ungefähr  ein  Betrag  von  25  Erd- 
halbmessern,  wie   aus  der  nachstehenden  Rechnung  hervorgeht.     Ver- 


BD  Sehne:  6166 
BDC\„.^  97987 
^^^     Sinus:        247 


97987 
6166 


587922 
587922 
97987 
587922 
\      24 
247  I  6041(87842 
1103 
11 


ringert  man  nun  die  Parallaxe  von  0"  8'  30"  auf  7',  sodafs  der  Sinus 
204  beträgt,  so  vergröfsert  sich  die  Entfernung  des  Sternes  auf  etwa 
30  Halbmesser;  eine  Korrektion  von   1'  30"  ist  also  nicht  ausreichend. 


I      29 
204  1  6041(87841 
1965 
12 


318 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[329.  330.] 


Sehen  wir  nun,  welcher  Korrektion  es  für  die  dritte  Untersuchung 
bedarf  ^^),  welche  sich  auf  die  Beobachtungen  von  Hainzel  und  Tycho 
stützt  und  eine  Entfernung  des  Sternes  von  etwa  19  Halbmessern 
liefert  bei  einer  Parallaxe  von  10'.  Die  gewöhnlichen  Winkel,  Sinus 
und  die  Sehne,  wie  der  Verfasser  sie  angiebt,  sind  die  nachstehenden 
und  ergeben  —  in  Übereinstimmung  mit  der  Rechnung  des  Verfassers 
■ —    die   Entfernung   des   Sternes   zu    etwa   19  Halbmessern.      Um   also 


Winkel  BAB        7"  36'; 

„   BDC   155"  52' 

BGB        0"  10' 

13254 
40886 

Sehne:  13254 

Sinus:   40886 

291 

30 
175  5419 
16 

79524 
106032 
106032 
53016 

18 
291  5419(03044 
2501 
18 

den  Stern  in  gröfsere  Höhe  zu  bringen,  mufs  man  die  Parallaxe  ver- 
ringern, der  Regel  gemäfs,  die  der  Verfasser  selbst  bei  der  neunten 
Untersuchung  befolgt.  Nehmen  wir  deswegen  an,  die  Parallaxe  be- 
trage 6',  deren  Sinus  gleich  175  ist;  auch  dann  noch  ergeben  sich 
nach  Ausführung  der  Division  weniger  als  31  Halbmesser  für  die  Ent- 
fernung des  Sternes. 

Die  Korrektion  von  4'  ist  also  für  den  Zweck  des  Autors  noch 
nicht  ausreichend. 

Wir  behandeln  die  vierte'^)  und  die  folgenden  Rechnungen  nach 
denselben  Regeln  und  mit  Benutzung  der  vom  Verfasser  selbst  ge- 
brauchten Werte  der  Sehnen  und  der  Sinus.  Hier  beträgt  die  Parallaxe 
14'  und  die  gefundene  Entfernung  weniger  als  10  Halbmesser.  Ver- 
ringert man  die  Parallaxe  von  14'  auf  4',  so  steigert  sich  die  Ent- 
fernung jedenfalls    noch   nicht   auf  31  Halbmesser,  wie  Ihr  seht;  mit- 


BB 
BBC 
BCB 

Sehne: 
Sinus: 

8142 

43235 

407 

43235 
8142 

86470 
172940 
43235 
345880 

116 

30 

3520(19370 
4 

[330-332] 


Dritter  Ta^. 


319 


hin  ist  die  Korrektion  von  10'  an  einem  Betrage  von  14'   noch  nicht 
genügend. 

Bei  der  fünften  Rechnung  ^^)  des  Verfassers  haben  Sinus  und 
Sehne  die  nachstehend  angegebenen  Werte.  Die  Parallaxe  beträgt 
42'  30",  wodurch  der  Stern  eine  Entfernung  von  etwa  4  Halbmessern 
erhält.  Verbessert  man  die  Parallaxe,  indem  man  sie  von  42'  30" 
auf  5'  reduziert,  so  bewirkt  dies  nur  eine  Vergröfserung  der  Entfer- 
nung bis  zu  noch  nicht  2H  Halbmessern,  die  Verbesserung  um  37' 
30''  ist  also  zu  gering. 


BD        Sehne: 
BDC    Sinns: 
BCD 

4034 

97998 

1236 

97998 
4034 

391992 
293994 
391992 
27 
145  3953(23932 
1058 
3 

Bei  der  sechsten  Rechnung '^'^)  finden  nachstehende  Werte  der 
Sinus  und  der  Parallaxe  statt,  und  die  Entfernung  des  Sterns  ergiebt 
sich  zu  4  Halbmessern.  Wir  wollen  sehen,  welche  Änderung  bewirkt 
wird,  wenn  man  die  Parallaxe  von  8'  auf  eine  einzige  Minute  herab- 
drückt. Hier  die  Rechnung,  welche  nur  eine  Entfernung  von  etwa 
27  Halbmessern  für  den  Stern  ergiebt;  die  Korrektion  von  7'  an  einem 
Betrage  von  8'  ist  also  noch  nicht  ausreichend. 


BD 
BDC 

BCD   8' 

Sehne: 
Sinus: 

1920 

40248 

233 

40248 
1920 

804960 
362232 
40248 

29 

26 

772(76160 
198 

1 

Bei  der  achten  Rechmmg^')  sind  Sehne,  Sinus  imd  Parallaxe  die 
nachstehend  verzeichneten.  Daraus  berechnet  der  Verfasser  die  Höhe 
des  Sternes  zu  1^  Halbmessern  bei  einer  Parallaxe  von  43';  reduziert 
man  diese  bis  auf  1',  so  ergiebt  sie  gleichwohl  eine  Entfernung  von 
weniger  als  24  Halbmessern,  die  Korrektion  von  42'  ist  also  nicht 
genügend. 


320 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[332.  333.] 


BD 

Sehne: 

1804 

36643 

B  D  C 

Sinus : 

36643 

1804 

BCD 

29 

146572 
293144 
36643 

22 

29 

661(03972 
83 
2 

Betracliteu  wir  jetzt  die  neunte.  Nachstehend  die  Sehne,  die 
Sinus  und  die  Parallaxe,  welch  letztere  15'  beträgt.  Daraus  berechnet 
der  Verfasser  die  Entfernung  des  Sternes  von  der  Erdoberfläche  auf 
weniger  als  ein  Achtundvierzigstel  des  Erdhalbmessers.  Dies  ist 
jedoch  ein  Rechenfehler,  denn  in  Wirklichkeit  ergiebt  sich,  wie  wir 
gleich  sehen  werden,  mehr  als  ein  Fünftel.  Ihr  seht,  es  ergeben 
sich  ^^^^'ß,  welches  mehr  als  ein  Fünftel  ist. 


BD 

Sehne: 

232 

39046 

BDC 

Sinus: 

39046 

232 

BCD 

436 

78092 
117138 

78092 

436  [90(58072 

Was  sodann  der  Verfasser  bei  dieser  Gelegenheit  noch  weiter  in 
Betreff  der  Korrektion  der  Beobachtungen  bemerkt,  es  helfe  nicht 
einmal  etwas,  wenn  man  die  Parallaxe  bis  auf  eine,  ja  bis  auf  den 
achten  Teil  einer  Minute  herabdrücke,  so  hat  das  seine  Richtigkeit. 
Aber  ich  erwidere,  dafs  nicht  einmal  durch  Reduktion  der  Parallaxe 
auf  den  zehnten  Teil  einer  Minute  der  Stern  in  die  Entfernung  von 
32  Halbmessern  gerückt  wird.  Denn  der  Sinus  des  zehnten  Teiles  einer 
Minute  oder  von  6"  ist  3.  Wenn  wir  daher  bei  unserem  Verfahren 
mit  3  in  90  dividieren  oder,  besser  gesagt,  mit  300  000  in  9058672, 
so  erhalten  wir  ^Of^j^Yi)  ^-  li-  ein  wenig  mehr  als  30-^  Halbmesser.  ^^) 

Die  zehnte  Rechnung  ergiebt  ein  Fünftel  des  Erdhalbmessers  als 
Entfernung   des    Sternes    bei   folgenden   Werten   der   Sehne,    der  Sinus 


BD 
BDC 
BCD    4« 

30' 

Sehne : 
Sinus: 

1746 

92050 

7846 

1746 
92050 

87300 
3492 
15714 

58 

27 
1607(19300 
441 
4 

[334.  335.] 


Dritter  Ta?. 


321 


und  der  Parallaxe.  Letztere  hat  eine  Gröfse  von  4°  30'  und  versetzt 
den  Stern,  selbst  bei  einer  Reduktion  bis  auf  2'  noch  nicht  in  die 
Entfernung  von  29  Halbmessern. 

Die  elfte  Untersuchung  liefert  dem  Verfasser  eine  Entfernung  von 
13  Halbmessern  bei  einer  Parallaxe  von  55';  sehen  wir,  in  welche  Höhe 
der  Stern  gelangt  durch  Reduktion  der  Parallaxe  auf  20'.  Die  nach- 
stehende Rechnung  ergiebt  in  diesem  Falle  etwas  weniger  als  33  Halb- 
messer, die  Korrektion  beträgt  also  etwas  weniger  als  35'  auf  55'. 


BD 
BDC 
BCD    0« 

55' 

Sehne 
Sinus: 

19748 

96166 

1600 

96100 
19748 

769328 
384664 
673162 
865494 
96166 

582 

32 

18990(86168 
1536 
36 

Die  zwölfte  Rechnung-^)  versetzt  den  Stern  bei  einer  Parallaxe 
von  l*'  36'  in  eine  Höhe  von  weniger  als  7  Halbmessern.  Vermindert 
man  den  Wert  der  Parallaxe  bis  auf  20',  so  rückt  der  Stern  in  eine 
Entfernung  von  weniger  als  30  Halbmessern.  Es  genügt  also  eine 
Korrektion  von  1°  16'  noch  nicht. 


BDC 

Sehne : 

17258 

17258 

BD 

Sinus : 

96150 

96150 

BCD     1« 

36' 

2792 

862900 
17258 
103548 
155322 

28 

582  16593(56700 

4957 

29 

Aus  umstehender  Tabelle  ersieht  man,  dafs,  um  den  Stern  in 
eine  Höhe  von  32  Halbmessern  zu  bringen,  die  Summe  836  der 
Parallaxen  um  756  vermindert  und  auf  80  reduziert  werden  mufs*,  ja 
eine  solche  Korrektion  genügt  noch  nicht  einmal. 

Hieraus  ersieht  man,  wie  ich  hier  notiert  habe,  dafs  der  Ver- 
fasser den  wahren  Ort  des  neuen  Stenies  nur  dami  in  eine  Entfer- 
nung von  32  Halbmessern  versetzen  kann,  weiui  er  bei  seineu  übrigen 

GAiiiLEi,  Weltsysteme.  21 


322  Dialog  Über  die  Weltsysteme.  [335.  336.; 


Tabelle  der  Verbesserungen,  welche    an  den  Parallaxen  der  zehn 

Rechnungen  des  Verfassers   anzubringen  sind,   um  den  Stern   in 

eine  Entfernung  von  32  Halbmessern  zu  rücken. 

0  '  "                                                                 0          '          " 

A      22  30      an  4  42       30 

4  ,             10 

10  „              14 

37  ,.  42       30 

7  8 

42  ,              43 

14  30      „              15 

4      28  ,4        30 

35  „              55 

1  16  ,    1         36 


216  296        60 

540  540         9 


756  83G      540 

zehn  Untersuchungen  —  ich  sage  zehn^  weil  wegen  des  grofsen  Er- 
gebnisses bei  der  zweiten  dort  nur  eine  Korrektion  von  zwei  Minuten 
nötig  ist  —  einen  Abzug  im  Betrage  von  mehr  als  756'  an  den 
Parallaxen  zur  Erzielung  der  Übereinstimmung  sich  anzubringen  ent- 
schliefst. Bei  den  fünf  von  mir  berechneten  Ergebnissen  hingegen 
genügt  eine  Korrektion  von  blofs  10^',  um  ihn  an  das  Firmament  zu 
versetzen. 

Nehmt  nun  noch  fünf  weitere  Rechnungen  hinzu,  welche  den 
Stern  genau  ans  Firmament  versetzen,  ohne  dafs  irgendwelche  Korrek- 
tion nötig  wäre,  so  haben  wir  zehn  übereinstimmende  Ergebnisse,  die 
ihn  bei  einer  Korrektion  an  fünfen  derselben  im  Betrage  von  nur  10^' 
ans  Firmament  versetzen,  während  es  bei  den  zehn  übrigen  des  Ver- 
fassers, um  ihn  in  eine  Höhe  von  32  Halbmessern  zu  bringen,  einer 
Korrektion  von  756'  auf  836'  bedarf;  d.  h.  man  mufs  von  der  Summe 
836  einen  Abzug  von  756  machen,  um  den  Stern  bis  in  die  Ent- 
fernung von  32  Halbmessern  zu  bringen  und  diese  Korrektion  ist 
noch  nicht  einmal  genügend. 

Die  Rechnungen  nun,  welche  unmittelbar  ohne  weitere  Korrektion 
keine  Parallaxe  für  den  Stern  ergeben  und  ihn  daher  ans  Firmament 
und  sogar  in  dessen  weit  entfernteste  Teile  versetzen,  kurzum  in  die 
Entfernung  des  Poles  selbst,  sind  die  fünf  hier  verzeichneten. 


Peucer: 


Landgraf: 
Hainzel : 


52« 
51« 

24' 
54' 

Sternhöhe  80» 
79« 

26' 
56' 

0" 

30' 

0» 

30' 

51 " 

48« 

18' 
22' 
56' 

»> 

79« 

76« 

2« 

30' 
34' 
56' 

[337.  338.]  Dritter  Taf,'.  323 


Dritter  Taf,'. 

Tycho : 
Peucer : 

Polhöhe    55» 
51» 

58' 
54' 

Sternhöhe  84» 
79» 

56' 

4» 

4' 

4» 

4' 

Reinhold : 
Hainzel: 

" 

51» 
48» 

18' 
22' 

79» 

76» 
2  » 

30' 
34' 

2» 

56' 

56' 

Camerarius: 
Hagek : 

,, 

52» 
48» 

24' 

22' 

24» 
20» 

17' 

15' 

Übrigens  giebt  es  unter  den  möglicben  paarweisen  Verbindungen 
sämtlicher  verschiedener  Beobachtungen  eine  Überzahl  von  etwa 
30  Paaren,  welche  den  Stern  in  unendlich  weite  Ferne  versetzen  gegen- 
über solchen,  welche  rechnerisch  verwendet  ihn  unter  den  Mond  herab- 
ziehen. Da  nun  unserer  Übereinkunft  gemäfs  doch  anzunehmen  ist, 
dafs  die  Beobachter  eher  wenig  als  viel  geirrt  haben,  da  es  ferner 
klar  ist,  dafs  die  Beobachtungen,  welche  den  Stern  in  unendlich  weite 
Ferne  versetzen,  bei  der  Reduktion  zunächst  und  unter  Anwendung 
geringerer  Abänderungen  ihn  aus  Firmament,  nicht  aber  unter  den  Mond 
herabziehen,  so  sprechen  alle  diese  eher  für  die  Meinung  derer,  die 
ihn  in  die  Sphäre  der  Fixsterne  setzen.  Hierzu  nehmt  noch,  dafs  die 
Korrektionen  zu  diesem  letzteren  Behufe  weit  kleiner  sind  als  die- 
jenigen, durch  welche  der  Stern  aus  einer  unwahrscheinlichen  Nähe 
in  eine  für  jenen  Autor  günstigere  Entfernung  versetzt  werden  kann, 
wie  aus  den  durchgenommenen  Beispielen  ersichtlich  wird.  Unter 
diesen  unmöglichen  Ergebnissen  befinden  sieh  dreie,  welche  die  Ent- 
fernung vom  Erdmittelpunkt  zu  weniger  als  einem  Halbmesser  veran- 
schlagen, ihn  also  gewissermafsen  unter  der  Erde  seine  Drehung  voll- 
ziehen lassen;  es  sind  das  diejenigen  Kombinationen,  bei  welchen  die 
Polhöhe  des  einen  Beobachters  gröfser  ist  als  die  des  anderen,  hin- 
gegen die  von  jenem  gefundene  Sternhöhe  kleiner  als  die  des  zweiten.  ^^) 
Solche  Kombinationen  sind  die  nachstehend  verzeiclmeten.  Die  erste 
ist  die  Kombination  Landgraf-Genima]  hier  ist  die  Polhöhe  des  Land- 
grafen im  Betrage  von  51"  18'  gröfser  als  die  Gemmas,  welche  50°  50' 
beträgt,  die  Sternhöhe  des  Landgrafen  hingegen  von  79"  30'  ist  kleiner 
als  die  Gemmas,  welche  nur  79"  45'  beträgt. 


Landgraf:     Polhöhe  51»     18' 

yteruhöhe  79»     30' 

Gemma               „         50»     50' 

„ 

79»     45' 

iden  anderen  sind  diese: 

Busch:       Polhöhe  51»     10' 

Sternhöhe 

79»     20' 

Gemma:          „         50»     50' 

,, 

79»     45' 

Reinhold:        „          51»     18' 

,, 

79»     30' 

Gemma:          „         50»     50' 

" 

79»     45' 
21* 

324  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [338.  339.] 

Aus  dem  bisher  Gezeigten  könnt  Ihr  entnehmen,  wie  ungünstig 
diese  erste  Methode  zur  Bestimmung  der  Entfernung  des  Sternes  und 
zum  Beweise  seiner  sublunarischen  Natur  für  die  Sache  des  Verfassers, 
der  sie  anwendet,  ausfällt  und  um  wieviel  wahrscheinlicher  und  evi- 
denter sich  daraus  ergiebt,  dafs  er  so  weit  entfernt  wie  die  entlegen- 
sten Fixsterne  gestanden  habe. 

Simpl.  Soweit  scheint  mir  die  geringe  Beweiskraft  der  Schlüsse 
des  Autors  sehr  deutlich  dargethan  zu  sein;  allein,  wie  ich  sehe,  ist 
alles  das  auf  wenigen  Blättern  seines  Buches  abgethan,  möglicherweise 
wären  doch  seine  anderen  Gründe  schlagender  als  diese  ersten. 

Salv.  Sie  können  im  Gegenteile  nur  noch  bedeutungsloser  sein, 
wenn  uns  die  besprochenen  als  Mafsstab  für  die  übrigen  dienen  sollen. 
Denn  die  Unsicherheit  und  geringe  Beweiskraft  von  jenen  schreibt  sich 
offenbar  her  von  den  Fehlern,  die  bei  den  Beobachtungen  mittels  der 
Instrumente  gemacht  wurden;  die  Pol-  und  Sternhöhen,  welche  diese 
ergaben,  wurden  für  zuverlässig  gehalten,  während  sie  in  Wirklichkeit 
leicht  sämtlich  irrig  sein  mögen.  Und  doch  haben  die  Astronomen, 
um  die  Polhöhen  zu  bestimmen,  Jahrhunderte  in  aller  Mufse  zur  Ver- 
fügung gehabt;  die  Höhen  bei  der  Kulmination  des  Sternes  femer, 
welche  sehr  scharf  hervortreten  und  wegen  ihrer  geringen  Änderung 
innerhalb  einer  kurzen  Zeit  dem  Beobachter  einigen  Spielraum  zur 
Fortsetzung  der  Beobachtung  gönnen,  sind  viel  leichter  zu  beobachten, 
während  die  Höhen  aufserhalb  des  Meridians  sich  rascher  ändern.  Ist 
dies  so  —  und  es  ist  zuverlässig  so  —  wie  wollen  wir  uns  dann  auf  die 
Rechnungen  verlassen,  die  sich  gründen  auf  zahlreichere  und  schwierigere 
Beobachtungen  von  rascher  veränderlichen  Objekten  und  obendrein 
unter  Anwendung  unbequemerer  und  fehlerhafterer  Instrumente?  Ich 
habe  einen  flüchtigen  Bück  auf  die  folgenden  Beweise  geworfen;  danach 
beziehen  sich  die  Rechnungen  auf  die  Sternhöhen,  die  in  verschiedenen 
Vertikalkreisen  oder,  mit  arabischem  Ausdruck,  in  verschiedenen 
Azimuten  aufgenommen  worden  sind.  Bei  diesen  Beobachtungen  wen- 
det man  Instrumente  an,  die  nicht  nur  in  vertikalen  Kreisen  beweg- 
lich sind,  sondern  gleichzeitig  auch  horizontal  sich  drehen  lassen.  Man 
mufs  also  in  demselben  Augenblicke,  wo  man  die  Höhe  aufnimmt,  die 
Entfernung  des  Vertikalkreises,  in  welchem  der  Stern  sich  befindet, 
vom  Meridian  beobachtet  haben.  Überdies  ist  es  erforderlich,  diese 
Operation  nach  geraumer  Zeit  zu  wiederholen  und  über  die  inzwischen 
verstrichene  Zeit  sich  genau  Rechenschaft  zu  geben,  wobei  man  sich 
entweder  auf  Uhren  verlassen  mufs  oder  auf  andere  Sternbeobachtungeu. 
Einen  solchen  Haufen  von  Beobachtungen  vergleicht  der  Verfasser  nun 
mit  einem   ähnlichen,   der  von    einem  anderen   Beobachter,   in  einem 


f 

I 


[339.  340.J  Dritter  Tag.  325 

anderen  Lande,  mittels  anderer  Instrumente  und  zu  anderer  Zeit  au- 
gestellt worden  ist;  daraus  sucht  er  dann  zu  ermitteln,  welches  die 
Sternliölien  und  die  horizontalen  Abstände  zur  Zeit  und  Stunde  jener 
ersten  Beobachtungen  gewesen  sind.  Auf  dieser  Grundlage  baut  er 
dann  seine  weitere  Rechnung  auf.  Ich  stelle  es  Euerem  Urteil  anheim, 
ob  den  auf  diesem  Wege  gewonnenen  Ergebnissen  Glauben  zu  schenken 
ist.  Gleichwohl  zweifle  ich  nicht,  dafs,  wollte  jemand  sich  mit  diesen 
entsetzlich  weitläufigen  Rechnungen  abquälen,  mehr  Resultate  zu  Gunsten 
der  Gegner  als  zu  Gunsten  des  Autors  sich  ergeben  würden,  ebenso 
Avie  dies  bei  den  vorigen  der  Fall  war.  Ich  glaube  jedoch,  es  lohnt 
sich  nicht  der  Mühe,  uns  um  einer  Sache  willen,  die  nicht  unseren 
Hauptgegenstand  ausmacht,  einer  solchen  Arbeit  zu  unterziehen. 

Sagr.  Hier  bin  ich  Euerer  Meinung;  wenn  aber  andererseits  diese 
Frage  soviel  Unklares  und  Unsicheres  hat,  wenn  sie  durch  Irrtümer 
so  verdunkelt  ist,  woraufhin  haben  so  viele  Astronomen  zuversichtlich 
und  hartnäckig  behauptet,  der  neue  Stern  habe  eine  ungemein  grofse 
Entfernung  besessen? 

Salv.  Auf  Grund  von  zweierlei  höchst  einfachen,  leicht  anzu- 
stellenden und  sicher  richtigen  Beobachtungen.  Schon  eine  derselben 
wäre  mehr  als  genügend,  um  uns  zu  überzeugen,  dafs  er  am  Firma- 
mente  oder  doch  weit  höher  als  der  Mond  gestanden  hat.  Die  eine 
Beobachtung  ist  die,  dafs  seine  Entfernungen  vom  Pole  in  der  oberen 
und  unteren  Kulmination  gleich  oder  doch  sehr  wenig  verschieden 
waren.  Die  andere  bezieht  sich  darauf,  dafs  er  beständig  den  näm- 
lichen Abstand  von  einigen  benachbarten  Fixsternen  beibehalten  hat, 
specieU  vom  11**"^  Stern  der  Kassiopeja^^),  der  nur  etwa  1^^  von  ihm 
entfernt  stand.  Aus  diesen  beiden  Thatsachen  ergiebt  sich  unzweifel- 
haft entweder  der  absolute  Mangel  einer  Parallaxe  oder  ein  so  gering- 
fügiger Betrag  derselben,  dafs  wir  uns  durch  die  einfachsten  Rech- 
nungen von  seiner  grofsen  Entfernung  von  der  Erde  überzeugen 
können. 

Sagr.  Aber  hat  denn  der  Verfasser  diese  Thatsachen  nicht  auch 
gekannt  und  gewürdigt?  und  wenn  er  sie  bemerkt  hat,  was  hat  er 
dagegen  zu  erwidern? 

Salv.  Wemi  jemand  für  seine  Fehler  und  Irrtümer  keine  rechte 
Ausrede  weifs  und  zu  den  nichtssagendsten  Entschuldigungen  seine 
Zuflucht  nimmt,  so  pflegen  wir  zu  sagen:  er  klammert  sich  au  Taue, 
die  in  der  Luft  schweben.  Der  Verfasser  aber  —  Ihr  werdet  es  deut- 
lich erkeimen,  wenn  Ihr  die  beiden  eben  angedeuteten  Umstände  ins 
Auge  fafst  —  klammert  sich  gar  an  ein  paar  Spimiwebfäden.  Was 
nun  erstens  aus   den  einzelnen  Polabständen  der  Beobachter  sich  eut- 


326 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[340.  341.] 


nehmen  läfst,  habe  ich  in  den  folgenden  kurzen  Rechnungen  notiert. 
Zum  vollen  Verständnis  derselben  mufs  ich  Euch  zunächst  darauf  auf- 
merksam machen^  dafs  jedesmal,   wo   ein  neuer  Stern  oder  sonst  eine 

an  der  täglichen  Drehung  beteiligte 
Himmelserscheinung  in  der  Nähe  der 
Erde  sich  befindet,  diese  beim  unte- 
ren Durchgang  durch  den  Meridian 
weiter  vom  Pole  abzustehen  scheint 
als  beim  oberen,  wie  aus  der  Figur 
leicht  hervorgeht.  Hier  bedeutet 
Punkt  T  das  Centrum  der  Erde,  0 
den  Ort  des  Beobachters,  der  Bogen 
VPG  das  Firmament,  P  den  Pol. 
Wenn  die  fragliche  Himmelserschei- 
uung  sich  in  dem  Kreise  FS  bewegt, 
so  erblickt  man  sie  bald  unter  dem 
Pol  in  der  Linie  OFC,  bald  über  demselben  in  der  Linie  OSD,  sodafs 
die  scheinbaren  Orter  am  Himmel  D  und  C  sind;  die  wahren  hingegen, 
bezogen  auf  den  Erdmittelpunkt  T,  sind  B  und  A  und  diese  sind  vom 
Pole  gleichweit  entfernt;  hieraus  ist  schon  offenbar,  dafs  der  schein- 
bare Ort  des  Phänomens  S,  nämlich  der  Punkt  D,  dem  Pole  näher 
liegt  als  der  andere  scheinbare  C,  welcher  dem  Strahle  OFC  ent- 
spricht. Das  ist  das  erste,  was  zu  merken  ist.  Zweitens  müfst 
Ihr  Euch  merken,  dafs  die  Differenz  zwischen  dem  scheinbaren  unteren 
und  dem  scheinbaren  oberen  Polabstand  gröfser  ist  als  die  untere 
Parallaxe  des  Phänomens,  d.  h.  der  Überschufs  des  Bogens  CP  (des 
scheinbaren  unteren  Abstandes  über  den  Bogen  PD  (den  scheinbaren 
oberen  Abstand)  gröfser  ist  als  der  Bogen  CA  (die  untere  Parallaxe). 
Der  Beweis  ist  leicht:  es  übertrifft  nämlich  der  Bogen  CP  den  Bogen 
PD  um  ein  gröfseres  Stück,  als  er  den  Bogen  PB  übertrifft,  da 
letzterer  gröfser  ist  als  PD.  Nun  ist  aber  PB  gleich  PA  und  der 
Überschufs  von  CP  über  PA  ist  der  Bogen  CA:,  also  ist  der  Über- 
schufs des  Bogens  CP  über  PD  gröfser  als  CA,  d.  h.  gröfser  als  die 
Parallaxe  der  in  F  befindlichen  Himmelserscheinung;  was  zu  beweisen 
Avar.  —  Um  nmi  dem  Verfasser  alle  Vorteile  einzuräumen,  wollen  wir 
voraussetzen,  die  Parallaxe  des  in  jP  befindlichen  Sternes  sei  gleich 
dem  ganzen  Überschufs  des  Bogens  CP  (also  des  unteren  Polabstandes) 
über  den  Bogen  PD  (also  den  oberen  Polabstand).  Ich  gehe  jetzt 
über  zu  der  Prüfung  dessen,  was  sich  aus  dem  gesamten  vom  Autor 
benutzten  Beobachtimgsmaterial  schliefsen  läfst.  Es  befindet  sich  nicht 
eme  einzige  Beobachtung  darunter,  welche  nicht  zu  seinen  Ungunsten 


[341.  342.]  Dritter  Tag.  327 

.spräche  und  nicht  im  Widerspruch  mit  seiner  Behaujjtuug  stünde. 
Machen  wir  den  Anfang  mit  den  Beobachtungen  von  Busch'^^),  Avelcher 
den  oberen  Polabstand  zu  2^^  10',  den  unteren  zu  28''  30'  fand.  Der 
Überschufs  beträgt  20',  den  wir  -^  zum  Vorteil  des  Verfassers  —  in 
seinem  vollen  Betrage  als  die  Parallaxe  des  Sternes  F  betrachten 
Avollen,  d.  h.  als  Gröfse  des  Winkels  TFO]  der  Vertikalabstand,  d.  h. 
der  Bogen  CV,  beträgt  dann  67'  20^*.  Nachdem  diese  beiden  Gröfsen 
ermittelt  sind,  fälle  man  auf  die  Verlängerung  der  Linie  CO  das  Lot 
TJ.  Wir  betrachten  das  Dreieck  TOJ,  dessen  Winkel  bei  J  ein 
rechter  ist;  der  Winkel  JOT  ist  bekannt,  denn  er  ist  der  Scheitel- 
winkel des  Vertikalabstandes  VOC  des  Sternes.  In  dem  gleichfalls 
rechtwinkligen  Dreieck  TJF  ist  der  Winkel  F  gleich  der  gefimdenen 
Parallaxe  und  somit  bekannt.  Man  notiere  also  die  Gröfse  der  beiden 
AVinkel  JOT  und  JFT  und  nehme  die  ihnen  entsprechenden  Sinus, 
wie  Ihr  sie  nachstehend  verzeichnet  seht.  Li  dem  Dreieck  JOT  be- 
trägt der  Sinus  TJ  92  276  solcher  Teile,  Avie  deren  der  Sinustotus 
100000  enthält-^);  ebenso  ist  in  dem  Dreieck  JFT  der  Sinus  TJ  so 
grofs  wie  582  solcher  Teile,  deren  der  Sinustotus  TF  100000  ent- 
hält. Um  nun  zu  finden,  wie  viele  solcher  Teile  TF  enthält,  wie 
deren  TO  100  000  enthält,  sagen  wir  nach  der  Regula  aurea:  wenn 
TJ  gleich  582  ist,  so  ist  TF  gleich  100  000-,  wemi  aber  TJ  gleich 
92  276,  wie  grofs  würde  TF  sein?  Wir  multiplizieren  92  276  mit 
100  000  und  erhalten  9  227  600  000;  dies  ist  dann  durch  582  zu  divi- 
dieren, man  erhält,  wie  Ihr  seht  15  854  982.  Soviel  Teile  werden  dem- 
nach in  TF  enthalten  sein,  wenn  TO  deren  100000  enthält;  wollen 
wir  also  wissen,  Avievielmal  gröfser  Ti^als  TO,  so  werden  wir  15854982 
durch  100  000  teilen  und  bekommen  annähernd  158^.  Um  soviele 
Erdhalbmesser  Avird  der  Stern  F  vom  Mittelpunkte  der  Erde  entfernt 
sein.  Statt  erst  92  276  mit  100  000,  dann  mit  582  zu  multiplizieren 
und  nachher  mit  100000  zu  dividieren,  können  wir  zur  Abkürzung 
die  Multiplikation  mit  100  000  sparen  und  blofs  den  Sinus  92  276 
durch  den  Sinus  582  dividieren.  Wir  erhalten  dann  dasselbe  Ergeb- 
nis, wie  Ihr  nachstehend  seht,  wo  92  276  durch  582  dividiert  eben- 
falls etwa  158^  liefert.  Behalten  wir  also  im  Gedächtnis,  dafs  die  blofse 
Division  des  Sinus  TJ,  betrachtet  als  Sinus  des  Winkels  TOJ,  durch 
den  Sinus  TJ,  betrachtet  als  Sinus  des  Winkels  JFT,  ims  die  ge- 
suchte Entfernung  ergiebt,  ausgedrückt  in  Halbmessern  TO. 


328 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[342.  343.] 


Winkel 

JOT     62« 

20' 

Sinus 

92276 

15854982 

JFT      0" 

20' 

582 

582  1 9227600UOO 

TJ 

TF 

TJ 

TF 

3407002246 

582 

100000 

92276 

* 

49297867 
325414 
100000  1  158(54982 
158 
582    92276 
34070 
492 
3 

Seht  minmelir,  welclies  Eesultat  die  Beobachtimgen  Peiicers  er- 
geben; seine  untere  Poldistauz  beträgt  28°  21',  die  obere  28*^  2',  die 
Differenz  0**  19'  und  der  Zenithabstand  66°  27'.  Aus  diesen  Daten 
ergiebt  sieb  die  Entfernung  des  Sternes  vom  Centruni  zu  etwa  166  Halb- 
messern. 


Winkel  JOT  66»    27' 

Sinus: 

91672 

165i?i 

„       JFT    0°    19' 

553 

553    91672 
36397 
312 
4 

Es  folgen  die  Beobachtungen  Tychos,  von  welchen  wir  die  für 
den  Gegner  günstigsten  benutzen-''):  als  untere  Poldistanz  28°  13',  als 
obere  28°  2',  als  Parallaxe  die  ganze  Differenz  im  Betrag  von  0°  11', 
als  Vertikalabstand  Q2^  15'.  Nachstehend  die  Rechnung,  welche  die 
Entfernung  des  Sternes  vom  Mittelpunkt  zu  276y\  Halbmessern  ergiebt. 


Winkel  JOT  62»    15' 

Sinus. 

88500 

276-/L 

„       JFT    0«    11' 

" 

320 

320    88500 
2418 
21 

Die    nächste   Beobachtung,   diejenige  Beinholds,  ergiebt    die  Ent- 
fernung des  Sterns  vom  Mittelpunkt  zu  793  Halbmessern. 


Winkel  JOT  66«    58' 

Sinus:  92026 

793A\ 

„       JFT     0»      4' 

116 

116    92026 
10888 
33 

Aus   der    folgenden    Beobachtung    des    Lanchjrafen   berechnet    sich 
die  Entfernung  des  Sternes  vom  Mittelpunkt  zu   1057  Halbmessern. 


Winkel  JCr  66»    57' 

Sinus:  92012 

1    10571-3. 

„       JFT    0»      3' 

87 

87    92012 
5663 
5 

[344.  345.]  Dritter  Tag.  329 

Wählt  man  von  den  Beobachtungen  des  Camerarius  die  zwei  für 
den  Verfasser  günstigsten  aus,  so  ergiebt  sich  die  Entfernung  des 
Sternes  vom  Mittelpunkt  zu  3143  Halbmessern. 


Winkel  JOT  65"    43'         Sinus:  91152  i    3143 

„        JFT    0"      1'  „  29  29  191152 

4295 
1 


Die  Beobachtung  von  Mtmoz  ergiebt  keine  Parallaxe  und  versetzt 
daher  den  neuen  Stern  zu  den  weitest  entfernten  Fixsternen;  die  von 
Hainzel  ergiebt  eine  unendlich  weite  Entfernung,  aber  mittels  einer 
Korrektion  von  einer  halben  Minute  gelangt  man  wieder  zu  einer  Fix- 
sternentfernung; dasselbe  geschieht  auch  auf  Grund  der  Beobachtungen 
von  Ursinus  nach  einer  Korrektion  von  12  Minuten.  Von  den  übrigen 
Astronomen  liegen  keine  doppelten  Beobachtungen  der  Polabstände 
vor,  sodafs  sich  aus  ihnen  nichts  schliefsen  läfst;  Ihr  seht,  wie  sämt- 
liche Beobachtungen  übereinstimmend  zu  Ungunsten  des  Verfassers  den 
Stern  in  die  höchsten  Himmelsregionen  versetzen. 

Sagr.  Was  entgegnet  er  nun  zur  Wahrung  seines  Standpunktes 
auf  so  offen  daliegende  Widersprüche? 

Salv-  Das  sind  eben  die  Spinnwebfädeu,  von  denen  ich  sprach.  Er 
sagt,  die  Parallaxen  würden  durch  die  Refraktion  scheinbar  vermindert, 
sodafs  in  umgekehrtem  Verhältnis  die  Erscheinung  in  eine  höhere 
Region  versetzt  werde,  während  die  richtigen  Werte  eine  geringere  Ent- 
fernung im  Gefolge  hätten.  ^^)  Wieviel  diese  elende  Ausflucht  wert  ist, 
entnehmt  aus  der  Thatsache,  dafs  die  neuerdings  von  einigen  Astronomen 
eingeführte  Gröfse  der  Refraktion  höchstens  eine  scheinbare  Erhebung 
von  3'  über  den  Horizont  bei  einem  Phänomen  verursachen  kann, 
welches  ohnehin  eine  Höhe  von  23  oder  24  Grad  besitzt,  dafs  dem- 
nach die  Parallaxe  höchstens  um  drei  Minuten  durch  sie  vermindert 
werden  kann.  Diese  Modifikation  ist  aber  viel  zu  gering,  um  den 
Stern  bis  unter  den  Mond  herabzuziehen  und  ist  in  einigen  Fällen 
sogar  weniger  als  der  Vorteil,  den  wir  dem  Gegner  dadurch  einräum- 
ten, dafs  wir  die  ganze  Differenz  zwischen  dem  miteren  und  oberen 
Polabstand  als  Parallaxe  ansahen.  Dieser  Vorteil  ist  etwas  viel 
Klareres  und  Greifbareres  als  die  Wirkung  der  Refraktion,  über  deren 
Gröfse  ich  meine  Bedenken  hege  und  zwar  nicht  ohne  Grund.  Aber 
noch  mehr,  ich  frage  den  Verfasser,  ob  nach  seiner  Ansicht  die  Astro- 
nomen, deren  Beobachtungen  er  benutzt,  Kenntnis  von  der  Thatsache 
der  Refraktion  besafsen  und  sie  in  Betracht  zogen,  oder  nicht.  War 
sie  ihnen  bekannt  und  fand  sie  Berücksichtigung,   so  ist  doch  anzu- 


330  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [345.  346.] 

nehmen,  dafs  sie  dieselbe  in  Rechnung  zogen  und  als  wahre  Stem- 
höhe  erst  den  Betrag  bezeichneten,  welcher  nach  den  wegen  der  Re- 
fraktion notwendigen  Abzügen  an  den  durch  unmittelbare  Beobachtung 
gefundenen  Werten  sich  ergab.  Die  von  ihnen  bekannt  gegebenen 
Distanzen  werden  also  die  korrigierten,  richtigen  gewesen  sein  und 
nicht  die  scheinbaren  und  falschen.  Glaubt  er  aber,  besagte  Schrift- 
steller hätten  die  genannten  Refraktionen  nicht  in  Betracht  gezogen, 
so  mufs  er  zugeben,  dafs  sie  alle  diejenigen  Gröfsen,  welche  nur  bei 
Berücksichtigung  der  Refraktion  sich  genau  ermitteln  lassen,  falsch 
bestimmt  haben  müssen.  Dahin  gehört  aber  auch  die  Ermittlung 
der  Polhöhen,  welche  in  der  Regel  durch  Aufnahme  der  beiden  Kul- 
minationshöhen eines  nicht  untergehenden  Sternes  bestimmt  werden; 
diese  Höhen  werden  durch  die  Strahlenbrechung  genau  in  derselben 
Weise  abgeändert,  wie  die  des  neuen  Sternes,  sodafs  die  auf  diese 
Weise  ausgeführte  Bestimmung  der  Polhöhe  ebenfalls  fehlerhaft  aus- 
fällt und  zwar  an  demselben  Fehler  leiden  wird,  welchen  der  Verfasser 
au  der  Bestimm img  der  Sternhöhen  rügt:  sie  werden  beide  mit  dem 
gleichen  Fehler  höher  geschätzt,  als  sie  in  Wirklichkeit  sind.  Was 
nun  aber  die  vorliegende  Frage  angeht,  so  thut  hier  ein  derartiger 
Irrtum  nichts  zur  Sache.  Da  wir  nämlich  nur  den  Unterschied  zwischen 
den  beiden  Polabständen  des  neuen  Sternes  zu  wissen  brauchen  in  den 
beiden  Zeitpunkten  des  oberen  und  imteren  Meridiandurchgangs,  so 
werden  augenscheinlich  diese  beiden  Entfernungen  dieselben  sein,  ob 
nun  Pol-  und  Sternhöhe  durch  die  Refraktion  mit  einem  Fehler  be- 
haftet sein  mögen,  oder  ob  beide  um  den  Betrag  der  Refraktion  korri- 
giert sind.  Das  Argument  des  Verfassers  wäre  nur  dami  einigermafsen 
von  Belang,  wiewohl  in  sehr  geringem  Mafse,  wenn  er  uns  versichert 
hätte,  dafs  die  Polhöhe  genau  und  um  den  Betrag  der  Refraktion 
korrigiert  angegeben  wäre,  während  bei  Angabe  der  Höhen  des  neuen 
Sternes  die  Astronomen  vor  dem  gleichen  Fehler  sich  nicht  gehütet 
hätten.  Er  hat  uns  das  aber  nicht  versichert  und  konnte  es  wahr- 
scheinlich nicht  thun  und  am  allerwahrscheinlichsten  ist  diese  Vorsicht 
von  den  Beobachtern  aufser  Acht  gelassen  worden. 

Sagr.  Ich  halte  diesen  Einwand  für  mehr  als  zur  Genüge  Avider- 
legt.  Sagt  mir  deswegen,  wie  er  sich  mit  der  Thatsache  abfindet,  dafs 
der  neue  Stem  stets  seine  Entfernimg  von  den  benachbarten  Fixsternen 
beibehielt. 

Salv.  Es  sind  zwei  noch  dünnere  Fäden,  an  die  er  sich  hier 
klammert.  Einmal  hält  er  sich  auch  hier  wieder  an  die  Refraktion, 
aber  mit  noch  viel  weniger  Grund:  er  sagi  nämlich  nur,  die  Refrak- 
tion, weil  sie  die   wahre  Lage   des  neuen  Sternes  verändere  und  zwar 


[346.  347.]  Dritter  Tag.  331 

höher  erscheinen  lasse,  bewirke,  dafs  die  Entfernungen  de.sselbeu  von 
den  benachbarten  Fixsternen  anders  erschienen,  als  sie  in  WirkKch- 
keit  seien  und  daher  sich  nicht  sicher  feststellen  liefseu.  Ich  kann 
mich  nicht  genug  über  dies  sein  Gebahren  wundern;  er  thut,  als  be- 
merke er  nicht,  dafs  die  nämliche  Refraktion  in  derselben  Weise  auf 
den  neuen  Stern  wie  auf  seinen  alten  Nachbarn  wirkt,  dafs  sie  beide 
um  den  gleichen  Betrag  höher  erscheinen  läfst  und  demnach  an  dem 
Intervalle  zwischen  beiden  nichts  ändert.  —  Die  andere  Ausflucht  ist 
noch  unglücklicher  und  streift  stark  ans  Lächerliche.  Sie  gründet 
sich  auf  einen  Irrtum,  der  angebHch  bei  dem  Gebrauche  des  Instru- 
ments entstehen  kann.^*')  Da  nämlich  der  Beobachter  nicht  imstande 
ist  den  Mittelpunkt  der  Pupille  des  Auges  in  deu  Mittelpunkt  de.s 
Sextanten  zu  bringen  —  dieses  Instrumentes  bedient  man  sich  näm- 
lich, um  die  Entfernung  zweier  Sterne  zu  bestimmen  —  sondern  da 
er  gezwimgeu  ist,  das  Auge  oberhalb  jenes  Mittelpunkts  zu  halten  und 
zwar  um  die  Entfernung  der  Pupille  von  einem  gewissen  Backen- 
knochen, an  welchen  der  Kopf  des  Instrumentes  angelegt  wird,  so  ist 
der  Winkel,  dessen  Scheitel  am  Auge  liegt,  spitzer  als  der  von  den 
Seiten  des  Sextanten  gebildete.  Der  Winkel  der  beiden  Gesichtslinien 
ist  auch  dann  nicht  immer  derselbe,  wenn  man  zuerst  zwei  nur  wenig 
über  dem  Horizont  stehende  Sterne  betrachtet  und  später  diese  näm- 
lichen Sterne  in  gröfserer  Höhe.  Der  Winkel  ändere  sich,  meint  er, 
wenn  man  das  Instrument  hebe  und  dabei  den  Kopf  festhalte-,  sobald 
man  hingegen  beim  Heben  des  Sextanten  den  Hals  rückwärts  biege 
und  den  Kopf  zugleich  mit  dem  lustrument  bewege,  werde  der  Winkel 
dieselbe  Gröfse  beibehalten.  Der  Einwand  des  Verfassers  beruht  also 
auf  der  Annahme,  dafs  die  Beobachter  beim  Gebrauch  des  Instrumentes 
den  Kopf  unrichtig  bewegt  haben,  was  nicht  sehr  Avahrscheinlich  ist. 
Aber  angenommen  auch,  dem  wäre  so  gewesen,  so  stelle  ich  Euerem 
Urteile  anheim,  wie  grofs  der  Unterschied  der  Winkel  an  den  Spitzen 
zweier  gleichschenkligen  Dreiecke  ist,  wenn  die  beiden  Schenkel  des 
einen  4  Ellen  lang  sind  und  die  des  anderen  4  Ellen  weniger  dem 
Durchmesser  eines  Linseukornes;  denn  gröfser  kann  unmöglich  der 
Unterschied  zwischen  den  beiden  Gesichtslinien  sein,  wenn  die  Linie 
zuerst  senkrecht  vom  Pupilleumittelpunkt  auf  die  Ebene  der  Sextanten- 
schenkel gefallt  ist  —  die  Länge  dieser  Linie  ist  höchstens  von  Daumen- 
dicke —  und  zwischen  der  Länge  derselben  Gesichtslinien,  wenn  jene 
Linie  durch  das  Heben  des  Sextanten  ohne  gleichzeitiges  Heben  des 
Kopfes  nicht  mehr  senkrecht  auf  dieser  Ebene  steht,  sondern  nach 
dem  Umfange  zu  in  einem  spitzen  Winkel  zu  ihr  geneigt  ist.  Um 
indessen  ein  für  allemal  dem  Verfasser  diese  verunglückten,  armseligen 


332  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [347.  348.] 

Ausflüclite  abzuschneiden,  mag  er  erfahren  —  denn  offenbar  hat  er 
nicht  viel  Übung  im  Gebrauch  der  astronomischen  Instrumente  — 
dafs  an  den  Schenkehi  des  Sextanten  oder  Quadranten  zwei  Visier- 
öffnungen angebracht  sind,  eine  im  Centrum,  die  andere  an  dem  ent- 
gegengesetzten Ende,  welche  einen  Zoll  und  mehr  über  die  Schenkel- 
ebene hervorstehen.  Durch  die  oberen  Enden  dieser  Visieröffnungen 
geht  nun  die  Gesichtslinie  hindurch  und  man  hält  das  Auge  ein  bis 
zwei  Spannen  und  darüber  vom  Instrumente  entfernt.  Weder  Pupille, 
noch  Backenknochen,  noch  sonst  ein  Körperteil  berührt  das  Instru- 
ment oder  stützt  sich  darauf.  Auch  hält  oder  hebt  man  dasselbe 
nicht  mit  dem  Arme,  namentlich  wenn  es  eines  von  den  üblichen 
grofsen  Instrumenten  ist,  welche  zehn,  hundert,  ja  tausende  von  Pfunden 
wiegen  und  auf  einem  höchst  soliden  Untergestelle  ruhen.  So  fällt 
demnach  der  ganze  Einwand  in  nichts  zusammen.  Dies  sind  die  Aus- 
reden des  Verfassers.  Wären  sie  selbst  unwiderleglich,  so  würden 
sie  ihm  noch  nicht  den  hundertsten  Teil  einer  Minute  einbringen,  und 
doch  glaubt  er  uns  einreden  zu  können,  dafs  er  damit  jene  Differenz 
von  mehr  als  100  Minuten  auszugleichen  imstande  sei.  Es  hat  sich 
nämlich  keine  merkliche  Verschiedenheit  in  den  Abständen  des  neuen 
Sternes  von  irgend  einem  Fixsterne  während  ihres  ganzen  täglichen 
Umlaufes  nachweisen  lassen;  hätte  jener  aber  etwa  in  Mondweite  ge- 
standen, so  hätte  auch  das  unbeAvaffnete  Auge  deutlich  eine  solche 
wahrgenommen,  namentlich  im  Vergleich  zu  dem  nur  1^  Grad  ent- 
fernten 11*^"  Sterne  der  Kassiopeja.  Der  Abstand  von  diesem  hätte 
sich  um  mehr  als  zwei  Mondbreiten  ändern  müssen,  wie  die  intelli- 
genteren Astronomen  jener  Zeit  sehr  wohl  bemerkten. 

Sagr.  Ich  meine  einen  unglücklichen  Landmami  zu  sehen,  dessen 
erhoff'te  Ernte  vom  Unwetter  zu  Boden  geworfen  und  zerstört  ist: 
betrübten  Antlitzes  und  niedergeschlagen  scharrt  er  die  kärglichen 
Überbleibsel  zusammen,  von  denen  er  keinem  Floh  nur  einen  Tag  lang 
seinen  Hunger  stillen  könnte. 

Salv.  Wahrlich,  der  Verfasser  ist  mit  zu  schwacher  Rüstung 
gegen  die  Feinde  ausgezogen,  welche  die  Unveränderlichkeit  des  Himmels 
bekämpfen;  die  Ketten,  mit  denen  er  versucht  hat,  den  neuen  Stern 
der  Kassiopeja  aus  den  entferntesten  Himmelsräumen  in  tiefere  ele- 
mentare Regionen  herabzuziehen,  sind  gerissen.  Da  nun  meines  Be- 
dünkens  klar  genug  der  gewaltige  Unterschied  zwischen  der  Stich- 
haltigkeit der  Argumente  bei  den  Astronomen  und  bei  ihrem  Gegner 
nachgewiesen  worden  ist,  wird  es  gut  sein  diesen  Gegenstand  fallen 
zu  lassen  und  uns  zu  unserem  Hauptgegenstande  zu  wenden.  Wir 
haben  uns   an   die  Betrachtung  der  jährlichen  Bewegung  zu  macheu, 


[348.  349.]  Dritter  Tag.  333 

welche  gewöhnlich  der  Sonne  beigelegt  wird^  welche  aber  zuerst  von 
Aristarch  aus  Samos,  später  von  Koperuikus  der  Sonne  abgesprochen 
und  der  Erde  zuerkannt  worden  ist.  Ich  sehe  Signore  Simplicio  gegen 
diese  Lehre  wohlgerüstet  in  die  Schranken  •  treten^  vor  allem  mit  dem 
Schwert  und  Schilde  des  „Thesen1)üchleins"  oder  der  „mathematischen 
Untersuchungen".  Es  wird  zweckmäfsigerweise  mit  den  Gegengründen 
dieses  Büchleins  zu  beginnen  sein. 

Simpl.  Ich  möchte,  wenn  es  Euch  recht  ist,  diese  bis  zuletzt 
aufsparen,  wie  sie  ja  auch  zuletzt  entdeckt  worden  sind. 

Salv.  Dann  müfst  Ihr  also,  der  bisher  eingehaltenen  Ordnung 
entsprechend,  der  Reihe  nach  sowohl  die  Gegengründe  des  Aristoteles 
als  die  der  anderen  alten  Schriftsteller  vorbringen.  Ich  will  das  Näm- 
liche thun,  damit  nichts  zurückbleibt,  das  nicht  aufmerksam  erwogen 
und  geprüft  worden  wäre.  Ebenso  wird  Signore  Sagredo  mit  der  ihm 
eigenen  Lebhaftigkeit  des  Geistes  seine  Gedanken  vorbringen,  wie  sie 
ihm  im  Laufe  des  Gesprächs  wachgerufen  werden. 

Sagr.  Ich  werde  es  mit  meinem  gewöhnlichen  Freimute  thun; 
da  Ihr  selbst  so  befehlt,  werdet  Ihr  ihn    auch  entschuldigen  müssen. 

Salv.  Wir  werden  Euch  für  Euere  Gunst  zu  danken  und  nicht 
Euch  zu  entschuldigen  haben.  Doch  begimit  nun,  Signore  Simplicio, 
die  Bedenken  aufzuzählen,  die  Euch  daran  hindern  zu  glauben,  dafs 
die  Erde  in  derselben  Weise  wie  die  anderen  Planeten  sich  um  einen 
feststehenden  Mittelpunkt  drehen  kann. 

Simpl,  Die  erste  und  gröfste  Schwierigkeit  ist  der  unverträg- 
liche Widerspruch,  der  zwischen  einer  centralen  und  einer  nicht  cen- 
tralen Stellimg  besteht.  Wenn  nämlich  die  Erde  sich  im  Laufe  eines 
Jahres  längs  der  Peripherie  eines  Kreises,  nämlich  unter  dem  Tier- 
kreise hin,  bewegt,  so  kann  sie  sich  unmöglich  im  Mittelpimkte  des 
Tierkreises  befinden.  Dafs  die  Erde  aber  in  besagtem  Mittelpunkte  steht, 
ist  auf  vielfache  Weise  von  Aristoteles,  Ptolemäus  und  anderen  bewiesen. 

Salv.  Ihr  schliefst  ganz  richtig-,  unzweifelhaft  mufs  man,  um  der 
Erde  eine  Bewegung  längs  der  Peripherie  eines  Ej*eises  beilegen  zu 
dürfen,  erst  beweisen,  dafs  sie  nicht  im  Centrum  dieses  Kreises  stehe. 
Demnach  haben  Avir  nun  zu  prüfen,  ob  die  Erde  in  jenem  Mittelpunkte 
sich  befinde  oder  nicht;  ich  behaupte,  dafs  sie  sich  um  diesen  dreht, 
Ihr,  dafs  sie  in  ihm  feststehe.  Vorher  aber  müssen  wir  uns  darüber 
klar  werden,  ob  Ihr  unter  öfters  genanntem  Mittelpunkte  das  Nämliche 
versteht  wie  ich,  oder  nicht.  Darum  sagt  mir,  wie  beschaffen  und  wo 
befindlich  der  von  Euch  gemeinte  Mittelpunkt  ist. 

Simpl.  Ich  verstehe  unter  Mittelpunkt  den  Mittelpunkt  des  Uni- 
versums, der  Welt,  der  Fixsternsphäre,  des  Himmels. 


334  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [349.  350.] 

Salv.      Ich    könnte    mit    gutem   Grunde   hier  die   Streitfrage   auf- 
werfen, ob  ein  solcher  Mittelpunkt  in  der  Natur  überhaupt  vorhanden 
ist-,  denn  weder  Ihr  noch  sonst  jemand  hat  je  bewiesen,  dafs  die  Welt 
endlich  und  von  bestimmter  Gestalt  sei  und  nicht  etwa  unendlich  und 
Die  Frage,  ob  uubegreuzt.  ^^)     Ich  gestchc  Euch  jedoch  vorläufig  zu,  dafs  sie  endlich 
oder  uuendiich  uud    vou    einer   Kugclfläche   begrenzt    sei,    und   dafs   sie   mithin   einen 
voi  niemand  Mittelpunkt  besitzc;  wir  werden  dann  zu  prüfen  haben,   ob  es  wahr- 
*"' ^'''den^°'^"%cheinlicher  sei,  dafs  die  Erde  und  nicht  vielmehr  ein  anderer  Körper 
sich  in  diesem  Mittelpunkte  befinde. 

Simpl.  Dafs  die  Welt  endlich,  begrenzt  und  kugelförmig  sei,  be- 
weist Aristoteles  hundertfach. 

Salv.     Alle    diese  Beweise    aber    sind   im    Grunde    nur    einer    und 
dieser  eine  keiner;  denn  wenn  ich  ihm  seine  Grundannahme  in  Abrede 
Die  aristoteii-  stellc,  uämlich  die  Bewegung  des  Universums,    so   werden  alle   seine 
für  d^El^diich- Beweise  hinfällig,   da  die  Endlichkeit  und  Begrenztheit  des  Weltalls 
aiis  sind  3ämt-  uur  auf  Gruud  dieser  seiner  Bewegung  dargethan  wird.     Um  aber  die 
sobaid"man"'  Zahl  der  streitigen  Fragen  nicht  zu  vermehren,  so  sei  einstweilen  die 
guug7n  AbredeEndlichkeit    und    Kugelgestalt,    und    somit    das    Vorhandensein    eines 
Mittelpunktes  zugegeben.    Da  nun  diese  Gestalt  mid  die  Existenz  eines 
Centrums   aus   der  Beweglichkeit   geschlossen   worden  ist,   so  wird  es 
nur  gerechtfertigt  sein,  eben  diese  Kreisbewegungen  der  Weltkörper 
zum  Ausgangspunkt  für  die  besondere  Untersuchung  über  die  eigent- 
liche Lage  jenes  Mittelpunktes  zu  machen.    Hat  doch  Aristoteles  selbst 
Aristoteles    auf  dieselbe  Weise  seine  Erwägungen  mid  Ermittelungen  vorgenommen: 
gen'^Punkt''zuL  er  machtc  nämlich  zum  Centrum   des  Weltalls  eben  jenen  Punkt,  um 
Weltalls,  um  wclchcn    alle    Himmelssphären    kreisen    und    in    welchem    seiner    An- 
^"^  Himmels-''  "sicht  uach  dcr  Erdball  steht.     Nun  sagt  mir,  Signore  Simplicio:  wenn 
spiaren   re  '^'^^j,jg^Q^g][gg   durch   die   augenschcinlichsten  Erfahrungen    sich    genötigt 
Es  wird  die  sähc    zum  Teil   diesen  Bau,   diese  Ordnung  des   Weltalls   abzuändern 
werfen,  ^efche  und  zuzugcbcu,  cr  habe  sich  in  einer  seiner  beiden  Behauptungen  ge- 
^L^hrT'^wid^er-^'^täuscht,    wclchcs   Zugestäuduis   würde   er   lieber   machen?    dafs  er  sich 
^''haupumgen ''täuschte,  indem  er  die  Erde   in  den  Mittelpunkt   versetzte  oder  indem 
geben Vürde,  cr  die  Himmclssphärcn  um  besagten  Mittelpunkt  sich  drehen  liefs? 
genötigt  sähe  Simpl.     Ich   glaubc,   wenn   dieser   Fall   einträte,  würden  die  Peri- 

eine  der  beiden        ,     i -i 
anzuerkennen.  patCtlKCr    .    .    . 

Salv.  Ich  frage  nicht,  was  die  Peripatetiker,  ich  frage,  was  Aristo- 
teles thun  würde;  denn  was  jene  betrifft,  so  weifs  ich  sehr  wohl,  was 
sie  antworten  würden.  Sie  würden  als  ehrfurchtsvolle  und  demütige 
Lakaien  des  Aristoteles  alle  Versuche  und  Beobachtungen  der  Welt 
abläugnen,  ja  sich  weigern  dieselben  mit  anzusehen,  um  nicht  ihre 
Richtigkeit  bestätigen  zu  müssen.^-)     Sie  würden  sagen,  die  Welt  sei, 


[350.  .351.]  Dritter  Tag.  335 

wie  Aristoteles  geschriebeu  hat  vmd  nicht  wie  die  Natur  es  will; 
denn  wäre  ihnen  die  Stütze  dieser  Autorität  entzogen,  womit  sollten 
sie  auch  zu  Felde  ziehen?  Deswegen  sagt  mir  nur,  was  Eueres  Be- 
dünkens  Aristoteles  selbst  thun  würde. 

Simpl.  Wahrlich,  ich  wüfste  mich  nicht  zu  entscheiden,  welches 
von  beiden  Übeln  Aristoteles  für  das  geringere  halten  würde. 

Salv.  Ich  bitte  Euch,  nennt  nicht  das  ein  Übel,  was  sich  als 
Notwendigkeit  herausstellen  dürfte;  vom  Übel  war  es,  die  Erde  zum 
Mittelpunkt  der  Drehungen  der  Himmelskörper  zu  machen.  Doch  da 
Ihr  nicht  wifst,  nach  welcher  Seite  er  sich  neigen  würde,  und  da  ich 
ihn  für  einen  Mann  von  gewaltigem  Geiste  halte,  so  wollen  wir  prüfen, 
welche  Wahl  die  vernünftigste  ist  und  diese  dann  als  die  von  Aristo- 
teles bevorzugte  ansehen.  Nehmen  wir  also  unsere  Betrachtungen  wieder 
von  vorne  auf  und  setzen  dem  i^ristoteles  zu  liebe  voraus,  dafs  die 
Welt,  von  deren  Gröfse  wir  über  die  Fixsterne  hinaus  keine  sinnliche 
Kenntnis  besitzen,  Kugelgestalt  habe,  sich  im  Kreise  bewege  und  daher 
notwendig  um  ihrer  Gestalt  und  ihrer  Bewegung  willen  einen  Mittel- 
punkt besitze.  Da  wir  überdies  mit  Sicherheit  wissen,  dafs  innerhalb 
der  Sternensphäre  viele  andere  Sphären,  eine  innerhalb  der  anderen, 
nebst  den  zugehörigen  gleichfalls  kreisförmig  bewegten  Sternen  ent- 
halten sind,  so  fragt  es  sich,  welche  Meinung  vernünftiger  sei:  soll 
man  annehmen,  dafs  diese  inneren  Sphären  sich  gleichfalls  um  den 
Weltmittelpunkt  drehen  oder  um  einen  anderen  weit  davon  entfernten 
Mittelpunkt?  Sagt  mir,  wie  Ihr  über  diesen  Punkt  denkt,  Signore 
Simplicio. 

Simpl.      Wenn    wir    bei    dieser    einen    Annahme    stehen   bleiben  ^^  j^^  ^ 
könnten  in  der   Gewifsheit  auf  keinerlei  Widerspruch  zu  stofsen,   so  ™chiie°sendM 
würde   ich  es  für   viel  vernünftiger   erachten,  die  umschliefsendeu  und^gg^gV"^^^J'J°^^g^; 
umschlossenen  Teile   alle   um    denselben  Mittelpunkt   sich   bewegen  zu^^^^^^^'^'^j.g^g^^^^^^^ 
lassen  als  um  verschiedene.  verTchiedeno"" 

Salv.     Wenn  nun  wirklich  der  Weltmittelpunkt  identisch  mit  demwunuderMittei- 
Mittelpunkt  sein  soll,  um  welchen  die  Weltkörper,  nämlich  die  Plane- ^"ientiBch  mit 
ten,  kreisen,  so  ist  es  ausgemacht,  dafs  nicht    die  Erde,  sondern  viel-  tenbewegiu^^geii 
mehr  die  Sonne  im  Mittelpunkte  der  Welt  steht.     Dieser  ersten,  ein- ih,;/die  sonnr 
fachen  und  allgemeinen  Überlegung  zufolge  gebührt  also  der  Sonne  die  ""  Erde* 
Stellung  in  der  Mitte,  die  Erde  aber  ist   soweit  von  ihm  entfernt,  als 
sie  von  der  Sonne  entfernt  ist. 

Simpl.  Woraus  schliefst  Ihr  aber,  dafs  nicht  die  Erde,  sondern 
die  Sonne  das  Centrum  der  Planetendrehungen  ist? 

Salv.  Es  ergiebt  sich  dies  aus  ganz  augenscheinlichen  und  darum 
durchaus   beweisenden  Beobachtungen.     Die,  welche  am  handgreiflich- 


336  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [351.   352.] 

sten  dartliut,  dafs  die  Erde  jenem  Mittelpunkte  entrückt  ist,  die  Sonne 

aber   in    demselben    steht,    ist  die   Tbatsache,   dafs   sieb   alle   Planeten 

bald  näher,  bald  weiter  entfernt  von  der  Erde  befinden  und  zwar  sind 

BeobacbtuDgeu,  die   Unterschiede   sehr   bedeutend.      Venus   z.   B.   ist  in   ihrer   gröfsten 

schiiefseniassen.Feme  sechsmal  so  weit  von  ims  entfernt,  als  wenn  sie  in  nächste  Nähe 

und  nicht  die  rückt;   Mars   steht   in   dem   einen   Falle    achtmal   so   hoch   als   in    dem 

punkt  der  Him-anderen.   Ihr  seht  gleichzeitig,  wie  Aristoteles  sich  ein  bifschen  täuschte, 

stehe.       wenn  er  ihre  Entfernung  von  uns  stets  für  gleich  hielt. 

Simpl.  Welche  Anzeichen  sprechen  aber  dafür,  dafs  die  Be- 
wegungen   der  Planeten  um  die   Sonne  stattfinden? 

Salv.     Bei   den  drei  oberen  Planeten   Mars,  Jupiter  und   Saturn 
geht  dies  daraus  hervor,  dafs  sie  immer  in  gröfster  Erdnähe  sich  be- 
finden, wenn  sie  in  Opposition  mit   der  Sonne   sind,  und  in  gröfster 
Erdferne,  wenn  sie   mit  ihr  in  Konjunktion  sind.     Diese  Annäherung 
und  Entfernung   ist  dermafsen  bedeutend,   dafs   Mars   in  Erdnähe   an 
Die  Phasenände-sechszigmal  gröfscr  erscheint  als  in  Erdferne.    Bei  Venus  und  Merkur 
beweist  ihre  Be-crgiebt  sich  die  Drehung  um   die  Sonne  daraus,  dafs  sie  sich  niemals 
^"^^Tonne"   ^^wcit  von  dicscr  entfernen  und  dafs  sie  bald  vor,  bald  hinter  ihr  stehen, 
wie  aus  der  Phasenänderung  der  Venus  mit  Notwendigkeit  hervorgeht. 
Der  Mond  läfst  Was    den  Mond    betrifi't,    so    steht    aus    den    weiterhin   näher   zu   ent- 
'^der^Erde^'^'^  wickelnden  Grründen  allerdings  fest,  dafs  er  sich  in  keiner  Weise  von 
der  Erde  trennen  läfst. 

Sagr.  Ich  bin  darauf  gefafst,  dafs  die  mit  der  jährlichen  Be- 
wegimg der  Erde  zusammenhängenden  Dinge  noch  merkwürdiger  sind 
als  die  mit  der  täglichen  Umdrehung  zusammenhängenden. 

Salv.     Darin  täuscht  Ihr  Euch  nicht;   denn  infolge  der  täglichen 
Bewegung  machte  sich  an  den  Himmelskörpern  keine  andere  Erschei- 
nung bemerkbar  und  konnte  sich  keine  andere  bemerkbar  machen,  als 
Die  jährliche  dafs  das  Weltall   scheinbar  mit  ungeheuerer   Geschwindigkeit   sich  in 
Erde  ^'^'verehi  entgegengesetzter  Richtung  bewegte.     Diese  jährliche  Bewegung  hin- 
guDgenderande-gegen  bringt   im  Verein  mit   den   besonderen   Bewegungen  sämtlicher 
bringt  sonder-  Planeten    eine    ganze    Menge    sonderbarer    Erscheinungen   hervor,    an 
nimgen  hervor,  denen  bis  jctzt  der  Scharfsinn   der  bedeutendsten  Männer  aller  Zeiten 
noch  immer  gescheitert  ist.     Ich  kehre  jedoch  zu  unseren  ersten  all- 
gemeinen Erwägungen    zurück   und   wiederhole,    dafs   der   Mittelpunkt 
der  am  Himmel  beschriebeneu  Bahnen   bei   den  fünf  Planeten  Saturn, 
Jupiter,  Mars,  Venus  und  Merkur  die  Sonne  ist;   desgleichen  wird  sie 
sich  als  Mittelpunkt  der  Erdbewegung  erweisen,  wenn  es  gelingt  auch 
die  Erde   an  den  Himmel  zu  verlegen.      Was   endlich  den  Mond   be- 
trifft, so  bewegt  sich  dieser  in  einem  Kreis  um  die  Erde,  von  welcher 
er  sich,   wie   gesagt,  in  keiner  Weise  trennen  läfst;   darum  dreht  er 


[352.  353.]  Dritter  Tag.  337 

sich  aber  nicht   minder   um   die   Sonne,   indem   er   die  Erde    bei  ihrer 
jährlichen  Bewegung  begleitet. 

Simpl.  Mir  ist  dieser  Bau  noch  nicht  recht  verständlich;  viel- 
leicht macht  eine  kleine  Zeichnung  die  Sache  klarer,  sodafs  man  sich 
leichter  darüber  auseinandersetzen  kann. 

Salv.  So  sei  es;  ja  zu  Euerer  um  so  gröfseren  Genugthnung  und 
Verwunderung  möchte  ich,  dafs  Ihr  selbst  diesen  Bau  zeichnet  und 
sehet,  wie  gut  Ihr  ihn  versteht,  wiewohl  Ihr  glaubt,  Ihr  verstündet 
ihn  nicht.  Ihr  sollt  den  Entwurf  Punkt  für  Punkt  blofs  an  der  Hand 
der  Antworten  auf  meine  Fragen  anfertigen.  Nehmt  also  ein  Blatt 
und  einen  Zirkel.  Dieses  weifse  Papier  sei  die  unermefsliche  Aus- 
dehnung des  Weltalls,  innerhalb  deren  Ihr  seine  Teile  anordnen  und 
zu  einander  stellen  mögt,  wie  die  Vernunft  es  Euch  vorschreiben  wird.  Entwurf  des 
Zunächst,  da  Ihr  ohne  meine  besondere  Belehrung  die  Erde  für  in  Grund  der  Er- 
diesem  Weltall  befindlich  haltet,  nehmt  nach  Euerem  Gutdünken  einen 
Punkt  an,  um  den  herum  Ihr  sie  Euch  gelegen  denkt  und  bezeichnet 
diesen  mit  irgend  einem  Buchstaben. 

Simpl.     Hier  der  Punkt  Ä  sei  der  Ort  des  Erdballs. 

Salv.  Sehr  wohl.  Zweitens  ist  Euch,  wie  ich  weifs,  sehr  wohl 
bekannt,  dafs  die  Erde  nicht  innerhalb  des  Sonnenkörpers  sich  befindet, 
auch  diesen  nicht  berührt,  sondern  durch  einen  gewissen  Zwischen- 
raum davon  getrennt  ist.  Gebt  also  der  Sonne  nach  Euerem  Gut- 
dünken irgendwelchen  anderen  Platz  und  bezeichnet  auch  diesen. 

Simpl.     Ist  geschehen;  der  Ort  des  Sonnenkörpers  sei  .0. 

Salv.  Nach  Festlegung  dieser  beiden  Weltkörper  wollen  wir  uns 
überlegen,  wie  der  Ball  der  Venus  unterzubringen  ist,  sodafs  ihre 
Stellung  und  Bahn  sich  mit  dem  in  Übereinstimmung  bringen  läfst, 
was  die  sinnlichen  Erscheinungen  uns  lehren.  Ruft  Euch  also  ins 
Gedächtnis  zurück,  welche  auf  diesen  Stern  bezügliche  Vorgänge  Euch 
bekannt  sind,  sei  es  aus  unseren  bisherigen  Gesprächen,  sei  es  aus 
eigenen  Beobachtungen,  und  weist  ihm  sodann  die  Stellung  an,  die 
Euch  für  ihn  passend  erscheint. 

Simpl.    Angenommen,  dals  die  von  Euch  erwähnten  Erscheinungen 
thatsächlich  richtig  sind,  die   ich  übrigens  auch  in  dem  „Thesenbüch- 
lein" angeführt  gesehen  habe,    so   entfernt  sich  genannter  Stern  von 
der  Sonne  niemals  weiter  als  um  etliche  40  Grade,  kaim  also  niemals     venus  am 
mit  ihr  in  Opposition,   auch   nicht  in  Quadratur,  ja  nicht   einmal   im   <«»  zeit  der" 
Sexterschein ^^)   sich   befinden;   weiter   zeigt   sich   Venus   zu   einer  Zeit ki.nnsteu  gegen 
40mal   gr()fser   als   zu  anderer,  am   gröfsten    nämlich,    wenn   sie   rück- morgendlichen 
läufig  in  die  abendliche  Konjmiktion    mit   der  Somie  sich  begiebt,  am 
kleinsten,    wenn    sie    reelitläiitig    inimiitclhar    vor    der    morgendlichen 

Galilei,  Weltsysteme.  22 


338 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[353] 


Konjunktion  steht.  Wenn  es  ferner  richtig  ist,  dafs  sie  zur  Zeit,  wo 
sie  am  gröfsten  erscheint,  sichelförmig  aussieht,  zur  Zeit  hingegen, 
wo  sie  am  kleinsten  erscheint,  vollkommen  rund  ist,  wenn  alle  diese 
Thatsachen  richtig  sind,  sage  ich,  so  kann  man  nicht  umhin  zu  be- 
haupten, dafs  genannter  Stern  sich  in  einem  Kreise  um  die  Sonne  be- 
wegt.    Denn   besagter  Kreis  kami   unmöglich   die  Erde   umfassen   und 


Zwingender  Be-in  sich  schliefscu,  noch   auch  imterhalb   der  Somie,   d.  h.  zwischen  ihr 

weis  dafür,  dafs  iiiiii-< 

Venus  sich  um  nnd    dcr   Erde,   noch   auch    oberhalb    der   Sonne   liegen:    er    kann   die 

die  Sone  dreht  .  .  _  i  •  -i  •         /~v 

Erde  nicht  umfassen,  weil  sonst  Venus  bisweilen  m  Opposition  zur 
Sonne  käme;  er  kann  nicht  imterhalb  der  Sonne  gelegen  sein,  weil 
sonst  bei  beiden  Konjunktionen  Venus  sichelförmig  erscheinen  müfste; 
er  kann  endlich   nicht   oberhalb   der  Sonne   gelegen  sein,  sonst  würde 


[353.  354.]  Diitter  Tag.  339 

sie  stet.s  rund  und  niemals  gehörnt  erscheinen.  Ich  werde  demnach 
als  ihr  Bereich  den  Kreis  CH  um  die  Sonne  so  zeichnen,  dafs  er 
die  Erde  nicht  umfafst. 

Salv.  Nachdem  Venus  untergebracht  ist,  müfst  Ihr  an  Merkur 
denken.  Dieser  bleibt,  wie  Ihr  wifst,  stets  in  nächster  Nähe  bei  der 
»Sonne  und  entfernt  sich  von  ihr  noch  weniger  als  Venus.  Überlegt 
also,  welcher  Ort  ihm  zuzuweisen  ist. 

Simpl.    Unzweifelhaft  ist  für  ihn,  der  dasselbe  Verhalten  wie  Venus  Beweis  dafür, 

-r»  •         1  1     •  T^       •  T         ci  dafs  die  Drehimg 

zeigt,    der    angemessenste    Raum    ein    kleinerer    Kreis    um    die    Sonne  des  Merkur  um 
innerhalb    der    Bahn    der    Venus,    namentlich    da   seine   Nähe   bei    der  ^aib  der  Bahn 
Sonne  bewiesen  und  aufs  deutlichste  sichtbar  gemacht  wird  durch  die        folgt. 
Lebhaftigkeit  seines  Glanzes,  welcher  den  der  Venus  und  der  übrigen 
Planeten  an  Stärke  übertrifft.    Wir  können  auf  dieser  Grundlage  seinen 
Kreis  bestimmen  und  wollen  ihn  mit  den  Buchstaben  BG  bezeichnen. 

Salv.     Wo  werden  wir  ferner  Mars  unterbringen? 

Simpl.  Da  Mars  in  Opposition  zur  Somie  gelangt,  so  mufs  seine 
Bahn  notwendig  die  Erde  umschliefsen:  ich  sehe  indessen  ein,  dafs  sie  Mars  umfafst 

^  _  _  _         notwendig  mit 

auch   die  Sorme   umfassen   mufs:    denn   ginge   er   bei   der   Koniunktiou seiner  «ahn  so- 

^    .'^  -^  wohl  die  Erde 

mit  der  Sonne  nicht  hinter,  sondern  vor  ihr  vorüber,  so  würde  er  so  ais  die  sonne. 

gut  wie   die  Venus  und  der  Mond  sichelförmig  erscheinen  müssen;  da 

er  sich  aber  immer  rund  zeigt,  so  mufs  er  notwendig  rait  seiner  Bahn 

nicht  nur  die  Erde  sondern  auch  die  Sonne  umfassen.     Nun  erinnere 

ich   mich   daran,    dafs   Ihr   sagtet,    er    scheine    in   Opposition   mit   der  Mars  zeigt  sich 

'  .  .  ^       .  .  .  zur  Zeit  der 

Sonne  60mal  gröfser  zu  sein  als  zur  Zeit  der  Koniunktion:  diesen  Er-    Opposition 

.  .  ,  J  7  GOmal  so  grofs 

scheinungen  wird  meiner  Ansicht  nach  aufs  beste  Rechnung  getragen,  »is  zur  zeit  der 

f  .  .  .  .  ^  .         Konjunktion. 

wenn  wir  Mars  einen  Kreis  anweisen,  dessen  Centrum  die  Sonne  ist 
und  der  die  Erde  umschliefst.  Ich  zeichne  hiermit  einen  solchen  und 
nenne  ihn  DI-^  im  Punkte  D  steht  Mars  der  Erde  am  nächsten  und 
befindet  sich  in  Opposition  zur  Sonne;  weilt  er  hingegen  im  Punkte 
I,  so  ist  er  in  Konjunktion  mit  der  Sonne,  aber  in  gröfster  Ent- 
fernung von  der  Erde.  Da  mm  die  gleichen  Erscheinungen  bei  Jui>iter 
und  Saturn  eintreten,  wiewohl  die  Verschiedenheit  in  der  scheinbaren    Jupiter  und 

Saturn  um- 

Gröfse   von  Jupiter   geringer  ist   als   bei  Mars,  und  bei   Saturn  nochscbuefsengieich- 

.  .  ^  .  .  '  .  .  falls  Erde  und 

geringer  als  bei  Jupiter,  so  glaube  ich  einzusehen,  dafs  wir  am  schick-       sonue. 
liebsten  auch  diesen  Planeten  zwei  um  die  Sonne  laufende  Kreise  an- 
weisen, den  einen  hier  für  Jupiter  bezeichne  ich  mit  EL,  den  anderen 
höher  gelegenen  für  den  Saturn  nemie  ich  FM. 

Salv.    Ihr   habt   bis   jetzt  Euere  Sache  vortrefflich  gemacht.     Da^ie  Annüherung 

-,-,.-,  und  Entfernung 

nun,  wie   Ihr   seht,   die  Annäherung   und  Entiernung   der   drei   obereiifier  drei  oberen 

'  .  '  "  _         '^  Planeten  beträgt 

Planeten  sich  um  den  doppelten  Betrag  der  Entfernung  von  Erde  und-ias  Doppelte  der 

.  .  ^  .  S<inuenontfer- 

Sonne  ändert,  so  bewirkt  dies  eine  gröfsere  Verschiedenheit  bei  Mars        """g. 


340  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [354.  365] 

Unterschieii  derals  bei  Jupitei',  Weil  der  Kreis  DI  des  Mars  kleiner  ist  als  der  Kreis 
Gröfse  bei  Sa-  EL  des  Jupitsr.     Da  ebenso  der  Kreis  EL  kleiner  ist  als  der  Kreis 
als  bei  Jupiter  FM  dcs  Satum,   SO  ist  bei  diesem  eben  jene  Differenz  nocb  geringer 
geringer  als  bei  als  bei  Mars  uud  dies  stimmt  vollständig  mit  den  Erscbeinmigen.   Ihr 
'dafür.       habt   jetzt    nur    noch    zu    erwägen,    welcher    Platz    dem  Monde    anzu- 
weisen sei. 

Simpl.  Da  wir  —  um  dieselbe,  wie  ich  glaube,  völlig  ent- 
Die  Moudbaim  schcideudc   Methode    anzuwenden    —   den  Mond   bald  in  Konjmiktion 

umschliefst  die  -.,-..        ^^  .    .  <-. 

Krde,  aber  nichtbald  lu  üppositiou  zur  bonuc  scheu,  so  mufs  man  notwendig  sagen, 
dafs  seine  Kreisbahn  die  Erde  in  sich  fafst;  sie  kann  hingegen  nicht 
auch  um  die  Sonne  herumgehen,  sonst  würde  der  Mond  zur  Zeit  der 
Konjunktion  nicht  sichelförmig,  sondern  immer  rund  und  vollbeleuchtet 
aussehen;  überdies  köimte  er  nicht,  wie  es  häufig  geschieht,  Verfinste- 
rungen der  Soime  dadurch  bewirken,  dafs  er  zwischen  sie  und  uns 
tritt.  Man  mufs  ihm  also  eine  Kreisbahn  um  die  Erde  beilegen,  wie 
etwa  NP.  Steht  er  also  in  P,  so  erscheint  er  von  der  Erde  A  aus 
gesehen  in  Konjunktion  mit  der  Sonne  und  kann  sie  eben  dadurch 
bisweilen  verfinstern;  steht  er  hingegen  in  N,  so  erscheint  er  in  Oppo- 
sition zur  Sonne,  sodafs  dann  möglicherweise  der  Erdschatten  auf  ihn 
fällt  und  er  verdunkelt  wird. 

Salv.  Was  sollen  wir  nun  mit  den  Fixsternen  anfangen,  Signore 
Simplicio?  Sollen  wir  sie  uns  in  den  unermefslichen  Tiefen  des  Welt- 
alls zerstreut  denken,  in  verschiedenen  Entfernungen  von  jedem  be- 
beliebigen Punkte,  oder  verteilt  auf  der  Oberfläche  einer  um  irgend- 
welches Centrum  beschriebenen  Kugel,  derart  dafs  jeder  Fixstern  von 
diesem  selbigen  Centrum  gleich  weit  entfernt  ist? 

Simpl.  Ich  würde  lieber  einen  Mittelweg  einschlagen  und  ihnen 
wabrschein-  ciuc  Sphäre  auwciseu,  die  um  ein  bestimmtes  Centrum  beschrieben 
^Vix8te?ne. ^\md  innerhalb  zweier  Kugelflächen  enthalten  ist,  nämlich  zwischen 
Wie  mau  sich  einer  sehr  weit  entfernten  konkaven  und  einer  weniger  weit  entfernten 

die  Sphäre  des  _  _  _  ^  " 

Universums  vor-]£onvexen;    in    diese    Sphäre    möchte    ich    die    unzählbare    Menge    der 

zustellen  habe.  '  _ 

Sterne  versetzen,  aber  in  verschiedene  Höhen.  Man  könnte  dieselbe 
die  Sphäre  des  Universums  nennen,  insofern  sie  die  von  uns  vorhin 
gezeichneten  Planetensphären  in  sich  enthält. 

Salv.  Wir  haben  also  bis  jetzt,  Signore  Simplicio,  die  Welt- 
körper genau  nach  dem  System  des  Kopernikus  geordnet  und  zwar 
ist  dies  von  Euerer  eigenen  Hand  geschehen.  Weiter  habt  Ihr  ihnen 
allen  mit  Ausnahme  der  Sonne,  der  Erde  und  der  Fixsternsphäre 
Eigenbewegungen  zugeschrieben:  Merkur  und  Venus  habt  Ihr  so  um 
die  Sonne  kreisen  lassen,  dafs  sie  die  Erde  nicht  umfassen;  ebenfalls 
um   die  Sonne   lafst   Ihr   die   drei   oberen   Planeten   Mars,  Jupiter  und 


^■jl]  ^3 


[356.  356.]  Dritter  Tag.  341 

Satnru  sich  bewegen,  indem  Ihr  die  Erde  in  deren  Bahn  mit  hinein- 
zogt. Der  Mond  hingegen  kann  sich  nur  so  bewegen,  dafs  er  um  die 
Erde  herumgeht,  ohne  die  Sonne  zu  umfassen,  und  auch  betreffs  dieser 
Bewegmigen  befindet  Ihr  Euch  in  Übereinstimmung  mit  Kopemikus. 
Es  erübrigt  nur  noch,   eine  Entscheidung  zwischen   Sonne,  Erde  und  ?.'^  ,^"^^'  '^^^ 

~  '  O  7  jährliche  und 

Sternensphäre  über  drei  Punkte  zu  treffen:  die  Ruhe,  welche  scheinbar^'®  tägliche  bo- 

■■•  '  wegUDg  müssen 

der   Erde    zukommt,    die    iährliche    Bewegung    unter    dem    Tierkreise,  "°'^^  ^?°^?' 

'  J  O        O      ^  }  Erde  und  Fir- 

welche   scheinbar   der   Sonne    eigen    ist,   und    die   tägliche   Bewegims  ™"°*®"*7'"^'^'^' 

o  7  o  o       07          werden. 

welche    der   Sternensphäre    anzugehören  und   von    dieser    dem    ganzen 
übrigen  Weltall  mit  Ausnahme  der  Erde  mitgeteilt  zu  werden  scheint. 
Wenn   es  mm  wahr  ist,   dafs   die  Bahnen   der  Planeten,  nämlich   des  Bei  einer  be- 
Merkur,  der  Venus,   des   Mars,   des   Jupiter   und  des   Saturn  um  die  Sphäre  ist  es 
Sonne  als   Centrum  gehen,   so  ist   es   um  so   mehr  gerechtfertigt,  die    fertigt,  den 
Ruhe  der  Sonne  und  nicht  der  Erde  beizulegen,   insofern  es  richtiger  fest  zu  betrach- 
ist,  dem  Mittelpunkte   von  beweglichen  Sphären  Unbeweglichkeit   bei-weicheu  anderen 
zumessen  als  irgend  einem  anderen  von  diesem  Mittelpunkte  verschie- 
denen Orte.     Danach  kann   man   der  Erde,    welche    inmitten    beweg- 
licher Weltkörper,   der   Venus  nämlich  und   des  Mars,   sich  befindet, 
von  denen  Venus  ihren  Umlauf  in  neun  Monaten,  Mars  den  seinen  in 
zwei  Jahren  vollendet,  sehr  schicklich  eine  Bewegung  von  einjähriger 
Dauer  zuerkennen  und  die  Ruhe  der  Sonne  belassen.    Wenn  dem  so  ist, 
so  folgt  mit  Notwendigkeit,  dafs  auch  die  tägliche  Bewegung  der  ErdeGesteht  man  der 
zukommt;   denn  steht  die  Sonne  fest  und  die  Erde  drehte  sich  nichtucho  Bewegung 
um  sich  selber,   sondern  hätte   blofs   die  jährliche  Bewegung  um  die  ihr  auch  die 
Sonne,  so  Avürde  unser  Jahr  nur  aus  einem  Tag   und  einer  Nacht  be-       legen. 
stehen,  nämlich  einem   sechsmonatlichen  Tag   und    einer  sechsmonat- 
lichen Nacht,  wie   früher  bereits  erwähnt.     Ihr  seht  also,  wie  schön 
sich   dem    Universum    die    ungeheuer    rasche    24-stündige    Bewegmig 
nehmen  läfst,  und  wie  die  Fixsterne,  welche  ebenso  viele  Sonnen  sind, 
sich  gleich  unserer  Sonne  einer  ewigen  Ruhe  erfreuen.    Ihr  seht  über- 
dies, wie  leicht  sich  bei  dieser  ersten  Skizze  die  Gründe  für  die  grofs- 
artigen  Himmelserscheinungen  angeben  lassen. 

Sagr.  Ich  bemerke  das  allerdings.  Aber  wie  Ihr  diese  Einfach- 
heit als  einen  Wahrscheinlichkeitsgrund  von  bedeutendem  Gewichte 
zu  Gunsten  der  Wahrheit  dieses  Systems  betrachtet,  so  könnte  um- 
gekehrt ein  anderer  vielleicht  ganz  entgegengesetzte  Schlüsse  daraus 
ziehen.  Denn  es  wird  ihm  nicht  ohne  Grund  sonderbar  vorkommen, 
dafs  diese  uralte  pythagoreische  Anschauung,  welche  den  Erscheüumgen 
sich  so  vortreff'lich  anpalst,  im  Fortgang  der  Jahrtausende  so  wenige  An- 
hänger gefunden  hat,  von  Aristoteles  sell)st  sogar  verworfen  wird,  mid 
auch   nach  Köpern ikus   vom   gleichen  Schicksale  betroffen  worden  ist. 


342  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [35G— 358.] 

Salv.  Hättet  Ihr^  Signore  Sagredo,  uur  einmal  erlebt,  was  ich 
viele,  viele  Male  habe  durclimacben  müsseu,  hättet  Ihr  gehört,  wie 
das  albernste  Zeug  die  Leute  dermafsen  halsstarrig  und  unzugänglich 
machen  kann,  dafs  sie  diesen  neuen  Ansichten  kein  Gehör  schenken,, 
geschweige  deim  Beifall  spenden,  ich  glaube,  Ihr  würdet  Euch  dann 
nicht  so  sehr  wundern  über  die  geringe  Zahl  derer,  die  sich  zu  dieser 
Ansicht  bekennen.  AVir  brauchen  aber  meines  Erachtens  kein  Gewicht 
Die  kindischsteuzu  legen  auf  Geister,  die  den  Glauben  an  die  Festigkeit  der  Erde  an- 
um  die  Eiafai- nehmen  und  beibehalten,  weil  sie  als  vollgültigen  Beweis  dafür  die 
Eichrvom  stiiie-Thatsache  betrachten,  dafs  sie  heute  Mittag  nicht  in  Konstantinopel 
teibohaiten  zu  speisen,  ihr  Abendbrot  nicht  in  Japan  einnehmen  werden;  die  über- 
zeugt sind,  dafs  die  Erde  wegen  ihrer  grofsen  Schwere  sich  nicht 
hinauf  über  die  Sonne  und  dann  wieder  Hals  über  Kopf  in  die  Tiefe 
hinabstürzen  kaim.  Auf  diese,  deren  Zahl  Legion  ist,  braucht  man 
nicht  Rücksicht  zu  nehmen,  mau  braucht  nicht  Buch  zu  führen  über 
ihre  Albernheiten,  und  für  die  subtilsten  und  schwierigsten  Unter- 
suchungen Propaganda  zu  machen  bei  einer  Sorte  von  Leuten,  in  denen 
der  Begriff  des  Menschen  nur  der  Gattung,  nicht  der  specifischen 
Differenz  nach  sich  verwirklicht.^''^)  Was  wollte  man  auch  mit  allen 
Beweisen  der  Welt  gegen  die  Dummköpfe  ausrichten,  .die  nicht  aus 
eigener  Kraft  imstande  sind  ihre  überaus  grofsen  Verkehrtheiten  zu 
erkennen?  Meine  Verwunderung,  Signore  Sagredo,  wird  durch  ganz 
etwas  Anderes  wachgerufen:  Ihr  wundert  Euch,  dafs  die  pythagoreische 
Ansicht  so  wenige  Anhänger  gefunden  hat,  ich  staune,  dafs  überhaupt 
einer  oder  der  andere  sie  angenommen  und  ihr  angehangen  hat.  Ich 
kann  nicht  genug  die  Geisteshöhe  derer  bewundern,  die  sich  ihr  an- 
geschlossen und  sie  für  wahr  gehalten,  die  durch  die  Lebendigkeit 
Es  wird  gezeigt,ihres   Gcistcs   den   eigenen  Sinnen  Gewalt    angethan  derart,   dafs    sie, 

wie  unwahr-  . 

scheiniicb  die  was  die  Vcmunft  gebot,  über  den  offenbarsten   gegenteiligen  Sinnen- 

kopernikanisclie  o  /  .  . 

Lehre  sei.  schclu  ZU  stellen  Vermochten.  Dafs  die  von  uns  bereits  geprüften 
Argumente  gegen  die  tägliche  Rotation  der  Erde  ungemein  viel  Be- 
stechendes haben,  haben  Avir  früher  gesehen,  und  allein  der  Umstand, 
dafs  sie  von  den  Anhängern  des  Ptolemäus,  von  der  Schule  des  Aristo- 
teles und  all  ihrem  Gefolge  anerkannt  wurden,  ist  schon  ein  sehr 
triftiger  Grimd  für  ihre  Bedeutsamkeit.  Die  Erfahrungen  aber,  welche 
man  gegen  die  jährliche  Bewegung  anführt,  scheinen  in  so  offenbarem 
Vernunft  und  Widcrspruch  mit  dieser  Lehre  zu  stehen,  dafs  —  ich  wiederhole  es  — 

Liogik  ül)cr- 

wiegen  bei    meine    Bewunderung    keine    Grenzen    findet,    wie    bei    Aristarch    und 

AristarcU  und  _-^  .  . 

Kopernikus  überKopernikus    die   Vernunft    in    dem  Mafse    die   Sinne    hat    überwinden 

die  offenbare  .  -,     .  . 

sinnliche  Wahr-könuen,   dafs  ihnen  zum  Trotz  die  Vernunft   über  ihre   Leichtgläubig- 

nehmuDg.  ...  cj  cj 

keit  triumphiert  hat. 


[358.  350.]  Dritter  Tag.  343 

Sagr.  Wir  werden  also  abermals  Dinge  zu  hören  bekommen,  die 
in  grellem  Widerspruch  mit  dieser  jährlichen  Bewegung  stehen? 

Salv.  Allerdings;  und  sie  smd  so  augenscheinlich,  so  sinnlich 
greifbar,  dafs,  ginge  nicht  ein  höherer,  über  dem  Gewöhnlichen  und 
Natürlichen  erhabener  Sinn  Hand  in  Hand  mit  der  Vernunft,  auch  ich 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mich  noch  sehr  viel  widerspenstiger 
gegen  das  kopernikanische  System  bezeigt  hätte,  als  ich  es  jetzt 
thue,  wo  eine  heller  als  gewöhnlich  strahlende  Fackel  mich  er- 
leuchtet hat. 

Sagr.  Jetzt,  Signore  Salviati,  heifst  es:  auf  in  den  Kampf!  Jedes 
Wort  zu  anderem  Behuf  scheint  mir  verloren. 

Salv.     Ich  stehe  zu  Diensten. 

Simpl.  Ich  bitte  Euch,  Ihr  Herren,  lafst  meinen  Geist  mir  Ruhe 
kommen;  die  Bemerhmg ,  die  Signore  Salviati  vorhin  gemacht,  hat  mein 
Inneres  stürmisch  erregt.  Wenn  erst  die  Wellen  besänftigt  sind,  werde 
ich  für  Euere  Betrachtungen  hesser  empfänglich  sein,  denn  die  Gestalten 
erscheinen  nicht  Idar  in  schwanJcender  Spiegelfläche,  tvie  der  römische 
Dichter  es  so  anmutig  aitsdrücJct,  ivenn  er  sagt: 

.  .  .  niiper  me  in  litore  vidi, 
Cum  placidiim  ventis  starct  mare.^^) 

Salv.  Ihr  halt  vollkommen  Becht,  darum  sagt,  ivas  Ihr  für  Be- 
denken haht. 

Simpl.  Bie  Ansicht,  nach  tvelcher  die  Erde  die  tägliche  Botation 
darum  nicht  ausführen  kann,  weil  man  durch  sie  ersichtlich  nicht  nach 
Persien  oder  Japan  versetzt  tvird,  haht  Ihr  vorhin  ehenso  thöricht  genannt 
als  die  andere,  ivelche  die  jährliche  Bewegung  ablehnt,  weil  die  AnnaJmie 
dem  Gefühle  ividerstreht,  dafs  die  mächtige  schivere  Masse  der  Erde  sich 
in  die  Höhe  heben  und  dann  tvieder  hinabsinken  kann,  und  das  müfste 
der  Fall  sein,  tvenn  sie  jene  Bewegung  um  die  Sonne  auszuführen  hätte. 
Ich  schäme  mich  nicht  zur  Zahl  dieser  Thoren  gerechnet  zu  werden  und 
fühle  in  meinem  Geiste  dasselbe  Widerstreben,  soweit  es  sich  um  den 
zweiten  Funkt,  den  Einwand  gegen  die  jährliche  Beivegung,  handelt: 
namentlich  ivo  ich  sehe,  tvelehen  Widerstand  selbst  gegen  die  Bewegung 
in  ivagrecJder  Bichtung,  ich  sage  nicht  etwa  ein  Berg,  sondern  schon  ein 
hlofser  Stein  zeigt,  der  doch  nur  ein  kleiner  Teil  eines  Felsens  der  Hoch- 
gebirge ist.  Ich  bitte  Euch  darum,  solche  Einwände  nicht  gar  so  gering- 
schätzig abzuthun,  sondern  sie  zu  widerlegen,  nicht  allein  um  meinet- 
ivillen,  als  vielmehr  der  anderen  wegen,  denen  sie  sehr  beweiskräftig  er- 
scheinen; denn  ich  halte  es  für  ivenig  ivahrscheinlich,  dafs  jemand,  sei  er 


344  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [359.  360.] 

noch  so  einfaUuj,  aus  Iceinem  anderen  Beivcggrunde  seine  Einfalt  erlienne 
and  eingestehe,  als  iveil  er  sich  einen  Thorcn  schelten  hört. 

Sagr.  Geiüifs  nicht;  und  je  einfältiger  er  ist,  um  so  schiverer  ivird 
er  von  seinem  Fehler  su  überzeugen  sein.  Auch  hedenlce  ich  hei  diesem 
Anlafs,  dafs  es  nicht  nur,  um  dem  Wunsche  des  Signore  Simplicio  zu 
entsprechen,  sondern  auch  aus  anderen  ebenso  ivichtigen  Gründen  gut  ist 
diesem  und  ähnlichen  Einwänden  zu  begegnen.  Denn,  wie  die  Erfahrung 
lehrt,  fehlt  es  nicht  an  Leuten,  die  in  der  geivöhnlichen  Philosophie  und 
anderen  Wissenschaften  zwar  ivohl  beivandert  sind  und  die  gleichivohl 
'mangels  astronomischer ,  matliematischer  oder  sonstiger  Kenntnisse,  ivelche 
den  Geist  für  die  Erhenntnis  der  Wahrheit  schärfen,  sich  von  derartig 
nichtigen  Überlegungen  überzeugen  lassen.  Aus  diesem  Grunde  scheint 
mir  die  Lage  des  armen  Kopernihus  so  bemitleidenswert:  er  mufs  be- 
fürchten, dafs  die  Kritik  seiner  Lehren  möglicherweise  in  die  Hände  von 
Leuten  gelegt  ist,  die  unfähig  sind,  seine  höchst  subtilen  und  darum 
schtververständlichen  Gründe  zu  fassen,  die  aber,  im  voraus  durch  solch 
nichtigen  Schein  in  einem  Vorurteil  gegen  diese  Gründe  befangen,  sie  für 
falsch  und  irrig  ausposaunen.  Kann  man  solche  Leide  daher  auch  nicht 
für  jene  schwierigeren  Betrachtungen  empfänglich  machen,  so  ist  es  doch 
zwechnäfsig  dahin  zu  tvirken,  dafs  sie  die  völlige  .  ünztdänglichheit  jener 
-anderen  erkennen :  diese  Erkenntnis  wird  sie  milder  denken  und  urteilen 
lassen  einer  Lehre  gegenüber,  die  sie  jetzt  für  irrig  halten.  Lch  will  des- 
halb noch  zwei  andere,  allerdings  gegen  die  tägliche  Beivegung  gerichtete, 
Einivürfe  erwähnen,  die  ich  vor  kurzem  von  litterar isch  hervorragen- 
den FersÖnlichkeiten  habe  vorbringen  hören^'^);  danach  können  tvir  zu 
der  jährliehen  Bewegung  übergehen.  Der  erste  Einivurf  war  der:  wäre 
es  tvahr,  dafs  nicht  die  Sonne  und  die  übrigen  Gestirne  sich  über 
den  östlichen  Horizont  erhöbest,  sondern  der  östliche  Teil  der  Erde  unter 
ihn  hinabsänke,  jene  aber  stille  ständen,  so  müfsten  binnen  weniger  Stun- 
den die  im  Osten  gelegenen  Berge  sich  vermöge  der  Drehung  des  Erd- 
balls abwärts  neigen  und  in  eine  solche  Lage  gelangen,  dafs,  wo  man 
zuvor  steil  hinansteigen  mufste,  um  den  Gipfel  zu  erreichen,  man  jetzt 
abschüssig  hinunterzugehen  hätte.  Der  zweite  Einwand  ivar  folgender: 
■wenn  die  tägliche  Bewegung  der  Erde  zukäme,  müfste  sie  mit  solcher 
Geschtvindigkeit  vor  sich  gehen,  dafs  man  aus  der  Tiefe  eines  Brunnen- 
schachtes nur  einen  Augenblick  lang  einen  im  Zenith  stehenden  Stern 
erblicken  könnte;  er  wäre  nämlich  nur  die  ganz  kurze  Zeit  über  sichtbar, 
in  ivelcher  zwei  bis  drei  Ellen  des  Erdumfangs  vorbei  passieren,  denn 
soviel  mag  die  Breite  des  Schachtes  etwa  betragen.  Demgegenüber  zeigt 
aber  die  Erfahrung,  dafs  das  scheinbare  Vorbeigehen  des  Sternes  über  den 
Brunnenschacht  hin  ziemlich  lange  Zeit  in  Anspruch  nimmt:  ein  schlagen- 


[360.  361]  Dritter  Tag.  345 

der  Betveis,  dafs  die  Mündung  des  ScJiacJdes  sich  Jceinesivegs  mit  der 
rasenden  Eile  heicegt,  welche  die  tägliche  Umdrehung  mit  sich  Iringen 
müßte,  urul  dafs  folglich  die  Erde  unbeiveglich  ist. 

Simpl.  Von  diesen  beiden  Argumenten  hommt  mir  das  zweite  sehr 
heiveisJcräftig  vor-  ivas  aher  das  erste  betrifft,  so  möchte  ich  glauben,  es 
selber  erledigen  zu  Jcönnen.  Ich  braticJie  mir  zu  erwägen,  dafs  es  anf 
dasselbe  hinauskommt,  oh  der  Erdball  bei  der  Drehung  um  seinen  eigenen 
Mittelpunkt  einen  Berg  nach  Osten  führt,  oder  ob  der  Berg  an  seinem 
Fufse  losgerissen  und  id)er  die  Erde  geschleift  ivird.  Das  Fortschaffen 
des  Berges  über  die  Erde  hin  ist  aber  meines  Bedünkens  nicht  verschieden 
von  der  Beicegung  eines  Schiffes  längs  der  Oberfläche  des  Meeres.  Wäre 
also  der  Eimvand  in  betreff  des  Berges  begründet,  so  loürde  man  in  gleicher 
Weise  bei  dem  Schiffe,  wenn  es  seine  Fahrt  fortsetzt  und  aus  unseren 
Häfen  sich  um  viele  Grade  entfernt  hat,  nicht  mehr  emporsteigen  müssen, 
um  auf  den  Mast  zu  gelangen,  sondern  sich  wagrecht  fortbewegen,  später- 
hin sogar  sich  abivärts  beivegen,  ivas  nicht  der  Fall  ist.  Ich  habe  ivenig- 
stens  niemals  einen  Seemann,  auch  von  denen,  tvelcJte  die  ganze  Erde 
umfahren  haben,  sagen  hören,  dafs  es  irgendivelchen  Unterschied  macht, 
sei  es  bei  dieser  oder  irgend  einer  anderen  im  Schiffsdienst  üblichen  Ver- 
richtung, oh  sich  das-  Schiff  in  der  oder  jener  Gegend  befindet. 

Salv.  Euere  Erwägungen  sind  sehr  richtig.  Wäre  der  Urheber 
jenes  Eimcandes  auch  nur  auf  den  Gedanken  verfallen,  dafs  der  benach- 
barte im  Osten  gelegene  Berg  bei  einer  etivaigen  Drehung  der  Erde  hinnen 
zweier  Stunden  durch  diese  an  eine  Stelle  geführt  tciirde,  ivo  sich  jetzt 
etiva  der  Olymp  oder  der  Karmel  befindet,  so  hätte  er  schon  einsehen 
müssen,  dafs  seine  eigenen  Schlüsse  ihn  zu  dem  Glauben  und  dem  Ein- 
geständnis zivängen,  es  sei  nötig,  um  auf  den  Gipfel  besagter  Berge  zu 
gelangen,  in  Wahrheit  hinabzusteigen.  Solche  Leute  gehören  zu  der  Sorte, 
die  imstande  sind  das  Vorhandensein  von  Antipoden  zu  leugnest,  sintemal 
man  nicht  mit  dem  Kopfe  nach  unten  und  mit  den  Füfsen  an  der  Decke 
klebend  gehen  könne;  sie  vermögen  nicht  aus  ivahren  und  von  ihnen  voll- 
kommen richtig  verstandenen  Ideen  ganz  einfache  Widerlegungen  ihrer 
Bedenken  lierzuleiten.  Ich  meine,  sie  sehen  sehr  ivohl  ein,  dafs  die  Schivere 
und  das  Sinken  nichts  Anderes  ist  als  ein  Streben  nach  dem  3Iitfelpunkte 
des  Erdballs,  das  Steigen  nichts  Anderes  als  ein  Sichentfernen  von  dem- 
selben; aber  es  gelingt  ihnen  nicht  zu  verstehen,  dafs  unsere  Antipoden 
nur  darum  nicht  die  mindeste  Schwierigkeit  haben  sich  aufrecht  zu  halten 
und  zu  gehen,  weil  sie  es  gerade  so  machen  ivie  wir,  d.  h.  ihre  Füfse  dem 
Mittelpunkte  der  Erde  und  ihren  Kopf  dem  Himmel  zukehroi. 

Sagr.  Und  doch  weissen  wir,  dafs  auf  diesem.  Gebiete  solche  Vcr- 
irrungen  von  Leuten  begangen  worden  sind,  die  für  andere  Wissenschaften 


346  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [3G1.  362.] 

hervorragende  Begabung  an  den  Tag  gelegt  haben.  Unisomehr  erscheint 
meine  Bemerlamg  von  vorhin  gerechtfertigt,  dafs  man  gut  daran  thut 
alle,  auch  die  schtvächsten,  Eimvände  zu  beseitigen;  lafst  uns  also  auch 
dem  auf  den  Brunnen  bezüglichen  begegnen. 

Salv.  Dem  Anscheine  nach  haftet  allerdings  diesem  zweiten  Argu- 
mente eher  etwas  Beweiskräftiges  an.  Gleichivohl  habe  ich  die  feste  Über- 
zeugung, dafs,  tvenn  man  den  Erfinder  desselben  fragte  und  ihn  auf- 
forderte sich  näher  zu  erldären,  tvelches  denn  die  Erscheinung  sei,  die 
eintreten  miifste  und  nach  seiner  Ansicht  nicht  eintritt,  sobald  die  Erde 
die  tägliche  Bewegung  ausführte:  ich  glaube,  sage  ich,  er  ivürde  bei  der 
Auseinandersetzung  seiner  Bedenhen  sich  mit  seinen  Folgerungen  ebenso 
sehr  verstricken,  als  wenn  er  versuchte  durch  Nachdenken  sich  Klarheit 
zu  verschaffen. 

Simpl.  Offen  gestanden  bin  ich  fest  überzeugt,  dafs  dies  geschehen 
ivürde;  denn  auch  ich  befinde  mich  in  gleicher  Venvirrung,  iveil  mir  das 
Argument  allerdings  dem  ersten  Eindruck  nach  beiveisend  erscheint;  in- 
dessen schivebt  mir  doch  die  nebelhafte  Empfindung  vor,  dafs,  wenn  die 
Beweisführung  ihre  Richtigkeit  hätte,  die  ungeheuere  Geschivindigkeit,  die 
man  an  dem  Sterne  ivahrnehmen  müfste,  sobald  man  die  Erde  sich  be- 
ivegen  läfst,  sich  sogar  in  noch  viel  höherem  Grade  zeigen  müfste,  ivenn 
die  Bewegung  dein  Sterne  anhaftete,  da  sie  beim  Sterne  vieltausendmal 
geschivinder  sein  müfste  als  bei  der  Erde.  Wenn  aber  andererseits  der 
Anblick  des  Sternes  durch  das  blofse  Vorüberziehen  der  ztvei  bis  drei 
Ellen  breiten  Öffnung  des  Brunnenschachtes  verloren  gelten  soll,  tvährend 
der  Brunnen  samt  der  Erde  in  einer  Stunde  beträcJdlicJi,  mehr  als 
2000000  Ellen  zurücklegt,  so  scheint  dies  freilich  eine  so  kurze  Zeit 
währen  zu  müssen,  dafs  der  Vorgang  überhaupt  nicht  wahrnehtnbar  sein 
könnte;  und  doch  tvird  der  Stern  vom  Grunde  selbigen  Brunnens  ziem- 
lich lange  Zeit  hindurch  gesehen.  Darum  bin  ich  begierig  über  diese 
Frage  Aufklärung  zu  erhalten. 

Salv.  Jetzt  befestigt  sich  in  mir  die  Meinung,  dafs  der  Urheber 
des  Eimvandes  konfuse  gedacht  haben  mufs,  ivo  ich  sehe,  dafs  auch  Ihr, 
Signore  Simplicio,  den  Euch  vorschivebenden  Gedanken  nur  schattenhaft 
andeutet,  und  nicht  völlig  beherrscht.  Ich  schliefse  dies  liauptsächlich  aus 
dem  Umstände,  dafs  Ihr  eine  Unterscheidung  völlig  aufser  Acht  lafst, 
die  ein  Hauptpunkt  bei  der  ganzen  Angelegenheit  ist.  Sagt  mir  also: 
macht  Ihr  bei  Anstellung  der  Beobachtung ,  ivie  der  Stern  über  dem 
Brunnenrande  vorbeizieht,  gar  keinen  Unterschied,  ob  der  Brunnen  mehr 
oder  ivcniger  tief  ist,  mit  anderen  Worten,  ob  der  Beobachter  von  der 
Mündung  mehr  oder  iveniger  iveit  entfernt  ist'^  Ich  habe  Euch  nämlicJi 
darauf  kein  Gewicht  legen  hören. 


[362.  363  ]  Dritter  Tag.  347 

Simpl.  Ich  habe  in  der  That  daran  nicht  gedacht,  aber  Euere 
Frage  ivccld  meinen  Geist  aus  seinem  Schlummer  und  iceist  mich  auf 
die  unbedingte  Notwendiglieit  dieser  Unterscheidung  hin.  Die  Einsicht 
beginnt  sich  bei  mir  zu  regen,  dafs  für  die  Feststellung  der  Zeitdauer  des 
Vorübergangs  die  Tiefe  des  Brunnens  möglicheriveise  einen  ebenso  be- 
deutenden Einflufs  üben  kann  als  die  Breite. 

Salv.  Ich  möchte  sogar  vermuten,  dafs  die  Breite  gar  nichts  oder 
nur  sehr  ivenig  damit  za  schaffen  hat.^') 

Simpl.  Boch  aber  scheint  mir,  dafs  eine  Streche  von  zehn  Ellen 
zurückzulegen  zehnmal  mehr  Zeit  erfordert,  als  eine  Strecke  von  einer  Elle, 
und  ich  bin  fest  überzeugt,  dafs  ein  Kahn  von  zehn  Ellen  Länge  rascher 
vor  meinen  Augen  vorüberziehen  ivird  als  eine  Galeere  von  hundert 
Ellen  Länge. 

Salv.  Bafs  ivir  doch  nie  und  nimmer  von  der  eingewurzelten  Vor- 
stellung loskommen,  als  könnten  ivir  uns  nur  bewegen,  insoweit  uns  unsere 
Beine  tragen!  Was  Ihr  da  sagt,  lieber  Signore  Simplicio,  ist  richtig, 
wenn  das  der  Beobachtung  unterliegende  Objekt  sieh  bewegt,  ivährend  Ihr 
stille  steht,  um  es  zu  beobachten.  Wenn  Ihr  Euch  aber  in  dem  Schachte 
befindet  und  der  Schacht  samt  Euch  von  der  Umdrehung  der  Erde  fort- 
geführt ivird,  seht  Ihr  denn  da  nicht  ein,  dafs  weder  in  einer  Stunde, 
noch  in  tausend  Stunden,  noch  in  aller  Ewigkeit  die  Mündung  des  Schach- 
tes an  Euch  vorüberzieht?  Was  für  Erscheinungen  in  diesem  Falle  die 
Bewegung  oder  Nichtbewegung  der  Erde  im  Gefolge  hat,  kann  man  nicht 
an  der  Mündung  des  Schachtes  erkennen,  sondern  nur  an  irgend  tvelchem 
anderen  getrennten  Objekt,  ivelches  sich  nicht  in  der  gleichen  Lage,  sei  es 
der  Bctvegung,  sei  es  der  Ridie  befindet. 

Simpl.  Alles  ganz  schön;  aber  gesetzt  auch,  ich  befinde  mich  im 
Schachte  und  werde  gleichzeitig  mit  ihm  von  der  täglichen  Bewegung  fort- 
geführt, und  gesetzt  auch,  der  von  mir  betrachtete  Stern  sei  unbeweglich, 
so  beträgt  doch  die  Schachtöffnung  nicht  mehr  als  drei  Ellen;  dieser  Teil 
der  Erde  allein  vermittelt  mir  die  Anschauung  des  Vorühergangs,  wäh- 
die  ganze  übrige  Erdoberfläche  in  einer  Ausdehnung  von  so  vielen  Millionen 
von  Ellen  mir  die  Aussicht  versperrt:  ivie  kann  unter  solchen  Umständen 
die  Bauer  der  Sichtbarkeit  einen  merklichen  Teil  von  der  der  Unsicht- 
barkeit  betragen? 

Salv.  Jetzt  fallt  Ihr  doch  ivieder  in  dasselbe  Mifsvcrständnis  zurück; 
in  der  That  Ihr  bedürft  der  Hilfe,  iim  es  los  zu  werden.  Nicht  die 
Breite  des  Brunnens  ist  es,  Signore  Simplicio,  ivelche  das  Mafs  für  die 
Sichtbarkeitsdauer  des  Sternes  abgiebt;  denn  in  diesem  Falle  ivürdet  Ihr 
ihn  beständig  sehen,  da  die  Brunnenmündung  Euerem  Blicke  beständig 
den  Durchgang  gestattet.     Das  Mafs  für  die  Zeitdauer  liefert  vielmehr 


348  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [363.  364.] 

die  Gröfse  desjenigen  Teiles  des  unbeweglichen  Himmelsgewölbes,  welcher 
Euch  durch  die  Öffnung  des  Brunnens  hindurch  sichtbar  ist. 

Simpl.  Ist  denn  aber  nicht  der  sichtbare  Teil  des  Himmels  der- 
selbe Bruchteil  von  der  ganzen  Himmelskugel,  ivie  die  Mündung  des 
Schachtes  von  der  ganzen  Erdkugel? 

Salv.  Ich  möchte,  dafs  Ihr  Euch  diese  Frage  selbst  beantwortet 
Sagt  mir  darum,  ob  nicht  die  Öffnung  eines  und  desselben  Schachtes  stets 
den  gleichen  Teil  der  Erdoberfläche  ausmacht. 

Simpl.     TJnztveifelhaft  immer  denselben. 

Salv.  Und  ist  der  Teil  des  Himmels,  ivelcher  für  den  Beobachter 
im  Brunnen  sichtbar  ist,  auch  stets  derselbe  Bruchteil  der  Himmelskugel? 

Simpl.  Eben  fängt  es  mir  an  zu  dämmern  und  ich  beginne  zu  be- 
greifen, ivas  Ihr  mir  vorhin  angedeutet  habt,  dafs  nämlich  die  Tiefe  des 
Brunnens  sehr  viel  für  die  vorliegende  Frage  zu  bedeuten  hat.  Denn  je 
weiter  sich  das  Äuge  von  der  Mündung  des  Schachtes  entfernt,  ein  um 
so  geringerer  Teil  des  Himmels  ivird  unzweifelhaft  sichtbar  sein;  vor 
diesem  wird  folglich  der  Beobachter  auf  dem  Grunde  des  Schachtes  rascher 
vorbei  geführt,  und  er  verliert  ihn  rascher  aus  den  Augen. 

Salv.  Giebt  es  aber  in  dem  Schachte  irgendwo  eine  Stelle,  von  der 
aus  ein  ebenso  grofser  Bruchteil  des  Himmelsgewölbes  sichtbar  ist,  wie  es 
die  Schachtöffnung  von  der  Erdoberfläche  ist? 

Simpl.  Ich  glaube,  tvenn  man  den  Schacht  bis  in  den  Mittelpunkt 
der  Erde  fortsetzte,  so  tvürde  man  vielleicht  von  dort  aus  einen  Teil  des 
Himmels  'wahrnehmen,  welcher  zu  dem  ganzen  Himmel  in  demselben  Ver- 
hältnis steht  ivie  der  Brunnen  zur  Erde.  Entfernt  man  sich  aber  vom 
Mittelpunkte  und  nähert  sich  der  Oberfläche,  so  zeigt  sich  ein  immer 
gröfserer  Teil  des  Himmels. 

Salv.  Und  bringt  man  endlich  das  Auge  in  eine  Ebene  mit  der 
Mündung  des  Brunnens,  so  ivird  die  Hälfte  des  Himmels  sichtbar  oder 
nur  ganz  unbedeutend  weniger,  und  um  an  diesem  vorbeizugelangen  bedarf 
es  —  gesetzt  wir  befänden  uns  unter  dem  Äquator  —  einer  Zeit  von 
stvölf  Stunden. 

Ich  habe  Euch   bereits  eiue  Skizze  des  kopernikanischen  Systems 

entworfen.     Gegen   die  Richtigkeit  desselben  richtet  vor  allen  Dingen 

Mais  richtet  Mars,  der  Kriegsgott  selber,  den  heftigsten  AnffrijBF^*^);  denn  ansenommen, 

einen  heftigen        .'°°  '  ^  075  &  > 

Angriff  gegen  scHie  Entfernung  von  der  Erde  wechselte  wirklich  derart,  dafs  zwischen 

das  koi^ernika-  i    i  i    •  •       tt  i   • 

nischc  System,  der  gröfstcu  uud  kleinsten  ein  Unterschied  bestände  von  der  dopi3elten 
Gröfse  der  Entfernung  zwischen  Sonne  und  Erde,  so  müfste  sich  not- 
wendig seine  Scheibe  in  der  gröfsten  Erdnähe  6Ömal  gröfser  aus- 
nehmen als  in  der  gröfsten  Erdferne.  Gleichwohl  ist  ein  solcher  Unter- 
schied  in   der   scheinbaren  Gröfse   nicht   wahrzunehmen;   er  zeigt  sich 


[3C4.  865.]  Dritter  Tag.  349 

vielmehr  zur  Zeit  der  Opposition,  wo  er  der  Erde  nalie  ist,  kaum  vier- 
oder  fünfmal   so   grofs,   als   um   die  Zeit   der  Konjunktion,   wo  er  all- 
mählicli  in  den  Sonnenstrahlen  verschwindet.    Eine  weitere  mid  gröfsere 
Schwierigkeit  bereitet  uns  Venus;   wenn   sie  nämlich,  wie  Kopernikus  nie  Erschei- 
uns  versichert,   bei  ihrer  Bahn   um   die    Sonne   bald   über,   bald   unter  venus  stehen 
dieser  stünde,  bald  sich  entfernend,  bald  sich  uns  nähernd,  und  zAvarmitdemkopemi- 
um   einen  Betrag   gleich  dem  Durchmesser  des   von   ihr   beschriebenen      System. 
Kreises,  so   müfste   sie   unter   der    Sonne,    in   unserer   Nähe   also,  eine 
etwa  4()mal  gröfsere  Scheibe  zeigen,  als  wenn  sie  oberhalb  der  Somie 
in  der  Nähe   ihrer   anderen  Konjunktion   sich   befindet;   gleichwohl  ist 
der  Unterschied   fast   unmerklich.      Dazu    kommt   eine   andere  Schwie- 
rigkeit:  wäre   nämlich   die  Masse   der  Venus   an   und   für   sich   dunkel 
und  leuchtete  blofs  wie  der  Mond  infolge  der  Bestrahlung  seitens  der 
Sonne,  welches  die  angemessenste  Amiahme  zu  sein  scheint,  so  müfste 
sie  sich,  wenn  sie  vor   der  Sonne    steht,  in  Sichelform  zeigen,  wie  es  zweite  Schwie- 
der  Mond  thut,  wenn  er  gleichfalls  in  der  Nähe  der  Sonne  steht;  ein  vfnua  de^m  Ko- 
Umstand,  der  bei   ihr   nicht  zutrifft.     Aus  diesem  Grunde  sprach  sich        reittt. 
Kopernikus  dafür  aus,   dafs  sie  entweder  selbstleuchtend   ist  oder  dafsvenus  nach  Ko- 
ihre   Materie   sich   mit   dem   Sonnenlichte    zu  durchtränken  und  dieses  weTer  seibst- 

di.i  m-piii  1    r        •  •    ^  •  leuchtend  oder 

iirch  ihre  ganze  iieie  durchzulassen  vermag,  sodals  sie  sich  uns  immer  von  durcbsich- 

in   vollem  Glänze   zeigen   kann.     Auf  diese  Weise   suchte   Kopernikus    ^^^^  ' 

das  Nichtvorhandensein  der  Phasen  bei  Venus  zu  erklären.     Über  die 

fast   unveränderliche   scheinbare   Gröfse   der  Venus   hingegen   sagte   er    Kopernikus 

.  .  .       schweigt  über 

gar  nichts,   und   über   die  des  Mars   weit  weniger  als  eigentlich  nötig  ^en  geringen 

^  .....  .  Wechsel  der 

wäre,   wahrscheinlich  weil    er    eine    seiner  Lehre    so  widersprechende    scheinbaren 

'     .  .  ...  Gröfse  bei  Venus 

Erscheinung  nicht  zu  seiner  Zufriedenheit  erklären  konnte;  dennoch  «"d  Mars. 
gab  er,  durch  so  viele  andere  zutreffende  Momente  überzeugt,  jene 
Lehre  nicht  auf  und  hielt  sie  für  wahr.  Überdies  scheint  die  An- 
nahme, dafs  alle  Planeten,  die  Erde  mit  inbegriffen,  sich  um  die  Sonne 
als  Mittelpunkt  ihrer  Umläufe  bewegen  und  dafs  nur  der  Mond  diese 
Ordnung  durchbricht,  dafs   er   eine  besondere  Bewes'uuQ-  um  die  ErdeiK-rMomidurch- 

f.    t  ■,  .        .,  öS  bricht  die  Ord- 

ausführt  und  mit  ihr  und  der  ganzen   elementaren  Sphäre  zusammennuugderübri^'cn 

.  '^  .  ^  Planeten. 

um  die  Sonne  läuft  —  diese  Annahme,  sage  ich  —  scheint  dermafsen 
die  Ordnung  aufzuheben,  dafs  diese  hierdurch  unwahrscheinlich  und 
falsch  wird.  Das  sind  diejenigen  Schwierigkeiten,  derentwegen  ich 
mich  wundere,  wie  Aristarch  und  Kopernikus,  die  sie  sicherlich  nicht 
übersehen  haben,  die  nicht  imstande  waren  sie  zu  beseitigen,  gleich- 
wohl wegen  anderer  wunderbar  stimmender  Thatsachen  unentwegt  an 
dem  festgehalten  haben,  was  die  Vernunft  ihnen  diktierte,  wie  sie 
trotz  alledem  zuversiclitlich  behauptet  haben,  es  könne  der  Bau  des 
Weltalls   kein   anderer  sein    als   der   von  ihnen    hezciehnete.     Es  giebt 


350  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [365.  .SfsG.] 

sodami  noch  nndere  scliwerw legende  und  sehr  bestechende  Einwen- 
dungen, die  für  mittelmäfsige  Geister  nicht  so  leicht  zu  beseitigen 
sind,  die  aber  Kopernikus  durchschaut  und  aufgeklärt  hat.  Wir  wer- 
den dieselben  weiter  unten  vornehmen,  nachdem  wir  auf  andere  Gegen- 
gründe geantwortet  haben,  welche  diesem  System  zu  widersprechen 
i-iwiderung  aufscheincn.  Indem  ich  nunmehr  zur  Erklärung  und  Beantwortung  der 
Einwürfe  gegengeuamiten  drei  schwerwiegendsten  Einwürfe  übergehe,  behaupte  ich, 
nische  System,  dafs-  die  beiden  ersten  nicht  nur  nicht  in  Widerspruch  mit  dem 
kopernikanischen  System  stehen,  sondern  unzweifelhaft  aufserordent- 
lich  zu  seinen  Gunsten  sprechen;  denn  Mars  und  Venus  zeigen 
wirklich  in  dem  angegebenen  Verhältnis  Unterschiede  ihrer  schein- 
baren Gröfse,  und  Venus  zeigt  sich  wirklich  vor  der  Sonne  sichel- 
förmig und  verändert  ihr  Aussehen  genau  in  der  gleichen  Weise  wie 
der  Mond. 

Sagr.  Wieso  aber  blieb  dies  dem  Kopernikus  verborgen,  während 
es  Euch  bekannt  ist? 

Salv.  Diese  Dinge  können  nur  vermöge  des  Gesichtssinnes  wahr- 
genommen werden,  welchen  die  Natur  den  Menschen  nicht  in  solcher 
Vollkommenheit  verliehen  hat,  dafs  er  es  bis  zur  Wahrnehmung  sol- 
cher Unterschiede  brächte;  vielmehr  bereitet  das  Sehwerkzeug  selber 
sich  Hindernisse.  Nachdem  es  aber  in  unseren  Tu  gen  Gott  gefallen 
hat,  dem  Menschengeiste  eine  so  wunderbare  Erfindung  zu  vergönnen, 
welche  die  Schärfe  unseres  Gesichts  vier-,  sechs-,  zehn-,  zwanzig-, 
dreifsig-  und  vierzigmal  zu  vergröfsern  vermag,  sind  unendlich  viele 
Dinge,  die  uns  entweder  infolge  ihrer  Entfernung  oder  wegen  ihrer 
aufserordentlichen  Kleinheit  unsichtbar  waren,  mit  Hilfe  des  Fern- 
rohrs deutlich  sichtbar  geworden. 

Sagr.  Aber  Venus  und  Mars  gehören  doch  nicht  zu  den  Ob- 
jekten, die  wegen  ihrer  Entfernung  oder  Kleinheit  unsichtbar  sind, 
wir  nehmen  sie  vielmehr  mit  dem  einfachen  unbewaffneten  Auge 
wahr.  Warum  also  merken  wir  nichts  von  den  Unterschieden  ihrer 
Gröfse  und  ihres  Aussehens? 

Salv.  Es  spielt  dabei  ein  vom  Auge  selbst  ausgehendes  Hinder- 
woher  es  kommt,  nis  ciuc  wichtigc  Rollc,  wic  ich  eben  schon  angedeutet  habe.^'^)    Glän- 

dafs  Venus  und  ■  c-  r\     •  •  •  •    i  • 

Mars  nicht  in  zcudc  uud  wcit  entfernte  Objekte  werden   nämlich  von  ihm  nicht  eni- 

dem  Mafae  ihre 

scheinbare    fach  uud  scharfbcgreuzt  wiedergegeben,    sondern  es  liefert  uns  Bilder, 

Orörse  wechseln,     ...  "  ^.  .. 

wie  es  eigentiichdie  mit  cmcm  Kranz  von  Strahlen  umrahmt  sind.    Diese  hinzukommen- 
der 'FA\  sein 

sollte.  den  fremdartigen  Strahlen  sind  so  lang  und  dicht,  dafs  der  eigent- 
liche Kern  uns  zehn-,  zwanzig-,  hundert-  und  tausendmal  gröfser  vor- 
kömmt, als  er  sich  zeigen  würde,  weim  man  die  ihm  nicht  an  gehörige 
Strahlenkrone  entfernte. 


[366.  307.]  Dritter  Tag.  351 

Sagr.  Jetzt  erinnere  ich  mich  üher  diesen  Gegenstand  etwas  ge- 
lesen zu  haben^  ich  weifs  nicht,  war  es  in  den  „Sonnenhriefen" 
oder  in  dem  „Goldwäger"  unseres  gemeinsamen  Freundes.  Aber  es 
wird  unter  allen  Umständen  gut  sein,  sowohl  um  meine  Erinnerung 
aufzufrischen,  als  für  das  Verständnis  Signore  Simplicios,  der  diese 
Schriften  vielleicht  nicht  unter  Händen  gehabt  haf^"),  Avenn  Ihr  uns 
deutlicher  auseinandersetzt,  wie  es  damit  steht.  Die  Bekanntschaft 
mit  dieser  Frage  ist,  glaube  ich,  sehr  notwendig,  um  das  verstehen 
zu  können,  wovon  wir  augenblicklich  handehi. 

Simpl.  Für  mich  ist  in  der  That  alles,  was  Signore  Salviati 
augenblicklich  vorbringt,  neu;  denn,  um  die  Wahrheit  zu  sagen,  ich 
habe  bisher  wenig  Lust  verspürt,  dergleichen  Bücher  zu  lesen,  und 
halje  dem  neuerdings  eingeführten  Fernrohr  nicht  viel  Vertrauen  ent- 
gegengebracht. Indem  ich  vielmehr  den  Fufsstapfen  meiner  Kollegen,  Die  wirksam- 
der    anderen    peripatetischen   Philosophen,   folgte,  habe   ich   für   Trug-  rohrs  von  den 

.         ^  .  ±  7  o      7  o    peripatetikem 

und   Wahno-ebilde   der   Glaslinsen   gehalten,   was   andere   als    Staunens-  für  trügerisch 

.  .  ...  .  .  gehalten. 

werte  Leistungen  priesen.  Sollte  ich  mich  jedoch  bislang  geirrt  haben, 
so  wird  es  mir  angenehm  sein  über  meinen  Irrtum  Belehrung  zu  er- 
halten. Verlockt  durch  das  andere  Neue,  das  ich  von  Euch  gehört 
habe,  werde  ich  mit  erhöhter  Aufmerksamkeit  Eueren  ferneren  Worten 
lauschen. 

Salv.    Die  hohe  Meinung  dieser  Menschenklasse  von  ihrer  eigenen 
Klugheit  ist  ebenso  unberechtigt  wie  die  Geringschätzung,  mit  welcher 
sie  die  Urteilsfähigkeit  anderer  behandeln.      Es   will  viel  heifsen,  dafs 
sie    glauben,    ein    derartiges   Instrument   besser   beurteilen   zu  können, 
ohne  es  jemals  geprüft  zu  haben,  als  die  Leute,  die  tausend  und  aber- 
tausend  Beobachtungen   mit    seiner   Hilfe    angestellt   haben   und    noch 
jeden  Tag  anstellen.     Doch  lassen   wir  diese  starrköpfige  Sorte  lieber 
aus  dem  Spiel,  man  kann  sie  ja  nicht  einmal  kritisieren,  ohne  ihr  mehr 
Ehre  zu  erweisen,  als  sie  verdient.  —  Um  nun  zu  unserem  Gegenstande 
zurückzukehren,   so  bemerke   ich,   dafs   glänzende  Objekte,   sei  es  nun, 
dafs  sich  ihr  Licht  in  der  über  der  Pupille   vorhandenen  Feuchtigkeit 
bricht,  oder  dafs  es  an  den  Wimperrändern  zurückgeworfen  wird  und 
seine  Reflexe   ebenfalls  auf  die  Pupille   fallen,    oder  sei   es   aus  einem 
anderen    Grunde,    sich    miserem   Auge    mit   neuen    Strahlen    umgeben 
zeigen    und    darum    sehr    viel    gröfser    scheinen,    als    sie    ohne    eine  Glänzende  oh- 
solche  Irradiation  aussehen  würden.     Diese  Vergröfscrung  erfolgt  nun  von*nk°htTa^z" 
in    immer    wachsendem    Verhältnis,    je    kleiner    die    leuchtenden    Ob-fen''i,m^ge"beu'*zu' 
jekte  sind:   ganz    in    derselben  Weise,    wie   wenn  wir  etwa  annähmen,         ^**'°' 
die    hinzugefügte   Strahlonkrone    habe   eine  Breite   von  vier  Zoll;   ein  wamm  leuch- 
solcher  Zuwachs  würde  dann   nämlich  bei  einem  Kreise  von  vier  Zoll  ,!m  so  BYurUo'r 


352  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [367.  368.] 

vergrafsert  er-  Durchmesser  eine  ueiminal  so  grofse  sclieinbare  Ausdelaiiung  im  Gefolge 

scheinen,  jß     ,      , 
kleiner  sie  sind.baueil |    aber    .... 

Simpl.  Ihr  habt  wabrscbeinlicb  eiue  dreimal  so  grofse  Aus- 
dehnung sagen  wollen;  denn  vier  Zoll  hüben  und  vier  Zoll  drüben  an 
den  Durchmesser  eines  Kreises  augesetzt,  der  selbst  vier  Zoll  lang  ist, 
liefern  einen  dreifach,  nicht  einen  neunfach  so  grofsen  Betrag. 

Salv.  Ein  klein  wenig  Geometrie,  Signore  Simplicio!  Allerdings 
Die  Fiächeniu- wächst  der  Durchmesser  auf  den  dreifachen  Betrag  an,  aber  der 
ren  wachsen^imFlächeuinhalt  —  uud  das  ist  es,  wovon  wir  hier  sprechen  —  wächst 
häituis  üirer  auf  dcu  neunfachen  Betrag  an.  Die  Flächen  zweier  Kreise  nämlich, 
Signore  Simplicio,  verhalten  sich  zu  einander  wie  die  Quadrate  ihrer 
Durchmesser.  Ein  Kreis  also  von  vier  Zoll  Durchmesser  verhält  sich 
zu  einem  anderen  von  zwölf  Zoll  Durchmesser,  wie  das  Quadrat  von  vier 
zu  dem  Quadrate  von  zwölf,  d.  h.  wie  sechszehn  zu  hundertvierundvierzig; 
letzterer  wird  also  neunmal  und  nicht  dreimal  so  grofs  sein.  So  viel 
zur  Aufklärung  des  Signore  Simplicio.  Wenn  wir  nun,  um  jetzt  weiter 
zu  gehen,  den  nämlichen  Strahlenkranz  von  vier  Zoll  einem  Kreise  hin- 
zufügen, der  blofs  zwei  Zoll  Durchmesser  besitzt,  so  würde  der  Durch- 
messer des  Kranzes  doch  noch  zehn  Zoll  betragen  und  somit  die  Fläche 
des  Kreises  zu  dem  von  dem  blofsen  Kerne  bedeckten  Räume  sich  ver- 
halten wie  hundert  zu  vier,  denn  dies  sind  die  Quadrate  von  zehn  und 
zwei-,  die  Vergröfserung  wäre  also  in  diesem  Falle  eine  25-fache.  Fügt 
man  schliefslich  den  vier  Zoll  breiten  Strahlengürtel  einem  kleinen 
Kreise  von  ein  Zoll  Durchmesser  hinzu,  so  würde  dieser  eine  81-fache 
Vergröfserung  erfahren:  und  so  findet  die  Zunahme  in  immer  stär- 
kerem und  stärkerem  Verhältnis  statt,  je  nachdem  die  wirklichen  Ob- 
jekte, die  den  Zuwachs  erleiden,  kleiner  und  kleiner  werden. 

Sagr.  Die  Schwierigkeit,  an  der  Signore  Simplicio  Anstofs  ge- 
nommen hat,  hat  mir  nicht  zu  schaffen  gemacht,  wohl  aber  sind  es 
einige  andere  Umstände,  über  welche  mir  Aufklärung  erwünscht  wäre. 
Insbesondere  möchte  ich  wissen,  woraufhin  Ihr  so  bestimmt  versichert, 
dafs  der  Zuwachs   bei   allen  sichtbaren  Objekten  stets  der  gleiche  sei. 

Salv.  Zum  Teil  habe  ich  mich  schon  darüber  ausgesprochen. 
Je  lebhiiftor  dieindcm  ich  sagte,  dafs  blofs  glänzende  Obiekte  diesen  Zuwachs  erfahren, 

Objekte  leuch-  i        i      i  -n  i      •  i        t  -i  n  i   • 

tea,  einen  um  souicht    aocr  dunkclc.     Es   erübrigt    noch  die  weitere  Bemerkung  hm- 

st'irkereii  Zu- 

wachs  scheinen  zuzufügcu,  dafs  vou  dcu  glänzenden  Objekten  diejenigen  mit  lebhafte- 
rem Lichte  einen  gröfseren  und  stärkeren  Reflex  auf  die  Pupille  werfen 
und  infolge  dessen  eine  sehr  viel  stärkere  scheinbare  Vergröfserung 
erleiden  als  die  weniger  hellen.  Um  mich  nicht  länger  bei  diesem 
einzebien  Punkte  aufzuhalten,  lafst  uns  sehen,  was  die  wahre 
Meisterin    uns    lehrt.      Betrachten    wir    heute   Abend,   wenn    es   völlig 


[368.  369.]  Dritter  Tag.  353 

dunkel  go worden  ist,  den  Jupiter;  wir  werden  ihn  in  hell  strahlendem 
Lichte  und  sehr  grofs  erblicken.  Danach  wollen  wir  unseren  Blick 
auf  ihn  durch  ein  Rohr  richten  oder  auch  durch  eine  Öffnung,  welche   Leicht  anzu- 

steUender  Ver- 

wir  an  der  geballten  und  dem  Auge   genäherten  Faust  zwischen  der  such,  der  die 
Handfläche   und   den  Fingern   lassen   wollen,   oder  endhch   auch  durchdersteme" durch 

T11  •  •!•  p   •  TVT11-  •        -ni  T-k        •  -1  ^^^  hinzukom- 

em  Loch,  das  wir  mit  einer  lemen  JNadel  m  ein  Blatt  Papier  stechen.mendeu  strahlen 
Wir  werden  dann  dieselbige  Scheibe  des  Jupiter  frei  von  Strahlen 
sehen,  aber  so  winzig,  dafs  Avir  sie  wohl  für  60mal  kleiner  halten 
werden  im  Vergleich  zu  der  grofsen  Flamme,  als  welche  sie  dem 
blofsen  Auge  erscheint.  Wir  können  sodann  den  Sirius  betrachten,  Jupiter  erfährt 
den  schönsten  und  gröfsten  aller  Fixsterne,  der  dem  unbewaffneten  vergröfserung 
Auge  nicht  sehr  viel  kleiner  erscheint  als  Jupiter.  Nimmt  man  ihm 
aber  auf  die  beschriebene  Weise  seinen  Strahlenkranz,  so  wird  seine 
Scheibe  so  klein  aussehen,  dafs  man  sie  kaum  auf  den  20.  Teil 
der  Jupiterscheibe  schätzen  wird;  ja,  wer  nicht  ganz  vorzügliche 
Augen  hat,  wird  sie  nur  mit  gröfster  Mühe  wahrnehmen.  Daraus 
läfst  sich  füglich  schliefsen,  dafs  dieser  Stern  wegen  der  dem  Jupiter 
überlegenen  Lebhaftigkeit  seines  Lichtes  eine  gröfsere  Irradiation  her- 
vorruft als  Jupiter.  Die  Irradiation  der  Sonne  und  des  Mondes  end- 
lich ist  infolge  ihrer  Gröfse  fast  verschwindend  klein;  diese  allein  be-Sonne  und  Mond 
ansprucht  schon  in  unseren  Augen  einen  solchen  Raum,  dafs  für  dieriuge  vergröfse- 
hinzukommenden  Strahlen  kein  Platz  bleibt  und  demnach  ihre  Schei- 
ben scharf  geschnitten  und  begrenzt  aussehen.  Wir  werden  uns  von 
derselben  Wahrheit  durch  einen  weiteren,  öfters  von  mir  angestellten 
Versuch  überzeugen  können;  von  derselben  Wahrheit,  sage  ich,  dafs 
nämlich  die  lebhafter  leuchtenden  Körper  sich  mit  einem  gröfseren 
Strahlengürtel  umgeben  als  die  matter  leuchtenden.  Ich  habe  öfters 
Jupiter  und  Venus  gleichzeitig  in  einem  Abstände  von  25  bis  30  Grad 
von  der  Sonne  gesehen.  Weim  es  nun  recht  dmikel  war,  schien  Venus 
wohl  acht-  oder  zehnmal  gröfser,  solange  man  beide  Sterne  mit  blofsem 
Auge  betrachtete.    Durchs  Fernrohr  betrachtet,  bemerkte  mau  hino-egen,  ^^  ivird  durch 

o  _  '  '^    O       :>  einen  evidenten 

dafs   die  Jupitersscheibe  in  Wahrheit  mehr   als    viermal    so    grofs    ist,  "^«»-such  nach- 

^  ,  _  o  7  gewiesen,  dafs 

wie  die  der  Venus,  die  Lebhaftigkeit  des  Glanzes  der  Venus  hingegen^«"'*'  glänzende 

'  ^  _  ...  Korper  eine 

war    unvergleichlich    gröfser    als    das    matte    Licht   des    Jupiter;    dies^f='''^»re  i"adia- 

»  »  _  _  ^  ^  tion  hervorrufen 

rührt   einfach   daher,   dafs  Jupiter   sehr  weit   von   der  Soime  und  von^'^™'wdorieuch- 

.  .  tende. 

uns  entfernt  ist,  Venus  hingegen  nahe  bei  uns  und  der  Sonne  steht. 
Nach  diesen  Erklärungen  wird  es  sich  nmimehr  ohne  Mühe  einsehen 
lassen,  wieso  Mars,  wenn  er  in  Opposition  zur  Sonne  ist  und  also 
der  Erde  mehr  als  siebenmal  näher  steht  wie  gegen  die  Zeit  der 
Konjunktion,  kaum  vier-  oder  fünfmal  gröfser  in  jenem  Falle  als  in 
diesem  erscheint,  während  er  uns  eigentlich  mehr  als  öOmal  so  grofs 

Galilei,  Weltsysteme.  23 


354  Dialog  üToer  die  Weltsysteme.  [369.  370.] 

ersclieiuen  sollte.  Die  Ursache  davon  ist  eben  die  Irradiation ;  berauben 
wir  ihn  nämlich  der  hinzukommenden  Strahlen,  so  werden  wir  ihn 
genau  in  dem  richtigen  Verhältnis  vergröfsert  finden.  Um  ihm  nun 
den  Haarkranz    wegzunehmen,    ist    das    einzige    und   beste   Mittel   das 

Das  Fernrohr  Femrohr,  welchcs  seine  Scheibe  900-  bis  lOOOmal  vergröfsert  und  sie 
den  Sternen  die  uns  scharfgcschuitten   und   begrenzt   zeigt  wie   die   des  Mondes;  dabei 

zu  benehmen,  tritt  der  in  den  beiden  Stellungen  zu  erwartende  Wechsel  in  der  schein- 
baren Gröfse  genau  im  richtigen  Verhältnis  wirklich  hervor.  —  Im 
Falle  der  Venus,  die  bei  ihrer  abendlichen  Konjunktion,  also  vor  der 
Sonne,  sich  fast  40mal  gröfser  zeigen  müfste  als  bei  der  anderen 
morgendlichen  Konjunktion,  und  die  gleichwohl  noch  nicht  doppelt 
so   grofs   aussieht,   kommt    aufser   der  Wirkung    der  Irradiation   noch 

Zweite  fernere  hinzu,   dafs   sie   sichelförmig   ist.     Ihre  Hörner,  abgesehen  davon,  dafs 

Ursache  für  den  '  ■      -,  i  c,  i-    i  i  <        «• 

geringen  schein-sie   Überhaupt   dümi  smd ,  werden   vom   Sonnenlichte    schräg   getronen 

baren  Gröfsen-  ^  iii  x-ii  •  •  -mt 

Zuwachs  der  und  daher  nur  matt  beleuchtet;  da  also  Licht  nur  m  germger  Menge 
und  geringer  Intensität  vorhanden  ist,  so  stellt  sich  eine  nicht  so  aus- 
giebige und  lebhafte  Irradiation  ein,  als  wenn  sie  uns  ihre  ganz  be- 
leuchtete Hälfte  zukehrt.  Das  Fernrohr  zeigt  uns  aber  auch  ihre 
Hörner  so  scharf  begrenzt  und  deutlich  wie  die  des  Mondes,  und  die 
Beobachtung  lehrt,  dafs  sie  einem  sehr  grofsen  Kreise  angehören, 
einem  Kreise,  der  in  40fachem  Verhältnis  gröfser  ist  als  ihre  Scheibe 
zur  Zeit,  wo  sie  sich  oberhalb  der  Sonne  befindet  bei  ihrem  letzten 
Erscheinen  als  Morgenstern. 

Sagr.  0  Nikolaus  Kopernikus,  wie  hättest  du  dich  gefreut,  durch 
so  klare  Thatsachen  dein  System  nach  dieser  Seite  hin  bestätigt  zu 
sehen! 

Salv.     Ja,  aber  wieviel   geringer   wäre   der  Ruhm   seiner   Geistes- 

gröfse  in  den  Augen  der  Sachverständigen!     Sieht  man  doch,  wie  ich 

Kopernikus    schou  vorhiu  hcrvorhob,   dafs   er   seiner  Behauptung   stets   treu   blieb, 

vernuuftgrtodeblofs    vou    Vernunftgründcn    geleitet,    während    die    sinnlichen    Erfah- 

widTrspf echen- rungen  das  Gegenteil  zu  lehren  schienen.     Ich  kann  darum  nicht  auf- 

wXrneh-  ^^  hörcu  ZU  stauucu,  dafs  er  ohne  Unterlafs  dabei  blieb  zu  sagen,  Venus 

mungen.      jj^gjgg    ^^^    (j{g   Somic   uud    sei    ZU    einer   Zeit    sechsmal   so   weit  von 

uns  entfernt   als  zu  einer  anderen  und   zeige   sich   uns   trotzdem   stets 

in   derselben   Gröfse,    während   sie    eigentlich   40 mal   gröfser   aussehen 

müfste. 

Sagr.  Bei  Jupiter,  Saturn  und  Merkur,  meine  ich,  müssen  gleich- 
falls die  Unterschiede  in  den  scheinbaren  Gröfsen  genau  dem  Wechsel 
ihrer  Entfernungen  entsprechen. 

Salv.  Bei  den  beiden  oberen  habe  ich  das  in  der  That  mit  aller 
Genauigkeit  beinahe  alljährlich  seit  22  Jahren  beobachtet.    Bei  Merkur 


[370.  371.]  Dritter  Tag.  355 

lassen  sicli  Iceine   aussclilaggebeiideu  BeoLacbtungen   anstellen^  weil  er 

nur  während  seiner  gröfsten  Elongationen  sichtbar  ist:  bei  diesen  aber,  Merkur  läfst 

f'  ^  '  keine  deutlichen 

ist    seine  Entfernunj?    von    der  Erde    nicht   merklich   verschieden   und  ^'^°''=*<=''*"'isen 

.  .  ^"■ 

daher   sind  jene  Unterschiede   nicht   wahrzunehmen.     Ebenso   steht   es 

auch  mit  seinen  Phasenänderungen,  die  unbedingt  ebenso  wie  bei  Venus 
stattfinden  müssen.  Wemi  wir  ihn  sehen,  müfste  er  sich  eigentlich  in 
Form  eines  Halbkreises  zeigen,  ganz  wie  es  bei  Venus  zur  Zeit  ihrer 
gröfsten  Elongation  der  Fall  ist;  aber  seine  Scheibe  ist  so  klein  und 
sein  Glanz  wegen  seiner  geringen  Entfernung  von  der  Sonne  so  leb- 
haft, dafs  die  Kraft  des  Fernrohrs  nicht  ausreicht  ihni  die  Haare  ab- 
zurasieren und  ihn  völlig  geschoren  erscheinen  zu  lassen.  —  Es  bleibtßeseitigung  des 
uns  noch  jener  scheinbar  so  grofse  Übelstand  zu  beseitigen,  dafs  von  die  Erde  kch 
allen  übrigen  Planeten  jeder  für  sich  allein  um  die  Sonne  kreist,  und  sondern  in  Be- 
dafs  nur  die  Erde  nicht  einsam,  sondern  in  Begleitung  des  Mondes  Mondes  um  die 
samt  der  ganzen  elementaren  Sphäre  in  einem  Jahre  um  die  Sonne 
läuft,  während  sich  gleichzeitig  der  Mond  jeden  Monat  um  die  Erde 
dreht.  Hier  mufs  man  von  neuem  in  laute  Bewunderung  ausbrechen 
und  den  staunenswerten  Scharfsinn  des  Kopernikus  preisen,  zugleich 
aber  sein  Mifsgeschick  beklagen,  dafs  er  nicht  zu  unserer  Zeit  lebt, 
wo  die  anscheinende  Absurdität  einer  gemeinschaftlichen  Bewegung 
von  Erde  und  Mond  beseitigt  ist,  indem  wir  im  Jupiter  gleichsam 
eine  zweite  Erde  kennen  gelernt  haben,  der  nicht  in  Gesellschaft  nur 
eines  Mondes,  sondern  sogar  von  vier  Monden  begleitet  in  12  Jahren 
um  die  Sonne  läuft  samt  alle  dem,  was  etwa  innerhalb  der  Bahnen 
der  vier  Mediceischen  Gestirne  enthalten  sein  mag. 

Sagr.  Aus  welchem  Grunde  nennt  Ihr  die  vier  Jupiterbegleiter 
Monde? 

Salv.  Als  solche  erscheinen  sie  dem,  der  sie  vom  Jupiter  aus 
beobachtet.  Denn  sie  sind  an  und  für  sich  dunkel  und  empfangen 
ihr  Licht  von   der  Sonne,  wie  daraus   hervorgeht,  dafs  sie  verfinstert  Die  Medicei- 

1  1      T  1       ■       •         -I  ri   ^  1  T      1  •  •  TTT         sehen  Gestirne 

werden,  sobald  sie  m  den  bchattenkegel  des  Jupiter  eintreten.  Weil  sind  gleichsam 
nun  blofs  diejenige  Hälfte  derselben  erleuchtet  wird,  die  der  Sonne  ^'^'juiJiter.  " 
zugekehrt  ist,  so  erscheinen  sie  uns,  die  wir  uns  aufserhalb  ihrer 
Bahnen  imd  in  gröfserer  Nähe  bei  der  Sonne  befinden,  allerdings  ganz 
hell;  einem  etwaigen  Beobachter  auf  dem  Jupiter  hingegen  würden 
sie  nur  in  den  oberen  Teilen  ihrer  Bahnen  voll  beleuchtet  erscheinen, 
während  sie  vom  Jupiter  aus  gesehen  in  den  unteren  Teilen,  d.  h. 
zwischen  Jupiter  und  Sonne,  Sichelform  zeigen  würden,  kurz  den 
Jupiterbewohnern  dieselben  Phasenänderungen  darböten  wie  uns  Erd- 
bewohnern der  Mond.  Ihr  seht  nun,  in  wie  wunderbarem  Einklang 
mit  dem  kopernikani sehen  Systeme  die  drei  von  uns  berührten  Saiten 

23* 


356  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [371.  372.] 

stehen,  die  anfangs  solchen  Mifsklang  zu  geben  schienen.  Gleichzeitig 
wird  Signore  Siniplicio  daraus  entnehmen  können,  wie  wahrscheinlich 
die  Schlufsfolgerung  ist,  dafs  nicht  die  Erde,  sondern  die  Sonne  im 
Mittel^) unkte  der  Planetenbahnen  steht.  Da  nun  die  Erde  zwischen 
Weltkörper  zu  stehen  kommt,  die  sich  unzweifelhaft  Tim  die  Sonne 
bewegen,  nämlich  über  Merkur  und  Venus,  hingegen  unter  Saturn, 
Jupiter  und  Mars,  wie  sollte  es  nicht  für  höchst  wahrscheinlich,  ja 
vielleicht  für  notwendig  zu  gelten  haben,  dafs  auch  sie  um  die  Soime 
läuft? 

Simpl.  Es  handelt  sich  um  so  bedeutende  und  in  die  Augen 
fallende  Vorgänge,  dafs  Ptolemäus  und  seine  Anhänger  unmöglich  in 
Unkenntnis  darüber  gewesen  sein  können;  und  hatten  sie  Keimtnis 
davon,  so  müssen  sie  doch  notwendig  eine  Art  und  Weise  ausfindig- 
gemacht  haben,  um  von  derartigen,  so  handgreiflichen  Erscheinungen 
befriedigend  Rechenschaft  zu  geben;  ihre  Erklärung  mufs  sogar  sehr 
wohl  mit  den  Thatsachen  übereinstimmen  imd  grofse  Wahrscheinlich- 
keit für  sich  haben,  da  sie  so  lange  Zeit  hindurch  so  viele,  viele  An- 
hänger gefunden  hat. 
A^tTonomi'e'^ist  Salv.     Eucre  Bemerkungen    sind    ganz    richtig.      Ihr    müfst    aber 

Tou''den*''Er'  wisscu,    dafs    das   hauptsächliche  Ziel   der  Astronomen   von  Fach  kein 
^''^•'^"iglg"^ ''^' anderes    ist,    als    nur    Rechenschaft    von    den    Erscheinungen    an    den 
Himmelskörpern    abzulegen.^')      Um   diese    und    die    Bewegungen   der 
Gestirne   zu  erklären,  suchen  sie   einen  passenden  Aufbau  durch  Zu- 
sammensetzung von  Kreisen  herzustellen,  derart  dafs   die  auf  Grund 
einer  solchen  Annahme  gewonnenen  Rechnungsergebnisse  Bewegungen 
liefern,  die  mit  den  Erscheinungen  selbst  übereinstimmen,  wobei  ihnen 
wenig  darauf  ankommt,  irgend  welche  ganz  ungeheuerliche  Hypothese 
zu  benutzen,  die  thatsächlich  aus  anderen  Rücksichten  Austofs  erregend 
Kopernikus  re-  sciu  kinuitc.  Kopcmikus  sclbst  schreibt,  er  habe  bei  seinen  ersten  Studien 
Astronomie  auf  die  astronomischc  Wissenschaft  auf  Grund   der  unveränderten  Voraus- 
märsche^n  Vor-  setzungcu  dcs  Ptolcmäus  ucu  ZU  gestalten  gesucht  und  die  Bewegungs- 
ausse  Zungen.  ^j^gQj^jggjj  ^jgj,  Plauctcn  derart  verbessert,  dafs  die  Rechnungen  mit  den 
Erscheinungen  und  die  Erscheinungen  mit  den  Rechnungen  sehr  wohl 
übereinstimmten,  nur  insoweit  jedoch  als  man  einzebi  Planet  für  Planet 
vornahm.     Er  fügt  aber  hinzu,  dafs  er  danach  versucht  habe,  den  ge- 
samten Bau   aus   den  Einzelkonstruktionen  zusammenzufügen;    da    sei 
daraus  ein  Ungetüm,  eine  Chimäre  entsprungen,  zusammengesetzt  aus 
den   ungleichartigsten,   völlig   unvereinbaren  Gliedern,  sodafs  zwar  die 
Aufgabe   des    rechnenden   Fachastronomen    eine    befriedigende    Lösrmg 
gefunden  habe,  nicht  aber  habe  der  Astronom  als  Philosoph  sich  daran 
genügen    lassen    können.     Da   er   aber    sehr   wohl   einsah,   dafs,   wenn 


[372.  373.]  Dritter  Tag.  357 

schon  die  Himmelserscheinimgen  aus  falschen  Annahmen  heraus  allen-was  Kopemikus 
falls  eine  Erklärimg  finden  konnten,  dies  noch  weit  besser  auf  Grund  SysTem^aufzV 
wirklich  zutreffender  Voraussetzungen  möglich  sein  müsse,  so  begann 
er  sorgfaltig  nachzuforschen,  ob  einer  der  bedeutenden  Männer  des 
Altertums  der  Welt  einen  anderen  Bau  zugeschrieben  habe  als  den 
allgemein  gebilligten  des  Ptolemäus.  Er  fand  nun,  dafs  einige  Pytha- 
goreer  der  Erde  speciell  die  tägliche  Umdrehung,  andere  ihr  auch  die 
jährliche  Bewegung  beigelegt  hatten;  da  machte  er  sich  denn  daran, 
mit  diesen  beiden  neuen  Voraussetzungen  die  Erscheinungen  und  Be- 
sonderheiten der  Planeten  in  Übereinstimmung  zu  bringen,  Dinge, 
welche  ihm  alle  bequem  zur  Hand  waren.  Als  er  nun  schliefslich  sah, 
dafs  das  Ganze  auf  wunderbar  einfache  Weise  in  Harmonie  stand 
mit  seinen  Teilen,  so  nahm  er  dieses  neue  Weltsystem  an  und  fand 
in  ihm  Befriedigung.^^) 

Simpl.  Was  aber  haften  dem  ptolemäischen  Systeme  für  Un- 
geheuerlichkeiten an,  die  in  diesem  Systeme  des  Kopernikus  nicht 
überboten  würden? 

Salv.  Bei  Ptolemäus  finden  sich  die  Übel,  bei  Kopernikus  ihre 
Heilung.  Werden  nicht  erstlich  alle  Philosophenschulen  es  als  grofsen  übeistände, 
Mifsstand  bezeichnen,  dafs  ein  Körper,  der  sich  von  Natur  im  Kreise  ptolemäischen 
dreht,  eine  uuregelmäfsige  Bewegung  um  seinen  eigenen  Mittelpunkt,  haften. 
eine  regelmäfsige  Bewegung  hingegen  um  einen  anderen  Punkt  aus- 
führt? Und  doch  kommen  solche  mifsgestaltete  Bewegungen  in  dem 
Bau  des  Ptolemäus  vor,  bei  Kopernikus  hingegen  sind  sie  alle  um 
ihren  eigenen  Mittelpunkt  gleichförmig.  Bei  Ptolemäus  mufs  man  den 
Himmelskörpern  entgegengesetzte  Bewegungen  zuschreiben  imd  sie 
alle  von  Osten  nach  Westen  sich  bewegen  lassen  imd  dabei  gleich- 
zeitig von  Westen  nach  Osten,  während  bei  Kopernikus  alle  Um- 
drehungen nach  einer  Richtung  von  Abend  nach  Morgen  gerichtet 
sind.  Wie  steht  es  nun  aber  gar  mit  der  so  mifsgestalteten  schein- 
baren Bewegung  der  Planeten,  welche  nicht  nur  bald  schneller,  bald 
langsamer  vorwärts  gehen,  sondern  bisweilen  vollständig  stehen  bleiben 
und  nachher  sogar  eine  bedeutende  Strecke  rückwärts  gehen?  Um 
diesen  Erscheinungen  Rechnmig  zu  tragen,  hat  Ptolemäus  eine  Menge 
von  Epicykeln  eingeführt,  welche  er  der  Reihe  nach  für  jeden  be- 
sonderen Planeten  nach  etlichen  schlecht  zusammenstimmenden  Be- 
wegungsgesetzen zurechtstutzte:  diese  werden  sämtlich  durch  eine 
höchst  einfache,  der  Erde  beigelegte  Bewegmig  beseitigt.  Müfst  Ihr 
ferner,  Signore  Simplicio,  es  nicht  für  eine  aufserordentliche  Absurdität 
erklären,  wemi  man  auf  Grund  des  ptolemäischen  Systemes,  in  wel- 
chem jedem  Planeten  besondere  Sphären  augewiesen  sind,  gleichwohl 


358  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [373.  374.] 

häufig  sagen  mufs,  dafs  Mars,  Avelclier  über  der  Sphäre  der  Soniie 
untergebracht  ist,  tiefer  herabsteigt  als  die  Sonne,  also  deren  Sphäre 
durchbricht  und  der  Erde  näher  kommt  als  der  Sonnenball,  kurz 
darauf  aber  wieder  über  die  Mafsen  höher  hinansteigt  als  diese?  Und 
doch  wird  diesen  und  ähnlichen  Monstrositäten  durch  die  alleinige, 
höchst  einfache  jährKche  Erdbewegung  abgeholfen. 

Sagr.     Wie  dieses  Stehenbleiben,  Rückwärts-  und  Vorwärtsgehen, 

welches  mir  immer  sehr  unwahrscheinlich  vorgekommen  ist,  im  koper- 

nikanischen   Systeme    vor   sich    geht,    möchte    ich    gerne    des   näheren 

erfahren. 

s^mfslrgument         Salv.     Ihi"  Werdet   diese  Vorgänge   derart   erklärt  finden,  Signore 

Kope"rnikusttSagredo,  dafs  schon  diese  Theorie  allein  ausreichen  müfste,  um  jeden, 

dllstmesISsder  nicht  mehr   als    starrköpfig  und   unlenksam  ist,  zur  Beistimmuug 

und  Kückwärt 
gehens  bei  der 

^^^gungen."^^"  also  mit,  dafs,  ohne  jedwede  Änderung  an  der  30-jährigen  Periode  des 
Die  biofse  jähr- Saturn,    der    12-jährigen    des    Jupiter,    der    2-jährigen    des    Mars,    der 

liehe  ■" 


der  Erde  veru?-9- monatlichen   der  Venus    und  der   etwa   80-tägigen  des   Merkur  die 
Tn^gieichKerblofse   jährliche  Bewegung    der  Erde  zwischen  Mars    imd  Venus  die 
gungen^'derTtiQf  anscheinenden  Ungleichheiten  in  den  Bahnen  der  fünf  genannten  Ge- 
stirne verursacht.    Behufs  leichteren  und  gründlicheren  Verständnisses 
Nachweis  der  der  Sache  will  ich  die  entsprechende  Figur  konstruieren.    Nehmt  also 
.1  er ^drei  oberen  an,  im  Mittelpunkte    0   stehe    die    Soime;    wir   wollen    um    diese    den 
duTch''dinähr- Kreis  BGM  zeichnen,   der  von  der  Erde   im   Laufe  eines   Jahres  be- 
der  Erde  bedSgt  schrieben  wird  und  ferner  den  Kreis,  der  z.  B.  von  Jupiter  in  12  Jahren 
um  die  Sonne  beschrieben  wird,   letzterer   möge  hgm  heifsen;  endlich 
denken   wir   uns   an   der   Sternensphäre    den  Tierkreis   yas.     Überdies 
wollen   wir   auf  der  jährlichen   Bahn    der   Erde    eine   Anzahl   gleicher 
Bogen  annehmen  BC,  CD,  DE,  EF,  FG,  GH,  Hl,  IK,  KL,  LM. 
Auf  dem  Kreise   des  Jupiter  zeichnen  wir   andere  Bogen,  die  in  den- 
selben   Zeiträumen    zurückgelegt    werden,    in    welchen    die   Erde    die 
ihrigen  zurücklegt,   sie   mögen   heifsen   hc,  cd,  de,  ef,  fg,  gh,  hi,  ih. 
Jd,  Im-^  diese  werden  in  demselben  Verhältnis  kleiner  sein  als  die  auf 
der  Erdbahn  angenommenen,   wie   die   Bewegung   Jupiters    unter   dem 
Tierkreis  hin  langsamer  erfolgt  als  die  jährHche  Bewegung.   Angenommen 
nun  zur   Zeit,  wo   die  Erde   sich  in  B  befindet,  befinde  sich  Jupiter 
in  i,   so  wird  er  uns   im  Tierkreise  in  p   zu    stehen  scheinen,  wenn 
man  die  gerade  Linie  Bhp  zieht.     Man  denke  sich  jetzt  die  Erde  von 
B  nach  C  fortbewegt  und  gleichzeitig  Jupiter  von  h  nach  c\  Jupiter 
wird    uns    dann  im    Tierkreise    nach   q   gerückt   erscheinen    und    zwar 
in  rechtläufiger  Bewegung  nach  der  Ordnimg  der  Zeichen  x),  q.     Geht 
dann  die  Erde  nach  B  und  Jupiter  nach  (/,  so  wird  er  scheinbar  in 


i 


[374,] 


Dritter  Tag. 


359 


den  Punkt  r  des  Tierkreises  zu  stehen  kommen,  von  ^  aus  wird  er, 
nachdem  er  inzwischen  in  e  angelangt  ist,  im  Punkte  s  des  Tier- 
kreises erscheinen,  immer  noch  in  rechtläufiger  Bewegung.  Wenn  aber 
allmählich  die  Erde  sich  mehr  in  die  gerade  Richtmig  zwischen  Jupiter 


und  Sonne  schiebt,  wenn  sie  etwa  in  F  mid  Jupiter  in  /'  angekommen 
ist,  so  wird  er  in  t  bereits  begonnen  haben,  eine  scheinbar  rückläufige 
Bewegung  im  Tierkreise  auzunehmen.  In  der  Zeit,  wo  die  Erde  den 
Bogen    ILY  zurückgelegt  hat,   wird  Jupiter  zwischen  den  Punkten  6" 


360  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [374.  375.] 

und  t  verweilt  und  für  uns  fast  so  ausgeselien  liaben,  als  stünde  er 
stille  und  sei  stationär  geworden.  Kommt  dann  die  Erde  nach  G  und 
Jupiter  nach  g  in  Opposition  zur  Sonne,  so  zeigt  er  sich  im  Tierkreis 
an  der  Stelle  u  und  hat  sich  scheinbar  um  ein  grofses  Stück,  nämlich 
um  den  vollen  Bogen  tu  des  Tierkreises,  rückwärts  bewegt;  in  Wirk- 
lichkeit jedoch  ist  er  ohne  Unterbrechung  seines  gleichförmigen  Laufs 
stets  vorwärts  gegangen,  und  zwar  nicht  nur  in  seiner  Bahn,  sondern 
auch  im  Tierkreis  mit  Rücksicht  auf  dessen  Mittelpunkt  und  auf  die 
Sonne,  die  in  diesem  Mittelpunkte  steht.  Wenn  nun  Erde  und  «Jupiter 
ihre  Bewegungen  fortsetzen,  Avenn  die  Erde  in  H,  Jupiter  in  h  an- 
gelangt ist,  so  wird  er  scheinbar  wiederum  um  ein  grofses  Stück 
rückwärts  gegangen  sein,  nämlich  um  den  ganzen  Bogen  ux  des  Tier- 
kreises. Ist  die  Erde  in  I,  Jupiter  in  l  eingetroffen,  so  wird  dieser 
scheinbar  die  kleine  Strecke  xy  zurückgelegt  haben  und  dort  stationär 
scheinen.  Wenn  nun  in  der  Folge  die  Erde  nach  K,  Jupiter  nach  h 
gekommen  ist,  so  hat  er  den  Bogen  yn  in  rechtläufigem  Sinne  be- 
schrieben, in  Fortsetzung  ihrer  Bahn  wird  die  Erde  von  L  aus  den 
in  l  befindlichen  Jupiter  im  Punkte  z  erblicken,  und  schliefslich  scheint 
Jupiter,  wenn  er  in  m  steht,  von  der  Erde  M  aus  nach  a  gerückt  zu 
sein  mid  zwar  ebenfalls  in  rechtläufiger  Bewegung.  Sein  ganzer  schein- 
barer Rückgang  im  Tierkreis  ist  daher  vom  Betrage  des  Bogens  sy; 
er  scheint  diesen  Bogen  zurückgelegt  zu  liaben,  wenn  er  in  Wirklich- 
keit in  seiner  Bahn  die  Strecke  ei,  die  Erde  in  der  ihrigen  die 
Strecke  JEI  beschrieben  hat. 
Eückiäuflge  Be-  Was  hier  von  Jupiter  gesagt  worden  ist,  gilt  ebenso  von  Saturn 

wegung  häufiger  j.  o         o  /    a 

bei  Saturn,  sei-  und  Mars ,   nur   dafs  bei  Saturn  solche  Rückgänge   bedeutend  häufiger 

tener  bei  Jupiter,  '  .  .  .  ,  O       O  _  » 

noch  seltener  bei  vorkommen  als  bei  Jupiter,  weil  seine  Bewegung  langsamer  ist  als  die 

Mars  und  Erklä-  .  .  .  .  . 

rung  dafür,    dcs  Jupltcr,  uud   die  Erde  ihn  also   in  kürzeren   Zeiträumen  einholt; 
bei  Mars  hingegen  sind  sie  seltener,  weil  seine  Bewegung  schneller  ist 
als  die  Jupiters,  und  die  Erde  also  mehr  Zeit  gebraucht,  um  ihn  ein- 
zuholen. —  Was  sodann  Venus  und  Merkur  betrifft,  deren  Kreisbahnen 
von    der   der   Erde    umschlossen    werden,    so    ist    auch    bei    ihnen    das 
scheinbare  Stillestehen  und  Rückwärtsgehen  nicht  etwa  eine  Folge  ihrer 
riv:kiäufigenBe- wirklichen  Bewegungen,  sondern  wird  von  der  jährlichen  Bewegung  der 
v'^nusu^Mer^kiu-Erde  vcrursacht,  wie  Kopernikus  scharfsinnig  mit  Berufung  auf  Apollonius 
undlope^rnikurvoii  Pcrga^''')  im  35.  Kapitel  des  5.  Buches  seiner  licvolutiones  nachweist. 
Ihr   seht   hieraus,    wie   leicht   und   einfach   sich  Rechenschaft   von 
wegungMer Erdeden  schciubar   so  auffälligen  Vorgängen   geben  läfst,   welche   man   bei 
eigu™,  d^ie**  auf-  deu  Bewegungen   der  fünf  Planeten  Saturn,  Jupiter,  Mars,  Venus  und 
guDgeii  der  fünf  Merkur  beobachtet,  sobald  man  die  jährliche  Bewegung  der  Erde  zu- 
"  klären.       Schreibt;  alles  Sonderbare  wird  damit  beseitigt  und  auf  gleichförmige, 


I 


I 


[375.  376.]  Dritter  Tag.  361 

regelmäfsige  Bewegungen  zurückgeführt:  und  der  erste,  der  uns  die 
Ursache  dieser  wunderbaren  Erscheinung  klargelegt  hat,  ist  Nikolaus 
Kopernikus  gewesen. 

Aber  noch  einen  anderen,  nicht  minder  wunderbaren  Anhaltspunkt, 
der  vielleicht  mit  noch  unwiderstehlicherem  Zwange  den  widerstrebenden 
menschlichen  Intellekt  nötigt,  ienen  iährlichen  Umlauf  zuzugeben  mid Die  Sonne  seihst 

^    '    .  .  ^  bezeugt,  dafs  die 

ihn  der  Erde  zuzuschreiben,  giebt  uns  die  Sonne  selbst  auf  neue  und  jährliche  Bewe- 

.  ,  ,  gung    der   Krde 

überraschende  Weise  an  die  Hand.     Sie  wollte  nicht,   so   scheint   es,     zukommt. 
allein  sich  Aveigern,  Zeugnis  zu  Gunsten  eines  so  bedeutsamen  Ergeb- 
nisses abzulegen;   sie  wollte  vielmehr   als  ein  über  jeden  Einwand  er- 
habener Zeuge  ^uch  ihren  Teil  daran  haben.  Vernehmet  denn  das  hohe, 
neue  Wmider!^*) 

Der  erste  Entdecker  und  Beobachter  der  Sounenflecken,  wie  aller  ^^r^^kallmfe 
übrigen  neuen  Himmelserscheinungen,  war  unser  Freund  von  der  ^^^- ''^JlZker^dl7 
demie  dci  L'mcei.  Er  entdeckte  dieselben  im  Jahre  1610,  als  er  noch  denJ.°"^^®°^^^^^P^ 
Lehrstuhl  für  Mathematik  an  der  Universität  von  Padua  innehatte,  "^/^^^^^^^^f^^; 
woselbst  er  ebenso  wie  in  Venedig  mit  verschiedenen,  zum  Teil  noch  Geschichte  der 

.  .  fortschreitenden 

am  Leben  befindlichen  Leuten  darüber  sprach.     Em  Jahr  später  zeigte  Beobachtungen, 

.  .  welche  der  Aka- 

er  sie  in  Rom  vielen  Personen,  wie  er  in  dem  ersten  seiner  Briete  an  demiker  an  den 

Sonnenflecken 

Marhus  Weiser,  den  Duumvirn  von  Augsburg,  versichert.  Er  war  der 
erste,  der  die  Ansicht  der  allzu  Zaghaften  und  auf  die  Unveränderlich- 
keit  des  Himmels  Erpichten  bekämpfte  und  behauptete,  dafs  besagte 
Flecke  Materien  seien,  die  innerhalb  kurzer  Zeiträume  entständen  und 
sich  wieder  auflösten;  dafs  sie,  was  ihren  Ort  betreffe,  mit  dem  Sonnen- 
balle in  unmittelbarer  Berührung  stünden;  dafs  sie  sich  um  diesen 
drehten,  oder  aber  ihre  Umläufe  vollzögen,  indem  sie  von  dem  Soimenballe 
selbst  weitergeführt  würden,  der  in  Zeit  von  etwa  einem  Monat  sich 
um  seinen  eigenen  Mittelpunkt  drehe.  Seine  anfängliche  Ansicht  war, 
dafs  die  Sonne  diese  Bewegimg  um  eine  zur  Ekliptik  senkrechte  Achse 
ausführt;  demi  die  von  genannten  Flecken  auf  der  Sonnenscheibe  be- 
schriebenen Bogen  erschienen  unserem  Auge  gerade  und  parallel  zur 
Ebene  der  Ekliptik.  Allerdings  wurden  dieselben  zum  Teil  durch  etliche 
zufällige,  unbestimmte  und  unregelmäfsige  Bewegungen  beeinflufst, 
welchen  die  Flecken  unterworfen  sind,  und  infolge  deren  sie  in  ihrer 
gegenseitigen  Lage  völlig  gesetzlose  Störungen  erleiden,  bald  sich  mehr 
zusammendrängen,  bald  sich  wieder  trennen,  so  dafs  hie  und  da  einer 
in  mehrere  Stücke  zerfällt,  und  bedeutende,  meist  sehr  sonderbare 
Gestaltsveränderungen  durchmacht.  Trotzdem  diese  unregelmäfsigen 
Veränderungen  einigermafsen  den  periodischen  primären  Umlauf  der 
Flecken  beeinflufsten,  so  liefs  sich  doch  unser  Freund  in  seiner  Ansicht 
keineswegs  beirren  und  glaubte  mm  nicht  etwa,  dafs  diese  Abweichungen 


3(32  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [376.  377.] 

eiue  wesentliclie,  gesetzliche  Ursaclie  hätten-,  er  blieb  vielmehr  dabei, 
dals  die  ganze  anscheinende  Modifikation  in  jenen  zufälligen  Änderungen 
begründet  sei,  gerade  wie  solche  sich  zeigen  müfsten,  wenn  man  aus 
grofser  Entfernung  die  Bewegung  unserer  Wolken  betrachtete:  diese 
werden  dem  Beobachter  gleichfalls  in  sehr  schneller,  bedeutender 
und  beständiger  Bewegung  begriffen  erscheinen,  sie  werden  innerhalb 
vierundzwanzig  Stunden  von  der  täglichen  Rotation  der  Erde  —  wenn 
diese  Bewegung  der  Erde  zukommen  sollte  —  fortgerissen  werden  in 
Kreisen,  die  dem  Äquator  parallel  sind,  die  aber  doch  zum  Teil  gestört 
werden  durch  die  von  den  Winden  herrührenden  zufälligen  Bewegungen, 
welche  sie  nach  verschiedenen  Himmelsrichtungen  aufs  Ungefähr  dahin 
treiben.  Zu  dieser  Zeit  geschah  es,  dafs  Herr  Welser  einige  Briefe 
an  ihn  übersendete,  die,  von  einem  gewissen  Anonymus  Apelles  ge- 
schrieben, diese  Flecken  zum  Gegenstand  hatten.  Gleichzeitig  ersuchte 
ihn  der  Übersender,  freimütig  seine  Meinung  über  besagte  Briefe  mit- 
zuteilen und  überdies  anzudeuten,  welches  seine  eigene  Ansicht  über 
diese  Flecken  sei.  Dem  kam  er  nach  in  drei  Briefen,  indem  er  zuerst 
zeigte,  wie  unhaltbar  die  Ideen  des  Apelles  seien,  und  ihm  zweitens 
seine  eigene  Meinung  enthüllte,  sowie  ihm  voraussagte,  dafs  Apelles 
unbedingt  mit  der  Zeit  sich  eines  besseren  besinnen  und  seiner  Mei- 
nung sich  anschliefsen  werde,  wie  es  denn  auch  geschah.  Weil  es 
nun  unserem  Akademiker  däuchte  —  und  so  meinten  auch  andere 
Kenner  der  Naturwissenschaften  —  dafs  er  in  den  genannten  drei 
Briefen  erforscht  und  bewiesen  habe  nicht  vielleicht  alles,  was  mensch- 
liche Wifsbegier  fordern  und  wünschen  mochte,  aber  doch  was  mensch- 
liche Forschung  über  solchen  Stoff'  ermitteln  konnte,  so  stellte  er  für 
einige  Zeit,  mit  anderen  Studien  beschäftigt,  die  fortgesetzten  Beob- 
achtungen ein,  und  blofs  aus  Gefälligkeit  gegen  den  oder  jenen  Freund 
nahm  er  mit  einem  solchen  vereinzelte  Beobachtungen  vor.  Da  nach 
mehreren  Jahren,  als  er  und  ich  auf  meiner  Villa  delle  Sehe  uns  auf- 
hielten, traf  er  mit  mir  auf  einen  alleinstehenden,  sehr  grofsen  und 
dichten  Sonnenfleck,  und  weil  uns  eine  überaus  helle,  andauernd  gün- 
stige Witterung  zu  statten  kam,  so  beobachteten  wir  auf  meine  Bitte 
den  ganzen  Durchgang  desselben,  indem  wir  sorgfältig  von  Tag  zu 
Tag  zur  Zeit,  wo  die  Soime  im  Meridian  stand,  seinen  Ort  zu  Papier 
brachten.  Wie  wir  da  nun  bemerkten*'),  dafs  seine  Bahn  keineswegs 
geradlinig  war,  sondern  beträchtlich  gekrümmt,  nahmen  wir  uns  vor, 
von  Zeit  zu  Zeit  noch  weitere  Beobachtungen  anzustellen.  Für  diesen 
piützUciierEiu-Entschlufs  war  uns  ein  mächtiger  Sporn  der  Gedanke,  welcher  plötzlich 

fall  des  Akade-  o  i  '  ^ 

nükers,  die  be-  meincDi  Gastc  durch  den  Sinn  schofs  mid  den  er  mir  mit  den  Worten 

dcutsameu  Fol- 

mitteilte:  „Filippo,  ich  glaube,  der  Weg  zu  bedeutsamen  Ergebnissen 


genmgeu 


I 


[377.  378.]  Dritter  Tag.  363 

ist  uns  erschlossen.     Denn  wenn  die  Achse,  um  welche  sich  die  Sonne ^ve^h^^Ti^fder 
dreht,  nicht  senkrecht  auf  der  Ebene  der  Ekliptik  steht,  wie  die  eben  foTne°nHc!ckeu' 
beobachtete    krumme    Durchgangslinie    mir    andeutet,    so    werden    Avir  ^^^^  ergeben. 
Anhaltspunkte   für   die    Stellimg   von  Sonne   und  Erde   gewinnen,    wie 
sie  mit  solcher  Sicherheit  und  Beweiskraft  durch  keine  andere  Erschei- 
nung bisher  geliefert  worden   sind."     Von   so   grofser  Verheifsung  an- 
geregt,   bat    ich   ihn,    er   möge    mir    offen   seinen   Gedanken   darlegen. 
Darauf  er:  „Wenn  es  die  Erde  ist,  welche  die  jährliche  Bewegung  um^J'^^^|^''°'^^^[^^- 
die    Sonne    längs    der   Ekliptik    ausführt,    wenn   ferner    die    Sonne    im  an  «len Fieckeu- 
Mittelpunkte  der,  Ekliptik  steht  und  in  diesem  um  sich  selber  rotiert,  si^,^''^",^^''Xk"- 
jedoch  nicht  um  die  Achse  der  Ekliptik  —  d.  h.  um  die  Achse  der  j^ihr-'^^^^^J^^^^"^^^"^'^ 
liehen  Erdbewegung  —  sondern  um  eine  geneigte  Achse,  so  müssen  sich  ^"^r^c^e'^Bewe- 
uns  seltsame  Veränderungen  in  den  scheinbaren  Bewegungen  der  Son- s^^^^^j^'^^^J^'''*^ 
nenflecken  zeigen,  sobald  man  annimmt,  diese  Sönnenachse  bewahre  be- 
ständig und  unabänderlich  dieselbe  Schiefe  und  dieselbe  Richtung  nach 
einem  und  demselben  Punkte   des  Weltalls.     Denn  läuft  der  Erdball 
in  jährlicher  Bewegung  um  die  Sonne,  so  werden  uns  erstens,  während 
wir  von  jenem  dahin  getragen  werden,  die  Durchgangslinieu  der  Son- 
neuflecken   allerdings    bisweilen   gerade   erscheinen   müssen,    aber   nur 
zweimal   im  Jahre,   zu  allen  anderen  Zeiten  werden  sie   merklich  ge- 
krümmte Bogen  zurückzulegen  scheinen.    Zweitens  wird  uns  die  Krüm- 
mung dieser  Bogen  während  einer  Hälfte   des  Jahres  entgegengesetzt 
gerichtet  erscheinen  wie  in  der  anderen,   sechs  Monate  hindurch  wird 
nämlich   die   konvexe    Seite   der   Bogen  nach   dem   oberen  Rande   der 
Sonnenscheibe  gekehrt  sein,  die  übrigen  sechs  Monate  hingegen  nach 
dem  miteren  Rande.     Da  drittens  die  Flecke  unserem  Auge  am  linken 
Rande  der  Sonnenscheibe   zuerst  erscheinen,   dort  gewissermafsen  auf- 
gehen und  am  rechten  Rande  wieder  verschwinden  oder  untergehen, 
so   werden  die   östlichen  Endpunkte,   also   die   Punkte  des   ersten  Er- 
scheinens, sechs  Monate  hindurch  tiefer  liegen  als  die  des  Verschwin- 
dens,    sechs    andere  Monate   lang   wird   das    Gegenteil   stattfinden,    es 
werden   nämlich   die   Flecken    an    höher   gelegenen   Punkten   aufgehen, 
von  diesen  aus  sich  abwärts   senken   und   bei  ihrem  Laufe  schliefslich 
an  tiefer  gelegenen  Pimkten  verschwinden.     Nur  an  zwei  Tagen  des 
ganzen  Jahres  werden  besagte  Auf-  und  Untergangsorte  in  wagrechter 
Linie  liegen,    nach    diesem  Zeitpunkt    des    Gleichgewichts    wird    ganz 
allmählich  die  Bahn  der  Flecken  sich  wieder  zu  neigen  beginnen,  und 
zwar  von  Tag  zu  Tag  immer  mehr,  bis  nach  drei  Monaten  die  gröfste 
Schiefe  erreicht  wird;  von  da  an  wird  sie  wieder  abzunehmen  beginnen 
und  nach  derselben  Frist  Avird  die  zweite  GleichgCAvichtslage  sich  ein- 
stellen.    Als  vierte  Merkwürdigkeit  ist  zu  verzeichnen,   dafs   der  Tag 


364 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[378.  379.] 


der  gröfsten  Schiefe  derselbe  ist,  wie  der  des  geradlinigen  Durchgaugs ; 
am  Tage  des  Gleieligewiclits  hingegen  wird  der  Bogen  der  Bahn  mehr 
als  je  gekrümmt  erseheinen.  Zu  anderen  Zeiten  wird,  je  mehr  die 
Schiefe  abnimmt  und  sich  dem  Gleichgewichte  nähert,  die  Krümmung 
der  Durch gangsbogen  im  Gegenteile  zunehmen." 

Sagr.  Ich  weils,  mein  lieber  Signore  Salviati,  dafs  es  ungezogen 
ist,  Eueren  Vortrag  zu  unterbrechen,  aber  ich  halte  es  für  ebenso 
schlimm,  wenn  Ihr  Euch  weiterhin  in  Worten  ergeht,  die,  wie  man 
zu  sagen  pflegt,  in  den  Wind  gesprochen  sind.  Demi,  offen  gestanden, 
ich  kann  mir  keine  deutliche  Vorstellung  auch  nur  von  einer  der 
Folgerungen  machen,  die  Ihr  ausgesprochen  habt.  Da  ich  aber  unter 
dem  unbestimmten  imd  verworrenen  Eindruck  stehe,  dafs  es  sich  um 
wunderbar  folgenschwere  Dinge  handelt,  möchte  ich  in  den  Stand  ge- 
setzt werden,  sie  einige rmafsen  zu  begreifen. 

Salv.     Das  Gleiche,  was  Ihr  jetzt  erlebt,  widerfuhr  auch  mir,  als 
mein  Gast  mit  blofsen  Worten  mir  davon  Mitteihmg  machte.     Er  er- 
leichterte mir  dann  aber  das  Verständnis,  indem  er  mir  den  Vorgang 
an  einem  Modell  versinnlichte,   welches  in  einer  einfachen  Sphäre  be- 
stand'"^);   er  benutzte   dabei    einige    auf  ihr  angebrachte  Kreise,    aber 
zu  anderem   Zwecke,    als   zu   dem   sie   gemeinhin   angewendet   werden. 
s^hlft,^ffche  Mangels  einer  Sphäre  will  ich  statt  dessen  Zeichuimgen  auf  Papier  je 
gun^gders^nneu-^^ch   Bcdürfuis   eutwerfeu.     Um   den   ersten   von  mir   erwähnten   Um- 
nehmen ^st'^in  stand  zu  verdeutlichen,  dafs  nämlich  die  Durchgänge  nur  zweimal  des 
'^"ue°^übiTgen'"'Jatii'e''=*  geradlinig  erscheinen  köimen,  wollen  wir  annehmen,  der  Punkt  0 

erklärt. 


sei  der  Mittelpunkt  der  Erdbahn  oder,  wie  wir  auch  sagen  können, 
der  Ekliptik  und  zugleich  auch  des  Sonnenballs  selber.  Infolge  der 
grol'sen  Entfernung  zwischen  der  Sonne  vmd  Erde  können  wir  an- 
nehmen, dafs  wir  Erdbewohner  die  Hälfte  von  jener  erblicken.  Der 
um  den  Mittelpunkt  0  beschriebene  Kreis  AB  CD  soll  uns  demgemäfs 


[379.  380.]  Dritter  Tag.  365 

die  äufserste  Grenze  vorstellen,  welche  die  uns  sichtbare  8oimenhemi- 
sphäre  von  der  anderen  verborgenen  treimt  und  scheidet.  Nun  wird 
unser  Auge  ebenso  wie  der  Mittelpunkt  der  Erde  in  der  Ebene  der 
Ekliptik  befindlich  gedacht,  in  welcher  sich  gleicherweise  der  Mittel- 
punkt der  Soiuie  befindet;  wenn  wir  uns  also  den  Sonnenball  von  ge- 
nannter Ebene  geschnitten  denken,  so  wird  der  Schnitt  unserem  Auge 
geradlinig  erscheinen,  etwa  wie  die  Linie  BOD.  Errichtet  man  auf 
ihr  die  Senkrechte  AOC,  so  wird  diese  die  Achse  der  Ekliptik  und  der 
jährliclien  Erdbewegung  sein.  Denken  wir  uns  jetzt,  dafs  der  Sonnen- 
ball rotiere,  ohne  die  Lage  seines  Mittelpunktes  zu  verändern,  aber 
nicht  um  die  Achse  AOÜ  —  welches  die  Senkrechte  zur  Ebene  der 
Ekliptik  ist  —  sondern  um  eine  andere  etwas  geneigte,  etwa  die  Linie 
EOI;  denken  wir  uns  ferner,  dafs  diese  Achse  fest  und  unveränderlich 
beständig  dieselbe  Neigung  und  Richtung  nach  densell)en  Punkten  des 
Firmaments  und  Weltalls  beibehalte.  Nun  beschreibt  bei  den  Rota- 
tionen des  Soimenballs  jeder  Punkt  seiner  Oberfläche  mit  Ausnahme 
der  Pole  die  Peri])herie  eines  gröfseren  oder  kleineren  Kreises,  je  nach- 
dem er  sich  in  gröfserer  oder  geringerer  Entfernung  von  den  Polen 
befindet.  Nehmen  wir  demgemäfs  in  gleicher  Entfernung  von  diesen 
beiden  den  Punkt  F  und  zeichnen  den  Durchmesser  FOG,  welcher 
senkrecht  zur  Achse  EI  steht  und  welcher  den  Durchmesser  des  zu 
den  Polen  E  und  /  gehörigen  gröfsten  Kreises  vorstellt.  Gesetzt  nun 
die  Erde  und  wir  mit  ihr  befänden  uns  in  einem  Punkte  der  Ekliptik, 
von  dem  aus  die  sichtbare  Hälfte  der  Sonne  durch  den  Kreis  ABGD 
begrenzt  erscheint,  von  einem  Kreise  also,  welcher  nicht  nur  —  wie 
es  stets  der  Fall  ist  —  durch  die  Pole  A  und  C,  sondern  auch  durch  die 
Pole  E  und  1  geht;  es  steht  dann  ofl:enbar  der  gröfste  Kreis  mit  dem 
Durchmesser  FG  senkrecht  auf  dem  Kreise  ABCD,  und  gleichfalls 
senkrecht  auf  diesem  steht  auch  der  Strahl,  der  von  unserem  Auge 
nach  dem  Centrum  0  führt,  so  dafs  selbiger  Strahl  in  die  Ebene  des 
Kreises  mit  dem  Durchmesser  FG  hineinfallen  mufs.  Seine  Peripherie 
wird  uns  folglich  als  eine  gerade  Linie  erscheinen,  welche  mit  FG 
identisch  ist.  Sobald  also  im  Punkte  F  ein  Fleck  steht,  der  sodann 
durch  die  Sonnenrotation  weiter  geführt  wird,  legt  er  auf  der  Somien- 
oberfläche  die  Peripherie  desjenigen  Kreises  zurück,  der  uns  als  gerade 
Linie  erscheint;  seine  Durchgangslinie  wird  sich  für  uns  also  gerade 
ausnehmen.  —  Gleichfalls  geradlinig  werden  auch  die  Bewegmigen 
anderer  Flecken  erscheinen,  welche  bei  derselben  Rotation  kleinere 
Kreise  beschreiben,  weil  diese  sämtlich  dem  gröfsten  Kreise  parallel 
sind,  und  unser  Auge  in  unendlicher  Entfernung  von  ihnen  sich  be- 
findet.     Wenn  Ihr  nun  erwägt,    dafs  die  Erde,    nachdem   sie   in  sechs 


366  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [380.  381.] 

Mouateu  die  Hülfte  ihrer  Baku  zurückgelegt  hat,  sich  alsdann  gegen- 
über der  jetzt  unsichtbaren  Hälfte  der  Sonne  befindet,  mithin  die 
Grenze  des  nunmehr  sichtbaren  Teiles  gleichfalls  der  durch  die  Pole  E 
und  I  hindurchgehende  Kreis  AB  CD  ist,  so  werdet  Ihr  einsehen,  dafs 
die  Fleckenbahnen  jetzt  wiederum  die  gleichen  Eigenschaften  haben 
müssen,  d.  h.  sämtlich  geradlinig  erscheinen  werden.  Da  aber  diese 
Eigenschaft  nur  davon  abhängig  ist,  dafs  der  Grenzkreis  durch  die  Pole 
E,  I  hindurchgeht,  und  da  vermöge  der  jährlichen  Bewegung  der  Erde 
besagter  Grenzkreis  sich  von  Moment  zu  Moment  ändert,  so  ist  sein 
Durchgang  durch  die  festen  Pole  E,I  nur  momentan,  und  daher  ist 
auch  die  Zeit,  während  deren  die  Bewegungen  der  Flecken  gerade  er- 
scheinen, nur  momentan.  Aus  dem  bisher  Gesagten  ergiebt  sich  ferner, 
weil  die  Flecken  auf  der  Seite  von  F  auftreten  und  von  dort  aus  an- 
fangen sich  zu  bewegen,  sodann  in  der  Richtung  nach  G  weiterrücken, 
dafs  ihre  Durchgangslinien  von  links  nach  rechts  aufsteigen;  steht  aber 
die  Erde  auf  der  diametral  entgegengesetzten  Seite,  so  wird  das  Er- 
scheinen der  Flecken  in  der  Nähe  von  G  allerdings  auch  zur  Linken 
des  Beschauers  stattfinden,  aber  die  Durchgangslinie  nach  F  hin,  also 
nach  rechts  sich  senken.  —  Denken  wir  uns  jetzt,  die  Erde  habe  sich 
um  den  vierten  Teil  ihrer  Bahn  von  ihrer  gegenwärtigen  Lage  entfernt, 
und  zeichnen  wir  in  einer  zweiten  Figur  wie  zuvor  den  Grenzkreis 
AB  CD  imd  die  Achse  AC,  durch  welche  die  Ebene  unseres  Meridians 
hindurchgehen  würde.*^)  In  dieselbe  Ebene  mufs  aber  auch  die  Rota- 
tionsachse der  Sonne  mit  ihren  Polen  hineinfallen;  einer  davon  ist  uns 
zugekehrt,  d.  h.  auf  der  sichtbaren  Hälfte  gelegen,  welchen  wir  mit  E 
bezeichnen  wollen;  der  andere  wird  in  die  verborgene  Hemisphäre  hin- 
einfallen, ich  bezeichne  ihn  mit  I.  Neigt  sich  also  die  Achse  EI  mit 
ihrem  oberen  Ende  E  gegen  uns,  so  wird  der  infolge  der  Sonnenrotation 
beschriebene  gröfste  Kreis  nunmehr  BFDG  sein;  seine  uns  sichtbare 
Hälfte,  nämlich  BFD,  wird  nun  nicht  mehr  geradlinig  erscheinen,  weil 
die  Pole  E,I  nicht  mehr  auf  der  Peripherie  AB  CD  liegen,  sie  wird 
vielmehr  gekrümmt  aussehen  und  zwar  mit  ihrer  Konvexität  nach  C, 
also  nach  unten  gekehrt.  Dieselben  Erscheinungen  werden  offenbar 
auch  bei  allen  kleineren,  dem  grÖfsten  Kreise  BFD  parallelen  Kreisen 
auftreten.  Es  versteht  sich  auch,  dafs,  wenn  die  Erde  die  diametral 
entgegengesetzte  Lage  einnimmt,  wenn  sie  mithin  die  andere  Sonnen- 
hemisphäre erblickt,  welche  jetzt  verborgen  ist,  sie  von  demselben 
grÖfsten  Kreise  den  Teil  DGB  erblicken  wird,  der  seine  Konvexität 
nach  A,  also  nach  oben  kehrt.  Die  Sonnenfleckenbahnen  in  diesen 
beiden  Lagen  der  Erde  werden  im  ersten  Falle  längs  des  Bogens  BFD, 
im  zweiten  Falle  längs  des  Bogens  DGB  gelegen  sein;  ihre  Aufgangs- 


[381.  382. 


Dritter  Tag. 


367 


und  Untergangsorte  in  der  Nähe  der  Punkte  7>  und  D  werden  gleich 
lioch,  nicht  die  einen  höher  oder  tiefer  liegen  als  die  anderen.  — 
Nehmen  wir  aber  endlich  die  Erde  in  einem  solchen  Punkte  der 
Ekliptik  an,  dafs  weder  der  Grenzkreis  AB  CD  noch  der  Meridian  AC 
durch  die  Pole  E,  I  der  Achse  geht,  wie  es  diese  dritte  Zeichnung  Euch 
vorführt,  wo  der  sichtbare  Pol  E 
zwischen  den  Bogen  Ä  B  des  Grenz- 
kreises und  den  Schnitt  des  Meridiaues 
AC  fallt:  dann  wird  FÜG  der  Durch- 
messer des  gröfsten  Kreises,  FNG 
der  sichtbare  Halbkreis  und  GSF  der 
unsichtbare  sein,  jener  mit  seiner 
Konvexität  iVnach  unten  hin  gekehrt, 
dieser  mit  seiner  Wölbving  S  nach 
dem  oberen  Sonuenrande  gewendet. 
Die  Ein-  und  Austrittsstellen  der 
Flecken,  d.  h.  die  Enden  F  imd  G 
werden  nicht  im  Niveau  liegen  wie  im  vorigen  Falle  B  mid  T),  son- 
dern F  tiefer,  G  höher;  jedoch  wird  der  Unterschied  geringer  sein 
als  bei  der  ersten  Figur.  Auch  wird  der  Bogen  FNG  gekrümmt  sein, 
aber  nicht  in  dem  Mafse  wie  im  vorangehenden  Falle  BFD.  Daher 
werden  bei  dieser  Lage  die  Durchgänge  der  Flecken  von  der  linken 
Seite  F  nach  der  rechten  G  ansteigen  und  in  krummen  Linien  erfolgen. 
Denkt  man  sich  dami,  die  Erde  sei  in  der  diametral  entgegengesetzten 
Lage,  es  sei  mithin  die  jetzt  unsichtbare  Seite  sichtbar  geworden  und 
werde  von  demselben  Grenzkreis  AB  CD  begrenzt,  so  erkennt  man 
ohne  weiteres,  dafs  der  Lauf  der  Flecken  längs  des  Bogens  GSF  erfolgt 
und  zwar  au  dem  höchstgelegenen  Pnqjcte  G  beginnend,  welcher  gleich- 
falls zur  Linken  des  Beobachters  liegt,  und  nach  rechts  hin  absteigend 
und  am  Punkte  F  endend.  Hat  man  erst  die  bisherigen  Auseinander- 
setzungen verstanden,  so  macht  es  meiner  Ansicht  nach  weiter  keine 
Schwierigkeiten  zu  begreifen,  wieso  die  veränderliche  Lage  des  Grenz- 
kreises, welcher  bald  durch  die  Pole  der  Sonnenrotation  hindurchgeht, 
bald  mehr,  bald  weniger  weit  an  ihnen  vorbeigeht,  die  sämtlichen 
Verschiedenheiten  in  dem  scheinbaren  Weg  der  Flecken  herbeiführt: 
je  mehr  die  Pole  von  dem  Grenzkreise  entfernt  sind,  um  so  krummer, 
aber  um  so  weniger  schief  werden  besagte  Bahnen  sein.  Bei  der 
gröfstmöglichen  Entfernung,  wenn  nämlich  diese  Pole  in  der  Ebene 
des  Meridians  liegen,  erreicht  die  Krümmimg  ihren  höchsten  Betrag, 
die  Schiefe  aber  ihren  geringsten,  nämlich  den  des  Niveaus,  wie  die 
zweite  Figur  beweist.     Wenn  im  Gegenteil   die  Pole   auf  dem  Grenz- 


368  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [382.  383.] 

kreise  liegen,  wie  die  erste  Figur  zeigt,  so  hat  die  Neigung  ihren 
höchsten  Betrag,  die  Krümmung  aber  ihren  geringsten,  sie  reduziert 
sich  nämlich  auf  die  Geradlinigkeit.  Entfernt  sich  der  Grenzkreis  von 
den  Polen,  so  beginnt  die  Krümmung  merklich  zu  werden,  indem  sie 
stetig  wächst,  während  die  Schiefe  und  Neigung  sich  verringert. 

Dies  sind  die  merkwürdigen  Veränderungen,  die,  wie  mein  Gast 
mir  sagte,  im  Lauf  der  Zeit  an  den  Sonnenfleckenbahnen  sich  zeigen 
müfsten,  sobald  wirklich  die  Erde  es  ist,  welche  die  jährliche  Bewegung 
ausführt,  und  sobald  die  Sonne,  im  Mittelpunkte  der  Ekliptik  befindlich, 
sich  um  sich  selber  dreht  um  eine  Achse,  die  nicht  senkrecht,  sondern 
schief  zur  Ebene  der  Ekliptik  steht. 

Sagr.  Ich  verstehe  diese  Folgerungen  sehr  wohl  mid  glaube  sie 
meiner  Vorstellungskraft  noch  besser  einprägen  zu  können,  wenn  ich 
sie  bestätige,  indem  ich  eine  Kugel  in  entsprechend  geneigter  Lage 
von  verschiedenen  Seiten  her  betrachte.  Es  erübrigt  noch,  dafs  Ihr 
uns  mitteilt,  wie  es  denn  mit  der  Verwirklichung  der  vorausgesagten 
Erscheinungen  erging. 

Salv.    Die  Sache  war  so:  wir  setzten  viele,  viele  Monate  hindurch 

unsere  Beobachtungen  aufs  sorgfältigste  fort,    zeichneten   mit  gröfster 

Genauigkeit    die   Durchgänge    verschiedener  Flecken   zu  verschiedenen 

DieBeobachtung2;eiten  dcs  Jahres    auf  und   fanden   auf  diese  Weise,    dafs   der  Erfolg 

der  Thatsachen  '  '=' 

entsprach  den  o;enau  dcu  Voraussagungeu  entsprach. 

Voraus-         O  o        o  ir 

sagungeu.  SagF.     Siguorc   Simplicio,   wenn  das,   was   Signore  Salviati   sagt, 

seine  Richtigkeit  hat  —  und  wir  dürfen  ja  seine  Worte  nicht  in  Zweifel 
ziehen  —  dann  werden  die  Anhänger  des  Ptolemäus  und  des  Aristoteles 
sich  nach  schlagenden  Gegenbeweisen,  bedeutsamen  Wahrscheinlich- 
keitsgründeu  und  unbezweifelbaren  Erfahrungen  umsehen  müssen,  um 
einer  so  gewichtigen  Bestätigung  die  Wage  zu  halten  und  zu  bewirken, 
dafs  ihre  Meinung  nicht  ganz  und  gar  in  die  Höhe  geschnellt  werde. 
Wiewohl  die  der  Simpl.    Sachte,  Heber  Herr,  denn  Ihr  seid  doch  nicht  ganz  so  weit, 

Erde  zugeschrie-  l"  ;  7  »  ; 

bene  jährliche  g^jg  j]^j.  vielleicht  Euch  einredet  zu  sein.    Denn  wenn  ich  auch  materiell 

Bewegung  die 

ers'cTe'inun^en  *^^®  Entwicklungen  von  Signore  Salviati  mir  noch  nicht  völlig  angeeig- 
erkiärt,  so  folgt  jjg^  habe,    so   kann   ich   doch   bei   Berücksichtigung   ihrer  Form  nach 

doch  nicht  not-  '  O        O 

wendig  imge-  meiner  Logik  nicht  finden,   dafs  eine  derartige  Schlufs weise  irgendwie 

kehrt  aus  den  O  7  o  o 

Sonnenflecken-  einen  zwingendcu  Beweis  zu  Gunsten  der  kopernikanischen  Hypothese 

erschemungen,  »  L  J  r 

'^Bewe'';in"^der'''^^*§^^^^?  ^^^^  uäiulich  dic  Sonuc  im  Mittelpunkte  des  Tierkreises  fest- 
Erde  zukommt,  gtche,  uud  die  Erde  sich  längs  seiner  Peripherie  hin  bewege.  Denn 
weim  auch  wirklich  bei  Annahme  einer  solchen  Somienrotation  und 
eines  solchen  Erdumlaufs  notwendig  an  den  Sonnenflecken  die  und  die 
Eigentümhchkeiten  wahrzunehmen  sein  müssen,  so  folgt  noch  nicht 
umgekehrt,  dafs  aus  diesen  Eigentümlichkeiten  der  Sonnenflecken  sich 


[383.  384.]  Dritter  Tag.  369 

notwendig  die  Bewegung  der  Erde  längs  der  Peripherie  und  die  Stel- 
lung der  Sonne  im  Mittelpunkte  des  Tierkreises  ergiebt.  Denn  wer 
giebt  mir  die  Gewifsheit,  dafs  ähnliche  Eigentümlichkeiten  nicht  auch 
an  der  durch  die  Ekhptik  hin  sich  bewegenden  Sonne  von  den  Be- 
wohnern der  im  Mittelpimkte  stehenden  Erde  wahrgenommen  werden 
können?  Wenn  Ihr  mir  nicht  zuerst  beweist,  dafs  man  von  dieser 
Erscheinung  nicht  auch  Rechenschaft  geben  kann,  indem  man  die 
Sonne  sich  bewegen  und  die  Erde  feststehen  läfst,  werde  ich  meine 
Meinung  nicht  aufgeben  und  dabei  bleiben,  dafs  die  Sonne  sich  bewegt 
und  die  Erde  unbeweglich  verharrt. 

Sagr.  Signore  Simplicio  hält  sich  wacker,  mit  grofsem  Scharfsinn 
opponiert  er  und  verteidigt  er  den  Standpunkt  des  Aristoteles  imd  Ptole- 
mäus.  Soll  ich  offen  sein,  so  scheint  mir,  dafs  durch  die  Unterhaltung 
^it  Signore  Salviati,  wiewohl  sie  nur  von  kurzer  Dauer  gewesen  ist, 
seine  Geschicklichkeit  im  Herleiten  beweiskräftiger  Schlüsse  bedeutend 
zugenommen  hat,  eine  Wirkung,  die  ich  auch  an  anderen  habe  beob- 
achten können.  Was  nun  das  Problem  betriff't,  ob  von  den  schein- 
baren Eigentümlichkeiten  bei  der  Bewegung  der  Sonnenflecken  sich 
zureichende  Rechenschaft  geben  läfst  unter  der  Annahme,  die  Erde 
sei  unbeweglich  und  die  Sonne  bewege  sich,  so  erwarte  ich,  dafs  uns 
Signore  Salviati  seine  Ansicht  darüber  mitteilt;  denn  es  ist  wohl 
anzunehmen,  dafs  er  darüber  nachgedacht  und  ausfindig  gemacht  hat, 
was  sich  für  diesen  Standpunkt  vorbringen  läfst. 

Salv.  Ich  habe  das  öfters  überlegt  und  auch  mit  meinem  Freund 
und  Gast  darüber  gesprochen.  Über  das,  was  ein  Teil  der  Philo- 
sophen und  Astronomen  zur  Stütze  des  alten  Systems  vorbringen 
wird,  sind  wir  nicht  in  Zweifel;  wir  sind  nicht  in  Zweifel,  dafs  die 
richtigen,  echten  Peripatetiker  jeden  verlachen,  der  sich  mit  solchen 
ihrem    Gaumen    widerstrebenden   Albernheiten    einläfst,    und    dafs    sie  ^^?  richtigen 

'  peripatetiscnen 

diese  sämtlichen  Erscheinungen  für  nichtige  Vorspiegelungen  der  Glas-^^g""j?]'^^jg^g^ 
linsen  ausgeben  werden:  auf  diese  Weise  werden  sie  sich  leichten  Kanfs  '""i  '^t  j^®  ^''' 

~  trenenden 

der  Verpflichtung  entziehen,  des  weiteren  darüber  nachzudenken.    Was  Erscheinungen 

1:  O  7  als  \  orspiege- 

aber  die  philosophischen  Astronomen  betrifft,  so  haben  wir  nach  zieni-'^^jj^^^^^'^g^^^g"" 
lieh  sorgfältigem  Nachdenken  über  das,  was  sich  etwa  vorbringen  liefse,      lachen.  ^ 
keinen  Ausweg  gefmiden,  der  gleichzeitig  dem  Wege  der  Flecken  und 
den  Pfaden   des  Denkens   gerecht  würde.     Ich  will  Euch  auseinander- 
^tzen,  worauf  wir  verfallen  sind,  imd  Ihr  werdet  daraus  die  von  Euerer 
Vernunft  gebotene  Nutzanwendung  ziehen. ■^^) 

Gesetzt,  die  scheinbaren  Bewegungen  der  Flecken  seien  so,  wie 
oben  angegeben-,  gesetzt  ferner,  die  Erde  stehe  imbeweglich  inmitten 
der  Ekliptik;   auf  deren  Peripherie  hingegen  befinde  sich  der  Sonnen- 

Galilei,  Weltsysteme.  24 


370  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [384.  .385,] 

mittelpunkt,   so   mufs   notwendig   die  ürsaclie   aller  Verschiedenheiten, 
Wenn  die  Erde  ^jjg   ]^q[  dicscn   Bewegungen   hervortreten ,    ihren    Sitz   am    Sonnenballe 

unbeweglich  im  o        !=> 

Mittelpunkt  des  Jiabcn.    Dicscr  wird  erstens  sich  um  sich  selber  drehen  und  die  Flecken 

Tierkreises  steht,  ,  .       ,  . 

mufs  man  der  j^j^  g[Q]^  fortführen  müsscn,  welche,  wie  wir  angenommen,  ja  bewiesen 

Sonne  vier  ver-  '  '  .  . 

schiedene  Bewe- jia^lgejj      Jer    Sonneuoberfläche    anhaften       Zweitens    wird    man    sagen 

gungen  beilegen,  '  .., 

wie  des  näheren  müssen,  dafs  die  Achse  der  Sonneurotation  mcht  parallel  zur  Achse  der 

aiisgeführt  wird.  '  t  •  •    i  i 

Ekliptik  ist,  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  dafs  sie  nicht  senk- 
recht auf  der  Ebene  der  Ekliptik  steht-,  denn  wäre  dem  so,  so  würden 
uns  die  Durchgangslinien  der  Flecken  gerade  und  parallel  der  Ekliptik 
erscheinen  müssen.  Jene  Achse  ist  also  geneigt,  weil  die  Durchgangs- 
linien meistenteils  krumm  erscheinen.  Drittens  wird  man  behaupten 
müssen,  die  Neigung  dieser  Achse  sei  nicht  eine  feste,  stets  nach  dem- 
selben Punkte  des  Universums  gerichtete.  Denn  wäre  die  Schiefe  stets 
nach  demselben  Punkte  gekehrt,  so  veränderten  die  Durchgangslinien 
niemals  ihr  Aussehen,  sondern  gerade  oder  krumm,  aufwärts  oder  ab- 
wärts gebogen,  ansteigend  oder  sich  senkend,  sie  würden  stets  einmal 
aussehen  wie  ein  anderes  Mal.  Man  mufs  also  notgedrungen  annehmen, 
die  Achse  drehe  sich  und  befinde  sich  zuweilen  in  dem  äufsersten  Grenz- 
kreise der  sichtbaren  Hemisphäre,  dann  nämlich,  wenn  die  Flecken- 
bahnen geradlinig  scheinen  und  ihre  höchste  Schiefe  annehmen,  was 
zweimal  des  Jahres  geschieht;  zu  anderen  Zeiten  hingegen  müfste  sie 
sich  in  der  Meridianebene  des  Beobachters  befinden  derart,  dafs  der 
'eine  ihrer  Pole  in  die  sichtbare,  der  audere  in  die  unsichtbare  Hemi- 
sphäre hineinfallt,  und  zwar  würden  beide  von  den  Endpunkten,  oder 
wir  wollen  sagen  von  den  Polen,  einer  zweiten  zur  Ekliptikachse  paral- 
lelen Achse  —  eine  solche  zweite  Achse  wird  man  notwendig  dem 
Sonnenballe  beilegen  müssen  —  um  den  Betrag  des  Neigungswinkels 
der  Fleckenrotationsachse  entfernt  sein.  Ferner  müfste  einmal  der  in  die 
sichtbare  Hemisphäre  fallende  Pol  in  der  oberen,  ein  anderes  Mal  in 
der  unteren  Hälfte  derselben  sich  befinden;  denn  dafs  dem  so  ist,  da- 
für liefern  uns  den  zwingenden  Beweis  die  Bahnen  der  Flecken,  wemi 
sie  im  Niveau  liegen  und  den  höchsten  Grad  der  Krümmung  besitzen, 
während  gleichzeitig  einmal  ihre  Konvexität  nach  dem  unteren,  einmal 
nach  dem  oberen  Rande  der  Sonnenscheibe  gekehrt  ist.  Da  nun  diese 
Zustände  in  einem  fortwährenden  Wechsel  begriffen  sind,  die  Schiefe 
und  die  Krümmung  bald  gröfser,  bald  kleiner  wird,  jene  bisweilen 
sich  auf  eine  völlig  wagrechte  Lage  reduziert,  diese  bis  zu  völliger 
Geradheit  sich  verringert,  so  mufs  man  notwendig  die  Annahme 
machen,  die  Achse  der  monatlichen  Fleckenrotation  selber  habe  eine 
eigene  Drehung,  infolge  deren  ihre  Pole  zwei  Kreise  um  die  Pole 
einer  zweiten  Achse  beschreiben,  die  man,  wie  gesagt,  der  Sonne  zu- 


[385.  386.]  Dritter  Tag.  .  3.11 

schreiben  mufs;  der  Halbmesser  besagter  Kreise  müfste  dann  dem  Be- 
trage der  Neigung  dieser  Aclise  entsprechen.  Sodann  mufs  die  Periode 
dieser  Eigenbewegung  der  Achse  ein  Jahr  betragen,  insofern  dies  die 
Frist  ist,  innerhalb  welcher  alle  Erscheinungen  und  Verschiedenheiten 
an  den  Fleckenbahnen  sich  wiederholen.  Dafs  ferner  die  Umdrehung 
jener  Achse  um  die  Pole  einer  zweiten  zur  Ekliptik  senkrechten  Achse 
erfolgt  und  nicht  etwa  um  andere  Punkte,  dafür  sind  die  Höchst- 
beträge der  Schiefe  und  der  Krümmung,  welche  stets  die  gleiche  Gröfse 
besitzen,  ein  deutliches  Anzeichen.  —  Schliefslich  ist  es  also  nötig,  um 
die  Erde  im  Mittelpmikte  festhalten  zu  können,  der  Sonne  zwei  Be- 
wegungen um  ihren  eigenen  Mittelpunkt,  aber  um  zwei  verschiedene 
Achsen,  zuzuschreiben,  deren  eine  ihre  Umdrehung  in  einem  Jahre  voll- 
endet, während  die  andere  sie  in  weniger  als  einem  Monat  ausführt, 
eine  Aimahme,  die  meiner  Vernunft  sehr  hart,  ja  unmöglich  erscheint. 
Es  rührt  dies  daher,  dafs  man  dem  nämlichen  Sonnenball  noch  zwei 
weitere  Bewegungen  um  die  Erde  und  zwar  um  verschiedene  Achsen 
beilegen  mufs,  indem  er  nämlich  einmal  die  Ekliptik  im  Laufe  eines 
Jahres  zurücklegt  und  andererseits  Windungen  oder  Kreise  parallel 
zum  Äquator  einmal  des  Tages  beschreibt.  Man  sieht  danach  keinen 
Grund,  warum  jene  dritte  Bewegung  der  Sonne  um  sich  selbst  —  ich 
meine  nicht  die  ungefähr  monatliche,  welche  die  Flecken  weiterführt, 
sondern  ich  spreche  von  der  anderen,  welche  die  Achse  und  Pole  dieser 
monatlichen  fortbewegt  —  warum  jene  dritte  Bewegung,  sage  ich, 
ihre  Periode  gerade  in  einem  Jahre  vollenden  soll  in  Übereinstimmung 
mit  der  jährlichen  Bewegung  längs  der  Ekliptik,  und  nicht  vielmehr 
in  24  Stunden,  übereinstimmend  mit  der  täglichen  Bewegung  um  die 
Pole  des  Äquators.  Was  ich  da  sage,  ist  sehr  dunkel,  ich  weifs  es, 
aber  es  wird  Euch  klar  werden,  wenn  wir  von  der  dritten  jährlichen 
Bewegung  sprechen,  die  Kopernikus  der  Erde  beigelegt  liat.'^')  Wenn 
nun  diese  vier  miteinander  so  schlecht  vereinbaren  Bewegungen, 
welche  man  sämtlich  einem  und  demselben  Sonnenball  beizulegen 
hätte,  sich  auf  eine  einzige  höchst  einfache  zurückführen  lassen,  welche 
man  der  Sonne  um  eine  unveränderliche  Achse  erteilt,  und  wenn  man 
ohne  irgendwelche  Änderung  an  den  aus  so  vielen  anderen  Gründen 
der  Erde  zugeschriebenen  Bewegungen  auf  diese  Weise  so  leicht  jene 
merkwürdigen  Erscheinungen  betreffs  der  Sonnenfleckenbewegungen 
erklären  kann,  so  scheint  mir  in  der  That,  dieser  Ausweg  sei  nicht 
abzuweisen. 

Dieses,  Signore  Simplicio,  ist  es,  was  bis  jetzt  miserem  Freunde 
und  mir  beigefallen  ist,  um  jene  Erscheinmig  vom  Standpunkte  der 
Kopernikaner  mid  von  dem  der  Anhänger  des  Ptolemäus  unter  Wahrung 

24* 


372  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [386.  387.J 

ihrer  Ansichten  zu  erklären.  Macht  Ihr  nun  diejenige  Nutzanwendung 
davon^  welche  Euere  Vernunft  Euch  anempfiehlt. 

Simpl.  Ich  fühle  mich  aufser  Stande  bei  einer  so  wichtigen  Ent- 
scheidung mitzusprechen.  Meine  Meinung  ist,  dafs  ich  keine  Partei 
ergreifen  werde;  ich  gehe  mich  jedoch  der  Hofinung  hin,  dafs  dereinst 
die  Zeit  kommen  wird,  wo  wir  von  höherer  Offenbarung  als  von  blofser 
menschlicher  Vernunft  erleuchtet  werden,  wo  der  Schleier  vor  unserem 
Geiste  weggezogen,  der  Nebel,  der  ihn  jetzt  umfinstert,  zerrissen  wird. 

Sagr.  Vortrefflich  und  fromm  ist  die  Weisung,  an  die  sich  Signore 
Simplicio  hält,  und  wert  von  jedermann  angenommen  und  befolgt  zu 
werden;  denn  nur  dem,  was  Ausflufs  höchster  Weisheit  imd  oberster 
Autorität  ist,  kann  man  mit  voller  Zuversicht  sich  hingeben.  Aber 
insoweit  es  der  menschlichen  Vernunft  gestattet  ist  zu  forschen,  er- 
kläre ich,  imter  Beschränkung  auf  das  Gebiet  der  Vermutungen  und 
WahrscheinHchkeitsgründe,  mit  etwas  gröfserer  Entschiedenheit  als 
Signore  Simplicio:  von  allen  Subtilitäten ,  die  ich  je  gehört  habe,  hat 
nichts  mich  mehr  in  Staunen  versetzt,  nichts  einen  stärkeren  Druck 
auf  meinen  Geist  ausgeübt  —  abgesehen  von  den  rein  geometrischen 
und  arithmetischen  Beweisen  —  als  jene  beiden  Wahrscheinhchkeits- 
beweise:  der  eine,  welcher  sich  auf  das  Stillestehen  mid  Rückwärts- 
gehen der  fünf  Planeten  stützt,  und  der  andere,  welcher  auf  den  Eigen- 
tümlichkeiten bei  den  Bewegungen  der  Sonnenflecken  beruht.  Und 
weil  diese  Erklärungen,  wie  mir  scheint,  so  leicht  und  lichtvoll 
Rechenschaft  über  die  wahre  Ursache  so  auffälliger  Erscheinungen 
geben,  weil  sie  zeigen,  wie  eine  einzige  einfache  Bewegung,  zusammen- 
gesetzt mit  einigen  anderen  auch  einfachen,  aber  imter  einander  ver- 
schiedenen Bewegungen,  alles  erklärt,  ohne  dafs  irgendwelche  Schwierig- 
keit entstünde,  indem  vielmehr  alle  Schwierigkeiten  der  gegenteiligen 
Annahme  beseitigt  werden  ^'^):  so  komme  ich  bei  mir  selber  zum  Schlufs, 
dafs  im  bedingt  diejenigen,  welche  sich  gegen  eine  solche  Lehre  sträuben, 
jene  klar  beweisenden  Gründe  entweder  nicht  gehört  oder  nicht  ver- 
standen haben. 

Salv.  Ich  nenne  diese  Gründe  weder  beweisend  noch  auch  nichfc- 
beweisend;  denn,  wie  ich  öfters  gesagt  habe,  meine  Absicht  ist  nicht 
gewesen  eine  so  bedeutsame  Frage  endgültig  zu  entscheiden,  sondern 
nur  die  natürlichen  mid  astronomischen  Gründe  anzuführen,  welche 
ich  für  die  eine  oder  andere  Partei  anzuführen  weifs,  während  ich  die 
Entscheidung  anderen  anheimstelle.  Diese  wird  endlich  einmal  unzwei- 
deutig gefällt  werden,  da  notwendig  eines  der  beiden  Systeme  richtig 
imd  das  andere  falsch  sein  mufs,  und  mithin  unausbleiblich  die  Gründe 
für  die  wahre  Lehre  —  ich  meine  nur  innerhalb  der  Grenzen  mensch- 


[387—389.]  Dritter  Tag.  373 

lieber    Wissenschaft    —    sich    als    ebenso    beweiskräftig    herausstellen 
müssen,  wie  die  gegenteiligen  als  nichtig  und  verfehlt. 

Sagr.  Darnach  wird  es  also  an  der  Zeit  sein,  die  Einwände  des 
„Thesen-  oder  Beweisbttchleins"  zu  vernehmen,  welches  Signore  Sim- 
plicio  wieder  mitgebracht  hat. 

Simpl.  Hier  habe  ich  das  Buch  imd  hier  ist  die  Stelle,  wo  der 
Verfasser  zuerst  kurz  das  Weltsystem  der  kopernikanischen  Lehre 
gemäfs  «besckreibt;  es  heifst  da:  Terram  i(jitur  iina  cum  Lima,  totoque 
hoc  clemcntari  mundo  Copernicus,  efc.^^) 

Salv.  Haltet  einen  Augenblick  ein,  Signore  Simplicio;  gleich 
dieser  Eingang  scheint  mir  die  Verständnislosigkeit  des  Verfassers 
gegenüber  derjenigen  Lehre  zu  bekunden,  welche  er  zu  widerlegen  sich 
unterfängt-,  sagt  er  doch,  Koiiernikus  lasse  die  Erde  samt  dem  Monde 
in  einem  Jahre  ihre  Bahn  um  die  Sonne  in  der  Richtimg  von  Osten 
nach  Westen  zurücklegen.  So  falsch  und  unmöglich  dies  aber  ist,  so 
wenig  hat  Kopernikus  es  je  behauptet;  er  läfst  sie  vielmehr  sich  in 
entgegengesetztem  Sinne  drehen,  nämlich  von  Westen  nach  Osten  d.  h. 
nach  der  Ordnung  der  Zeichen;  infolge  dessen  erscheint  dann  ,die 
Bewegung  der  Sonne  ebenso  gerichtet,  da  sie  unbeweglich  im  Mittel- 
punkte des  Tierkreises  steht.  Es  zeugt,  wie  Ihr  seht,  von  einem  allzu 
kühnen  Selbstvertrauen,  wenn  man  sich  an  die  Widerlegung  der  Lehre 
eines  anderen  macht  und  nicht  einmal  ihren  ersten  Grundstein  kennt, 
auf  welchem  der  gröfste  und  wichtigste  Teil  des  ganzen  Baues  ruht. 
Es  ist  das  ein  schlechter  Anfang,  um  sich  das  Vertrauen  des  Lesers 
zu  erwerben;  aber  fahren  wir  fort. 

Simpl.  Nachdem  er  den  Bau  des  Weltalls  auseinandergesetzt,  be- 
ginnt er  mit  seinen  Einwendungen  gegen  die  jährliche  Bewegung. 
Die  ersten  sind  ironisch  gemeint  und  sollen  Kopernikus  und  seine  An- 
hänger lächerlich  machen.  Er  schreibt,  man  müsse  diesem  phantasti-  ironische  Ein- 
schen Bau  des  Weltalls  zuliebe  die  ärgsten  Albernheiten  behaupten :  dafs^^ss°en' B^ücif-^ 
Sonne,  Venus  und  Merkur  unter  der  Erde  sich  befinden,  dafs  schwere  Kopernikus. 
Körper  von  Natur  sich  aufwärts  bewegen,  leichte  abwärts;  dafs  Christus, 
unser  Herr  und  Erlöser  in  die  Hölle  hinaufstieg  und  zum  Himmel 
hinabfuhr;  dafs  auf  das  Geheifs  Josuas,  die  Sonne  möge  stillestehen, 
die  Erde  stillestand  oder  aber  die  Sonne  sich  in  entgegengesetzter 
Richtung  zur  Erde  bewegte;  dafs  wenn  die  Sonne  im  Krebs  steht,  die 
Erde  durch  den  Steinbock  läuft;  dafs  die  Winterzeichen  des  Tierkreises 
den  Sommer  bewirken,  die  Sommerzeicben  den  Winter;  dafs  nicht  die 
Sterne  für  die  Erde  auf-  und  untergehen,  sondern  die  Erde  für  die 
Sterne;  dafs  der  Osten  im  Westen  beginnt  und  der  Westen  im  Osten; 
kurzum  dafs  fast  der  ganze  Weltenlauf  in  sein  Gegenteil  verkehrt  wird. 


374  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [389.  390.] 

Salv.  Ich  will  mir  alles  gefallen  lassen,  nur  nicht,  dafs  der  Ver- 
fasser Stellen  der  heiligen  Schrift,  die  stets  verehrimgswürdig  und 
ehrfurchtgehietend  bleibt,  leider  mit  diesen  possenhaften,  kindischen 
Bemerkungen  vermengt  hat,  dafs  er  mit  hochheiligen  Dingen  auf  einen 
Gegner  losschlagen  will,  während  er  scherzende  und  witzelnde  Argu- 
mente vorbringt,  weder  eine  Behauptung  verficht  noch  bekämpft,  son- 
dern in  freierer  Weise  auf  gewisse  Voraussetzungen  oder  Hypothesen 
hin  räsonniert.^-) 

Simpl.  In  der  That,  auch  ich  habe  daran  nicht  geringen  Anstofs 
genommen  und  zwar  vornehmlich  darum,  weil  er  nachher  hinzusetzt: 
wenngleich  die  Kopernikaner  auf  diese  und  ähnliche  Gründe,  wiewohl 
in  sehr  bizarrer  Weise,  zu  entgegnen  wüfsten,  so  wären  sie  doch  nicht 
imstande,  die  folgenden  Einwände  zu  entkräften  und  zu  widerlegen. 

Salv.  Das  macht  die  Sache  vollends  schlimm;  denn  daraus  geht 
hervor,  dafs  es  triftigere  und  schlagendere  Argumente  giebt  als  die 
Autorität  der  heiligen  Schrift.  Doch  ich  bitte,  zollen  wir  dieser  unsere 
Ehrfurcht  und  gehen  wir  über  zu  den  Erwägungen  menschlicher  Ver- 
nunft. Oder  lassen  wir  lieber  die  ganze  Sache,  wenn  nicht  anders  der 
Verfasser  unter  den  natürlichen  Gründen  Dinge  von  besserem  Verstände 
vorbringt  als  die  bisher  angeführten;  denn  ich  gebe  mich  wahrlich 
nicht  dazu  her,  auf  so  abgeschmackte  Albernheiten  ein  Wort  zu  ent- 
gegnen. Wenn  er  sagt,  die  Kopernikaner  erwiderten  auf  solche  Ein- 
wände, so  ist  das  durchaus  falsch;  es  ist  anzunehmen,  dafs  überhaupt 
kein  Mensch  seine  Zeit  so  unnütz  zu  vergeuden  gewillt  wäre. 

Simpl.  Auch  ich  schliefse  mich  diesem  Urteil  an.  Hören  wir 
deshalb  die  anderen  Einwände,  die  er  als  bei  weitem  schlagender  be- 
zeichnet. Ihr  seht  nun  hier,  wie  er  durch  höchst  genaue  Rechnungen 
Nimmt  man  an,beweist,  dafs,  wcmi  die  Bahn  der  Erde  um  die  Sonne,  welche  nach 
we^mg  komme'Kopernikus  von  jener  in  einem  Jahre  zurückgelegt  wird,  fast  unmerk- 
mufs'ein^Fis-^lich  klciu  wärc  im  Vergleich  zu  der  ungeheueren  Fixsternsphäre,  wie 
*die°ganze^Erd-*uian  uach  Kopemikus  eigenen  Worten  anzunehmen  hat,  man  unbedingt 
erklären  und  behaupten  mufs,  die  Fixsterne  besäfsen  unvorstellbar  grofse 
Entfernungen  von  ims,  und  die  kleinsten  von  ihnen  seien  gröfser  als 
die  ganze  Erdbahn  und  einige  gröfsere  überträfen  sogar  an  Gröfse  die 
Saturnsphäre:  Massen,  die  denn  doch  zu  gewaltig  sind,  unfafsbar  und 
unbegreiflich. 

Salv.      Ich  habe    schon    einen    ähnlichen  Einwand    Tychos    gegen 

Kopernikus  zu  Gesicht  bekommen"'^)  imd  nicht  jetzt  erst  habe  ich  den 

Tychos  Argu-  Fchlschlufs,  odcr  besser  gesagt  die  Fehlschlüsse  bei  dessen  Herleitung 

voraussetzun-  entdeckt.     Sie   stützt   sich   auf  durchaus   falsche  Voraussetzungen   und 

gen   egrun  e .  ^^^^  eiucu  Ausspruch  vou  Kopcmikus  selbst,   der  von   seinen  Wider- 


I 


[390.  391.]  Dritter  Tag.  375 

sacherii   buclistäblich    genau    genommen   wird,    ähnlich   wie   bei   einem 

Streite   es   diejenigen   zu   machen   pflegen,    welche    in    der  Hauptsache    Diejenigen, 

TT  1   .     1      1      '         •    1        1  •  •       •  1         1      •    1   ■  r-  TXT        welche  bei  einem 

Unrecht  haben,  sich  aber  an  em  emziges  nebenbei  hingeworieues  Wortstreite  unrecht 
des  Gegners  klammern  und  sich  unaufhörlich  mit  Geschrei  über  dieses  sich  Jn  ein  zu- 
ergehen.     Zu   besserem  Verständnis   diene   Euch   folgendes.      Nachdem  feues  wort  des 
Kopernikus  jene  bewundernswerten  Schi ufs Folgerungen  auseinandergesetzt 
hat,   welche    sich   aus   der  jährlichen  Bewegung   der  Erde  hinsichtlich 
der  anderen  Planeten  ergeben,  nämlich  das  Vor-  und  Rückwärtslaufen 
insbesondere    der    drei    oberen,    fügt    er    hinzu,    dafs   diese   scheinbare 
Verschiebung  —  welche  bei  Mars  mehr  als  bei  Jupiter  hervortritt  wegen 
der  gröfseren  Entfernung  Jupiters,  und  welche  noch  weniger  bei  Saturn 
bemerkbar  ist,  weil  er  noch  weiter  entfernt  ist  als  Jupiter  —  bei  den  Die  scheinbare 
Fixsternen  unmerklich  sei   wegen  ihrer  im  Vergleich  zu  Jupiter  oder  der  Bewegung 
Saturn  unermefslich  grofsen  Entfernung  von  uns.  ^*)    Darauf  nun  stürzen  ten  ist  bei  den 
die  Gegner  dieser  Ansicht  los  und  legen  jene  genannte  Unmerklichkeit,     merklich. 
als   ob   sie   von   ihm  als  Avirklich  und  absolut   gleich  Null  ausgegeben 
worden   wäre,    ihren    weiteren   Ausführimgen    zu    Grunde.      Sie    fügen 
hinzu,  dafs  ein  Fixstern,  auch  einer  der  kleineren,  immerhin  von  merk- 
licher Gröfse  ist,  da  er  durch   den  Gesichtssinn   wahrgenommen   wird, 
und   unter   Zuhilfenahme    anderer    falschen  Amiahmen    berechnen   und 
beweisen  sie,  man  müfste  nach  koperuikanischer  Lehre  annehmen,  dafs 
ein  Fixstern  gröfser  sei  als    die   ganze  Ekliptik.     Um   das   Verfehlte 
dieser  ganzen  Schlufsweise  darzuthun,  werde  ich  zeigen,  dafs  unter  der  unter  der  An- 
Annahme, ein  Fixstern  sechster  Gröfse  sei  nicht  gröfser  als  die  Sonne,Fix8ternsechster 
sich  ein  zuverlässiger  Beweis  dafür  ergiebt,  dafs  die  Entfernung  eines  gröfser  sei  au 
solchen  Fixsternes   von   uns    bereits   grofs    genug  ist,  damit  durch  die  Verschiebung, 

•1T11-«  !•  i'i  -\  1  1  II  welche  bei  den 

jährliche   Bewegvmg   keine    schembare    Ortveränderung    desselben    ver-  Planeten  grofs 
'ursacht  wird,  obgleich  durch  diese  nämliche  Bewegung  bei  den  Plane-stemen  fast  un- 
ten  so  bedeutende,   leicht  zu  beobachtende  Änderungen  hervorgerufen 
werden.     Desgleichen  will  ich  im  einzelnen  die   argen  Fehler  in  den 
Annahmen  der  Gegner  des  Kopernikus  nachweisen. 

Erstlich  setze  ich  mit  Koj)ernikus  und  in  Übereinstimmung  mit 
seinen  Gegnern  voraus,  dafs  der  Halbmesser  der  Erdbahn  oder  die 
Entfernung  zwischen  Erde  imd  Sonne  1208  Erdhalbmesser  betrage.  ^^)  ^'^'^"''1^» '^"'^ 

o  D.        /    Sonne  beträgt 

Zweitens  nelime  ich  gleichfalls  der  herrschenden  Ansicht  und  der  Wirk-  ^^os  Erdha'b- 

^  messer. 

lichkeit   entsprechend    an,   der    scheinbare   Durchmesser   der   Soime   in 
ihrer  mittleren  Entfernung-"^«)   betrage   etwa  einen  halben   Grad   d.  h-'^^^^'l^TgLtiVh'' 
30  Minuten  oder  1800  Sekunden  oder    108  000  Terzen.     Da  nim  der  "'''era^d.^'"'" 
scheinbare  Durchmesser  eines  Fixsternes  erster  Gröfse  nicht  mehr  als  Durchmesser 

eines  Fixsternes 

5  Sekunden  oder  300  Terzen  beträgt,  der  Durchmesser  eines  Fixsterns^"*«'"  "^^^  eines 

^  ^  sechster  Gröfse. 

sechster  Gröfse  aber  nur  50  Terzen^^)  —  hierin  liegt  der  Hauptfehler 


376  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [391.  392.] 

Wievielmal    der   Gegner    des  Kopernikus    —    so    ist    der    Durchmesser    der    Sonne 
scheinbare    2160mal  SO  grofs  als  der  eines  Fixsterns  sechster  Gröfse.    Wenn  man 
soijue  als  der  dalier  aimimmt,   ein  Fixstern   der   sechsten  Gröfse   sei  wirklich   gleich 
ist.         der  Sonne  und  nicht  gröfser  als  diese^  oder,  was  auf  dasselbe  hinaus- 
kommt,   wenn   die  Sonne  sich   soweit   entfernte,   dafs  ihr  Durchmesser 
nur  den  2160*^''  Teil  seiner  gegenwärtigen  scheinbaren  Gröfse  annimmt, 
so  würde  ihre  Entfernung  2160mal   gröfser  sein,  als  sie  in  Wirklich- 
wie  grofs  die  kcit  ist,   oder  mit  anderen  Worten,    es   müfste   die  Entfernung   eines 
Fix3ternes°seciis-Fixsterns    scclister   Gröfse    2160  Erdbahnhalbmesser    betragen.      Weil 

ter  Gröfse  sein  T-nr  i  a  it-ii 

mufs  unter  der  nun   die   Entfernung   der   Sonne   von   der    Erde   nach   allgemeiner   An- 

Annahme,  der 

Stern  sei  so  grofsnahme  1208  Erdhalbmesser  beträgt,  die  Entfernung  der  Fixsterne  aber, 

wie  die  Sonne. 

wie  gesagt,  2160  Halbmesser  der  Erdbahn,  so  ist  der  Halbmesser  der 

Erde  im  Vergleich  zu  dem   der  Erdbahn  viel  gröfser  —  nämlich  fast 

doppelt  so  grofs  als  der  Halbmesser  der  Ekliptik  im  Vergleich  zu  der 

Bei  den  Mxster-Entfemung   der   Fixstemsphäre.      Daher    mufs    also   die  Verschiebung 

nenist  die  durcli.  i-i  x  ttt  iitit/^pi 

die  Erdbahn  be  m  der  schcmbaren  Lage   der  r  ixsterne ,  welche   durch  die  Gröfse  des 

wirkte  Lagen- 

Veränderung  Erdbahndurchmesscrs  verursacht  wirdj  nur  wenig  merklicher  sein  als 

wenig  gröfser      ^  ...  .  . 

als  au  der  sonnedie  Verschiedenheit  in   der  Lage  der  Sonne,  soweit  eine  solche  durch 


die  durch  die 


Erde  bewirkte  die  Gröfsc  dcs  Erdhalbmcssers  bedingt  ist. 

Verschiebung. 

.     Sagr.     Das  heifst  gleich  beim  ersten  Schritte  ein  gut  Stück  hin- 
untergehen! 

Salv.     In  der  That  kein   kleiner  Fehler!     Deim  nach  der  Rech- 
nung des  Verfassers  müfste  ein  Fixstern  sechster  Gröfse,  um  das  Wort 
Sterne  sechster  des  Kopemikus  zur  Wahrheit  zu  machen,  so  grofs  sein  wie  die  ganze 

Gröfse  von  Tycho  .....  .  70  o 

und  dem  ver-  Ekliptik,  iu  Wirklichkeit  hingegen  braucht  man  ihn  nur   der  Sonne 

fasser  des  Buch-  ^  '  .  °    ° 

leins  10 600  000- an  Gröfse  gleich  anzunehmen,  welche  noch  lange  nicht  den  zehnmillion- 

mal  zu  grofs  an-  _  _  _ 

genommen,  tcu  Teil  dcs  Ofbis  magnus  ausmacht  ^^),  und  doch  verleiht  man  damit 
der  Sternensphäre  hinreichende  Gröfse  und  Höhe,  um  den  gegen  Koper- 
nikus erhobenen  Einwand  zu  entkräften. 

Sagr.     Führt  mir  doch,  bitte,  diese  Rechnung  aus. 
Salv.     Die  Rechnung  ist  einfach  und  ganz  kurz.    Der  Durchmesser 
Berechnung  derder  Soimc  beträgt  11,  dcr  der  Erdbahn  2416  Erdhalbmesser  nach  über- 

.  Gröfse  eines  Fix-    ... 

Sterns  im  Ver- einstimmender  Ansicht  der  gegnerischen  Parteien ^'^):    demnach  enthält 

hältnis  zum  vrbis  o    o  j  i 

mwjnus.  der  Durchmesser  der  Erdbahn  den  der  Sonne  nahezu  220mal.  Da 
sich  nun  zwei  Kugeln  zu  einander  verhalten  wie  die  Kuben  ihrer 
Durchmesser,  so  bilden  wir  den  Kubus  von  220,  welcher  10  648  000 
beträgt,  und  finden  mithin,  dafs  der  orhis  magnus  10  648  OOOmal  gröfser 
ist  als  die  Sonne;  diesem  orhis  magnus  aber,  meinte  der  Verfasser, 
müsse  ein  Stern  der  sechsten  Gröfse  gleich  sein. 

Sagr.     Der  Irrtum  von  jenen   besteht  also   in   dem  aufserordent- 


[392.393.]  Dritter  Tag.  377 

liehen  Fehler,  den  sie   bei  Bestimmung  des    scheinbaren  Durchmessers 
der  Fixsterne  begehen. 

Salv.     Darin   liegt   der  Irrtum,   aber   nicht   darin   allein.     Ich  bin 
in   der   That   höchlichst   verwundert,   dafs   so   viele   Astronomen,   auch   Gemeinsame 
solche  von  bedeutendem  Rufe,  wie  Al-Fcrgani,  Älhategnius,  ThMt  und  Astronomen  be- 

rr    •  i        •         m      1  m        •       r(\\      i  n       -vt  treffs  der  Gröfse 

in  neuerer  Zeit  em  lycno,  Clavms  ),  kurzum  alle  Vorganger  unseres  der  steme. 
Akademikers  sich  so  bedeutend  in  der  Bestimmung  der  scheinbaren 
Gröfse  sowohl  der  Fixsterne  als  der  Planeten  geirrt  haben,  abgesehen 
von  den  beiden  Hauptleuchten  Sonne  und  Mond;  dafs  sie  nämlich  gar 
nicht  auf  den  hinzutretenden  Strahlenkranz  geachtet  haben,  der  sie 
trügerischer  Weise  mehr  als  hundertmal  gröfser  erscheinen  läfst,  als 
wenn  man  sie  ohne  ihren  Haarschmuck  betrachtet.  Auch  ist  diese 
ihre  Unachtsamkeit  nicht  zu  entschuldigen,  denn  es  stand  sehr  wohl 
in  ihrer  Macht,  wenn  es  ihnen  beliebte,  die  Sterne  ohne  Haare  zu 
beobachten;  braucht  man  sie  doch  nur  bei  ihrem  ersten  Erscheinen  des 
Abends  oder  unmittelbar  vor  ihrem  Verschwinden  in  der  Morgen- 
dämmerung zu  betrachten.  Zum  allermindesten  hätte  Venus  sie  auf  venug  läfst  den 
ihren  Fehler  aufmerksam  machen  müssen,  da  man  sie  doch  oftmals  mitten  nomen  bli  Be- 
am  Tage  sieht,  aber  in  solcher  Kleinheit,  dafs  man  allerdings  scharfsfem^örsen un- 
hinsehen  mufs,  während  sie  m  der  folgenden  Nacht  wie  eine  gröfse '"'Tcheinen.^''" 
Lichtflamme  aussieht.  Ich  glaube  jedenfalls,  dafs  sie  nicht  die  Gröfse 
der  in  tiefer  Finsternis  sichtbaren  Scheibe  für  die  wahre  hielten,  son- 
dern die,  welche  sich  bei  heller  Umgebung  beobachten  läfst.  Demi 
unsere  irdischen  Lichter,  welche  von  weitem  gesehen  bei  Nacht  grofs 
erscheinen,  deren  wirkliche  Flämmchen  aber  aus  der  Nähe  scharf  be- 
grenzt und  klein  erscheinen,  hätten  sie  hinreichend  vorsichtig  machen 
sollen.  Ja,  um  offen  zu  reden,  ich  glaube  zuversichtlich,  dafs  keiner 
von  ihnen,  auch  Tyclio  nicht,  der  so  peinlich  in  der  Handhabung  der 
astronomischen  Instrumente  war  und  der  so  gröfse  und  genaue  Appa- 
rate herstellte,  ohne  die  bedeutendsten  Kosten  zu  scheuen,  jemals  .ver- 
sucht hat,  den  scheinbaren  Durchmesser  eines  Sternes  mit  Ausnahme 
von  Sonne  und  Mond  aufzunehmen  und  zu  messen.  Meiner  Ansicht 
nach  hat  vielmehr  einer  der  alten  Astronomen  nach  dem  Augenmafse, 
wie  man  zu  sagen  pflegt,  willkürlich  angegeben,  es  sei  damit  so  " 
und  so,  und  die  Nachfolger  haben  sich  dann  ohne  fernere  Prüfung 
bei  diesem  ersten  Entscheide  beruhigt.  Hätte  nämlich  einer  von  ihnen 
sich  daran  gemacht  die  Sache  nachzuprüfen,  so  würde  er  die  Täuschung 
unzweifelhaft  bemerkt  haben. 

Sagr.  Wenn  jene  aber  das  Fernrohr  nicht  kannten  und  unser 
Freund,  wie  Ihr  früher  sagtet,  mittels  dieses  Instrumentes  zur 
Erkemitnis    der   Wahrheit    gelangt    ist,    so   darf    mau    immerhin    die 


378  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [393.  394.] 

anderen    entschuldigen    imd    braucht    sie    nicht   der   Nachlässigkeit   zu 
zeihen. 

Salv.  Das  wäre  richtig,  wenn  mau  ohne  das  Fernrohr  die  ge- 
wünschte Absicht  nicht  erreichen  könnte.  Nun  erleichtert  allerdings 
dieses  Instrument,  welches  die  Scheibe  des  Sternes  nackt  und  hundert- 
oder  tausendfach  vergröfsert  zeigt,  die  Aufgabe  sehr  bedeutend-,  aber 
sie  läfst  sich  auch,  wenn  gleich  minder  genau,  ohne  dasselbe  lösen. 
Ich  habe  dies  wiederholt  gethan  und  zwar  war  die  von  mir  benutzte 
Methode  folgende.  *"')  Ich  liefs  vor  irgend  einem  Stern  eine  Schnur 
Methode  zur  herabhängen:   ich   benutzte   zu    diesem  Zweck   die  Wega  in  der  Leier, 

Messung  des 

scheinbaren   wclchc   zwischen   Nord   und    Nordost   aufgeht.      Indem    ich   mich  nun 

Durchmessers  ,  ,  . 

der  Sterne,  der  zwischeu  mir  und  dem  Stern  befindlichen  Schnur  bald  näherte, 
bald  mich  von  ihr  entfernte,  fand  ich  die  Stelle,  von  der  aus  die 
Breite  der  Schnur  mir  gerade  den  Stern  verdeckt.  Darnach  mafs  ich 
die  Entfernung  des  Auges  von  der  Schnur,  welche  gleich  einer  der  beiden 
den  Sehwinkel  einschliefsendeu  Seiten  ist,  während  die  Breite  der 
Schnur  die  ihm  gegenüberliegende  Seite  bildet;  dieser  Sehwinkel  ist 
dann  ähnlich  oder  vielmehr  gleich  dem  Winkel,  der  auf  dem  Durch- 
messer des  Sterns  in  der  Fixsternsphäre  steht.  Aus  dem  Verhältnis 
der  Breite  der  Schnur  zu  der  Entfernung  zwischen  Schnur  und  Auge 
fand  ich  mittels  der  Bogen-  und  Sehneutafel  unmittelbar  die  Gröfse 
des  Winkels.  Nur  bedurfte  es  der  üblichen  Vorsichtsmafsregel,  die 
man  bei  Messung  so  spitzer  Winkel  zu  beobachten  haf"-);  man  darf 
nämlich  nicht  das  Zusammenstofsen  der  Sehlinien  im  Mittelpunkte  des 
Auges  l^estimmen  wollen,  wohin  dieselben  nur  gebrochen  gelangen, 
sondern  aufserhalb  des  Auges,  wohin  sie  in  Wirklichkeit  unter  Be- 
rücksichtigung der  Pupillengröfse  konvergieren. 

Sagr.  Ich  begreife  diese  Vorsichtsmafsregel,  wiewohl  ich  dabei 
noch  ein  gewisses  Bedenken  nicht  unterdrücken  kann.  Was  mir  aber 
gröfsören  Anstofs  erregt,  ist,  dafs  bei  diesem  Versuche,  wenn  er  iu 
dünkeler  Nacht  angestellt  wird,  der  Durchmesser  der  Scheibe  samt 
dem  darum  befindlichen  Strahlenkranze  gemessen  wird  und  nicht  die 
wahre,  nackte  Scheibe  des  Sternes. 

Salv.  0  nein;  die  Schnur  nimmt  nämlich  in  dem  Augenblick,  wo  sie 
das  nackte  Körperchen  des  Sternes  bedeckt,  die  Haare  weg,  welche  nicht 
von  ihm,  sondern  von  unserem  Auge  herrühren  und  welche  sofort  ver- 
schwinden, sobald  die  wirkliche  Scheibe  desselben  verdeckt  wird.  Weim 
Ihr  die  Beobachtuug  anstellt,  werdet  Ihr  sehen,  wie  die  ziemlich  grofse 
Flamme  ganz  unerwartet  von  einer  düimen  Schnur  bedeckt  wird,  wäh- 
rend mau  glauben  sollte,  sie  könne  erst  durch  ein  viel  gröfseres  Hin- 
dernis  zum   Verschwinden   gebracht   werden.      Um  ferner   ganz  scharf 


[394]  Dritter  Tag.  379 

zu  messen  und  zu  ermitteln,  wievielmal  die  Breite  der  Schnur  in  der 
Entfernung  vom  Auge  enthalten  ist,  nehme  ich  nicht  den  einfachen 
Durchmesser  der  Schnur,  sondern  lege  viele  einzelne  Stücke  derselben 
auf  eine  Tafel  neben  einander,  sodafs  sie  sich  berühren,  nehme  sodann 
mit  einem  Zirkel  die  ganze  Breite  der  15  bis  20  benutzten  Stücke, 
und  mit  diesem  Mafse  messe  ich  endlich  mittels  eines  anderen  feineren 
Fadens  die  Entfernung  von  der  breiteren  Schnur  bis  zum  Schnittpunkte 
der  Sehlinien.  Durch  dieses  sehr  genaue  Verfahren  finde  ich  als  schein- 
baren Durchmesser  eines  Fixsternes  erster  Gröfse  statt  des  gewöhn- 
lich angenommenen  Betrags  von  2  oder  gar  3  Minuten,  welche  Tycho 
nag.  167  seiner  astronomischen  Briefe  angiebt^"^),  einen  Betrag  von  nicht  Durchmesser 

^  ^  .  .  eines  Fixsterues 

mehr    als    5   Sekunden,    was    der    vierundzwanzigste ,    bezw.    sechsund-  erster  Orörse 

.  .  nicht  mehr  als 

dreifsigste  Teil  von  dem  ist,  was  man  bisher  geglaubt  hat.     Ihr  seht    s  Sekunden. 
nun,  auf  was  für  schwere  Irrtümer  jene  Lehren  sich  gründen. 

Sagr.  Ich  sehe  und  verstehe  das  sehr  wohl;  bevor  wir  indessen 
weiter  gehen,  möchte  ich  das  Bedenken  zur  Sprache  bringen,  welches 
sich  in  mir  regt.  Es  bezieht  sich  auf  die  Bestimmung  des  Schnitt- 
punktes der  Sehlinien  aufserhalb  des  Auges,  sobald  man  Objekte  be- 
trachtet, die  unter  sehr  spitzem  Winkel  erscheinen;  mein  Bedenken 
geht  von  der  Erwägung  aus,  dafs  ein  solcher  Schnittpunkt  möglicher- 
weise bald  mehr,  bald  weniger  weit  entfernt  sein  kami,  und  zwar 
nicht  sowohl  wegen  der  gröfseren  oder  geringeren  Ausdehnung  des 
beobachteten  Objekts,  als  weil  meiner  Meinung  nach  auch  bei  Be- 
obachtung von  gleich  grofsen  Objekten  das  Zusammentreffen  der  Strahlen 
aus  einer  anderen  Rücksicht  bald  mehr  bald  weniger  vom  Auge  statt- 
finden mufs. 

Salv.  Es  ist  mir  schon  klar,  worauf  der  Scharfsimi  eines  so  sorg- 
fältigen Beobachters  der  Naturerscheinungen,  wie  Signore  Sagredo  es 
ist,  abzielt.  Ich  möchte  jede  Wette  eingehen,  dafs  unter  tausend  Leuten, 
die.  bei   den  Augen  der  Katzen   die  Pupille   sich  bedeutend  verengerncie  Öffnung  der 

,  ,.  ...  .  .  .  Pupille  dos 

und  erweitern  sahen,   keine  zwei,  vielleicht  nicht   einer  sich  befindet, ^.iiges  erweitert 

.  .  »md  verengert 

der  eine  ähnliche  Erscheinung  an  der  menschlichen  Pupille  wahr-  sich. 
gQjiommen  hätte,  je  nachdem  beim  Sehen  das  Medium  stark  oder 
schwach  erleuchtet  ist;  der  bemerkt  hätte,  wie  bei  hellem  Licht  der 
kleine  Kreis  der  Pupille  sich  stark  zusammenzieht,  sodafs  er  bei  Be- 
trachtung der  Somienscheibe  bis  unter  die  Gröfse  eines  Hirsekorns 
zusammenschrumpft,  während  er  zur  Gröfse  einer  Linse  oder  noch 
weiter  sich  ausdehnt,  wenn  man  nach  nicht  so  glänzenden,  in  minder 
heller  Umgebung  befindlichen  Objekten  hinschaut:  kurz  die  Erweite- 
rung und  Verengerung  kann  bis  zu  einem  zehnfachen  Betrage  sich 
steigern  oder    abnehmen.     Hieraus   geht  hervor,    dafs    notwendig    bei 


380  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [395.] 

stark  erweiterter  Pupille  der  Scheitel  des  SeMinieuwinkels  weiter  Aveg 
vom  Auge  liegt,  welcher  Fall  bei  Beobachtung  schwacherleuchteter 
Objekte  eintritt.  Ein  Gesichtspunkt,  auf  den  ich  jetzt  erst  durch 
Signore  Sagredo  aufmerksam  geworden  bin:  wir  müssen,  wenn  es  sich 
um  eine  sehr  genaue  und  wichtige  Beobachtung  handelt,  die  Ermitte- 
lung dieses  Schnittpunktes  jedesmal  bei  Ausführung  des  Versuches 
selbst  oder  eines  ganz  ähnlichen  vornehmen.  Im  vorliegenden  Falle 
aber,  wo  es  sich  nur  um  Nachweis  des  Irrtums  des  Astronomen  han- 
delt, ist  eine  solche  Genauigkeit  nicht  nötig.  Denn  nähmen  Avir  auch 
zu  Gunsten  der  Gegenpartei  au,  der  Schnittpunkt  läge  auf  der  Pupille 
selbst,  so  würde  das  Aveuig  ausmachen,  so  grofs  ist  ihr  Fehler.  Ich 
weifs  nicht,  Signore  Sagredo,  ob  es  das  ist,  worauf  Ihr  hinaus  wolltet. 

Sagr.  Gerade  das  ist  es.  Es  ist  mir  lieb,  dafs  mein  Bedenken, 
Avie  ich  aus  dem  Zusammentreffen  mit  Euch  entnehme,  nicht  so  imver- 
nüuftig  gewesen  ist.  Bei  diesem  Anlafs  würde  ich  doch  aber  gerne 
hören,  auf  welche  Weise  sich  die  Entfernung  des  Schnittpunktes  der 
Sehlinien  bestimmen  läfst. 

Salv.  Das  Verfahren  ist  sehr  einfach  und  besteht  in  folgen- 
wie  mau  die  dem.      Ich    uchme    zwei    Papierstreifeu ,    einen    schwarzen   und    einen 

Entfernung  des 

Schnittpunktes  weifseu,    uud   zwar   mache  ich  den  schwarzen  halb   so  breit  als   den 

der  Sehlinien  . 

von  der  Pupille  weifseu.     Ich  befestige  sodann  den  weifsen  au  einer  Wand :  1 5  bis  20 

ermittelt..  "  ' 

Ellen  entfernt  davon  stelle  ich  mittels  eines  Stabes  oder  sonst  einer 
Stütze  den  anderen  Streifen  auf  und  entferne  mich  von  diesem  zweiten 
in  derselben  Richtung  um  die  nämliche  Strecke.  Es  ist  klar,  dafs  in 
dieser  Entfernung  der  Schiiittpimkt  derjenigen  geraden  Linien  liegen 
mufs,  Avelche  von  den  beiden  Enden  einer  Querlinie  des  Aveifsen  Strei- 
fens durch  die  Endpunkte  der  entsprechenden  Querlinie  des  dazwischen 
gelegenen  schwarzen  Streifens  hindurchgehen.  Daraus  folgt  weiter, 
dafs  sobald  das  Auge  in  diese  Entfernung  versetzt  wird,  der  halbwegs 
eingeschobene  schwarze  Streifen  genau  den  weifsen  dahinterbefindlichen 
bedecken  müfste,  wenn  die  Gesichtsempfiudung  blofs  auf  einen  Punkt 
beschränkt  wäre.  Wenn  sich  aber  ergiebt,  dafs  der  Rand  des  weifsen 
Streifens  hervorsteht,  so  ist  das  ein  zwingender  Grmid  für  die  An- 
nahme, dafs  die  Sehlinien  nicht  sämtlich  von  einem  Punkte  ausgehen. 
Um  zu  bewirken,  dafs  der  weifse  Streifen  von  dem  schwarzen  bedeckt 
Averde,  wird  man  das  Auge  näher  heranbringen  müssen-,  hat  man  das 
soweit  gethan,  dafs  der  nähere  Streifen  mit  dem  entfernteren  zusammen- 
fällt imd  sich  gemerkt,  wie  Aveit  man  das  Auge  nähern  muTs,  so  ist 
der  Betrag  dieser  Annäherung  ein  zuverlässiges  Mafs,  um  wieviel  der 
Avahre  Schnittpunkt  der  Sehlinien  bei  diesem  Versuche  hinterAvärts 
vom  Auge  liegt.     Wir  erhalten  ferner  den  Durchmesser  der  Pupille 


[39G.]  Dritter  Tag.  381 

oder  derjenigen  Öffnung,  von  welclieni  die  Sehlinien  ihren  Ausgang 
nehmen;  er  wird  nämlich  sovielmal  in  der  Breite  des  schwarzen  Strei- 
fens enthalten  sein,  wie  die  Entfernimg  zwischen  dem  Schnittpunkt 
der  beiden  durch  die  Streifenräuder  gezogenen  Linien  und  dem  Orte, 
wo  für  das  Auge  zuerst  der  entfernte  Streifen  durch  den  nahen  l)e- 
deckt  wird  —  wie  diese  Entfernung,  sage  ich,  in  dem  Abstände  der 
beiden  Papierstreifeu  enthalten  ist.  Wenn  wir  daher  den  scheinbaren 
Durchmesser  eines  Sternes  mit  höchster  Genauigkeit  messen  wollten 
imd  hätten  in  der  oben  beschriebenen  Weise  den  Versuch  angestellt, 
so  müfsten  wir  noch  das  Verhältnis  des  Schnurdurchmessers  zu  dem 
Pupillendurchmesser  in  Betracht  ziehen.  Angenommen,  der  Durch- 
messer der  Schnur  sei  viermal  so  grofs  als  der  der  Pupille^*)  und  die 
Entfernung  des  Auges  von  der  Schnur  betrage  z.  B.  30  Ellen,  so  wer- 
den wir  sagen  müssen,  dafs  der  wahre  Schnittpunkt  der  von  den  Rän- 
dern des  Sternes  ausgehenden  und  die  Ränder  der  Schnur  berührenden 
Linien  40  Ellen  von  der  Schnur  entfernt  sei.  Denn  nur  dann  wird 
•das  Verhältnis  gebührend  in  Betracht  gezogen,  welches  zwischen  der 
Entfernung  der  Schnur  vom  Schnittpunkt  besagter  Linien  und  der 
Entfernung  dieses  Schnittpunktes  von  dem  Orte  des  Auges  besteht; 
dieses  Verhältnis  mufs  nämlich  das  gleiche  sein,  wie  das  des  Schnur- 
durchmessers zu  dem  Pupillendurchmesser. 

Sagr."  Ich  habe  das  sehr  wohl  verstanden,  hören  wir  nun,  was 
Signore  Simplicio  zur  Verteidigung  der  Gegner  des  Kopernikus  an- 
zuführen hat. 

Simpl.  Obgleich  dieser  ärgste,  ganz  und  gar  unzulässige  Übel- 
stand, auf  welchen  die  Gegner  des  Kopernikus  hingewiesen  haben, 
durch  die  Darstellung  des  Signore  Salviati  in  wesentlich  verändertem 
Lichte  erscheint,  ist  er  doch,  wie  ich  glaube,  nicht  dermafsen  aus  dem 
Wege  geräumt,  dafs  er  nicht  noch  Kraft  genug  besälse,  um  besagte 
Ansicht  vernichtend  zu  widerlegen.  Denn  wenn  ich  Euer  letztes  End- 
ergebnis recht  verstanden  habe,  so  müfsten  bei  der  an  sich  schon 
schwer  glaublichen  Annahme,  die  Sterne  sechster  Gröfse  seien  so  grofs 
wie  die  Sonne,  doch  jedenfalls  durch  die  Gröfse  der  Erdbahn  solche 
Verschiebungen  und  Änderungen  an  der  Fixsternsphäre  hervorgebracht 
werden,  wie  durch  die  Gröfse  des  Erdhalbmessers  an  der  Sonne, 
welch  letztere  immerhin  wahrzunehmen  sind.  Da  man  aber  weder 
eine  solche,  noch  auch  eine  kleinere  Veränderung  dieser  Art  an  den 
Fixsternen  wahrnimmt,  so  scheint  mir  aus  diesem  Grunde  die  jähr- 
liche Bewegung  der  Erde  trotzdem  unrettbar  verloren. 

Salv.  Ihr  hättet  Recht  mit  diesen  Schlüssen,  Signore  Simplicio, 
wenn  sonst  nichts  zu  Gunsten   des   Kopernikus   anzuführen  wäre;    es 


382  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [397.  398.] 

läfst  sich  aber  noch  gar  manches  sagen.  Was  Euere  Erwiderung  an- 
geht, so  steht  nichts -der  Annahme  im  Wege,  dafs  die  Fixsterne  noch 
viel  weiter  entfernt  sind,  als  wir  eben  angenommen  haben.    Ihr  selbst 

Die  Astronomen  jjgjjgl^  allen  dcueu,   wclche   die  von  den  Anhängern  des  Ptolemäus  ge- 
sind der  überein-  '  zd  o 

stimmenden    Ijülig-ten  Behauptuucfeu  nicht  fallen  lassen  möchten,  werdet  als  zweck- 

Ansicht,  dafs  die  o  L  O  >  ^ 

gröfsere  Lang-  mäfsigstc  Anuabme   anerkennen  müssen,   dafs  die  Fixsternsphäre  ganz 

samkeit  der  O  7  i  o 

Umdrehungen  aufserordeutlich  viel  gröfser  ist,   als  wir   sie  eben  schätzen  zu  müssen 

durcu  die  '->  ' 

gröfsere  Aus-  glaubten.     Alle  Astrouomeu  nämlich   betrachten   übereinstimmend   als 

dehnung  der     O 

Sphären  vemr-  Ursache  der  abnehmenden  Umlaufsgeschwindigkeiten  bei  den  Planeten 

sacht  wird.  O  o  ^ 

das  Wachsen  ihrer  Sphären:  sie  nehmen  an,  dafs  Saturn  darum  sich 
langsamer  bewege  als  Jupiter,  und  Jupiter  langsamer  als  die  Sonne, 
weil  der  erste  einen  gröfseren  Kreis  zu  beschreiben  hat  als  der  zweite, 
und  dieser  einen  gröfseren  Kreis  als  die  Sonne  u.  s.  w.  Insofern  also 
z.  B.  Saturn,  dessen  Sphäre  neunmal  so  hoch  ist  als  die  Sonnensphäre, 
eine  30 mal  so  lange  Umlaufszeit  gebraucht  als  die  Sonne,  insofern 
weiter  nach  der  Lehre  des  Ptolemäus  eine  Umdrehung  der  Fixstern- 
sphäre in  36000  Jahren  sich  vollzieht,  die  des  Saturn  hingegen  in  30,. 

Auf  Grund    j^g  der  SoTiTift  in  einem  Jahre,  so  schliefse  ich  auf  ein  ähnliches  Ver- 
anderer, den  _  ' 

Astronomen  ent-]2ältnis  uud  Sage:  wcmi  die  Sphäre  des  Saturn,  weil  sie  neunmal  gröfser 

nommenen  Vor-  <-■  ^  '     ^      _  /-^ 

Aussetzungen  fgt  als  die  der  Sonne,  sich  in  30 mal  so  langer  Zeit  umdreht,  wie  grofs 

wird  die  üntfer-  '  _  _  .  . 

uung  der  Fix-  j^ufs   uach  der   ratio   eversa   eine   Sphäre   sein,    welche   sich  in   36000 

stemsphäre  auf  "  ... 

10  800  Erdbahn- Jaiii-en  einmal  umdreht?**^)    Man  wird  finden,  die  Entfernung  der  Fix- 

halbmesser  be-  ■'  /  o 

rechnet.  stcmsphäre  müsse  10800  Erdbahnhalbmesser  betragen,  was  ein  genau 
fünfmal  so  grofser  Betrag  ist  wie  der  eben  berechnete,  zu  welchem  wir 
auf  Grund  der  Annahme  gelangten,  eiu  Fixstern  sechster  Gröfse  sei 
so  grofs  wie  die  Sonne.  Ihr  seht,  wie  aus  diesem  Betracht  die  durch 
die  jährliche  Erdbewegimg  hervorgebrachte  Lagenveränderung  der  Fix- 
sterne noch  viel  unerheblicher  sein  müfste.  Und  wenn  wir  auf  Grimd 
einer  ähnlichen  Beziehung  die  Entfernung  der  Fixsternsphäre  aus  der 
Aus  demver-  des  Jupitcr  odcr  des  Mars  ermitteln  wollten*"'),  so  würde  sich  in  dem 

hältnisse Jupiters    _  ^  ^' 

oder  dem  des  einen  Falle  ein  Betrag  von  15000,  im  anderen  von  27  000  Erdbahn- 
Mars  ergiebt  "  ' 


sich  d 
nung 


Entfer- Halbmessern  ergeben,  d.  h.  also  ein  siebenmal,  bezw.  12  mal  gröfserer  als 
Sternensphäre  der,    wclchcr    aus    der    Annahme    von  der    Gleichheit   eines    Fixsterns 

noch  weit  ' 

gröfser.       sechstcr  Gröfse  mit  der  Sonne  hervorging. 

Simpl.  Mir  scheint,  darauf  liefse  sich  erwidern,  dafs  man  in  der 
Zeit  nach  Ptolemäus  entdeckt  hat,  die  Bewegung  der  Fixsternsphäre 
sei  nicht  so  langsam,  wie  er  meinte.  Ja  ich  glaube  gehört  zu  haben, 
dafs  Koi^ernikus  selbst  dies  zuerst  beobachtet  hat.^') 

Salv.  Was  Ihr  sagt,  ist  sehr  richtig,  aber  es  spricht  nicht  zu 
Gunsten  der  Anhänger  des  Ptolemäus,  welche  niemals  gegen  die  36000- 
jährige  Bewegung   der  Fixsternsphäre   darum   einen  Einwand  erhoben, 


[398.  399.]  Dritter  Tag.  383 

weil  eine  solclie  Langsamkeit  eine  zu  gewaltige  und  mierinefsliclie 
Ausdehnung  im  Gefolge  hätte.  Denn  wenn  eine  solche  Unermefslich- 
keit  nicht  in  der  Natur  geduldet  werden  durfte,  so  hätten  sie  nicht 
erst  jetzt,  sondern  schon  früher  eine  so  langsame  Umdrehung  in  Ab- 
rede stellen  müssen,  die  sich  unter  Wahrung  einer  guten  Proportion 
mir  in  Einklang  mit  einer  unzulässig  grofseu  Sphäre  bringen  läfst. 

-  Sagr.  Ich  bitte  Euch,  Signore  Salviati,  verlieren  wir  nicht  weiter 
unsere  Zeit  damit,  auf  Grund  solcher  Proportionen  etwas  ausrichten 
zu  wollen  Leuten  gegenüber,  die  bereit  sind,  die  unproportioniertesten 
Dinge  anzuerkennen,  denen  also  auf  diesem  Wege  unmöglich  ein  Er- 
folg abzuringen  ist.  Kann  man  sich  eine  unproportioniertere  Proportion 
denken,  welche  gleichwohl  von  jenen  hingenommen  und  anerkaiuit  wird, 
als  dafs  sie  einerseits  schreiben,  die  passendste  Anordnung  der  Him- 
melssphären sei  die  auf  Grund  ihrer  verschiedenen  Umlaufsperioden, 
dafs  sie  demgemäfs  der  Stufenfolge  nach  die  langsameren  über  die 
schnelleren  setzen,  und  dafs  sie  andererseits  auf  einmal,  nachdem  sie 
die  Sternensphäre  als  die  langsamste  von  allen  zu  oberst  hingepflanzt 
haben,  über  dieser  eine  noch  höhere  und  also  noch  gröfsere  Sphäre 
anbringen  und  ihr  eine  24 stündige  Umdrehung  beilegen,  während  die 
ihr  unmittelbar  vorangehende  sich  in  36000  Jahren  bewegt?  Aber 
über  diese  Mifsverhältnisse  haben  wir  uns  gestern  schon  zur  Genüge 
ausgelassen. 

Salv.  Ich  möchte,  Signore  Simplicio,  Ihr  sagtet  Euch  für  einen 
kurzen  Augenblick  von  der  Vorliebe  los,  die  Ihr  Eueren  Gesinnungs- 
genossen zollt  und  teiltet  mir  aufrichtig  mit,  ob  sie  Eueres  Dafür- 
haltens in  ihrem  Geiste  eine  Vorstellung  von  derjenigen  Ausdehnung 
haben,  welche  sie  ihrer  Unermefslichkeit  wegen  dem  Weltall  als  immög- 
lich absprechen;  denn  was  mich  anlaugt,  so  glaube  ich  das  nicht.  Wie 
bei. der  Auffassung  der  Zahlen,  sobald  man  zu  Tausenden  von  Millionen  LTnermefsiiche 

~  /  Grolsen  und 

gelangt,  die  Einbildungskraft  irre  wird  und  sich  kein  Bild  mehr  „^^^Jg^  y^^. 
machen  kann,  ebenso,  glaube  ich,  geschieht  es  auch  bei  der  Auffassung '*'''°'^®"°^=»^«^*'"- 
von  Ausdehnungen  imd  Entfernungen,  so  dafs  dem  Verstände  etwas 
Ahnliches  widerfährt  wie  der  sinnlichen  Anschauung:  denn  wenn  ich 
in  einer  heiteren  Nacht  nach  den  Sternen  bücke,  so  beträgt  für  meine 
sinnliche  Wahrnehmung  ihre  Entfernung  einige  wenige  Miglien,  die 
Fixsterne  scheinen  mir  nicht  im  mindesten  weiter  entfernt  als  Jupiter 
oder  Saturn,  ja  nicht  einmal  als  der  Mond.  Doch  ohne  soweit  aus- 
zuholen, denkt  nur  an  die  Streitigkeiten  zwischen  den  Astronomen 
und  den  peripatetischen  Philosophen  betreffs  der  Entfernung  der  neuen 
Sterne  in  der  Kassiopeja  und  im  Schützen,  von  denen  jene  sie  zu  den 
Fixsternen  rechnen,  diese  sie  für  näher  als  den  Moiid  halten.     So  un- 


384  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [399.  400.] 

fähig  sind  unsere  Siiine,  grofse  Entfernungen  von  den  allergröfsten  zu 
unterscheiden,  wiewohl  diese  in  Wahrheit  vieltausendmal  jene  über- 
treffen. Darum  frage  ich  dich  schliefslich,  du  thörichter  Mensch:  Be- 
greifst du  mit  deinem  Geiste  die  Gröfse  des  Weltalls,  die  du  für  allzu 
gewaltig  ausgiebst?  Und  wenn  du  sie  begreifst,  wirst  du  glauben 
mögen,  dafs  deine  Fassungskraft  weiter  reicht  als  die  göttliche  Allmacht? 
Wirst  du  zu  behaupten  wagen,  dafs  du  dir  Gröfseres  vorzustellen  ver- 
magst, als  Gott  auszuführen  imstande  ist?  Begreifst  du  sie  aber 
nicht,  was  willst  du  urteilen  über  Dinge,  die  du  nicht  fassest? 

Simpl.  Diese  Erörterungen  sind  alle  ganz  richtig,  und  niemand 
stellt  in  Abrede,  dafs  die  Gröfse  des  Himmels  erhaben  sein  mag  über 
unser  Vorstellungs vermögen,  sowie  dafs  Gott  ihn  tausendmal  gröfser 
hätte  schaffen  kömien,  als  er  wirklich  ist.  Nicht  aber  dürfen  wir 
zugeben,  dafs  irgend  etwas  umsonst  geschaffen  und  müfsig  im  Weltall 
sei.  Wenn  wir  nun  sehen,  in  welch  schöner  Ordnung  die  Planeten 
um  die  Erde  geschart  sind,  in  Entfernungen  von  ihr,  die  wohlabgemessen 
sind,  um  auf  sie  zu  unserem  Wohle  Einflufs  zu  üben,  wozu  daim 
zwischen  die  höchste  Sphäre  des  Saturn  und  die  Sternensphäre  einen 
ungeheuren  Raum  ohne  jedweden  Stern  überflüssig  und  zwecklos  ein- 
schieben?  zu  welchem  Ende?   zu  wessen  Nutz  und  Frommen? 

Salv.     Zuviel  mafsen  wir  uns  an,   scheint  mir,  Signore  Simplicio, 

wenn  mir  meinen,  einzig  die  Sorge  um  uns  erschöpfe  das  Wirken  der 

Weisheit  und  Macht  Gottes,  darüber  hinaus  thue  und  ordne  sie  nichts. 

Ich  aber   möchte,  dafs  wir  den  Arm  Gottes  nicht  so  verkürzen;  geben 

wir   uns    vielmehr   mit   dem   sicheren  Bewufstsein  zufrieden,  dafs  Gott 

Natur  und  Gott  und    Natur    sich    derart    um    die    Lenkung    menschlicher    Dinge    be- 

FiTrso^e  für  den  kümmern,  dafs  keine  gröfsere  Fürsorge  walten  könnte,  auch  wenn  für 

wenn  für  nichts  nichts  audcrcs  ZU  sorgcn  wäre,  als  für  das  Menschengeschlecht  allein. 

Ich  glaube   das   mit   einem  vortrefflich  passenden   und   erhabenen  Bei- 


ware. 


Beispiel  der  Für- gpiel  belegen  zu  können:  es  bezieht  sich  auf  das  Wirken  des  Sonnen- 
sorge Gottes  für    '■  '-' 

das  Menschen-  üchtes,  wclchcs  hier   wässerige  Dünste    anzieht    oder    da   eine  Pflanze 

geschlecht,  von  '  <^  _  _ 

der  Sonne  her-  erwärmt,   und    zwar   so   iene   anzieht,   so   diese   erwärmt,   als  hätte  es 

genommen.  '  o  ?  /  ^  ^ 

sonst  nichts  zu  thun.  Ja  wenn  eine  Traube  oder  auch  nur  eine  ein- 
zige Beere  zur  Reife  gebracht  werden  soll,  so  macht  -es  sich  daran, 
wie  es  mit  gröfserem  Erfolge  nicht  möglich  wäre,  wenn  -das  Endziel 
alles  seines  Thuns  blofs  die  Reifung  dieser  Beere  wäre.  Da  mm  diese 
Beere  von  der  Sonne  alles  empfängb,  was  sie  empfangen  kann,  da  ihr 
nicht  das  Mindeste  deswegen  entzogen  wird,  weil  die  Sonne  gleich- 
zeitig tausend  und  abertausend  andere  Wirkungen  ausübt,  so  müfste 
man  jene  des  Neides  und  der  Thorheit  zeihen,  wenn  sie  glaubte  oder 
'verlangte,    dafs    das  Wirken    der  Sonnenstrahlen  blofs  um  ihr  Wohl 


[400.  401.]  Dritter  Tag.  385 

sich  bekümniorii  solle.  Ich  bin  überzeugt,  dafs  die  göttliclie  Yor- 
selmng  bei  der  Lenkuug  der  Menscbengeschicke  das,  was  man  von  ihr 
erwarteji  kann,  nicht  ungethan  läfst.  Dafs  aber  darum  nicht  noch 
andere  Ausflüsse  ihrer  unendlichen  Weisheit  im  Weltall  vorhanden 
sein  könnten,  möchte  ich  nach  den  Eingebungen  meiner  Vernunft 
mich  nicht  bequemen  zu  glauben;  sollte  jedoch  die  Sache  in  Wirklich- 
keit sich  anders  verhalten,  so  würde  ich  mich  nicht  sträuben  an  die 
Gründe  zu  glauben,  welche  mir  von  höherer  Einsicht  entgegengehalten 
würden.  Wenn  mir  inzwischen  gesagt  wird,  dafs  ein  ungeheuerer 
stemenleerer  Raum  zwischen  den  Planetenbahnen  und  der  Sternen- 
sphäre unnütz  und  zwecklos  sei  und  müfsig,  dafs  es  überflüssig  sei 
eine  unermefsliche,  alle  Fassungsgabe  übersteigende  Gröfse  den  Fix- 
sternen als  Behausung  anzuweisen,  so  erwidere  ich,  dafs  es  frevelhaft 
ist,  unsere  schwache  Vernunft  zum  Richter  zu  setzen  über  die  Werke 
Gottes,  alles  das  im  Weltall  eitel  oder  überflüssig  zu  nennen,  was  nicht 
unserem  Nutzen  dient. 

Sagr.      Sagt   lieber:   alles    das,    dessen   Nutzen   für   uns   wir  nichtEs  ist  frevelhaft 
begreifen,  so  werdet  Ihr  eher  Recht  haben.    Ich  halte  es  für  die  gröfste  weitaii  über- 
Anmafsung,  ja  Narrheit,  die  man  begehen  kann,  wenn  man  sagt:  weil  nennen,  dessen 
ich  nicht  weifs,  wozu  mir  Jupiter   oder  Saturn  nütze  ist,    darum  sind  wir  nicht  be- 
sie  überflüssig,  ja  gar  nicht  in  der  Natur  vorhanden.     Dabei  weifs  ich 
armer  thörichter  Mensch  noch  nicht  einmal,. wozu  mir  Adern,  Knorpel, 
Milz   oder  Galle   dienen;    ja  ich    wüfste   nicht   einmal,   dafs   ich   Galle, 
Milz  oder  Nieren  besitze,  wenn  sie   mir  nicht  oft   in  aufgeschnittenen 
Leichnamen   gezeigt    worden   wären.      Dann    erst  kömite  ich  begreifen, 
welche   Funktion  in  mir   die   Milz   ausübt,   wenn    sie    mir    genommen 
würde.     Um   zu   begreifen,   welche  Wirkung   auf  mich   der  oder  jenerwenn  man  einen 
Himmelskörper  ausübt  —  da  nun  einmal  all  ihr  Wirken  sich  auf  uns  mei  entfernen 
beziehen  soll   —  müfste   man   eine   Zeit  lang  jenen  Körper  entfernen  sich^erkennen, 
und   die   Wirkupg,   die   ich   nun   an  mir  verschwinden  merke,  für  von     einwirkt" 
jenem  Sterne  ausgehend  erklären.    Mehr  noch,  wer  wird  zu  behaupten 
wagen,  dafs  der  Raum  zwischen  Saturn  und  den  Fixsternen,  der  jenen, 
zu   grofs  und  unnütz  heifst,   leer  an  sonstigen  Weltkörpern  sei?   etwa, 
weil   wir   sie   nicht   sehen?     Die   vier   Mediceischen  Gestirne   also  und  viele  Himmeis- 
die  Begleiter  des  Saturn  standen  wohl  erst  dann  am  Himmel,  als  wir  mifge  "fü°  uns 

n  •  1  T        •    ^  1^  101T  "IT   unsichtbar  sein. 

anfangen  sie  zu  sehen  und  nicht  zuvor  schon  j'  und  die  neuen  unzähli- 
gen Fixsterne  waren  wohl  nicht  vorhanden,  bevor  die  Menschen  sie  er- 
blickten? Die  Neljelflecke  waren  zuerst  blofs  weifsliche  Stellen,  mittels 
des  Fernrohrs  erst  haben  wir  sie  zu  Haufen  von  leuchtenden,  wunder- 
schönen Sternen  umgestaltet.  0  der  anmafsenden,  nein  frevelhaften 
Unwissenheit  des  Menschen! 

GAiiiLEi,  Weltsysteme.  25 


385  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [401.  402.] 

Salv.     Es   bat  keinen  Zweck,   Signore   Sagreclo,    sicli    in    diesem 
unfruchtbaren  Patbos  zu  ergeben.    Verfolgen  wir  unseren  Vorsatz,  das 
Gewicht  der  Grründe  zu  prüfen,  die  von  beiden   gegnerischen  Parteien 
angeführt  werden,  ohne  irgend  eine  endgültige  Entscheidung  zu  treffen; 
das  Urteil  stellen  wir  dem  anheim,  der  mehr  davon  weifs  als  wir.    Zu 
den  Erwägungen  unserer    natürlichen   menschlichen  Vernunft   zurück- 
Grofs,  Klein,  kcbrcud,  behaupte  ich,  dafs  Grofs,  Klein,  Unermefslich,  Winzig  nicht  ab- 
u.  s.  w.  sind  re-  solutc,  soudcm  rclativc  Begriffe  sind,  dafs  mithin  ein  und  dieselbe  Sache, 
mit  verschiedenen  anderen  verglichen,  bald  unermefslich  genannt  wer- 
den  darf   und  dann  wieder  klein,  ja  unmerklich.     Dies   vorausgesetzt, 
frage  ich:  in  Bezug  worauf  verdient  die  Sternensphäre  des  Kopernikus 
die  Bezeichnung   übermäfsig   grofs?      Sie   läfst   sich   meines  Bedün- 
kens  nur  vergleichen  und  so  nennen  in  Bezug  auf  irgend   ein  anderes 
Ding    derselben    Art.     Nehmen    wir    nun   das   kleinste   derselben   Art, 
Verkehrtheit  derdie   Moudsphärc:   nennt   man   also    die    Sternensphäre   zu   grofs   gegeu- 
die  Sternen-    über   der  Mondsphäre,    so   mufs  jede    andere  Gröfse,  welche  eine  der- 
peViklni^chen  selben  Art  in    diesem  Verhältnis    übertrifft  oder   gar   in  einem  noch 
' '^%'eTa^soii.'^    gröfseren,  zu  grofs  heifsen,  ihr  demzufolge  die  Existenz  abgesprochen 
werden.     Damit   werden   ohne   weiteres  Elefant   und  Walfisch   zu  Chi- 
mären,  zu   Phantasie gebilden    der  Dichter;   denn   sie   weisen   beide   ein 
Mifsverhältnis   auf,  jener   als    zu   grofs   im  Vergleich    mit   der  Ameise, 
welche    wie   er   ein  Landtier  ist,   dieser  im   Verhältnis   zum    Stichling, 
der  ein  Fisch  ist;  trotzdem  lassen  sie  sich  aus  der  Natur  nicht  hinaus- 
disputieren.     Unbedingt  nämlich  übertreffen  Elefant  und  Walfisch  die 
Ameise  und  den  StichHng  in  sehr  viel  stärkerem  Mafse  als  die  Sternen- 
sphäre die  des  Mondes,  wenn  wir  uns  jene  auch  so  grofs  denken,  wie 
zu  ihrer  Verträglichkeit  mit  dem  kopernikanischen  Systeme  ausreicht. 
Der  einem  Pix- Ferner,   wic   grofs  sind   die   Sphären   Jupiters  und  Saturns,  die   einem 
sene  Raum  ist  einzigen,   im  Vergleich   zu   den  Fixsternen  kleinen  Sterne    als  Bereich 
der  einem  Pia- angewiesen  sind?    Sicher  würde  man,  um  jedem  Fixstern  einen  ebenso 
kommende,    grofscu  Teil  dcs  Weltalls  als  Behausung  zuteilen  zu  können,  die  Sphäre, 
in  welcher  ihre  unzählbare  Menge  untergebracht  ist,  viele  viele  tausend 
Male  gröfser  machen  müssen,   als   für  den  Zweck  des  Kopernikus  er- 
Ein  Stern  wird  forderlich  ist.    Nennt  Ihr  nicht  ferner  einen  Fixstern  sehr  klein  —  ich 
rücksichtlich  meine  nicht  nur  die,   welche   sich    unserem  Blicke   entziehen,  sondern 
ihn  umgebendenauch  die  allerdeutlichst  wahrnehmbaren  —  und  nennen  wir  sie  nicht  so 
wegen  ihres  Verhältnisses  zu  dem  umgebenden  Räume?    Wäre  nun  die 
sternenaphäre  gaiizc  FixstciTisphäre  ciu   einziger  leuchtender  Körper,   wer  sähe  nicht 
grofser  Entfer-  die  Möglichkeit  ein,  im  unendlichen  Raum  einen  so  entlegenen  Punkt 

nung  so  klein  .  i  i   i         i        o    i  •  i  i    • 

erscheinen  wie  ZU  bestimmen,   dafs   vou   ihm   aus   besagte  leuchtende  Sphäre  so  klem 
Stern.       crschieue   und   noch  kleiner,   als  uns  jetzt   von  der  Erde  aus  ein  Fix- 


[402.  403.]  Dritter  Tag.  387 

stem   erscheint?     Von  dort   aus   Avürden  wir  also   dasselbe   für  klein 
halten,  was  wir  jetzt  von  hier  aus  unermefslich  grofs  nennen. 

Sagr.  Am  gröfsten  dünkt  mir  die  Thorheit  derer,  die  da  meinen, 
dafs  Gott  das  Weltall  dem  geringen  Fassungsvermögen  ihrer  Vernunft 
entsprechend  geschaffen  habe  und  nicht  vielmehr  nach  seiner  unermefs- 
lichen,  ja  unendlichen  Macht. 

Simpl.  Was  Ihr  da  sagt,  ist  alles  ganz  schön;  worauf  aber  der 
Gegner  seinen  Einwand  gründet,  ist  das  Eingeständnis,  welches  man 
machen  mufs,  dafs  ein  Fixstern  nicht  nur  gleich,  sondern  so  und  so 
viel  mal  gröfser  sei  als  die  Sonne,  während  doch  beides  einzelne  inner- 
halb der  Sternensphäre  gelegene  Körper  sind.  Sehr  mit  Recht  scheint 
mir  daher  der  Verfasser  zu  fragen:  „Zu  welchem  Ende,  zu  wessen 
Frommen  sind  diese  gewaltigen  Massen  da?  Dienen  sie  etwa  der  vom  Verfasser 
Erde,  d.  h.  einem  klimperkleinen  Pünktchen?  warum  in  solcher  Ferne?  aufgeworfene 

Einwände  in 

Damit   sie   uns   so    winzig   erscheinen   und   absolut  nicht  auf  die  Erde    Frageform, 
einzuwirken   vermögen?   zu  welchem   Zweck   jene   zwecklos  unermefs- 
liche  Kluft  zwischen  ihnen   und   Saturn?     Unnütz  ist   alles   das,  was 
nicht  durch  plausibele  Gründe  gerechtfertigt  wird.""^) 

Salv.  Aus  den  Fragen,  die  der  Mann  stellt,  geht,  wie  mir  scheint, 
hervor,  dafs,  wenn  man  nur  dem  Himmel,   den  Sternen  und  den  Ent-^^*^^^"^"""  ^"^ 

7  '  '  die  vom  Ver- 

fernungen  die  Gröfse,  den  Betrag  beläfst,  welchen  er  bisher  für  richtio-fa^ser  desBüch- 

ö  '  ö  J  O  leins  erhobeneu 

angesehen  —  wiewohl  er  ihnen  zuverlässig  nie  und  nimmer  eine  fafs-  i'^inwande. 
bare  Gröfse  in  seiner  Vorstellung  beigelegt  hat  —  er  nun  vortreff- 
lich durchschaut  und  begreift,  was  für  Vorteile  von  ihnen  der  Erde 
erwachsen,  die  jetzt  nicht  mehr  ein  kleines  unbedeutendes  Ding  ist, 
wie  auch  jene  nun  nicht  mehr  so  winzig  erscheinen,  sondern  grofs 
genug,  um  auf  die  Erde  einwirken  zu  können;  er  sieht  ein,  dafs  jetzt 
die  Entfernung  zwischen  ihnen  und  Saturn  aufs  vortrefflichste  ab- 
gemessen ist,  und  weifs  für  alle  diese  Dinge  die  plausibelsten  Gründe 
anzuführen.    Gerne  hätte  ich  davon  etwas  gehört;  wenn  ich  aber  sehe.  Der  Verfasser 

•         T  •  -iTtT  -TT  1-1  1  1-1     '^^^  Büchleins 

dafs  schon  m  diesen  wenigen  Worten  Verworrenheit  herrscht  und  sichgerst  bei  seinen 

Fragen  in  Kon- 

Widersprüche  finden,  so  kann  ich  mich  des  Glaubens  nicht  erwehren,    fusion  und 
dafs  es  mit  seinen  plausibelen  Gründen  etwas  karg   und  kümmerlich 
bestellt    ist,    dafs    seine    sogenannten    Gründe    vielmehr    Trugschlüsse, 
Schatten  leerer   Einbildungen  sind.      So   lege   ich  ihm   demi  jetzt  die 
Frage  vor,  ob  jene  Himmelskörper  wirklich  auf  die  Erde  wirken  und  An  den  ver- 
ob  ihnen  zu  diesem  Behufe  die  und  die  Gröfse  anerschaffen  ist,  ob  sie  leins  gerichtete 
deswegen  in  die  und  die  Entfernung  versetzt  worden  sind,  oder  ob  siedintdemunV- 
mit   den   irdischen   Dingen  nichts    zu  thun    haben.     Haben  sie   nichtsseiue'n  welTen. 
mit  der  Erde  zu  thun,  so  ist  es  eine  gröfse  Thorheit,  wenn  wir  Erden- 
menschen über  ihre  Gröfse  ein  Urteil  fällen,  über  ihre  Anordnung  Ge- 

25* 


388  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [403.  404] 

setze  aufstellen  wollen,  wo  wir  docli  nicht  das  Mindeste  von  ihren 
Angelegenheiten  und  Interessen  wissen.  Behauptet  er  aber,  dafs  sie 
eine  Einwirkung  üben,  dafs  ihnen  dies  als  Zweck  gesetzt  ist,  so  schlägt 
er  auf  der  anderen  Seite  seiner  Behauptung  ins  Gesicht,  so  lobt  er, 
was  er  noch  eben  verdammt  hat,  als  er  die  Himmelskörper  in  so  grofse 
Entfernung  versetzt  erklärte,  dafs  sie  von  der  Erde  aus  zu  winzig  er- 
schienen, um  einen  Einflufs  auf  diese  üben  zu  können.  Aber,  lieber 
Mann,  in  der  Entfernung,  in  der  sich  nun  einmal  die  Sternensphäre 
befindet  und  die  Eueres  Bedünkens  so  wohlabgemessen  ist,  um  auf  die 
irdischen  Verhältnisse  Emflufs  zu  üben,  erscheinen  äufserst  zahlreiche 
Sterne  winzig  klein,  hmidertmal  so  viele  sind  überhaupt  für  uns  un- 
sichtbar, d.  h.  sie  scheinen  noch  kleiner  als  wmzig;  also  müfst  Ihr  ent- 
weder, im  Widerspruch  mit  Euch  selbst,  nunmehr  ihren  Einflufs  auf 
die  Erde  läugnen,  oder,  gleichfalls  im  Widerspruch  mit  Euch  selbst, 
zugeben,  dafs  so  winzig  zu  erscheinen  ihrer  Wirkung  keinen  Abbruch 
thut,  oder  Ihr  müfstet  denn  eingestehen  —  imd  dies  Eingeständnis 
wäre  oifener  und  bescheidener  —  Ihr  müfstet  freimütig  bekennen,  dafs 
über  ihre  Gröfse  und  Entfermmg  ein  Urteil  abzugeben  ein  eiteles  Unter- 
fangen ist,  um  nicht  zu  sagen  ein  anmafsendes  oder  frivoles. 

Simpl.  In  der  That,  beim  Lesen  dieser  Stelle  sah  auch  ich  sofort 
den  offenbaren  Widerspruch,  wenn  er  einerseits  behauptet,  die  Sterne 
des  Kopernikus,  wenn  ich  so  sagen  darf,  könnten  nicht  auf  die  Erde 
einwirken,  weil  sie  so  winzig  erscheinen,  auf  der  anderen  Seite  nun 
aber  nicht  bemerkt,  eben  diesen  Einflufs  seinem  und  des  Ptolemäus 
Sternen  zugestanden  zu  haben,  welche  doch  auch  winzig  erscheinen, 
ja  gröfstenteils  unsichtbar  sind. 

Salv.    Ich  komme  nun  zu  einem  anderen  Punkte.     Worauf  gründet 

sich  sein  Ausspruch,  dafs  die  Sterne  so  klein  erscheinen?  etwa  darauf^ 

dafs   wir  Menschen   sie   in   solcher  Kleinheit   sehen?      Weifs   er  nicht, 

dafs  dies  von  dem  Werkzeug  herrührt,  welches  wir  bei  ihrer  Betrach- 

Das  Kiein-Er-  tuug  bcnutzeu,  d.  h.  vou  unscrcm  Auge?*"^)     Wir  brauchen  zum  Be- 

scheinen  ent- 
fernter Objekte  weis  dafür   nur   das  Werkzeug   zu  ändern,   so    werden   wir   sie  gröfser 

l)eruht  auf  einem  .  ,  ^  ,  '    ^  .  .  .  "^ 

Mangel  des    und  gröfscr  erblickcn,   wie   uns  beliebt.     Wer   weifs,  ob  sie  nicht  der 

Auges,  wie  nach-  .  . 

gewiesen  wird.  Erde,  dic  sic  ohne  Augen  betrachtet,  gewaltig  grofs  erscheinen,  so 
grofs  vielleicht,  wie  sie  wirklich  sind?  Doch  es  ist  an  der  Zeit,  diese 
Trivialitäten  auf  sich  beruhen  zu  lassen  und  zu  ausschlaggebenderen 
Betrachtungen  überzugehen.  Nun  habe  ich  bereits  zweierlei  nach- 
gewiesen, erstens  in  welche  Entfernung  man  das  Firmament  zu  ver- 
setzen hat,  damit  der  Erdbahndurchmesser  ihm  gegenüber  ebenso  un- 
erhebhche  V^erschiedenheiten  bewirke  als  in  Entfernung  der  Sonne  die 
Gröfse    der    Erde.      Desgleichen    habe    ich    zweitens    gezeigt,    dafs    es 


[4  04.  405.]  Dritter  Tag.  389 

nicht  nötig  ist  einen  Stern  des  Firmaments  für  gröfser  als  die  Sonne 

zu  erklären,   damit   er   ims    so   grofs   erscheine,   wie  wir  ihn  thatsäch- 

lich  sehen.    Danach  möchte  ich  nun  wissen,  ob  Tyclto  oder  einer  seiner  weder  Tycho 

Anhänger  jemals  auf  die  eine  oder   andere  Weise  versucht   hat  zu  er-  banger  haben" 

gründen,    ob    an   der   Sternensphäre   irgendwelche    Erscheinung    wahr-Himmeiserschei- 

zimehmen  ist,  um  derentwillen  man  mit  gröfserer  Entschiedenheit  sich  st'elfeT,  dYeTu 

für  oder  wider  die  jährliche  Erdbewegung  aussprechen  kann.  gunsteTderTahr- 

Sagr.  Ich  würde  au  ihrer  Stelle  mit  Nein  antworten  und  hinzu- ""  sprecw''''" 
fügen,  dafs  es  dessen  auch  gar  nicht  bedurfte,  da  Kopernikus  selbst 
eine  solche  Verschiedenheit  für  nicht  vorhanden  erklärt.  Sie  argu- 
mentieren dann  ad  Jwmincm"^),  räumen  ihm  das  ein  und  weisen  auf  Grund 
dieser  Annahme  die  daraus  hervorgehenden  unwahrscheinlichen  Folge- 
rungen nach,  dafs  nämlich  dann  der  Sphäre  eine  so  ungeheuere  Aus- 
dehnung beizumessen  sei,  dafs  ein  Fixstern,  um  uns  so  grofs  zu  er- 
scheinen, wie  er  erscheint,  in  Wahrheit  einen  ungeheueren,  die  ganze 
Erdbahn  an  Gröfse  übertreffenden  Umfang  besitzen  müsse;  und  das 
sei,  meinen  sie,  durchaus  unglaublich. 

Salv.  Ich  bin  der  gleichen  Meinung  und  glaube  zuversichtlich, 
dafs  sie  „gegen  den  Mann"  argumentieren  mehr  zur  Verteidigung  eines 
anderen  Mannes  als  aus  dem  Wimsche  heraus  zur  Erkenntnis  der  Wahr- 
heit zu  gelangen.     Nach  meiner  Meiiiung  hat  sich  nicht  nur  keiner^^^  Astronomen 

.  °  haben  sich 

an  eme   derartige  Beobachtung  gemacht,  ich  zweifle   sogar,   ob  einer     schwerlich 

•  1  .^  1    1        TT  1   -1       1      •  •  Kechenscbaftge- 

von  ihnen  weifs,  welche  Verschiedenheiten  im  Aussehen  des  Fixstern-  s'^^'^n  voq  den 
himmels  die  iährliche  Erdbewegung  dann  hervorbringen  müfste,  weiiiiii'=^e  Erdbewe- 

T       Ol  1  -1  •  p  gung  bedingten 

die  bternensphäre  nicht  so  weit  entfernt  wäre,  dafs  jene  Verschieden-Hiöi^eiserschei- 
heiten  ihrer  Kleinheit  wegen  verschwinden.    Eine  solche  Untersuchung 
zu  imterlassen,    sich   bei  dem  blofsen   Worte   des   Kopernikus  zu  be- 
ruhigen   mag    wohl    ausreichen,    um   den  einen   Maim   zu  überzeugen, 
nicht  aber  um  über  die  Thatsache  zur  Klarheit  zu  gelangen;  denn  es 
mag  die  Verschiedenheit  thatsächlich   vorhanden   sein,   ohne  dafs  Ko- 
pernikus   sie    gesucht   hat,    oder  sie  mag  ihrer  Kleinheit  wegen   und    Kopemikus 
mangels   genauer  Instrumente   von  Kopernikus  nicht   entdeckt  worden^'nilht,  weü^er 
sein.     Es    wäre   das  nicht  der  einzige   Fall,   wo   er    wegen   fehleuder'S  nJstmTrfer-' 
Instrumente   oder  sonst  eines   ungünstigen  Umstands    halber  mangel-    *^"  ^*'''*''' 
haft  unterrichtet  war;  und   doch   stellte   er,   gestützt   auf  andere   sehr 
zuverlässige  Anhaltspunkte,  unentwegt  seine  Lehren  auf,  gegen  welche 
manches   ihm  Unverständliche   zu   sprechen   schien.      Deim,   wie  schon 
früher  bemerkt,  koimte  er  ohne  Fernrohr  weder  das  60-fache  Anwachsen 
des  Mars,  noch  das  40-fache  der  Ve-nus  bei  ihrer  wechselnden  Stellung 
wahrnehmen;  diese  Unterschiede  scheinen  vielmehr  bei  weitem  geringer 
als   sie  in  Wirklichkeit  sind.     Und  doch   ist  man  später  zur  Einsicht 


390  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [405.  406.] 

ffekommen,  dafs  diejeuigen  Veräuderungen^  welche  das  kopernikauisclie 
System  erforderte,   aufs  Haar  vorlianden  sind.      So   wäre   es   also   em 
lohnendes  Unternehmen  mit  der  gröfstmöglichen  Genauigkeit  zu  unter- 
suchen, oh  eine  solche  Änderung,  wie  sie  im  FaE  der  jährlichen  Erd- 
bewegung   an  den  Fixsternen  Avahmehmhar    sein  müfste,  nicht  that- 
sächlich  zu  beobachten  ist:  eine  Untersuchung,  die  meiner  festen  Über- 
zeugung nach  bisher  niemand  angestellt  hat;  ja  es  mögen,  wie  gesagt, 
viele  nicht   einmal    das   richtige  Verständnis   haben   für  das,  was  man 
rycAo  und anderezu   sucheu  hätte.      Ich   sagc    das   nicht   so   ins   Blaue   hinein,   sondern 
jährii"he''Bewe-weil  ich  schou  ciuc  schriftliche  Aufzeichnung  eines  jener  Antikoperui- 
ulfvMänderiiÄaner  gesehen  habe"),  worin  er  sagt,  es  müsse  notwendig,  wenn  jene 
Meinung  richtig  wäre,  von  sechs  zu  sechs  Monaten  eine  Zu-  und  Ab- 
nahme der  Polhöhe  erfolgen,   da    die  Erde  innerhalb  dieses  Zeitraums 
um  eine  Strecke  von  der  Gröfse  des  Erdbahndurchmessers  bald  weiter 
gegen  Norden,   bald    mehr    gegen   Süden  zu    stehen   komme;    und    so 
scheint  es   ihm  denn  plausibel,  ja  notwendig,   dafs   für  ims,   die  wir 
die  Erde   auf  ihrer  Bahn  begleiten,   der  Pol  in   gröfserer  Höhe  liegt, 
sobald  wir  uns   im  Norden  befinden,  als  wemi  wir  im  Süden  stehen. 
In    denselben    Irrtum  verfiel  ein  übrigens    recht    verständiger  Mathe- 
matiker,  selbst  ein  Anhänger   des  Koperuikus,   wie  Tycho  auf  S.  684 
seiner  Progymnasmata  berichtet.    Dieser  sagte,  er  habe  einen  Wechsel 
der  Polhöhe  beobachtet,  sie  sei  im  Sommer  eine  andere  als  im  Winter; 
da  nun  Tycho  die  Thatsache  zwar  in  Abrede  stellt,  den  Gedankengang 
aber  nicht  verurteilt  d.  h.  eine  Änderung  der  Polhöhe  in  Abrede  stellt, 
aber  eine  derartige  Methode  nicht  als  unpassend  für  den  beabsichtig- 
ten Zweck  verwirft,   so   erklärt  er  damit,   dafs   auch   nach  seiner  An- 
sicht eine  Änderimg   oder  Nicht-Änderung  der  Polhöhe  von  sechs  zu 
sechs  Monaten  eine  gute  Probe  darauf  ist,  ob  die  Annahme  einer  jähr- 
lichen Erdbewegung  statthaft  oder  zu  verwerfen  ist. 

Simpl.  In  Wahrheit,  Signore  Salviati,  auch  ich  halte  das  für 
eine  notAvendige  Folge;  Ihr  werdet  mir,  glaube  ich,  nicht  in  Abrede 
stellen,  dafs  wenn  Avir  nur  60  MigHen  nach  Norden  reisen,  der  Pol 
sich  um  einen  Grad  hebt  und  dafs  bei  weiterer  Annäherimg  an  den 
Nordpunkt  um  60  Miglien  der  Pol  für  uns  um  einen  Aveiteren  Grad 
steigt  u.  s.  w.  Wenn  nun  eine  Annäherung  oder  Entfernung  um  blofs 
60  Miglien  eine  so  merkliche  Änderung  in  der  Polhöhe  hervorruft, 
welchen  Eiuflufs  mufs  da  das  Fortrücken  von  uns  mitsamt  der  Erde 
um  eine  Strecke  von  nicht  etwa  60,  sondern  von  60000  MigHen  üben? 
Salv.  Die  Folge  Avird  sein,  wenn  man  auf  Euere  Proportion 
bauen  soll,  dafs  sich  der  Pol  um  1000  Grad  heben  wird.  Seht,  Sig- 
nore  Simplicio,    was    ein    eingewurzeltes    Vorurteil    zu  Wege    bringt: 


[406.  407.]  Dritter  Tag.  391 

weil  Ihr  soviel  Jahre  hindurch  die  Vorstellung  Euerem  Geiste  einge- 
prägt habt,  dafs  es  der  Himmel  sei,  der  sich  in  24  Stunden  umdreht 
und  nicht  die  Erde,  dafs  demzufolge  die  Pole  dieser  Umdrehung  am 
Himmel  liegen  imd  nicht  auf  dem  Erdball,  so  könnt  Ihr  nicht  einmal 
für  eine  Stunde  dieser  Gewohnheit  entsagen  und  die  Maske  der  gegen- 
teiligen Anschauung  vornehmen,  Euch  vorstellen,  dafs  es  die  Erde  ist, 
die  sich  bewegt,  nur  für  so  lange,  als  erforderlich  ist,  um  zu  begreifen, 
Avas  folgen  würde,  wenn  diese  Lüge  Wahrheit  wäre.  Wenn  es  die 
Erde  ist,  die  sich  in  24  Stunden  um  sich  selber  dreht,  so  liegen  die 
Pole  auf  ihr,  die  Achse  in  ihr,  der  Äquator  d.  h.  der  gröfste  Kreis,  wel- 
chen der  von  beiden  Polen  gleichweit  entfernte  Punkt  beschreibt,  liegt 
auf  ihr,  auf  ihr  die  imendlich  vielen  gröfseren  oder  kleineren  Parallel- 
kreise, welche  die  mehr  oder  weniger  weit  von  den  Polen  entfernten 
Punkte  beschreiben.  An  ihr  und  nicht  an  der  Sternensphäre  befindet 
sich  alles  das ;  denn  diese  ist  unbeweglich  und  ihr  fehlen  daher  alle  diese 
Dinge,  nur  in  der  Vorstellimg  kann  man  sie  sich  auf  diese  übertragen 
denken,  indem  man  die  Erdachse  soweit  verlängert,  bis  sie  zwei  über 
unseren  Polen  gelegene  Punkte  am  Himmel  trifft,  und  indem  man  die 
Ebene  des  Äquators  solange  erweitert,  dafs  am  Himmel  ein  ihm  ent- 
sprechender Kreis  ausgeschnitten  wird.  Wenn  nun  die  wirkliche  irdische 
Achse,  die  wirklichen  irdischen  Pole,  der  wirkliche  irdische  Äquator 
sich  auf  Erden  nicht  ändern,  so  lafst  die  Erde  nur  fortrücken,  wohin 
es  Euch  beliebt,  Ihr  werdet,  solange  Ihr  an  demselben  Orte  auf  Erden 
verharret,  weder  Euere  Lage  zu  den  Polen,  noch  zu  den  Parallelkreisen, 
noch  zu  sonst  einem  irdischen  Dinge  ändern  und  zwar  darum  nicht, 
weil  ein  derartiges  Fortrücken  Euch  gemeinsam  mit  allen  irdischen 
Dingen  betrifft,  und  weil  die  Bewegung,  sobald  sie  gemeinsam  ist,  so  sobaid  die  Be- 

..  ci  •  wegung  gemein- 

gut  wie  nicht  vorhanden  ist.     So   wenig  Ihr   nun  Euer  Verhalten   zu  sam  ist,  ist  sie 

i-nni  "11  T-i  TT      IT  TT-  •  ^°  ^'  "^^^  nicht 

den  Erdpolen  verändert  —  Euer  Verhalten  nämlich,  insoweit  etwa  vorhanden, 
daraus  eine  Erhebimg  oder  Senkung  von  diesen  sich  ergiebt  —  so  werdet 
Ihr  es  gleicherweise  nicht  zu  den  am  Himmel  vorgestellten  Polen 
ändern,  sobald  wir  unter  Himmelspolen  nach  der  eben  gegebeneu  De- 
finition jene  zwei  Punkte  verstehen,  die  von  der  bis  dorthin  verlänger- 
ten Erdachse  an  ihm  markiert  werden.  Allerdings  ändern  sich  diese 
Pimkte  am  Himmel,  wenn  das  Fortrücken  der  Erde  derart  erfolgt, 
dafs  ihre  Achse  auf  andere  und  andere  Punkte  der  unbeweglichen  Him- 
melskugel trifft;  aber  unsere  Lage  zu  ihnen  ändert  sich  nicht  in  der 
Weise,  dafs  der  zweite  sich  mehr  erhöbe  als  der  erste.  Wer  einen 
der  beiden,  miseren  Polen  entsprechenden  Punkte  des  Firmaments  sich 
heben  und  den  andern  sich  senken  sehen  möchte,  mufs  auf  der  Erde 
sich  dem  einen  nähern,  von   dem  anderen   entfernen;  deim   das  Fort- 


392  Dialog  über  die  Weltsysteme,  [407.  408] 

rücken  der  Erde,  während   wir  mit  ihr  verbunden  bleiben,  übt,  wie 
gesagt,  keinerlei  Einflufs  darauf. 

Sagr.     Gestattet  mir  gefölligst,  Signore  Salviati,  diese  Frage  auf 
passendeB  Bei- recht  verständliche  Weise  durch    ein  Beispiel   zu    erläutern-,    mag   es 
iTuterung  der  auch  plump    seiu,    SO   ist  es   doch  andererseits   für    den  vorliegenden 
leT%l\höhf^yolZyveck  sehr  passend.     Stellt  Euch  vor,  Signore  Simplicio,  Ihr  wäret  in 
Erdbewegung!  einer  Galeere,  stündet  auf  dem  Hinterteile   imd  hättet  einen  Quadran- 
ten oder  ein  anderes  astronomisches  Instrument  auf  den  höchsten  Punkt 
des  Besanmastes    gerichtet,   als    wolltet   Ihr    seine  Erhebung   messen, 
welche  beispielshalber  40  Grad  betragen  möge.    Nun  ist  kein  Zweifel, 
wenn  Ihr  in  der  Fahrtrichtung  25  oder  30  Schritte  auf  den  Mast  zu 
losgeht  und  wiederum  das  nämliche  Instrument  auf  die  nämliche  Mast- 
spitze richtet,  dafs  Ihr  ihre  Erhebung  gröfser  finden  werdet,  sagen  wir 
um   10  Grad.     Wenn  Ihr  aber,   statt  besagte   25  bis  30  Schritte   auf 
den  Mast  zuzugehen,  auf  dem  Hinterteile  stehen  bliebet  und  die  ganze 
Galeere  nach  jener  Richtung  fahren  liefset,  meint  Ihr,  dafs  infolge  der 
gemachten  Fahrt  von  25  bis  30  Schritten,  die  Höhe  des  Besanmastes 
10  Grad  gewachsen  zu  sein  schiene? 

Simpl.  Ich  meine  und  weifs,  dafs  sie  auch  nicht  um  Haares- 
breite wüchse,  selbst  bei  einer  Fahrt  von  1000  und  100000  Miglien, 
geschweige  denn  von  30  Schritten.  Ich  glaube  aber  allerdings,  dafs, 
wenn  man  über  die  Spitze  des  Mastes  auf  eineu  in  dieser  Richtung 
stehenden  Fixstern  visiert,  sodann  den  Quadranten  festhält  und  60  Mig- 
lien weiter  in  der  Richtung  auf  den  Stern  zu  fährt,  das  Instrument 
freilich  noch  auf  die  Spitze  des  Mastes  eingestellt  wäre  wie  zuvor, 
aber  nicht  mehr  auf  den  Stern,  welcher  vielmehr  um  einen  Grad  höher 
stehen  würde. 

Sagr.  Aber  Ihr  glaubt  doch  nicht  etwa,  dafs  die  Visierlinie  nicht 
auf  den  Punkt  der  Sternensphäre  einträfe,  welcher  der  Richtung  der 
Mastspitze  entspricht? 

Simpl.  Das  nicht;  aber  der  Punkt  würde  ein  anderer  sein  imd 
läge  unterhalb  des  zuerst  beobachteten  Sternes. 

Sagr.     Genau   so  verhält  es  sich.     Wie   aber  in  diesem  Beispiele 
das   der  Erhebung   der  Mastspitze   entsprechende   nicht   der  Stern  ist, 
sondern    der   Punkt    des  Firmaments,    der    sich    in  der  Richtung  des 
Auges   und   der  Mastspitze   befindet,  so  ist  auch   in  dem  zu  erläutern- 
den Falle   das,   was    dem  Erdpol  am  Firmament   entspricht,  nicht  ein 
Stern  oder  sonst  etwas  am  Firmamente  Festes,  sondern  der  Endpunkt 
Die  jährliche  der  bis  dorthin  verlängerten  Achse,  mithin  kein  fester,  sondern  ein  von 
kann  Ä^iTe^uu-  dcu  Bewegungen  des  Erdpols   abhängiger  Punkt.     Darum  hätte  Tyc/to 
eines  "sternes,  odcr  wcr  soust  dicseu  Eiuwaud  vorbrachte,  sagen  sollen,  dafs  bei  sol- 


[408.  409.]  Dritter  Tag.  393 

eher  Bewegung  der  Erde,  wenn  sie   wirklich   stattfände,   eine   gröfsere  nicht  aber  des 

1  •  TT..1  •    i\     j         T)    1  1  1  •  ..  Poles  im  Gefolge 

oder  geringere  Mone  nicht  des  roles   wahrzimehnieu   sein  müsse,  son-       haben. 
dern    irgendwelches    Fixsternes    in    der    unserem   Pole    entsprechenden 
Richtung. 

Simpl.  Ich  begreife  jetzt  sehr  wohl  das  Mifsverständnis,  das  jene 
begangen;  aber  damit  ist  die  in  meinen  Augen  ganz  außerordentliche 
Beweiskraft  des  gegnerischen  Arguments  nicht  beseitigt,  wenn  es  auf 
die  Veränderungen  an  den  Sternen,  und  nicht  mehr  auf  die  am  Pole  be- 
zogen wird.  Denn  wenn  die  Bewegung  der  Galeere  um  eine  Strecke 
von  nur  60  Miglien  den  Stern  um  einen  Grad  höher  stehen  läfst, 
wieso  sollte  dann  nicht  eine  gleiche  und  noch  sehr  viel  gröfsere  Ände- 
rung eintreten,  sobald  die  Galeere  nach  dem  nämlichen  Sterne  hin  um 
eine  dem  Erdbahndurchmesser  gleiche  Strecke  fortrückt,  dem  Ihr  eine 
Gröfse  von  der  doppelten  Entfernung  zwischen  Sonne  und  Erde  zu- 
erkennt? 

Sagr.     Hier,  Siguore  Simplicio,  liegt  ein  anderes  Mifs Verständnis 
?or,    wie  Ihr    in    Wahrheit    sehr  wohl   wifst;    Ihr   seid   Euch   Eueres  Widerlegung 
Wissens  nur  nicht  bewufst,  und  ich  will  versuchen,  es  Euch  ins  Ge-gtändUche^nTu- 
dächtuis   zurückzurufen.      Darum   sagt  mir:    wenn  Ihr  den  QuadrantendiTjaiiriicheBe- 
auf  einen  Fixstern  eingestellt,  seine  Höhe   etwa  zu  40  Grad  ermitteltdeutende'^Ändo- 
habt  und  senkt  nun,  ohne  Euch  von  der  Stelle  zu  bewegen,  den  SchenkelnöhTdes  Sternes 
des    Quadranten,    sodafs   der   Stern  jetzt    oberhalb  jener  Richtung    zu    ^'^müfste!^*" 
stehen  kommt,  werdet  Ihr  darum  sagen,  der  Stern  habe  eine  gröfsere 
Höhe  erlangt? 

Simpl.  Gewifs  nicht;  denn  die  Änderung  ist  mit  dem  Instrumente 
vor  sich  gegangen,  ohne  dafs  der  Beobachter  seine  Stelle  gewechselt 
und  sich  gegen  den  Stern  hinbewegt  hätte. 

Sagr.  Wenn  Ihr  aber  auf  der  Erdoberfläche  fahrt  oder  geht, 
würdet  Ihr  dann  sagen,  dafs  mit  demselben  Quadranten  keinerlei  Ver- 
änderimg vorgegangen  sei,  würdet  Ihr  meinen,  er  behalte  stets  die- 
selbe Erhebung  in  Bezug  auf  den  Himmel  bei,  vorausgesetzt,  Ihr  selbst 
bewegtet  ihn  nicht,  sondern  beliefset  ihn  in  seiner  ursprünglichen 
Lage? 

Simpl.  Lafst  mich  einen  Augenblick  nachdenken.  Sicherlich  würde 
ich  behaupten,  dafs  er  sie  nicht  beibehält;  denn  der  von  mir  zurück- 
gelegte Weg  ist  nicht  eben,  sondern  liegt  auf  dem  Umfang  des  Erd- 
balls, welcher  Schritt  für  Schritt  seine  Neigung  gegen  den  Himmel 
ändert  imd  folglich  auch  dem  Instrumente  eine  fortwährend  wechselnde 
Neigung  erteilt,  da  dieses  zur  Erde  die  gleiche  Lage  beibehält. 

Sagr.  Vortrefflich;  und  Ihr  seht  auch  ein,  dafs,  je  gröfser  und 
gröfser  jener  Kreis  würde,  auf  welchem  Ihr  Euch  bewegt,  eine  desto 


394  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [409.  410.] 

gröfsere  MiglienzaM  zurückzulegen  wäre,  damit  der  Stern  jenen  Grad 
höher  zu  stehen  komme  und  dafs,  wenn  sehliefslich  die  Bewegung 
nach  dem  Sterne  hin  in  gerader  Linie  stattfände,  man  sich  weiter  be- 
wegen müfste,  als  man  es  auf  einem  noch  so  grofsen  Kreisumfange  zu 
thun  hätte. 
Gerade  Linie  Salv.    Allerdings,  denn  sehliefslich  sind  unendliche  Kreisperipherie 

lind  unendliche  O   '  r        r 

Kr 
sind 


eisperipherie ^^(^j  ^eradc  Linie  ein  und  dasselbe.'^-) 

nd  ein  und  ~  / 


Sagr.  Ei,  das  verstehe  ich  nicht  und,  "svie  ich  glaube,  versteht 
es  auch  Signore  Simplicio  nicht.  Es  mufs  dahinter  ein  Geheimnis 
stecken,  weil  wir  Avissen,  dafs  Signore  Salviati  niemals  ins  Blaue  hinein 
spricht,  noch  ein  Paradoxon  ins  Feld  führt,  es  sei  denn,  dafs  es  zu 
einem  originellen  Gedanken  den  Weg  wiese;  ich  werde  Euch  daher 
gehörigen  Orts  und  gehöriger  Zeit  daran  erinnern  uns  diese  Identität 
der  geraden  Linie  mit  der  Peripherie  eines  imendlichen  Kreises  zu 
erläwtern.  Augenblicklich  möchte  ich  nicht  die  vorliegende  Unter- 
suchung unterbrechen.  Um  zur  Sache  zurückzukehren,  stelle  ich 
Signore  Simplicio  die  Erwägung  anheim,  dafs  die  wechselnde  Entfer- 
nung der  Erde  von  jenem  in  der  Nähe  des  Pols  befindlichen  Stern 
gewissermafsen  auf  einer  geraden  Linie  erfolgt,  nämlich  dem  Durch- 
messer der  Erdbahn.  Wer  daher  als  Mafsstab  für  das  Steigen  und 
Sinken  des  Polarsterns  die  Bewegung  längs  dieses  Durchmessers  be- 
nutzen will,  wie  wenn  es  sich  um  die  Bewegung  längs  des  Avinzigen 
Erdumfangs  handelte,  verrät  wenig  Sachkenntnis. 

Simpl.  Aber  doch  werden  wir  diese  Schwierigkeiten  noch  nicht 
los,  da  auch  von  jener  geringen  Verschiedenheit,  die  vorhanden  sein 
müfste,  erfahrungsgemäfs  nichts  bekannt  ist.  Ist  diese  Verschieden- 
heit aber  gleich  Null,  so  mufs  man  notgedrungen  zugeben,  dafs  auch 
die  jährliche  der  Erde  beigelegte  Bewegimg  längs  des  orhis  magnus 
gleich  Null  sei. 

Sagr.  Hier  lasse  ich  Signore  Salviati  fortfahren.  Er  scheint  mir 
den  Unterschied  zwischen  einer  gröfseren  und  geringeren  Höhe  des 
Polarsternes  oder  eines  anderen  Fixsternes  nicht  als  ganz  verschwin- 
dend anzunehmen,  obgleich  ein  solcher  von  niemand  nachgewiesen  ist 
und  obgleich  er  von  Kopernikus  seiner  Kleinheit  wegen  wenn  auch 
nicht  gleich  Null  vorausgesetzt  Avird,  so  doch  als  jeder  Beobachtung 
imzugänglich. 

Salv.  Ich  habe  schon  früher  gesagt,  dafs  meines  Wissens  nie- 
mand Beobachtungen  darüber  angestellt  hat,  ob  zu  verschiedenen 
Jahreszeiten  irgendwelche  Fixsternverschiebungen  wahrzunehmen  sind, 
welche  auf  die  jährliche  Erdbewegung  sich  zurückführen  liefsen.  Ich 
habe  hinzugefügt,   dafs  ich  bezweifle",  ob  irgend  jemand  sich  Klarheit 


[410.  411]  Dritter  Tag.  395 

darüber  verschafft  hat,   welcher  Art  denn  diese  Veränderungen  seienweicheverände- 

1  •      1  1    1  ri  •        1  •  1         rungen  infolge 

lind  zwischen  welchen  bternen  sie   hervortreten   müfsten ;  es  ist  daher  der  jährlichen 
zweckmäfsig,   diesen  Punkt  einer  sorgfaltigen  Prüfung  zu  unterziehen,  vrahrzunehmen 
Wenn  ich   blofs   im  allgemeinen   geschrieben  finde,  die  jährliche  Erd-    an  weichen 
bewegung  längs  des  orhis  magnus  sei  unzulässig,  weil  es  unwahrschein- 
lich sei,  dafs  durch  sie  keine  scheinbare  Lagenänderung  der  Fixsterne 
verursacht  Averde,  und  wenn  ich  sodann  keine  Angabe  darüber  machen 
höre,  wie  denn  im  einzelnen  sothane  scheinbaren  Änderungen  beschaffen 

detaillierten  Ai 

Glaubens  nicht  erwehren,   dafs   diejenigen,   die  bei  diesem  allgemeinen  s^ij^^a^^^er^die 
Ausspruch  stehen  bleiben,  nicht  verstanden  haben  und  wahrscheinlich   'i^'^^'^psen, 

i  ^  .^  welche  dae  jahr- 

nicht  gesucht  haben  zu  verstehen,  wie  es  mit  diesen  Änderungen  denn"<=^''  ^."^J*.^!^'^- 

o  7  o  gung  moglicher- 

bestellt  ist  und   was   es   denn  eigentlich  für  Erscheinungen  sind,  die,^^^*^^®^^^'^^'^^ 
wie  sie  sagen,  eintreten  müfsten.     Zu  diesem  Urteile  fühle  ich  mich^fj"''«™!'^  ^^^- 

o        '  selben  rucht  ver- 

bewogen,  weil  ich  weifs,  dafs  die  jährliche  Bewegung,  die  von  Köper-  standen  haben, 
nikus  der  Erde  beigelegt  wird,   wenn  überhaupt  in  merklicher  Weise, 
so  doch  nicht  an  allen  Sternen  in  gleichem  Betrage  anscheinende  Ande-  Die  Verände- 
rungen hervorbringen  müfste,  dafs  vielmehr    eine    solche    Erscheinung    Fixsternen 

,...  .  „  nT    r  ^      •  ^  •       ^  i    •  i-  i  niüssen  bei  man- 

bei  einigen  m  grölserem  Mafse,  bei  anderen  in  kleinereni,  bei  anderenchen  grofser,  bei 
in  noch  kleinerem,  bei  anderen  endlich  gar  nicht  mehr  auftreten  würde,bei  anderen  yöi- 
wie   grofs  man  auch   den  Kreis   der  jährlichen  Bewegung    annehmen    dend  sein, 
mag.     Ferner  sind  die  Änderungen,  die  man  wahrnehmen  müfste,  von 
zweierlei  Art:  einmal  eine  Änderung  in  der  scheinbaren  Gröfse  dieser 
Sterne,   sodann  eine  Änderung   in  ihren  Meridianhöhen,  welche  dann 
mit  einer  Änderung   bezüglich    des   Auf-  und  Untergangs,    sowie   der 
Zenithdistanz  verbunden  ist. 

Sagr.  Ich  meine  schon  zu  fühlen,  wie  mein  Kopf  von  einem  Ge- 
wirr von  Vorstellungen  wirbelt;  wollte  Gott,  es  gelänge  mir  endlich 
mich  daraus  zu  befreien;  denn  um  Euch  mein  Unvermögen  nur  ein- 
zugestehen, Signore  Salviati,  ich  habe  öfters  darüber  nachgedacht, 
konnte  aber  niemals  des  Knäuels  Ende  finden.  Ich  meine  nicht  sowohl 
in  erster  Linie  die  Fragen,  welche  die  Fixsterne  betreffen,  als  viel- 
mehr ein  anderes,  noch  fataleres  Geschäft,  woran  Ihr  mich  durch  Er- 
wähnimg jener  Meridianhöhen,  Aufgangs-Azimuthe '^),  Zenithdistanzen 
erinnert  habt.  Dafs  es  mir  so  im  Kopfe  wirbelt,  rührt  von  folgen- 
dem Übelstande  her.  Kopernikus  nimmt  die  Sternensphäre  als  im- "e^"  ^ '^o^^ni'- 
beweglich  und  die  Sonne  in  ihrem  Mittelpmikte  an.  Jede  Änderung  ^^^^g]^^«^^*'«'^^'^^ 
also,   welche  uns    an   der   Sonne   oder  an    den  Fixsternen   aufzutreten  ^^^^^  ^""^^ 

'  und  Fixsternen. 

scheint,  miifs  notwendig  in  der  Erde,  in  ims  also,  ihren  Sitz  haben. 
Die  Sonne  hebt  und  senkt  sich  aber  in  unserem  Meridian  um  einen 
sehr  grofseu  Bogen,  nämlich  um  fast  47  Grad,  und  um  noch  gröfsere 


396  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [411.  412.] 

imd  immer  gröfsere  Beträge  ändert  sie  ihr  Auf-  und  Untergangs- 
Azimuth  bei  schiefen  Horizonten.  Wieso  kann  daher  die  Erde  sich 
so  beträchtlich  gegen  die  Sonne  neigen  und  wieder  aufrichten,  gegen 
die  Fixsterne  hingegen  gar  nicht  oder  doch  unmerklich  wenig? 
Das  ist  der  Knoten,  der  nie  durch  meinen  Kamm  laufen  wollte; 
wenn  Ihr  mir  ihn  löset,  habt  Ihr  in  meinen  Augen  Alexander  über- 
trumpft. '^) 

Salv.  Dies  sind  Bedenken,  wie  sie  des  Geistes  eines  Siguore 
Sagredo  würdig  sind;  die  Schwierigkeit  ist  dermafsen  grofs,  dafs  Koper- 
uikus  selbst  sich  kaum  zutraute  sie  in  verständlicher  Weise  aufzu- 
hellen. Man  ersieht  dies  aus  seinem  eigenen  Geständnis,  dafs  die  Sache 
duuJvel  sei,  sowie  auch  daraus,  dafs  er  zweimal  auf  verschiedeneu 
Wegen  den  Versuch  macht  sie  zu  erläutern.  Ich  gestehe  offen,  seine 
Erklärung  erst  verstanden  zu  haben,  als  ich  auf  eine  weitere  davon 
verschiedene,  sehr  einfache  und  klare  Weise  mir  Licht  verschafft  hatte, 
aber  nicht  ohne  lange,  mühsame  Geistesarbeit. 

Simpl.  Aristoteles  erkannte  gleichfalls  diese  Schwierigkeit  und 
Arjstoteiisciies  bediente  sich  ihrer  zur  Widerlegung  einiger  alten  Philosophen,  welche 

Argument  gegen 

die  alten  phüo-die  Erde  zu  einem  Planeten  machen  wollten.     Er  führt  gegen  sie  an, 

sophen,  welolie  .  .  . 

die  Erde  zu  dafs,   wcuu  dem  so   wäre,  die  Erde  ebenso   wie  die  anderen  Planeten 

einem  Planeten  .  •  o 

machten,  mehr  als  eine  Bewegung  haben  müfste,  woraus  dann  jene  Schwankungen 
im  Auf-  und  Untergang  sowie  auch  in  den  Kulminatioushöhen  der 
Fixsterne  sich  ergeben  müfsten.  Da  er  auf  die  Schwierigkeit  hinwies, 
ohne  sie  doch  zu  beseitigen,  so  mufs  ihre  Lösung,  wo  nicht  immög- 
lich, doch  äufserst  schwierig  sein. 

Salv.  Die  Lösung  eines  so  ver-svi ekelten  und  festgeschlungenen 
Knotens  wird  dadurch  nur  um  so  schöner  und  bewimdernswerter,  ich 
verspreche  sie  aber  nicht  für  heute  und  bitte  Euch  sie  bis  morgen 
verschieben  zu  dürfen.  Im  Augenbhcke  wollen  wir  uns  nur  mit  der 
Betrachtung  und  Erklärung  jener  Änderungen  und  Verschiedenheiten 
befassen,  welche  infolge  der  jährlichen  Bewegung  an  den  Fixsternen 
wahrnehmbar  sein  müfsten,  wie  wir  eben  sagten.  Bei  der  Auseinander- 
setzung hierüber  werden  einige  Punkte  zur  Sprache  kommen,  welche 
die  Lösung  des  Hauptproblems  vorbereiten.  : —  Ich  kehre  zurück  zu 
Jährliche  Be-  dcu  beiden  der  Erde  zus-eschriebenen  Bewesrnngen  —  ich  sage  zu  den 

wegung  des  Erd-       .  ....  .  T  .. 

mitteipunktes  beidcu.  wcil  dlc  dritte  keineswegs   eine  eigentliche  Bewegung  ist,  wie 

unter  der  Eklip-.  '.  _  '^  ö  o       o  )^ 

tik,  tägliche  Be-ich  geeigneten  Ortes  auseinandersetzen  werde  —  nämlich  zu  der  iähr- 

wegung  der       .  .  .  . 

Erde  um  ihren  liehen   uud   der  täglichen.      Unter   iener  hat   man  sich   die   Bewegung 

eigenen  Mittel-  °  «^      _  .  . 

punkt.  vorzustellen,  welche  von  dem  Erdmittelpimkte  längs  der  Peripherie 
des  oi'his  magnus,  d.  h.  eines  gröfsten  Kreises  in  der  festen,  unveränder- 
lichen Ebene  der  Ekliptik,  ausgeführt   wird;   die   andere  tägHche  Be- 


[412.  413.]  Dritter  Tag.  397 

wegung  wird  von  dem  Erdball  in  sich  selber,  um  sein  eigenes  Centrum 
und  um  seine  eigene  Achse  ausgeführt,  welche  zur  Ekliiitikebene  nicht 
senkrecht,   sondern   um   etwa- 23^   Grad   geneigt  ist.     Diese    Neigung 
bleibt  das  ganze  Jahr  über  unverändert  und,  was  vor  allem  zu  merken  nio  Erdachse 
ist,   bleibt   immer   nach   dem  nämlichen  Teile    des  Himmels   gerichtet,  selber  paraiiei 
sodafs  die  Achse  der  täglichen  Bewegung  beständig  sich  selber  parallel  eine  gegen  den 
bleibt.      Denken    wir   uns   also   besagte   Achse    bis   zu   den  Fixsternen  geneigte  cyii'n- 
verlüngert,  so  beschreibt  sie,  während  das  Erdcentrum  in  einem  Jahre 
die  ganze  Ekliptik  durchmifst,  die  Oberfläche  eines  schiefen  Cylinders, 
dessen   eine  Grundfläche   besagter  jährlicher   Kreis   ist,    dessen   andere 
ein  ähnlicher  Kreis  ist,  welchen   man  sich  von   dem  Achsenende   oder 
mit   anderen   Worten   von    dem   Pole    am   Fixsternhimmel    beschrieben 
denken  mag.    Dieser  Cylinder  steht  auf  der  Ekliptikebene  in  demselben 
Mafse  schief,  wie   die  Achse,   durch   deren  Bewegung  er  erzeugt  wird 
und  die,    wie  gesagt,   eine  Neigung  von  23^  Grad  besitzt.     Da   diese 
Schiefe    beständig   dieselbe    bleibt    —    abgesehen   von   der   nach   vielenüer  Erdbau  ver- 
tausend  Jahren  hervortretenden  kleinen  Änderung,    die    für    die    vor- seine"" N^gung, 
liegende  Frage  nicht  in  Betracht  kommt  —  so  bewirkt  sie  kein  Neigen  dieselbe  uuab- 
und    Heben    des    Erdballs,    sondern    wird    unabänderlich    beibehalten. 
Daraus  folgt,   dafs  die  Änderungen,   welche  an   den  Fixsternen  infolge 
der  blofsen  jährlichen  Bewegung  wahrzunehmen  sind,  für  jeden  Punkt 
der  Erdoberfläche  die  nämlichen   sein  werden,  wie  für  den  Erdmittel- 
punkt.     Darum    können    wir    bei    den    augenblicklichen    Auseinander- 
setzungen ebenso  gut   den  Mittelpunkt,   wie   irgendwelchen  Punkt   der 
Oberfläche   betrachten.      Zu   leichterem  Verständnis   der   ganzen   Sache 
werden  wir  eine  Zeichnung  entwerfen.    Wir  geben  zuerst  in  der  Ebene 
der   Ekliptik   den   Kreis    Ä  NB  0   an,   und   zwar   sollen  Ä  und   B  der 
nördlichste   und    der   südlichste   Punkt   sein,   mit   anderen  Worten  der 
Anfang  des  Krebses  und  des  Steinbocks,     Den  Durchmesser  AB  ver- 
längern wir  imbestimmt  über  D  und  C  nach   der  Sternensphäre.     Ich 
behaupte  nun  erstlich,  dafs  keiner  der  in  der  Ekliptik  gelegenen  Sterne,Die  in  der  EkUp- 
mag   die   Erde  was   immer   für  Verschiebungen  in  der  Ekliptikebene  steme  heben 
erleiden,  jemals   seine   Höhe   ändern   wird,   vielmehr   wird   ein   solchennfoige^deTjähr- 
stets  in  dieser  Fläche  selbst  zu  sehen  sein.     Wohl  aber  wird  sich  die  gun^  gar  ni^ht, 
Erde   ihm   nähern    und   von   ihm  entfernen,  und  zAvar   um  den  Betrag  umi  onTfernen" 
des  Durchmessers   des   orhis  magmis,  wie   aus   der  Figur   anschauHch 
zu  entnehmen  ist;  denn  mag  die  Erde  sich  in  A  oder  in  B  befinden, 
stets  wird  er  in  der  nämlichen  Linie  ABC  zu  stehen  scheinen,  wohl 
aber  ist  die  Entfernung  BC  um  den  Betrag  des  ganzen  Durchmessers 
BA   kleiner   geworden  als  CA.     Was   man  also    bestenfalls    an   dem 
Sterne    C   und  an  jedem    anderen    in    der   Ekliptik    gelegenen  Sterne 


398 


Dialog  über  die  Weltsysterae. 


[413.  414.] 


uV 


beobachten  könnte^  wäre  ein  Wachsen  oder  Abnehmen  der  scheinbaren 
Gröfse  infolge  der  Annäherung  oder  Entfernung  der  Erde. 

Sagr.      Ich   bitte   Euch   höflichst,    haltet    einen    Augenblick    ein; 

denn  ich  habe  ein  Be- 
denken, das  mir  zu 
schaffen  macht,  es  han- 
delt sich'  um  folgen- 
des. Dafs  der  Stern 
C  in  derselben  Linie 
ABCzn  stehen  scheint, 
sowohl  wemi  die  Erde 
in  Ä  als  auch,  wenn 
sie  in  B  weilt,  begreife 
ich  wohl;  gleichwie 
ich  auch  verstehe, 
dafs  das  Nämliche  der 
Fall  wäre,  wenn  sich 
die  Erde  geradewegs 
von  Ä  nach  B  begäbe. 
Da  sie  aber  voraus- 
Einwand  gegengesctztermafscn  längs  des  Bogens  A  NB  dahin  gelangt,  so  wird  offen- 

die  jährliche    "  ..?  "  ..  ^^.^'^  „, 

j<;rdbewegung,  bar,  weuu  sie  sich  im  Punkte  N  oder  m  irgend  einem  anderen  Punkte 

hergenommen  ..,-.. 

von  dem  verhai-als   A  uud  B  befindet,  der  Stern  nicht  mehr  m  der  Lmie  AB,  son- 

teil  der  in   der 

Ekliptik  geiege-dern  in  stets  wechselnden  Linien  zu  stehen  scheinen.     Wemi  also  die 

nen   Sterne.  •• 

Stellung  in  verschiedenen  Linien  eine  scheinbare  Änderung  verursachen 
mufs,  so  wird  notwendig  eine  gewisse  Verschiebung  wahrzunehmen 
sein.  Ja,  ich  möchte,  wie  es  unter  befreundeten  Gelehrten  von  jeher 
gestattet  war,  von  jenem  philosophischen  Freimut  Gebrauch  machen 
und  bemerken,  dafs  Ihr  meines  Bedünkens  in  Widerspruch  mit  Euch 
selbst  jetzt  in  Abrede  stellt,  was  Ihr  doch  heute  zu  unserem  grofsen 
Erstaunen  als  ganz  zweifellose  und  grofsartige  Thatsache  nachgewiesen 
habt.  Ich  meine  nämlich  die  Erscheinungen  an  den  Planeten,  ins- 
besondere den  drei  oberen;  diese  befinden  sich  beständig  in  der  Eklip- 
tik oder  stehen  ihr  ganz  nahe,  doch  aber  zeigen  sie  sich  uns  nicht 
.  nur  bald  in  geringerer,  bald  in  sehr  grofser  Entfernung,  sondern  weichen 
auch  dermafsen  von  ihren  regelmäfsigen  Bewegungen  ab,  dafs  sie  bis- 
weilen unbeweglich,  bisweilen  um  viele  Grade  rückläufig  zu  sein 
scheinen,  und  alles  das  nur  infolge  der  jährlichen  Erdbewegung. 

Salv.  Obgleich  ich  bei  tausend  Anlässen  mich  von  der  Gescheut- 
heit  Signore  Sagredos  habe  überzeugen  können,  so  wollte  ich  doch 
durch  diese  weitere  Probe  noch  in  erhöhtem  Mafse  mich  vergewissern, 


[414.  415.]  Dritter  Tag.  399 

was  ich  mir  von  einem  Geiste  wie  dem  seinen  versprechen  darf  und 
zwar  einzig  zu  meinem  Nutzen.  Denn  wenn  meine  Behauptungen  sich 
an  dem  Prüfsteine  seines  Urteils  bewähren,  so  werde  ich  sicher  sein 
können,  dafs  sie  aus  wetterfestem  Stofie  sind.  Mit  Fleifs  habe  ich 
Euch  diesen  Einwand  verschwiegen,  lafst  es  mich  nur  gestehen,  jedoch 
nicht  in  der  Absicht  Euch  zu  hintergehen  und  Euch  etwas  Falsches 
einzureden,  was  ja  immerhin  möglich  gewesen  wäre,  wenn  ich  den 
Einwand  verschwiegen,  Ihr  ihn  übersehen  hättet  und  wenn  er  wirk- 
lich so  begründet,  so  schlagend  wäre,  wie  er  es  scheint.  Das  ist  er  aber 
nicht  ^•^),  ja  ich  vermute  jetzt,  dafs  Ihr  mich  nur  auf  die  Probe  stellen 
wollt  und  darum  so  thut,  als  sähet  ihre  seine  Unzulänglichkeit  nicht. 
Doch  ich  will  diesmal  Euere  Malice  übertrumpfen  und  gewaltsam 
Eueren  Lippen  entlocken,  was  Ihr  listig  habt  verbergen  wollen.  Darum 
sagt  mir :  welcher  Umstand  ist  es,  der  Euch  Kenntnis  giebt  von  dem 
durch  die  jährliche  Bewegung  bewirkten  Stillestehen  und  Rückwärts- 
gehen der  Planeten,  einer  so  bedeutenden  Erscheinung,  dafs,  wie  Ihr 
sagt,  wenigstens  eine  Spur  von  etwas  Ähnlichem  sich  auch  an  den 
Sternen  der  Ekliptik  zeigen  müfste? 

Sagr.  Euere  Frage  betrifft  zwei  Punkte,  deren  jeder  eine  Ant- 
wort erheischt.  Der  erste  betrifft  den  mir  gemachten  Vorwurf  der 
Verstellung,  der  andere  bezieht  sich  auf  die  etwaigen  Erscheinungen 
an  den  Sternen  u.  dgl.  Was  den  ersten  angeht,  so  sage  ich  mit  Ver- 
laub: es  ist  nicht  wahr,  dafs  ich  mich  gestellt  habe,  als  sähe  ich  die 
Unzulänglichkeit  jenes  Einwandes  nicht-,  um  es  Euch  zu  beweisen,  be- 
kenne ich  jetzt,  dafs  ich  die  Unzulänglichkeit  sehr  wohl  einsehe. 

Salv.  Aber  da  verstehe  ich  nicht,  wieso  Ihr  Euch  nicht  ver- 
stellt haben  wollt,  als  Ihr  sagtet,  Ihr  sähet  den  Fehler  nicht  ein, 
während  Ihr  nunmehr  zugebt  ihn  sehr  wohl  zu  begreifen. 

Sagr.     Eben  das  Eingeständnis,  dafs  ich  ihn  begreife,  mag  Euch 
die  Überzeugung    beibringen,   wie   wenig  ich  heuchelte,  als  ich  sagte^ 
ich  begriffe   ihn  nicht.     Denn    hätte   ich   heuchebi   wollen    oder  wollte 
es   noch  jetzt,   wer  könnte   mir  verwehren,  die  Heuchelei  fortzusetzen 
und   noch  immer  die  Erkenntnis  der  Fehlerhaftigkeit  zu  verläugnen? 
Ich  erkläre  Euch  also  hiermit,  dafs  ich   sie  vorhin  nicht  einsah,   sie 
aber  gegenwärtig   begreife,   weil  Ihr   mein  Nachdenken   geweckt  habt, 
indem  Ihr  nämlich  erstens   mit  Entschiedenheit   sagtet,  dafs  es  nichts 
mit  dem  Einwände  sei,  imd  mich  sodami  ganz  im  allgemeinen  fragtet, 
wodurch   ich   Kenntnis    von    dem   Stillestehen    und   der   Rückläufigkeit   stiucstehen, 
der  Planeten  habe.     Da   man  dies   nun   an  ihrer  Stellung  zu  den  Fix-  u^ifigkeit  der 
Sternen  erkennt,  in  Bezug  auf  welche  ihre  Bewegung  bald  nach  Westen,durcrihVj:!ago 
bald  nach  Osten  gerichtet  ist,  bald  ganz  aufhört,  da  ferner  über  der^nJu^erkann" 


400  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [415.  416.] 

Sternensphäre  nicht  abermals  eine  uuermefslich  weiter  entlegene  und 
uns  sichtbare  Sphäre  vorhanden  ist,  mit  welcher  wir  unsere  Fixsterne 
vergleichen  könnten,  so  ist  es  unmöglich,  an  den  Fixsternen  auch  nur 
eine  Spur  von  dem  wahrzunehmen,  was  bei  den  Planeten  allerdings 
zu  bemerken  ist.  Das  wird  es  wohl  gewesen  sein,  was  Ihr  meinen 
Lippen  entlocken  wolltet. 

Salv.      Das   ist   es,   abgesehen   von   der   Extrazugabe  Eueres    aus- 
erlesenen Scharfsinns.     Wenn    ich   nämlich  Euch   durch  ein  hingewor- 
fenes  Wort   ein   Licht   aufgehen   liefs,    so   regt  Ihr  durch   ein   solches 
in   mir   einen  neuen   Gedanken   an:   es   ist  vielleicht   doch  nicht   ganz 
Fingerzeig  der  ausgeschlosscu,  dafs  im   Verlauf  der  Zeit   sich  an   den  Fixsternen  eine 
Gunsten  der  Erscheiuung  bcobachten  läfst,  welche   einen  Rückschlufs  auf  den  Sitz 
bewegung,  ahn- der  jährlichen   Umdrehung   erlaubt.      Es   würden   in   diesem   Falle   die 
Planeten.     Fixstcme   uicht  Weniger  als    die  Planeten    und  die   Sonne  selbst  vor 
dem  Richterstuhl  Zeugnis  von  dieser  Bewegung  zu  Gunsten  der  Erde 
ablegen.    —   Denn   meiner  Ansicht    nach   sind    die    Sterne   nicht   über 
eine    einzige    Kugelfläche   hin   zerstreut   und   gleich  weit   entfernt   von 
einem   Mittelpunkte,    sondern    ihre   Abstände   von   uns    sind   sehr  ver- 
schieden, sodafs   etliche  wohl  zwei-  oder  dreimal  weiter  entfernt  sein 
mögen    als    gewisse   andere.     Wenn    sich  also   mittels   des    Fernrohrs 
herausstellte,    dafs   ein   sehr  kleiner   Stern    ganz   dicht    bei   einem   der 
gröfseren  steht,  dafs   mithin   ersterer   sehr   hoch  stände,  so  könnte  es 
wohl  geschehen,  dafs  eine  merkliche  Änderung  ihrer  gegenseitigen  Lage 
einträte,  analog  den  Erscheinungen  an  den  oberen  Planeten.^'')     Soviel 
für  jetzt   über   die   speciell   in  der  Ekliptik   gelegenen  Sterne.   —  Wir 
kommen    lum    zu    den   aufserhalb    der  Ekliptik   gelegenen   Fixsternen. 
Denken  wir  uns  einen  gröfsten  Kreis  senkrecht  auf  der  Ekliptikebene, 
etwa  den,  der  dem  Solstitialkolur ")  an   der  Fixsternsphäre  entspricht 
und  der  zugleich  ein  Meridian  ist;    er  möge  CEHF  heifsen.      In  ihm 
betrachten  wir  einen  aufserhalb  der  Ekliptik  gelegenen  Stern,  etwa  E. 
nie  Fixsterne  Dcsseu  Höhe  wird  sich  nun  allerdings  bei  Bewegung  der  Erde  ändern, 
Ekliptik  heben  denn  wenn  sich  die  Erde  in  A  befindet,  wird  er  in  der  Richtung  AE 
mehr^oder^veni-zu  erblickeu  sciu,  also  in  einer  Höhe  vom  Betrage  des  Winkels  EAC] 
l-'ntf6mung\'(^nbefindet  sich  die  Erde  aber  in  B,   so   steht   er   in   der   Richtung   BE 
^^ '     und  besitzt  eine  Höhe   im  Betrage   des  Winkels  E  B  C;  letzterer  aber 
ist  gröfser  als  Winkel  EAC,  weil  er  Aufsenwinkel  des  Dreiecks  AEB 
ist  und  dem   Dreieckswinkel  EAB  gegenüber  liegt.     Derunach  wird 
die   Entfernung    des    Sternes   E  von   der   Ekliptik   sich   scheinbar   ge- 
ändert haben;    auch    seine   Höhe    im   Meridian    wird    gewachsen    sein,  ;    ^'' 
wenn  sich  die  Erde  von  A  nach  B  begeben  hat,  und  zwar  um  eben- 
soviel wie   Winkel  EBG  den  Winkel    EAC  übertrifft,    d.  h.  um  den 


[41G.   317.] 


Dritter  Tag. 


401 


Betrag  des  Winkels  ÄEB.  Denn  wenn  im  Dreieck  EAB  die  Seite 
AB  nach  C  verlängert  wird,  so  übertrifit  der  Aufsenwinkel  EBC, 
weil  er  gleich  der  Summe  der  beiden  iimeren  gegenüberliegenden 
Winkel  E  und  A  ist,  den  Winkel  A  um  die  Gröfse  des  Winkels  E. 
Nehmen  wir  ferner  einen 
anderen  Stern  in  demselben 
Meridian,  aber  in  gröfserem 
Abstände  von  der  Ekliptik, 
wie  z.  B.  den  Stern  H,  so  wird 
der  Unterschied  zwischen  den 
beiden  von  A  und  B  aus  be- 
obachteten Richtungen  noch 
gröfser  sein,  insofern  der  Win- 
kel AHB  gröfser  ist  als  der 

vorige  Winkel  bei  E.  Dieser  Winkel  wird  nämhch  beständig  wachsen, 
je  Aveiter  der  beobachtete  Stern  von  der  Ekliptik  entfernt  liegt,  bis 
schliefslich  die  gröfste  Verschiebung  bei  einem  Stern  einträte,  der  im 
Ekliptikpol  selbst  stände,  wie  wir  behufs  völliger  Strenge  folgender- 
mafsen  nachweisen  können.  Der  Durchmesser  der  Erdbahn  sei  AB, 
ihr  Centrum  G;  man  denke  sich  den  Durchmesser  bis  zur  Sternen- 
sphäre nach  den  Pimkten  Z)  und  C  verlängert,  im  Mittelpunkte  G  sei 
die  Eklijitikachse  GF  errichtet  und  gleichfalls  bis  zur  Fixsternsjihäre 
verlängert.  An  dieser  sei  ein  Meridian  B  FC  beschrieben,  welcher  senk- 
recht zur  Ekliptikebene  steht,  überdies  mögen  auf  dem  Bogen  FC 
zwei  beliebige  Punkte  H  und  E  als  Sternörter  angenommen  werden. 
Man  ziehe  dann  die  Linien  FA,  FB,  AH,  HG,  HB,  AE,  GE, 
BE,  sodafs  AFB  der  die  Höhenunterschiede  messende  Winkel  oder 
mit  anderen  Worten  die  Parallaxe  des  in  F  befindlichen  Sternes  ist, 
AHB  die  Parallaxe  des  in  H  befindlichen,  endlich  AEB  die  Parallaxe 
des  Sternes  in  E.  Ich  behaupte,  dafs  der  Winkel  der  Höhendiiferenz 
am  gröfsten  ist  für  den  im  Ekliptikpol  F  befindlichen  Stern,  und  dafs 
er  bei  einem  dem  Pole  näher  gelegenen  Sterne  gröfser  ist  als  bei 
einem  entfernteren,  dafs  also  Winkel  F  gröfser  ist  als  AVinkel  H,  imd 
dieser  gröfser  als  Winkel  E.  —  Man  denke  sich  um  das  Dreieck  FAB 
einen  Kreis  beschrieben;  da  nun  Winkel  i^  spitz  ist  —  es  ist  nämlich  seine 
Basis  AB  kleiner  als  der  Durchmesser  DC  des  Halbkreises  DFC  — 
so  wird  er  in  dem  gröfseren  der  durch  die  Basis  AB  hergestellten 
Abschnitte  des  umschriebenen  Kreises  liegen.  Da  ferner  AB  von 
EG  senkrecht  halbiert  wird,  so  wird  das  Centrum  des  umbeschriebeneu 
Kreises  auf  FG  liegen,  etwa  im  Punkte  7.  Nun  ist  aber  von  allen 
Linien,  die  man  von  dem  excentrisch  gelegenen  Punkte  G  bis  zur  Peri- 

Galilei,  Weltsysteme.  26 


402  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [417.  418.] 

l^herie  des  umscliriebeuen  Kreises  ziehen  kann,  diejenige  die  gröfste, 
welche  durch  den  Mittelpunkt  hindurchgeht;  demnach  wird  (rjPgröfser 
sein  als  jede  andere  Linie,  welche  vom  Punkte  G  bis  zur  Peripherie 
sich  ziehen  läfst.  Es  mufs  dieser  Kreis  folglich  die  Strecke  (ri?  schnei- 
den, da  diese  der  Linie  GF  gleich  ist.  Wenn  er  aber  GH  schneidet, 
mufs  er  auch  AH  schneiden;  angenommen  letzteres  geschehe  in  L, 
so  ziehe  man  LB.  Die  beiden  Winkel  AFB  und  ALB  müssen  dann 
gleich  sein,  weil  sie  auf  demselben  Bogen  des  umschriebenen  Kreises 
stehen;  der  Winkel  ALB  ist  aber  als  Aufsenwinkel  gröfser  als  der 
innere  Winkel  H,  also  ist  auch  Winkel  F  gröfser  als  Winkel  H.  — 
Auf  dieselbe  Weise  können  wir  zeigen,  dafs  der  Winkel  H  gröfser  ist 
als  die  Winkel  E;  denn  das  Centrum  des  dem  Dreieck  AHB  um- 
schriebenen Kreises  liegt  auf  der  Senkrechten  GF,  diesem  liegt  nun 
aber  die  Linie  GH  näher  als  die  Linie  GE  und  darum  schneidet  die 
Peripherie  des  Kreises  die  Linie  GE  und  folglich  auch  AE,  sodafs 
die  Behauptung  damit  evident  ist.  —  Wir  kommen  daher  zu  dem 
Schlufs,  dafs  die  Verschiedenheit  der  scheinbaren  Lage  oder,  um  den 
eigentlichen  Kunstausdruck  zu  gebrauchen,  die  Parallaxe  der  Fixsterne 
gröfser  oder  kleiner  ist,  je  nachdem  die  beobachteten  Sterne  dem 
Ekliptikpol  mehr  oder  weniger  nahe  liegen,  sodafs  sie  schliefslich  bei 
den  in  der  Ekliptik  selbst  gelegenen  Sternen  sich  auf  Null  reduziert. 
Die  Erde  nähertWas  sodauu  die  iufolgc  der  Erdbewegung  wechselnde  Entfernung  der 

lind  entfernt  sich  .  in  •  •    ^  t  •         n  t-ii  t 

von  den  Fix-  feteme  betrifft,  so  nähert  und  entfernt  sie  sich  von  den  in  der  Eklip- 

Sternen  der 

Ekliptik  um  dentik    stchcnden  um  den  vollen  Betrag  des   Erdbahndurchraessers,   wie 

Betrag  des  Erd-      .  .  . 

bahndurch-    wir  socbcn  gcschen  haben.     Bei   den  Sternen  in  der  Nähe  des  Eklip- 

tikpoles    hingegen    ist    die    Annäherung    und    Entfernung    fast    gleich 

Null,  bei  den  übrigen  ist  die  Verschiedenheit  um  so  gröfser,  je  näher 

sie  der  Ekliptik  liegen.   —   Wir  können  uns  jetzt  drittens  davon  über- 

Gröfsere  Ver-  zeugcu,   dafs   jene   scheinbare  Verschiebung   sich  gröfser  oder  geringer 

Schiebungen  er-  .  .  '  in  i  i  f  i  -ntr  • 

leiden  die  nahe  ergicbt,  IC  uachdcm  der  fetern  uns  näher  oder  ferner  steht.    Weim  wir 

reu  als  die  ent-  .     '  .  ...  .  -n        p 

lernteren  sterne.nämlich  emeii  anderen  Meridian  in  geringerer  Entfernung  von  der 
Erde  zeichnen,  wie  etwa  BEI  und  es  steht  ein  Stern  F,  von  dem 
Punkte  A  der  Erdbahn  aus  gesehen,  auf  derselben  geraden  Linie 
AEE,  so  wird  dieser,  sobald  man  ihn  von  dem  Punkte  B  der  Erd- 
bahn aus  beobachtet,  in  der  Linie  B F  zu  stehen  scheinen.  Der 
Winkel,  welcher  den  Höhenunterschied  mifst,  nämlich  BFA  mufs 
dann  gröfser  sein  als  der  entsprechende  Winkel  AEB  im  vorigen 
Fall,  da  er  Aufsenwinkel  des  Dreiecks  BEE  ist. 

Sagr.  Viel  Vergnügen  und  Belehrung  hat  mir  Euer  Vortrag 
verschafft.  Um  mich  zu  vergewissern,  dafs  ich  ihn  gut  verstanden 
habe,   werde   ich   die  Hauptergebnisse    mit  kurzen  Worten  zusammen- 


[418.] 


Dritter  Tag. 


403 


;n.     Ihr  habt  uns,  wie  ich  glaube,  zwei  verschiedenartige  Erschei-    zusammen- 

fassung  der  aus 

nungen  angeführt,  die  wir  möglicherweise  infolge  der  jährlichen  Erd-Aniafs  der  jähr- 
bewegimg  an  den  Fixsternen    beobachten    können.     Die   eine  besteht  weguug  statt- 

...  1      '.     1  r^i        n  •  •  n  findendea  Er- 

in  einer  Änderung  ihrer  scheinbaren  Grröfsen,  je  nachdem  wir,  fort- scheinungen  an 
geführt  Yon  der  Erde,  ihnen  näher  oder  ferner  sind;  die  andere,  gleich- 
falls von  dem  Wechsel 
der  Entfernung  her- 
rührend, besteht  darin, 
dafs  sie  sich  uns  in 
demselben  Meridiane 
bald  höher,  bald  weni- 
ger hoch  zeigen.  Ferner 
teilt  Ihr  uns  mit,  und 
ich  verstehe  das  sehr 
wohl,  dafs  weder  die 
eine  noch  die  andere 
dieser  Veränderungen 
alle  Sterne  in  gleicher 
Weise  betrifft,  vielmehr 
manche  in  höherem 
Mafse,  manche  in  ge- 
ringerem,   manche   gar 

nicht.  Der  Wechsel  der  Entfernung,  vermöge  dessen  derselbe  Stern 
bald  einen  gröfseren,  bald  einen  kleineren  scheinbaren  Durchmesser 
haben  müfste,  ist  unmerklich  und  fast  gleich  Null  bei  den  Sternen  in 
der  Nähe  des  Ekliptikpols  5  er  ist  am  gröfsten  bei  den  in  der  Eklip- 
tik gelegenen  Sternen,  'er  hat  einen  mittleren  Betrag  bei  den  da- 
zwischeu  gelegenen.  Gerade  umgekehrt  verhält  es  sich  mit  der  zweiten 
Veränderung:  der  Unterschied  in  der  höheren  oder  tieferen  Stellung 
der  in  der  Ekliptik  gelegenen  Sterne  ist  nämlich  gleich  Null,  wäh- 
rend er  seinen  gröfsten  Wert  bei  den  Sternen  in  der  Nähe  des  Eklip- 
tikpols erreicht  und  einen  mittleren  Wert  bei  den  dazwischen  gelege- 
nen hat.  Abgesehen  davon  sind  beide  Verschiedenheiten  merklicher 
bei  näheren  Sternen,  minder  merklich  bei  entfernteren  und  sie  wür- 
den schliefslich  bei  äufserster  Ferne  völlig  verschwinden.  —  So,  jetzt 
habe  ich  meine  Rolle  gespielt.  Es  erübrigt  noch,  weim  ich  richtig  ver- 
mute, Signore  Simplicio  Genüge  zu  thun-,  er  wird  schwerlich  ohne  weite- 
res sich  damit  einverstanden  erklären,  derartige  Verschiedenheiten  un- 
merklich zu  nemien;  rühren  sie  doch  her  von  einer  so  gewaltigen  Erd- 
bewegung, von  einer  Lagenänderuiig,  bei  welcher  die  Erde  an  Orten  steht, 
die  von  einander  dopjielt  so  weit  abstehen  als  die  Sonne  von  uns. 

26* 


404  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [418.  419.] 

Simpl.  Um  offen  zu  reden,  es  widerstrebt  mir  in  der  That  sehr, 
den  Fixsternen  einen  so  grofsen  Abstand  zuzuerkennen,  dafs  die  be- 
sprochenen Unterschiede  völlig  unmerklich  sein  sollten. 

Salv.  Gebt  nicht  alle  Hoffnung  auf,  Signore  Simplicio,  es  mag 
doch  vielleicht  ein  oder  das  andere  Abschwächungsmittel  für  Euer 
Bedenken  zu  finden  sein.  Erstlich:  dafs  keine  merklichen  Änderungen 
in  der  scheinbaren  Gröfse  der  Sterne  sich  beobachten  lassen,  darf  Euch 
nicht  so  sehr  Wunder  nehmen,  wo  Ihr  doch  seht,  wie  man  sich  bei 
Schätzung  dieser  Verhältnisse  so  arg  täuschen  kann,  namentlich  wenn 
Bei  weit  entfern- gg    giß]^   ^j^   hell  leuchteude   Obickte   handelt.     Wenn  Ihr   selber  z.  B. 

teu,  leuchtenden  »  '' 

oiijekten  ist  eine  gjj^g   brennende  Fackel   aus    einer  Entfernung   von  200   Schritten  be- 

geriiige  Annähe-  ... 

lung  oder  Ent- j^^-achtet  uud  sodauu  drei  bis  vier  Ellen  näher  herangeht,   glaubt  Ihr, 

lernung  unmerk-  _  o  /     a 

Hell.  I]2r  würdet  merken,  dafs  sie  Euch  gröfser  erscheint?  Ich  für  mein 
Teil  würde  sicher  nichts  davon  bemerken,  käme  ich  selbst  20  oder 
30  Ellen  näher  heran;  ja  es  ist  mir  schon  vorgekommen,  dafs  ich  in 
solcher  Entfernung  ein  derartiges  Licht  gesehen  habe  und  mich  nicht 
entscheiden  konnte,  ob  es  an  mich  herankam  oder  sich  entfernte, 
Avährend  es  thatsächlich  sich  mir  näherte.  Doch  wie?  ist  nicht  der 
nämliche  Betrag  der  Annäherung  und  Entfernung  —  nämlich  ein  der 
doppelten  Sonnenentfernung  gleicher  —  beim  Saturn  fast  völlig  un- 
merklich, bei  Jupiter  schon  kaum  zu  beobachten?  Wie  soll  es  da 
nun  mit  den  Fixsternen  stehen,  denen  Ihr  doch  gewifs  ohne  Wider- 
streben die  doppelte  Saturnentfernuug  zuerkennt?  Mars,  welcher  in 
seiner  Erdnähe  .  .  . 

Simpl.  Bemüht  Euch  nicht  weiter  betreffs  dieses  Uiustandes,  denn 
ich  verstehe  jetzt,  warum  sehr  wohl  möglich  ist,  was  Ihr  über  die 
nicht  veränderte  scheinbare  Gröfse  der  Fixsterne  gesagt  habt.  Wie 
aber  steht  es  mit  dem  anderen  Bedenken,  welches  darauf  beruht,  dafs 
man  keine  Änderung  in  ihrer  gegenseitigen  Lage  wahrnimmt? 

Salv.  Vielleicht  gelingt  es  uns,  Euch  auch  hierüber  zu  beruhigen. 
Um  es  kurz  zu  machen,  wäret  Ihr  nicht  zufriedengestellt,  wenn  man 
wirklich  an  den  Sternen  diejenigen  Veränderungen  wahrnähme,  die 
Euerer  Meinung  nach  notwendig  wahrzunehmen  sein  müfsten,  sobald 
der  Erde  die  jährliche  Bewegung  zukäme? 

Simpl.  Ohne  Zweifel  wäre  ich  das,  soweit  es  sich  um  diese  be- 
sondere Frage  handelt. 

Salv.     Ich  sähe  es  gerne,  wenn  Ihr  sagtet,  dafs  mit  Konstatierung 

einer  solchen  Veränderung  nichts  mehr  vorläge,  was  die  Erdbewegung 

zweifelhaft    machen    könnte;    denn    es    gäbe    keinen    anderen    Ausweg, 

^yixsternen"  hcsagtc  Erscheiuung   zu  erklären.     Aber  sollte   diese   auch  nicht  sinn- 

jäh?h°ch  wledM--'^^^^  wahrzunehmen   sein,    so    ist   doch    damit   die   Erdbewegung  noch 


[420.  4-.'l.]  Dritter  Tag.  405 

nicht   widerlegt,    die   Unbewepjlickkeit  noch   nicht   zwinojend    erwiesen,  kehrende  Äude- 

,  .  ci  rung  wahr- 

Denn   möcjlicherweise   macht   die   ungeheuere  Entfernung   der  Sternen-  zunehmea  wäre, 

'='.  .  '^  ...  wäre  die  Erd- 

sphäre,    wie   Kopernikus   behauptet,    solche   minimalen  Erscheinungen  tewegung  un- 

.  f,,  .         ,  .  ,   .    ,         widersprechlich 

der  Beobachtung  unzugänglich.     Überdies  hat  man,  wie  gesagt,  bisher     bewieseu. 

vielleicht  noch  nicht  einmal  den  Versuch  gemacht,  sie  zu  konstatieren, 

oder  wenn  auch  versucht,  so  doch  nicht  in  der  richtigen  Weise,  nämlich 

nicht   mit   der   Genauigkeit,    die   für   so   minutiöse   Dinge    erforderlich 

wäre.     Eine  solche  Genauigkeit  ist  schwer  zu  erzielen,  teils  wegen  der 

Mängel  der  astronomischen  Instrumente,   die  vielen  wechselnden  Ein-  Beweis  der  ge- 

.  .  ic(iiiT  T  •  •    ''^^S^''^  Zuverläs- 

flüssen    ausgesetzt  sind,    teils    auch  durch   fechuld  derer,    die  sie  mit  sigkeit  astro- 

,  ,  nomiacher 

geringerer  Sorgfalt  anwenden,  als  erforderlich  wäre.  Ein  deutlicher  Instrumente. 
Beweis  dafür,  wie  wenig  dergleichen  Beobachtungen  zu  trauen  ist, 
sind  die  Abweichungen  in  den  Angaben  der  Astronomen  über  die 
Orter  nicht  etwa  blofs  der  neuen  Sterne  und  der  Kometen,  sondern 
auch  der  Fixsterne  selbst,  ja  sogar  über  die  Polhöhen,  betreffs  deren 
die  Angaben  öfters  um  viele  Minuten  von  einander  verschieden  be- 
funden werden.  Und  wer  wollte  auch,  die  Wahrheit  zu  reden,  bei 
einem  Quadranten  oder  Sextanten,  dessen  Schenkel  höchstens  drei  oder 
vier  Ellen  mifst,  die  Einstellung  des  Lotes  oder  der  Diopter  mit 
Sicherheit  bis  auf  zwei  oder  drei  Minuten  zuAvege  bringen,  welche  auf 
seinem  Bogen  höchstens  Hirsekorngröfse  besitzen?  ganz  abgesehen 
davon,  dafs  es  beinahe  unmöglich  ist,  das  Instrument  absolut  genau 
herzustellen    und    zu    erhalten.      Ptolemäus    mifstraut    einer    Armillar-  Ptoiemäus  mifs- 

111  1  TT-T        tra^iit  einem  von 

Sphäre,  die  Archimedes   selbst  hergestellt  hatte,  um   den  Eintritt  der ArcMmedes ver- 

a  •         1  Ä  ,  1        j.-  -SN  fertigten  Instru- 

bonne  m  den  Äquator  zu   bestimmen.'*)  mente. 

Simpl.  Wenn  die  Instrumente  aber  so  unzuverlässig,  die  Beob- 
achtungen so  zweifelhaft  sind,  wie  können  wir  dann  je  zu  gesicherter 
Erkenntnis  gelangen,  wie  sollen  wir  die  Fehler  vermeiden?  Ich  habe 
doch   viel   Rühmens    von    den    mit    ungeheueren    Kosten    verfertigten  Tychos  instru- 

O  O  mente  mit 

Instrumenten  Tychos   machen   hören''''),    sowie    von    seiner    peinlichen s'^rsem Koaten- 

•'  y '  c  aufwana 

Genauigkeit  bei  Anstellung  von  Beobachtungen.  hergestellt. 

Salv.  Alles  das  gebe  ich  Euch  zu;  aber  weder  diese  noch  jene 
reichen  aus,  um  uns  in  einer  Frage  von  solcher  Wichtigkeit  Gewifs- 
heit  zu  verschaffen.     Ich  bin  der  Ansicht,  dafs  man  viel,  viel  gröfsere^''^^"/  ^"^'f": 

'  ;  O  mente  für  höchst 

Instrumente  benutzen  sollte  als  die  Tychos,  die  höchst  genau  und  dabei  genaue  Beob- 

•'  ^  '-'  aclitungen  erfor- 

sehr  billig  sind,  deren  Schenkel  eine  Länge  von  4,  6,  20,  30,  50  Migiien   »leriicii  sind. 

hat,  sodafs  ein  Grad  eine  Miglie,  eine  Minute  50  Ellen,  eine  Sekunde 

fast  eine  Elle  grofs  ist;  wir  können  sie   mit  einem  Worte  von  jeder 

beliebigen  Gröfse  ohne  jeglichen  Kostenaufwand  haben.     Als  ich  mich 

in  einem  meiner  Landhäuser   bei   Florenz ^^")  befand,    beobachtete  ich  ^"o^obachtunr 


406  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [42  i.  422.] 

soime  aus  dem  yerliefs.     Bei  ihrem  Untero-ana'e  nämlich  verschwand  sie  eines  Abends 

Sommer-  .  . 

soistitium.  liinter  einem  60  Miglien  weit  entfernten  Felsen  der  Berge  von  Pietra- 
pana,  sodafs  nur  ein  schmales  Streifchen  nach  Norden  zu  hervorragte, 
dessen  Breite  nicht  den  hundertsten  Teil  des  Sonnendurchmessers  be- 
trug. Den  folgenden  Tag  stand  noch  immer  beim  Untergang  ein 
ähnliches,  aber  merklich  schmäleres  Streifchen  hervor:  ein  unwider- 
sprechlicher  Beweis,  dafs  sie  bereits  begonnen  hatte,  den  Wendekreis 
zu  verlassen;  der  Rückgang  der  Sonne  zwischen  der  ersten  und  zweiten 
Beobachtung  betrug  am  Horizont  sicher  nicht  mehr  als  eine  Sekunde, 
überdies  ist  die  Beol^achtung,  die  man  mittels  eines  vorzüglichen,  die 
Somieuscheibe  mehr  als  tausendfach  vergröfsernden  Fernrohrs  anstellt, 
leicht  und  zugleich  genufsreich.  Mit  solchen  Instrumenten  nun,  meine 
ich,  sollen  wir  die  Beobachtungen  an  den  Fixsternen  anstellen,  und 
zwar  würde  einer  von  denjenigen  als  Objekt  zu  dienen  haben,  bei 
Av eichen  die  Veränderung  etwas  beträchtlicher  sein  müfste,  d.  h.  wie 
bereits  auseinandergesetzt  ist,  einer  von  denjenigen,  die  am  weitesten 
von  der  Ekliptik  entfernt  sind.  Hierzu  würde  die  Wega,  ein  sehr 
grofser  und  dem  Ekliptikpole  benachbarter  Stern  in  nördlicher  gele- 
genen Ländern  sich  sehr  wohl  eignen,  indem  man  auf  gleich  von  mir 
anzugebende  Weise  verfährt,  nur  bediene  ich  mich  eines  anderen  Sternes. 
Geeigneter  Ort  jß]^  habe    mir   im    stillen   schon   einen   Ort    ausersehen,    der    sich   für 

zur  Beobachtung  _  ... 

der  Fixsterne,  solche  Beobachtung  trefflich  eignet;   der  Ort  ist  eine  freie  Ebene,  auf 

insofern  es  sich  007  7 

um  die  jährliche  welcher  sich  gegen  Norden  ein  hoher  Berg  erhebt:  auf  seinem  Gipfel 

Erdbewegung    ..."'^^  .  °  '..^ 

handelt.  ist  elu  klelucs  von  West  nach  Ost  sich  erstreckendes  Kirchlein  gebaut, 
sodafs  der  Dachfirst  den  Meridian  eines  auf  der  Ebene  gelegenen  Ge- 
bäudes möglicherweise  rechtwinklig  schneidet.  Ich  will  nun  eine 
Stange  parallel  zu  besagtem  First  oder  Giebel  anbringen  lassen  in 
dem  Abstand  von  etwa  einer  Elle.  Ist  das  geschehen,  so  werde  ich 
auf  der  Ebene  den  Pimkt  suchen,  von  welchem  aus  einer  der  Sterne 
des  Wagens  im  Augenblick  seines  Durchgangs  durch  den  Meridian 
sich  gerade  hinter  der  nun  angebrachten  Stange  verbirgt,  oder  sollte 
diese  nicht  stark  genug  sein,  so  werde  ich  die  Stelle  ermitteln,  von  der 
aus  die  nämliche  Stange  die  Scheibe  sothanen  Sternes  mitten  entzwei 
zu  schneiden  scheint:  eine  Erscheinung,  die  mittels  eines  vorzüglichen 
Fernrohrs  vorzüglich  wahrnehmbar  ist.  Befindet  sich  an  dem  Orte, 
von  wo  aus  die  fragliche  Erscheinung  zu  beobachten  ist,  ein  Gebäude, 
um  so  angenehmer;  wo  nicht,  so  werde  ich  einen  Pfahl  sehr  solide  in 
die  Erde  rammen  lassen  mit  einer  festen  Marke,  welche  die  Stelle  an- 
zeigt, an  die  das  Auge  zu  bringen  ist,  so  oft  man  die  Beobachtung 
wiederholen  will.  Ich  beginne  mm  die  Beobachtungen  um  die  Sommer- 
sonnenwende, setze  sie  von  Monat  zu  Monat  oder  wann  es  mir  sonst 


[422.  423.]  Dritter  Tag.  407 

beliebt,  bis  zur  anderen  Sonnenwende  fort.  Durch  diese  Beobachtung 
läfst  sich  eine  etwaige  Zu-  oder  Abnahme  in  der  Höhe  des  Sternes 
ermitteln,  wie  klein  sie  auch  -sein  möge.  Wenn  es  bei  diesem  Ver- 
fahren gelingt  irgendwelche  Änderung  aufzufinden,  was  für  ein  grofser 
Gewinn  für  die  Astronomie!  Demi  damit  können  wir  aufser  der  Ge- 
wifsheit  über  die  jährliche  Bewegung  auch  sichere  Kenntnis  von  der 
Gröfse  und  Entfernung  selbigen  Sternes  erlangen. 

Sagr.  Ich  verstehe  die  ganze  Entwicklung  sehr  wohl.  Mir  scheint 
das  Verfahren  so  leicht  imd  zweckentsprechend,  dafs  die  Vermutung 
nahe  liegt,  Kopemikus  oder  ein  anderer  x^stronom  habe  es  zur  Aus- 
führung gebracht. 

Salv.  Ich  bin  der  entgegengesetzten  Ansicht;  denn  hätte  jemand 
es  versucht,  so  würde  er  schwerlich  unterlassen  haben,  das  Ergebnis 
anzuführen,  ob  es  nun  zu  Gunsten  dieser  oder  jener  Ansicht  sprach. 
Es  hat  aber  niemand  weder  zu  dem  vorliegenden  noch  zu  anderem 
Zwecke  sich  einer  solchen  Beobachtungsmethode  bedient,  die  sich  ohne 
scharfes  Ferm'ohr  auch  nur  unvollkommen  anwenden  liefse. 

Sagr.  Ich  fühle  mich  vollauf  befriedigt  von  dem,  was  Ihr  sagt. 
Da  uns  aber  bis  Nacht  noch  reichlich  Zeit  übrig  bleibt,  so  lafst  Euch 
nicht  verdriefsen,  wemi  Ihr  wollt,  dafs  ich  ruhig  schlafen  soll,  jene 
Probleme  zu  erklären,  für  deren  Behandlung  Ihr  vorhin  bis  morgen 
um  Aufschub  batet.  Gebt  gefälligst  das  vorhin  von  uns  gemachte  Zu- 
geständnis wieder  zurück;  lafst  alle  anderen  Erwägungen  zur  Seite  und 
setzt  uns  auseinander,  wieso  bei  Zugrimdelegung  der  von  Kopernikus 
behaupteten  Erdbewegungen  mid  bei  Annahme  der  Unbeweglichkeit 
von  Sonne  und  Fixsternen,  ganz  ebenso  dieselben  Erscheinungen  rück- 
sichtlich der  höheren  oder  tieferen  Stellung  der  Sonne,  des  Wechsels 
der  Jahreszeiten,  der  ungleichen  Länge  von  Tag  und  Nacht  u.  s.  w. 
sich  ergeben  können,  wie  sie  das  ptolemäische  System  so  leicht  und 
fafslich  erklärt. 

Salv.     Man  soll  und  kann   eine  Bitte  Signore  Sagredos  nicht  ab- 
schlagen.   Mit  dem  von  mir  erbetenen  Aufschub  bezweckte  ich  auch  nur 
Zeit  zu  gewinnen,  um  in  meinem  Kopfe  die  Prämissen  zurechtzulegen,  die 
nötig  sind  für  eine  gründliche  und  klare  Erläuterung  der  Frage,  wieso 
die  genannten  Erscheinungen   ebenso  wohl   nach  der  kopernikanischen 
als   nach    der  ptolemäischen   Ansicht    eintreten    müssen,   ja    mit    noch 
gröfserer  Ungezwungenheit  und  Einfachheit  nach  jener  als  nach  dieser,  D;»»  kopemika- 
so  dafs  deutlich  erhellt,  jene  Hypothese  sei  ebenso  leicht  von  der  Natur  Metet  zwar  dom 
ins  Werk  zu  setzen  als  schwer  für  die  Vernunft  zu  begreifen.    Gleich-nJcht  aber  seiner 
wohl  hoffe  ich,  indem  ich  mich  einer  anderen  Erklärimgs weise  als  derSchwierigkeiten. 
des  Kopernikus  bediene,  auch  seine  Auffassung  einigermafsen  von  ihrer 


408  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [423.  424.] 

Sätze,  die  2um  j)^yj]jgi}ieit  ZU  befreien.     Zu  diesem  Zwecke  werde  ich  mehrere,   ohne 

richtigea  Ver-  i  ^t  i  i  ■     j 

ständnis  der  weiteres  feststehende   und  bekannte   Voraussetzungen   machen,   es  smd 

Folgen  der  Erd- 
bewegungen   (3jy  folgenden: 

notwendig  sind.  c5 

Erstens.  Gesetzt,  die  kugelförmige  Erde  drehe  sich  um  ihre 
eigene  Achse  und  deren  Pole,  so  beschreibt  jeder  auf  ihi-er  Oberfläche 
bezeichnete  Punkt  einen  gröfseren  oder  kleineren  Kreis,  je  nach- 
dem der  bezeichnete  Pimkt  mehr  oder  weniger  weit  von  den 
Polen  entfernt  liegt.  Von  diesen  Kreisen  ist  der  gröfste  derjenige, 
welchen  ein  von  den  Polen  gleich  weit  entfernter  Punkt  zurücklegt. 
Alle  diese  Kreise  sind  einander  parallel,  wir  wollen  sie  Parallelkreise 
nennen. 

Zweitens.  Da  die  Erde  Kugelgestalt  besitzt  imd  aus  undurch- 
sichtiger Materie  besteht,  so  wird  beständig  die  eine  Hälfte  ihrer 
Oberfläche  von  der  Sonne  beleuchtet,  wogegen  die  andere  finster 
bleibt.  Die  Grenze,  welche  den  erleuchteten  Teil  von  dem  finsteren 
scheidet,  ist  ein  gröfster  Kreis;  wir  wollen  ihn  den  Grenzkreis  des  Lichtes 
nennen. 

Drittens.  Wenn  der  Grenzkreis  des  Lichtes  durch  die  Pole  hin- 
durchgehen sollte,  so  wird  er  als  gröfster  Kreis  jeden  Parallelkreis 
in  zwei  gleiche  Teile  teilen.  Geht  er  aber  nicht  durch  die  Pole,  so 
wird  er  sie  sämtlich  in  ungleiche  Teile  teilen,  mit  einziger  Ausnahme 
des  mittelsten  Parallelkreises,  welcher  auch  in  diesem  Falle,  weil  er 
ein  gröfster  Kreis  ist,  halbiert  wird. 

Viertens.     Weim   die  Erde   sich   um   ihre   eigenen  Pole   dreht,   so 
Avird    die   Länge    von   Tag   und  Nacht    durch    die  Bogen    der  Parallel- 
kreise bestimmt,    die  von  dem  Grenzkreise  des  Lichtes  ausgeschnitten 
werden-,  und  zwar  hängt  die  Länge  des  Tages  von  dem  Bogen  ab,  der 
in  der  erleuchteten  Hälfte   verläuft,    die  Länge   der   Nacht   entspricht 
dem  Reste  des  Bogens. 
Höchst  einfache,         Dicscs  festgestellt,  entwerfen  wir  behufs  klarerer  Verständlichkeit 
nische  System  dcs  folgcudcu  eine  Figur.    Zunächst  zeichnen  wir  eine  Kreisperipherie, 
Folgen  daratei-  die  ims  die  Bahn  der  Erde  in  der  Ekliptikebene  vorstellen  soll.     Diese 
nung.        teilen    wir    durch    die    beiden   Durchmesser    Steinbock  —  Krebs    und 
Widder — Wage    in    vier    gleiche  Teile-,   wir  erhalten  dadurch  gleich- 
zeitig die  vier  Kardinalpunkte,  nämlich  die  beiden  Solstitien  und  die 
beiden  Äquinoktien.    In  dem  Mittelpunkte  sothanen  Kreises  heben  wir 
die  feste  unbewegliche  Sonne  0  hervor.     Wir  zeichnen  sodann  um  die 
vier  Punkte   Steinbock,  Krebs,   Wage    und  Widder    als    Centren    vier 
gleiche  Kreise,  welche  uns  die  Erde  darstellen  sollen,  wie  sie  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  in  diesen  Punkten  sich  befindet.     Dieselbe  legt  im 


[424.] 


Dritter  Tag. 


409 


Laufe  eines  Jahres  mit  ihrem  Mittelpunkte  die  ganze  Peripherie  Stein- 
bock, Widder,   Krebs,  Wage  zurück    und  zwar   in  der  Richtung  von 
West  nach  Ost,  d.  h.  in  der  Ordnung  der  Zeichen.     Nun  ist  deutlich,  wie  die  jähr- 
dafs  wenn  die  Erde   sich  im  Steinbock   befindet,   die  Sonne  im  Krebs  d«  so^e^vom^ 
zu  stehen  scheint;   dafs  ferner,   wenn  die  Erde  sich  längs  des  Bogens  ni^c°heTstrnd- 
Steinbock  —  Widder  bewegt,  die  Sonne  scheinbar  den  Bogen  Krebs  —    g^ch  «giebt. 


Wage  beschreiben  mufs;  kurzum  die  Sonne  mufs  im  Laufe  eines  Jahres 
den  Tierkreis  nach  der  Ordnung  der  Zeichen  zu  durchlaufen  scheinen. 
Mit  dieser  ersten  Annajime  also  wird  die  scheinbare  jährliche  Sonnen- 
bewegung in  der  Ekliptik  vollauf  befriedigend  erklärt.  Will  man  jetzt 
zu   der  anderen  Bewegung  übergehen,    nämlich  zu  der  täglichen  Be- 


410  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [424.  425.] 

wegung  der  Erde  um  sich  selbst,  so  hat  man  ihre  Pole  und  die 
Achse  festzulegen,  welch  letztere  nicht  senkrecht  zu  der  Ekliptikebene 
zu  denken  ist,  also  nicht  parallel  zur  Achse  der  Erdbahn,  sondern 
vom  rechten  Winkel  um  etwa  23^  Grad  abweichend,  und  zwar  mit 
dem  Nordpol  gegen  die  Achse  der  Ekliptik  hingeneigt,  wenn  sich  das 
Erdcentrum  im  Solstitialpunkte  des  Steinbocks  befindet.  Denken  wir 
uns  also,  der  Mttelpunkt  der  Erde  befinde  sich  im  Steinbock,  so 
zeichnen  wir  ihre  Pole  und  die  Achse  AB  derart,  dafs  letztere  gegen 
das  Lot  auf  dem  Durchmesser  Steinbock  —  Krebs  um  23^  Grad  geneigt 
ist*^^);  demnach  ist  der  Winkel  Ä  —  Steinbock  —  Krebs  der  Ergänzungs- 
winkel zu  einem  Rechten,  beträgt  somit  66^  Grad.  Dabei  hat  man 
sich  diese  Neigung  unveränderlich  zu  denken  und  unter  dem  oberen 
Pol  Ä  den  Nordpol,  unter  dem  anderen  B  den  Südpol  zu  verstehen. 
Wenn  wir  uns  nun  vorstellen,  die  Erde  drehe  sich  innerhalb  24  Stunden 
in  sich  selbst  um  die  Achse  AB  gleichfalls  von  West  nach  Ost,  so 
werden  von  allen  auf  der  Oberfläche  gelegenen  Punkten  parallele 
Kreise  beschrieben.  In  jener  ersten  Lage  der  Erde  wollen  wir  den 
gröfsten  dieser  Kreise  CD  und  die  beiden  von  ihm  um  23^  Grad  ent- 
fernten Parallelkreise  zeichnen,  nämlich  EF  über  und  GN  unter  dem- 
selben, ferner  die  beiden  anderen  ganz  oben  und  unten  gelegenen 
Kreise  IK,  LM,  welche  eben  diesen  Abstand  von  den  Polen  haben. 
Wie  wir  diese  fünf  Linien  verzeichnet  haben,  so  können  wir  uns  un- 
zählige andere,  diesen  parallele  vorstellen,  welche  von  den  unzähligen 
Punkten  der  Erdoberfläche  beschrieben  werden.  Denken  wir  uns  jetzt, 
die  Erde  begebe  sich  infolge  der  jährlichen  Bewegung  ihres  Centrums 
an  die  anderen  bereits  bezeichneten  Stellen  und  zwar  unter  steter 
Innehaltung  des  Gesetzes,  dafs  ihre  eigene  Achse  AB  nicht  nur  ihre 
Neigimg  zu  der  Ebene  der  Ekliptik  nicht  ändere,  sondern  auch  nie- 
mals ihre  Richtung  wechsele,  also  sich  immer  selbst  parallel  bleibe 
und  somit  beständig  nach  denselben  Teilen  des  Weltalls  oder  des  Fir- 
maments gerichtet  sei.  Denken  wir  sie  uns  bis  zu  diesem  verlängert, 
so  würde  ihr  oberstes  Ende  einen  Kreis  beschreiben,  der  parallel  mid 
gleich  der  Erdbahn  Wage  ^ — Steinbock — Widder  —  Krebs  ist  vmd  der 
die  obere  Grundfläche  eines  durch  ihre  jährliche  Bewegung  beschrie- 
benen Cylinders  auf  der  unteren  Grundfläche  Wage  —  Steinbock  — 
Widder  —  Krebs  bildet.  Wir  wollen  daher  unter  Wahrung  dieser 
unveränderten  Neigung  die  drei  anderen  Figuren  um  die  Mittelpunkte 
Widder,  Krebs  und  Wage  zeichnen,  welche  ganz  und  gar  mit  der 
zuerst  um  den  Steinbock  gezeichneten  übereinstimmen.  Betrachten 
wir  jetzt  die  erste  Figur  der  Erde:  bei  ihr  weicht  die  Achse  AB 
von    dem   Perpendikel    auf   dem  Durchmesser    Steinbock  —  Krebs    um 


[42:-,.  426.]  Dritter  Tag.  411 

23 1  Grad  uach  der  Sonne  0  ab-,  da  der  Bogen  AI  ebenfalls  23|-  Grad 
mifst,  so  wird  das  Sonnenlicht  die  der  Sonne  zugekehrte  Erdhalbkugel 
—  hier  ist  nur  die  Hälfte  derselben  sichtbar  —  beleuchten,  welche 
von  der  finsteren  durch  den  Grenzkreis  des  Lichtes  131  geschieden  ist. 
Letzterer  teilt  nun  zwar  den  Parallelkreis  CD,  weil  er  ein  gröfster 
Kreis  ist,  in  zwei  gleiche  Stücke,  alle  anderen  aber  in  ungleiche  Teile, 
weil  der  Grenzkreis  des  Lichtes  IM  nicht  durch  ihre  Pole  A,B  geht.^^) 
Der  Parallelkreis  IK  samt  allen  innerhalb  desselben  gelegenen,  dem 
Pole  noch  näheren  Parallelkreiseu  wiKl  vollständig  in  dem  beleuch- 
teten Teile  gelegen  sein,  während  im  Gegenteil  die  gegenüberliegenden 
um  den  Pol  B  innerhalb  des  Parallelkreises  LM  verlaufenden  Kreise 
in  der  Finsternis  verbleiben.  Da  ferner  der  Bogen  AI  gleich  dem 
Bogen  FD  und  der  Bogen  AF  gemeinsam  ist,  so  müssen  die  beiden 
Bogen  lEF  und  AFD  gleich  sein,  jeder  nämlich  ein  Viertelkreis: 
Nun  ist  der  ganze  Bogen  IFM  ein  Halbkreis,  es  mufs  also  31F  und 
ebenso  FKI  ein  Viertelkreis  sein;  es  wird  daher  bei  dieser  Stellung 
die  Sonne  0  im  Zeuith  eines  in  F  weilenden  Beobachters  stehen. 
Nun  passieren  aber  infolge  der  täglicheu  Umdrehung  um  die  feste 
Achse  AB  alle  Punkte  des  Parallelkreises  FF  durch  den  nämlichen 
Punkt  F,  die  Sonne  wird  also  an  diesem  Tage  für  alle  Bewohner 
des  Parallelkreises  FF  am  Mittag  im  Zenith  stehen  und  mithin  bei 
ihrer  scheinbaren  Bewegung  den  sogenannten  Wendekreis  des  Krebses 
zurückzulegen  scheinen.  Für  die  Bewohner  aller  derjenigen  Parallel- 
kreise hingegen,  welche  über  dem  Parallelkreis  FF  gegen  den  Nordpol 
A  hin  verlaufen,  weicht  die  Sonne  vom  Zenith  gegen  Süden  hin  ab. 
Umgekehrt  steht  allen  Bewohnern  derjenigen  Parallelkreise,  welche 
unterhalb  FF  nach  dem  Äquator  CD  und  dem  Südpol  B  hin  ver- 
laufen, die  Sonne  im  Mittag  jenseits  ihres  Scheitelpunktes  gegen  den 
Nordpol  A  zu.  Man  erkennt  sofort,  dafs  von  allen  Parallelkreisen 
blofs  der  gröfste  Kreis  CD  durch  den  Grenzkreis  des  Lichtes  IM  in 
gleiche  Teile  geteilt  wird;  die  übrigen  hingegen,  welche  imter  oder 
über  jenem  gröfsten  Kreise  liegen,  werden  alle  in  migleiche  Stücke 
geteilt.  Dabei  sind  die  Tagesbogen  der  oberen  Parallelkreise,  d.  h.  die 
im  erleuchteten  Teile  der  Erdoberfläche  verlaufenden  Bogen,  gröfser 
als  die  Nachtbogen,  d.  h.  die  im  dunkelen  Teile  verlaufenden.  Das 
Gegenteil  findet  bei  den  übrigen  Parallelkreisen  statt,  welche  unter 
dem  gröfsten  Kreise  CD  gegen  den  Pol  B  hin  liegen;  dort  sind  die 
Tagesbogen  kleiner  als  die  Nachtbogen.  Ebenso  liegt  es  auf  der  Hand, 
dafs  die  Unterschiede  dieser  Bogen  sich  vergröfsern,  je  näher  die 
Parallelkreise  den  Polen  liegen,  bis  endlich  der  Parallelkreis  IK  voll- 
ständig in  dem  beleuchteten  Teile  verläuft;  daher  haben  die  Bewohner 


412  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [426.  427.] 

desselben  einen  24stüucligen  Tag  ohne  Naclit,  während  umgekehrt  der 
Parallelkreis  LM,  der  ganz  im  finsteren  Teil  verläuft,  eine  24  stündige 
Nacht  ohne  Tag  besitzt.  —  Wir  gehen  jetzt  zu  der  dritten  Zeichnung 
der  Erde  über^  wo  sie  mit  ihrem  Centrum  im  Anfangspunkte  des 
Krebses  steht,  von  dem  aus  gesehen  die  Sonne  scheinbar  in  den  Stein- 
bock eintritt.  Nun  erkennt  man  aufs  deutlichste,  wie  infolge  der  un- 
verändert gebliebenen  Stellung  der  Achse  AB  imd  ihrer  stets  sich 
selber  parallelen  Richtung  das  Aussehen  und  die  Stellung  der  Erde 
aufs  Haar  dieselbe  bleibt  wie  bei  der  ersten  Figur,  nur  dafs  die  Halb- 
kugel, welche  in  der  ersten  Figur  beleuchtet  war,  in  dieser  finster  ist 
und  diejenige  beleuchtet,  welche  in  der  ersten  Lage  finster  war;  daher 
findet  jetzt  bezüglich  der  Unterschiede  von  Tag  und  Nacht  das  gerade 
Gegenteil  von  dem  statt,  was  vorher  hinsichtlich  der  gröfseren  oder 
geringeren  Länge  beider  stattfand.  Zunächst  ersieht  man,  dafs  nun- 
mehr der  Kreis  IK  ganz  imd  gar  in  der  dunkelen  Hälfte  liegt,  wäh- 
rend er  in  der  ersten  Figur  ganz  in  dem  beleuchteten  Teile  lag;  der 
gegenüberliegende  LM  dagegen  jetzt  im  beleuchteten,  während  vorher 
im  dunkeln.  Bei  den  Parallelkreisen  zwischen  dem  gröfsten  Kreise 
CB  und  dem  Pole  A  sind  jetzt  im  Gegensatze  zu  vorhin  die  Tages- 
bogen  kleiner  als  die  Nachtbogen,  bei  den  entsprechenden  dem  Südpol 
zu  gelegenen  verhält  es  sich  wieder  umgekehrt  wie  vorher,  es  sind 
nämlich  die  Tagesbogen  gröfser  als  die  Nachtbogen.  Man  erkennt,  dafs 
jetzt  die  Sonne  in  dem  Zenith  der  Bewohner  des  Wendekreises  GN 
steht,  dafs  sie  hingegen  für  die  des  Parallelkreises  EF  sich  um  den 
vollen  Betrag  des  Bogens  ECG,  also  um  47  Grad,  nach  Süden  gesenkt 
hat:  mit  einem  Worte,  dafs  sie  den  Äquator  überschritten  imd  von 
einem  Wendekreise  zum  anderen  gewandert  ist,  mithin  in  den  Meri- 
dianen um  besagten  Betrag  von  47  Grad  sich  gehoben  oder  gesenkt 
hat.  Und  diese  ganze  Änderung  schreibt  sich  nicht  her  von  einem 
Steigen  und  Aufrichten  der  Erde,  sondern  im  Gegenteil  davon,  dafs 
sie  sich  niemals  neigt  oder  aufrichtet,  kurz  dafs  sie  immer  in 
derselben  Lage  bezüglich  des  Weltalls  verbleibt  und  nur  um  die 
inmitten  der  nämlichen  Ebene  gelegene  Sonne  wandert,  in  welcher 
sie  selbst  kreisförmig  ihre  jährliche  Bewegung  ausführt.  Bei  dieser 
Merkwürdiger,  Gelegenheit    ist  folgender  merkwürdige  Umstand  hervorzuheben:  wie 

aus  der  unver-  a  a  o 

änderten  Erd-  (Jas    Einhalten    derselben    Richtung   von    selten    der   Erdachse   bezüg- 

achsenneigung     _  ^  _ 

sich  ergebender  lieh   dcs   Weltalls   odcr  sagcu  wir    bezüglich    der  höchsten  Teile   der 

Umstand.  .  .  . 

Fixsternsphäre  zur  Folge  hat,  dafs  die  Sonne  sich  um  genamiten 
Betrag  von  47  Grad  scheinbar  hebt  und  senkt,  die  Fixsterne  hin- 
gegen sich  ganz  und  gar  nicht  senken  oder  heben,  so  würde  im 
Gegenteil,    wenn    selbige    Erdachse    beständig    die    gleiche    Neigung 


[427.  428.]  Dritter  Tag.  413 

gegen  die  Sonne,  oder  besser  gesagt  gegen  dis  Achse  des  Tierkreises, 
bewahrte,  keine  scheinbare  Änderung  an  der  Sonne  bezüglich  einer 
gröfseren  oder  geringeren  Höhe  stattfinden;  daher  würden  die  Be- 
wohner eines  und  desselben  Ortes  stets  die  gleichen  Unterschiede 
zwischen  Tages-  und  Nachtdauer,  immer  dieselbe  Art  von  Jahreszeit 
haben,  d.  h.  einige  stets  Winter,  andere  stets  Sommer,  andere  Früh- 
ling behalten  u.  s.  w.  Hingegen  würden  die  Fixsterne  von  einer  sehr 
bedeutenden  scheinbaren  Änderung  rücksichtlich  gröfserer  oder  geringerer 
Höhe  betroffen  werden,  imd  zwar  gleichfalls  im  Betrage  von  47  Grad. 
Um  dies  einzusehen,  kehren  wir  zur  Betrachtung  der  ersten  Zeichnung 
der  Erde  zurück,  wo,  wie  man  sieht,  die  Achse  AB  mit  ihrem  oberen 
Ende  A  sich  der  Sonne  zuneigt.  In  der  dritten  Figur  hingegen  neigt 
sich  die  Achse,  weil  sie  stets  sich  selber  parallel  und  gegen  die  höchste 
Fixsternsphäre  unverändert  gerichtet  blieb,  nicht  mehr  mit  ihrem  oberen 
Pole  A  gegen  die  Sonne,  sondern  kehrt  sich  im  Gegenteile  von  ihrer 
ersten  Lage  um  47  Grad  ab  und  neigt  sich  nach  der  entgegengesetzten 
Seite;  um  daher  dieselbe  Neigung  desselben  Poles  A  gegen  die  Sonne 
wieder  herzustellen,  müfste  man  den  Erdball  längs  der  Peripherie 
ACBD  um  die  nämhchen  47  Grad  drehen  und  so  den  Pol  nach  E 
bringen,  um  diesen  Betrag  aber  würde  dann  jeder  Fixstern,  im  Meri- 
dian beobachtet,  sich  gehoben  oder  gesenkt  haben.  —  Wir  gelangen 
nunmehr  zu  der  Auseinandersetzung  des  noch  Fehlenden  und  betrachten 
demgemäfs  die  Stellung  der  Erde  in  der  vierten  Figur,  also  diejenige 
Lage,  bei  welcher  ihr  Centrum  im  Anfangspunkt  der  Wage  steht,  so- 
dafs  die  Sonne  im  Anfangspunkt  des  Widders  zu  stehen  scheinen  wird. 
Nun  ist  aber  die  Erdachse,  welche  in  der  ersten  Figur  sich  hinneigt 
gegen  den  Durchmesser  Steinbock  —  Krebs  und  demnach  in  derjenigen 
Ebene  liegt,  von  welcher  die  Erdbahn  längs  der  Linie  Steinbock  — 
Krebs  senkrecht  geschnitten  wird,  bei  ihrer  Übertragung  an  den  Ort 
dieser  -vierten  Figur,  wie  des  öfteren  bemerkt,  sich  selber  parallel  ge- 
blieben; sie  wird  also  nunmehr  noch  immer  in  einer  zur  Ekliptik 
senkrechten  Ebene  liegen,  welche  gleichzeitig  parallel  ist  zu  der  durch 
den  Durchmesser  Steinbock—  Krebs  gelegten  senkrechten  Ebene.  Daher 
wird  die  Linie,  welche  vom  Mittelpunkt  der  Sonne  zum  Mittelpunkt 
der  Erde  führt,  also  die  Linie  0  —Wage,  auf  der  Achse  BA  senkrecht 
stehen;  diese  nämliche  Sonnen-  und  Erdmittelpvmkt  verbindende  Linie 
ist  aber  in  allen  Fällen  senkrecht  zum  Grenzkreise  des  Lichtes;  also 
wird  in  der  vierten  Figur  dieser  Kreis  durch  die  Pole  A,B  hindurch- 
gehen und  die  Achse  AB  in  seiner  Ebene  liegen.  Ein  gröfster  Kreis 
aber,  der  durch  die  Pole  der  Parallelkreise  geht,  teilt  sie  sämtlich  in 
gleiche  Teile;  also  werden  die  Bogen  IK,  EF,  CD,  GN,  LM  samt  und 


414  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [428.  429.] 

sonders  Halbkreise  sein;  die  beleuchtete  Hemisphäre  ist  die  uns  und 
der  Sonne  zugewendete,  der  Grenzkreis  des  Lichtes  mufs  mithin  der 
Kreis  AB  CD  selbst  sein;  wenn  die  Erde  sich  au  dieser  Stelle  be- 
findet, wird  für  alle  ihre  Bewohner  Tag-  und  Nachtgleiche  stattfinden. 
Dasselbe  findet  bei  der  zweiten  Figur  statt,  wo  die  Erde  ihre  erleuch- 
tete Hälfte  der  Sonne,  die  dunkele  hingegen  mit  den  darauf  ver- 
laufenden Nachtbogen,  welche  gleichfalls  sämtlich  Halbkreise  sind,  uns 
zuwendet;  daher  findet  auch  hier  Tag-  und  Nachtgleiche  statt.  Da 
nun  endlich  die  Linie  vom  Centrum  der  Sonne  bis  zu  dem  der  Erde 
hier  senkrecht  zur  Achse  AB  ist,  und  da  auf  dieser  nämlichen  Achse 
der  gröfste  Parallelkreis  CD  senkrecht  steht,  so  mufs  notwendig  die 
Linie  0 — Wage  in  der  Ebene  dieses  Parallelkreises  selbst  liegen  und 
seinen  Umfang  in  der  Mitte  des  Tagbogens  CD  schneiden,  daher  steht 
die  Sonne  im  Zenith  dessen,  der  in  diesem  Schnittpunkt  sich  befindet. 
Durch  diesen  Punkt  passieren  aber,  fortgeführt  von  der  täglichen  Um- 
drehung der  Erde,  alle  Bewohner  besagten  Parallelkreises;  daher  werden 
diese  an  genaimtem  Tage  sämtlich  Mittags  die  Sonne  scheitelrecht 
über  sich  stehen  haben.  Gleichzeitig  wird  die  Sonne  sämtlichen  Erd- 
bewohnern den  gröfsten  Parallelkreis,  den  sogenaimten  Äquator,  zu 
beschreiben  scheinen.  —  Da  nun  ferner,  wenn  die  Erde  in  beiden 
Solstitialpunkten  sich  befindet,  von  den  beiden  Polarkreisen  IK,  LM 
der  eine  vollständig  im  Lichte,  der  andere  vollständig  in  der  finsteren 
Hälfte  liegt;  da  hingegen,  wenn  die  Erde  in  den  Äquinoktialpunkten 
sich  befindet,  die  eine  Hälfte  der  Polarkreise  im  Lichte,  die  andere  in 
der  Finsternis  liegt:  so  ist  es  unschwer  einzusehen,  wieso  beim  Fort- 
rücken der  Erde  etwa  vom  Krebse,  wo  der  Parallelkreis  IK  völlig 
in  Finsternis  verläuft,  nach  dem  Löwen  ein  Teil  des  Parallelkreises 
IK  in  der  Nähe  des  Punktes  I  in  die  erleuchtete  Hälfte  einzutreten 
beginnt,  wieso  der  Grenzkreis  des  Lichtes  IM  anfängt,  sich  gegen  die 
Pole  A,B  hinzuziehen  und  den  Kreis  AB  CD  nicht  mehr  in  /  und  M 
schneidet,  sondern  in  zwei  anderen  Punkten,  welche  zwischen  die  End- 
punkte /  und  A,  M  und  B  der  Bogen  lA,  MB  fallen.  Daher  werden 
nunmehr  die  Bewohner  des  Kreises  IK  beginnen,  sich  des  Lichtes  zu 
erfreuen,  die  Bewoliner  des  Kreises  LM  hingegen  die  Nacht  zu  ver- 
spüren. —  So  habt  Ihr  also  durch  zwei  ganz  einfache,  der  Erde  bei- 
gelegte Bewegungen,  deren  Dauer  im  richtigen  Verhältnis  zu  ihrer 
Gröfse  steht  und  die  nicht  miteinander  im  Widerspruch  sind,  sondern 
wie  bei  allen  übrigen  Weltkörpern  von  West  nach  Ost  vor  sich  gehen, 
in  völlig  befriedigender  Weise  Rechenschaft  erhalten  von  allen  jenen 
nämlichen  Erscheinungen,  zu  deren  Erklärung  mittels  der  Unbeweg- 
lichkeit  der  Erde   die  Harmonie   zwischen   den  Geschwindigkeiten  imd 


[429.  430.]  Dritter  Tag.  415 

den  Gröfeen  der  bewegten  Körper  aufgegeben  und  einer  ungeheueren, 
alles  an  Gröfse  überragenden  Sphäre  eine  unfafsbare  Geschwindigkeit 
zuerkannt  werden  mufs,  während  man  die  kleinen  anderen  Sphären  sich 
sehr  langsam  bewegen  läfst.  Auch  mufs  man  jene  erste  Bewegung 
entgegengesetzt  den  übrigen  annehmen  und  —  zur  Vermehrung  der 
UnWahrscheinlichkeit  —  von  jener  oberen  Sphäre  alle  unteren  gegen 
ihre  eigene  Neigung  fortreifsen  lassen.  Hier  überlasse  ich  es  denn 
Euerem  Urteil  zu  entscheiden^  was  die  gröfsere  Wahrscheinlichkeit 
für  sich  hat. 

Sagr.    Für  mich,  soweit  meine  natürliche  Empfindung  in  Betracht 
kommt,  besteht  kein  kleiner  Unterschied  zwischen  der  Einfachheit  und 
Leichtigkeit,    wie    nach    diesem   neuen   System    mit   den    angegebenen 
Mitteln    die    Erscheinungen    hervorgebracht    werden,    und    dem    Ver- 
wickelten,  Verworrenen   und    Schwierigen,    das    dem    alten,    allgemein 
anerkannten  System  anhaftet.    Wäre  das  Weltall  nämlich  in  der  Weise 
verwickelt    augeordnet,    so    hätte    man    in    der   Philosophie    viele    von 
allen    Philosophen    allgemein    anerkannte    Axiome    zu   beseitigen:    wie^'°"^^"^^^^^*^^°" 
dafs  die  Natur  nicht  die  Dinge  ohne  Not  vermehrt,   dafs  sie  sich  der^iei^anerkannte 
leichtesten   und   einfachsten   Mittel   bedient,    um  ihre  Wirkungen  her- 
vorzubringen,  dafs   sie  nichts  vergeblich  thut  u.  dgl.  m.     Ich  gestehe, . 
dafs  ich  nie  etwas  Bewundernswerteres  als  dies  gehört  habe;  niemals, 
glaube  ich,  hat  menschliche  Forschung  gröfseren  Scharfsinn  entfaltet. 
Ich  weifs  nicht,  wie  Signore  Simplicio  darüber  deukt. 

Simpl.    Wenn  ich  freimütig  meine  Meinung  sagen  soll,  so  scheinen 
mir  diese  Dinge  zu  jenen  geometrischen  Subtilitäten  zu  gehören,  welche    t^^eit°pia*to 
Aristoteles  bei  Plato  tadelt,   wenn  er  ihm  vorwirft,   durch  zu  eifriges  ^J^^^^gj^^y^^^g^g 
Studium  der  Geometrie  von  gesunder  Philosophie  abgekommen  zu  sein,   ^"'^etrie"" 
Ich  habe   höchst   bedeutende   peripate tische  Philosophen    gekannt,    die 
ich  ihren  Schülern  vom  Studium  der  Mathematik  habe  abraten  hören,  Peripatetische 

/     Philosophen 

da  diese  den  Geist  tadelsüchtig  und  unfähig  zu  solidem  Philosophieren  ^  stmUum^dfr  ^ 
mache:     ganz     das    entgegengesetzte    Princip     von    dem    Piatos,    der   Mathematik. 
niemanden  zur  Philosophie  zuliefs,   er  hätte  sich  demi   zuerst   mit  der 
Geometrie  vertraut  gemacht. 

Salv.  Ich  schliefse  mich  der  Maxime  jener  Euerer  Peripatetiker 
an,  welche  ihre  Schüler  von  dem  Studium  der  Geometrie  zurückhalten; 
denn  es  giebt  keine  Wissenschaft,  die  sich  besser  als  diese  eignete, 
um  ihre  Fehlschlüsse  an  den  Tag  zu  bringen.  Aber  seht,  Avelche  Ver- 
schiedenheit zwischen  jenen  und  den  Mathematikern!  Diese  haben 
sehr  viel  lieber  mit  Leuten  zu  thun,  welche  wohl  vertraut  mit  der 
gewöhnlichen  peripatetischen  l*hilosophie  sind,  als  mit  solchen,  die 
dieser  Kenntnisse   erraanocelu   und   infolü'e   dieses  Manu'els   keinen  Ver- 


416  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [430.  431.] 

gleich  zwisclien  der  einen  und  der  anderen  Lehre  anstellen  können. 
Doch  lassen  wir  das  auf  sich  beruhen  und  sagt  mir  gefälligst:  welche 
Absurditäten  oder  allzu  gesuchten  Spitzfindigkeiten  lassen  Euch  jenes 
System  des  Kopernikus  minder  beifallswürdig  erscheinen? 

Simpl.  Ich  habe  es  wirklich  nicht  so  ganz  verstanden;  wohl  auch 
darum^  weil  ich  die  Gründe  nicht  völlig  gegenwärtig  habe,  welche 
von  Ptolemäus  für  dieselben  Erscheinungen  angeführt  werden,  ich  meine 
für  jenes  Stillestehen,  Rückwärtsgehen,  Näherkommen,  Sich  wiederent- 
fernen der  Planeten,  für  die  Zu-  und  Abnahme  der  Tage,  für  die  Ände- 
rungen der  Jahreszeiten  u.  s.  w.  Aber  abgesehen  von  den  Folgerungen, 
die  sich  aus  den  Grundannahmen  ergeben,  gegen  diese  Annahmen 
selbst  hege  ich  nicht  geringe  Bedenken.  Sind  aber  erst  diese  Annahmen 
vernichtet,  so  zieht  das  den  Einsturz  des  ganzen  Baues  nach  sich. 
Nun  stützt  sich,  wie  mir  scheint,  der  ganze  Apparat  des  Kopernikus 
auf  einen  gebrechlichen  Unterbau,  denn  er  gründet  sich  auf  die  Be- 
weglichkeit der  Erde.  Ist  daher  diese  nur  erst  abgethan,  so  braucht 
es  keine  weiteren  Erörterungen.  Um  sie  zu  beseitigen,  ist  nun  aber, 
glaube  ich,  das  eine  Axiom  des  Aristoteles  entscheidend,  dafs  einem 
einfachen  Körper  von  Natur  nur  eine  einzige  einfache  Bewegung  eig- 
nen kann-,  hier  aber  werden  der  Erde,  einem  einfachen  Körper,  drei, 
Vier  verschie-  wemi  uicht  vier  von  einander  sehr  verschiedene  Bewegungen  beigelegt. 

dene  der  Erde  .^  .,  ,  .,  n  •     •  t^  -,  ?,r-         , 

beigelegte  Be-  Deuu  abgesehen  von  der  geradlinigen  Bewegung  nach  dem  Mittel- 
punkte, die  ihr  als  schwerem  Körper  unwidersprechlich  zukommt, 
wird  ihr  eine  jährliche  Kreisbewegung  um  die  Sonne  auf  einem  grofsen 
Kreise  und  eine  24-stündige  Drehung  in  sich  selbst  zugeschrieben. 
Was  dann  aber  am  widersiimigsteii  ist  und  was  Ihr  vielleicht  eben 
deshalb  verschwiegen  habt,  sie  soll  noch  eine  weitere  Drehung  um 
den  eigenen  Mittelpunkt  besitzen,  entgegengesetzt  der  erstgenannten 
24-stündigen  und  diese  soll  sich  innerhalb  eines  Jahres  vollziehen. 
Dagegen  sträubt  sich  meine  Vernunft  mit  allen  Kräften. 

Salv.     Was    die  Bewegmig  nach  unten  betrifft,  so   ist  bereits  ge- 

PewegHiig  nach  zeigt  wordcu,  dafs  sie   durchaus    nicht  dem  Erdball   eigen  ist,  der  nie 

unten  ist  nicht         ^        .  -,•  -r>  p   t  i  /•   i  •     i         • 

dem  Erdball,  uiid  uimmcr  diesc  Bewegung  ausgeführt  hat  noch  ausführen  wird;  sie 
Teilen  eigen,  kömmt  bestenfalls  den  Teilen  zu,  die  das  Streben  haben  mit  dem 
Jährliche  und  Gauzcu  sich  wicdcr  zu  vereinigen.     Was  weiter  die  jährliche  und  täg- 

tü  gliche  Bewe-         it->  t  •  ^      t         l^         rt-    ^ 

guuganderErdeliche  Bewegung    anlangt,   so   haben   diese    eine   und  dieselbe  Kichtung 

mit  einander  ver-         -,.,?■,  o       ^  ■  ■  T    i  •  • 

trägiich.  und  Sind  daher  aufs  beste  mit  einander  verträglich,  gerade  wie  eine 
Kugel,  wenn  wir  sie  längs  einer  geneigten  Oberfläche  fallen  lassen,  bei 
der  Abwärtsbewegung  von  selbst  sich  um  ihren  Mittelpunkt  drehen 
wird.  Was  endlich  die  dritte,  ihr  von  Kopernikus  zugeschriebene  Be- 
wegung  anlangt,   nämlich   die  Drehung  in   sich  selbst  innerhalb  eines 


[431.  432.]  Dritter  Tag.  417 

Jahres,  welche  blofs  dazu  dient,  um  ihrer  Achse  dauernd  die  Neigung 
und  Richtung  nach  einer  und  derselben  Seite  des  Firmaments  zu  ver- 
leihen, so  will  ich  Euch  darüber  eine  höchst  bemerkenswerte  Ansicht 
mitteilen.  ^^)    Weit  entfernt  nämlich,  dafs  sie  —  obgleich   der  anderen 
jährlichen  Bewegung   entgegengesetzt   —    mit   dieser   im   Widersj)ruch  Jeder  schwc- 
stünde    oder  Bedenken   erregen  köimte,   kommt   sie  vielmehr  durchaus  Gleichgewicht 
von    Natur     und    ohne    irgendwelche    bewegende    Ursache    jedwedem  per  nimmt  von 
schwebenden    und    im   Gleichgewicht    befindlichen  Körper    zu.     Wenn  ringsherum  auf 
ein  solcher  ringsherum  längs  einer  Kreisperipherie  fortgeführt  wird,  so  pherie  fortge- 
kommt   sofort   von   selbst   eine  Drehung   um   den  eigenen  Mittelpunkt  Bewegimg  um 
hinzu,  die  der   ihn  im  Kreise   fortführendexi   Drehung   entgegengesetzt  die  jener  em- 
ist    und    deren    Geschwindigkeit    so    grofs    ist,    dafs    beide   Drehungen 
genau  in  derselben  Zeit  beendigt  werden.     Ihr  kömit  Euch  von  dieser 
merkwürdigen    und    auf   unseren    Gegenstand    bezüglichen    Thatsache  versuch,  der 
überzeugen,  indem  Ihr  in  eine  Schüssel  Wasser  eine  darauf  schwimmende  dafs  zwei  ent- ' 
Kugel    bringt    und    das   Gefäfs   in    der   Hand  haltet;    wenn   Ihr   Euchßewegungenvon 
nun  auf  den  Fufssohlen  herumdreht,  werdet  Ihr  sofort  sehen,  wie  die    Korpe^zu-^" 
Kugel    anfängt    sich    um   sich    selbst   zu   drehen    und    zwar    entgegen- 
gesetzt za  der  Drehungsrichtung   der  Schüssel,   und  wie  sie  ihre  Um- 
drehung  gleichzeitig   mit   der   des    Gefäfses  beendigt.®'*)     Was   ist  nun 
die  Erde    Anderes   als   eine   in   dünner,  nachgiebiger  Luft   schwebende 
Kugel,  die  in  einem  Jahre  längs    der  Peripherie  eines  grofsen  Kreises 
ringsherum    geführt    wird    und    folglich    ohne   weitere   bewegende   Ur- 
sache eine  jährliche  Drehung  annehmen  mufs,  die  der  anderen  gleich- 
falls jährlichen  Bewegung   entgegengesetzt  ist?     Ihr  könnt  Euch  von 
dieser   Erscheinung    überzeugen;    wenn  Ihr    aber   dann   genauer   über- 
legt, so  werdet  Ihr  bemerken,  dafs   sie   nichts  Wirkliches  ist,  sondern  Die  dritte  der 

°  '  '  •^  .  Erde  beigelegte 

blofser  Schein.     Was  Euch  wie  eine  Drehung  um  den  eigenen  Mittel-  Bewegung  ist 

"         _  "  •TT      ®^®'^  ^"^  Unver- 

punkt  vorkommt,  ist  in  Wirklichkeit  ein  Sich-nicht-bewegen,  em  Un-  ändertbieiben. 
Verändertbleiben  in  Bezug  auf  alles  das,  was  sich  an  Euerer  Bewegung 
und  an  der  des  Gefäfses  nicht  beteiligt.  Denn  bringt  Ihr  auf  jener 
Kugel  irgend  eine  Marke  an  und  achtet  darauf,  nach  welcher  Wand- 
seite des  Zimmers,  in  dem  Ihr  Euch  befindet,  oder  nach  welcher  Gegend 
der  Landschaft  oder  des  Himmels  sie  gerichtet  ist,  so  werdet  Ihr  be- 
sagte Marke  bei  Euerer  und  des  Gefäfses  Drehung  stets  nach  der- 
selben Seite  gerichtet  finden.  Vergleicht  Ihr  abei-  ihre  Lage  mit  dem 
Gefäfse  oder  mit  Euch  selbst,  also  zwei  beweglichen  Objekten,  so  wird 
sie  allerdings  scheinbar  ihre  Richtung  ändern  und  sich  mit  einer  Be- 
wegung, die  der  Eueren  und  der  des  Gefäfses  entgegengesetzt  ist, 
allen  Punkten  des  Gefäfsrandes  zuwenden;  man  kaim  daher  mit  gröfse- 
rem  Rechte  sagen,  dafs  Ihr  und  das  Gefäfs  um  die  unbewegte  Kugel 

(xAiaijEi,  WoUsystome.  "* 


418  -  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [432.  433.] 

Euch  dreht,  als  dafs  diese  innerhalb  des  Gefäfses  rotiert.  Wenn  in  der- 
selben Weise  die  Erde  im  Gleichgewichte  auf  der  Peripherie  des  whis 
magnus  schwebt  und  so  liegt,  dafs  eine  auf  ihr  angebrachte  Marke, 
wie  z.  B.  der  Nordpol,  nach  dem  oder  jenem  Sterne  oder  einem  son- 
stigen Teile  des  Firmaments  gerichtet  ist,  so  behält  diese  ihre  Rich- 
tung eben  dahin  stets  bei,  mag  sie  auch  durch  die  jährliche  Bewegimg 
längs  der  Peripherie  des  orhis  magnus  fortgeftihrt  werden.  Dies  allein 
genügt,  um  alles  Verwunderliche  zu  beseitigen  und  jedes  Bedenken 
Wunderbare,  gu  heben.     Was  aber  wird  Signore  Simplicio  sagen,  wenn  wir  zu  dem 

dem  Erdball  ^    „  '-  O       7 

ahnende  ebcu  erbrachten  Nachweis  der  Überflttssigkeit  einer  mitwirkenden  Ur- 


Kraft stets  dem- 

seiben  TeUe  desgg^ßj^g  jjoch  Überdies  auf  eine  wunderbare,  dem  Erdball  innewohnende 

Himmels  sich  ' 

zuzukehren.  Kraft  als  Argumeut  hinweisen,  nämlich  auf  das  Bestreben  der  Erde, 
bestimmte  Teile  von  sich  bestimmten  Teilen  des  Firmaments  zuzu- 
wenden?    Ich  spreche  von  der  Anziehungskraft,  die  ausnahmslos  und 

^^'^Ma'^'^Det"  ^''"beständig  jedem  Stücke  eines  Magneten  zukommt.  Wenn  jedes  Teil- 
chen dieses  Minerals  jene  Kraft  besitzt,  wer  wollte  zweifeln,  dafs  sie 
in  noch  höherem  Grade  dem  gesamten  Erdball  innewohnt,  der  solchen 
Stoff  reichlich  enthält,  und  der  vielleicht  sogar,  was  seinen  inneren 
Kern,  seine  ursprüngliche  Substanz  betrifft,  nichts  anderes  ist  als  ein 
ungeheuerer  Magnet? 

Simpl.      Ihr    gehört    also    zu    den    Anhängern    der    magnetischen 
Theorie    William  Gilberts?  ^^) 

Salv.     Gewifs  gehöre  ich  zu  ihnen;  und  ich  glaube  alle  die  zu  Ge- 
sinnungsgenossen zählen  zu  dürfen,  welche  sein  Buch  gelesen  und  seine 

tS^S«/«^^^'"^^^^^®  nachgeprüft  haben.  Auch  möchte  ich  die  Hoffnung  nicht 
oiioert':.  aufgeben,  dafs  es  Euch  ebenso  ergeht,  wie  es  mir  in  diesem  Falle  er- 
ging. Nur  müfst  Ihr  durch  eine  der  meinen  gleiche  Wifsbegierde  und 
durch  die  Erkenntnis,  wie  imendlich  viele  Dinge  in  der  Natur  dem 
Menschenverstände  fremd  sind,  erst  von  dem  Sklavenjoche  dieses  oder 
jenes  besonderen  Schriftstellers  befreit  werden,  sodafs  Euere  Vernunft 
minder  straff'  im  Zügel  gehalten  wird;  Ihr  müfst  erst  das  Sträuben,  das 
Widerstreben  Eueres  Verstandes  bekämpfen,  damit  er  nicht  zuweilen 
störrisch  sein  Ohr  bisher   noch    nicht   gehörten  Worten  versagt.     Die 

g^m^S'l'stir.^^^^^^^^^^^ßi*  ^^^  Alltagsgeister,  wenn  ich  dieses  Wort  gebrauchen 
darf,  ist  nun  schon  so  weit  gediehen,  dafs  sie  nicht  nur  blindlings 
ihren  Beifall  zum  Geschenk,  ja  zum  Tribut  hingeben  dem  gegenüber, 
was  sie  in  den  Büchern  ihrer  Autoren  geschrieben  finden,  jener  Auto- 
ren, die  ihnen  in  der  frühesten  Kindheit  ihrer  Studien  von  ihren 
Lehrern  angepriesen  wurden,  nein,  sie  weigern  sich  auch  jedwede  neue 
Lehre,  jedes  Problem  nur  anzuhören,  geschweige  denn  zu  jirüfen,  wie- 
wohl ihre  Autoreu  die  Sache  nicht  nur  nicht  widerlegt,  sondern  nicht 


[433.  434.]  Dritter  Tag.  419 

einmal  erwogen  und  geprüft  haben.  Dahin  gehört  denn  auch  die  Frage 
nach  der  wahren^  eigentümlichen ^  ursprünglichen,  inneren  und  haupt- 
sächlichen Materie  oder  Substanz  dieses  unseres  Erdballs;  wiewohl 
nämlich  weder  Aristoteles  noch  sonst  jemand  vor  Gilbert  auf  den  Ge- 
danken verfiel,  dafs  diese  Substanz  ein  Magnet  sein  könne,  geschweige 
denn,  dafs  Aristoteles  oder  ein  anderer  solche  Meinung  widerlegt 
hätte,  habe  ich  dennoch  so  manchen  angetroffen,  der  bei  der  ersten 
Berührung  der  Frage  wie  ein  scheues  Pferd  sich  zurückzog  und  sich 
weigerte  darüber  zu  verhandeln,  indem  er  einen  solchen  Gedanken  für 
eitele  Chimäre  ausgab,  wo  nicht  für  ausgemachte  Verrücktheit.  Mir 
wäre  das  Buch  Gilberts  vielleicht  gar  nicht  in  die  Hände  gekommen, 
wenn  nicht  ein  hochberühmter  peripatetischer  Philosoph,  wahrschein- 
lich um  seine  Bibliothek  vor  dem  Ansteckungsstoff  zu  hüten,  es  mir 
zum  Geschenk  gemacht  hätte. 

Simpl.  Ich,  der  ich  gerne  zugebe,  einer  jener  Alltagsgeister  ge- 
wesen zu  sein  und  erst  seit  den  letzten  paar  Tagen,  wo  ich  Eueren 
Erörterungen  habe  beiwohnen  dürfen,  fühle,  wie  ich  mich  abseits  ge- 
schlagen habe  von  der  breitgetretenen  Heerstrafse,  bin  doch  noch  nicht 
soweit  gelangt,  dafs  mir  nicht  die  Klippen  dieser  neuen  phantastischen 
Meinung  Anstofs  gäben  und  schwer  überwindlich  erschienen. 

Salv.  Wenn  das,  was  Gilbert  schreibt,  richtig  ist,  so  handelt  es 
sich  nicht  um  ein  Meinen,  sondern  um  einen  Gegenstand  des  Wissens, 
nicht  um  etwas  Neues,  sondern  um  etwas  ebenso  Uraltes  wie  die  Erde 
selbst-,  auch  kann,  insofern  es  wahr  ist,  nichts  Anstöfsiges  imd 
Schwieriges  dabei  sein,  vielmehr  mufs  alles  sich  einfach  und  glatt  er- 
ledigen. Wenn  es  Euch  recht  ist,  will  ichs  Euch  mit  Händen  greifen 
lassen,  wie  Ihr  nur  selber  Euch  scheu  macht  und  vor  Dingen  erschreckt, 
an  denen  nichts  Furchtbares  ist,  wie  ein  kleines  Kind  sich  vor  dem 
wilden  Jäger  fürchtet,  ohne  mehr  davon  zu  wissen  als  den  Namen, 
wie  denn  aufser  dem  Namen  nichts  daran  ist. 

Simpl.  Es  soll  mich  freuen  aufgeklärt  und  aus  meinem  Irrtum 
gerissen  zu  werden. 

Salv.  So  antwortet  mir  auf  die  Fragen,  die  ich  Euch  stellen 
werde.  Sagt  mir  zuerst,  ob  dieser  von  ims  bewohnte  Ball,  welchen 
wir  Erde  nennen.  Euerer  Ansicht  nach  aus  einer  einzigen  ehifacheu 
Materie  besteht  oder  ein  Gemisch  unter  einander  verschiedener  Mate- 
rien darstellt. 

Simpl.  Er  ist  sichtlich  aus  sehr  verschiedenen  Substanzen  undErdbaii  aus  ver- 
Körpern  zusammengesetzt.  Zunächst  die  Hauptbestandteile  anlangend  ^"^stoffoir^z'i?"" 
sehe  ich  Wasser  ijnd  Erde,  die  unter  einander  aufserordentlich  y^^., ^"'"'"'^"S'^«« -^  ■ 
schieden  sind. 


420  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [434.  4.35.] 

Salv.  Lassen  wir  einstweilen  Meere  und  sonstige  Gewässer  bei- 
seite und  betrachten  die  festen  Teile. '^*"')  Sagt  mir^  ob  Euch  diese  alle 
gleichartig  oder  ebenfalls  verschieden  vorkommen. 

Simpl.  Dem  Anscheine  nach  kommen  sie  mir  verschiedenartig 
vor-,  denn  es  finden  sich  weite  Landstrecken  unfruchtbaren  Sandes  und 
dann  wieder  reiche  und  fruchtbare  Gegenden;  man  bemerkt  unzählige 
wüste  Hochgebirge  voll  harter  Felsen  und  verschiedenartigster  Ge- 
steine, als  da  sind  Porphyr,  Alabaster,  Jaspis  imd  tausend  und  aber 
tausend  Marmorarten-,  es  finden  sich  gewaltige  Minen  von  so  vielen 
verschiedenen  Metallsorten  vor,  kurz  soviele  verschiedene  Materien, 
dafs  ein  Tag  nicht  ausreichte  sie  nur  aufzuzählen. 

Salv.  Glaubt  Ihr  nun,  dafs  von  den  verschiedenen  Stoffen  in 
dieser  grofseu  Masse  gleiche  Mengen  auftreten,  oder  dafs  einer  der 
Bestandteile  in  bei  weitem  überwiegender  Weise  darin  enthalten  ist 
und  gewissermafsen  die  Hauptmaterie,  die  Hauptsubstanz  des  unge- 
heueren Körpers  ausmacht? 

Simpl.  Ich  glaube,  dafs  die  Mineralien,  Marmorarten,  Metalle, 
Edelsteine  und  alle  die  anderen  verschiedenen  Stoffe  nur  äufserlichen, 
oberflächlichen  Schmuck  und  Zierrat  des  ursprünglichen  Kernes  vor- 
stellen, dessen  Volumen  unermefslich  viel  gröfser  ist  als  das  jener 
anderen  Dinge. 

Salv.  Und  dieser  hauptsächliche,  ungeheuer  grofse  Körper,  von 
dem  die  genannten  Stoffe  gleichsam  AusAvüchse  und  Zierraten  sind, 
aus  welcher  Materie,  meint  Ihr,  bestehe  der? 

Simpl.  Ich  meine  aus  dem  einfachen,  oder  minder  unreinen  Ele- 
mente der  Erde. 

Salv.  Aber  was  versteht  Ihr  unter  der  Erde?  Das  etwa,  was 
über  die  Felder  gebreitet  ist,  was  man  mit  Spaten  und  Pflug  be- 
arbeitet, worin  man  sät,  die  Feldfrüchte  baut,  worin  ohne  mensch- 
liches Zuthun  gewaltige  Wälder  wachsen,  mit  einem  Worte  die  Woh- 
nung aller  Tiere,  die  Mutter  aller  Gewächse? 

Simpl.  Das  möchte  ich  allerdings  für  die  Ursubstanz  dieses  unseres 
Erdballs  halten. 

Salv.  0,  diese  Ansicht  scheint  mir  verfehlt-,  denn  die  Erde,  die 
man  umgräbt,  bestellt,  die  Früchte  erzeugt,  ist  ein  Teil,  und  zwar  ein 
sehr  geringer,  der  Kugeloberfläche,  der  sich  nur  in  geringe  Tiefe  fort- 
setzt im  Vergleich  zu  der  Entfernung  des  Mittelpunkts.  Die  Erfahrung 
lehrt  uns,  dafs  die  Erde  in  diesem  Sinne  nicht  weit  in  die  Tiefe 
hinabgeht,  dafs  dort  sich  Stoffe  finden^  die  von  der  äufseren  Rinde 
durchaus  verschieden  sind,'  weit  fester  und  ungeeignet  für  Pflanzen- 
wachstum, abgesehen  davon,  dafs   die  inneren  Teile   unter  dem  gewal- 


[435.  436.J  Dritter  Tag.  421 

tigeu  Drucke  der  darüber  befindliclien  schwereu  Stoffe  aller  AValir- 
scheiiiliclikeit  nacli  so  dicht  und  Jiart  sind  wie  nur  irgend  der  här- 
teste Fels.  Nehmt  hinzu,  dafs  umsonst  Fruchtbarkeit  jenen  Stoffen 
verliehen  wäre,  die  nicht  dazu  bestimmt  Avaren,  jemals  Frucht  her- 
vorzubringen, sondern  in  Ewigkeit  begraben  zu  bleiben  in  den  tiefen, 
finsteren  Abgründen  der  Erde. 

Slmpl.  Wer  giebt  uns  denn  Gewifsheit,  dafs  die  dem  Gentrum 
näher  gelegenen  Teile  unfruchtbar  sind?  Vielleicht  bringen  auch  sie 
Erzeugnisse  hervor,  die  uns  unbekannt  sind. 

Salv.  Wemi  irgend  jemand,  müfstet  Ihr  Gewifsheit  darüber  haben ; 
denn  Euch  wird  ja  die  Einsicht  leicht  sein,  dafs,  wenn  schon  die 
Hauptteile  des  Weltalls  blofs  zum  Wohle  des  Menschengeschlechtes 
erschaffen  sind,  vor  allen  anderen  unser  Erdball  zum  alleinigen  Nutzen 
seiner  Bewohner  bestimmt  ist.  Welchen  Vorteil  aber  könnten  uns 
Stoffe  bringen,  die  uns  dermafsen  entrückt,  dermafsen  verborgen  vor 
uns  sind,  dafs  wir  sie  nun  und  nimmermehr  uns  dienstbar  machen 
können?  Unmöglich  kann  also  der  Kern  dieses  unseres  Erdballs  Der  Kern  des 
eine  widerstandslose,  zerreibliche,  unzusammenhängende  Materie  sein,  sehr  fest  sein, 
wie  die  an  der  Oberfläche  befindliche,  sogenannte  Erde;  er  mufs  viel- 
mehr aus  äufserst  dichtem  und  festem  Stoffe,  mit  einem  Worte  aus 
härtestem  Stein  bestehen.  Und  wenn  er  das  mufs,  aus  welchem 
Grunde  sträubt  Ihr  Euch  mehr  gegen  die  Annahme,  er  sei  ein  Magnet, 
als  gegen  die  Ansicht,  er  bestehe  aus  Porphyr,  Jaspis  oder  hartem 
Marmor?  Wenn  Gilbert  geschrieben  hätte,  der  Erdball  bestehe  im 
inneren  aus  pietra  serena^'^)  oder  Chalcedon,  würde  Euch  das  Para- 
doxon etwa  minder  ungeheuerlich  erschienen  sein? 

Simpl.  Dafs  die  mehr  im  inneren  gelegejien  Teile  des  Erdballs 
stärker  zusammengedrückt  werden  und  darum  dichter  und  fester  sind, 
imd  zwar  um  so  mehr,  je  tiefer  sie  liegen,  gebe  ich  zu  und  giebt 
auch  Aristoteles  zu;  dafs  sie  aber  der  Art  nach  verschieden  wären, 
etwas  Anderes  als  Erde  derselben  Sorte,  aus  der  die  oberflächlichen 
Teile  bestehen,   das  zuzugeben  fühle  ich  mich  durch  nichts  bewogen. 

Salv.     Ich  habe  mich  auf  diese  Erörterung  nicht  eingelassen,  um 
durch  strengen  Beweis   darzuthun,   dafs   der  wirkliche  Urstoff'  unseres 
Erdballs  ein  Magnet  sei,   sondern   nur   um  Euch   zu  zeigen,  dafs  kein 
Grund  vorhanden  ist,   sich   mehr   gegen   die  Annahme  zu  sträuben,  er 
sei   ein  Magnet  als   sonst  ein   Stoff'.     Und  wenn  Ihr  Euch  die  Sache^er  von  uns  be- 
recht   überlegt,    so    werdet   Ihr    die    Ansicht   nicht    unwahrscheinlich  wo'rdo* s fe'i!i 
finden,   dafs  nichts   als   ein   blofser  willkürlicher  Name  die  Menschen  uei'faen,  wenn 
bewogen    hat,    ihn  für    Erde    zu  halten:    der   Umstand   nämlich,    dafshTrdiesenNamen 
man  von  Anfang  au  unterschiedslos  jenes  Wort  Erde  gebraucht  j^^t,  ^*^^^^°  ^*"*" 


422  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [436.  437.] 

um  sowohl  die  Substanz,  welche  mau  pflügt  und  besät,  als  auch  den 
von  uns  bewohnten  Ball  bezeichnen.  Wenn  die  Benennung  des  letz- 
teren von  dem  Worte  Stein  hergenommen  wäre,  was  ebenso  statt- 
haft war  wie  von  dem  Worte  Erde,  so  würde  sicherlich  die  Ansicht, 
die  Ursubstanz  des  Balles  sei  Stein,  bei  niemand  Anfeindung  oder 
Widerspruch  gefunden  haben.  Dies  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als 
ich  fest  davon  überzeugt  bin,  dafs,  wenn  man  jenem  grofsen  Ball  die 
Schale  abziehen,  eine  Schicht  von  tausend  oder  zweitausend  Ellen  ent- 
fernen imd  sodann  Steine  von  Erde  sondern  könnte,  der  Haufe  von 
Steinen  weit  gröfser  ausfiele  als  der  von  fruchtbarem  Erdreich.  — 
Von  den  Gründen,  welche  durch  Schlüsse  beweisen,  dafs  dieser  unser 
Erdball  de  facto  ein  Magnet  sei,  habe  ich  Euch  keinen  vorgeführt, 
noch  ist  hier  der  Ort  dafür  es  zu  thun;  auch  könnt  Ihr  sie  mit  Leich- 
Gedankengang  tigkcit  bei  Gilbert  einsehen.  Nur  um  Euch  zur  Lektüre  anzuregen. 
Beweisen  für  soU  Euch  ciu  vou  mir  herrührcndcs  Gleichnis  die  bei  seinen  For- 
schungen angewendete  Schlufs  weise  erläutern.  Ich  weifs,  dafs  Euch 
wohlbekannt  ist,  wie  sehr  die  Kenntnis  der  Accidentien  zur  Ermitte- 
lung der  Substanz  und  des  Wesens  der  Dinge  beiträgt.  Darum  möchte 
Vielfältige  ich,  dafs  Ihr  mit  allem  Fleifs  Euch  wohl  unterrichtet  von  vielen 
des  Magneten.  Accideutieu  Und  Eigenschaften,  die  einzig  und  allein  im  Magneten, 
aber  in  keinem  anderen  Steine  oder,  sonstigen  Körper  sich  finden: 
wie  z.  B.  die  Eigenschaft,  dafs  er  das  Eisen  anzieht,  dafs  er  diesem 
durch  seine  blofse  Anwesenheit  die  nämliche  Fähigkeit  verleiht,  dafs 
er  ihm  auch  die  Eigenschaft  mitteilt  sich  nach  den  Polen  hinzukehren, 
wie  er  sie  selber  besitzt.  .  Seht  Euch  ferner  einmal  an,  wie  ihm  die 
Kraft  innewohnt,  der  Magnetnadel  nicht  nur  eine  Richtimg  im  Meri- 
dian nach  den  Polen  zu  in  horizontaler  Bewegung  zu  verleihen  — 
eine  schon  seit  längerer  Zeit  bekannte  Eigenschaft  —  sondern  auch 
eine  erst  neuerdings  beobachtete  Eigentümlichkeit  ihr  einzuflöfsen^^): 
wenn  sie  nämlich  unter  dem  vorher  bezeichneten  Meridian  einer  kleinen 
Magnetkugel  ^^)  im  Gleichgewicht  steht,  so  weicht  sie  bis  zu  bestimm- 
tem Grade  mehr  oder  weniger  von  der  horizontalen  Lage  ab,  je  nach- 
dem besagte  Nadel  mehr  oder  weniger  nahe  dem  Pole  sich  befindet, 
bis  sie  über  dem  Pole  selbst  sich  senkrecht  in  die  Höhe  richtet, 
während  sie  über  den  mittleren  Teilen  parallel  der  Achse  steht.  Sucht 
Euch  ferner  durch  eigene  Anschauung  zu  überzeugen,  wie  die  Kraft 
das  Eisen  anzuziehen,  welche  weit  mehr  in  den  Polen  ihren  Sitz  hat 
als  in  den  mittleren  Teilen,  merklich  stärker  am  einen  Pole  als  am 
anderen  auftritt,  und  zwar  ist  der  stärkere  Pol  eines  jeden  Magneten 
der  nach  Süden  gerichtete.  Bemerkt  sodami,  dafs  bei  einem  kleineu 
Magneten  jener  nach  Süden  gerichtete,  kräftigere  Pol  geschwächt  wird, 


[437.  438.]  Dritter  Tag.  423 

sobald   er   in   der  Nähe  des  Nordpols  eines  anderen  bedeutend  gröfse- 
ren  Magneten  das  Eisen  tragen  soll:  kurz,  um  nicht  weitläufig  zu  wer- 
den, vergewissert  Euch  durch  den  Versuch   dieser  und  vieler  anderen 
von   Gilbert  beschriebenen  Eigenschaften;  sie   alle  sind  derart  charak- 
teristisch   für    den  Magneten,   dafs    keine    von  ihnen  irgend   welchem 
anderen  Stoffe  zukommt.    Sagt  mir  nun,  Signore  Simplicio:  wenn  EuchscWagender  b. 
tausend  Stücke  verschiedenartiger  Stoffe    vorgelegt  würden,  jedes  aber  magDetuche 
bedeckt   und   eingewickelt   in   ein   Tuch,   unter   dem   es   verborgen   ist,    ^    baiis. 
und  man  stellte  Euch  die  Aufgabe,   ohne   sie   aufzudecken,  blofs  nach 
äufseren  Zeichen  zu  erraten,   woraus  jegliches  bestehe,  und  wenn  Ihr 
dann  beim  Versuche  bemerktet,   dafs   eines   der   Stücke    deutlich    alle 
Euch  bereits  bekaimten  Eigenschaften  besitzt,  wie  sie  nur  den  Mag- 
neten, keinem  anderen  Stoffe   zukommen,   was  für  ein  Urteil  über  die 
Natur   dieses   Stoffes   würdet  Ihr  Euch  bilden?     Wäret  Ihr  der  An- 
sicht^ dafs  es  ein  Stück  Ebenholz  oder  Alabaster  oder  Zinn  sein  könnte? 

Simpl.     Ich  würde  unbedenklich  sagen,  es  sei  ein  Magnet. 

Salv.  AVeun  das  der  Fall  ist,  so  sagt  nur  mit  aller  Entschieden- 
heit, dafs  unter  jener  Decke,  unter  jener  Rinde  von  Erde,  Steinen, 
Metallen,  AVasser  u.  s.  w.  sich  ein  grofser  Magnet  verbirgt;  denn  an 
ihm  lassen  sich  alle  die  nämlichen  Eigenschaften  nachweisen,  wenn 
man  sich  die  Mühe  nimmt  sie  festzustellen,  wie  sie  einer  wirklichen, 
unbedeckten  Magnetkugel  erfahrungsgemäfs  zukommen.  Deim  sähe 
man  auch  nur  den  einen  Versuch  mit  der  abweichenden  Magnetnadel, 
die,  an  verschiedene  Stellen  der  Erde  gebracht,  mehr  und  mehr  sich 
neigt,  je  näher  sie  dem  Nordpole  sich  befindet,  dagegen  um  so  weniger 
von  der  horizontalen  Richtung  abweicht,  je  näher  sie  dem  Äquator  ist, 
und  unter  dem  Äquator  endlich  eine  völlig  wagrechte  Stellung  an- 
nimmt, so  müfste  das  ausreichen,  um  den  ärgsten  Widerspruchsgeist 
zu  besiegen.  Ich  will  ganz  schweigen  von  jener  anderen  wunderbaren 
Erscheinung,  die  sich  deutlich  an  jedem  Magneten  beobachten  läfst, 
dafs  nämlich  für  uns  Bewohner  der  nördlichen  Hemisphäre  der  Südpol 
des  Magneten  kräftiger  ist  als  der  andere,  dafs  der  Unterschied  um 
so  gröfser  ausfällt,  je  mehr  man  sich  vom  Äquator  entfernt,  dafs  unter 
dem  Äquator  beide  Seiten  gleiche  Kraft  besitzen,  aber  merklich 
geringere,  dafs  hingegen  in  südlich  gelegenen  Ländern  fern  vom 
Äquator  die  Eigenschaft  sich  umkehrt,  die  bei  uns  schwächere  Seite 
nämlich  nunmehr  das  Übergewicht  über  die  andere  erlangt;  und  alles 
das  stimmt  überein  mit  den  Erscheinungen,  die  wir  an  einem  kleinen 
Magneten  in  Gegenwart  eines  grofsen  beobachten,  dessen  überwiegende 
Kraft  den  kleineren  sich  willfährig  macht;  je  nachdem  man  ersteren 
diesseit  oder  jeuseit  des  Äquators  des  gröfseren  hält,  zeigt  er  die  näm- 


424  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [438.  439.] 

licheu  wechsebideu  Erscheiuungen,  welche,  wie  bemerkt,  jeder  Magnet 
aufweist,  den  man  diesseit  und  jenseit  des  Erdäquators  beobaelitet. 

Sagr.       leb    wurde    gleicb   beim    ersten    Lesen    des    Gilbert  sehen 
Bucbs  überzeugt,  und  als  ich  später  einen  vortrefflicben  Magneten  in 
die  Hände  bekam,  stellte  ich  lange  Zeit  hindurch  zahlreiche  Beobach- 
Arniierter  Mag-tungcn  an,  deren  Ergebnisse  sämtlich  aufs  höchste  staunenswert  waren. 
vre^/mX*  Eisen  Vor  allem  aber  scheint  mir  die  Thatsache  wunderbar,  dafs  die  Fähig- 
*  ^  """ten™'"' keit  des  Magneten  Eisen  zu   tragen  so   sehr  zunimmt,  wenn  man  ihn 
in   der   vom  Verfasser   gelehrten  Weise  armiert.-'")     Durch  Armierung 
meines  Stückes  verstärkte   ich  seine  Kraft   achtfältig-,  während  er  un- 
gefafst  kaum  neun  Unzen  Eisen  trug,  trug  er  armiert  mehr  als  sechs 
Pfund.     Vielleicht    werdet  Ihr  eben    diesen   Magneten  in  der  Galerie 
Eueres  Durchlauchtigsten  Grofsherzogs,   dem  ich  denselben  abtrat,  ge- 
sehen haben,  und  zwar  mit  zwei  eisernen  Ankern  versehen. 

Salv.  Ich  habe  ihn  oft  zu  meiner  grofsen  Verwunderung  gesehen, 
bis  ich  durch  ein  kleines  Stückchen  in  noch  gröfseres  Staunen  vei-- 
setzt  wurde,  welches  sich  in  den  Händen  unseres  Akademikers  befindet. 
Es  wiegt  nicht  mehr  als  sechs  Unzen  und  trägt  ohne  Armierung 
kaum  zwei  Unzen,  gefafst  hingegen  160,  sodafs  es  durch  die  Ar- 
mierung eine  80m al  so  grofse  Trag*fähigkeit  erlangt  als  ohne  diese, 
eine  26mal  gröfsere,  als  das  eigene  Gewicht  beträgt:  ein  noch  merk- 
würdigeres Ergebnis,  als  zu  dem  Gilbert  gelangte,  welcher  schreibt, 
er  habe  keinen  Magneten  finden  können,  dessen  Tragfähigkeit  sich  bis 
zum  Vierfachen  des  eigenen  GcAvichtes  steigerte.  ^^) 

Sagr.  Dieses  Mineral  bietet  dem  menschlichen  Intellekt  ein  weites 
Forschungsfeld,  wie  mir  scheint.  Ich  habe  wohl  tausend  Mal  darüber 
gegrübelt,  Avie  es  kommen  mag,  dafs  der  Magnet  der  eisernen  Arma- 
tur eine  die  eigene  bei  weitem  übertreifende  Kraft  mitteilt;  ich  finde 
aber  schliefslich  keine  befriedigende  Erklärimg;  auch  aus  dem,  was 
Gilbert  über  diesen  Punkt  schreibt,  vermag  ich  nicht  viel  zu  machen. 
Ich  weifs  nicht,  ob  es  Euch  ebenso  ergeht. 

Salv.  Ich  lobe,  bewundere  imd  beneide  diesen  Mann  aufs  höchste, 
der  so  staunenswerte  Ideen  über  einen  Gegenstand  entwickelt  hat,  wel- 
cher von  unzähligen  genialen  Männern  behandelt,  aber  von  keinem  auf- 
merksam studiert  worden  ist.  Auch  scheint  er  mir  des  höchsten  Lobes 
wert  wegen  der  zahlreichen  neuen  und  zutreffenden  Beobachtungen,  die 
er  anstellte  zur  Beschämung  so  manches  lügenhaften,  eiteln  Autors, 
der  nicht,  nur  schreibt,  was  er  weifs,  sondern  alles  das  wiedergiebt, 
was  er  vom  dummen  Volke  aufgeschnappt  hat,  ohne  sich  durch  Ver- 
suche von  der  Richtigkeit  zu  überzeugen,  wahrscheinlich  um  den  Um- 
fang seines  Buches  nicht  zvi  verringern.'*")     Eines  vermisse  ich  aller- 


[439.  440.]  Dritter  Tag.  425 

dings  bei  Gilbert,  er  hätte  etwas  mehr  Mathematiker  und  nameutlich 
in  der  Geometrie  gut  beschlagen  sein  sollen.  Die  Vertrautheit  mit 
ihr  würde  ihn  nicht  so  entschieden  als  zAvingende  Beweise  die  Gründe 
ansehen  lassen,  welche  er  als  wahre  Ursachen  der  von  ihm  beobach- 
teten richtigen  Thatsachen  bezeichnet.  Diese  Gründe  haben,  offen 
gesagt,  nicht  das  ünwidersprechliche  und  Zwingende,  wie  das  bei 
naturwissenschaftlichen,  ewig  notwendigen  Gegenständen  unbedingt 
möglich  sein  mufs.  Ich  bezweifle  nicht,  dafs  mit  der  Zeit  dieser  neue 
Wissenszweig  teils  infolge  neu  hinzukommender  Beobachtungen,  ganz 
besonders  aber  rücksichtlich  strenger  und  zwingender  Beweismetho- 
den Fortschritte  machen  wird.  Darum  aber  erleidet  der  Ruhm  des  J^'^j^^^^^^^^j^'^.'; 
ersten  Entdeckers  keine  Einbufse.  Ich  achte  den  ersten  Erfinder  der^^^^'^^^^^j^^j^^" 
Leier  —  wiewohl  Avahrscheinlich  sein  Instrument  von  ganz  rohem  Bau 
und  noch  roherem  Klange  gewesen  ist  —  nicht  geringer,  ich  schätze 
ihn  im  Gegenteil  sehr  viel  höher  als  hundert  andere  Künstler, 
welche  diesen  Zweig  zu  ausgezeichneter  Vollkommenheit  brachten. 
Das  Altertum  hat  meines  Bedünkens  mit  gutem  Grmide  die  ersten 
Erfinder  edler  Künste  unter  die  Zahl  der  Götter  versetzt:  denn  der 
Denkweise  des  gewöhnlichen  Publikums  liegt  jeder  Wissensdrang  so 
fern,  es  kümmert  sich  so  wenig  um  das  Seltsame  und  Feine,  dafs  es 
dergleichen  in  ausgezeichneter  Wiedergabe  von  Kimstverständigen  sehen 
und  hören  kann,  ohne  doch  den  Drang  zu  fühlen  es  zu  erlernen.  Dar- 
nach ermefst,  ob  Köpfe  dieser  Art  jemals  Lust  gehabt  hätten  dem 
Bau  der  Leier  nachzusinnen  oder  musikalischer  Erfindung  ihr  Nach- 
denken zu  widmen,  angeregt  durch  das  Klimpern  getrockneter  Schild- 
kröteusehnen  oder  durch  die  Schläge  von  vier  Hämmerchen.  Von  ge- 
ringfügigen Anfängen  aus  sich  an  grofse  Erfindungen  zu  machen  und 
unter  dem  ersten  kindischen  Scheine  wunderbare  Kunst  verborgen  zu 
ahnen,  ist  nicht  Sache  der  Dutzeudköpfe,  es  sind  Eingebungen,  Ge- 
danken von  Geistern  überinenschlicher  Art.  —  Um  nun  Euere  Frage 
zu  beantworten,  so  erwidere  ich,  dafs  -auch  ich  lange  nachgedacht  habe, 
um  die  Ursache  jener  so  festen  mid  zähen  Verbindung  ausfindig  zu 
machen,  welche  wir  zwischen  der  eisernen  Armatur  und  dem  daran 
hängenden  Eisen  bemerken.  Zunächst  habe  ich  mich  überzeugt,  dafs 
die  Anziehung,  die  Kraft  des  Steines  durch  die  Armierung  sich  durch- 
aus nicht  vermehrt;  denn  er  zieht  weder  ein  Stück  Eisen  aus  gröfserer  wahro  Ursache 
Entfernung  an,  noch  trägt  er  es  mit  gröfserer  Kraft,  wenn  man  zwi-  Krlftvermeh- 
schen  dieses  und  die  Armatur  ein  sehr  dünnes  Blatt  Papier  einschiebt,  uetou  mitieu 
so  dünn  wie  ein  Stückchen  Blattgold ;  im  Gegenteile  trägt  der  ungefafste 
Stein  im  Fall  dieser  Einschiebung  mehr  Eisen  als  der  armierte.  Es 
findet   also  keine  Änderung  in  der  Kraft  statt   und   doch  eine  solche 


426  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [441.  442.] 

Einer  neuen   in  der  Wirkuiig.     Da  nun  notwendig   einer  neuen  Wirkiuig  eine  neue 

eine  neue  Ur-  ürsache  eutspreclien   mufs,   so   hat   man  zu   imtersuclien,  welelie  neue 

Sprechen.     Ttiatsache  platzgreift,  wenn  das  Tragen   durch  die  Armatur  vermittelt 

wird.     Es   ist    aber   keine    andere   Verschiedenheit    wahrzimehmen   als 

nur  die  Verschiedenartigkeit  der  Berührung,  denn  wo  zuvor  Eisen  und 

Magnet  sich  berührte,  berükrt  sich  nun   Eisen  mit  Eisen.      Für  den 

Unterschied  zwischen  den  Berührungsweisen  wüfste  ich  sodann  keine 

andere  Ursache  anzuführen,  als  dals  die  Substanz  des  Eisens  aus  Teilen 

Es  -wird  gezeigt.von  gröfserer  Feinheit,  Reinheit  und  Dichtigkeit  besteht,  als  bei  dem 

dafs  das  .Eisen  '^  .  .  .  . 

aus  feineren,  Magneten  der  1  all  ist,  wo  sie  gröber,   weniger  rem  und  minder  dicht 

reineren  und        .i-i-v  pi  ^  i  t       ^      •  ^  •  ni  ^  itt 

dichteren  Teiiensuid.  Daraus  folgt  dann,  dafs  die  beiden  einander  berührenden  Eisen- 
Magnet,  flächen,  wenn  sie  ausgezeichnet  glatt,  j)oliert  und  glänzend  sind,  so 
genau  auf  einander  passen,  dafs  alle  unendlich  vielen  Punkte  der 
einen  mit  den  unendlich  vielen  der  anderen  zusammentreffen  und 
dafs  daher  gewissermafsen  die  Bänder,  welche  die  beiden  Eisenstücke 
verbinden,  weit  zahlreicher  sind  als  die,  welche  Magnet  und  Eisen 
verbinden-,  denn  die  Substanz  des  Magneten  ist  sehr  viel  gröber 
und  weniger  rein,  wodurch  nicht  alle  Punkte  und  Bänder  der  Eisen- 
oberfläche an  der  Oberfläche  des  Magneten  den  entsprechenden  An- 
haltspunkt finden.  Dafs  ferner  die  Substanz  des  Eisens  —  nament- 
lich des  wohl  gereinigten,  wie  z.  B.  des  feinsten  Stahles  —  aus  weit 
dichteren,  feineren  und  reineren  Teilen  besteht  als  der  Stoff  des  Mag- 
neten, läfst  sich  daraus  schliefsen,  dafs  sich  Schneiden  von  äufserster 
Schärfe  aus  jenem  herstellen  lassen,  während  man  bei  einem  Magneten 

Sinnlicher Nach-bei  Weitem  uicht  dicscu  Grad  der  Feinheit    zu    erreichen  vermöchte. 

weis  der  Unrein- 
heit des  Mag-  Die  Unreinheit   des  Magneten,   seine  Vermischung   mit   anderen  Stein- 

neten.  .  . 

arten  giebt  sich  sodann  erstens  durch  die  Farbe  etlicher,  meist  weifs- 
licher  Fleckchen  sinnlich  kimd,  ferner  erkennt  man  dies  auch,  wenn  man 
ihm  eine  an  einem  Faden  hängende  Nadel  nähert;  diese  bleibt  nämlich 
über  jenen  Steinsplitterchen  nicht  ruhig,  Sondern,  von  den  umgeben- 
den Teilen  angezogen,  scheint  es  erstere  zu  meiden  und  darüber  weg 
zu  der  benachbarten  Magnetmasse  hiuzuspringen.  Wie  nun  einige 
solcher  heterogenen  Teile  infolge  ihrer  Gröfse  deutlich  sichtbar  sind, 
so  dürfen  wir  annehmen,  dafs  noch  andere  in  grofser  Zahl  durch  die 
ganze  Masse  hin  zerstreut,  aber  ihrer  Kleinheit  wegen  nicht  sichtbar 
sind.  Was  ich  sage  —  dafs  nämlich  die  Menge  der  Berührungs- 
punkte zwischen  Eisen  und  Eisen  Ursache  des  so  festen  Zusammen- 
haltens ist  —  bestätigt  sich  durch  folgenden  Versuch:  wenn  wir  das 
scharf  zugespitzte  Ende  einer  Nadel  mit  der  Armatur  des  Magneten 
in  Verbindung  bringen,  so  hängt  es  nicht  fester  daran  als  an  dem 
ungefafsten  Magneten.     Dies   kann  aber  nur  daher  rühren,  dafs  hier 


[442.  443.]  Dritter  Tag.  427 

beide  Berührungs weisen  die  gleiclieu  sind,  beide  nämlich  eiupuiiktig 
sind.  Doch  wozu  der  Umstände?  Man  nehme  eine  Nadel  und  lege 
sie  so  auf  den  Magneten,  dafs  daä  eine  Ende  etwas  hervorragt;  nähert 
man  diesem  nun  einen  Nagel,  so  wird  sich  die  Nadel  sofort  derart 
au  ihn  hängen,  dafs  beim  Zurückziehen  des  Nagels  die  Nadel  mit  ihren 
Enden  an  dem  Magneten  und  an  dem  Eisen  hängen  und  schweben 
wird.  Zieht  man  den  Nagel  noch  mehr  zurück,  so  wird  er  die  Nadel 
ganz  vom  Magneten  losreifsen,  vorausgesetzt  dafs  das  Ohr  der  Nadel 
mit  dem  Nagel,  die  Spitze  mit  dem  Magneten  in  Berührung  ist;  ist 
aber  das  Öhr  dem  Magneten  zugekehrt,  so  wird  beim  Entfernen  des 
Nagels  die  Nadel  mit  dem  Magneten  vereint  bleiben  und  zwar  meines 
Dafürhaltens  nur  darum,  weil  die  Nadel  nach  dem  Öhr  zu  dicker  ist 
und  darum  viel  mehr  Berührungspunkte  darbietet,  als  es  die  äufserst 
feine  Spitze  thut. 

Sagr.  Euere  ganze  Beweisführung  ist  mir  sehr  schlagend  vor- 
gekommen und  durch  jene  Versuche  mit  der  Nadel  wird  sie  fast  zum' 
Range  eines  mathematischen  Beweises  erhoben.  Ich  gestehe  freimütig, 
ich  habe  in  der  ganzen  bisherigen  Theorie  des  Magnetismus  nichts 
gehört  oder  gelesen,  das  so  überzeugend  Rechenschaft  gäbe  von  einer 
der  vielen  anderen  hierher  gehörigen  wunderbaren  Eigenschaften;  hätten 
wir  für  deren  Ursachen  eine  ebenso  durchsichtige  Erklärung,  ich  wüfste 
nicht,  welch  schmackhaftere  Geistesnahrung  wir  uns  wünschen  könnten. 

Salv.  Wenn  man  nach  den  unbekannten  Gründen  der  Thatsachen 
forscht,  mufs  man  das  Glück  haben,  sich  von  Anfang  an  mit  seiner 
Untersuchimg  auf  der  Strafse  der  Wahrheit  zu  bewegen.  Solange 
man  auf  dieser  wandert,  trifft  es  sich  leicht,  dafs  man  anderen  und 
anderen  Sätzen  begegnet,  die  aus  Vernunftgründen  oder  erfahrungs- 
gemäfs  als  richtig  bekamit  sind.  Durch  die  Gewifsheit,  mit  der  diese 
feststehen,  gCAviunt  dann  die  Wahrheit  imserer  Sache  au  Kraft  und 
Evidenz,  Avie  es  mir  gerade  bei  dem  vorliegenden  Problem  ergangen 
ist.  —  Ich  wollte  mir  betreffs  seiner  irgendwelche  Bestätigung  ver- 
schaffen, ob  die  von  mir  angegebene  Erklärung  auch  wirklich  richtig 
sei,  d.  h.  ob  die  Substanz  des  Magneten  in  der  That  weniger  stetig  als 
die  des  Eisens  oder  Stahles  ist;  ich  liefs  dalier  von  den  Handwerks- 
meistern, welche  in  der  Galerie  des  Grofsherzogs,  meines  Herrn,  arbeiten, 
eine  Fläche  des  vormals  Euch  gehörigen  Magneten  glätten,  sie  sodann 
polieren  und  glänzend  machen,  soviel  es  irgend  angängig  Avar;  da  griff 
ich  nun  das,  Avas  ich  suchte,  zu  meiner  Genugthuung  mit  Händen. 
Es  kamen  nämlich  nun  viele  Flecken  zum  Vorschein,  die  sich  von 
der  übrigen  Masse  durch  ihre  Farbe  unterschieden,  aber  glänzend  mid 
spiegelnd  Avaren,  wie   nur  der  dichteste,   härteste   Stein.     Der  übrige 


428  Dialog  über  die  ¥/eltsysteme.  [443.  444.] 

Teil  der  Fläche  war  zwar  glatt,  aber  blofs  für  das  Gefülil,  da  er 
keineswegs  glänzte,  sondern  wie  mit  einem  matten  Nebelhaiicli  über- 
zogen war.  Das  war  nun  gerade  die  Substanz  des  Magneten,  das 
Glänzende  darin  waren  hingegen  andere  eingesprengte  Mineralien,  wie 
man  siimlich  wabrnebmen  konnte,  wenn  man  die  geglättete  Fläche 
über  Eisenfeile  hielt:  diese  hüpfte  in  grofsen  Mengen  an  den  Magne- 
ten, aber  auch  nicht  ein  einziges  Körnchen  an  besagte  Flecken,  die  in 
grofser  Zahl  vorhanden  waren,  einige  von  ihnen  so  grofs  wie  ein  Viertel 
einer  Nagelbreite,  andere  bedeutend  kleiner,  sehr  viele  ganz  klein  und 
unzählige  kaum  sichtbar.  Hierdurch  überzeugte  ich  mich,  wie  richtig 
meine  Annahme  war,  als  ich  mich  dafür  entschied,  dafs  die  Substanz 
des  Magneten  nicht  fest  und  dicht  sei,  sondern  porös  oder,  besser  ge- 
sagt, schwammig;  nur  mit  dem  Unterschiede,  dafs  der  Schwamm  in 
seinen  Löchern  und  Zellen  Luft  oder  Wasser  enthält,  die  des  Mag- 
neten hingegen  mit  einem  sehr  harten,  schweren  Gestein  angefüllt 
sind,  wie  uns  der  ausgezeichnete  Glanz  beweist,  den  es  annimmt. 
Wemi  man  daher,  wie  ich  anfangs  bemerkt  habe,  die  Oberfläche  des 
Eisens  an  die  des  Magneten  anlegt,  so  begegnen  die  kleinsten  Teil- 
chen des  Eisens,  wiewohl  sie  höchst  stetig  sind,  mehr  vielleicht  als 
bei  irgend  einem  anderen  Stoffe  —  es  beweist  dies  der  alle  anderen 
Stoffe  übertreffende  Glanz  des  polierten  Eisens  —  so  begegnen,  sage 
ich,  nicht  alle,  sondern  nur  wenige  reiner  Magnetsubstanz;  und  da  die 
Berührungspunkte  wenig  zahlreich  sind,  ist  auch  das  Aneinanderhaften 
schwach.  Nun  berührt  aber  die  Armatur  einmal  einen  grofsen  Teil 
der  Oberfläche  des  Magneten,  sodann  aber  flöfst  dieser  seine  Kraft 
auch  den  blofs  benachbarten,  nicht  unmittelbar  berührten  Teilen  der 
Armatur  ein.  Da  nun  deren  Fläche  genau  eben  ist  und  auf  sie  die 
ebenfalls  geglättete  Fläche  des  zu  tragenden  Eisenstücks  zu  liegen 
kommt,  so  findet  die  Berührung  an  unzählig  vielen  kleinsten  Teilen 
statt,  wo  nicht  vielleicht  an  allen  unendlich  vielen  Punkten  beider 
Flächen,  Avodurch  denn  ein  höchst  kräftiges  Aneinanderhaften  erzielt 
wird.  Diese  Mafsregel,  die  Flächen  der  beiden  einander  berührenden 
Eisenstücke  zu  glätten,  wurde  von  Gilbert  aufser  Acht  gelassen,  ja  er 
rundet  die  Eisenstücke  ab,  sodafs  die  Berührungsfläche  nur  klein  ist; 
daher  kommt  es  denn,  dafs  die  Festigkeit,  mit  der  die  Eisenstttcke 
aneinander  haften,  lange  nicht  so  grofs  ist. 

Sagr.  Ich  bin  von  der  angegebenen  Erklärung,  Avie  ich  eben 
schon  sagte,  fast  ebenso  befriedigt,  Avie  wenn  ein  geometrischer  Be- 
Aveis  vorläge.  Da  es  sich  a])er  um  eine  physikalische  Frage  handelt, 
so  Avird  auch  Signore  Simplicio  Genüge  geschehen  sein,  soweit  dies 
in    den  Naturwissenschaften   erreichbar  ist,   denn  in  ihnen   darf  man 


( 


I 


[444.  445.]  Dritter  Tag.  429 

iiiclit^  wie  er  wohl  weifs,  matliematisclie  Strenge  der  Beweise  suchen 
wollen. 

Simpl.  Mir  scheint  in  der  That  Signore  Salviati  mit  schöner  Wahl 
der  Worte  die  Ursache  dieser  Erscheinung  so  klar  auseinander  gesetzt 
zu  haben,  dafs  jeder  mittelmärsige  Kopf,  selbst  ohne  wissenschaft- 
lich gebildet  zu  sein,  es  verstehen  kann.     Wir  aber  halten  uns  in  denf^^P*/^^^  "°f 

o  7  Antipathie,  Aus- 

Grenzen  unserer  Kunst  und  führen  die  Ursache  dieser  und  verwandterp^!|^g^' ^^^^  ^°" 

Naturerscheinungen    auf   Sympathie    zurück  ^^),    welche    eine    gewisse^^'^'j-'^'^^J^I^'^^^^^^ 
Übereinstimmung,   ein  wechselseitiger  Trieb  ist,   der  zwischen  Dingen,^^;^^'^^^®^^^^^®"^^^ 
von   ähnlicher   Qualität    wachgeriifen   wird  5    wie    wir    denn   umgekehrt 
den  Hafs,  die  Feindschaft,   mit  welcher  andere  Dinge  sich  von  Natur 
fliehen  und  einander  verabscheuen,  als  Antipathie  ansprechen. 

Sagr.  Und  auf  diese  Weise  wird  mittels  zweier  Worte  von  einer 
grofsen  Zahl  von  Eigenschaften  und  Erscheinungen  Rechenschaft  ge- 
geben,  die  wir   nicht   ohne  Staunen   in   der  Natur   beobachten.     Diese  Spafsiges  Bei- 

"  '  _  spiel  zur  Eiläu- 

Art  des  Philosophierens  scheint  mir  jedoch   eine  grofse  Sympathie  zuterungd^Nich- 
haben  mit    einer  Art   von  Malerei,    die   einem  meiner  Freunde  eigen p''i'°?opW3chen 

'  _  °       Entwickelungen. 

war;  er  schrieb  nämlich  mit  Gyps  auf  die  Leinewand:  hier  soll  eine 
Quelle  mit  Diana  und  ihren  Nymphen  sein,  dort  ein  paar  Windhunde, 
in  der  Ecke  ein  Jäger  mit  einem  Hirschgeweih,  das  übrige  Feld, 
Wald  und  Hügel;  alles  andere  überliefs  er  dem  Maler  mit  Farben  aus- 
zuführen. So  redete  er  sich  ein,  selber  die  Geschichte  von  Aktäon 
gemalt  zu  haben,  während  er  von  sich  aus  nichts  als  die  Namen  dazu 
hergegeben  hatte.  —  Doch  wohin  sind  wir  bei  unserer  langen  Ab- 
schweifung geraten,  entgegen  den  früher  festgestellten  Abmachungen? 
Es  ist  mir  fast  in  Vergessenheit  gekommen,  welche  Materie  wir  be- 
handelten, ehe  wir  auf  den  Abweg  dieser  magnetischen  Untersuchung 
gerieten;  und  doch  hatte  ich  vor,  noch  eine  Bemerkung  über  diesen 
Gegenstand  zu  machen. 

Salv.  Wir  waren  dabei,  zu  beweisen,  dafs  jene  dritte  von  Koper- 
nikus  der  Erde  zugeschriebene  Bewegung  in  Wirklichkeit  nicht  ein  Be- 
wegen ist,  sondern  ein  Ruhen,  insofern  dabei  unveränderlich  bestimmte 
Teile  von  ihr  immer  nach  denselben  bestimmten  Teilen  des  Weltalls  liin- 
gekehrt  werden,'  d.  h.  dafs  beständig  die  Achse  ihrer  täglichen  Umdrehung 
sich  selber  parallel  und  gegen  die  und  die  Fixsterne  gerichtet  bleibt. 
Dieser  durchaus  beharrende  Zustand,  sagten  wir,  komme  von  Natur 
jedem  im  Gleichgewicht  schwebenden  Körper  zu,  Avelcher  sich  in  einem 
flüssigen,  nachgiebigen  Mittel  befindet;  denn  wiewohl  im  Kreise  her- 
umgeführt, ändere  ein  solcher  seine  Richtung  gegenüber  der  Aufsen- 
welt  nicht,  sondern  scheine  nur  sich  um  sich  selbst  zu  drehen  in  Bezug 
auf  den    Tri'mvr    uml    auf    das   Gefäfs,    in    welchem    er   getrao-en   wird. 


430  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [445.  446.] 

Wir  fügten  sodann  zu  dieser  einfachen^  natürlichen  Eigenschaft  noch 
die  magnetische  Kraft,  vermöge  deren  der  Erdball  sich  um  so  fester 
uuverrückt  zu  halten  vermöge  n.  s.  w. 

Sagr.     Nun   fallt  mir   alles   wieder   ein.     Was   mir   vorhin   durch 
den  Sinn  schofs  und  was  ich  vorbringen  wollte,  war  eine  eigentümliche 
Erwägung   betreffs   des  Bedenkens   und  Einwandes   von   Signore   Sim- 
plicio,  welchen  er  gegen  die  Erdbewegung  erhob  mid  welcher  sich  auf 
die   Vielfachheit   der   Bewegungen   gründete:   es   sei   unmöglich,   einem 
einfachen  Körper,  der  nach  aristotelischer  Lehre  nur  eine  einzige  ein- 
fache Bewegung  von  Natur  aus  besitzen  könne,  eine  solche  Vielfältig- 
Drei  natürliche  ]jgj^    zuzuschreibcn.      Was    ich    nun   Euerer   Erwägung    anheimgeben 
weisen  des  Mag-^yQ^jj^g^  ^g^j.  gerade  das  Verhalten  des  Magneten,  welchem  sichtlich  drei 
Bewegungs weisen  natürlich  sind:   die   eine  nach  dem  Mittelpunkte  der 
Erde,  insofern  er  ein  schwerer  Körper  ist;  die  zweite  eine  horizontale 
Kreisbewegung,  vermöge  deren  er  seine  Achse  immer  wieder  nach  be- 
stimmten Gegenden   des  Weltalls  hinkehrt   und  sie  in  dieser  Lage  er- 
hält;  die   dritte  jene   von   Gilbert  neu  entdeckte,   die   ihn   seine  Achse 
gegen  die  Erdoberfläche  hinsenken   läfst,   wenn   er  sich   in   der  Ebene 
des  Meridianes  befindet,   und  zwar  mehr  oder  weniger,  je  nach  seiner 
Entfernung  vom  Äquator,    während  er  unter  diesem  selbst  der  Erd- 
achse  parallel  bleibt."*)      Aufser   diesen   dreien   ist    es    vielleicht   nicht 
unwahrscheinlich,    dafs   er  noch   eine   vierte   besitzt,    sich  nämlich  um 
die   eigene   Achse   dreht,    sobald   er    in   der  Luft   oder   einem   anderen 
flüssigen,  nachgiebigen  Mittel  im  Gleichgewicht  schwebt  und  alle  äufseren 
zufälligen  Hindernisse  aus  dem  Wege  geräumt  sind.    Diesem  Gedanken 
scheint  auch  Gilbert  selbst  Beifall  zu  zollen.  ^^)    Ihr  seht  also,  Signore 
Simplicio,  auf  wie  unsicheren  Füfsen  das  Axiom  des  Aristoteles  steht. 
Simpl.    Dies  macht  seinen  Ausspruch  nicht  nur  nicht  zu  Schanden, 
Aristoteles  ge-  CS  richtet   sich   Überhaupt   gar  nicht   gegen   denselben.     Denn   in  ihm 
mischten  Kör-  ist   die  Rcdc  vou   eiucm  einfachen  Körper  und  von  dem,  was   einem 
gesetzte  Bewe-  solchcu  vou  Natur  zukommcu  kann.    Ihr  bringt  degegen  Eigenschaften 

gungen  zu.         .  .  ^ 

eines  gemischten  Körpers  zur  Sprache  und  führt  nichts  der  aristote- 
lischen Lehre  Fremdes  an;  deim  auch  Aristoteles  gesteht  den  gemischten 
Körpern  zusammengesetzte  Bewegungen  zu  u.  s.  w. 

Sagr.  Haltet  einen  Augenblick  ein,  Signore  Simplicio,  und  antwortet 
mir  auf  die  Fragen,  die  ich  Euch  stellen  werde.  Ihr  sagt,  der  Magnet 
sei  nicht  ein  einfacher  Körjier,  sondern  ein  gemischter;  ich  frage  Euch 
somit:  welches  sind  die  einfachen  Körper,  die  als  Bestandteile  den 
Magneten  zusammensetzen? 

Simpl.  Ich  kann  Euch  nicht  die  Ingredientien,  noch  die  Gröfse 
der  Dosen  genau  angeben;  genug,  es  sind  elementare  Körper. 


[44G.  417.]  Dritter  Tag.  431 

Sagr.  Das  genügt  auch  mir.  Welches  sind  nun  die  Bewegungen, 
die  diesen  einfachen  natürlichen  Körpern  natürlich  sind? 

Simpl.     Die  beiden  einfachen  geradlinigen  sursum  et  deorsum. 

Sagr.  Sagt  mir  weiter:  glaubt  Ihr,  dafs  die  Bewegung,  welche 
einem  Gemenge  natürlich  ist,  dadurch  entstehen  muTs  können,  dafs 
man  die  beiden  einfachen  natürlichen  Bewegungen  der  einfachen  Be- 
standteile zusammensetzt?  oder  kann  sie  Euerer  Meinung  nach  auch 
eine  Bewegung  sein,  die  sich  unmöglich  aus  jenen  zusammensetzen  läfst? 

Simpl.     Ich  glaube,    der    gemischte    Körper    wird    die  Bewegung 
ausführen,  welche  aus  der  Zusammensetzung  der  Bewegungen  der  ein-  Bewegung  ge- 
fachen  Bestandteile  hervorgeht,  und  glaube  somit,  dafs  eine  Bewegung,mur3  aus  der  zu- 
die   sich   unmöglich   aus    diesen   zusammensetzen  läfst,   mimoglich   vonder  Bewegungen 

•1  P..1      .11  ^^^  eicfachen 

ihm    aUSgeiuhrt    werden    kaim.  Körper  hervor- 

gehen können. 

Sagr.     Aber,   Signore   Simplicio,   mittels    zweier   einfachen   gerad- 
linigen Bewegungen    werdet  Ihr    nun   und    nimmer    eine   kreisförmige  Die  zusammen- 
Bewegung  von   der  Art   zusammensetzen,   wie   die  zwei  oder  drei  ver-geraduniger  Be- 
schiedenen  kreisförmigen  Bewegungen,  welche  dem  Magneten  eigen  sind,  keine  Kreisbe- 
Ihr  seht   also,  wie  solch  schlecht  begründete  Principien  oder  richtiger 
wie   schlechte   Folgerungen    aus   guten   Principien   Einen   in   die   Enge 
treiben;   denn    Ihr  seid   nunmehr   genötigt   zu   sagen,   der  Magnet    seij)ie  Philosophen 
eine  Mischung  von  elementarem   und  Himmelsstoff',    wenn   Ihr   anders^^JtigJ^  ^e'i^M^g- 
dabei  bleibt,  dafs  den  Elementen  nur  die  geradlinige,  den  Himmels-  Mu'chung  von 
körpem  die  kreisförmige  Bewegmig  eignet.     Wollt  Ihr  daher  sichererH^^^giYstoff'zu 
bei  Euerer  Deduktion  zu  Werke  gehen,    so  müfst  Ihr  so  sagen:  von     ^'''^ären. 
den    wesentlichen  Bestandteilen    des   Weltalls    führen    alle    diejenigen, 
welche    überhaupt   beweglich   sind,   von   Natur   Kreisbewegmigeu   aus; 
darum  zeigt  der  Magnet  als  Teil  des  echten,  ursprünglichen  und  haupt- 
sächlichen .Stoffes  unseres  Erdballs  die  gleiche  Natur  wie  dieser.    Be- 
merkt  sodann,   welchen    Fehler   Ihr   begeht,   wenn  Ihr   den  Magneten 
einen  gemischten  Körper  nennt,  den  Erdball  aber  einen  einfachen,  derirrtum  derer,  die 
doch  augenfällig  hunderttausendmal   zusammengesetzter   ist";   denn  ab-  einen  g^e^i^sc^h- 
gesehen   davon,   dafs   er   tausend   und   abertausend   ganz   von   einander  einen  einfachen 
verschiedene  Materien  enthält,  enthält  er   eine  grofse  Menge  von  dem 
Stoffe,  den  Ihr  gemischt  nennt,  nämlich  Magneteisen.    Das  kommt  mir 
ebenso  vor,  wie  wenn  man  das  Brot  einen  gemischten  Körper  neiuien 
wollte,  die  Ollapotrida  hingegen  einen  einhichen,  die  doch  aufser  hun- 
dert anderen  Zuthaten  auch   eine  ziemliche  Menge  von  Brot  enthält. '"')  ^^.^  poripatoti- 
In    der  That   es   kommt  mir    von    allen    Stückchen    der   Peripatetiker  «^^^^"Jf^'^;'^^" 
dieses   besonders    merkwürdig   vor:   sie   geben   zu   —   und    sie   können  ^^^'j'j''J^Yr"rüchlu. 
nicht   anders   als   es    zugeben    —    dafs   unser  Erdball   de  facto  ein  de- 


432  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [447.  448.] 

misch  von  unendlich  vielen  verschiedenen  Materien  ist;  sie  geben  des 
weiteren  zu,  dafs  zusammengesetzte  Körper  eine  zusammengesetzte 
Bewegung  haben  müssen;  zusammensetzen  lassen  sich  aber  nur  die 
geradlinige  und  die  kreisförmige  Bewegung,  insofern  die  beiden  gerad- 
linigen einander  entgegengesetzt,  also  mit  einander  unverträglich  sind. 
Sie  versichern,  das  reine  Element  der  Erde  finde  sich  nirgend,  sie 
räumen  ein,  dafs  diese  niemals  eine  Ortsbewegung  ausgeführt  habe 
und  gleichwohl  wollen  sie  in  der  Natur  den  Körper  setzen,  der  nicht 
existiert,  und  ihm  die  Bewegung  beilegen,  die  er  nun  und  nimmer 
ausgeführt  hat  oder  ausführen  wird;  dem  Körper  aber,  der  wirklich 
vorhanden  ist  imd  stets  vorhanden  war,  sprechen  sie  die  Bewegung 
wieder  ab,  welche  demselben  nach  ihrem  anfänglichen  Zugeständnis 
zukommen  mufs. 

Salv.  Ich  bitte  Euch,  Signore  Sagredo,  quälen  wir  uns  nicht 
weiter  mit  diesen  Einzelheiten  ab,  umsomehr  als  Ihr  wifst,  dafs  imser 
Zweck  nicht  gewesen  ist  eine  bestimmte  Entscheidung  zu  treffen,  die 
oder  jene  Meinung  als  wahr  hinzustellen,  sondern  nur  zu  unserem 
Vergnügen  die  Gründe  mid  Entgegnimgen  anzuführen,  die  sich  für 
die  eine  oder  andere  Partei  beibringen  lassen;  Signore  Simplicio  giebt 
daher  seine  Erwiderung  nur  im  Namen  seiner  Peripatetiker  ab.  Lassen 
wir  die  endgültige  Entscheidung  in  der  Schwebe,  stellen  wir  das  Ur- 
teil einem  höheren  Wissen  als  dem  unseren  anheim.  —  Da  ich  glaube, 
dafs  wir  in  den  letzten  drei  Tagen  uns  sehr  ausführlich  über  den 
Weltenbau  ausgesprochen  haben,  wird  es  nimmehr  an  der  Zeit  sein 
zu  der  hochwichtigen  Erscheinung  überzugehen,  welche  den  Anlafs  zu 
unseren  Gesijrächen  gegeben  hat,  ich  meine  die  Ebbe  und  Flut  des 
Meeres,  deren  Erklärung  wahrscheinlich  mit  den  Erdbewegungen  in 
Zusammenhang  zu  bringen  ist.  Wir  wollen  diesen  Gegenstand  jedoch, 
wenn  es  Euch  recht  ist,  für  morgen  aufsparen.  Inzwischen  möchte 
Eine  von  Giiberdoh.  uoch,  um  es  uicht  ZU  vergesscu.  Euch  auf  einen  besonderen  Um- 
wahrscheiniich  staud  aufmerksam  machen,  dem  Gilbert  meines  Dafürhaltens  nicht  das 
gesprochene  Wort  hätte  rcdeu  sollen.  Er  nimmt  nämlich  au,  dafs  wenn  ein  kleines 
Magnetkügelchen  vollständig  ins  Gleichgewicht  gebracht  werden  könnte, 
es  anfangen  mirde,  sich  um  sich  selber  zu  drehen.  Es  ist  aber  keinerlei 
Grund  vorhanden,  warum  es  da^  thun  sollte;  denn  wenn  sich  der  ganze 
Erdball  von  Natur  in  24  Stunden  -um  seinen  eigenen  Mittelpunkt  dreht 
und  auch  alle  seine  Teile  diese  Eigenschaft  besitzen  sollen,  nämlich  mit 
ihrem  Ganzen  zusammen  um  dessen  Älittelpunkt  in  24  Stunden  zu 
kreisen,  so  besitzen  sie  diese  thatsächlich,  insofern  sie,  auf  der  Erde  be- 
findlich, mit  ihr  zusammen  sich  im  Kreise  drehen.  Ihnen  eine  Rota- 
tion um  ihr   eigenes  Centrum  beileseu,  hiefse  ihnen   eine   zweite,   vou 


[448.  449.]        •  Dritter  Tag.  433 

der  ersten  selir  verschiedene  Bewegung  zuschreiben;  sie  würden  näm- 
lich dann  zwei  Bewegungen  haben,  die  24-stündige  Drehung  um  das 
Centrum  des  Ganzen,  dem  sie  angehören,  und  das  Rotieren  um  den 
eigenen  Mittelpunkt.  Diese  letztere  ist  aber  willkürlich  und  es  liegt 
kein  Grund  vor  sie  anzunehmen.  Wenn  beim  Herausnehmen  eines 
Magneten  aus  der  eine  natürliche  Einheit  bildenden  Masse  er  nun- 
mehr aufhörte  ihr  zu  folgen,  während  er  in  Verbindung  mit  dieser 
Masse  ihr  gefolgt  ist,  und  wenn  er  also  jetzt  sich  nicht  mehr  um  das 
allgemeine  Centrum  des  Balls  drehte,  könnte  man  vielleicht  mit  etwas 
gröfserer  Wahrscheinlichkeit  glauben,  er  sei  bestrebt  sich-  eine  neue 
Rotation  um  das  eigene  Centruni  anzueignen.  Da  er  aber,  getrennt 
so  gut  wie  verbunden,  immer  noch  seine  erste  ewige  natürliche  Be- 
wegungsart fortsetzt,  wozu  sich  noch  eine  andere  neue  auf  den  Hals  laden? 
Sagr.  Ich  verstehe  sehr  wohl.  Es  erinnert  mich  das  au  eine 
ähnliche,  ebenso  verfehlte  Erörterung,  die  von  gewissen  SchriftstellernHinfaUigkeitdes 
auf  dem  Gebiete  der  sphärischen  Astronomie ^^)  angestellt  wird,  unter  brachten  Be- 
anderen, wenn,  ich  mich  recht  erinnere,  von  Sacrohosco.  Um  zu  er-  Kugeiform  der 
läutern,  wieso  das  Element  des  Wassers  mitsamt  der  Erde  eine  kugel-  flache. 
förmige  Oberfläche  annimmt,  sodafs  aus  beiden  dieser  unser  Erdball 
hervorgeht,  schreibt  er,  dafür  zeige  sich  ein  zwingender  Grund,  wenn 
man  sich  nur  die  runde  Gestalt  der  kleinen  Wasserteilchen  ansehe,  wie 
man  solche  täglich  an  Wassertropfen,  am  Tau  und  auf  den  Blättern 
vieler  Pflanzen  beobachten  könne.  Da  nun  dem  allbekannten  Axiom 
zufolge  das  Ganze  sich  so  verhalte  wie  seine  Teile  und  die  Teile  diese 
Form  anzunehmen  streben,  so  sei  notwendig  eben  diese  Form  dem 
Elemente  in  seiner  Gesamtheit  eigentümlich.  Ich  halte  es  wirklich 
für  recht  liederlich,  dafs  solche  Leute  einer  so  offenbaren  Nichtig- 
keit sich  nicht  bewufst  werden,  nicht  in  Betracht  ziehen,  dafs  wenn 
diese  ihre  Ansicht  richtig  wäre,  nicht  nur  die  winzigen  Tropfen,  son- 
dern auch  jede  gröfsere  von  der  Gesamtheit  des  Elements  losgerissene 
Quantität  Wassers  Kugelgestalt  annehmen  müfste,  wovon  durchaus 
nichts  wahrzunehmen  ist.  Wohl  aber  läfst  sich  sinnlich  wahrnehmen 
und  aus  Vernunftgründen  begreifen,  warum  das  Element  des  Wassers 
sich  in  sphärischer  Form  um  dem  gemeinsamen  Schwerpunkt  zu 
lagern  strebt,  nach  dem  alle  schweren  Körper  einen  Trieb  haben  — 
nämUch  nach  dem  Mittelpunkte  des  Erdballs  —  und  dafs  alle  seine 
Teile  dem  Axiom  entsprechend  ihm  dabei  folgen;  daher  breiten  sich 
Meeresflächen,  die  Oberflächen  der  Seeen,  Teiche,  kurz  aller  Wasser- 
teile, die  in  Gefäfse  eingeschlossen  sind,  in  Kugelgestalt  aus,  aber  als 
Teile  der  Kugel,  die  zum  Centrum  den  Erdmittelpunkt  hat;  nicht  aber 
bilden  sie  besondere  Kugeln  aus  sich  selber. 

Galilki,  Weltsysteme.  28 


434  Dialog  üter  die  Weltsysteme.  [449.] 

Salv.  Der  Irrtum  ist  wirklicli  kindisch,  und  wenn  er  blofs  dem 
Sacrobosco  zur  Last  läge,  wollte  ich  es  gerne  hingehen  lassen;  aber 
ihn  auch  seinen  Kommentatoren  und  anderen  hedevitenden  Mämiern, 
ja  sogar  dem  Ptolemäus  zu  verzeihen,  das  vermag  ich  nicht,  ohne 
für  den  Ruhm  dieser  Männer  erröten  zu  müssen.  Doch  es  ist  schon 
spät  geworden  und  Zeit,  dafs  wir  Abschied  nehmen,  um  morgen  wie 
gewöhnlich  uns  wieder  einzufinden  imd  die  bisher  gepflogenen  Erörte- 
runo-en  ihrem  letzten  Ziele  zuzuführen. 


[451.  452.] 


Vierter  Tag/) 

Sagr.  Ich  weifs  nicht,  habt  Ihr  Euch  wirklich  später  als  sonst 
zu  unseren  gewöhnlichen  Gesprächen  eingefunden,  oder  täuscht  mich 
nur  meine  Sehnsucht,  die  Ideen  Signore  Salviatis  über  einen  so  inter- 
essanten Gegenstand  zu  hören.  Ich  habe  eine  gute  Stunde  am  Fenster 
gestanden  und  hoffte  jeden  Augenblick  die  Gondel  landen  zu  sehen, 
die  ich  geschickt  hatte  Euch  abzuholen. 

Salv.     Ich    glaube    wirklich,    dafs    mehr    Euere    Einbildung    als 
unsere  Säumigkeit  Euch  die  Zeit  hat  lange  werden  lassen.     Um  Euch 
nicht  noch  länger   warten   zu  lassen,  wird  es  gut   sein  keine  weiteren 
Worte  zu   verschwenden,   die  Sache  in  Angriff  zu  nehmen  und  nach- 
zuweisen: wie  die  Natur  gestattet  hat  —  sei  dies  nun  der  wahre  Sach-pie  Natur  läfst 
verhalt  oder  nur  ein  Scherz,  gleichsam  ein  Spiel,  das  sie  mit  unseren  und  Fiut  des 
Phantasieen  treibt  —  wie  die  Natur   gestattet  hat,  sage  ich,  dafs  diems  für  die  Erd. 
Bewegungen,   die   aus    ganz   anderen  Ursachen  als  um  der  Ebbe  und     scheinen^ 
Flut  willen  seit  langem  der  Erde  beigelegt  worden  sind,  nachträglich 
eine    ganz    exakte  Erklärung    dieser  Erscheinung    abgeben,    und    dafs 
gleicher mafsen  umgekehrt  eben  diese  Ebbe  und  Flut  von  neuem  Zeug-  nie  Meeresge- 
nis  für  die  Erdbewegung  abzulegen  scheint.    Die  bisherigen  Anzeichen  Erdbewegung 
für  eine   solche  bezogen   sich  nämlich  auf  Himmelserscheinungen,  da  and'er^gege^' 
von  allen  irdischen  Vorgängen  keiner  der  einen  Ansicht   auf  Kosten       ^"  '^" 
der  anderen  einen  Vorzug  einräumte,  wie  wir  denn  bereits  des  Langen 
und   Breiten  nachgewiesen  haben,    dafs  alle  irdischen  Erscheinungen,  irdische  Er- 
wegen   deren  gemeinhin   die  Erde   als  fest,  die  Sonne  und  das  Firma-  sämtii^h^unru- 
ment  aber  als  beweglich  angesehen  werden,  uns  genau  denselben  Schein  Nachwoirdtr" 
erwecken  müssen,  wenn  man  die  Erde  als  beweglich,  jene  als  fest  be-  deT^R^e  dtr' 
trachtet.     Nur  an   dem  Elemente   des  Wassers,   das  eine  solch  unge- '"naiiml^er"^' 
heuere  Ausdehnung  besitzt  und   mit  dem  Erdball  nicht  wie  sämtliche    ^°"^8^^®'*«"- 
festen  Bestandteile   eng   verbunden  und  verknüpft  ist,  sondern  infolge 
seiner  Flüssigkeit  teilweise  unter  eigener  Botmäfsigkeit  steht  imd  frei 
ist   —   einzig  und   allein  an   dem  Elemente   des   Wassers  .von  allem, 
was  da  unter  dem  Monde,  können  wir  möglicherweise   eine  Spur,  ein 
Anzeichen   finden,    das   uns   verrät,   wie    die   Erde   sich   bezüglich   der 


436  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [452.  453.] 

Bewegung  oder  Ruhe  verhält.     Nachdem   ich   wieder  uiid  immer  wie- 
der die  selbstbeobachteten  und  von  anderen  mitgeteilten  Erscheinungen 
und  Besonderheiten   bei   mir   erwogen  habe,   die   bei  den  Bewegungen 
der  Gewässer  wahrzunehmen  sind,  nachdem  ich  gar  die  nichtigen  Er- 
Erster  aiige-  klärungcn  dicscr  Erscheinungen  seitens  anderer  gelesen,  habe  ich  mich 
de^'unmögiich- stark   iu  Versuchung  gefühlt,   folgenden   beiden  Thesen   —   unter   den 
und  ^'^it  bei  notwendigen  Voraussetzungen  —  meine  Billigung  zu  erteilen.    Ist  der 
"d^^lrde.  "'Erdball  unbeweglich,   so  kann  von  Natur  aus  keine   Ebbe  und  Flut 
stattfinden;  giebt  man  ihm  aber  die  Bewegungen,  die  ihm  schon  ohne- 
hin  zugeschrieben    werden,    so    mufs   das    Meer   ganz    in   der   den  Be- 
obachtungen entsprechenden  Weise  der  Ebbe  und  Flut  unterliegen. 

Sagr.  Der  Satz  ist  hochbedeutsam,  sowohl  um  seiner  selbst  willen, 
wie  auch  der  aus  ihm  entspringenden  Folgen  wegen.  Um  so  gespann- 
ter sehe  ich  der  Erläuterung  und  Bestätigung  dieser  Behauptung  ent- 
gegen. 

Salv.  Bei  naturwissenschaftlichen  Fragen,  wie  wir  hier  eine  bc; 
Vertrautheit  mithandeln,  ist  es  die  Vertrautheit  mit  den  Wirkungen,  die  uns  lehrt -die 
führt  zur  Erfor-Ürsachen  zu  erforschen  und  aufzufinden.  •  Ohne  diese  würden  wir 
machen.  einem  Blinden  gleich  umhertappen,  ja  noch  unsicherer,  denn  wir 
wüfsten  nicht  einmal,  welchem  Ziele  wir  zusteuern  sollen,  während 
der  Blinde  doch  wenigstens  weifs,  wohin  er  gelangen  möchte.  Vor 
allem  müssen  wir  daher  die  Wirkungen  kennen  lernen,  deren  Ursachen 
wir  suchen.  Ihr,  Signore  Sagredo,  wifst  darüber  jedenfalls  besser  und 
zuverlässiger  Bescheid  als  ich;  denn  nicht  nur  habt  Ihr  lange  in  Euerer 
Vaterstadt  Venedig  gelebt,  wo  die  Gezeiten  ihrer  Gröfse  wegen  sehr 
merklich  sind,  sondern  seid  auch  nach  Syrien  gekommen-)  und  regen, 
wifsbegierigen  Geistes,  wie  Ihr  seid,  habt  Ihr  sicherlich  vielfache  Be- 
obachtungen angestellt.  Ich  hingegen  habe  nur  kurze  Zeit  hier  am 
äufsersten  Ende  des  adriatischeu  Meeres  und  aufserdem  in  meiner 
Heimat  an  den  Küsten  des  Tyrrhenischeu  die  Fluterscheinungen  be- 
obachten können,  in  vielen  anderen  Dingen  mufs  ich  mich  auf  fremde 
Berichte  beziehen.  Diese  stimmen  gröfstenteils  schlecht  überein,  sind 
also  sehr  unzuverlässig  imd  können  daher  in  unsere  Betrachtungen 
eher  Verworrenheit  bringen  als  ihnen  zur  Bestätigung  dienen.  Gleich- 
wohl glaube  ich,  von  den  verbürgten  und  zugleich  wichtigsten  That- 
sachen  ausgehend,  die  wahren,  ursprünglichen  Ursachen  auffinden  zu 
können,  ohne  dafs  ich  mir  jedoch  amnafse  alle  Gründe  bis  ins  einzelne 
hinein  beibringen  zu  können,  sodafs  damit  eine  vollkommene  Erklärung 
mir  unbekannter  und  daher  noch  nicht  von  mir  geprüfter  Thatsachen 
gegeben  wäre.  Was  ich  zu  sagen  gedenke,  möchte  ich  nur  als  den 
Schlüssel  betrachtet  wissen,  der  das  Zusanssthor  einer  noch  niemals 


[453.  454.]  Vierter  Tag.  437 

betreteiien  Strafse  erscliliefst;  ich  lebe  der  zuversiclitliclien  Hoffnung, 
dafs  Männer  von  tiefer  eindringendem  Geiste  als  ich  sehr  viel  weiter 
fortschreiten  und  vorwärts  gelangen,  als  es  mir  hei  dieser  ersten  Ent- 
deckungsreise gelungen  ist.  Und  wenn  auch  vielleicht  in  anderen 
fernen  Meeren  Erscheinungen  auftreten,  wie  sie  in  unserem  mittel- 
ländischen Meere  nicht  vorkommen,  so  werden  darum  die  von  mir 
angeführten  Gründe  und  Ursachen  nicht  minder  richtig  sein,  da  schliefs- 
lich  doch  die  wahre  und  ursprüngliche  Ursache  gleichartiger  Wir- 
kungen eine  einheitliche  sein  mufs.  Ich  werde  also  eine  Darstellung 
der  mir  als  wahr  bekannten  Erscheinungen  geben,  sie  auf  die  mir 
richtig  scheinende  Weise  begründen,  und  Ihr,  meine  Herren,  mögt  noch 
andere  Euch  bekannte  Thatsachen  zu  den  meinigen  hinzufügen;  wir 
werden  alsdann  versuchen,  ob  die  von  mir  angegebene  Erklärung  auch 
diese  befriedigend  zu  erklären  vermag. 

Ich  konstatiere  also,  dafs  sich  bei  der  Ebbe  und  Flut  der  Meeres- 
gewässer drei  Perioden  unterscheiden  lassen.     Die  erste  und  wichtigste     Dreifache 
ist  jene  bedeutende  allbekannte,  die  tägliche  Periode;  ihr  zufolge  heben  zelten,  tügUche, 
und  senken  sich   die  Gewässer   im  Zeitiutervall   von  einigen  Stunden.     jahrUche. 
Diese  Intervalle  betragen  im  mittelländischen  Meere  meist  etwa  sechs 
Stunden;  sechs  Stunden  nämlich  findet  ein  Steigen,  sechs  weitere  Stun- 
den   ein  Fallen    statt.      Die    zweite  Periode    ist    eine  monatliche  und 
scheint  in  ursächlichem  Zusammenhange   mit  dem  Monde   zu   stehen: 
nicht  als  ob  er  neue  Bewegungen  veranlafste,  er  ändert  nur  in  merk- 
licher Weise  den  Betrag  der  bereits  erwähnten  ab,  je  nachdem  er  voll, 
halb   oder  neu  ist.     Die   dritte  Periode  ist    eine  jährliche  imd  erweist 
sich  als   abhängig  von   der  Sonne;  aber  auch   sie   modifiziert  nur  die 
täglichen  Bewegungen,  indem  sie  ihnen  nämlich  zur  Zeit  der  Solstitien 
einen  anderen  Betrag  erteilt  als  zur  Zeit  der  Äquinoktien. 

Wir   wollen  zuerst  von    der  täglichen  Periode    sprechen  als   der 
hauptsächlichsten,    welche    nur    sekundär    durch   die  Einwirkmig    von 
Mond  und  Sonne  monatliche  und  jährliche  Änderungen  erfährt.     Drei 
verschiedene  Umstände  lassen  sich  bei  diesen  stündlichen  iVnderungenverachiedenebei 
beobachten:   an  manchen  Orten   steigen  und  fallen   die  Wasser,   ohne  wegung  auf-^" 
fortschreitende  Bewegung  zu  besitzen;    an  anderen  bewegen  sie   sich,       stände. 
ohne  zu  steigen  und  zu  fallen,  einmal  gegen  Osten  und  darauf  Avieder 
zurück  nach  Westen;  an  anderen  endlich  wechseln  gleichzeitig  Niveau 
und  Bewegungsrichtimg,   wie  es  hier  in  Venedig  der  Fall  ist,  wo  das 
Wasser  beim  Einfliefsen   steigt,  beim  Abfiiefsen  sinkt;  es  findet  dies 
am  Ende  der  Längsrichtung  von  Buchten  statt,  welche  sich  von  West 
nach    Ost    erstrecken    und    in    flache   Küsten    auslaufen,    über    denen 
das  Wasser  beim  Steigen  Platz  hat  sich  auszubreiten;  wäre    ihm  der 


438  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [454.  455.] 

Raum  durch  Berge  oder  Dämme  von  ansehnlicher  Höhe  abgeschnitten, 
so  würde  es  dort  steigen  oder  fallen,  ohne  eine  fortschreitende  Be- 
wegung zu  zeigen.  Ein  Hin-  und  Widerströmen  hingegen  ohne  gleich- 
zeitige Niveauänderimg  findet  in  den  mittleren  Meeresteilen  statt,  wie 
am  deutlichsten  in  der  Meerenge  von  Messina  zwischen  Scylla  und 
Charybdis  sich  zeigt,  weil  dort  die  Strömung  wegen  der  geringen 
Breite  des  Kanals  am  lebhaftesten  ist.  Aber  auch  auf  dem  offenen 
Meere  und  rings  um  die  darin  gelegenen  Inseln,  wie  an  den  Balearen, 
bei  Korsika,  Sardinien,  Elba,  Sicilieu,  au  der  afrikanischen  Küste,  bei 
Malta,  Kandia  u.  s.  w.  sind  die  Höhenunterschiede  sehr  unbedeutend, 
wohl  aber  die  Strömungen  merklich  imd  namentlich  an  solchen  Stellen, 
Avo  das  Meer  zwischen  Inseln  oder  zwischen  diesen  und  dem  Fest- 
lande enge  Kanäle  bildet. 

Diese  wenigen  wahren  und  verbürgten  Thatsachen  müssen  nun 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  wenn  auch  sonst  nichts  vorläge,  jeden, 
der  sich  in  den  Grenzen  einer  natürlichen  Erklärung  halten  will,  ge- 
neigt machen  die  Erdbewegung  zuzugeben.  Denn  das  Becken  des 
mittelländischen  Meeres  festhalten  zu  wollen  und  doch  das  darin  ent- 
haltene Wasser  sich  so  bewegen  zu  lassen,  wie  es  sich  bewegt,  über- 
steigt meine  Fassimgsgabe,  und  wohl  die  eines  jeden  anderen,  der 
nicht  nur  die  Oberfläche  des  Gegenstandes  streift,  sondern  tiefer  ein- 
zudringen versucht. 

Simpl.      Diese    Erscheinungen,    Signore   Salviati,    sind   nicht    von 
heute,   sondern  uralt,  und  unzählige  Beobachter  haben    sie    bemerkt; 
viele  haben  es  sich  angelegen  sein  lassen,  eine  Begründung  zu  geben, 
einer  diese,   der   andere  jene.      So   lebt  wenige  Miglien  von  hier  ein 
bedeutender  Peripatetiker,  der  eine  neue  Erklärung  aufstellt  und  zwar 
Erklärimg  von  auf  Gruud  einer  von  den  Auslegern  nicht  genügend   beachteten  Stelle 
nach  eiSem  ge- des  Aristotcles;  er  schliefst  aus  dieser  Stelle,  die  wahre  Ursache  jener 
"phiiosophen.^"Bewegungen  schreibe  sich  einfach  von  der  Yerschiedeulieit  der  Meeres- 
tiefen her.    Das  Wasser  der  tiefsten  Stellen  verdränge  seiner  gröfseren 
Menge   und  seines   gröfseren  Gewichtes   wegen  das  Wasser  der  seich- 
teren Stellen,  diese  hätten   sodann,  das  Bestreben  von  ihrer  gröfseren 
Höhe    wieder   hinabzusinken,    und    aus    diesem    beständigen   Wechsel- 
kampfe ergebe  sich  dann  das  Spiel  von  Ebbe  und  Flut.     Ferner  sind 
viele,  die  einen  Zusammenhang  mit  dem  Monde  annehmen,  indem  sie 
Ursache  von  sagcu,   dafs   cr  spcciellc    Herrschaft   über  das  Wasser  übe.     Ganz  vor 
voii''eüi"em  ge-  kurzem  hat  ein  geistlicher  Würdenträger  eine  kleine  Abhandlung  ver- 
dem'^Monde''z''u-öflfentlicht,   woriu  er   sagt,   der   Mond  werfe,  während  er  am  Himmel 
hinzieht,  durch  seine  Anziehung  einen  Wasserhügel  auf,  welcher  ihm 
beständig  folge,   sodafs   die   Fluthöhe   stets   gerade   unter   dem  Monde 


[455.  456.]  Vierter  Tag.  439 

liege.     Da  imii  aber,  weiiii  der  Mond  unter   dem  Horizonte  stellt,  das 
Steigen  dennoch  sich  erneuert,  so  lasse  sich,  meint  er,  zur  Erklärung 
der  Erscheinung  nur  annehmen;  dafs  dem  Monde  nicht  nur  selber  ge- 
nannte Eigenschaft    innewohnt,    sondern    dafs   er  in  diesem  Falle   sie 
auch   auf  den   gegenüberliegenden   Punkt   des  Zodiakus    zu  übertragen 
imstande   ist.      Andere   behaupten,    wie  Ihr  vermutlich  wissen  werdet,  oiroktmo  Born, 
dafs  der  Mond  infolge  seiner  temperierten  Wärme  das  AVasser  zu  ver-"  pafeuker  bc" 
dünnen  vermag  imd  dafs  dieses   verdünnte  Wasser   dann   in   die  Höhe  "und"  Fiut  mu 
steigt.^)     Auch  hat  es  nicht  an  Leuten  gefehlt,  die  .  .  .  wärmedesMon- 

Sagr.  Ich  bitte  Euch,  Signore  Simplicio,  hört  damit  auf;  demi 
ich  glaube,  es  lohnt  sich  nicht  der  Mühe,  die  Zeit  mit  Aufzählung 
dieser  Meinungen  zu  vergeuden,  noch  zu  ihrer  Widerlegung  Worte  zu 
verschwenden.  Wenn  Ihr  diesen  imd  ähnlichen  Nichtigkeiten  Eueren 
Beifall  zolltet,  würdet  Ihr  Euere  Urteilskraft  verleugnen,  die  doch,  wie 
wir  wissen,  eine  so  geläuterte  ist. 

Salv.      Ich,   der   ich   etwas   phlegmatischer  bin    als  Ihr,   Signore 
Sagredo,  möchte  doch  mit  einigen  Worten-  auf  die  von  Signore  Sim- 
plicio berührten  Ansichten  eingehen  .für  den  Fall,    dafs    er  in  ihnen  Entgegnung  auf 
ein  Körnchen  von  Wahrheit  vermuten   sollte.     So  erwidere  ich  denn:  ten,  weiche  zur 
dasjenige  Wasser,   Signore  Simplicio,   dessen  äufsere  Oberfläche  höher  Ebbe^unTriut 
gelegen    ist,    verdrängt    allerdings    das    imter   ihm    gelegene    tiefere; '''^^'^  den.  ^^' 
nicht    so   aber    das    Wasser,    welches   nach  unten   hin    gröfsere    Tiefe 
besitzt;  hat  dann  das  höher  gelegene  Wasser  einmal  das  tiefere  ver- 
drängt,   so    kommt   es    binnen    kurzem    zur   Ruhe    und    ins    Gleich- 
gewicht.    Euer  Peripatetiker    mufs   der   Ansicht  sein,  dafs   alle   Seen 
der  Welt,   die   sich  in  Ruhe   befinden,   und  alle  Meere,   welche  keine 
Ebbe  und  Flut  zeigen,  einen  vollständig  ebenen  Boden  besitzen.    Und 
ich  war  immer  so  thöricht  zu  glauben,  dafs,  wemi  keine  anderen  Un- 
regelmäfsigkeiten  vorhanden  wären,  doch  die  über  das  Wasser  empor- nie  insein  sind 
ragenden  Inseln  ein  sehr  deutlicher  Beweis  für  die  Ungleichheiten  desmrdieun'^gieich- 
Bodens   seien.     Jenem  Prälaten   könnt  Ihr    erwidern,   dafs   der  Mond  Meeresbodens. 
jeden  Tag    über    das    ganze  mittelländische  Meer   hinläuft,    ohne    das 
Wasser  zu  heben,  ausgenommen  am  östlichen  Ende  und  hier  bei  uns 
in  Venedig.     Den  Anhängern  der  Lehre  von  der  temperierten  Wärme, 
durch  welche  das  Wasser  aufgebläht  werde,    saget,  sie  möchten    doch 
einen  Kessel  aufs  Wasser  setzen  und  die  rechte  Hand  solange  hinein- 
halten, bis  das  Wasser  durch  die  Wärme  nur  einen  Zoll  steigt;  nach- 
her  mögen   sie   sie   herausziehen   und  sehen,   ob  sie  noch  Lust  haben 
über  die  Aufblähung  des  Meeres  zu  schreiben.    Oder  bittet  sie  wenig- 
stens um  Bescheid,  wieso   der  Mond   gewisse  Teile  der  Gewässer  ver- 
dünnt,  die   übrigen   hingegen  nicht;   wieso   er   hier   in  Venedig   diese 


440  Dialog  übei  die  Weltsysteme.  [456.  457.] 

Wirkung  ausübt,  nicht  aber  in  Ancona,  Neapel  oder  Genua.    Es  mufs 
Zwei  Artea   in  der  That  zwei  Arten  poetiscb  angelegter  Naturen  geben,  die  einen 
legtwNat'urra.  geschickt  uud   fähig   Fabeln  zu   erfinden,   die    anderen   dazu  angethan 
und  geneigt  sie  zu  glauben. 

Simpl.    Ich  meine  nicht,  dafs  man  an  Fabeln  glaubt,  weim  man  sie 
als  solche  erkennt.    Was  die  zahlreichen  Ansichten  über  die  Ursachen 
von  Ebbe   und  Flut  betrifft,   so   weifs  ich  recht   wohl  und  bin  voll- 
kommen überzeugt,    dafs   zu  einer  und   derselben  Wirkung  nur   eine 
ursprüngliche   und  wahrhafte   Ursache   gehören  kann,  dafs  also  höch- 
stens eine  jener  Ursachen  die  wahre  sein  kann,  alle  übrigen  Erdich- 
timgen  und  Irrtümer   sein  müssen.     Vielleicht  auch  befindet  sich  die 
richtige   Erklärung   nicht   vmter   den    bisher  vorgebrachten  Ansichten; 
denn  es  müfste  sonderbar  zugehen,  wenn  von  der  Wahrheit  so  wenig 
Die  Wahrheit  Licht  ausstrahltc,   dafs   sie   durch  nichts   aus   der  Finsternis   der  um- 
wenig Licht  au8,gebenden   Irrtümer    hervorstäche.      Ich    erlaube    mir  jedoch   mit    der 
Finsterois  des  uutcr  uns   statthaften  Offenheit   die  Bemerkimg,  dafs    die  Lehre   von 
merkt  bliebe,  der  ErdbcAvegung  und   die  'Ansicht,   diese   sei  die  Ursache  von  Ebbe 
und  Flut  mir  bis  jetzt  ebenso  niärchenhaft  vorkommt  als  alle  anderen 
mir  bekannt  gewordenen  Erklärungsversuche.    Wemi  ich  nicht  Gründe 
.    zu  hören  bekomme,   die  in   besserer  Übereinstimmung  mit  den  That- 
sachen    der   Natur   stehen,    würde    ich    sonder    Scheu    mich   zu    dem 
Glauben  bequemen,  es  handle    sich  um    eine  übernatürliche  Erschei- 
nung, also  um  ein  Wunder,   welches   für  den  menschlichen  Geist  un- 
erforschlich  ist  wie   so   viele   andere   Dinge,   die  unmittelbar  von  der 
allmächtigen  Hand  Gottes  gelenkt  werden. 

Salv.  Die  Art,  wie  Ihr  Eueren  Standpunkt  darlegt,  ist  sehr  klug 
Aristoteles  er-  und  steht  auch  in  Übereinstimmung  mit  der  Lehre  des  Aristoteles, 
scheinuugen  fiirlhr  wifst,  wic  dieser  am  Anfange  seiner  mechanischen  Probleme  als 
Ursachen  uabe- Wunder  allcs  das  erklärt,  dessen  Ursache  uns  verborgen  ist.'')  Dafür 
aber,  dafs  die  wahre  Ursache  der  Gezeiten  zu  dem  Unerforschlichen 
gehöre,  habt  Ihr  vermutlich  keinen  anderen  Anhaltspunkt,  als  dafs 
Ihr  bemerkt,  wie,  unter  allen  bisherigen  Erklärungsversuchen  keiner 
ist,  auf  Grund  dessen,  mag  man  sich  anstellen,  wie  man  will,  eine 
ähnliche  Erscheinmig  künstlich  hervorgerufen  werden  kann.  Weder 
mit  Mond-  noch  mit  Sonnenlicht,  noch  mit  temperierter  Wärme,  noch 
durch  verschiedene  Tiefen  wird  man  jemals  künstlich  bewirken  können, 
dafs  in  einem  unbewegten  Gefäfse  das  darin  enthaltene  Wasser  hin- 
und  widerströmt,  an  einer  Stelle  steigt  und  fällt,  an  anderen  nicht. 
Wenn  ich  Euch  aber  ohne  jeden  besonderen  Kunstgriff,  auf  die  ein- 
fachste Weise,  durch  Bewegung  des  Gefäfses.  alle  jene  Anderimgen 
genau  so   vor  Augen  führen  kann,   wie  sie   bei  den  Meeresgewässern 


[457.  458.]  Vierter  Tag.  441 

stattfinden,  warum  wollt  Ihr  diese  Erklärung  dann  von  der  Hand 
weisen  und  zum  Wunder  Euere  Zuflucht  nehmen? 

Simpl.  Ich  will  zum  Wunder  meine  Zuflucht  nehmen,  wemi  Ihr 
durch  keine  anderen  natürlichen  Ursachen  als  durch  die  Bewegung  der 
Meeresbecken  mich  davon  zurückzuhalten  wifst,  und  zwar  deshalb,  weil 
diese  Becken,  wie  ich  überzeugt  bin,  sich  nicht  bewegen,  der  ganze 
Erdball  vielmehr  von  Natur  unbewegt  ist. 

Salv.  Aber  glaubt  Ihr  nicht,  dafs  der  Erdball  übernatürlich,  d.  h. 
durch  die  imbeschränkte  Macht  Gottes,  in  Bewegung  gesetzt  werden 
kömite? 

Simpl.     Wer  möchte  das  bezweifeln? 

Salv.  Nun,  Signore  Simplicio, .  da  uns  denn  die  Annahme  eines 
Wunders  unentbehrlich  ist,  um  die  Meeresgezeiten  zu  erklären,  wollen 
wir  die  Erde  durch  ein  Wunder  und  infolge  dessen  das  Meer  auf  natür- 
liche Weise  sich  bewegen  lassen.  Dies  ist  um  so  einfacher,  ich  möchte 
sagen  um  so  natürlicher  auf  dem  Gebiete  des  Wunders,  als  es  leichter 
ist  eine.  Kugel  in  Drehung  zu  versetzen  —  wovon  wir  so  viele  Beispiele 
sehen  —  als  eine  ungeheuere  Wassermasse  vor-  und  rückwärts  zu  be- 
wegen, hier  schneller,  dort  langsamer,  sie  zu  heben  und  zu  senken, 
hier  mehr,  dort  weniger,  dort  gar  nicht,  und  alle  diese  Vorgänge  in 
einem  und  demselben  sie  umfassenden  Becken  sich  abspielen  zu  lassen; 
abgesehen  davon,  dafs  in  letztgenanntem  Falle  mehrere  Wunder  vor- 
lägen, in  ersterem  nur  eines.  Nehmt  hinzu,  dafs  die  wunderbare  Be- 
wegung des  Wassers  ein  weiteres  Wunder  nötig  macht:  die  Erde  näm- 
lich gegenüber  dem  andrängenden  Wasser  festzuhalten,  da  dieses  sie 
bald  nach  dieser,  bald  nach  jener  Richtung  in  schwankende  Bewegimg 
versetzen  müfste,  sobald  sie  nicht  durch  ein  neues  Wunder  fest- 
gehalten würde. 

Sagr.  Ich  bitte  Euch,  Signore  Simplicio,  vertagen  wir  ein  Weilchen 
unsere  Entscheidung,  ehe  wir  die  neue  Ansicht  verurteilen,  die  uns 
Signore  Salviati  auseinandersetzen  will,  und  werfen  wir  sie  nicht  ohne 
weiteres  in  einen  Topf  mit  den  früheren  Albernheiten.  Was  das 
Wunder  angeht,  so  wollen  wir  gleichfalls  darauf  zurückkommen,  wenn 
wir  erst  den  Versuch  einer  natürhchen  Erklärung  gehört  haben;  Avie-. 
wohl,  meiner  Empfindmig  nach,  alle  Werke  der  Natur  und  Gottes 
Wimder  darstellen. 

Salv.  Ich  bin  der  gleichen  Ansicht,  und  wenn  man  daher  die 
Erdbewegung  als  natürliche  Ursache. der  Meeresgezeiten  betrachtet,  so 
wird  damit  nicht  das  Wunderbare  dieses  Vorgangs  in  Abrede  gestellt. 
—  Um  imn  unsere  Untersuchimg  wieder  aufzimehmen,  betone  ich  aber- 
mals und  wiederhole,  dafs  sich  bis  jetzt  keine  Möglichkeit  absehen  läfst, 


442  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [458.  4.59.] 

wieso  das  Wasser  des  mittelländisclien  Meeres  die  tliatsächlicli  zu  be- 
obacliteuden  Bewegungen  ausfülirt,  sobald  das  die  Gewässer  ein- 
scliliefsende  Becken  oder  Gefäfs  als  unbewegt  angesehen  wird.  Was  die 
Schwierigkeit  bedingt  und  was  diese  Materie  so  unauflöslich  verwickelt 
macht^  sind  die  nachstehenden  Thatsachen,  die  man  täglich  beobachten 
kann.  So  merkt  denn  auf. 
Nachweis  der  Wir  siud  hier  in  Venedig,  es  herrscht  Ebbe,  das  Meer  ist  ruhig, 

"äne'f  natür-*  die  Luft  stiUe.  Nun  beginnt  das  Wasser  zu  steigen  und  nach  Verlauf 
^von^Ebb'e^üd^von  fünf  bis  sechs  Stunden  steht  es  mehr  als  zehn  Spannen  höher. '') 
luüime  des  stüie-Dieses  Steigen  ist  nicht  durch  eine  Verdüimmig  des  anfänglich  vor- 
iderErde.j^^^^^^g^^  soudcru  durch  Zuströmen  neuen  Wassers  bewirkt,  Wassers 
von  derselben  Art  wie  das  ursprüngliche,  von  demselben  Salzgehalte, 
von  derselben  Dichtigkeit,  demselben  Gewichte.  Alle  Fahrzeuge 
schwimmen  ebenso  auf  ihm,  Signore  Simplicio,  wie  auf  dem  früheren, 
ohne  um  Haaresbreite  tiefer  einzutauchen;  ein  mit  diesem  neuen  Wasser 
gefülltes  Fafs  wiegt  kein  Gran  mehr  noch  weniger  als  dieselbe  Menge 
des  anderen  Wassers:  kurz  es  handelt  sich  sichtlich  um  neuerdings 
durch  die  Einschnitte  und  Öffnungen  des  Lido  eingeströmtes  Wasser.'') 
Macht  Ihr  nunmehr  ausfindig,  wie  und  von  wannen  es  gekommen  ist. 
Sind  in  hiesiger  Gegend  vielleicht  Strudel  oder  Löcher  auf  dem  Meeres- 
boden, durch  welche  die  Erde  das  Wasser  anzieht  und  einsaugt  und 
ähnlich  atmet,  wie  ein  ungeheuerer  über  die  Mafsen  grofser  Walfisch?'') 
Wenn  dem  aber  so  ist,  warum  hebt  sich  die  Flut  in  Ancona,  Ragusa, 
Korfu  in  Zeit  von  sechs  Stunden  nicht  ebenso  sehr?  Dort  aber  findet 
nur  ein  sehr  unbedeutendes,  fast  unmerkliches  Steigen  statt.  Wie  will 
man  eine  Art  und  Weise  ersinnen,  um  neues  Wasser  in  ein  unbewegtes 
Gefäfs  einzugiefsen  derart,  dafs  es  nur  an  einem  bestimmten  Punkte 
steigt,  aber  an  keinem  anderen?  Werdet  Ihr  etwa  behaupten,  das  neue 
Wasser  sei  dem  Ozean  entnommen  und  ströme  durch  die  Strafse  von 
Gibraltar  ein?  Dadurch  lassen  sich  die  genannten  Schwierigkeiten  nicht 
beseitigen  und  es  erwachsen  neue  gröfsere.  Zunächst  sagt  mir,  was 
für  eine  Geschwindigkeit  müfste  das  durch,  die  Meerenge  einströmende 
Wasser  besitzen,  um  binnen  sechs  Stunden  an  den  entlegensten,  zwei- 
.bis  dreitausend  Miglien  entfernten  Küsten  des  mittelländischen  Meeres 
einzutreffen  und  um  ■  dieselbe  Strecke  bei  seinem  Rückwege  abermals 
in  der  nämlichen  Zeit  zurückzulegen?  Was  soll  aus  den  Schiffen  werden, 
die  über  das  Meer  hin  zerstreut  sind?  was  aus  den  Fahrzeugen,  welche 
sich  in  der  Meerenge  befinden,  während  ungeheuere  Wassermassen  be- 
ständig durch  einen  nur  acht  Miglien  breiten  Kanal  hineinstürzen,  der  in 
sechs  Stunden  soviel  Wasser  durchlassen  mufs,  dafs  eine  Hund'erte  von 
Miglien   breite   und  Tausende   von  Miglien  lange  Fläche   damit  über- 


[459.  460.]  Vierter  Tag.  443 

schwemmt  wird?  Welclier  Tiger  läuft,  welcher  Falke  fliegt  mit  solcher 
Schnelligkeit?  jnit  einer  Schnelligkeit  nämlich  von  vierhundert  oder 
mehr  Miglien  in  der  Stunde.  Allerdings  finden  in  der  Längsrichtung 
des  Meerbusens  Strömungen  statt,  ich  leugne  es  nicht;  sie  sind  aber 
so  langsam,  dafs  Ruderboote,  wenn  auch  nicht  ohne  Zeiteinbufse,  sie 
überwinden.  Überdies  bleibt,  wenn  jenes  Wasser  durch  die  Meerenge 
einströmt,  immer  noch  die  andere  Schwierigkeit  bestehen,  nämlich 
wieso  es  sich  gerade  hierher  begiebt  und  in  diesem  entlegenen  Teile  ein 
Steigen  verursacht,  ohne  vorher  in  gleichem  oder  noch  gröfserem  Be- 
trag ein  Steigen  an  den  nächst  gelegenen  Orten  zu  bewirken?  Kurz 
ich  glaube,  das  ausdauerndste  Nachdenken  wird  aus  diesen  Schwierig- 
keiten sich  nicht  herausfinden,  noch  in  Anbetracht  derselben  an  der 
Unbewegtheit  der  Erde  festhalten  können,  solange  man  sich  in  den 
Grenzen  einer  natürlichen  Erklärung  bewegen  will. 

Sagr.  Dies  verstehe  ich  soweit  ganz  gut.  Ich  erwarte  nun  mit 
höchster  Spannung  zu  vernehmen,  wie  diese  wunderbaren  Vorgänge 
aus  den  der  Erde  beigelegten  Bewegungen  sich  ohne  Anstofs  ergeben. 

Salv.  Sollen  jene  Erscheinungen  Folge  der  natürlichen  Erd- 
bewegungen sein,  so  dürfen  sie  nicht  nur  nicht  zu  einem  Widerspruch 
oder  zu  etwas  Anstöfsigem  führen,  sie  müssen  auch  leicht  und  nicht 
nur  leicht,  sondern  mit  Notwendigkeit  daraus  folgen,  derart  dafs  mi- wahrhaft  uatür- 
möglich  der  Vorgang  ein  anderer  sein  kann-,  das  nämlich  ist  dicerfoigen  stets  mit 
charakteristische  Eigentümlichkeit  des  Natürlichen  und  Wahren.  Nach- 
dem wir  also  die  Unmöglichkeit  festgestellt,  die  an  den  Gewässern 
wahrzunehmenden  Bewegungen  unter  gleichzeitigem  Festhalten  an  der 
Unbeweglichkeit  des  Wasserbeckens  zu  erklären,  gehen  wir  dazu 
über  zu  versuchen,  ob  die  Bewegung  des  Behälters  ihrerseits  eine  Wir- 
kimg hervorzubringen  vermag,  deren  Eigentümlichkeit  den  beobachteten 
Thatsachen  entspricht. 

Zwei  Arten  von  Bewegungen  lassen  sich  einem  Geföfse  mitteilen, zwei  Arten  von 
welche   die  Möglichkeit  schafien,    dafs   das  in  ihm  enthaltene  Wasser     Behälters, 
bald  nach  dem  einen,  bald  nach  dem  anderen  Ende  strömt  mid  dortemhaUene*  was- 
bald    steigt,   bald   fällt.     Einmal   brauchte    man   nur   abwechselnd   das   fauen  lassen 
eine  und  andere   genannter  Enden   zu  senken,   das  Wasser  wird  dann 
nach  dem  geneigten  Ende  laufen  uiid   bald  auf  dieser,  bald  auf  jener 
Seite  steigen  und  fallen.     Da  dieses  Heben  und  Senken  jedoch  nichts 
Anderes  ist  als  ein  Entfernen  und  Annähern  an  den  Erdmittelpunkt,  so 
läfst  sich  unmöglich  den  Wasserbecken,  die  der  Erde  selbst  angehören,  nie  Becken  der 
eine    derartige   Bewegung    beilegen.     Denn   die    Teile    dieser   BehältersichdereuMm^i- 
kömien  niemals,  mag  man  den  Erdball  sich  bewegen  lassen,  wie  mannifhe^m  oder  von 

m-   1  •  /  (       ,  ..-1  1  •!  ,  ,.  -i--.-  T  ihm  entfernen. 

,  Sich  seinem  Lentrum  nähern  oder  von  mm  entternen.     Die  andere 


444  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [460.  461.] 

Eine  itngieich-  Art  besteht  darin,  dals  das  Gefafs,  ohne  sicli  irgendwie  zu  neigen,  eine 
schreitende  Be- fortschreitende,  aber  imgleicliförmig  von  statten  gehende  Bewegung 
fäfses  kann  einjjesitzt,  welchc  ihre  Geschwindigkeit  wechselt,  bald  nämlich  sich  be- 
i-in  enthaltenen  schleunigt,  bald  sich  verzögert.  Die  Folge  dieser  Ungleichmäfsigkeit 
wirken.  .  würde  die  sein:  das  Wasser,  welches  zwar  in  dem  Gefäfse  enthalten, 
aber  nicht  nach  Art  fester  Teile  mit  ihm  verbunden  ist,  sondern  seiner 
Flüssigkeit  wegen  fast  unabhängig,  frei  und  nicht  genötigt  ist,  alle 
Bewegungen  seines  Behälters  mitzumachen,  wird  bei  Verminderung  der 
Geschwindigkeit  des  Gefäfses  einen  Teil  des  vorher  erworbenen  Antriebs 
beibehalten  und  nach  dem  vorderen  Ende  hinströmen,  wo  dann  not- 
wendig ein  Steigen  stattfindet.  Wenn  umgekehrt  die  Geschwindigkeit 
des  Gefäfses  sich  steigern  sollte,  wird  das  Wasser  teilweise  seine  lang- 
samere Bewegung  beibehalten,  etwas  zurückbleiben,  bevor  es  sich  an 
die  neue  Geschwindigkeit  gewöhnt  und  sich  an  dem  hinteren  Ende 
merklich  aufstauen.  Diese  Erscheinungen  können  wir  noch  deutlicher 
und  der  siiudicheu  Wahrnehmmig  zugänglicher  machen  mit  dem  Bei- 
spiele jener  Barken,  welche  beständig  süfses  Wasser  von  Lizza  Fusina 
für  den  Bedarf  der  Stadt  herüberfahren.  ^)  Stelleu  wir  uns  vor,  eine 
solche  Barke  komme  mit  mäfsiger  Geschwindigkeit  durch  die  Lagune 
daher  und  fahre  das  Wasser,  womit  sie  beladen  ist,  ruhig  dahin.  Nun 
aber  erleide  sie  eine  merkliche  Verringerung  ihrer  Geschwindigkeit,  sei 
es,  dafs  sie  aufs  Trockene  aufläuft  oder  sich  sonst  ein  Hindernis  ihr 
in  den  Weg  stellt.  Dann  wird  das  in  der  Barke  befindliche  Wasser 
nicht  sofort,  wie  diese  selbst,  den  erlangten  Antrieb  verlieren,  sondern 
ihn  beibehalten  und  vorne  nach  dem  Bug  hinströmen;  dort  wird  es 
merklich  steigen,  am  Hinterteile  dagegen  sinken.  Wenn  aber  umgekehrt 
bei  dem  ruhigen  Dahingleiten  der  Barke  eine  merkliche  Zunahme  der 
Geschwindigkeit  stattfindet,  so  Avird  das  darin  befindliche  Wasser  sich 
nicht  gleich  an  diese  gewöhnen,  sondern  seine  Langsamkeit  bewahren, 
zurückbleiben,  also  nach  dem  Hinterteile  sich  in  die  Höhe  stauen,  vorne 
hingegen  sich  senken.  Diese  Erscheinmig  steht  unzweifelhaft  fest,  ist 
leicht  zu  verstehen  und  kann  jederzeit  durch  den  Versuch  bestätigt 
werden.  Ich  bitte  hierbei  auf  dreierlei  zu  achten.  Erstlich  bedarf  es 
nicht,  um  das  Wasser  an  dem  einen  Gefäfsende  steigen  zu  machen, 
neuen  Wassers,  noch  auch  braucht  dieses  das  andere  Ende  völlig  zu 
verlassen,  während  es  nach  jenem"  hinströmt.  Zweitens  hebt  luid  senkt 
sich  das  Wasser  in  der  Mitte  nicht  merklich,  weim  nicht  gerade  die 
Fahrgeschwindigkeit  der  Barke  sehr  bedeutend  und  der  Stofs  oder  die 
sonstige  Hemmung,  die  sie  erlitten,  sehr,  heftig  und  plötzlich  ist;  in 
einem  solchen  Falle  könnte  allerdings  das  ganze  Wasser  nicht  nur 
nach  vorne  strömen,  sondern  grofsenteils  völlig  aus  der  Barke  hinaus- 


[461.  4G2.]  Vierter  Tag.  445 

laufen.     Dasselbe  würde  auch  geschehen,  wenn  sie  anfänglich  langsam 
dahinglitte  und  plötzlich  eine  sehr  grofse  Fahrgeschwindigkeit  annähme. 
Wenn  aber  bei  einer  ruhigen  Anfaugsbewegung  eine  mäfsige  Verzöge- 
rung oder  Steigerung  der  Geschwindigkeit  neu  hinzutritt,   findet,    wie 
gesagt,    in   der   Mitte    kein    merkliches    Steigen   und   Fallen   statt,    an 
anderen  Stellen   ein   um   so   geringeres,  je   näher  sie  der  Mitte  liegen, 
ein  um  so  bedeutenderes,  je  weiter  sie  davon  entfernt  sind.     Drittens 
ist  zu  beachten,  dafs  die  mittleren  Teile  verglichen  mit  den  äufsersten 
allerdings  nur  geringe  Hebungen  und  Senkungeu  erleiden,  dafs  sie  hin- 
gegen um  ein  beträchtliches  hin-  und  herströmen.     Nun,  meine  Herren, 
wie  sich  die  Barke  bezüglich  des  in  ihr  enthaltenen  Wassers  und  wie 
sich    das   Wasser   bezüglich    der   es   enthaltenden   Barke   verhält,    aufs 
Haar  ebenso   verhält  sich  das  Becken  des  mittelländischen  Meeres  zu 
den  darin  befindlichen  Wassermassen   und  die  umschlossenen  Wasser- 
massen  zu   dem-  sie  umschliefsenden  mittelländischen  Meeresbecken.  — 
Wir  haben  nunmehr  nachzuweisen,  wieso  und  in  welcher  Weise  wirk-  Die  Teile  der 
lieh 'das  mittelländische  Meer  und  alle  anderen  Meerbusen,-  überhauptihrer ^Bewe^^'^g 
alle  Teile  der  Erde  eine  merklich  ungleichmäfsige  Bewegung  ausführen,  gen  und^v™" 
obgleich   dem    ganzen  Erdball   als   solchem  keinerlei   Bewegung   zuge-    '^°^''''"°^^'*- 
schrieben  wird,  die  nicht  regelmäfsig  und  gleichförmig  wäre. 

Simpl.  Auf  den  ersten  Blick  scheint  dies  mir,  der  ich  weder 
Mathematiker  noch  Astronom  bin,  ein  arges  Paradoxon.  Wenn  es  wahr 
sein  sollte,  dafs  die  Bewegung  des  Ganzen  regelmäfsig,  die  der  Teile 
hingegen,  die  mit  ihrem  Ganzen  fortwährend  verbunden  sind,  unregel- 
mäfsig  sein  sollte,  so  wird  dieses  Paradoxon  das  Axiom  zu  Schanden 
machen,  das  da  besagt,  eamdem  esse  rationem  totius  et  partiimi, 

Salv.  Ich  werde  mein  Paradoxon  beweisen  und  Euch  anheim- 
geben, Signore  Simplicio,  das  Axiom  dem  gegenüber  in  Schutz  zu 
nehmen  oder  es  in  Übereinstimmung  damit  zu  bringen.  Der  Beweis 
wird  kurz  und  sehr  leicht  zu  verstehen  sein,  da  er  auf  denjenigen  Dingen 
beruht,  die  wir  in  unseren  früheren  Gesprächen  ausführlich,  behandelt 
haben,  ohne  dafs  zu  Gunsten  von  Ebbe  und  Flut  irgendwelche  neue 
Voraussetzung  gemacht  würde. 

Zweierlei  Bewegungen,   sagten   wir, .  legt   man  dem   Erdball  beiiBeweis,  dafs  die 
eine  jährliche,   welche   von   seinem   Mittelpunkte   längs   der  Peripherie  baUs  Beachieu- 

nigungeu  und 

des  unter  der  Ekliptik  gelegenen  orhis  magnus  ausgeführt  wird'  und  Verzögerungen 
zwar  nach  der  Ordnung  der  Zeichen  d.  h.  von  West  nach  Ost;  sodann 
eine  zweite,  welche  der  Erdball  selbst  ausführt,  indem  er  sich  inner- 
halb 24  Stunden  um  seinen  eigenen  Mittelpunkt  dreht,  wiewohl  um 
eine  merklich  geneigte  Achse,  die  zu  der  der  jährlichen  Umdrehung 
nicht    parallel    ist.      Aus    der    Zusammensetzung    dieser    Bewegungen, 


446 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[462    4G3.] 


deren  jede  für  sich  gleicliförmig  ist,  behaupte  icli,  geht  eine  ungleich- 
mäfsige  Bewegung  der  Teile  der  Erde  hervor.  Zur  Erleichterung  des 
Verständnisses  will  ich  mich  bei  der  Erläuterung  einer  Figur  bedienen. 
Zunächst  will  ich  um  das  Centrum  A  die  Peripherie  BC  des  orhis 
magnus  zeichnen-,  auf  dieser  nehme  ich  einen  beliebigen  Punkt  B  an, 

und  um  diesen  als  Centrum 
beschreiben  vnx  den  kleine- 
ren Kreis  BEFG,  der  den 
Erdball  bedeuten  soll.  Wir 
stellen  uns  vor,  dieser  durch- 
laufe mit  seinem  Centrum  5 
die  ganze  Peripherie  des  or- 
his magnus  von  West  nach 
Ost  d.  h.  von  B  nach  C 
hin.  Des  weiteren  denken 
wir  uns,  der  Erdball  drehe 
sich  innerhalb  eines  Zeit- 
raums von  24  Stunden  um 
seinen  eigenen  Mittelpunkt 
B  gleichfalls  vonWest  nach 
Ost  d.h.  in  der  Aufeinander- 
folge der  Punkte  B,E,F,  G. 
Hier  haben  wir  jedoch  sorg- 
fältig zu  beachten,  dafs, 
Terschiedenen  -v^^enn   ein  Xrcis  sich  um  seinen  eigenen  Mittelpunkt  dreht,   ieder  Teil 

Zeiten  entgegen-  _  _  "  ^  '    •> 

gesetzte  Bewe-  dcsselbcu  ZU  Verschiedenen  Zeiten  entgegengesetzte  Bewegungen  aus- 

gungen  aus.  ^  ^  _  o    o       o  O        » 

führt.     Dies  ist  augenscheinlich  der  Fall;   wir  brauchen  blofs  zu  be- 
denken, dafs  die  Teile  der  Peripherie  in  der  Umgebung  des  Punktes  B 
nach  links,  nämlich  nach  E  hin,  sich  bewegen,  die  entgegengesetzten 
aber,  d.  h.  die  in  der  Umgebung  des  Punktes  F  gelegenen,  nach  rechts 
fortschreiten,  nämlich  nach  dem  Punkte  G.    Wenn  also  die  Teile  bei  B 
nach  F  gelangen,  so  wird  ihre  Bewegung  gerade  umgekehrt  gerichtet 
sein,  wie  sie   es  anfänglich  in  B  war.     Wenn  ferner  die  Teile  bei  E 
sich  gewissermafsen  abwärts,  nach  F  hin  bewegen,   steigen  die  bei  G 
Die  Zusammen-  uach  B  ZU  hinauf.     Nachdem  so  dieser  Gegensatz  der  Bewegungen  an 
"lieber  und  tag-  dcu  Tcilcn  der  Erdoberfläche  bei  ihrer  Drehung  um  den  eigenen  Mittel- 
verursacht die  punkt  festgestellt  ist,  mufs  notwendig  bei  Zusammensetzung  dieser  täg- 
Bewegung  der  lichcn  Bewcgung  mit  jener  anderen  jährlichen  eine  bald  beschleunigte, 
baiis.        bald  in  demselben  Mafse  verzögerte  absolute  Bewegung  für  die  Teile 
der  Erdoberfläche  resultieren.     Dies  ergiebt  sich  augenscheinlich,  wenn 
man  zuerst  die  Teile  bei  B  betrachtet,   deren  Bewegung  absolut  ge- 


Die  Teile  eines 
um  seinen  Mit- 
telpunkt 

gleichförmig 
bewegtenKrei- 

ses  führen  zu 


l! 


[463.  464.]  Vierter  Tag.  447 

nommen  am  sclmellsten  sein  wird,  da  sie  durch  Zusammensetzung 
zweier  gleichgericliteten,  von  rechts  nach  links  gehenden  Bewegungen 
entsteht;  die  eine  derselben  ist  ein  Stück  der  jährlichen  Bewegung, 
wie  sie  allen  Teilen  der  Erdkugel  gemeinsam  ist;  die  andere  ist  die 
Bewegung  des  Punktes  D  selbst,  der  vermöge  der  täglichen  Rotation 
gleichfalls  nach  links  hin  fortgeführt  wird,  sodafs  in  diesem  Falle  die 
tägliche  Bew'egung  die  jährliche  verstärkt  und  beschleunigt.  Das  Um- 
gekehrte findet  auf  der  gegenüberliegenden  Seite  bei  F  statt.  Diese 
wird  infolge  der  gemeinsamen  jährlichen  Bewegung  samt  dem  ganzen 
Erdball  nach  links  hin  geführt,  durch  die  tägliche  Umdrehung  hin- 
gegen auch  nach  rechts,  sodafs  die  tägliche  Bewegung  in  Abzug  von 
der  jährlichen  zu  bringen  ist;  daher  wird  also  die  absolute  Bewegung, 
die  aus  der  Zusammensetzung  beider  resultiert,  bedeutend  verzögert. 
In  der  Nähe  der  Punkte  E  und  G  endlich  behält  die  absolute  Bewegung 
etwa  den  gleichen  Betrag  wie  die  einfache  jährliche,  insofern  die  täg- 
liche der  letzteren  nichts  oder  nur  sehr  wenig  hinzufügt  oder  benimmt^ 
da  sie  weder  zur  linken,  noch  zur  rechten,  sondern  nach  unten  und 
oben  gerichtet  ist.  Wir  kommen  somit  zu  dem  Schlüsse:  wie  einer- 
seits zwar  die  Bewegung  des  ganzen  Erdballs  und  jedes  seiner  Teile 
gleichmäfsig  und  einförmig  wäre,  weim  diese  nur  eine  Bewegung  be- 
säfsen,  sei  es  nun  die  jährliche  oder  die  tägliche,  so  müssen  anderer- 
seits doch  bei  Zusammensetzung  beider  BcAvegungen  ungleichförmige 
Bewegungen  der  Teile  des  Erdballs  entspringen,  bald  beschleunigte, 
bald  verzögerte,  vermöge  der  zu  der  jährlichen  Kreisbewegung  hinzu- 
kommenden oder  von  ihr  in  Abzug  zu  bringenden  täglichen  Umdrehung- 
Wenn  es  also  richtig  ist  —  und  es  ist  gewifs  richtig,  wie  die  Erfah- 
rung lehrt  —  dafs  eine  Beschleunigmig  und  Verzögerung  bei  der  Be- 
wegung des  Gefufses  das  darin .  befindliche  Wasser  der  Länge  nach  hiu- 
und  herströmen  läfst  und  an  den  Enden  ein  Steigen  und  Fallen  bewirkt, 
wer  wird  Bedenken  gegen  die  Ansicht  erheben  wollen,  dafs  eine  solche 
Wirkung  bei  dem  Meereswasser  eintreten  kann,  ja  eintreten  mufs?  Ist 
doch  dieses  auch  in  Becken  enthalten,  die  den  nämlichen  Modalitäten 
unterworfen  sind,  zumal  wenn  ihre  Längsrichtung  sich  übereinstimmend 
mit  der  Bewegungsrichtung  der  Becken  von  West  nach  Ost  erstreckt. 
Damit  ist  die  hauptsächliche  und  ursprüngliche  Ursache  der  Gezeiten  Hauptsächliche 
angegeben,  ohne  welche  besagte  Erscheinung  überhaupt  nicht  einträte.  Hche^ursacifo 
Nun  aber  ändern  die  besonderen  Umstände,  die  sich  an  verschiedenen  """"^  Fi'ut  "" 
Orten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  zeigen,  mannigfach  ab;  diese  müssen 
durch  verschiedene  andere  Begleitursachen  bedingt  sein,  welche  aller- 
dings sämtlich  niit  der  ursprünglichen  Ursache  in  Zusammenhang  stehen 
werden.     Darum   ist  es   angezeigt,   die  verschiedenen  Umstände  aufzu- 


448  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [464.  465.] 

zählen  und   zu  prüfen^   welche  jene   verschiedenen  Wirkungen   hervor- 
bringen können. 
Verschiedene  Da  ist  crstlich  der  folgende  Umstand:  sobald  das  Wasser  vermöge 

begleitende  Um-eincr  merklichen  Verzögerung  oder  Beschleunigung  bei  der  Bewegung 
Umstand,     sciues  Bcliälters    yeranlafst   worden   ist,    nach    dem  oder  jenem  Ende 
hinzuströmen,   an   dem   einen  also  gestiegen,   an  dem  anderen  gefallen 
ist,   so   wird   es   diese  Lage  nicht  beibehalten,   nachdem  die  ursprüng- 
Das  an  einem  lichc  ürsachc  aufhört  zu  wirken;  vielmehr  wird  es  vermöge  der  eigenen 
staute  Wasser  ßchwcre  uud  der  natürlichen  Neigung  sich  zu  nivellieren  und  ins  Gleich- 
in die  Gieichge-gewicht   ZU   sstzcn,   von   selbst   gesehwind   zurückkehren  und  in  seiner 
rück!*  ^'^  Eigenschaft  als   schwerer  und-  flüssiger  Körper  nicht  nur  der  Gleich- 
gewichtslage zustreben,   sondern  von  der  eigenen  Wucht  vorwärts  ge- 
trieben,   sie    überschreiten    und   nunmehr   sich   dort   aufstauen,    wo   es 
zuvor  am   niedrigsten    stand.     Aber  auch  dabei  wird  es  nicht  bleiben, 
sondern    die    Flüssigkeit    wird    abermals    umkehren    und    in    mehrfach 
wiederholtem  Hin-  und  Herströmen  uns   zu  verstehen  geben,   dafs  sie 
nicht  plötzlich  von  der  vormaligen  Geschwindigkeit  zu  einem  Aufgeben 
derselben  und   zum  Ruhezustand   sich  bequemen  will;    nur  allmählich, 
Schritt  für  Schritt,  läfst  sie  ab  uud  bequemt  sich  ihm  an:  gerade  wie 
bekanntlich  ein  an  einem  Faden  hängendes  Gewicht,   das  man  einmal 
aus   seinem  Ruhezustand  d.  h.   der   lotrechten  Lage   entfernt  hat,  von 
selbst   dorthin  zurückkehrt  und  zur  Ruhe  gelangt,   aber  erst  nachdem 
es  vielmals  hin  und  her,  vor  und  zurück  durch  die  Gleichgewichtslage 
gependelt  ist. 
Je  kürzer  die  Der  zwcite  wohl  zu  beachtende  Umstand  ist  der.     Die  soeben  er- 

rascher  folgen  wälintcn  periodischcn  Bewegungen  werden  in  rascherer  oder  minder' 
gungen.  raschcr  Folge  ausgeführt  je  nach  der  Länge  der  Gefäfse,  in  welchem 
sich  das  Wasser  befindet:  bei  geringerer  Länge  sind  die  Wiederholungen 
häufiger,  bei  gröfserer  Länge  minder  häufig,  ganz  wie  in  dem  analogen 
Falle  der  pendelnden  Körj)er,  wo  die  an  längerem  Faden  aufgehängten 
minder  rasch,  die  an  kürzerem  Faden  aufgehängten  rascher  ihre  Schwin- 
gungen wiederholen.^) 
Gröfsere  Tiefe  Als  dritte  bemerkenswerte  Thatsache  ist  zu  erwähnen,  dafs  nicht 

res  Schwingen  uur  die  gröfserc  oder  geringere  Länge  des  Gefäfses  eine  verschiedene 
Periode  des  Hin-  und  Herschwingens  bedingt,  sondern  dafs  auch  eine 
gröfsere  oder  geringere  Tiefe  den  nämlichen  Einflufs  übt.  Vergleicht 
man  das  Verhalten  des  Wassers  in  Behältern  von  gleicher  Länge,  aber 
verschiedener  Tiefe,  so  wird  die  Schwingungsdauer  in  dem  tieferen  Ge- 
fäfse kürzer  sein,  in  dem  seichten  dagegen  die  Wiederholimg  des  Hin- 
und  Hergangs  minder  häufig  stattfinden. 

Viertens  verdienen  die  beiden  folgenden  Erscheinungen,  welche  bei 


[465.  4G6.]  Vierter  Tag.  449 

ieiiem    Schwanken   des   Wassers   liervortreten,    bemerkt  und   sorgfältig   i>a8  wasser 

.  7  O  O  gtgigj.    umJ    fällt 

l>eobaclitet  zu  werden:  einmal  das  abwechselnde  Steigen  und  Fallen  an  an  den  Enden 

..  i'i  -IT  1*^®*  Gefäfses  und 

den  beiden  Gefäfsenden,   sodann  eme  Art  von  horizontalem  Vor-  und  strömt  in  den 

-rvi-1  1  •     1  -rt  mittleren  Par- 

Kückwärtsgehen  oder  -strömen.  Diese  beiden  verschiedenen  Bewegimgen  tieen. 
haften  in  verschiedenem  Grade  an  verschiedenen  Teilen  des  Wassers; 
die  äufsersten  Teile  nämlich  heben  und  senken  sich  am  bedeutendsten, 
die  Mitte  bewegt  sich  absolut  gar  nicht  auf-  oder  abwärts;  die  übrigen 
Teile  heben  und  senken  sich  stufenweise  umsomehr,  je  näher  sie  den 
äufsersten  Enden  liegen.  Umgekehrt  hingegen  kommt  den  mittleren 
Teile  in  hohem  Grade  jene  zweite  nach  vor-  und  rückwärts  gerichtete 
fortschreitende  Bewegung  zu,  indem  sie  hin-  und  herlaufen;  das  Wasser 
an  den  äufsersten  Enden  aber  leistet  in  dieser  Beziehung  nichts,  es  sei 
deim  dafs  es  beim  Steigen  üljer  den  Rand  hinaus  sich  erhebt  und  das 
anfängliche  Bett  oder  den  Behälter  verläfst.  Wo  hingegen  die  W^ände 
•ein  unübersteigliches  Hindernis  bilden,  da  hebt  und  senkt  es  sich 
nur,  während  nach  wie  vor  die  mittleren  Teile  hin-  und  herströmen. 
Bis  zu  gewissem  Grade  thun  dies  auch  die  übrigen  Teile,  sie  zeigen 
um  so  stärkere  oder  schwächere  Strömung,  je  näher  der  Mitte  oder  je 
entfernter  von  ihr  sie  gelegen  sind. 

Die  fünfte  Besonderheit  verdient  um  so  sorgsamere  Beachtung,Besonderheit  bei 
als  es  uns  unmöglich  ist,  durch  Avirklich  ausgeführten  Versuch  ihre  gung,  weiche 
Wirkung  nachzuahmen;'*^)  es  handelt  sich  um  folgendes.  Wenn  unserekünstuch -y.eran- 
künstlich  angefertigten  Gefäfse  sich  bald  rascher,  bald  weniger  rasch 
bewegen,  so  wird  sich  die  Beschleunigung  und  Verzögerung  stets  in 
derselben  Weise  am  ganzen  Gefäfse  wie  an  jedem  seiner  Teile  geltend 
machen.  Wenn  z.  B.  die  Bewegung  der  Barke  eine  Hemmung  erleidet, 
so  betrifft  die  Verzögerung  den  vorangehenden  Teil  nicht  in  höherem 
Mafse  als  den  nachfolgeiiden,  sie  beteiligen  sich  vielmehr  sämtlich  in 
gleicher  Weise  an  derselben.  Das  nämliche  gilt  für  den  Fall  der  Be- 
schleunigung: sobald  man  der  Barke  neuerdings  Aiilafs  zu  gröfserer 
Geschwindigkeit  giebt,  wird  Bug  und  Hinterteil  in  gleicher  Weise  be- 
schleunigt. In  den  ungeheueren  Gefäfsen  aber,  welche  die  Meeres- 
beckeu  darstellen,  wiewohl  auch  sie  nichts  Anderes  sind  als  einige 
Höhlungen  der  festen  Erdmasse,  trifft  es  sich  wuuderbarerweise,  dafs 
ihre  Enden  nicht  vereint,  gleichmäfsig  und  in  denselben  Zeitmomenten 
an  Geschwindigkeit  zu-  und  abnehmen;  sondern  wenn  das  eine  der 
beiden  Enden  vermöge  der  gemeinsamen  Wirkung  der  jährliclien  und 
täglichen  Umdrehung  eine  bedeutende  Verzögerimg  erfährt,  so  ist  das 
andere  Ende  noch  mit  der  höchsten  Geschwindigkeit  behaftet  und 
ausgestattet.  —  Zur  Erleichterung  des  Verständnisses  wollen  Avir  noch- 
mals   die    vorhin   gezeicluiete   Figur    betrachten.     Denken    wir    uns    in 

Galilei,  Weltsysteme.  2i) 


450 


Dialog  über  die  Weltsysteme. 


[4GG.   467.] 


dieser  einen  Meeresstricli  z.  B.  von  Gröfse  eines  Viertelki;eises,  wie  etwa 
längs  des  Bogens  BC,  so  ist,  wie  oben  auseinandergesetzt,  die  Bewegung 
der  Teile  bei  B  am  sclinellsten,  weil  die  sie  zusammensetzenden  Be- 
wegungen der  täglicben  und 
jährlichen  Drehung  hier 
gleichgerichtet  sind;  der 
Teil  C  hingegen  ist  dann 
in  langsamerer  Bewegung 
begriffen,  da  er  die  durch 
die  tägliche  Rotation  be- 
dingte fortschreitende  Be- 
wegung yicht  besitzt.  Den- 
ken wir  uns  also,  ich  wieder-  ^ 
hole  es,  einen  Meerbusen 
von  Länge  des  Bogens  BCf 
so  sehen  wir  nun,  wieso 
seine  beiden  Enden  sich 
gleichzeitig  in  sehr  ver- 
schiedenartiger Weise,  be- 
wegen müssen.  Am  stärk- 
sten verschieden  würden 
die  Geschwindigkeiten  in- 
nerhalb eines  Meeresstrichs 
von  der  Gröfse  eines  Halbkreises  sein,  der  so  liegt  wie  der  Bogen  BCD-^ 
das  Ende  B  nämlich  würde  sich  in  raschester  Bewegung  befinden,  das 
Ende  D  hingegen  in  langsamster  Bewegung  begriffen  sein;  die  da- 
zwischen gelegenen  Partieen  bei  C  endlich  besäfsen  eine  mittlere  Ge- 
schwindigkeit. Je  kürzer  besagte  Meeresstriche  sind,  um  so  weniger 
wird  ihnen  jene  sonderbare  Eigentümlichkeit  zukommen,  einige  Stunden 
des  Tages  über  an  verschiedenen  Stellen  einen  verschiedenen  Grad  von 
Geschwindigkeit  zu  besitzen.  Wenn  wir  nun  schon,  wie  im  erst  be- 
trachteten Falle,  durch  eine  einfache  Beschleunigung  und  Verzögerung 
ein  Hin-  und  Herströmen  des  Wassers  bewirkt  sehen,  wiewohl  alle 
Teile  des  Behälters  gleichmäfsig  davon  betroffen  werden,  was  für  Er- 
scheinungen sollen  wir  gar  in  einem  so  wunderbar  angeordneten  Gefäfse 
erwarten,  dessen  verschiedene  Teile  ungleiche  Verzögerungen  und  Be- 
schleunigungen erfahren?  Bestimmt  läfst  sich  nur  soviel  sagen,  dafs 
damit  in  vermehrter,  um  so  merkwürdigerer  Weise  Anlafs  zu  noch 
seltsamerer  Erregung  der  Gewässer  gegeben  ist.  Mag  es  vielen  auch 
unmöglich  erscheinen,  durch  künstliche  Apparate  und  Gefäfse  die  Wir- 
kungen   eines    solchen   Umstandes   experimentell   zu   prüfen,    so   ist   es 


[467.  468.]  Vierter  Tag.  Abi 

(loch  nicht  ganz  unmöglich.  Ich  besitze  den  Entwurf  eines  Apjjarates, 
an  welchem  gerade  die  Wirkung  dieser  merkwürdigen  Zusammen- 
setzimg von  Bewegungen  sich  veranschaulichen  läfst.^^)  Was  indessen 
den  vorliegenden  Gegenstand  betrifft,  so  reicht  das  theoretische  Ver- 
ständnis des  bisher  Vorgetragenen  aus. 

Sagr.  Ich  für  mein  Teil  verstehe  sehr  wohl,  dafs  dieser  eigen- 
tümliche Umstand  sich  notwendig  in  den  verschiedenen  Meerbusen  gel- 
tend machen  mufs,  welche  eine  bedeutende  Längenerstreckung  von  West 
nach  Ost  besitzen,  nämlich  in  Übereinstimmung  mit  der  Bewegungs- 
richtung des  Erdballs.  Da  dieser  Umstand  gewissermafsen  mivorstell- 
bar  ist  und  nicht  seines  Gleichen  bei  den  von  uns  ausführbaren  Be- 
wegungen hat,  so  finde  ich  es  nicht  anstöfsig,  dafs  er  Wirkungen  her- 
vorbringt, die  man  durch  künstliche  Versuche  nicht  nachzuahinen 
vermag. 

Salv.      Nach    diesen  Erläuterungen    haben  wir   nunmehr    zu    der 
Prüfung  der  verschiedenen  Besonderheiten  zu  schreiten,  die  sich  beim  Erklärung  der 
Spiel  von  Ebbe   und  Flut  beobachten  lassen.     Zunächst   darf  es  unsdie  sich  bei  dem 
nicht  auffallen,   dafs   in  Seen,  Teichen   und  selbst  in  kleinen  Meeren  und  Fiut  be- 
keine   merkliche  Ebbe   und  Flut   stattfindet,      Dies  hat  zwei  sehr  trif- 
tige Gründe:   einmal   werden   wegen   der   Kürze    des   Gefäfses   die  ver-  Doppelte  ur- 

Sache  für  das 

schiedenen    Stufen   der  Geschwindigkeit,    welche    es    zu   verschiedenen  Nichteintreten 

m  •  •  ••  •        p        •  TTi_i'i  ^"^  Ebbe  und 

Tageszeiten    aimimmt,     mit    einem    geringfügigen    Unterschiede    von^iut  bei  kieine- 

.,.    ren  Meeren  und 

allen  seinen  Teilen  durchlaufen;  aber  die  vorangehenden  wie  die  in  seen. 
nachfolgenden,  d.  h.  die  östlichen  und  die  westlichen,  erfahren  fast  die 
nämliche  Beschleunigung  und  Verzögerung.  Überdies  gehen  diese 
Änderungen  ganz  allmählich  vor  sich,  es  stellt  sich  nicht  plötzlich  ein 
Hemmnis,  eine  Verzögerung  in  den  Weg;  und  ebensowenig  findet 
momentan  eine  bedeutende  Beschleunigung  des  Wasserbeckens  statt; 
vielmehr  prägt  sich  ihm  in  allen  seinen  Teilen  derselbe  Grad  von  Ge- 
schwindigkeit langsam  und  gleichmäfsig  ein,  woraus  sich  ergiebt,  dafs 
auch  das  darin  befindliche  Wasser  ohne  viel  Widerstreben  und  Sträu- 
ben dieselben  Eindrücke  in  sich  aufnimmt,  demnach  nur  eine  schwache 
Spur  von  Steigen  mid  Fallen  infolge  des  Strömens  nach  dem  einen 
oder  anderen  Ende  hin  wahrzunehmen  ist.  Dieselbe  Erscheinung  stellt 
sich  auch  in  kleineren  künstlichen  Gefäfseu  deutlich  ein;  in  ihnen 
nimmt  sämtliches  Wasser  die  gleichen  Grade  von  Geschwindigkeit  an, 
solange  die  Beschleunigung  oder  Verzögerung  in  ruhiger  gleichförmiger 
Weise  sich  steigert.  Bei  denjenigen  Meerbusen  aber,  die  sich  auf 
grofse  Entfernung  in  ost-westlicher  Richtung  erstrecken,  ist  die  Be- 
ßchlevuiigung  oder  Verzögerung  sehr  viel  merklicher:  ist  doch  in  diesem 
Falle  gleichzeitig  das  eine  Ende  in  stark  verzögerter  Bewegung,  wäh- 

29* 


452  Dialog  über  die  "Weltsysteme.  [4C8.  469.] 

rend  das  andere  noch  in  schnellster  Bewegung  begriffen  ist.  Die 
zweite  Ursache  ist  das  wechselseitige  Schwanken  des  Wassers,  welches 
von  dem  Antrieb  herrührt,  der  ihm  durch  die  Bewegung  seines  Be- 
hälters mitgeteilt  worden  ist;  diese  Schwankungen  zeigen,  wie  bemerkt, 
eine  viel  häufigere  Wiederkehr  der  Schwingungen  in  kleineren  Ge- 
fäfsen.  Obschon  nun  die  Erdbewegungen  unmittelbar  nur  eine  von 
12  zu  12  Stunden  wiederholte  Anregung  zur  Bewegung  des  Wassers 
geben,  insofern  nur  einmal  des  Tags  Höhepunkte  in  der  Verzögerung 
oder  Beschleunigung  erreicht  werden,  so  tritt  doch  jene  zweite  Ur- 
sache in  Kraft,  welche  auf  der  Schwere  des  Wassers  beruht  imd  dieses 
ins  Gleichgewicht  zurückzubringen  strebt;  imd  zwar  sind  je  nach  der 
Kürze  des  Gefäfses  die  Schwingungen  von  ein-,  zwei-,  dreistündiger 
Dauer  u.  s.  w.  Diese  Wirkung  nun  trifft  mit  der  ersten,  die  schon 
an  und  für  sich  in  kleineren  Gefäfsen  sehr  unbedeutend  ist,  zusammen 
und  macht  sie  völlig  unmerklich;  denn  ohne  dafs  die  von  der  ursprüng- 
lichen Ursache  hervorgerufene  Erregung  sich  schon  völlig  mitgeteilt 
hätte,  da  sie  eine  12-stündige  Periode  besitzt,  tritt  bereits  mit  gegen- 
teiligem Erfolge  jene  andere  sekundäre,  auf  dem  eigenen  Gewichte  des 
Wassers  beruhende  Ursache  in  Wirksamkeit,  deren  Periode  ein-,  zwei-, 
dreistündig  ist.  Diese  arbeitet  der  ursprünglichen  entgegen,  stört  und 
beseitigt  ihre  Wirkung,  ohne  sie  bis  zum  Höhepunkte  oder  auch  nur 
bis  zur  Hälfte  ihrer  Wirksamkeit  gelangen  zu  lassen.  Infolge  solchen 
Widerspiels  wird  die  Erscheinung  der  Gezeiten  ganz  aufgehoben  oder 
doch  wesentlich  verdunkelt.  Ich  sehe  ab  von  den  beständigen  Luft- 
strömiuigen,  welche  die  Wasseroberfläche  beunruhigen  und  uns- ein 
sehr  geringes  Steigen  oder  Fallen  um  einen  halben  Zoll  oder  einen 
noch  geringeren  Betrag  nicht  mit  Sicherheit  ermittehi  lassen,  wie  ein 
solches  vielleicht  wirklich  in  Meerbusen  und  Wasserbecken  stattfindet, 
die  höchstens  eine  Länge  von  ein  bis  zwei  Grad  haben. 

Ich  gehe  zweitens  dazu  über,  das  Bedenken  zu  beseitigen,  wieso 
Grun(i,weswegeueinerseits   das   primäre  Princip    dem  Wasser  nur  von    12  zu   12  Stun- 
meist  von  secLsden   eiucu  Austofs   zur  Bewegamg   giebt,   einmal   durch   ein  Maximum 
(len^stattfindet.  uud  einmal  durch  ein  Minimum  der  Geschwindigkeit,  andererseits  aber 
die  Periode  der  Gezeiten  gewöhnlich  eine  sechsstündige  ist.-    Dazu  ist 
zu  bemerken,  dafs  sothanes  Ergebnis  unmöglich  von  der  primären  Ur- 
sache allein  abhängen  kami,  vielmehr  sind  hierbei  die  sekundären  Wir- 
kungen,  also    die   gröfsere   oder   geringere  Länge   der  Gefäfse  und  die 
gröfsere   oder   geringere  Tiefe   des  darin   befindlichen  Wassers,  mit  zu 
berücksichtigen.      Haben    diese    Ursachen    auch    nicht    den    mindesten 
Eiuflufs  auf  das  Zustandekommen  der  Wasserbewegung,  welche  einzig 
und    allein    der  primären    Ursache    ihr   Dasein    verdankt,    so    sind   sie 


[469.  470.]  Vierter  Tag.  '453 

(loch  von  allerwesentlichstem  Einflufs  auf  die  Periodicität  der  Erscliei- 
iiiing,  von  so  bedeutendem  Einflufs,  dafs  die  Wirkung  der  primären 
Ursache  dagegen  zurücktritt.  l)ie  sechsstündige  Periode  ist  somit  an 
und  für  sich  keine  natürliche  Eigentümlichkeit  des  Vorgangs,  wenig- 
stens nicht  in  höherem  Mafse  als  eine  Periode  von  anderer  Dauer, 
sondern  wahrscheinlich  nur  die  am  häufigsten  beobachtete,  weil  sie  in 
imserem  mittelländischen  Meere  herrschend  ist  und  dieses  allein  wäh- 
rend langer  Zeiträume  befahren  wurde.  Dabei  beobachtet  man  diese 
Periode  nicht  einmal  in  allen  seinen  Teilen,  insofern  an  manchen  ein- 
geengteren Stellen,  wie  am  Hellespont  imd  im  ägäischen  Meere  die 
Zeitintervalle  viel  kürzer  und  von  einander  sehr  verschieden  sind.  Diese 
Verschiedenheiten  und  ihre  dem  Aristoteles  unbegreiflichen  Ursachen 
sollen  nach  einigen  diesen,  nachdem  er  lange  von  gewissen  Klippen 
Negropontes  aus  Beobachtimgen  angestellt  hatte,  veranlafst  haben,  sich 
aus  Verzweiflung  ins  Meer  zu  stürzen  und  freiwillig  den  Tod  in  den 
Wellen  zu  suchen.  ^^) 

Drittens  ist  für  uns  sehr  leicht  zu  erklären,  warum  manches  Meer, 
wie  z.  B.  das  rote,  obgleich  von  bedeutender  Länge,  dennoch  .fast  ganzGrund.weswegen 
der  Ebbe  und  Flut  entbehrt.    Es  rührt  dies  daher,  dafs  seine  Längen-  trotz  ihrer  be- 
erstreckung  nicht  von  Ost  nach  West  gerichtet  ist,  sondern  von  Süd-  keine  Gezeiteu 
ost  nach  Nordwest.    Die  Bewegungen  der  Erde  aber  gehen  von  West 
nach  Ost;  der  Anstofs,  den  die  Gewässer  empfangen,  trifft  somit  stets 
auf  die  Meridiane,  nicht  aber  geht  er  von  Parallelkreis  zu  Parallelkreis. 
Es  haben  also  die  Meere,  die  sich  der  Länge  nach  gegen  die  Pole  hin 
erstrecken,  die  in  anderer  Richtung  hingegen  schmal  sind,  keine  Ver- 
anlassimg Ebbe  und  Flut  zu  zeigen,   es  sei  demi  mittelbar  durch  die 
Verbiudimg  mit  einem  anderen  Meere,  das   den  Gezeiten  in  bedeuten- 
dem Mafse  unterworfen  ist. 

Wir  Averden  viertens  sehr  leicht  die  Gründe  begreifen,  weswegen 
die  Gezeiten,  soweit  es  sich  um  ein  Steigen  imd  Fallen  des  Wassers  warum  die  Ge- 
handelt,  am  stärksten  an  den   äufsersten  Enden   der  Meerbusen  auf-    sten  an  den 

•         ^  -      1  m    •!  •  Enden  der  Mcer- 

treten,  am  schwächsten  hmgegen  m  den  mittleren  Teilen,  wie  uns  die    tuson,  am 

„-  111       TT-  -IT  T  Tii        1  T    •      •      1  schwächsten  in 

tägliche  Eriahrung  lehrt.    Hier  m  Venedig,  am  Ende  des  adriatischen  den  mittleren. 

cj/  Teilen  auftreten 

Meeres  beträgt  der  Unterschied  im  W^asserstande  gewöhnlich  fünf  bis 
sechs  Fufs,  hingegen  an  den  von  den  Enden  Aveit  entfernten  Orten  des 
mittelländischen  Meeres,  wie  bei  den  Inseln  Korsika  und  Sardinien 
und  an  den  Küsten  in  der  Gegend  von  Rom  oder  Livorno  beträgt  die 
Differenz  nicht  mehr  als  einen  halben  Fufs.  Ebenso  Averdeu  wir  um- 
gekehrt begreifen,  warum  dort,  wo  das  Steigen  und  Fallen  geringfügig 
ist,  das  Hin-  und  Widerströmen  eine  bedeutende  Stärke  erreicht.  Es 
ist  leicht,   sage  ich,  ilie  Ursache   dieser  Verhältnisse   einzusehen,  Aveil 


454*  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [470.  471.] 

wir  eine  deutliche  Bestätigung  in  jedwedem  künstliehen  Gefafse  vor- 
finden, wo  dieselben  Erscheinungen  sich  von  selbst  einstellen,  sobald 
wir  es  ungleichförmig  d.  h.  bald  schneller,  bald  langsamer  bewegen. 
Wenn  wir  ferner  fünftens  erwägen,  dafs  ein  und  dieselbe  Wasser- 
warum  in  Meer-menge,  welche  sich  nur  langsam  durch  ein  geräumiges  Bett  hinbewegt, 
mun^gen 'rascher  beim  Passiereu  eines  engen  Kanals  notwendig  eine  bedeutende  de- 
inen stellen/ schwiudigkeit  erlangen  mufs,  so  wird  es  uns  nicht  schwer  fallen  die 
Ursache  der  starken  Strömimgen  zu  begreifen,  welche  in  dem  engen 
Kanäle  zwischen  Kalabrien  und  Sizilien  stattfinden.  Denn  sämtliches 
von  dieser  grofsen  Insel  und  vom  Ionischen  Meerbusen  im  östlichen 
Teile  des  Meeres  zurückgehaltene  Wasser  fliefst  in  letzterem  seiner 
Geräumigkeit  wegen  allerdings  nur-  langsam  hinab,  in  der  schmalen 
Meerenge  aber  zwischen  Scylla  und  Charybdis  hat  es  starke  Strömung 
lind  grofse  Geschwindigkeit,  sodafs  es .  eine  mächtige  Erregung  ver- 
ursacht. Ähnlich,  nur  noch  grofsartiger,  hat  man  sich  die  Vorgänge 
zwischen  Afrika  und  der  grofsen  Insel  San  Lorenzo  zu  denken,  welche 
die  Gewässer  zweier  mächtigen  Meere,  des  indischen  und  äthiopischen 
trennt,  sodafs  diese  bei  ihren  Strömungen  sich  in  einen  engeren  Kanal 
zwischen  die  Insel  und  die  äthiopische  Küste  zwängen  müssen.  Am 
gewaltigsten  aber  müssen  die  Strömungen  in  der  Magelhaensstrafse 
sein,  welche  die  beiden  ungeheueren  Ozeane,  den  äthiopischen  und  die 
Südsee  verbindet.  ^^) 

An  sechster  Stelle  nun  ist  es  erforderlich,  um  Rechenschaft  von 
Es  wird  von  einigen  hierher  gehörigen  versteckteren  und  auffallenderen  Thatsachen 
generen^E^gen- geben  zu  köuncu,  dafs  wir  eine  weitere  wichtige  Überlegung  betreffs 
gehandeit^die  der  beiden  Hauptursachen  der  Gezeiten  anstellen,  indem  wir  ihr  gleich- 
und  Ehit  be-  zeitiges   Wirken,  ihre   Zusammensetzung   ins  Auge    fassen.     Die  vor- 

obachten  lassen        ,  ,  i-piii.n  -i  '         ^         ••  c/  i  ^ 

uehmste  und  einfachste  derselben  ist,  wie  des  öfteren  gesagt  worden, 
die  bestimmte  Beschleunigung  und  Verzögerung  der  Teile  der  Erde, 
vermöge  deren  das  Wasser  in  der  bestimmten  Periode  von  24  Stun- 
den einmal  nach  Osten  zu  strömen  und  wieder  nach  Westen  zurück- 
zukehren hätte.  Die  andere  Ursache  hängt  zusamnjen  mit  dem  eigenen 
Gewichte  des  Wassers,  welches,  einmal  durch  die  primäre  Ursache  in 
Bewegung  gesetzt,  in  wiederholten  Schwankungen  ins  Gleichgewicht 
.zurückstrebt.  Diese  letzteren  sind  nicht  auf  eine  festgesetzte,  ein  für 
alle  Mal  bestimmte  Zeitdauer  beschränkt,  sondern  haben  ebenso  ver- 
schiedene Dauer,  wie  die  Längen  und  Tiefen  der  Behälter  und  Meer- 
busen verschieden  sind.  Infolge  dieses  zweiten  Princips  würde  das 
Hin-  und  Herströmen  manchmal  eine  Stunde,  manchmal  zwei,  vier, 
sechs,  acht,  zehn  u.  s.  w.  Stunden  beanspruchen.  Wenn  Avir  nun  dazu 
schreiten,  die  ursprüngliche  Ursache^  deren  Periode  eine  ständige  Dauer 


[471.  472.]  Vierter  Tag.  455 

von  12  Stunden  hat,  mit  einer  sekundären  zu  kombinieren,  deren  Periode 
z.  B.  von  fünf  zu  fiüif  Stunden  geht,  so  werden  zu  gewissen  Zeiten  die 
primäre  und  die  sekundäre  Ursache  ihren  Impuls  übereinstimmend 
beide  in  gleicher  Richtung  erteilen:  bei  derartiger  Vereinigung,  bei 
solch  eiimiütigem  Streben  möchte  ich  sagen,  werden  die  Fluten  be- 
deutende Beträge  erreichen;  wenn  zu  anderen  Zeiten  hingegen  der 
primäre  Impuls  teilweise  dem  von  der  sekundären  Periode  bedingten 
entgegenwirkt  und  bei  diesem  Widerstreit  das  eine  Princip  die  Wir- 
kung des  anderen  aufhebt,  so  werden  die  Bewegungen  des  Wassers 
schwächer  sein,  das  Meer  wird  sehr  ruhig,  fast  unbewegt  bleiben.  Wieder 
in  anderen  Fällen,  wenn  die  beiden  Principien  weder  ganz  im  Gegen- 
satze stehen,  noch  ganz  übereinstimmend  wirken,  werden  abermals  Ände- 
rungen im  Wachsen  und  Abnehmen  der  Gezeiten  eintreten.  Auch  kann 
es  geschehen,  dafs  zwei  sehr  grofse,  durch  einen  engen  Kanal  in  Ver- 
bindung stehende  Meere  in  der  verbindenden  Meerenge  aufeinander- 
treffen, während  infolge  der  vereinigten  Wirkung  beider  Principien 
das  eine  gleichzeitig  zur  Hochflut,  das  andere  zur  Ebbe  Veranlassung 
hat.  In  solchen  Fällen  finden  in  dem  engen  Verbindungskanal  un- 
gewöhnlich stürmische,  einander  .entgegengesetzte  Bewegungen  statt, 
höchst  gefährliche  Wirbel  und  Strudel,  über  welche  denn  auch  that- 
sächlich  fortwährend  Berichte  und  Erfahrungen  vorliegen.  Dergleichen 
zwiespältige  Bewegungen,  die  nicht  nur  durch  die  verschiedene  Lage 
und  Länge  der  in  Verbindung  stehenden  Meere,  sondern  auch  wesent- 
lich durch  ihre  verschiedenen  Tiefen  entstehen,  werden  zu  gewissen 
Zeiten  mancherlei  unregelmäfsige,  schwer  zu  beschreibende  Erregungen 
der  Gewässer  veranlassen.  Die  Erklärung  derselben  hat  von  jeher  den 
Seeleuten  viel  Kopfzerbrechens  verursacht  und  thut  es  noch  immer, 
wenn  sie  ihnen  begegnen  und  merken,  dafs  unmöglich  Windeskraft 
oder  andere  bedeutende  Luftstörung  die  Ursache  sein  kann.  Solche 
Luftstörungen  spielen  in  anderen  Fällen  eine  wichtige  Rolle,  sodafs 
wir  diese  •  als  dritte  Nebenursache  zu  betrachten  haben;  sie  sind 
imstande  den  Charakter  der  Erscheinungen,  welche  von  den  wesent- 
licheren sekundären  Ursachen  herrühren,  vielfach  zu  verwischen.  Un- 
zweifelhaft vermögen  beständig  andauernde,  heftige  Winde,  die  etAva 
von  Osten  wehen,  die  Wassermasse  zurückzustauen  und  sie  am  Rück- 
flusse zu  verhindern;  kommt  dami  zu  bestimmten  Stunden  die  zweite 
und  dritte  neue  Flutwelle  hinzu,  so  wird  sie  zu  grofser  Höhe  an- 
sehwellen: und  so  bleibt  sie,  von. dem  Druck  des  Windes  ein  p^r 
Tage  über  getragen,  in  auffallender  Höhe  stehen  und  bewirkt  unge- 
wöhnliche Überschwemmimgen. 

Wir    müssen  nun   noch   —   mid   dies   ist  der  siebente  Punkt   — 


456  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [472.  473.] 

.  unsere  Aufmerksamkeit    auf   eine    weitere    Bewegmigsursaelie    richten. 

Sie   beruht  auf  dem  grofsen  Wasserreichtum  der  Flüsse,  die  in  nicht 

Weswegen  in  ggj^j,  ausgedehnte  Meere  münden.     In  diesem  Falle  sieht  man  in  den 

manclien  engen  ~ 

Meeresstrafsen  ^^   solcheu  Meercu    Zusammenhängenden  Meeresstrafsen    das  Wasser 

das'  Meer  immer  '-' 

in  derselben   g^g|.g  jj^  derselben  Richtung  strömen,  wie  im  Thracischen  Bosporus  bei 

Bichlimg  strömt.  O  7  ± 

KonstantinojDel,  wo  die  Strömung  stets  vom  schwarzen  Meere  nach  der 
Propontis  gerichtet  ist.  In  dem  schwarzen  Meere  nämlich  sind  seiner 
Kürze  wegen  die  Hauptursachen  der  Gezeiten  wenig  wirksam,  da  sich 
aber  gewaltige  Flüsse  hinein  ergiefsen,  so  mufs  ein  solcher  Wasserzu- 
flufs  durch  die  Meerenge  passieren  und  abfliefsen,  woselbst  dann  die 
Strömung  sehr  merklich  mrd  und  stets  nach  Süden  gerichtet  ist.  Des 
weiteren  ist  hier  zu  beachten,  dafs  besagte  schmale  Meeresstrafse  trotz 
ihrer  Enge  nicht  den  Störungen  unterworfen  ist  wie  die  Strafse  zwi- 
schen Scylla  und  Charybdis ;  denn  im  Norden  von  ihr  hegt  das  schwarze 
Meer,  südlich  davon  die  Propontis  und  das  ägäische  Meer,  sowie,  ob- 
Avohl  erst  in  ansehnUcher  Entfernimg,  das  mittelländische  Meer.  Aber 
noch  so  lange  Meere  unterliegen  ja,  wie  wir  bemerkt  haben,  den 
Gezeiten .  nicht,  sobald  sie  sich  von  Nord  nach  Süd  erstrecken.  Die 
sizilische  Meerenge  hingegen  liegt,  zwischen  Teilen,  des  Mittelmeeres, 
welche  auf  grofse  Entfernungen  hin  sich  von  West  nach  Ost,  also  in 
Richtimg  der  Gezeitenströmung  erstrecken,  daher  ist  in  ihr  die  Er- 
regung der  Gewässer  sehr  stark.  Noch  gröfser  würde  sie  zwischen 
den  Säulen  des  Herkules  sein,  wenn  die  Strafse  von  Gibraltar  eine 
geringere  Breite  hätte;  am  allergröfsten  aber  ist  sie  nach  den  vor- 
liegenden Berichten  in  der  Magelhaensstrafse. 

Soviel  hätte  ich  Euch  vorläufig  über  die  Ursachen  jener  ersten  täg- 
lichen Periode  von  Ebbe  und  Flut  und  über  die  verschiedenen  damit  zu- 
sammenhängenden Nebenumstände  mitzuteilen.  Sollten  dazu  irgend- 
welche Bemerkungen  zu  machen  sein,  so  mag  es  geschehen,  damit  wir 
nachher  über  die  beiden  anderen  Perioden,  die  monatliche  und  jähr- 
liche sprechen  können. 

Simpl.     Es  läfst   sich,   glaube  ich,  nicht  in  Abrede  stellen,  dafs 

die  von  Euch  angestellte  Erwägimg  sehr  überzeugend  zu  Werke  geht, 

wenn  mau,  wie  wir  sagen,  ex  suppositione  argumentiert,  d.  h.  unter  der 

Voraussetzung,  dafs  die  Erde  wirkHch  mit  den  beiden  ihr  von  Koper- 

nikus  beigelegten  Bewegungen  behaftet  sei.    Schliefst  man  aber  sothane 

Bewegimgen  aus,  so  ist  alles   eitel  und  hinfällig;   die  Notwendigkeit 

Einwand  gegen  aber   besagte  Hypothese  auszuschliefsen  wird  gerade  durch  Euere  Er- 

zniiebe  ange-  wägiiug    nahe    gelegt.      Unter    der  Voraussetzung    der    beiden    Erdbe- 

these  der  Erd- wegungen  gebt  Ihr  Rechenschaft  von  Ebbe  und  Flut;  und  umgekehrt 

im    Zirkelschlufs   schöpft  Ihr   aus   Ebbe   und    Flut   einen  Beleg,    ^ine 


[473.  474.]  Vierter  Tag.  457 

Bestätigung  dieser  selbigen  Bewegungen.  Um  näher  auf  die  Sache 
einzugehen,  so  sagt  Ihr,  das  Wasser  sei  seiner  flüssigen  Natur  halber  ■ 
imd  weil  es  nicht  fest  mit  der  Erde  verbunden  ist,  nicht  gezwungen 
auf  jede  Bewegung  derselben  genau  einzugehen-,  und  daraus  leitet  Ihr 
die  Gezeiten  ab.  Ich  trete  in  Euere  Fufstapfen  und  argumentiere 
dem  gegenüber  folgendermafsen.  Die  Luft  ist  sehr  viel  dünner  und 
flüssiger  als  das  Wasser  und  steht  in  noch  loserem  Zusammenhang 
mit  der  Erdoberfläche;  denn  das  Wasser  haftet  viel  fester  an  der 
Erde  schon  um  seiner  Schwere  willen  und  wegen  des  daraus  folgen- 
den Drucks,  welcher  den  der  leichten  Luft  bei  weitem  übertriff't;  es 
dürfte  also  die  Luft  noch  weit  weniger  den  Bewegungen  der  Erde 
Folge  geben.  Wenn  sich  mithin  die  Erde  in  dieser  Weise  bewegte, 
so  müfsten  wir  Bewohner  der  Erde,  die  wir  mit  gleicher  Schnelligkeit 
wie  diese  selbst  dahinfliegen,  beständig  einen  uns  mit  unerträglicher 
Heftigkeit  entgegen  wehenden  Ostwind  verspüren.  Dafs  dem  wirklich 
so  sein  niüfste,  lehrt  uns  die  tägliche  Erfahrung;  denn  wenn  bei  schar- 
fem Ritte  in  ruhiger  Luft,  wo  die  Geschwindigkeit  blofs  acht  oder 
zehn  Miglien  in  der  Stunde  beträgt,  schon  der  Widerstand  der  Luft 
sich  im  Gesicht  als  starker  Wind  fühlbar  macht,  was  für  Empfin- 
dungen soll  da  erst  unser  rascher  Flug  von  800  oder  1000  Miglien 
in  der  Stunde  entgegen  der  an  dieser  Bewegung  unbeteiligten  Luft 
erwecken?  Trotzdem  -merken  wir  von  einem  solchen  Vorgange  nicht 
das  geringste. 

Salv.     Auf  diesen  scheinbar  sehr  treifenden  Einwand  erwidere  ich, 
dafs    allerdings    die   Luft   dünner   imd   leichter    ist   und   infolge   dessen  Erwiderung  auf 

^.  ,  ^  den  Einwand 

der  Erde  weniger  anhaftet  als  das  Wasser;  aber  falsch  ist  der  Schlufs.gegen  die  Eota- 

.  .  .  .  .  .      •    .  .  tion  des  Erd- 

.den  Ihr  aus  diesen  Prämissen  zieht,  dals  diese  ihre  Leichtigkeit,  Dünne        baiis. 
sie  in  höherem  Grade  als  das  Wasser  von  der  Teilnahme  an  den  Erd- 
bewegungen entbinden  müsse  und  dafs   dieses  Widerstreben  mis,   die 
wir  voll  und  ganz    die  Bewegungen  mitmachen,  deutlich  fühlbar  wer- 
den  sollte.     Das   gerade  Gegenteil    findet   vielmehr   statt;   denn,  wenn 
Ihr  Euch  recht  erinnert,  liegt  die  von  uns  bezeichnete  Ursache  darin, 
dafs  das  Wasser  auf  die  Ungleichmäfsigkeiten  bei  der  Bewegimg  seines 
Behälters  nicht  eingeht,   vielmehr   eine'  vorher   erreichte  Geschwindig- 
keit  beibehält   und   sie  nicht   genau   in   dem  Betrage  vergröfsert  oder 
verkleinert,  wie  es  sein  Behälter  thut.    Da  also  der  Widerstand  S^^gii ^^^'^^^^y^^^,^^^^ 
eine  Vermehrimg  oder  Verminderung  der  Geschwindigkeit  in  dem  Be-®i"n,"ieb^'J"izu" 
wahren,  in  dem  Beibehalten  des  anfänglich  erlangten  Antriebes  besteht, ^"•'»"^"^^'''^  ^^"^ 
so  wird  der  Stofi',  der  am  geeignetsten  ist,  die  Geschwindigkeit  beizu- 
behalten, auch  am  geeignetsten  sein,  die  daraus  sich  ergebenden  Folgen 
zu   zeigen.     Wie   sehr  mm  das   Wasser    geneigt  ist,   die  einmal  vor- 


458  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [474.  475.] 

handene  Erregung  beizubelialteu,  wenn  auch  die  erregende  Ursache  zu 

wirken   aufhört^    beweist  uns   das    Beispiel    des   von   heftigen   Winden 

tief  aufgewühlten  Meeres:  seine  Wogen  gehen  noch  lange  hoch,  wenn 

auch  die  Luft  ruhig  geworden  ist,   der  Wind   sich  gelegt  hat,  wie  es 

bei  dem  heiligen  Sänger  so  schön  heifst:  „Gleichwie  der  Wogenschwall 

Korper  von  ge-des  ägiüschen  Mcercs  u.   s.  w."     Ein   solches  Verharren  in   einer   ein- 

wichte  sind    mal  Vorhandenen  Erregung  rührt  aber   von  der  Schwere  des  Wassers 

wegen  als    her:    dcun,    wie    schon  früher   bemerkt   worden   ist,   sind   Körper   von 

schwere,  aber  •  r^         •    ^  i-ii-ii 

weniger  geeignetgeringerem  Gewichte  zwar  leichter  m  Bewegung  zu  setzen  als  schwere, 

die  erlangte  Be-ö  ^.  .     ,  .,  .  ...  •  •  ••     ^       "D  .      • 

wegimg  beizu-  abcr  SIC  Sind  weit  weniger  imstande,  eine  eingeprägte  Bewegung  bei- 
zubehalten, wenn  die  bewegende  Ursache  zu  wirken  aufhört.  Darum 
wird  allerdings  die  Luft,  da  sie  an  und  für  sich  so  dünn  und  leicht 
ist,  von  einer  noch  so  kleinen  Kraft  ohne  jede  Schwierigkeit  bewegt, 
hingegen  ist  sie  auch  völlig  unfähig  nach  Beseitigung  der  bewegen- 
den Ursache  die  Bewegung  fortzusetzen.  Was  also  die  den  Erdball 
Es  ist  eher  ge- umgebende  Atmosphäre  betrifft,  so  wird  sie,  meine  ich,  ebenso  gut 
Atmosphäre' vonwie  das  Wasscr  durch  ihr' Haften  an  der  Erde  in  Kreisbewegung  ver- 

der  rauhen  Erd- 

oberaäche  als  sctzt,  namentlich  der  Teil,  welcher  in  Gefäfse  eingeschlossen  ist,  d.  h. 

gung  des  Hirn-  übcr  Ebcueu  sich  befindet,  die  von  Bergen  umgeben  sind.    Von  diesem 

den  zu  lassen.  Teile  köuneii  wir  jedenfalls   mit   gröfserem  Rechte  behaupten,  dafs  er 

durch  die  Erhabenheiten  der  Erdoberfläche  fortgerissen  werde,  als  dafs 

der  obere  Teil   von    der  Bewegung  des   Himmels    fortgerissen  werde, 

wie  Ihr  Peripatetiker  behauptet. 

Was  ich  bisher  gesagt  habe,  begegnet,  wie  mir  scheint,  dem  Ein- 
wände  von   Signore   Simplicio  in  völlig  ausreichender  Weise;   gleich- 
wohl will  ich  durch  weiteren  Gegengrund,  durch  weitere  Erwiderung, 
Bestätigung  derdic  sich  auf  ciuc  merkwürdige  Erfahrungsthatsache  gründet,  ihn  über  das 
durch  ein  neues,  Mafs  dcs  Notwendigen  hinaus  zufrieden  stellen  und  für  Signore  Sagredo 
ten  der  Atmo-  die  Beweglichkeit  des  Erdballs  noch  durch  ein  ferneres  Argument  be- 

sphäre  beruhen-  .  ta  i  •       i  i  im-ii 

des  Argument,  stätigcu.  Ich  habe  gesagt,  die  Atmosphäre,  insbesondere  der  Teil,  der 
nicht  über  die  höchsten  Berggipfel  hinausreicht,  werde  durch  die  Un- 
ebenheit der  Erdoberfläche  in  Rotation  versetzt.  Daraus  scheint  sich 
nun  die  Folgerung  zu  ergeben,  dafs,  wenn  die  Erde  nicht  uneben  wäre, 
sondern  glatt  und  poliert,  keine  Veranlassung  vorläge,  warum  die  Luft 
in  Mitleidenschaft  gezogen  werden  und  namentlich  in  so  genauer  Über- 
einstimmung mit  der  Bewegung  der  Erde  stehen  sollte.  Nun  ist  aber 
die  Oberfläche  unseres  Erdballs  nicht  durchweg  rauh  und  uneben,  son- 
dern es  sind  grofse  sehr  glatte  Flächen  auf  ihr  vorhanden,  nämlich 
ausgedehnte  Meeresoberflächen,  die  noch  obendrein  von  den  sie  um- 
rahmenden Gebirgskämmen  sehr  weit  entfernt  sind  ufid  also,  wie 
es  scheint,  nicht  wohl  die   darüber  lagernde  Luft  mit  sich  zu  führen 


I 


[475.  476.]  Vierter  Tag.  459 

vermögeu;  ist  dem  aber  so,  so  müfste  man  auch  an  solchen  Stellen 
die  Folgen  davon  verspüren. 

Simpl.  Eben  diesen  Einwand  wollte  auch  ich  zur  Sprache  bringen; 
er  scheint  mir  im  höchsten  Grade  treffend. 

Salv.  Sehr  richtig  bemerkt;  und  so  kommt  es  denn,  Signore 
Simplicio,  dafs  Ihr,  weil  von  den  Folgen  nichts  zu  merken  ist,  die  sich 
im  Falle  einer  kreisförmigen  Erdbewegung  einstellen  müfsten,  auf  die 
Unbeweglichkeit  der  Erde  schliefst.  Wemi  aber  diese  Euch  notwendig 
scheinende  Folge  nun  in  der  That  zu  verspüren  wäre,  würdet  Ihr  das 
als  ein  Anzeichen  oder  einen  triftigen  Beweisgrmid  für  die  Beweg- 
lichkeit selbigen  Erdballs  betrachten? 

Simpl.  In  diesem  Falle  dürft  Ihr  Euch  nicht  an  mich  allein 
wenden;  denn  sollte  dem  so  sein,  so  könnte  die  Ursache  immerhin 
einem  anderen  bekannt  sein,  wenngleich  sie  mir  verborgen  ist. 

Salv.  .Danach  hat  man  mit  Euch  niemals  Gewinn-,  sondern  stets 
nur  Verlustchancen,  und  es  wäre  besser  gar  nicht  zu  sj)ielen;  doch 
um  den  dritten  Mann  nicht  im  Stiche  zu  lassen,  will  ich  fortfahren. 
Wir  sagten  soeben  und  ich  wiederhole  mit  einigen  Zusätzen,  dafs  die 
Luft  als  dünner,  flüssiger,  nicht  fest  mit  der  Erde  verbundener  Stoff 
nur  insofern  der  Bewegung  der  Erde  zu  folgen  genötigt  ist,  als  die 
Unebenheiten  der  Erdoberfläche  sie  mitreifsen,  und  dafs  letztere  nur 
den  nächst  benachbarten  Teil  der  Atmosphäre  fortführen,  der  nicht 
sehr  weit  die  höchsten  Bergeshöhen  überragt.     Dieser  Teil  wird   deroer  der  Erde  be- 

•         .  .  .         .  nachbarte, 

Erdrotation  um  so  weniger  Widerstand  leisten,  als  er  reichlich  Dämpfe  dunstige  Teu  der 

°  ^  ....  .  Atmosphäre 

Rauch,  Dünste   enthält,  alles  Stoffe,   die  mit  irdischen  Qualitäten  be- nimmt  an  ihren 

.      .  .  .  Bewegungen 

haftet  sind  und  sich  daher  von  Hause  aus  für  selbige  Bewegungen  teil. 
eignen.  Wo  aber  die  Bewegungsursachen  fehlen,  die  Erdoberfläche 
also  grofse  ebene  Strecken  aufweist  und  die  Beimischung  irdischer 
Dünste  geringer  ist,  dort  kommt«  der  Grund  teilweise  in  Fortfall,  um 
dessentwillen  die  umgebende  Luft  sich  der  Geschwindigkeit  der  Erd- 
umdrehung vollständig  auschliefseu  sollte;  an  solchen  Stellen  müfste 
man  also,  wemi  die  Erde  sich  nach  Osten  dreht,  beständig  einen  von 
Ost  nach  West  uns  entgegen  wehenden  Wind  verspüren;  dieses  Wehen 
würde  da  am  merklichsten  sein,  wo  die  Drehung  der  Erde  am  rasche- 
sten von  statten  geht,  also  an  Stellen,  die  möglichst  entfernt  von  den 
•Polen  und  nahe  dem  gröfsten  Kreise  der  täglichen  Rotation  liegen. 
Nun  bestätigt  aber  die  Erfahrung  de  facto  in  hohem  Mafse  dieses 
theoretische  Ergebnis;  denn  auf  ausgedehnten  Meeren,  weit  vom  Lande, 
in  der  heifsen  Zone,  d.  h.  zwischen  den  AVendekreisen,  wo  auch  die 
Erdausdünstungen  fehlen,  fühlt  man  fortwährend  von  Osten  her  einen 
Luftzug.'"^)      Er   ist    so    beständig,    dafs   ihm  zufolge   die   Schiffe   mit 


460  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [476.  477.] 

In  den  Tropen  günstigem  Fahrwiiid  nacli  Westindien  gelangen;    ebenso  ist  es  diesem 
ein  Wind  nach  Umstände  zu  verdanken,  dafs  sie  von  dem  melsikanischen  Gestade  ans 
nnter  so   günstigen  Verhältnissen  nacli   dem  für  uns   östlich,    für  sie 
selber  aber  westlich  gelegenen  Indien   über  den  stillen  Ozean  fahren 
Fahrt  nach west-können.     Umgekehrt    hingegen    ist    die    Fahrt    von    dort   nach    Osten 
Rückkehr  '  schwicrig    und   unsicher,    und    kann    keinesfalls    auf   demselben   Wege 
unternommen  werden;  man  mufs  vielmehr  sich  der  Küste  näher  halten, 
um  andere,  gewissermafsen  zufällige,  unregelmäfsige  Winde  aufzusuchen, 
welche  sonstigen  Ursachen  ihren  Ursprung  verdanken.  Winde,  wie  wir 
Binnenländer  sie  aus  beständiger  Erfahrung  kennen  und  zu  deren  Ent- 
stehung viele  verschiedene  Ursachen  beitragen,  die  gegenwärtig  aufzu- 
zählen zwecklos   sein   würde.     Diese  zufalligen  Winde  sind  diejenigen, 
Landwinde  ver- welche  allenthalben  vom  Lande  her  unterschiedslos  wehen  und  welche 
Störungen,     die   vom  Aquator   ferne   gelegenen,    sowie   die   von  unebener  Erdober- 
fläche umgebenen  Meere  heimsuchen:  mit  anderen  Worten  solche  Meere, 
die  Störungen  ausgesetzt  sind,  Avelche  die  ursprüngliche  Luftströmung 
verwischen;  ohne  jene  zufälligen  Hindernisse  würde  die  Strömung  stets, 
namentlich  auf  dem  Meere  fühlbar  sein.     So   seht  Ihr   denn,  wie  die 
Erscheinungen   auf  dein  Meere  und  in  der  Luft  wunderbar  mit  denen 
am  Himmel  übereinstimmen  und   die  Beweglichkeit   des  Erdballs   be- 
stätigen. 

Sagr.  Auch  ich  möchte  noch,  zur  Krönung  des  Gebäudes,  auf 
einen  Umstand  hinweisen,  der  Euch  unbekannt  ist,  wie  es  scheint,  und 
der  .  gleichfalls  die  nämliche  Schlufsfolgerung  bestätigt.  Ihr,  Signore 
Salviati,  habt  jene  Verhältnisse  zur  Sprache  gebracht,  welche  die  See- 
leute in  den  Tropen  vorfinden,  nämlich  das  unausgesetzte,  bestandige 
Wehen  eines  Ostwindes,  worüber  ich  Berichte  von  Männern  hab.e,  die 
diese  Reise  wiederholt  gemacht  haben.  Auch  weifs  ich,  was  recht  be- 
merkenswert ist,  dafs  die  vSeeleute  diesen  Luftzug  gar  nicht  als  einen 
AVind  bezeichnen,  sie  haben  vielmehr  eine  andere  Benennung  dafür,  die 
mir  augenblicklich  nicht  einfällt  und  die  wahrscheinlich  von  seiner 
festen,  beständigen  Richtung  hergenommen  ist.  Dies  geht  soweit,  dafs 
wenn  man  ihn  erst  einmal  vorgefunden  hat,  man  Haupt-  und  Neben- 
taue der  Segel  festbindet  und  ohne  sich  ferner  darum  zu  bekümmern 
sogar  schlafend  seine  Reise  sicher  fortsetzen  kann.  Nun  ist  aber  dieser 
1>eständige  Luftzug  nur  infolge  seines  gleichmäfsigen  unimterbro ebenen 
Wehens  als  solcher  erkannt  worden;  kämen  hie  und  da  andere  Winde 
dazwischen,  so  würde  man  darin  nicht  eine  besondere,  wohl  charakte- 
risierte Naturerscheinung  erblickt  haben.  Daraus  glaube  ich  schliefsen 
zu  dürfen,  dafs  ähnliche  Verhältnisse  auf  miserem  Mittelländischen 
herrschen,  sie  entziehen  sich  nur  der  Beobachtung  wegen  häufiger  Stö- 


[477.  478.]  Vierter  Tag.  461 

nmgen  durcli  andere  hinzukommende  Winde.     Ich  sage  dies  nicht  ohne 
triftige   Gründe,    vielmehr    sprechen   gar   manche   Umstände   dafür;    so 
vermute  ich  wenigstens  auf  Urmid  der  Erfahrungen,  die  ich  auf  meiner 
syrischen  Reise  sammelte,  wie  ich  nach  Aleppo  als  Konsul  meiner  Vater- 
stadt ging.     Die  Sache  ist  nämlich  die:  da  man  specielle  Verzeichnisse  Die  Reisen  auf 
und  Tagehücher  über  die  Abfahrts-  und  Landungszeiteu  der  Schiffe  in  denin^ät-westiicher 
Häfen   Alexandria,    Alexandrette   und  hier  in  Venedig  führt,   so   haberaa'che"?oifstat- 
ich  aus  Neugierde  diese  in  grofser  Zahl  verglichen  und  gefunden,  dafs  ^Westen  naJh" 
durchschnittlich  die  Rückfahrten  hierheK,  also  die  Fahrt  von  Ost  nach 
West    über    das    mittelländische   Meer,    um   25  Prozent  schneller  von 
statten  geht  als  die  Reise  in  umgekehrter  Richtung,  woraus  ersichtlich 
ist,  dafs  alles  in  allem  die  Ostwinde  die  Westwinde  überwiegen.  ^^) 

Salv.  Es  ist  mir  lieb  von  diesem  Umstände  erfahren  zu  haben, 
der  nicht  unwesentlich  dazu  beiträgt,  die  Erdbewegung  zu  bestätigen. 
Und  wiewohl  man  auch  sagen  könnte,  dafs  die  gesamte  Wassermasse 
des  mittelländischen  Meeres  beständig  nach  der  Strafse  von  Gibraltar 
hinströmt,  da  hier  das  Wasser  so  vieler  einmündenden  Flüsse  in  den 
Ozean  abgeführt  werden  mufs,  so  halte  ich  doch  die  dadurch  ver- 
ursachte Strömung  nicht  für  hinreichend,  um  so  merkliche  Unterschiede 
in  der  Dauer  der  Fahrt  zu  bewirken.  Dies  geht  auch  aus  den  Be- 
obachtungen an  der  Meerenge  von  Messina  hervor,  wo  das  Wasser 
ebenso  stark  nach  Osten  zurück-  wie  nach  Westen  hinströmt. 

Sagr.  Ich,  der  ich  nicht  wie  Signore  Simplicio  Anlafs  habe  an- 
deren, sondern  nur  mir  selbst  Genüge  zu  thun,  bin  bezüglich  dieses 
ersten  Teiles  durch  das  Gesagte  zufrieden  gestellt.  Weim  es  Euch 
also  genehm  ist,  Signore  Salviati,  fortzufahren,  so  l)in  ich  bereit  Euch 
anzuhören. 

Salv.  Ich  werde  thun,  wie  Ihr  mich  heifst.  Ich  möchte  doch 
aber  auch  die  An.sicht  von  Signore  Simplicio  höreji,  aus  dessen  Urteil 
ich  entnehmen  kann,  welches  Schicksal  meiner  Untersuch vmgen  seitens 
der  peripatetischen  Schulen  harrt,  wenn. sie  je  zu  deren  Kenntnis  ge- 
langen sollten. 

Simpl.  Ich  möchte  nicht,  dafs  Euch  meine  Meinung  mafsgebend 
für  die  Kritik  sein  soll,  die  Ihr  von  anderer  Seite  zu  erwarten  habt. 
Demi  ich  bin,  wie  ich  des  öfteren  Ijcmerkt,  auf  diesem  Wissensgebiete 
der  Geringsten  einer-,  manches  dürfte  anderen,  die  in  die  tiefsten  Tiefen 
der  Philosophie  eingedrungen  sind,  beifallen,  Avoran  ich  nicht  denke, 
der  ich  gewissermafsen  nur  bis  zur  Schwelle  des  Allerheiligsten  ge- 
langt bin.  Als  eine  kühne  Ansicht  jedoch  mufs  ich  Euch  sagen,  dafs 
die  von  Euch  erwähnten  Naturerscheinungen  auch  ohne  die  Hypothese 
der  Erdbewesuno-,    blofs   unter  Voraussetzuno-  der  Himmelsumdrehunij 


462  •        Dialog  über  die  Weltsysteme.       •  [478.  479.] 

sehr  wokl  genügende  Erklärimg  finden  können;  es  bedarf  dazu  keiner 
sonstigen  Annahme   als   nur   der  umgekehrten  von  der,   die  Ihr  selbst 
ins  Feld   führt.     Es    ist  in  der  peripatetiseken  Schule  die  herrschende 
Ansicht,    dafs    das   Element    des   Feuers,    sowie    ein    grofser  Teil    der 
Atmosphäre  vermöge  der  täglichen  Rotation  in  ost-westlicher  Richtung 
gedreht  wird,  weil  diese  Teile  sich  mit  der  Höhlung  der  Mondsphäre, 
Durch  umkeh-  als  dcm  sic  enthaltenden  Gefäfse,  berühren.  ^-')     Ohne  also  aus  Euerem 
raentation -wird  Geleise   mich  zu  entfernen,    nehme  ich  an,   es  möge  die  an  dieser  Be- 
die  beständige  weguug  beteiligte  Luft  bis  zu  den  Spitzen  der  höchsten  Berge  hinab- 
liuft  von  Ost  reichen,  ja   auch  bis   zur  Erde    selbst,   insoweit  jene  Berge   nicht   ein 
der  Bewegung  Hindernis   bilden.     Ganz    analog  nämlich,   wie  Ihr  behauptet,   die  von 
rührt.        Gebirgen  eingeschlossenen  Luftmengen  würden  durch  die  Unebenheiten 
der  bewegten  Erde  in  Drehung  versetzt,  so  sagen  wir  umgekehrt,  die 
ganze  Atmosphäre   werde   in  die  kreisförmige  Bewegmig  des  Himmels 
mit   hinein   gezogen,    ausgenommen   derjenige  Teil,    der   am  Fufse   der 
Berge   gelegen,   durch  die  Unebenheiten  der  unbewegten  Erde  zurück- 
gehalten wird.     So  gut  Ihr  sagt,  dafs  mit  dem  Aufhören  der  Uneben- 
heiten  auch   das  Mitreifsen   der  Luft  aufhört,   ebenso  gut  kömien  wir 
sagen,  dafs,  weim  solche  Unebenheiten  fehlen,  die  gesamte  Atmosphäre 
bis   zur  Erdoberfläche  hin  ihre  Bewegung  fortsetzt.     Da  nun  aber  die 
Oberfläche  ausgedehnter  Meere  glatt  und  eben  ist,  so  macht  sich  noch 
bis    zum   Meeresspiegel   herab   eine   von   Osten   wehende  Luftströmung 
fühlbar.     Dies   tritt   am   stärksten  hervor  in  den  Gegenden  unter  dem 
Äquator  und   innerhalb   der  Wendekreise,   da  dort   die  Bewegung  des 
Himmels    am     schnellsten    ist.      Ist    nun    sothane    Himmelsbewegung 
imstande  die  gesamte  freie  Luft  mit  sich  zu  führen,  so  ist  man  auch  zu 
Die  Bewegung  ^^^r  Ausicht  berechtigt,   dafs   sie   dem  beweglichen  Wasser  eben  diese 
dingTduTch  dieBöwegung  mitzuteilen  vermag,   weil  es   flüssig  und  an  die  starre  Un- 
"^Himm'eil  *^^^  bcweglichkeit  der  Erde  nicht  gebunden   ist.     Wir  können  das  um  so 
zuversichtlicher   behaupten,    als   nach  Euerem  eigenen  Zugeständnisse 
jene  Bewegung  sehr  geringfügig  im  Vergleich  zu  der  sie  hervorrufenden 
Ursache  sein  mufs;  denn  während  diese  in  einem  natürlichen  Tage  den 
gesamten  Erdball  und  somit  in  einer  Stunde  viele  Hunderte  von  Mig- 
lien  zurücklegt,  zumal  in  der  Nähe  des  Äquators,  beträgt  die  Strömungs- 
geschwindigkeit  auf  offenem  Meere   nur  ganz   wenige  Miglien  in   der 
Stunde.     Daher  werden  denn   die  Fahrten  nach  Westen   bequein  und 
angenehm  von  statten  gehen,  nicht  nur  vermöge  des  beständigen  öst- 
Ebbe  und  ji'iut liehen   Luf'tzv^ges,    sondern -auch   infolge    der  Wasserströmung.     Eben 
durfh^di^äg^  aus    dieser   Strömung    mag   dann   vielleicht   auch   Ebbe   und  Flut   sich 
ciMHimm'^ia^he"r*?erklären   lassen,    wenn  man   gleichzeitig  die  verschiedenen   Lagen   der 
vorgerufen.    Mecrcsküsten  in  Rechnmig  zieht.  ^')     Sobald  nämlich  das   Wasser  an 


[479.  480.]  Vierter  Tag.  *  463 

diese  anschlägt,  kehrt  es  vielleicht  in  entgegengesetzter  Bewegung 
wieder  um,  wie  die  Erfahrung  uns  etwas  derartiges  bei  dem  Strömen 
der  Flüsse  zeigt:  wemi-  in  diesen-  das- Wasser  gegen  einen  vorspringenden 
Teil  des  zerrissenen  Ufers  stöfst  oder  in  eine  kesseiförmige  Vertiefung 
des  Grundes  gerät,  so  prallt  es  ab  und  strJnnt  deutlich  eine  Strecke 
rückwärts.  Aus  diesen  Gründen,  scheint  mir,  lassen  sich  eben  die  Er- 
scheinungen, aus  welchen  ?trr  «lie  Beweglichkeit  der  Erde  folgert  und 
die  Ihr  durch  eben  diese  Beweglichkeit  erklärt,  auch  mit  hinreichender 
Strenge  unter  der  alten  Annahme  begründen,  dafs  die  Erde  feststehe 
und  der  Himmel  sich  bewege. 

Salv.  Man  kami  nicht  in  Abrede  stellen,  dafs  Euere  Ausführungen 
scharfsinnig  sind  und  etwas  Plausibeles  haben,  jedoch  nur  dem  An- 
scheine nach,  nicht  in  Wirklichkeit  und  Wahrheit.  Es  sind  zwei  Punkte 
zu  imterscheiden:  erstens  gebt  Ihr  Rechenschaft  von  der  beständigen 
aus  Osten  wehenden  Luft-  und  einer  ähnlichen  Wasserbewegung,  zwei- 
tens wollt  Ihr  aus  eben  derselben  Quelle  die  Erklärung  der  Gezeiten 
schöpfen.  Der  erste  Teil  hat,  wie  gesagt,  einen  Schein  von  Glaub- 
würdigkeit, wiewohl  lange  nicht  in  dem  Grade,  wie  unsere  Erklärung 
mittels  der  Erdbewegmig;  der  zweite  hingegen  ist  nicht  nur  unwahr- 
scheinlich, sondern  durchaus  verfehlt  und  falsch.  Wenn  Ihr  nämlich, 
um  zunächst  den  ersten  Punkt  zu  besprechen,  sagt,  dafs  die  Höhlung 
der  Mondsphäre  das  Element  des  Feuers  und  die  gesamte  Atmosphäre 
bis  zu  den  Spitzen  der  höchsten  Berge  mit  sich  reifse,  so  entgegne 
ich  erstlich:  ob  das  Element  des  Feuers  dort  vorhanden  ist,  läfst  sich 
bezweifeln-,  ^*^)  gesetzt  aber,  es  sei  dies  der  Fall, .  so  ist  doch  betreffs 
der  Mond  Sphäre  wie  aller  anderen  Sphären  noch  zweifelhaft,  ob  es  sich 
um  ungeheuere  feste  Körper  handelt  oder  ob  sich  nicht  vielmehr  jeu- 
seit  der  Luftregion  ein  Raum  erstreckt,  welcher  stetig*  erfüllt  ist  mit 
einer  die  Luft  an  Dümie  und  Reinheit  weit  übertreffenden  Substanz 
durch  welchen  hin  die  Planeten  ihre  Bahnen  beschreiben.  Diese 
letztere  Ansicht  bricht  si.ch  immer  mehr  Bahn,  sogar  bei  einem  grofsen 
Teile  der  Philosophen.     Doch  dem  sei  so  oder  so,  es  liegt  kein  Grund  Es  ist  unwahr- 

1  T-i  1         1         T        1  1     p         Ti         1  •  •  scheinlich,   dafs 

vor,    warum    das   h  euer    durch    die   blofse   Berührung   mit   einer  nachdas  Element  des 

.  T  1  -rii       1  •  •  n^■     -■        •     I"'euer8  durch  die 

Euerer   Ansicht   vollständig   glatten   1^ lache   m   semer   ganzen    liefe   in  Höhlung  der 

m    •    1  IT         p  1       T-w      1  Mondsphiire 

eine  seinem  natürlichen  Triebe  völlig  fremde  Drehung  versetzt  w^erden  fortgerissen 
sollte:  wie  im  „Goldwäger" ^■')  ausführlich  dargelegt  und  mittels  sinn- 
licher Versuche  bewiesen  worden  ist.  Das  Unwahrscheinliche  dieser 
Annahme  wird  noch  vermehrt  dadurch,  dafs  genaimte  Bewegung  sich 
von  dem  aufserordentlich  feinen  Feuer  zu  der  sehr  viel  dichteren  Luft 
und  von  dieser  gar  bis  ■  zum  Wasser  fortpflanzen  soll.  Dafs  hingegen 
ein  Körper  von  unebener  und  gebirgiger  Oberfläche  bei  seiner  Drehung 


464  '  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [480.  481.] 

die  benachbarte  Luft  mit  in  Bewegung  setzt,  in  welche  seine  .Vor- 
sprünge und  Spitzen  hineinragen,  ist  nicht  nur  sehr  glaublich,  sondern 
notwendig;  man  kann  es  übrigens  auch  durch  -den  Versuch  erhärten, 
wiewohl  schwerlich  irgend  jemandes  Vernunft  darein  Zweifel  setzen 
wird.  Was  den  anderen  Teil  Euerer  Ausführungen  betrifft,  so  würde, 
gesetzt  auch,  die  'Bewegung  des  Himmels  reifse  wirklich  die  Luft  und 
sogar  das  Wasser  mit  sich,  dieser  Vorgang  gleichwohl  mit  Ebbe  und 

Ebbe  und  Flut  Flut    uichts    ZU    schaffeu    haben.      Denn    da   eine    einzige    gleichmäfsig 
^1^e' Bewegung 'wirkende  Ursache  auch  nur  eine  einzige  gleichmäfsige  Wirkung  hervor- 

hervSge^ifen  bringen  kann,  so  müfste  die  am  Wasser  wahrzunehmende  Erscheinung 
werden.  ^[^y.]j^  bestehcii,  dafs  es  beständig  gleichmäfsig  von  Ost  nach  West 
strömt  und  zwar  nur  in  einem  solchen  Meere,  das  die  ganze  Erde  um- 
giebt  mid  in  sich  selbst  zurückläuft.  In  einem  begrenzten  Meere  hin- 
gegen, wie  in  dem  nach  Osten  abgeschlossenen  Mittelmeere,  würde  eine 
derartige  Bewegung  nicht  stattfinden  können;  denn  wäre  der  Himmels- 
lauf imstande  seine  Wassermassen  nach  Westen  fortzutreiben,  so 
müfste  es  seit  unvordenklicher  Zeit  trocken  gelegt  sein.  Ferner  läuft 
ja  in  unseren  Meeren  das  Wasser  nicht  ausschliefslich  nach  Westen, 
sondern  es  kehrt  in  regelmäfsigen  Zwischenräumen  nach  Osten  zurück. 
Und  wenngleich  Ihr  mit  dem  Beispiel  der  Flüsse  beweisen  wollt,  dals 
trotz  des  ursprünglich  nach  Westen  gerichteten  Laufs  die  verschiedene 
Gestaltung  der  Ufer  einen  Teil  des  Wassers  nach  rückwärts  strudeln 
kann,  so  gebe  ich  das  zu;  nur  mttfst  Ihr  beachten,  lieber  Signore  Sim- 
plicio,  dafs  an  Stellen,  wo  das  Wasser  aus  solcher  Ursache  rückwärts 
fliefst,  es  stets  rückwärts  fliefst,  und  wo  es  geradeaus  strömt,  es  in 
gleicher  Weise  stets  geradeaus  strömt.  Das  ist  es,  was  das  Beispiel 
der  Flüsse  uns  lehrt.  In  dem  Falle  von  Ebbe  und  Flut  hingegen 
handelt  es  sich  darum,  eine  Ursache  zu  entdecken  und  vorzuführen, 
durch  welche  an  ein  und  derselben  Stelle  ein  abwechselndes  Hin-  und 
Herströmen  bewirkt  wird.  Diese  entgegengesetzten,  ungleichförmigen 
Erscheinmigen  werdet  Ihr  nimmermehr  aus  einer  einförmigen,  unver- 
änderlichen Ursache  ableiten.  Dieses  Argument  widerlegt  nicht  nur 
aufs  schlagendste  die  Lehre  von  einer  Übertragung  der  Himmels- 
bewegung auf  das  Wasser,  sondern  auch  die  Ansicht,  wonach  blofs 
eine  tägliche  Bewegung  der  Erde  existiert  und  Ebbe  und  Flut  als 
deren  Folgen  hingestellt  werden.  ^*^)  Da  es  sich  um  eine  ungleichför- 
mige Wirkung  handelt,  mufs  unweigerlich  auch  die  Ursache  ungleich- 
f(')rmig  und  veränderlich  sein. 

Simpl,  Ich  weifs  darauf  nichts  zu  entgegnen,  weder  eine  eigene 
Ansicht  —  dazu  reichen  meine  Gaben  nicht  aus  —  noch  eine  fremde, 
denn   die   aufgestellte  Ansicht  ist   zu  neu.  •  Doch  möchte  ich  glauben. 


[481.  482.]  Vierter  Tag.  465 

dafs   wenn    sie  erst  in  die  Scliulen  gedrungen  ist,  es  nicht  an  Philo- 
sophen fehlen  wird,  die  sie  zu  bekämpfen  wissen. 

Sagr.     Wir  Avollen  also  diesen  Zeitpunkt  abwarten  und  inzwischen, 
wenn  es  Signore  Salviati  recht  ist,  weiter  gehen. 

Salv.  Alles  bisher  Vorgetragene  bezieht  sich  auf  die  tägliche 
Periode  der  Gezeiten.  Es  wurde  zunächst  im  allgemeinen  ihre  primäre, 
umfassende  Ursache  nachgewiesen,  ohne  welche  die  Erscheinung  über- 
haupt nicht  zustande  käme;  indem  wir  dann  zu  den  mannigfachen 
gewissermafsen  regellosen  Einzelheiten  übergingen,  die  dabei  zu  Tage 
treten,  wurden  die  sekundären,  begleitenden  Ursachen  abgehandelt, 
durch  welche  jene  bedingt  werden.  Es  folgen  nun  die  beiden  anderen 
Perioden,  die  monatliche  und  jährliche;  durch  sie  erwachsen  nicht  neue, 
von  den  bisher  betrachteten  abweichende  Eigentümlichkeiten,  sie  be- 
wirken nur  eine  Verstärkung  oder  Abschwächung  der  Erscheinungen 
zu  verschiedenen  Zeiten  des  Mondmonats  und  des  Sonnenjahres:  schein- 
bar als  ob  auch  Sonne  und  Mond  bei  der  Hervorbringung  und  Er- 
zeugung derselben  eine  Rolle  spielten,  eine  Annahme,  gegen  die  meine 
Vernunft  sich  aufs  äufserste  sträubt.  Wemi  ich  sehe,  wie  die  Be- 
wegung der  Meere  eine  rein  örtliche,  sinnlich  greifbare  Erscheinung 
innerhalb  einer  ungeheueren  Wassermasse  ist,  kann  ich  mich  nicht 
entschliefsen,  an  den  Einflufs  des  Lichtes,  an  temperierte  Wärme,  an 
das  Wirken  verborgener  Qualitäten^*)  imd  an  ähnliche  nichtige  Phan- 
tastereien zu  glauben.  Eher  als  dafs  solche  Dinge  die  Ursache  des 
Fliefsens  der  Meeres wasser  sind,  dürften  umgekehrt  Flüsse  und  Blut- 
wallungen jene  hervorbringen,  nämlich  sie  in  das  Gehirn  von  Leuten 
treiben,  die  lieber  prunkhafte  Worte  im  Munde  führen,  als  das  ge- 
heimste Wirken  der  Natur  durchdenken  und  erforschen.  Leute  dieses 
Schlags,  statt  jenes  weise,  offene  und  bescheidene  Wort  „Ich  weifs  es 
nicht"  auszusprechen,  lassen  ihren  Lippen  und  ihrer  Feder  lieber  die 
ärgsten  Ungeheuerlichkeiten  entschlüpfen.  Man  beachte  blofs,  dafs  der- 
selbige  Mond  und  dieselbige  Sonne  weder  mit  ihrem  Lichte  noch  mit 
ihrer  Bewegung,  weder  mit  intensiver  noch  mit  temperierter  Wärme 
auf  kleinere  Wasserbecken  irgendwelchen  Einflufs  üben;  man  über- 
zeuge sich,  dafs  man  das  Wasser  nahezu  kochen  mufs,  um  es  zum 
Steigen  zu  bringen;  kurz  man  berücksichtige,  dafs  wir  auf  keine 
Weise  künstlich  die  Bewegimg  der  Gezeiten  nachahmen  köimen  aufser 
durch  die  Bewegung  des  Gefäfses:  kann  man  sich  da  nicht  mit  voller 
Gewifsheit  sagen,  dafs  alle  anderen  angeblichen  Ursachen  dieser  Er- 
scheinungen eitele  Phantasieen  sind  und  weit  ab  vom  Ziele  treffen ?.^^|j;f«^\^^8^. 
Lizwischen  sage  ich:  Avemi  wirklich  einer  Wirkmig  nur  eine  i^i'sprüng- «^^.J^^^^^^^^^'J^/ 
liehe   Ursache   entspricht,   weim   wirklich    zwischen  Ursache   und  Wir-'"  «Iöh  rrs:»chen 

Gamlei,  WoUsystoine.  30 


466  t)ialog  über  die  Weltsysteme.  [482.  483.] 

kuüg  eine  feste,  beständige  Verknüpfung  bestellt,   so  niufs  aucli  jeder 
festen,  beständigen  Abänderung  in  der  Wirkung,  die  man  wahrnimmt, 
eine  feste,  beständige  Abänderung  auf  Seiten  der  Ursache  entspreelien. 
Da  nun  die  Modifikationen,  unter  welchen  Ebbe  und  Flut  zu  verschie- 
denen Zeiten  eines  Jahres  und  eines  Monats  auftreten,  feste  beständige 
Perioden  besitzen,  so  mufs  in  denselben  Zeitintervallen  notwendig  eine 
mäfsige  Abänderung  an  der  ursprünglichen  Ursache  von  Ebbe  und  Flut 
Ausführliche  Er-stattfinden.    Weiter  ist  die  Änderung,  welche  sich  in  genannten  Fristen 
"sach^^dtrmo'-'an  den  Gezeiten  zeigt,   nur  eine   quantitative,   d.  h.   das   Steigen  und 
jähruchen  p^*^  Fallcu  ist  bald  bedeutender,  bald  geringer,  die  Strömung  bald  stärker, 
"°unrFiJt^^*loald  schwächer.     Die  ursprüngliche  Ursache  von  Ebbe  und  Flut  mufs 
also  innerhalb  jener  bestimmten  Fristen  bald  eine  gröfsere,  bald  eine 
geringere  Stärke  besitzen.     Nun  haben  wir  aber  bereits  bewiesen,  die 
Ungleichförmigkeit  oder  die  verschiedene  Geschwindigkeit  bei  der  Be- 
wegung  der  Wasserbecken   sei  die  erste  Ursache  von  Ebbe  und  Flut; 
dementsprechend  mufs  daher  von  Zeit  zu  Zeit  jene  Ungleichförmigkeit 
innerhalb  weiterer  Grenzen  sich   geltend  machen,  mit  anderen  Worten 
sie  mufs  bald  gröfser,  bald  kleiner  sein.     Erinnern  wir  uns  nun,  dafs 
die  Ungleichförmigkeit  oder  die  veränderliche  Geschwindigkeit  der  Ge- 
fäfse,  d.  h.   der  verschiedenen  Teile  der  Erdoberfläche,   daraus  hervor- 
geht, dafs  dieselben  eine  zusammengesetzte  Bewegung  besitzen,  welche 
aus  der  Paarung  der  dem  ganzen  Erdball  eigentümlichen  täglichen  mit 
der  jährlichen  Bewegung   entspringt;  erimiern  wir  uns  ferner,  dafs  die 
Wirkung  der  täglichen  Rotation  die  der  jährlichen  bald  verstärkt,  bald 
abschwächt,   dafs   sie   auf  diese  Weise  die  Ungleichförmigkeit  der    zu- 
sammengesetzten Bewegung    zustande   bringt  und  dafs  in  diesem  ab- 
wechselnden Zusammen-  und  Entgegenwirken  die  ursprüngliche  Ursache 
der  ungleichförmigen  Bewegung  der  Gefäfse,  also  auch  die  Ursache  von 
Die  monatliche  El'^^^   uud  Flut,   bcstcht.     Fände   also   der  Wechsel   zwischen  Verstär- 
Abänderung^der^^u^o  ^^^^^^  Abschwächimg  der  jährlichen  Rotation  seitens  der  täglichen 
nur^heTrühren  immer   iu   glcichcm  Verhältnis   zu   ersterer   statt,   so   würde  allerdings 
mng^rdem'^Be-^ßständiger  Anlafs  zum  Spiel  von  Ebbe  und  Flut  vorhanden  sein,  doch 
Stärkung  Md  würde    dieses   Spiel    fortwährend    in    gleicher  Weise    sich   wiederholen. 
we^che'dle''jäii^-Uns  liegt  jcdoch  die  Aufgabe  ob,    eine  Ursache  zu  suchen  dafür,  dafs 
""?enrder°utg""Et>be  imd  Flut  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene  Gröfse  besitzen, 
liehen  erfährt.  ^oHen  wir  also  an  der  Identität  der  Ursache  festhalten,  so  haben  wir 
nach   einem   Umstände   zu   forschen,    welcher  jene  Verstärkungen   und 
Abschwächungen  derart  beeinflufst,  dafs  die  davon  abhängigen  Erschei- 
nungen bald  mehr,  bald  weniger  intensiv  auftreten.     Aber  eine  solche 
gröfsere  oder  geringere  Wirksamkeit  kami,  soweit  ich  sehe,  nur  durch 
die   Annahme   erklärt   werden,    dafs   der  Betrag   der  Verstärkimg   oder 


[483.  484.]  Vierter  Tag.  467 

Abschwäcbimg  selbst  bald  gröfser,  bald  kleiner  ist,  dafs  also  die  Be- 
scbleunigung  und  die  Verzögerung  der  zusammengesetzten  Bewegung 
Inild  in  einem  stärkeren,  bald  in  einem  scbwäcberen  Mafse  stattfindet. 

Sagr.  Ich  fühle  mich  von  sanfter  Hand  weiter  geführt;  aber  wie- 
wohl ich  auf  dem  Wege  nicht  strauchele,  so  weifs  ich  doch  nicht, 
einem  Blinden  gleich,  wohin  ich  unter  Euerer  Führung  gelange,  und 
habe  keine  Ahnung,  welchem  Ziele  die  Fahrt  zusteuert. 

Salv.  Mag  auch  das  Mifsverhältnis  zwischen  meiner  langsamen 
Art  der  Entwicklung  und  Euerem  raschen  Verständnis  grofs  sein,  so 
wundere  ich  mich  doch  nicht,  dafs  Euer  Scharfsinn  in  dem  vorliegenden 
besonderen  Falle  den  dichten,  finsteren  Nebelschleier  noch  nicht  zu 
durchdringen  vermag,  der  das  Ziel  der  Reise  einstweilen  verbirgt.  Ich 
bin  nicht  erstaunt,  denn  ich  erinnere  mich,  wieviel  Stimden,  Tage,  ja 
Nächte  ich  mit  dieser  Untersuchung  verbracht  habe.  Wieviele  Male  habe 
ich  nicht  in  heller  Verzweiflung  darüber,  dafs  ich  nicht  zum  Ziele  kommen 
konnte,  mich  nach  Art  des  unglückseligen  Roland  zu  trösten  gesucht, 
es  möchte  vielleicht  nicht  wahr  sein,  was  doch  das  Zeugnis  so  vieler 
glaubwürdiger  Menschen  mir  vor  Augen  führte.  ^^)  Wundert  Euch 
also  nicht,  wenn  Ihr  diesmal.  Euerer  Gewohnheit  zuwider,  nicht  das 
Ziel  im  voraus  erblickt;  thut  Ihr  es  aber  dennoch,  so  glaube  ich,  der 
Ausgang,  meines  Bedünkens  ein  sehr  unvermuteter  Ausgang,  wird  Euch 
das  Staunen  benehmen. 

Sagr.  So  danke  ich  denn  Gott,  dafs  durch  seiae  Fügung  die 
Verzweiflung  Euch  nicht  in  dasselbe  Schicksal  getrieben,  das  der 
Sage  nach  über  den  armen  Roland  kam,  noch  auch  in  dasjenige,  wel- 
chem Aristoteles  nach  ebenso  unverbürgter  Sage  verfiel;  denn  auf  diese 
Weise  gehen  ich  und  die  Welt  einer  ebenso  verborgenen  als  erwünsch- 
ten Entdeckung  nicht  verlustig.  Ich  bitte  Euch  also,  stillt  so  bald 
als  möglich  meinen  gierigen  Hunger. 

Salv.  Ihr  seht  mich  bereit,  Eueren  Wimsch  zu  erfüllen.  Wir 
waren  auf  das  Problem  gekommen,  wieso  die  Verstärkung  und  Ab- 
schwächung  der  jährlichen  Bewegung  durch  die  tägliche  Rotation  bald 
in  gröfserem,  bald  in  geringerem  Verhältnisse  erfolgt.  Demi  diese 
Verschiedenheit  und  diese  allein  konnte  die  monatlichen  imd  jährlichen 
Änderungen  erklären,  welche  erfahrimgsgemäfs  die  Höhe  der  Gezeiten 
erleidet.    Ich  ziehe  nunmehr  in  Betracht,  dafs  dieses  Verhältnis  der  Ver-  Ras  Verhältnis 

der  Verstärkung 

stärkuno-  mid  Abschwächung  der  iähiiichen  Kreisbewesfung  seitens  der  uud  Abschwä- 

.  ....  .  .     chung  der  jähr- 

täglichen  Rotation  auf  dreierlei  Weise  bald  gröfser,  bald  kleiner  seiniiciien  Bewegung 
kann.     Einmal   kann    die    Geschwindigkeit    der  jährlichen   Bewegung  Hchen  Eotation 
wachsen    oder    sich   vermindern,    während    die   Verstärkung   und  Ab-  weise  Ände- 
schwächung    vermöge    der   täglichen   Rotation    ein   und   denselben   Be- 

30* 


468  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [484.  485.] 

trag  beibeliält.  Die  jährliche  Bewegung  ist  nämlicli  aucli  an  dem 
Äquator  dreimal  so  grofs  oder  so  rasch  als  die  tägliche -^j;  wenn  wir 
jene  also  noch  weiter  vergröfsern,  so  werden  die  Verstärkungen  oder 
Abschwächungen  seitens  der  täglichen  Rotation  eine  verhältnismäfsig 
geringere  Änderung  hervorrufen;  macht  man  erstere  aber  umgekehrt 
langsamer^  so  wird  sie  verhältnismäfsig  stärker  beeinflufst.  Denn  fügt 
man  zu  einer  Geschwindigkeit  im  Betrage  von  20  Grad  eine  Ge- 
schwindigkeit von  4  Grad  hinzu  oder  zieht  eine  eben  solche  ab^  so 
ändert  das  nicht  soviel  an  der  Bahn  des  sich  bewegenden  Körpers 
als  ein  Mehr  oder  Weniger  von  4  Grad  Geschwindigkeit  bei  einer  Ge- 
schwindigkeit von  10  Grad.  Die  zweite  Art  besteht  darin,  dafs  man 
die  Verstärkung  imd  Abschwächung  selbst  gröfser  oder  kleiner  macht, 
während  man  der  jährKchen  Bewegung  stets  die  gleiche  Geschwindig- 
keit beläfst.  Dies  ist  sehr  leicht  zu  verstehen,  denn  es  ist  klar,  dafs 
eine  Geschwindigkeit  von  z.  B.  20  Grad  eine  stärkere  Änderung  durch 
ein  Plus  oder  Minus  von  10  Grad  Geschwindigkeit  als  durch  ein 
solches  von  4  Grad  erfährt.  Die  dritte  Art  und  Weise  endlich  ist  die, 
dafs  jene  beiden  sich  vereinigen,  die  jährliche  Bewegung  also  sich  ver- 
langsamt, während  die  tägliche  Verstärkung  und  Abschwächmig  sich 
vermehrt.  Bis  hierher  zu  gelangen,  ist,  wie  Ihr  seht,  nicht  schwierig; 
wohl  aber  hat  es  mir  viel  Mühe  gekostet  ausfindig  zu  machen,  wie 
Die  Natur  yer-  jjgg  yQjj  (jgj.  Natur  bewerkstelligt  wird.     Schliefslich  iedoch  habe  ich 

mag  mit  gröfster  <-'  _  ... 

Leichtigkeit   (jie  wunderbare,  beinahe  unfafsbare  Weise   entdeckt,  in   der  sie  dabei 

Dinge  auszu-  '  ' 

führen  deren  verfährt:   wuudcrbar  und   unfafsbar,   sage  ich,  für  uns,  nicht  aber  für 

Verständnis    für  '  _  .  . 

uns  höchst    gjg    jjg  auch  Dinge,   welche   unseren  Geist  mit  höchstem  Staunen  er- 

schwierig  ist.  ;  o    7 

füllen,  mit  gröfster  Leichtigkeit  und  Einfachheit  zustande  bringt:  was 

zu    verstehen  uns    so    schwer  fällt,    ist  ihr  ein  Leichtes  auszuführen. 

Ich   fahre   nun  fort:    nachdem   ich   gezeigt    habe,    wie    das   Verhältnis 

zwischen  der  Verstärkimg  und  Abschwächung  der  Rotationsbewegung 

zu  der  jährlichen  Bewegimg  zwiefach  gröfser  und  kleiner  werden  kann 

—  ich  sage  zwiefach,  denn  die  dritte  Weise  ergiebt  sich  durch  vereinigte 

Wirkung  der  beiden   anderen  —   füge  ich  nun  hinzu,  dafs  die  Natur 

Wenn  die  jähr- sich   beider  Mittel   bedient;   ich  bemerke  des   weiteren,  dafs  bei  Ver- 

^^  slchTicht    Wendung    von    nur    einem    notwendig    eine    der    beiden    periodischen 

dL  monauiche  Änderungen     in    Wegfall    käme.       Die     monatliche     Periode     würde 

hören;  wenn dieauf hören,    wcmi    die    jährliche    Bewegung    sich    nicht    änderte;    hätte 

guSJ^sich  ni^ht  hingegen    die  Verstärkung   und  Abschwächung    seitens    der   täglichen 

die  jährUche  Rotatiou    beständig  gleichen  Betrag,  so  würde   die   jährliche  Periode 

Periode  auf-     n  ■,  -, 

hören.       fehlen. 

Sagr.     Der   monatliche  Wechsel    von    Ebbe    und    Flut    soll   also 
durch  Änderungen  in  der  jährlichen  Bewegung  der  Erde  bedingt  sein. 


[485.  486.]  Vierter  Tag.  469 

und  die  jälirliche  Periode  der  Ebbe  und  Flut  sieb  von  der  Verstär- 
kung imd  AbscbwHcbung  der  täglicbeu  Rotation  berscbreiben?  Jetzt 
bin  ich  in  gröfserer  Verwirrung  als  je  zuvor  und  babe  ganz  die  Hoff- 
nung aufgegeben,  ein  Geflecbte  zu  begreifen,  das  mir  verwickelter 
scheint  als  der  gordische  Eaioten.  Ich  beneide  Euch,  Signore  Simplicio, 
denn  aus  Euerem  Schweigen  entnehme  ich,  dafs  Ihr  die  ganze  Sache 
versteht  und  frei  seid  von  der  Verwirrung,  die  meinen  Geist  so  arg 
verstrickt. 

Simpl.  Ich  glaube  es  gerne,  dafs  Ihr  verwirrt  seid,  Signore  Sagredo, 
wie  ich  auch  die  Ursache  dieser  Verwirrung  zu  kennen  glaube.  Sie 
rührt  meines  Bedünkens  daher,  dafs  Ihr  den  bisherigen  Vortrag  Sig- 
nore Salviatis  teilweise  versteht  und  teilweise  nicht.  Es  ist  auch 
richtig,  dafs  ich  diese  Verwirrung  nicht  teile,  aber  nicht  darum,  weil 
ich,  wie  Ihr  meint,  das  ganze  verstünde,  nein,  im  Gegenteil,  weil  ich 
nichts  davon  begreife.  Die  Verworrenheit  setzt  eben  eine  Vielheit  von 
Dingen  voraus,  nicht  aber  ein  Nichts. 

Sagr.  Seht  doch,  Signore  Salviati,  wie  Signore  Simplicio  durch 
ein  paar  Zügelhilfen  während  der  vergangenen  Tage  zahm  geworden 
ist,  wie  sich  der  imgestüme  Renner  in  einen  frommen  Pafsgänger  ver- 
wandelt hat.  Doch  befreit  uns,  bitte,  ohne  weiteren  Verzug  beide  aus 
unserer  Pein. 

Salv.  Ich  will  meine  ungelenke  Ausdrucksweise  so  viel  wie  mög- 
lich geschmeidig  zu  machen  suchen;  die  Schärfe  Eueres  Denkens  wird 
die  Härte  meiner  Sprache  hoffentlich  siegreich  überwinden.  Zwei  ver- 
schiedene Thatsachen  sind  es,  deren  Gründe  wir  zu  erforschen  haben, 
die  eine  ist  die  monatliche,  die  andere  die  jährliche  Periode  von  Ebbe 
und  Flut.  Wir  wollen  zuerst  von  der  monatlichen  Periode  sprechen, 
dann  erst  von  der  jährlichen  handeln.  Das  ganze  Problem  müssen 
wir  lösen  auf  Grund  der  bereits  festgelegten  Fundamentalhypothesen, 
ohne  irgend  welche  neue  Annahme  in  die  Astronomie  einzuführen, 
ohne  den  Bau  des  Weltalls  irgendwie  um  der  Ebbe  und  Flut  willen 
abzuändern;  wir  haben  nachzuweisen,  dafs  die  von  mis  als  unzweifel- 
haft richtig  vorausgesetzten  Thatsachen  völlig  ausreichen,  um  sämtliche 
Details  der  Erscheinungen  zu  erklären.    So  sage  ich  demi:  es  ist  wahr.zweifoiios  rich- 

°  ,  ^  .  tig  ist  die  An- 

naturgemäfs,  ja  notwendig,    dafs   ein   und  derselbe  bewegliche  Körper,nahme,  dafs  um- 
welcher  durch    ein   imd  dieselbe  bewegende  Kraft   in  Kreisbewegung  ueinerou  Krei- 

.  „seil  rascher  or- 

versetzt  wird,  längere  Zeit  für  seme  Bahn   auf  einem  grofsen  als  auf  folgen  ais  in 

,  ,  ,  ,  .    .  gröfsereu;  dies 

einem  kleinen   Kreise   gebraucht.      Diese  Wahrheit    wird    allseitig   an-wird  durch  zwei 

11  11  •  -1  -11         1*1      Beispiele  erläu- 

erkannt  mid  durch  die  Erfahrung  durchweg  bestätigt;  ich  will  ethche         tert. 
Beispiele    anführen.      An    den  Räderuhreii ,  insbesondere   den   grofsen.  Erstes  Beispiel. 
bringen  die  Mechaniker   zur  Regulierung  des  Ganges  einen  horizontal 


470  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [486.  487.] 

sich  drehenden  Schenkel  an  und  befestigen  an  seinen  Enden  zwei 
Bleigewichte.  Geht  nun  die  Uhr  nach,  so  nähern  sie  nur  besagte 
Bleigewichte  etwas  der  Mtte  des  Schenkels  und  bewirken  so,  dafs 
seine  Schwingungen  rascher  erfolgen.  Um  im  Gegenteile  den  Gang 
zu  verlangsamen,  genügt  es  sothane  Gewichte  mehr  gegen  die  Enden 
hinzuschieben,  weil  hierdurch  die  Schwingungen  minder  häufig  werden 
imd  folglich  die  Zeitintervalle  sich  vergröfsern. 

Hier  ist  die  bewegende  Kraft  dieselbe,  nämlich  das  treibende  Ge- 
wicht, es  handelt  sich  um  dieselben  bewegten  Körper,  die  Bleigewichte; 
ihre  Schwingungen  aber  sind  zahlreicher,  wenn  sie  sich  dem  Centrum 

Zweites Beispieinäher  befinden,  also  kleinere  Kreise  beschreiben.  —  Man  hänge  gleiche 
Gewichte  an  imgleichen  Fäden  auf,  entferne  sie  aus  der  lotrechten 
Lage  und  überlasse  sie  sich  selbst;  wir  werden  sehen,  dafs  die  am 
kürzeren  Faden  aufgehängten  ihre  Schwingungen  in  kürzerer  Zeit  voll- 
enden, da  sie  sich  in  kleineren  Kreisen  bewegen.  Noch  mehr:  man 
befestige  ein  solches  Gewicht  an  einem  Faden,  der  über  einen  in  die 
Zimmerdecke  geschlagenen  Haken  geschlungen  ist;  nehmt  Ihr  das 
andere  Fadenende  in  die  Hand  und  gebt  dem  hängenden  Gewichte  einen 
Anstofs.  Während  es  nun  seine  Schwingungen  ausführt,  zieht  an  dem 
Ende,  das  Ihr  in  der  Hand  haltet,  sodafs  das  Gewicht  in  die  Höhe 
geht;  sobald  es  steigt,  werdet  Ihr  bemerken,  wie  fortwähi-end  die 
Häufigkeit  der  Schwingimgen  zunimmt,  weil  sie  in  beständig  kleineren 
Kreisen  erfolgen.  Hier  möchte  ich  nun  Euere  Aufmerksamkeit  auf  zwei 
beachtenswerte  Umstände  lenken.^*)    Einmal  gehen  die  Schwingungen 

zweibemerkens-eines  solchcu  Peudels   mit   solcher  Notwendigkeit  in   der  und  der  be- 
Ichlftfn^der  stimmten  Zeit  vor  sich,  dafs  es  ganz  und  gar  unmöglich  ist  diese  Zeit 

^Soh^n^^n!2.i\  beemflussen,  es  sei  denn  durch  Verlängermig  oder  Verkürzung  des 
Fadens.  Davon  könnt  Ihr  Euch  jetzt  gleich  durch  den  Versuch  über- 
zeugen, indem  Ihr  einen  Stein  an  eine  Schnur  bindet,  das  andere  Ende 
in  die  Hand  nehmt  und  durch  alle  möglichen  Kunstgriffe  versucht,  ob 
Ihr  sie  in  einem  anderen  Zeitintervall  hin-  und  herschwingen  lassen 
könnt,  als  in  dem  einen  bestimmten,  nur  dürft  Ihr  die  Schnur  nicht 
länger  oder  kürzer  machen;  Ihr  werdet  sehen,  dafs  es  ganz  mid  gar 
vmmöglich  ist.  Der  andere  wahrhaft  wunderbare  Umstand  ist  der, 
dafs  ein  und  dasselbe  Pendel  seine  Schwingungen  gleich  oft  ausführt 
oder  ganz  wenig,  fast  unmerklich  verschieden  häufig,  mag  es  nun  längs 
sehr  grofser  oder  längs  ganz  kleiner  Bogen  derselben  Peripherie 
schwingen.  Ich  meine  so:  ob  wir  das  Pendel  aus  der  lotrechten  Lage 
blofs  einen,  zwei,  drei  Grad  oder  ob  wir  es  70,  80  Grad,  ja  um  einen 
vollen  Viertelkreis  daraus  entfernen,  im  einen  wie  im  anderen  Falle 
wird  es,  sich  selbst  überlassen,  seine  Schwingungen  mit  gleicher  Hau- 


[487.  488.]  Vierter  Tag.  471 

figkeit  vollfüliren,  sowohl  die  8chwingnugen  erster  Art,  wo  Bogen  von 
4  bis  6  Grad   zurückzulegen   sind   als   die   »Schwingungen   zweiter   Art, 
wo   es   sich  um  Bogen  von   160  Grad   und  mehr  handelt.     Dies  tritt 
noch  deutlicher  hervor,   wenn  man  zwei  gleiche  Gewichte  an   gleich- 
langen Fäden  befestigt,  das    eine   sodann   ein  wenig,   das  andere  sehr 
weit  aus   der  lotrechten  Lage  entfernt;   dieselben   werden,  sich   selbst 
überlassen,  in  gleichen  Zeiten  hin-  und  herschwingen,  jenes  auf  sehr 
kleinem    Bogen,    dieses    auf   sehr    grofsem.      Daraus    ergiebt    sich    die 
Lösung  des  folgenden    herrlichen  Problems.     Es   sei  ein  Viertelkreis 
gegeben  —   ich   will    eine  Skizze  hier  auf  die  Erde  zeichnen  —  etwa  Merkwürdige 
der  Viertelkreis  AB,  dessen  Ebene  vertikal  gestellt  sei  und  die  Hori- treffend  Körper, 
zontalebene  im  Punkte  B  berühren   möge;    man  stelle   sodann   einen  viertetoeTsTs* 
Bogen   aus    einer    auf    der    konkaven    Seite    gut    abgeschliifenen    undbiger  sehnen  des 
polierten    Platte    her,    indem   man  diese  entsprechend  der  Peripherie  ^'*'*7^en""^* 
ADB  biegt,   sodafs   eine    vollkommen  runde, 
wohl   geglättete   Kugel   auf  der   inneren  Seite 
ganz  frei  rollen  kann   —   das   Gehäuse    eines 
Siebes  eignet  sich  z.  B.  zu  diesem  Versuche  — 
dann    behaupte    ich,   man   mag    die   Kugel   an 
jede  beliebige  Stelle  setzen,  nahe  oder  entfernt 
von  dem  untersten  Ende  B,  man  mag  sie  nach 
C  oder  hier  nach  D  oder  E  bringen,  sich  selbst 

überlassen  wird  sie  stets  in  der  nämlichen  Zeit  oder  doch  in  unmerk- 
lich verschiedenen  Zeiten  an  dem  Ende  B  anlangen,  ob  sie  nun  von 
C  oder  von  D  oder  von  E  oder  von  irgend  welcher  anderen  Stelle 
ausgeht.  In  der  That  eine  ganz  wunderbare  Eigenschaft.  Dazu  nehmt 
eine  andere,  nicht  minder  schöne:  auch  längs  aller  Sehnen,  die  vom 
Punkte  B  aus  nach  den  Punkten  C,  D,  E  oder  nach  sonst  einem 
Punkte  gehen,  der  irgendwo  auf  dem  Viertelkreise  AB  oder  sogar 
auf  dem  vollen  Kreise  liegt,  wird  der  Körper  in  genau  gleichen  Zeiten 
hinabfallen.  Er  wird  also  in  derselben  Zeit  längs  des  ganzen  senli- 
rechten  Durchmessers  nach  dem  Punkte  B  gelangen,  Avie  längs  der 
Sehne,  die  zu  dem  Bogen  von  einem  Grade  oder  einem  noch  kleineren 
gehört.  Fügt  dazu  die  weitere  erstaunliche  Thatsache,  dafs  die  Be- 
wegung der  fallenden  Körper  längs  der  Bogen  des  Viertelkreises  AB 
in  kürzerer  Zeit  erfolgt,  als  längs  der  entsprechenden  Sehnen.  Die 
schnellste,  in  kürzester  Zeit  stattfindende  Bewegung  eines  Körpers  vom 
Punkte  A  nach  dem  Endpunlvte  B  wird  also  nicht  die  auf  der  geraden 
Linie  AB,  sondern  die  auf  der  Peripherie  ADB  erfolgende  sein,  ob- 
gleich jene  die  kürzeste  Verbindung  zwischen  A  und  B  ist.  Nimmt 
man  noch  einen  beliebigen  Pimkt  auf  demselben  Bogen  an,  etwa  den 


472  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [488.  489.J 

Pmikt  D,  imd  zieht  zwei  Selinen  AD,  DB,  so  wird  der  Körper  vom 
Punkte  A  ausgehend  in  kürzerer  Zeit  nach  B  gelangen,  wenn  er  längs 
der  beiden  Sehnen  AD,  DB  sich  bewegt  als  längs  der  einen  Sehne 
AB-^  die  kürzeste  Fallzeit  aber  beansprucht  er  längs  des  Bogens  ADB. 
Dieselben  Eigenschaften  gelten  auch  von  allen  kleineren  Bogen,  die 
von  dem  unteren  Endpunkte  B  aufwärts  führen. 

Sagr.  Nicht  weiter,  nicht  weiter!  Ihr  erdrückt  mich  mit  so 
vielen  Wundern,  Ihr  reifst  meinen  Geist  nach  so  vielen  verschiedenen 
Richtungen,  dafs  ich  kaum  Freiheit  und  Sammlung  übrig  habe,  um 
mich  der  Hauptsache,  die  uns  beschäftigt,  zuwenden  zu  können;  ist 
sie  doch  schon  ohnehin  dunkel  und  schwierig  genug.  Ich  bitte  Euch 
daher,  dafs  Ihr  mir  die  Gunst  erweisen  mögt,  nach  Beendigung  der 
Untersuchung  über  Ebbe  und  Flut  mein  und  Euer  Haus  noch  weiter- 
hin zu  beehren  und  über  die  vielen  anderen  Probleme  zu  sprechen, 
die  wir  in  der  Schwebe  gelassen  haben.  Voraussichtlich  sind  sie  nicht 
weniger  schön  und  interessant,  als  was  wir  die  letzten  Tage  über  ver- 
handelt haben  und  heute  zum  Abschlufs  führen  wollen. 

Salv.  Ich  stehe  Euch  gerne  zu  Diensten.  Wir  werden  indessen 
schwerlich  in  einer  oder  zwei  Sitzungen  aufser  den  anderweitigen,  be- 
sonderer Behandlung  vorbehaltenen  Fragen  auch  die  vielen  Probleme 
erledigen  können,  die  mit  der  Ortsbewegung  der  natürlich  bewegten 
sowie  der  geschleuderten  Körper  zusammenhängen,  einer  Materie,  die 
unser  Freund  von  der  Aceademia  dei  Lincei  ausführlich  behandelt  hat. 
Um  indessen  auf  unseren  früheren  Gegenstand  zurückzukommen,  so 
waren  wir  bei  der  Erklärung  stehen  geblieben,  dafs  bei  Körpern,  die 
von  einer  unveränderlichen  bewegenden  Kraft  im  Kreise  herumgeführt 
werden,  die  Umlaufszeiten  fest  und  bestimmt  sind  und  unmöglich  ein- 
mal länger  und  ein  andermal  kürzer  sein  können.  Wir  hatten  als 
Beispiele  dafür  sinnliche,  von  uns  ausführbare  Versuche  angegeben; 
die  nämliche  Wahrheit  können  wir  mm  aber  auch  durch  die  Be- 
wegungen der  Planeten  am  Himmel  bestätigen,  wo  sich  dieselbe  Regel 
bewährt,  dafs  sie  nämlich  um  so  längere  Zeit  zur  Vollendung  ihrer 
Bahn  gebrauchen,  in  je  gröfseren  Kreisen  sie  sich  bewegen.  Die 
schlagendste  Beobachtung  dieser  Art  läfst  sich  an  den  mediceischen 
Gestirnen  vornehmen,  da  diese  zu  ihren  Umläufen  um  Jupiter  nur 
kurze  Zeit  beanspruchen.  So  ist  es  denn  nicht  zu  bezweifeln,  viel- 
mehr als  völlig  sicher  und  ausgemacht  zu  betrachten,  dafs,  wenn  bei- 
spielshalber der  Mond  fortführe  derselben  bewegenden  Kraft  zu  ge- 
horchen, jedoch  allmählich  in  kleinere  Kreise  niedergezogen  würde,  er 
das  Bestreben  zeigen  müfste  seine  Umlaufszeit  abzukürzen,  gerade  wie 
es  bei  dem  Pendel  der  Fall  war,  als  wir  den  Aufhängefaden  im  Laufe 


[489.  490.]  Vierter  Tag.  473 

seiner  Schwingungen  verkürzten,  sodafs  der  Radius  seiner  Bahn  kleiner 
wurde.      Vernehmt    nun,   dafs   dasjenige,    was  ich   beispielsweise  vom 
Monde  angeführt  habe,  thatsächlich  eintrifft  und  sich  bewährt.  ^^)    Er- 
innern wir  uns,  dafs  wir  schon  früher  mit  Kopemikus  zu  dem  Schlüsse  Jahniciie  Erd- 
gelangt sind,  man  könne  unmöglich  den  Mond  von  der  Erde  trennen,  welch^er  KkUptik  uu- 

1     I     1  •  1      n  •  TiT  1  •    •  gleichförmig  in- 

letztere  innerhalb  eines  Monats  unstreitig  von  jenem  umkreist  wird. folge  der  Bewe- 
Erinnern  wir  uns  gleicherweise,  dafs  der  Erdball  in  steter  Begleitung 
des  Mondes  in  einem  Jahre  den.  orbis  magmis  um  die  Sonne  beschreibt, 
währenddes  der  Mond  13mal  um  die  Erde  läuft.  Daraus  folgt,  dafs 
der  Mond  der  Sonne  bisweilen  näher  ist,  nämlich  wenn  er  zwischen 
Sonne  und  Erde  steht,  bisweilen  aber  sich  sehr  viel  weiter  von  der 
Sonne  entfernt,  wenn  die  Erde  nämlich  sich  zwischen  Sonne  und 
Mond  befindet.  Mit  anderen  Worten:  er  ist  der  Sonne  nahe  zur  Zeit 
der  Konjunktion  oder  des  Neumondes;  er  ist  von  ihr  entfernt  während 
der  Opposition  oder  des  Vollmondes-,  die  gröfste  und  kleinste  Entfer- 
nung unterscheiden  sich  dabei  um  den  Durchmesser  der  Mondsphäre. 
Wenn  nun  wirklich  die  Kraft,  die  Erde  und  Mond  um  die  Sonne 
treibt,  stets  in  gleicher  Stärke  auftritt  und  wenn  wirklich  ein  imd 
derselbe  Körper,  von  ein  und  derselben  Kraft  bewegt,  aber  in  ver- 
schiedenen Kreisen,  gleiche  Bogen  des  kleineren  Kreises  in  kürzerer 
Zeit  zurücklegt,  so  kommt  man  notwendig  zu  dem  Schlüsse:  sobald 
der  Mond  eine  geringere  Entfernung  von  der  Sonne  besitzt,  wie  dies 
zur  Zeit  der  Konjunktion  der  Fall  ist,  so  mufs  er  gröfsere  Bogen  des 
orbis  magnus  zurücklegen,  als  wenn  er  sich  in  gröfserer  Entferiiimg 
befindet,  was  zur  Zeit  der  Opposition  oder  des  Vollmondes  eintrifft. 
Diese  Unregelmäfsigkeit  in  der  Bewegung  des  Mondes  mufs  nun  auch 
von  der  Erde  geteilt  werden.  Denken  wir  uns  nämlich  eine  gerade 
Linie  vom  Centrum  der  Sonne  nach  dem  der  Erde  gezogen  und  selbige 
bis  zur  Mondsphäre  verlängert,  so  wird  dieses  der  Halbmesser  des 
orbis  magnus  sein,  in  welchem  die  Erde,  wenn  sie  allein  wäre,  sich 
gleichförmig  bewegen  würde-,  bringen  wir  aber  auf  demselben  Radius 
einen  weiteren  Körper  an,  der  mit  umgeführt  werden  soll,  imd  ver- 
setzen ihn  bald  zwischen  Erde  und  Sonne,  bald  jenseits  der  Erde  in 
gröfsere  Entfernung  von  der  Sonne,  so  mufs  in  diesem  zweiten  Falle 
notwendig  die  gemeinsame  Bewegung  beider  Körper  längs  des  orbis 
magnus  infolge  der  gröfseren  Entfernung  des  Mondes  beträchtlich  lang- 
samer erfolgen  als  im  umgekehrten  Falle,  wo  der  Mond  zwischen  Erde 
und  Sonne,  also  in  geringerer  Entfernung  von  dieser  sich  befindet. 
Demnach  trifft  im  vorliegenden  Falle  genau  dasselbe  zu,  was  bei  der 
Regulierung  der  Uhr  eintrat:  der  Mond  ist  mit  dem  BleigeAvicht  zu 
vergleichen,  welches   man  bald  mehr,  bald  Aveniger  weit  vom  Mittel- 


474  Dialog  ül)er  die  Weltsj'steme.  [490.  491.] 

punkte  befestigt,  um  die  Schwingungsdauer  des  Schenkels  zu  verlang- 
samen, beziehungsweise  zu  beschleunigen.  Daraus  läfst  sich  die  Ge- 
wifsheit  entnehmen,  dafs  die  jährliche  Bewegung  der  Erde  im  orbis 
magnus  unterhalb  der  Ekliptik  nicht  gleichförmig  ist,  dafs  diese  Un- 
gleichförmigkeit  vom  Einflufs  des  Mondes  herrührt  imd  demnach  einer 
monatlichen  Wiederkehr,  einer  monatlichen  Periode  unterworfen  ist. 
Nun  ist  bereits  bewiesen,  dafs  die  periodischen  Änderimgen  der  Ge- 
zeiten, monatliche  sowohl  wie  jährHche,  sich  nur  durch  ein  veränder- 
tes Verhältnis  der  jährlichen  Bewegung  zu  den  von  der  täglichen  Rota- 
tion herrührenden  Verstärkungen  und  Abschwächungen  erklären  lassen, 
dafs  ferner  eine  solche  Änderung  in  doppelter  Weise  möglich  sei,  ent- 
weder durch  Änderung  der  jährlichen  Bewegung  bei  unverändei-tem 
Betrag  der  Verstärkungen,  oder  durch  Änderung  in  der  Gröfse  dieser 
Verstärkungen  unter  Aufrechterhaltimg  der  gleichförmigen  jährlichen 
Bewegung.  Wir  sind  nunmehr  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  dafs  die 
erste  dieser  beiden  Weisen,  welche  in  der  Ungleichförmigkeit  der  jähr- 
lichen Bewegung  besteht,  durch  den  Mond  veranlafst  wird  und  eine 
monatliche  Periode  besitzt.  Mithin  müssen  aus  diesem  Grunde  die 
Gezeiten  eine  monathche  Periode  besitzen,  innerhalb  deren  sie  gröfse- 
ren  oder  geringeren  Betrag  aufweisen.  Ihr  seht  also,  wie  die  Ursache 
der  monatlichen  Periode  ihren  Sitz  in  der  jährlichen  Bewegung  hat 
und  seht  gleichzeitig,  wie  der  Mond  mit  dieser  Sache  zusammenhängt, 
wie  er  allerdings  dabei  eine  gewisse  Rolle  spielt  und  doch  mit  dem 
Meere  und  dem  Wasser  nichts  zu  thun  hat. 

Sagr.  Wenn  man  einem  Menschen,  der  noch  nie  eine  Treppe 
sah,  einen  Turm  zeigte  und  ihn  fragte,  ob  er  sich  zutraue  auf  dessen 
höchste  Spitze  hinaufzugelangen,  so  würde  er,  glaube  ich,  unbedingt 
mit  Nein  antworten,  er  würde  sich  nicht  denken  können,  dafs  man  das 
Ziel  anders  als  im  Fluge  zu  erreichen  vermöchte.  Zeigt  man  ihm 
aber  einen  Stein,  der  nicht  höher  ist  als  eine  halbe  Elle  und  fragt  ihn, 
ob  er  wohl  auf  diesen  steigen  könne,  so  vsdrd  er  das  gewifs  bejahen, 
auch  zugeben,  dafs  man  mit  Leichtigkeit  nicht  nur  einmal,  sondern 
zehn-,  zwanzig-,  hundertmal  hinaufsteigen  könne.  Wenn  man  ihm 
also  eine  Treppe  zeigte,  auf  welcher  man  nach  seinem  eigenen  Zuge- 
ständnisse bequem  die  Höhe  zu  erreichen  vermag,  die  ihm  zuvor  un- 
ersteiglich  erschienen  war,  so  würde  er  über  sich  selber  lachen  und  seine 
Unbedachtsamkeit  zugestehen.  Ihr,  Signore  Salviati,  habt  mich  von 
Stufe  zu  Stufe  so  sanft  geleitet,  dafs  ich  zu  meiner  Verwimderung 
ohne  jede  Mühe  auf  der  Höhe  angekommen  bin,  die  mir  vorher  im- 
erreichbar  schien.  Freilich  war  die  Treppe  dunkel  imd  ich  wufste 
nicht  eher,   dafs   ich   mich   der  Spitze   näherte   und   auf  ihr  angelangt 


[491.  492.]  Vierter  Tag.  475 

war,  als  bis  ich  hinaustrat  in  die  Himmelshelle  und  die  Aussicht  weit- 
hin zu  meinen  Füfsen  über  Land  und  Meer  genofs.  Wie  das  Er- 
steigen einer  Stufe  keine  Mühe  ist,  so  sind  mir  Euere  Behauptungen 
Schritt  für  Schritt  so  klar  vorgekommen,  es  trat  von  Fall  zu  Fall  so 
wenig,  fast  nichts  Neues  hinzu,  dafs  mir  der  Fortschritt  klein  oder 
ganz  verschwindend  schien.  Um  so  höher  steigt  meine  Verwunde- 
rung über  den  unvermuteten  Ausgang  dieser  Untersuchung,  die  mir 
das  Verständnis  für  einen  scheinbar  unerklärlichen  Umstand  eröffnet 
hat.  Nur  ein  Bedenken  bleibt  mir  noch,  über  das  ich  hinweg  ge- 
bracht werden  möchte.  Wenn  die  Bewegung  der  Erde  samt  der  des 
Mondes  im  Tierkreis  unregelmäfsig  ist,  so  hätte  diese  Unregelmäfsig- 
keit  von  den  Astronomen  beobachtet  und  hervorgehoben  werden  müssen, 
was  meines  Wissens  nicht  geschehen  ist.  Ihr,  der  Ihr  in  diesen  Dingen 
besser  bewandert  seid  als  ich,  werdet  mir  dieses  Bedenken  heben 
können  und  sagen,  wie  es  damit  steht. 

Salv.     Euer   Bedenken  ist   sehr  berechtigt.     Ich   erwidere  darauf 
folgendes:   obgleich   die  Astronomie  im  Verlaufe  langer  Jahrhimderte ^^"siicherweise 

,  .  sind  noch  viele 

grofse  Fortschritte  in  der  Erforschung  der  Lage  und  der  Bewegungen  astronomische 

ö  ...  O       o       Thatsachen  un- 

der  Himmelskörper  gemacht  hat,   ist  sie  doch  bis  jetzt  nicht  so  weit     i^ekannt. 

gelangt,  dafs  nicht  aufserordentlich  viele  Fragen  noch  unentschieden, 

viele    andere    Thatsachen    noch    gänzHch    verborgen    geblieben    wären. 

Man  darf  amiehmen,    dafs    die    ersten    Beobachter    des   Himmels    von 

nichts  anderem  wufsten,  als  von  der  gemeinsamen  täglichen  Bewegung 

aller  Gestirne.    Binnen  weniger  Tage  dürften  sie  sodann  bemerkt  haben, 

dafs  der  Mond  eine  wechselnde  Stellung  zu  anderen  Sternen  annimmt; 

doch  werden  wahrscheinlich  viele  Jahre  darüber  hingegangen  sein,  bevor 

sie  alle  Planeten  ausfindig  gemacht  hatten.     Insbesondere  glaube  ich, 

dafs  Saturn  seines   langsamen  Fortrückens  halber  und  Merkur  wegen  satum  wegen 

"        _  _  _  ~       seines  langsamen 

seiner  seltenen   Sichtbarkeit  die   letzten  waren,   die  man  als  Wandel-^°''""'=ken8 und 

'  Merkur  wegen 

oder  Irrsterne  erkannte.     Noch  weit  längere  Zeit  mufste  darüber  ver-  ^'^l^"  seiteneu 

^  Sichtbarkeit 

strichen    sein,    bevor    das    Stillestehen   und   Rückwärtsgehen    der    drei  ^'»'dcn  zuletzt 

'  .  .  "  ,  beobachtet. 

oberen  Planeten  entdeckt  war,  sowie  die  bald  gröfsere  bald  geringere 
Entfernung  derselben  von  der  Erde,  Erscheiinmgeu,  welche  die  Ein- 
führung der  exceutrischen  Kreise  und  Epicykehi  erforderlich  mach- 
ten und  welche  noch  zu  Aristoteles  Zeiten  unbekannt  waren,  da  er 
ihrer  nirgends  Erwähnung  thut.  Wie  lange  haben  nicht  die  auffallen- 
den Erscheinungen  an  Venus  und  Merkur  die  Astronomen  über  deren 
blofse  gegenseitige  Stellung  im  Dunkehi  gelassen,  von  anderem  ganz 
zu  geschweigen?  So  kommt  es,  dafs  schon  die  Reihenfolge  der  W^elt- 
körper  und  die  Anordnung  der  uns  bekannten  Teile  des  Weltalls  im 
grofsen    und    ganzen   bis   auf   die  Tage  des  Kopemikus    misicher    ge- 


476  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [492.  493.] 

blieben  ist.  Erst  dieser  hat  uns  den  wabren  Bau,  das  wahre  System 
enthüllt,  nach  welchem  die  Teile  angeordnet  sind,  erst  durch  ihn  sind 
Avir  darüber  im  klaren,  dafs  Merkur,  Venus  und  die  anderen  Planeten 
sich  um  die  Sonne  drehen,  der  Mond  um  die  Erde  kreist.  Wie  nun 
specieiie  Be-  aber   icder  Planet    bei   seinem    besonderen  Umlauf   sich   verhält    und 

schaffenheit  der  •'  _  _  •  T»      i  i  • 

einzelnen  piane-^elchc   ffcnaue  Beschaffenheit  seine   Bahn  aufweist   —    Probleme,   die 

tenbahnen  noch  ~ 

nicht  genau  er-crewöhiilich  als  die  Theorie   des  betreffenden  Planeten  bezeichnet  wer- 

mittelt.          ö  .  .  , 

den^'^)   —   das   mit  Bestimmtheit   zu  entscheiden  vermögen   wir  noch 
nicht.    Als  Zeugnis  dessen  mag  Mars  angeführt  werden,  der  heutzutage 
den  Astronomen  so  viel  Mühe  verursacht;  selbst  die  Theorie  des  Mon- 
des ist  in  sehr  verschiedener  Weise   aufgestellt  worden,  nachdem  Ko- 
pernikus  die  des  Ptolemäus  wesentlich  abgeändert  hat.    Um  nun  näher 
auf  die   besondere   uns  vorliegende   Frage   der  scheinbaren  Bewegung 
von  Sonne  und  Mond  einzugehen,  so  hat  man  bei  jener  allerdings  eine 
Ungleichheit  von  bedeutendem  Betrage  beobachtet,  vermöge  deren  sie 
Die  Sonne    die  beiden  Hälften  der  Ekliptik  in  beträchtlich  verschiedenen  Zeiten 
Zurücklegt  zurücklegt;    sie   gebraucht   nämlich,    um  von   dem  einen  Äquinoktial- 
dea  Tierkreises  puuktc  zum  anderen  zu  gelangen  auf  dem  einen  Halbkreis  etwa  neun 
"ger' als ^fürdic Tage  mehr  als   auf  dem  anderen:   ein  recht   ansehnlicher,  sehr  merk- 
licher   Unterschied,    wie    Ihr    seht.      Ob    sie    aber    beim    Zurücklegen 
kleinerer  Bogen,  wie   etwa  der  12  Zeichen   des  Tierkreises   eine  völlig 
regelmäfsige  Bewegung  innehält  oder  bald  schnelleren,  bald  langsame- 
ren Schrittes  vorwärts  geht,  wie  es  notwendig  der  Fall  ist,  wenn  die 
jährliche  Bewegung  blofs  scheinbar  an  der  Sonne  haftet,  in  Wirklich- 
keit  aber  der  Erde  und   dem  sie   begleitenden  Monde   zukommt,   das 
hat  man  bisher  noch  nicht  festgestellt,  vielleicht  noch  nie  untersucht. 
Bewegung  des  Ebcuso  hat  maii  bei  dem  Monde,  dessen  Periodicität  hauptsächlich  der 
sächlich  um"derFinsternisse  wegen  erforscht  wird  —  und  dazu  genügt  schon  die  genaue 
willen  unter-  Kcimtuis  sciiier  Bewcgung  um  die  Erde   —   die  Frage,  wie  sein  Fort- 
schreiten durch  die  einzelnen  Zeichen  des  Tierkreises  hin  erfolgt,  nicht 
mit  gebührendem  Interesse  verfolgt.     Dafs   also  Erde  und  Mond  beim 
Durchlaufen  des  Tierkreises  oder  der  Peripherie  des  orhis  magniis  eine 
Beschleunigung   erfahren  zur  Zeit  des  Neumondes,   eine  Verzögerung 
zur  Zeit  des  Vollmondes,  darf  man  nicht  etwa  darum  in  Zweifel  ziehen, 
weil  eine  solche  Ungleichheit  nicht   beobachtet  worden  ist.     Dies  ist 
aus    einem    doppelten   Grunde    nicht   geschehen,   einmal   hat   man   gar 
Die  Gezeiten   nid^t  damach  gesucht,  sodann   aber   ist  diesell^e   möglicherweise  nicht 

Bind  sehr  gering-  o  /  i-j  ^ 

fügige  Erschei- gg}^^  grofs  uiid   braucht   es   auch  nicht  zu  sein,  um  die  Wirkung  her- 

uungen  im  Ver-  o  ?  a 

häitnis  zur    vorzubringen,   die   sich   in   der   wechselnden   Höhe    der   Gezeiten   kund 

Grofse  der  Meere  ö       } 

und  der  Ge-   giebt.     Demi   nicht  nur   iener  Wechsel   iiu  Betrag  der  Fluthöhe,  son- 

schwmdigkeit  d.  o  J  . 

Erdbewegung,  (jerii  Ebbe  und  Flut  selbst  sind    eiue  geringfügige  Sache  im  Verhält- 


[493.  494.]  Vierter  Tag.  477 

nis  zu  der  Gröfse  der  von  ihnen  betroffenen  Objekte,  mögen  sie  uns 
auch  im  Verhältnis  zu  unserer  Kleinheit  gewaltig  erscheinen.  Man 
kann  doch  unmöglich  eine  Geschwindigkeitsvermehrung  oder  -Ver- 
minderung von  einem  Grad  eine  bedeutende  Änderung  nemien,  wo 
von  Natur  700  oder  1000  Grad  vorhanden  sind,  weder  rücksichtlich 
dessen,  was  sie  hervorruft,  noch  dessen,  was  von  ihr  betroffen  wird. 
Das  Wasser  des  mittelländischen  Meeres  z.  B,  legt  infolge  der  täg- 
lichen Rotation  stündlich  etwa  700  Miglien  zurück,  nämlich  vermöge 
der  gemeinsamen,  für  uns  unmerklichen  Bewegung  der  Erde  und  des 
Wassers.  Die  Bewegung  hingegen,  die  sich  uns  in  den  Strömungen 
kundgiebt,  beträgt  noch  keine  Miglie  per  Stunde;  und  diese  ist  es, 
welche  die  ursprüngliche  natürliche  und  bedeutende  Bewegung  modi- 
fiziert. Diese  Modifikation  ist  freilich  im  Verhältnis  zu  uns  oder  zu 
irgend  welchem  Fahrzeuge  grofs;  denn  für  ein  Schiif,  das  in  stehen- 
dem Wasser  mittels  Ruderkraft  drei  Miglien  stündlich  vorwärtskommt, 
macht  die  genannte  Strömmig,  je  nachdem  sie  günstig  oder  ungünstig 
auf  die  Fahrt  einwirkt,  das  Doppelte  der  Fahrzeit  aus,  was  ein  sehr 
merklicher  Betrag  ist,  soweit  es  sich  um  die  Bewegung  der  Barke 
handelt,  aber  ein  sehr  unbedeutender  rücksichtlich  der  Bewegung  des 
Meeres,  da  diese  nur  eine  Änderung  um  den  700**''  Teil  ihres  Betrages 
erfährt.  Das  nämliche  gilt  von  dem  Steigen  und  Fallen  um  eineu, 
zwei  oder  drei  Fufs,  höchstens  um  vier  oder  fünf  Fufs  an  dem  äufser- 
sten  Ende  eines  Meerbusens-,  denn  wo  Tiefen  von  Hunderten  von  Fufsen 
vorhanden  sind,  will  diese  Änderung  noch  weniger  besagen,  als  wenn 
in  einer  der  Süfswasser  führenden  Barken  dieses  Wasser  beim  Halten 
der  Barke  um  die  Dicke  eines  Blattes  Papier  im  Vorderteil  steigt. 
Ich  komme  daher  zu  dem  Schlufs,  dafs  im  Verhältnis  zu  der  unge- 
heueren Gröfse  und  aufserordentlichen  Geschwindigkeit  des  Meeres 
schon  ganz  kleine  Änderungen  ausreichend  sind,  um  an  ihm  Erschei- 
nungen hervorzubringen,  die  im  Verhältnis  zu  unserer  Kleinheit  mid 
unseren  kleinen  Objekten  grofs  zu  nennen  sind. 

Sagr.  Ich  bin  hinsichtlich  dieses  Punktes  vollauf  zufriedengestellt. 
Es  erübrigt  noch  zu  erläutern,  inwiefern  die  Verstärkungen  und  Ab- 
schwächuugen,  welche  durch  die  tägliche  Rotation  hervorgerufen  wer- 
den, bald  in  höherem,  bald  in  geringerem  Grade  stattfinden.  Diese 
Schwankimgen  sollen  ja,  wie  Ihr  andeutet,  die  jährliche  Periode  im 
Wechsel  der  Gezeitenhöhe  bewirken. 

Salv.  Ich  will  mir  alle  mögliche  Mühe  geben  mich  verständlich 
auszudrücken;  die  Schwierigkeit  jedoch  des  Gegenstandes  an  und  für 
sich  und  die  gröfse  Abstraktionsgabe,  die  zu  seinem  Verständnis  er- 
forderlich ist,  machen   mir  bange.     Die   wechselnde  Gröfse  der  durch 


478  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [494.  495.] 

Ursachen  der  die    tägliche   Rotation    hervorgerufenen   Verstärkungen    und  Abschwä- 

ten  im  Betrag  chuugeu  der  jährlichen  Bewegung  rührt  daher,  dafs  die  Achse  der  täg- 

chungen"  uld  lichcu  Rotation  gegen  die  Ebene  des  orhis  magnus  oder  auch  der  Ekliptik 

welche  durch  diegeneigt  ist;  infolge  davon  schneidet  der  Äquator  die  Ekliptik  und  bildet 

tio^n  anderjähr-mit  ihr  eiucu  schiefcn  Winkel   entsprechend   der  Neigung  der  Achse. 

hervorgerufen  Dcr  Betrag  dcr  Verstärkungen  ist  nun  gleich  der  vollen   Gröfse   des 

Äquatordurchmessers,  sobald  der  Erdmittelpunkt  sich  in  den  Solstitial- 

punkten  befindet;    aufserhalb   derselben  hingegen  wird  er  kleiner  und 

kleiner,  je  mehr  sich  der  Mittelpunkt  den  Äquinoktialpunkten  nähert: 

dort  sind  besagte  Verstärkungen  geringer  als  an  irgendwelchem  anderen 

Punkte.  ^^)    Das  ist  alles,  freilich  schwebt  noch  ein  tiefes  Dunkel  darüber, 

wie  Ihr  seht. 

Sagr.  Oder  vielmehr  ein  solches  Dunkel,  dafs  ich  nichts  sehe. 
Denn  bis  jetzt  verstehe  ich  nicht  eine  Silbe. 

Salv.  Ich  habe  es  ja  im  voraus  gesagt.  Wir  wollen  jedoch  ver- 
suchen, ob  sich  nicht  durch  eine  kleine  Zeichnung  etwas  Klarheit  in 
die  Sache  bringen  läfst;  freilich  wäre  die  Veranschaulichung  durch  ein 
körperliches  Modell  der  blofsen  Zeichnung  vorzuziehen,  doch  wollen 
wir  uns  mittels  perspektivischer  Verkürzungen  zu  helfen  suchen.  Wir 
zeichnen  also  wie  oben  die  Perij)herie  des  orhis  magnus^  auf  welcher 
Punkt  A  einen  Solstitialpunkt  vorstellen  soll;  der  Durchmesser  A  P 
sei  der  Schnitt  des  Solstitialkolurs  mit  der  Ebene  des  orhis  magnus 
oder  der  Ekliptik.  In  diesem  Punkte  A  nmi  befinde  sich  der  Mittel- 
punkt des  Erdballs,  dessen  Achse  GAB  schief  auf  der  Ebene  des  orhis 
magnus  steht  und  in  die  Ebene  besagten  Kolurs  hineinfällt,  desjenigen 
Kolurs  nämlich,  welcher  sowohl  durch  die  Achse  des  Äquators  als  die 
der  Ekliptik  hindurchgeht.  Behufs  gröfserer  Klarheit  zeichnen  wir 
blofs  den  Äquator  und  benennen  ihn  mit  den  Buchstaben  DGEF'^ 
sein  Schnitt  mit  der  Ebene  des  orhis  magnus  sei  die  Linie  DE,  so 
dafs  die  Hälfte  DFE  des  Äquators  unter  der  Ebene  des  orhis  magnus 
gelegen  ist,  die  andere  Hälfte  D  GE  darüber.  Angenommen  nun  die 
Drehung  des  Äquators  erfolge  entsprechend  der  Reihenfolge  der  Punkte 
D,  G,  E,  F  und  der  Mittelpunkt  bewege  sich  in  der  Richtung  von  A 
nach  E  hin.  Da  nun,  wie  gesagt,  bei  der  Stellung  des  Erdmittel- 
punktes in  A  die  Achse  CB,  welche  auf  dem  Äquatordurchmesser  DE 
senkrecht  steht,  in  den  Solstitialkolur  fällt  und  da  ferner  die  Schnitt- 
linie des  letzteren  mit  dem  orhis  magnus  der  Durchmesser  PA  ist,  so 
wird  die  Linie  PA  senkrecht  auf  DJE  stehen,  weil  der  Kolur  senkrecht 
auf  dem  orhis  magnus  steht;  demnach  wird  DE  die  Taugente  des  orhis 
magnus  im  Punkte  A  sein.  In  diesem  Falle  ist  also  die  Bewegung  des 
Centrums  längs  des  Bogens  A  E,   die  täglich  einen  Grad  beträgt,  nur 


[496.] 


Vierter  Tag. 


479 


ganz  wenig,  ja  so  gut  wie  gar  nicht  verschieden  von  einer  Bewegung 
längs  der  Tangente  DAE.  Da  nun  durch  die  tägliche  Rotation  der 
Punkt  D  über  G  nach  E  geführt  wird,  so  verstärkt  er  die  Bewegung 
des  Centrums,  welches  fast  die  nämliche  Linie  DE  zurücklegt,  um  den 
Betrag  des  ganzen  Durchmessers  D  E  und  umgekehrt  vermindert  er  sie 
um  denselben  Betrag,  sobald  er  sich  durch  den  anderen  Halbkreis  EFD 
hinbewegt:   der  Betrag  der  Verstärkung  und  Abschwäch ung  wird  also 


an  dieser  Stelle,  d.  h.  zur  Zeit  des  Solstitiums  gleich  dem  ganzen  Durch- 
messer DE  sein. 

Wir  gehen  nunmehr  dazu  über  zu  untersuchen,  ob  dieser  Betrag 
zur  Zeit  der  Äquinoktien  dieselbe  Gröfse  besitzt.  Wir  lassen  den  Erd- 
mittelpunkt von  A  aus  um  einen  Viertelkreis  weiter  nach  I  rücken; 
wieder  soll  GEFD  den  Äquator  vorstellen,  DE  seinen  Schnitt  mit 
dem  orhis  magnus,  CB  die  Achse  mit  der  gleichen  Schiefe  wie  vorher. 
Die  Tangente  des  orhis  magnus  im  Funkte  I  hingegen  wird  jetzt  nicht 
mehr  DE  sein,  sondern  eine  andere  Linie,  welche  DE  unter  rechtem 
Winkel  schneidet,  sie  möge  HIL  genannt  werden:  längs  dieser  wird 
die  Bewegung  des  auf  dem  orhis  magnus  fortschreitenden  Mittelpunktes 
gerichtet  sein.  Li  der  hier  betrachteten  Lage  nun  ist  das  Mafs  der 
Verstärkung  und  Abschwächung  niclit  mehr  der  Durchmesser  DE  wie 


480  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [496.  497.] 

zuvor,  denn  dieser  Durclimesser  erstreckt  sicli  nicM  in  der  Riclitung 
der  jälirlichen  Bewegimg  HL,  sondern  schneidet  sie  unter  rechtem 
Winkel;  die  Enden  J)  und  E  tragen  also  nichts  zur  Förderung  und 
nichts  zur  Verzögerung  der  Bewegung  bei.  Die  Verstärkung  und  Ah- 
schwächung  ist  vielmehr  zu  schätzen  nach  demjenigen  Durchmesser, 
welcher  in  eine  zum  orhis  magnus  senkrechte  und  durch  die  Linie 
HL  gelegte  Ebene  fällt.  Im  vorliegenden  Falle  ist  das  der  Durch- 
messer GF:  die  additive  Bewegung,  wenn  dieser  Ausdruck  gestattet 
ist,  ist  die  vom  Punkte  G  längs  des  Halbkreises  GEF  vollzogene,  die 
subtraktive  die  dem  anderen  Halbkreis  FBG  entlang  erfolgende.  Nmi 
liegt  aber  jener  Durchmesser  nicht  in  derselben  Linie  HL,  in  welcher 
die  jährliche  Bewegung  stattfindet,  er  schneidet  diese  vielmehr  wie 
ersichtlich  im  Punkte  /;  das  Ende  G  befindet  sich  über,  das  Ende 
F  unter  der  Ebene  des  orhis  magnus.  Er  ist  also  nicht  seiner  ganzen 
Länge  nach  mafsgebend  für  den  Betrag  der  Verstärkung  und  Ab- 
schwächung,  sondern  dieser  mufs  durch  dasjenige  Stück  der  Linie 
HL  bestimmt  werden,  welches  zwischen  den  Fufspunkten  S  und  V 
der  von  G  und  F  auf  HL  gefällten  Perpendikel  GS  und  FV  liegt. 
Das  Mafs  der  Verstärkung  ist  mithin  SV  und  also  kleiner  als  die 
Linie  GF  oder  die  Linie  BF,  welche  im  Solstitium  A  das  Mafs  der 
Verstärkung  war.  Je  nachdem  also  das  Erdcentrum  sich  in  verschie- 
denen Punkten  des  Quadranten  AL  befindet,  ziehe  man  die  Tangen- 
ten an  diese  Punkte  und  fälle  auf  sie  die  Perpendikel  von  den  Enden 
desjenigen  Äquatordurchmessers,  der  enthalten  ist  in  einer  zur  Eklip- 
tikebene senkrechten  und  durch  die  Tangente  hindurch  gelegten  Ebene : 
das  auf  der  Tangente  hierdurch  abgegrenzte  Stück,  welches  kleiner  in 
der  Nähe  der  Äquinoktien,  gröfser  aber  in  der  Nähe  der  Solstitien  ist, 
giebt  uns  den  Betrag  der  Verstärkung  oder  Abschwächung.  Um  wie- 
viel die  geringsten  Verstärkungen  von  den  gröfsten  verschieden  sind, 
ist  darnach  leicht  zu  ermitteln;  denn  dieser  Unterschied  ist  der  näm- 
liche wie  der  zwischen  der  ganzen  Achse  oder  dem  ganzen  Durchmesser 
der  Kugel  und  dem  Stücke,  welches  zwischen  den  Polarkreisen  ent- 
halten ist;  letzteres  aber  ist  annähernd  um  den  zwölften  Teil  kleiner 
als  der  ganze  Durchmesser.  Ich  spreche  hierbei  nur  von  den  Ver- 
stärkungen und  Abschwächungen,  die  am  Äquator  stattfinden;  imter 
anderen  Breiten  sind  sie  um  so  kleiner,  je  mehr  die  Durchmesser  der 
Breitenkreise  abnehmen. 

Das  ist  alles,  was  ich  Euch  über  diesen  Gegenstand  zu  sagen 
hätte,  mehr  läfst  sich  billigerweise  von  menschlicher  Erkenntnis  nicht 
erwarten;  denn  Ihr  wifst  ja,  es  giebt  ein  Erkennen  nur,  avo  es  sich 
um  feste,  unabänderliche  Folgewirkungen  handelt,  wie  es  bei  den  drei 


[497.  498.]  Vierter  Tag.  481 

Perioden  der  Gezeiten  im  allgemeinen  der  Fall  ist,  insofern  diese  von 
beständigen,  einlieitliclien  und  ewigen  Ursachen  bedingt  sind.  Da  sich 
aber  mit  diesen  ursprünglichen/ umfassenden  Ursachen  noch  sekundäre 
besondere  vermischen,  die  vielfache  Abänderungen  hervorzurufen  ver- 
mögen; da  ferner  diese  sekundären  teils  wechselnd  sind  und  sich  der 
Beobachtung  entziehen,  wie  es  z.  B.  mit  der  veränderlichen  Windrich- 
tung der  Fall  ist,  teils  zwar  bestimmt  und  unveränderlich  sind,  aber 
ihrer  grofsen  Zahl  halber  doch  noch  nicht  hinlänglich  bekannt,  wie 
z.  B.  die  Längenausdehnung  der  Meerbusen,  ihre  verschiedene  Er- 
streckung in  der  oder  jener  Richtung,  die  vielfach  Avechselnden  Meeres- 
tiefen: wer  wäre  da  imstande  ohne  langjährige  Beobachtungen  und 
zuverlässige  Berichte  eine  sachgemäfse  Darstellung  dieser  Verhältnisse 
zu  geben,  welche  als  Vertrauens  werte  Grundlage,  als  Ausgangspunkt 
dienen  könnte,  wenn  es  sich  darum  handelt  auf  Grund  des  gesammel- 
ten Materials  eine  Erklärung  aller  Erscheinungen,  aller  Anomalieen 
imd  besonderen  Verwicklungen  zu  liefern,  wie  solche  bei  den  Be- 
wegungen der  Gewässer  vorkommen?  Ich  begnüge  mich  darauf  hin- 
gewiesen zu  haben,  dafs  solche  Nebenursachen  in  der  Natur  vorhan- 
den sind  und  vielfache  Abänderungen  veranlassen  können;  die  Detail- 
beobachtimgen  mufs  ich  denen  überlassen,  welche  die  verschiedenen 
Meere  aus  eigener  Anschauung  kennen.  Nur  will  ich  zum  Schlüsse 
unserer  Untersuchung  hervorheben,  dafs  die  genauen  Zeiten  von  Ebbe 
und  Flut  nicht  nur  von  der  Länge  und  der  wechselnden  Tiefe  der 
Meerbusen  abhängen;  eine  beträchtliche  Modifikation  mufs  meines 
Bedünkens  auch  von  dem  Zusammentreffen  verschiedener  Meeresgebiete 
herrühren,  welche  in  Gröfse  und  Lage  oder,  besser  gesagt,  in  ihrer 
Richtung  von  einander  abweichen.  Dieser  Fall  tritt  gerade  im  adria- 
tischen  Meere  ein;  denn  dieses  ist  bedeutend  kleiner  als  das  übrige 
Mittelmeer  und  hat  eine  ganz  andere  Richtung.  Während  nämlich 
jenes  sein  Ende  im  Osten  an  der  syrischen  Küste  findet,  ist  dieses 
vorwiegend  von  Westen  her  abgeschlossen.  Da  nun  die  Gezeiten  an 
den  Enden  einen  wesentlich  höheren  Betrag  erreichen,  ja  überhaupt 
nur  an  diesen  das  Steigen  und  das  Fallen  sehr  bedeutend  ist,  so  ist 
es  leicht  möglich,  dafs  die.  Flut  in  Venedig  zeitlich  zusammenfällt  mit  der 
Ebbe  des  übrigen  Meeres;  dieses  übt  nämlich  infolge  seiner  bedeutenderen 
Gröfse  und  seiner  mehr  von  Ost  nach  West  sich  erstreckenden  Rich- 
tung eine  Art  von  Herrschaft  über  das  adriatische  Meer.  Daher  wäre 
es  nicht  verwunderlich,  wenn  im  adriatischen  Meere  die  Wirkungen 
der  ursprünglichen  Ursachen  sich  nicht  zu  den  gehörigen  Zeiten  ein- 
stellen sollten  und  nicht  die  eigentlichen  Perioden  innehielten,  wie  dies 
im  übrigen  mittelländischen  Meere  'allerdings  der  Fall  ist.     Diese  Be- 

Ctahlki,  Weltsysteme.  31 


482  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [498.  499.] 

Sonderheiten  jedocli  erfordern  lange  Beobachtungen,  welche  ich  bisher 
nicht  augestellt  habe,  noch  auch  in  der  Lage  bin  zukünftig  anzustellen. 
Sagr.  Ich  sollte  meinen,  Ihr  habt  genug  geleistet,  indem  Ihr 
uns  den  Zugang  zu  so  tiefen  Forschungen  erschlösset.  Hättet  Ihr 
selbst  nichts  anderes  vorgebracht  als  jenen  ersten  allgemeinen,  für  mich 
unwiderleglich  feststehenden  Satz,  in  welchem  Ihr  aus  den  triftigsten 
Gründen  die  Behauptung  aufstellt,  dafs  nach  dem  gewöhnlichen  Laufe 
der  Natur  unmöglich  die  Annahme  von  der  Unbeweglichkeit  der  Meeres- 
becken vereinbar  sei  mit  den  darin  stattfindenden  Bewegungen,  und 
dafs  umgekehrt  die  kopernikanische  Lehre  von  den  Erdbewegungen, 
die  aus  ganz  anderen  Gründen  aufgestellt  wurde,  jene  Meeresbewegungen 
zur  notwendigen  Folge  habe,  hättet  Ihr,  sage  ich,  auch  sonst  nichts 
geleistet,  so  überragt  doch  schon  dies  eine  die  vielen  anderen  thörich- 
ten  Annahmen  dermafsen,  dafs  mir  der  blofse  Gedanke  an  diese  wider- 
wärtig ist.  Ich  wundere  mich  sehr,  dafs  von  den  geistig  hervorragen- 
den Männern,  deren  es  doch  so  manche  gegeben  hat,  nicht  ein  ein- 
ziger auf  den  Einfall  gekommen  ist,  die  abwechselnde  Bewegung  des 
Wassers  sei  unverträglich  mit  der  Unbeweglichkeit  des  Beckens,  in 
welchem  es  enthalten  ist;  dieser  Widerspruch  scheint  mir  jetzt  so  offen 
zu  Tage  zu  liegen. 

Salv.  Noch  verwunderlicher  ist  es,  dafs  einige  allerdings  auf  den 
Einfall  kamen,  die  Ursache  der  Gezeiten  auf  die  Bewegung  der  Erde 
zurückzuführen,  womit  sie  Zeugnis  von  einem  ungewöhnlichen  Scharf- 
sinn ablegten,  dafs  sie  dann  aber  für  die  Beibringung  eines  schlagen- 
den Beweises  nichts  Erkleckliches  leisteten,  weil  sie  das  Unzuläng- 
liche einer  einfachen   gleichförmigen  Bewegung,   wie  eine  solche  z.  B. 

Zur  Erzeugung  die    einfache   tägliche  Erddrehung    ist,    nicht    bemerkten;    es    braucht 
Flut  genügt  hier  vielmehr  eine  migleichmäfsige,  bald  beschleunigte,  bald  verzögerte 

fache  BewegungBewegung.    Dcuu  bei  einer  gleichförmigen  Bewegung  der  Gefäfse  wird 
das   darin    enthaltene  Wasser    sich   an  die   Bewegung    gewöhnen    und 

Die  Ansicht  desnimmermchr  ein  wechselndes  Spiel  zeigen.     Auch  die  Ansicht,  die  ein 

Mathematikers  x  o  / 

seieukus  wird  Mathematiker  des  Altertums  aufgestellt  haben  soll ,  dafs  die  Erd- 
bewegung durch  ihr  Zusammentreffen  mit  der  Bewegung  der  Mond- 
sphäre und  infolge  der  hieraus  entspringenden  Kontrastwirkung  Ebbe 
und  Flut  hervorrufe,  ist  völlig  nichtig^^);  einmal  weil  unerklärt  bleibt 
und  nicht  abzusehen  ist,  wie  das  zugehen  soll;  der  offenbare  Irrtum 
ergiebt  sich  aber  auch  schon  daraus,  dafs  die  Erddrehung  zu  der 
Mondbewegung  gar  nicht  entgegengesetzt  ist,  mit  ihr  vielmehr  gleich- 
gerichtet ist.  Demnach  erweist  sich  meines  Dafürhaltens  alles,  was 
mau  bisher  gesagt  und  ausgedacht  hat,  als  gänzlich  hinfällig.  Von 
allen    bedeutenden  Mäimern    aber,    die    sothaner    wunderl)arer  Natur- 


t 


[499-501.]  Vierter  Tag.  483 

erscheiimng  ihr   Nachdenken    gewidmet   haben,   wundere   ich  mich  zu- 
meist über   Kepler,   mehr   als   über  jeden   anderen.''*^)     Wie  komite  er 
bei  seiner  freien  Gesinnung   und  seinem   durchdringenden  Scharfblick,  Kepler  erfährt 
wo   er   die  Lehre   von   der    Erdbewegung   in   Händen  hatte,  Dinge  an-       Tadei. 
hören  und  billigen,  wie   die  Herrschaft   des  Mondes  über  das  Wasser, 
die  vorborgenen  Qualitäten  und  was  der  Kindereien  mehr  sind? 

Sagr.  Es  ist  wohl  jenen  tiefer  eindringenden  Geistern  ebenso  er- 
gangen, wie  es  augenblicklich  mir  ergeht.  Sie  haben  den  verwickel- 
ten Zusammenhang  jener  drei  Perioden,  der  jährlichen,  monatlichen 
und  täglichen  nicht  begreifen  können;  sie  erkaimten  nicht,  wieso  die 
Ursachen  dafür  scheinbar  mit  Sonne  und  Mond  in  Verbindung  stehen, 
während  doch  weder  Sonne  noch  Mond  mit  dem  Wasser  etwas  zu 
schaffen  haben.  Zum  gründlichen  Verständnis  der  Frage  bedarf  ich 
eines  angestrengteren  längeren  Nachdenkens,  einstweilen  ist  meine  Vor- 
stellungskraft durch  die  Neuheit  und  Schwierigkeit  noch  umnebelt. 
Doch  gebe  ich  die  Hoffnung  nicht  auf,  die  völlige  Herrschaft  über  den 
Gegenstand  zu  erlangen,  wenn  ich  im  einsamen  Kämmerlein  noch  ein- 
mal wiederkäue,  was  unverdaut  in  meinem  Geiste  zurückgeblieben  ist. 
Somit  haben  uns  die  Untersuchungen  der  vier  letzten  Tage  gewichtige 
Zeugnisse  zu  Gunsten  des  kopernikanischen  Systems  geliefert:  dreie 
davon,  nämlich  das  Stillestehen  und  Rückwärtsgehen  der  Planeten, 
sowie  die  wechselnde  Entfernung  derselben  von  der  Erde,  sodann  die 
Achsendrehung  der  Sonne  und  die  Erscheinungen  an  den  Sonnenflecken, 
drittens  endlich  die  Gezeiten  des  Meeres  sind  als  hervorragend  wichtig 
zu  bezeichnen. 

Salv.  Man  wird  vielleicht  binnen  kurzem  noch  ein  viertes,  mög- 
licherweise sogar  ein  fünftes  Argument  zu  den  genannten  fügen  dürfen; 
ein  viertes  nämlich,  wenn  sich  bei  den  Fixsternen  durch  sehr  genaue 
Beobachtungen  jene  winzigen  Veränderungen  entdecken  lassen  sollten, 
die  Kopemikus  als  unmerklich  ansieht.  Nun  ist  aber  gegenwärtig 
noch  eine   fünfte  Thatsache   bekannt  geworden,   aus  welcher  man  auf  signore  cesare 

~  '  ^     Marxili  beobach- 

die  Bewegung  des  Erdballs  schliefsen  kann,  vermöge  der  migemein'etd'e.veräudor- 
scharfsinnigen  Entdeckung  nämlich,  welche  ein  anderes  Mitglied  der  füans. 
Academie  dei  Lincei  gemacht  hat,  der  Erlauchte  Signore  Ccsare  aus 
der  hochedlen  Familie  der  Marsili  von  Bologna.  •^'^)  Er  setzt  in  einer 
von  tiefer  Gelehrsamkeit  zeugenden  Schrift  auseinander,  dafs  er  eine 
beständige,  freilich  äufserst  langsame  Änderung  des  Meridians  beobachtet 
habe.  Ich  habe  kürzlich  diese  Arbeit  mit  Bewunderung  eingesehen  und 
hoffe,  dafs  der  Verfasser  sie  allen  denen  zugänglich  machen  wird,  die 
für  die  Wunder  der  Natur  sich  interessieren. 

Sagr.     Ich  höre  nicht  zum  ersten  Male  von  der  auserlesenen  Ge- 

31* 


484  Dialog  über  die  Weltsysteme.  [501.  502.] 

lehrsamkeit  dieses  Mannes  und  wie  angelegentlich  er  allen  Gelehrten 
seine  Fürsorge  und  Unterstützung  widmet.  Wenn  er  dieses  oder  ein 
anderes  Werk  veröffentlicht,  können  wir  überzeugt  sein,  dafs  es  etwas 
Ausgezeichnetes  sein  wird. 

Salv.  Da  es  nunmehr  an  der  Zeit  ist,  unsere  Untersuchungen  zu 
beschliefsen,  so  habe  ich  nur  noch  eine  Bitte  an  Euch  zu  richten. 
Wenn  Ihr  bei  gröfserer  Mufse  noch  einmal  meine  Ausführungen  prüft 
und  dabei  au.f  Schwierigkeiten  und  Bedenken  stofst,  die  keine  treffende 
Widerlegmig  gefunden  haben,  so  entschuldigt  meinen  Fehler  teils  mit 
der  Neuheit  der  Idee,  teils  mit  der  schwachen  Kraft  meines  Geistes, 
teils  mit  der  Gröfse  des  Gegenstandes,  teils  endlich  damit,  dafs  ich 
anderen  nicht  zumute,  noch  jemals  zugemutet  habe,  dieser  phantasti- 
schen Meinung  den  Beifall  zu  zollen,  welchen  ich  selbst  ihr  versage. 
Ich  würde  kaum  etwas  dagegen  einzuwenden  haben,  wenn  man  sie  als 
nichtige  Chimäre,  als  ungeheuerliches  Paradoxon  bezeichnete.  Und 
wiewohl  Ihr,  Signore  Sagredo,  im  Laufe  unserer  Erörterungen  Euch 
oftmals  mit  grofser  Anerkennung  für  einige  meiner  Ideen  ausgesprochen 
habt,  so  ist  dies  einerseits  wohl  mehr  wegen  der  Neuheit  als  wegen 
der  Gewifsheit  der  Sache  geschehen;  andererseits  aber  ist  vor  allem 
Euere  Höflichkeit  daran  schuld,  derzufolge  Ihr  glaubtet  durch  Eueren 
Beifall  mich  erfreuen  zu  sollen;  ist  es  ja  doch  so  natürlich  sich  der 
Billigung  und  des  Lobes  eigener  Erfindungen  zu  freuen.  Und  wie 
mich  Euere  Fremidlichkeit  zu  Dank  verpflichtet  hat,  ebenso  will- 
kommen ist  mir  der  Freimut  des  Signore  Simplicio  gewesen;  die  Aus- 
dauer, mit  der  er  die  Lehre  seines  Meisters  so  wacker  und  uner- 
schrocken verfocht,  hat  ihn  mir  über  die  Mafsen  lieb  und  wert  gemacht. 
Wie  ich  Euch,  Signore  Sagredo,  Dank  sage  für  Euere  mir  so  gewogene 
Gesinnung,  so  bitte  ich  auf  der  anderen  Seite  Signore  Simplicio  um 
Verzeihung,  wenn  ich  durch  ein  zu  kühnes  und  zuversichtliches  Wort 
ihn  gekränkt  haben  sollte.  Er  möge  des  sicheren  Glaubens  leben, 
dafs  ich  es  nicht  aus  feindseliger  Gesinnung  gethan  habe,  sondern 
blofs  um  ihm  vermehrten  Anlafs  zu  bieten,  bedeutende  Gedanken  zu 
meiner  Belehrung  vorzubringen. 

Simpl.  Diese  Entschuldigungen  sind  mir  gegenüber  mmötig,  der  ich 
das  Gebahren  in  gelehrten  Gesellschaften  und  bei  öffentlichen  Disputatio- 
nen aus  eigener  Erfahrimg  kenne.  Himderte  von  Malen  habe  ich  dort  die 
Gegner  nicht  nur  hitzig  werden  und  sich  ärgern  sehen;  nein,  sie  brachen 
gar  in  Schmähungen  aus  und  liefsen  sich  manchmal  fast  zu  Thätlichkeiten 
hinreifsen.  Was  die  gepflogenen  Erörterungen  betrifft,  insbesondere 
die  zuletzt  geprüfte  Frage  betreffs  der  Ursachen  von  Ebbe  und  Flut 
des  Meeres,   so   verstehe   ich   allerdings  die  Sache  nicht  so  ganz    aber 


i 


[502,  503]  Vierter  Tag.  485 

nach  der,  wenn  auch  noch  so  unvollkommenen  Vorstellung,  die  ich 
mir  darüber  habe  bilden  können,  mufs  ich  zugeben,  dafs  Euere  Er- 
klärung mir  wohl  geistvoller  erscheint  als  alle  anderen,  die  ich  je  ge- 
hört habe,  gleichwohl  halte  ich  sie  nicht  für  richtig  und  beweisend. 
Meinem  geistigen  Auge  schwebt  vielmehr  stets  eine  unerschütterlich 
feststehende  Lehre  vor^'),  die  mir  einst  eine  ebenso  gelehrte  wie  hoch- 
gestellte Persönlichkeit  gegeben  hat.  Ich  weifs,  dafs  Ihr  beide  auf 
die  Frage:  Kann  Gott  vermöge  seiner  unendlichen  Macht  und  Weis- 
heit dem  Elemente  des  Wassers  die  abwechselnde  Bewegung,  die  wir 
an  ihm  beobachten,  nicht  auch  auf  andere  Weise  mitteilen,  als  indem 
er  das  Meeresbecken  bewegt?  —  ich  weifs,  sage  ich,  dafs  Ihr  auf 
diese  Frage  antworten  werdet,  er  vermöge  und  wisse  das  auf  vielfache, 
imserem  Verstände  unerfindliche  Weise  zu  thun.  Dies  zugegeben, 
ziehe  ich  aber  sofort  den  Schlufs,  dafs  es  eine  unerlaubte  Kühnheit 
wäre,  die  göttliche  Macht  und  Weisheit  begrenzen  und  einengen  zu 
wollen   in  die   Schranken  einer  einzelnen  menschlichen  Laune. 

Salv.  Eine  bewundernswerte,  wahrhaft  himmlische  Lehre!  Mit 
ihr  stimmt  jene  andere  göttliche  Satzung  vortrefflich  zusammen,  die 
uns  wohl  gestattet,  den  Bau  des  Weltalls  forschend  zu  suchen,  die 
uns  jedoch  für  immer  versagt,  das  Werk  seiner  Hände  Avirklich  zu 
durchschauen,  in  der  Absicht  vielleicht,  dafs  die  Thätigkeit  des  Men- 
schengeistes nicht  abgestumi^ft  und  ertötet  werde.  Lafst  uns  daher 
die  von  Gott  verstattete  und  von  ihm  gewollte  Geistesbethätigung 
benutzen,  um  seine  Gröfse  zu  erkennen,  um  uns  mit  desto  gröfserer 
Bewimderung  für  sie  zu  erfüllen,  je  weniger  wir  uns  imstande  fühlen, 
in  die  unergründlichen  Tiefen  seiner  Allweisheit  einzudringen. 

Sagr.  So  seien  denn  hiermit  imsere  viertägigen  Erörterimgen  end- 
gültig beschlossen.  Signore  Salviati  wird  einer  Ruhepause  bedürfen, 
die  wir  ihm  trotz  unserer  Wifsbegier  nicht  versagen  dürfen:  doch  unter 
der  Bedingimg,  dafs,  wenn  es  ihm  besser  pafst,  er  imseren,  insbeson- 
dere meinen  Wunsch  erfüllt  und  verabredetermafsen  in  einer  oder  zwei 
Sitzungen  die  imerledigt  gebliebenen  Probleme  behandelt.  Vor  allem 
sehe  ich  mit  gespaimtester  Erwartung  den  Elementen  der  neuen,  von 
unserem  akademischen  Freunde  begründeten  Wissenschaft  entgegen, 
welche  die  Ortsbewegungen,  natürhche  wie  gewaltsame,  zum  Gegen- 
stand hat.  Inzwischen  lafst  uns  wie  gewöhnlich  ein  Stündchen  die 
Abendkühle  bei  einer  Spazierfahrt  geniefsen;  die  Gondel  erwartet  uns 
bereits. 

Ende  des  vierten  und  letzten  Tajies. 


HANDSCHRIFTLICHE  ZUSATZE  GALILEIS 


EXEMPLAR  DER  PADUANI8CHEN  SEMINARBIBLIOTHEK. 


Betreffs   derselben   vergleiche  Vorwort  und  Einleitung.     Die  Citate  am  Schlüsse 

jedes  Zusatzes  geben  an,  wo  in  den  Ausgaben  von  Toaldo  (Padova  1744)  und  von 

Älheri  (Firenze  1842—56)  sowie  in  der  Schrift  von  Favaro:  Le  Aggiunte  Autografe 

etc.  (Modena  1880)  die  Originalstellen  veröft'entlicht  sind. 


1)  über  die  Eiuführimg  vou  Neuerungen.  Wie  kann  man  zweifeln, 
clafs  es  zu  den  schwersten  Ärgernissen  führen  mufs,  wenn  die  vou 
Gott  frei  geschaffenen  Geister  gezwungen  werden  sollen,  sich  sklavisch 
fremdem  Willen  zu  fügen?  wenn  man  die  eigenen  Sinne  verleugnen 
und  sie  fremder  Willkür  soll  unterwerfen  müssen?  wenn  man  Leute, 
die  jeder  Sachkenntnis  ermangeln,  zu  Richtern  über  Fachmänner  macht 
und  ihnen  eine  Autorität  verleiht,  vermöge  deren  sie  diese  nach  ihrem 
Gutdünken  behandeln?  Das  sind  die  Neuerungen,  welche  den  Ruin 
eines  Gemeinwesens,  die  Untergrabung  eines  Staates  herbeiführen 
können.     [Fav.  pag.  15.] 

2)  Scharfsinnige  Kommentatoren  knüpfen  an  unbedeutende,  wenig 
gehaltvolle  Schriften  (Sacrobosco  u.  a.)  bewundernswerte  Ausführungen 
und  Deutungen,  ebenso  wie  ein  ausgezeichneter  Koch  durch  seine  Zu- 
thaten  eine  an  und  für  sich  unschmackhafte  Speise  für  jeden,  der  sie 
kostet,  wohlschmeckend  zuzubereiten  weifs.  [Toaldo  pag.  295,  Alh. 
pag.  449,  Fav.  pag.   15.] 

3)  Viele  thun  sich  etwas  zu  gute  darauf,  wenn  sie  zur  Bestäti- 
gung ihrer  Ansichten  zahlreiche  Autoritäten  anführen  können;  ich 
möchte  die  meinigen  zuerst  und  allein  gefunden  haben.  [Toaldo 
pag.  289,  Älberi  pag.  440,  Fav.  pag.  16.] 

4)  Hütet  Euch,  Theologen,  aus  der  Lehre  von  der  Bewegung  und 
der  Ruhe  der  Sonne  und  der  Erde  einen  Glaubensartikel  zu  machen 
und  Euch  damit  vielleicht  der  Gefahr  auszusetzen,  dafs  Ihr  seiner  Zeit 
diejenigen  wegen  Ketzerei  verurteilen  müfst,  Avelche  behaupten,  die 
Erde  stehe  fest  und  die  Sonne  bewege  sich  vom  Platze;  seiner  Zeit, 
sage  ich,  Avemi  nämlich  sinnlich  oder  durch  zwingenden  BeAveis  dar- 
gethan  sein  wird,  dafs  sich  die  Erde  bewegt  und  die  Sonne  feststeht. 
[Fav.  pag.  16.J 

5)  Weim  ein  Kreis  sich  innerhalb  eines  anderen  bewegt,  so  hat 
man  seine  Bewegung  für  übereinstimmend  mit  der  Bewegimg  oder 
mit  der  Teilung  des  äufseren  Kreises  zu  erklären,  je  nachdem  sich 
die  Teile  des  iimeren  Kreises  zu  den  ihnen  zugewendeten  des  äufse- 
ren verhalten.     Man  wird   also  sagen,  der  innere  Kreis  abcd  bewege 


490  Handschriftliche  Znsätze  Galileis  zu  dem  Exemplar 

sich  in  Richtung  der  Teile  cfgh  des  äufseren,  sobald  die  Rotation 
vom  Punkte  d  nach  a  und  von  a  nach  h  gerichtet  ist;  denn  dies  sind 
die  dem  Bogen  lief  zugekehrten  Teile.  Hingegen  wird  man  nicht  sagen 
dürfen,  besagte  Bewegung  sei  entgegengesetzt 
der  Richtung  lief,  weil  die  Bewegung  der  Teile 
hcd  entgegengesetzt  der  Richtung /ie/" sei;  denn 
hcd  ist  nach  fgli  hingewendet  und  verläuft  in 
derselben  Richtung  wie  dieses.  Soviel  zur  Auf- 
klärung der  verworrenen  Bemerkungen  Scheiners 
bezüglich  der  Rotation  der  Sonnenflecken,  die 
von  West  nach  Ost  gerichtet  heifsen  mufs. 
[ToaMo  pag.  252,  Alb.  pag.  382,  Fav.  pag.  16  f.] 

6)  Denen,  die  Anstofs  daran  nehmen,  weil  die  ganze  Philosophie 
umzugestalten  sei,  zeige  man,  dafs  dem  nicht  so  ist  und  dafs  die  Lehre 
von  der  Seele,  von  der  Zeugung,  von  den  Meteoren,  von  den  Tieren 
unverändert  bleibt.     [Toaldo  pag.  44,  Alb.  pag.  44,  Fav.  pag.  17.] 

7)  Diejenigen,  welche  die  jährliche  Bewegung  nicht  annehmen 
wollen,  weil  der  Erdball  dann  bald  zu  steigen,  bald  zu  sinken  habe, 
fertige  man  in  folgender  Weise  ab.  Man  frage,  ob  sie  einverstanden 
wären,  wenn  die  Erde  nicht  zu  steigen  hätte.  Man  erkläre  sodann, 
dafs  sie  dasselbe  von  einem.  Schiffe  sagen  kömiten,  welches  die  Erde 
umfährt.  Da  sie  nun  unter  Bewegungen,  die  weder  auf-  noch  abwärts 
gerichtet  sind,  solche  verstehen,  die  in  Kreisen  stattfinden,  deren  Pol 
der  Zenith  ist,  so  füge  man  die  weitere  Bemerkung  hinzu,  dafs  alle 
Kreise  irgendwelchen  Zenith  zum  Pole  haben,  dafs  wir  Bewohner  von 
Toskana  kein  Vorrecht  vor  den  Portugiesen  oder  Persern  geniefsen. 
Gleichwie  nun  die  Bewegung  um  den  Erdball  auf  jedem  Kreise  weder 
ansteigt  noch  abwärts  gerichtet  ist,  ebenso  ist  es  mit  den  Kreisen 
am  Himmel  u.  s.  w.     [Toaldo  pag.  236,  Alb.  pag.  357,  Fav.  pag.  17  f.] 

8)  Ich  frage:  Die  Flut  u.  s.  w.  ist  entweder  nur  auf  eine  Weise 
oder  auf  mehrere  Weisen  erklärbar.  Wenn  auf  eine,  so  wird  sie  durch 
die  Erdbewegung  hervorgebracht,  da  es  klar  ist,  dafs  diese  ihr  Vor- 
handensein zur  Folge  hat;  wenn  auf  mehrere,  so  untersuche  ich,  auf 
Avelche  Weise  sie  hervorgebracht  wird.     [Fav.  pag.  18.] 

9)  Das  Stillestehen,  die  wechselnde  Entfernung  [der  Planeten], 
die  Bewegungen  der  Flecken,  die  Veränderungen  an  den  Fixsternen, 
die  Gezeiten  des  Meeres,  alle  diese  verschiedenen  Erscheinungen,  welche 
durch  die  Erdbewegung  erklärt  werden,  sind  ein  mehr  als  zwingen- 
des Argument.     [Fav.  pag.  18.] 

10)  [Salv.]  Aus  dem  Widerstände,  den  die  Teile  der  Erde  dem 
Entfernen  vom  Boden  entgegensetzen,  darf  man  ebenso  wenig  schliefsen. 


I 


der  paduanischen  Seminarbibliothek.  491 

dafs  der  ganze  Erdball  sieh  der  Versehiebung  der  jährlichen  Erdbe- 
wegung widersetzt,  wie  man  aus  dem  Widerstände  des  Vogelleims 
gegen  eine  Trennung  seiner  Teile  folgern  darf,  dafs  ein  Gefafs  voll 
Vogelleim  beträchtlich  schwerer  zu  bewegen  sei,  als  ein  mit  Wasser 
oder  etwas  anderem  gefülltes;  denn  sonst  müfste  eine  Wanne  voll 
Blei  hundertmal  mehr  Widerstand  der  Bewegung  entgegensetzen,  als 
weim  sie  mit  Quecksilber  gefüllt  ist.  Ihr  dürft  nicht  glauben,  Signore 
Simplicio,  weil  der  Bogen  sich  so  schwer  nach  der  Kerbe  hin  be- 
wegen imd  biegen  läfst,  dafs  die  ganze  Armbrust  gleichermafsen  gegen 
eine  Bewegung  in  diesem  Sinne  Widerstand  leistet;  noch  auch  macht 
es  mehr  Schwierigkeit  ein  Tau  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung 
hin  zu  bewegen,  weil  seine  Teile  Widerstand  gegen  das  Zerreifsen 
zeigen,  sobald  einer  nach  Osten,  einer  nach  Westen  daran  zieht.  Da 
die  Teile  der  Erde  allenthalben  einer  Bewegung  nach  dem  Zenith  hin 
sich  widersetzen,  dem  Nadir  hingegen  zustreben,  so  hat  dies  zur 
Folge,  dafs  der  ganze  Ball  keinerlei  Widerstand  gegen  die  Bewegmig 
im  einen  oder  anderen  Sinne  leistet. 

Simpl.  Aber  ich  sehe  doch,  dafs  ein  Gefäfs  voll  Leim  einen  be- 
deutenden Widerstand  leistet,  wenn  man  es  heben  will. 

Salv.  Ja,  aber  dieser  Widerstand  ist  ganz  verschieden  von  dem 
Treimungswiderstande  der  Teile.  Dieser  beruht  auf  der  Klebrigkeit, 
welche  sich  nach  jeder  Seite  hin  als  Bewegungshemmnis  geltend  macht, 
jener  auf  der  Schwere,  die  nur  der  Bewegung  nach  oben  Widerstand 
entgegensetzt.  Im  Falle  des  Leims,  der  nach  allen  Richtungen  hin 
Widerstand  leistet,  ergiebt  sich,  dafs  das  ganze  Gefäfs  nach  keiner 
Richtung  hin  Widerstand  leistet;  ebenso  ergiebt  sich  im  Falle  der 
schweren  Körper,  welche  bezügUch  des  ganzen  Erdballs  nach  allen 
Richtimgen  hin  Widerstand  leisten  —  denn  sie  widersetzen  sich  der 
Bewegung  nach  jedwedem  Zenith  —  dafs  der  ganze  Erdball  nach  keiner 
Seite  hin  ein  Widerstreben  hat.     [Toaldo  pag.  236  f.,  Fav.  pag.  18  f] 

11)  Die  Zeit  einer  durch  Wasser  getriebenen  Uhr  kann  vielleicht 
zur  Messung  der  Stunden  u.  s.  w.  dienen.     [Fav.  pag.  20.] 

12)  Ein  günstiger  Wind  fördert  den  minder  schnell  bewegten 
Körper,  ein  entgegengesetzter  hemmt  ihn;  also  übt  die  gleich  schnell 
bewegte  Luft  keinerlei  Wirkung.  [Toaldo  pag.  175,  Alh.  pag.  261, 
Fav.  pag.  20.] 

13)  Die  Teile  der  Erde  haben  in  der  Weise  einen  Trieb  nach 
dem  Mittelpunkte  derselben,  dafs,  wenn  jene  ihi-en  Ort  veränderte,  die 
genaimten  Teile,  trotz  ihrer  Tremiung  von  dem  in  Bewegung  begriffenen 
Erdl)all,  ihm  überallhin  folgen  würden.  Als  Erläuterung  dazu  mögen 
die  Mediceischeu   Gestirne   angeführt  werden,   welche  den  Jupiter  be- 


492  Handschriftliche  Zusätze  Galileis  zu  dem  Exemplar 

ständig  begleiten,  obgleich  sie  Ton  ihm  getrennt  sind.  Dasselbe  gilt 
von  dem  Monde,  der  stets  genötigt  ist,  der  Bewegung  der  Erde  zu 
folgen.  Es  diene  dies  zur  Belehrung  der  Einfältigen,  welche  es  un- 
begreiflich finden,  wieso  diese  beiden  Bälle,  ohne  durch  eine  Kette 
mit  einander  verbunden  zu  sein  und  ohne  an  einem  gemeinsamen 
Spiefse  zu  stecken,  sich  gegenseitig  folgen,  sodafs  bei  Beschleunigung 
oder  Verzögerung  des  einen  auch  der  andere  sich  schneller  oder  lang- 
samer bewegt.     [Toaldo  pag.  232,  Älb.  pag.  351,  Fav.  pag.  21.] 

14)  Salv.  Ich  behaupte,  kein  Ding  bewegt  sich  von  Natur  gerad- 
linig. Gehen  wir  dazu  über  dies  näher  zu  erörtern.  Die  Bewegungen 
aller  Himmelskörper  sind  kreisförmig;  Schiffe,  Wagen,  Pferde,  Vögel, 
alles  bewegt  sich  kreisförmig  um  den  Erdball;  die  Bewegungen  der 
Teile  der  Tiere  sind  sämtlich  kreisförmig:  kurz,  wir  werden  zur  An- 
nahme genötigt,  dafs  nur  gravia  deorsum  und  Icvia  sursuni  sich  schein- 
bar geradlinig  bewegen;  aber  auch  dessen  sind  wir  nicht  gewifs,  wenn 
nicht  zuerst  bewiesen  wird,  dafs  der  Erdball  unbeweglich  ist.  [Toaldo 
pag.  129,  Alb.  pag.  185,  Fav.  pag.  21.] 

15)  Simpl.  Obgleich  ich  keine  zwingenden  Gründe  für  sothane 
Behauptung  anzuführen  weifs,  ist  es  doch  nicht  ausgeschlossen,  dafs 
ein  anderer  das  zu  leisten  vermöchte. 

Salv.  Seht  Euch  doch  vor,  diese  Behauptung  nicht  für  falsch 
zu  halten;  denn  ich  versichere  Euch,  weder  Ihr  noch  sonst  jemand  auf 
der  Welt  wird  imstande  sein  einen  triftigen  Beweis  dafür  beizubringen. 
Es  wäre  wohl  möglich,  dafs  ich  nicht  imstande  bin  das  Fehlerhafte 
des  Beweises  aufzudecken;  dafs  er  aber  richtig  sei,  das  ist  durchaus 
unmögHch.     [Fav.  pag.  22.] 

16)  Simpl.  Wenn  ich  den  Himmel  betrachte  und  den  ungeheueren 
Raum  bedenke,  der  sich  zwischen  Ost  und  West  erstreckt,  scheint  es 
mir  doch  sehr  auffallend,  dafs  ich  die  Bewegung  eines  Sternes  nicht 
soll  wahrnehmen  können,  der  denselben  in  der  kurzen  Zeit  von  10  bis 
12  Stunden  zurücklegt. 

Salv.  Wenn  Ihr  nun  den  Zeiger  der  Uhr  betrachtet,  die  sich 
dort  an  der  Wand  befindet,  nehmt  Ihr  denn  dessen  Bewegung  wahr? 
und  doch  hat  er  gleichfalls  in  12  Stunden  einen  Halbkreis  zurück- 
zulegen. 

Simpl.  Nein,  aber  wie  kann  man  einen  Halbkreis,  der  vielleicht  einen 
4  bis  6  Ellen  laugen  Bogen  bildet,  mit  dem  ungeheueren  Raum  ver- 
gleichen, welchen  der  Bogen  von  Ost  nach  West  am  Firmament  ein- 
nimmt, ein  Bogen,  der  soviel  Tausende  von  Tausenden  von  Miglien  lang 
ist?     [Toaldo  pag.  97 f.,  Alb.  pag.  133 f.,  Fav.  pag.  22.] 

17)  Von  zwei  Systemen  ist  eines  weifs,  das  andere  schwarz.    Wer 


der  pacluanischen  Seminarbibliothek.  493 

nicht  völlig  Ijlind  ist,  mufs  das  weifse  erkennen  können;  so  sagt  mir 
denn  freimütig,  welches  Euch  weifs  vorkommt.     [Fav.  pag.  23.] 

17  a)  Ich  stehe  in  theologischen  Dingen  ebenso  hinter  Euch  zurück, 
wie  als  Sammler  von  Skulpturen  hinter  dem  Grofsherzoge.  Dennoch 
besitze  ich  eine  einzige  kleine  Kamee,  die  schöner  ist  als  irgend  eine 
des  Grofsherzogs.  Ebenso  glaube  ich  in  diesem  einzigen  besonderen 
Falle,  wo  es  sich  darum  handelt,  was  man  in  Sachen  der  kopernika- 
nischen  Lehre  beschliefsen  soll,  manche  im  übrigen  [mir  weit  über- 
legene theologische]  Schriften  zu  übertreffen.     [Fav.  pag.  23.] 

18)  Salv.  Hier  köimt  Ihr  nicht  umhin,  Signore  Simplicio,  zu 
■gestehen,  dafs  zur  Bestätigung  der  einen  Ansicht  nur  nichtige  Gründe, 

zu  Gunsten  der  anderen  hingegen  höchst  treffende  beigebracht  worden 
sind.    Sagt  nun,  welche  Euch  triftig  und  welche  Euch  eitel  erscheinen. 

Simpl.  Ich  sage  nur  soviel,  dafs  möglicherweise  für  den  von  mir 
gebilligten  Standpunkt  weder  von  Aristoteles  noch  von  Ptolemäus  die 
richtigen  und  zwingenden  Gründe  angeführt  worden  sind;  dies  darf 
aber  der  Sache  selbst  keinen  Abbruch  thun  imd  nicht  zur  Folge  haben, 
dafs  man  die  andere  Ansicht  billigt,  welche  durch  bestechendere  Gründe 
nicht  sowohl  Rechtfertigung  als  vielmehr  ein  glänzendes  Ansehen  ge- 
wonnen hat. 

Salv.  So  gesteht  mir  wenigstens  zu,  dafs  die  Gönner  des  Koper- 
nikus  die  Gründe  des  Aristoteles  und  des  Ptolemäus,  welchen  das 
Publikum  bisher  Beifall  zollte,  indem  es  sie  für  beweisend  hielt,  wider- 
legt haben.  Ihr  werdet  dann  zum  mindesten  eine  neutrale  Stellung 
einnehmen  müssen,  bis  klarere  Beweise  zum  Vorschein  gekommen  sind, 
als  die  bis  jetzt  dagewesenen.  Und  man  wird  die  Kopernikaner,  welche 
die  Trugschlüsse  des  Aristoteles  und  des  Ptolemäus  aufgedeckt  haben, 
nicht  verspotten  dürfen,  blofs  um  der  Autorität  jener  beiden  grofsen 
Männer  willen,  welche  trotz  ihrer  Gröfse  vor  eben  jenen  Koperni- 
kauern  sehr  klein  dastehen.  [ToaJdo  pag.  325,  Alb.  pag.  500,  Fav. 
pag.  23f.] 

19)  Salv.  Du  Aristoteles  setzest  fest,  einfache  Bewegungen  seien 
die,  welche  längs  einfacher  Linien  erfolgen,  und  nennst  die  Gerade 
imd  den  Kreis  einfache  Linien.  AVenn  nun  die  Einfachheit  der  Be- 
wegung bedingt  sein  soll  durch  die  Einfachheit  der  Linie,  [so  mufs 
doch  die  Bewegung  längs  einer  durch  den  Mittelpunkt  laufenden 
geraden  Linie  einfach  genannt  werden]  und  wird  als  solche  die  natür- 
liche Bewegung  irgend  welches  einfachen  Körpers  sein  können;  das- 
selbe wird  auch  noch  der  Fall  sein,  wenn  die  Gerade  den  Kreis 
schneidet,  ohne  durch  den  Mittelpunkt  zu  gehen.  Dennoch  wirst  du 
in  jenem   Falle   behaupten,   dafs   die    Bewegung   längs   einer   und   der- 


494     Handschriftl.  Zusätze  Galileis  z.   d.  Exempl.    d.  paduan.  SeminarLibliotliek. 

selben  Geraden  bis  zum  Centrum  entgegengesetzt  sei  der  darauf  fol- 
genden über  das  Centrum  hinaus;  du  Avirst  dann  nicht  mehr  zugeben, 
dafs  ein  und  dieselbe  Bewegung,  welche  du  wegen  ihrer  Geradlinig- 
keit einfach  genannt  hast,  einem  und  demselben  einfachen  Körper 
zukommen  kann,  sondern  du  wirst  behaupten,  dafs  innerhalb  derselben 
geraden  Linie  entgegengesetzte  Bewegungen  stattfinden.  Damit  die 
einfache  Bewegung  und  der  einfache  Körper  einander  entsprechen, 
mufs  man  eine  Bewegung  statuieren,  deren  Einfachheit  von  etwas 
anderem  als  von  der  Einfachheit  der  Linie  abhängt.  Denn  sonst  würde 
die  Bewegung  der  schweren  Körper  nach  dem  Centrum  hin  nicht  in 
höherem  Grade  charakteristisch  und  natürlich  für  sie  sein  als  die  von ' 
dem  Centrum  weg.     \Toaldo  pag.  30,  ATb.  pag.  21,  Fav.  pag.  24.] 


ANMERKUNGEN. 


Widmung,  Vorrede,  erster  Tag. 

1)  p.  1.  Die  Widmung  hat  die  Form  eines  Briefes  an  den  Grofsherzog 
Ferdinand  II.  von  Toskana;  das  Datum  fehlt,  mufs  aber  in  das  Druckjahr 
1632  fallen.     Vgl.  die  Fufsnote  von  Alberi  Op.  I,  10. 

2)  p.  4.     Über  die.  Vorrede  im  allgemeinen  vergl.  Einleitung  p.  LXV. 

3)  p.  5.  Der  Name  Peripatetiker  bedeutet  eigentlich  die  Umher- 
wandelnden. —  Die  vier  aristotelischen  Principien,  von  denen  gleich 
nachher  die  Eede  ist,  sind  bekanntlich:  Form  (ovöla)^  Stoß'  (yltj)^  bewegende 
Ursache  {ccQp]  xiVTjöfwg),  Zweck  (t6  ov  svskk). 

4j  p.  6.  Der  Ausdruck  barmherzige  Pflegeväter  (padri  cari- 
f(itivl)  ist  wohl  Anspielung  darauf,  dafs  es  Mönche  waren,  die  sich  den 
galileischen  Gedanken  aneigneten. 

5)  p.  7.     Über  Sagredo,  Salviati  und  Simplicio  s.  Einleitung  p.  XLIX  ff. 

6)  p.  9.  Natürliche  Gründe  (ragioni  nahirali)  bilden  den  Gegen- 
satz zu  theologischen,  auf  der  Autorität  der  Bibel,  der  Kirchenväter  und 
der  Kirchenlehre  beruhenden;  es  werden  darunter  bei  Galilei  in  der  Eegel 
nicht  speciell  naturwissenschaftliche  Gründe  verstanden. 

7)  p.  9.  Die  von  Galilei  himmlisch  genannte  Substanz  ist  der  ald-iqQ 
(Äther),  das  ni^nxov  ezoi^dov^  die  quinfa  essentia,  das  fünfte  Element.  Dem- 
gegenüber stehen  nach  aristotelischer  Lehre  die  schlechthin  sogenannten 
vier  Elemente.  Die  Herleitung  der  Athereigenschaften  nach  aristotelischer 
Weise  findet  sich  p.  40. 

8)  p.  9.    „Er"  =  Aristoteles,  der  Begründer  der  pei-ipatetischen  Schule. 

9)  p.  10.  Die  nun  folgenden  aristotelischen  Beweise  für  die  Unmög- 
lichkeit von  mehr  als  drei  Dimensionen  sind  freilich  nichtig;  aber  der 
späterhin  von  Galilei  dem  Salviati  in  den  Mund  gelegte,  der  übrigens 
weder  im  Princip  noch  in  der  Ausführung  originell  ist,  sondei-n  in  ganz 
ähnlicher  Weise  sich  z.  B.  bei  Clav'ms  (Chr.  CJavü  in  Sphacram  loannis  de 
Sacro  Bosco  Commenidrhis.  3.  Aufl.  Romae  1585,  p.  13  ff.)  findet,  ist  gleich- 
falls unzulänglich  imd  kann  höchstens  als  eine  Erläuterung  des  Sinnes  der 
Behauptung  gelten,  nicht  aber  als  ein  wirklicher  Beweis.  Ein  solcher 
läfst  sich  überhaupt  schwerlich  erbringen  (vgl.  jedoch  Überwegs  Ver- 
suche), da  die  Di-eidimensionalität  entweder  als  reine  Erfahrungsthatsache 
zu  betrachten  ist  oder  als  begründet  in  der  Beschaflenheit  des  mensch- 
lichen Intellekts.  Weder  Aristoteles  noch  Galilei  liefsen  sich  träumen, 
dafs  man  dereinst  eine  Geometrie  von  vier-  und  mehrdimensionalen  Räumen 
aufstellen  werde,  wie  dies  neuerdings  geschehen  ist.  Vgl.  die  Habilita- 
tionsschrift  von   Rieinann,    Über   die   Hypothesen,    welche    der   Geometrie 

Galilei,  Weltsysteme.  32 


498  Anmerkungen  zum  ersten  Tag. 

zu  Grunde  liegen  (1854);  Helmlioltz,  Populäre  wissenschaftliclie  Vor- 
träge. 3.  Heft  (Braunscliweig  1876):  Über  den  Ursprung  und  die  Be- 
deutung der  geometrisclien  Axiome. 

10)  p.  10.  Weil  die  Drei  alles,  die  Dreiheit  allseitig  ist. 
Vgl.  De  coelo  I,  1.  268,  a,  9  Sia  rb  ra  tqLk  navza  dvca  ymI  xo  xQig  nccvtr]. 
—  Ad  'pleniorcm  scientiam,  logischer  Schulausdruck,  durch  welchen 
nach  erbrachtem  Beweise  weitere  Erörterungen  zu  Gunsten  der  These 
angereiht  werden.  —  Jedes,  All  und  Vollkommenes,  griechisch  (De 
coelo  I,  1.  268,  a,  20):  xa  navxa,  xo  näv,  xo  xeXeiov.  —  begrifflich  (ital. 
formalmente)  entspricht  dem  griechischen  xaxcc  X7]v  löiav. 

11)  p.  11.  Plato  spricht  ähnliche  Gedanken  öfters  aus,  so  Epinomis 
977c.  d'neQ  a.Qi&^ibv  ejc  xrjg  avd'QC07tiV'}]g  (pvöscog  it,skoifiEv,  ov%  äv  tioxe  xi 
(pQOVi^oi  ysvoi^s&a. 

12)  p.  12.  Die  Anekdote,  auf  welche  hier  angespielt  wird,  findet  sich 
bei  Macrobius,  Saturn.  I,  6.  Galilei  kannte  sie  wohl  aus  den  Gesta  Eo- 
manorum,  wo  sie  wiederholt  wird.  Der  Jüngling  hiefs  Papirius;  er  hatte 
seiner  Mutter  vorgeredet,  der  Senat  habe  über  die  Frage  verhandelt,  ob 
besser  ein  Mann  zwei  Frauen  oder  eine  Frau  zwei  Männer  solle  heiraten 
dürfen.  Die  Frauen  der  Stadt  beschworen  daraufhin  den  Senat,  die  Frage 
in  letzterem  Sinne  zu  entscheiden. 

13)  p.  12.  Die  platonische  Lehre  von  dem  unbewufsten  Wissen  und 
der  Wiedererinnerung  gehört  zu  den  Lieblingsgedanken  Galileis;  sie  wird 
zu  wiederholten  Malen  im  Laufe  des  Dialogs  vorgebracht.  Vgl.  p.  26.  95. 
152.   165  f.   176.   202.  266.  393. 

14)  p.  14.  Vgl.  Ar.  Metaph.  1'"^'^.,  3.  995,  a,  14:  Ttjv  ö'  a.%Qißoloyiav 
xvjv  ^ad')]fic(XLK'r}V  ovk  iv  üituatv  aTtaifrjriov,  ccDJ  iv  xoig  (irj  eiovGlv  vh]v' 
ÖLOTtSQ  ov  (pvöiKog   6   XQOTtog,  ciTtaSa  yccQ   i'öcog   7j   cpvöig  ejsi  vX7]v. 

15)  p.  15.  Aristoteles  unterscheidet  dreierlei  Veränderungen,  quanti- 
tative, qualitative  und  örtliche  (%lvr]6ig  xaxa  xo  nooov,  oiaxa  xb  noiov,  naxa 
xb  Ttov).  Die  Verschiedenartigkeit  der  letzteren  giebt  ihm  Vei'anlassung 
zu  der  Unterscheidung  von  irdischem  oder  elementarem  und  HimmelsstoiF. 

16)  p.  16.  Die  Natur  wird  von  Aristoteles  als  Princip  der  Bewegiuig 
und  der  Ruhe  definiert  z.  B.  Phys.  II,  1.  192,  b,  14:  ocq^i]  y.tvi'jöecog  Kai  axaßecog. 

17)  p.  16.  Hier  scheint  Galilei  entweder  einen  Flüchtigkeitsfehler  be- 
gangen oder  eine  abweichende  Lesart  im  aristotelischen  Texte  (oder  in 
der  lateinischen  Übersetzung)  vorgefunden  zu  haben.  Die  bekannteren  Aus- 
gaben lesen  (De  coelo  I,  2.  268,  b,  16):  ttJv  yag  <pv6tv  Kivi'iöscog  aQxrji^  elvai 
cpa^uv  civxolg.  Es  ist  also  an  dieser  Stelle  in  der  That  von  der  Natur  nur 
als  der  Ursache  der  Bewegung  die  Rede.  Nach  der  Vermutung  von  Favaro 
{Appendke  Prima  alla  Librcria  dl  Galileo  Galilei.  Roma  Tipografia  delle 
scienze  matematiche  e  fisiche  1888.  p.  2)  hat  Galilei  die  griechisch-latei- 
nische Ausgabe  der  aristotelischen  Werke  besessen,  welche  1597  bei 
Guillelmus  Laemarius  erschien;  vielleicht  würde  sich  durch  Vergleichung 
dieser  mir  nicht  zugänglich  gewesenen  Aristoteles- Ausgabe  der  Sachverhalt 
aufklären  lassen.  —  Dafs  Aristoteles  konsequenterweise  von  Natur  un- 
bewegte Körper  hätte  annehmen  müssen,  wird  später  noch  weiter  ausge- 
führt.    S.  p.  34.  48. 

18)  p.  20.     Dies  geschieht  p.  33. 

19)  p.  20.     Der  Name  nöa^og   —   und   ebenso   der  lateinische  miindits 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag.  499 

und  der  italienische  mondo  —  bedeutet  urspi-ünglich  Ordnung,  Schmuck. 
Über  die  Geschichte  des  Wortes  findet  man  Auskunft  in  Humboldts  Kos- 
mos (Stuttgart  1870.  Bd.  I.  p.  49).  'Aristoteles  und  seine  Schule  schlugen 
den  philosophischen  Wert  von  Etymologieen  hoch  an. 

20)  p.  20.  Aus  dieser  und  mancher  anderen  Stelle  des  Dialogs  scheint 
hervorzugehen,  dafs  Galilei  noch  weit  davon  entfernt  war,  das  Beharrungs- 
gesetz, dessen  Entdeckung  ihm  gewöhnlich  ohne  weiteres  zugeschrieben 
wird,  voll  erkannt  zu  haben.  Wenn  überhaupt  von  natürlichen  Be- 
wegungen heute  noch  die  Rede  sein  kann,  so  müssen  darunter  Bewegungen 
verstanden  werden,  die  von  keiner  äufseren  Kraft  beeinflufst  werden.  Dann 
aber  müssen  wir  gerade  umgekehrt  wie  Galilei  sagen:  Alle  natürlichen 
Bewegungen  sind  geradlinig.  Doch  ist  nicht  zu  vergessen,  dafs  die  ver- 
schiedenen Partieen  des  Dialogs  aus  sehr  verschiedener  Zeit  stammen  und 
die  vorliegende   gewifs  zu  den   ältesten  gehört.      S.  Einleitung  p.  XVII. 

21)  p.  20.  Vgl.  Arist.  De  coelo  I,  4.  271,  a,  33:  6  ^ebg  %al  1)  (pvoig 
ovöh'  (.idtriv  noLovGLV. 

22)  p.  21.  Die  Auffassung  der  geradlinigen  Bewegung  als  einer  der 
wohlgeordneten  Welt  widersprechenden  ist  von  Galilei  dem  Kopernikus  ent- 
nommen worden.  S.  Cop.  De  rev.  p.  23  der  Thorner  Ausgabe:  Becfus  ergo 
motus  non  accidit,  nisi  rebus  non  rede  sc  hahentihus,  nequc  perfectis  sccundiun 
naturam,  dum  separantur  a  siio  tofo  et  eius  dcserunf  unitatem.  Kopernikus 
selbst  entlehnte  wohl  diese  Ansicht  den  Alten.  S.  Plutarchi  De  facie  in 
orbe  lunae  VIII,  2:  ov^  ag  (liaov  ovöa  rov  navxog  7}  yi]  [xälkoi'^  7}  wg  oXov 
oiKEicaösrai,  (lEQrj  avxi^g  ovxa  xa  ßagr}  ...  3.  'Slg  yccQ  6  i]Xcog  £Lg  eavxbv 
e7ti6XQ£q)£i.  xa  ^i^rj  f|  äv  övve'cJdjjcs,  nal  1)  yfi  xbv  XC&ov  coansQ  idiov  y.al 
7tQ06ijKovxci  öe^exai  kdcI  cpsQsi  nag  iv.Hvov.  Wir  haben  in  solchen  Stellen 
ein  antikes  Surrogat  für  eine  Gravitationstheorie,  dem  man  vielleicht  noch 
nicht  die  genügende  Beachtung  geschenkt  hat.  Vgl.  auch  die  eine  Ahnung 
der  allgemeinen  Gravitation  enthaltenden  Stellen  p.  36.  102  f.  260. 

23)  p.  21  U.  31.  Die  Beziehung  auf  Plato  bei  Gelegenheit  dieser 
galileischen  Schöpfungshypothese  findet  sich  nicht  nur  an  vorliegender 
Stelle,  sondern  auch  bei  Reproduktion  der  Hypothese  in  den  Discorsi 
(Op.  XIII,  237).  Indessen  spricht  Plato  meines  Wissens  nirgends  davon, 
dafs  die  Himmelskörper  anfänglich  sich  geradlinig  bewegten,  sondern 
nur,  dafs  alles  Sichtbare  ursprünglich  in  verworrener  und  ungeordneter 
Bewegung  begriffen  war.  Die  bezügliche  Stelle  findet  sich  Timaeus  30  A: 
o^xto  drj  Ttav  o6ov  i]v  bqaxov  naQcdaßav  \6  d-ibg^  ov%  i)(jvxLav  ayov  ciXXa 
TiLvov^evov  TtX7]fi(iEXä)g  xai  axdxxcog  eig  xaS,LV  avxb  i'jyayev  ek  xi]g  dxa'S,Lag. 
Trotz  der  geringen  Übereinstimmung  der  Worte  Piatos  mit  der  von  Galilei 
ausgesprochenen  Ansicht  scheint  doch  diese  Stelle  ihm  vorgeschwebt  zu 
haben,  wenn  er  nicht  etwa  ganz  willkürlich  eine  Autorität  zum  Schutz 
für  seine  überkühne  Idee  hat  anführen  wollen.  Die  Stelle  mufste  ihm  um- 
somehr  bekannt  sein,  als  sie  bei  Aristoteles  (De  coelo  III,  2.  300,  b,  16) 
citiert  und  heftig  bekämpft  wird.  Galilei  mag  seine  Ansicht  sich  gebildet 
haben,  ehe  er  Kenntnis  von  der  Stelle  bei  Plato  hatte,  und  nachher  un- 
willkürlich in  ihr  eine  Bestätigung  gefunden  haben,  und  zwar  in  höherem 
Mafse,  als  nach  den  Worten  Piatos  gerechtfertigt  ist.  Auch  Chiaramonti 
in  seiner  Difcsa  cd  suo  Anfitieonc  c  libro  dcUe  irr  mtovc  stelle  (Firenze  1633) 
schreibt  p.  275:  „Ich  gestehe,  eine  derartige  Aufserung  bei  Plato  nicht  zu  finden". 

;52  * 


50Ö  Anmerkungen  zum  ersten  Tag. 

24)  p.  21.  Über  die  Accaäemia  dei  Lincei  vgl.  Einl.  p.  XXVT.  Selbst- 
verständlich ist  der  hier  und  öfters  erwähnte  Akademiker  kein  anderer  als 
Galilei  selbst. 

25)  p.  23.  Diese  Bemerkung  Galileis,  die  er  handschriftlich  dem  in 
der  paduanischen  Seminarbibliothek  aufbewahrten  Exemplar  des  Dialogs 
hinzugefügt  hat  (vgl.  Einl.  p.  LXXVI),  macht  sehr  richtig  darauf  aufmerk- 
sam, dafs  es  wirkliche  Momentankräfte  (Joyces  instantanees)  nicht  giebt,  dafs 
der  Stofs  nur  annähernd  als  solche  gelten  kann.  Galilei  hat  seine  Ansichten 
über  den  Stofs  ausführlicher  in  den  Discorsi,  Glornata  sesta  niedergelegt. 
S.  insbesondere'Op.  XIII,  330 flf. 

26)  p.  23.  Pulsschläge  dienen  bei  Galilei  und  sonst  (z.  B.  bei  Car- 
danus) öfters  als  Mafs  für  kleine  Zeitintervalle.  Von  Galilei  erst  rührt 
ja  der  Gedanke  her,  Pendelschwingungen  statt  dessen  zu  benutzen.  — 
Über  die  Elle  (braccio)  vgl.  zu  p.  100. 

27)  p.  24.  Galilei  denkt  an  das  Gesetz  der  kommunicierenden  Ge- 
fäfse  oder  an  den  Springbrunnen.  —  Im  folgenden  wird  wohl  zum  ersten 
Male  in  der  Geschichte  der  Physik  von  dem  Gesetz  der  Erhaltung  des 
Antriebs  {impeio)  —  oder  der  lebendigen  Kraft,  wie  man  seit  Leibniz 
zu  sagen  pflegt  —   Gebrauch  gemacht. 

28)  p.  25.  Das  anscheinende  Paradoxon,  dessen  Knoten  im  folgenden 
mit  pädagogischer  Meisterschaft  geschürzt  und  gelöst  wird,  ist  genau  das- 
selbe, wie  wenn  man  zwei  gleichschenklige  Dreiecke  von  gleicher  Grund- 
linie, aber  verschiedener  Höhe  vergleicht:  obwohl  dann  jeder  „Breite"  des 
einen  Dreiecks  eine  gleiche  des  anderen  entspricht,  obwohl  die  Breite  an 
der  Spitze  und  Basis,  sowie  die  Durchschnittsbreite  bei  beiden  überein- 
stimmen, so  ist  doch  die  Höhe  und  der  Flächeninhalt  verschieden,  und  man 
wird  das  Dreieck  mit  der  gröfseren  Höhe  schmäler  nennen  dürfen.  Im 
vorliegenden  Falle  entsprechen  den  Höhen  die  Pallzeiten,  die  zum  Zurück- 
legen der  ganzen  Strecken  CA  u.nd  CB  erforderlich  sind;  den  Breiten, 
oder  besser  noch  den  halben  Breiten,  die  jeweiligen  Fallgeschwindigkeiten  ; 
den  Flächen  die  gesamten  zurückgelegten  Strecken  CA  und  CB. 

29)  p.  28.  Man  erwartet  in  diesem  Zusammenhange  eher:  ,,Da  das 
Verhältnis  zweier  gleichen  Gröfsen  (nämlich  der  beiden  gleichen  Zeiten) 
zu  einander  gröfser  ist,  als  das  Verhältnis  einer  kleineren  zu  einer  gröfse- 
ren (nämlich  der  Strecke  CT  zu  der  Strecke  6'jB)."  Die  von  Galilei  vor- 
genommene Vertauschung  der  inneren  Glieder  dieser  Proportion  trägt  nicht 
eben  zur  Verdeutlichung  der  ohnehin  für  Laien  etwas  schwierigen  Stelle  bei. 

30)  p.  28.  Diese  Untersuchungen  des  „Akademikers"  (vgl.  zu  p.  21) 
sind  in  den  Discorsi  enthalten.  Der  specielle  Satz  —  in  etwas  anderer 
Form  —  findet  sich  Op.  XIII,  181  (Theorema  VI,  Propositio  VI).  Der 
nachher  (p.  29)  benutzte  Satz,  dafs  die  am  Schlufs  der  Fallzeit  erreichte 
Geschwindigkeit  genügt,  um  den  Körper  während  einer  der  Falldauer 
gleichen  Frist  über  das  doppelte  der  durchfallenen  Strecke  zu  führen, 
findet  sich  ebenfalls  in  den  Discorsi  (Op.  XIII,  204.  Theor.  XVI.  Prop.XXV). 

31)  p.  30.  Diese  Schlufswendung  der  bisher  so  schönen  Entwicklung 
ist  natürlich  verfehlt.  Man  darf  höchstens  schliefsen  wollen,  dafs  ein 
Übergang  von  der  Ruhe  zur  Bewegung  mit  endlicher  Geschwindigkeit  nicht 
möglich  ist;  dafs  aber  zur  Erzielung  einer  kreisförmigen  Bewegung  mit 
gleichfrirniiger    Geschwindigkeit     eine    geradlinig    beschleunigte    Bewegung 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag.  501 

vorangegangen  sein  mufs  und  wie  ein  solcher  Übergang  bei  den  Planeten 
vor  sich  gegangen  sein  soll,  ist  nicht  einzusehen.  Dies  hob  schon  der 
sonst  gewifs  nicht  sehr  geistvolle  Gegner  Galileis  Antonio  Rocco,  der  in 
seinen  Escrcitazioni  fdosoficlie  (Venezia  1633;  abgedruckt  im  2.  Bande  der 
Alberischen  Ausgabe)  Aristoteles  gegen  Galilei  verteidigt,  nicht  mit  Un- 
recht hervor.  Vgl.  Op.  11,  147  — 152,  sowie  die  Briefe  Fra  Fulgenzio 
Micanzios  vom  25.  Februar  und  18.  März  1634.  Op.  X,  19  u.  23.  —  Die 
hieran  anknüpfende  Untersuchung  über  die  Einheit  des  Schöi^fungscentrums 
und  über  dessen  Lage  ist  daher  gleichfalls  verfehlt.  Kach  der  im  wesent- 
lichen gewifs  richtigen  Schöpfungshypothese  von  Kant  und  Laplace  sind 
gerade  umgekehrt  die  Planeten  aus  der  Sonne  hervorgegangen,  von  ihr 
fortgeschleudert  worden,  während  sie  nach  Ansicht  Galileis  nach  der  Sonne 
hingefallen  sind.  Interessant  ist  die  galileische  Kosmogonie  übrigens  in- 
sofei-n,  als  sich  aus  ihr  eine  leicht  herzuleitende  Beziehung  zwischen  der 
Umlaufszeit  eines  Planeten  und  seiner  Entfernung  von  der  Sonne  ergiebt. 
Trotz  der  gegenteiligen  Versicherung  G.s  steht  jedoch  diese  Relation  nicht 
im  Einklang  mit  den  Thatsachen.  Die  richtige  Beziehung  wird  vielmehr 
durch  das  dritte  keplersche  Gesetz  (1619)  angegeben,  welches  besagt,  dafs 
die  Quadi-ate  der  Umlaufszeiteu  sich  verhalten  Avie  die  Kuben  der  mitt- 
leren Entfernungen  von  der  Sonne.  Die  keplerschen  Gesetze  scheinen 
Galilei  zeitlebens  unbekannt  geblieben  zu  sein. 

32)  p.  30.  Dies  ist  die  einzige  Art  des  Beharrungsgesetzes,  die  sich 
—  wenigstens  in  abstrakter  Formulierung  —  bei  Galilei  findet.  Wie  wir 
in  der  Einleitung  (p.  XIX  ff.)  hervorgehoben  haben,  ist  sie  weder  allgemein, 
noch  strenge  richtig.  Wenn  die  Anwendungen,  die  Galilei  in  den  Discorsi 
auf  die  Wiu-fbewegung  und  bei  sonstiger  Veranlassung  macht,  gleichwohl 
richtige  Ergebnisse  liefern,  so  liegt  dies  daran,  dafs  er  bei  Bewegungen 
innerhalb  eines  kleinen  Bereichs  das  in  Betracht  kommende  Stück  des 
Kreisbogens  als  eine  gerade  Linie  betrachtet;  er  entschuldigt  sich  aber 
ausdrücklich  wegen  dieses  vermeintlich  blofs  angenähert  richtigen  Ver- 
fahrens.    S.  Op.  XIII,  22  7 ff. 

33)  p.  32.  Sowohl  Galilei  als  Sagredo  haben  sich  mit  der  Konstruk- 
tion von  Thermometern  oder  Thermoskopen  beschäftigt,  wenngleich  die 
häufig  Galilei  zugesprochene  Priorität  der  Erfindung  nicht  sicher  gestellt 
ist.  Aus  der  Erwähnung  von  bestimmten  Wärmegraden  darf  man  aber 
nicht  etwa  schliefsen  wollen,  dafs  diese  Instrumente  feste  Punkte  hatten, 
die  sie  unter  einander  vergleichbar  machten.  Unter  „Graden"  wird  vielmehr 
nur  eine  unbestimmte  Mafseinheit  verstanden,  wie  gleich  nachher  von  zehn 
Grad  Geschwindigkeit  gesprochen  wird,  ohne  dafs  dabei  an  ein  absolutes 
Mais  derselben  gedacht  würde. 

34)  p.  33.  Im  Original  steht  gradi  di  tarditd  minor i;  in  Anbetracht 
des  sonstigen  Sprachgebrauchs  bei  Galilei  kann  dies  nur  ein  Druckfehler 
für  gradi  di  turditä  maggiori   sein. 

35)  p.  34.  Vgl.  Arist.  De  coelo  I,  2.  269,  b,  9  (paivexat  iv  ys  lolg 
ccklotg  raiiGia  (p&etQ6j.iei>c(  xcc  nagcc  cpvGiv.  Ib.  II,  14.  296,  a,  32  ^iÖtceq  ovy^ 
olov  X     aWtov  sivai,  ßiaiöv  y     ovöav  Y.cd  TtaQcc  cpvatv. 

36)  p.  34.    Vgl.  p.  16. 

37)  p.  34.  Vgl.  Arist.  De  anim.  gen.  III,  10.  760,  b,  31:  tote  tj; 
ta'ö8-))(J£t   nällov   x(üv   Xöyoiv   Ttißxevxeov,   Kai   xoig   Xoyoig,   iav   6f.iokoyovi.isva 


502  Aumerkungen  zum  ersten  Tag. 

ösiKvvcoai,  xotg  cpccivo^hoig.  —  Die  im  folgenden  verwendeten  lateinischen 
Bezeichnungen  deorsum  (abwärts),  swsum  (aufwärts),  ad  medium  (nach  der 
Mitte),  a  mcdio  (von  der  Mitte)  waren  als  technische  Ausdrücke  so  be- 
kannt, dafs  sie  auch  in  nicht-lateinischen  Schriften  beibehalten  wurden. 
Die  aristotelische  Lehi-e  von  der  natürlichen  Bewegung  der  Elemente  ist 
z.  B.  auseinandergesetzt  De  coelo  IV,  4.  —  Eadem  est  ratio  totius  et  par- 
tium (das  Ganze  verhält  sich  ebenso  wie  seine  Teile).  Vgl.  De  coelo  I,  3. 
270,  a,  11:  6  yccQ  avtbg  Xoyog  tisqI  olov  %al  ^EQovg. 

38)  p.  35.  Vgl.  namentlich  p.  173,  wo  die  sonderbare  Ansicht  auf- 
gestellt wird,  die  absolute  Bewegung  eines  fallenden  Körpers  sei  kreis- 
förmig. 

39)  p,  36.  Contra  ncgantes  principia  non  est  disputandum :  Wer  die 
Axiome  leugnet,  mit  dem  ist  keine  wissenschaftliche  Diskussion  möglich. 
Vgl.  Arist.  Phys.  I,  1.   185,  a,  1;  ib.  VIII,  3.   253,  b,  2. 

40)  p.  36.    Vgl.  Arist.  De  coel.  II,  14. 

41)  p.  37.  Fer  accidcns  (durch  zufälliges  Zusammentreffen)  griechisch: 
nara   öviißsßr}%6g. 

42)  p.  37.  Die  Verdienste  des  Aristoteles  um  die  Logik  werden  auch 
anderwärts  (vgl.  p.  137)  hervorgehoben.  Seine  auf  diesen  Teil  der  Philo- 
sophie bezüglichen  Schriften  pflegen  in  ihrer  Gesamtheit  Organ on  (=  In- 
strument, Werkzeug)  genannt  zu  werden. 

43)  p.  38.  Leonardo  da  Vinci  schrieb  einen  Trattato  della  pittura,  der 
allerdings  erst   1651  gedruckt  wurde. 

44)  p.  39.  Galilei,  im  Gegensatz  zu  Kepler,  neigt  der  Ansicht  von 
der  Unendlichkeit  des  Weltalls  zu,  die  insbesondere  von  dem  unglücklichen 
Giordano  Bruno  vertreten  wurde.    Vgl.  zu  p.  334  und  Einleitung  p.  XLIV, 

45)  p.  40.  Die  gewählte  Übersetzung  hat  die  Eichtigkeit  der  über- 
lieferten Lesart  zur  Voraussetzung.  In  der  ed.  pr.  (p.  29)  steht  nämlich: 
ma  io  credo,  che  i  fondamenti  de  i  Peripatetici  sien  tali,  che  non  ci  sia  da 
fernere;  che  con  Ja  rouina  loro  si  possano  constnäre  nuoue  sciense.  Einen 
viel  ungezwungeneren  Sinn  erhielte  man,  wenn  das  non  getilgt  oder  an 
andere  Stelle  gesetzt  würde.  Bei  der  überlieferten  Lesart  wird  von  Sim- 
plicio  als  etwas  Besorgniserregendes  bezeichnet,  dafs  es  noch  einen  anderen 
Aufbau  der  Wissenschaft  geben  könne,  als  den  auf  peripatetischer  Grund- 
lage ruhenden;  im  anderen  Fall  äufsert  er  die  Furcht,  es  sei  nach  dem 
Sturze  des  Aristoteles  keine  Wissenschaft  mehr  möglich.  So  engherzig 
Simplicio  auch  sein  mag,  einen  solchen  Gedanken  wie  den  ersteren  wird 
man  allenfalls  manchem  seiner  peripatetischen  Kollegen,  aber  nicht  ihm  zu- 
trauen dürfen. 

46)  p.  40.  Der  von  Simplicio  reproduzierte  aristotelische  Beweis  für 
die  Unzerstörbarkeit  und  Unveränderlichkeit  des  Himmels  findet  sich  De 
coelo  I,  3.  270,  a,  12. 

47)  p.  42.  Galilei  glaubte  irrigerweise  wie  alle  seine  Zeitgenossen  \ 
und  wie  Aristoteles  an  eine  Urzeugung  auch  bei  verhältnismäfsig  hoch-  j 
organisiex'ten  Wesen.  Die  hier  erwähnten  Insekten  sind  die  bekannten 
sogenannten  Essigfliegen  (Drosophila- Arten),  deren  Larven  in  gährenden 
Flüssigkeiten  und  faulenden  Früchten  leben,  und  die  allerdings  oft  plötz- 
lich in  so  überraschender  Menge  auftreten,  dafs  der  Glaube  an  die  generatio 
aequivoca  verzeihlich  erscheint. 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag.  503 

48)  p.  42.  Damit  deutet  Galilei  wohl  vorsichtigorweise  an,  dafs  seine 
Zweifel  sich  nicht  etwa  gegen  die  Transsubstantiationslehre,  die  Lehre  von 
der  Verwandlung  beim  Abendmahle,  richten. 

49)  p.  43.  Nämlich  die  beiden  Bücher  Ile^l  yeviascog  -/.cd  cp&oQäg  {De 
(jcnerationc  et  coyniptione\ 

50)  p.  44.  Der  bekannte  hier  wiederholte  Trugschlufs  vom  Kreter 
gehört  nicht  eigentlich  zu  der  Klasse,  die  man  im  engeren  Sinne  Sorites 
nennt.  Der  typische  Fall  eines  solchen  ist  vielmehr-  der  vermeintliche 
Beweis,  dafs  es  auf  ein  Stück  ankomme,  damit  eine  Menge  von  Dingen 
einen  Haufen  bilde  oder  nicht.  —  Mit  „Scheinbeweis"  habe  ich  den  eigen- 
tümlichen Ausdruck  arf/omento  cornuio  übersetzt. 

51)  p.  45.  Nach  Aristoteles  kann  unter  Umständen  ein  Körper  den 
anderen  berühren,  ohne  dafs  dieser  den  ersten  berührt.  De  gen.  et  corr. 
I,  6.  323,  a,  25  'ißxi  fiev  ovv  ag  enl  t6  noXv  xo  cmxo^evov  aTtxofievov  tcTtxö- 
l^isvov  .  .  .  k'axi  ö'  wg  ivioxe  cpa^isv  xo  kcvovv  anxsa&at  ^ovov  xov  y.ivovi.i£i'ov, 
xo  d'  cc%x6iJiSvov  ^r\  cmxsö&ca  (cnxo^iivov.  Vgl.  p.  73.  Für  die  im  folgen- 
den von  Sagredo  erwähnten  peripatetischen  Lehren  sind  die  Belegstelleu 
aus  Aristoteles  folgende:  dafs  gröfsere  oder  geringere  Dichtigkeit  gröfsere 
bezw.  kleinere  Schwere  im  Gefolge  hat,  wird  von  Aristoteles  angedeutet 
De  coelo  III,  1.  299,  b,  7;  Phys.  VIII,  7.  260,  b,  7.  An  letzterer  Stelle 
heifst  es:  "Exi  Ös  Tidvxcov  xäv  Tta&rjfxdxcov  ocQirj  nvKvcoGig  aal  (.idvcoötg' 
■Aal  yc(Q  ßaQV  zal  zovcpov  %ul  (.laXanbv  Kai  ßaXrjQOv  Kai  &eQfxbu  Kai  ipv^Qov 
TtvKvoTi'jxeg  6o/.ovGt  Kai  ciQa[,6xr]X£g  üvai  xivsg.  —  Dafs  die  gröfsere  oder 
geringere  Dichtigkeit  von  der  Temperatur  bedingt  ist,  steht  De  gen.  et 
corr.  IT,  9.  336, a,  3:  xo  ^ilv  ■&eQfibv  ölukqlveiv^  xo  Ös  ipv'^QOv  övvißxccvai.  — 
Die  nachher  von  Simplicio  vorgetragene  Theorie,  dafs  das  Wesen  der  Dich- 
tigkeit bei  himmlischen  Körpern  ein  anderes  sei  als  bei  elementaren,  rührt, 
wie  aus  der  Postille  hervorgeht,  von  Cesare  Cremonini  her,  dem  einstigen 
Kollegen  Galileis  an  der  Universität  Padua.  Vgl,  C.  Cremonini  De  Coelo 
disputatio  (Venetiis  1618),  p.  23 — 24,  es  heifst  dort:  Barum  insuper,  et 
densum  in  coelo  non  sunt  contraria:  Non  enim  sunt  contraria  isla,  nisi 
quatenus  consequuntur  qualitates  primas;  in  coelo  vero  sequuntur  miiltitttdinem, 
aiit  paucitatem  materiae  in  comparatione  ad  quantitatem,  multuni  vero  et  ptau- 
ciim,  ut  in  praedicamenfo  quantitatis  accipitur,  dicunt  relativam  oppositioncm, 
quae  est  minima  oppositionum,  ut  seribifur  in  Posipraedieamentis ,  et  nihil 
facit  ad  generationem  et  corruptionem.  Similiter  se  habet  de  concavo  et  con- 
vexo.  (Ich  verdanke  dieses  Citat  der  Güte  des  Herrn  Favaro.)  —  Dafs 
die  Sterne  verdichteter  Äther  seien,  ist  bei  Aristoteles  nur  andeutungs- 
weise angegeben  De  coel.  11,  7.  289,  a,  13;  doch  berichtet  Plutarch,  wie 
es  scheint  mit  Beziehung  auf  die  peripatetische  Schule:  liyovGi,  81,  xov 
ai&£Qog  xo  fxsv  avyo8tdeg  Kai  kenxbu  -bno  fxavox'Yjtog  ovgavbv  ysyoviuai,'  xb 
6s  TtvHx'co^Et'  Kai  avvsihjd'sv,  aöTQa  (De  fac.  in  orbe  lunae  XV,  6). 

52)  p.  46.  Au  dieser  Stelle  liegt  im  Original  ein  Anakoluth  vor; 
dasselbe  läfst  sich  am  einfachsten  beseitigen,  wenn  man  im  italienischen 
Text  entweder  a  voler  che  oder  le  quali  tilgt.  Der  Übersetzung  liegt 
letztere  Konjektur  zu  Grunde. 

53)  p.  48.  Das  Wesentlichste  von  dem,  was  Salviati  hier  vorträgt, 
reproduziert  später  Sagredo.     Vgl.  p.  431. 

54)  p.  52.     Abila  oder  Avila,  Berg  bei  Ceuta  an  der  afrikanischen 


504  Anmerkungen  zum  ersten  Tag. 

Küste;  gegenüber  bei  Gibraltar  liegt  Calpe;  sie  bilden  die  sogeaannten 
Säulen  des  Herkules.  —  Über  die  Entstehung  des  mittelländiscben  Meeres 
waren  die  Meinungen  im  Altertum  geteilt;  die  herrschende  Ansicht  war, 
dafs  es  durch  einen  Einbruch  des  atlantischen  Oceans  entstanden  sei. 
S.  Plin.  VI,  1.  Doch  findet  sich  auch  die  umgekehrte  Angabe,  dafs  es 
anfänglich  ein  Binnensee  gewesen,  der  nach  dem  atlantischen  Ocean  durch- 
gebrochen sei.     S.  Strab.  I,  2  p.  38  f.,  I,  3  p.  51  f. 

55)  p.  55.  Die  Ansichten  Galileis  über  die  Natur  der  Kometen  sind 
hauptsächlich  im  Sar/giafore  niedei'gelegt:  er  neigt  fälschlich  zu  der  Meinung, 
die  Kometen  seien  sublunaren  Ursprungs,  wie  auch  an  vorliegender  Stelle 
angedeutet  wird.  Tycho  de  Brahe  hatte  dagegen  in  dem  zweiten  Bande 
der  Progymnasmata  ^  welcher  den  Specialtitel  De  Mnndi  Aefhcrei  recentio- 
r/bus  phaenomenis  liber  sccunäus  führt,  ganz  richtig  aus  der  verschwinden- 
den Kleinheit  der  Parallaxe  des  Kometen  von  1577  dessen  grofse  Ent- 
fernung von  der  Erde  gefolgert.  Gegen  diese  Ansicht  war,  wie  in  der 
Einl.  p.  LVIII  bereits  angegeben,  Chiaramonti  in  seinem  Anfifyrlio  (1621) 
aufgetreten.  —  Im  folgenden  wird  Ch.  getadelt,  weil  er  die  neuen  Sterne 
und  die  Sonnenflecken  nicht  mit  der  gebührenden  Aufmerksamkeit  behan- 
delt habe,  indessen  hat  dei'selbe  im  Jahre  1628  in  seinem  Buche  De  irihus 
sfelUs,  qiioe  a.  1572,  1600,  1601  companienint  die  ersteren  sehr  ausführ- 
lich besprochen.  Es  geht  daraus  hervor,  dafs  der  erste  Tag  des  Dialogs 
schon  vor  1628  abgeschlossen  worden  ist.  Der  zweite  und  dritte  Tag 
des  Dialogs  unterziehen  dieses  spätere  Werk  Ch.s  einer  scharfen  Kritik. 
Über  den  neuen  Stern  von  1572  in  der  Cassiopeja  wird  zu  .\nfang  des 
dritten  Tags  des  Dialogs  ausführlich  gesprochen,  am  ausführlichsten  be- 
handelt ihn  Tycho  de  Brahe  im  ersten  Bande  seiner  Progymnasmata.  — 
Der  Stern  von  1604  im  Schlangeuträger  war  Gegenstand  einer  ausführ- 
lichen Schrift  Keplers:  De  stdJa  nova  in  pecle  Serpentarii  (Pragae  1606). 
Auch  von  Galilei  besitzen  wir  Fragmente  der  Vorlesungen,  die  er  über 
diesen  gehalten.  (Vgl.  Op.  V^,  391.)  —  Die  Sonnenflecken  endlich  wer- 
den im  Laufe  des  dritten  Tags  eingehend  behandelt.  Vgl.  p.  361  ff.  iind  Ein- 
leitung p.  XXIV,  XXIX  ff.,  LX  f.  Über  Tycho  urteilt  Galilei  hier  und  sonst 
höchst  ungerecht  (vgl.  namentlich  auch  den  Brief  an  Marsili  vom  7.  Sept.  1629 
Op.  VI,  329),  wiewohl  ihm  dieser  kurz  vor  seinem  Lebensende  in  freund- 
schaftlichster Weise  entgegengekommen  war.  S.  den  Brief  Tychos  an  G. 
vom  4.  Mai   1600.    Op.  VIII,  24. 

56)  p.  55.  Parallaxe  oder  parallaktische  Differenz  heifst  der  Winkel, 
den  zwei  Linien  einschliefsen,  die  von  einem  Sterne  nach  zwei  verschie- 
denen Punkten  der  Erde  gezogen  sind.  Aus  der  Gröfse  der  Parallaxe  in 
Verbindung  mit  der  Lage  der  Erdörter  läfst  sich  die  Entfernung  des 
Sternes  berechnen,  wie  späterhin  (p.  311  ff.)  ausführlich  gezeigt  wird. 

57)  p.  56.  Wie  oben  zu  p.  55  bemerkt,  hat  Chiaramonti  die  neuen 
Sterne  und  namentlich  die  Frage  nach  dem  Orte  derselben  in  einer  eigenen 
umfangreichen  Schrift  behandelt,  die  im  zweiten  und  dritten  Tage  des 
Dialogs  scharf  mitgenommen  wird.  Die  hier  gemeinte  Stelle  findet  sich 
im  Schlufsworte  des  Antitycho  p.  357  und  lautet:  At  objident  allqui  novas 
Uluxisse  Stellas  ut  tempore  Hipparci,  et  nostro  Jioc  aevo  non  semel  ncmpe 
anno  1572  in  Cassiopeja,  et  1604  in  sagittario.  Verum  non  sunt  nupera 
eiusmodi  lumina    caelestium   corporum   certae  partes,    oportet   adversarios    in 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag.  505 

stdlis  iunlo  imn  anica  tempore  clcscri^ytis,   de  qiiihus  nemo  diibitat  quin  cae- 
lestes  sinf^  lüiquam  mufationcm  dcmonsfrare,  quod  praestare  non  p)Ossunf. 

58)  p.  56.  Woher  die  in  Anfülinmgszeiclien  gesetzte  Stelle  genommen 
ist  —  und  ebenso  die  Stellen  p.  78  und  p.  82  —  ist  mir  trotz  vieler 
Mühe  nicht  gelungen  zu  ermitteln.  In  den  Briefen  über  die  Sonnenflecken 
(Op.  III,  501)  erwähnt  Galilei  die  nämliche  Ansicht,  welche  im  nachstehen- 
den Citate  ausgesprochen  wird  und  welche  mit  der  anfänglichen  Ansicht 
Scheiners  über  das  Wesen  der  Sonnenflecken  Ähnlichkeit  besitzt. 

59)  p.  58.  Markus  Welser,  Duumvir  von  Augsburg,  hatte  am 
6.  Januar  1612  Galilei  gebeten,  seine  Ansicht  über  drei  Briefe  Scheiners, 
die  unter  dem  Pseudonym  Apdlcs  post  täbidam  veröfi'entlicht  worden  waren, 
ihm  mitzuteilen.  Die  Antwort  Galileis  auf  diese  Aufforderung  und  auf 
spätere  Briefe  Welsers  und  Schriften  Scheiners  bilden  die  obengenannten 
Lettere  intorno  alle  maccJne  solari,  welche  von  der  Accademla  dei  Llncei 
1613  mit  einem  Vorworte  von  Angelo  de  Filiis  herausgegeben  wiirden. 
S.  Einleitung  p.  XXXI. 

60)  p.  59.  Vgl.  Arist.  De  coelo  IT,  12.  291,  b,  24ö'.  Über  den  Vor- 
zug der  sinnlichen  Erfahi-ung  vor  der  Spekulation  vgl.  zu  p.  34. 

61)  p.  63.  Diese  erregten  damals  noch  immer  hohe  Bewunderung;  die 
ersten  Pomeranzen-  und  Apfelsinenbäume  waren  1548  in  Europa  bekannt 
geworden  und  zwar  dmch  den  Portugiesen  Juan  de  Castro. 

62)  p.  65.  Die  Frage  nach  der  Bewohnbarkeit  des  Mondes  ist  uralt. 
So  hatte  der  Pythagoreer  Philolaus  gelehrt,  dafs  der  Mond  von  Riesen 
bewohnt  werde.  Plutarch  äufsert  sich  in  seiner  Schrift  Bc  facie  in  orhc 
hinae  XXIV,  7  ff.  sehr  vernünftig  über  die  Bewohnbarkeit  und  die  Mög- 
lichkeit eines  Lebens  auf  dem  Monde  und  zwar  in  ähnlichem  Sinne  wie 
hier  Galilei. 

63)  p.  66.  Opposition  zweier  Gestirne  heifst  diejenige  Stellung,  bei 
welcher  (annähernd)  die  Erde  in  gerader  Linie  zwischen  denselben  steht, 
der  Winkel  Stern  —  Erde  —  Stern  also  180°  beträgt;  Konjunktion  findet 
statt,  wenn  'eines  der  Gestirne  zwischen  der  Erde  und  dem  anderen  steht, 
also  jener  Winkel  0°  beträgt;  Quadratur,  wenn  der  Winkel  90",  Sexter- 
schein  (aspetfo  scsfite]  vgl.  p.  337),  wenn  er  60*^  beträgt.  Es  werden 
bisweilen  noch  andere  solcher  „Aspekte"  unterschieden. 

64)  p.  67.  Nach  vorliegender  Stelle  könnte  man  glauben,  dafs  G. 
auch  auf  dem  Monde  Land  und  Wasser  unterscheiden  wolle  und  nur  vor- 
sichtigerweise sich  nicht  bestimmt  äufsere.  Er  verwirft  aber  weiter  unten 
fp.  105)  diese  Ansicht  ausdrücklich  in  Übereinstimmung  mit  den  heutigen 
Astronomen.  Diese  Stelle  hat  wohl  Nelli  zu  der  irrigen  Angabe  verleitet,  dafs 
Galilei  auf  dem  Monde  Meere  annehme  (Vita  e  Commereio  Letterario  di 
Galileo  Galilei.  Losanna  1793.  II,  573).  Das  Vorhandensein  von  Mond- 
gebirgen und  die  Ursachen  der  Phasenänderungen  sind  schon  von  Pytha- 
goras  gelehrt  worden.  Die  Flecken  auf  dem  Monde  waren  von  manchen 
für  Spiegelbilder  der  Land-  und  Wassermassen  der  Erde  gehalten  wor- 
den. (Vgl.  Plut.  Bc  facie  in  orhe  lanae);  auch  heute  noch  ist  man  sich 
nicht  völlig  klar  über  den  Wesensunterschied  der  hellen  und  dunkeln  Par- 
tieen,  man  hält  letztere  meist  für  lockeres,  erstere  für  festes  Erdreich. 

65)  p.  69,  Da  scheinbar  der  Mond  aufser  der  allgemeinen  täglichen 
Bewegung   von  Ost  nach  West  eine  sehr  beträchtliche  Eigenbewegung  von 


506  Anmerkungen  zum  ersten  Tag. 

West  nach  Ost  besitzt,  welch  letztere  etwa  12"  den  Tag  beträgt,  so  ver- 
gehen nicht  24,  sondern  ungefähr  25  Stunden,  bis  er  an  zwei  auf  einander 
folgenden  Tagen  an  dieselbe  Stelle  des  Himmels  zurückgekehrt  ist. 

66)  p.  69.  Wenn  eine  Kugel  um  eine  aufserhalb  derselben  gelegene 
Achse  derart  rotiert,  dafs  man  sich  beide  in  starrer  Verbindung  mit  ein- 
ander denken  kann,  so  ist  die  Frage,  ob  man  sagen  soll,  die  Kugel  drehe 
sich  bei  ihrer  Bewegung  auch  um  sich  selbst  oder  nicht.  Kopernikus, 
und  an  dieser  Stelle  auch  Galilei,  sagt  in  solchen  Fällen,  es  finde  keine 
Rotation  um  die  eigene  Achse  statt,  während  man  heutzutage  dies  im 
Gegenteil  als  eine  Rotation  bezeichnet.  Dreht  sich  hingegen  eine  Kugel 
so,  dafs  der  Mittelpunkt  einen  Kreis  beschreibt  und  jede  mit  der  Kugel 
starr  verbundene  gerade  Linie  sich  selbst  parallel  bleibt,  so  sagt  Koper- 
nikus, die  Kugel  besitze  eine  Rotation  um  sich  selber,  die  in  entgegen- 
gesetztem Sinne  erfolge,  wie  die  Bewegung  des  Mittelpunktes;  wir  pflegen 
dies  als  eine  Kreisbewegimg  ohne  Eigenrotation  zu  betrachten.  Die  viel- 
fach erörterte  Frage  ist  ein  ziemlich  müfsiger  Wortstreit;  nur  mufs  man 
den  jeweiligen  Sprachgebrauch  kennen,  um  nicht  zu  Mifsverständnissen  ver- 
leitet zu  werden.  Vgl.  auch  zu  p.  371.  —  Um  den  verwickelten  Mondlauf 
zu  erklären,  hat  Ptolemäus  angenommen,  dafs  der  Mond  nicht  unmittelbar 
eine  Kreisbahn  um  die  Erde  beschreibe,  sondern  um  einen  Punkt  kreise, 
der  seinerseits  erst  sich  um  die  Erde  dreht.  Der  von  diesem  Punkt  be- 
schriebene Kreis  wird  der  deferierende,  der  Kreis  des  Mondes  um  jenen 
Punkt  der  Epicyclus  genannt.  —  Nach  dem  Sprachgebrauche  Galileis 
ist  es  also  ganz  richtig,  wenn  er  sagt,  dafs  man  für  den  Fall  der  epicj'C- 
lischeu  Bewegung  dem  Monde  eine  Drehung  um  seine  Achse  zuschreiben 
müsse,  um  zu  erklären,  dafs  er  der  Erde  stets  dieselbe  Seite  zuwende. 

67)  p.  69.  Nach  der  Lehre  der  Pythagoreer  gab  es  eine  Gegenerde, 
a.vxLi%av  genannt,  welcher  von  den  verschiedenen  Anhängern  dieser  Schule 
eine  sehr  verschiedene  Rolle  zugewiesen  wurde.  Vgl.  Arist.  de  coel. 
II,  13.  293,  a,  23flf.  Von  einigen  wurde  sie  mit  dem  Monde  identificiert, 
und  darauf  scheint  Galilei  hier  anzuspielen. 

68)  p.  69.  Im  folgenden  wird  die  sogenannte  Libration  des  Mondes 
beschrieben.  Man  findet  vielfach  die  falsche  Angabe,  dafs  Galilei  erst  m 
Jahre  1637  oder  kui-z  vorher  dieselbe  entdeckt  und  die  erste  Mitteilung 
darüber  in  dem  Briefe  an  Alfonso  Antonini,  datiert  „aus  meinem  Kerker 
von  Arcetri  den  20.  Februar  1637",  gemacht  habe,  wozu  übrigens  die  Be- 
merkung zu  fügen  ist,  dafs  die  Datierung  jenes  Briefes  nach  florentini- 
schem  Stile  zu  verstehen  ist,  der  Brief  also  1638  geschrieben  wm-de. 
Spätestens  mufs  Galilei  vielmehr  die  Entdeckung  im  Jahre  1631  gemacht 
haben,  und  selbst  das  ist  nur  möglich,  wenn  man  die  Annahme  macht, 
dafs  er  die  im  Jahre  1630  druckfertig  gewordenen  Dialoge  noch  nach- 
träglich revidiert  habe.  —  Ebenso  irrig  ist  die  sogar  bei  Lalande, 
Astronomie  §§  3175  ff.  sich  findende  Angabe,  dafs  Galilei  die  parallak- 
tische  Libration  und  die  Libration  in  Breite  gelehrt  habe.  Er  kennt 
in  Wahrheit  nur  die  erstere  und  untersucht  freilich,  welchen  Einflufs 
die  Veränderung  der  Breite  des  Mondes  auf  sein  Aussehen  von  einem 
Punkte  der  Erdoberfläche  aus  übt.  Dies  ist  aber  ganz  etwas  Anderes,  als 
was  wir  Libration  in  Breite  nennen.  Nach  Galileis  ausdrücklichen  Worten 
erscheint   vom  Erdmittelpunkt   aus   stets   derselbe    Punkt   im  Centrum   der 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag.  507 

Mondscheibe.  Tliatsächlich  ist  dies  aber  nicbi  der  Fall,  was  (zum  Teil) 
daher  rührt,  weil  die  Rotationsachse  des  Mondes  nicht  genau  senkrecht 
zur  Mondbahn  steht,  sondern  einen  Winkel  von  etwa  6"  mit  der  Senk- 
rechten bildet.  Die  durch  diesen  Umstand  bedingten  Änderungen  der 
sichtbaren  Mondfläche  sind  .es,  welche  man  Libration  in  Breite  nennt. 
(Vgl.  z.  B.  Epstein,  Geonomie  p.  510  if.)  —  Gerade  die  bedeutenderen 
Quellen  der  Libration,  die  Libration  in  Länge  und  Breite  kannte  Galilei 
also  noch  nicht,  sondern  nur  die  verhältnismäfsig  unbedeutende  parallak- 
tische.  Er  scheint  allerdings  bemerkt  zu  haben,  dafs  sich  die  thatsäch- 
lichen  Librationen  auf  die  Parallaxe  allein  nicht  zurückführen  lassen,  wie 
aus  einer  Stelle  obengenannten  Briefes  vom  Jahre  1638  (Op.  IIT,  181  jper 
Je  qnaU  .  .  .  verso  cU  noi)  hervorgeht.  Da  er  aber  seiner  Blindheit  wegen 
die  Beobachtungen  damals  nicht  fortsetzen  konnte,  gelangte  er  nicht  zur 
vollständigen  Erkenntnis  des  Phänomens;  diese  verdankt  man  Hevel,  Eiccioli 
und  Cassini.  —  Die  beiden  Flecken,  welche  Galilei  zur  Konstatierung  der 
Libration  benutzte,  sind  das  gröfsere  im  Westnordwesten  gelegene  Mare 
Crisium  und  der  kleinere  im  Ostsüdosten  befindliche  Grimaldi.  (In  dem 
Briefe  an  Antonini  sind  die  beiden  Flecken  irrtümlich  mit  einander  ver- 
wechselt.) —  Drachen  (Dragone)  =  Mondbahn;  der  Teil,  der  nördlich  von 
der  Ekliptik  liegt,  ist  der  „obere  Bauch";  derjenige,  welcher  südlich  der 
Ekliptik  liegt,  der  „untere  Bauch"  des  Drachens. 

69)  p.  7L  Für  dieses  sogenannte  „aschgraue"  oder  „sekundäre"  Mond- 
licht wird  im  folgenden  die  richtige  Erklärung  gegeben.  Dieselbe  rührt 
von  Leonardo  da  Vinci  her.  Vgl.  The  Literary  Worlcs  of  Leonardo  da 
Vinci  compiled  and  edited  fnmi  tlic  Original  Mamtscripts  hy  Jean  Paul 
Eichter.  London  1883.  Vol.  IL  No.  902.  In  deutscher  Übersetzung  lautet 
eine  der  fraglichen  Stellen:  „Etliche  Leute  haben  gemeint,  der  Mond  be- 
sitze einiges  Eigenlicht,  welche  Ansicht  falsch  ist,  weil  man  sie  auf  jene 
Helligkeit  gegründet  hat,  die  sich  zwischen  den  Hörnern  des  Mondes  zeigt, 
wenn  er  jung  ist.  Sie  ist  in  der  Nähe  des  hellen  Teiles  schwach,  am 
Eande  des  dunkeln  Feldes  hingegen  so  hell,  dafs  viele  glauben,  sie  sei 
ein  weiterer  heller  Kreis,  der  die  Umgrenzung  vervollständige,  wo  die 
Spitzen  der  von  der  Sonne  erleuchteten  Hörner  aufhören.  Diese  Ver- 
schiedenheit des  Feldes  rührt  daher,  dafs  der  Teil  des  Feldes,  der  dem 
hellerleuchteten  Teile  des  Mondes  benachbart  ist,  im  Vergleich  zu  dessen 
Glanz  dunkler  aussieht,  als  er  ist ;  jener  obere  Teil  hingegen,  der  aussieht 
wie  ein  Stück  eines  hellen  Kreises  von  gleichförmiger  Breite,  entsteht  da- 
durch, dafs  dort  der  Mond  heller  ist  als  die  Mitte  oder  als  das  Feld,  in 
dem  er  sich  befindet,  und  im  Vergleich  zu  dessen  Dunkelheit  an  besagter 
Grenze  heller  aussieht,  als  er  ist.  Diese  Helligkeit  zu  jener  Zeit  rührt  von 
unserem  Ocean  nebst  den  Binnenmeeren  her,  welche  um  diese  Zeit  von 
der  schon  untergegangenen  Sonne  beleuchtet  w^erden,  sodafs  das  Meer  als- 
dann dem  dunkeln  Teile  des  Mondes  denselben  Dienst  erweist,  welchen 
der  Mond  am  fünfzehnten  uns  erweist,  wenn  die  Sonne  untergegangen  ist. 
Und  jenes  geringe  Liebt,  welches  der  dunkele  Teil  des  Mondes  besitzt, 
verhält  sich  zur  Helligkeit  des  beleuchteten  Teils  wie  ....  [Lücke  im 
Manuskript.]  Willst  du  sehen,  wieviel  heller  der  dunkele  Teil  des  Mon- 
des ist  als  das  Feld,  wo  selbiger  Mond  sich  befindet,  so  bedecke  den  hellen 
Teil   des  Mondes   mit   der  Hand   oder   auch  mit   einem   vom    Auge   weiter 


508  Anmerkungen  zum  ersten  Tag. 

entfernten  Gegenstand."  Abgesehen  von  dem  Irrtum,  dafs  Leonardo  die 
Hauptrolle  nicht  dem  Festland  der  Erde,  sondern  dem  Meere  zuschreibt, 
hat  diese  Darstellung  mit  derjenigen  Galileis  manche  Ähnlichkeit;  ob 
aber  eine  mittelbare  oder  unmittelbare  Beeinflussung  durch  Leonardo 
stattgefunden  hat,  bleibt  dabei  noch  immer,  zweifelhaft.  —  Unabhängig 
von  Leonardo  gab  eine  richtige  Erklärung  des  Phänomens  Mästlin,  der 
Lehrer  Keplers,  der  sie  1592  seinem  Auditorium  vortrug  und  1596  in  seiner 
DissertaUo  de  edipsibus  veröffentlichte.  Die  Stelle  wird  citiert  von  Kepler, 
Asfronomiae  pars  Optica  cap.  VI,  10  (Ed.  Frisch  Bd.  IL  p.  289).  Die 
weiter  unten  fp.  96)  erwähnte  Ansicht,  dafs  das  aschgraue  Licht  durch 
die  Bestrahlung  seitens  der  Venus  veranlafst  sei,  ist,  wie  Kepler  angiebt, 
von  Tycho  de  Brahe  aufgestellt  worden. 

70)  p.  73.  Mit  ausdrücklichen  Woi'ten  spricht  Aristoteles  meines 
Wissens  nirgends  von  einer  undurchdringlichen  Härte  des  Himmels.  Doch 
galt  sie  vor  und  zu  Galileis  Zeit  als  eine  notwendige  Konsequenz  seiner 
Lehre.  Über  die  Ansicht,  dafs  die  Sterne  verdichteter  Himmelsstoff  seien, 
s.  zu  p.  45. 

71)  p.  73.  Dafs  die  Berührung  zwdsehen  zwei  Substanzen  nicht  immer 
eine  gegenseitige  sein  müsse,  hat  Aristoteles  behauptet.  Vgl.  zu  p.  45.  — 
Der  „hervorragende  Professor"  von  Padua,  der  dieses  „schwierige  Kapitel" 
ausführlich  behandelt,  war  vermutlich  Cesare  Cremonini,  der  hochberühmte 
Verehrer  des  Aristoteles  und  seines  Exegeten  Alexanders  von  Aphrodisias 
(Wohlwill).  Doch  scheint  er  seine  ..schönen  Gedanken"  über  diesen  Gegen- 
stand nur  mündlich  vorgetragen  zu  haben;  wenigstens  konnte  Herr  Favaro, 
der  auf  meine  Bitte  die  zunächst  in  Betracht  kommenden  Schriften  Cre- 
moninis  einsah,  nichts  Hierhergehöriges  ermitteln. 

72)  p.  74.  Diese  von  Simplicio  gebilligte  Ansicht,  die  freilich  im 
Widerspruch  zu  seiner  früher  geäufserten  Ansicht  von  der  Undurchsichtig- 
keit  des  Mondes  steht,  wui'de  namentlich  von  Julius  Caesar  La  Galla  ver- 
fochten.    Vgl.  zu  p.  90. 

73^  p.  75.  In  dem  dritten  Briefe  Galileis  an  Welser  wird  in  ähn- 
licher Weise  wie  hier  die  Fähigkeit  der  Erde  Licht  zu  reflektieren  be- 
wiesen, namentlich  Op.  HI  p.  491  ff.;  etwas  verschieden  ist  die  Darstellung 
im  Saggiatore  (Goldwäger),  weil  einem  anderen  Zwecke  dienend  (Op.  IV 
p.  237ff). 

74)  p.  78.    Über  die  in  Anführungszeichen  gesetzte  Stelle  vgl.  zu  p.  56. 

75)  p.  8L  Was  Galilei  als  Irradiation  bezeichnet,  ist  die  Erscheinung, 
dafs  ein  helles  Centrum,  wie  Sterne,  entfernte  Flammen  als  strahlige 
Figuren  erscheinen.  Sie  rührt,  wie  er  richtig  bemerkt,  von  den  Feuchtig- 
keitströpfchen im  Auge  her;  zum  Teile  aber  auch  von  einer  Asymmetrie 
des  Auges.     Vgl.  Helmholtz,  physiologische  Optik  §   14. 

Was  man  heutzutage  als  Irradiation  bezeichnet,  ist  das  scheinbare 
übergreifen  einer  hellen  Fläche  über  eine  benachbarte  dunkele,  wie  z.  B. 
die  Mondsichel  einem  gröfseren  Kreise  anzugehören  scheint,  als  der  dunkele 
Teil  der  Scheibe.  Über  die  Erscheinungen  dieser  Art  imd  ihre  Erkläning 
siehe  Plateau,  Poggend.  Ann.  Ergänzungsbd.  I;  Helmholtz,  physiologische 
Optik  §  21.  Bei  dem  vorliegenden  Phänomen  spielen  beide  Arten  der 
Irradiation  eine  Rolle.     Vgl.  auch  p.  350  ff.  377. 


Anmerkungen  zum  ersten  Tag'.  509 

76)  p.  82.    Über  die  in  Anführungszeichen  gesetzte  Stelle  vgl.  zu  p.  56. 

77)  p.  83.  Die  Prozedur  des  Weifssiedens  silberner  Gefäfse  (holUre  nel 
hianchhncnto)  ist  z.  B.  beschriefben  bei  Benvenuto  Cellini,  Trattato  delV 
Oreficeria  Cap.  V.  —  Die  Gefäfse  werden  dabei  in  einer  Lösung  von  Wein- 
steinrahm, und  Kochsalz  erhitzt,  als  Lösungsmittel  dient  Wasser  oder  Urin. 

78)  p.  86.  Tcnchrae  sunt  x^rivatio  Inminis,  Finsternis  ist  der 
Mangel  an  Licht.  Vgl.  Ar.  de  anima  II,  7.  418,  b,  18 ff.  Joxst  öh  xo 
(päg  Evavxiov  elvai  tü5  Gy.Öxbi'  k'azi  ds  xb  Gzoxog  öxs^rjaig  XT^g  xoiavxrig  e'^ecog 
EK   diaq)avovg,   coßxs   öriXov  oxi  y.al   rj   xovxov  naoovGla  xo   cpäg   ißxcv. 

79)  p.  87.  Es  ist  die  Frage,  ob  sich  Galilei  hier  die  Mondkugel  mit 
einem  Liniennetz  überzogen  denkt,  wie  man  es  auf  der  Erdkugel  sich 
denkt,  oder  ob  der  Ausdruck  Grad  hier  nur  eine  unbestimmte  Mafseinheit 
bezeichnen  soll  wie  p.  32. 

80 j  p.  88.  Die  folgende  Erklärung  mag  im  wesentlichen  richtig  sein; 
dann  ist  aber  anderseits  die  Erörterung  p.  85,  die  an  die  Betrachtung  der 
Figur  anknüpft,  nicht  zutreffend.  Dort  war  die  Helligkeit  der  Fläche  blofs 
von  der  Menge  der  auffallenden   Strahlen  abhängig  gemacht  worden. 

81)  p.  89.  pietra  serena  eine  blaugraue  Sandsteinvarietät,  die  haupt- 
sächlich in  den  Steinbrüchen  des  Monte  Cecioli  bei  Fiesole  gebrochen  und 
in  Florenz  vielfach  als  Baustein  verwendet  wird.     (Favaro.) 

82)  p.  90.  Gemeint  ist  entweder  Lodovico  delle  Colombe  oder  wahi'- 
scheinlicher  Julius  Caesar  La  Galla.  Ersterer  schrieb  au  Clavius  am 
27.  Mai  1611,  also  nicht  lange  nach  dem  Bekanntwerden  des  galileischen 
Nuntius  Sidereus,  dafs  die  scheinbaren  Erhöhungen  und  Vertiefungen  auf 
dem  Monde  nur  an  seinem  inneren  Kerne  hafteten;  dieser  aber  sei  von 
einer  vollkommen  kugelförmigen,  durchsichtigen  und  deshalb  unsichtbaren 
Hülle  umgeben.  Galilei  richtete  an  Gallanzoni,  welcher  ihm  den  Brief 
delle  Colombes  eingesandt  hatte,  am  16.  Juli  1611  eine  Entgegnung. 
(Op.  III,  122  u.  124 ff.)  Julius  Caesar  La  Galla  hatte  in  seinem  Buche 
De  PJiaeHomenis  in  Orbe  Lunae  (Venedig  1612)  gleichfalls  die  galileischen 
Ansichten  bekämpft,  der  Form  nach  nicht  unfreundlich,  und  ihnen  gegen- 
über die  im  Text  erwähnte  Ansicht  verfochten.  Die  Randbemerkungen, 
welche  Galilei  in  ein  Exemplar  dieses  Buches  eingeschrieben  hat,  sind 
nebst  der  Schrift  La  Gallas  in  der  Alberischen  Ausgabe  veröffentlicht 
(Op.  III,  2.30 ff). 

83)  p.  96.  Man  vermifst  im  folgenden  eine  Erklärung  jenes  kupfer- 
farbigen Lichtes,  welches  der  Mond  bei  totalen  Mondfinsternissen  meistens 
zeigt.  Bekanntlich  rührt  dasselbe  von  der  Brechung  der  Sonnenstrahlen 
beim  Durchgang  durch  die  Erdatmosphäre  her.  —  Die  völlige  Auslöschung 
des  Mondes  ist  verhältnismäfsig  selten  beobachtet  worden.  (Kepler  1601 
am  9.  December,  1620  am  15.  Juni,  Hevel  1642  am  25.  April,  in  London 
1816  am  10.  Juni.     Vgl.  Epstein,  Geonomie  p.  489.) 

84)  p.  96.    Vgl.  zu  p.  71. 

85)  p.  96.  Unter  dem  Namen  „Thesenbüchlein"  (Jibretfo  di  conclusimii) 
citiert  Galilei  meist  die  in  der  Einleitung  (p.  XXXIX,  LIX)  bereits  erwähn- 
ten Dlsquisitlones  mathematicae  von  Scheiners  Schüler  Locher;  die 
Bezeichnung  lihretfo  dl  conclusionl  besagt,  dafs  der  Inhalt  des  Buches,  wie 
auf  dessen  Titel  angegeben  ist,  von  dem  Verfasser  in  öffentlicher  Dispu- 
tation  verteidigt  wurde.      Die  hier  kritisierte  Stelle  findet  sich  p.  59  ff.  — 


510  Anmerbungeu  zum  ersten  Tag. 

Kleomedes,  wahrscheinlich  Zeitgenosse  des  Augustus,  Verfasser  des  1539 
unter  dem  Titel  Ciidka  conskleraüo  meteorum  griechisch  herausgegebenen 
Buches,  —  Vitellio  lebte  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  in  Italien, 
war  aber  von  Geburt  ein  Thüringei*.  Sein  Werk  ist  zusammen  mit  dem 
des  Arabers  Alhazen  1572  von  Risner  unter  dem  Titel  Opticae  Thesaurus 
herausgegeben  worden;  die  hier  gemeinte  Stelle  findet  sich  darin  lib.  IV 
p.  77.  —  Macrobius  ist  der  bekannte  Verfasser  der  Saturnalien  und  des 
Somnium  Schpionis,  das  Citat  ist  aus  letzterer  Schrift  genommen  (I,  19,  12). 

86)  p.  97.  Was  das  heilsen  soll,  geht  aus  der  Erwideruug  p.  101 
hervor;  der  citierte  Autor  meint,  mit  wachsendem  Monde  bleibe  die  Inten- 
sität des  sekundären  Lichtes  dieselbe. 

87)  p,  100.  Daraus  geht  hervor,  dafs  Galilei  dem  Monde  einen  Durch- 
messer von  etwas  mehr  als  2000  Miglien  beilegt.  Eine  Miglie  ist  gleich 
3000  Ellen  (braccla)^  wie  z.  B.  aus  der  Berechnung  p.  191  sich  ergiebt. 
Die  Elle  ist  bei  Galilei  etwa  gleich  einem  halben  Meter,  wie  daraus  zu 
entnehmen  ist,  dafs  der  Palast  Sagredos  6  Miglien  vom  Turme  von  Burano 
entfernt  sein  soll  (vgl.  p.  266);  die  Entfernung  ist  nämlich  etwa  9  km. 
Aus  der  Angabe  p.  390,  dafs  60  Miglien  auf  einen  Grad  des  Erdumfangs 
gehen,  läfst  sich  natürlich  nichts  schliefsen,  da  Galilei  noch  keine  rich- 
tige Vorstellung  von  der  Gröfse  der  Erde  hatte,  diese  vielmehr  unter- 
schätzte. —  Nach  Galileis  Zeit  wurde  von  dem  Grofsherzog  Leopold  von 
Toskana,  dem  späteren  Kaiser  Leopold  IL,  eine  einheitliche  Elle  für  Toskana 
eingeführt,  welche  eine  Gröfse  von  550,8  mm  hatte.  S.  Op.  XI,  192  Fufs- 
note.  Davon  wird  die  galileische  Elle  nicht  sehr  viel  verschieden  sein.  — 
G.  nahm  also  an,  der  Mond  habe  etwa  einen  Durchmesser  von  3000  km; 
die  wahre  Gröfse  desselben  beträgt  3480  km.  Die  damals  übliche  An- 
nahme war,  dafs  der  Durchmesser  des  Mondes  zu  dem  der  Erde  sich  ver- 
halte wie  2:7  (vgl.  Tycho  de  Brahe,  Progi/mnastnata  p.  474);  heute 
nimmt  man  das  Verhältnis  3:11  an,  welchem  jenes  ziemlich  nahe  kommt. 
Vgl.  z.  B.  Epstein,  Geonomie  p.  472. 

88)  p.  100.  Sonst  nämlich  liefsen  sich  die  intensiven  Schatten  der 
Mondberge  nicht  erklären,  wie  gleich  auseinandergesetzt  wird. 

89)  p.  100.  Merkwürdig  genug,  dafs  die  Schwindeleien  dieses  Men- 
schen sich  annähernd  bewahrheiten  sollten.  Der  erste  Telegraph  beruhte 
auf  der  Fernwirkung  (shnpatia)  des  elektrischen  Stromes  auf  eine  Magnet- 
nadel. Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dafs  hier  eine  Anspielung  auf  Gio- 
vanni Battista  della  Porta,  den  Verfasser  der  Magia  naturalis  vorliegt, 
welcher  p.  128  der  Ausgabe  von  1589  auf  dieses  Geheimnis  zu  sprechen 
kommt  und  schreibt:  Et  amico  longe  äbsenti,  etiam  carceribus  occluso,  possumus 
incumhentia  nimtiare,  quod  duobus  nauticis  pyxidis,  alphäbeto  circumscriptis, 
fieri  posse  non  vereor.  S.  Favaro,  Gal.  Galilei  e  lo  studio  di  Padova 
I,  339. 

90)  p.  104.  Diese  eigentümliche  Bemerkung  Galileis,  dafs  das  asch- 
graue Licht  des  Mondes  vor  Neumond  stärker  sei  als  nach  Neumond,  ist 
meines  Wissens  niemals  auf  ihre  Richtigkeit  hin  geprüft  worden.  Sie 
würde  selbstverständlich  nur  für  Europa  Geltung  beanspruchen  können. 

91)  p.  104.  Diese  dem  Simplicio  zugeteilte  Frage  war  in  der  ed.  princ. 
irrtümlich  beim  Drucke  ausgefallen,  wurde  aber  am  Rande  auf  ein  ein- 
geklebtes Papier  beigedruckt.     In    dem  Exemplar   der   paduanischen  Semi- 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  511 


Fehlende    an   den   Rand   geschrieben,   vermehrt   um  einen  Zusatz,  den  wir 
als  Fufsnote  im  Teste  gegeben  h'aben. 

92)  p.  104.  Bei  der  Sammetweberei  wird  die  Haardecke  auf  dem 
Grundgewebe  dadurch  hervorgebracht,  dafs  eine  zweite  Kette,  die  sogenannte 
Polkette,  kleine  aufrecht  stehende  Schleifen  (Xoppen)  liefert,  die  in  Quer- 
reihen über  den  Stoif  hinlaufen.  Läfst  man  die  Maschen  bestehen,  so  er- 
hält man  den  ungeschnittenen  Sammet;  werden  die  Noppen  hingegen  auf- 
geschnitten, so  erhält  man  den  geschnitteneu  Sammet.  Durch  teilweises 
Aufschneiden  der  Noppen  lassen  sich  verschiedenartige  Muster  hervor- 
bringen (geblümter  Sammet).  —  Ermesintaft,  leichtes  Seidenzeug,  benannt 
nach  der  persischen  Stadt  Ormus. 

93)  p.  107.  Auch  dies  scheint  ein  Hieb  gegen  Aristoteles  zu  sein, 
der  glaubte  oder  dessen  Anhänger  doch  glaubten,  ein  abgeschlossenes 
System  des  Wissens  aufgestellt  zu  haben. 

94)  p.  108.  Der  Pythagoreer  Archytas  aus  Tarent,  berühmt  sowohl 
als  Staatsmann,  wie  als  Mathematiker,  Astronom  und  Mechaniker,  war  ein 
Zeitgenosse  Piatos.  Die  hier  angeführte  fliegende  Taube  war  ein  hölzerner 
Automat. 

95)  p.  109.  Trotz  ihrer  Harailosigkeit  wurden  diese  Sätze  von  der 
Kongregation,  welche  vor  Anstrengung  des  eigentlichen  Processes  gegen 
Galilei  mit  der  Prüfung  des  Dialogs  beauftragt  worden  war,  beanstandet. 
Vgl.  Einleitung  p.  LXVIII. 

96)  p.  109.  Aus  diesem  Vergleich  könnte  man  entnehmen  wollen, 
dafs  Galilei  an  eine  momentane  Fortpflanzung  des  Lichtes  glaubte.  Aus 
anderen  Äufserungen  (vgl.  Biscorsi  Op.  XIII,  45 if.)  geht  indessen  hervor, 
dafs  er  eine  solche  mindestens  als  unbewiesen  ansah. 


Zweiter  Tag. 

1)  p.  113.  Bei  Galilei  erscheint  die  Schule  des  Galen  den  Peripatetikern 
gegenüber  als  fortgeschritten  und  aufgeklärt.  Im  allgemeinen  aber  galt 
umgekehrt  die  Bekämpfung  der  Autorität  des  Galen  als  Wahlspruch  der 
neuen  fruchtbaren  Forschungen  auf  medicinischem  Gebiete,  so  schon  bei 
Paracelsus,  so  auch  bei  Vesal  und  Fallopia.  Die  Peripatetiker  hielten 
namentlich  zähe  an  der  aristotelischen  Lehre  fest,  dafs  die  Nerven  ihren 
Ursprung  im  Herzen  nehmen  und  dafs  sie  hohl  seien,  um  den  Spiritus  ani- 
malcs  den  Durchtritt  zu  gestatten.  Aristoteles  behandelt  diesen  Gegen- 
stand De  animalium  generatione  V,  2.  781,  a,  20.  ot  yaQ  noQoi  (=  Nerven) 
r&v  cdG&7^zt]Qlo3v  nttvxav  .  .  .   teLvovGl  nqog  Tr}v  yMQÖiav. 

2)  p.  113.  Ipse  dixit  (er  selbst  hat  es  gesagt,  avibg  e(f>a),  das  Schlag- 
wort des  Autoritätsglaubens. 

3)  p.  114.  Dieser  lustige  Einfall  Galileis  erinnert  an  die  satirische 
Schilderung  der  Akademie  von  Lagado  in  CTidlivcrs  Travds  von  Swift. 
MöglicherAveise    hat  diesem  die  galileische  Stelle  vorgeschwebt. 

4)  p.  114.  Vgl.  Arist.  De  anim.  gen.  V,  1.  780,  b,  21  ot  yovv  in  tüv 
u^vyi^iärcov  ymI  (pQeärcov   ertorf  aOTSQag  oQÜOiv. 


512  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

5)  p.  114.  Der  Cisterzienserabt  Joachim  (von  Floris  in  Kalabrienj 
lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts;  ihm  wird  jene  kirchen- 
feindliche Lehre  von  dem  Evangelium  aetermim  zugeschrieben,  die  in  Wahr- 
heit von  der  extremen  socialreformatorischen  Partei  des  Fj-anciskanerordens 
ausging.  Seine  vermeintlichen  und  wirklichen  Schriften  wurden  späterhin 
als  Ausflüsse  hoher  prophetischer  Gabe  betrachtet  und  mufsten  sich  dem- 
gemäfs  die  mannigfachsten  Deutungen  gefallen  lassen.  Auch  bei  Dante 
geschieht  Joachims  Erwähnung  (Parad.  XII,  140).  Näheres  über  ihn  z.  B. 
bei  Eenan  in  der  Revue  de  deu.x  mondes.   18GG.  Juillet— Aoüt  p.  94ff. 

6)  p.  115.  Zur  Zeit  Galileis  stand  die  Astrologie  {astrologia  judiciaria), 
d.  h.  die  angebliche  Kunst  aus  der  Stellung  der  Gestirne  auf  menschliche 
Schicksale  Schlüsse  zu  ziehen,  in  hohem  Ansehen.  Man  wendete  nun  auch 
häufig  die  Eegeln  der  Astrologie  auf  die  Vergangenheit  statt  auf  die  Zu- 
kunft an,  indem  man  z.  B.  das  Horoskop  bedeutender  Männer  der  Ge- 
schichte für  die  Stunde  ihrer  Geburt  stellte  und  daraus  ihre  Lebensdauer 
u.  s.  w.  berechnete.  Diese  Prophetieen  ex  post  fielen  begreiflicherweise  stets 
richtig  aus,  wie  Galilei  spöttisch  bemerkt.  —  Die  vorliegende  Stelle  scheint 
in  das  schon  IG 30  druckfertig  gewordene  Manuskript  nachträglich  ein- 
geschoben zu  sein;  denn  am  1.  April  1631  wurde  eine  päpstliche  Bulle 
gegen  die  astroJogi  jucUciarü  erlassen,  und  kurz  danach  mufs  der  Druck 
des  Dialogs  bis  hierher  fortgeschritten  sein,  wie  aus  dem  Briefe  Galileis 
an  Marsili  vom  20.  März  1631  hervorgeht  (Op.  VI,  378).  Galilei  scheint 
Veranlassung  gehabt  zu  haben,  sich  gegen  unliebsame  Verwechslungen  mit 
den  Astrologen  zu  verwahren. 

7)  p.  115.  Der  zu  Anfang  dieser  alchjmistenfeindlichen  Stelle  erwähnte 
Jiumor  melancholicus  hat,  wie  Herr  Prof.  Kopp  in  Heidelberg  auf  meine 
Anfrage  mir  mitteilte,  schwerlich  eine  specifisch  alchymistische  Bedeutung. 
Es  soll  wohl  nur  im  Anschlufs  an  die  damals  übliche  Lehre  von  den  vier 
Kardinalsäften  und  den  vier  Temperamenten  angedeutet  werden,  dafs  man 
die  Alcbymisten  für  nicht  ganz  zurechnungsfähig  zu  halten  habe  (FavaroJ. 
—  Der  Spott  Galileis  über  die  unsinnigen  Deutungen  alter  Mythen  in  alchy- 
mistischem  Sinne  scheint  sich  gegen  ein  ganz  bestimmtes  Buch  oder  eine 
bestimmte  Person  zu  richten,  wiewohl  diese  Deutungen  sehr  üblich  waren; 
interessante  Mitteilungen  darüber  s.  bei  Kopp,  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Chemie,  I.  Stück  p.  12  —  20.  —  Bei  Job.  Fr.  Picus  de  Mirandula, 
Libri  III  de  auro  (Ursellis  1598)  heifst  es  z.  B.:  „So  [nämlich  in  alchy- 
mistischem  Sinne]  erklärt  Michael  Psellus  den  Befehl  des  Eurystheus,  der 
nach  den  goldenen  Äpfeln  lüstern  war;  so  wird  bei  Suidas  die  Fahrt 
Jasons  zu  den  Kolchem  gedeutet:  die  Argonauten  hätten  nicht  das  goldene 
Vliefs  des  Phrixus  holen  wollen,  sondern  eine  Widderhaut,  auf  welcher 
das  Verfahren  Gold  zu  machen  beschrieben  wurde.'"  —  Die  Hinweisungen 
Galileis  beziehen  sich  teilweise  auf  allbekannte  Mythen.  Was  aber  ist 
mit  der  Verwandlung  Jupiters  in  glühende  Flammen  gemeint  (Semelesage?), 
was  mit  jenem  Mercurius  Inferj^res?  Ist  letzteres  eine  Anspielung  auf  den 
Vater  der  Alchymie,  jenen  Hermes,  nach  welchem  sie  auch  die  hermetische 
Kunst  genannt  wird?  Sind  die  „goldenen  Zweige"  die  bei  Virgil  (Aen. 
VI,  136 if.)  erwähnten,  deren  Äneas  zum  Eintritt  in  die  Unterwelt  bedarf, 
oder  liegt  eine  Beziehung  auf  die  goldenen  Äpfel  der  Hesperiden  vor? 
Vielleicht  sind   Galileis  Aufserungen    durch    den    1G14   verstorlienen   Aleby- 


Anmerkungeu  zum  zweiten  Tag.  513 

misten  Antonio  Neri  provociert,  von  dessen  Tinktur  der  Grofsherzog  von 
Toskana  den  Rest  geerbt  haben  soll.  Vgl.  Edelgebohrene  Jungfrau  Alcliy- 
mia  p.  255.    (Tübingen   1730.) 

8)  p.  117.  Gemeint  ist  Alexander  von  Aphrodisias,  genannt  der  Exeget, 
der  um  200  n.  Chr.  den  Lehrstuhl  der  aristotelischen  Philosophie  in  Athen 
inne  hatte.  Er  lehrte  die  Existenz  einer  individuellen  menschlichen  Seele, 
die  zugleich  mit  dem  Leibe  vergehe,  und  legte  demgemäfs  die  aristoteli- 
schen Schriften  aus.  Dem  gegenüber  erlangte  im  Mittelalter  und  später- 
hin die  Ansicht  des  Averroes  grofse  Verbreitung,  wonach  kein  individueller, 
sondern  nur  ein  unvergänglicher  Gesamtintellekt  der  Menschheit  existiert; 
auch  diese  Ansicht  wurde  in  die  Schriften  des  Aristoteles  hineingedeutet. 
Beide  Richtungen  sind  mit  dem  christlichen  Dogma  unvereinbar  und  wur- 
den am  19.  Dezember  1512  durch  das  fünfte  Lateranconcil  verdammt.  — 
Die  ron  Galilei  hier  erzählte  Anekdote  wird  von  Fiorentino  {Pktro  Pom- 
ponaszi^  Firenze  1868.  p.  32G)  citiert,  worauf  Herr  Dr.  Wohlwill  die  Güte 
hatte  mich  aufmerksam  zu  machen.  Fiorentino  läfst  durchblicken,  dafs 
es  sich  vielleicht  um  Zabarella  (f  1589)  handele,  ohne  dies  ausdiücklich 
zu  behaupten.  Mir  scheint  die  galileische  Erzählung  eher  eine  andere 
Version  des  Vorfalls  zu  sein,  den  Fiorentino  an  anderer  Stelle  Tp.  336) 
erwähnt.  Danach  würde  der  gesinnungslose  Autor,  der  dem  Aristoteles 
auf  Wunsch  der  Zensur  bald  die  eine,  bald  die  andere  Ansicht  zuspricht, 
Pendasio  sein  (f  1603). 

9)  p.  117.  Es  ist  nicht  recht  klar,  ob  die  Zensurbehörde  oder  der 
Philosoph  mit  Herkules  verglichen  ist;  letzteres  scheint  natürlicher  zu  sein. 
Es  würde  aus  dieser  Stelle  dann  hervorgehen,  dafs  Pendasio,  oder  wer 
sonst  gemeint  ist,  zu  anderen  Zeiten  oder  anderen  Personen  gegenüber 
sehr  schrofl  auf  seinen  Ansichten  bestand.  —  Die  mäonischen  (=  lydischen) 
Mägde  sind  die  der  Königin  Omphale,  bei  welcher  Herkules  Weiberdienste  that. 

10)  p.  119.  Dies  geschieht  p.  396  ff.  Gemeint  ist  die  Stelle  De  coelo 
II,  14.  296,  b,  3. 

11)  p.  120.  Die  Villa  delle  Selve,  welche  Salviatis  Eigentum  war  und 
in  der  Galilei  von  1610  bis  1614  oftmals  Gastfreundschaft  genofs,  besitzt 
eine  solche  als  Aussichtspunkt  über  Florenz  und  Umgegend  dienende  Kuppel. 
S.  p.  362. 

12)  p.  121.  Bereits  bei  Kopernikus  (De  revol.  lib.  I.  cap.  5)  heifst  es: 
inter  mofa  aequal'dcr  ad  cadcm,  non  jyerdpitHy  mohis,  inter  visum  dico  et 
videns.  —  Vom  Standpunkte  der  reinen  Kinematik  ist  es  allerdings  richtig, 
dafs  sich  alle  Erscheinungen  eines  bewegten  Pimktsy-stems  erklären 
lassen,  gleichgültig,  welchen  der  Punkte  des  Systems  man  als  ruhend  be- 
trachten mag.  Handelt  es  sich  aber  um  die  mechanische  Erklärung 
der  relativen  Bewegungen,  die  in  dem  System  stattfinden,  so  liegt  die 
Sache  doch  anders.  Man  kann  dann  die  vor  sich  gehenden  Erscheinungen 
unter  Umständen  nur  so  erklären,  dafs  man  an  Stelle  der  üblichen  ein- 
fachen mechanischen  Grimdprincipien  kompliciertere  setzt.  Wollte  man  z.  B. 
die  Achsendrehung  der  Erde  leugnen  und  statt  dessen,  dem  Scheine  ent- 
sprechend, eine  Drehung  des  übrigen  Weltalls  im  entgegengesetzten  Sinne 
annehmen  —  was  rein  kinematisch  allerdings  statthaft  ist  —  so  dürfte 
das  jetzt  tlbliche  Beharrungsgesetz  keine  Geltung  mehr  beanspruchen;  man 
müfste  dasselbe    vielmehr  ersetzen  durch    ein  anderes:  wenn  auf  einen  be- 

GALiLEt,  WüUsjsteme.  38 


514  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

wegten  materiellen  Punkt  keine  Kraft  wirkt,  so  legt  er  eine  (gewisse) 
Kreisevolvente  zurück.  —  Dafs  Galilei  übrigens  selbst  diesen  Unterschied 
zwischen  der  rein  kinematischen  und  der  mechanischen  Auffassungsweise 
erkannt  hat,  geht  aus  seiner,  wenn  auch  unrichtigen  Theorie  von  Ebbe 
und  Flut  hervor. 

13)  p.  121.  Es  scheint  die  Stelle  De  anim.  mot.  cap.  2.  698,  b,  8  ff. 
gemeint  zu  sein. 

14)  p.  123.  Von  den  aristotelischen  Beweisen  dafür,  dafs  die  Kreis- 
bewegungen des  Gegensatzes  ermangeln,  war  schon  oben  (p.  41)  die  Rede; 
der  „gewisse  Zweck",  den  Aristoteles  mit  jenem  Satze  verfolgt,  ist  der, 
die  Lehre  von  der  ünveränderlichkeit  der  Himmelssubstanz  darauf  zu 
gründen. 

15)  p.  124.  Galilei  hat  die  von  ihm  entdeckten  Jupitersmonde  auf 
den  Rat  Belisario  Vintas,  des  toskanischen  Staatsseki-etärs,  mit  dem  Namen 
der  Mediceischen  Gestirne  belegt,  zu  Ehren  des  grofsherzoglichen  Hauses 
von  Toskana.  Die  Entdeckung  dieses  Planetensystems  im  kleinen  war 
ein  Hauptbeweggruud  für  Galilei  sich  endgültig  zu  Gunsten  des  koperni- 
kanischen  Sj'-stems  zu  entscheiden,  wiewohl  er  es  schon  lange  vox'her  für 
richtig  hielt. 

16)  p.  124.  Jenseits  der  Fixsternsphäre  nahm  man  vielfach  noch  eine 
neunte  sternenleere  Sphäre  an,  das  sogenannte  prhmmi  mobile^  um  diesem 
die  24-stündige  Bewegung,  der  Fixsternsphäre  hingegen  diejenige  Bewegung 
zuzuschreiben,  welche  die  Präcession  der  Fixsterne  hervorruft.  Es  wird 
dies  p.  127  noch  etwas  näher  erläutert.  Infolge  der  Präcession  scheinen 
die  Fixsterne  in  etwa  26000  Jahren  einen  Umlauf  um  den  Pol  der  Eklip- 
tik zu  vollenden. 

17)  p.  125.  Die  in  jener  Zeit  unendlich  oft  erörterte  Streitfrage,  ob 
die  Himmelssphären  aus  festem  Stoff  bestünden  oder  flüssig  seien,  ist  schon 
oben  p.  73  gestreift  worden.  Mit  besonderer  Energie  war  namentlich 
Tycho  de  Brahe  gegen  die  von  den  Peripatetikern  (ob  auch  von  Aristo- 
teles?) gelehrte  undurchdringliche  Härte  des  Himmels  aufgetreten.  In  der 
Rosa  Ursina  von  Scheiner  bilden  die  Citate  aus  der  Bibel,  den  Kirchen- 
vätern und  den  Px-ofanschriftstellern,  welche  angeblich  zu  Gunsten  der  flüs- 
sigen Natur  des  Himmels  sprechen,  einen  eigenen  langen  Abschnitt. 

18)  p.  125.  Die  Planeten  drehen  sich  in  entgegengesetzter  Richtung 
zur  täglichen  Bewegung  vermöge  ihrer  bekannten  Eigenbewegungen,  die 
Fixsterne  vermöge  der  Präcession.  —  Dafs  auch  ein  Teil  der  elementaren 
Sphäre  an  der  täglichen  Drehung  des  Himmels  sieh  beteiligt,  wird  von 
Aristoteles  (Meteor.  I,  7.  344,  a,  11)  darum  behauptet,  weil  er  auch 
Kometen,  Sternschnuppen  u.  dgl.  der  elementaren  Sphäre  angehören  läfst 
und  weil  diese  die   24-stündige  Drehung  mitmachen.     Vgl.  p.  148. 

19)  p.  126.    Arist.  Phys.  Ausc.  VIII,  1.  251,  a,  10. 

20)  p.  128.  Die  nämliche  Ansicht  ist  bereits  p.  107  ausgesprochen. 
Ausführlicher  gerechtfertigt  vom  mathematischen  Standpunkt  wird  sie  in 
den  Discorsi  (Op.  XIII,  34ff.J. 

21)  p.  129.  Frustra  fit  per  plara  qiiod  jätest  fieri  per  panciora.  Es  ist 
zwecklos  mehr  Mittel  aufzuwenden,  wo  wenigere   ausreichen. 

22)  p.  130.    Vgl.  Arist.  de  coelo  II,  14.  296,  a,  27.    Die  in  Anführungs- 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  Öl5 

zeichen    gesetzte    Stelle    ist    eine   fast   wörtliche   Übersetzung   des   aristote- 
lischen Textes. 

23)  p.  130.  Unter  cLm  offenbar  stattfindenden  Zurückbleiben  (vTto- 
Xsinoneva  cpaivExui)  wird  die  Thatsache  verstanden,  dafs  die  Planeten  etwas 
länger  als  24  Stunden  brauchen,  um  einen  Umlauf  am  Himmel  zu  voll- 
enden; diese  längere  Dauer  ist  eben  die  Folge  ihrer  (teils  scheinbaren, 
teils  wirklichen)  Eigenbewegung.  —  Über  das  prinmm  mobile  vgl.  p.  127 
und  Anmerkung  zu  p.  124. 

24)  p.  130.     Vgl.  Arist.  de  coelo  II,  14.    296,  b,  9  ff.,  sowie  p.  .35  ff. 

25)  p.  130.     Vgl.  Arist.  de  coelo  II,   14.    297,  a,  2  ff . 

26)  p.  131.  Ptolemäus  bringt  seine  Einwände  gegen  die  Bewegung 
der  Erde  im  4.  und  G.  Kapitel  des  ersten  Buche«  des  Almagest  vor.  Die 
im  4.  Kapitel  enthaltenen  Erörterungen  werden  auffälligerweise  im  Dialog 
nur  wenig  eingehend  (in  den  Gesprächen  des  dritten  Tages)  besprochen, 
während  manches  darauf  Bezügliche  in  dem  Briefe  an  Mazzoni  (Op.  II,  Iff.) 
und  an  Ingoli  (Op.  II,  80  ff.)  vorkommt.  Das  G.  Kapitel  nimmt  bei  seiner 
Argumentation  Bezug  auf  das  fünfte;  es  dürfte  daher  von  Interesse  sein, 
die  Kap.  4,  5  und  6  hier  in  deutscher  Übersetzung  zu  geben,  die  freilich 
bei  den  mancherlei  Unklarheiten  des  Originals  vielleicht  nicht  überall  das 
Richtige  trifft,  und  die  an  manchen  Stellen  der  Rechtfertigiing  uod  Er- 
läuterung bedürfte. 

Kap.  IV.  Die  Erde  ist  der  Mittelpunkt  des  Himmels. 
Wenn  man  nun  nach  dieser  Untersuchung  [über  die  Gestalt  der  Erde]  zu 
der  über  die  Lage  der  Erde  übergeht,  so  erkennt  man,  dafs  die  Erscheinungen 
in  ihrer  Umgebung  nur  dann  stattfinden  können,  wenn  wir  die  Erde  nach  Ai-t  des 
Centrums  einer  Kugel  in  den  Mittelpunkt  des  Himmels  versetzen.  Denn  andern- 
falls müfste  sie  entweder  auFserhalb  der  Achse  liegen  und  gleichzeitig  von  beiden 
Polen  ebendieselbe  Entfernung  besitzen,  oder  sie  müfste  sich  auf  der  Achse  be- 
finden und  einem  der  Pole  näher  liegen  als  dem  anderen,  oder  endlich  sie  müfste 
weder  auf  der  Achse  gelegen  sein,  noch  auch  in  gleicher  Entfernung  von  den  Polen 
sich  befinden.  —  Gegen  die  erste  der  drei  Annahmen  spricht  nun  folgendes. 
Dächte  man  sich  die  Erde  für  irgendwelchen  Standort  nach  oben  oder  unten  ver- 
schoben, [betrachtet  man  somit  die  Punkte  der  Erde,  welche  in  der  Ebene  Welt- 
achse— Erdcentrum  liegen,]  so  würden  die  [zwei]  Punkte,  welche  eine  gerade  Sphäre 
besitzen,  niemals  Tag-  und  Xachtgleiche  haben,  da  allenthalben  das  oberhalb  der 
Erde  Befindliche  von  dem  unterhalb  der  Erde  Befindlichen  durch  den  Horizont 
ungleich  geschieden  wird.  Für  die  Punkte  mit  schiefer  Sphäre  aber  würde  ent- 
weder gleichfalls  überhaupt  keine  Tag-  und  Nachtgleiche  stattfinden  oder  nicht 
in  der  Mitte  des  Übergangs  vom  Sommer-  zum  Winterwendekreis;  denn  deren 
Abstände  fallen  notwendig  ungleich  aus,  da  nicht  mehr  der  Äquator,  der  gröfste 
von  den  ümdrehungskreisen  um  die  Pole,  sondern  einer  der  nördlichen  oder  süd- 
lichen Parallelkreise  von  dem  Horizont  halbiert  wird.  Nach  allgemeinem  Zuge- 
ständnis aber  sind  diese  Abstände  allenthalben  gleich,  wie  denn  auch  die  Ver- 
längerung des  längsten  Tages  bei  der  Sommersonnenwende  gegenüber  der  Tag-  und 
Nachtgleiche  gleich  ist  der  Verringerung  des  kürzesten  Tags  bei  der  Wintersoimen- 
wende.  Nähme  man  aber  die  Verschiebung  in  östlicher  oder  westlicher  Richtung 
an,  [betrachtet  man  somit  Punkte,  welche  aufserhalb  der  Ebene  Weltachse — Erd- 
centrum liegen,]  so  würden  weder  die  Gröfsen  und  Entfernungen  der  Gestirne 
gleich  und  dieselben  am  Morgen  wie  am  Abend  sein,  noch  würde  die  Zeit  vom 
Aufgang  bis  zur  Kulmination  gleich  sein  der  Zeit  von  der  Kulmination  bis  zum 
Untergang,  was  offenbar  den  Thatsachen  durchaus  widerspricht.  —  Was  die  zweite 
der  Annahmen  betrifft,  Avonach  man  sich  die  Erde  auf  der  Achse  gelegen  denkt, 
aber  näher  an  den  einen  Pol  geschoben  als  an  den  anderen,  so  läfst  sich  dagegen 
folgendes  erinnern.  In  diesem  PaUe  würde  in  jeder  Zone  die  Ebene  des  Hori- 
zontes  überall   den   oberhalb   und   den   unterhalb   der   Erde   gelegenen    Teil   des 

38* 


516  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

Himmels  in  ungleicher  Weise  von  einander  scheiden  je  nach  dem  Betrage  der 
Verschiebung,  und  zwar  ungleich  an  jeder  einzelnen  Stelle  und  ungleich  je  nach 
der  Lage  dieser  Stelle.  Nm-  bei  gerader  Sphäre  würde  der  Horizont  den  Himmel 
halbieren  können,  bei  der  schiefen  aber  würde  dort,  wo  der  nähere  Pol  stets 
sichtbar  ist,  der  über  der  Erde  befindliche  Teil  stets  kleiner  sein,  der  unter  der 
Erde  befindliche  gröfser;  es  würde  folglich  auch  der  gröfste  Kreis,  der  mitten 
durch  den  Zodiacus  läuft,  vom  Horizont  in  zwei  ungleiche  Teile  geteilt  werden, 
ein  Verhalten,  das  man  nirgends  beobachtet;  vielmehr  zeigen  sich  immer  und 
überall  sechs  Zeichen  des  Tierkreises  über  der  Erde,  während  die  sechs  anderen 
unsichtbar  sind,  und  wenn  andererseits  diese  nunmehr  ganz  über  die  Erde  hervor- 
treten, werden  die_  übrigen  gleichzeitig  unsichtbar.  —  Sobald  überhaupt  die  Erde 
nicht  unter  dem  Äquator  selbst  gelegen  wäre,  sondern  nach  Norden  oder  Süden 
gegen  einen  der  Pole  hin  abwiche,  so  würden  in  merklicher  Weise  zur  Zeit  der 
Äquinoktien  die  östlichen  Schatten  der  Sonnenuhren  nicht  mehr  mit  den  westlichen 
eine  gerade  Linie  bilden.  —  Daraus  geht  hervor,  dafs  auch  die  dritte  der  Annahmen 
nicht  zum  Ziele  führen  kann,  da  die  beiderlei  Widersprüche  der  ersten  zwei  An- 
nahmen sich  bei  ihr  gleichzeitig  ergeben.  Kurz  es  würde  eine  totale  Störung  der- 
jenigen Ordnung  stattfinden,  welche  bei  der  wechselnden  Länge  von  Tag  und 
Nacht  wahrgenommen  wird,  sobald  wir  die  Erde  nicht  im  Mittelpunkte  annehmen 
wollten;  abgesehen  davon,  dafs  auch  die  Verfinsterungen  des  Mondes  nicht  mehr 
an  allen  Stellen  des  Himmels  in  dem  Augenblicke  eintreten  könnten,  wo  er  der 
Sonne  diametral  gegenübersteht,  da  häufig  die  Erde  zwischen  ihnen  stünde,  wenn 
jene  sich  nicht  in  entgegengesetzter  Stellung,  sondern  in  geringerer  als  Halbkreis- 
entfernung von  einander  befinden. 

Kap.  V.     Die  Erde  ist  im  Verhältnis  zum  Himmel  als  ein  Punkt 
zu  betrachten. 

Dafs  aber  die  Erde  für  die  sinnliche  Wahrnehmung  als  ein  Punkt  zu  be- 
trachten ist  im  Vergleich  zur  Entfernung  der  Sphäre  der  sogenannten  Fixsterne, 
dafür  ist  folgendes  ein  wichtiger  Beweisgrund.  Von  allen  Teilen  der  Erde  aus 
scheinen  überall  zur  selben  Zeit  sowohl  die  Gröfsen  als  die  Abstände  der  Gestirne 
völlig  gleich,  wie  denn  die  Beobachtungen  identischer  Gestirne  von  verschiedenen 
Zonen  aus  nicht  die  geringste  Abweichung  von  einander  bemerken  lassen;  nicht 
zu  vergessen,  dafs  die  in  irgend  welcher  Gegend  der  Erde  aufgestellten  Sonnen- 
uhren sowie  die  Centren  der  Armillarsphären  sich  ebenso  verhalten  wie  das  wirkliche 
Erdcentrum,  dafs  diese  Instrumente  die  Visiex'richtungen  und  Schattenumdrehungen 
in  der  Weise  übereinstimmend  mit  den  Annahmen  betrefis  der  Erscheinungen  be- 
wahi-en,  wie  wenn  sie  im  Mittelpunkte  der  Erde  selbst  sich  befänden.  —  Ein 
klarer  Beweis  dafüi-  ist  auch  der,  dafs  die  durch  das  Auge  gelegten  Ebenen, 
welche  wir  Horizonte  nennen,  überall  die  ganze  Sj^häre  des  Himmels  halbieren, 
was  nicht  stattfinden  würde,  wenn  die  Gröfse  der  Erde  gegen  die  Entfernung  der 
Himmelskörper  merklich  wäre;  vielmehr  könnte  dann  nur  die  durch  den  Mittel- 
punkt der  Erde  gelegte  Ebene  die  Sphäre  halbieren,  die  Ebenen  aber  durch  einen 
Punkt  der  Erdoberfläche  würden  überall  das  unter  der  Erde  Befindliche  gröfser 
machen  als  das  darüber  Befindliche. 

Kap.  VI.    Die  Erde  führt  auch  keine  fortschreitende  Bewegung  aus. 

Ebenso  wie  vorher  kann  man  zeigen,  dafs  die  Erde  unmöglich  irgendwelche 
Bewegung  nach  vorgenannten  schiefen  Richtungen  oder  überhaupt  je  aus  der  Lage 
im  Mittelpunkte  sich  entfernen  kann.  Es  träten  dann  nämlich  dieselben  Erschei- 
nungen ein,  wie  wenn  sie  eine  andere  Lage  als  die  im  Mittelpunkte  einnähme. 
Daher  glaube  ich  auch,  dafs  es  überflüssig  ist,  die  Ursachen  der  Bewegung  nach 
dem  Mittelpunkte  [des  Weltalls]  hin  zu  untersuchen,  zunächst  darum,  weil  die 
Erde  den  Mittelpunkt  einnimmt  und  weil  sich  alle  schweren  Körper  nach  ihr  hin 
bewegen,  wie  dies  die  Erscheinungen  selbst  deutlich  lehren.  Das  Verständnis 
dafür  würde  allein  schon  durch  den  Umstand  ermöglicht  werden,  dafs,  wie  gesagt, 
die  Erde  als  kugelförmig  und  als  im  Mittelpunkt  b&findlich  nachgewiesen  ist,  und 
dafs  durchweg  an  jeder  Stelle  auf  ihr  das  Streben  und  die  Bewegungen  der 
schweren  Körijer  —  ich  meine  die  spontanen  —  überall  und  jederzeit  rechtwinklig 
zu   der  Berührungsebene  gerichtet   sind,   die   dm-ch   den  Punkt   des  Niederfallens 


Anmerkungen  zuni  zweiten  Tag.  517 

gelegt  wird.  Aus  dieser  Thatsache  nämlich  geht  hervor,  dal's,  wenn  jene  Körper 
nicht  von  der  Erdoberfläche  gehindert  würden,  sie  wirklich  sich  zum  Mittelpunkte 
begäben,  weil  auch  die  nach  dem  Centrum  hinführende  Gerade  stets  senkrecht 
steht  auf  derjenigen  Berührungsebene  der  Kugel,  die  durch  den  Schnittpunkt  der 
Geraden  hindurchgeht. 

Wer  es  aber  für  widersinnig  hält,  dafs  ein  solches  Gewicht  wie  die  Erde 
weder  auf  irgendwelcher  Unterlage  ruht,  noch  sich  bewegt,  beurteilt,  glaube  ich, 
die  Verhältnisse  falsch,  indem  er  die  ihm  nächstliegenden  Erscheinungen  statt  der 
Eigentümlichkeit  des  Weltganzen  zum  Mafsstab  nimmt.  Denn  ich  glaube,  man 
würde  keinen  Anstofs  nehmen,  wenn  man  einsähe,  dafs  jene  Erde,  so  grofs  sie  ist, 
verglichen  mit  dem  ganzen  umgebenden  Körper,  im  Verhältnis  eines  Punktes  zu 
diesem  steht.  Dann  nämlich  wird  es  möglich  scheinen,  dafs  etwas  verhältnis- 
mäfsig  so  Kleines  von  dem  schlechthin  Gröfsten  und  dabei  gleichmäfsig  Verteilten 
beherrscht  und  von  allen  Seiten  her  in  gleicher  Weise  nach  allen  Richtungen  be- 
einflufst  werde.  Auch  giebt  es  kein  Unten  und  Oben  im  Weltall  in  Bezug  auf  die 
Erde,  wie  man  denn  bei  einer  Kugel  sich  nichts  dergleichen  vorstellen  kann.  Was 
aber  die  spontane  und  naturgemäfse  Bewegung  der  auf  ihr  befindlichen  Körper 
betrifft,  so  werden  die  leichten,  aus  dünnen  Teilen  bestehenden  nach  aufsen, 
gleichsam  nach  der  Peripherie  hin  geschleudert;  sie  scheinen  an  jeder  Stelle  einen 
Trieb  nach  oben  zu  besitzen,  weil  dasjenige,  was  uns  allen  zu  Häupten  ist  und 
oben  genannt  zu  werden  pflegt,  nach  der  umschliefsenden  Fläche  zu  gerichtet 
ist.  Die  schweren^  aus  dichten  Teilen  zusammengesetzten  Körjjer  andererseits 
bewegen  sich  nach  der  Mitte,  gleichsam  zum  Centrum  hin;  sie  scheinen  nach  unten 
zu  fallen,  weil  dasjenige,  was  uns  allen  zu  Füfsen  ist  und  iinten  genannt  zu 
werden  pflegt,  nach  dem  Erdcentrum  zu  gerichtet  ist.  Sie  gruppieren  sich  aber 
natürlich  um  die  Mitte  herum  infolge  des  allseitigen,  völlig  gleichmäfsigen  Wider- 
strebens und  des  Widerstandes,  den  sie  gegenseitig  ausüben.  Danach  läfst  sich 
denn  auch  leicht  begreifen,  dafs  die  ganze  Masse  der  Erde,  die  so  grofs  ist  im 
Vergleich  zu  dem,  was  sich  zu  ihr  hin  bewegt,  durch  den  Antrieb  der  so  ganz 
kleinen  schweren  Körper  völlig  unbewegt  bleibt  und  gleichsam  die  niederfallenden 
Dinge  auffängt.  —  Hätte  sie  aber  auch  eine  gemeinsame  und  gleiche  Bewegung 
wie  die  anderen  schweren  Körper,  so  mirde  sie  offenbar  durch  ihr  gewaltiges 
Übermafs  von  Gröfse  beim  Fallen  allen  anderen  voraneilen  und  es  blieben  die 
lebenden  Wesen,  sowie  die  losgelösten  schweren  Körper  in  der  Luft  schwebend 
zurück,  jene  aber  wäre  schliefslich  sehr  bald  selbst  über  den  Himmel  hinaus  ge- 
fallen. Dergleichen  aber  ist  schon  in  der  blofsen  Vorstellung  überaus  lächerlich. 
Manche  stimmen  dem  bei,  da  sie  es  für  ziemlich  überzeugend  halten  und 
keine  Gegengründe  anzuführen  wissen.  Sie  meinen  aber,  es  sei  nichts  dagegen 
einzuwenden,  wenn  sie  etwa  den  Himmel  unbcAvegt  annähmen,  die  Erde  aber  um 
dieselbe  Achse  von  Westen  nach  Osten  sich  drehen  liefsen,  oder  auch  beide  sich 
irgendwie  bewegen  liefsen,  nur  gleichfalls  um  die  genannte  Achse  und  entsprechend 
dem  Betrage  der  wechselseitigen  Überholung.  Es  entgeht  ihnen  aber,  dafs  in 
Anbetracht  der  Himmelsbewegungen  möglicherweise  niclits  dieser  vereinfachenden 
Annahme  im  Wege  steht;  auf  Grund  aber  der  Erscheinungen  in  unserer  nächsten 
Nähe  und  in  der  Luft  würde  auch  dieses  sich  höchst  lächerlich  ausnehmen.  Denn 
wir  wollen  ihnen  zugeben,  —  so  sehr  es  den  Thatsachen  widerspricht  —  dal's  dann 
einerseits  '  das  Feinste  und  Leichteste  entweder  sich  gar  nicht  bewegt  oder  ganz 
ebenso,  wie  dasjenige,  was  entgegengesetzte  Beschaffenheit  besitzt,  während  doch 
die  der  Luft  beigemischten  Dinge,  selbst  die  minder  feinen,  sich  so  deutlich 
leichter  bewegen  als  die  mehr  erdigen  Substanzen;  dafs  andererseits  das  Dichteste 
und  Schwerste  eine  so  heftige  und  gleichmäfsige  Eigenbewegung  besitzt,  während 
wiederum  eingestandenermafsen  die  erdigen  Stoffe  bisweilen  selbst  bei  fremder 
Einwirkung  sich  nicht  nachgiebig  erweisen:  sie  müfsten  dann  aber  zugeben,  dafs 
die  Umdrehung  der  Erde  schlechthin  schneller  ist  als  alle  Bew^egungen,  die  in 
ihrer  Umgebung  stattfinden,  insofern  sie  in  kurzer  Zeit  eine  solche  Lageuänderung 
bewirkt,  dafs  alles,  was  nicht  fest  auf  ihr  ruht,  scheinbar  ein  und  dieselbe  der 
Erde  entgegengesetzte  Bewegung  ausführt;  es  könnte  dann  nie  so  scheinen,  als 
ob  eine  Wolke  oder  sonst  etwas,  was  da  fliegt  oder  gewoi'fen  wird,  sich  nach 
Osten  bewegte;  stets  nämlich  würde  die  Erde  allem  voraneilen  und  die  östliche 
Bewegung  überholen,  sodafs  alles  Übrige  nach  Westen  und  nach  rückwärts  zu 
weichen  schiene. 


518  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

Denn  wenn  man  sagen  wollte,  auch  die  Luft  werde  in  derselben  Weise  und 
ebenso  schnell  wie  die  Erde  herumgeführt,  so  würden  nichtsdestoweniger  die  in 
ihr  befindlichen  Körper  allenthalben  hinter  der  gemeinsamen  Bewegung  zuriick- 
zubleiben  scheinen.  Oder  wenn  auch  diese,  gleichsam  mit  der  Luft  in  eins  ver- 
wachsen, mit  herumgeführt  werden  sollten,  so  könnte  nunmehi-  weder  eine  Be- 
wegung nach  vor-  noch  nach  rückwärts  aufzutreten  scheinen,  vielmehr  würden 
scheinbar  jene  Körper  stets  an  derselben  Stelle  verharren  und  weder  beim  Fliegen 
noch  beim  Werfen  irgendwie  hin-  und  herschwanken,  was  doch  alles  so  deutlich 
thatsächlich  stattfindet,  wie  wenn  keinerlei  Verzögerung  oder  Beschleunigung  bei 
ihnen  durch  die  Bewegung  der  Erde  hervorgerufen  würde. 

Was  die  Gründe  betrifft,  die  Tycho  de  Brake  gegen  das  koperni- 
kanische  System  anführt,  so  sind  sie  hauptsächlich  in  seinen  Epistoluc 
astronomkae  (Vraniburgi  1596)  enthalten.  So  heifst  es  in  einem  an 
Christoph  Rothmann,  den  Astronomen  des  Landgrafen  Wilhelm  IV. 
von  Hessen -Kassel,   gerichteten  Brief  vom    24.  November  1589    (p.   167): 

Da  ich  sehe,  dafs  Dir  die  kopernikanische  Ansicht  von  den  drei  Be- 
wegungen der  Erde  sehr  gefällt,  will  ich  gegen  jede  nur  einen  nicht  sehr  schwer 
verständlichen  Einwand  richten,  obgleich  man  deren  viel  mehr  erheben  könnte. 
Was  erstlich  ihre  tägliche  Bewegung  um  die  eigene  Achse  angeht,  vermöge  deren 
die  Erde  sich  angeblich  in  24  Stunden  umdreht,  und  durch  welche  der  allgemeine 
Lauf  von  Ost  nach  AVest  erklärt  werden  soll:  so  sage  mir,  wie  ist  es  möglich, 
dafs  eine  Bleikugel  von  einem  sehr  hohen  Turm  in  richtiger  AVeise  fallen  gelassen, 
aufs  genaueste  den  lotrecht  darunter  gelegenen  Punkt  der  Erde  trifft?  Dafs  dies 
ganz  und  gar  unmöglich  ist,  wenn  inzwischen  die  Erde  sich  gedreht  hat,  da  ihr 
Lauf  ein  äufserst  rascher  ist,  darüber  wird  Dich  die  mathematische  Überlegung 
vergewissem.  Denn  in  einer  Zeitsekunde  mufs  auch  in  unseren  ziemlich  hohen 
Breiten  die  Erde  sich __  um  etwa  1.50  ,,gröfsere  Schritte"  (pa.<isiis  maiores)  drehen. 
Daraus  berechne  das  Übrige.  Denn  der  Fall  des  Bleis  folgt  nicht  der  Luft,  son- 
dern durchschneidet  sie  gewaltsam.  Betreffs  der  zweiten,  jährlichen  Bewegung, 
welche  die  achte  Sphäre  in  solche  Ferne  rücken  wäirde,  dafs  die  von  der  Erde 
beschriebene  Bahn  im  Vergleich  mit  jener  [achten  Sphäre]  verschwindend  klein 
sein  müfste:  sprich,  hältst  Du  es  für  wahrscheinlich,  dafs  der  Raum  zwischen  der 
Sonne,  dem  angeblichen  Centrum  des  Weltalls,  und  dem  Saturn  noch  nicht  den 
700.  Teil  desjenigen  Raumes  beträgt,  welcher  zwischen  diesem  und  der  Fixstern- 
sphäre sich  befindet,  eines  Raumes,  der  zudem  ga^z  sterueuleer  ist?  Dies  aber 
ist  notwendig  der  Fall,  wenn  die  jährliche  Bahn  der  Erde  nur  eine  scheinbare 
Gröfse  von  einer  Minute  haben  soll.  Ja  selbst  dann  werden  notwendigerweise  die 
Fixsterne  dritter  Gröfse,  welche  eine  Minute  im  Durchmesser  haben,  notwendig 
an  Umfang  gleich  dieser  Erdbahn  sein  müssen,  d.  h.  sie  w^erden  2284  Erdhalb- 
messer im  Durchmesser  betragen ;  denn  sie  werden  etwa  um  7  850  000  solcher 
Halbmesser  entfernt  sein.  L^nd  nun  gar  die  Sterne  erster  Gröfse,  deren  scheinbare 
Gröfse  bei  etlichen  2,  bei  etlichen  beinahe  3  Minuten  beträgt!  Und  wenn  gar 
die  achte  Sphäre  noch  höher  hinaufgeräckt  wird,  damit  dort  die  jährliche  Erd- 
bewegung völlig  verschwinde!  Ermittle  dieses,  bitte,  mathematisch,  und  Du 
wirst  sehen,  was  für  Absurditäten  schon  bei  solcher  Erwägung  —  um  von  anderen 
ganz  zu  schweigen  —  aus  jener  Annahme  sich  ergeben.  Die  dritte  Erdbewegung 
fällt  mit  Aufhebung  der  jährlichen  von  selbst.  Oder  sollte  sie  in  Deinen  Augen 
mit  ihr  zugleich  bestehen  können:  wie  in  aller  Welt  ist  es  möglich,  dafs  die  Erd- 
achse entgegengesetzt  zur  Bewegung  des  Mittelpunktes  Jahr  aus  Jahr  ein  derart 
rotiert,  dafs  sie  trotzdem  zu  ruhen  scheint?  Wie  ist  es  ferner  möglich,  dafs  die 
Achse  und  das  Centrum  zwei  verschiedene  Bewegungen  besitzen  in  einem  einzigen 
einfachen  Körper,  ganz  zu  geschweigen  von  jener  dritten  noch  hinzukommenden 
täglichen? 

Noch  eingehender  spricht  Tycho  an  einer  anderen  Stelle  Tp.  188  f.) 
der  E2:)isfolae  astronomkae  seine  Bedenken  gegen  das  kopernikanische  System 
ans.  Bei  dieser  Gelegenheit  bringt  er  die  Erfahrungen  beim  Schiefsen 
als  Belege  für  die  Unbewegtheit  der  Erde  vor,  etwa  in  der  Weise,  wie 
es  Galilei  ihm  hier  in  den  Mund  legt.     Sodann  fährt  er  fort: 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  519 

Wenn  inanclie  glauben,  ein  Geschofs,  das  man  vom  Schiffe  aus  in  die  Höhe 
schleudere,  werde,  wenn  dies  innerhalb  des  Schiffsraumes  geschehe,  auf  die  näm- 
liche Stelle  niederfallen,  wohin  es  bei  ruhendem  Schiffe  gelangt,  so  bringen  sie 
das  unüberlegt  vor,  denn  die  Sache  verhält  sieb  ganz  anders.  Je  schneller  viel- 
mehr die  Vorwärtsbewegung  des  Schiffes  ist,  ein  um  so  gröfserer  Unterschied  wird 
sich  herausstellen. 

In  späterer  Zeit  glaubte  übrigens  Tycho  die  Achsendrehung  der  Erde 
nicht  mehr  so  leicht  abthun  zu  können.  In  den  nach  seinem  Tode  (1602) 
gedruckten  Frogymnasmata  heifst  es  p.  662:  Alibi  hoc  non  adco  Jevc,  nt 
putafur^  de  motu  diiirno  duhkmi  resolvrmus.  Dafs  er  hingegen  jemals  die 
Achsendrehung  der  Erde  gelehrt  habe,  wie  z.  B.  Caras  Sterne  in  seiner 
Schrift:  Die  allgemeine  Weltanschauung  in  ihrer  historischen 
Entwicklung  (Stuttgart  1889,  p.  50)  behauptet,  ist  ganz  unrichtig.  — 
Der  erste,  der  auf  die  von  Tjcho  erwähnten  Erscheinungen  des  freien  Falles 
auf  bewegten  Schiffen  hingewiesen  hat,  scheint  nach  Wohlwill  (Die  Ent- 
deckung des  Beharningsgesetzes.  Weimar  1884,  p.  71)  Giordano  Bruno 
gewesen  zu  sein.  W.  verweist  auf  G.  Bruno,  Cetia  delJe  Ccneri  Dialog.  III. 
Cf.  Operc  italinne  ed.  Wagner  1830.    I.  p.  171. 

27)  p.  134.  Christian  Wursteisen  (Ursfisiiis,  ÄUasideros),  geboren  1544 
in  Basel  (nicht  in  Rostock,  wie  Galilei  irrtümlich  angiebt),  Geschichtschreiber, 
Theolog  und  Astronom,  einer  der  ersten  Anhänger  des  Kopernikus.  Er 
machte  in  Italien  Propaganda  für  das  neue  System,  wie  er  denn  nach 
seinem  eigenen  Geständnis  mehr  ein  pädagogisches  Talent,  als  ein  selb- 
ständiger Forscher  war.  Er  schrieb:  Quaestiones  riovae  in  fhcoricas  pJanc- 
taruni  Purhadiii  (1568)  und  Elementa  ArifJimeficae  (15  73).  Seit  1586  war  er 
Stadtschreiber  von  Basel  und  starb  als  solcher  1588.  —  Man  hat  aus  vor- 
liegender Stelle  schliefsen  wollen,  dafs  Galilei  selbst  zuerst  von  Wursteisen 
mit  dem  kopernikanischen  System  bekannt  gemacht  worden  sei.  Es  liegt 
dazu  jedoch  um  so  weniger  Anlafs  vor,  als  die  Worte  Sagredo  und  nicht 
Salviati  in  den  Mund  gelegt  sind,  welch  letzterer  doch  höchstens  als  Re- 
präsentant Galileis  gelten  könnte.  Aber  selbst  Sagredo  erzählt  ja,  dafs  er 
in  unmittelbare  Berührung  mit  Wursteisen  nicht  gekommen  sei.  —  Noch 
viel  unglaubwürdiger  ist  freilich  die  von  Vossius,  De  Uinversne  Matheseos 
Natura  et  Constitutione  (Amsterdam  1650,  p.  192),  von  Weidler,  Ilistoria 
astronomiae  (Wittenberg  1741,  p.  396),  von  Laplace  u.  a.  gegebene  Er- 
zählung, dafs  Mästlins  Vorträge  in  Italien,  die  wahrscheinlich  gar  nicht 
stattgefunden  haben,  Galilei  die  erste  Kenntnis  von  der  kopernikanischen 
Lehre  gegeben  hätten.  Hätte  Galilei  eine  Andeutung  machen  wollen,  von 
wem  er  zuerst  davon  gehört  habe,  weshalb  sollte  er  sich  nicht  unter  der 
Bezeichnung  „unser  gemeinsamer  Freund"  oder  „der  Akademiker"  genannt 
haben,  wie  dies  an  so  vielen  anderen  Stellen  des  Dialogs  geschieht? 

28)  p.  136.     Vgl.  zu  p.  15. 

29)  p.  137.  Unter  kapellieren  versteht  man  das  Verfahren,  mittels 
dessen  silberhaltiges  Blei  auf  seinen  Silbergehalt  geprüft  wird;  der  dabei 
benutzte,  aus  Knochenasche  geschlagene  Tiegel  heifst  nämlich  Kapelle. 

30)  p.  138.  Von  wem  rührt  das  Argument  der  Centrifugalkrait  her? 
Bei  Galilei  wird  es  dem  Ptolemäus  zugeschrieben  (p.  199\  findet  sich  aber 
in  Wahrheit  nicht  bei  ihm;  die  Worte,  die  im  Abnagest  am  meisten  an 
die  von  Galilei  gebrauchten  anklingen,  sind  in  dem  oben  übersetzten 
6.  Kapitel    des   ersten   Buches   enthalten   (p.  117).     [Hätte   sie   aber   auch 


520  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

....  über  den  Himmel  hinaus  gefallen.]  Diese  ganze  Stelle  ist  aber  nicht 
gegen  die  Achsendrehung  der  Erde,  sondern  gegen  die  Annahme  einer  Be- 
wegung des  Erdcentrums  gerichtet,  gegen  die  Annahme  von  einem  Fallen 
der  Erde,  hat  also  eine  ganz  andere  Bedeutung,  als  die  von  Galilei  ihr 
beigelegte.  Ebensowenig  wird  von  Tycho  die  Centrifugalkraft  als  Argu- 
ment gegen  Kopernikus  angeführt;  hingegen  wird  sie  allerdings,  z.  B.  von 
Mästlin  in  seiner  Schrift  Epifome  asfronomka  (Heidelbei-g  1582),  worin  er 
im  Widerspruch  mit  seinen  mündlichea  Vorträgen  einen  antikopernika- 
nischen  Standpunkt  einnimmt,  zur  Widerlegung  der  Erddrehung  benutzt. 

31)  p.  138.  Es  sind  die  sogenannten  Tretmühlen  gemeint,  deren 
wesentlicher  Bestandteil  ein  innen  mit  Sprossen  versehenes  Kad  bildet. 
Auf  diesen  Sprossen  steigen  Arbeiter  —  soviele,  als  die  Breite  des  Rades 
gestattet  —  in  die  Höhe,  das  Rad  weicht  aus,  der  Arbeiter  sinkt  wieder 
an  die  unterste  Stelle,  und  das  Steigen  beginnt  von  neuem.  Auch  jetzt 
noch  wird  von  diesen  Maschinen  Gebrauch  gemacht,  wenn  auch  nicht  in 
dem  Umfange  wie  zur  Zeit  Galileis.  —  Die  Mange  ist  eines  der  im 
Mittelalter  üblichen  Antwerke,  d.  h.  der  technischen  Hilfsmittel  für  Be- 
lagenangszwecke;  sie  diente  zum  Schleudern  grofser  Steinblöcke.  Von  ihr 
ist  schon  in  dem  Gedichte  Abbos  (Anfang  des  10.  Jahrhunderts)  de  ohsi- 
dionc  Lutetiae  die  Rede:  I,  364: 

Conficiunt  longis  aeque  lignis  geminatis 
Mangana,  quae  proprio  vulgi  libitu  vocitantur, 
Saxa  quibus  jaciunt  ingentia. 

32)  p.  139.  Die  Identität  des  Wahren  und  Schönen  oder  vielmehr 
das  gemeinsame  Aufgehen  dieser  Ideen  in  der  Idee  des  Guten  ist  in  erster 
Linie  eine  platonische  Lehre.  Vgl.  Br2J.  VI,  505  ff.  —  Aber  auch  Aristo- 
teles betont  die  Identität  des  Schönen  und  Guten,  indem  ersteres  das  ob- 
jektiv Gute  im  Verhältnis  zu  dem  auffassenden  Subjekte  bezeichnet.  RJiet. 
I,  9.  1366,  a,  34.    De  anima  III,  7.  431,  b,  11. 

33)  p.  142.  Welchen  Text  des  Aristoteles  Galilei  benutzt  hat,  liefse 
sich  vielleicht  aus  dem  hier  gegebenen  Citat  ermitteln,  namentlich  aus  dem 
„tcsto  97",  welches  ich  durch  „im  97.  Paragraphen''  übersetzt  habe.  In 
unseren  Aristoteles -Ausgaben  werden  die  Paragraphen  gewöhnlich  nicht 
mit  durchgehender  Nummer  gezählt,  sondern  ihre  Zählung  beginnt  kapitel- 
weise von  neuem.  So  ist  die  hier  citierte  Stelle  im  ersten  Paragraphen 
des  14.  Kapitels  enthalten.  Die  vorangegangenen  13  Kapitel  enthalten  in 
der  Didotschen  Ausgabe  zusammen  95  Paragraphen,  sodafs  die  Einteilung 
des  von  Galilei  benutzten  Textes  zwar  nicht  ganz,  aber  doch  annähernd 
mit  der  unsrigen  übereinstimmt.    Vgl.  Anm.  zu  p.  16. 

34)  p.  145.     Vgl.  p.  396. 

35)  p.  146.  Petitio  principii  ist  ein  bekannter  logischer  Kunstaus- 
druck, womit  derjenige  fehlerhafte  Beweis  bezeichnet  wird,  der  die  Behaup- 
tung mittels  einer  von  der  Behauptung  abhängigen  Prämisse  erhärten  will. 
Der  aristotelische  Syllogismus  auf  die  kanonische  Form  gebracht,  würde 
lauten: 

A)  Wenn  die  Erde  sich  dreht,  kann  der  Körper  nicht  lotrecht  fallen. 

B)  Der  Körper  fällt  aber  lotrecht. 

C)  Also  dreht  sich  die  Erde  nicht. 


Anmerkun<fen  zum  zweiten  Tag.  521 

Die  zweite  Prämisse  ist  aber  in  diesem  Falle  zweifelhaft,  solange  der 
Schlufssatz  zweifelhaft  ist.  —  Diese  zweite  Prämisse  selbst  wird  hier  ter- 
mlnus  meclius  (mezzo  tcrmine)  genannt,  während  üblicherweise  der  Mittel- 
begriff mit  dieser  Benennung  belegt  wird.  —  Ifjnotum  per  aequc  ignotum: 
Unbekanntes  durch  ebenso  Unbekanntes. 

36)  p.  148.  Über  die  Beteiligung  eines  Teils  der  elementaren  Sphäre 
an  der  täglichen  Rotation,  wie  Aristoteles  sie  lehrte,  vgl.  zu  p.  125. 

37j  p.  148.  Hier  und  anderwärts  (z.  B.  p.  161)  ist  sehr  zu  beachten, 
wie  Galilei  einen  Unterschied  des  Beharrens  bei  „natürlichen"  und  bei 
„gewaltsamen"  Bewegungen  statuiert.  Es  zeigt  dies  abermals  und  von 
anderer  Seite  her,  wie  fern  ihm  damals  noch  das  richtige  Beharrungsgesetz 
gelegen  hat,  zu  dessen  allgemeiner  Erkenntnis  er  überhaupt  nicht  dui'ch- 
gedrungen  ist,  und  zwar  gerade  infolge  davon,  dafs  er  das  Beharren  der 
Bewegung  vor  allem  stets  zur  Stützung  des  kopernikanischen  Systems 
verwerten  wollte.  —  Am  Schlüsse  der  Rede  Salviatis  (p.  149)  tritt  gleich- 
falls eine  Unsicherheit  in  der  Handhabung  des  Beharrungsgesetzes  hervor, 
insofern  die  Luft,  im  Gegensatz  zu  dem,  was  Galilei  den  Salviati  sagen  läfst, 
in  keiner  Weise  die  Bewegung  des  Steins  fördern  kann,  wenn  beide  das 
Bestreben  haben,  sich  mit  der  nämlichen  Geschwindigkeit  zu  bewegen. 
G.  kann  sich  eben  noch  nicht  völlig  von  der  Vorstellung  losmachen,  die 
ihn  in  früheren  Jahren  beherrscht  hat,  dafs  ein  mitgeteilter  Antrieb  (virius 
imprcssa)  allmählich  erlösche.  —  Eine  Art  von  Korrektur  erfährt  diese 
Auffassung  allerdings  durch  die  Worte  Salviatis  p.  150  „oder,  besser  ge- 
sagt, die  vorhandene  nicht  zu  stören"  (o,  per  mc(jllo  cVirc,  non  impecUrgli 
ü  giä  concepito). 

38)  p.  151.  Man  könnte  die  Frage  aufwerfen,  ob  Galilei  jemals  den 
Versuch  anstellte.  Aus  der  Darstellung  im  Dialoge  scheint  sehr  bestimmt 
hervorzugehen,  dafs  dies  nicht  der  Fall  ist.  Da  G.  aber  in  dem  Briefe  an 
Ingoli  (Op.  II,  99)  ausdrücklich  das  Gegenteil  versichert,  so  mufs  man  dieser 
Versicherung  Glauben  schenken,  wiewohl  es  zu  bedauern  bleibt,  dafs  er 
nicht  detaillierteren  Bericht  gegeben  hat,  namentlich  inwieweit  der  Luft- 
widerstand die  Ergebnisse  beeinflufste.  Bekanntlich  hat  später  (1640) 
Gassendi  Versuche  in  dieser  Richtung  gemacht  und  beschrieben.  (Vgl. 
Gassendi,  de  motu  impresso  a  motore  iranslaio  in  den  Opuscula  plnlosophica. 
Lugduni  1658,  p.  478  ff.)  Auch  in  Italien  hat  Giovanni  Cotunio,  Lektor 
an  der  Universität  zu  Bologna,  au.f  schnellfahrenden  Schiffen  Pfeile  senk- 
recht in  die  Höhe  geschossen,  gelangte  aber  zu  widersprechenden  Ergeb- 
nissen (Chiaram.  JDifesa  p.  338).  Die  Thatsachen  waren  übrigens  den 
Matrosen  längst  bekannt.  —  Der  Tadel,  dafs  die  Gegner  des  Kopernikus 
Versuchsergebnisse  als  ihrer  Sache  günstig  hinstellten,  ohne  die  Versuche 
je  ausgeführt  zu  haben,  richtet  sich  namentlich  gegen  Tycho.  (Vgl.  die 
p.  519  übex'setzte  Stelle  aus  den  Epist.  astr.) 

39)  p.  153.  Vires  acquinitd  euiido  (neue  Kräfte  erwerben  sie  im  Laufe) 
mit  Bezug  auf   Vcrg.  Aeti.  IV,   175. 

40)  p.  154.  Es  scheint  die  Stelle  auf  p.  25  gemeint  zu  sein,  wo 
freilich  die  Äufserung  Sagredos  nur  an  Salviati  gelichtet  ist,  während 
Simplicio  sich  an  der  Debatte  gar  nicht  beteiligt. 

41)  p.  155.  Diese  Art  der  Begründung  weist  deutlich  darauf  hin,  dafs 
G.  nicht  sowohl  dem  eigentlichen  Beharrungsgesetz  auf  die  Spur  gekommen 


522  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

ist,  als  vielmehr  dem  Satze,  dafs  ein  Körper  auf  einer  Potentialfläche 
sich  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit  längs  einer  kürzesten  Linie  bewegt, 
wenn  er  gezwungen  iit  auf  derselben  zu  verbleiben,  und  nur  die  Potential- 
kräfte auf  ihn  wirken.  Freilich  sind  dann  die  späteren  Folgerungen  aus 
diesem  Gesetze,  soweit  sie  sich  auf  den  freien  Fall  und  die  Wurfbewegungen 
beziehen,  nicht  völlig  legitim,  denn  bei  diesen  Bewegungen  ist  der  fallende 
Körper  nicht  gezwungen  auf  derselben  Potentialfläche  zu  verharren.  Vgl. 
Einl.  und  Anm.  zu  p.  184.  302.   316. 

42)  p.  157.  Über  die  aristotelische  Lehre  vom  Beharrungsgrunde  der 
Bewegung  vgl.  Zeller,  Philosophie  der  Gi'iechen,  3.  Aufl.,  II,  2  p.  356. 
„Die  Wirkung  des  Bewegenden  auf  das  Bewegte  denkt  sich  Aristoteles 
durch  eine  fortdauernde  Berührung  beider  bedingt."  In  der  Fufsnote  hierzu 
heifst  es  sodann  unter  Hinweis  auf  Phys.  VIII,  4.  255,  a,  34.  YIII,  1.  251, 
b,  Iff.  Gen.  et  corr.  I,  6.  322,  b,  21.  I,  9.  327,  a,  1.  Gen.  an.  II,  1. 
734,  a,  3.  Metapli.  IX,  5:  „Dafs  diese  Berührung  des  Bewegenden  mit 
dem  Bewegten  nach  Aristoteles  nicht  blofs  eine  einmalige,  durch  die  es 
nur  den  ersten  Anstofs  erhielte,  sondern  eine  während  der  ganzen  Dauer 
der  Bewegung  fortgehende  sein  soll,  erhellt  namentlich  aus  seinen  Annahmen 
über  die  Wurfbewegung.  Hier  scheint  sich  ein  Körper  zu  bewegen,  nach- 
dem er  aufgehört  hat,  mit  dem  Bewegenden  in  Berührung  zu  stehen.  Dies 
kann  aber  Aristoteles  nicht  zugeben;  er  nimmt  daher  an  {Plnjs.  VIII,  10. 
2G6,  b,  27  ff.  267,  b,  11  vgl.  IV,  8.  215,  a,  14.  De  insomn.  2.  459,  a, 
29  ff.),  der  Werfende  bewege  zugleich  mit  dem  geworfenen  Körper  auch 
das  Medium,  durch  welches  der  letztere  sich  bewegt  (wie  Luft  oder  Wasser), 
und  zunächst  von  diesem  gehe  die  Bewegung  des  Geworfenen  aus,  wenn 
es  sich  vom  Werfenden  entfernt  hat.  Weil  aber  diese  Bewegung  fortgeht, 
nachdem  die  des  Werfenden  schon  aufgehört  hat,  während  doch  nach  seiner 
Voraussetzung  die  des  Mediums  zugleich  mit  der  des  Werfenden  aufhören 
mufs,  greift  er  zu  der  seltsamen  Auskunft,  dafs  das  Medium  noch  bewegen 
könne,  wenn  es  auch  selbst  nicht  mehr  bewegt  werde:  ovy^  a^a  naverat 
xivovv  Kai  Kivovue^'ov,  alXa  kivovi.uvov  (.isv  a'jua  orav  6  kiv&v  Ttavarjrai,  m- 
v&v,  nivovv  8\  k'n  iarlv  (267,  a,  5).  Das  Gesetz  der  Trägheit,  kraft  dessen 
jede  Bewegung  fortdauert,  bis  sie  durch  eine  Gegenwirkung  aufgehoben 
wii-d,  ist  ihm  demnach  noch  nicht  bekannt.  —  Wie  sich  freilich  die  natür- 
liche Bewegung  der  Elemente,  vermöge  deren  jedes  derselben  dem  ihm 
eigentümlichen  Ort  zustreben  soll,  aus  einer  Berührung  mit  einem  Bewegenden 
ableiten  lasse,  würde  schwer  zu  sagen  sein;  ist  doch  durch  das,  was  F/n/s. 
VIII,  4.  254,  b,  33  ff.  De  eocJo  IV,  3,  Schi,  steht,  nicht  einmal  dargethan, 
dafs  sie  überhaupt  von  anderem  bewegt  werden."  Was  diese  letzte  Be- 
merkung Zellers  betrifft,  so  scheint  er  zu  übersehen,  dafs  Aristoteles  das 
Fortbestehen  der  Bewegung  nur  in  dem  Falle  auf  die  Berührung  oder  auf 
die  Wirksamkeit  eines  Mediums  zurückführt,  wo  es  sich  um  gewaltsame 
Bewegungen  handelt;  die  natürlichen  Bewegungen  der  Elemente  hingegen 
gehen  bei  ihm  aus  immanenten  Trieben  hervor.  Bewegtes  und  Bewegendes 
sind  in  diesem  Falle  gewissermafsen  identisch;  der  JVIitwirkung  eines  Me- 
diums bedarf  es  daher  in  diesem  Falle  nicht,  wenngleich  ein  solches  fördernd 
einwirken  kann  und  thatsächlich  fördernd  einwirkt.  Eine  Hauptstelle,  auf 
welche  sich  die  peripatetische  Lehre  vom  Beharren  der  Bewegung  gründet, 
ist  von  Zeller  nicht  angeführt:  De  coclo  111,  2.  301,  b,   17.     Sie  lautet  in 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  523 

deutscher  Übersetzung:  „Da  man  nun  unter  Natur  das  dem  Dinge  selbst 
innewohnende  J3ewegungsprincip  versteht,  unter  Gewalt  aber,  das  einem 
fremden  Dinge  innewohnende,  insofern  es  ein  fremdes  ist,  da  ferner  jede 
Bewegung  entweder  natürlich  oder  gewaltsam  ist,  so  wird  die  natürliche 
Bewegung,  etwa  die  Abwärtsbewegung  eines  Steines,  durch  Gewalt  noch 
beschleunigt  werden,  die  widernatürliche  aber  überhaupt  nur  durch  sie  zu- 
stande kommen.  Zu  beiden  Zwecken  dient  gleichsam  als  Werkzeug  die  Luft; 
denn  diese  hat  die  Eigentümlichkeit  zugleich  leicht  und  schwer  zu  sein. 
Demgemäfs  wird  sie  die  Aufwärtsbewegung  bewirken,  insofern  sie  leicht 
ist,  sobald  sie  einen  Anstofs  erhält  und  so  gewaltsam  in  Thätigkeit  kommt; 
die  Abwärtsbewegung  hingegen  [wird  sie  bewirken],  insofern  sie  schwer 
ist,  denn  gleichsam  dicht  sich  anschmiegend  giebt  sie  [den  bewegten  Körper] 
beidemale  weiter.  Daher  bewegt  sich  das  gewaltsam  Bewegte,  auch  wenn 
das  Bewegende  nicht  nachfolgt.  Wäre  nämlich  ein  derartiges  Medium  nicht 
vorhanden,  so  gäbe  es  überhaupt  keine  gewaltsame  Bewegung,  aber  auch 
die  natürliche  Bewegung  eines  jeden  Körpers  unterstützt  es  auf  dieselbe 
Weise."  Die  Widerlegung  dieser  aristotelischen  Lehre  gehört  zu  den  Glanz- 
partieen  des  Dialogs;  es  ist  aber  nicht  zu  vergessen,  dafs  in  vieler  Be- 
ziehung Galilei  an  Benedetti  einen  Vorgänger  hatte.  So  namentlich  hatte 
dieser  bereits  behauptet,  dafs  das  Medium  nicht  nur  nichts  zum  Beharren 
der  Bewegung  beitrage,  sondern  umgekehrt  das  Haupthindernis  für  die 
Beharrung  abgebe.  (lo.  Ba.  de  Benedictis,  Divcrsarum  speculaiionum  libcr 
Taurbn  1585.  p.  184.  Whewell,  Histonj  of  the  inductivc  sciences  II,  17; 
Wohlwill,  die  EnidccTcuncf  des  Bcharrimgsgesetzes  p,  25.) 

43)  p.  157.  Was  nicht  ist,  übt  keine  Wirkungen  aus.  Vgl.  Arist. 
Meüiph.  II,  4.   999,  b,  8. 

44)  p.  159.  Vgl.  die  zu  p.  157  citierte  Stelle  aus  De  eocJo  III,  2. 
301,  b,  17. 

45j  p.  164.  Wohlwill  (Die  Entdeckung  des  Beharrungsgesetzes  p.  77) 
macht  darauf  aufmerksam,  wie  die  einfachsten  Folgerungen  aus  dem  Be- 
harrungsgesetze zu  Galileis  Zeiten  als  etwas  völlig  Neues  und  Merk- 
würdiges angestaunt  wurden.  Er  verweist  in  dieser  Beziehung  auf  die 
Widmung  und  Vorrede  der  französischen  Übersetzung  (vom  Jahre  1634) 
von  Galileis  Schrift  Delhi  Seienza  Mcccanica,  wo  Mersenne  die  hier  be- 
rührten Erfahrungen  als  staunenswerte  Erscheinungen  bezeichnet. 

46)  p.  165.  Das  Wesen  des  Spieles  mit  der  „Rollscheibe"  (ruzzola) 
geht  mit  h'nreichender  Deutlichkeit  aus  dem  Texte  hervor.  Die  erste  Idee 
zu  dieser  hier  eingeflochtenen  Betrachtung  kam  Galilei  am  11.  April  1607. 
Vgl.  Einl.  p.  XXL 

47)  p.  165.  Dieser  erkenntnistheoretische  Satz  bezieht  sich,  wenn  wir 
die  Kantische  Terminologie  gebrauchen  wollen,  nur  auf  analytische  Ui'teile 
und  synthetische  Urteile  a  priori.  Galilei  nennt  hier  Urteile  nur  dann 
wahr,  wenn  sie  mit  dem  Bewufstsein  der  Allgemeingültigkeit  und  Not- 
wendigkeit ausgesprochen  werden,  und  behauptet  mit  Recht,  dafs  diese 
niemals  durch  blofse  iMitteilung,  ja  auch  nicht  durch  blofse  Erfahrung  zu- 
stande  kommen. 

48)  p.  166.  Vgl.  die  pseudo- aristotelische  Schrift  2Iechanka  cap.  8. 
851,  b,  15ff. :   z/t«  u  t«  exqoyyvXa  v.cu  ixeqKpsQfi   tröv  ayri^axav  cvxtvjjToreoa; 

49)  p.  168.     Unter  den  bleiernen  Spielmarken  (ehiose)  sind  Bleimünzeu 


524  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

zu  verstehen,   die    von   den  Kindern   selbst   in   steinernen   Formen   geprägt 
und  beim  Spielen  statt  des  Geldes  benutzt  werden  (Favaro). 

50)  p.  169.  Das  italienische  glocatori  dl  palla  a  corda  ist  durch 
„Schlagballspieler"  wiedergegeben.  Es  scheint  sich  um  das  noch  jetzt  in 
Italien  übliche  Ballspiel  zu  handeln,  bei  welchem  der  fast  kopfgrofse  Ball 
mittels  einer  Art  Pritsche  geschlagen  wird,  die  im  wesentlichen  aus  einem 
Netzwerk  von  Darmsaiten  (cordc)  besteht.  Die  Spieler  teilen  sich  in  zwei 
Parteien,  deren  Schranken  durch  eine  über  die  Mitte  des  Spielplatzes 
laufende  Querlinie  bezeichnet  werden.  An  dem  einen  Ende  des  Platzes 
wird  der  Ball  kräftig  nach  der  Seite  der  Gegenpartei  hingeschlagen,  von 
dieser,  nachdem  er  einmal  die  Erde  berührt  hat,  zurückgeschlagen  u.  s.  f. 
Es  kommt  dabei  vor  allem  darauf  an,  den  Rückschlag  nicht  zu  versäumen. 
Der  von  Galilei  angegebene  Kunstgriff  hat  demgemäfs  den  Zweck,  der 
Gegenpartei  den  Rückschlag  zu  erschweren  oder  unmöglich  zu  machen. 

51)  p.  169.  Dieses  Nationalspiel  der  Italiener,  welches  sie  giuoco 
dcUe  palle  oder  giuoco  ddle  hoccie  nennen  und  welches  hie  und  da  auch 
in  Deutschland  gespielt  wird,  besteht  in  folgendem.  Die  Spieler  teilen 
sich  in  zwei  gleichstarke  Parteien.  Jeder  Spieler  hat  eine  eigene  Kugel; 
einer,  der  bei  Beginn  des  Spiels  durch  das  Los,  später  von  der  sieg- 
reichen Partei  bestimmt  wird,  hat  aufser  seiner  eigenen  Kugel  noch  eine 
kleinere,  paUino  genannt.  Dieser  wirft  nun  zuerst  den  pallino  aus  und 
sucht  dann  mit  seiner  eigenen  Kugel,  die  er  aus  einer  bestimmten  Ent- 
fernung zu  werfen  hat,  diesem  so  nahe  als  möglich  zu  kommen.  Die 
übrigen  Teilnehmer  versuchen  abwechselnd  dasselbe,  entweder  nämlich  sich 
dem  paUino  mit  der  eigenen  Kirgel  möglichst  zu  nähern,  oder  die  Kugel 
des  Gegners,  welche  dem  j^aUbw  zunächst  liegt,  davon  zu  entfernen.  ;^ch 
jeder  Runde  gilt  die  Partei  als  siegreich,  welche  eine  oder  mehrere  Kugeln 
zunächst  an  den  paUino  herangespielt  hat  (Favaro). 

52)  p.  172.  Es  ist  damit  wohl  die  lateinisch  geschriebene  Abhand- 
lung Be  motu  nafuraUtcr  accelerato  gemeint,  die  in  den  Discorsi  fast  wört- 
lich reproduzier-t  wird  (Op.  XI,  74 — 80). 

53)  p.  173.  Ygl.  Archimedes,  Bc  lineis  spiralibiis  cap.  11:  Ei'  na  sv- 
&£ia  ETtL^svid-y  yoaftjUK  iv  inmiöa  nal  (i.ivovtog  xov  hsgov  negarog  avräg 
iooxa'^ifüg  neQtEve^&uöa  ccTtoKaraßva&T]  ndXiv^  d9sv  coQi.ia6ev,  aft«  ds  rä  ygafifiä 
7t£ Qtayoiiiva  (piQijrai  n  Cafisi^ov  iGoxuyiiog  avzb  mvrä  %ara  rag  ev&Eiag  ciQi,d- 
^Evov  dito  lov  fxivovrog  nsQarog,  rb  Caiievov  eXiKa  yguTpet.  iv  ro5  imneöa. 
Wenn  eine  gerade  Linie  in  einer  Ebene  gezogen  wird,  und  diese  mit  gleich- 
förmiger Geschwindigkeit  um  den  einen  festliegenden  Endpunkt  sich  dreht, 
bis  sie  in  ihre  anfängliche  Lage  zurückkehrt,  und  wenn  sich  gleichzeitig 
mit  der  Drehung  der  Linie  irgend  ein  Punkt  auf  der  Linie  mit  gleichför- 
miger Geschwindigkeit  bewegt,  an  dem  festliegenden  Ende  beginnend,  so 
wird  der  Punkt  auf  der  Ebene  eine  Spirale  beschreiben. 

54)  p.  173.  Völlig  ferne  liegt  Galilei  einstweilen  noch  der  Gedanke, 
dafs  ein  Körper  unter  der  gleichzeitigen  Wirkung  einer  nach  einem  Punkte 
gerichteten  Anziehungskraft  und  einer  gewissen  Anfangsgeschwindigkeit 
eine  Bahn  beschreiben  könne,  welche  niemals  durch  das  Centrum  der  An- 
ziehung hindurchführt.  Er  betrachtet  es  vielmehr  als  selbstverständlich, 
dafs  eine  l'ortdauernde  Anziehuncr  von  selten  eines  Punktes  den  angezogenen 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  525 

Körper  schliefslich  an  diesen  Punkt  gelangen  lassen  mufs.  Ebenso  hat 
Galilei  nirgends  die  überkommene  Auffassung  verlassen,  die  nicbt  sowohl 
von  einem  Angezogenwerden  des  schweren  Körpers  spricht,  als  vielmehr 
von  einem  Trieb  des  Körpers  nach  dem  Erdmittelpunkt.  So  wenig  schein- 
bar auf  diesen  Wechsel  der  Auffassung  ankommt,  der  mehr  einen  ver- 
änderten Sprachgebrauch  als  eine  sachlich  neue  Erkenntnis  darstellt,  so 
förderlich  war  dieser  doch  nachmals  für  den  Fortschritt,  der  Erkenntnis. 
Eine  nach  mancher  Seite  hin  richtigere  Ansicht  über  das  Wesen  der 
Schwere  hat  Kepler  gehabt;  ja  man  darf  behaupten,  dafs  er  die  allge- 
meine Gravitation  vor  Newton  gelehrt  habe,  abgesehen  von  der,  allerdings 
überaus  wesentlichen,  Bestimmung  betreffs  der  Gröfse  der  Attraktion.  Vgl. 
die  Introdiirfio  zu  Keplers  De  motibufi  sfcllae  Martis  (Ed.  Frisch  vol.  III, 
p.  151).  Hier  findet  sich  u.  a.  der  Satz:  Gravitas  est  affcctio  corporra 
mutua  infer  cognaia  corpora  ad  imitioncm  seu  conjundioncm  (quo  rerum  ordine 
est  et  facidtas  magnctira),  ut  multo  magis  Terra  traliat  lapidem,  quam  Japis 
petit  Terram. 

Die  nun  folgende  Betrachtung  über  die  absolute  Bewegung  eines  auf 
der  rotierenden  Erde  fallenden  Körpers  ist  eine  der  unbegreiflichsten 
Sonderbarkeiten  des  Dialogs.  Galilei  war  zur  Zeit,  als  er  sein  Werk  ver- 
öffentlichte, längst  im  Besitz  der  gereifteren  Erkenntnis,  dafs  die  Bahn  in 
erster  Annäheiiing  eine  Parabel  sein  mufs;  er  spricht  auch  ausdrücklich 
das  folgende  nicht  als  eine  Behauptung,  sondern  als  eine  Vermutung  aus 
und  versichert  später  in  einem  Briefe  an  Carcaville  vom  5.  Juni  1637 
(Op.  VII,  155),  die  Sache  sei  nicht  emst  gemeint  gewesen.  Offenbar  hatte 
Galilei  sich  in  früherer  Zeit,  ehe  er  den  Schlüssel  zu  dem  richtigen  Ver- 
ständnis in  Händen  hatte,  jene  Hypothese  gebildet,  die  ja  immerhin  etwas 
Bestechendes  hat,  insofern  sie  an  Einfachheit  mit  der  aristotelischen  nicht 
nur  konkurriei-en  kann,  sondern  sie  noch  überbietet.  Dafs  sie  aber  auch 
noch  im  Dialog  vorgeführt  wird,  ist  nur  zu  erklären,  wenn  man  daran 
denkt,  dafs  dieser,  w^enn  auch  blofs  im  höchsten  Sinne  des  Wortes,  eine 
Agitationsschrift  ist,  die  ausnahmsweise  auch  überreden  statt  überzeugen  will. 

Das  Irrige  in  der  angestellten  Betrachtung  liegt  zunächst  in  den 
Prämissen.  Galilei  benutzt  nämlich  erstens  sein  unrichtiges  Beharrungs- 
gesetz, durch  welches  ein  Beharren  in  der  Kreisbewegung  ausgesagt  wird. 
Dieses  giebt  zwar  da,  wo  es  sich  um  kleine  Strecken  handelt,  annähernd 
richtige  Resultate,  ist  aber  hier,  wo  die  Distanzen  von  derselben  Ordnung 
sind,  wie  die  Dimensionen  der  Erde,  gänzlich  unstatthaft.  Zweitens  ist  ihm 
noch  unbekannt,  dafs  die  Beschleunigung  der  fallenden  Körper  nicht  als 
konstant  angesehen  werden  darf,  sobald  die  Entfernung  vom  Erdcentrum 
beträchtlich  zu-   oder  abnimmt. 

Stellen  war  uns  nun  aber  auf  den  galileischen  Standpunkt  und  be- 
nutzen gleichfalls  seine  unrichtigen  Prämissen,  so  gelangen  wir  dennoch 
nicht  zu  dem  von  ihm  angegebenen  Resultate.  Dafs  er  von  falschen  Vor- 
aussetzungen ausging,  ist  nicht  nur  entschuldbar,  sondern  beinahe  selbst- 
verständlich. Dafs  er  hingegen  nicht  ernsthaft  prüfte  —  wozu  seine 
Mittel  ausreichten  —  was  auf  Grund  dieser  Voraussetzungen  und  seiner 
eigenen  Fallbewegiingslehre  eintreten  müsse,  ist  um  so  verwunderlicher, 
als  er  scheinbar  kein  geringes  Gewicht  auf  das  Resultat  legt  und  es  an 
verschiedenen  Stellen   des  Dialogs   schon    vorher   in   Aussicht  stellt  (p.  .35. 


526  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

37.  48),  sowie  an  späteren  sich  darauf  bezieht  (p.  257.  279  und  sonst). 
—  Bezeichnet  man  die  Entfernung  der  Turmspitze  vom  Mittelpunkte  mit  q^ 
die  jeweilige  Entfernung  des  Steines  vom  Mittelpunkte  mit  r,  den  Winkel, 
um  welchen  der  Turm  seit  Beginn  des  Falles  sich  gedreht  hat,  mit  0,  so 
würde,  wenn  Galilei  Recht  hätte,  d.  h.  wenn  der  Kreis  CIA  die  wirkliche 
Bahn  wäre,  die  Relation  bestehen  müssen: 

r  ^  Q  cos  0 , 
also 

Q  —  r  =  ^  (l  —  cos  &)  =  2  Q  sin^  --  • 

Nach  der  galileischen  Fallbewegungstheorie  ist  hingegen,  da  &  propor- 
tional der  Zeit  wächst, 

Q  —  r  =^TiQr^ 

wo  1:  eine  Konstante  bedeutet.  Diese  Ausdrücke  können  aber  offenbar 
nicht  identisch  sein,  nicht  einmal  für  den  Fall  kleiner  Werte  von  0,  da 
dann  die  Konstanten  in  den  beiden  Formeln  durchaus  verschiedene  Werte 
besitzen.  Überdies  ist  eine  Beschränkung  auf  kleine  Werte  von  &  hier 
der  Natur  der  Sache  nach  unzulässig. 

In  anderer  Beziehung  ist  freilich  diese  ganze  Herleitung  von  grofser 
Bedeutung  für  die  Geschichte  der  Mechanik,  insofern  vielleicht  zum  ersten 
Male  in  klarer  Weise  das  Princip  der  Zusammensetzung  verschiedenartiger 
Bewegungen  zur  Analyse  von  thatsächlich  in  der  Natur  stattfindenden  Be- 
wegungen benutzt  wird. 

55)  p.  177.  Bekanntlich  ist  bei  ein  und  derselben  Anfangsgeschwindig- 
keit die  Wui'fweite  dann  ein  Maximum,  wenn  der  Abgangswinkel  ein 
halber  Rechter  ist.  Es  war  dies  schon  lauge  vor  Galilei  von  Tartaglia 
behauptet,  wenn  auch  nicht  bewiesen  worden. 

56)  p.  180.  Über  die  Reise  Sagredos  nach  dem  Orient  vgl.  Einl. 
p.  LT.  Der  dem  Sagredo  in  den  Mund  gelegte  Einfall  rührt  aus  dem  Jahre 
1607  (vgl.  Einl.  p.  XXI),  also  aus  der  Zeit  vor  der  Reise  Sagredos;  man 
ersieht  daraus,  dafs  die  persönlichen  Verhältnisse  und  die  scheinbar  cha- 
rakteristischen Äufserungen  der  Interlocutoren  des  Dialogs  nur  ganz  im 
allgemeinen  der  Wirklichkeit  entsprechen. 

57)  p.  183.  Das  hier  erwähnte  Thesenbüchlein  (Jihreüo  cU  con- 
dusioni)  führt  diese  Bezeichnung,  weil  sein  Inhalt  in  öffentlicher  Disputation 
verteidigt  werden  sollte.  Gemeint  ist  die  112  Quartseiten  umfassende 
Schrift  des  Jesuiten  Clementi,  deren  voller  Titel  lautet:  Encidoxxiedia  am- 
pUssimo  Principi  Sdpioni  Card.  Burghesio,  dedicata  expUcata  et  defensa 
cenhim  phüosopliids  assertionihus  a  Clemenfe  de  Clementibus  in  Cöllegio 
Bomano  Soddatis  Jesu.  An.  MDCXXIIII.  Boniac,  ex  typ.  Jacöbi  Mascardi. 
(Vgl.  Favaro,  La  Libreria  di  Galileo  Galilei.  Roma  1887  p.  26.)  Die 
im  Text  verspottete  Stelle  findet  sich  auf  p.  157  des  Büchleins. 

58)  p.  184.  Diese  Stelle  enthält  wohl  die  gröfste  Annähening  an 
die  Erkenntnis  des  allgemeinen  Beharrungsgesetzes,  soweit  eine  solche 
im  Dialog  niedergelegt  ist;  auch  die  Biseorsi  führen  nicht  wesentlich  über 
diese  Stufe  hinaus.  Aber  auch  hier  ist  die  Unveräuderlichkeit  der  Ge- 
schwindigkeit neben  der  unveräuderlichkeit  der  Richtung  nicht  erwähnt, 
und  die  ganze  Stelle  macht  durchaus  keinen  Anspruch  darauf,    ein  funda- 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  527 

mentales  Princip  zu  formulieren.  Es  ist  sehr  fraglich,  ob  im  vorliegenden 
Fall  Galilei  eine  Unveränderlichkeit  der  Geschwindigkeit  überhaupt  zu- 
gegeben haben   würde. 

59)  p.  187.  Die  im  folgenden  auseinandergesetzte  Praxis  der  Vogel- 
schützen und  ebenso  die  sie  erläutei*nde  Theorie  ist  unrichtig,  und  zwar 
auch  dann,  wenn  man,  wie  im  vorliegenden  Fall  offenbar  geschieht,  von 
der  Einwirkung  der  Schwere  auf  die  Flugbahn  des  Geschosses  absieht. 
Galilei  läfst  den  Salviati  versuchsweise  sein  irriges  ßeharrungsgesetz  hier 
sogar  auf  den  Fall  ausdehnen,  wo  das  Centrum  der  Rotationsbewegung 
nicht  der  Erdmittelpunkt  ist,  sondern  das  Auge  des  Schützen.  Sagredo 
berichtigt  nachher  den  Fehler,  gleichwohl  scheint  aus  dieser  Stelle  hervor- 
zugehen, dafs  Galilei  selbst  eine  Zeit  lang  in  der  irrigen  Meinung  be- 
fangen war.  (Vgl.  Einl.  p.  LVII.)  Die  Meinung  Salviatis  ist  offenbar,  dafs, 
abgesehen  von  der  Schwere,  die  Kugel,  welche  aus  dem  rotierenden 
Flintenlauf  abgefeuert  wird,  gleichzeitig  die  fortschreitende  und  die  ro- 
tierende Bewegung  beibehalte,  also  eine  archimedische  Spirale  beschreibe; 
in  Wahrheit  aber  legt  sie,  bei  Vernachlässigung  der  Fallbewegung,  eine 
gerade  Linie  zurück.  Die  Richtung  derselben  fällt  mit  der  Diagonale 
eines  Rechtecks  zusammen,  dessen  eine  Seite  der  verlängerte  Radius,  dessen 
andere  die  entsprechende  Tangente  ist;  die  beiden  Rechteckseiten  müssen 
sich  dabei  verhalten  wie  die  Schufsgeschwindigkeit  zu  der  linearen  Ge- 
schwindigkeit der  rotierenden  Laufmündung.  —  In  dem  vorher  besprochenen 
Falle,  wo  der  senkrecht  gerichtete  Kanonenlauf  um  den  Erdmittelpunkt 
sich  drehte,  konnte,  wie  nachher  ganz  richtig  auseinandergesetzt  wii'd,  die 
Betrachtung  als  korrekt  angesehen  werden,  da  diese  Rotationsbewegung 
in  Anbetracht  der  thatsächlichen  Dimensionen  kaum  verschieden  von  einer 
Translationsbewegung  war. 

60)  p.  189.  Hier  ist  Galilei  im  Unrecht;  östliche  Horizontalschüsse 
müssen  auf  der  rotierenden  Erde  theoretisch  in  der  That  höher,  westliche 
tiefer  gehen  als  auf  der  unbewegten  Erde.  Der  Irrtum  ist  wiederum  her- 
vorgerufen durch  das  falsche  Beharrungsgesetz,  nach  welchem  eine  horizon- 
tale Anfangsbewegung  eine  beständige  Kreisbewegung  um  den  Erdmittel- 
punkt im  Gefolge  haben  soll.  Doch  scheint  hier  G.  in  seine  eigene 
Erklärung  ein  gewisses  Mifstrauen  gesetzt  zu  haben,  da  er  nachher  (p.  191), 
auf  den  gegnerischen  Standpu.nkt  sich  stellend,  überschlagsweise  den  Be- 
trag der  Sehr  geringen  Abweichung  zu  berechnen  versucht,  die  eintreten 
müfste.  Diese  Rechnung  ist  aber  auf  völlig  verfehlter  Grundlage  ange- 
stellt und  führt  nur  insofei'n  zu  einem  richtigen  Ergebnis,  als  die  Gröfse 
der  Abweichung  in  der  That  recht  unbedeutend  ist. 

61)  p.  191.  Die  Annahme,  dafs  die  Versuche  in  diesem  Falle  unter 
dem  Äquator  angestellt  werden,  ist  nicht,  wie  G.  meint,  ein  den  Gegnern 
eingeräumter  Vorteil;  im  Gegenteil  würde  sich  die  Abweichung  unter  jeder 
anderen  Breite  bedeutender  herausstellen.  Auch  wird  die  Voraussetzung, 
dafs  man  sich  unter  dem  Äquator  befinde,  bei  der  folgenden  Rechnung  in 
keiner  Weise  benutzt. 

62)  p.  191.  Die  Art,  wie  Galilei  die  Rechiuing  führt,  ist  kaum  zu 
verstehen  und  sicherlich  falsch.  Es  scheint,  als  ob  er  sein  Verfahren  ent- 
sprechend dem  Falle  gestaltet  habe,  wo  es  sich  um  Bewegungen  am  Himmel 
handelt,   bei   welchen   die  Erde   als  Punkt,   der   Beobachtungsort   als  Gen- 


528  Anmerkmig-en  zum  zweiten  Tag. 

trum  der  Himmelsbewegvingen  betrachtet  werden  darf.     Dies  ist  aber  hier 
völlig  unzulässig. 

63)  p.  191.  In  dem  Werke  des  Kopernikus  Be  rcvoluHonihits  orhium 
cadestium  findet  sich  im  12.  Kapitel  des  ersten  Buchs  eine  von  Galilei 
und  anderen  vielfach  benutzte  Sinustafel. 

64)  p.  192.  In  der  cdliio  princrps  und  allen  anderen  mir  zugänglich 
gewesenen  Ausgaben  steht  umgekehrt:  ma  gli  orcideutaJi  riuscirehbon  hassi, 
cd  alii  gli  orioüall  Dies  ist  jedoch  sachlich  unrichtig  und  mufs  auf  einem 
Schreibfehler  Galileis  beruhen.  Denn  Sagredo  will  doch  offenbar  sagen: 
Die  Kanoniere  haben  sich  die  Übung  erworben,  die  durch  die  Erdbewegung 
verursachte  Abweichung  gewissermafsen  instinktiv  mit  in  Rechnung  zu 
ziehen,  d.  h.  nach  Westen  schon  von  vornherein  das  Ziel  höher  zu  nehmen, 
da  ohne  dieses  Mittel  die  Schüsse  zu  tief  gingen.  Stünde  nun  in  Zukunft 
die  Erde  still,  und  die  Kanoniere  blieben  bei  ihrer  bisherigen  Praxis,  so 
würden  die  westlichen  Schüsse  nunmehr  zu  hoch  gehen  müssen,  die  öst- 
lichen hingegen  zu  tief. 

65)  p.  197.  Fast  wörtlich  übereinstimmend  mit  der  nachstehenden 
Darstellung  ist  die  in  dem  Briefe  an  Ingoli  gegebene.     Vgl.  Op.  II,  101. 

66)  p.  201.  Die  Vorliebe  Galileis,  Argumente  des  Gegners  mit  einem 
noch  vermehrten  Schein  von  Richtigkeit  zu  umgeben,  bevor  er  sie  wider- 
legte, bethätigte  er  auch  bei  mündlichen  Disputationen.  Auf  die  Zuhörer 
übte  dies,  wie  sich  begreifen  läfst,  häufig  eine  belustigende  Wirkung.  Vgl. 
die  Schilderung  Querenghis  in  seinem  Briefe  an  den  Kardinal  Alessandro 
d'Este  vom  20.  Januar  1616.     (Op.  VIII,  383.) 

67)  p.  202.  Nostrum  scire  sit  quoddam  remm'mi  unser  Wissen  sei  eine 
Art  von  Wiedererinnerung.  Diese  Lehre  wird  von  Plato,  insbesondere  in 
seinem  Mcno^  c.  XIV — XVI,  vorgetragen. 

68)  p.  205.  Die  Ausführungen  über  das  Wachsen  der  Entfernung 
von  der  Peripherie  sind  ganz  im  Geiste  moderner  Infinitesimalrechnung 
gehalten,  deren  erste  Keime  bei  Galilei  verschiedentlich  zu  entdecken  sind. 
—  Nennt  man  den  Radius  i?,  die  Entfernung  auf  der  Tangente  a;,  so  ist 
die  Entfernung  von  der  Peripherie  '[/T?''*  -\-  x^  —  B ;  für  ein  kleines  x  ist 
dieses,    mit   Vernachlässigung    höherer    Potenzen    von  ic,    gleich   ^^,    also 

tinendlich  klein  von  der  zweiten  Ordnung. 

69)  p.  206.  Die  galileischen  Ansichten  über  das  Wesen  der  Centri- 
fugalkraft  sind  freilich  in  ihrem  letzten  Ergebnis  falsch,  enthalten  aber 
auf  der  anderen  Seite  soviel  Neues  bezüglich  der  Methode  und  Auffassung 
mechanischer  Probleme,  dafs  sie  gleichwohl  zu  dem  Bedeutendsten  ge- 
hören, was  im  Dialoge  enthalten  ist,  ja  zu  dem  Bedeutendsten,  was  Galilei 
überhaupt  geleistet.  Kopernikus  hatte  zur  Widerlegung  der  Meinung,  es 
müsse  durch  die  Centrifugalkraft  alles  davonfliegen,  was  nicht  niet-  und 
nagelfest  sei,  auch  hier  nur  das  schlechte  Argument  vorzubringen  gewufst, 
dafs  die  kreisfönnige  Bewegung  um  den  Mittelpunkt  der  Erde  nicht  mit 
anderen  Kreisbewegungen  verglichen  werden  dürfe,  weil  sie  im  Gegensatze 
zu  diesen  eine  „natürliche ''  Bewegung  der  Körper  sei.  —  Richtigere  An- 
sichten über  die  Centrifugalkraft  stellte  zuerst  Benedetti  auf,  der  hier 
wie  in  anderen  mechanischen  Fragen  als  der  bedeutendste  Vorgänger 
Galileis   zu   betrachten  ist.     Namentlich  war  er  der  erste,    der  lehrte,  dafs 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  529 

der  Trieb  eines  mit  dem  rotierenden  Körper  verbundenen  Körpers  längs 
der  Tangente  der  Kreisbahn  im  Trennungspunkte  gerichtet  sei  (vgl.  Wohl- 
will, Die  Entdeckung  des  Beharrungsges.  p.  27).  Galileis  Methode  hätte 
vollständig  ausgereicht,  die  Centrifugalkraft  auch  ihrer  Gröfse  nach  richtig  zu 
beurteilen,  was  erst  später  Huyghens  thatsächlich  leistete.  Er  wollte  aber 
zu  viel  beweisen  und  scheiterte  infolge  dessen;  er  meinte  nachweisen  zu 
können,  dafs,  wie  gering  auch  die  Schwere  und  wie  grofs  auch  die  Ro- 
tationsgeschwindigkeit angenommen  werden  möge,  gleichwohl  nie  der  Fall 
eintreten  könne,  dafs  der  Körper  fortgeschleudert  werde.  —  Es  ist  merk- 
würdig genug  und  für  das  historische  Verständnis  wissenschaftlicher  Ent- 
deckungen höchst  belehrend,  zu  sehen,  wie  schwer  es  ist,  ein  richtiges  Princip 
konsequent  zu  Ende  zu  denken.  Uns  kommt  es  fast  unbegreiflich  vor,  wie 
G.,  der  die  parabolische  Bahn  geschleuderter  Körper  zu  entdecken  wufste,  der 
andererseits  wohl  auch  einsah,  dafs  die  Centrifugalkraft  nichts  anderes  ist, 
als  eine  Folge  des  Beharrungsgesetzes,  sich  dennoch  nicht  durchringen  konnte 
zu  der  Erkenntnis,  dafs  infolge  der  Centrifugalkraft  und  der  (konstanten) 
Schwere  ein  Stein  auf  der  Erdoberfläche  eine  parabolische  Bahn  beschreiben 
müfste,  die  je  nach  der  Geschwindigkeit  der  Erddrehung  und  der  Gröfse 
der  Gravitationskonstante  den  Umfang  der  Erde  von  innen  oder  von  aufseu 
berührt.  Sobald  das  erstere  der  Fall  ist,  kann  wegen  des  Widerstandes 
der  Erde  eine  Bewegung  überhaupt  nicht  zustande  kommen,  im  letzteren 
Falle  aber  würde  ein  Fortschleudern  allerdings  eintreten.  Thatsächlich 
sind  die  Bedingungen  für  den  ersten  Fall  vorhanden,  wie  duix-h  Rechnung 
leicht  festzustellen  ist;  infolge  dessen  bewirkt  die  Centrifugalkraft  nur 
eine  Verminderung,  nicht  aber  eine  vollständige  Aufhebung  des  Gewich- 
tes des  Körpers.  —  Freilich  mufste  das  unrichtige  Beharrungsgesetz 
Galileis  ihm  bei  dieser  Untersuchung  sehr  hinderlich  sein.  Bei  den  früheren 
Gelegenheiten  betrachtete  er  als  „natürliche"  Bewegung  die  kreisförmige, 
mit  24-stündiger  Periode;  hier  spricht  er  von  dem  Impuls  längs  der  Tan- 
gente, es  schwebt  ihm  also  ein  richtiges  Beharrungsgesetz  vor.  Er  unter- 
scheidet aber  zwischen  diesen  beiden  Dingen,  und  darin  mag  eine  Haupt- 
quelle für  die  Irrtümer  liegen,  die  er  begeht.  In  Wirklichkeit  existiert 
eben  nur  dieser  Impuls  längs  der  Tangente,  dieser  wird  durch  die  Schwere 
fortwährend  und  zwar  mit  Erfolg  bekämpft,  und  infolge  dieser  beiden 
Faktoren  im  Verein  mit  dem  Widerstand  der  festen  Erde  kommt  erst  die 
Kreisbewegung  zustande,   welche  Galilei   anderwärts  die  natürliche  nennt. 

70)  p.  207  ad  destruendum  sufficit  unum.  Zur  Widerlegung  einer  Be- 
hauptung genügt  ein  einziger  [widersprechender]   Umstand. 

71)  p.  208.  Diese  Frage  ist  sonderbar,  fast  unverständlich  formuliert; 
wie  sie  gemeint  ist,  geht  aber  aus  der  Fortsetzung  mit  hinreichender 
Deutlichkeit  hervor. 

72)  p.  210.  Unter  der  dritten  Proportionalen  zu  den  beiden 
Strecken  BA  und  C  versteht  man  bekanntlich  diejenige  Strecke  a\  welche 
der  Bedingung  genügt 

B~A:C  =C:x. 

Komposition  heifst  diejenige  Transformation  einer  Proportion,  bei  welcher 
a  :  h  =  c  :  d  übergeht  in  {et  -\-  Jj)  :  h  =  (c  -|-  <0  •  ''• 

Galilei,  Weltsysteme  34 


530  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

73)  p.  210.  Der  erste  der  beiden  Einwände  Sagredos  ist  thatsächlicli 
berechtigt  und  wird  im  folgenden  aucb  nur  ungenügend  widerlegt;  der  andere 
beruht  auf  der  falschen,  nachher  berichtigten  Vorstellung,  dafs  die  Fall- 
beschleunigung proportional  dem  Gewichte  oder  doch  wesentlich  von  ihm 
abhängig  sei. 

74)  p.  211.  Es  ist  dies  wohl  das  erste  Mal,  dafs,  ganz  in  der  heute 
üblichen  Weise,  die  Abhängigkeit  einer  veränderlichen  Gröfse  von  einer 
anderen  figürlich  dargestellt  wird;  die  Zeiten  werden  als  Abscissen,  die  zu- 
gehörigen Geschwindigkeiten  als  Ordinaten  abgetragen.  Schon  dieser  Ver- 
such allein  reicht  aus,  um  dem  vorliegenden  Abschnitte  des  Dialogs  eine 
hohe  historische  Bedeutung  zu  sichern. 

75)  p.  211.  So  ganz  „offenbar"  ist  dies  nicht,  wenn  es  auch  that- 
sächlich  richtig  ist.  Galilei  hat  in  den  Dlscorsl  auf  diese  Proportio- 
nalität der  Fallgeschwindigkeit  mit  der  Fallzeit  seine  ganze  Ableitung  der 
Fallgesetze  gegründet.  Gleichwohl  meinte  er  selbst  noch  im  Jahre  1604 
(vgl.  den  Brief  an  Paolo  Sarpi  Op.  VI,  24),  dafs  die  Geschwindigkeiten 
sich  verhielten  wie  die  durchfallenen  Strecken,  was  völlig  unrichtig  ist 
und  als  unrichtig  später  von  ihm  selber  nachgewiesen  wird.  —  Oder  meint 
G.,  die  Eichtigkeit  seiner  Behauptung  folge  offenbar  aus  der  entworfenen 
Figur?  In  diesem  Falle  bedürfte  es  aber  der  Rechtfertigung  dieser  Figur; 
es  müfste  gezeigt  werden,  dafs  die  Strecken  FG,  III,  KL  auf  einer  und 
derselben  durch  den  Punkt  A  laufenden  geraden  Linie  endigen  müssen. 

76)  p.  211.  Bei  der  Darlegung  dieser  zweiten  angeblichen  Ursache  für 
eine  Geschwindigkeitsabnahme  stellt  sich  Salviati  zunächst  auf  den  Stand- 
punkt, dafs  die  Fallgeschwindigkeit  dem  Gewichte  proportional  sei.  Diese 
falsche  aristotelische  Ansicht  wird  nachher  aber  dahin  berichtigt,  dafs  eine 
solche  Proportionalität  nicht  besteht;  die  völlige  Unabhängigkeit  der  Fall- 
geschwindigkeit vom  absoluten  und  specifischen  Gewichte  freilich  wagt 
Galilei  hier  noch  nicht  zu  behaupten,  er  spricht  sie  vermutungsweise  erst  in 
den  Biscorsi  aus  (Op.  XIII,  74). 

77)  p.  212.  Was  Galilei  sagen  will,  Avürde  in  moderner  Ausdrucks- 
weise lauten:  Die  eine  „Bewegung"  (nämlich  die  von  der  Centrifugalkraft 
herrührende)  ist  ein  Unendlichkleines  von  der  zweiten  Ordnung,  die  andere 
(die  Fallbewegung)  ein  Unendlichkleines  erster  Ordnung;  die  erstere  ist 
daher  ohne  Einflufs.  —  So  erstaunlich  es  nun  auf  der  einen  Seite  ist,  ein 
wie  tiefes  Verständnis  für  die  fundamentalen  Begriffe  der  Infinitesimal- 
rechnung wir  bereits  bei  Galilei  finden,  so  täuscht  er  sich  bei  dem  vor- 
liegenden Probleme  dennoch.  Sein  Irrtum  rührt  daher,  dafs  er  bei  der 
CJentrifugalkraft  unter  der  „Bewegung"  stets  die  durchlaufene  oder  zu 
durchlaufende  Strecke,  bei  der  Fallbewegung  hingegen  die  erlangte  Ge- 
schwindigkeit in  Rechnung  zieht.  Nimmt  man  in  beiden  Fällen  die 
Strecken,  oder  in  beiden  Fällen  die  Geschwindigkeiten,  so  werden  die  un- 
endlichkleinen Gröfsen  von  gleicher  Ordnung,  woraus  sich  ergiebt,  dafs  die 
Centrifugalkraft  nicht  ohne  Einflufs  ist. 

78)  p.  214.  Im  Original  steht  ira  Ja  srganfe  c  la  circonferenza;  sc- 
gantc  mufs  jedoch  Druck-  oder  Schreibfehler  für  iangentc  sein. 

79)  p,  214.  Aristoteles  lehrt,  dafs  die  Fallgeschwindigkeit  eines  und 
desselben  Körpers  umgekehrt  proportional  sei  der  Dichtigkeit  des  Mediums, 
und    dafs    die    Fallgeschwindigkeit    verschiedener,     aber     gleichgestalteter 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  531 

Körper,  direkt  proportional  ihrem  Gewichte  sei.  Vgl.  Arist.  Phys.  II,  8. 
215,  a,  25  flf.  Gegen  diese  Anschauungen  war  Galilei  schon  während  seiner 
Anstellung  in  Pisa  aufgetreten. 

80j  p.  215.  Es  scheint  die  Stelle  Arist.  De  gen.  ei  corr.  I,  2.  316,  a,  10 
gemeint  zu  sein,  die  sich  auf  Plato  bezieht,  obgleich  sein  Name  nicht  ge- 
nannt ist.  Es  heifst  dort  z.  B.  "I8ol  ^'  äv  tig  y,cd  in  tovtcov  oaov  8m(pi- 
QovGiv  Ol  cpvötKäg  Kca  Xoyiy.äg  ßy.oTtovvteg.     Vgl.   auch  p.  415. 

81)  p.  215.  „Die  Kugel  berühi-t  die  Ebene  in  einem  Punkte."  — 
Über  die  Anwendbarkeit  abstrakter  mathematischer  Sätze  auf  reale  phy- 
sische Verhältnisse  wurde  von  Alters  her  gestritten.  So  führt  Aristoteles 
{Metapli.  II,  2.  998,  a,  3)  eine  Äufserung  von  Protagoras  an,  wonach 
Lineal  und  Kreis  sich  nicht  einpunktig  berühren,  und  billigt  diese  Wider- 
legung der  Mathematiker.  Die  von  Galilei  verfochtene  Ansicht  gab  denn 
auch  seineu  peripatetischen  Gegnern  heftigsten  Anstofs;  so  bekämpft  An- 
tonio Rocco  gerade  diesen  Satz  mit  besonderer  Lebhaftigkeit.  (Op.  II,  253 ff.) 

82)  p.  217.  Der  von  Simplicio  angeführte,  allerdings  nicht  aus- 
reichende Beweis  des  Peripatetikers  ist  doch  nicht  ohne  weiteres  zu 
verwerfen.  Die  Sache  liegt  vielmehr  so,  dafs  es  erst  einer  besonderen 
Definition  bedarf,  was  unter  der  Länge  einer  Kurve  zu  verstehen  sei;  eine 
solche  hat  nun  allerdings  ihre  Schwierigkeiten  und,  um  sie  korrekt  zu  ge- 
stalten, bedarf  es  eines  mit  vielen  Kautelen  umgebenen  Grenzübergangs. 
Dann  aber  läfst  sich  in  der  That  ein  strenger  Beweis  für  das  Axiom 
des  Archimedes  geben.  (Vgl.  z.  B.  Scheeffer  in  den  Acta  mafh.  Bd.  V, 
49  -  82.) 

83)  p,  223.  G.  legte  ein  solches  Gewicht  auf  seine  im  vierten  Teile 
des  Dialogs  niedergelegte  Theorie  von  Ebbe  und  Flut,  in  welcher  er  die  Haupt- 
stütze des  kopernikanischen  Systems  zu  finden  glaubte,  dafs  er  anfänglich 
dem  Dialog  den  Titel  BiaJogo  del  flusso  e  reflusso  zu  geben  beabsichtigte. 

84)  p.  224.  Diese  Worte  erinnern  an  die  Motivierung,  welche  Galilei 
bei  seinem  zweiten  Verhör  am  30.  April  1633  vor  dem  Kommissar  der 
Inquisition  für  den  im  Dialog  festgehaltenen  Standpunkt  abgab.  In  der 
von  ihm  zu  Protokoll  gegebenen  Erklärung  (Gebier,  Akten  p.  82  f.)  heifst 
es  (nach  der  Übersetzung  von  Rausch):  „Da  mir  diese  Entschuldigung, 
wie  gesagt,  nicht  genügte,  so  recurrierte  ich  auf  jene  Entschuldigung,  die 
darin  liegt,  dafs  ein  jeder  von  Natur  geneigt  ist,  an  seinen  eigenen  Sub- 
tilitäten  und  daran  Gefallen  zu  finden,  sich  dadurch  scharfsinniger  als  die 
meisten  Menschen  zu  erweisen,  dafs  er  auch  falsche  Sätze  durch  ingeniöse 
und  blendende  Beweisfühningen  wahrscheinlich  zu  machen  weifs." 

85)  p.  224.  Obgleich  die  folgenden  Erörterungen  nur  als  „Extrazu- 
gabe" (per  eolmo  e  huona  misura)  angestellt  werden,  so  ist  doch  erst  in 
ihnen  die  Ahnung  des  wahren  Sachverhalts  enthalten,  wiewohl  auch  hier 
wesentliche  Irrtümer  unterlaufen.  Für  das  Verständnis  ist  zu  beachten, 
dafs  im  folgenden  unter  Geschwindigkeit  stets  lineare  Geschwindigkeit, 
nicht  Winkelgeschwindigkeit  zu  verstehen  ist.  G.  macht  nun  mit  vollem 
Recht  darauf  aufmerksam  (p.  231),  dafs  bei  Kreisbewegungen  die  „Schleuder- 
kraft"  (la  proiesio)ie,  la  causa  clclla  proieziotie)  abnimmt,  wenn  bei  gleich- 
bleibender linearer  Geschwindigkeit  der  Radius  des  Kreises  zunimmt.  Wenn 
er  hingegen,  obgleich  nur  vermutungsweise,  den  Satz  ausspricht,  dafs  bei 
gleichen  Winkelgeschwindigkeiten  die  Centrifugalkraft  konstant  bleibe,  also 


532  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

unabhängig  von  dem  Radius  sei  (p.  231),  so  irrt  er.  Die  Quelle  seines 
Irrtums  ist  folgende.  Er  hat  ganz  richtig  bemerkt,  dafs  bei  gleichem 
Radius  die  Centrifugalkraft  mit  wachsender  linearer  oder  Winkelgeschwindig- 
keit gleichfalls  wächst;  er  meint  aber,  wie  nachher  ausgesprochen  wird, 
sie  sei  der  Geschwindigkeit  proportional,  während  sie  in  Wahrheit  dem 
Quadrat  der  Geschwindigkeit  proportional  ist;  es  schwebt  ihm  mithin,  wenn 
mit  r  der  Radius,   mit   v  die  lineare  Geschwindigkeit  bezeichnet  wird,    für 

den  Betrag   der  Centrifugalkraft   die  Formel   -   vor,    während   die   richtige 

von   Huyghens  (Horologium  osciUatorium.   Pars  V.)  gefundene  Formel  ihren 

Wert   auf  -^  normiert.     Nennt  man  die    Winkelgeschwindigkeit   «,    sodafs 

V  =  7- CO,  so  geht  die  erstgenannte  Formel  in  co  über,  wird  also  von  r  un- 
abhängig, die  huyghenssehe  Formel  aber  in  >-co^,  welche  zeigt,  dafs  bei 
gleicher  Winkelgeschwindigkeit  die  Centrifugalkraft  dem  Radius  propor- 
tional ist.  Bei  dem  gleich  nachher  angeführten  Zahlenbeispiel  hat  aller- 
dings G.  insofern  Recht,  als  bei  einem  Radius,  der  sechsmal  so  grofs  ist, 
und  bei  einer  linearen  Geschwindigkeit,  die  zweimal  so  grofs  ist  als  in 
einem  anderen  Falle,  die  Centrifugalkraft  einen  ger-ingeren  Betrag  annimmt 
als  in  diesem  anderen  Falle.  Sie  beläuft  sich  nämlich  auf  f  des  dann 
geltenden  Wertes;  G.  dachte  aber,  wiewohl  er  es  an  dieser  Stelle  nicht 
ausdrücklich  ausspricht,  dafs  sie  nur  -^  desselben  betrage,  weil  die 
Winkelgeschwindigkeit  nämlich  in  diesem  Verhältnis  sich  vermindert  hat. 

86)  p.  226.  Im  folgenden  wird  der  Versuch  gemacht,  das  sogenannte 
Princip  der  virtuellen  Geschwindigkeiten  zur  Begründung  einer  Theorie 
der  Centrifugalkraft  zu  verwerten.  So  glücklich  Galilei  mit  diesem  Princip 
bei  anderer  Gelegenheit,  namentlich  in  der  schon  frühe  verfafsten,  aber  erst 
nach  seinem  Tode  verölfentlichten  Schrift  Bella  sciema  meecanica  operierte, 
so  wenig  kann  man  den  vorliegenden  Versuch  als  gelungen  ansehen;  inter- 
essant bleibt  aber  unsere  Stelle  schon  darum,  weil  Galilei,  abgesehen  von 
den  noch  unvollkommenen  Bemühungen  Leonardo  da  Vincis  und  Guido 
Ubaldis,  der  erste  ist,  welcher  dem  Princip  korrekten  Ausdruck  verliehen 
hat.  Die  Erläuterung  des  Satzes  von  den  virtuellen  Geschwindigkeiten 
wird  hier  nur  durch  die  Anwendung  auf  den  Hebel  gegeben,  in  der  Schrift 
Bella  scienza  meecanica  aber  wird  er  auch  auf  die  übrigen  mechanischen 
Potenzen  angewendet. 

87)  p.  228.  Hier  taucht  zum  ersten  Male  die  später  so  vielfach  er- 
örterte Frage  auf,  welche  Quantität  als  Mafs  der  „Kraft"  eines  bewegten 
Körpers  zu  gelten  habe;  die  Frage  führte  später  zu  dem  bekannten  er- 
bitterten Streit,  ob  das  Produkt  aus  Masse  und  Geschwindigkeit,  die  so- 
genannte Bewegungsgröfse,  oder  das  Produkt  aus  Masse  und  Quadrat  der 
Geschwindigkeit,  die  sogenannte  lebendige  Kraft,  als  Mafs  dafür  anzusehen 
sei.  Über  die  Berechtigung  und  den  Sinn  beider  Anschauungsweisen  vgl.  z.  B. 
Dühring,  Kritische  Geschichte  der  allgemeinen  Principien  der  Mechanik 
(Leipzig  1877)  p.  223ff, 

88)  p.  232.  Unter  dem  „Thesenbüchlein"  sind  die  schon  p.  96  er- 
wähnten Bisquisitiones  mathematicae  von  Scheiners  Schüler  Locher  ver- 
standen. An  ihnen  wird  im  folgenden  eine  überaus  scharfe  Kritik  geübt, 
schärfer    und    eingehender    als    es    das   herzlich    unbedeutende    Schriftchen 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  533 

eigentlich  verdient  hätte.  Es  scheint,  dafs  G.  bei  Abfassung  dieser,  sach- 
lich ja  völlig  berechtigten,  Kritik  Kenntnis  von  der  Absicht  Scheiners  hatte, 
in  einem  grofsen  Werke  gegen  G-alilei,  namentlich  betreffs  der  Priorität 
der  Sonnenfleckenentdeckung,  zu  polemisieren;  wenigstens  liefse  sich  sonst 
schwer  die  Animosität  Galileis  gerade  gegen  dieses  Werkchen  erklären,  in 
welchem  sein  Name  an  mehreren  Stellen  mit  der  höchsten  Achtung  ge- 
nannt wird;  es  wiederholte  nur,  soweit  es  von  der  Frage  der  Weltsysteme 
handelte,  die  landläufigen  Argumente  gegen  Kopernikus,  allerdings  ver- 
brämt mit  einigen  originellen  Albernheiten,  die  indessen  eine  so  ausführ- 
liche Behandlung  und  Widerlegung  seitens  Galileis  nicht  genügend  recht- 
fertigen. Galilei  wollte  vermutlich  Scheiners  Angriffen  zuvorkommen;  frei- 
lich gelang  ihm  dies  nicht;  denn  das  scheinersche  Werk,  die  Rosa  ursina, 
erschien  infolge  der  langen  Verhandlungen  über  das  Imprimatur  des  ga- 
lileischen  Dialogs  früher  auf  dem  Büchermarkte.  —  Das  zweite  hier  er- 
wähnte Werk  ist  das  Buch  von  Chiaramonti  (Scipio  Claramontius) :  De 
tribus  novis  steUis,  quae  annis  1572,  IGOO,  1604  comjMruerc.  Caesenae  1628. 
Dieses  Buch  hat  Galilei  bei  Abfassung  der  Giornaia  prima  seines  Dialogs 
noch  nicht  gekannt,  wie  daraus  hervorgeht,  dafs  die  Polemik  dagegen, 
deren  Hauptteil  am  Beginn  der  Giornaia  tcrsa  sich  findet,  weit  eher  in 
den  Rahmen  des  ersten  Tages  gepafst  hätte.  Dort  aber  wird  nur  gegen 
den  Antitycho  desselben  Verfassers  zu  Felde  gezogen.  Vgl.  Anm.  zu  p.  55. 
Auf  die  Angriffe,  die  im  galileischen  Dialoge  gegen  Chiaramonti  gerichtet 
werden,  erwiderte  dieser  in  seinem  Buche  Difcsa  di  Scipione  Chiaramonti  da 
Cesena  al  siio  Antiticone,  e  libro  delle  tre  nuovc  stelle,  dalle  opposisioni  delV 
Autore  de'  due  massimi  sistemi  Tolcmaieo  e  Copernicano.  Firenzc  appresso 
il  Landini  1633. 

89)  p.  232.  Die  in  den  Disquisitiones  enthaltenen  Einwände  gegen  das 
kopernikanische  System  finden  sich  in  den  Abschnitten  XII,  XIII,  XIV 
(p.  23  —  35)  dieses  Schriftchens;  die  gegen  die  Achsendrehung  der  Erde 
gerichteten,  welche  von  G.  zunächst  besprochen  werden,  sind  in  XIV  (p.  28flf.) 
enthalten. 

90)  p.  233.  Unter  einer  deutschen  Meile  wurde  damals,  wie  jetzt, 
der  5400**'  Teil  des  Ac[uators  verstanden;  doch  war  die  deutsche  Meile  nur 
eine  Rechnungseinheit,  nicht  aber  ein  praktisch  wirklich  benutztes  Läugen- 
mafs,  da  die  Dimensionen  der  Erde  nur  sehr  roh  bekannt  waren. 

91)  p.  236.  Unter  dem  Doppelten  eines  Verhältnisses  verstan- 
den die  Alten,  u.nd  nach  ihrem  Vorbilde  Galilei,  das,  was  wir  das  Quadrat 
eines  Verhältnisses  nennen. 

92)  p.  237.  Die  nun  folgende  Berechnung  ruht,  wie  selbstverständ- 
lich, auf  der  unrichtigen  Grundlage,  dafs  die  Beschleunigiingskonstante  der 
Schwere  unabhängig  von  der  Entfernung  vom  Mittelpunkt  ist,  in  Wirk- 
lichkeit nimmt  sie  ab  im  quadratischen  Verhältnis  der  Entfernung  vom 
Mittelpunkte.  Dafs  daran  Galilei  nicht  dachte,  ist  weniger  auffällig,  als 
dafs  er  nicht  erwähnenswert  fand,  dafs  in  der  Nähe  des  Mondes  mög- 
licherweise ein  Fallen  nach  diesem  hin  stattfinden  könne;  denn  die  "Vor- 
stellung eines  Falles  auf  anderen  Weltkörpern  als  der  Erde  war  ihm  keines- 
wegs fremd. 

93)  p.  237.  Hier  wird  abermals  die  schon  p.  214  erwähnte  Streit- 
frage berührt. 


534 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 


94)  p.  238.  Die  von  G.  erwälinten  Versuche  können  nur  ganz  roh 
gewesen  sein,  schon  weil  es  an  einem  genauen  Mafs  für  kleine  Zeiträume 
fehlte.  In  der  That  ist  denn  auch  das  Ergebnis  derselben  stark  unrichtig. 
In  Wirklichkeit  durchfällt,  ohne  Berücksichtigung  des  Luftwiderstandes,  ein 
schwerer  Körper  innerhalb  5  Sekunden  eine  Strecke  von  122,5  Metern, 
welches  etwa  200  Ellen  sind,  d.  h.  etwa  das  Doppelte  von  dem,  was 
Galilei  angiebt.  Die  Versuche  Galileis  konnten  freilich  den  Faktor  des 
Luftwiderstandes  noch  nicht  eliminieren,  indessen  hätte  er  einen  so  ge- 
ringen Wert  unter  keinen  Umständen  finden  dürfen. 

95)  p.  238.  Was  den  Algorithmus  der  Quadratwurzelausziehung  be- 
trifft, so  war  er  zu  Galileis  Zeit  nur  in  Aufserlichkeiten  von  unserem 
Verfahren  verschieden.  Der  Unterschied  bestand  darin,  dafs  gerade  wie 
bei  der  Division  (vgl.  zu  p.  312)  die  jedesmal  abzuziehenden  Produkte 
nicht  hingeschrieben,  sondern  Multiplikation  und  Subtraktion  gleichzeitig 
erledigt  werden.  Sodann  werden  die  Stellen  des  Radikanden  nicht  „her- 
untergenommen", sondern  man  denkt  sich  die  Ziffern  des  Restes  mit  den 
nächsten  beiden  Stellen  der  Wurzel  kombiniert  und  schreibt  bei  der  Sub- 
traktion stets  unter  die  Ziffer,  von  welcher  subtrahiert  wird;  daher  ge- 
hören die  im  Schema  nebeneinander  stehenden  Ziffern  nicht  immer  zu 
einer  und  derselben  dekadischen  Zahl.  Das  Verfahren  wird  an  einem  Bei- 
spiele leicht  verständlich   sein.      In   dem   nachstehenden    Schema   sind  drei 


3  1 34  1  89 
1     2 

1          3  i  31  1  89 
28         2    10 
; 

1^ 

|18 

3\U\B9 
1      2     10    == 

363 

183 

Stadien  der  Quadratwurzelberechnung  dargestellt,  wie  man  sie  zur  Zeit 
Galileis  zu  schreiben  pflegte.  Ein  Druckfehler  der  früheren  Ausgäben 
(24240  statt  24244)  ist  im  Texte  der  Übersetzung  verbessert. 

96)  p.  239.  regula  aurca  ist  dasselbe,  was  wir  Eegeldetri  nennen, 
d.  h.  die  Berechnung  des  vierten  Gliedes  einer  Proportion,  von  welcher 
dreie  bekannt  sind. 

97)  p.  240.  Die  hier  erwähnte  Beziehung  zwischen  der  erreichten  Ge- 
schwindigkeit eines  fallenden  Körpers  und  der  durchfallenen  Strecke  ist, 
wie  auch  Sagredo  nachher  hervorhebt,  schon  einmal  benvitzt  worden,  näm- 
lich p.  29.    Der  Beweis  dafür  findet  sich  in  den  Discorsi  (Op.  XIII,  169 f.). 

98)  p.  241.  Die  nähere  Begründung,  die  freilich  verfehlt  ist  ebenso 
wie  die  Behauptung  selbst,  folgt  p.  245. 

99)  p.  242.  Die  Betrachtungen  über  die  pendelnde  Bewegung  eines 
schweren  Körpers,  der  einen  durch  den  Erdmittelpunkt  führenden  Schacht 
durchfällt,  sind  allerdings  insoweit  i-ichtig,  als  wirklich  ein  ebenso  grofser 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  535 

Ausschlag  diesseits  wie  jenseits  des  Mittelpunktes  stattfinden  würde.  Wäh- 
rend aber  Galilei  diese  Fallbewegung  unter  der  Voraussetzung  betrachtet, 
dafs  die  Gravitation  konstant  bleibe-,  und  daher  auf  sie  den  Satz  anwendet, 
welcher  die  vorhin  erwähnte  Beziehung  zwischen  durchfallener  Strecke 
und  erreichter  Geschwindigkeit  ausspricht,  geht  in  Wirklichkeit  die  Be- 
wegung wegen  Verminderung  der  Gravitation  im  Inneren  der  Erde  nach 
einem  anderen  Gesetze  vor  sich,  nach  demselben  nämlich,  welches  kleine 
Pendelschwingungen  beherrscht;  auf  diese  findet  aber  die  genannte  Be- 
ziehung keine  Anwendung. 

100)  p.  242.  Die  folgende  Darstellung  leidet  an  einer  gewissen  Un- 
klarheit. Sollen  die  Zahlen  die  am  Schlüsse  eines  jeden  Zeitintervalls 
erreichten  Gesehwindigkeitsstufen  darstellen?  oder  die  durchschnittliche 
Geschwindigkeit  innerhalb  jedes  Zeitintervalls?  Nur  das  erstere  ist  mög- 
lich, denn  im  letzteren  Falle  müfsten  bei  gleichmäfsig  beschleunigter  Be- 
wegung die  Zahlen,  welche  die  wachsenden  Geschwindigkeiten  darstellen, 
proportional  der  Reihe  der  ungeraden  Zahlen  1,  3,  5...  sein.  Wenn 
nun  aber  ersteres  der  Fall  ist,  wie  kommt  es,  dafs  die  Zehn  zweimal  in 
der  Reihe  auftritt?  Dies  hätte  nur  dann  seine  Berechtigung,  wenn  der 
höchste  Geschwindigkeitsgrad  nicht  an  den  Schlufs  des  zehnten  Zeitinter- 
valls, sondern  in  die  Mitte  des  elften  fiele;  dann  wäre  aber  auch  der 
höchste  Geschwindigkeitsgrad  nicht,  wie  im  Texte  angenommeft  wird,  10, 
sondern  10^.  Wenn  ferner  die  verschiedenen  Geschwindigkeiten  einfach 
addiert  werden,  -um  die  zurückgelegte  Strecke  zu  ermitteln,  so  würde  dies 
zwar  in  Anwendung  auf  die  Durchschnittsgeschwindigkeiten  der  successiven 
Zeitintervalle  statthaft  sein,  nicht  aber  in  Anwendung  auf  die  Endgeschwin- 
digkeiten. Wenn  endlich  Sagredo  nachher  an  die  Spitze  der  Zahlenreihe 
die  Null  setzt,  so  werden  nunmekr  die  Anfangsgeschwindigkeiten  in  den 
aufeinanderfolgenden  Zeiten  dargestellt,  dann  aber  giebt  die  letzte  Zahl 
wiederum  nicht  den  höchsten  Geschwindigkeitsgrad  an.  Freilich  werden 
alle  diese  Inkorrektheiten  bei  einem  Grenzübergang  zum  Unendlichen  eli- 
miniert, und  das  ist  es,  was  Galilei  vorschwebt.  —  Die  kon-ekte  Dar- 
stellung für  diskrete  Zeitintervalle  würde  etwa  so  zu  geben  sein: 


Geschwindigkeiten : 


Anfang 

Mitte 

Ende 

desl. 

Zeitintervalls 

0 

1 

2 

2. 

2 

3 

4 

3. 

4 

5 

6 

4. 

6 

7 

8 

5. 

8 

9 

10 

6. 

10 

9 

8 

7. 

8 

7 

6 

8. 

6 

5 

4 

9. 

4 

3 

2 

10. 

2 

1 

0 

Aus  dieser  Tabelle  geht  hervor,  dafs  die  Summe  der  mittleren  Ge- 
schwindigkeiten dasselbe  Ergebnis  liefert,  wie  die  höchste  erreichte  Ge- 
schwindigkeit, multipliziert  mit  der  halben  Anzahl  der  Zeitintervalle. 

101)  p.  243.      Die   graphische   Darstellung    der   Geschwindigkeiten    in 


536  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

ihrer  Abhängigkeit  von  der  Zeit  mittels  rechtwinkliger  Koordinaten  ist  hier 
vollkommen  korrekt  durchgeführt;  noch  bedeutsamer  aber  ist  der  Gedanke, 
die  durchfallene  Strecke  als  Flächeninhalt  des  Dreiecks  zur  Darstellung 
zu  bringen.  Es  ist  das  erste  Beispiel  einer  Integration,  welches  über  das 
rein  geometrische  Gebiet  hinaus  auf  das  der  Mechanik  hinübergreift.  Rein 
geometrische  Integrationen  sind  seit  dem  Altertume  bekannt;  die  berühm- 
ten Untersuchungen  des  Archimedes,  die  Quadratur  des  Kreises  und  ver- 
wandte Fragen  betreffend,  sind  Beispiele  dafür. 

102)  p.  245.  Vgl.  zu  p.  14  —  Die  Erwiderung  Sagredos  auf  diese 
von  Simplicio  citierte  Bemerkung  des  Aristoteles  ist  nicht  ganz  zutreffend. 
Man  erwartet  eher:  „Aber  die  vorliegenden  Untersuchungen  über  die  natur- 
wissenschaftliche Frage  der  Bewegung  zeigen  doch,  dafs  auch  auf  diesem 
Gebiete  mathematische  Strenge  möglich  ist." 

103)  p.  245.  Damit  wird  die  p.  241  in  Aussicht  gestellte  Fort- 
setzung der  Pendelfrage  eingeleitet.  Das  von  Galilei  hier  angeregte  Problem, 
die  Bewegung  zweier  an  einem  Faden  befestigten  schweren  Körper,  würde 
eine  eingehende  mathematische  Behandlung  verdienen,  die  meines  Wissens 
noch  nicht  stattgefunden  hat.  Vermehrt  man  die  Anzahl  der  schweren 
Körper  und  vollführt  den  Übergang  zum  Unendlichen,  so  gelangt  man 
dann  zu  den  Schwingungen  eines  schweren  biegsamen  Fadens.  —  Die  An- 
sicht Galileis,  dafs  auch  abgesehen  von  dem  Luft-  (und  Reibungs-)wider- 
stand  ein  Stillstand  eintreten  müsse,  ist  jedenfalls  irrig.  —  Es  ist  noch 
zu  bemerken,  dafs  der  hier  gemachte  Versuch  Galileis,  das  Gewicht  des 
biegsamen  Fadens  mit  in  Rechnung  zu  ziehen,  als  ein  Versuch  zur  Be- 
handlung des  „physischen"  Pendels,  im  Gegensatz  zum  blofs  „mathema- 
tischen" aufgefafst  worden  ist,  (Vgl.  Rosenberger,  Geschichte  der  Physik 
II,  29.)  Dies  trifft  insofern  nicht  zu,  als  auch  bei  dem  physischen  Pen- 
del eine  Starrheit  aller  seiner  Teile  Voraussetzung  ist.  Das  hier  erwähnte 
Problem  ist  nun  zwar  durch  die  Ausführung  von  Pendelversuchen  an- 
geregt worden,  gehört  aber,  streng  genommen,  überhaupt  nicht  zur  Theorie 
des  Pendels. 

104)  p.  246.  Die  im  folgenden  vorkommenden  Citate  aus  den  Bis- 
quisitiones  mathematicae  Scheiners  sind  nicht  immer  wortgetreu;  nament- 
lich war  Galilei  genötigt  die  Buchstaben,  welche  sich  auf  zwei  in  dem 
Büchlein  enthaltene  Figuren  beziehen,  wegzulassen  und  auf  andere  Weise 
auszudrücken,  was  Scheiner  meinte.  Der  Sinn  der  citierten  Stellen  ist  dabei 
stets  gewahrt.  Aufser  diesen  absichtlichen  Änderungen,  die  Galilei  vor- 
nahm, haben  sich  einige  andere  Abweichungen  eingeschlichen,  die  zum 
Teil  als  blofse  Druckfehler  anzusehen  sind.  Diese  offenbar  unbeabsichtigten 
Abweichungen  vom  Original  der  Bisquisitiones  habe  ich  im  Texte  wieder 
entfernt  (so  p.  255  rotarenturne  statt  rotarent  we;  p.  256  ferrentur  statt 
feruntur-^  p.  257  circum\volvat  statt  circumvolvatur-^  p.  258  in  illorum  .  .  . 
statt  illorum  u.  s.  w.),  die  Änderungen  der  anderen  Art  sind  selbstverständ- 
lich beibehalten  worden. 

105)  p.  246f.  Motus  terrae  .  .  .  (Disq.  matJi.  p.  28f.)  „Die  jährliche 
Bewegung  der  Erde  zwingt  die  Kopernikaner  auch  die  tägliche  Umdrehung 
derselben  zu  behaupten;  sonst  würde  stets  dieselbe  Erdhalbkugel  der  Sonne 
zugewendet  sein,  während  die  abgewendete  stets  im  Schatten  läge."  — 
Hanc  .  .  .    „dafs    diese   Drehung   der   Erde   aber   unmöglich   ist,   beweisen 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  537 

wir  folgendermafsen."  —  Ob  die  Annahme  der  jährlichen  Erdbewegung  in 
Verbindung  mit  der  Annahme,  dafs  keine  Achsendrehung  stattfinde,  die 
von  Scheiner  oder  die  von  Galilei  angegebenen  Folgen  haben  würde,  läuft 
auf  dieselbe  Streitfrage  hinaus,  die  schon  p.  69  Anm.  berührt  worden  ist. 
Auffallend  ist  nur,  dafs  G.  dort  den  entgegengesetzten  Sprachgebrauch  be- 
folgt wie  hier. 

106)  p.  247.  Bö  voll  werden  in  Venedig  unsere  Weinbergsschnecken 
(Hclix  pomatia  L.)  genannt.  —  Seit  dem  Altertume  wurde  dem  wachsen- 
den Monde  ein  gedeihlicher  Einflufs  auf  Schnecken,  Muscheln,  Krebse  u.  dgl. 
zugeschrieben.  Vielleicht  spottet  auch  an  dieser  Stelle  Galilei  über  die 
Magia  naturalis  von  Jo.  Bapt.  Porta,  wo  die  nämliche  abergläubische  An- 
sicht vorkommt.     (Magia  naturalis,  Ausg.  von  1561.  fol.  19^) 

107)  p.  247.  Bis  positis  .  .  .  {Disq.  math.  p.  29).  „Dies  vorausge- 
setzt, mufs,  wenn  sich  die  Erde  im  Kreise  dreht,  alles,  was  sich  in  der 
Luft  senkrecht  über  derselben  befindet,  in  durchaus  proportionaler  Bewe- 
gung mit  ihr  sich  bewegen."  .  .  .  Quodsi:  „Wenn  wir  daher  diese  [über 
verschiedenen  Punkten  der  Erdoberfläche  befindlichen]  Kugeln  als  gleicli 
an  Gewicht,  Gröfse  und  Schwere  annehmen,  sie  in  die  Mondsphäre  ver- 
setzen und  sie  dem  freien  Falle  überlassen,  wenn  wir  ferner  die  Bewegung 
nach  unten  gleichsetzen  der  Bewegung  im  Kreise  (was  sich  jedoch  nicht 
so  verhält,  da  die  Kugel  A  u.  s.  w.),  so  werden  wenigstens  sechs  Tage 
verfliefsen:  in  dieser  Zeit  wird  die  Kugel  A  sechsmal  um  die  Erde  und 
mit  der  Erde  in  freier  Luft  kreisen  u.  s.  w." 

108)  p.  247.  Statt  der  Zahlen  12  und  36  stehen  in  der  editio  princeps 
und  in  allen  anderen  Ausgaben  die  Zahlen  72  und  200.  Dieser  Fehler 
ist  von  Galilei  selbst  bemerkt  worden  und  da  es  ihm  sehr  unangenehm 
war,  gerade  bei  dieser  Gelegenheit  sich  einen  lapsus  zu  schulden  kommen 
zu  lassen,  so  bat  er  seinen  Schüler  und  Freund  Castelli  in  einem  Briefe 
vom  17.  Mai  1632  (Op.  VII,  If.),  in  die  Druckfehlerverzeichnisse  der  für 
das  römische  Jesuitenkolleg  bestimmten  Exemplare  bedruckte  Papierstreifen 
einzukleben,  worauf  der  Fehler  verbessert  war. 

109)  p.  247.  Ironische  Anspielung  auf  die  p.  215  gemachten  Bemer- 
kungen Simplicios.  —  quandoque  honus  dormitat  Honierus.  Bisweilen  schläft 
auch  der  gute  Homer.     (Horat.  Ars  poet.  359.) 

110)  p.  248.  Hier  findet  sich  im  Princip  schon  die  Theorie  der  öst- 
lichen Abweichung  beim  Fall,  auf  welche  Newton  1679  von  neuem  die 
Aufmerksamkeit  der  Royal  Society  in  London  lenkte.  Man  machte  darauf- 
hin auch  Versuche,  die  indessen  ergebnislos  blieben;  später  wurden  die- 
selben von  Guglielmini  (1791),  Benzenberg  (1802  und  1804)  und  Reich 
(1832)  mit  besserem  Erfolg  wiederholt. 

111)  p.  250.  Das  bewegende  Princip  bestand  nach  der  herrschenden 
Naturphilosophie  in  vielen  Fällen,  wie  z.  B.  bei  der  Bewegung  der  Himmels- 
sphären, in  einer  geistigen  Einwirkung.  Diese  wurde  entweder  als  ausgehend 
von  dem  bewegten  Körper  selbst  betrachtet  {inteMgcntia  informans),  wie  im 
Falle  der  beseelten  Wesen  und  nach  einigen  auch  im  Falle  der  Himmels- 
sphären; oder  man  nahm  eine  geistige  Einwirkung  von  aufsen  durch  einen 
Engel  an  (intelligent ia  assistcns),  wie  es  die  gewöhnliche  Annahme  bei  den 
Himmelssphären  war.  (Vgl.  z.  B.  den  Biscorso  contro  il  moto  della  Terra 
von  Lodovico  delle  Colombe  Op.  II,  369 f.) 


538  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

112)  p.  250.  Die  hier  und  anderwärts  (vgl.  p.  287)  geführte  Polemik 
gegen  die  Unterscheidung  natürlicher  und  gewaltsamer  Bewegungen  ist 
eine  wahrhaft  befreiende  That;  gerade  diese  aristotelische  Distinktion  war 
eine  der  drückendsten  Fesseln,  die  die  Entwicklung  einer  gesunden  Mecha- 
nik im  höchsten  Mafse  hemmte.  Freilich  hat  Galilei  selbst  sich  keines- 
wegs überall,  selbst  in  späterer  Zeit  nicht  immer,  von  dem  Einflufs  dieser 
überlieferten  Vorstellungen  ganz  losmachen  können,  wie  aus  vielen  Stellen 
des  Dialogs  hervorgeht. 

113)  p.  250.  Dafs  sie  auch  geradezu  identisch  sein  können 
(che  (■'■'  potessero  anco  essere  il  mcdisimo  in  numero).  Der  Sinn  dieses  Aus- 
drucks ist  nicht  recht  klar.  Es  scheint  gemeint  zu  sein:  die  beiden  Prin- 
cipien  können  auch  bei  einer  einzigen  Bewegung  zur  Geltung  kommen. 

114)  p.  252.  si  ah  externa.  (Disq.  maili.  p.  31.)  „Wenn  [diese  Be- 
wegung] von  einem  äufseren  [Principe  herrührt],  ist  es  etwa  Gott,  der  sie 
durch  ein  beständiges  Wunder  hervorruft?  oder  ein  Engel,  oder  die  Luft? 
Diese  wird  allerdings   von   vielen  als  Ursache    angegeben,  aber  fälschlich." 

115)  p.  252.  Hier  übersetzt  Galilei,  statt  wie  sonst  den  lateinischen 
Text  zu  eitleren.  Dieser  lautet:  Quid  circumagit  aerem,  natura  an  violcntia? 
Primum  est  contra  veritatem  et  experientiam  et  Coi^ernicum  l.  I.  c.  8. 

116)  p.  253.  Die  Stelle  bei  Kopernikus  findet  sich  De  Bev.  orb.  cael. 
l.  I.  c.  8.  Quid  ergo  diceremiis  de  nubibus,  caeterisque  quomodolibet  in  aere 
pendentibus  vel  subsidentibus,  ac  rursum  tendetitibus  in  subJimia?  nisi  quod 
non  solum  terra  cum  aqueo  elemento  sibi  coniuncto  sie  moveatur,  sed  non  modica 
quoque  pars  aeris,  et  quaecumque  eodem  modo  terrae  cognationem  habet?  Sive 
propinquus  aer  terrea  aqueave  materia  permixttis  eandem  sequatur  naturam 
quam  terra,  sive  quod  acquisititius  sit  motus  aeris,  quem  a  terra  per  contigui- 
tatem  perpetua  revolutione  ae  absque  rcsist-entia  participat.  Vicissim  non 
dispari  admiratione  supremam  aeris  regionem  motum  sequi  caelestem  aiunt, 
quod  repentina  illa  sydera,  cometae  inquam  et  jpogoniae  vocata  a  Graecis, 
indicant,  quarum  generationi  ipsum  deputant  locum,  quae  instar  aliorum  quoque 
syderum  oriuntur  et  oceidunt.  Nos  ob  magnam  a  terra  distantiam  eam  aeris 
partem  ah  illo  terrestri  motu  destitutam  dicere  xwssumus.  Proinde  tranquillus 
apparcbit  aer^  qui  terrae  proximus,  et  in  ipso  suspensa,  nisi  vcnto,  vel  alio 
quovis  impetu  idtro  citroque,  ut  contingif,  agitentur. 

117)  p.  253.  oboriuntnr  difficiJUmae  ....  [Bisq.  math.  p.  32.)  „[In 
diesem  Falle]  erheben  sich  äufserst  schwierige,  ja  völlig  unlösbai'e  Fragen 
zweiter  Art:  Jenes  innere  Princip  ist  entweder  ein  Accidens  oder  eine 
Substanz.  Im  ersteren  Falle,  was  für  eines?  Denn  eine  im  Kreise  herum 
führende  Qualität  scheint  bis  jetzt  nicht  bekannt  zu  sein." 

118)  p.  253.  Quae  etiamsi  .  .  .  {Disq.  math.  p.  32.)  „Wenn  es  aber 
auch  eine  solche  gäbe,  wie  könnte  sie  sich  in  so  entgegengesetzten  Dingen 
finden?  Im  Feuer,  wie  im  Wasser,  in  der  Luft,  wie  in  der  Erde,  in 
lebenden  Wesen,  wie  in  leblosen? 

119)  p.  254.  Si  sceundum  .  .  .  (Ib.  p.  32.)  „Im  zweiten  Falle  [wenn 
man  nämlich  jenes  Princip  für  eine  Substanz  erklären  wollte]  ist  es  ent- 
weder eine  Materie  oder  eine  Form  oder  eine  Verbindung.  Dem  stehen 
aber  wiederum  die  vielen  verschiedenen  Wesenseigentümlichkeiten  der  Dinge 
entgegen,  wie  z.  B.  von  Vögeln,  Schnecken,  Steinen,  Pfeilen,  Schneeflocken, 
Rauchwolken,   Schlössen,    Fischen  u.  s.  w.,    die  sich  trotz   ihrer   specifischen 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  539 

und  gen  arischen  Unterschiede  sämtlich  von  Natur  aus  kreisförmig  bewegen 
würden,  während  sie  doch  so  verschiedene  Naturen  besitzen."  —  Der  Zusatz 
■yicmpc  sl  dicas  iale  pvincipium  esse  siibstantiam  rührt  von  Galilei  her. 

120)  p.  255.  Si  terra  sfaret  .  .  .  (Bisq.  maih.  p.  32.)  „Wenn  die 
Erde  durch  den  Willen  Gottes  stehen  bliebe,  würden  dann  die  übrigen 
Dinge  ihre  Rotation  fortsetzen  oder  nicht?  In  letzterem  Falle  ist  es 
falsch,  dafs  sie  sich  von  Natur  drehen,  in  ersterem  tauchen  die  früheren 
Fragen  wieder  auf.  Es  wäre  wahrlich  wunderbar,  dafs  die  Möve  nicht 
zu  dem  Fische,  die  Lerche  nicht  zu  ihrem  Neste,  der  Kabe  nicht  zu  der 
Schnecke  und  dem  Felsen  gelangen  könnte,  wenn  er  auch  wollte."  —  Im 
Original  finden  sich  komischerweise  nach  den  einzelnen  hier  aufgezählten 
Tier-  und  Sachnamen  Buchstaben,  die  auf  die  vorhin  erwähnte  Figur  Be- 
zug nehmen:  Die  Möve  M  zu  dem  Fische  N  u.  s.  w. 

121)  p.  256.  Insupcr  qui  fit  .  .  .  (Bisq.  math.  p.  32.)  „Überdies  wie 
kommt  es,  dafs  diese  so  verschiedenartigen  Dinge  sich  nur  von  West  nach 
Ost  i-arallel  dem  Äquator  bewegen?  Dafs  sie  sich  immerfort  bewegen, 
niemals  ruhen?" 

122)  p.  256.  Quare,  quo  sunt  .  .  .  ,, Warum  um  so  schneller,  in  je 
yrofserer  Höhe  sie  sich  befinden,  um  so  langsamer,  in  je  geringerer?" 

123)  p.  256.  Quare,  quae  .  .  .  {Bisq.  math.  p.  33.)  „Warum  sollten 
die  dem  Äquator  näheren  in  einem  gröfseren  Kreise  herumgeführt  werden, 
die  entfernteren  in  einem  kleineren?" 

124)  p.  256.  Quare  pila  eadem  {Bisq.  math.  p.  33.)  „Warum  sollte 
die  nämliche  Kugel  unter  dem  Äquator  sich  als  Ganzes  um  den  Mittel- 
punkt der  Erde  auf  ungeheuerer  Bahn  dahinwälzen,  am  Pole  hingegen 
sich  um  ihren  eigenen  Mittelpunkt  ohne  Kreisbahn  in  äufserster  Langsam- 
keit drehen?" 

125)  p.  256.  Quare  eadem  res  .  .  {Bisq.  math.  p.  33.)  „Warum  soll 
ein  und  dieselbe  Sache,  z.  B.  eine  bleierne  Kugel,  wenn  sie  einmal  um 
die  Erde  auf  einem  gröfsten  Kreise  herumgegangen  ist,  diese  nicht  überall 
auf  einem  gröfsten  Kreise  umwandern,  sondern  vom  Äquator  weggebracht, 
sich  in  kleineren  Kreisen  bewegen?" 

126)  p.  256.  Gemeint  ist  die  Verschiebung  der  Fixsterne  infolge  der 
Präcession.  Diese  ist  übrigens  nicht  etwa  von  Ptolemäus,  sondern  von 
Hipparch  entdeckt. 

127)  p.  257.  Si  latio  circularis.  {Bisq.  math.  p.  33.)  „Wenn  die 
Kreisbewegung  den  schweren  und  leichten  Körpern  von  Natur  zukommt, 
wie  steht  es  dann  mit  der  geradlinigen  Bewegung?  Denn  wenn  diese 
natürlich  ist,  wieso  kann  dann  gleichzeitig  die  Kieisbewegu,ng  eine  natür- 
liche sein,  während  sie  doch  specifisch  von  der  geradlinigen  verschieden 
ist?  Wenn  sie  aber  gewaltsam  ist,  wie  kommt  es,  dafs  eine  in  die  Höhe 
fliegende  Rakete  ihr  funkenstiebendes  Ende  aufwärts  von  der  p]rde  weg- 
hebt und  es  nicht  im  Kreise  dreht?" 

128)  p.  257.  Quare  centrum  .  .  .  {Bisq.  math.  p.  33.)  „Warum  be- 
schreibt der  Mittelpunkt  der  fallenden  Kugel  unter  dem  Äquator  eine 
Spirale  in  dessen  Ebene,  unter  anderen  Breitenkreisen  eine  Spirale  auf 
einer  Kegelfläche,  während  sie  am  Pole  der  Achse  entlang  fällt,  eine  cylin- 
drische  Spirale  beschreibend?" 

129)  p.  258.     Si  tota  terra  .  .  .    {Bisq.  math.  p.  33.)    „Wenn  die  ganze 


540  Anmerkungen  zum  zweiten  Tag. 

p]rde  samt  dem  Wasser  vernichtet  würde,  so  würde  aus  den  Wolken  der 
Hagel  oder  Regen  nicht  mehr  niederfallen,  sondern  blofs  dem  natürlichen 
Trieb  folgend,  sich  kreisförmig  drehen.  Auch  kein  Feuer,  nichts  Feuriges 
würde  mehr  in  die  Höhe  steigen,  da  sich  nach  der  nicht  unwahrscheinlichen 
Ansicht  von  jenen  kein  Feuer  oben  befindet.'' 

130)  p.  258.  Quibiis  tarnen  .  .  .  {Disq.  math.  p.  33.)  „Wogegen  jedoch 
Erfahrung  und  Vernunft  sprechen.'' 

131)  p.  259.  Lajjis  in  centro  .  .  .  [Disq.  math.  p.  34.)  „Ein  in  den 
Mittelpunkt  versetzter  Stein  wird  entweder  nach  irgend  einem  Punkte  der 
Erde  in  die  Höhe  steigen  oder  nicht.  Im  letzteren  Falle  ist  es  also  falsch, 
dafs  die  Teile  blofs  wegen  ihrer  Trennung  vom  Ganzen  sich  zu  diesem 
hinbewegen.  Der  ersten  Annahme  widersetzt  sich  alle  Vernunft  und  Er- 
fahrung, die  schweren  KöiiDer  würden  dann  im  Mittelpunkt  ihrer  Schwere 
keine  Ruhe  finden.  Desgleichen:  wenn  ein  (an  der  Wand  der  Höhlung) 
aufgehängter  Stein,  welcher  später  losgelöst  wird,  nach  dem  Mittelpunkte 
hinfällt,  so  trennt  er  sich  vom  Ganzen  in  Widerspruch  mit  Kopernikus; 
wenn  er  hängen  bleibt,  so  schlägt  das  aller  Erfahrung  ins  Gesicht,  da  wir 
ganze  Gewölbe  zusammenbrechen  sehen."  —  Der  hier  von  Scheiner  er- 
hobene Einwand  gegen  die  kopernikanische  Auffassung  der  Schwere  ist 
nicht  unbegründet.  Die  Entgegnung,  welche  dem  Salviati  in  den  Mund  ge- 
legt wird,  und  in  welcher  sich  eine  Ahnung  der  allgemeinen  Gravitation 
kundgiebt,  ist  zwar  sachlich  richtig,  kann  aber  nicht  als  eine  genügende 
Verteidigung  der  kopernikanischen  Ansicht  gelten,  die  eben  eine  solche 
nicht  zuläfst. 

132)  p.  260.  Hier  ist  der  Ausdruck  Moment  (momcnto)  im  strengen 
Sinne  zu  nehmen,  er  bedeutat  also  das  Produkt  aus  der  Masse  in  die 
Entfernung  von  dem  fraglichen  Punkte.  An  anderen  Stellen  ist  der  Ter- 
minus in  vagerer  Bedeutung  aufzufassen. 

133)  p.  260.  Der  Name  des  Kopernikaners  wird  auch  in  den  Disq. 
mafJi.  nicht  genannt;  wer  daher  der  „praccqnms  quiclam  Copernici  defenso/' 
{Disq.  mafJi.  p.  34)  gewesen  ist,  wird  um  so  schwerer  zu  ermitteln  sein, 
als  die  erwähnte  Ansicht  vielleicht  nur  mündlich  ausgesprochen  wurde.  — 
Indessen  ist  die  Rüge,  die  Scheiner  diesem  Kopemikaner  erteilt,  völlig  be- 
rechtigt, wiewohl  sie  natürlich  nichts  gegen  Kopernikus  und  das  koperni- 
kanische System  beweist;  höchst  merkwürdig  ist  es,  dafs  Galilei  hier  ent- 
weder den  Sinn  der  Worte  bei  Scheiner  nicht  richtig  verstanden  hat  oder 
sich  in  der  Sache  selbst  ein  Versehen  zu  schulden  kommen  läfst.  —  Galilei 
scheint  die  Sache  so  zu  verstehen:  der  ungenannte  Autor  hat  einerseits 
die  Erdbewegung  mit  der  eines  rollenden  Rades  verglichen,  andererseits 
die  von  Kopernikus  angegebenen  Dimensionen  der  Erde  und  der  Ekliptik 
angenommen;  will  man  nun  jenen  Vergleich  unter  allen  Umständen  bei- 
behalten, so  können  diese  Daten  unmöglich  richtig  sein,  denn  nach  ihnen 
wüi-de  die  Ekliptik  zu  grofs  oder  die  Erde  zu  klein  sein  und  nicht  um- 
gekehrt, wie  Scheiner  (nach  Galileis  irriger  Auffassung)  sagt.  —  Der 
Sinn  bei  Scheiner  ist  aber  offenbar  ein  anderer;  er  betrachtet  als  die  in 
erster  Linie  beizubehaltende  Annahme  die  über  die  Dimensionen  der  Erde 
und  der  Ekliptik  und  er  findet  mit  Recht  die  erstere  Annahme  von  der 
radähnlichen  Bewegung  der  Erde  damit  unvereinbar,  weil  diese  dann 
die   Ekliptik    zu    klein,   die    Erde    aber    zu    grofs    mache.   —     Später    hat 


Anmerkungen  zum  zweiten  Tag.  541 

sich  Galilei  selbst  von  seinem  hier  begangenen  Irrtum  überzeugt  und  in 
das  Exemplar  des  Dialogs,  das  im  Seminar  von  Padua  noch  aufbewahrt 
wird,  eigenhändig  die  Bemerkung  an  den  Rand  geschrieben,  welche  im 
Texte  als  Fufsnote  übersetzt  worden  ist,  und  mit  welcher  er  seinen  Fehler 
eingesteht. 

134)  p,  261.  Die  von  Galilei  angedeutete  Möglichkeit  liegt  dann  vor, 
wenn  der  eine  Kreis  auf  dem  anderen  nicht  blofs  rollt,  sondern  daneben 
auch  gleitet.  Mit  den  Eigenschaften  der  Cykloiden  hatte  sich  Galilei  zeit- 
weilig eifrig  beschäftigt  (vgl.  Op.  Suppl.  364  ff.),  die  hier  berührte  specielle 
Frage  hat  er  zuerst  in  einem  verloren  gegangenen  Briefe  an  Fra  Fulgenzio 
Micanzio  aus  dem  Jahre  1635  behandelt,  wie  aus  der  Antwort  des 
letzteren  hervorgeht.  Ausführlich  behandelt  wird  die  Sache,  wenn  auch 
nur  der  Fall  des  Rollens  und  Gleitens  eines  Kreises  auf  einer  Geraden, 
in  den  Discorsi  (Op.  XllI,  25  f.);  dort  stellt  Galilei  allerdings  fälschlich  in 
Abrede,  dafs  die  von  ihm  betrachtete  Bewegung  gleichzeitig  ein  Gleiten 
involviere. 

135)  p.  261  des  Kopernikaners.  Im  Original  steht  del  Copernico^ 
welches  nur  ein  Druckfehler  für  del  Copernicano  sein  kann,  veranlafst 
wahrscheinlich  durch  das  folgende  Copernico. 

136)  p.  261.  Es  ist  Chiaramonti  gemeint;  über  ihn  vgl.  zu  p.  55 
und  232. 

137)  p.  262.  Et  primo (Clar.  De  fr  ib.  nov.  sfell.  p.  472.)  „Erst- 
lich wird,  wenn  man  die  Meinung  des  Kopernikus  gelten  läfst,  das  Krite- 
rium der  Naturphilosophie,  wo  nicht  gänzlich  aufgehoben,  so  doch  stark 
erschüttert." 

138)  p.  265.  Die  an  und  für  sich  sehr  schöne  Betrachtung  über  die 
Schwankungen  des  Fernrohrs  auf  der  Mastspitze  steht  nur  in  sehr  loser 
Verbindung  mit  dem  behandelten  Gegenstande.  Galilei  hat  sie  aber  ein- 
geflochten, um  für  seine  von  ihm  ungemein  hoch  geschätzte  Methode  zur 
Bestimmung  der  geographischen  Länge  mittels  der  Jupitersmonde  eine 
Lanze  zu  brechen.  Er  hatte  diese  Methode  an  Spanien  verkaufen  wollen, 
aber  nach  langen  Verhandlungen  zerschlug  sich  das  Projekt,  ebenso  wie 
ähnliche  Unterhandlungen  mit  den  Niederlanden  resultatlos  verliefen.  Eine 
der  Einwendungen,  die  man  gegen  seine  Methode  machte,  war  eben  der 
Hinweis  auf  das  Schwanken  des  Fernrohrs.  Übrigens  hatte  Galilei,  um 
den  Einflufs  der  Schwankungen  des  Schiffes  gänzlich  zu  eliminieren,  einen 
besonderen  Apparat,  eelatone  oder  testier a,  erfunden.  Es  war  dies  eine  Art 
Pickelhaube,  die  fest  auf  dem  Kopfe  safs  und  mit  einem  Fernrohr  für  ein 
Auge  versehen  war.     (Vgl.  Op.  VI,  267.) 

139)  p.  266.  Burano,  bekannter,  in  der  Nähe  Venedigs  auf  einer 
Laguneninsel  gelegener,  von  Schiflfsbauern,  Seilern,  Fischern  bewohnter  Ort. 
Die  Angabe,  dafs  dieser  Turm  von  Sagredos  Palast  sechs  Miglien  entfernt 
ist,  beweist,  dafs  eine  Miglie  ungefähr  l^/^  Kilometer  beträgt. 

140)  p.  268.     cum  Terra (Clar.  De  trib.  nov.  sfell.  p.  472  f.) 

„Mit  der  Erde  bewegt  sich  die  umgebende  Atmosphäre;  ihre  Bewegung 
jedoch,  wiewohl  schneller  und  ungestümer  als  der  schnellste  Wind,  würde 
von  uns  nicht  wahrgenommen,  sondern  für  die  vollkoinme^iste  Windstille 
gehalten  werden,  wenn  nicht  etwa  noch  eine  andere  Bewegung  hinzutritt. 
Was  heilst  aber  Sinnestäuschung,  wenn  das  keine  Sinnestäuschung  istV" 


542  Amnerkiingen  zum  zweiten  Tag. 

141)  p.  269.  Praefcrca  .  .  .  (Ib.  p.  473).  „Überdies  drehen  aucli  wir 
uns  infolge  des  Kreisens  der  Erde  u.  s.  w." 

142)  p.  270.     Ex  hac (Ib.  p.  473).  „Auf  Grund  dieser  Ansicht 

müssen  wir  unseren  Sinnen  als  ganz  und  gar  trügerischen  und  für  das 
Sinnliche  stumpfen  Erkenntnismitteln  mifstrauen,  selbst  wenn  sich  dieses 
Sinnliche  in  nächster  Nähe  befindet.  Wie  können  wir  also  Wahrheit  er- 
warten, die  ihren  Ursprung  einer  so  trügerischen  Fähigkeit  verdankt?" 

143)  p.  274.  Chiaramonti  dachte  sich  wohl  unter  einer  solchen  Ge- 
lenkverbindung etwas  Ähnliches,  wie  die  Ineinanderschachtelung  der  Him- 
melssphären bei  Aristoteles  oder  wie  die  Nachahmung  derselben  an  dem 
damals  üblichen  Apparate,  welchen  man  sphaera  materialis  nannte. 

144)  p.  275.  Finr/amus  modo  ....  (Ib.  p.  476).  Die  Übersetzung  ist 
im  Texte  selbst  gegeben. 

145)  p.  277.  Diese  Elemente  der  sj)härischen  Astronomie  (i  primi 
elementi  ädJa  sfrraj  bildeten  zu  Galileis  Zeit  eines  der  wichtigsten,  auf 
allen  Universitäten  gelesenen  Kollegien  für  angehende  Mathematiker.  Der 
Vortrag  schlofs  sich  gewöhnlich  an  das  unzähligemal  kommentierte  Buch 
des  Sacrobosco  Sphacra  mimdi  an.  Auch  Galilei  hatte  in  Padua  „Sphaera" 
zu  lesen  (vgl.  Eavaro,  Galileo  Galilei  e  lo  Studio  di  Padova.  Firenze  1883. 
I,  142)  und  verfafste  ein  zu  seinen  Lebzeiten  freilich  noch  nicht  ge- 
drucktes, aber  nach  seinem  Tode  von  Urbano  Daviso  veröffentlichtes 
Schriftchen  Traitato  dcllei  Sfera.  welches  offenbar  für  den  Schülerkreis  Galileis 
bestimmt  war  und  in  welchem  der  Verfasser  seinen  Stoff  vom  Standpunkte 
des  ptolemäischen  Systems  vorträgt  (vgl.  auch  zu  p.  448). 

146)  p.  278.  Galilei  hatte  im  Juli  1610  die  auffallende  Gestalt  des 
Saturn  entdeckt  und  war  der  Meinung,  diese  rühre  daher,  dafs  der 
Hauptplanet  von  zwei  Nachbarsternen  begleitet  sei.  Bekanntlich  ver- 
öffentlichte er  diese  Entdeckung  in  Form  eines  Anagramms,  dessen  Ent- 
zifferung Kepler  vergeblich  versuchte;  die  Lösung  war:  Altissimum  plane- 
tam  iergnninum  ohservavi.  Die  Ringgestalt  des  Saturn  hat  Galilei  trotz 
der  Versicherungen  Libris  und  Alberis  noch  nicht  erkannt,  sie  wurde  erst 
von  Huyghens  aufgefunden  (^IJe  Sahirni  luna  ohservafio  nova'  1656; 
Sysiema  Saturniuni.  Hagae  1669).  Die  hier  erwähnte  Rotation  des  Sa- 
turn beruht  demnach  auf  unrichtigen  Beobachtungen,  Galilei  war  noch 
nicht  im  Besitz  der  Mittel,  diese  zu  konstatieren;  die  Rotationsdauer  be- 
trägt bei  diesem  Planeten  10  bis  11  Stunden,  gewils  ist  sie  viel  geringer, 
als  Galilei  vermutet  haben  mochte.  —  Übrigens  legt  G.  wohl  mit  Absicht 
diese  Bemerkung  dem  Sagredo  in  den  Mund,  um  nicht  die  volle  Verant- 
wortung für  deren  Richtigkeit  zu  übernehmen.  —  Über  die  Bewegung 
der  Sonnenflecken  und  der  Sonne  selbst  vgl.  p.  375  ff.  —  Mediceische 
Gestirne  =  Jui^itersmonde.     Vgl.  zu  p.  124. 

147)  p.  278.  Über  Galileis  Beschäftigung  mit  dem  Magnetismus  vgl. 
zu  p.  432. 

148)  p.  279.  Die  folgende  Betrachtung  Sagredos  ist  etwas  sophistisch, 
ein  besonderes  die  Ruhe  bedingendes  Princip  ist  vom  Standpunkt  der 
Peripatetiker  nicht  erforderlich.  Der  ganzen  Auseinandersetzung  mifst  G. 
offenbar  einen  sehr  hohen  wissenschaftlichen  Wert  nicht  bei,  wie  unter 
anderem  auch  wiederum  daraus  hervorgeht,  dafs  er  sie  dem  Sagredo  in 
den  Mund  legt. 


AnmerkiniCTen  zum  zweiten  Ta».  543 

149)  p.  279.  Diese  Bemerkung  ist  für  den  erkenntnistheoretischen 
Dogmatismus,  dem  Galilei  huldigt,  charakteristisch;  ein  Kantianer  würde 
dem,  was  Sagredo  hier  äufsert,  und  was  der  natürliche  Menschenverstand 
ohne  weiteres  billigt,  nicht  beistimmen  dürfen.  In  ähnlicher  Weise  wie 
Chiaramonti  geht  —  mufafis  mutandis  —  z.  B.  auch  Helmholtz  in  seiner 
Schrift:  „Die  Erhaltung  der  Kraft"  davon  aus,  dafs  man  deswegen  zwischen 
materiellen  Punkten  wirkende  Centralkräfte  supponieren  müsse,  weil  sonst 
eine  Naturerkenntnis  unmöglich  sei,  eine  Ansicht,  die  er  freilich  später 
modifizierte. 

150)  p.  284.  Vgl.  Cop.  de.  rev.  lib.  I.  cap.  10.  Quis  enim  in  Iwc 
pulcherrlmo  feniplo  lampadcm  haue  in  alio  vel  meliori  loco  poncret,  quam 
unde  tohini  simtU  2wssif  ilhiminare? 

151)  p.  285.  Difftcilius  est  ....  „Es  ist  schwieriger,  sich  ein  im 
Verhältnis  zu  seinem  Subjekte  übermäfsiges  Accidens  zu  denken,  als  ein 
Subjekt  ohne  Accidens  wachsen  zu  lassen.  Kopernikus  also  hat  die 
gröfsere  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  wenn  er  die  unbewegte  Sphäre  der 
Fixsterne  vergröfsert,  als  Ptolemäus,  der  die  Bewegung  der  Fixsterne  zu 
ungeheuerer  Geschwindigkeit  steigei*t."  Das  Citat  scheint  der  Schrift 
Keplers  De  Stella  nova  in  pede  Serpentarü  (Pragae  IGOG)  entnommen  zu. 
sein,  wo  dem  Sinne  nach  solche  Äufserungen  sich  finden,  wenn  auch  mit 
wesentlich  anderen  Worten,  so  z.  B.  Vol.  II,  p.  674  der  Ausgabe  von 
Frisch.  Interim  perpende  philosoplie,  multo  magis  lue  [apud  PtolemaeumJ 
desiderari  proportionem  aeeidentis  ad  suum  subjectum,  quam  jure  quis  apud 
Copernieum  desiderare  polest  proportionem  partis  mundl  ad  xmrtem.  Kee 
enim  aeeidentia  sunt  sine  suhjeeto  idoneo.  Credihilius,  magnum  esse  sub- 
jectum sine  motu,  quam  magnum  motum  in  parvo  suhjeeto.  Zwischen  Kepler 
und  Chiaramonti  war  eine  heifse  litterarische  Fehde  entbrannt,  seitdem 
letzterer  gegen  den  von  Kepler  so  hochverehrten  Tycho  seinen  Antitycho 
geschrieben.  Kepler  nahm  sich  des  verstorbenen  Lehrers  und  Freundes  in 
seinem  Tychonis  Brahei  Bani  Hyperaspistcs  adversus  Scipionis  Claramontii 
Caesenatis  Bali  Boctoris  et  Equitis  Anti-Tyclwnem.  Francofurti  162b  tapfer 
an.  Darauf  erwiderte  Chiaramonti  in  seiner  Schrift  Apologia  Sc.  Clara- 
montii pro  Antifychone  suo  adversus  Hypcraspistem  lo.  Kepler i.  Venet.1620; 
aber  auch  in  seinem  Buche  Be  tribus  stellis  novis  setzte  er,  wie  wir  sehen, 
seine  erbitterte  Polemik  mit  den  schlechtesten  Wafi^en  fort. 

152)  p.  290.  Aristarch  aus  Samos,  einer  der  bedeutendsten  Astro- 
nomen aller  Zeiten,  lebte  um  270  v.  Chr.  Er  lehrte  (S.  Plut.  Bc  facie 
in  orhe  lunae  c.  VI,  3)  in  der  That  bereits  die  doppelte  Erdbewegung, 
ähnlich  wie  Kopernikus,  und  entfesselte  dadurch  einen  ähnlichen  Sturm 
der  orthodoxen  Fortschrittsfeinde  gegen  sich  wie  Galilei;  von  allen  so- 
genannten Vorläufern  des  Kopernikus  ist  er  der  einzige,  dessen  Ansprüche 
ernstlich  in  Betracht  kommen,  während  die  Lehre  der  Pythagoreer  uach 
Inhalt  und  Begründung  der  Priorität  des  Kopernikus  keinen  Eintrag  thun. 


544  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 


Dritter  Tag. 

1)  p.  291.  Die  ersten  Wecliselreden  zwischen  Sagredo  und  Salviati 
finden  in  Abwesenheit  Simplicios  statt.  Die  scenische  Einkleidung  ist  hier 
besonders  hübsch  und  verrät  das  dramatische  Talent  Galileis,  so  nament- 
lich die  Wendung,  mit  welcher  der  ankeuchende  Simplicio  nachher  begrüfst 
wird.  Galilei  versuchte  sich  thatsächlich  auf  dem  Gebiete  der  Komödie; 
wir  besitzen  von  ihm  noch  einen  ausführlichen  Lustspielentwurf  (Op.  XV, 
305  —  320). 

2)  p.  291.  Darin  steckt  eine  arge  Malice  gegen  Scheiner  und  Chiara- 
monti,  denn  auch  deren  Namen  werden  wenigstens  im  Texte  des  Dialogs 
nirgends  genannt  (wohl  aber  in  den  Postillen).  Die  folgende  Charakteristik 
mufste  diese  aufs  höchste  reizen,  wiewohl  sie  sich  vielleicht  nicht  in  erster 
Linie  auf  sie  bezieht. 

3)  p.  293.  In  puncto  regressus  mecliat  quies:  An  der  Umkehrstelle 
mufs  eine  Ruhepause  eintreten;  vgl.  Arist.  Phys.  Lib.  VIII,  7.  261,  b,  2, 
wo  es  heifst:  0av£Q6v  ovv  ort  rjQefii^ast  iv  ra  ivavxia  xo  (lezaßdkXov.  — 
Die  hier  angeregte  Frage  wird  wider  Erwarten  nicht  weiter  verfolgt;  sie 
gab  Galilei  schon  in  der  Zeit  seiner  pisaner  Professur  zu  denken  (vgl.  Op. 
XI,  35  f.)  und  beschäftigte  ihn  noch  in  späten  Jahren  (vgl.  den  Brief  an 
Fulgenzio  Micanzio  vom  30.  Jan.   1637,  Op.  VII,  148). 

4)  p.  294.  Galilei  stand  früher  mit  Chiaramonti  auf  freundschaftlichem 
Fufse,  wie  z.  B.  aus  der  Stelle  im  Saggiatore  hervorgeht  (Op.  IV,  171), 
wo  auf  Ch.  als  auf  einen  tüchtigen  Gegner  Tychos  aufmerksam  gemacht 
wird.     Vgl.  Einl.  p.  LVIII. 

5)  p.  294.  Damit  ist  in  erster  Linie  Kepler  gemeint,  welcher  in 
seiner  Schrift  De  Stella  Nova  Serpenfarü  (Ed.  Frisch.  Vol.  II,  p.  670  f.) 
gegen  die  Arroganz  und  Ignoranz  des  Antonio  Lorenzini  da  Montepulciano, 
des  Verfassers  eines  Discorso  intorno  alla  nuova  Stella  (Padova  1605)  und 
einer  Schrift  De  Numero,  Ordine  et  Motu  Coelorum,  adversus  recentiores  (Pa- 
risiis 1606),  zu  Felde  zieht  und  die  italienischen  Mathematiker  auffordert, 
solchen  litterarischen  Unfug  nicht  ungestraft  zu  lassen:  Quid  ad  Iiaec  vos 
Italici  mathematici:  Clavi,  übalde,  Magine,  G-alilaee,  Gethalde,  Ruhee,  ceteri 
plurimi?  quid  Säbaude  Crestine?  quid  Galli  ceteri,  in  quorum  patria  excusus 
est  alius  Bali  huius  lihellus,  idem  agens  Latino  idiomate?  Cur  ad  hoc  tan- 
tum  dedecus  tanta  cum  patientia  connivetis?  An  verum  ego  suspicor,  nugas 
hasce  indignas  putatis  quas  publice  refellatis?  Es  war  übrigens  gegen  die 
lorenzinische  Schrift  allerdings  eine  Erwiderung  erschienen,  nämlich  ein  im 
paduanischen  Bauerndialekt  geschriebener  Dialog;  es  ist  sehr  wahrschein- 
lich, dafs  dieser  von  Galilei  selbst  herrührt  oder  doch  auf  dessen  Inspira- 
tion zurückzuführen  ist.  Vgl.  Galileo  Galilei  cd  il  „Dialogo  de  Cecco  di 
Ronchitti  da  Bruzene  in  perpuosito  de  la  Stella  nuova."  Studi  e  ricerche  di 
Antonio  Favaro.  Venezia  1881,  in  den  Atti  del  Reale  Istituto  Veneto  di 
Scienze,  Lettcrc  cd  Arti  tom.  VII,  serie  V  p.  194—276.  Der  Hinweis  Ga- 
lileis auf  die  lächerliche  Rolle,  welche  die  Italiener  dem  Auslande  gegen- 
über spielen  würden,  wenn  man  dergleichen  Schriften  wie  die  Lorenzinis 
unwiderlegt  liefse,  ist  wohl  die  einzige  im  Dialog  enthaltene  direkte  Be- 
ziehung  auf  den   in   der  Vorrede   ausgesprochenen  Zweck   des  Buchs,    den 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  545 

Ausländern  zu  zeigen,  dafs  man  in  Italien  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft 
stehe. 

6)  p.  295.  Damit  wird  der  Übergang  gemacht  zu  der  sehr  ausführ- 
lichen Kritik  von  Ohiaramontis  öfters  erwähntem  Werk,  dessen  voller  Titel 
lautet:  I)e  irihus  novis  stellis  quae  Annis  1572,  1600,  1604  comparuere  libri 
tres  Scipionis  Claramontü  Caesenatis.  In  quihus  demonstratur  rationihus,  ex 
2)araUaxi  praesertim  ductis  Stellas  eas  fuisse  suhlunares,  et  non  coelestes  ad- 
ver sus  Tychonem ,  Gemmam,  Maestlinum ,  Bigesseum,  Hageciwm,  Santucium, 
Kcplerum,  aliosque  plures  quorum  rationes  in  contrar'mm  adductae  solvuntur. 
Caesenae:  apud  losephum  Nerium,  1628.  —  Es  ist  schon  darauf  hingewiesen 
worden,  dafs  diese  ganze  Kritik  gar  nicht  hierher  gehört,  sondern  weit  besser 
in  den  Kahmen  des  ersten  Tages  gepafst  hätte,  dafs  aber  Galilei,  als  er 
an  diesem  arbeitete,  noch  keine  Kenntnis  von  dem  Buche  Ch.s  hatte. 

7)  p.  295.  Diese  Astronomen  werden  später  aufgeführt  (p.  298  f.); 
es  sind  ihrer  in  Wahrheit  dreizehn,  nur  werden  Peucer  und  Schuler  für 
einen  gerechnet,  da  bei  deren  Rechnungen  die  gleichen  Daten  zu  Grunde 
liegen.  Unrichtig  ist  übrigens  die  Angabe,  dafs  die  sämtlichen  in  Be- 
tracht kommenden  Astronomen  den  neuen  Stern  für  „am  Firmamente" 
stehend  hielten,  bei  Busch  und  Ursinus  war  dies  z.  B.  nicht  der  Fall. 

8)  p.  298.  Über  Keplers  Verhältnis  zu  Chiaramonti  vgl.  zu  p.  285 
und  Einl.  p.  LVII. 

9)  p.  298.  Die  Arbeiten  der  im  folgenden  erwähnten  Astronomen  hat 
Gh.  nicht  selbst  eingesehen,  er  hat  vielmehr  die  ausführliche  Kritik  in 
Tychos  Hauptwerk  benutzt,  welches  den  Titel  führt:  Ästrononüae  instau- 
ratae  Progymnasmata,  quorum  haec  prima  pars  de  restitutione  moimim  Solls 
et  Lunae  stellarumque  inerrantium  tractat  et  praeterea  de  admiranda  nova 
Stella  anno  1572  cxorta  lueidenter  agit.  TJraniburgi  et  Pragae  1602.  Tycho 
hatte  bereits  im  Jahre  1573  eine  kleine  Schrift  über  den  neuen  Stern  ver- 
öffentlicht mit  dem  Titel:  De  nova  et  nullius  aevi  memoria,  a  mundi  ex- 
ordio,  prius  eonspecta  stclla,  quae  in  fme  anni  1572  omnium  primo  apparuit, 
contemplatio  maihematica.  Dieselbe  ist  von  neuem  im  ersten  Bande  der 
Progymnasmata  p.  582  —  592  abgedruckt,  enthält  aber  etwas  abweichende 
Daten,  weil  Tycho  anfänglich  noch  ungenau  bestimmte  Fixsternörter  be- 
nutzt hatte.  —  Paul  Hainzel,  Konsul  von  Augsburg,  mit  Tycho  eng 
befreundet,  hatte  nach  dessen  Angaben  einen  riesigen  Quadranten  bei  Geg- 
gingen  in  der  Nähe  von  Augsburg  bauen  lassen ,  der  kaum  von  vierzig 
kräftigen  Männern  auf  die  zu  seiner  Aufstellung  bestimmte  Anhöhe  geschafft 
werden  konnte  (Beschreibung  und  Abbildung  Progyvm.  p.  356  ff".).  Mittels 
dieses  Apparates  stellte  er  die  Beobachtungen  des  neuen  Sternes  an.  — 
Caspar  Peucer,  Vater  und  Sohn,  aus  Wittenberg,  interessierten  sich  beide 
für  den  neuen  Stern;  ersterer  korrespondierte  über  ihn  mit  Hainzel  und 
dem  Landgrafen  Wilhelm  IV  von  Hessen;  der  Sohn  disputierte  über  diesen 
Gegenstand  mit  dem  Wittenberger  Professor  Wolfgaug  Schuler,  dem 
Kollegen  und  Freunde  seines  Vaters.  —  Thaddäus  Hagek,  Freund  Ty- 
(^hos,  kaiserlicher  Leibarzt  zu  Prag;  schrieb:  Dialcxis  de  novae  et  pritts  in- 
cognUae  Stellae  inusitatae  magnitudinis  et  spien didissimi  luminis  apparitione 
deque  eiusdem  vero  loco  constituendo.  Francof.  1574.  —  Landgraf  Wil- 
helm IV  von  Hessen,  der  bekannte  eifrige  Förderer  der  Astronomie, 
hatte    seine    Beobachtungen    Tycho    mitgeteilt,    welcher    sie    in    den    Pro- 

Galii.ei,  Weltsysteme.  35 


546  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

gymnasmata  p.  490 ff.  bespricht.  —  Elias  Camerarius,  Professor  in  Frank- 
furt a/0.  (nicht  zu  -verwechseln  mit  Joachim  Camerarius,  dem  Herausgeber 
des  Almagest);  seine  Schrift  hat  Tycho  nicht  selbst  gesehen,  seine  Beob- 
achtungen waren  ihm  aber  durch  Hagek  bekannt  geworden.  —  Adam  Ur- 
sinus  aus  Nürnberg  behandelt  den  neuen  Stern  in  seiner  Proguosticatio 
anni  1574.  —  Hieronymus  Munoz,  Professor  der  Mathematik  und  der 
hebräischen  Sprache  in  Valencia,  Seine  Beobachtungen  sind  Tycho  nur 
durch  die  Citate  von  Cornelius  Gemma  bekannt  geworden.  —  Georg 
Busch,  Maler  aus  Erfurt,  aus  Liebhaberei  auch  Astronom,  schrieb  in 
deutscher  Sprache  über  den  neuen  Stern.  —  Erasmus  Reinhold,  Sohn 
des  berühmten  Verfassers  der  Tahulae  PrutJienicae,  Arzt  in  Saalfeld,  erwähnt 
den  neuen  Stern  in  seinem  Prognosticon  aströlogicum  anno  1574  desünatum. 
Tycho  hebt  hervor,  dafs  Reinhold  ohne  Namensnennung  die  Beobachtungen 
des  Landgrafen  sich  angeeignet,  auch  die  Polhöhe  von  Kassel  benutzt  habe, 
obgleich  er  damals  in  Saalfeld  oder  Erfurt  gewesen  sein  müsse  (Prociymii. 
p.  700).  — ■  Franciscus  Maurolycus,  Abt  in  Messina  (1495  — 1575), 
einer  der  ersten,  der  den  neuen  Stern  sah  (8.  Nov.  1572),  wird  in  den 
Progymnasmata  nicht  erwähnt.  Ob  er,  wie  Libri  vermutet  {Uist.  des  sciences 
math.  en  Italie  III,  114),  eine  eigene  Schrift  über  den  Stern  in  der  Cas- 
siopeja  hat  drucken  lassen,  steht  dahin.  Clavius  erzählt,  dafs  ihm  aus  Si- 
zilien eine  Abhandlung  (disputatio)  des  Maurolycus  über  den  neuen  Stern 
geschickt  worden  sei,  aus  welcher  er  eine  Hauptstelle  mit  den  auch  bei 
Galilei  angegebenen  Daten  citiert  (Christopliori  Clavii  Banibergensis  ex  so- 
cietate  lesii  in  Sphaeram  loannis  de  Sacro  Bosco  Commentarius.  3.  Auflage. 
Romae  1585,  p.  194).  —  C'hiaramonti  entnahm  die  Beobachtungen  des 
Maurolycus  gleichfalls  dem  Citate  bei  Clavius  (Ciaram.  De  tribus  steUis 
novis  p.  42).  —  Cornelius  Gemma  aus  Löwen,  Sohn  des  bekannteren 
Astronomen  Reiner  Gemma  oder  Gemma  Frisius.  Er  schrieb  zuerst  eine 
kleinere  Abhandlung  über  den  neuen  Stern,  die  noch  während  seiner 
Dauer  erschien,  handelte  über  denselben  aber  auch  in  dem  grofsen  Werke 
De  divinis  mundi  Char acter ismis.  Antwei-p.  1575.  —  Zu  bemerken  ist,  dafs 
bei  Tycho  noch  eine  ganze  Reihe  anderer  Astronomen  über  diesen  Gegen- 
stand zu  Worte  kommt.  Er  teilt  sie  in  drei  Klassen,  in  solche,  die  wie 
er  selbst  gar  keine  Parallaxe  konstatieren  konnten  und  das  Phänomen  da- 
her in  Fixsternweite  versetzten,  in  solche,  die  eine  geringe  Parallaxe  fanden, 
die  aber  nicht  ausreichte,  um  den  Stern  sublunarisch  zu  machen,  und  in 
solche,  die  ganz  unhaltbare  Ansichten  über  ihn  aufstellten,  namentlich 
auch  meinten,   er  sei  sublunarisch. 

Bei  den  im  folgenden  vorkommenden  Zahlenangaben  und  Rechnungen 
habe  ich  offenbare  Druck-  oder  Schreibfehler  der  editio  princeps  beseitigt, 
eigentliche  Rechenfehler  aber  im  Texte  beibehalten  und  die  nötigen  Be- 
merkungen dazu  in  die  Noten  verwiesen.  Alberi,  der  sich  rühmt,  die  Rech- 
nungen in  seiner  Ausgabe  i'ichtig  gestellt  zu  haben  —  was  nicht  gerade 
sehr  schwierig  ist  —  bat  in  Wahrheit  die  meisten  Fehler  stehen  lassen. 
Die  Verbesserung  der  Rechnungen  empfiehlt  sich  nicht,  weil  nicht  blofs 
Ziffern,  sondern  bisweilen  auch  der  Text  abgeändert  werden  müfste.  Die 
folgende  Übersicht  giebt  die  Resultate  des  12.  bis  25.  Kapitels  bei  Chia- 
ramonti  wieder  (Ciaram.  De  tribus  novis  stellis  p.  60 — 110). 

10)  p.  298.      In   der  editio  princeps  des  Dialogs  und  in  allen  übrigen 


Anmerkungeu  zum  dritten  Tag.  547 

Ausgaben  ist  hier  Schulers  Name  nicht  genannt,  sondern  nur  der  Hainzels; 
dafs  er  nur  irrtümlich  fehlt,  geht  aus  p.  317  hervor.  —  Zwei  andere  Fehler 
der  ed  pr.  (das  Resultat  der  7.  Rechnung  wird  dort  zu  31  Halbm.  an- 
gegeben statt  zu  32,  die  Parallaxe  bei  der  zehnten  Rechnung  zu  4'  30" 
statt  zu  A^  30')  sind  von  Alberi  richtig  gestellt,  hingegen  ist  die  richtige 
Angabe  von  -^  Halbm.  bei  der  8.  Rechnung  fälschlich  in  1-|-  Halbm.  ver- 
wandelt worden;  Alberi  hat  offenbar  nicht  beachtet,  dals  bei  letzterer  die 
Entfernung  von  der  Erdoberfläche,  nicht  die  vom  Erdmittelpunkte  an- 
gegeben wird. 

11)  p.  309.  Die  hier  folgende  Tabelle  der  Beobachtungen  ist  in  etwas 
übersichtlicherer  Form  gegeben  worden  als  in  den  sonstigen  Ausgaben; 
ferner  ist  die  von  Tycho  gefundene  Sternhöhe  von  27^*  45',  welche  in  der 
ed.  princ.  als  gröfste  bezeichnet  wird,  als  kleinste  richtig  gestellt  worden. 
Hinzugefügt  ist  die  „kleinste  Sternhöhe"  des  Landgrafen,  welche  in  der 
ed.  pr.  fehlt;  sie  wird  p.  311  benutzt,  kann  also  nur  irrtümlich  weggelassen 
worden  sein;  der  Irrtum  ist  schon  bei  Alberi  verbessert.  Im  übrigen  ist 
zu  bemerken,  dafs  die  Daten  nicht  überall  mit  den  von  Tycho  in  den  Pro- 
fiymnasmaia  angegebenen  genau  übereinstimmen ,  sowie  dafs  einige  über- 
haupt von  den  betreffenden  Astronomen  nicht  unmittelbar  mitgeteilt  sind, 
sondern  erst  aus  anderen  Angaben  derselben  sich  ergeben,  und  zwar  nicht 
immer  in  genauer  Übereinstimmung  mit  den  vorliegenden.  —  So  sind  z.  B. 
in  der  früheren  Schrift  Tychos  (vgl.  zu  p.  298)  die  Sternhöhen  nicht  an- 
gegeben, wohl  aber  ist  die  Deklination  aus  Fixsterndistanzen  berechnet;  in 
Verbindung  mit  der  Polhöhe  von  Herritzwad,  dem  Beobachtungsorte  Tychos, 
ergeben  sich  daraus  als  gröfste  und  kleinste  Sternhöhen  83**59'  und  27*^57', 
ein  Ergebnis,  das  annähernd  mit  den  Daten  der  Tabelle  übei-einstimmt. 
Ferner  ist  von  den  sechs  Beobachtungen  des  Camerarius  die  erste,  auf  die 
untere  Kulmination  liezügliche  von  G.  falsch  augegeben,  sie  müfste  nach 
Progymn.  p.  692  ff.  und  Ciaram.  De  trib.  nov.  stell,  p.  30  in  24*^8'  umgeändert 
werden;  die  Änderung  im  Texte  des  Dialogs  war  aber  nicht  statthaft,  weil 
nachher  p.  313  mit  dem  falschen  Werte  gerechnet  wird,  der  richtige  würde  zu 
einem  ganz  unbrauchbaren  Ergelmisse,  nämlich  zu  einer  negativen  Parallaxe 
führen.  Dies  hebt  auch  Ciaram.  in  seiner  Difesa  cd  suo  Antiticone  .  .  . 
Firemc  1633,  p.  171  hervor.  Sodann  sind  die  Polhöhen  öfters  sehr  zwei- 
felhaft, meist  nach  den  Angaben  in  der  Cosmographia  des  Petrus  Apianus 
angenommen.  —  Wirkliches  Vertrauen  kann  man  nur  den  Beobachtungen 
Tychos,  wie  er  sie  in  den  Proggmnasmata  niedergelegt  hat,  schenken. 

12)  p.  312.  Es  ist  damit  die  Sinustafel  gemeint,  welche  Kopernikus 
am  Schlufs  des  zwölften  Kapitels  im  ersten  Buche  seiner  Bcvohdioncs  giebt. 
Diese  enthält  die  Sinus  der  Winkel  des  ersten  Quadranten  von  zehn  zu 
zehn  Minuten  fortschreitend  auf  fünf  Dezimalstellen.  Sie  wurde  bereits 
p.  191  benutzt.  —  Irrtümlicherweise  wird  nachher  der  Winkel  liDC  zu 
154*^  45'  angegeben,  es  mufs  heifsen  154*^  35'.  Alberi  hat  diesen  Fehler 
allei-dings  korrigiert,  aber  den  Sinus  des  falschen  Winkels  stehen  lassen; 
der  Sinus  des  richtigen  Winkels  würde  42920,  nicht  42657  heifsen  müssen. 
Im  Resultat  wird  dadurch  eine,  wenn  auch  nicht  sehr  erhebliche  Abwei- 
chung verursacht.  —  Regula  aurea  ist  das,  was  wir  Regeldetri  zu  nennen 
pflegen  (vgl.  zu  p.  239).  Was  das  Divisionsverfahren  bei  Galilei  betrifft, 
so  ist  folgendes  zu  bemerken:  der  Divisor  steht  vor  dem  Dividertdus,  von 

35* 


548  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

ihm  durch  einen  Strich  getrennt,  der  Quotient  über  dem  Dividendus.  Die 
bei  der  Division  auftretenden  Teilprodukte  wei-den  nicht  hingeschrieben, 
sondern  sofort  abgezogen,  ähnlich  wie  bei  dem  jetzt  vielfach  üblichen 
„österreichischen"  Verfahren;  nur  vyerden  die  Ziffern  des  Dividendus  nicht 
„heruntergenommen",  sondern  unter  jede  Ziffer  die  entsprechende  Restziffer 
geschrieben,  so  dafs  nicht  immer  die  in  dem  Schema  neben  einander  stehenden 
Ziffern  zu  einer  und  derselben  dekadischen  Zahl  gehören.  In  praxi  war 
es  dabei  wohl  gebräuchlich,  jede  Ziffer,  die  als  Minuend  gedient  hatte, 
durchzustreichen,  wie  es  z.  B.  in  Tartaglias  General  irattato  di  numeri  e 
mlsure  (Vineffia  1556)  geschieht.  Um  das  im  Text  wiederholt  angewendete 
Verfahren  verständlich  zu  machen,  sei  hier  auf  diese  Weise  der  Quotient 
von   1728540:396  berechnet: 

4  43 

1)  39G  I  1728540  2)  396  \   1728540 

144  1447 

25 

436  4365 

3)  396  1  1T28S40,  4)  396  |  172SB4Ö 

14478  14478,, 

259  259,, 

1  in 

Das  erste  Stadium  der  Rechnung  zeigt,  dafs  die  erste  Ziffer  des  Quotienten 
4,  der  erste  Rest  144  beträgt;  das  zweite,  dafs  die  zweite  Ziffer  des  Quo- 
tienten 3,  der  Rest  257  beträgt;  das  dritte,  dafs  die  dritte  Ziffer  des  Quo- 
tienten 6,  der  Rest  198  beträgt;  das  vierte  ergiebt  die  letzte  Ziffer  5  des 
Quotienten  und  den  Rest  0. 

Das  Verfahren,  nach  welchem  im  übrigen  diese  und  die  folgenden 
Rechnungen  erledigt  werden,  ist  enthalten  in  der  Formel 

2sin^sin(A-^) 
d    = ^j-- ,      £  =  (h  —  h)  —  {cp  —  9)'), 

wo  qo  die  Polhöhe  des  nördlicheren,  cp'  die  des  südlicheren  Beobachters,  // 
die  Kulminationshöhe  des  Sternes  für  den  ersteren,  h'  die  für  den  letzteren 
Beobachter,  d'  endlich  die  Entfernung  des  Sternes  vom  zweiten  Beobachter 
bedeutet,  ausgedrückt  in  Erdradien. 

13)  p.  313.  Es  ist  schon  vorher  (zu  p.  309)  bemerkt  worden,  dafs 
die  hier  benutzte  untere  Kulminationshöhe  von  24 '^  28'  von  Camerarius 
nicht  beobachtet  worden  ist,  sondern  statt  dessen  eine  solche  von  24°  8', 
welche  ebenso  wie  die  beiden  anderen  von  ihm  gefundenen  Werte  eine 
negative  Parallaxe  ergeben,  wenn  sie  mit  den  Beobachtungen  von  Munoz 
kombiniert  werden.  Die  Beobachtungen  des  letzteren  sind  übrigens  offen- 
bar nur  bis  auf  halbe  Grade  genau. 

14)  p.  315.  Der  Sinus  des  Winkels  BBC  ist  in  allen  Ausgaben 
fälschlich  zu  97845  angegeben,  er  beträgt  in  Wahrheit  97827. 

15)  p.  316.  Die  Art  und  Weise,  wie  Galilei  die  Rechnungen  korri- 
giert,  ist  streng  genommen  nicht  zulässig.     Wenn  er  z.  B.  in   dem  vorlie- 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  549 

genden  Falle  anDimmt,  die  Parallaxe  sei  statt  4^  42' 30"  nur  20',  so  mufs 
er  die  Differenz  von  4"  22'  30"  irgendwie  auf  beide  Beobachter  verteilen. 
Da  er  aber  den  Winkel  BDC  als -richtig  beibehält,  so  legt  er  damit  den 
Beobachtungsfehler  dem  Maurolycus  allein  zur  Last;  eine  ebensolche  Be- 
vorzugung des  nördlichen  Beobachters  findet,  in  allen  folgenden  Fällen  statt. 
Die  Abweichungen  im  Resultat  sind  freil'ch,  mit  Rücksicht  auf  die  rohen 
Beobachtungen,  durch  dieses  unrichtige   Verfahren  nicht  sehr  erheblich. 

16)  p.  317.  Diese  zweite  Berechnung  benutzt  nicht  die  in  der  Tabelle 
p.  310  angegebenen  Daten,  aus  welchen  sich,  wie  man  sie  auch  kombi- 
nieren mag,  eine  negative,  also  unmögliche  Parallaxe  ergeben  würde.  Nach 
dem  Vorgange  Chiaramontis  benutzt  G.  vielmehr  als  gröfste  Stemhöhe 
Hainzels  76"  34'  30",  als  gröfste  Sternhöhe  Schulers  nicht  die  wirklich 
beobachtete  von  79"  56',  sondern  eine  solche  von  80*^  15',  welche  aus  der 
kleinsten  Sternhöhe  und  der  Polhöhe  berechnet  ist.  Vgl.  Ciaram.  De  fr  ib. 
stell,  nov.  p.  66. 

17)  p.  318.  Die  dritte  Berechnung  basiert,  wie  aus  der  Gröfse  der 
Winkel  BAD,  BDC,  BCD  hervorgeht,  auf  der  Annahme,  dafs  Tycho 
eine  Sternhöhe  von  27°  56',  Hainzel  eine  solche  von  20''  10'  beobachtet 
habe.  Es  ist  also  hier  die  schlechtere,  von  Ch.  freilich  als  besser  bezeich- 
nete Beobachtung  Tychos,  wie  er  sie  in  seiner  ersten  Schrift  veröffentlicht 
hatte,  benutzt,  und  auch  diese  nicht  genau  richtig;  die  Beobachtungen 
Hainzels  hingegen  sind  nur  auf  ganze  Minuten  abgerundet. 

18)  p.  318.  Bei  der  vierten  Berechnung  ist  wiederum  die  schlech- 
tere Beobachtung  Tychos  von  Chiaramonti  zu  Grunde  gelegt  worden.  Der 
Sinus  des  Winkels  BDC  würde  besser  43234  statt  43235  heifsen  müssen. 
Der  Divisor  116  entspricht  hier  (und  ebenso  bei  den  folgenden  Rechnungen) 
selbstverständlich  nicht  der  wirklich  gefundenen  Parallaxe  von  14',  sondern 
der  verbesserten  von  4'. 

19)  p.  319.  Bei  der  fünften  Rechnung  ist  als  gröfste  Sternhöhe 
Hainzels  76"  34'  30"  benutzt.  Die  Sehne  BD  ist  fälschlich  zu  4034  an- 
gegeben; es  wäre  4304  zu  schreiben,  da  der  Winkel  BAI)  2"  28'  beträgt, 
auch  das  Resultat  wird  dadurch  beeinflufot. 

20)  p.  319.  Bei  der  sechsten  Rechnung  ist  als  kleinste  Sternhöhe 
von  Camerarius  24"  17'  benutzt. 

21  j  p.  319.  Bei  der  achten  Rechnung  mufs  der  Sinus  des  Winkels 
BDC  (welcher   158"  31'  beträgt)  36623  statt  36643  heifsen. 

22j  p.  320.  Es  mufs  im  Nenntr  des  Bruchs  300  000  statt  100  000 
heifsen.  Es  ergeben  sich  daher  auch  nicht,  wie  es  im  Texte  heifst,  etwas 
mehr  als  30^,  sondern  etwas  weniger  als  30^  Halbmesser. 

23)  p.  321.  Bei  der  zwölften  Rechnung  würde  die  Sehne  BD, 
welche  einem  Winkel  von  9"  54'  entspricht,  besser  17  257  als  17  258 
heifsen.  —  Aufser  den  hier  besprochenen  Fehlern,  welche  im  Texte  bei- 
behalten worden  sind,  befinden  sich  sowohl  in  der  Originalau.'^gabe  wie  in 
allen  folgenden,  die  Alberische  einbegriffen,  eine  Menge  Druckfehler,  die 
im  Texte  verbessert  vnirden. 

24)  p.  323.  Damit  die  Beobachtung  eine  möglicherweise  richtige  sei, 
genügt  es  nicht,  dafs  der  gröfseren  Polhöhe  eine  gröfserc  Kalminationshöhe 
des  Sternes  entspreche,  sondern  es  mufs  aul'serdem  die  Ditlereuz  der  Stern - 
höhen  gröfser  sein  als  die  Differenz  der  Polhühen. 


550  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

25)  p.  325.  Es  ist  das  derjenige  Stern,  den  man  heute  als  %  Cassio- 
pejat'  zu  bezeichnen  pflegt.  Nach  Tycho  betrug  die  Entfernung  des  neuen 
Sterns  von  diesem  l"  31'  (Progrjmn.  p.  344). 

26)  p.  327.  Das  folgende  Verfahren  Galileis  liefert,  wie  er  selbst  an- 
deutet, nur  eine  untere  Grenze  für  die  Entfernung  des  Sternes.  Bezeichnet 
(p  die  Polhöhe,  A^  die  obere,  h^  die  untere  Kulminationshöhe,  cö^  die  Pol- 
distanz bei  der  oberen,  cog  bei  der  unteren  Kulmination,  so  berechnet  G. 
eine  untere  Grenze  für  die  Entfernung  c  gemäfs  der  Formel: 

sin  {R  —  cp  -\-  Wg) 

sin  ((»2  —  G>i) 

oder,  da  w^  =  h^  —  9),     0)2  =  9'  —  1h-, 

cos  ^9 
e  ^ i 

sin  (293  —  \  —  h.^ 
Den  genauen  Wert  von  e  würde  man  finden  nach  den  Formeln 

1  /79~i 9  >  2  cos  9)   cos  CO,    cos  Wo     ,        . 

c  =  y^'  +  ^^    wo    ^  =  -^^ i_^  +  sin9,, 

Sm  (^032   —   WiJ 

cos  95  sin  (wj  •\-  0)2) 

sin  (0)2  —  «i) 

^  bedeutet  dabei  die  Entfernung  der  Ebene  des  Sternes  vom  Erdmittel- 
punkt, ■)}  den  Radius  des  von  ihm  beschriebenen  Kreises,  den  Radius  der 
Erde  gleich  1   angenonmaen. 

27)  p.  327.  Da  man  zur  Zeit  Galileis  unter  Sinus  dasjenige  vei'stand, 
was  wir  Sinuslinie  nennen,  so  bedurfte  es  noch  einer  Bezeichnung  für  den 
Radius  oder  die  Hypotenuse,  auf  welche  die  Gröfse  der  Sinuslinie  bezogen 
wird;  sie  pflegte  Sinus  totus  genannt  zu  werden. 

28)  p.  328.  Nämlich  die  Angaben  der  früheren  Schrift  Tychos,  wo- 
nach die  obere  Kulminationshöhe  84*^,  die  untere  27"  45'  beträgt.  —  Von 
den  Beobachtungen  des  Camerarius  sind  die  Werte  80  "^  30'  und  24''  17' 
zu  Grunde  gelegt,  welches  nicht  die  für  den  Gegner  günstigsten  sind, 
trotz  der  gegenteiligen  Versicherung  Galileis. 

29)  p.  329.  Die  Thatsache  der  atmosphärischen  Strahlenbrechung  war 
schon  den  Alten  bekannt,  so  namentlich  dem  Ptolemäus.  Doch  herrschten 
noch  zui-  Zeit  Galileis  sehr  unklare  Vorstellungen  darüber,  namentlich  hielt 
man  vielfach  den  Betrag  der  Refraktion  auch  für  abhängig  von  der  Ent- 
fernung des  Gestirns.  Demgemäfs  giebt  Tycho  in  den  Progymnasmata  (p-79, 
124,  280)  besondere  Refraktionstabellen  für  Sonne,  Mond  und  Fixsterne. 
Kepler  bestreitet  in  seiner  Schrift  Ad  VitelUonem  Paralipomena,  quibtis 
Astronomiae  Pars  Optica  Traditur  (Francofurti  1604)  diese  Ansicht  und 
giebt  selbst  eine  nicht  übele  Refraktionstabelle  fEd.  Frisch  11,  20.5),  die 
lange  Zeit  als  mafsgebend  betrachtet  wurde.  —  Im  italienischen  Texte 
scheint  übrigens  hier  eine  Verstümmelung  vorzuliegen.  Die  Übersetzung 
ist  daher  nicht  ganz  wortgetreu. 

30)  p.  331.  Die  von  Chiaramonti  hier  erwähnte  Fehlerquelle  ist  that- 
sächlich  bei  dem  von  Tycho  benutzten  Instrumente  vorhanden  gewesen,  wie 
dieser  selbst  versichert  {Proyymn.  p.  343),  nur  ist  die  Gröfse  des  Fehlers, 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  551 

im  Verhältnis  zu  der  damals  überhaupt  eiTeichbaren  Genauigkeit  überaus 
gering  und  kommt  für  die  Entscheidung  der  hier  vorliegenden  Frage  gar 
nicht  in  Betracht. 

31)  p.  334.  Die  aristotelischen  Beweise  der  Endlichkeit  des  Welt- 
alls finden  sich  vornehmlich  in  seiner  Schrift  Bc  coelo  lib.  I,  cap.  VI  und 
VII,  und  yat.  aiisc.  lib.  IE,  cap.  VI.  Die  Unendlichkeit  der  Welt  war 
insbesondere  von  Giordano  Bruno  gelehrt  worden,  und  die  Rücksicht  auf 
dessen  Schicksale  bewegt  wohl  Galilei,  auf  diese  heikele  Frage  sich,  nicht 
näher  einzulassen.  Er  selber  scheint,  im  Gegensatz  zu  Kepler,  an  die 
Unendlichkeit  der  Welt  zu  glauben.  Vgl.  p.  39  und  den  Brief  an  Ingoli 
Op.  II,  73. 

32)  p.  334.  Galilei  erlebte  es  häufig,  dafs  peripatetische  Philosophen 
sich  weigerten  an  seinen  Versuchen  und  Beobachtungen  sich  zu  beteiligen. 
So  lehnte  es  Cremoniui  in  Padua,  Libri  in  Pisa  ab,  durch  einen  Blick  ins 
Fernrohr  sich  von  der  Wahrheit  der  astronomischen  Entdeckungen  Galileis 
zu  überzeugen.  (Vgl.  Favaro,  Galileo  Galilei  e  lo  studio  cli  Padova.  Firenzc 
1883,  I,  394  f.) 

33 j  p.  337.    Vgl.  zu  p.  66. 

34)  p.  342.  Nach  der  schulmäfsigen  Logik  besteht  jede  Definition 
eines  Begriffs  in  der  Angabe  des  (/enus  und  der  diffcrentia  specifica.  Die 
übliche  Definition  des  Menschen,  welche  zugleich  eines  der  gewöhnlichsten 
Bei>piele  abgab,  um  das  Wesen  der  Definition  zu  erläutern,  lautete  dem- 
entsprechend animal  mortale  rationale;  wenn  man  also  von  der  diffcrentia 
specifica  absieht,  die  in  dem  rationale  ihren  Ausdruck  findet,  so  bleibt  blofs 
das  Genus  Tier  übrig. 

35)  p.  343.  Nuper  tue  in  litore  .  .  .  „Jüngst  sah  ich  mich  [mein  BildJ 
am  Gestade,  als  das  Meer  windstill  dalag."    Verg.  Btic.  Ecl.  II,  25  f. 

36)  p.  344.  Man  wird  annehmen  dürfen,  dafs  diese  Einwürfe  vor  Ver- 
öffentlichung des  Dialogs  Galilei  noch  nicht  bekannt  waren;  er  würde  sonst 
ihre  Widerlegung  in  dem  Dialog  nicht  unterlassen  haben,  denn  er  befolgt 
ja  sonst  als  Regel,  gerade  auch  triviale,  wenigstens  heutzutag  trivial  er- 
scheinende Argumente  in  ihrer  Nichtigkeit  darzuthun.  Der  (in  der  Über- 
setzung durch  kursiven  Druck  ausgezeichnete)  handschriftliche  Zusatz  des 
paduanischen  Exemplars  war  also  wohl  durch  die  ihm  unmittelbar  zuvor 
gemachten  Einwendungen  hervorgerufen  worden;  wer  indessen  die  littera- 
risch hervorragenden  Persönlichkeiten  gewesen  sein  mögen,  habe  ich  nicht 
ermitteln  können. 

37)  p.  347.  Dafs  die  Breite  des  Brunnenschachtes  nichts  mit  der  Sache 
zu  thun  habe,  ist  denn  doch  sehr  irrig.  Bezeichnet  man  die  Bi'eite  des 
Schachtes  mit  Z>,  die  Tiefe  mit  h  und  nimmt  an,  dafs  die  Beobachtung 
unter  dem  Äquator  angestellt  werde,  so  ist  die  Sichtbarkeitsdauer  des 
Sternes  proportional  demjenigen  Winkel  x,  dessen  Gröfse  bestimmt  ist  durch 

_    b 

38)  p.  348.  Die  folgende  Darstellung  steht,  was  die  Komposition  be- 
trifft, in  Widerspruch  mit  dem,  was  auf  p.  336  S.  gelehrt  wurde.  Schon 
in  dieser  ersten  Partie  wiirde  der  bedeutende  Wechsel  in  der  scheinbaren 
Gröfse   des  Mars   und   der  Venus,   sowie  die  Phasenändeiimg  der  letzteren 


552  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

besprochen,  und  zwar  in  der  Weise,  dafs  gerade  auf  Grund  dieser  That- 
sachen  eine  Skizze  des  kopernikanischen  Systems  konstruiert  wird.  Als 
wäre  alles  dies  nicM  vorangegangen,  wird  nun  hier  abermals  das  Fehlen 
dieser  Erscheinungen  als  Haupteinwand  gegen  das  System  bezeichnet.  Diese 
widerspruchsvolle  Art  der  Darstellung  ist  dadurch  zu  erklären,  dafs  der 
Dialog  sicherlich  zum  Teil  aus  vorrätig  gewesenen  Stücken  zusammengewebt 
ist,  die  nicht  immer  zu  einander  passen.  Bei  wiederholter  Durchsicht  scheint 
G.  das  Inconcinne  der  Komposition  selbst  bemerkt  zu  haben;  wenigstens 
scheint  es,  als  ob  das  handschriftliche  Einschiebsel  des  Exemplars  von 
Padua  gerade  zwischen  diese  beiden  Darstellungen  gesetzt  sei,  um  den 
Widerspruch  minder  grell  hervortreten  zu  lassen;  dem  sachlichen  Inhalte 
nach  würde  sich  das  eingeschobene  Stück  ja  besser  in  den  Eahmen  des 
zweiten  Tages  gefügt  haben. 

39)  p.  350.  Im  folgenden  wird  in  gröfserer  Ausführlichkeit  die  bereits 
p.  80  f.  erwähnte  Erscheinung  der  Irradiation  besprochen,  von  der  G.,  wie 
er  selber  ausspricht,  auch  schon  in  früheren  Werken  gehandelt  hatte;  so 
in  den  Lettcre  intorno  alle  maccJtie  solari  (Op.  111,471)  und  im  Suggiatore 
(Op.  IV,  227  ff.).  Er  hätte  auch  den  Astronomkas  Nuncius  erwähnen  dürfen. 
Vgl.  Op.  m,  74. 

40)  p.  351.  Simplicio  hat  früher  (p.  75)  behauptet,  sie,  wenn  auch 
flüchtig,  gelesen  zu  haben. 

41)  p.  356.  Allerdings  mufsten  zur  Erklärung  der  Ungleichheiten  in 
der  Planetenbewegung  vom  Standpunkte  des  ptolemäischen  Systems  kom- 
plizierte und  ungeheuerliche  Annahmen  von  excentrischen  Kreisbewegungen 
und  Epicykeln  gemacht  werden;  indessen  Avurden  solche  durch  das  koperni- 
kanische  System  noch  keineswegs  vollständig  überflüssig  gemacht.  Erst 
die  drei  berühmten  von  Kepler  entdeckten  Gesetze  der  Planetenbewegung 
verbanden  mit  verhältnismäfsiger  Einfachheit  genaue  Übereinstimmung  zwi- 
schen Theorie  und  Erfahrung.  Hier  wäre  der  Ort  gewesen,  wo  Galilei  die 
unendlichen  Verdienste  Keplers  nach  Gebühr  hätte  preisen  und  zugleich 
die  Lücke  hätte  ausfüllen  können,  die  der  Dialog  enthält,  insofern  er  die 
Ungleichheiten  der  Sonnen-  und  Planetenbewegungen  völlig  unerwähnt  läfst. 
Diese  Nichterwähnung  •  der  keplerschen  Gesetze  gehört  zu  den  auffallend- 
sten Sonderbarkeiten  des  Dialogs.     Vgl.  Einl.  p.  LH  ff. 

42)  p.  357.  Über  die  Stelle  bei  Kopernikus  ist  insofern  unrichtig  re- 
feriert, als  nicht  dieser  selbst  versucht  hat,  durch  Häufung  von  Kreisen 
das  gewünschte  Ziel  zu  erreichen,  sondern  nur  von  anderen  spricht,  die 
dies  gethan.  In  seiner  an  Papst  Paul  III.  gerichteten  Vorrede  schreibt  er 
nämlich:  liaque  nolo  Sanctitatem  Timm  laterc,  mc  nihil  aliud  movisse  ad  co- 
gitundum  de  alia  ratione  subducendorum  motuum  sx^haerarum  mundi,  quam 
quod  intellexi,  matJiematicos  sibi  iims  non  constare  in  Ulis  perqidrendis. 
Primum  enim  usque  adeo  incerti  sunt  de  motu  solis  et  lunae,  ut  nee  ver- 
tcntis  anni  perpetuam  magnitudincm  dcmonstrare  et  ohservare  possint.  Deinde 
in  constituendis  motibus,  cum  illarum,  tum  aliarum  quinque  errantium  stella- 
rum,  neque  iisdem  principiis  et  assumptionibus  ac  apimrcntiiim  revohttionum 
motuumque  dcmonstrationibus  utuntur.  Älii  namqxie  circulis  Jiomoccntris  solum, 
alii  eccentris  et  epicyclis,  quibus  tamen  quaesita  ad  plenum  non  assequuntur. 
Nam  qui  homocenfris  conßsi  sunt,  etsi  motus  aliquos  diversos  ex  eis  componi 

demonstraverint ,   nihil  tamen  certi,   quod  nimirum  phacnomenis  respon- 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  553 

deret,  indc  statuere  lootuerunt.  Qiii  vcro  excogitaocrunt  ecccnfrica,  etsi  magna 
ex  parte  apparentes  motus  congrucntibus  x^er  ea  numeris  ahsolvisse  videantur, 
2)leraque  tarnen  Interim  admiserunty  quae  primis  principiis  de  motics  aequali- 
tate  videntiir  contravenire.  Rem  quoqU'C  praecipuam ,  Jioc  est  tmtndi  formam 
ac  partium  eins  certam  symmetriam,  non  potuerunt  invenire,  vel  ex  Ulis  col- 
tigere;  sed  accidit  eis  perinde,  ac  si  quis  e  diversis  locis  manus,  pedcs,  caput, 
aUaqiie  memhra  optime  quidem,  sed  non  unius  corporis  comparatione  dcpicta, 
sumcret,  mdlatenus  invicem  sibi  respondentibus ,  ut  monstrum  potius  quam 
liomo  ex  Ulis  componerctur. 

43j  p.  360.  Apollonius  von  Perga  in  Pamphylien,  einer  der  be- 
deutendsten Geometer  des  Altertums,  lebte  um  200  v.  Chr.;  er  bildete  na- 
mentlich die  Lehre  von  den  Kegelschnitten  aus. 

44)  p.  361.  Der  von  Gr.  dem  Salviati  in  den  Mund  gelegte  Bericht 
über  die  Entdeckung  der  Sonnenflecken  hat  den  Zweck,  seine  Priorität 
gegenüber  den  Ansprüchen  Scheiners  zu  wahren,  welche  dieser  auf  seine 
angeblich  schon  im  März  1611  gemachten  Beobachtungen  und  auf  die 
unter  dem  Pseudonym  Apelles  geschriebenen  Briefe  gründete.  Öfi'entlich 
war  übrigens  Schein  er  bisher  (bis  1630)  nicht  in  feindseliger  Weise  gegen 
G.  aufgetreten;  doch  mufs  dieses  in  Privatcirkeln  geschehen  sein,  weil  sonst 
der  Ausfall  Galileis  im  Saggiafore  sinnlos  sein  würde.  Nur  in  den  Disqui- 
sitiones  mathcmaticae  vom  Jahre  1614  p.  66  hatte  Seh.  geschrieben:  Quae 
[pJiaenomena  in  Sole]   quoniam  ah   aliquot  nunc   annis  prodierunt  ah  Apelle 

in   tahidis  duplicihus,   deinde  etiam  a  D.  Galilaeo ;  er  hatte  damit, 

anscheinend  in  gutem  Glauben,  doch  bereits  den  Versuch  gemacht,  seine 
Prioritätsansprüche  zu  wahren,  die  ihm  bisher  nur  durch  das  hingeworfene 
Wort  Galileis  in  seinem  ersten  Briefe  an  Welser  (vgl.  Einl.  p.  XXX)  be- 
sti'itten  waren;  Gehässigkeiten  gegen  G.  lagen  ihm  damals  noch  so  fern, 
dafs  er  in  derselben  Schrift  mehrfach  mit  höchster  Anerkennung  von  diesem 
spricht,  wie  er  ihm  denn  auch  ein  Exemplar  mit  sehr  höflichem  Begleit- 
brief zusandte.  Ob  Seh.  bona  fide  die  Priorität  gegenüber  Galilei  bean- 
spruchen durfte,  ist  allerdings  sehr  zweifelhaft.  Der  bekannte  Ordensbruder 
Scheiners,  Paul  Guldin,  versicherte  später,  er  habe  jenem  die  galileische 
Entdeckung  mitgeteilt,  und  erst  danach  habe  Seh.  seine  Beobachtungen 
angestellt  (Op.  X,  67;  234);  doch  kann  diese  Mitteilung,  wie  von  Brau.n- 
raühl  mit  Recht  hervorhebt,  nur  auf  die  Oktoberbeobachtungen  Scheiners 
Einflufs  geübt  haben;  die  Märzbeobachtungen  müssen,  wenn  sie  überhaupt 
stattgefunden  haben,  unabhängig  davon  gewesen  sein;  ihnen  hatte  aber 
Scheiner  offenbar  auch  keinerlei  Wert  beigemessen.  In  feindseliger  Weise 
führte  den  litterarischen  Streit  zuerst  Galilei,  wahrscheinlich,  wie  gesagt, 
durch  mündliche  Äufserungen  Scheiners  provociert;  er  deutete,  wenn  auch 
ohne  Namensnennung,  so  doch  in  nicht  mifszuverstehender  Weise,  im  Sag- 
giafore (Op.  IV,  149  f.)  an,  dafs  ihn  Scheiuer  um  den  Ruhm  der  Sonnen- 
fleckenentdeckung  zu  bringen  versuche.  Gegen  diesen  Angriff  erfolgte  Schei- 
ners erbitterte  Abwehr  in  der  liosa  Ursina,  die  1630  vollendet  wurde  und 
in  Brazza  erschien.  Der  Dialog  Galileis  wurde  zwar  erst  1632  veröflPent- 
licht,  war  indessen  bereits  Mitte  Mai  1630  druckf'ertig,  sodafs  irgendwelche 
Beziehung  auf  die  Bosa  Ursina  sich  in  ihm  nicht  findet,  wenn  auch  häufig 
das  Gegenteil  behauptet  worden  ist.  Galilei  hatte  jedoch  bei  Abfassung 
des  Dialogs  Kenntnis   von   dem  bevorstehenden  Erscheinen   der  Bosa   (Op. 


554  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

VI,  327)  und  vermutlicli  auch  von  ihrem  polemischen,  vielleicht  sogar 
von  ihrem  wissenschaftlichen  Inhalte;  er  führt  deshalb  mittels  des  hier 
eingeflochtenen  Berichtes  einen  neuen  Streich  gegen  seinen  Widersacher.  — 
Dieser  Bericht  giebt  jedoch  zu  mancherlei  Bedenken  Anlafs.  Galilei  will 
die  Sonnenflecken  schon  im  Jahre  1610  und  zwar  vor  seiner  im  August 
erfolgten  Abreise  nach  Florenz  entdeckt  haben.  Wie  ist  dann  zu  erklären, 
dafs  er  weder  in  seinen  Briefen  an  den  Grofsherzoglich  Toskanischen  Staats- 
sekretär Belisario  Vinta  aus  jener  Zeit,  noch  in  dem  Briefe  an  Kepler  vom 
19.  August  irgendwelche  Andeu.tung  über  diese  seine  Entdeckung  macht? 
Namentlich  teilt  er  Vinta  selbst  solche  Entdeckungen  mit,  die  er  sonst 
einstweilen  geheim  zu  halten  wünscht.  Sollte  er  also  wirklich  schon  da- 
mals Sonnenfleeke  gesehen  haben,  was  sehr  wohl  möglich  ist,  und  was  ihm 
von  seinem  Freunde  Fra  Fulgenzio  Micanzio,  freilich  in  viel  späteren  Jah- 
ren, bestätigt  wird,  so  würde  er  allerdings  vor  allen  Rivalen  die  Priorität 
voraus  haben;  er  mufs  jedoch  seiner  Sache  noch  nicht  sicher  gewesen  sein 
und  keinerlei  Wert  auf  die  Entdeckung  gelegt  haben.  —  Scheiner  hat  nach 
der  Erzählung  in  der  Vorrede  zu  seiner  Bosa  Ursina  die  ersten  Flecken 
im  März  1611  wahrgenommen;  wenn  dies  wahr  sein  sollte,  so  scheint  aber 
auch  er  zunächst  der  Sache  keine  hohe  Bedeutung  beigelegt  zu  haben,  da 
er  seine  weiteren  Beobachtungen  wahrscheinlich  auf  Grund  des  ihm  von 
Guldin  zugegangenen  Berichts  erst  am  21.  Oktober  1611  wieder  aufnahm. 
Galilei  verbreitete  inzwischen  in  Rom  während  seines  dortigen  Aufenthalts, 
der  von  Ende  März  bis  Juni  1611  dauerte,  die  Kunde  von  den  Sonuen- 
flecken  in  weitere  Kreise  (vgl.  z.  B.  die  Vorrede  von  Angelo  de  Filiis  zu 
den  Lettere  solari  Op.  V,  6,  636).  —  Sobald  man  die  erste  gedruckte  Ver- 
öffentlichung als  entscheidend  für  die  Priorität  betrachtet,  so  hat  Scheiner 
diese  vor  Galilei  voraus;  hingegen  war  es  dieser,  der  sie  früher  erblickt 
und  zuerst  über  das  Wesen  der  Erscheinung  richtige  Anschauungen  auf- 
stellte, die  er  als  Entgegnung  auf  die  Apellesbriefe  Scheiners  in  den  an 
Welser  gerichteten  Lettere  intorno  alle  maccJiie  soleiri  vom  4.  Mai,  14.  August 
und  12.  Dezember  1612  zusammenfafste.  Der  unerquickliche  Streit  brachte 
allerdings  auf  der  einen  Seite  der  Wissenschaft  Förderung,  weil  er  eine 
gründliche  Diskussion  der  einschlägigen  Fragen  und  fortgesetzte  sorgfältige 
Beobachtungen  veranlafste,  auf  der  anderen  Seite  aber  wurde  er  für  Ga- 
lilei verhängnisvoll,  weil  durch  ihn  die  Erbitterung  des  einflufsreichen  Je- 
suiten aufs  höchste  gesteigert  wurde.  —  Der  wahre  erste  Entdecker  — 
wenn  dieser  Titel  durch  die  erste  Veröffentlichung  in  Buchform  verdient 
wird  —  war  weder  Galilei  noch  Scheiner,  sondern  Johannes  Fabricius;  er 
legte  seine  Ergebnisse  nieder  in  der  Schrift:  lo.  Fabritii  Frisii  De  maculis 
in  Sole  observatis  et  apparente  earum  cum  Sole  conversione,  narratio  (Witte- 
lergae  1611),  deren  Widmung  vom  13.  Juni  1611  datiert  ist;  die  entspre- 
chenden Beobachtungen  wurden  im  Dezember  1610  angestellt.  Auch  ist 
diese  Schrift  keineswegs,  wie  von  mancher  Seite  behauptet  wird,  obskur 
geblieben;  vielmehr  spricht  Kepler  von  ihr  mit  den  Worten  der  höchsten 
Anerkennung  und  trägt  nicht  das  mindeste  Bedenken,  Fabricius  als  den 
Entdecker  zu  bezeichnen.  Sehr  verwunderlich  bleibt  es,  dafs  weder  Scheiner 
noch  Galilei  in  ihrer  Polemik  Fabricius  erwähnen,  obwohl  ersterer  mit 
dem  Vater  des  Johann  F.  in  Korrespondenz  stand.  Will  man  das  blofse 
Erblicken  der  Erscheinung  als  mafsgebend  betrachten,  so  käme  auch  Kepler 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  555 

selbst  iu  Betracht.  Er  sah  am  17/27.  Mai  1GÜ7  bereits  einen  Sonnen- 
flecken, hielt  ihn  aber  für  den  Merkur  und  beschreibt  diesen  vei'meintlichen 
Merkurdurchgang  in  seinem  Phaenonicnon  singiiJurc  scu  Merciirius  in  Sole 
ll/ipsiac  1600).  Als  ihm  später  von  anderer  Seite  her  die  Existenz  der 
Sonnenflecken  bekannt  geworden  war,  sah  er  seinen  Fehler  ein  und  scherzte 
mit  bestem  Humor  darüber;  auch  machte  er  darauf  aufmerksam,  dafs  ein 
in  der  Viia  Caroli  Magnl  von  Eginhard  erwähnter  Merkurduichgang  vom 
Jahre  807  wahrscheinlich  auf  die  falsch  gedeutete  Beobachtung  eines  Son- 
nenflecks zurückzuführen  sei.     S.  auch  Einl.  p.  XXLV,  XXIX,  LX. 

45)  p.  362.  Viel  auffallender  als  die  Behauptung  Galileis,  dafs  er 
schon  1610  in  Padua  Sonnenflecke  gesehen  habe,  ist  die,  dafs  die  jährliche 
Fleckenperiode  ihm  schon  bei  Lebzeiten  Salviatis  bekannt  gewesen  sei. 
Salviati  starb  im  März  1614,  also  mehr  als  sechzehn  Jahre  mufsten  bei 
Beendigung  des  Dialogs  verflossen  sein,  seitdem  Galilei  von  einer  That- 
sache  wufste,  der  er  die  höchste  Bedeutsamkeit  zumafs  und  deren  Bedeut- 
samkeit er  im  Momente  der  Entdeckung  schon  durchschaute,  wenn  wir 
dem  vorliegenden  Berichte  Vertrauen  schenken.  Und  diese  ganzen  sechzehn 
Jahre  sollte  er,  der  schon  so  manchen  Prioritätsstreit  auszufechten  hatte, 
haben  verstreichen  lassen,  ohne  eine  Mitteilung  darüber  zu  machen,  ganz 
im  Gegensatze  zu  seinem  sonstigen  Brauche,  möglichst  früh,  wenn  nötig 
unter  dem  Schutze  eines  Anagramms,  von  seinen  Entdeckungen  Kunde  zu 
geben?  Hingegen  gerade  um  die  Zeit,  wo  sein  Rivale  Scheiner  die  gleiche 
Thatsache  in  der  Itosa  ürsina  der  wissenschaftlichen  Welt  mitteilte  {Rosa 
Ursina  p.  161  ff",  und  225),  entschliefst  auch  er  sieh  endlich  zur  Veröffent- 
lichung des  so  lange  ohne  jeden  ersichtlichen  Grund  gewahrten  Geheim- 
nisses. Hier  ist  der  Verdacht  kaum  zurückzudrängen,  dafs  Galilei  entweder 
wirklich  die  Rosa  Ursina  bei  Abfassung  der  vorliegenden  Stelle  kannte 
und  die  lange  Zeit,  die  zwischen  der  Druckfertigkeit  des  Dialogs  im  Jahre 
1630  und  dem  Drucke  selbst  verflofs,  dazu  benutzte,  um  diesen  Passus 
einzuschieben;  oder  dafs  er,  ebenso  wie  von  dem  bevorstehenden  Erscheinen 
der  Rosa,  so  auch  von  deren  Inhalt  einiges  wufste,  dafs  er,  um  dem  Ri- 
valen zuvorzukommen,  noch  zuletzt  zu  weiteren  Beobachtungen  der  Sonnen- 
flecke ■  schritt  und  so  selbständig  die  Entdeckung  gemacht  hat.  DaCs 
Scheiner  aufs  höchste  entrüstet  war,  als  zwei  Jahre  nach  dem  Erscheinen 
seines  Werks  sein  Rivale  auftrat  und  diese  Entdeckung  vor  achtzehn  Jahren 
gemacht  zu  haben  behauptete,  ist  nicht  nur  begreif  lieb,  sondern  auch  ge- 
rechtfertigt; zum  mindesten  mufste  Galilei,  wenn  seine  Erzählung  glaubhaft 
sein  sollte,  den  Grund  seines  rätselhaften  Schweigens  angeben.  Aber  auch 
später  (in  dem  Briefe  an  Fulgenzio  Micanzio  vom  9.  Februar  1636,  Op. 
VII,  59)  giebt  er  weiter  nichts  an  als:  „Ich  entdeckte  sie  (die  Neigung 
der  Sonnenachse  zur  Ekliptik)  vor  ihm,  wie  ich  überzeugt  bin,  aber  ich 
hatte  keine  Gelegenheit  davon  zu  sprechen  aufser  im  Dialog."  Auch  ist 
zu  beachten,  dafs,  wie  im  folgenden  noch  angegeben  werden  wird,  die  Dar- 
stellung mancherlei  Unebenheiten  enthält,  die  Folge  einer  raschen  Nieder- 
schrift zu  sein  scheinen;  ganz  abgesehen  davon,  d;ifs  der  Hauptzweck,  die 
jährliche  Sonnenfleckenperiode  als  Argument  für  die  Erdbewegung  zu  be- 
nutzen, als  völlig  verfehlt  bezeichnet  werden  mufs. 

46)  p.  364.  Man  bediente  sich  solcher  aus  zehn  Kreisen  zusammen- 
gesetzten  Sphären   (sphaerac  matcriaUs)   teils   zu  Veranschaulichuugs-   und 


556  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

Lehrzwecken,  teils  —  und  dann  mufsten  sie  besonders  sorgfältig  gearbeitet 
sein  —  zu  wirklieben  Beobachtungen  Qnstnimenfum  armülare,  Armillar- 
sphäre).  Die  Beschreibung  der  Armillarspbären  ist  bereits  im  fünften  Buche 
des  Almagests  von  Ptolenaäus  gegeben  (vgl.  p.  405). 

47)  p.  366.  Dies  ist  vollständig  unklar,  der  Meridian  hat  mit  diesen 
Erscheinungen  nichts  zu  thun.  Der  ganzen  Darstellung  liegt  der  Fehler  zu 
Grunde,  dafs  die  Ausdrücke  „höher"  und  „tiefer"  nicht,  wie  es  sein  sollte, 
sich  auf  den  Horizont  als  Niveau  beziehen,  sondern  auf  die  Ekliptik.  Wenn 
es  also  im  Texte  heifst,  Anfangs-  und  Endpunkt  der  scheinbaren  Flecken- 
bahnen liegen  gleich  hoch,  so  bedeutet  das  nicht,  sie  liegen  in  einer  ho- 
rizontalen Linie,  sondern  in  einer  zur  Ekliptik  parallelen.  Diese  schlecht 
gewählte  Ausdrucksweise  in  Verbiudung  mit  der  Figur,  in  welcher  die 
Ekliptik  wirklich  wagerecht  gezeichnet  ist,  verführen  nun  zu  dem  weiteren 
Irrtum,  den  Längenkreis,  in  welchem  sich  die  Sonne  jeweilig  befindet,  mit 
einem  Vertikalkreise  zu  identificieren.  Bei  der  hier  besprochenen  Stellung 
der  Erde  liegt  nämlich  die  Achse  der  Sonne  allerdings  in  der  Ebene  eines 
Längenkreises,  nicht  aber  notwendig  in  der  des  Meridians.  Nun  wird  freilich 
der  Terminus  Meridian  auch  in  weiterem  Sinne  gebraucht,  und  zwar  auch 
von  Galilei  (vgl.  zu  p.  400  und  Op.  III,  23),  nämlich  für  jeden  durch  die 
Pole  gehenden  gröfsten  Kreis,  nicht  blofs  für  den  durch  den  Zenith  gehen- 
den; aber  auch  in  diesem  Sinne  ist  die  galileische  Darstellung  unrichtig; 
sie  wäre  in  diesem  Falle  nur  dann  korrekt,  wenn  die  Maximalkrümmung 
zur  Zeit  der  Solstitien  einträte.  —  Man  vermifst  ferner  in  der  galileischen 
Darstellung  die  Angaben  über  den  Betrag  der  Neigung  der  Sonnenachse 
gegen  die  Ekliptik,  sowie  die  Angaben  über  die  Zeit,  zu  welcher  die  vier 
charakteristischen  Lagen  von  der  Erde  eingenommen  werden.  Bekanntlich 
ist  der  Sonnenäquator  um  etwa  11  \^  gegen  die  Ekliptik  geneigt;  die  Tage 
des  geradlinigen  Fleckendurchgangs  sind  der  10.  Juni  und  der  10.  Dezem- 
ber, an  ihnen  also  befindet  sich  die  Erde  in  der  Schnittlinie  von  Sonnen- 
äquator und  Ekliptik,  während  am  10.  September  und  10.  März  die  stärkste 
Krümmung  der  Fleckenbahnen  stattfindet,  und  die  Erde  in  der  Ebene 
steht,  welche  durch  Sonnenachse  und  Ekliptikachse  hindurchgeht. 

48)  p.  369.  Der  im  folgenden  gemachte  Versuch,  auf  Grund  der 
veränderlichen  Fleckenbahnen  die  Unwahrscheinlichkeit  der  Drehung  der 
Sonne  um  die  Erde  nachzuweisen,  ist  verfehlt.  Seine  vermeintliche  Be- 
weiskraft beruht  im  wesentlichen  auf  dem  „dritten"  Umstände,  dafs 
wenn  die  zur  Ekliptik  schiefe  Sonnenachse  bei  Drehung  der  Sonne  um  die 
Erde  sich  selber  parallel  bliebe,  das  Aussehen  der  Fleckenbahnen  stets 
dasselbe  sein  müfste.  Dies  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall,  vielmehr  er- 
gäben sich  dann  genau  die  Erscheinungen,  welche  thatsächlich  stattfinden, 
wie  man  sich  leicht  überzeugt.  Damit  wird  denn  auch  der  Schlufs  hin- 
fällig, dafs  man  der  Sonnenachse  noch  eine  weitere  jährliche  Rotation  um 
die  Ekliptikachse  zuschreiben  müsse,  um  die  centrale  Stellung  der  Erde 
aufrecht  zu  einhalten ;  somit  würde  auch  die  etwaige  Sonnenbewegung  nicht 
besonders  kompliciert,  wenigstens  nicht  komplicierter  sein,  als  wenn  die 
Sonnenachse  senkrecht  zur  Ekliptik  stünde.  —  Wenn  Galilei  daher  später- 
hin sich  rühmt  (Op.  VII,  59),  dafs  er  die  Neigung  der  Sonnenachse  zur 
Ekliptik  benutzt  habe,  um  der  Natur  ihr  gröfstes  Geheimnis  zu  entreif.<en, 
während   Scheiner  mit  diesem  Schatze  nichts  anzufangen  »ewulst  habe,  so 


Anmerkungen  zum  diitten  Tag.  557 

ist  dies  ebenso  unbegründet,  wie  die  Ansprüche  auf  die  Priorität  der  Ent- 
deckung es  allem  Anscheine  nach  sind.  —  Merkwürdig  ist  es,  dafs  aufser 
von  Scheiner  selbst  (in  seinem  Prodromus  pro  Sole  tnohili  et  Terra  stcibili 
contra  Galilaeum  a  Galileis.  Pragae  1651)  meines  Wissens  nirgends  auf 
die  Unzulänglichkeit  dieses  Beweises  für  die  Erdbewegung  aufmerksam  ge- 
macht worden  ist,  derselbe  im  Gegenteil  fz.  B.  von  Alberi  im  Supplement- 
band zu  seiner  Ausgabe  der  galileischen  Werke  p.  L)  Anerkennung  ge- 
funden hat. 

49)  p.  371.  Kopernikus  schrieb  bekanntlich  der  Erde  aufser  der  täg- 
lichen Rotation  um  die  eigene  Achse  vmd  der  jährlichen  Rotation  um  die 
Sonne  auch  noch  eine  jährliche  um  eine  zur  Ekliptikebene  senkrechte 
Achse  zu,  die  sogenannte  Deklinationsbewegung.  Da  er  nämlich  unter  einer 
Rotation  nur  eine  solche  Bewegung  versteht,  bei  welcher  der  sich  bewe- 
gende Körper  mit  dem  Mittelpunkte  der  Drehung  in  starrer  Verbindung 
steht,  so  würde  bei  der  Rotation  der  Erde  um  die  Sonne  die  Erdachse 
zunächst  ihre  Richtung  fortwährend  ändern,  und  es  bedurfte  einer  wei- 
teren Bewegung,  um  diese  Änderung  wieder  rückgängig  zu  machen.  Selbst- 
verständlich mufs  diese  dieselbe  Periode  haben,  wie  jene.  —  Galilei  meint 
also:  wenn  man  der  Sonne,  ähnlich  wie  Kopernikus  der  Erde,  zwei  ver- 
schiedene Rotationen  um  sich  selber  beilegt,  so  mufs  die  Periode  der  einen 
Rotation  mit  der  Umlaufszeit  der  Sonne  um  die  Erde  übereinstimmen;  es 
ist  aber  dann  kein  zureichender  Grund  vorhanden,  warum  sie  eher  mit  der 
jährlichen  Umdrehung  als  mit  der  täglichen  übereinstimmt.  —  Dieser  ganze 
Vergleich  mit  der  Erdbewegung  pafst  aber  nicht,  denn  Galilei  will  ja 
durch  seine  zweite  der  Sonne  beizulegende  Rotation  gerade  bewirken,  dafs 
die  Sonnenachse  nicht  sich  selber  parallel  bleibt.  —  Über  die  dritte  von 
Kopernikus  der  Erde  beigelegte  Bewegung  wird  ausführlicher  gesprochen 
p.  416  f. 

50)  p.  372.  Im  Italienischen  liegt  hier  ein  Anakoluth  vor,  welches 
in    der  Übersetzung   durch   das   eingeschobene  „alles  erklärt"  beseitigt  ist. 

51)  p.  373.  Die  im  folgenden  besprochenen  Einwände  Scheiners  (oder 
Lochers,  seines  Schülers)  finden  sich  in  den  Disquisitiones  mathemaficae, 
Abschn.  XIII  p.  23 — 28.  Der  im  Text  begonnene  Satz  lautet  in  deutscher 
Übersetzung  vollständig  folgendermafsen :  „Die  Erde  also  samt  dem  Monde 
und  unserer  ganzen  elementaren  Welt  versetzte  Kopernikus,  ein  im  übrigen 
durch  Gelehrsamkeit  hervorragender  Mann,  zwischen  den  Himmel  des  Mars 
und  der  Venus,  die  Sonne  stiefs  er  hinab  in  den  Mittelpunkt  des  Weltalls; 
die  Sonne  wie  auch  das  Firmament  liefs  er  stillestehen,  die  Erde  sich  be- 
wegen und  zwar  in  dreifacher  Bewegung,  der  jährlichen,  der  Deklinations- 
und der  täglichen  Bewegung;  um  alles  das  deutlicher  zu  machen,  fügen 
wir  hier  sein  System  bei  [auf  Seite  24  ist  eine  Figur,  welche  das  Schema 
des  kopernikanischen  Systems  darstellt];  hierbei  ist  das  Firmament  ABCB 
der  oberste  Himmel  und  unbeweglich,  die  östliche  Seite  bei  u4,  die  süd- 
liche bei  j5,  die  westliche  bei  C,  die  nördliche  bei  T>:  i^ F  die  Sphäre  des 
Saturn,  GH  die  des  Jupitei-,  JK  die  des  Mars,  deren  Dicke  bis  zur  Sphäre 
JRS  der  Venus  reicht,  und  innerhalb  deren  die  elementare  Welt  LMNP 
enthalten  ist;  die  Erde  P  und  der  Mond  31  durchwandern  diese  in  einem 
Jahre  von  Osten  nach  Westen,  mit  ihrem  Mittelpunkt  den  Kreis  OPQ 
beschreibend,    welcher   den  Orhis  magnus  oder  den  Orbis  anmms  vorstellt; 


558  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

weiter  nach  innen  folgt  die  Sphäre  ES  der  Venus,  welche  die  des  Mars 
TV  umfafst,  und  in  dem  Mittelpunkte  dieser  und  aller  anderen  hat  die 
Sonne  ihren  Sitz." 

52)  p.  374.  Die  Witzeleien  in  den  1614  erschienenen  Disquisitiones 
über  das  Verhältnis  gewisser  Bibelstellen  zu  dem  kopernikanischen  System 
sind  ein  deutlicher  Beweis,  dafs  damals,  also  kurz  vor  dem  1616  erfolgten 
Verbote  der  Lehre  von  der  Erdbewegung,  selbst  Scheiner  keinen  unverein- 
baren Widerspruch  zwischen  Bibel  und  Kopernikus  finden  konnte.  —  Ga- 
lilei spricht  sich  über  diese  theologischen  Dinge  weitläufig  in  dem  berühm- 
ten Briefe  an  die  Grofsherzogin  Mutter  Christine  aus  (Op.  11,  26  —  64). 
Die  Art  und  Weise,  wie  er  hier  seiner  Entrüstung  über  Scheiners  Äufse- 
rungen  Ausdruck  verleiht,  entspricht  ganz  dem,  was  er  in  diesem  Briefe 
als  gefährliche  Folge  des  Verbots  des  kopernikanischen  Systems  voraussagt. 
In  dem  Streite  der  Parteien,  meinte  er  damals  (Op.  II,  37),  würden  leicht 
Gründe  vorgebracht  werden,  denen  man  höhere  Beweiskraft  beimesse,  als 
der  heiligen  Schrift. 

53)  p.  374.  Die  Stelle  bei  Tycho  wird  in  den  Disquisitiones  selbst 
citiert,  sie  findet  sich  in  den  Progymnasmata  p.  481. 

54)  p.  375.  Vgl.  Cop.  De  revol.  lib.  I,  cap.  X,  wo  es  gegen  den  Schlufs 
heifst:  Quod  autem  nihil  eorum  apparct  in  fixis,  immensam  illorum  arguit 
celsituäinem ,  quae  faciat  etiam  annui  motus  orhem  sive  eins  imaginem  ab 
oculis  evanescere,  quoniam  omne  visibile  longitudincm  distantiae  licibd  aliquam, 
ultra  quam  non  ampUus  sxjectatur,  ut  demonstratur  in  opticis.  Ähnlich  am 
Schlüsse  von  cap.  VI  im  ersten  Buche. 

55)  p.  375.  Die  Entfernung  der  Sonne  wurde,  ^Ane  man  sieht,  von 
den  damaligen  Astronomen  gewaltig  unterschätzt,  sie  beträgt  bekanntlich 
etwa  2.3  000  Erdradien. 

56)  p.  375.  Hier  ist  zum  ersten  Male  eine  Andeutung  darüber,  dafs 
die  Sonne  wechselnde  Entfernung  besitzt,  bisher  war  immer  nur  von  voll- 
kommenen Kreisen  die  Rede,  in  deren  Mittelpunkte  entweder  die  Sonne 
oder  die  Erde  steht.  Diese  unvorbereitete  Erwähnung  ist  nach  den  bis- 
herigen Auseinandersetzungen  einigermafseu  üben-aschend. 

57)  p.  375.  In  Wahrheit  ist  bekanntlich  der  scheinbare  Durchmesser 
sämtlicher  Fixsterne  noch  bei  weitem  kleiner.  Auch  in  den  schärfsten 
Fernröhren  erscheinen  die  Fixsterne  als  unteilbare  Punkte;  wir  können 
daher  auch  nicht  das  Mindeste  aussagen  über  ihre  wahre  Gröfse,  wiewohl 
uns  von  einigen  die  Entfernung  annähernd  bekannt  ist.  Wahrscheinlich 
unbegründet  ist  auch  die  damals  herrschende  i^nsicht,  dafs  der  scheinbare 
Durchmesser  der  Sterne  „erster  Gröfse"  den  der  Sterne  „geringerer 
Gröfse"  übertreffe.  Wäre  der  nächste  Fixstern  so  grofs  wie  die  Sonne, 
so  würde  sein  scheinbarer  Durchmesser  0,004"  betragen.  Ein  grofses 
Verdienst  Galileis  besteht  aber  jedenfalls  darin,  auf  die  ungeheure  Über- 
schätzung der  scheinbaren  Fixstemdurchmesser  hingewiesen  zu  haben,  wie- 
wohl er  selbst  sie  noch  immer  viel  zu  grofs  annimmt. 

58)  p.  376.  In  der  editio  princeps  steht  hier  centosdmilionesima  parte; 
der  einige  Male  wiederholte  Fehler  beruht  darauf,  dafs  nicht,  wie  dort 
fälschlich  angegeben  wird,  220^  =  106  480  000,  sondern  =  10  648  000  ist. 
Der  Fehler  ist  schon  in  der  paduanischen  Ausgabe  von  1744  verbessert.  — 
Unter   orhis  magnus   wii'd   sowohl   die    Erdbahn    selbst   als   auch  die  Kugel 


Anmerkungen  zum  dritten  Tag.  559 

verstanden,  welche  mit  dem  Radius  der  Erdbahn  um  die  Sonne  beschrieben 
ist;  verschieden  davon  ist  nach  dem  damals  herrschenden,  aber  nicht  immer 
strenge  innegehaltenen  Sprachgebrauch  die  Eklij)tik,  welche  am  „Firma- 
ment" verläuft;  daher  die  Ausdrucksweise,  dafs  die  Erde  sich  „unter"  der 
Ekliptik  bewegt. 

59)  p.  376.  Dafs  der  Durchmesser  der  Sonne  11  Erdhalbmesser  be- 
trägt, ist  eine  Konsequenz  der  damals  üblichen,  falschen  Annahme,  dafs 
die  Sonne  1208  Erdradien  von  uns  entfernt  sei,  und  der  richtigen,  dafs 
ihre  scheinbare  Gröfse  etwa  -|-^  beträgt. 

60)  p.  377.  Al-Fergani  (oder  Alfagrano  oder  Alfragan)  lebte  um 
800  und  war  Hauptastronom  des  Kalifen  Al-Mamum.  —  Albategnius 
(geb.  zu  Eatan  in  Mesopotamien  um  die  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts, 
gestorben  um  928),  der  bedeutendste  arabische  Astronom,  Entdecker  der 
Bewegung  des  Sonnenapogäums.  Die  Hauptwerke  der  genannten  Astro- 
nomen wurden  von  ßegiomontan  herausgegeben  unter  dem  Titel:  Alfra- 
f/ani  rudimenta  astronomiae  et  Albategnii  Über  de  motu  stellarum,  ex  öbser- 
vationibus  tum  proprüs,  tum  Ptolemaei  (Nürnbei-g  1537).  —  Thebit,  einer 
der  arabischen  Bearbeiter  des  Almagest  von  Ptolemäus,  lebte  von  836  bis 
901.  —  Clavius  (geb.  1537  zu  Bamberg,  gest.  1612),  Jesuit,  lebte  gröfs- 
tenteils  in  Rom,  wo  er  als  Lehrer  der  Mathematik  fungierte.  Er  gehörte 
der  von  Gregor  XIII.  berufenen  Kommission  zur  Beratung  der  Kaleuder- 
reform  an  und  galt  als  der  bedeutendste  Mathematiker  seiner  Zeit.  Seine 
gesammelten  Werke:  Opera  mathematica ,  5  Foliobände,  erschienen  in 
Mainz   1612. 

61)  p.  378.  Die  hier  angeführte,  freilich  recht  rohe  und  unzuverlässige 
Methode,  die  höchstens  zum  Beweise  dienen  kann,  wie  sehr  die  scheinbare 
Gröfse  der  Sterne  bisher  überschätzt  wurde,  setzt  Galilei  mit  etwas  grö- 
fserer  Ausführlichkeit  auch  in  seinen  Operazioni  asironomiche  auseinander 
(Op.  V,  378  ff.).  Er  ersann  noch  ein  anderes  Verfahren,  von  welchem  wir 
durch  ein  Tagebuch  Niccolö  Arrighettis  wissen  (Op.  V,  387  ff.). 

62)  p.  378.  Die  Stelle  ist  etwas  unklar,  es  ist  fraglich,  ob  die  Über- 
setzung genau  den  richtigen  Sinn  getroffen  hat.  Der  italienische  Text 
lautet:  tisando  perb  Ja  soUta  cautela,  che  si  osserva  nel  prenderc  angoli  cos) 
acuti,  di  non  formare  il  Concor  so  de'  rag(ji  visuali  nel  centro  delV  occlno, 
dove  non  vanno  se  non  refratti,  ma  oltre  all'  occMo,  dove  reahncnte  la  gran- 
dczza  della  pupüla  gli  manda  a  concorrcre.  Klarer  ist  die  Auseinander- 
setzung in  den  Operazioni  asironomiche.  Die  Brechung  der  Lichtstrahlen 
im  Auge  hat  mit  der  Sache  nichts  zu  thun,  auch  wird  darauf  nachher 
nicht  zurückgekommen.  Da  die  Pupille  kein  Punkt  ist,  daher  auch  noch 
Licht  von  dem  Sterne  empfangen  kann,  wenn  sie  sieh  innerhalb  desjenigen 
Winkelraums  befindet,  der  von  den  gemeinsamen  Tangenten  des  Fadens 
und  des  Sternes  gebildet  wird,  so  bedarf  es  allerdings  der  von  Galilei  an- 
gedeuteten Berücksichtigung  der  Pupillengröfse.  Indessen  konmien  bei  dem 
principiell  richtigen  Versuche  noch  so  viele  andere  Schwierigkeiten  hinzu, 
wie  die  Beugung  des  Lichtes  und  vor  allem  die  Bewegung  des  Sternes, 
dafs  man  sich  wundern  mufs,  wie  Galilei  immerhin  mit  solcher  Bestimmt- 
heit ein  für  die  damalige  Zeit  überraschendes  Resultat  aussprechen  konnte. 
—  Jedenfalls  hätte  Galilei  noch  hinzufügen  müssen,  dafs  der  Durchmesser 


560  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

der  Schnur  gröfser    als    der   der  Pupille    sein  mufs,    widrigenfalls  ein  Ver- 
decken des   Sternes  durch  den   Faden  überhaupt  nicht  stattfinden  kann. 

63)  p.  379.  In  allen  Ausgaben  steht  statt  pag.  oder  fac.  167  das 
falsche  cap.  167.  Die  Stelle,  welche  hier  citiert  wird,  ist  übersetzt  in  der 
Note  zu  p.  140. 

64)  p.  381.  Wenn  allgemein  f  der  Durchmesser  der  Schnur,  p  der 
der  Pupille  ist,  d  der  Abstand  von  Schnur  und  Pupille  und  x  die  Ent- 
fernung des  Strahlenschnittpunktes  vom  Auge,   so  ist  x  :  {x  -\-  (t)  =  p  :  f^ 

d  .  .     .         .        f 

also  X  =  ^ .     Bei    dem    im  Text    gewählten   Beispiele   ist   —  =  4  , 

P 
cZ  =  30,  also  ir-=10,  mithin  der  Strahlenschuittpunkt  vom  Auge   10  Ellen, 
vom  Faden   40  Ellen   entfei'nt. 

65)  p.  382.  Ratio  evcrsa,  arithmetischer  terminus  technicus,  der  an- 
gewendet wird,  wenn  nicht,  wie  gewöhnlich,  nach  dem  vierten,  sondern 
nach  dem  dritten  Gliede  einer  Proportion  gefragt  wird,  nicht  zu  verwech- 
seln mit  unserm   „indirekten  Verhältnis". 

66)  p.  382.  Die  zu  diesem  Zweck  zu  benutzenden  Daten  sind:  Jupiter- 
entfernung =  .5  Sonnenfernen,  ^farsentfernung  =  1^  Sonnenfernen ;  Jupiter- 
umlaufszeit  12  Jahre,  Marsumlaufszeit  2  Jahre. 

67)  p.  382.  Kopernikus  entwickelt  seine  Theorie  der  Präcession  in 
den  ersten  Kapiteln  des  dritten  Buches  seiner  Bevolnüones^  er  schätzt  die 
Periode  der  Präcessionsbewegung  auf  25  816   ägyptische  Jahre  (cap.  6). 

68)  p.  387.  Der  lateinische  Originaltest  lautet  {Disci.  math.  p.  28): 
Unde  interrogare  luhcret  1.  Cid  hono  tantae  machmae;  an  produdae  ob  tan- 
iillum  terrae  pimctidum?  Cur  igitur  2.  Tarn  remotae,  td  tantiüae  appareani, 
et  nihil  fcrme  in  terram  possint?  3.  Ad  quid  insana  illa  inter  ipsas  atque 
Saturnum  vorago?  frustra  scilicet  sunt  omnia,  quibus  ratio  probahiUs  milla 
patrocinatur. 

69)  p.  388.  Hier  liegt  eine  naive,  philosophisch  unberechtigte  An- 
schauung zu  Grunde.  Wenn  wir  sagen,  ein  Objekt  scheine  uns  klein,  so 
ist  entweder  die  Rede  von  dem  wissenschaftlichen  terminus  der  „schein- 
baren Gröfse",  einer  gewissen  Winkelgröfse  also,  die  nicht  von  dem  In- 
strumente abhängt,  womit  das  Objekt  betrachtet  wird;  oder  man  denkt 
an  das  bald  mehr,  bald  weniger  richtige  Urteil  über  die  wahre  Gröfse, 
welches  bewufst  oder  unbewufst  auf  Grund  der  „scheinbaren  Gröfse" 
und  der  geschätzten  Entfernung  zustande  kommt.  Das  vergröfserte  Sehen 
mit  dem  Fernrohr,  auf  welches  G.  anspielt,  beruht  darauf,  dafs  das  be- 
waffnete Auge  nicht  den  Körper  selbst,  sondern  ein  näher  gelegenes  Bild 
desselben  betrachtet.  Um  mit  dem  Fernrohr  erst  den  linken,  dann  den 
rechten  Rand  eines  Objektes  zu  fixieren,  hat  man  es  um  denselben  Winkel 
zu  drehen,  wie  das  unbewafi"nete  Auge.  Hätten  wir  angeborene  Fernrohre 
vor  den  Augen,  so  würden  mithin  die  Dinge  dieselbe  scheinbare  Gröfse 
besitzen  wie  jetzt.  Der  Fehler  des  Auges,  den  Galilei  eigentlich  hervor- 
heben möchte,  ist  wohl  nicht  der,  dafs  uns  entfernte  Dinge  so  klein  er- 
scheinen, sondern  dafs  die  Dinge,  die  uns  so  klein  erscheinen,  keine  Details 
mehr  zeigen,  undeutlich  sind.  Bei  strengem  Sprachgebrauch  ist  es  auch  un- 
zulässig zu  sagen:  der  Körper  scheint  uns  (oder  der  Erde)  so  grofs,  wie  er 
ist;    darin  liegt  ein   Vergleich  zwischen  Unvergleichbarem,    wie  wenn   man 


Anmerkuiigen  zum  dritten  Tag.  561 

sagte:  der  Körper  wiegt  so  viel,  als  er  gi'ofs  ist.  Es  könnte  höchstens  jene 
Ausdrucksweise  besagen  wollen,  das  Urteil,  das  wir  uns  über  die  wahre 
Grüfse  bilden,  sei  zutreffend.  Dann' aber  ist  das  Klein-Erscheinen  der  Sterne 
nicht  in  erster  Linie  auf  einen  Fehler  des  Auges,  sondern  auf  den  Fehler 
unserer  Urteilskraft  oder  auf  den  Mangel  an  Erfahrung  zurückzuführen. — 
Ausführlich,  wenn  auch  wenig  überzeugend,  spricht  sich  Galilei  über  schein- 
bare Gröfse  aus  im  Saggiatore  (Op.  IV,  218  f.). 

70)  p.  389.  Ad  homincm  „gegen  den  Mann",  ein  terminus  der  Dia- 
lektik; man  versteht  darunter  einen  Beweis,  der  sich  nicht  auf  bewiesenen 
oder  allgemein  anerkannten  Prämissen  aufbaut,  sondern  auf  den  vom  Gegner 
für  richtig  gehalteneu;  ein  solcher  Beweis  hat  daher  zwar  keinen  wissen- 
schaftlichen Wert,    kann   aber  zur  Überzeugung  des   einen   Gegners  dienen. 

71)  p.  390.  Gemeint  ist  Ingoli,  Rechtsanwalt  in  Ravenna,  der  IG  IG 
an  Galilei  einen  Brief  gerichtet  hatte,  worin  er  die  kopernikanische  Lehre 
bekämpfte.  Galilei  erwiderte  mit  einem,  bei  seinen  Lebzeiten  nicht  ge- 
druckten, Schi-eiben  (Op.  II,  64 — H-'^),  worin  er  in  ähnlicher  Weise  wie 
im  Dialog  für  Kopernikus  argumentiert,  u.  a.  auch  die  vermeintliche  Not- 
wendigkeit einer  Yeränderung  der  Polhöhe  widerlegt  (ib.  p.  105  f.).  Ga- 
lilei thut  übrigens  hier  und  in  dem  Briefe  an  Ingoli  wahrscheinlich  Tycho 
Unrecht;  die  Stelle  der  Progymnasmata  (p.  684),  welche  sich  mit  einer 
Beobachtung  Christoph  Rothmanns  beschäftigt,  ist  nicht  ganz  klar;  sie 
bedeutet  vielleicht  nur,  dafs  die  gewöhnliche  Methode  der  Polhöhenbestim- 
mung infolge  der  jährlichen  Erdbewegung  zu  einem  anderen  Resultate  im 
Winter  als  im  Sommer  führen  müfste,  dafs  also  diese  ^Methode  wegen  der 
Fixsternparallaxe  dann  nicht  ohne  weiteres  zuverlässig  sei.  Wenn  man 
mithin  dennoch  nach  dieser  üblichen  Methode  die  Polhöhe  ermittelt  und 
zu  verschiedenen  Jahreszeiten  verschiedene  Ergebnisse  findet,  so  würde  das 
allerdings  die  Erdbewegung  erweisen. 

72)  p.  394.  Zu  Galileis  grofsen  Verdiensten  gehört  die  Hervorhebung 
aller  mathematischen  Grenzübergänge.  Bei  ihm,  wie  bei  Buouaventura 
Cavalieri,  der  unter  seinem  Einflüsse  stand,  finden  sich  demgemäfs  auch 
die  ersten  Ansätze  zur  Infinitesimalrechnung.  Der  hier  ausgesprochene  Ge- 
danke findet  nähere  Ausführung  in  den  Discorsl  (Op.  XIII,  42  fl'.). 

73j  p.  395.  Aufgangs  Azimuthe:  so  habe  ich  das  italienische  Ja- 
ütudini  otiive  wiedergegeben.  Laiiindo  ortiva  (und  entsprechend  latifxdo 
occidua)  bedeutet  eigentlich  den  Bogen  des  Horizontes  zwischen  dem  Auf- 
gangspunkt (Untergangspunkt)  eines  Gestirnes  und  dem  Schnittpunkt  von 
Horizont  und  Äquator,  also  das,  was  speciell  bei  der  Sonne  gegenwärtig 
Morgen-  und  Abendweite  genannt  zu  werden  pflegt,  während  die  Azimuthe 
von  dem  Schnittpunkte  des  Meridians  mit  dem  Horizonte  gezählt  Averden. 
Bedeutet  J.'das  Aufgangsazimuth ,    8    die  Deklination   des  Sternes,    cp  die 

Polhöhe,  so  ist  cos  A  = 

'  cos  9 

74)  p.  396.    Auf  dieses  „Hauptbedenken"   gegen   das  kopernikanische 

System     ist     schon    von    vornherein     die    Aufmerksamkeit     gelenkt     (vgl. 

p.  144  f.).     Seine   Beseitigung,    soweit    es    sich    auf  die   Fixsterne   bezieht, 

wird  sofort  in  Angrifl"  genommen;   soweit  es  die   Sonne   betrifft,  folgt  seine 

Erledigung  p.  407  ff.    Dafs  die  Sache  dunkel  oder  auch  nur  schwierig  sei, 

sagt  Kopernikus  eigentlich  nicht,  er  schickt  nur  seinen  beiden  Auseinander- 

Gai.ii.ei,  Weltsysteme.  36 


562  Anmerkungen  zum  dritten  Tag. 

Setzungen  (De  revol.  lib.  I,  cap.  XI)  die  Bemerkung  voraus,  dafs  diese 
Dinge  mehr  anschaulich  gemacht  als  beschrieben  werden  _  müssen  {ßiiae 
ociilis  sublici  quam  clici  desideranf). 

75)  p.  399.  Trotz  der  gegenteiligen  Versicherungen  Galileis  findet  an 
den  Sternen  der  Ekliptik  infolge  der  Erdbewegung  allerdings  eine  schein- 
bare Verschiebung  in  Länge  statt,  welche,  auch  bei  Annahme  einer  Ver- 
teilung der  Fixsterne  über  eine  einzige  Kugeloberfläche  —  abgesehen  von 
ihrer  Geringfügigkeit  —  konstatierbar  ist.  Zwei  benachbarte  Fixsterne  der 
Ekliptik  müssen  nämlich  zu  der  Zeit,  wo  die  Erde  ihnen  näher  steht,  eine 
gröfsere  scheinbare  Entfernung  besitzen  als  zur  Zeit,  wo  die  Erde  von 
ihnen  weiter  entfernt  ist,  mit  anderen  Worten:  die  Fixsterne  der  Ekliptik 
scheinen  weiter  von  einander  entfernt,  wenn  sie  (annähernd)  in  Konjunk- 
tion, als  wenn  sie  in  Opposition  zur  Sonne  sich  befinden.  Die  durchschnitt- 
liche Längenverschiebung  der  Ekliptiksterne  würde  sich  allerdings,  wie 
Galilei  ausführt,  der  Wahrnehmung  entziehen,  die  Abweichung  von  dieser 
mittleren  Bewegung  aber  bemerkbar  werden,  so  dafs  auch  hier  von  Recht- 
und  Rückläufigkeit  gesprochen  werden  könnte. 

76)  p.  400.  Diese  Prophezeiung  hat  sich  ganz  in  der  von  Galilei  an- 
gegebenen Weise  erfüllt;  Bessel  hat  die  erste  Fixsternparallaxe  durch  Ver- 
gleich eines  vermutlich  näheren  mit  einem  vermutlich  ferneren  Fixsterne 
aufgefunden. 

77)  p.  400.  Unter  Koluren  werden  die  beiden  durch  die  Himmeispole 
und  die  Äquinoktien,  resp.  die  Solstitien  laufenden  gröfsten  Kreise  ver- 
standen. Der  Solstitialkolur  steht  zur  Ekliptik  senkrecht,  nicht  aber  der 
Aquinoktialkolur,  beide  sind  zugleich  ,. Meridiane",  wie  Galilei  angiebt, 
wenn  dieses  Wort  im  Sinne  von  „Stundenkreis"  genommen  wird,  d.  h. 
einen  beliebigen  durch  die  Himmelspole  laufenden  gröfsten  Kreis  bedeutet 
(vgl.  zu  p.  366).  —  Wenn  im  folgenden  von  „Höhe"  die  Rede  ist,  so 
bezieht  sich  dieser  Ausdruck  (elevasione)  auf  die  scheinbare  Entfernung 
von  der  Ekliptik,  würde  also  nach  strengem  Sprachgebrauch  durch  „Breite" 
zu  ersetzen  sein. 

78)  p.  405.     Über  die  Armillarsphären  vgl.  zu  p.  364. 

79)  p.  405.  Aufser  den  Beschreibungen,  die  Tycho  von  seinen  Instru- 
menten in  anderen  Werken  giebt,  hat  er  eine  besondere  Schrift  über  diesen 
Gegenstand  verfafst:  Astronomiac  instauratae  Mechanka  (Wandesburgi  1598); 
Galilei  besafs  davon  (Fav.  La  JAhrcriu  p.  41)  die  spätere  in  Nürnberg  er- 
schienene Ausgabe  vom  Jahre  1602.  Allbekannt  ist  Tychos  grofsartiges, 
in  den  Epistolac  astronomicac  beschriebenes  Observatorium  Uranienburg  auf 
der  im  Sunde  gelegenen  Insel  Hwen  oder  Hveen. 

80)  p.  405.  In  Wahrheit  war  der  Ort,  von  dem  aus  Galilei  (nicht 
Salviati)  den  Eintritt  des  Solstitiums  beobachtete,  die  Villa  Bellosguardo 
bei  Florenz,  die  Eigentum  eines  gewissen  Lorenzo  Segni  war;  Galilei  be- 
wohnte sie  vom  15.  August  1617  bis  zum  Jahre  1631.  über  seine  Be- 
obachtungen berichtet  er  an  Cesare  Marsili  am  5.  April  1631  (Op.  VI, 
379);  sie  bezweckten  namentlich,  eine  etwaige  Veränderung  der  Ekliptik- 
schiefe festzustellen.  Von  dort  aus  ist  die  zum  karrarischen  Bergland  ge- 
hörige Felsengrui^pe  Pietrapana  mittels  des  Fernrohrs  sichtbar. 

81)  p.  410.  Im  Original  und  in  sämtlichen  Ausgaben  steht  irrig  sojira 
il  diametro   statt  sopra    il  po'jJendicoJo  del  diametro. 


Anmerknngen  zum  dritten  Tag.  563 

82)  p.  411.  Die  zu  Galileis  Zeit  übliche  Terminologie  sprach  nicht 
nur  von  Polen  gröfster,  sondern  auch  von  Polen  beliebiger  Kugelkreise, 
worunter   ihre  (beiden)  sphärischen  Mittelpunkte  verstanden  wurden. 

83)  p.  417.  Über  die  dritte  sogenannte  Deklinationsbewegung  der 
Erde,  die  von  Kopernikus  gelehrt  wurde,  vgl.  zu  p.  371. 

84)  p.  417.  Der  hier  angeführte  Versuch  wird  auch  im  Saggiaiore 
besprochen,  wo  wir  erfahren,  dafs  Galilei  ihn  des  öfteren,  auch  in  Gegen- 
wart von  Virginio  Cesarini,  an  welchen  der  Saggiatore  gerichtet  ist,  an- 
gestellt hat  (Op.  IV,  304). 

85)  p.  418.  William  Gilbert  aus  Colchester,  Leibarzt  der  Königin 
Elisabeth,  hatte  sein  berühmtes  Werk  über  den  Magneten  im  Jahre  1600 
veröffentlicht  (der  vollständige  Titel  des  Buches  lautet:  GiiiJielmi  Gilberti 
Colcestrensis,  Medici  Londinensis,  J)e  Magnete,  Magneticisque  Corporihus,  Et 
De  Magno  magnete  tellure;  Physiologia  nova,  plurimis  argumentis,  et  experi- 
mentis  demonstrata.  Londini  JExcudel)af  Petrus  Short  Anno  MBC).  Schon 
1602  finden  wir  Galilei  mit  eifrigen  Studien  über  den  Magnetismus  be- 
schäftigt und  gemeinsam  mit  Fra  Paolo  Sarpi  (vgl.  Favaro,  Gal.  Galilei 
e  lo  studio  di  Padova  II,  214)  die  Lektüre  des  gilbertschen  Buches  be- 
treibend. Später  entwickelte  sich  ein  lebhafter  Briefwechsel  zwischen  ihm 
und  dem  Sekretär  des  Grofsherzogs  Cosimo  IL,  in  welchem  Galilei  den 
Ankauf  eines  Magneten,  den  Sagredo  besafs,  seitens  des  Grofsherzogs  be- 
fürwortete und  vermittelte.  Es  ist  das  derselbe,  welcher  im  Dialog  später- 
hin (p.  424.  427)  mehrfach  erwähnt  wird.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurden 
auch  manche  interessante  theoretische  Fragen  zur  Sprache  gebracht,  wie 
die  Veränderung  der  Intensität  bei  der  Übersendung  des  Magneten  von 
Padua  nach  Florenz  (Op.  VI,  52),  eine  Frage,  die  übrigens  schon  Gilbert 
berührt  hatte  (Gilbert,  De  Magnete  lib.  II,  cap.  XXXIV,  p.  105  ss.),  und 
die  auch  im  Dialog  näher  erörtert  wird  (p.  423).  Was  Galilei  zu  den  Er- 
gebnissen Gilberts  hinzufügt,  ist  nicht  gerade  viel;  er  erklärt  die  verstär- 
kende Wirkung  der  Armierung  und  macht  auf  Irrtümer  Gilberts  aufmerk- 
sam. Einige  der  zu  ersterem  Zweck  erfundenen  Versuche  rühren  indessen 
schon  von  Gilbert  her,  wie  die  Einschiebung  eines  Blattes  Papier  zwischen 
Armierung  und  Anker;  dafs  er  die  Vermutung  Gilberts  betreffs  der  Eigen- 
rotation einer  magnetischen  Kugel  in  Analogie  zur  Achsendrehung  der 
Erde  leugnet,  ist  zwar  verdienstlich,  aber  doch  nur  ein  negatives  Ergebnis 
Den  Irrtum,  dafs  die  Erde  in  dem  Sinne,  wie  Gilbert  es  meint,  ein  Magnet 
sei,  d.  h.  aus  Magneteisen  bestehe,  adoptiert  Galilei  und  sieht  darin  fälsch- 
lich wie  dieser  eine  Erklärung  der  unveränderten  Erdachsenrichtung. 

86)  p.  420.  Die  nicht  magnetische  Natur  des  Wassers  hebt  auch 
Gilbert  hervor,  der  in  ihr  zugleich  den  Erklärungsgrund  für  die  Deklina- 
tion [variatio)  der  Magnetnadel  sieht  (lib.  IV).  Merkwürdigerweise  spricht 
Galilei  von  der  Deklination  gar  nicht. 

87)  p.  421.    Vgl.  zu-  p.  89. 

88)  p.  422.  Galilei  spricht  von  der  Inklination,  die  1544  von  dem 
Nürnberger  Georg  Hartmann  entdeckt,  von  dem  Engländer  Robert 
Norman  zuerst  (1576)  gemessen,  von  Gilbert  im  fünften  Buche  seines 
Werkes  ausführlich  untersucht  wird.  Gilbert  nennt  sie  drelinafio,  während 
die  Deklination,  wie  oben  angegeben,  bei  ihm  variatio  heifst.  Galilei  meint 
fälschlich,    Gilbert    sei    der    Entdecker    der    Inklination    (p.  430\    wiewohl 

36* 


5(34  Anuicrkuiij^cii   /.um   diiUcii   TiiR-. 

dieser  solhsl,  Nonii;i,ii   als   solclicii    iifiiiit,   (Oilbori,    De  Mii<iii(ir  lib.   1,   cai).  1, 
1..    7  f.). 

89)  p.  422.  (lilbei-t  stellte  die  meisten  seiuer  Versuche  mit  kugel- 
röiiiiigou  Maii;iiotiui  an,  die  er  als  ,, kleine  Erde"  (jutx^oyi/,  terreUa)  be- 
züicbnot. 

90)  p.  424.  Oilbort  büschroibi  die  Art  und  Weise,  wi(^  er  natürliche 
Magneto  armiert,  im  17.  Kapitel  des  2.  Buches  (p.  86—87).  Er  stülpt 
über  die  boüdeii  Pole  je  eine  eiserne  Kappe  (cassis  fcrrea);  an  einer  der 
selben  sind  Haken,  an  der  anderen  Ösen  befestigt,  die  in  einander  greifen 
und  dadurch  die  Kappen  gegen  den  Stein  pressen.  Die  verstärkende  Wir- 
kung der  Armierung  erklärt  Gilbert  bei  dieser  Oeiegenheit,  wie  es  scheint, 
ganz   ähnlich   wie   (Jalilei,   wenn   auch  in   etwas  diuikeler  Ausdrucksweise. 

91)  p.  424.  Es  scheint  die  Stelle  bei  (lilbert  lib.  II,  cap.  17,  p.  HG 
gemeint  zu  sein,  wo  es  heifst,  dafs  ein  Magnet,  der  ohne  Armatur  4  Unzen 
tra,goii  k()nne,  durch  die  Armatur  eine  Tragfähigkeit  von  12  ITnzeu  erlange. 
(Vgl.  auch  den  Brief  an  Cesare  Marsili  vom  27.  Juni  l(i2(;  Op.  VI,  314  f.) 
(Jalilei   citiert  nicht  selten  nachlässig. 

92)  p.  424.  Vom  Magnoten  wurden  zahllose  fabelhafte  Dinge  seit 
dem  Altertum  erzählt.  In  erster  Linie  scheint  aber  unter  den  lügenhaften 
vVutoren  Johannes  Baptista  Porta  verstanden  zu  werden,  der  in  den  früheren 
Auilagen  seiner  Magia  iiatundis  (z.  B.  Antverpiae  1561)  fast  nur  Unsin- 
niges über  den  Magneten  zu  berichten  weifs,  wie  m;in  die  Keuschheit  einer 
Erau  mit  seiner  Hilfe  fesstellen  kann  u.  dgl.  m.  Späterhin  hat  er  indessen 
neben  zahlreichen  Irrtümern  auch  manches  Wahre  behauptet.  Über  sein 
Projekt  eines  Eernsprechapparats  auf  Grund  magnetischer  Eigenschaften 
vgl.  zu  p.  100. 

93)  p.  429.  Über  die  verschiedenen  Erklärungsversuche  der  nnigne- 
tischon  Erscheinungen  lese  man  bei  Gilbort  das  2.  Kapitel  des  3.  Buches 
(p.  GOss.).  Durch  besondere  Originalität  zeichnet  sich  die  Tlieorie  Portas 
au,s;  er  erklärt  den  Magneten  für  ein  Gemisch  von  Stein  und  Eisen,  die 
in  ewigem  Kriege  liegen-,  da  der  Stein  das  Übergewicht  hat,  so  ruft  das 
Eisen  stanunverwandte  lülfstruppen  herbei,  daher  die  Anziehung  des 
Eisens.  —  Die  Erklärung  durch  Sympathie  thut  Gilbert  ganz  kurz  ab: 
Alii  si/mpalliiam  mootcnuii  causam.  Scd  compassio  licet  esset,  tum  tarnen 
compassio  causa  est.  Non  enini  efßcicns  causa  passio  ulla  recte  dici  potest 
(p.  63  f.). 

94)  p.  430.  Hufs  die  Entdeckung  der  Inklination  talschlich  von  Galilei 
(lilbert  zugeschrieben  wird,   ist    oben  bereits  bemerkt  worden  (zu  p.  422). 

95)  p.  430.  Gilbert  hatte  zur  Erklärung  der  Erdrotation  angenonunen, 
dafs  eine  schwebende  Magnetkugel  in  Drehung  geraten  könne  (Gilbert,  De 
Maeinete  lib.  VI,  cap.  IV);  diese  irrige  Ansicht  fand  bei  den  Physikern  der 
Folgezeit  vielen  Anklang,  Galilei  widersjiricht  ihr  mit  Recht  (p.  432  f.). 

96)  p.  431.  Die  Ollapotrida  oder  Oliopatrida,  wi'irtlich  „fauliger 
Topf"  {=  pot  pourri),  bekaiuites,  ursprünglich  spanisches  Nationalgericht, 
das  aus  Schweine-  und  Hanunellleisch,  Brot,  Knoblaiich,  Zwiebeln,  CJurken, 
Safran  u.  s.  w.  bereitet  wird. 

97)  p.  433.  Die  sphärische  Astronomie,  gewöhnlich  schlechtweg  „Sphäre" 
genannt,  wurdo  meist  im  Anschlufs  an  das  Buch  Sacroboscos  vorgetragen. 
(Joannes   de    Sacrobosco,   aus  England   stanmiend,   starb   als   Professor 


Arimf;rkunf(firi  zum   viertx-n  Tii^^,  5G5 

der  Mathematik  zu  Paris  um  125f;.)  Die  von  Galilei  gemeinte  Stelle 
befindet  sich  im  ersten  Kajüte I  der  Spkmra  muncli  und  lautet:  //cm  cum 
arjua  HÜ  co>jjus  liomogenettm ,  toi/um  cum  2'Ojrtihus  eimdcm  crü  rafdonis:  Hcd 
jjartes  aquac  (sicut  in  rjuttulis  et  rorihm  herbarum  accidUj  robmdam  natura- 
Ufer  appctunt  formam.  F/rgo  d  totum,  cuiuH  sunt  partes.  ^)\HWi  Begründung 
der  Kugelgestalt,  welche,  cum  (jrano  satis  verstanden,  gar  nicht  so  unrichtig 
ist,  wurde  aufser  von  Galilei  auch  von  anderen,  wie  /..  B.  von  Glavius 
(Commcnfarms  in  Sphacram  3.  AuH.  p,  1 1 5)  als  nicht  stichhaltig  betrachtet. 


Vierter  Tag. 

\)  p.  435.  Das  vierte  Buch  des  Dialogs  ist  eine  l^'inarheitung  und 
Erweiterung  des  am  8.  Januar  1616  an  den  Kardinal  Orsino  tlbersendct<m 
Discwso  sopra  ü  flmso  c  rcftusso  dct  marc  (Op.  11,  387 — 406);  ja  der  ganze 
Dialog  über  die  Weltsysteme  ist,  in  seiner  jetzigen  Gestalt  wenigst/ens. 
daraus  hervorgegangen.  In  dem  Discorso  wird  jedoch  nur  die  Erklärung 
der  täglichen  Periode  der  Gezeiten  gegeben,  sei  es,  dafs  Galilei  1616 
in  seinen  Forschungen  noch  nicht  weiter  vorgedrungen  war,  sei  es,  dafs 
er  dem  Kardinal  Orsino  gegenüber  sich  eine  Beschränkung  auf  das  Aller- 
hauptsächlichste  auferlegen  zu  sollen  glaubte.  —  Die  von  Galilei  ge- 
gebene Erklärung  der  Gezeiten  stützt  sich  auf  die  durch  die  Doppel- 
bewegung der  Erde  bewirkte  Ungleichförmigkeit,  mit  welcher  sidi  ein 
Punkt  der  P^rdoberfläche  bewegt.  Dieser  Erklärungsversuch,  der  in  seinen 
Grundzügen  schon  in  den  ersten  Jahren  von  Galileis  paduanischer  Professur 
gf-geben  worden  ist  (s.  Einl.  p.  XVII),  ist  im  wesentlichen  verfehlt  und 
fand  wohl  auch  nur  in  Galileis  nächstem  ^Veunde.skreise  nennenswerten 
Beifall.  Vor  allem  lassen  sich  die  thatsächlichen  Erscheinungen  nicht  in 
volle  Übereinstimmung  mit  seiner  Ansicht  bringen;  diese  Erfahrungsthat- 
sachcn  waren  Galilei  eben  nur  unvollkommen  bekannt,  sonst  würde  er 
zweifellos  selbst  zur  Erkenntnis  von  der  TJnhaltbarkeit  seiner  Theorie  durch- 
gedrungen sein.  Insbesondere  war  er  der  Meinung,  die  Periode  der  Ge- 
zeiten hänge  auch  von  Gestalt  und  Tiefe  der  Meere  ab  und  sei  nur  zufällig 
im  mittelländischen  Meere  eine  etwa  sechsstündige  (p.  453).  In  Wahrheit 
ist  —  abgesehen  von  engbegrenzten  Lokalitäten  —  die  Dauer  der  Periode 
allenthalben  dieselbe:  innerhalb  eines  Zeitraumes  von  etwa  24  Stunden 
50  .Minuten  treten  zwei  Maxima  und  zwei  Minima  des  Wasserstandes  auf. 
fJalilei  spricht  durchweg  von  einer  täglichen  Periode,  berücksichtigt  aber 
nirgends  die  so  auffällige  und  längst  vor  ihm  bekannte  tägliche  Verspätung 
der  Gezeiten  um  jenen  Betrag  von  etwa  50  Minuten.  Da  nun  diese  täg- 
liche Verspätung  identisch  mit  der  täglichen  Verspätung  der  Mondkulmi- 
nat.ion  ist,  und  da  aufserdem  bei  Voll-  und  Neumond  die  Höhe  der  Gezeiten 
ein  Maximum  erreicht,  so  hat  man  von  Alters  her  und  zwar  mit  Recht 
die  Gezeiten  mit  dem  Monde  in  Zusammenhang  gebracht,  obgleich  da« 
Wesen  der  Sache  erst  von  Newton  erkannt  wurde,  nachdem  Kepler  bereit« 
sehr  richtige  Andeutungen  daiüber  gegeben  hatte.  <JaliIei  verwirft  die 
.Vnsicht   von   einem    direkten  Einflufs   des  Mondes  auf  irdische  Bewegung»- 


566  Anmerkungen  zum  vierten  Tag. 

Verhältnisse  und  betrachtet  sie  fast  als  abergläubisch.  Damit  steht  nicht 
im  Widerspruch,  wenn  er,  um  die  halbmonatliche  Gezeitenperiode  zu  er- 
klären, einen  indirekten  scheinbaren  Einflufs  des  Mondes  zuläfst,  Vielehen 
er  in  sehr  geistreicher  Weise  von  seinem  Standpunkte  aus  zu  motivieren 
sucht  (vgl.  zu  p.  473);  sein  Erklärungsversuch  würde  freilich  statt  der 
wirklich  stattfindenden  halbmonatlichen  Periode  eine  monatliche  zur  Voraus- 
setzung haben.  —  Die  jährliche  Periode,  von  der  Galilei  spricht,  ist,  wenn 
überhaupt  zu  konstatieren,  von  ganz  nebensächlicher  Bedeutung  und  mufs 
als  eine  von  Wind  und  Wetter  abhängige  Erscheinung  avifgefafst  werden. 
Überdies  würde  aus  dem,  was  Galilei  darüber  sagt,  folgen,  dafs  die  Ge- 
zeiten um  die  Äquinoktien  schwächer,  um  die  Solstitien  stärker  auftreten; 
davon  findet  aber  eher  das  Gegenteil  statt. 

So  leicht  es  danach  ist,  die  Theorie  Galileis  an  der  Hand  der  That- 
sachen  zu  widerlegen,  so  schwer  dürfte  es  sein,  einen  Fehler  in  den  Schlüssen 
nachzuweisen,  die  er  aus  der  doppelten  Erdbewegung  zieht.  Auch  ist  dies 
trotz  des  allgemeinen  Verdammungsurteils,  das  über  seine  Theorie  gefällt 
wird,  in  eingehender  Weise  niemals  geschehen.  Ich  halte  es  für  sehr  wohl 
möglich,  dafs  die  von  Galilei  aufgestellte  Theorie  in  der  Hauptsache  nicht 
unrichtig  ist,  dafs  aber  die  Erscheinungen,  die  ihr  zufolge  eintreten  müfsten, 
zu  geringfügig  sind,  um  neben  der  Mondflut  bemerkt  zu  werden.  Da  das 
Phänomen  der  Gezeiten  noch  keineswegs  vollständig  in  seinen  höchst  kompli- 
zierten Details  erforscht  ist,  so  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  die  galileische  Ansicht  zur  Aufklärung  sekundärer  Fluterscheinungen 
mit  herangezogen  werden  kann.  Um  die  quantitativen  Verhältnisse  würdigen 
zu  können,  welche  auf  Grund  dieser  Anschauungsweise  eintreten  würden, 
bedürfte  es  vor  allem  einer  mathematischen  Behandlung  der  Sache,  die 
freilich  grofse  Schwierigkeiten  bietet.  —  Nur  wenig  verschieden  von  dem 
galileischen  Gedanken  würde  die  Vorstellung  sein,  dafs  die  Verminderung 
der  Schwere  duri  h  die  Centrifugalkraft,  wie  sie  bekanntlich  thatsächlich 
stattfindet,  gröfser  ist  auf  der  der  Sonne  abgewendeten  Seite  der  Ex'de, 
geringer  hingegen  auf  der  der  Sonne  zugekehrten,  weil  noch  die  Centrifugal- 
kraft in  Rechnung  zu  ziehen  ist,  welche  durch  die  jährliche  Bewegung  der 
Erde  verursacht  wird. 

2)  p.  436.  Während  im  gröfsten  Teile  des  mittelländischen  Meeres 
die  Flut  sehr  unbedeutend  ist,  steigt  sie  nach  Galilei  in  Venedig  auf 
„5  —  6  Fufs"  (vgl.  p.  453),  d.  h.  da  wahrscheinlich  bei  G.  1^  Fufs  =  1  Elle 
zu  setzen  ist,  auf  3  —  4  Ellen  oder  1-^  —  2  Meter,  was  freilich  mit  den 
Thatsachen  schlecht  übereinstimmt;  ihr  wahrer  Betrag  ist  vielmehr  kaum 
1  Meter.  Galilei  interessierte  sich  auch  nach  Veröfi"entlichung  des  Dialogs 
lebhaft  für  die  Flutphänomene  in  Venedig,  er  bittet  z.  B.  seinen  Freund 
Fulgenzio  Micanzio  um  Auskunft  über  mancherlei  Einzelheiten  in  einem 
Briefe  vom  30.  Januar  1637  (Op.  VH,  145).  —  Auf  die  Reise  Sagredos 
nach  Aleppo  (1608  —  1611)  in  seiner  Eigenschaft  als  venetianischer  Konsul 
wird  im  Dialog  wiederholt  angespielt.     (Vgl.  p.  180.  265.  461.) 

3)  p.  439.  Der  geistliche  Würdenträger,  der,  wie  man  aus  dem  Texte 
ersieht,  eine  gar  nicht  übele  Erklärung  von  Ebbe  und  Flut  gab,  ist  der 
durch  seine  Lebensschicksale  berühmte  Erzbischof  von  Spalatro,  Marc'  An- 
tonio de  Dominis;  seine  auf  diesen  Gegenstand  bezügliche  Schrift  führt 
den  Titel  Eurqms  sive  sentenüa  de  ßuxu   et  refluxu  maris  (Romae  1624). 


Anmerkungen  zum  vierten  Tag.  567 

Seine  Erklärung  ist  im  wesentlichen  identisch  mit  der  von  Stevinus  ge- 
gebenen; namentlich  wird  bei  beiden  auch  dem  dem  Monde  diametral 
gegenüberliegenden  Punkt  anziehende  (bei  Stevinus  auch  eventuell  ab- 
stoisende)  Kraft  auf  das  Wasser  zuerkannt  {Lcs  Oeuvra  Mdfhcmafiqucs  De 
Simon  Sfevin  de  Brugcs.  Leyden  1634.  T.  II,  177—183).  —  Die  Meinung, 
wonach  Ebbe  und  Flut  der  Mondwärme  ihr  Dasein  verdankten,  wurde, 
wie  aus  der  Postille  hervorgeht,  hauptsächlich  von  Girolamo  Borro  ver- 
treten. Er  war  zur  Zeit,  wo  Galilei  studierte,  Professor  der  Medizin  und 
Philosophie  zu  Pisa,  wo  er  sich  durch  seine  atheistischen  Lehren  (^„supra 
octaoam  sphaerain  nihil  est")  die  Verfolgung  der  Inquisition  zuzog.  Schon 
in  einer  der  frühesten  Schriften  Galileis,  in  den  Scrmones  de  motu  gravhmi, 
wird  seiner  Erwähnung  gethan.  Wie  Herr  Favaro  mir  mitteilte,  legte 
Borro  seine  Ansicht  über  die  Gezeiten  nieder  in  der  Schrift:  Del  flnsso 
et  rcfliisso  del  mare  et  dcW  inmidatione  del  Nilo  (Fiorenza  appresso  Giorgio 
Marescotio).     Vgl.  insbesondere  p.  122  — 144  daselbst. 

4)  p.  440.  Vgl.  Pseudo-Arist.  Quaest.  mech.  cap.  I,  847,  a,  11.  &av- 
/.(d'^srca  t&v  ^lev  Kara  (pvöLV  Gvfißatvovzoav,  o'öcov  ayvoeirai  xo  aixiov.  —  Die 
Zurückführung  von  Ebbe  und  Flut  auf  ein  Wunder  war  vom  Papst  Urban  VIII. 
l)ei  seinen  Gesprächen  mit  Galilei  als  die  wahre  Erklärung  angesehen  worden; 
ilarum  geht  Galilei  nicht  ohne  weiteres  über  diesen  Verzicht  auf  eine  Er- 
klärung zur  Tagesordnung  über,  wie  es  in  ähnlichen  Fällen  selbst  die 
frommsten  und  orthodoxesten  Autoren  zu  thun  pflegten.  Freilich  mochte 
Urban  eine  viel  weiter  gehende  Berücksichtigung  seiner  Winke  erwartet 
haben;  Stellen  wie  diese  und  wie  die  am  Schlüsse  des  Dialogs  befriedigten 
seine  Eitelkeit  ganz  ixnd  gar  nicht.  Und  doch  hatte  Galilei  sein  Möglichstes 
gethan,  um  einer  so  wenig  diskutabeln  Ansicht  einigermafsen  gerecht  zu 
werden.  Die  Ironie,  die  ein  moderner  Leser  vielleicht  in  diesen  Stellen 
vermuten  möchte,  ist  sicher  nicht  beabsichtigt.  So  ernsthaft  man  freilich 
über  Dinge,  an  die  man  nicht  glaubt,  mag  reden  wollen,  es  wird  eine 
Satire  daraus. 

5)  p.  442.  Aus  dem  Vergleich  dieser  Stelle  mit  p.  453  ergiebt  sich, 
riafs  10  Spannen  {pahni)  etwa  gleich  5  Fufs  (pied'i)^  oder  1  Fufs  gleich 
2  Spannen  sein  mufs.  Dies  steht  allerdings  in  Widei-spruch  mit  anderen 
Angaben  aus  jener  Zeit;  so  heifst  es  in  der  Ül)ersicht  der  Längenmafse 
bei  Clavius  (In  Sphaeram  loannis  de  Sacro  Bosco  commentariiis.  3.  Aufl. 
Rom  1585.  p.  209):  Pes  continet  palmos  4  vel  digitos  16.  Doch  sind  die 
Mafse  dort  überhaupt  nicht  identisch  mit  den  bei  Galilei  vorkommenden. 
Es  scheint  vielmehr  der  pes  bei  Clavius  zwar  mit  dem  pie  bei  Galilei  an- 
nähernd übereinzustimmen,  nicht  aber  der  jjalmus  bei  jenem  und  der  pulmo 
bei  diesem. 

6)  p.  442.  Unter  Lido  (oder  Lio)  im  weiteren  Sinne  wird  die  lange 
schmale  Dünenkette  (die  Nehrung)  verstanden,  welche  die  venetianischen 
Lagunen  (das  Hafl:')  vom  adriatischen  Meere  trennt.  Vier  Einfahrten  führen 
aus  dem  offenen  INIeere  in  die  Lagunen;  die  beiden  wichtigsten  sind  der 
Porto  di  Lido   (im  engeren  Sinne)  und  der  Porto  di  Malamocco. 

7)  p.  442.  Ebbe  und  Flut  wurden  als  ein  Atmen  der  Erde  aufgefal'st 
von  Apollonius  v  Tyana,  dem  bekannten  neupythagoreischen  Philosophen, 
der  zur  Zeit  Neros  lebte. 


568  Anmerkungen  zum  vierten  Tag. 

8)  p.  444.  Fusina  liegt  südwestlich  von  Venedig  in  der  sogenannten 
Laguna  morta,  wo  der  Canale  di  Brenta  in  die  Laguna  viva  ausmündet. 
Das  Wasser  der  Brenta  wird  auch  jetzt  noch  in  einer  Wasserleitung  der 
Stadt  Venedig  als  Trinkwasser  zugeführt.  —  Lisza  bedeutet  eigentlich 
Schlagbaum. 

9)  p.  448.  Galilei  untersucht  hier  die  Abhängigkeit  der  Schwingungs- 
dauer einer  sogenannten  stehenden  oder  stationären  Welle  von  der  Länge 
und  Tiefe  des  Gefäfses.  Die  Formel,  welche  diese  Abhängigkeit  für  den 
Fall  ausspricht,    dafs  die  Länge  gegenüber  der  Tiefe  sehr  beträchtlich  ist, 

lautet  t  =  -7=,  wo  f  die  Schwingungsdauer,  l  die  Länge,  h  die  Höhe  des 

Gefäfses,  g  die  Beschleunigungskonstante  der  Schwere  bedeutet.  —  Die 
Anwendung  der  Lehre  von  den  stehenden  Wellen  auf  die  Niveanverände- 
rungen  gröfserer  Wasserbecken  ist  sehr  bemerkenswert.  In  neuerer  Zeit 
ist  man  wieder  auf  denselben  PJrklärungsversuch  zurückgekommen:  so  fafst 
Forel  die  „scicfies"  der  Schweizerseen,  insbesondere  des  Genfer  Sees,  gleich- 
falls als  stehende  Wellen  auf. 

10)  p.  449.  Obgleich  hier  die  künstliche  Nachahmung  dieses  ümstandes 
als  unmöglich  bezeichnet  wird,  behauptet  Galilei  weiter  unten  (p.  451) 
im  Widerspruch  damit,  einen  Apparat  erfunden  zu  haben,  der  dies  leistet. 
In  dem  Discorso  sopra  il  flusso  e  reflusso  del  Mare  (Op.  II,  395)  drückte 
er  sich  korrekter  aus,  indem  er  nur  die  Schwierigkeit,  nicht  aber  die  Un- 
möglichkeit eines  solchen  Apparates  betont.     Vgl.  die  folgende  Anm. 

11)  p.  451.  Es  bleibt  zweifelhaft,  ob  Galilei  einen  solchen  Apparat 
wirklich  ausgeführt  hat  oder  nur  an  einen  gezeichneten  Entwurf  denkt; 
von  Versuchen,  die  er  damit  angestellt  hätte,  ist  nichts  bekannt.  In  dem 
JMscorso  sopra  il  flusso  e  reflusso  del  Mure  (Op.  II,  397)  sagt  er  mit  den- 
selben Worten  wie  hier:  io  ho  Ja  costrusione  di  una  maccliina  und  verspricht 
nähere  Angaben  künftig  zu  machen  (e  a  suo  tempo  la  dicJtiarero). 

12)  p.  453.  Selbstverständlich  ist  diese  Erzählung  von  dem  Selbst- 
morde des  Aristoteles  nur  eine  Fabel,  die  von  Galilei  selbst  als  solche 
betrachtet  wird  (vgl.  p.  467);  sie  beruht  auf  dem  Berichte  des  Elias  Cre- 
tensis  (p.  507,  D  Col.).  —  Die  hier  erwähnten  Strömungen  in  der  Meer- 
enge des  Euripus,  welche  Euböa  von  dem  griechischen  Festlande  trennt, 
sind  übrigens  in  der  That  höchst  eigentümlich,  und  ihre  Erklärung  macht 
auch  heute  noch  Schwierigkeiten.  Während  sich  nämlich  den  gröfsten  Teil 
des  Monats  die  gewöhnlichen  Fluterscheinungen  dort  abspielen,  findet  vom 
9.  bis  13.  und  vom  21.  bis  26.  jedes  Monats,  also  um  die  Zeit  der  Qua- 
draturen, 12 — 14  mal  des  Tags  ein  Wechsel  von  Ebbe  und  Flut  statt. 
Forel  fafst  auch  diese  Erscheinungen  als  eine  Wirkung  der  „seiches"  im 
Golfe  von  Talanti  auf  (vgl.  oben  zu  p.  448). 

13)  p.  454.  Die  geographischen  Anschauungen  Galileis  sind  hier  nicht 
korrekt.  San  Lorenzo  ist  Madagaskar;  inwiefern  nun  durch  den  Kanal  von 
Mozambique  die  Gewässer  des  indischen  und  des  „äthiopischen"  Meeres  mit 
einander  zusammenhängen  sollen,  ist  umsoweniger  verständlich,  als  dieses 
nämliche  äthiopische  Meer  durch  die  Magelhaensstrafse  mit  der  Südsee 
{Oceano  del  Sud)  in  Verbindung  stehen  soll.  Es  scheint,  dafs  sich  Galilei 
die  Lage  Madagaskars  südlich  von  Afrika  gedacht  hat  und  unter  dem 
äthiopischen  Meeie  den  südlichen  Teil  des  atlantischen  Oceans  versteht. 


Anmerkungen  zum  vierten  Tag.  569 

14)  p.  459.  Es  sind  die  Passatwinde,  von  denen  Galilei  spricht.  Die 
von  ihm  gegebene  Erklärung  ist  ziemlich  ähnlich  der  heutzutage  als  richtig 
betrachteten.  Gegenwärtig  nimmt  man  an,  dafs  eine  kalte  Luftströmung 
von  den  Polen  nach  dem  Äquator  hin  stattfindet,  dafs  in  geringeren  Breiten 
die  Luft  sich  nicht  sofort  der  dort  herrschenden  Rotationsgeschwindigkeit 
der  Erde  anbequemt,  sondern  bis  zu  gewissem  Grade  die  geringere  Ge- 
schwindigkeit der  höheren  Breiten  beibehält  und  dadurch  scheinbar  nach 
Westen  abgelenkt  wird.  Die  letzten  Spuren  der  Passatwinue  auf  der  nörd- 
lichen Erdhemisphäre  machen  sich  während  des  Sommers  bis  etwa  zum 
39.  Breitengrad  fühlbar,  so  dafs  die  nachherigen  Bemerkungen  Sagredos 
über  das  Vorherrschen  der  Ostwinde  auch  auf  dem  mittelländischen  Meere 
auf  einer  völlig  richtigen  Beobachtung  beruhen. 

15)  p.  461.  Der  bisherige  Inhalt  des  vierien  Tages  ist  im  wesent- 
lichen schon  in  dem  Biscorso  sopra  ü  flusso  e  reflusso  del  marc  enthalten, 
nur  dafs  dort  blofs  die  tägliche  Periode  erwähnt  wird;  das  folgende  hin- 
gegen ist  neu  hinzugekommen. 

16)  p.  462.  Diese  Ansicht  des  Aristoteles  und  seiner  Schule  ist  mehrfach 
im  Dialog  erwähnt  woi'den.     Vgl.  p.  125.  148. 

17)  p.  462.  Die  von  Simplicio  hier  ausgesprochene  Ansicht  ist  im 
wesentlichen  diejenige  Bacons  (vgl.  dessen  Abhandlung  De  fluxu  et  refhixu 
inaris  in  Works  of  Francis  Bacon.  London  1765.  Vol.  V.  p.  90 ff.).  Nur 
läfst  dieser  nicht  geradezu  die  elementare  Sphäre  von  der  Mondsphäre  fort- 
reifsen;  er  hält  vielmehr  den  Trieb  der  ost-westlichen  Bewegung  für  eine 
das  ganze  Weltall  beherrschende  Erscheinung,  die  um  so  schwächer  hervor- 
tritt, je  mehr  man  sich  dem  Mittelpunkte  des  Weltalls,  der  Erde,  nähert. 
Er  fügt  hinzu,  dafs,  wenn  das  Festland  der  Erde  eine  grofse  Insel  wäre, 
die  Gezeitenperiode  halbtägig  sein  müfste;  da  es  aber  im  wesentlichen  aus 
zwei  grofsen  Kontinenten  bestehe,  so  werde  dadurch  eine  etwa  viertel- 
tägige Periode  bewirkt.  —  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dafs  Galilei  hier 
ausdrücklich  Bacons  Ansicht  zur  Diskussion  stellen  und  bekämpfen  wollte; 
sie  war  ihm  durch  einen  Mr.  Richard  White  bekannt  geworden,  wie  aus 
einem  bei  Libri  (Hisfoire  des  sciences  mafhcmaüques  en  Balic  IV,  466)  ver- 
öffentlichten Briefe  von  Tobie  Matthew  an  Bacon  aus  dem  Jahre  1619 
hervorgeht.  Daher  ist  denn  auch  die  vorliegende  Stelle  in  dem  aus  dem 
Jahre  1616  stammenden  Biscorso  sopra  ü  flusso  e  reflusso  del  marc  noch 
nicht  enthalten;  sie  scheint  vielmehr  aus  der  Umarbeitung  einer  in  jenem 
Briefe  erwähnten  Entgegnung  Galileis  auf  die  Baconsche  Theorie  hervor- 
gegangen zu  sein. 

18)  p.  463.  Nach  orthodox-aristotelischer  Lehre  waren  die  vier  Ele- 
mente in  der  Reihenfolge  Erde,  Wasser,  Luft  und  Feuer  kugelförmig  jedes 
um  das  vorangehende  geschichtet.  Dies  wurde  wenigstens  als  die  ideale 
Lage  betrachtet,  wenn  man  auch  thatsächliche  Abweichungen  in  der  Lage- 
rung, gewissermafsen  Störungen  des  Gleichgewichts,  zugab;  diese  Störungen 
hatten  dann  zur  Folge,  dafs  die  am  unrichtigen  Orte  befindlichen  Elemente 
sich  nach  dem  normalen  Orte  hinbewegten.  Die  Richtigkeit  der  Annahme 
einer  feurigen  Si)häre  ist  aber  schon  vor  Galilei  vielfach  geleugnet  worden, 
so  insbesondere  von  Paracelsus  und  Cardanus,  die  überhaupt  dem  Feuer 
die  elementare  Xatur  absprachen. 

19)  p.  463.     „Goldwäger"  =  Saggiatore.    S.  Op.  IV,  306  ff. 


570  Anmerkungen  zum  vierten  Tag. 

20)  p.  464.  Aus  der  täglichen  Erdrotation  allein  versuchte  z.  B.  Seleucus 
aus  Seleucea  in  Babylonien  (um  150  v.  Chr.)  Ebbe  und  Flut  zu  erklären. 
Vgl.  Plut.  Plac.  phil.  III,  17,  5.  Ähnliche  Ansichten  hatten,  wie  es  scheint, 
Cerigario  und  Cesalpino.     S.   Op.  VI,  378.     Vgl.  auch  zu  p.  482. 

21)  p.  465.  Galilei  weist  hier  und  sonst  jede  unmittelbare  Einwirkung 
von  Sonne  und  Mond  auf  Bewegungsverhältnisse  der  Erde  mit  einer  ge- 
wissen Leidenschaftlichkeit  zurück.  Er  ist  eben  der  Hauptvertreter  der 
Ansicht,  wonach  jede  unanschauliche  Wirkung,  jede  sogenannte  quaUtas 
occulta,  alle  Fernkräfte  als  absurd  und  unwissenschaftlich,  fast  als  aber- 
gläubisch gelten.  „Durch  Aristoteles  und  seine  Nachfolger  war  die  Lehre 
von  den  natürlichen  Eigenschaften  der  Körper  stark  diskreditiert  worden; 
man  hatte  endlich  eingesehen,  dafs  es  jeden  Fortschritt  der  Wisser schaft 
hindere,  wenn  man  jede  Erscheinung,  die  man  nicht  auf  andere  zurückzu- 
führen vermochte,  als  eine  Folge  der  natürlichen  Eigenschaften  der  be- 
ireffenden Materie,  als  eine  berechtigte  Eigentümlichkeit  derselben  ansah 
und  damit  jede  weitere  Diskussion  aufgab."  (Rosenberger,  Gesch.  der 
Physik,  2.  Teil,  p.  237.)  Newton  brachte  die  Fern  Wirkungen  wieder  zu 
Ehren  und  erklärte  denn  auch  mit  ihrer  Hilfe  die  Gezeiten.  Doch  be- 
müht man  sich  neuerdings  teilweise  mit  Erfolg  —  was  Newton  selbst 
übrigens  nicht  für  unmöglich  ausgegeben  hatte  —  die  scheinbaren  Fern- 
wirkungen auf  Nahewirkungen  zurückzuführen,  so  dafs  der  galileische 
Standpunkt,  wenn  auch  ganz  abweichend  von  der  Weise  seines  Urhebern, 
eine  Art  von  Rehabilitation  erfährt. 

22)  p.  467.  Galilei  war  ein  begeistei'ter  Verehrer  Ariosts;  seinen 
Rasenden  Roland  wufste  er  fast  auswendig.  Er  spielt  hier  auf  die  Scene 
an,  wo  Roland  aus  den  sichersten  Anzeichen  entdeckt,  dafs  die  von  ihm 
geliebte  Angelica  ihr  Liebesglück  bei  Medor  gesucht  und  gefunden  habe, 
sich  aber  in  die  Täuschung  hineinreden  will,  dafs  er  sich  geirrt  habe  {OH. 
für.  XXIir,  114  —  117), 

23)  p.  468.  Da  nach  den  stark  unrichtigen  Annahmen,  welche  Galilei 
benutzt,  die  Sonnenentfernung  1208  Erdhalbmesser  beträgt,  so  mufs  er  die 

1208 
jährliche  Geschwindigkeit  für  ——mal,  oder  für  etwa  3  mal  gröfser  erklären 

als  die  tägliche  Geschwindigkeit  unter  dem  Äquator. 

24)  p.  470.  Der  im  nachstehenden  abermals  (vgl.  p.  245)  hervor- 
gehobene Isocbronismus  der  Pendelschwingungen,  den  Galilei  nach  dem  oft 
Aviederholten  Berichte  Vivianis  im  Dome  von  Pisa  an  einer  schwingenden 
Lampe  entdeckt  haben  soll,  ist  bekanntlich  nur  annähernd,  nicht  streng 
richtig,  wie  übrigens  Galilei  selbst  in  der  hier  gegebenen  Darstellung  an- 
deutet; die  wahre  Tautochrone,  d.  h.  die  Kurve,  auf  welcher  die  Dauer 
der  Schwingungen  eines  schweren  Körpers  unabhängig  von  deren  Amplitude 
ist,  ist  nicht  der  Kreis,  sondern  die  Cycloide.  Ebenso  ist  es  nicht  richtig, 
dafs  das  Fallen  von  einem  Punkte  A  nach  einem  Punkte  B  auf  vor- 
geschriebener Bahn  am  raschesten  erfolgt,  wenn  diese  vorgeschriebene  Bahn 
ein  Kreisbogen  ist;  auch  die  „Brachistochrone"  ist  eine  Cycloide,  Hingegen 
ist  streng  richtig,  dafs  das  Fallen  längs  sämtlicher  Sehnen  eines  Kreises, 
welche  im  tiefsten  Punkte  desselben  zusammentreffen,  gleiche  Zeit  in  An- 
spruch nimmt.  In  den  Discorsi  (Op.  XIII,  181)  findet  sich  der  Beweis 
dafür;  Galilei  war  schon  frühzeitig,  spätestens  1602,  im  Besitz  dieser  Eut- 


Anmerkungen  zum  vierten  Tag.  571 

deckung.  Vgl.  den  Brief  an  den  Marchese  del  Monte  vom  29.  November 
1602  (Op.  VT,  20). 

25)  p.  473.  Der  Vergleich  eines  um  die  Sonne  kreisenden  Tlaneten 
mit  den  Schwingungen  eines  Pendels  ist  ziemlich  willkürlich  und  kann 
nicht,  wie  es  Libri  {Hisf.  des  scknces  mafJt.  IV,  290)  anzudeuten  scheint, 
als  eine  Vorahnung  der  allgemeinen  Gravitation  aufgefafst  werden.  Galilei 
vergleicht  die  Sonne  mit  dem  Aufhängungspunkt  des  Pendels,  Erde  und 
Mond  mit  zwei  an  dem  Pendelfaden  hängenden  Gewichten  und  gelangt  so 
zu  einer  freilich  wenig  brauchbaren  Störungstheorie.  Er  denkt  sich  die 
Erde  in  unveränderlicher  Entfernung  von  der  Sonne,  den  Mond  hingegen 
in  wechselnder  Entfernung  von  dem  Aufhängungspunkt,  d.  h.  der  Sonne; 
dadurch  findet  nach  moderner  Aiisdrucksweise  eine  Verlegung  des  Schwin- 
gungsmittelpunktes statt,  so  dafs  bei  Vollmond  sich  die  Erde  langsamer, 
bei  Neumond  schneller  bewegen  müfste.  Eine  treffendere,  aber  gleichfalls 
unrichtige  Analogie  der  faktischen  Planetenbewegung  mit  Pendelschwin- 
gungen liefse  sich  in  der  Weise  behaupten,  dafs  man  ein  sphärisches  Pendel, 
am  besten  eins  mit  geringem  Ablenkungswinkel,  zum  Vergleich  heranzöge; 
ein  solches  beschreibt  bekanntlich  annähernd  Ellipsen ,  die  in  speziellen 
Fällen  auch  Kreise  sein  können;  die  Erde  würde  dann  mit  dem  schweren 
Körper,  der  Mittelpunkt  der  Ellipse  mit  der  Sonne  in  Parallele  zu  stellen 
sein;  die  Bewegung  des  schweren  Körpers  um  diesen  Mittelpunkt  erfolgt 
in  diesem  Falle  ebenso,  wie  wenn  jener  frei  wäre  und  von  diesem  mit 
einer  der  Entfernung  proportionalen  Kraft  angezogen  würde.  —  Die  Folge- 
rungen, die  Galilei  aus  seinem  Vergleiche  zieht,  sind  —  man  mufs  sagen 
zufällig  —  richtig.  Der  wahren  Störungstheorie  zufolge  bewegt  sich  näm- 
lich in  erster  Annähening  nicht  die  Erde  selbst,  sondern  der  Schwerpunkt 
von  Erde  und  Mond  in  einer  Ellipse  um  die  Sonne,  während  gleichzeitig 
Mond  und  Erde  um  diesen  gemeinsamen  Schwerpunkt  kreisen.  Dieses 
Kreisen  findet  nun  in  demselben  Sinne  statt,  wie  die  Bewegung  des  Schwer- 
punkts um  die  Sonne,  und  daher  kommt  es,  dafs  in  der  That,  wie  auch 
aus  der  galileischen  Anschauungsweise  sich  ergiebt,  die  Erde  bei  Voll- 
mond eine  Verzögerung,  bei  Neumond  eine  Beschleunigung  erfährt.  Es 
träte  aber  das  gerade  Gegenteil  ein,  wenn  das  Kreisen  von  Erde  und 
Mond  um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt  in  entgegengesetztem  Sinne  er- 
folgte wie  die  Bewegung  des  Schwerpunkts  um  die  Sonne,  während  nach 
Galilei  in  diesem  Falle  die  Bewegung  der  Erde  in  den  Sjzygien  ganz  die- 
selbe wie  vorher  bleiben  würde.  —  Übrigens  beträgt  die  ganze  durch  die 
Störung  bewirkte  scheinbare  Verschiebung  der  Sonne,  welche  in  den  Qua- 
draturen ihr  Maximum  erreicht,  nur  etwa  G".  In  den  Beobachtungen  aus 
der  Zeit  Galileis  konnte  also  kein  Anhaltspunkt  für  seine  Vermutung  ge- 
geben sein.  Am  auffallendsten  aber  sind  die  beiden  nachstehenden  Momente: 
einmal  vernachlässigt  Galilei  die  bei  weitem  bedeutendere,  aus  den  kepler- 
schen  Gesetzen  folgende  Beschleunigung  der  Erde  in  der  Sonnennähe,  ihre 
Verzögerung  in  der  Sonnenferne;  sodann  folgt  zwar  aus  seiner  Theorie  in 
Übereinstimmung  mit  den  Thatsachen,  dafs  die  t^ezeiten  bei  Vollmond 
intensiver  sein  müssen  als  gewöhnlich;  hingegen  trgiebt  sich  in  Wider- 
spruch mit  der  Erfahrung,  dafs  sie  bei  Neumond  schwächer  sein  müfsten. 

26 j  p.  476.  Die  beiden  hauptsächlichsten,  auf  allen  Universitäten 
damals   gelesenen    astronomischen  Kollegien    waren   die  „Sphacra"    und  die 


572  Anmerkungen  zum  vierten  Tag. 

„Tlieoricae  lilcmetanim".  In  dem  letzeren  wurden  die  speciellen  Bewegungs- 
verhältnisse jedes  Planeten  behandelt.  Mit  Ausnahme  der  Sonne  nämlich 
liefs  man  jeden  Planeten  sich  nicht  in  einem  einfachen  Kreise  um  die 
Erde  drehen,  sondern  um  einen  Punkt  kreisen,  der  seinerseits  erst  die  Erde 
umkreist.  Die  Gröfsenverhältnisse  des  „deferierenden  Kreises"  und  des 
Epicyclus  waren  somit  festzustellen,  aufserdem  noch,  da  man  die  Erde 
nicht  im  Centrum  des  Deferens  annahm,  die  Lage  des  Centrums  innerhalb 
desselben.  —  Wenn  Galilei  nachher  die  Theorie  des  Mars  als  besonders 
schwierig  und  als  einen  Hauptgegenstand  der  damaligen  astronomischen 
Forschungen  bezeichnet,  so  liegt  darin  wohl  ein  Hinweis  auf  Keplers  be- 
rühmtes Hauptwerk  Astronomia  nova  akioUy'tjrog  seu  Physica  coeJestis  ira- 
(Ufa  commentarns  de  motihiis  stellae  Mortis  (Pragae  1609),  in  welchen  auf 
Grund  der  Marsbeobachtungen  die  beiden  ersten  der  drei  sogenannten 
keplerschen  Gesetze  aufgestellt  werden.  Die  Art,  wie  Galilei  von  diesen 
unvergleichlichen  Leistungen  seines  ihm  befreundeten  Zeitgenossen  spricht 
oder  vielmehr  nicht  spricht,  beweist,  dafs  er  sie  nicht  in  ihrer  vollen 
Bedeutung  würdigte. 

27j  p.  478.  Der  hier  aufgestellte  Satz  und  seine  Begründung  ist 
zwar,  wenn  man  den  Standpunkt  Galileis  im  Princip  acceptiert,  richtig; 
es  würde  sich  aber  daraus  ergeben,  dafs  die  Intensität  der  Gezeiten  um 
die  Solstitien  gröfser,  um  die  Äquinoktien  kleiner  ist  als  sonst.  Die  da- 
mals herrschende  und  nicht  ganz  unbegiündete  Ansicht  war  aber,  dafs 
umgekehrt  zur  Zeit  der  Äquinoktien  die  Fluten  die  höchsten  Beträge  er- 
reichen, wie  es  z.  B.  Bacon  in  seiner  oben  (zu  p.  462)  erwähnten  Abhand- 
lung ausspricht.  Galilei  vermeidet  merkwürdigerweise  bei  Besprechung  der 
monatlichen  und  jährlichen  Periode  jeden  näheren  Vergleich  seiner  Theorie 
mit  der  Erfahrung. 

28)  p.  482.  Wie  aus  der  Postille  hervorgeht,  ist  Seleucus  gemeint 
(vgl.  zu  p.  464),  dessen  eigentümlicher  Erklärungsversuch  von  Ebbe  und 
Flut  durch  Plutarch  überliefert  worden  ist.  S.  Plut.  Plac.  phil.  III,  1 7,  5 : 
ZliXcVKog  6  ^ci&ifjiicaiKbg,  y.tv&v  nal  ovrog  rrjv  yr^v,  civriKonzeiv  avi'^g  t?j  ötvrj 
q>r}al  liiv  nzQLGxqocpriv  Tf;g  6£Xrivr]g'  xov  6s  ^£xcc'S,v  ancporeQcov  täv  öcoficcTOiv 
avzmeQiöTtoj^ievov  Ttvevfiarog  '/.cd  s^niTtxovxog  sig  x6  AxXavxiKov  nelayog^  naxa 
Xoyov  civxä   Gvyy.vK&ö&at  xrjv  &dXa6ßav. 

29j  p.  483.  Es  ist  auffällig,  dafs  im  Dialog  von  Keplers  wissen- 
schaftlichen Ansichten  ausdrücklich  nur  zweimal  die  Eede  ist,  einmal  wo 
es  sich  um  eine  verhältnismäfsig  unbedeutende  Sache,  nämlich  um  die 
Polemik  Chiaramontis  gegen  ihn  (p.  2.32,  285,  298),  handelt,  und  an  vor- 
liegender Stelle,  wo  seine  Meinung  sehr  mit  Unrecht  als  gänzlich  verfehlt 
hingestellt  wird.  Die  Sätze,  welche  Kepler  über  die  allgemeine  Schwere 
und  das  damit  zusammenhängende  Flutphänomen  in  der  Einleitung  zu  der 
Astronomia  nova  ausspricht,  sind  im  Gegenteil  ein  Zeugnis  für  die  Tiefe 
seines  Blicks.  Ganz  abgesehen  von  seinen  anderen  Leistungen  ist  er  allein 
schon  um  deswillen  als  ein  Vorläufer  Newtons  anzusehen.  Auch  werden 
diese  in  der  Einleitung  ausgesprochenen  Gedanken  nicht  von  den  Ein- 
wänden getroffen,  die  Whewell  dagegen  erhebt  (History  of  tlic  inductive 
Sciences  3.  Aufl.  London  1857.  Vol.  II.  p.  100 ff.);  diese  richten  sich  viel- 
mehr  gegen   anderweitige   phantastischere,    doch  aber  mit  vieler  Wahrheit 


Anmerkungen  zum  vierten  Tag.  573 

durchsetzte   Ansichten   Keplers,   welche    er   im    34.  Kapitel    der  Asfronomia 
itova  auseinandersetzt. 

30)  p.  483.  Cesare  Marsili  -  hatte  am  17.  März  1631  aus  Bologna 
eine  Abhandlung  an  Galilei  geschickt,  worin  er  behauptete,  eine  Verände- 
rung des  Meridians  der  Kirche  S.  Petronio  in  Bologna  beobachtet  zu  haben. 
Auf  dem  Boden  der  Kirche  war  nämlich  die  Meridianrichtung  eingegraben, 
wie  sie  es  auch  jetzt  noch  ist;  doch  rührt  das  jetzige  Meridianzeichen  erst 
von  Gian  Domenico  Cassini  (1653)  her.  Die  schwerlich  richtigen  und  für 
die  Erdbewegung  wenig  beweisenden  Beobachtungen  Marsilis  ergaben  eine 
Abweichung  der  Meridianrichtung  von  dem  früheren  Meridianzeichen;  in 
der  allerneuesten  Zeit  will  man  allerdings  ähnliche,  aber  ganz  minimale, 
für  die  Mefsinstrumente  des  17.  Jahrhunderts  unwahrnehmbare  Schwan- 
kungen des  Meridians  und  der  geographischen  Breite  eines  Ortes  bemerkt 
habe]]. 

31)  p.  485.  Über  diese  vielbesprochene  Schlufsstelle  des  Dialogs,  die 
auf  die  Äufserungeii  des  Papstes  Urban  VlII.  anspielt,  vgl.  Einl.  p.  LXV 
und  zu  p.  440. 


Berichtigung. 

Seite  93  Z.  2  v.  o.  lies  Wolken-  und  Feuersäule  statt  Wolkensäule. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER. 


Namen-  und  Sachregister. 


Die  mit  *  bezeichneten  Ziffern  weisen  darauf  hin,  dafs  das  Stichwort  sich  vorzugsweise  oder  aus- 
schliefslich  auf  die  Anmerkung  zu  der  entsprechenden  Seite  bezieht. 


Abergläubische  Meinungen.  Einflufs 
des  Mondes  auf  Schnecken  247.  Die 
wilde  Jagd  (tregenda)  419. 

Abila  (und  Calpe)  52*. 

Absolute  Bewegung  eines  auf  rotie- 
render Erde  fallenden  KörjDers  3.ö*. 
36.  171  ff. 

Accademia  dei  Lincei  21*.  58*.  s. 
Akademiker. 

Accidentien  lassen  auf  das  Wesen 
der  Dinge  schliefsen  422. 

Adler,  fliegender,  der  einen  Stein  fal- 

„  len  läfst  150. 

Ägäisches  Meer  456.  458. 

Ägypten  122. 

Ärzte  112. 

Äther  (=  ffimmelsstoff)  9*.  17  ff.  40ff. 

Äthiopisches  Meer  454. 

Akademiker,  der  (oder  „unser  gemein- 
samer Freund"  =  Galilei)  21*.  28*.  31. 
58*.  69*.  75*.  172.  2.S5.  265.  294.  361. 
377.  424.  472. 

Aktäon  123.  429. 

Alabaster  420. 

Albategnius  377*. 

Alchymisten   115. 

Aleppo  (Haleb)   121.  180. 

Alexander  von  Aphrodisias   73*.  117. 

Alexandrette  (==  Iskanderun)  im  tür- 
kischen Vilajet  Haleb  180. 

Alfergani  (Alphragauus)  377*. 

Alhazen  96*. 

Allmacht  Gottes  109. 

Allwissenheit  Gottes  109. 

Alter,  hohes,  das  manche  Tiere  und 
Pflanzen  erreichen  42. 

Amerika  51.  104.  122. 

Anakoluth  im  italienischen  Original 
46*.  372. 

Analytische  Methode  54. 

Anatomische  Zergliederungen  112.234. 

Anatomisches:  Nerveuursprung  113. 
Beschaffenheit  uud  Zweck  der  Ge- 
lenke 273. 

GAtiiLEi,  Weltsysteme. 


Ancona  440.  442. 

Angelo  de  Filiis  58*. 

Anthropocentrischer     Standpunkt 
verworfen  64.  384.  421. 

Antichthonen  69*. 

Antipathie  und  Sympathie  429. 

Antipoden  345. 

Antitycho    (Werk    von   Chiaramonti) 
55*  ff.  261. 

Antrieb  {impeto)  in  der  Bedeutung  von 
„lebendiger  Kraft"  23  ff. 

Apelles  (Pseudonym  Scheiners)  58*. 362. 

Apollonius  von  Perga  360. 

Apollonius  von  Tyana  442*. 

Apparat   zur  Demonstration  der  Flut- 
erscheinungen 451. 

Archimedes  173.  217.  405. 

Architektur  110. 

Archytas  108*. 

Ariosts  rasender  Roland  467. 

Aristarch  290.  333.  349. 

Aristoteles.  Seine  Schrift  de  coelo  9fi\ 
Beweise  für  die  Dreidimeusionalität 
10*  ff.  Strenge  Beweise  in  den  Na- 
turwissenschaften nicht  erforderlich 
14*.  Unterscheidung  von  himmlischer 
und  elementarer  Substanz  9*.  19.  De- 
finition der  Natur  15*.  16.  34.  136. 
Einfache  Bewegungen  und  einfache 
Körper  15  ff".  Kreisbewegung  voll- 
kommener als  geradlinige  19.  Die 
Natur  unternimmt  nichts  Vergebliches 
20*.  34.  64.  Sinnlichen  Wahrnehmun- 
gen ist  mehr  zu  trauen  als  blofsen 
Spekulationen  34*.  49.  54.  59.  Die 
Teile  zeigen  dasselbe  Verhalten  wie 
das  Ganze  35*.  51.  445.  Natürliche 
Bewegung  der  Elemente  35.  Gewalt- 
same Bewegungen  sind  nicht  von 
Dauer  34*.  49.  Seine  Verdienste  um 
die  Logik  37.  137.  Herleituug  der 
Äthereigenschaften  40*  f.  Erzeugung 
und  Zerstörung  bedingt  durch  das 
Vorhandensein  von  Gegensätzen  400'. 
90.  Auf  Grund  der  neuen  Entdeckun- 
gen würde  Ar.  seine  Meinungen  än- 
37 


578 


Namen-  und  Sachregister. 


dem  54.  Die  Ergebnisse  seiner  aprio- 
rischen Schlüsse  sind  in  Wahrheit  a 
posteriori  gefunden  54.  Die  Kometen 
sind  nach  ihm  süblunarisch  55.  Über 
astronomische  Dinge  kann  nicht  mit 
voller  Entschiedenheit  gehandelt  wer- 
den 59.  Undurchdringlichkeit  des  Him- 
mels 55.  73*.  Ar.  der  Schutzherr  aller 
Wissenschaft  55.  60.  Definition  der 
Dunkelheit  86.  Die  Erde  wirkt  nicht 
auf  die  HimmelsköqDer  ein  101.  Seine 
unberechtigte  Autorität  111  ff.  Seine 
angebliche  Kenntnis  des  Ferm-ohi-sll4. 
Seine  Verunstaltung  der  Lehre  von 
der  relativen  Bewegung  121.  Kreis- 
bewegungen sind  nach  ihm  nie  ein- 
ander entgegengesetzt  41.  123.  Gründe 
gegen  die  Erdbewegung  130  ff.  396. 
Erklärung  der  Beharrung  bei  gewalt- 
samer Bewegung  157.  Seine  mecha- 
nischen Probleme  166.440.  Ar.  geht 
nicht  auf  fachmännische  Einzelheiten 
ein  172.  Der  obere  Teil  der  Elemen- 
tarsphäre macht  die  tägliche  Rotation 
mit  125. 148.  Schülerhafter  Schnitzer 
desselben  199.  Seine  Widerlegung 
Piatos  bezüglich  des  Wesens  der 
Erkenntnis  202.  Die  Fallgeschwin- 
digkeit proportional  dem  Gewichte 
nach  Aristoteles  214*.  237.  Tadelt 
Plato  wegen  zu  grofser  Vorliebe  für 
die  Mathematik  215.  415.  Mischung 
geradliniger  und  ki-eisförmiger  Bewe- 
gung 148.  278.  In  puncto  regressus 
mecliat  quies  293.  Beweise  für  die 
Endlichkeit  der  Welt  334.  Er  gesteht 
dem  Erdkern  gröfsere  Festigkeit  zu 
421.  Mathematik  und  reale  Verhält- 
nisse 215*.  219.  Sein  angeblicher 
Selbstmord  453.  467.  Er  kennt  noch 
nicht  die  Details  der  Planetenbewe- 
gungen 475.  Welchen  Text  G.  be- 
nutzt hat  143*. 

Arithmetische  Operationen  238*. 312*. 

Armierung  eines  Magneten  424. 

Armillarsphäre  364.  405. 

Aschgraues  oder  sekundäre* Licht  des 
Mondes  71*  ff.  95  ff'.  Dass.  ist  heller 
vor  als  nach  Neumond  103  f. 

Aspekte  66*.  337. 

Astrologie  115. 

Astronomische  Fragen,  noch  unge- 
löste 475. 

Atmosphäre,  ihre  Bewegung  nach  An- 
sicht der  Peripatetiker  125.  148.  458 ff', 
nach  Ans.  des  Kopernikus  149.  458  ff'. 

Atomistische  Hypothese  zur  Erklä- 
rung stoff'licher  Veränderungen  42  f. 

Ausdehnungen  s.  Dimensionen. 

Ausland,  Rücksicht  auf  die  Meinung 
desselben  4  f.  294. 


Autoren  und  Publikum,  s.  litterarische 
Zustände. 

Autoritätsglaube,  Polemik  dagegen 
112  ff'.  137.  166.  418. 

Axiome:  wer  die  A.  bestreitet,  gegen 
den  ist  keine  Diskussion  möglich  36. 
A.,  welchen  angeblich  die  Erdbewe- 
gung widerstrebt  271. 

B. 

Bacon,  Sir  Francis  462*. 

Balearen  438. 

Baukunst  110. 

Baumwolle  158. 

Beharrung  30*.  Erklärung  derselben 
bei  gewaltsamen  Bewegungen  nach 
Aristoteles  157  ff'.  Beharrung  auch  in 
schiefer  Richtung  184*. 

Beharrungsgesetz  vonGal.  noch  nicht 
in  vollkommener  Allgemeinheit  er- 
kannt 20*.  30*.  154  f.  ^189*.  Fortge- 
schrittenste Erkenntnis  desselben  bei 
Gal.  184*.  202. 

Bellosguardo  405*. 

Benedetti  157*.  205*. 

Bernstein  74. 

Berührung  zwischen  elementaren  und 
Himmelskörpern  45*.  73.  Mathema- 
tische und  physische  Berührung  215. 
Einpunktige  Berühi'ung  220. 

Beschleunigte  Bewegung  21ff.  235 ff'. 

Bewaldete  Stellen,  dunkeles Aussehen 
derselben  104. 

Bewegung.  Geradlinige  und  kreisför- 
mige B.  15  ff'.  Relative  B.  119  ff;  263. 
391.  Entgegengesetzte  Bewegungen 
40.  123.  293.  Gewaltsame  und  natür- 
liche B.  130.  148.  Kritik  dieser  Un- 
terscheidung 250  f.  287.  Zusammen- 
setzung von  Bewegungen  173.  185. 
431.  B.  der  Tiere  273.  B.  imd  Ruhe, 
ihre  wichtige  Rolle  in  der  Natur  136. 
Bewegung  mufs  ein  Subjekt  haben  126. 

Bewegungsgröfse  228*. 

Bildhauer  und  Bildhauerkunst  108. 
110.  116. 

Blattgold  (zum  Nachweis  von  Luft- 
strömungen) 159.  Anwendung  dess. 
bei  magnetischen  Versuchen  425. 

Bologna  483. 

Borro,  Girolamo  439. 

Bosporus,  Strömungen  daselbst  456. 

Bovoli  (venetianisches  Wort  fürWeiu- 
bergsschnecke.  Hei  ix  pomatia)  247. 

Brachistochrone  470*. 

Brahe,  Tycho  de  55*.  71*.  125*.  131. 
186.  232.  261.  298*.  374ff.  379.  389.  405. 

Brechung  des  Lichtes  329.  Br.  im 
Auge  378. 

Briefe  über  die  Sonnenfiecken  58*.  351. 
362. 


Namen-  und  Sachregister. 


579 


Brunnenschacht;  im  tiefen  B.  sieht 
man  die  Sterne  bei  Tag  114.  Sicht- 
barkeitsdauer eines  Sternes  vor  einem 
B.  344.  346  ff. 

Bruno,  Giordano  39*.  334*. 

Buchstabenschrift  98.  110. 

Buonarruoti,  Michelangelo  108.  110. 

Burano  266. 

Busch,  Georg  (Maler  und  astronomi- 
scher Dilettant  aus  Erfurt)  298. 


C. 

Calabrien  454. 

Calpe  52. 

Camerarius  298. 

Candia  121.  438. 

Card  an  US  463*. 

Cassini  483*. 

Cavalieri  394*. 

Cecco  de'  Ronchitti  294*. 

celatone  =  testiera  265*. 

Cellini,  Benvenuto  83*. 

Centrifugalkraft    138.     199  ft'.    206*. 

224*. 
Cerigario  464*. 
Cesalpino  464*. 
Chalcedon  421. 
Chamäleon  (als  Beispiel  eines  trägen 

Tieres)  288.  ' 
Charybdis  438.  456. 
Chiaramonti  (Verfasser  des  Antitycho 

und  des  Buches  über  die  neuen  Sterne) 

55*  ff.  232.    261  ff.    293  ff.       Mit  einer 

gewissen  Achtung  behandelt  271.  277. 

294. 
China  51. 

chiose  (Bleischeiben  zum  Spielen)  168*. 
Citate    aus    unbekannten  Autoren    56. 

78.  82.  458. 
Clavius  10*.  377.  442*. 
Clemens  de  Clementibus  (demente  de' 

Clementij  188*. 
Colombe,  Lodovico  delle  90*. 
Corfu  121.  442. 
Corsica  438. 
Cotunio,  Giovanni  151*. 
Cremonini   45*.  46.  73*.      Anspielung 

auf  ihn  vielleicht  419. 
Cycloiden  261*.  470*. 
Cylindrische  Schraubenlinie  16. 
Cypern  121. 

U. 

Dämonen,  soki-atische  165 
Deferierender  Kreis  69*.  476*. 
Definition;   Verhältnis  der  D.  zu  den 

aus  ihr  gezogenen  Schlüssen  109. 
Deklinationsbewegung     der     Erde 

371*.   396.  416  ff'.   429. 
Diamant  63.  83. 


Diana  115. 

Dicht  und  dünn  45*.  46. 

Dichtkunst  HO. 

Dilemma  135. 

Dimensionen;    Beweis,    dafs    es    nur 

drei  D.  giebt  12  ff. 
Diopter  405. 
Discorsi,    Verweise    darauf   21*.    23*. 

28*.  30*.  109*.   128*.   172*.  211*.  394*. 

470*.  487*. 
Disputationen,  öffentliche  41.  74.  484. 
Divisionsverfahren  bei  Galilei  312*. 
Dominis,  Marc'  Antonio  de  439*. 
Drachen  (dragone)  =  Mondbahn  69*. 

70. 
Dramatische    Begabung    Galileis   80. 

291*. 
Drei  zahl  bei  den  Pythagoreem  10. 
Dunkelheit  der  Erde  50  ff.    D.  glatter 

Flächen  75  ff'.       Ihre  Definition  nach 

Aristoteles  86*. 

E. 

Ebbe  und  Flut  435—485.  Galileis  Theo- 
rie beweist,  dafs  er  von  der  Unzu- 
länglichkeit des  rein  kinematischen 
Standpunktes  in  der  Frage  der  Welt- 
systeme überzeugt  war  121*.  Zwischen 
Ebbe  und  Flut  keine  Pause  292. 

Edelsteine,  ihr  eingebildeter  Wert  ijö. 
Sonstige  Eigenschaften  74.  91. 

Ehrgeiz  des  Entdeckers  224.  489. 

Einfache  Bewegungen  15  ff. 

Einfache  Körper  15  ff'. 

Eisen,  Stetigkeit  und  Glanz  de.ss.  428. 

Ekliptik  und  Erdbahn  (orbis  magnus) 
bei  strengem  Sprachgebrauch  von  ein- 
ander verschieden  376*.  Beobachtun- 
gen Galileis  über  Veränderungen  ihrer 
Schiefe  405*. 

Elba  433. 

Elementare  Substanz  im  Gegensatz 
zur  himmlischen  9.  15  u.  ö. 

Elementarsphäre  s.  Atmosphäre  und 
Feuer. 

Elemente,  ihre  natürliche  Bewegimg 
34  f. 

Elle  23.  100*.  191. 

Encyclopädie  (von  Clemens  de  Cle- 
mentibus) 183*. 

Endlichkeit  der  Welt,  Zweifel  daran 
39*.  334. 

Endymion  115. 

Entdecker  und  Eiünder  425. 

Entdeckungen  und  Erfindungen,  un- 
berechtigte Aneignung  von  solchen 
98.  Staunenswerte  E.  des  Menschen- 
geistes HO. 

Entstehen    und  Vergehen    40  ff'.    50  tt'. 
64.     Entst.  u.  Verg.  ganzer  Himmels- 
körper findet  nicht  statt  53. 
37* 


580 


Namen-  und  Sackregister. 


Epicykeln  69*.  357.  475.  476*. 

Epicyklisclie  Bewegung  69. 

Episodische  Kompositionsweise  des 
Dialogs  170. 

Erdachse,  unveränderliche  Neigung 
der  E.  410.  412.  417.  429. 

Erdbewegung,  „di-itte",  s.  Deklina- 
tionsbewegung der  Erde. 

Erde,  ein  Himmelskörper  nach  Koper- 
nikus  9;  unzerstörbar  als  Ganzes  49. 
64;  ihre  Veränderlichkeit  ein  Yorzug 
62;  Ähnlichkeit  imd  Unähnlichkeit 
mit  dem  Monde  66  ff.  Phasen  der 
Erde  vom  Monde  aus  gesehen  67;  sie 
vermag  Lieht  zu  reflektieren  92  fF. ; 
wii'kt  auch  auf  die  Himmelsköri^er 
101.  E.  bewegt  sich  nicht  erst,  seit 
Pythagoras  gelehrt  hat,  dafs  sie  sich 
bewegt  199.  E.  ein  Magnet  418  ff. 
Verschiedene  Bedeutung  des  Wortes 
E.  421. 

Erdkern  419.  421. 

Erhaltung  der  Kraft  24. 

Erkenntnis,  verschiedene  Arten  der 
E.  107  f. 

Erkenntnis  theoretische  Ansichten 
Galileis  279.  388*.  480.  Vgl.  Unbe- 
wufstes  Wissen. 

Ermesintaft  104. 

Essigfliegen  42*. 

Euklid  218. 

Euripus,  Strömimgen  daselbst  453*. 

F. 

Fabricius,  Johannes,  der  Entdecker 
der  Sonnenflecken  361*. 

Falkeniere  278. 

Fall;  lotrechter  F.  als  vermeintlicher 
Beweis  gegen  die  Bewegung  der  Erde 
131  ff.  Widerlegung  145  ff.  Absolute 
Bewegung  eines  auf  rotierender  Erde 
fallenden  Körpers  171  ff.  F.  in  einem 
die  Erde  durchbohrenden  Schachte 
14-2.  242.  251.  Östliche  Abweichung 
beim  F.  248*. 

Fallbeschleunigung  von  G.  zu  ge- 
ring angegeben  237. 

Fallgeschwindigkeit  längs  schiefer 
Ebenen  25  ff.  29.  F.  proportional  der 
Fallzeit  211.  F.  nicht  proportional 
dem  Gewichte  214.  237.  Beziehung 
zvidschen  F.  und  durchfallener  Strecke 
29.  240. 

Fallgesetze  25  ff.  235  ff. 

Fallursache  uns  unbekannt  249. 

Fallzeit  blofs  von  der  Fallhöhe  ab- 
hängig 162.  F.  eines  von  der  Mond- 
sphäre bis  zum  Erdmittelpunkt  fal- 
lenden Körpers  232  ff". 

Feder,  relative  und  absolute  Bewegung 
einer  Schreibf.  180  f. 


Fehler  bei  astronomischen  Beobach- 
tungen 305.  405. 

Fernrohr  55.  56.  59.  67.  70.  81.  114 
u.  ö.  Gebrauch  des  F.  auf  Schiffen 
265 ff.     „Vorspiegelungen"  der  Fern-  ^ 

rohrlinseu  56.  278.  351. 

Feuchte  Stellen  sehen  dunkler  aus  als 
trockene  103.  104. 

Feuer  Sphäre,  ihre  Existenz  bezwei- 
felt 463. 

Feuersäule,  die  vor  den  Kindern  Is- 
rael herschwebte  93. 

Finsternisse  72.  75. 

Firmament  (=  Fixsternsphäre) 297 u.ö. 

Fixsterne,  Parallaxe  der  F.  144.  393ft\ 
483.  Verteilung  der  F.  im  Weltall 
340.  Scheinbare  Gröfse  und  Entfer- 
nung 374  ff.  Neue  mit  Hilfe  des  Fern- 
rohrs sichtbar  gewordene  385.  Me- 
thode zur  Bestimmung  ihrer  schein- 
baren Gröfse  378  ff'. 

Fixsternsphäre  124  ff. 

Flittergold  (zur  Konstatierung  von 
Luftzug  dienend^,   159. 

Fragen,  unerledigt  bleibende,  deren 
Lösung  auf  ein  anderes  Mal  verscho- 
ben wird  43.  172.  202.  236.  394.  472. 

Frankreich  122. 

„Freund,  unser  gemeinsamer"  (Galilei) 
s.  Akademiker. 

Fusina  444. 

Fufs  (pie)  =  2  Spannen  (palmi)  bei 
Galilei  442*.  453. 


Galenus  113. 

Gegensätze  bedingen  nach  Aristoteles 
Entstehen  und  Vergehen  40.  49.  9'». 
123.     Kontradiktorische  G.  136. 

Gegner  des  Kopernikus  stellen  Versuche 
als  günstig  für  ihren  Standpunkt  hin, 
ohne  sie  je  ausgeführt  zu  haben  151. 
190.  G.  d.  K.  werden  Anhänger  dess., 
aber  nicht  umgekehrt  134. 

Gelenke  der  Tiere  273. 

Gemeinsame  Bewegung  so  gut  wie' 
nicht  vorhanden  121.  391  u.  ö. 

Gemischte  Bewegungen  15.  17.  257. 

Gemma,  Cornelius  298. 

Genua  440. 

Geometrisches  209.  216  ff.  303. 

Gerade  Linien  minder  vollkommen  als 
Kreislinie  19.  G.  L.  die  kürzeste  zwi- 
schen zwei  Punkten  217. 

Geradlinige  Bewegung  20  ff.  34  tt'. 
48  f.  175.  416  u.  ö. 

Geschwindigkeit,  Definition  dersel- 
ben 25  f. 

Geschwindigkeitsstufen  zwischen 
der  Ruhe  und  einer  bestimmten  Ge- 
schwindigkeit 22  ff. 


Namen-  und  Sachregister. 


581 


Gesichtssinn,  Un Vollkommenheit  den 

G.  350.  388. 
Gewaltsame  und  natürliche  Bewegung 

130.    148.   157*.    161   u.  ö.       Polemik 

gegen  diese  Begriffe  250.  287. 
Gezeiten  s.  Ebbe  und  Flut. 
Gibraltar  52.  141.  442. 
Gilbert  418  ff'. 
Gold  Wäger  s.  Saggiatore. 
Gott,  seine  Allmacht  und  Allwissenheit 

107  ff".     Die  Art  seiner  Erkenntnis  109. 
Grad,  in  dem  Sinne  von  Mafseiuheiten 

ohne  bestimmte  Gröfse  32*.  87*.  178. 

468. 
Gran  442. 
Graphische  Darstellung  veränderlicher 

Gröfsen  211.  243. 
Gravitation,  allgemeine  21*.  36.  102f. 

260. 
Grenzkreis    des  Lichtes  (cerchio  ter- 

minator  deUa  luce)  408. 
Griechenland  122. 
Grimaldi,  Mondlandschaft  69*. 
Gröfse,  scheinbare  87.  388*. 
Grofsherzog  von  Toskana,  Magnet  des 

G.  408.  424.  427. 


H. 

Hagek,  Thaddäus  298. 

Hainzel  298. 

Hartmann,  Georg,  Entdecker  der  In- 
klination der  Magnetnadel  422*. 

Helligkeit  rauher  Flächen  75  ff.  H. 
glatter,  aber  unpolierter  Flächen  84. 

Herkules  117.    Säulen  des  H.  141.456. 

Himmel,  ob  fest  oder  flüssig?  125. 

Himmelskörper,  als  Ganzes  unzer- 
störbar 53.  Wechselwirkung  der  H. 
63.  Vollkommene  Rundheit  ders.  84. 
88  f. 

Himmlische  Substanz  im  Gegensatz 
zur  elementaren  9.  15.  50.  73. 

hu  mar  melancholicus  115. 

Huyghens  206*.  278*. 


I. 

Jahreszeiten,  Erklärung  der  J.  vom 
Standpunkte  des  kopernikanischen  Sy- 
stems 407  ff'. 

Jaspis  63.  420. 

Tndien  110. 

[ndischer  Ocean  454. 

Infinitesimalrechnung,  Keime  der 
1.  bei  G.  20.5*.  243*.  394*. 

Ingoli  151*.  390*. 

Inklination  der  Magnetnadel  422.  430. 

Instrumente,  astronomische  305.  331. 
364.   105. 

Integration  243*. 


Intellekt,  menschlicher  und  göttlicher 
11.  108  f. 

Intelligenzen  als  bewegende  Princi- 
pien  250. 

intelligentia  assistens  und  informans 
250*. 

Joachim  von  Floris  114*. 

Irradiation  80  f.  350  ff.  377. 

Isochronismus  der  Pendelschwingun- 
gen 245.  470. 

Jupiter,  Umlaufszeit  124.  .  Jupiters- 
monde s.  Mediceische  Gestirne. 

K. 

Kairo  100. 

Kalabrien  454. 

Kalligraphische  Kunststücke  182. 

Kandia  (=  Kreta)  121.  438. 

Kanonenschüsse  als  Argument  gegen 
die  Erdbewegung  132.  176  ff. 

Kap  der  guten  Hoffnung  141. 

Karmel  345. 

Katechetische  Methode  296. 

Kepler  39*.  55*.  71*.  232.  285.  294*. 
298.  334*.  435*.  476*.  483*. 

Keplersche  Gesetze  30*.  476*. 

Kerze  zur  Konstatierung  von  Luftzug 
159. 

Kleomedes  97. 

Kolur  400. 

Kometen  55  ff'.  255.  261. 

Komposition  des  Dialogs  (Episoden) 
170. 

Komposition  von  Gröfsenverhältnis- 
sen  210*. 

Konjunktion  66*.  68. 

Konstantinopel  456. 

Kopernikanor  waren  vordem  Anhän- 
ger des  Ptolemäus,  aber  nicht  umge- 
kehrt 133  f.     Ungenannter  K.  261. 

Kopernikus  genannt  2.  9  u.  ö.  Be- 
handelt die  Einwürfe  gegen  sein  Sy- 
stem nur  kurz  176.  Wichtigste  Ar- 
gumente gegen  sein  System  144.  395. 
407.  Die  Sinustafel  in  seinem  Werke 
191.  312.  378.  Seine  Ansichten  über 
Centrifugalki-aft  206*.  Entfernung  des 
Mondes  von  der  Erde  nach  seiner  An- 
gabe 238.  Nachfolger  Aristarchs  be- 
züglich der  Annahme  einer  jährlichen 
Erdbewegung  290.  333.  Über  die  Be- 
wegung der  Atmosphäre  252  f.  Sein 
Scharfsinn  gepriesen,  weil  er  sich  durch 
scheinbar  widersprechende  Thatsachen 
nicht  irre  machen  liefs  349.  354.  389. 
Seine  Ansichten  über  die  geradlinige 
Bewegung  und  das  Wesen  der  Schwere 
21*.  257.  Motive  für  die  Aufstellung 
seines  neuen  Systems  356.  t^ber  Prä- 
cession  382.  Über  den  Mangel  einer 
Fixsternparallaxe  374  f.  3S9. 


582 


Namen-  und  Sachi-egister. 


Korfu  121.  442. 

Kork  158. 

Korsika  438. 

Kraft,  eingeprägte  (virtü  impressa) 
157  ff.  Lebendige  K.  =  Antrieb  (im- 
peto)  23  ff.     Erhaltung  der  leb.  K.  24*. 

Kreis,  voUkommener  als  gerade  Linie 
19.  Definition  und  unzählige  Eigen- 
schaften dess.  109.  Kreis  mit  unend- 
lich grofsem  Radius  geht  in  die  ge- 
rade Linie  über  394.  Kr.  die  einfachste 
Fläche  222.  Verhältnis  von  Umfang 
zu  Durchmesser  234  f.  247  f. 

Kreisförmige  Bewegung  ist  die  na- 
türliche Bewegung  aller  Weltkörper 
20  ff.  34.  Vielleicht  auch  die  ihrer 
Teile  35*.  48.  Ermangelt  nach  Ar. 
des  Gegensatzes  41.  123.  Kreisbewe- 
gung fallender  Körper  35.  48.  171  ff. 
257.  273.  Kreisbewegung  und  Centri- 
fugalkraft  s.  Centrif. 

Kreter,  Trugschlufs  vom  Kr.  44. 

Kugel,  Berührung  zwischen  K.  u.  Ebene 
215  ff.  K.  einfachster  Körper  222. 
Möglichkeit  eine  vollkommene  K.  her- 
zustellen 222. 

Kugelgestalt  der  Erde  und  anderer 
Weltkörper  infolge  des  gleichmäfsigen 
Strebens  der  Teile  zum  Ganzen  36. 
102  f.  Vollkommenheit  der  Kugelge- 
stalt 84.  89.  Die  K.  kann  nicht  Ur- 
sache der  Unzerstörbarkeit  sein  89  f. 

L. 

La  Galla,  Julius  Cäsar  90*. 

L  an  dgraf(Wilhehn  IV.  von  Hessen)  298. 

latitudo  ortiva  und  occidua  395*. 

Lebensdauer,  verschiedene,  von  Tie- 
ren und  Pflanzen  42. 

Leichtes  und  Schweres  35.  45  f.  In 
absolutem  und  relativem  Sinne  207. 
214  f. 

Leier  (musikalisches  Instrument)  425. 

Leier  (Sternbild,  dessen  hellster  Stern 
Wega  heifst)  378.  406. 

Leonardo  da  Vinci  38.  226*. 

J eitere  solar i  ('Briefe  über  die  Sonnen- 
flecken) 58*.  75.  351. 

Libration  des  Mondes  69 f. 

libretto  di  conclusioni  s.  Thesenbüchl. 

Licht  der  Himmelskör^jer  im  Gegensatz 
zur  Dunkelheit  der  Erde  50.  Fort- 
pflanzung des  L.  109*.  Brechung  des 
L.  329.  878. 

Lido  (Nehrung  der  venezianischen  La- 
gune) 442. 

Litter  arische  Zustände:  Totschweigen 
unbequemer  Ansichten  60.  Aneignung 
fremder  Ansichten  98.  Lügenhafte 
Autoren  424*.  Voreingenommenheit 
der  Autoren  füi-  gewisse  Ansichten  291  f. 


Lizza  Fusina  444*. 

Locher  s.  Scheiner. 

Logik.  Aristoteles'  Verdienste  um  die 
L.  37.  137.  petitio  principii  146.  ter- 
minus  medius  146.  ignotum  per  aeque 
ignotum  oder  per  ignotius  146.  217. 
Dilemma  135.  Relativität  386.  argu- 
mentatio  ad  hominem  389.  ad  de- 
struendum  sufficit  unum  207.  a  for- 
tiori 217.  233.  Wesen  der  Definition 
109.  Beweisbarkeit  wahrer,  Unbeweis- 
barkeit  falscher  Behauptungen  136. 427. 
Kontradiktorische  Gegensätze  136.  Ex 
suppositione  argumentieren  456. 

Lorenzini  294. 

S.  Lorenzo  =  Madagaskar  454. 

Luft  behält  eine  mitgeteilte  Bewegung 
nur  kui'ze  Zeit  bei  159.  458.  Konsta- 
tierung von  Luftzug  159. 

M. 

Macrobius  12*.  97. 

Madagaskar  454. 

Mästlin  71*.  138*. 

Magelhaens-Strafse  141.  454.  456. 

Magnet  278.  418—433.  Südpol  des  M. 
stärker  als  Nordpol  422.  Einflufs  der 
Armatur  424  ff.  M.  des  Grofsherzogs 
von  Toskana  424.  427. 

Magnetische  Kraft  70. 

Magnetnadeln^  angebliche  Sy mpath ie 
zweier  entfernten  M.  100. 

Malerei  76.  84.  110. 

Malta  438. 

Mange  (mangano)  138*. 

Mare  Crisium  (Mondlandschaft)  69*. 

Marmor  420. 

Mars, Umlaufszeit  desM.  124.  M.  macht 
den  Astronomen  besondere  Mühe  476. 
Wechselnde  Entfernung  und  schein- 
bare Gröfse  348  ff. 

Marsili,  Cesare  421*.  483. 

Mastspitze  legt  gröfsere  Strecke  zu- 
rück als  Mastfufs  182  f.  Von  der  M. 
herabfallender  Stein  148  ff. 

Mathematik,  Wiclitigkeit  der  M.  für 
die  Naturwissenschaften  215.  Anwen- 
dung der  M.  auf  reale  Verhältnisse 
215  f.  247  f.  Vollkommenheit  ihrer 
Erkenntnisse  108. 

Mathematische  Strenge  (nach  Arist.) 
in  den  Naturwissenschaften  nicht  er- 
forderlich 14*.  245.  429. 

Maurolycus  298*. 

Mediceische  Gestirne  (=  Jupiters- 
monde)  124*.  278.  286.  355.  385.  472. 

Medusenhaupt  63. 

Meer,  Gezeiten  s.  Ebbe  und  Flut.  Strö- 
mimgen  438.  454.  Verschiedene  Tiefen 
439. 


Namen-  und  Sachregister. 


583 


Meilen,  deutsche  233. 

Meinen  und  Wissen  419. 

Mercurius  Interpres  115. 

Meridian  366*.  400.  Veränderungen 
der  M.-Richtung  483. 

Merkur  (Planet)  56. 

Methoden,  wissenschaftliche  34.  49. 
54.  57. 

Mexiko  51. 

Michelangelo  Buonaruotti  108.  110. 

Miglie  (ca.  1%  km)  100*.  191.  238.  266. 
390. 

Mikroskop,  Anspielmig  auf  dass.  viel- 
leicht 350. 

Mittelländisches  Meer,  Entstehung 
dess.  52.  Ebbe  und  Flut  in  ihm  453 
u.  ö. 

Mittelpunkt  der  Erde,  ob  identisch 
mit  d.  M.  der  Welt  35  ff.  130.  145. 
Erscheinungen  in  einem  bis  zum  M. 
der  Erde  reichenden  Schachte  142.  242. 
251.  348. 

Molukken  141. 

Moment  227  f.  260. 

Momentankräfte  23*. 

Mond:  Veränderungen  dess.  bis  jetzt 
nicht  wahrgenommen  52.  Aussehen 
seiner  Oberfläche  52.  Ob  bewohnt? 
65.  105.  Ähnlichkeiten  und  ünähnlich- 
keiteu  mit  der  Erde  66  ff.  Gestalt  66. 
Dunkelheit  66.  Gebirgigkeit  67.  74. 
91.  100.  Phasen  67.  Rotation  69. 
Libration  69.  Sekundäres  (aschgraues) 
Licht  71  ff.  96.  103  f.  Finsternisse  72. 
75.  97.  Gradnetz  auf  dem  M.  87*. 
Durchmesser  100*.  Ob  Wasser  und 
Land  auf  ihm  104  f.  Umlaufszeit  124. 
473.  Entfernung  von  der  Erde  = 
56  Erdi-adien  238.  Einflufs  d.  M.  auf 
Schnecken  247.  M.  scheint  den  Wan- 
derer zu  begleiten  271.  Einflufs  auf 
Ebbe  und  Flut  437.  438.  473  f.  Pa- 
rallaxe 302. 

Moskau  100. 

Most,  Erzeugung  vonFHegen  aus  seinem 
Dunste  42*. 

Munoz  299. 

Musik  HO.  425. 


N. 

Natur,  Definition  der  N.  15*.  16*.  136. 
Reichtum  der  Mittel,  über  die  sie  ver- 
fügt 104.  Öfters  nahezu  identifiziert 
mit  Gott  108. 

Natürliche  und  gewaltsame  Bewegun- 
gen 34.  49.  157*.  Natürliche  Bewegung 
aller  Weltkörper  die  Kreisbewegung 
20.  Polemik  gegen  die  Vorstellung 
von  n.  und  gewaltsamen  Bewegungen 
250  ff.  287.     N.  Bewegung  mufs  noch 


viel  sicherer  beharren  als  künstlich 
verliehene  148.  161.  Natüii.  Kreis- 
bewegung der  elementaren  Körper  er- 
lischt in  gröfserer  Entfernung  von  der 
Erde  253. 

Neapel  440. 

Nebelflecke  385. 

Negroponte  (=  Euböa)  453. 

Nervenursprung  113. 

Norman,  Robert  422*. 

Numerisches  Rechnen  238*.  312*. 


0. 

OUa  potrida  431. 

Olymp  345. 

Opposition  der  Planeten  66. 

Orakelsprüche  114. 

Orbis  magnus  376*.  410.  446  u.  ö. 

Ovid  114. 

P. 

Padua  270.  361;  hei-vorragender  Pro- 
fessor von  P.  (wahrscheinlich  Cremo- 
nini)  73. 

Paduanisches  Exemplar  des  Dialogs; 
handschriftl.  (in  den  Text  der  Über- 
setzung aufgenommene)  Zusätze  dess. 
22.  32  f.  104.  260.  264.  343  ff'. 

Pädagogische  Kunst  Galileis  152. 

Palästina  141. 

paJla  a  corda  169*. 

paUe  di  legno  a  chi  piü  s'accosta  n 
un  segno  169*. 

palmo  442*. 

Papirius  12*. 

Paracelsus  463*. 

Parallaktische  Differenz,  Parallaxe 
55*.  297.  311.  P.  der  Fixsterne  144. 
396.  400  ff'.  P.  von  Sonne  und  Mond 
302. 

Pendasio  117*. 

Passatwinde  459  fl'. 

Pendel  24.   159.  241.  245.  470. 

Peripatetiker,  ungenannter  90.  113. 
419.  438. 

Peripatetische  Ansichten:  Vollkom- 
menheit der  Kugelgestalt  84.  88.  Un- 
durchdringlichkeit des  Himmels  55.  73. 
Verwerfung  der  vü'tus  impressa  157. 
Nervenursprvmg  113.  Studium  von 
Detailfragen  ist  für  den  Pliilosophen 
unnötig  172.  236.  Schädlichkeit  mathe- 
matischer Studien  215.  415.  Bewegung 
der  Atmosphäre  s.  Atm. 

Perlmutter  91. 

Persien  122. 

Perspektive  58.  478. 

petitio  principii  146. 

Pfeile,  der  Länge  und  Quere  nach  ab- 
geschossene 160. 


584 


Namen-  und  Sachregister. 


Phantasie  gründet  ihre  Vorstellungen 
auf  Erfahrungseindrücke  65. 

Phasen  des  Mondes  und  der  Erde  67. 
74;  der  Venus  336. 349. 355;  des  Merkur 
355. 

Philolaus  67*. 

Philosophie,  vermeintlicher  Untergang 
der  Ph.  40.  60. 

Philosophische  Ansichten  Galileis  65. 
388*.  422.  440.  S.  auch  Erkenntnis- 
theoretische Ans.  G.s  und  Unbe- 
wufstes  Wissen. 

Photometrie,  Anfänge  einer  solchen 
bei  G.  94  f. 

pie  (Fufs)  442*. 

Pietrapana  406. 

pietra  serena  89*.  421. 

Planeten;  ihre  Einwirkung  auf  die 
Erde  101;  Entfernungen  nach  den 
Annahmen  v.  Ptolemäus  382*. 

Planetenbewegung  336  ff.  357  ff. 

Plato  11.  21.  31.  215.  415  u.  ö. 

Platonische  Lehre  von  dem  unbe- 
wufsten  Wissen  und  der  Wieder- 
erinnerung s.Unbewufstes  Wissen. 

Plutarch  65*. 

Pointier ung  der  Gegensätze  zwischen 
dem  ptolem.  und  kop.  Systeme  135  f 
288. 

Pole  von  Kugelkreisen  411*. 

Pomeranzenstrauch  63. 

Porphyr  420. 

Porosität  der  Materie  219. 

Porta,  Giambattista  100*.  247*.  424*. 

Präcession  der  Fixsterne  124. 256. 382 f. 

2irimum  mobile  124*.  297. 

Principien  der  Bewegung,  innere  und 
äufsere  248  ff. 

Propontis  456. 

Ptolemäus  9.  35  u.  ö.  Seine  Gründe 
gegen  die  Erdbewegung  119.  137  f 
199  ff.  P.  bezweifelt  die  Richtigkeit 
der  Armillarsphäre  des  Ai-chimedes  405. 

Publikum  und  Autoren  82.  291.  425. 
s.  auch  Litterarische  Zustände. 

Pulsschläge,  als  Zeitmafs  23.  32.  162; 
bei  Schlafenden  und  Wachenden  151. 

Pupille,  veränderliche  Gröfse  der  P. 
und  Methode  zu  ihrer  Bestimmung 
379  ff. 

Pythagoras  54.  199;  sein  Lehrsatz  54. 
109. 

Pythagoreer  11. 

Quadrant  (astronomisches  Instrumental 

392. 
Quadratur  66*.  68.  96. 
Quadratwurzelausziehung  238*. 
qualitates  occultae  465.  483. 


R. 

Räderuhren  469  f. 

Rafael  110. 

Ragusa  442. 

Raketen  257. 

ratio  eversa  382*. 

Reflexion  des  Lichtes  an  glatten  und 
rauhen  Flächen  74  ff. 

Refraktion  329.  378. 

regiila  aurea  239.  312  ft'. 

Relative  Bewegung  120fl'.  180ff.  263. 
391. 

Relativität  gewisser  Begriffe  386. 

Religiöse  Dinge  sollen  nicht  scherz- 
haft behandelt  werden  374. 

Reiter,  der  einen  Körper  fallen  läfst  163. 
R.  fühlt  deutlich  den  Widerstand  der 
Luft  138.  457. 

Rocco,  Antonio  30*. 

Rohr,  in  dessen  Ende  ein  Stein  ein- 
geklemmt ist  (Kinderspielzeug)  201  ff. 

Roland,  Rasender,  von  Ariost,  citiert 
467. 

Rollscheibe  (ruzzola)  165. 

Rom  361. 

Rostock  134. 

Rothmann,  Christoph  131*.  390*. 

Rückläufigkeit  der  Planeten  357  ff. 
399. 

Ruhe;  ob  zwischen  entgegengesetzten 
Bewegungen  R.  eintreten  mufs?  293. 

Rute  (canna)  236. 

Rute  (pertica)  293. 


S. 

Sacrobosco  277*    433.  489. 

Sänger,  der  heilige  (il  sacro  poeta)  458. 

Saggiatore  (Goldwäger)  55*.  75.  351. 
417*.  463. 

S  a  g  r  e  d  0 ,  Giovanfrancesco ;  charakte- 
ristische Züge  78.  85.  110.  139.  Seine 
Reise  nach  Aleppo  180.  265.  436.  461. 
S.  der  belehrende  Teil  186.  188.  265  f. 

Salviati,  Filippo;  charakteristische 
Züge  139.    Seine  Villa  120.  362.  405*. 

Sammet,  verschiedene  Arten  104. 

San  Lorenzo  =  Madagaskar  454. 

Sardinien  438. 

Saturn;  Umlaufszeit  124;  Achsendrehuug 
278;  vermeintliche  Begleiter  385. 

Schacht  bis  zum  Mittelp.  d.  Erde  s. 
Mittelp. 

Schein  und  Sein  388*. 

Scheiner  97*.  Kritik  der  Disquisitiones 
mathematicae  seines  Schülers  Locher 
232—261  u.  373  ff.;  =  Apelles  58.  3(>2. 

Schiefe  Ebene,  Fall  längs  d.  seh.  E. 
25  ff. 

Schiff,  Fall  eines  Steines  von  der  Mast- 


Namen-  und  Sachregister. 


585 


spitze  eines  Schiffes  131.  150  ff.  Son: 
stige  Beobachtungen  auf  bewegten 
Schiffen  180.   197.  392. 

Schiffahrtskunde  110. 

Schlagball  s.  Spiele  (palla  a  corda). 

Schnellwage  228. 

Schönheit  und  Wahrheit  139. 

Schöpfung  scentrum,  Berechnung  sei- 
ner etwaigen  Lage  31. 

Schöpfungshypothese  Galileis  20  ff. 

Schreiberkunststücke  182. 

Schreib fe der,  absolute  und  relative 
Bewegung  einer  solchen  180  f. 

Schrift,' Erfindung  der  S.  98.  HO. 

Schriftsteller  und  Publikum  82.  98. 

Schritt  eines  Fufsgängers  191. 

Schüsse  mit  Kanonen  als  Argumente 
gegen  die  Erdbewegung  132  f.  177 
—192. 

Schützenkunststücke  187*. 

Schwarzes  Meer  456. 

Schwere,  Wesen  der  Seh.  260.  Seh.  und 
Gewicht  bei  Galilei  nicht  durch  ter- 
mini  von  einander  verschieden  214  f. 
u.  ö.  Ob  Seh.  nach  dem  Mittelp. 
der  Erde  oder  dem  des  Weltalls  ge- 
richtet sei  35  f.  130. 

Schwere  und  leichte  Körper  35. 

Schwerpunkt  260. 

Scylla  und  Charybdis  438.  456. 

Seiches  448*.  453*. 

Selenographie  (Mondbeschreibung) 
52. 

Seleucus  464*.  482*. 

Selve,  ViUa  delle  120*.  362. 

Sextant  331. 

Sexterschein  (aspetto  sestile)  66*.  337. 

Sicilien  438.  454. 

Silberne  Gefäfse,  Verschiedenheit  ihres 
Glanzes  und  ihrer  Farbe  je  nach  Art 
ihrer  Bearbeitung  83.  104. 

Simplicio;  charakteristische  Züge  87. 
112.  183.  290.  292;  reist  häufig  uach 
Padua  269  f. 

Sinus  totus  327*. 

Sirius  81.  353. 

Skulptur  108.  HO. 

Sokrates  107. 

Sokratische  Dämonen  165. 

Solstitium,  Beobachtung  seines  Ein- 
tritts durch  Galilei  405  f. 

Sonne;  Parallaxe  302;  Entfernung  von 
der  Erde  375;  scheinbarer  Durch- 
messer 375;  wechselnde  Entfernung 
375*;  Zusammenhang  von  Ebbe  und 
Flut  mit  der  S.  437.  478 ff.  Unregel- 
mäfsigkeiten  bei  ihrer  scheinbaren 
Bewegung  476. 

Sonnenfinsternisse  97. 

Sonnenfleckcn  55  ff.  278.  361—372. 
Briefe  über  d.  S.  58.  59.  75. 


Sophismen  44. 

Sorites  44. 

Spanien  122. 

Spanne  (imlmo)  198.  205.  442. 

Sphäre,  astronomisches  Instrument  364. 
405.  S.  des  Himmels,  ihre  Festigkeit 
bestritten  46.  73.  463. 

Sphärische  Astronomie  (Sphaera,  Sfera) 
277.  433.  476. 

Spiegel,  ebene  76;  kugelförmige  79 ff. 

Spiele;  ruzzolal65*;  chiosal68*;  palla 
a  corda  169*;  palle  di  legno  169*; 
canna,  in  cima  della  quäle  .  .  .  201. 

Spirale,  cylindrische  16;  archimedische 
und  sonstige  Sp.  173. 

Sterne,  nach  perip.  Ansicht  verdich- 
teter Äther  46.  Neue  St.  v.  1572  u. 
1604.  55  f.  232.  261.  289.  293—332. 

Stevinus,  Simon  439*. 

Stichlinge  (spillancole) ,  als  Beispiel 
kleiner  Fische  386. 

Stiller  Ocean  454. 

Störungstheorie  Galileis  473*. 

Stofskräfte  22*. 

Strenge  mathematischer  und  natur- 
wissenschaftlicher Beweise  14. 

Strömungen  des  Meeres  438.  454;  im 
Euripus  453*. 

Südsee  (Oceano  del  Sud)  454. 

ex  suppositione  456. 

Sympathie  und  Antipathie  429. 

Syrien  121.  265.  436. 

T. 

Tag  und  Nacht,  erklärt  vom  Stand- 
punkte des  kopernikanischen  Systems 
408. 

Tangente;  längs  der  T.  sucht  sich  der 
kreisförmig  bewegte  Körper  zu  ent- 
fernen 203  f. 

Tartaglia,  Niccolo  177*. 

Tautochrone  470*. 

Teleologischer  Standpunkt  64.  384  f. 
421. 

Teleskop,  s.  Fernrohr. 

terrella  422*. 

testiera  =  celatone  265*. 

Text  des  Aristoteles,  von  Galilei  be- 
nutzter 16*. 

Thebit  377. 

Theorie  der  Planeten  i^Theorica  plane- 
tarum),  astronomisches  Kolleg  476. 

Thermometer  32*. 

Thesen büchle in  (von  Scheiners  Schü- 
ler Locher)  96.  232  ff.  373  ff. ;  von  Cle- 
menti  183*. 

Tiere,  ihre  Bewegung  273;  ihr  Ermüden 
284.  287. 

Tierkreis  276  u.  ö. 

Tizian  110. 


586 


Namen-  und  Sachregister. 


tregenda  (Wilde  Jagd)  419*. 
Tretmühlen  138. ' 
Trugschlüsse  44. 

Tycho  de  Brahe  55.  71*.  125*.  131'.  186. 
232.  261.  298*.  374  flf.  379.  389.  405. 


U. 

übaldi,  Guido  226*. 

Übertragung  von  Zuständen  eines 
Subjekts  auf  ein  anderes  157.  159. 

Uhren  324.  469  f.  492. 

Unbewufstes  Wissen  12*.  26.  95.  152. 
165  ff.  176.  202.  266.  393. 

Unendliches  im  Verhältnis  zum  End- 
lichen 107.  128. 

Unendlichkeit  der  Welt  39*.  334*. 

Unendlich  kleine  Gröfsen  von  ver- 
schiedener Ordnung  205*.  212*. 

Unvevänderlichkeit  des  Himmels, 
angebliche  Beweise  dafür  40.  U.  kein 
Vorzug  62. 

Unze  (=  Via  Pfund)  424. 

Ursinus  298. 

Urzeugung  42. 


Venedig  121.;  Ebbe  und  Flut  daselbst 
292.  436.  442.  453.  Versorgung  mit 
Trinkwasser  444. 

Venus  56.  96.  336.  349.  377. 

Veränderlichkeit  d.  Himmels  50 ff.  64. 

Verhältnis;  dasDopi^elte  eines V.236*.; 
Zusammensetzung  von  Verhältnissen 
210. 

Versuche,  physikalische  u.  Beobach- 
tungsmethoden 76.  80.  85.  88.103.379ff'. 
417.  426. 

Vinci,  Leonardo  da  38.  71*. 

Virgil  114;  citiert  343. 

Virtuelle  Geschwindigkeiten,  Princip 
der  V.  G.  226*. 

Visiereinrichtungen  (Diopter)  an 
Quadranten  und  Sextanten  332.  405. 

Vitellio  97. 

Vögel;  als  Beweisgrund  gegen  die  Erd- 
bewegung 138.  176.  193;  durch  welchen 
Kunstgriff  V.  im  Fluge  geschossen 
werden  187  ff. 


W, 


Wachstum  ist  Werk  der  Natur,  nicht 
des  Menschen  107. 

Wärmegrade  32. 

Wage  (Mefsinstrument)  227. 

Wage  (Sternbild)  408  u.  ö. 

Wagen  (Sternbild  =  grofser  Bär)  406. 

Wahrheit  und  Schönheit  identisch  139. 
W.  ist  unabhängig  von  der  Beredsam- 
keit ihres  Vertreters  57.  W.  und  Irr- 
tum 440.  443. 

Wald,  dunkeles  Aussehen  des  W.  104. 

Wechselwirkung  der  Himmelskörper 
auf  einander  63;  der  Erde  und  der 
Himmelskörper  101. 

Wega  (ital.  Lira)  378.  406. 

Weinstock,   sein  Wachstum  107.  384. 

Wellen,  stehende  oder  stationäre  448*. 

Wels  er,  Marcus  58.  361. 

Weltsystem,  kopernikanisches.  Skizze 
des  k.  W.  337  ff. 

Wendekreis  406.  411. 

Widerstand  gegen  die  Bewegung  226. 

Wilde  Jagd  (tregenda)  419. 

Wilhelm  IV.,  Landgraf  von  Hessen- 
Cassel  298. 

Wind,  sein  Nichtvorhandensein  als  Be- 
weis gegen  die  Erdbewegung  138.  268. 
Passatwinde  459  ff. 

Wissen,  unbewufstes  12*.  26.  95.  152. 
165  ff'.  176.  202.  266.  393;  wahres  und 
vermeintliches  Wissen  107;  Wissen 
und  Meinen  419. 

Wolken;  ihr  Verhalten  als  Beweis 
gegen  die  Erdbewegung  138. 

Wolkensäule,  die  vor  den  Kindern 
Israel  herschwebte  93. 

Wunder  22.  440. 

Wursteisen,  Christian  134. 

Z. 

Zabarella  117*. 

Zeitniafs;  als  solches  dienen  für  kleine 

Zeitintervalle  Pulsschläge  23.  32. 
Zodiacus  s.  Tierkreis. 
Zusammensetzung  von   Bewegungen 

173.  185.  431. 


Soeben  geht  uns  die  traurige  Nachriclit  zu,  dals  der  Herausgeber 
Herr  Emil  Straufs  Sonnabend  den  6.  Februar  1892  in  noch  nicht 
vollendetem  33.  Lebensjahre  einer  Lungenentzündung  erlegen  ist. 

Die  Verlagsbuchhandlung. 


BINDING  SECT.  JUN  1    1972 


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UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


QB       Galilei,  Galileo 

^  Dialog  über  die  beiden 

1891  hauptsächlichsten  Weltsysteme 

Physical  & 
Applied  Sei.