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Full text of "Dichterische Werke"

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Peda de Werben Bücher Reine 


As 2, 
HERMANN KURTZ 


Digitized by the Internet Archive 
in 2010 with funding from 
University of Toronto 


http://www.archive.org/details/dichterischewerk03visc 


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Friedrich Theodor Viſcher 
Dichteriſche Werke 


Dritter Band 


Lyriſche Gänge 


. 


Leipzig 
Verlag der Weißen Buͤcher 
194 7 


Friedrich Theodor Bifcher 
Lyriſche Hänge 


N 


Leipzig 
Verlag der Weißen Buͤcher 
1917 


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2547 

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22 


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„Lyriſche Gänge? 
Willſt du dir ſchaden? 
Kritiſcher Gänge 
Reiſ'kameraden?“ 


„Machſt uns Gedanken! 
Neben dem Richten 
Muß wohl erkranken 
Fröhliches Dichten.“ 


„Rauh ſind die Gänge: 
Steinige Wege, 

Stoß im Gedränge, 
Schwindlige Stege!“ 


„Haſt du nicht Schwingen? 
Kannſt du nicht ſchweben, 
Wolken durchdringen, 
Himmelan ſtreben?“ 


— Trunkenes Wiegen 
Bleibe mir ferne! 
Ohne zu fliegen 


Find' ich die Sterne. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 


Laß mich vertrauen, 
Daß mir das Auge, 
Träumend zu ſchauen, 
Immer noch tauge. 


Magſt du mich ſehen 
Leiden und ſtreiten, 
Laſſe mich gehen, 
Laſſe mich ſchreiten. 


Fuß über Grüften 
Feſt auf dem Feſten, 
Haupt in den Lüften, 
So iſt's am beſten. 


Jugendjahre. 


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An den Leſer. 


Mag das Lied, das alte, graue, 
Immerhin den Vortritt haben! 
Wer verliebt ins Himmelblaue, 
Mag ſich anderswo erlaben. 


Ja noch dunklere Geſtalten — 

Sind auch Lichtungen dazwiſchen, 
Wo die heitern Farben walten — 
Werden in den Zug ſich miſchen. 


Trübe hat der Moſt gegoren, 
Friſche Milch ward ſchnell zu Molke, 
Auf des Morgens goldnen Toren 
Lag die ſchwere, ſchwarze Wolke. 


Ob der Moſt noch Wein geworden, 
Ob noch rein die Milch gefloſſen, 
Ob durch düſtre Wolkenhorden 
Siegend noch das Licht geſchoſſen: 


Dieſes künftighin Vergangne 
Kann in ſeinen Finſterniſſen 

Der umhangne, traumbefangne 
Dichter jetzt und einſt nicht wiſſen. 


Sprich ihn drum nicht gar zu ſchuldig, 
Der du ja um viel geſcheiter, 

Lieber Leſer ſei geduldig 

Und lies eben weiter, weiter! 


Das graue Lied. 


Warum wird mir ſo dumpf und düſter doch, 
So matt und trüb um die beengte Seele, 
Wenn ich an einem grauen Nachmittag 

An meinen Büchern mich vergeblich quäle — 


Wenn wie ein aſchenfarbiges Gewand 

Der Himmel hängt ob den verſchlafnen Auen 
Und weit und breit von dem geliebten Blau 
Nicht eine Spur das Auge kann erſchauen? 


Ein Geiglein tönt aus einem fernen Haus, 
Man hört es kaum, gefühlvoll tät' es gerne, 
Gezognem Weinen eines Kindes gleich 

Mit dünnem Klang langweilig in die Ferne. 


Kein Lüftchen geht, kein Grün bedeckt die Flur, 
Der Lenz iſt da, doch will's ihm nicht gelingen, 
Die alten Streifen winterlichen Schnees 

In Wald und Graben endlich zu bezwingen. 


So öd und ſtill! Das ſchwarze Vöglein nur, 
Das frierend ſitzt auf jenes Daches Fahnen, 
Zieht langgedehnten traur'gen Laut hervor, 

Als wollt' es an ein nahes Unglück mahnen. 


Ich weiß es wohl, ſolch grauer Nachmittag 

Iſt all mein Weſen, all mein Tun und Treiben. 

Nicht Wehmut iſt's, nicht Schmerz und auch nicht Luſt, 

Das Wort ſpricht's nicht, die Feder kann's nicht 
ſchreiben. 


Mir iſt, als wär' ich ſelber Grau in Grau, 
Zu viel der Farbe ſcheint mir ſelbſt das Klagen, 
Ob Leben Nichts, ob Leben Etwas iſt, 

Wie ſehr ich ſinne, weiß ich nicht zu ſagen. 


Scheinleben. 


Und ſeit des Nichts unſäglicher Gedanke, 

Ein wilder Blitz, mir in die Seele ſchlug, 

Iſt Schein geworden all mein Tun und Weſen, 
Iſt all mein Leben eitel Lug und Trug. 


Am Richtplatz ſah man: wenn das Haupt gefallen, 
Auffährt der Rumpf und bebt zwei Schritte fort, 
Das Auge zuckt und will die Welt noch ſehen, 

Die Lippen ſtammeln noch ein leiſes Wort. 


8 
Fauſt'ſche Stimmen. 


Frage. 
Einſt wird die Weltpoſaune dröhnen 
Und mächtig aus des Engels Mund, 
Ein lauter Donner, wird es tönen: 
Du Erde, öffne deinen Schlund! 


Sie ſchüttelt träumend ihre Glieder, 
Und alle Gräber tun ſich auf 

Und geben ihre Toten wieder, 

Die kommen ſtaunend Hauf zu Hauf. 


Dann, wenn, den großen Spruch zu ſprechen, 
Der Ew'ge ſich vom Stuhl erhebt 

Und ſtockend alle Herzen brechen 

Und Todesangſt die Welt durchbebt 


Und laut erkracht des Himmels Krone — 
Dann ringsum Schweigen fürchterlich —, 
Dann will ich ſtehn vor ſeinem Throne 
Und fragen: Warum ſchufſt du mich? 


Kein Ende. 


O ſprich, warum denn ſoll ich leben, 
Was ſoll der Finger, der mir droht? 
Nichts iſt mein Denken, Wollen, Streben, 
Und was ich bin, iſt eitel Tod. 


Die Wonne beut mir ihre Schalen, 
Und keine Freude ſpürt mein Herz; 
Ich lieg' in tauſend heißen Qualen 

Und fleh' um einen Tropfen Schmerz. 


Ein neues Schwert iſt jede Stunde, 
Das mich im tiefſten Buſen trifft, 
Es wird an dem verfluchten Munde 
Der Liebe Becher ſelbſt zu Gift. 


Nichts ruhet aus. In tollem Schwanken 
Wahnſinnig dreht die Welt um mich. 
Kein Ende haben die Gedanken, 

Und das, und das iſt fürchterlich. 


Der Schlaf. 


Man hat ſchon oft geſagt, 
Du ſeieſt des Todes Bild, 
O Knabe, ſtill und mild, 
Süßer Schlaf! 


Ich aber verſteh' es: 

Weil die wilden Gedanken, 

Die umgetriebenen, todeskranken, 
Nicht mehr ſind. 


10 


Morden kann ich ſie nicht, 

Aber ſie nicken und ſchlummern ein 
In deinem Dämmerſchein 

Ganz ſachte. 


Bringſt du denn nicht auch bald, 
Wenn ich ruf' und flehe zu dir, 
Deinen bleichen Bruder mir 

An der Hand? 


Bringſt du ihn immer nicht? 
Er hat, was das Herz vermißt, 
Hat, was das Beſte iſt, 

Kein Erwachen. 


Stille. 


Still, ſtill, ſtill! 

Es ſchweiget Feld und See und Wald, 
Kein Vogel ſingt, kein Fußtritt hallt; 
Bald, bald 

Kommt weiß und kalt 

Der tote Winter 

Über dich, Erde, 

Und deine Kinder. 


Auch du wirſt ſtill, 

Mein Herz; der Sturm, der ſonſt ſo wild 
Dich rüttelt, ſchweigt. Ein jedes Bild 
Verhüllt. 

Ganz, ganz geſtillt 

Liegſt du im Schlummer. 

Es ſchweigt die Freude, 

Es ſchläft der Kummer. 


Still, ſtill, ſtill! 

Er kommt, er kommt, der ſtille Traum 
Von einem ſtillen kleinen Raum. 
Kaum, Kaum, 

Du müder Baum, 

Kannſt du noch ſtehen. 

Bald wird dich kein Auge 

Mehr ſehen. 


Die Nacht. 


Am Himmel iſt gar dunkle Nacht; 
Die müden Augen zugemacht 

Hat längſt ein jedes Menſchenkind, 
Es wacht nur noch der rauhe Wind. 


Der jaget ſonder Raſt und Ruh 

Die Fenſterläden auf und zu, 

Die Wetterfahne hin und her, 

Daß ſie muß ächzen und ſtöhnen ſchwer. 


Doch ſieh! aus jenem Fenſter bricht 
Ins Dunkel noch ein mattes Licht. 
Wer iſt's wohl, der in tiefer Nacht 
Bei ſeiner Lampe einſam wacht? 


Ich ſchleiche dicht ans Fenſterlein, 
Schau' durch die runde Scheib' hinein, 
Und einen Jüngling zart und ſchön 
Seh' ich an einem Bette ſtehn. 


Und wie ich nach dem Bette ſchau', 
Da ſchlummert eine kranke Frau. 
Er bückt ſich übers Bett hinein, 
Es muß des Knaben Mutter ſein. 


Vom Bette läßt er nicht den Blick, 

Er ſtreicht das braune Haar zurück, 
Sacht' hält er ihr das Ohr zum Mund, 
Ob ſie noch atme zu dieſer Stund. 


Das Kätzlein. 


Zog der junge Wladislaw, zu jagen, 

Einſt von ſeiner hohen Burg herunter. 

Wie er durch ein Dörflein kam gegangen, 
Kam ein weißes Kätzlein, das die Hunde 
Aufgeſcheucht, an ihm vorbeigeſprungen. 
Und er mochte nicht mehr jagen gehen, 
Sondern mußte immer, immer horchen, 
Wie es ſprach in ſeinem lieben Herzen: 

Daß ich doch dein kleines Kätzlein wäre, 
Das an deinem Bette jeden Morgen 
Bettelnd ſteht und lang nach deinen Augen, 
Nach den zugeſchloßnen lieben Augen, 
Harrend blinzt, bis du ſie aufgeſchlagen. 
Wie das kleine Kätzlein das erſiehet, 
Schnurrt und ſpinnt es, und die weichen Seiten 
Drückt es ſchmeichelnd an des Bettes Pfoſten. 
Und du ſagſt dem Kätzlein guten Morgen, 
Und du ſtreckſt die runden weißen Arme 


14 


Aus dem Bett und nimmſt die kleine Katze, 
Legſt ſie neben dich aufs linde Kiſſen, 
Streichelſt ihr die Stirne und den Rücken. 
Und das Kätzlein auf dem linden Kiſſen 
Liegt bei deinen weißen, warmen Brüſten, 
Die in ſanftem Atemzug ſich heben 

Und ſich ſenken, wie zwei reine Lilien 

Auf des Fluſſes grüner Welle ſchwebend 

Bald ſich tauchen unter ſanfte Wogen, 

Bald erſcheinen mit den ſüßen Kelchen. 

Und das Kätzlein auf dem linden Kiſſen, 
Und das Kätzlein, das du ſchwatzend ſtreichelſt, 
Und das Kätzlein an den weißen Brüſten, 
Die gleich Waſſerlilien ruhig wogen, 
Schnurrt und ſpinnt und drücket zu die Augen; 
Daß ich doch dein kleines Kätzlein wäre! 


Der erſte Schnee. 


Der erſte Schnee hat auf die weite Welt 

Still über Nacht das weiße Tuch gebreitet, 

Die Häuſer ſind wie weißes Zelt an Zelt, 

Baum, Weg und Steg in ſchimmernd Weiß gekleidet. 


Und wie ich ſo vom warmen Stübchen ſeh' 
Ins weiße Dorf und auf die weißen Auen, 


15 
Kommt über mich, mit tiefem Wohl und Weh, 
Ein wacher Traum, ein helles, innres Schauen. 


Zum bunten Tuche wird das bleiche Feld, 
Drauf Bild um Bild ſich warm in Farbe malet, 
Und einen Chriſtbaum ſeh' ich aufgeſtellt, 

Der buntbehängt, von Harze duftend ſtrahlet. 


Die Mutter ſteht und breitet Gaben aus, 

Die Kinder ſind im Kämmerlein gefangen 
Und ängſten ſich, ob nicht die Welt in Graus 
Vergehen könnt', eh' ſie den Chriſt empfangen. 


Es ruft, der große Augenblick iſt da, 

Der Vater holt uns zu des Himmels Schwelle; 
Wie leuchtet bei dem wonnevollen Ah! 

Sein braunes Aug' in milder, warmer Helle! 


Er ahnet nicht, wie bald er ſcheiden muß, 

Als arme Waiſen ſeine Kinder laſſen. 

Noch heute ſeh' ich, wie den letzten Kuß 

Die Mutter auf die Lippen drückt, die blaſſen. 


Das Leben eilt. Schon winkt ein heitres Bild, 
Ein Kloſter ſteht im Felſental geborgen. 

Da blühen Knaben, friſch und gut und wild, 
Gefüllte Knoſpen in des Lebens Morgen. 


16 


Sie öffnen ſich am ſtarken, reinen Strahl, 
Geiſt ſtrebt an Geiſt, im Tauſche ſich zu laben, 
Und ſtaunend fühlen ſie zum erſtenmal, 

Wie tief das Glück iſt, einen Freund zu haben. 


Wohl mir zum reichen jugendlichen Bund! 

Ich bin nicht ich allein, ich habe Freunde! 

Ich grüße fern, doch nah, mit Herz und Mund, 
Ein fröhlich Glied, die fröhliche Gemeinde. 

Und noch! Was keimt noch, will ans Tageslicht? 
Was leſ' ich noch im bilderreichen Buche? 

Der erſten Liebe ſelig Traumgeſicht 

Spinnt ſich und webt auf meinem weißen Tuche. 
Was ſteigt, was taucht blondlockig aus dem Schnee 
Und blickt mich an mit klarem Kinderauge? 
Komm, teures Haupt, daß ich ins Aug' dir ſeh', 
Den lautern Quell, woraus ich Frieden ſauge. 
Im Buſen weht es wie ein lauer Wind. 

Taut mir's im Auge? Will der Schnee zerfließen? 
Kommt alle, kommt! Ein liebeſehnend Kind 
Will euch in ſeine treuen Arme ſchließen. 


Ein Gaſt. 
Was lärmt denn da vor meiner Hütten 
Noch für ein ungebetner Gaſt? 


Er legt fich eben nicht aufs Bitten, 
Er pocht und ſchellt mit wilder Haſt. 


Das iſt die Reue, die ſchon lange 
Mit Geiſtertritt das Haus umkreiſt 
Und endlich nun am Glockenſtrange, 
Am Klopfer ungeduldig reißt. 


Da ſteht ſie mit dem todesblaſſen 
Geſicht, die welke Hand am Knauf, 
Und ſchickt mir fordernd einen graſſen, 
Verſtörten, kranken Blick herauf. 


Wer könnte Geiſter zwingen, binden? 
Dich ſperrt nicht Menſchenkraft hinaus! 
Tritt ein, du wirſt Geſellſchaft finden, 
Es ſind der Larven mehr im Haus. 


Ich hab's geahnt, ſo könnt' es werden, 
Als ich erbat den erſten Kuß, 

Ich hab's geahnt, weil ſtets auf Erden 
Mit Leid die Freude ſchließen muß. 


Ich hab's geahnt, als ich ihr Treue 
Mit raunendem Gewiſſen ſchwor; 
Auf Treue reimt zu gut die Reue, 


Schon klang der Endreim mir im Ohr. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 2 


18 


Der Wildbach, der hinauszuſchießen 


Ins weite Land noch ſchäumt und brauſt, 


Er ſoll die Hütte nicht umfließen, 
Den ſtillen Hag, wo Friede hauſt. 


Ich weiß ein Auge, mit dem reinen 
Herzblick hat es mir oft gelacht, 
Es wird mir lebenslang erſcheinen 
Sternhell in dunkler Mitternacht. 


So lauter fließt aus tiefſter Quelle 
Sein unvergeßlich klares Licht —: 
Ich weiß, es trübten dieſe Helle 
Auch all die heißen Tränen nicht. 


Mild wird es mir ins Innre blicken, 
Kein Vorwurf wird zu leſen ſein, 
Ich aber werde Vorwurf pflücken 
Aus dieſem offnen Himmelsſchein. 


Glaube. 


Ich ſcheide, ſprach der Knabe, 
Doch ſei dir, liebe Maid, 
Herzinnige Treu' geſchworen 
In alle Ewigkeit. 


19 
Nun er in fernen Landen 
Um blut’gen Lorbeer wirbt, 
Dem ungetreuen Manne 
Die Lieb' im Herzen ſtirbt. 


Doch immer, immer naget 

In ſeiner Bruſt der Wurm, 

Er hört die ſüße Stimme 

Durch Schlachtengraus und Sturm. 


Er ſieht das klare Auge, 
Er ſchläfet oder wacht, 

Aufleuchtend, aufgeblättert 
In grabesſchwarzer Nacht. 


Was frommt mir alle Reue? 
Ruft er in wildem Zorn, 
Es iſt ja doch im Herzen 
Verſiegt der Liebe Born, 


Das ausgebrannte Feuer, 
Kein Wille bringt's zurück, 
So muß ich denn zertreten 
All ihres Lebens Glück! 


Ermorden und zertreten — 
Du unglückſelig Weib! 
Doch eh' die Seel' ich morde, 
Mord' ich den zarten Leib. 
25 


Er lenkt, wie ſonſt, die Tritte 
Nach ſeines Liebchens Haus, 
Sie ſtreckt, wie ſonſt, die Arme 
Nach dem Geliebten aus. 


Liebſt du mich denn noch immer 
Im tiefſten Herzensgrund? 

So ruft ſie. Stumm und ſtille 
Küßt er den ſüßen Mund. 


Die Linke hat umſchlungen 
Einſt ſeines Lebens Luſt, 
Die Rechte zuckt am Meſſer, 
Durchbohrt die treue Bruſt. 


Kind, es geſchieht aus Liebe, 
Der bleiche Mörder ſpricht. 
Ich glaub' es, ſpricht ſie leiſe, 
Das treue Auge bricht. 


Paſtors Abendſpaziergang. 


Das Abendrot brennt an des Himmels Saum, 
Ich ſchlendre ſo, als wie im halben Traum, 
Zum Dorf hinaus auf grünem Wieſenwege 
Am Wald hinunter, wie ich täglich pflege. 


Rings auf der Wieſe wimmelt es und fchafft, 
Vom friſchen Heu kommt mit gewürz'ger Kraft 
Ein ſüßer Duft auf kühler Lüfte Wogen, 
Mein alter Liebling, zu mir hergezogen. 


Rot, Blau und Gold, ein ganzes Farbenreich, 
Betrachtet ſich im ſpiegelhellen Teich, 
Wildenten ſieht man durch die Wellen ſtreben 
Und hoch in Lüften Weih und Sperber ſchweben. 


Ein flüſternd Wehen geht im dunkeln Wald, 
Die Vögel rufen, daß es weithin ſchallt, 

Die Unke will ſich auf der Flöte zeigen, 

Die Grille zirpt und auch die Schnaken geigen. 


Studieren wollt' ich einen Predigtplan, 

Nun hör' ich ſelbſt die große Predigt an, 

Voll Kraft und Mark, ein Menſchenherz zu ſtärken, 
Die große Predigt von des Meiſters Werken. 


Wunder. 
Daß die Lerchen wieder ſingen, 
Daß ſich Schmetterlinge ſchwingen, 
Gelb und ſchwarz mit goldnem Saum, 
Daß ſich grüne Gräſer treiben, 
Auch nicht eins zurück will bleiben, 
Man glaubt es kaum. 


22 


Daß fie bricht, die ſtarre Binde, 
Daß die lauen Abendwinde 

Knoſpen ziehn aus Buſch und Baum, 
Daß die Amſel tiefe, volle 

Töne durch die Wälder rolle, 

Man glaubt es kaum. 


Daß man durch die Luft, ſo milde, 
Kinderſcharen, liebe, wilde, 
Jauchzen hört im fernen Raum — 
Lang im dumpfen Haus geſeſſen, 
Aber ſchnelle, ſchnell vergeſſen — 
Man glaubt es kaum. 


Und es will mich immer fragen, 
Mir ins Ohr ein Wörtlein ſagen, 
Und es iſt mir wie ein Traum, 
Daß ich ſelbſt vor Jahren, Jahren 
Spielte mit den Kinderſcharen, 
Man glaubt es kaum. 


Angſt. 


Warum denn dringt und dringet wieder 
Mir Todesangſt durch Mark und Bein? 
Was rieſelt durch die ſtarren Glieder 
Und ſchüttelt mich wie Fieberpein? 


23 
Hat alte Blutſchuld eingeſchrieben 
Mich einſt in der Lebend'gen Buch? 
Sind mir nicht rein die Hände blieben 
Von des Verbrechers ew'gem Fluch? 


Verbirgt ein mörderiſcher Sünder 

Sich unter meiner Ahnen Zahl 

Und ſchwingt auf Kind und Kindeskinder 
Ein zorn'ger Gott den Racheſtrahl? 


Nichts weiß ich von ſo dunklen Spuren, 
Von eigner fluchbelegter Tat, 

Ich wandle durch des Lebens Fluren 
Schlicht wie ein andrer meinen Pfad. 


Hab' ich zu kühn nach hellem Wiſſen, 
Nach ungefärbtem Licht geſtrebt, 
Den Schleier allzu keck zerriſſen, 
Der ſich um Kinderaugen webt? 


O nein, ich habe nie gezaget 

Vor dem Popanz der feigen Welt, 
Ich hab' es immer drauf gewaget, 
Daß auch die Irmenſäule fällt. 


Warum denn dringt und dringet wieder 
Mir Todesangſt durch Mark und Bein? 
Was rieſelt durch die ſtarren Glieder 
Und ſchüttelt mich wie Fieberpein? 


Es ſteht ein altes Wort geſchrieben, 

Es ſchwebt mir vor. Wie heißt es nur? 
Halbhell iſt mir's im Geiſt geblieben, 
Mir klingt's wie: Angſt der Kreatur. 


Ja, das wird's ſein! Ihr Atem bebet, 
Weil jeder Tag nur Schuldnerfriſt, 

Sie ſtirbt voraus, derweil ſie lebet, 

Sie weiß: ſie iſt nicht, weil ſie iſt. 

O, mög' es ein Gewitter enden! 

Um Sturm und Blitze fleht mein Schmerz, 
O, ſend' ein Gott, die Angſt zu wenden, 
Mir jähe Schrecken in das Herz! 


Vor Geiſtern auf dem Schlachtfeld ſtehen, 
Das legt ſich auf die Bruſt wie Blei; 
Kann ich dem Feind ins Auge ſehen, 
Wird wohl der Atem wieder frei. 

Und ſchreitet er in Feindes Reihen 
Voran, der gründlich ſtets verfuhr: 

Es ſei! Der Tod nur kann befreien 

Von aller Angſt der Kreatur! 


Der Erſte. 
Dich möcht' ich kennen, ſtolzer Götterſohn, 
Der du zuerſt im ungeheuern Schmerz, 


25 
Dem ew'gen Fluch, der blaſſen Furcht zum Hohn, 
Den Stahl gezücket auf das eigne Herz, 


Der du zuerſt geboren und erfaßt 

Den Wutgedanken, den kein Menſch noch trug, 
Von dir zu ſchleudern dieſes Lebens Laſt, 

Den Blitz, der noch in keine Seele ſchlug, 


Den grellen Schrei, der durch die Himmel ſchallt, 
Den Bruch mit allem, was das Herz erfreut, 
Den Sturz, den jede lebende Gewalt, 

Den Erd' und Höll' und Himmel uns verbeut. 


Vor meinem Auge richtet ſich empor, 

Die Blicke rollen göttlich ſtolz und wild, 
Umflattert rings von grauſer Larven Chor, 
Dein aufgerecktes, geiſterbleiches Bild. 


Zum Himmel blickſt du, und dein Auge ſagt: 
Du Sonne dort, meinſt du, ich liebe dich? 
Zur Erde blickſt du, und die Stirne klagt: 
Du Törin, du, warum gebarſt du mich? 


Sie aber trägt den harten Vorwurf nicht 
Und ſendet leis, wie durch des Traumes Tor, 
Umfloſſen weich von roſenfarbnem Licht, 
Bekannte Bilder, Hand in Hand, hervor: 


26 


Der Kindheit Unſchuld und der Freundſchaft Glück, 
Der erſten Liebe ſüßes Herzeleid, 

Die Hoffnung mit dem weiten, großen Blick, 
Des Glaubens Kraft und ſtille Seligkeit. 


Sie ſchauen ihn mit blauen Augen an, 

Sie ſchütteln trüb das blonde Lockenhaupt, 
Als fragten ſie: welch unglückſel'ger Wahn 
Hat unſerm Reich den lieben Freund geraubt? 


Wehmütig lächelt er — zum letztenmal, 
Der alte Zorn, ein ſtolzer Löw', erwacht, 
Die Waffe blitzt, es ziſcht ein roter Strahl, 
Er ſtürzt zuſammen in die ew'ge Nacht. 


Mädchens Abendgedanken. 


Wer der Meine wohl wird werden? 
Ob mein Aug' ihn wohl ſchon ſah? 
Wo er wandeln mag auf Erden? 
Iſt er ferne oder nah? 


Wird er ſchön von Angeſichte 
Oder doch nicht häßlich ſein? 
Krauſe Locken? Augen lichte? 
Groß von Wuchſe oder klein? 


Stark von Gliedern oder ſchmächtig? 
Ob er leicht im Tanz ſich ſchwenkt? 
Ob er nüchtern, ſtreng, bedächtig, 
Oder recht romantiſch denkt? 


Oberamtmann oder Richter 
Voller Ernſt und Gravität? 
Iſt er Künſtler, oder Dichter? 
Ob er auch Muſik verſteht? 


Ein Gelehrter, reich an Wiſſen, 

Der ſtudiert und Bücher ſchreibt, 

Dem jedoch zu Scherz und Küſſen 
Wenig Zeit nur übrig bleibt? 


Iſt er wohl vom Handelſtande? 
Iſt's ein Kriegsmann, keck und brav? 
Iſt er Pfarrer auf den Lande, 

Oder gar ein ſchöner Graf? 


Iſt die Liebe denn recht innig, 

Die er dann im Herzen trägt, 

Da das meine ja ſo minnig 

Jetzt ſchon ihm entgegenſchlägt? 
Sagt mir's, holde Blütendüfte, 
Die ihr weht ins Kämmerlein, 
Sagt mir's, leiſe Abendlüfte, 
Sag' mir's, ſanfter Mondenſchein! 


27 


28 


Sagt mir's, Elfen, kleine, loſe, 
Die ihr lauſcht und lacht und nickt, 
Sag' mir's, ſüße, rote Roſe, 

Die mir in das Fenſter blickt! 


Saget mir's ihr klugen Sterne, 
Die herauf am Himmel ziehn! 
Triebe ſchwellen in die Ferne, 
Und ſie wiſſen nicht, wohin? 


Liebesarme ſtehen offen, 

Ach, wen ſollen ſie empfahn? 
Lippen, die auf Küſſe hoffen, 
Ach, wer wird zum Kuſſe nahn? 


Oder ſoll ich lieber ſagen, 
Lieblich ſei's, ſo blind zu ſein? 
Dieſes Klagen, dieſes Fragen 
Sei uns Mädchen ſüße Pein? 


Träume können ſel'ger ſpielen 
Kindern gleich im leeren Haus, 
Wenn nach unbekannten Zielen 
Holde Wünſche ziehen aus? 


Freudig Bangen! Bange Freude! 
Ungewiſſer, finde mich! 

Leid in Luſt und Luſt im Leide! 
Künftiger, ich liebe dich! 


29 


Trinklied. 


Laßt mich trinken, laßt mich trinken, 
Laßt von dieſem Feuerwein 

Immer neue Fluten ſinken 

Mir ins durſt'ge Herz hinein! 


Jedes Ende ſei vergeſſen! 

Wie's im Innern drängt und ſchafft! 
Sagt, wer will mir jetzo meſſen 
Grenz' und Schranke meiner Kraft! 


Stellt mir ſchwere, weite, blanke 
Becher ohne Ende her, 

Füllet ſie mit dieſem Tranke, 
Und ich trink' euch alle leer! 


Bringt mir Mädchen, ſchöne, wilde, 
Noch ſo ſpröd und noch ſo ſtolz, 
Schickt die ſchreckliche Brunhilde, 
Alle trifft der Liebesbolz! 


Stellet mir die ſchwerſten Fragen! 
Wo das ew'ge Rätſel ruht? 
Feuerhell und aufgeſchlagen 
Schwimmt es hier im roten Blut! 


30 


Gebt mir Staaten zu regieren! 
Kinderſpiel ſoll mir es fein! 
Gebt mir Heere anzuführen, 
Und die ganze Welt iſt mein! 


Burgen möcht' ich jauchzend ſtürmen, 
Ihre Fahnen zittern ſchon, 

Felſen, Felſen möcht' ich türmen 

Und erobern Gottes Thron! 


Die Hyazinthe. 


Ich grüße dich, du wunderbarer Duft, 

Der ſich in dieſen zarten Kelchen wieget, 

Du Schiff, worin durch dunkelblaue Luft 

Die Seel’ entzückt nach fernen Ufern flieget. 


Das Steuer iſt ein alter, alter Traum 

Von andern Zeiten, himmelſchönen Auen, 
Gold iſt der königlichen Ströme Schaum, 
Und hohe, ſchlanke Palmen ſind zu ſchauen. 


Die Lotosblume ſchwimmt auf blauer Flut, 
Die Welle ſcheint mit holder Scham zu fragen, 
Welch Wunder ihr im keuſchen Schoße ruht? 
Doch nur die Kinder wiſſen es zu ſagen. 


Gefangen. 


Als einft in jenes Laubdachs Dunkelhelle 

Voll Inbrunſt meine Arme dich umſchlangen, 

Als Haupt an Haupt und Wang' an Wange drangen, 
Du ſchlankes Reh, ſchwarzäugige Gazelle, 


Da traf ein Mücklein auf die holde Stelle, 
Und zwiſchen unſern angeſchmiegten Wangen 
Hat es in irrem Taumel ſich gefangen, 

Es ſurrt und zappelt, will entfliehen ſchnelle. 


Nicht wahr, du Schelm, das hat dir nicht geträumet, 
Es warte dein ſo wunderlich Verhängnis? 
So bleibe nur und werde nicht ſo bange! 


Ein wohnlich Häuslein iſt dir eingeräumet, 
Gelinde Haft, anmutiges Gefängnis, 
Das liebe Grübchen in der weichen Wange. 


An das Bild Peter Viſchers 


am Sebaldusgrab in Nürnberg. 


Wie du nach mir mit wohlbekannten Zügen, 
Im Schurzfell, Hammer, Meißel in der Fauſt, 
Breitſchultrig, ſtämmig, ehrenfeſt, gediegen, 
Du wackres Ahnenbild, herüberſchauſt, 


31 


Da fühl ich das verwandte Blut ſich regen; 
Wir kennen uns, ſag' ich, ſagſt du zu mir, 
Und doch, mich mahnt's mit ſchmerzlichem Bewegen, 
Nicht reines Feld iſt zwiſchen mir und dir. 


Ja, ja, ererbt von dem getreuen Alten — 

Kaum weiß ich's noch, die Zeit iſt ſchon ſo lang — 
Drang mich ein Geiſt, zu ſchaffen, zu geſtalten 

In Erz, in Farben, in des Wortes Klang. 


Ihm flog voran und wiegte ſich im Blauen 
Ein friſcher Sinn, weit wie die Welt und frei, 
Und trug von allem, was da iſt zu ſchauen, 
Willkommner Beute reichen Stoff herbei. 


Bereites Werkzeug war dem innern Dichter 

Ein Auge, das nicht ſtumpf und irrend ſchweift, 
Das jeden Weſens Bildung, Maß und Lichter 
Mit ſichrem Blicke findet, faßt und greift. 


Des Lebens Wendung, nicht will ich ſie ſchelten, 
Die in der Denker ſtirngefurchte Reihn, 

In die geſtrengſte aller Geiſteswelten 

Weitab mich trug vom heitern Sinnenſchein. 


Doch ein Geteilter bin ich nun geworden, 
Ein halbes hier, und dort ein halbes Glück, 


Den Scheitel grüßet kalte Luft aus Norden, 
Und nach dem Süden geht der feuchte Blick. 


Der Denker Paßamt fordert hin und wieder 

Den Ausweis und bezweifelt, ob er echt, 

Der Ahnherr zuckt mir fragend durch die Glieder: 
Wo bleibſt du, Sohn? Du giengſt? Es war nicht recht. 


Zufall. 
3 
Da tritt ſie eben aus des Nachbars Hauſe, 
Sieht mich vorübergehen an der Schwelle, 
Und wirft errötend, mit zu jäher Schnelle 
Die Türe zu, das Kleid iſt noch im Sauſe. 


Die Türe wird zur Falle, wird zur Klauſe: 
Einklemmt den Rock ein neckiſcher Geſelle, 
Ein Elf, ein Puck, und feſſelt ſie zur Stelle, 
Gefangen ſteht ſie mir zum Augenſchmauſe. 


Erſchrick nur nicht! Ich ſeh' es nur verſtohlen, 
Ich tu', als merk' ich's nicht, und unterdeſſen 
Haſt du dir Hilfe ſchon herbeigeklinket! 


Doch eines freilich ſei dir nicht verhohlen: 

Sieh, flüchtig Kind, ſo geht's, wenn man vermeſſen 
Dem Sterne trotzt, der uns zuſammenwinket! 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 3 


34 


II. 
Ich ſah ſie noch mit ihrer langen Naſe 
Und ihrer Brille aus dem Fenſter blicken, 
Ich höre ſie den langen Draht noch zücken, 
Dir aufzutun, die gelbe alte Baſe. 


So biſt du frei und wandelſt deine Straße. 

Ein Aberglaube will mich da berücken, 
Umfliegt mein Haupt wie unbequeme Mücken 
Und will nicht weichen, wie ich ſchlag' und blaſe. 


Ach, ein Symbol! Vom Schickſalsgang ein Bildnis! 
Es werden dich die Vetter und die Baſen 
Aus Geiſterfallen, inkorrekten Ketten, 


Aus Zaubertales mondbeglänzter Wildnis 
Fortziehn mit Hilfe ihrer langen Naſen 
Und in die ſchnurgerechte Straße retten. 


Doris. 


Ihre ſchönen Schuhe verblendeten ihn, 
ihre Schönheit fieng ſein Herz, aber 
ſie hieb ihm den Kopf ab. 

Buch Judith 16, 11. 
B 
Seit ich's geſehen, bin ich wie betrunken: 
Der ſchlanken Glieder federleichtes Schweben, 
Dies Neigen, Beugen, liebliche ſich Geben, 
Durchblitzt bin ich von tauſend Feuerfunken. 


In Nichts iſt aller andre Reiz verſunken; 

Wenn andre nach der Töne Takt ſich heben, 
Die eingelernten Tanzeskreiſe weben, 

Es ſcheint mir nur ein eitel, mühſam Prunken. 


Darf ich mit dir im Fluge mich bewegen, 
Herz eng an Herz, von deinem Arm umſchlungen, 
Sylphide du, im Elfenland geboren, 


Wie klopft mein Puls von Freudefieberſchlägen! 
Von neuem Leben bin ich ganz durchdrungen, 
Doch ach, den Kopf, den hab' ich ganz verloren. 


II. 
Der Judith Schuhe taten's nicht alleine, 
Die Haube nicht, die Spangen nicht, die ſchönen, 
Sie tanzte dir zu Harf- und Cymbeltönen 
Im Zelte vor im Lampendämmerſcheine. 


Da riefeſt du: bei Gott! ſo ſchön tanzt keine! 
Feldhauptmann du von Aſſurs wilden Söhnen, 
Dein Kopf begann zu drehen und zu dröhnen, 
Betrunken wardſt du nicht allein von Weine. 


Du nickteſt ein, da packt ſie dich beim Schopfe 

Und holt ein Schwert, das Haupt dir abzufchlagen, 

Und haut — gilt mir's? mich faßt ein kalter Schauer — 
Sm 


35 


36 
Dann geht fie heim mit deinem armen Kopfe, 
In einem Sacke muß die Magd ihn tragen, 
Und ſchrecklich grinſt er von Bethulias Mauer. 


III. 
Wie ſchwach iſt doch das Menſchenvolk im Ganzen! 
So auch Herodes! Vor Herodias' Schlingen, 
Vor ihrer Füßchen zauberiſchem Schwingen, 
Vor all der Reize Pfeilgeſchoß und Lanzen 


Wußt' er den Kopf ſo wenig zu verſchanzen, 
Daß ihr's gelang und ihrem ſüßen Dringen, 
Ihm eine blut’ge Vollmacht zu entringen 
Und ſo des Täufers Kopf hinwegzutanzen. 


Zwei Köpfe denn! Der eine nur verblendet, 
Der andre fort, beſeitigt, abgeſchlagen! 
Haupt eines Fürſten, heilig Haupt das andre! 


Ich, der ich eines nur daran gewendet, 
Was iſt da viel zu ſchelten, zu verklagen, 
Wenn ich nun kopflos durch die Gaſſen wandre? 


IV. 
Wer ſeine Seele liebend hingegeben, 
Verdoppelt, ſagt man, wird er ſie gewinnen; 
In deiner Seele will ich denn beginnen 
Den Schatz der meinen reicher nur zu heben. 


a” 
Hell in die Augen ſtrahlt dein Außenleben, 
Wo iſt denn deine Seele nun da innen? 
Ich ſuche ſie mit allen meinen Sinnen, 
Und mich befällt ein Schwanken und ein Schweben. 


Ach, in die Glieder iſt ſie dir gefahren, 
In deinen Füßchen tanzt ſie auf und nieder, 
Ein Irrlicht, Menſchenkinder zu verhexen. 


Wer ſeine Seele mocht' in dir verwahren, 
Als Erd-, als Luftgeiſt findet er ſich wieder, 
Als Quellgeiſt, Salamander oder Fexen. 


V. 
Beſchwerlich Übel, ſchnödes Mißbehagen 
War mir von jeher Alteration; 
Kaum trifft ein Schrecken mir den Nerv, und ſchon 
Iſt er mir in den Magen auch geſchlagen. 


Treuloſe Doris! die mit kaltem Hohn 

Die Zeit verleugnet, wo mit ſüßem Wagen 
Die Liebe uns zum Himmelreich getragen, 
Iſt alle Huld aus deiner Bruſt entflohn? 


Nun denn! verlachſt du meine düſtern Klagen, 
Iſt dieſes Herz ſo hart wie Kieſelſtein, 
Entſchloſſen, meiner Seele Glück zu enden, 


38 
Läßt du dich nicht erweichen und nicht wenden, 
So habe doch, ich fleh' in meiner Pein, 
Hab' Einſicht, ſchrecklich Weib, in meinen Magen! 


VI. 
Wohl mir! Ich werde frei, ich kann vergeſſen! 
Schon fühl' ich ein Verkühlen, ein Verwehen, 
Ein Weichen, ein Zerrinnen, ein Zergehen 
Des Albdrucks, der ſo lange mich beſeſſen. 


Ich kann die Heilung daran ſchon ermeſſen, 
Daß meinem Gaumen, wie ſo lang geſchehen, 
Nicht mehr des Koches Werke widerſtehen: 
Wohl mir! Ich kann gedeihlich wieder eſſen! 


Nur fühl' ich öfters noch ein hörbar Knurren, 
Ein ſeltſam Kollern untenher vom Magen: 
Was kündet mir die tiefgeholte Mantik? 


Nichts kündet ſie; das unterird'ſche Murren, 
Nur ſchöner Nachklang iſt's von jenen Tagen, 
Nur zarter Reſt entzückender Romantik. 


VII. 
Doch nein! Nicht ſo! Ich ſchließe nicht wie Heine! 
Nicht ſei von uns das Spiel des Hohns gepflogen, 
Der zuckend reißt am Violinenbogen 
Und frech zerkratzt die Melodie, die reine. 


39 
Seit ich um die Entfernte nicht mehr weine, 
Seit ganz die ſchwere Löſung iſt vollzogen, 
Ward ſie dem Auge, dem ſie nie gelogen, 
Zum Kunſtwerk erſt, zum reinen ſchönen Scheine. 


Sie kommt wie jene reizenden Geſtalten 
Im Geiſt zu mir, die in Pompejis Hallen 
Auf dunklem Grunde farbenhell ſich heben. 


Sie tanzen; in bewegten, leichten Falten 
Sieht man das Kleid den ſchönen Leib umwallen — 
Wo bleibt der Boden? Schau! ſie fliegen, ſchweben. 


Immer zu. 


Geſtern, ah! das war ein Schweben, 
Als zum Tanz die Hand ſie gab! 
Über Stock und Steine ſtreben 

Muß ich heut am Wanderſtab. 


Geſtern glänzten weiße Brüſte, 
Die ein tiefes Atmen hob, 
Heute ſtarren in der Wüſte 
Felſenblöcke rauh und grob. 


Geſtern noch mit heißen Küſſen 
Deckte mich ihr weicher Mund, 


40 


Heut von ſcharfer Dorne Riſſen 
Trag' ich Hand und Wange wund. 


Geſtern löſte mir die Glieder 
Süßer Liebe Feuertrank, 

Heute lieg' ich frierend nieder 
Auf des Erdgrunds harte Bank. 


Auf! Friſchauf und nicht gezaget! 
Weiter in die Welt hinein! 
Immer zu und friſch gewaget, 
Heute darf nicht geſtern ſein! 


Tand. 
O, es iſt nichts! Dies alles iſt ja Tand! 
Was hält noch den an holder Täuſchung Band, 
Der weiß, daß Nichts iſt, und nach Art der Narren 
In ſeiner Seele ſchuldigem Erblinden 
Hinlief zu euch, zu ſuchen und zu ſcharren, 
Ob nicht ein Etwas da noch ſei zu finden! 


Doch einmal, ja! zum echten Edelſtein 

Drang da der Bergmann glücklich grabend ein, 
Zum Diamant der Einfalt und der Treue. 

Das war ein Etwas, war das Salz der Erden! — 
Was blieb ihm, als das Tränenſalz der Reue? 
Treulos an ſolchem Kleinod mußt' ich werden! 


41 
Reiter⸗Weckruf. 


„Iſt's nicht genug geruht? Iſt's nicht genug geruht? 
Auf! Auf! Auf, friſches Reiterblut! 

Denkt euch, der Feind ſei da! 

Auf, auf! Ja! ja!“ 


So tut es, ſo klingt es, 

So ſchmettert's, ſo ſingt es, 

So ſtößt es und fährt durch den Nebelduft 
Hinaus in die Morgenluft. 

Trompetenruf, Trompetenſtoß! 

O, gieng' es los, o, gieng' es los! 

Auf den Feind hinein 

In gedrängten Reihn! 

Marſch! Marſch! und eingehauen! 

Dürfte ich das noch ſchauen! 

Nicht ſchauen allein! 

Mitten unter den Braven ſein, 

Mittun, zu Roſſe ſitzen, 

Wenn die Tiere wiehern, die Klingen blitzen, 
Und erjagen helfen im Schlachtenbrand 
Ein Vaterland, ein Vaterland, 

Ein Deutſchland, das wir nicht haben, 

Mit dem Säbel holen und graben, 

Wenn ein heiliger Krieg uns endlich eint 
Gegen den alten frechen Feind, 


Den Räuber, der feiner Beute 

Sich rühmet noch heute! 

Und dann, ja dann, 

Ganz Mann, 

Dann im flammenden Kampfgewühl, 
In des Lebens ſchwellendem Hochgefühl 
Todeswund 

Ausſchütten die Seele auf blut'gen Grund, 
Sterben als braver Soldat 

In einer Tat, 

Ja, das wär' etwas, 

Das ſieht nicht ſo blaß! 

Sterben als braver Reiter, 

Das wär' geſcheiter. 


Waſeerfall. 
Waſſer. 
Nun, Fels, wie ſteht's? 
Fels. 
Feſt. 
Waſſer. 
Wir haben etwas miteinander zu ſprechen. 
Fels. 


Was ſoll's? 


43 


Waſſer. 
Biegen oder brechen. 
Fels. 
Das wäre! 
Waſſer. 


Hinab muß ich. Platz da! Schnell! 


Fels. 
Sachte, ſachte, du grober Geſell! 
Sieh, da beiſeit durch die mooſigen alten, 
Die engen, winkligen Felſenſpalten 
Findet ſich ſchon ein Wegchen, für dich 
Breit genug, man beſcheide ſich. 


Waſſer. 
Zickzack und eng und klein! 
Auf ſpitzige Klippen 
Stoßen mit Gellen 
Die ſchwellenden Wellen 
Ihre murmelnden Lippen! 
Platz, Platz! Es kann nicht ſein! 


Fels. 
Du Grobian! 
Komm her, ſieh mich an! 
Seit Jahrtauſenden ſteht 


44 


Mein Bau, für ewig gewoben. 

Siehſt du, wie der Wald dort oben 

Auf meinem ehrwürdigen Scheitel weht? 
Willſt du es hören, 

Das Geiſterflüſtern, 

Das durch die düſtern 

Alten Föhren 

Dunkle Sagen 

Von alten Tagen, 

Von den Tagen der Sintflut trägt? 

Steh ſtill im Lauf 

Und ſchau hinauf 

An dieſen Wänden, wie von Erz getürmt, 
Unbezwinglich, 

Undurchdringlich, 

Ob der Regen ſie peitſcht, der Orkan ſie beſtürmt! 
Rieſenhoch! 

Dann frage noch, 

Ob mich, den Recken, 

Dein kindiſches Trotzen könne ſchrecken. 


Waſſer. 
Du mußt! Du mußt! 
Kommet zu Hauf, 
Ihr Fluten, ziſcht auf, 
Hackt in die Felſenbruſt 


45 
Die gähnende Wunde! 
Stürzt her wie bellende Hunde, 
Mit dem milchweißen, ſcharfen Zahn 
Wütend zu packen 
Die trotzigen Zacken! 
Kommt an, kommt an, 
Wie Schlangen geringelt! 
Die Pfeiler umzingelt! 
Schüttelt, 
Rüttelt! 
Horch, ſchon vernehm' ich ein dumpfes Jammern 
In den alten triefenden Felſenkammern, 
Ein Zucken und Stöhnen, 
Ein Reißen und Dröhnen — 


Fels. 
Weh! Weh! 
Tief im Herzen erſchüttert! 
Die Tanne zittert 
Auf meinem Haupt. Ein Stich 
Durchzuckt mich! 
Ich verzweifle. Ach, ach! 


Waſſer. 
— — Krach! 
Dumpfdonnernd, Stoß auf Stoß, 


46 
Stürzt der Koloß, 
Zerſchmettert, zerſchlagen, 
Mir in den ſchäumenden Schoß! 
Meine Wogen jagen 
Über die Fichten, zerrauft, zerknickt, 
Die ſein prahlendes Haupt geſchmückt! 
Was noch ſoeben gepocht, gedräut, 
Jetzt wie im Wahnſinn umhergeſtreut! 
Jetzt iſt Freiheit! 
Jetzt brauſe nur auf im Übermut, 
Brüſte dich prachtvoll, du ſtolze Flut, 
Über die Trümmer, über die Bäume 
Stürzet, ihr brauſenden, toſenden Schäume, 
Geuß dich, du reiner, du ſilberner Strahl, 
Hinunter, hinunter ins ſonnige Tal! 


Fels. 


Und im Tode noch räch' ich mich, 
Quäle dich! ö 
An dieſen mooſigen Blöcken, 

An dieſen ſcharfen Kanten 
Zerſtäubet mit Schrecken, 

Werdet zu Schanden, 

Ihr ſtolzen Wellen! 

Euch frechen Geſellen 


Soll mein zerſchmettert, zerſchlagen Gebein 
Mächtiger Damm noch und Hindernis ſein! 


Waſſer. 


O, du hinderſt mich nicht! 

Wenn die Welle ſich bricht, 

Wenn du ſie hemmſt im pfeilſchnellen Lauf, 
Brauſt ſie gewaltiger, herrlicher auf, 
Springet mit zürnender, donnernder Macht 
Blendend in ſchäumender, perlender Pracht 
Über Klippen, über Geſtein, 

Wühlt in die nächtliche Tiefe ſich ein, 

Reißt ſich ins ſchaurige, klüftige Grab 
Siedend in raſendem Strudel hinab, 

Dann in neuer Schöne 

Kommen hervor, 

Steigen empor 

Meine wilden Söhne, 

Die ſchneeweißen Taucher; und mit Gewalt 
Angeprallt 


An dem Felſen, ſpring' ich in ſchuppigem Reif 


Hoch auf, wie ein Fächer, ein Pfauenſchweif 
Blättr' ich auf die blitzenden Wellen. 

Und ſieh, hier iſt Raum, 

Hier ſtört kein Fels, kein Baum, 

Hier kann ich hinaus mich ſchnellen, 


47 


Kann frei durch die Lüfte 

Hinab in die Klüfte 

Wallende, fallende Waſſer gießen, 

Kann in einer reinen Linie fließen, 

Wie von der Jungfrau Scheitel hernieder 
Über das Antlitz, die ſchlanken Glieder, 
Schwebend über die ſüße Geſtalt, 
Schimmernd ein weißer Schleier wallt. 
Doch wo vom Fall 

Im vollen Schwall 

Aufſtürzen die Waſſer, da gibt es ein Brauſen, 
Ein hohles Donnern, ein ziſchend Sauſen! 
Dampfen Wolken von feuchtem Staub 
Weithin auf Hügel und Gras und Laub, 
Und wie ſie wirbeln und wie ſie wogen, 
Schwingt ſich, durchs flimmernde Grau gezogen, 
Prächtig ein glühender Regenbogen. 

Und es erſcheinen 

Die Menſchen, die kleinen 

Menſchen an meinen Flanken, 

Auf Brücken, auf Planken, 

Stehen und reißen die Augen auf 

Zu meinem Sturmeslauf, 

Schauen das liebliche Farbenwunder, 
Schauen das blitzende Silberband, 

Blinzen ins grollende Gären hinunter, 


Lauſchen dem Donner, und feſtgebannt 
Mit zuckender Wimper am ſchaurigen Rand 
Erkennen ſie alle mit Staunen an, 

Wie ich herrlich wandle die Siegesbahn. 


Tal. 
Hör auf zu toben, ſo ſtolz, ſo wild, 
Siehe, wie lieblich mild 
Die ſammtenen Matten 
Im Abendſchatten 
Zur Ruhe laden. 
Es möchten ihr zartes, zitterndes Bild 
Blumen in deinem Spiegel baden. 
Laß das Reh, das mutige Füllen 
An deinem Ufer trinken. 
Hörſt du der Herden fernes Brüllen? 
Hörſt du verhallen der Hirten Geſang? 
Sieheſt du winken 
Am Berg entlang 
Das Kirchlein, die frommen Hütten? 
Höre mein Bitten! 


Waſſer. 
Da wär' ich! ah! das war ein Leben! 


Doch nun will ich dienen der Menſchenhand, 


In der Täler ſanftes, grünes Gewand 
Will ich den ſilbernen Gürtel weben, 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 4 


49 


50 
Will die frommen, hellen, 
Plaudernden Wellen 
Ruhig ſchlängelnd durch Gärten gießen, 
Will ſchwatzend an Blumen vorüberfließen; 
Der Hirſch, das Reh 
Sollen aus meinen Fluten trinken, 
Und in holdem Weh, 
Wenn die Sterne blinken, 
Mag eine Jungfrau, die einſam wacht 
In lauer Sommernacht, 
Meinem Rauſchen 
Lauſchen. 


Hinaus 


Perugia. 
I. 
Dies linde Säuſeln in der Luft, 
Was will es mir wohl ſagen? 
Auf Berg und Tal der blaue Duft, 
Wohin will er mich tragen? 


Die Villen im Olivenwald, 

Die Höhen ſanft geſchwungen, 
Die Mauer braun und Völker⸗alt, 
Von Efeu rings umſchlungen, 


51 
Des Volkes fremde Art und Tracht, 
Der ſchwarzen Augen Funkeln, 
Der Sprache Klang, des Schloſſes Pracht, 
Wo rings Inpreffen dunkeln! 


Am Hügel dort ſchwingt ſich empor 
Ein altergrauer Bogen; 

Als Sieger iſt durch dieſes Tor 
Octavius gezogen. 


Dort jene hohe Zinnenwand, 
Für ew'ge Zeit errichtet, 
Von rühriger Etrusker Hand 
Aus Felſen aufgeſchichtet, 


Der düſtern Lukomonen Sitz, 
Gepflanzt auf Bergeshöhen, 
Er konnte nicht dem Siegerblitz 
Des Römers widerſtehen. 


Nach jenen Bergen ſchau dich um: 
Fern hinter Eichenforſten 

Sah man das alte Cluſium 

Stolz wie ein Adler horſten. 


Dort wird in unterird'ſcher Nacht 
Von längſt verklungnem Leben, 
4* 


52 


Das oben einft im Licht gelacht, 
Das Grab dir Kunde geben. 


Gebannt in feiner Kammer Hut 
Von dunkeln Geiſterboten, 

Auf ſeiner Ciſta ſchweigend ruht 
Das Marmorbild des Toten. 


Da iſt kein Kerker aufgetan, 

Er trifft die teure Waffe, 

Den Krug, die Schale wieder an, 
Den Ring und die Agraffe. 


Von muntern Farben glänzt die Wand 
Noch heut beim Licht der Kerzen, 

Die Tänzerin klatſcht in die Hand 
Und flinke Gaukler ſcherzen. 


Nach Hirſch und Reh im hellen Saus 
Siehſt du den Weidmann jagen, 

Noch ſteht im ſchmucken Totenhaus 
Der ſchlankgebaute Wagen. 


Doch oben ſiehſt du Burg und Feld 
Von Wehr und Waffen ſtrotzen, 
Nichts darf ſo groß ſein in der Welt, 
Etrurien zu trotzen. 


Hinunter an der Tiber Strom 
Zieht aus den wald'gen Hügeln 
Porſenna, um das ſtolze Rom 
Mit Heeresmacht zu zügeln. 


Da recket Scävola die Hand 
Getroſt in Feuerflammen, 

Steht Cocles feſt wie eine Wand, 
Die Brücke kracht zuſammen. 


Der Tusker ſteht von Scham gebeugt 
Vor ſolcher Männer Wiege, 

Und Romas Adler ſteigt und ſteigt 
Empor von Sieg zu Siege. 


Steh ſinnend ſtill! Was du erblickſt 
Hier unter deinen Tritten, 

Wohin du nur die Blicke ſchickſt, 
Iſt Land, wo Helden ſtritten. 


Dies linde Säuſeln in der Luft, 
Was will es mir wohl ſagen? 
Auf Berg und Tal der blaue Duft, 
Wohin will er mich tragen? 


Im tiefſten Kerne mahnt es mich 
Nach ſo viel kranken Stunden, 


53 


54 


Die Seele drängt und reget ſich, 
Sie will, ſie will geſunden. 


Sonſt, wenn ich ſo im Nebelland 
Zu Haus im Düſtern weilte, 
Wenn ſich die graue Wolkenwand 
Monatelang nicht teilte, 


Da ſank ich trüb in mich hinein 
Und grub im dunkeln Schachte, 
Bis ich als Grund von allem Sein 
Das nicht'ge Nichts erbrachte. 


Jetzt klingt es anders, da ſo rein 
Die klaren Lüfte hauchen, 

Jetzt, wo aus jedem Mauerſtein 
So mächt'ge Bilder tauchen. 


Schau hin! Schau hin! ſpricht Herz und Mund, 
Im tiefen, blauen Schoße, 

In jener fernen Berge Grund 

Liegt Rom, die ewig große! 


IL 
Die zweimal große, die den Tod 
Unſterblich überlebet 


Und wie verklärt im Abendrot 
Ob ihrem Grabe ſchwebet! 


Dich, alte Roma, ſeh' ich ſchon 

An deiner Größe kranken 

Und ahnungsſchwer vom Völkerthron 
Hinab ins Schickſal wanken. 


Es wälzet dunkel ſich heran 
Fernher aus grauem Norden, 
Es fluten wie ein Ozean 
Wildfremder Völker Horden. 


Sie ſtürzen deine Tempel um, 
Palaſt und Halle flammen, 

Die Götterbilder ſinken ſtumm 
In Trümmerſchutt zuſammen. 


Sie hieß das Weltgericht im Zorn 
Dumpfbrauſend ſich ergießen, 

Es ſoll in den verdorbnen Born 
Ein friſcher Blutquell fließen. 


Wie wild die blauen Augen noch 
Von Jugendfeuer ſprühen, 

Ein Geiſt der Treu' und Stille doch 
Wird keimen und erblühen. 


Von Oſten ſtrahlt ein neuer Stern 
Herüber auf die Trümmer, 


55 


56 


In des gefunden Volkes Kern 
Senkt er den lichten Schimmer. 


Und ſieh! Es iſt zum zweitenmal 
Italia geboren 

Und hat für einen Heldenſtahl 
Den Hirtenſtab erkoren. 


Verſetze dich mit Herz und Sinn 
In dies vertiefte Leben, 

Vergiß die Flecken, die darin 
Von niedrem Stoffe kleben! 


Tritt hier ins heil'ge Dunkel ein, 
In ſteilgewölbte Hallen, 

Sieh den geheimnisvollen Schein 
Durch bunte Gläſer fallen! 


Betrachte dir Altar und Wand 
Und laß dich kindlich rühren, 
Laß in des Glaubens Märchenland 
Dich gerne träumend führen! 


Bei einer Krippe ſieheſt du 

Ein himmliſch Mädchen ſitzen, 
Es ſieht ein Stern von oben zu 
Durch morſches Daches Ritzen. 


Und Hirten um die Jungfrau mild 
In trunkner Andacht knieen, 

Und ferne nach des Sternes Bild 
Siehſt Könige du ziehen. 


Sie hält ein Kind an ihrer Bruſt 

Mit rührender Gebärde, 

Voll Unſchuld, Scham und Mutterluſt 
Blickt ſinnend ſie zur Erde. 


Es iſt ihr Kind und iſt es nicht, 
Sie ſagt es ſich mit Bangen, 
Indes die Mutterliebe ſpricht: 
Ich darf es traut umfangen. 


Das Wunder über Wunder groß, 
Sie kann es ja nicht faſſen, 

Daß nieder in den ird'ſchen Schoß 
Die Gottheit ſich gelaſſen. 


Doch ach, ſchau hin! Dort hängt ihr Sohn 
Ans Marterkreuz geſchlagen! 

Als mein' und deiner Sünden Lohn 

Hat er die Pein getragen. 


Die Mutter blickt zum Kreuz empor, 
Ein dreifach Schwert im Herzen, 


4 


58 


Es ſteht um fie der Freunde Chor 
In unſagbaren Schmerzen. 


Doch aus der Grabeshöhle Nacht 
Hat er ſich aufgeſchwungen, 
Wo iſt, o Hölle, deine Macht? 
Dein Stachel iſt bezwungen! 


Nun ſieh am teuren Muttergrab 
Die Jünger ſich vereinen, 

Sie, die der Welt den Heiland gab, 
Wie Waiſen zu beweinen! 


Man hebt den Stein von ihrer Gruft: 
Sieh die Erſtaunten ſtehen! 

Da hauchen Blumen ſüßen Duft, 

Sie ſelbſt iſt nicht zu ſehen. 


Blick auf! Dort oben ſchwebt ſie ſchon 
In ſeligem Entzücken, 

Schon darf ſie den erhöhten Sohn 

In goldnem Licht erblicken. 


An ſeiner Seite wird ſie ſein, 
Er reicht vom ew'gen Throne, 
Umringt von holden Engelreih'n, 
Ihr ſanft die Himmelskrone. 


Welch Herz voll keuſcher Innigkeit 
Hat dieſe Welt entfaltet 

Und ſchüchtern in der Anmut Kleid 
Den heil'gen Kern geſtaltet? 


Komm, Perugino, reich' die Hand, 
Herzguter alter Meiſter! 

Es grüßen hier im welſchen Land 
Vertraut ſich unſre Geiſter. 


Doch ſeh' ich an der Schulter dir 
Den größern Schäler ſtehen, 
Ich fühle ſchon ganz nahe mir 
Des hohen Geiſtes Wehen. 


Es dränget mich, es rufet mich, 

Das Auge will mir tauen, 

Ich werd', o Sohn der Schönheit, dich, 
Darf, Raffael, dich ſchauen. 


Hinab nach Rom! Hinab nach Rom, 
Hin nach den ſieben Hügeln, 

Zur Wunderſtadt am Tiberſtrom 
Hinab auf Schwalbenflügeln! 


60 
Rom. 


Umringt, umflutet, beſtürzt, umwettert 

Vom Überſchwange des neuen Lichts, 

Vom Übergroßen zu Grund geſchmettert, 

Ein Schatten, ein Zwerg, ein Wurm, ein Nichts! 


Und kann ich's mit allem beſten Willen 
Nicht packen und bin ich gar ſo klein, 
So ſink' ich in mich und meine Grillen 
Nur eigenſinniger noch hinein. 


Doch die Campagna ſeh' ich gerne, 
Die meergleich eben ergoßne Bahn, 
Und drüber hinaus die blaue Ferne, 
Wo die duftigen Höhen ſtreben hinan. 


Hinaus ins Weite, hinaus in die Berge, 
Hinaus in die Lüfte, friſch und frei, 

Da ſinkt wohl dem eingeſchnürten Zwerge 
Von der Seele des Albdrucks laſtend Blei! 


Dort werf' ich mit Macht — ich will mir trauen — 
Die grauen Geſpenſter aus dem Haus, 

Und dann, dann hoffe ich mir zu bauen 

Mein Rom von Alba Longa aus. 


61 
Albano. 


Es war nicht heiter, als ich endlich ſtand 

Auf der Albanerberge hohem Rücken, 

Es riß der Sturm die Pinien faſt zu Stücken, 
Schwer kreiſten Wolken um die Felſenwand. 


Tiefbrütend nagt an ſeines Keſſels Damm 
Albanos See, der alte Feuertiegel, 
Unheimlich malt in ſeinem düſtern Spiegel 
Der Monte Cavo den betagten Kamm. 


Am Ufer ob der ſchaumerregten Flut 

Schießen verſcheucht, mit zweifelndem Gefieder 
Zwei Möwen kläglich wimmernd auf und nieder, 
Als klagten ſie um jüngſt geraubte Brut. 


Fern flimmt das Meer durch Wetterwolkenſaum, 
Dumpf drohend brennt in ſchwefelgelber Helle, 
Gemiſcht mit Stahlblau, die gereizte Welle, 
Und zuckend blitzt der wilden Brandung Schaum. 


Rings will kein freundlich Menſchenkind ſich nah'n, 
Nur hie und da mit einer Stirn voll Tücke, 
Vermummt im Mantel, Meſſer in dem Blicke, 
Tritt ein Albaner ohne Gruß heran. 


Sonft wenn ein Fremdling in die Berge geht 
Dem Lenz entgegen, lacht die Erd’ in Farben, 
Der Himmel grüßt mit vollen Strahlengarben 
Den Balſamduft, der durch die Lande weht. 


In Myrtenbüſchen ſchlägt die Nachtigall, 
Des Berges braune Töchter zu erregen, 
Daß ſie im Tanze glühend ſich bewegen, 
Tönt Kaſtagnetten⸗ und Tamburo-Schall. 


Das ſonn'ge Bild, es bleibt ihm eingedrückt, 
Am deutſchen Herd in winterlicher Stunde 
Erzählet er, indes mit offnem Munde 

Staunend das Kind, die Gattin nach ihm blickt. 


Spät wird vielleicht am grünen Wanderſtab 
Ein Kindeskind in dieſe Berge wallen, 

Ihm wird im Ohr noch wie ein Märchen hallen 
Des Ahnen Wort — er ruhet längſt im Grab. 


Mir aber rief mein alter Unſtern: Nein! 
Sang mir das Lied mit giftgeſchärften Zungen, 
Das er mir an der Wiege ſchon geſungen, 
Das alte Lied: Du ſollſt nicht glücklich ſein! 


Und, bei der Lüfte Geiſterton erwacht, 
Bäumt ein Geſpenſt, das mein Verderben ſuchet, 


63 
Ein dunkler Zorngeiſt, der dem Leben fluchet, 
Den Drachenhals in meiner Seele Nacht. 


In Kloſterhöhlen ward es ausgeheckt, 

Genährt im Gitter eines engen Lebens, 
Gereizt vom Stachel fehlgeſchlagnen Strebens, 
Vom Schickſalshohn, vom Zweifel aufgeſchreckt. 


Heraus aus mir! Und wenn du widerſtrebſt, 
Ich ſchleudre dich, ſcheuſeliges Gerippe, 

An jenes Abhangs wildgezackte Klippe, 

Daß du zerfetzt wie dort die Wolke klebſt! 


Und trotzeſt du, dort auf die See hinaus, 

Wohin mich bald die Wanderſchritte bringen, 
Schlepp' ich dich noch, dort will ich mit dir ringen 
In Sturmes Pfeifen, in der Wogen Graus! 


Dort pack' ich dich, mir ſelbſt ſei es gelobt! 
Dort ſtoß' ich zu des Abgrunds Mißgeſtalten, 
Grünäugiger Larven Brut, den ſchlimmen, alten 
Nächtlichen Dämon, der im Buſen tobt! 


Ich aber ſtrebe frei und fröhlich fort! 

Durch blaue Inſeln ſchwebend hingetragen, 
Schon ſeh' ich fern Athenes Tempel ragen 
Und grüße jauchzend von des Schiffes Bord. 


64 


Zwiſchenrede. 


„Aber ſage mir, mein Beſter, 
Wie es zu erklären iſt, 

Daß du ſtets in dieſen Verſen 
Mit dir ſelbſt beſchäftigt biſt? 


Solche lange Monologen 

Liebt der wahre Dichter nie, 

Von der Welt ein leuchtend Abbild 
Gibt die echte Poeſie. 


Selbſt an etwas beſſern Tagen 

Hört man ſtets von Herzeleid! 

Sag, wie kommt's, daß ſelbſt der Süden 
Dich nicht von dir ſelbſt befreit?“ — 


Ach, du haſt ja recht, mein Teurer, 
Aber vorderhand ſei froh, 

Daß ich wieder Verſe mache, 
Taugen ſie auch nur ſo ſo. 


Wenn ein Kranker will geneſen, 
Scheint er kränker als zuvor, 
Aufgelöſt durch alle Poren 
Sucht das Übel ſich ein Tor. 


65 
So in meinen armen Verſen 
Seh' ich halb zufrieden ſchon 
Eine treffliche, geſunde 
Dichtertranſpiration. 


Wart ein bißchen, wart ein Weilchen, 
Laß mich, mach mich nur nicht ſcheu! 
Es wird ſchon noch anders kommen, 
Iſt die Kriſis erſt vorbei. 


Tivoli. 


Nein! Der Himmel, ſieh und traue! 
Nicht ſo bös hat er's gemeint, 

Da ſo freundlich heut ins Blaue 
Phöbos' Strahlenauge ſcheint. 


In der Bergſchlucht tiefe Gründe 
Schüttet in des Sturzes Wut, 
In der Grotten ſchwarze Schlünde 
Anio die jähe Flut. 


Iris ſchillert ſanft gewoben 
In der Fälle Silberſchaum, 
Und voll Grazie lacht oben 


Veſtas Haus vom Felſenſaum. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 


1 


66 


Ferne dehnt ſich hingeſtrecket 
Endlos der Campagna Feld, 
Ihre ernſten Flächen decket 
Trümmerſchutt vergangner Welt. 


Die Zypreſſe, die Olive, 
Pinienwald und Berg und Au 
Taucht ſich in das himmliſch tiefe, 
Fleckenloſe, duft'ge Blau. 


Um die Waſſer, um die Lande, 
Näh' und Ferne weit und breit 
Legt der Himmel weitgeſpannte 
Arme der Unendlichkeit. 


Und ſo hält er in den Armen 
Auch das edle Menſchenbild, 
Hüllt es in den weichen, warmen 
Liebesmantel ſtill und mild. 


Mag es oft im Innern toben 
Wie des Bergſtroms wilder Fall, 
Bleib' ich ja doch aufgehoben 

In dem großen Weltenall. 


Keinen hat er noch betrogen, 
Jener eine, große Geiſt, 


67 
Der des Waſſerſturzes Wogen 
In die jähe Tiefe reißt, 


Der den Ather, der die Strahlen 
Über Tal und Hügel gießt 

Und in tauſend vollen Schalen 
Alle tränkend überfließt, 


Der im Buſen oft die grellen, 
Grauenhaften Qualen weckt, 

Dann die hochempörten Wellen 
Mit des Friedens Flügel deckt. 


Und in einem ſtarken Herzen 

Trag' ich Freude ſo wie Leid, 
Trag' ich mit den tiefen Schmerzen 
Auch die tiefe Seligkeit. 


Die ihr auf beſchneiten Wegen 
Jetzt im Norden wandelt fern, 
Freunde, dieſen Himmelsſegen, 
O, wie teilt' ich euch ihn gern! 


Seid gegrüßt mit Herz und Munde, 
Kommet alle, kommt zu Hauf, 
Denn es tut mein Herz zur Stunde 
Seiner Liebe Kammern auf! 


68 


Kommt und höret auf zu klagen, 
Daß es hart und mürriſch iſt, 
Ja, ich darf es redlich ſagen, 
Reicher iſt es, als ihr wißt. 


Nachts an der Engelsbrücke. 


Der Tiber rauſcht, der Tiber rauſcht 
Vorbei am dunkeln Saume, 
Das Ufer mit den Waſſern tauſcht 
Geſpräche halb im Traume. 


Hab' viel geſehn, hab' viel geſehn, 
So raunt die breite Welle, 

In Stücke wird noch Manches gehn, 
Was prangt an dieſer Stelle. 


Sieh auf, ſieh an, ſieh ſtaunend an, 
So mahnt es von der Brücke, 

Zu Peters Dom, zum Vatikan 
Schau hin mit frommem Blicke! 


Da ſpritzt empor, da ſchäumt empor 
Die Flut am Pfeilerbogen: 

„Hab' keinerlei Reſpekt davor, 
Man hat zu viel betrogen. 


Ob Prieſter alt, ob Prieſter neu, 
Ob Augurn oder Pfaffen, 


Die junge wie die alte Spreu 
Denk' ich noch wegzuraffen. 


Doch ſag' ich frei, doch ſag' ich frei: 
Einſt hat mir's baß gefallen, 
Geringer war die Heuchelei 

In Heidengötterhallen. 


Bei Jovis Bart, bei Jovis Bart, 
Es waren andre Zeiten, 

Als ich die alte Männerart 

Noch ſah zum Forum ſchreiten.“ 


Sie fließt dahin, ſie fließt dahin 
Im bleichen Mondesſchimmer, 
Leis grüßt ſie im Vorüberziehn 
Der Coclesbrücke Trümmer. 


Sie kann ſich nicht, ſie kann ſich nicht 
Beim Gruße lang verweilen, 

Ins Meer, ſo weit, ſo frei, ſo licht, 
Muß ſie hinuntereilen. 


Ins All, ins All, ins offne All, 
Hinaus ins Grenzenloſe! 
Verſinkt doch auch der Erdenball 
Zuletzt im Weltenſchoße. 


69 


Auf dem Kapitol. 


Am Tarpejiſchen Fels da unten, 

Wo mit zerſchmetterten Knochen einſt 
Die Verräter ihr ſchwarzes Leben 
Verröcheln mußten, 

Da unten liege, Geſpenſt! 

Gut genug für dich. — 


An Heldengeiſterhand 

Bin ich heraufgeſtiegen, 
Götteratem-Wehen 

Hab' ich geſpürt auf der hehren Stätte, 
Wo er gewohnt hat, 

Jupiter Capitolinus. 


Erzklang hat mir ins Herz geklirrt, 
Als ich vorüberſchritt an den alten, 
Braunen Säulen des Mavorstempels. 


Hinunter aufs Forum ſchau' ich, 

Einen Vater ſeh' ich, 

Wie er ein Meſſer reißt von der Schlachtbank 
Und die Tochter, daß ſie nicht Sklavin werde, 
Niederſtößt, ich ſehe ſie blutend 

Im Arm ihm hangen. 

Auf ſchwarzen, flüchtigen Roſſen jagen 


73 
Keuchend über die Heide dort 
Die Decemvirn. 


War's nicht ſoeben — oder träumte mir? 
Daß ich Zwillinge ſah, wimmernde Knäblein 
Ausgeſetzte, ans Land geſchwemmte, 

Saugen die Milch der Wölfin, 

Und daß ich dachte, gegönnt ſei's redlich? 


Neulich aber — das weiß ich noch —, 
Als von den Bergen ich kam herüber, 
Bin ich durch grünumwachſnen, 
Laubumhangenen Felseingang 

In die Grotte getreten, die dunkle, ſtille, 
Quelldurchrieſelte Grotte, 

Wo mit der Nymphe Egeria 

Heilig vertrautes Zwiegeſpräch 

Der wackre König gepflegt hat, 

Numa Pompilius, 

Wo ihm flüſternd die Kundige riet, 

Was dem werdenden Volk der Römer 
Frommen möchte, daß es erwachſe 

In Scheue der Götter zu Kraft und Tugend. 


Kühlungen wehten über mich her, 
Und mir war es, als fielen Tropfen, 
Netzende Tropfen reinen, kalten 


72 


Waſſers von oben herab auf die heiße 
Stirn, aufs brennende Auge mir, 

Und mir war's, als ſenkte ſich etwas, 

Als ſchlüge ſich etwas nieder in mir, 

Als ſtrömte das Blut, das all' nach oben 
Krank nach Herz und Kopf ſich geſtaut, 
In wohlverteiltem richtigem Maße 

Durch das Ganze des Gliederlebens. 


Und als Greis noch werd' ich gedenken 

Des grünumwachſenen Felseingangs, 

Der quelldurchrieſelten, tropfenden, dunkeln, kühlen 
Grotte, wo ich geſund ward. 


Enthebung. 


Ihr bietet, hohe Geifter,. 
Seltſamen Gruß fürwahr — 
Ich kenn' euch, große Meiſter, 
Euch überweltlich Paar, 


Dich mit den Lockenwellen 
Anmutig vorgebeugt, 

Dem Auge, das von hellen, 
Entzückten Träumen zeugt, 


73 
Dich mit dem ungebahnten, 
Dem harten Angeſicht, 
Das ſtolz von ungeahnten 
Kraftwelten ſprüht und ſpricht, 


Dich ſel'gen Jünglingknaben, 
Der Schönheit Mutterſohn, 
Dich Alten, der erhaben 
Herſtürmt vom Richterthron. 


Ihr neigt das Haupt, ihr nicket: 
Du ſollſt willkommen ſein! 
Ihr ſchüttelt es und ſchicket 
Mich weg mit einem Nein? 


Was ſoll es? O, ich merke: 
Ihr ſagt mir: halte Ruh'! 
Beſchau du unſre Werke, 
Sie ſprechen, ſchweige du! 


Ich dacht' euch zu beſingen 
Und hatte doch ſo bang, 
Es möchte nicht gelingen 
Bei all dem heißen Drang. 


Wohl mir! Ich hab' verſtanden! 
Wohl mir, man braucht mich nicht! 


74 


Entlaſſen aus den Banden, 
Wie iſt mir leicht und licht! 


O Dank dem Fingerzeige! 
Entbehrlich iſt mein Wort, 
Ja, ſchaue du und ſchweige, 
Schweig, ſchaue fort und fort! 


Ein Tag in Sorrent. 


Vom Ufer hieher an der Klippe Rand, 
Wo an der wellenbenagten Wand 
Aufrauſcht mit Wut 

Die gepeitſchte Flut, 

Hieher mit mir in behendem Sprunge 
Schwinge dich, ſchlanker Schifferjunge! 


Das iſt ein Toben, das iſt ein Grollen! 
Wie ſie ſich krümmen, wie ſie rollen, 
Wie ſie ſchäumen, 

Wie ſie ſich bäumen, 

Wie ſie donnern und ſchreien, 

Heulen und klagen, 

Stoßen und ſpeien, 

Hauen und ſchlagen, 

Zu erobern endlich im Sturmesgraus 
Der Erde uraltes, feſtes Haus! 


Sie verfuchen es fehüttelnd und zaufend 
Von Jahrtauſend zu Jahrtauſend, 
Und können nicht; 

Sie laufen an und wetzen ihr Horn, 
Doch es zerbricht. 

Drum ſchrecklicher Zorn 

Stachelt ſie immer 

Mit Geächz und Gewimmer, 

Mit Heulen und Fluchen, 

Mit wahnſinnigem Spotte 

Aufs neue den Sturm zu verſuchen. 


Wilder Beſtien eine Rotte 

Mit fletſchenden Zähnen, 

Mit fliegenden Mähnen, 

Mit Hufen und Klauen 

Glaub' ich zu ſchauen. 

Dort ſtürzt ein Eber im Sprung heran, 
Grunzend wetzt er den geifertriefenden Zahn. 
Dort ſchwimmt ein Polype, mit ſcharfen Zangen 
Umklammernd nimmt er ein Felsſtück gefangen 
Und will es zerbeißend erdrücken, 


Aber die Zangen brechen zu Stücken; 
Aufgelöſt in flockige, weiße, 
Ineinandergezogene Kreiſe 

Fließt das Untier zurück ins endloſe Meer. 


75 


76 
Da tappt ſchwarz und ſchwer, 
Brummend ein mürriſcher Bär 
Und umarmt mit den Tatzen in ſicherem Griff 
Ein Felſenriff 
Und will es zerquetſchen an zottiger Bruſt, und dumpf 
Brüllt er, doch ſtumpf 
Fallen die Tatzen herab, und hinaus 
Zu den andern ſinkt er ins Wogengebraus. 


Jetzt naht eine lange, 

Spitzige, tückiſche Waſſerſchlange; 

Auf dem Haupt eine ſilberne Kron' ihr ſitzt, 
Die von lauter ſchäumenden Perlen blitzt. 
Geſchlungen, geringelt 

Leckt ſie und züngelt 

Hier und da, und da und dort, 

Doch zurück und fort 

Drängt ſie mit dröhnendem, klapperndem Schall 
Der unabſehliche Wogenſchwall. 


Sieh da, in der Untiere Troß 
Ein weißes feuriges Roß! 
Seine Mähne fleugt, 

Es ſchlägt hinaus, es ſteigt, 
Es wiehert und lacht; 

Doch es zerkracht 


77 
An der Klippe, zackig und rauh, 
Der edel geſtaltvolle Gliederbau. 
Aber als Löwe mit funkelndem Blick 
Kehrt es zum Kampfe zurück; 
Laut brüllt er auf, 
Doch mitten im Lauf 
Hat er zerbrochen 
Die mächtigen Knochen. 
Dort zürnt, dort ſtößt ein mächtiger Stier, 
Und ein Hirſch, ein herrliches Tier 
Mit zwanzigend'gem Geweihe, 
Beſchließt die Reihe. 


Doch nein, da kommt geſtampft ein Gigant, 
Ein großmächtiger Elefant, 

Und mit unendlichem, ſchrecklichem Prall — 
Wie der Boden zuſammenſchüttert! 

Wie der Fels erſchrickt und zittert! 

Halte dich, Knabe, ein Fehltritt, ein Fall, 
Und ich ſehe dich niemals wieder — 

Doch zerſchellt, zerknallt ſind des Ungetüms Glieder, 
Und eine Rieſenſäule von Schaum, 

Sein zerſtäubter Körper, ſucht Raum 

Und findet ihn nicht, und hervor 

Aus dem Geklüft und empor 

Himmelan ſtürmt er, 


78 
Hoch, höher fich türmt er — 
Sieh, da iſt er herübergeſchoſſen 
Und hat uns mit ſalzigem Naß übergoſſen, 
Und fortgeſchwungen 
Seh' ich meines guten Jungen 
Rote, ſpitze 
Neapolitanermütze 
Schwimmen dort in der unwirtlichen Flut. — 
Mut, Mut! 
Weine nicht, Paolo, eine andre, 
Schönere kauf' ich dir; Mützen gibt's immer, 
Doch ſo lang ich wandre, 
Sah ich nimmer und nimmer 
Ein Schauſpiel, ſo göttlich groß! 


Aber zurück in den naſſen Schoß, 

Rückſpeiend den Salztrunk, den ſie getrunken, 
Iſt die bäumende, ſchäumende Säule geſunken. 
In ſchweren Tropfen, wie nach Wetterſchlägen 
Ein klatſchender, ſatter Gewitterregen, 

Peitſcht ſie weit hinein die grünlichen Wogen. 
Und das Roß mit des Halſes zierlichen Bogen, 
Und der grimmige Keiler, der mähnige Leu, 
Und der Stier und der Hirſch mit dem reichen Geweih, 
Der Polype mit greulicher Zange, 

Die gift’ge, gewundene Schlange, 


79 
Der tappende, brummende Bär, 
Der Elefant, bergeſchwer, 
Wie ſie nur heißen, die wütenden alle, 
Richten ſich auf von dem ſchütternden Falle, 
Und voll wütender Reue 
Ob dem Mißlingen, aufs neue 
Beginnen den Sturm ſie, und wieder 
Sinken geſchlagen ſie nieder, 
Und fort und fort ohne End' und Ziel 
Erzeugt ſich das wilde, das herrliche Spiel. 
Jetzt ſind ſie vermengt, 
Überwälzen ſich, eins ans andere gehängt, 
In Klumpen zuſammengeballt: 
Du willſt faſſen eine Geſtalt, 
Und ſie verſchwindet im Schwalle, 
Du ſuchſt das Ganze: getrennt ſind ſie alle. 


Und was von ſchrecklichen Stimmen nur 
Hat aufzubieten die ganze Natur, 

Element und Kehle der Kreatur, 

Ich höre ſie alle 

Verdoppelt im Halle: 

Ein Brummen, ein Knurren, ein Brüllen, 
Ein Ziſchen, ein Lachen, ein Schrillen, 

Ein Gähnen, ein Knirſchen, ein Pfeifen — 
Nicht kann ich's mit Worten ergreifen! 


80 


Selbſt des Schlachtengeſchoſſes dumpfe Schläge 


Hör' ich aus unterwühltem Wege, 

Wo in zerfreſſener Felſen Bucht 

Tief einbrandet der Wogen Wucht. 
Hinweg! es vergeht mir Gehör und Blick! 
Zu der Menſchen traulicher Stätte zurück! 
Mir kreiſet das Haupt! 

Ein Schwindel raubt 

Mir die Beſinnung! Du biſt mir zu groß, 
Du All, du unendlicher Kräfte Schoß! 


Komm, mein Paolo, komm ans Land, 
Dort hinaus auf den weichen Sand 
Herzhaft mit einem guten Sprunge! 

Faſſe mich an! Wohlauf, mein Junge! — 
Da ſind wir ſchon! 

Mußt blinzen, mein Sohn? 

Kannſt aus den Augen ſehen kaum, 

Weil hineingeſpritzt der ſalzige Schaum. 


Ich vergeſſe ihn nicht, wie er vor mir ſtand 
Und ich das beißende Naß, den Sand, 

Der mit dem Naſſe ſich läſtig miſchte, 

Aus den Augen, den Locken ihm wiſchte. 

Er war bildſchön; ſo rührend gut, 
Zufrieden meiner Pflege und Hut, 


81 


Sah aus der langen Wimpern Kranz 
Sein Auge mit ſeinem feuchten Glanz 
Zu mir auf und, getrocknet bald, 

Leuchtete aus der Locken Wald 

Die bräunliche Stirn, die faltenfreie. 

Daß unſer Werk nun weiter gedeihe, 
Brachte ich ihn auf ſeine Bitte 

Hinüber zur nahen Fiſcherhütte, 

Seinem Vaterhaus am Landungsſtrand, 
Wo ich heut morgen den Knaben fand 
Mit Kameraden im Moraſpiel 

Und ihn, weil er ſo gut mir gefiel, 
Erkor zum Führer und Cicerone, 
Wiewohl er jeglicher Bildung ohne. 
Seine Sonntagsjacke wollte er holen, 
Die Mutter hatte es ſo befohlen. 

Wie ſie ihn ſah, ſo ganz übergoſſen, 
Wurde umfaſſender Wechſel beſchloſſen, 
Sie zog auch Hoſen und Hemd ihm aus, 
Zerriſſen, durchlöchert, es war ein Graus. 
Ausgenommen waren die Socken, 

Sie waren nicht naß und waren nicht trocken, 
Denn es gab ſie nicht. — 

Jetzt wie ein Geſicht, 

Ein erſtandenes Wunder aus Griechenland, 


Wie ein Erosbild von Praxiteles' Hand, 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 6 


Stand lächelnd der nackte Knabe da. 
Nicht ſchöner, nicht anmutleuchtender ſah 
Einſt Vater Zeus von Olympos' Höhen 
Am Ida den Hirtenknaben ſtehen. 


Indeſſen die Mutter geſchäftig wieder 
Einhüllte den Bau der geſchlanken Glieder, 
Schrieb ich mir in mein Tagebuch 

Die erſten Verſe von dieſem Verſuch, 

Dem unzulänglichen, arm bemühten, 

Zu ſchildern des Meeres Toben und Wüten; 
Schon hatte begonnen im Kopf die Muſik. 
Und ſie ſahen mit ſtarrem, ſtaunendem Blick, 
Der Vater, die Mutter, der Sohn, die drei, 
Daß ich der Schreibkunſt mächtig ſei. 


Der Knabe ſtand fertig und bereit, 

Die Mütze nur fehlte zum feſtlichen Kleid. 
Barfuß durfte man wohl ihn ſehen, 

Doch ohne Mütze durft' er nicht gehen. 
Zu erſetzen vorerſt den traurigen Schaden, 
Gieng's in der Stadt zu einem Laden, 

Wo von den Mützen aus roter Wolle 
Eine Auswahl hieng, eine reiche, volle; 
Ihr kennet ſie: hoch, vorn überzuſchlagen, 
Die Phrygier haben ſie ſo getragen. 


83 
Und ich kaufte ihm eine folide, feine, 
Und wer war glücklicher als der Kleine? 
Und wie aug⸗erfreuenden Anblick bot 
Auf den dunkeln Locken das helle Rot! 


Wie wir nun durch die Straßen wandern, 
Drängten ſich, einer um den andern, 

Ciceroni heran, wie die Kletten zäh, 

Und wollten nicht laſſen und wollten nicht weichen, 
Bis ich am Ende gewitterjäh, 

Mit geſchwungenem Stock, mit wuchtigen Streichen 
In den zerſtäubenden Haufen fuhr, 

Laut ausrufend: Der eine nur, 

Der kleine Paolo ganz allein 

Soll heut in Sorrento mein Führer ſein! 


Nach dieſem luftreinigend ſtarken Blitze 
Trug Paolo ſtolzer die rote Mütze 

Und war mein Führer mit großem Ernſt 
Und zeigte mir eifrig dienſtbereit 

Von aller Gelehrſamkeit fern und fernſt, 
Was er wußte von Sehenswürdigkeit. 


Zum Pranzo ließ ich uns beiden decken, 
Die Makkaroni ließ er ſich ſchmecken, 
Er aß mit entſchiedener Magenkraft, 
6* 


84 
Denn er nährte für ſie als treuer Sohn 
Seiner geſamten Nation 
Eine tiefe, romantiſche Leidenſchaft. 
Doch wie gelüſtig er ſpeiſte, wie munter 
Die Nudeln er mit der Gabel hob 
Und in den Mund ſich von oben ſchob, 
Nichts Unanſtändiges lief mit unter, 
Seine Sitte war rein und ohne Tadel, 
Als wär' er gebürtig von altem Adel. 


Und abends führt' ich ihn wieder nach Haus. 
Das Meer war ruhig, der Sturm war aus. 
Ein tiefes Schweigen war in den Lüften, 
Durchwürzt von feinen Orangendüften. 
Hinab war die Sonne, doch goldnes Licht — 
Des Malers Pinſel erreicht es nicht — 
War noch über die Welt ergoſſen, 

Kam auf den ſanften Wellen gefloſſen, 
Sie ſchlugen nur leiſe ans Ufer an. 

Fern ſang ein Fiſcher in ſeinem Kahn. 

Wir ſtanden und ſahen ſtill hinaus 

Bei den Klippen, wo wir im Sturmesgraus 
Umgähnt geweſen vom naſſen Grabe. 
Quanto & calmol« fagte der Knabe. 


85 


Palermo 
am Hafen, nach Anblick des Sargs Friedrichs II. im Dom. 
Rauh ſind die Berge der Alb, ſargförmig geſtreckt und 
gebrochen, 
Harte, gediegene Kraft, ſelten ein Adel der Form. 
Aber der Staufen, in ſchöngeſchwungener Linie ſteigt er 
Auf zum Gipfel und ſinkt in die Gelände herab. — 
Wenn du zum Hafen ſchrittſt, in die lachende Bucht von 
Palermo, 
Mächtiger Kaiſer, du ſahſt wahrlich ein ſchöneres Bild! 
Lichtgetränkt erglänzte die Welt, ein himmliſches Blau lag 
Über Tiefen und Höhn, auf der beruhigten Flut, 
Berg Pellegrino ſtieg und ſenkte zum Meere ſich nieder, 
Gleich als wäre ſein Bau nach Melodieen gefügt. 
Dennoch ſchwebet mir vor, es ſeien auch Stunden gekommen, 
Wo verbleichte Geſtalt leis in die Seele dir ſchlich — 
War's am Abend etwa, wenn in der Dämmerung Schleier 
Sanft und ſtille verſchwamm alle die ſonnige Pracht —: 
Burg der Väter und Berg, wohl unter grauerem Himmel, 
Doch mit rötlichem Licht krönt ſie der neigende Tag; 
Rauheres Volk umher, doch braves, — verlaßnes, auf 
ſeinen 
Kaiſer harrend und trüb fragend: Wo weilt er ſo lang? 


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Sehen, Leben, Leiden. 


An eine Quelle. 


Arme Nixe, die tief im Tannengeſäuſel des Schwarzwalds 

Leidendem Menſchengeſchlecht herrliche Labung ergießt, 

Haſt du es ſo gemeint, daß dich die Herren vom Amte 

Für zinstragenden Pacht legen in Riegel und Schloß? 

Zweimal des Tags zwei Stunden iſt dir zu fließen geſtattet, 

Uppigem Volke der Stadt rinnet dein ſilberner Quell. 

Kann er nicht ſchöpfen zur Zeit, der Lechzende, der ſich ein 
Büſchel 

Holz gieng ſuchen im Wald, nun ſo entbehre er denn! 

Fliehen wollt' ich die Stadt, im Grünen, im Dunkel des 
Waldes 

Wollt' ich vergeſſen, denn ach! jetzt iſt Vergeſſen ſo ſüß! 

Aber was ſpreizt ſich umher, was gackert, was ſchnarret, 
was plappert? 

Ludwigsburger und Stuttgarter Familienbrei, 

Starres Beamtentum, gichtbrüchige Penſionäre 

Und mit dem vollen Sack klapperndes Geldmachervolk. 

„Fehlmich, Herr Oberjuſtiz-“ und „Fehlmich, Herr Lega— 
tionsrat!“ 


90 
„Fehlmich, Herr Hofrat, wie geht's, wie hat das Schläf- 
chen geſchmeckt?“ 
„Auch ſchon am Werk, Herr Kommerzienrat? Wie ſteht's? 
Am wievielten 
Gläschen ſind Sie denn ſchon?“ „„Halb iſt das dritte 
verdaut.“ 
„Ah, wen ſeh' ich? Herrje! Mein Vetter, der Herr 
Kameralver⸗ 
walter aus Bopfingen iſt's“, jubelte ein Bempflinger dort, 
Und der Bempflinger ſchüttelt des Bopfingers biedere Rechte, 
Und der Bopfinger auch ſchüttelt des Bempflingers Hand. 
Und der Bempflinger drauf: „Du biſt doch das alte fidele 
Haus noch?“ Und Arm in Arm wallen die Vettern dahin. 
In dem gewichtigen Kreis, mit höchlicher Spannung er⸗ 
wartet, 
Fehlt — o erhabnes Geſtirn! — nur Frau Miniſterin noch. 
Früh am Morgen beginnt das obligate Getrampel, 
Fünfzehn Minuten genau auf das getrunkene Glas. 
Suchſt du, den Trunk zu vergehn, im Forſte geſchlängelten 
Irrweg, 
Suchſt in der einſamen Schlucht reizende Wildnis du auf: 
O, da iſt Weg und Steg von ärariſchem Gelde gebügelt, 
Nach der meſſenden Schnur gähnt der beſchnittene Pfad. 
Schläfrig kehr' ich zurück, vollbracht iſt der lähmende Pflicht⸗ 
gang, 
Und nach dem lieben Kaffee ſehnet ſich tief das Gemüt. 


91 

Iſt Poeſie auch fern, es gibt doch ein breites Behagen, 

Mit den Philiſtern umher ſuche Philiſter zu ſein: 

Wenn ich im Waſſerzopf hintorkelte unter die Linden, 

Sucht' ich mit dieſer Sentenz mir zu betröſten das Herz. 

Aber was ſchießet daher ſtoßvogelartig? Was ziehet, 

Mich zu erfaſſen bereit, drohende Kreiſe ringsum? 

Geiſtlichen Hochmuts voll ein halb irrſinniger Prieſter 

Nimmt ſich den Ketzer aufs Korn für ſein Bekehrungs— 
geſchütz, 

Predigt von Bibel und Teufel und demokratiſchen Rotten 

Grob auf die Freiheit hin, die er als Narre genießt. 

Bin ich ihm mühſam entflohn und habe gebadet, geſchlendert, 

Endlich zum Mittagsmahl läutet die Glocke — zu ſpät! 

Ja, zu ſpät, denn zu hoch iſt der knurrende Hunger ge— 
wachſen, 

Und auf den üppigen Schmaus ſpannt ſich verhaltene Gier. 

Was dir am Morgen die Quelle genützt, verderbt dir am 
Mittag 

Mit des Speiſengemiſchs Reizen der würzende Koch. 

Aber was tut's, wenn gründlich geſtopft der Magen ſich 
blähet? 

Juſt dem Fraße zulieb kam ja das ſtädtiſche Volk. 

Wie ſie vom Tiſche hinweg nun unter gemütlichem Gähnen 

Unter die Linden hinab ſchleppen den ſchwellenden Bauch! 

Zum Kaffee geht's wieder, es folgt ein zahmer Spaziergang, 

Dann geht's wieder zu Tiſch, dann von den Tiſchen ins Bett. 


92 
Ringsum aber im Dorf und rings in Bergen und Tälern 
Zwiſchen Fabriken umher wohnt ein verkommenes Volk. 
Müßten die Hungernden nicht das Praſſerleben mitanſehn, 
Ließ' ich das Städtergeſchlecht gerne dem ſtumpfen Genuß, 
Ließe belachend es gern als Beute den ſaugenden Vampyrn, 
Welche den Schlemmern aufs Haupt ſandte ein ſtrafender 
Gott. 
Denn das Geſind' umher, der Kellner, die Köchin, der 
Hausknecht, 
Badknecht, Diener am Quell, Stubenmagd und Polizei 
Bücken ſich, ſchwänzeln und wedeln, und jede Gebärde heißt 
Trinkgeld, 
Trinkgeld die Hand und der Fuß, Trinkgeld der gierige Blick. 
Wend' ich zur Sonne hinauf vom widrigen Bilde die Augen, 
Wahrlich am Ende ſie ſelbſt bettelt um Trinkgeld mich an, 
Und zum gebührenden Lohn für die Heizung, die ſie 
verabreicht, 
Ihr in das volle Geſicht ſchnell' ich den Zwanz'ger hinauf. 
Aber das ärmliche Volk, das grün vor Hunger umherſteht, 
Wenn vom brodelnden Herd wirbeln die Düfte empor! 
Blöd und ſtier und grinſend, verzwergt, verbogen vom Elend 
Sieht es mit Tantalus' Qual Schüſſel an Schüſſel gereiht. 
Selbſt die Pfade umher, die heimiſchen, ſoll es nicht 
wandeln: 
Fort! Monopol iſt der Park, iſt für die Bettler nicht 
da! — 


93 
Hab' ich darum die Berge, die ländlichen Hütten, die 
Quellen, 
Düfte des Tannenwalds, Lüfte des Himmels geſucht, 
Daß die verkrümmende Not und daneben der ſchwelgende 
Geldſack 
Mir erneue den Riß, welcher die Menſchheit zerreißt? 
Daß die Quelle mir faſt, die rein entſprudelt dem Erdſchoß, 
Auf dem verbitterten Nerv ſchmecke wie Schweiß und wie 
Blut? 
Gebt mir zur reinen Natur auch Menſchen, die noch 
Natur ſind, 
Gebt zum lebendigen Born Bild der Geſundheit und Kraft! 
Sehen mag ich das Volk, das ungebrochen und ganz noch, 
Dem von männlicher Kraft ſtählern der Muskel ſich ſpannt, 
Hell das Auge und ſcharf mit Adlerblicken ſich aufſchlägt 
Und auf der Wangen Rot blühende Friſche noch lacht, 
Volk, das pflüget und ſät und weidet Rinder und Roſſe, 
Frei von trägem Genuß, frei von bedrängender Not, 
Alter Sitte getreu, noch nicht durchbeizt von dem Peſthauch, 
Den ins Gebirg einſchleppt leckrer Touriſten Geſchmeiß, 
Kriegeriſch noch, jagdluſtig und mit weitſchallendem Jodler 
Gerne den Widerhall weckend in Tal und Geklüft. 
Wär' ich bei euch, mich ſollte die Herrenſtube nicht ſehen — 
Gleich in die Laube hinaus, unter die Juppen hinein! 
Lächelnd ſtreicht ſich den Bart und weiſt auf den Stutzen 
der Weidmann, 


94 

Und mit prüfendem Blick fragt er mich: möchtet Ihr mit? 

„Freilich.“ — Er holt aus dem Schrank mir eine der 
blinkenden Waffen, 

Früh in des Morgens Hauch geht's in die Berge hinauf. 

Nicht entrinnt er dem Blei, dem ſicher gezielten, der ſcheue 

Gemsbock, den wir am Rand gähnender Schrecken erſpürt. 

Klettern wir abends zu Tal mit der köſtlichen Beute 
beladen, 

Steht ein Becher, ein Mahl, einfach und kräftig, bereit; 

Warm vom erquickenden Trunk ergreift die Zither der 
Burſche, 

Wirbelnd in nervigem Arm walzen die Dirnen umher — 

Hellauf, Müller, Hallo! nun gürte dein hurtigſtes Maultier! 

Fort aus dem Froſchpfuhl, fort! Schnell über Hügel 
und Tal! 


Felsblock 


(bei Waſen an der Gotthardſtraße). 
Aus des Felsblocks rauhen Spalten 
Tönt ein Achzen, tönt ein Knurren; 
„Das zu bieten einem Alten!“ 
Hör' ich eine Stimme murren. 


„Soll der Sohn ſo hoher Ahnen, 
Zeuge von der Urwelt Tagen, 
Soll der Sproſſe der Titanen 
Einen Grundbirnacker tragen? 


95 
Wild und frei emporgehoben 
An des Hochgebirges Wangen 
Bin ich einſt — ſchaut hin, dort oben! 
Stolzes Rieſenkind gehangen. 


O die Zeit, da um beeiſte 

Zacken noch der Sturmwind ſauſte, 
Um mein Haupt der Adler kreiſte, 
Meinen Fuß ein Meer umbrauſte! 


Hätt' ich, als herabgewettert 
Nieder in das Tal ich krachte, 

Deine Hütten gleich zerſchmettert, 
Menſchenvolk, bei dem ich ſchmachte! 


Lieber Staub und Splitter werden, 
Träg als Lehm am Boden liegen, 
Als ſo ſchmählichen Beſchwerden 
Länger mich als Dienſtmann fügen!“ 


Und ſo hebt er an, zu drücken, 

Ihn durchzuckt ein Krampf, ein Schüttern, 
Daß auf ſeinem breiten Rücken 

Die Kartoffelblüten zittern. 


Laß das Klagen, laß das Knacken, 
Das wird alles nichts mehr nützen, 
Laß geruhig dir im Nacken 

Den beſcheidnen Acker ſitzen! 


96 


Denke nur: auch die Kartoffel 
Iſt ein Kind der Erdenmutter 
Und — erlaub mir, alter Stoffel — 
Schmackhaft namentlich mit Butter. 


Mußt dich gar ſo ſehr nicht ſchämen, 
Mußt dich, dicker Trotzkopf, eben 
Auch dem Praktiſchen bequemen, 
Das iſt Loſung jetzt im Leben. 


Siehſt du, ſo wird jener, dieſer 
Wildfang im geſetztern Alter 
Noch ein brauchbarer Akziſer 
Oder Kameralverwalter. 


Im Hochgebirg. 


Steig, o Seele, mit dieſen 
Trutzigen Urweltrieſen! 
Recke dich! 

Strecke dich! — 

Wie ihr entſchloſſen 

Seid emporgeſchoſſen, 

Das Steinherz in der Bruſt, 
Das zu ſehen iſt Luſt. 


97 
Ihr ſeid nicht höflich und fein, 
Ihr lüget nicht, weich zu ſein, 
Euch macht nicht Sorge und Rückſicht bang, 
Ihr bücket euch nicht, ihr fraget nicht lang, 
Die Loſung heißt: Durch! die Loſung heißt: Kraft! 
So habt ihr euch Platz in der Welt verſchafft. — 
Es wird Nacht. 
Fort iſt die Farbenpracht. 
Finſter und ſchwer 
Stehn ſie umher, 
Schwarzblau mit düſteren Stirnen; 
Selbſt die weißen Firnen 
Leuchten nicht mehr. 
Aber o ſieh, ſchau empor! 
Ein Haupt ragt vor 
Über alle und taucht 
In des Lichtquells letzten fliehenden Schein 
Den Scheitel ein, 
Zart milchweiß und roſig angehaucht. 


Auf der Eiſenbahn. 


Jetzt ſchnaube nur, Dampf, und brauſe! 
Jetzt rolle nur, Rad, und ſauſe! 
Es geht nach Hauſe, nach Hauſe! 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 7 


98 


Du kannſt nicht jagen, o Wagen, 
Wie meine Pulſe mir ſchlagen! 
Zur Geliebten ſollſt du mich tragen. 


Vorüber, ihr ragenden Stangen! 
Verſchwindet, ihr Meilen, ihr langen! 
Wer ahnt mein Verlangen und Bangen! 


Auf den Bänken wie ſie ſich dehnen! 
Wie ſie ſchwatzen und gaffen und gähnen! 
Es iſt nichts, wonach ſie ſich ſehnen. 


Dort raſet der Sturm durch die Tannen, 
Zum Dampfe noch möcht' ich ihn ſpannen, 
Daß er raſcher mich reiße von dannen! 


Hinweg aus dem plappernden Schwarme, 
O, hin an die Bruſt, an die warme, 
In die offnen, die liebenden Arme! 


Droſſelſang. 


Die Droſſel ſingt, die Droſſel ſingt 

Dort drüben im Vogelbauer, 

Sie kann ein Stückchen, das munter klingt, 
Warum denn faßt mich ein Schauer? 


99 
Eine Droſſel fang, eine Droſſel fang 
Ein Stückchen, genau das gleiche, 
Zur Zeit, da ich ſo todesbang 
Umgieng wie im Schattenreiche. 


Verſchloſſen der Geliebten Haus, 
Verſtoßen aus meinem Himmel, 
Geſtoßen hinab in der Nachtwelt Graus, 
In grinſender Larven Gewimmel! 


's iſt lange her, 's iſt lange her, 
Doch zuckt mir's durch die Glieder, 
Doch wird die Seele mir ſo ſchwer, 
Als erlebt' ich es eben wieder. 


Ans Diendl. 


Tragſt du ein Röſelein 
Vorn an der Bruſt? 
Macht mir kein Bröſelein 
Freude noch Luſt. 
Trage du Dörnelein, 
Trage du Hörnelein, 
Die du dem Liebſten dein 
70 


100 


Aufſetzen tuſt, 

Trage du Höſelein, 
Kleiden die Beine dein 
Zierlich und fein. 


Die Nagelſchmiedin. 


Was klopfet, was ſchmiedet das reizende Weib? 
Zum Amboß gebeuget den ſchlanken Leib 

Einen zierlichen Hammer ſie ſchwinget; 

Dunkle und helle, 

Süße und grelle 

Lieder zum Takt ſie ſinget. 


Das Feuer, es ſprühet in blutrotem Schein, 
Mitunter wohl ſpritzet ſie Waſſer hinein, 
Doch ſchnelle zum Blaſebalg wieder 

Hebt ſie das linke 

Füßchen, und flinke 

Tritt ſie ihn auf und nieder. 


Wie ſtrahlet, wie blitzet ihr Auge dazu! 

Es ſtähl' einem Engel im Himmel die Ruh'! 
Auf der lächelnden Lippen Grunde 

Glänzen und gleißen 

Schneehell die weißen 

Zähnchen ihr aus dem Munde. 


101 


Es rollen die Locken ihr übers Geſicht, 
Wie blinket und züngelt ihr goldenes Licht! 
Das ſind ja die funkelnden Schlangen, 
Die mit den Ringen, 

Die mit den Schlingen 

Zauberiſch mich gefangen. 


Was beugt ſich, was lächelt, was ſtrahlet und blitzt, 
Was klopfet, was hämmert, was glühet und ſpitzt 
Die Geheimnisvolle, die Arge? 

Große und kleine, 

Grobe und feine 

Nägel zu meinem Sarge. 


Zur Hölle. 


Du reizend Ungeheuer, 

Neig her den ſchönen Leib! 

Reich mir den Kelch voll Feuer, 
Du wunderbares Weib! 


Willſt du mich küſſen, drücken, 
Werd' ich mich nicht entziehn, 
Spür' ich in meinem Rücken 
Den Dolch auch immerhin. 


102 


Wie ſalzlos wär' die Liebe, 
Wie matt ihr Himmelsgold, 
Wenn ſie aus einem Triebe 
Allein beſtehen ſollt'! 


Da iſt man erſt gerühret, 
Das iſt der rechte Spaß, 
Wenn Haß die Liebe ſchüret 
Und Liebe ſchürt den Haß. 


In unſrem Liebesorden 

Mag man das Schlichte nicht, 
Da möchte man ſich morden, 
Wenn man ſich heiß umflicht. 


Sag, welches Erdgeiſts Laune 
Hat dich ſo ſtolz gebaut? 
Mir graut, indem ich ſtaune, 
Ich ſtaune, wie mir graut. 


Sag, welcher wilde Dichter 
Hat dich, o Weib, erdacht? 
In dir die Himmelslichter 
Gemiſcht mit Hadesnacht? 


Du winkſt mir in den Wagen, 
Er iſt ſchon eingeſpannt, 

Zwei Rappen uns wohl tragen — 
Du weißt, in welches Land. 


103 
Da bin ich ſchon zur Stelle, 
Die Geißel ſchwinge frei! 
Nun im Galopp zur Hölle! 
Hurra, ich bin dabei! 


Breite und Tiefe. 


Sag, alter Narr, was rennſt du wieder 

So kreuz und quer, bergauf und nieder? 
Was ſuchſt du denn? Laß ſein, laß ſein! 
Die Weite bringt es dir nicht ein, 

Im Breiten wirſt du's nicht erringen! 
Da mußt du in die Tiefe dringen. 

Der Weg iſt kurz, die Arbeit ſchlicht: 
Fünf Schuh tief, weiter braucht es nicht. 


Kahnfahrt. 


Es ſinkt der Tag; ſtill wird es weit und breit. — 
Auf flüſternder, auf kühler Waſſerbahn 

Trägt leis zwei Menſchen hin ein leichter Kahn, 
Zwei ſtille Menſchen, ſtill vor Seligkeit. 


Der Mann ergreift des Weibes zarte Hand 
Und ſpricht, indem er nah zu ihr ſich bückt, 
Der Stimme Zittern mühſam unterdrückt, 

Mühſam die Träne, die im Aug' ihm ſtand: 


104 
„O möge keines von uns zweien doch 
Je wiederſehn dies Land und dieſen See, 
Das Herz zerriſſen von der Trennung Weh!“ 
Schon war es Nacht. Wir ſchwiegen. Weißt du's noch? 


Nunc pluat! 


(Nach einer alten Devife.) 


Ein Adler flog empor 

Hoch, höher, bis hinan, wo fürchterlich 

Aus ew' gem Schnee 

Die letzten, wildgezackten Alpenhörner ragen. 

Da ſah er hangen über ſich 

Ein zweites, ſchrecklicher getürmtes 

Gebirg von Wetterwolken, 

Schwarz, dicht und breit und ſchwer, zum Berſten ſatt. 
Es drohet Stürme, Güſſe, Ströme, Stürze 

Von Regen, Hagelkieſeln, die das Haupt, 

Die breiten Schwingen ihm zerſchmettern, 

An die Felſennadeln ihn ſpießen oder halbzerfetzt 
Zu Tal ihn ſchleudern werden. 

Er ſieht's und ſchießt hindurch, 

Steil, kerzengrad, dem Pfeile gleich, 

Von ſtraffer Sehne ſtracks emporgeſchnellt. 
Schon ſchwebt er über der ſchwarzen Wand 


105 
Im Blau, im ſtrahlenden Athermeer, 
Er ſchaut der Sonn' ins blitzende Flammenauge, 
Er ſchaut hinab und ſpricht: 
Nun mag es regnen! 


Unterm Buchenbaum. 


Im Wald, im Wald — 
Wie bald, wie bald 

Haſt du's vergeſſen! 
Weißt, unterm Buchenbaum 
Selig in hellem Traum 
Sind wir geſeſſen. 


Im Wald, im Wald, 

Im grünen Wald 

Hab' ich fürs Leben, 
Weißt, unterm Buchenbaum 
Selig in hellem Traum 
Dir mich gegeben. 


Aufs Meer, aufs Meer, 
Aufs weite Meer 

Biſt du gezogen, 

Denkeſt der Armen kaum 
Draußen im wilden Schaum 
Rollender Wogen. 


106 


Im Wald, im Wald 

Iſt's öd und kalt, 

Sauſen die Winde, 

Kahl ſteht der Buchenbaum, 
Trauert im weißen Saum 
Eiſiger Rinde. 


Im Wald, im Wald 
Begrabt mich bald, 

Grünt es erſt wieder, 

Legt unterm Buchenbaum 
Mit meinem hellen Traum 
Sachte mich nieder! 


An das Mitleid. 
Dich, der ſchaffenden Gottheit 
Nachgeborne beſſere Schweſter, 
Mitleid, dich will ich preiſen! 


Unergründlich an Geiſt iſt jene, 

An geſtaltenzeugender Bildnerkraft, 

Unergründlich an Grauſamkeit; 

Auf Wechſelfolter und Wechſelmord 

Hat ſie die ſtrotzende, lebenstrunkne, 
Jauchzende Schöpfung angelegt 

Und als Meiſter in Mord und Folter 

Obenauf den Menſchen geſetzt. 


107 
Die Schweſter, da fie es werden ſah, 

Legte das Haupt ihr an den Buſen, 

Den marmorgleichen, und flehte, flehte. 

Kein Wort, kein Hauch, kein Blick 

Sprach von Erhörung. Sie wandte ſich ab 
Und ſeufzte und ſchwieg und rührte die breiten 
Silberſchwingen und ſchwebte nieder, 

Nieder zur Erde; 

Himmliſchen Balſams ein Gefäß 

Trug ſie ſorgſam in weicher Hand. 


Als ſie der Erde näher kam, 

Wuchs an ihr Ohr eine Welt von Tönen, 
Wie ſie des Sterblichen eingeſchränkte 
Hörkraft nimmer und nie vernimmt. 

Auch die Schar der armen Geſchöpfe, 
Denen der Laut der Klage verſagt iſt: 

Das edle Roß, das in Jugendfeuer 

Stolz und wiehernd den Reiter trägt 

Und im Alter langſam zu Tod gequält wird, 
Weil es unter des Treibers Hieben 

Den Schmerz in die Luft nicht heulen kann, 
Der Wurm im Graſe, der Schmetterling, 
Der Fiſch und die winzigen Tierchen all 

Im Reich des Waſſers, der Luft, der Erde —: 
Ihrem Gehör, dem geiſterfeinen, 


108 


Schwiegen alle die Stummen nicht; 
Aber die andern, denen die Klage, 
Denen der arme Troſt gegönnt iſt, 

In Lauten zu ſagen, was ſie leiden: 

Auch ihr leiſeſtes Weh und Ach, 

Auch das gepreßte, das halb erſtickte 
Stöhnen der wunden, tödlich gekränkten 
Menſchenſeele, alles vernahm ſie, 

Und alles, wie fern es mochte verhallen, 
Klang ihr, als tönt' es in nächſter Nähe. 


Und nun — kein Wort hat die Sprache dafür, 
Welch ein Lärm, aus jeglichem Ton 

Des Jammers gehäuft, aus Schluchzen und Achzen, 
Aus Wimmern, aus wildem Schrei und Gebrüll, 
Aus markdurchbohrendem, dumpfem O! 
Aufſchlug an die Pforten ihres Fühlens, 
Erdrückend mit grauſer Übermacht 

Die Stimmen der Freude, die Jubelrufe 

Aus den Kehlen beglückter Weſen. 

Ihr war, als müßte krachend 

Zerberſten das eherne Himmelsgewölbe. 


Ein Seufzer entrang ſich ihren Lippen, 
Nicht laut auftönend, aber ſo grundtief 
Aus der zerrißnen Seele geholt, 

Daß er durch all das Qualengeheul 


109 
Wie geſchliffner Stahl hindurchſchnitt 
Und hinaus in die Weite des Weltalls drang. 


Sie ſank zu Boden, ſie lag wie tot. 

Langſam kehrte ihr göttliches Selbſt 

Zu ſich zurück. Sie raffte ſich auf. 
Entſchloſſen ſtand ſie und ſprach die Worte: 
„Wenig, wenig vermag das Mitleid 

In der alſo beſtellten Welt: 

Aber dies wenige iſt nicht nichts. 

Ich will es tun. Nicht feig will ich ſein, 
Will hören lernen die fürchterlichen 

Chöre des Jammers, ſchauen lernen 

In die klaffenden grauſen Wunden 

Und nimmer wanken und nimmer weichen!“ 
Sie ergriff das entglittene Balſamgefäß, 
Mit nervigem Schritte gieng ſie fürbaß 
Mitten hinein in des Lebens Schlachtfeld. 


O himmliſcher Geiſt, verlaß uns nicht! 
Weile, weile im Tal der Qualen, 

Im Tale der Seufzer und des Stöhnens! 
Deines Balſams göttlichen Heilſaft 
Geuß in die Wunden! Lege die weiche, 
Sanfte Hand an die kranken Herzen, 
Auf des Leidenden eiskalt feuchte Stirne! 
Der Blick des Dankes, der bleiche Strahl 


Aus weinenden Augen ſei dir Stärkung! 
Dir werde zumut, als hätteſt du ſelbſt dich 
In unendlichem Weh gelabt und geheilt! 
Auch ſie vergißt du — ich weiß es — nicht, 
Die mißhandelte, ſeufzende Kreatur, 

Die mit Worten nicht danken kann! 

Auch ihr dumpferes Auge vermag es, 
Blicke des Dankes emporzurichten 

Zu der helfenden Liebe mildem Antlitz. 
Walte, walte im dunklen Leben! 

Du walteſt, o, du ermüdeſt nicht! 

Durch ſchwüle, dampfende Todesſchatten 
Erblick' ich deine reine Geſtalt, 
Schimmernd in bläulichem Lichte ſchwebt ſie 
Geſchäftig dahin und neigt ſich nieder, 
Wo ein verwundetes Weſen ſchmachtet, 
Und beugt ſich über und flüſtert leiſe 
Worte des Troſtes und lindert und heilt. 


Rom 1872. 


Abend war's, vom Kapitole 

Stieg ich nach dem Forum nieder. 
Eines Jägerhornes luſt'ge, 
Stürmiſch raſche Marſchesweiſe 
Hört' ich; zu den muntern Klängen 


Sah ich durch den Titusbogen 
Einen Zug Berſaglieri 

Im Geſchwindſchritt ſich bewegen, 
Auf den breiten Schützenhüten 
Flatterten die Hahnenfedern. 


Traumhaft wurde mir zumute; 
Von des altersgrauen, ſtolzen 
Baues mächtigem Geſimſe 
Schien ein lorbeerkranzgeſchmücktes 
Geiſterhaupt herabzublicken; 
Gleich als hätten es die Töne 
Einer Tuba wachgerufen, 
Schien es dieſen jungen braunen 
Kriegern mit der unbekannten 
Feuerwaffe auf den Schultern 
Seltſam ſtaunend nachzuſchauen. 


Weiter ging der Marſch, vorüber 
An des Palatinus Höhen. 

Und dort oben in den Trümmern 
Ward es ſchattenhaft lebendig, 
Stieg ein graues Dunſtgewebe, 
Das begann ſich zu verdichten, 
Mit geheimnisvollem Gären 
Sich zu ſcheiden und zu ſammeln, 


LI: 


112 


Sich zu formen, bis mit einmal 
Wunderbare Menſchenbilder 
Aus dem Flore ſich enthüllten. 


Stolze Stirnen wurden ſichtbar, 
Drüber goldne Diademe, 

Von der Toga Pracht umfloßne 
Majeſtätiſche Geſtalten. 

Und ſie rührten ſich und ſchwebten 
Zu dem lichtern Vordergrunde, 
Offneten, ſich ſchwer beſinnend, 
Schlafbedeckte dunkle Augen, 
Blickten fragend nach dem fremden 
Schauſpiel an des Hügels Fuße. 


Knaben hatten ſich indeſſen 

An die Schützen angeſchloſſen, 
Liefen hintennach im Takte, 
Burſche, Mädchen, Männer, Frauen 
Blieben auf dem Wege ſtehen, 
Und miteins aus vollen Kehlen 
Stieg der Ausruf in die Lüfte: 
„Viva il regno d'Italia, viva 
La risorta patria, viva 
Nostro re galantuomo, 

Re Vittor' Emanuele!“ 


113 
Mit gehobnen Brauen horchten 
Vorgebeugt die Geiſterweſen, 
Ihre Stirnen, ihre Mienen 
Wurden helle, und ſie winkten 
Eins dem andern, ein bewegtes 
Flüſtern ging durch ihre Reihen. 
Flog wohl eine dunkle Ahnung, 
Gieng wohl eine dunkle Kunde 
Unter ihnen von dem Tage, 
Wo im Feuerſchlündedonner 
Durch den Riß der Porta Pia 
Einzog in die alte Hauptſtadt, 
Wo ſich ſelbſt und ihres Lebens 
Mittelpunkt, ihr Herz im Buſen 
Nach der Zeiten langer Ode 
Wiederfand Italia? 


Doch ein breiter Schatten legt ſich 
Auf das Forum, auf den Hügel, 
Auf des Koloſſeums Maſſen. 

Kalter Windhauch weht vom Tiber. 
Schwer Gewölk iſt aufgeſtiegen. 
Drüben, wo Sankt Peters Kuppel 
Ragt, da hebt ſich's hoch und höher, 
Und in Dunkel bang und bänger 


Rückt's heran. Es zuckt, es leuchtet. — 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 8 


114 


Eine dreigekrönte ſpitze 
Prieſtermitra ſeh' ich glänzen, 


Flimmern aus dem finſtern Qualme. — 


Dumpfer Donner rollt herüber, 
Schwere Regentropfen fallen, 
Aber ſiehe, das Gewitter 

Stockt nach wenigem Geräuſche, 

Es verweht ſich, es verſauſet, 

Noch ein Knall, und es verſtummet 
Und die Sonne ſieget wieder. — 
Die Geſtalten auf der Höhe 

Sehn einander an und lächeln, 
Raunen wohl von Augurn etwas, 
Welche ſchon zu ihren Zeiten 

Nur noch Kindern bange machten. 
Doch in dem erfriſchten Ather 

In des Lichts erneuter Klarheit 
Schwinden ihre Geiſterglieder, 
Schwimmen langſam mit dem Nebel, 
Der dem Grünen nun entſteiget, 
Aufgelöſt in eins zuſammen. 


Feſt gezeichnet, ſcharf umriſſen, 
Sicher des beſtimmten Daſeins, 
Steht die freie Tagwelt wieder 
In des Südens herrlich goldner 


115 
Abendſonne. Dann entflammt ſich 
Aus dem Gold ein feierlicher 
Hocherglühter Purpurmantel, 

Legt ſich wallend auf die Ebne, 
Auf die Nähe, auf die Ferne 

Der Sabiner, der Albaner 

Berge, Romas alte Wiege. 
Fernher tönet noch das Jauchzen, 
Das „Eh viva, Italia viva!“ 
Fernher ſchmettern noch die Klänge 
Der entſchloßnen Marſchesweiſe 
In die abendlichen Lüfte. 


Prolog 


für das Konzert des Kaufmänniſchen Vereins in Frankfurt am Main 
am 31. Januar 1883, zum Beſten der Überſchwemmten des Rheintales. 


Uraltes Gut, der Wärme Quell, das Feuer, 
Zum Drachen wird's in losgelaßner Wut: 
Graunhafter noch, ein ſchlingend Ungeheuer, 
Tobt breit umher des Waſſers hohe Flut, 

Noch banger blickt, hilfloſer noch und ſcheuer 
Der Menſch aus des bedrohten Obdachs Hut, 
Wenn, angekündigt von des Donners Schlägen, 
Sich endlos, endlos Regen drängt auf Regen. 


8* 


116 


Das Bächlein wird zum Bach, der Bach zum Fluſſe, 
Der Fluß zum Strom, der Strom zum weiten Meer, 
Erſt leis, dann lauter in gehäuftem Guſſe 

Schwillt an und rauſcht das graue Wellenheer, 
Dumpf murrend nagt es an des Damms Verſchluſſe, 
Schlägt an der Brücke Pfeiler, an das Wehr. 

Es brüllt. Ein Waſſerrieſe ruft dem andern: 

Laß uns vereint zum wilden Anſturm wandern! 


Es kracht; es bricht das Wehr, der Damm, die Brücke, 
Schon in des Dorfes Gaſſen dringt der Schwall, 
Reißt in den Stadtwall eine breite Lücke, 

Des Hauſes Mauer weicht dem Stoß und Prall, 
Der Giebel wankt, er ſenkt ſich, fährt in Stücke, 
Aufſchäumend grüßt die Woge ſeinen Fall, 

Zum Himmel ſchreit aus halbzerrißnen Kammern 
Ein hilfeflehend, herzdurchſchneidend Jammern. 


Vom Haus zu Stall und Scheune fortgetragen 
Rückt, ſchiebt und drückt der dichte Wogentroß, 
Bang blökt das Lamm, dumpf brüllend hebt ein Klagen 
Das Rind, des Landmanns folgſamer Genoß; 

Wer hilft mir? ſcheint in Todesangſt zu fragen, 

Die Kette zerrend, das gebundne Roß. — 

Des Jahres Fleiß, mit emſ'ger Hand geſchichtet, 

Die junge Saat verſchwemmt, zerwühlt, vernichtet! 


107 
Doch Hab und Gut, wer wird's nicht gerne geben, 
Roß, Rind und Lamm und Saat und Schrein und Haus, 
Ach, für ein einz'ges teures Menſchenleben! — 
Weh! Menſchenopfer dort im Wogengraus! 
Seht, wie ſie ringen! Eitles Widerſtreben! — 
Das Kindlein in der Wiege reißt's hinaus — 
Es lebt. Die Mutter mit gekrampften Händen 
Hängt tot an ſeines kleinen Fahrzeugs Wänden. 


Nicht fehlt das brave, hilfbereite Wollen, 

Wer nur die Hände frei hat, ſtürzt heran 

Zum Liebesdienſt, den Brüder Brüdern zollen, 
Die Leiter ſteigt, beflügelt eilt der Kahn; 

Doch wenn ſo hoch das Ungetüm gequollen, 
Mit all dem Tun wie wenig iſt getan! 

Ja, wer dem Feind ein Herz verleihen könnte! 
Doch Mitleid kennen nicht die Elemente, — — 


Gewichen ſind der Waſſergeiſter Horden, 
Vollzogen iſt, was ihre Wut gedroht. 

Es iſt geſchehen. Stille iſt's geworden. 

Od liegt das Schlachtfeld, eiſig, wüſt und tot. 
Der Rabe krächzt. — Vorüber iſt das Morden, 
Geblieben iſt der Hunger und die Not. — 

Mir find verſchont von all dem Graus und Leide, 
Wir ſitzen warm im warmen Haus und Kleide. — 


118 


Es ſchwebt ein Geiſt — mir dünkt es, ihn zu ſehen, — 


Er neigt ſein Haupt, ſein Antlitz mild und bleich, 
Er ſchwebt heran aus unbekannten Höhen 

Ins Erdental, an Luſt und Schmerzen reich, 

Ich höre ſeiner Schwingen leiſes Wehen, 
Wehmütig blickt er, gütevoll und weich, 

Aus ſeinen Augen ſeh' ich Tränen rinnen, 

Er nickt und ſegnet, was wir ernſt beginnen. 


O Genius des Mitleids! Uns zu lenken, 
Durchdring uns ganz mit deinem ſanften Hauch! 
Mitleid heißt tief und inniglich gedenken: 

Auch ich bin Menſch, auf meinen Scheitel auch 
Kann jeden Tag des Jammers Wucht ſich ſenken, 
Wir alle bau'n auf Waſſer, Luft und Rauch. 

Laß uns mit Andacht, heilig reines Weſen, 

Dies Wort in deinem feuchten Blicke leſen! 


Es ſei die Kunſt, es ſei der Reiz der Töne, 
Der heute ſagt, was in dem Buſen lebt. 

Du weißt: kein eitles Spiel. Das echte Schöne 
Kommt hoch wie du vom Himmel hergeſchwebt; 
Eins fühlen ſich der Erdenmutter Söhne, 

Wenn ſie des Einklangs heil'ge Macht durchbebt. 
Mag er uns heut, wenn ſeine Wellen zittern, 

In der Gemüter tiefſten Grund erſchüttern! 


119 
Der Dichter auch ſei uns zum Gaſt erkoren! 
Die Ton- und Dichtkunſt ſind ja Schweſternblut. 
Er, den der Welt die Stadt am Main geboren, 
Er leih' uns ſeiner Seele reine Glut! 
Sein goldnes Wort, es ſei uns unverloren: 
O Menſch, ſei edel, hilfreich ſei und gut! 
Blind walten der Natur verhüllte Mächte, 
Du ſchaffe frei und nimmer müd' das Rechte! 


Schwer wandeln wir auf nächtlich irren Bahnen. 
Wo iſt ein Führer, wo ein Leiteſtern? 

Das Edle, ſchreib es auf der Menſchheit Fahnen, 
Gib, heile, ſtütze, fördre, diene gern! 

Das Göttliche, das wir in Ehrfurcht ahnen 

In dunklem Bild hoch über uns und fern, 

Tritt leuchtend vor aus ſeines Schleiers Falten, 
Wird Gegenwart in jedem guten Walten. 


Eine Nacht auf dem Meer. 


Das war eine Nacht! 

Wer hätte da ſchlafen mögen! 
Funkelnd in Diamantenſchmuck 
Strahlte der prächtig dunkelblaue 
Weltumwallende Himmelsmantel. 
Allverwebendes Vollmondlicht, 


120 


Träumendes, grenzenlos ergoßnes, 
Überglänzte den Sternenglanz. 

Auf flüſſigem Silber ſchwebte das Schiff. 
Bläuliche Funken zitterten tanzend 

Auf dem unabſehlichen blanken Spiegel. 
Bläuliche Flammen, trunkene, flogen 
Wirbelnd im brauſenden Räderſchaum. 
Schlanke Delphine, Freunde der Menſchen, 
Die einzigen unter all den dumpfen, 
Wilden Geburten der grauſen Tiefe, 

Der Tonkunſt offen, Freunde der Sänger, 
Der Aphrodite alte Gefährten, 

Stellten als muntres Geleite ſich ein, 
Spielten gepaart in der Flut umher, 
Tauchten blinkend hervor und ſchoſſen 
Wie Speere geſchnellt im Bogenwurfe 
Voraus, als gelte dem Dampf die Wette. 
Kräftiger Salzhauch, leichter Nachtwind 
Kühlte die Luft, die himmliſch reine. 


Nach Hellas ging die ſelige Fahrt. 
Tänariſches Vorhaupt war umſchifft. 
Von Melos herüber wehte ein leiſer 
Gruß der Göttin, der Meerentſtiegnen. 


Nicht den griechiſchen Göttern galt es, 
Das herzliche Wort, das der welſche Mönch 


Ausrief in der nächtlichen Stunde. 

Vor mir ſtand er, ich ſeh' ihn noch, 
Werd' ihn ſehen, ſolang in der Seele 
Erinnerungsbilder treu mir haften, 

Vor mir ſtand die jugendlich ſchlanke, 
Hohe Geſtalt im langen ſchwarzen 
Kloſtergewande, zum Himmel hebend 

Die Arme, die lichtvoll dunkeln Augen, 
Schmerzlich rufend: „Wie wehe tut mir's, 
Daß ich den Mann, den ich liebgewonnen, 
Im Gefilde der Seligen einſt 
Wiederzuſehen nicht darf hoffen!“ 

Über die edeln bleichen Züge, 

Über die feingezognen Brauen 

Floß von oben das ſanfte Licht. 


Er hatte das Lager wie ich verſchmäht, 
Neben den Einſamen ſich geſetzt, 

Mit offner Seele mir vertraut, 

Daß er als Bote des Chriſtenglaubens 
Fernhin reiſe ins Land der Mitte. 
Schwere Gefahren drohte das Ziel. 
Mörderiſch waren vor kurzem erſt 
Verkünder des Worts erſchlagen worden. 
Heiter entſchloſſen zog er dahin, 

Wagte getroſt ſein junges Leben. 


121 


Mit kindlichen Herzens reiner Einfalt 
Fragt' er und fragte nach meinem Glauben. 
Red' und Antwort weigre ich nicht, 

Ich duld' es, daß er ſich unverhohlen 
Eifrig ans Werk macht, mich zu bekehren; 
Hell ja lag wie die klare Mondnacht 

Vor mir dieſes Gemütes Unſchuld. 
Strenger Beweiſe geſchloßne Reihen 

In altverroſteten Kettenpanzern 

Führt er ſiegesgewiß ins Feld. 

Wärmer und wärmer zu kämpfen reizt ihn 
Meiner Entgegnungen ſpärlich Wort; 
Endlich, da ich ihm Wahrheit ſchulde, 
Freundlichen Tones ihm bekenne, 

Daß ich im eigenen Lager ſelbſt 

Nicht zu der Gläubigen Schar mich zähle, 
Seufzt er und richtet ſich auf und ſchickt 
Die rührende Klage zum Himmel empor. 


Ich drückt' ihm ſchweigend die weiche Hand. — 
Noch eine Hoffnung war ihm geblieben: 
Er werde mir vor dem Scheiden, ſagt' er, 
Ein Buch noch geben, darinnen alles 
Gedruckt zu leſen, was unentrinnbar 

In der heiligen Kirche Mutterarm 

Den härteſten Zweifler lenken müſſe. 


123 
Wir giengen ruhen, dem Schlaf fein Recht, 
Das lang geweigerte, noch zu gönnen. 


Die Räder ſchweigen, das Schiff ſteht ſtill. 
Aus tiefem Schlummer emporgerüttelt 

Eil' ich auf Deck. Wir ſind in Syra. 
„Schnell in die Barke!“ ruft der Hauptmann. 
Ich durfte nicht ſüumen, ich war am Ziel; 
Nach andern Geſtaden fern im Oſten 

Strebte das Schiff, und der Halt war kurz. 
Den Prieſter zu ſuchen blieb nicht Zeit. 

Ich habe den Mann nicht wiedergeſehen, 
Kein Lebewohl mehr konnt' ich ihm ſagen, 

Er ſchlief noch feſt, das verſprochene Buch, 
Der Gute, er konnt' es mir nicht mehr reichen. 


Ich bin in Hellas. Griechiſche Laute 
Tönen ans Ohr mit weichem Klang, 
Griechiſche Lüfte umwehn die Stirne. 
Noch wenige Tage, und wandeln werd' ich 
Auf attiſchem Boden und werde wallen 
Hinauf zu der Jungfrau Heiligtum, 

An den zerbrochenen Marmorhallen 
Stehen und ſchauen. Götterhäupter 

Seh' ich aus ſilberner Wolke nicken. 


O Pallas Athene und Vater Zeus 

Und Dionyſos, Traubengeſchmückter, 

Und all ihr Hohen, was wiſſet ihr 

Von dem dunkeln Prieſter des fremden Gottes! 
Und doch, ihr duldet ſie neben euch, 
Gegraben in meiner Seele Grund, 

Die Geſtalt des Mönches, des weltlos armen, 
Der ſo bereit, ſo liebevoll 

Bekümmert um ſeiner Brüder Heil, 

So hoch getragen von ſeines Wahnes 
Entzückten Geſichten ſtill dahinfährt 

In ſein Geſchick, das gewitterſchwere. 
Denn ihr kennt die Begeiſterung, 

Die todesmutige, ſchickſalgefaßte, 

Du auch kennſt ſie von Angeſicht, 
Dionyſos, feuriger Gott, 

Leidenkundiger! 

Sahſt ſie mit göttlichen Schmerzes reinem 
Wohlgefallen im traurig ſchönen 
Schauſpiel über die Bühne ſchreiten, 

Von Wehklage des Chors begleitet, 

Hinab zum Hades. 

So zeichne nur immer, reines Mondlicht, 
Mitten hinein in die göttlich klare 
Kriſtallene Nacht — es entſtellt ſie nicht — 
Das Bild des Prieſters, wie er die Arme, 


Wie er die feuchten, großen Augen 
Empor zum ſternebeſäten ew'gen 
Gezelte mit innigem Seufzen richtet. 


Das erſehnte Gewitter. 


Es glüht das Land, es lechzet 
Die ausgebrannte Au, 
Jedwedes Weſen ächzet 
Nach einem Tropfen Tau. 


O Himmel, brich! Entſchließe 
Dies Blau aus ſprödem Stahl, 
Nur Regen, Regen gieße 
Herab ins ſchwüle Tal! 


Er hört. Im Weſten webet 

Und ſpinnt ein grauer Flor; 

Er ballt ſich, ſchwillt und ſchwebet 
Als Wolkenberg empor. 


Jetzt mit den Feuerzügeln 
Fährt auf der jähe Blitz, 
Und auf den luft'gen Hügeln 
Löſt er ſein Feldgeſchütz. 


125 


Heut hat man baß geladen, 
Es zuckt wie geſtern nicht 

In fahlem Schwefelſchwaden 
Ein ſtumm verglühend Licht. 


Wild ſchießt der Strahl, der grelle, 
Aus dichter Wolkenwand, 

Rings lodert Geiſterhelle, 

Der Himmel ſteht in Brand. 


Es kracht. In Ketten wandern 
Die dumpfen Donner fort, 
Von einer Wacht zur andern 
Rollt hin das Schlachtenwort. 


Was atmet, rauſcht und ſauſet? 
Friſchauf! der Sturmwind naht, 
Der Wald erbebt und brauſet, 
In Wogen geht die Saat. 


Schon dampft ein Meer von Würzen 
Aus der behauchten Welt, 

Und ſatte Wetter ſtürzen 

Auf das geborſtne Feld. 


127 


Sie. 


O, du biſt gut, ja, du biſt gut! 
Wie du dich ſanft geneiget 
Und über mich gebeuget, 

Da ſchwand die Fieberwut. 


O, du biſt rein, ja, du biſt rein! 
Durch deiner Wimpern Schatten 
Strahlt nieder auf mich Matten 
Ein heller Himmelsſchein. 


O, du biſt mild, ja, du biſt mild! 
Um deinen Mund dies Lächeln, 
Es kühlet wie ein Fächeln 

Aus ſeligem Gefild. 


O, du biſt lind, ja, du biſt lind! 
Von dir, von dir gerettet, 

In Liebe weich gebettet 
Entſchlummr' ich wie ein Kind. 


O, du biſt ſtill, ja, du biſt ſtill! 
Dein leiſes Wort, dein Schweigen 
Verbeut dem Höllenreigen 

Sein tobendes Gebrüll. 


128 
O, du biſt gut, ja, du biſt gut! 
Du bringſt die Engelskunde: 
Geſunde, Mann, geſunde! 
Auf! Lebe! Faſſe Mut! 


Nachts. 


Sie ſchläft. Ein ſüßes Atmen hebet 
Den holden Buſen ſanft und leicht; 
Der Geiſt iſt in ein Land geſchwebet, 
Wohin der Sorge Pfeil nicht reicht. 


Scharf war die Pein der letzten Tage — 
Schließ nur die müden Augen zu! 
Das Schickſal pocht mit ſchwerer Frage; 
Sie wird ſich löſen, ſchlummre du. 


Schlaf nur! Du brauchſt es nicht zu wiſſen, 
Daß unter dir der Freund ſich regt, 

Daß er in tiefen Finſterniſſen 

Dein Los in ſeiner Bruſt bewegt. 


Und doch! Er naht dem ſtillen Raume 
Mit Geiſtertritt und rührt ſich nicht 
Und horchet, ob ſie nicht im Traume 
Wohl leiſe ſeinen Namen ſpricht. 


Abſchied. 


Der Erdenſtoff verzehrt ſich ſacht und mild, 

Bald iſt's vorbei, und du biſt ganz nur Bild; 
Du ſchwebſt hinweg, ſchon ſtrahlen wie von ferne 
In fremdem Lichtglanz deiner Augen Sterne. 


Sei, Bild, mein Schild, ſo lang der heiße Tag 
Mich noch umtoſt mit wildem Stoß und Schlag! 
O ſenke, ſteigt der dunkle Zorn mir wieder, 

Auf mich herab die träumeriſchen Lider. 


Die Blicke, die, dem reinen Kinde gleich, 

Nicht wiſſen, wie ſo gut ſie ſind, ſo weich! 
Ganz Geiſt, kannſt du nun allerorten leben 

Und auch zu mir, dem Umgetriebnen, ſchweben. 


Vielleicht iſt doch in nicht zu ferner Zeit 

Ein bleibend Haus zur Raſt für mich bereit, 
Dann ſchwinge ſanft um meinen Totenhügel 
Am ſtillen Abend deine Geiſterflügel. 


Kühle. 


Aus Wuſt und Wut, 
Aus Schwefelglut, 
Aus atemloſer Schwüle 


Hinab in Meeresgrund, hinab ins Kühle! 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 9 


130 
Da ruh' ich aus 
Im Felſenhaus 
Von all dem Angſtgewühle, 
Gebadet in der ſanften, reinen Kühle. 


Im tiefen Blau 

Ruht eine Frau, 

Lichtweiß auf weißem Pfühle, 

Und lächelt ſelig in der ſtillen Kühle. 


Nah' ich mich ihr? 

Sie ſchaut nach mir, 

Fragt mich, ob ich auch fühle, 

Wie gut es weilen iſt in dieſer Kühle. 


Reicht mir die Hand, 

Daß ich den Brand 

Aus meinem Buſen ſpüle 

Und mit ihr ewig bleibe in der Kühle. 


Krieg 1870-1871: 
Zwei Brüder. 
(Erich und Axel, Grafen von Taube, gefallen in Champigny 2. Dezember 1870.) 
I, 
Da liegen fie in offnen Särgen beide, 
Das Schwert zur Seite und den Lorbeerkranz; 


Vom Wundenkrampf, vom letzten grimmen Leide 
Weiß nichts ihr Angeſicht; zufrieden ganz, 

Ganz friedlich ſind die jugendlichen Züge, 

Als ſagten ſie jedwedem, der ſie früge: 


Zuſammen ſind wir hoffnungsvoll erblühet, 
Zuſammen griffen wir zur blanken Wehr, 
Fürs Vaterland in tiefſter Bruſt erglühet, 
Zuſammen kämpften wir im Siegesheer, 
Zuſammen ſind wir brüderlich gefallen, 
Zuſammen gehn wir in die ew'gen Hallen. 


Mir aber iſt vor dieſem Totenbilde, 

Das wunderbar des Herzens Tiefen rührt, 
Als würd' ich zu entlegenem Gefilde, 

Ins ferne Griechenland vom Geiſt entführt, 
Dorthin, ins enge Tor der Thermopylen, 
Wo die Dreihundert einſt zuſammen fielen. 


Die ſchlichte Schrift am Male dieſer Toten: 
„Kommſt, Wandrer, du nach Sparta, melde dort, 
Daß du gehorſam, wie es uns geboten, 
Uns liegen hier geſehen“, — dieſes Wort, 
Ihr Totenzüge, o, ihr ſtillen, lieben, 
Mir iſt, als läſ' ich es in euch geſchrieben. 

9 * 


131 


132 


II. 


Ein Männerzug, faſt endlos, kommt geſchritten, 
Zwei Särgen folgend zu der dunkeln Gruft, 
Voran das Haupt, das ſolchen Schlag erlitten. 
Die Glocken klagen in die graue Luft. 

Es wallt das Volk, die Straßen ſind zu enge, 
Stumm vor dem Bilde ſteht die dichte Menge. 


Das iſt nicht Neugier, eitle Luſt, zu ſchauen, 
Iſt nicht ein Aufſehn, weil es Grafen ſind, 
O nein! von dieſen tränenreichen Frauen 
Verliert in ihnen jede heut ihr Kind; 

Hier iſt kein Vater, der die teuren Erben 
In dieſem Söhnepaar nicht ſähe ſterben, 


Kein Bruder, keine Schweſter, die nicht weinen, 
Als ziemte ihnen euer Trauerkleid, 

In dieſem Schlag des Tods, in dieſem einen, 
Faßt ſich zuſammen eines Volkes Leid, 
Vereinigt ſtrömen alle Tränen nieder, 

Und Tauſende ſind eines Hauſes Glieder. 


Wir haben nicht um wenige zu klagen, 
In ganzen Schwaden ſind ſie hingemäht, 
Und mancher ſank in reifen Mannestagen, 


133 
Doch diefer Fall des Jünglingspaares fteht 
Ein Sinnbild da, für all den Schmerz errichtet, 
Ein Trauerſpiel, vom ſtrengen Tod gedichtet. 


Ja, dieſer blut'ge Brüdertod verbündet 

Zu einem Hauſe dieſes ganze Land! 

Und noch ein größres Haus iſt ja gegründet: 
Die Nation umſchlingt ein neues Band, 

Und dieſe Brüder, die vereint gefochten, 
Sie haben mitgegründet, mitgefochten. 


So lange man in deutſcher Stämme Mitten 
Dies teure Land, dies Schwabenland noch kennt, 
So lang, im Baum des Lebens eingeſchnitten, 
Die Weltgeſchichte noch ein Deutſchland nennt, 
Wird man auch reden von den jungen Braven, 
Die brüderlich den Heldenſchlummer ſchlafen. 


Und wenn aus dieſem heil'gen Völkerkriege 
Die Kämpferſcharen einſt zurückgekehrt, 

Und wenn ein Künſtler unſre blut'gen Siege 
Mit eines Denkmals hehren Formen ehrt, 
Wenn, wie Athenes herrliches Gebilde, 
Germania ſtrahlet mit gehobnem Schilde, 


Am Steine, drauf das hohe Weib wird ſtehen, 
Heb' er zwei Szenen aus dem Marmorgrund: 
Hier ſei ein blühend Brüderpaar zu ſehen, 


134 

Der eine küßt dem andern Stirn und Mund, 
Der ſterbend liegt; dann ſehe man die beiden, 
Zum Tode wund, im Tode ſelbſt nicht ſcheiden. 


O Elternpaar, du haſt ein Gut verloren, 
Ein köſtliches für dieſe Spanne Zeit, 
Doch was für dieſe Spanne Zeit geboren, 
Es knüpfet nun dich an die Ewigkeit, 
Denn eines ganzen Volkes ew'gem Leben 
Eint euch, was ihr in Tränen hingegeben. 


III. 


Im ſtillen Haus, nachdem ihr ſie begraben, 
Nachdem verſchwunden des Geleites Schar, 
Da werdet ihr gefragt, gezweifelt haben, 

Ob es nicht beſſer, wünſchenswerter war, 

Sie wurden nie zur Freude euch geboren, 

Als nun ſo früh mit einem Schlag verloren! 


Doch eine innre Stimme wird euch ſagen: 
Geduldet ſei des Schickſals ſchweres Joch! 
Die teuren Häupter, die man hingetragen, 
Sie waren unſer, waren unſer doch! 
Wie blickten wir ins Ode und ins Leere, 
Wenn kinderlos vergangenes Leben wäre! 


Sie bleiben unſer. Willig hingegeben 

Der großen Zukunft ernſtem Aufgebot, 

Dem Wohl des Volks, worin wir ſind und leben, 
Geweiht im Tode, ſind ſie uns nicht tot; 

Dem Vaterland zwei Heldenſöhne ſchenken: 

Ja, Troſt iſt's, ſolchen Opfers zu gedenken. 


Nie kann der Schmerz, er wird und ſoll nicht weichen, 
Doch reift er ſtill, wird weich und licht und ſchön, 
Denn ſieh, dort ſchweben ſie, die Brüderleichen, 
Lebend'ge Geiſter auf verklärten Höhn, 

Beweint, geehrt von eines Volkes Herzen, 

Verewigt von ſo reinen, heil'gen Schmerzen. 


Der Hohenſtaufen. 


als ich am 3. Januar 1871 vorüberfuhr. 


Da ſteht er wieder, ernſt und hoch und kahl! 
Ein weißes Tuch umhüllet ſein Gelände, 

Der Winterſonne ſpäter, bleicher Strahl 

Fällt auf die weichgeſchwungnen Bergeswände. 


Vom Weſten kommt dies geiſterhafte Licht, 
Weiß wie der Schnee, auf dem es widerſtrahlet; 
Doch ſchau, wie ſich das Weiß ins Rote bricht! 
Abhang und Gipfel ſcheint in Blut gemalet. 


135 


136 
Ein Himmelszeichen! Heilig Opferblut 
Krönt fernher ſcheinend deinen Scheitel wieder! 
Ein Kaiſermantel wallt in Purpurglut 
Aufs neue dir um deine Heldenglieder. 


O herzdurchſchauernd Bild! Ich glaub' es kaum! 
Mein Auge taut, ja fließet nur, ihr Tränen! 

Ich darf's erleben! Wahrheit wird der Traum 
Der Jünglingsſeele, wird mein frühes Sehnen! 


Nein, du mein deutſches Volk, du träumſt nicht mehr 
Von alter Herrlichkeit in kahler Blöße; 

Wie kleidet er dich traurig ſchön und hehr, 

Der blut'ge Feſtſchmuck deiner neuen Größe! 


An Uhlands Geiſt. 


Ems 1871, als an der Wirtstafel ein Kellner aufwartete, der Sonntags 
zwei Orden trug. 


Wenn heut dein Geiſt herniederſtiege 

In dieſe deine deutſche Welt, 

Wie ſie nach neuem heil'gem Kriege 
Ihr Haus gemauert und beſtellt: 

Hoch auf dem Giebel Preußens Krone, 
Der Bau ein erblich Kaiſertum, — 
Du zögſt in Falten zweifelsohne 

Die Stirn und ſchauteſt kaum dich um; 


137 
Dein Auge ſänk' in feine Höhle, 
Ein Seufzer kündete dein Leid: 
„O, von der Freiheit heil'gem Ole 
Iſt ſolch ein Scheitel nicht geweiht! 
O Tag, ſo biſt du nicht geweſen, 
An den ich lange fromm geglaubt, 
Tag, wo mein Volk ſich würd' erleſen 
In freier Wahl ſein Herrſcherhaupt!“ — 


In Ehrfurcht ſei von uns gebeten, 
Hieher in dieſen heitern Saal 

Zum Tiſch der Lebenden zu treten, 

Du ernſter Gaſt im Erdental! 

Du pflegſt das Volk nicht zu verachten, 
So wolle denn, von uns umringt, 

Den ſchlanken jungen Mann betrachten, 
Der uns den Wein, die Schüſſeln bringt. 


Sieh hin, er trägt ein Kreuz von Eiſen 
An einem ſchwarz und weißen Band; 
Dir iſt, was dieſer Schmuck will heißen, 
Von alten Tagen wohl bekannt. 

Doch kann er's nicht von damals haben, 
Als Erbe ſtreicht man es nicht ein, 

Es muß von dieſem wackern Knaben 
Mit eignem Arm errungen ſein. 


138 


Das zweite, das daneben funkelt 

Von buntem Schmelz und Goldeslicht, 
Das feine Ritterkreuz verdunkelt 

Des ſchlichten Nachbars Ehre nicht: 
Sein Landsherr hat's ihm angeheftet, 
Des Männerwertes wohl bewußt. 
Gib zu: hier iſt dein Wort entkräftet 
Vom trüben Stern auf kalter Bruſt. 


Wenn er, gefällig anzuſchauen, 

Mit grünen Bohnen uns bedenkt: 
Jüngſt hat er mit gegoßnen blauen 
Aus heißem Rohr den Feind beſchenkt. 
Mit leichtem Griff befreit er eben 
Das Rebenblut aus ſeiner Haft: 

So ſachte nicht im Kampf ums Leben 
Entkorkte er den roten Saft. 


Da diente er bei andrem Schmauſe 
Dem fürchterlichen Schlachtengott 

Im mörderifchen Kugelhauſe 

Bei Mars⸗la⸗Tour und Gravelotte. 
Mit ſeinem Volk in Wehr und Waffen 
Hat er im blutgeſtriemten Feld 
Redlich am Reiche mitgeſchaffen, 
Zugleich ein Kellner und ein Held. — 


139 
Es taut auf deinem Angeſichte; 
Dem Geiſt von höherem Geſchlecht, 
Dem Genius der Weltgeſchichte 
Beugt ſich dein Trotz aufs alte Recht. 
Noch iſt nicht alles rund beiſammen, 
Auch uns gefällt's nicht allerwärts, 
Doch ſeh' ich dir das Auge flammen 
Und klopfen hör' ich dir das Herz. 


Auf und für Perſonen: 


Zur Mörike-Feier in Stuttgart 


am 4. Mai 1876 geſprochen bei Bekränzung der Büſte des Dichters. 


Wir wiſſen's wohl: du würdeſt dich erwehren; 
Du liebteſt nicht die öffentlichen Ehren, 

Nicht vorzuglänzen war dein keuſcher Wille, 
Und deine ſüße Freundin war die Stille. 

Wir aber hier in dunkeln Körperſchranken, — 
Verzeih, o ſel'ger Geiſt, — um dir zu danken, 
So ſtille, wie du möchteſt, nein! 

So ſtille können wir nicht ſein. 


Doch fürchte nichts! Wir ſind nicht allzu laut, 
Wir bitten nur ganz ſachte, ganz vertraut: 


140 
Auf deiner Stirne ſanfte Geiſterhügel, 
Umweht von fremder Lüfte weichem Flügel, 
Nimm, von Apollos dunklem Blatt belaubt, 
Den ſchlichten Kranz — du trägſt ihn leicht, 
Den Kranz, dem doch kein andrer gleicht, — 
Es grünt dein Ruhm und wächſt dir übers Haupt. 


J. Paul Fr. Richter. 


O du, dem unter Narrheit, unter Witzen 
Der Sehnſucht Zähren an der Wimper blitzen, 
In Scherz und Schmerzen ſchwärmender Bacchant! 


Der Kunſtform unbarmherziger Vernichter! 
Du Feuerwerker, der romaniſche Lichter, 
Raketen aufwirft, Waſſer, Kot und Sand! 


O du, dem hart am überſchwellten Buſen 
Ein Spötter wohnt, ein Plagegeiſt der Muſen, 
Der Todfeind des Erhabnen, der Verſtand! 


Grabdichter, Jenſeitsmenſch, Schwindſuchtbeſinger! 
Herz voll von Liebe, ſel'ger Freude Bringer 
Im armen Hüttchen an des Lebens Strand! 


141 
Du Kind, du Greis, du Kauz, Hanswurſt und Engel! 
Durchſicht'ger Seraph, breiter Erdenbengel, 

Im Himmel Bürger und im Bayerland! 


Komm, laß an deine reiche Bruſt mich ſinken, 
Komm, laß uns weinen, laß uns lachen, trinken, 
In Bier und Tränen mächtiger Kneipant! 


Joſ. K. g. L. ins Stammbuch. 


Die gute Frau, wem iſt ſie zu vergleichen? 
Dem Stückchen Zucker, das ins Waſſer fällt 
Und keine Kraft der Kraft entgegenſtellt, 

Die ringsum eindringt, ganz es zu erweichen. 


Es ſchmilzt, wird nichts. O unerquicklich Zeichen 
Der Schwäche, die nicht Wehr und Waffen hält! 
Gibt es ein ärmer Weſen auf der Welt? 

Und dem willſt du ein Frauenherz vergleichen? 


Geh hin, vom Glas zu koſten und zu trinken! 
Dann ſage, wer den andern hat bezwungen, 
Wer unterlag im Kriege ohne Krieg! 


Ein Wirken war das willige Verſinken, 
Ganz iſt der Trank von Süßigkeit durchdrungen, 
Das ganze Opfer war ein ganzer Sieg. 


142 


An Fr. T. 
Mit des Auges hellem Strahle 
Schickſt du Gaben friſch und blank, 
Sendeſt mir in edler Schale 
Unverdienten Blumendank. 


Nicht ſo arm ſind doch wir Alten! 
Nach des Lebens hartem Strauß 
Fällt uns durch der Anmut Walten 
Noch ein Röslein in das Haus. 


Das erquickt! — Ach, unſre Würde 
Iſt zur Hälfte Lug und Trug, 
Und ſie trägt ſich ſchwer, die Bürde: 
Alt und noch nicht alt genug. 


Einem Studenten ins Stammbuch. 


Fürbaß 

Ohn' Unterlaß! 

Nicht im blut'gen Feld allein 

Kann man Marſchall Vorwärts ſein. 


Blanka E. ins Stammbuch. 
Sei geſund, nicht öfter krank, 
Als die Sterblichkeit es bringt, 
Nie erfahre Trug und Rank, 


143 
Der mit Schlangenring umſchlingt. 
Zwiſt und Zwietracht, zäher Zank 
Bleib' auf weite Meilen fern. 
Ernte Dank und zolle Dank, 
Diene gern, nimm Gabe gern. 
Freue dich an Spiel und Schwank, 
Fröhlich ſei zur guten Stund', 
Aber ernſt und ohne Wank 
Ankre in des Lebens Grund. 
Sag die Wahrheit frei und frank, 
Hell, mit mildem Blick und Mund. 
Lerne gern, die Schülerbank 
Ziemt uns, nimmer lernt man aus; 
Der Gedanke, rein und ſchlank, 
Hebt den Geiſt aus Qualm und Graus. 
Halte deine Seele blank. 


Optispeſſimiſtiſch. 
(An J. K.) 

Die Welt iſt, weil nicht nichts kann ſein, 
Und ſie iſt nur aus dieſem Grund, 
So kann es ohne Lumperein 
Nicht abgehn, ohne Wuſt und Schund. 
Er reichte nicht, der ſchwache Werdetrieb, 
Zum vollen Werden aus dem Nichts heraus, 


144 

So daß halbwegs der Aufbau ſtecken blieb 

Und lottrig ausfiel das entworfne Haus. 

Dies Etwas, Welt, iſt wenig mehr als nichts, 

Doch mit dem Nichts, da iſt es erſt recht nichts. 

Ins Nichts gelangen hält man für Genuß, 

Allein wenn einer ſterben muß, 

So iſt, wenn es geſchehen, ja, 

Dies zu genießen niemand da. 

Statt des Gebrumms vom Weltenkrach 

Werd etwas, etwas Rechtes, mach! 

Dann fügeſt als ein Mehrer du 

Dem Etwas Welt dein Etwas zu, 

Haſt keine Zeit, zu klagen, 

Vergißt in deinen Tagen 

Die Zeit, den ſchwarzen Alp, das Nachtgeſpenſt des Nichts, 
Das in dem Etwas ſitzt als ruß'ger Docht des Lichts. 


An J. K. 


Zur Blume, die des Duftes feinſte Geiſter 

Im Kelche ſammelt, ſpendend ſie entläßt, 

Zum Kranze, der, ein Schmuck für größre Meiſter, 
Den Strebenden begrüßt am Greiſesfeſt, 

Läßt du in Dichterworten mich erſehn, 

In welche Tiefen deine Blicke gehn. 


145 
Die blinden Seelen, die gedankenſchiefen, 
Was wiſſen ſie von Ewigkeit und Zeit! 
Den Zeitmoment zur Ewigkeit vertiefen: 
Das iſt's, da liegt Unſterblichkeit. 
Dazu ward Leben! Das bringt Rat und Licht, 
Bringt Reim ins ungereimte Weltgedicht. 


Ein fernes Grab. 
(An C. A. ©. J.) 


In fremder Erde ward es dir, zu ruhn, 

Im Eiland, das die Volkskraft muß bewachen, 
Mit dämmebauend nimmer müdem Tun 
Beſchützen vor des Meeres offnem Rachen. 


Kein ſchlechtes Bett! Ein ehrenwerter Grund, 
Um den ſo mannhaft ſtetig wird gerungen, 

Daß er als Raub in dieſen finſtern Schlund 
Vom Wogenſchwall nicht wird hinabgeſchlungen! 


Die Augen drückte Kindeshand dir zu, 
Wortkarges Volk, arbeitſam, ernſt, gediegen, 
Empfieng dich gaſtlich, ſenkte dich zur Ruh’ — 
Doch weiß ich, wo du lieber möchteſt liegen: 
Viſcher, Loriſche Gänge. 10 


146 


Im ftillen Dörfchen, fern am Neckarſtrand, 
Dort wo die Berge, die geſtreckten, blauen, 
Durch weiche Luft ins ſegensreiche Land 
Auf ſangreich heitres Volk herüberſchauen. 


Im Dörfchen an der Rebenhügel Saum, 
Im Obſtbaumſchatten traulich angelehnt, 
Wohin du dich im Wachen und im Traum, 
Vom Los verbannt, dein Leben lang geſehnt. 


Sſcherz und trockener Ernſt— 
Altersanfang. 
Fliegen-Orakel. 


Nach meinem Mittagsmahle 
Bei heißem Sonnenſtrahle 
Saß ich in guter Ruh'. 
Halb las ich in der Zeitung, 
Halb fiel das Aug' mir zu. 


Da kommt hereingeflogen, 

Da ſchweift in trägem Bogen 
Eine Mucke, dick und ſchwer, 
Mit Sumſeln und mit Brumſeln 
Um meinen Lehnſtuhl her. 


147 
Bald hör' ich fie an den Scheiben 
Mit dem Kopfe trommeln und reiben, 
Bald fliegt ſie her zu mir, 
Neckt mich mit Surren und Kitzeln, 
Das dumpfe, träge Tier, 


Tut auf den Schädel mir ſitzen, 

Der von dem Sorgen und Schwitzen 
Tagtäglich kahler wird, 

Dann kriecht fie mir auf der Naſe, 
Dann wird das Ohr umſchwirrt. 


Da fühlt' ich's in mir tagen: 
Sie wollte mir etwas ſagen 
Als ein Orakulum, 

Es wollte mir Wahrheit künden 
Ihr ſchläfriges Gebrumm. 


Und was ſie da geſumſelt 


Und was ſie da gebrumſelt, 
Verſtand ich alſobald. 


Böhlen: OD... 2%. AN. x 
din wirst gie! 
Weisheitszahn. 


Der ſogenannte Weisheitszahn, 
Zwar als der letzte kommt er an, 
19* 


148 


Doch immer früh genug. 

Der Name ſcheint mir Trug. 

Der Weisheit kleine Portion, 

Wozu es bringt der Erdenſohn, 

Sie wird mit Schmerzen erſt geboren, 
Wenn wir ſchon manchen Zahn verloren. 


Imbiß. 
Geſtern Abend, als mir ſo ungewohnt 
Mein täglicher Imbiß ſchmeckte, 
Geſchah es, daß dieſer Umſtand mir 
Ein eigen Gefühl erweckte. 


Ich gedachte des mächtigen Appetits, 
Den ich in der Jugend beſeſſen, 

Und freute mich, daß der Greis auch noch 
So kräftig vermöge zu eſſen. 


Tränen der Rührung fühlt' ich ſogar 
Aus dem Auge ſchleichen und wallen, 
Da mußt' ich bemerken, daß eine davon 
In den Löffel hineingefallen. 


Das verſchlug mir wieder den Appetit, 
Den Löffel riß ich vom Munde 
Und ſchleudert' ihn fort ins Stubeneck, 
Die Brühe gab ich dem Hunde. 


149 
Doch lachend zog ich dann die Moral: 

Ein andermal rühr' es dich minder! 

Ein Greis, der werde nicht ſentimental 

Und eſſe friſchweg wie die Kinder! 


Den ſeligen Gellert glaubt' ich zu ſehn 
Und ſagen zu hören: Ei, Töffel! 
Siehſt du, da iſt dir recht geſchehn, 
Drum heule nicht in den Löffel! 


Schlittenfahrt. 


Manchmal an einer Schlittenfahrt 

Erkenn' ich recht die Menſchenart. 

Mit roten Ohren und blauen Naſen, 
Schnatternd, vom Winde zerwühlt, zerblaſen, 
In Pelze vermummt bis übers Kinn, 

Mit verbürgter Ausſicht auf Winterbeulen: 
So hocken ſie in der Schachtel drin; 

Sie möchten eigentlich lieber heulen; 

Doch weil die Pferde ſpringen 

Und weil die Schellen klingen, 

So meinen ſie auf der glatten Bahn — 
Wie ſehr den ſonderbaren Wahn 

Ihr Hirn auch rügt —: 

Sie ſeien vergnügt. 


150 
Und den einfachen Mann daneben, 
Der gern ſeinem Hirn Gehör mag geben, 
Der gerne ſtill und ſtet 
Seiner Wege geht, 
Ihn drängt in den Wall von Schnee hinaus 
Der unvernünftige Saus und Braus. — 
— Bleib ruhig, Alter, zürne nicht drauf, 
In deiner Klarheit ſollſt du beharren; 
Das iſt halt die Welt, das iſt ihr Lauf, 
Die breite Straße gehört den Narren. 


Weg ſchmolz der Schnee, 

Feſt bleibt die Idee: 

Gerutſcht muß ſein! 

Noch wäſſert das Kindermaul 

Nach dem ſüß⸗bittern Schleck, 

Schon ſpannt man ein 

Und den Schlitten ſchleppt der geſchundne Gaul 
Durch den Dreck. 


Wären's nur Junge, wär' nichts zu ſpotten, 
Möchten nur immer hotten und trotten; 
Jugend darf närriſch ſein, 

Trunken vom Schein. 

Aber der alte Hans, 

Aber die alte Gans, 


Wie mögen die noch drin hocken, 
Noch ſpielen mit Tocken? 

Wie ſteht's zu den welkenden Zügen, 
Sich noch gar ſo dumm zu belügen? 


Alte Jungfer. 


Wie dauert mich ein Mägdelein, 
Das einſam ſitzen bleibt, 

An das ein Werbebriefelein 
Kein Herzfreund ſchreibt! 

Du Arme! 


Hätt' auch ſo gern ein Kindelein 

An ihrer Bruſt ernährt! 

„Wann ſtellt der brave Mann ſich ein, 
Der mir's beſchert?“ 

Du Arme! 


Sie ſitzt in ihrem Kämmerlein 
Und wartet Jahr um Jahr, 
Schon finden ſich die Falten ein 
Und graues Haar. 

Du Arme! 


151 


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0 


Die Schweſter hat ſchon Kinderlein, 
Als Tante hilft ſie aus, 

Wie beſſer wär' es, Mutter ſein 
Im eignen Haus! 

Du Arme! 


Tut manche groß und iſt zu klein 
Zum ſchweren Übergang, 

Sie ſchmeckt danach wie ſaurer Wein 
Ihr Leben lang, 

Die Arme. 


Ein wackres Herze muß es ſein, 
Das dieſes Weh verſchmerzt 
Und gern im Abendſonnenſchein 
Auch wieder ſcherzt. 

Du Gute! 


Komm, heitres altes Jüngferlein, 
Und gönne mir zum Schluß 

Für dieſe ſanften Verſelein 

Noch einen Kuß 

Und lache! 


Greiſenglück. 
Wie man das Alter auch mag verklagen, 
Wie viel Übles auch von ihm ſagen, 
Die Ehre muß man ihm dennoch geben, 


153 


Daß es uns gönnt, noch das zu erleben, 

Wie es tut, ſich fühlt und ſchmeckt, 

Wenn ſie, die uns ſo toll geſchreckt, 
Verbellt, gejagt, durch die Wälder gehetzt, 
Wenn ſie nun endlich zu guter Letzt 

Abläßt von ihrer keuchenden Beute, 

Die Jägerin mit der grimmigen Meute, 
Die wilde Jägerin Leidenſchaft. 

Es ſchmeckt wie ein kühlender Labeſaft, 

Es ſchmeckt wie ein Schläfchen nach Tiſche gut, 
Wo man ſo ſanft einnicken tut. 

Alſo, ihr Leidenſchaften, ade! 

Euer Abſchied tut mir nicht weh! 

Doch eine will ich behalten, eine: 

Den Zorn auf das Schlechte, das Gemeine. 


Und doch. 


Zu melden iſt von ſchrecklichem Geſichte, 


Das mich zumeiſt nach Freudenfeſten plagt. 
Es träumt mir dann vom füngſten der Gerichte, 


Da zucken Blitze, daß es grauſig tagt, 


Nach meines Lebens wechſelnder Geſchichte 
Wird unbarmherzig im Verhör gefragt; 

Ich wälze mich auf meinem Schlummerkiſſen, 
Und jede Sünde fällt mir aufs Gewiſſen. 


So zum Exempel, wie beim flotten Mahle 
Des Schaumweins Naß, der allzureichlich floß, 
Ich aus dem jäh gehobenen Pokale 

Auf einer Dame feines Kleid vergoß, 
Benebelt auch von ihrer Augen Strahle 

Noch etlich Böcke — keine kleinen — ſchoß, 
Dann gegen Spott mich jugendlich erhitzte 
Und Sinn und Unſinn durcheinander blitzte. 


Die Nacht darauf mit Zittern und mit Beben 
Stand ich im Traume vor des Richters Thron. 
Ach, rief ich, Herr! Bedenke, daß fürs Leben 
Du mir fo etwas — o, du weißt es ſchon! — 
So eine Doſis Wahnſinn mitgegeben; 

Laß Gnade walten! Nach Proportion — 

Du kannſt's in meines Lebens Akten leſen — 
Bin ich noch ziemlich ordentlich geweſen. 


Da ſteh' ich. Weh! Er runzelt ſeine Brauen, 
Offnet den Mund zu tödlichem Gericht, 

Mir ſchwanet von der tiefſten Hölle Grauen — 
Doch ſeht! Er ſinnt — er fällt den Spruch noch nicht; 
Ja ſchon beginnt er freundlicher zu ſchauen — 
Wohl mir: er nickt, er lächelt und er ſpricht: 
Nun, alter Eſel! Da, zur Rechten wandre! 
Man rechnet dir ſo eines in das andre. 


Großvater. 


Schöpfer eines Menſchen ſein 

Iſt nicht klein, 

Iſt faſt wie ein König, 

Aber Schöpfers Schöpfer ſein 

Iſt doch auch nicht wenig. 

Hold grüßt den Müden, aber Ungebeugten 
Als Zeuge der Gezeugte des Gezeugten. 


Ein- und Ausfälle. 
Nur Traum. 
Wie hoch die Welt ſich bäumet, 
Wie laut auf breiter Spur 
Das Leben ſchäumet, 
Uns alle träumet 
Der Weltgeiſt nur. 


Schein und Sein. 
Was heißt denn Schein? 
Was heißt denn Sein? 
Das Rätſel, dacht' ich, iſt nicht klein. 
Da fiel mir eine Probe ein: 


155 


156 


Das, was der Menge ſcheint nur Schein, 
Iſt Sein, 

Und was ihr ſcheint das wahre Sein, 
Iſt Schein. — 


Zum Schein 

Sag nein! 

Zum Sein 

Schlag ein, 

So kannſt du glücklich ſein. 
Freundlicher Sterne Schein 
Obendrein 

Wird dir zu wünſchen ſein. 


Natur. 
Natur, du ſeltſam Ding! 
Am einen Ende gemein, 
Am anderen ſeeliſch fein 
Und doch geſchloß'ner Ring. 


Nachts und Morgens. 
Nachts. 
Armer Laternenſchein! 
Suchſt in den Nebel hinein, 
Möchteſt und kannſt doch nicht, 


Dumpf, dicht, 

Breit, ſchwer 

Liegt er umher. — 

So trübe bricht 

Am alten Rätſel ſich das Geiſteslicht. 


Morgens. 


Sonne, wie ſcheinſt du rein 

Heut in die Welt herein! 

Jegliches, was da lebt, 

Wie es ſo klar ſich hebt 

Und doch im Ganzen webt! 

Und hinter all dem vollen Schein, 

Was mag da wohl verborgen ſein? 
„Freu dich an dem, was vorne iſt! 

Noch immer ſuchen, Grübler, der du biſt?“ 


Gedicht und Sinn. 


Du hoffſt von der Dichtung Luſt und Behagen 
Und pflegſt nach dem Sinn erſt lange zu fragen? 
Laß dem innern Auge das Bild ſich zeigen, 

So wird auch der Sinn von ſelber dir eigen; 
Erſpar dir, Guter, die Mühe; der Sinn, 

Er iſt nicht dahinter, er iſt darin. 


158 
Ein Kunſtfreund, dem ein Gemälde man braͤchte: 
Wie wär's, wenn er ſo an den Sinn nur dächte, 
Daß er's nähme, die Rückwand vorwärts drehte 
Und auf dem Brett, auf der Pappe ſpähte, 
Ob nirgends darauf eine Gloſſe ſteh', 
Woraus er des Bildes Sinn erſeh'? 


Fragſt du nach der Dinge Begriff und Weſen, 
Greife nach Büchern, leg dich aufs Leſen, 
Und haſt du geleſen, ſo magſt du fragen: 
Wie hab' ich den Geiſtgewinn anzufchlagen ? 
Kannſt du nicht ſchauen, ſo iſt die Kunſt, 
Geſteh es nur immer, dir eitel Dunſt. 


Form. 


Von leerer Form weiß nichts Apoll, 
Das Schöne iſt himmliſchen Geiſtes voll. 


— 


Wie reizend malſt und dichteſt du, mein Lieber! 
Wie ſchön wär's, ſpürte man nur nicht, 

Daß es an einem dir gebricht, 

An einem Etwas, nennen wir's Kaliber. 


Konfeſſion. 
I. 
Wohl mir, daß ich, im altproteftantifchen Lande geboren, 
Stärkende Ketzerluft durfte ſchon atmen als Kind! 
Freilich es iſt geſorgt, daß nicht in den Himmel die Bäume 
Wachſen; des Heidentums wahrte noch Luther genug; 
Augurn fehlen uns nicht; wenn dumm der Staat ſie be— 
günſtigt, 
Schießt das Tyrannengelüſt luſtig und üppig ins Kraut, 
Ja in Synedriumsgeiſt amtieren Söhne von Denkern, 
Daß ſich der Vater im Grab wendete, könnt' er es ſehn. 
Wahr iſt auch, ein trockner Geruch, ein ſaurer, verhockter, 
Altgebackner umhaucht unſerer Kirche Geſtühl. 
Aber ſtetig und ſtark durch Türen und Fenſter und Ritzen 
Streicht doch ein friſcher Zug lebender Lüfte herein, 
Und es erfreut mich doch, ſo gründlich verachtet zu ſehen 
Fetiſch⸗ und Heiligendienſt, Dalai Lama in Rom, 
Und ich vernehme ihn gern, den altſprichwörtlichen 
Ausruf — 
Schad wär's, käme er ab, hoffentlich bleibt er im Brauch, 
Ofters hört man ihn noch, wenn einer ſo recht deſperat iſt 
Und die verrückteſte Tat wütend für möglich erklärt —: 
„Wetter! Da möchte man ja vor Zorn katholiſch noch 
werden!“ 
Ruft er und ſchlägt auf den Tiſch, hat ſich entlaſtet und 
lacht. 


160 
Il. 


Grund zur Toleranz. 


War da ein freundlicher Herr, auch ließ ſich viel mit ihm 
reden, 

Staat und Religion nahmen wir vor im Geſpräch. 

Ganz frei war er im Geiſt, und gleich war's, ob an dem 
einen 

Oder am andern Altar er einſt die Taufe empfieng; 

Keinerlei Neugier ſpürt' ich, doch alſo lenkt' er die Rede, 

Daß er mich merklich zwang, endlich zu fragen danach. 

Sind Sie katholiſch? fragt' ich ihn denn, er lächelte, nickte, 

Ja, mit Verlaub, mein Herr, ſagt' er, ſo bin ich getauft; 

Aber wiſſen S', da war ich halt noch ein winziges Kindlein, 

Armer gewickelter Wurm, konnte mich wehren noch nicht. 


III. 
Grund zur Intoleranz. 


Biſt du geärgert, Leſer? Ich will's nicht hoffen, ich zählte 
Gar ſo von Herzen gern zu den Vernünftigen dich, 

O, zu dem lichten Kreis der denkenden Geiſtergemeinde, 
Wie ſie im Klaren wohnt über dem Dunſte der Welt. 
Glieder von allerlei Volk umfaßt die vertraute Geſellſchaft, 
Und nach dem Taufbuch wird keiner von keinem gefragt; 
Kirchen gibt es da nicht, da gibt's nicht Religionen, 
Aber in heiligem Ernſt waltet die Religion. 


161 
Doch jo janft ſind fie nicht, die einverſtandenen Geiſter, 
Als ſie im weichen Gemüt ſich der Empfindſame denkt; 
Freilich, ſie ſind tolerant, doch je toleranter, um deſto 
Mehr auch intolerant gegen die Intoleranz; 
Herzlichen Mitleids Zoll dem Volke der armen Betörten, 
Aber gründlichen Haß gegen die Pfleger des Wahns! 
Denn ſie haſſet den Wahn, die Vernunft, ſie muß ihn ja 
haſſen, 
Muß ihn bekriegen wie Phöbus Apollo die Nacht. 
Kennſt du in Leſſing nur den milden Dichter des Nathan, 
Bloß zur Hälfte fürwahr kennſt du den herrlichen Mann. 
Lies du den „Antigöze“ und ſieh ihn wettern und blitzen 
Gegen des Pfaffentums päpſtiſches Ketzergericht. 
Kennſt du den heiligen Zorn auf Schillers leuchtender 
Stirne? 
Siehſt du in ſeiner Fauſt blinken das ſchneidige Schwert? 
Kennſt du das Gorgohaupt, von deſſen Betrachtung er 
herkommt, 
Unſerer Leidenszeit blutiges, graſſes Geſpenſt? 
Dreißig Jahre des Kriegs mit jenen finſteren Mächten, 
Der das geſegnete Land endlich zur Wüſte verkehrt! 
Glaubſt du, er ſenkte ſein Schwert und bärg' es zahm in 
die Scheide, 
Schwebte er heute zu uns nieder ins irdiſche Tal, 
Säh' er am Amboß ſtehn die ſchwarzen Geſellen und eifrig 
Nägel, ſpitzig und lang, ſchmieden zum Sarge des Reichs? 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 11 


162 

Unſeres deutſchen Reichs, mit teurem Blute gekittet, 

Daß wir als Nation endlich mit Ehren beſtehn, 

Ja mit Strömen des Bluts, wie einſt es die Ahnen vergoſſen 

Für des Gewiſſens Recht gegen die Ketten des Wahns — 

Glaubſt du, er ſenkte ſein Schwert? Er zückt' es blitzend 
und ſchlüge 

Hauend mit Geiſtermacht unter die Rotten des Feinds. 

O, ſie ruhen ja nicht, ſie ſorgen dafür, daß die grauſe 

Blut'ge Erinnerung nicht ſchlafe im Sarge der Zeit! 

Könnten ſie nur, ſie würden den Holzſtoß ſchichten noch heute 

Und die Opfer mit Luſt ſehen zu Aſche verglühn. 


Die Beichte. 


Die Beichte 

Iſt eine leichte 

Und ſeichte 

Manier, ſich der Schuld zu entladen. 
Man packt zuſammen den Schaden 
Und wirft das Paket zum Spedieren, 
Zum Forteskamotieren 

Hinüber dem ehrwürdigen Sündenbittel, 
Dem Herrn im langen ſchwarzen Kittel, 
Der ſo willfährig tritt ins Mittel. 

Aber man muß ſeine Sachen 

Mit dem lieben Gott ſelbſt abmachen, 


163 
Denn es iſt doch klar: 
Er hat keinen Vikar. 
Und übrigens iſt's eine Lügenſchule, 
Dieweil man dem Herren, der ſitzt im Stuhle, 
Wie wißbegierig er horcht und fragt, 
Doch nimmer die ganze Wahrheit ſagt; 
Da kann es denn ſchließlich auch nicht fehlen: 
Man lernt vor ſich ſelber lügen und hehlen, 
Man macht's dem Gewiſſen, das gar ſo bitter, 
Juſt wie dem Pfaffen hinter dem Gitter; 
Ein Beichtkind ließe ſich eher verbrennen, 
Als es lernt, ſich ſelber prüfen und kennen. 


Tragiſche Geſchichte von einer Zigarrenſchachtel. 


Mit Anhängen. 


Am Hafen von Hamburg ſtand ich einmal, 
Beſah mir der Schiffe gedrängte Zahl; 
Koloſſe ragten im Wald hervor, 

Staunend ſah ich daran empor, 

Beſonders erſchien ich mir faſt wie ein Zwerg 
Genüber einem hölzernen Berg, 

Neben dem die andern, die auch nicht klein, 
Einſchrumpften zu ärmlichen Hügelein. 

Es war im gewaltigen Bau kein Regen, 

Doch ſah ich im Geiſt ihn ſchon ſich bewegen, 


11* 


164 


Auftat ſich vor mir die große Bahn, 

Der unermeßliche Ozean, 

Darauf er gefaßt ſtand ohne Zagen, 

Der ſtolze Schwimmer, die Fahrt zu wagen. 
Ich ſah ihn ſchweben durch blaue Luft 
Geruhig über der ſchwarzen Gruft, 

Ich ſah ihn ringen mit Sturmes Wut, 

Mit der grimmigen, ſchäumenden Wogenflut, 
Und ich ſah hervor aus der ſchrecklichen Schlacht 
Als Sieger ihn gehen in ſeiner Pracht. 

Wie ich nun ſo ſtand in Gedanken 

Und mein Aug' an den ſtolzen Flanken, 
Den Maſten hinaufſtieg und langſam wieder 
Über die hohen, breiten Glieder 

Herunterlief und das Waſſer ſtreifte, 

Das den ruhenden Kiel umſchweifte, 

Da kam ſpielend auf grünlicher Welle, 
Spazierenrutſchend mit mäßiger Schnelle, 
Sichtbarlich ſpottend jeglicher Schwere, 

Eine baufällige, brüchige, leere 
Zigarrenſchachtel herangetänzelt, 

Leichtfertig zierlich herangeſchwänzelt. 

Sie rudert grad, ſie rudert krumm, 

Dreht wirbelnd ſich im Kreis herum, 

Treibt wieder vorwärts; mit Verdruß 
Sieht ſie den Rieſen, ein Entſchluß 


165 
Zuckt in ihr auf, der windige Wurm 
Schickt ſich zum Angriff auf den Turm, 
Läuft an und pufft: „Klipp, klapp, klapp, klipp, 
Da haft du eins am Mammutsripp!“ 
— Wupp dich! — „Au! Hart! 
Aber wart nur, wart! 
Nur zu neuem Anlauf hüpf' ich zurück, 
Verſuche noch einmal kühn mein Glück!“ 
Noch einmal wagt es der freche Tropf, 
Rennt an mit dem Schädel, dem leeren Kopf: 
Wupp dich! O weh! 
Ade! 
Zerſchellt 
Iſt der flotte Held, 
Unbrauchbar ſelbſt für Trödelkram und Schacher 
Schwimmen die Splitter ringsumher. — 
Da fiel nun ſo von ungefähr 
Mir Goethe ein und ſeine Widerſacher. 


Anhang 1. Unterſchied. 
„Und du ſelber, 
Vor Mißgunſt Gelber? 
Haſt's ja nicht beſſer getrieben, 
Haſt an ihm dich gerieben, 
An dem Herrlichen, Großen 
Den Kopf dir zerſtoßen.“ 


— Du Dämifcher 

Und doch Hämiſcher, 

Der mit trübem Kopfe 
Mengt in einem Topfe 
Des Neides häßliche Triebe 
Und die erzürnte Liebe! 


Anhang 2. Götzendienſt. 
Kritik iſt keine Sichel, 
Zu mähen kurz und klein, 
Aber Verehrungsmichel 
Kann man doch auch nicht ſein. 
Michel und ſeine Vetter, 
Sie brauchen Götter. 
Sei groß nach Möglichkeit 
In deinen Schranken, 
Sie werden nicht danken, 
Verlangen ein Götterkleid, 
Wollen betend verehren 
Und ſtets vermehren, 
Daß ſie nirgends und nie 
Sich könne leeren, 
Die Mythologie. 


Es iſt recht ſo 
Und iſt auch ſchlecht ſo. 


167 
Alle Phantasmen 
Dienen der Kunſt 
Und ſind auch Miasmen, 
Giftführender Dunſt, 
Veredeln, beſſern, erhöhn 
Und gleichen dem lauen Föhn, 
Der ſo ſüß und ſo ſchmeichelnd lacht 
Und dafür mit Gewitterſchlägen, 
Mit peitſchendem Sturm und ſtürzendem Regen 
Die unbarmherzige Rechnung macht, 
Als folgte auf Harfengetön 
Wutgeheul wild und gräßlich; 
Ja, da iſt häßlich ſchön, 
Und ſchön iſt häßlich. — 
Verliebte verehren, 
Verklären 
Mit Recht und Fug, 
Wo herzlich Achten wäre genug; 
Daß die andern es auch ſo halten, 
Tote erheben zu Göttergeſtalten, 
Das führt uns Genien in das Leben, 
Mit denen wir hoch und höher ſchweben, 
Das erzeugt uns Drachen 
Mit fletſchendem Rachen. 
Mit ſeinen freundlichen Menſchenzügen 
Will ihnen Jeſus nicht genügen, 


168 


Ein Gottesſohn muß er jein: 

Und in hölliſchem Flammenſchein 
Müſſen, weil ſie's nicht glauben können, 
Tauſende, aber Tauſende brennen, 
Unter der Folter in Henkershänden 

Vor Schmerzen brüllend ihr Leben enden, 
Denn der limbus 

Infantium 

Braucht Nimbus 

Und Göttertum. 


Anhang 3. Ohne. 


Wir haben keinen 

Lieben Vater im Himmel. 

Sei mit dir im reinen! 

Man muß aushalten im Weltgetümmel 
Auch ohne das. 

Was ich alles las 

Bei gläubigen Philoſophen, 

Lockt keinen Hund vom Ofen. 

Wär' einer droben in Wolkenhöhn 
Und würde das Schauſpiel mitanſehn, 
Wie mitleidslos, wie teufliſch wild 
Tier gegen Tier und Menſchenbild, 
Menſch gegen Tier und Menſchenbild 
Wütet mit Zahn, mit Gift und Stahl, 


169 
Mit ausgeſonnener Folterqual, 
Sein Vaterherz würd' es nicht ertragen, 
Mit Donnerkeilen würd' er dreinſchlagen, 
Mit tauſend heiligen Donnerwettern 
Würd' er die Henkerknechte zerſchmettern. 


Meint ihr, er werde in anderen Welten 
Hintennach Bös und Gut vergelten, 

Ein grauſam hingemordetes Leben 

Zur Vergütung in ſeinen Himmel heben? 

O, wenn ſie erwachten in anderen Fluren, 
Die zu Tod gemarterten Kreaturen: 

„Ich danke!“ würden ſie ſagen, 

„Möcht' es nicht noch einmal wagen. 

Es iſt überſtanden. Es iſt geſchehen. 

Schließ mir die Augen, mag nichts mehr ſehen. 
Leben iſt Leben. Wo irgend Leben, 

Wird es auch eine Natur wieder geben, 

Und in der Natur iſt kein Erbarmen, 

Da werden auch wieder Menſchen ſein, 

Die könnten wie dazumal mich umarmen — 
O, leg ins Grab mich wieder hinein!“ 


Wer aber lebt, muß es klar ſich ſagen: 
Durch dies Leben ſich durchzuſchlagen, 
Das will ein Stück Roheit. 

Wohl dir, wenn du das haſt erfahren 


Und kannſt dir dennoch retten und wahren 
Der Seele Hoheit. 

In Seelen, die das Leben aushalten 

Und Mitleid üben und menſchlich walten, 
Mit vereinten Waffen 

Wirken und ſchaffen 

Trotz Hohn und Spott, 

Da iſt Gott. 


— 


Sprache. 
1; 

Wohl mir, daß ich im Land aufwuchs, wo die Sprache der 

Deutſchen 
Noch mit lebendigem Leib im Dialekte ſich regt, 
Milch der Mutter noch trinkt, noch quellendes Waſſer am 

Borne, 
Vom Schulmeiſter noch nicht rektifiziertes Getränk! 
Immer wenn einer ſpricht, der nie gelebt in der Mundart, 
Hör' ich im Oberton einen didaktiſchen Klang. 


11, 
Freue des Lobs dich nicht, mein biederer ſchwäbiſcher Vetter, 
Der du verwachſen blind im Dialekte noch ſteckſt, 
Der du kokett naiv vor fremden Ohren ihn bloßſtellſt: 
Dazu, gemütlicher Freund, iſt er zu ſchlecht und zu — gut. 
Nicht verſteht es die Welt, welch ungehobene Schätze 


171 

Köftlichen echten Golds er noch im Schoße bewahrt. 

Draußen weiß man es nur, daß er nicht korrekt und 
modern iſt, 

Und der Ironiker lacht über das lallende Kind. 

Daß ein Schnitzer ihm ſcheint, was organiſch gut und 
naturvoll, 

Reicher und ſaftiger iſt, wundre und ärgre dich nicht! 

Unrecht hat er, es ſei! Doch recht auch hat er im Unrecht; 

Sieht er auch farblos hell, ſieht er doch heller als du. 

Soll vom Beſondern heraus das Allgemeine ſich bilden, 

Schwindet auch immer ein Teil Friſche und Fülle dahin. 

Kennſt du es ganz, das Gut, wenn in einer Sprache ſich 
finden, 

Sich empfinden, verſtehn ſämtliche Stämme des Volks? 

Kennſt du des Gutes Wert? Er iſt unendlich. Die Mundart, 

Traulichem Lampenſchein gleicht ſie im wohnlichen Haus, 

Aber die Sprache, ſie gleicht der Königlichen, der Sonne, 

Wie ſie ins Offne hinaus Meere des Lichtes ergießt. 


III. 
Alſo, Lieber, was folgt? Man befehle jeglichem Schwaben: 
Drei der Jahre hindurch ſprichſt du kein ſchwäbiſches Wort! 
Wenn dir eines entfällt, ſo trifft dich empfindliche Strafe: 
Etwo mit einer Mark werde die Silbe gebüßt! 
Iſt ſie zu Ende, die Zeit, ſo biſt du entlaſſen, und frei nun 
Stehſt du, ein wählender Herr, über und im Dialekt, 


172 

Meideſt, wo er nicht paßt, und ſprichſt ihn, wo er im 
Recht iſt, 

Unter den Deinen, im Haus, in dem befreundeten Kreis, 

Scheideſt mit freiem Blick, was er hat, von dem, was er 
nicht hat, 

Scheueſt vielleicht ſogar einiges Studium nicht. 

Nun erkennſt du das Gold, das einſt die Sprache zurückließ, 

Als ſie aus Mundartſchoß langſam und ſchwer ſich entband, 

Hebſt es mit ſicherem Griff und rückſt es kühnlich ins 
Licht vor, 

Wo die Sprache der Schrift Lücken und Blößen dir zeigt. 

Jetzt, Freund, biſt du im Recht und magſt des Kritikers 
lachen, 

Der von Sprache nur weiß, wie ſie die Schule doziert. 

Laß ihn ſtehen, den Kopf, der eine lebendige Sprache 

Vor der Bereicherung Glück hütet, als wäre ſie tot, 

Laß ihn ſtehen, er riecht ja nichts, er iſt ja von Leder, 

Lederne Naſe verſpürt nimmer den Hauch der Natur. 


IV. 
Zeitungsdeutſch, ihr meine Lieben, 
Nein! Das hab' ich nie geſchrieben, 
Die Setzer hab' ich arg erſchreckt, 
Die Korrektoren hart geneckt. 
Sie aber waren auch nicht dumm, 
Sie drehten klug den Stiel herum, 


Sie haben mir's ins Wachs gedrückt: 
Mit Beſſerungen zum Verzweifeln 
Ward mir von dieſen ſchwarzen Teufeln 
Zum Schluſſe noch der Text beglückt. 


Mann und Weib. 


Nach Freiheit ſtrebt das Weib, der Mann nach Regel. 
Gebieten mag die Laune, ſpricht das Weib; 

Geſetz und Rhythmus herrſche, ſpricht der Mann. 
So kann es kommen, daß er Sklaven zieht, 

Und kann auch kommen, daß er Sklave wird, 
Vielleicht auch beides: herriſch und ſervil, 

Im kleinen ſelbſt nicht läßlich, ein Pedant. 

Drum iſt ihm die Genoſſin beigegeben, 

Daß ſeines Lebens hartem Winkelmaß 

Das Spiel der freien Linie nicht fehle. 

Drum iſt ihr der Genoſſe beigegeben, 

Damit der Ranke nicht der Stab gebreche. 


Ein großer Dichter ſagt das Gegenteil; 

Doch fällt mir da aus meinem Hegel ein, 
Wie hübſch er ſagt: anſtatt Entweder Oder 
Sei in den Fragen, welche tiefer liegen, 

Ein Sowohl Alsauch meiſtenteils zu ſetzen. 
Zwei Sätze, die als Widerſpruch erſcheinen — 
Wer tiefer denkt, kann ſchließlich ſie vereinen. 


174 


Dank für Rat. 


„Den Kuß und dann die Kralle, 
So ſind ſie alle. 


Die Kralle, dann den Kuß, 
Macht ihnen nicht Verdruß.“ — 


„„Nimm's nicht jo ſchwer! Laß ruhn! 
Sie wiſſen nicht, was ſie tun. 


Oder geh fort! Geh, wandere! 

's gibt andere, 

Nicht alle ſind Katzen 

Und kratzen. 

Biſt eben zu lang geblieben; 

Man muß mit gepacktem Koffer lieben. 


Was iſt der Koffer? Es iſt dein Geiſt, 
Der dich immer gefaßt ſein heißt. 

In die Liebe zumeiſt darf nur ſich wagen, 
Wer auch enden kann und entſagen.““ — 


„Dank für den Rat, den mir die Weisheit ſpricht; 
Er lautet: liebe, aber lieb' auch nicht.“ 


175 
Verloren. 


Keuſchheit verloren: 

Etwas verloren, 

In der Ehe etwas gewonnen. 
Scham verloren: 

Alles verloren, 

Die Seele in Schmutz zerronnen. 


Sprüche. 


Freue dich an Formen, Tönen, 
Lauſche, wenn ein Dichter ſpricht, 
Labe deinen Geiſt am Schönen, 
Aber Schöngeiſt werde nicht! 


— 0 


Das Leben iſt ſchwer, das will Bedacht; 

Vor dir beſonders nimm dich in acht! 
— 

Was ſchützt vor ungerader Bahn, 

Bewahrt vor Lügen und Trügen? 

Lüg allererſt dich ſelbſt nicht an, 

Wirſt andre nicht belügen. 
— 0 

Jung ſein iſt Glück und vergeht wie Dunſt, 

Jung bleiben iſt mehr und iſt eine Kunſt. 


— — 


176 
Wenn Gift und Galle die Welt dir beut 
Und du möchteſt das Herz dir geſund bewahren: 
Mach andern Freude! Du wirſt erfahren, 
Daß Freude freut. 


Selbſtgefühl. 


Fehlt es an wahrem Selbſtgefühl, 
Da dient der Stolz als hohler Pfühl. 


Wem wird viel an Triumphen liegen? 
Dem, der die Kraft nicht hat zu Siegen. 


übermut und Sklavenſinn, 
Die ſind in einer Schachtel drin. 


Vorteil des Altertums. 


Im Altertum hatten die Schneider 
Noch wenig zu ſchreiben ins Buch, 
Denn meiſtens trug man die Kleider 
Aus ungenähtem Tuch. 


Drum trugen die Menſchen auch innen 
Noch weniger Schnitt und Bruch 
Und war in allem Beginnen 

Noch nicht ſo viel Schneidergeruch. 


Spätlinge. 


Ein Admiral! So ſpät noch ausgeſchlüpft! 

Er ſonnt ſich; wählig wiegt er ſeine Flügel, 

Auf ſchwarzem Samtgrund weiß und rot gezeichnet, 
Im warmen Licht. Du arme Kreatur! 

Nicht ahnteſt du die kalten Regentage, 

Den trüben Schluß des trübſten aller Sommer, 

Als dich ein tückiſch-ſchmeichleriſcher Blick 

Des Dämon Föhn aus deiner Puppe lockte! 
Wenn's gut geht, wirſt du noch aus ein paar Blümchen 
Geringe Labung dünnen Honigs ſaugen! 

Dort hängt ſie ſchon, die ſchwere graue Wolke, 

Und morgen oder dieſen Abend noch 

Liegt aufgelöſt dein zarter Leib im Graſe. 


Ja, ja, ſo geht es manchem Erdenkind: 

In fremde Zeit wird es hineingeboren, 

Es kommt zu ſpät wie dieſer arme Falter; 
Wohin? Wohin? Ringsum iſt Greiſenalter, 
Du willſt dich regen und du biſt verloren. 


„Sie haben ihren Lohn dahin.“ 


Herr Spitzling iſt ſo klug und tief: 

Die ganze Welt ſcheint ihm naiv. 

Sein Augengläschen eingekniffen, 
Viſcher., Lyriſche Gänge. 12 


178 


Das wie ein Mikroſkop geſchliffen, 
Durchſchaut er jeglich Ding aufs Haar, 
Und alles, alles iſt ihm klar. 

Ein Lächeln weilt auf ſeinen Zügen, 
Die Ironie iſt ſein Vergnügen. 


Nun iſt zwar der Ironiker 

Natürlich kein Platoniker, 

Doch nebenher ſentimental, 

Er ſeufzet um das Ideal, 

Und immer ſagt ſein müder Blick: 

Die Welt iſt ſchlecht, es gibt kein Glück. 


Auf dieſer Welt kein Glück? Ei wie? 
Dein Glück iſt ja die Ironie. 

Wenn du dich allzeit luſtig machſt, 
Mundwinkel zuckſt und witzelnd lachſt 
Ob andern, welche wie ein Kind 
Ganz ohne Urſach luſtig ſind, 

So wohnt ja Luſt, Luſt über Luſt 
In deiner königlichen Bruſt; 

Der Selbſtgenuß iſt doch nicht klein, 
Der einzig weiſe Mann zu ſein! 
Drum geh 

Mit deinem Weh! 

Klag nicht um vorenthaltnen Lohn! 
Er ſteht nicht aus, du haſt ihn ſchon. 


179 
Anwendbar. 
Ein weich verpackter, 
Ein fein befrackter, 
Nicht ſehr intakter 
Charakter. 


Den Vers, den hab' ich im Vorrat gemacht, 
Ganz ohne Objekt; ich hab' halt gedacht: 
Ich mach' ihn einmal, er wird ſchon paſſen, 
Man kann ihn brauchen in allen Gaſſen. 


An einen bewunderten Koloriſten. 
Uns machſt du nicht perplex! 
Wo es gebricht an Haltung, 
An fixer Durchgeſtaltung, 
Iſt alle Pracht der Farbe doch nur Klecks. 
Dies iſt unleugbar sancta lex. — 
Zu einem ganzen Artifex 
Will es noch anderes Gewächs, 
Nein, du biſt nicht pictorum rex, 
Du biſt und bleibſt ein Farbenfer. 


Erfolg. 
Herr Senſatore, 
Ihr Roman 
Bricht flott ſich Bahn, 
12* 


180 


Macht viel furore, 
Dieweil er fo beweglich, 
So nerv⸗aufreglich, 
So bunt, ſo frei 

Und auch ſo Leih— 
Bibliotheklich. 


Kritiker. 


Manch ein Richter 

Über Dichter 

Dünkt ſich ein lichter, 
Mehr als ſchlichter 

Kopf 

Und iſt ein entfärbter, 

Von Halbkultur verderbter, 
Zu Leder gegerbter, 

Von der Natur enterbter 
Tropf. 


Wie: von der Natur? 

Je nun, ich meine nur: 
Von der ſeeliſchen, feinen, 
Nicht von der gemeinen. 


181 
Verehrung. 


Blind verehrt einen großen Mann 
Der Gute, der ſelbſt nichts ſchaffen kann. 


Nicht verehrt einen großen Mann 
Der Wicht, der nichts Großes ſehen kann. 


Frei verehrt einen großen Mann 
Der Mann, der ſelbſt etwas ſchaffen kann. 


Warnung. 


Die Lober meide! 

Sie führen ein Stückchen Kreide 

Und ſchreiben damit aufs Kerbholz an, 
Was ſie dir Süßes angetan. 

Gib acht, gib acht, 

Kaum gedacht, 

Bricht ihre wahre Natur heraus, 

In welcher die Scham nicht eben zu Haus, 
Aus dem Pfötchen ſchlüpfet die Kralle, 
Und noch im beſten Falle 

Sind ſie für ſo viel Lob 

Recht grob. 


182 


Mitte. 


Nach Florenz mit ſchwerer Seele 

Zog Vittor Emanuele: 

Schickſal ruft in große Bahnen, 

Neigung hängt am Sitz der Ahnen. 
Kaum verſchmerzt —: zum Tiberſtrom! 
Heißt die Loſung, auf nach Rom! 


Nord und Süd, Süd und Nord — 
Breite Kluft von Hier zu Dort! 
Leichter eint ſich Art und Sitte, 
Steht die Mitte in der Mitte, 
Leichter wölbte ſich der Dom, 

Läg' am Maine unſer Rom. 


Zweiſeitig. 


Nach neben, wenn Vorteil riechend, 
Nach oben jederzeit kriechend, 

Nach unten grob und roh —: 
Manch ein Beamter iſt ſo; 

Auch ein Miniſter, 

Mitunter ſo iſt er. 


183 
Ein Moralifcher. 


Wir ſprachen von Hamlet, von Taſſo 

Und ihres Lebens Fracaſſo, 

Von Hölderlin, von Heinrich Kleiſt, 

Wie ſie der Wahnſinn packt, zerreißt, 

Kurzum von tragiſchen Seelen. 

Da begann er geſtreng zu ſchmälen, 

Mit Salbung ſprach er von Maß und Pflicht, 
Vernunft und moraliſchem Gleichgewicht, 
Saß breit auf ſtattlichem Geſäß 

Und aß behaglich ein gut Stück Käs. 


Priamel. 


Ein Sänger mit rundem, weichem Tenor, 
Der ſchmelzende Arien ſüß trägt vor, 
Im Schauſpiel ein liebender junger Held, 
Der ſchön deklamiert und rührend fällt, 
Ein Akrobat, auf dem ſchmalen Seil 
Aufſchreitend zum Giebel hoch und ſteil, 
Ein Offizier in ſchmucker Montur, 

Feurig blickend, ſchlank von Figur, 

Ein munterer Jäger in grünem Rock, 
Birſchend auf Hirſch und Gemſenbock, 
Ein Maler mit dunklem Lockenhaar 


184 
Und Augen im Kopfe friſch und klar, 
Ein junger Geiſtlicher, ſanft und keck, 
Auf der Kanzel predigend ohne Schreck, 
Ein Mörder, gruſelig intereſſant, 
Den Tod erwartend von Henkershand! 
Dieſe gewinnen allerwärts 
Ohne viel Werben ein Weiberherz. 


Eiertanz. 


Magſt du, ſtatt einfach zu gehn, zu ſtehn, 
Einen Eiertanz lieber tanzen, 

Mußt in die höchſte Geſellſchaft gehn, 
Unter Orden und Litzen, Spitzen und Franſen, 
Mußt auf glattem Boden dich drehn. 

Da tanze nach Luſt 

Mit gehobener Bruſt! 

Nur rutſche nicht aus, zertritt kein Ei, 
Sonſt iſt die Herrlichkeit vorbei. — 


Nun ja! Dann werde du eben wieder 
Johann, der muntere Seifenſieder. 


Vereinbar. 


„Man muß nicht müſſen“, ſagt ein deutſcher Dichter, — 
Ein andrer, und der größte unter allen: 


185 
„Der Menſch iſt nicht geboren, frei zu fein.” 
Hat einer unrecht und der andre recht? 
Und wer von beiden dieſes oder jenes? 
O ſchwierig! Aber halt, da fällt mir ein: 
Am Ende haben recht und unrecht beide. 
Der Menſch iſt frei, doch er bedarf ein Muß. 
Nun gut, ſo ſchaffe ſelbſt dir einen Zwang, 
Ein Muß der Pflicht, dann dienſt du, aber frei. 


An die Empfindſamen. 


Weichheit iſt gut an ihrem Ort, 

Aber ſie iſt kein Loſungswort, 

Kein Schild, keine Klinge und kein Griff; 
Kein Panzer, kein Steuer für dein Schiff, 
Du ruderſt mit ihr vergebens. 

Kraft iſt die Parole des Lebens: 

Kraft im Zuge des Strebens, 

Kraft im Wagen, 

Kraft im Schlagen, 

Kraft im Behagen, 

Kraft im Entſagen, 

Kraft im Ertragen, 

Kraft bei des Bruders Not und Leid 

Im ſtillen Werke der Menſchlichkeit. 


186 


Vom Tode. 


In der Jugend heiterem Morgenrot 
Denkt kein Menſch an Alter und Tod, 
Und dies mit allem Grund und Fug, 
Denn an den Tod ſoll man nicht denken. 
Im Alter koſtet es Müh' genug, 

Die Gedanken von ihm abzulenken. 


Memento mori: hohler Popanz! 

Motto für einen Totentanz! 

Taugt nichts für Junge und nichts für Greiſe; 
Memento vivere ſagt der Weiſe: 

Fülle dein Leben tüchtig aus: 

Mit dem Rat hält man richtig haus. 


Schlußergebnis. 


„Sage, was iſt am Ende der Bahn 

Als das Wahre, das Beſte dir erſchienen?“ 
Nachdem verblichen ſo mancher Wahn, 

Das Leben durch Arbeit abverdienen. 


„Traurig.“ — Ich weiß nicht, mir iſt dabei 
So heiter zumut wie in Jugendzeiten, 

Die Seele befindet ſich hell und frei 

Im Dienſte des Ganzen, im Meer, im weiten. 


Einharts Wanderſchickſal. 


November 1878. 


Auch einer, der's erfahren, 
Der's gründlich hat erkannt, 
Wie man mit Dichterwaren 
Umſpringt im deutſchen Land. 


Du ſehnteſt dich nach Seelen 
Und zogſt vertrauend aus, 

Sie werden dir nicht fehlen, 
Und gingſt von Haus zu Haus. 


Du fandeſt Leder, Leder, 
Wo ſonſt die Seele ſitzt, 
Fandſt ohne Kopf die Feder 
Zum Stiche ſchon geſpitzt. 


Die Feder? Nein, der Beſen 
Aus Reiſig, dick und ſchwer, 
Wiſcht, eh' man nur geleſen, 
Breit über dich daher. 


Man greift zum Abwiſchlumpen 
Und packt dich an dem Schopf 
Und ſchlägt den wüſten, plumpen 
Dir platſchend um den Kopf. 


187 


188 


„Was iſt denn das für einer? 
So einen mag man nicht! 
Hat von uns allen keiner 
Doch ſo ein fremd Geſicht. 


Weg mit der Zunft der Narren, 
Fort mit der Käuze Zunft! 

Wir wollen keine Sparren, 
Wir lieben die Vernunft. 


Ein ordentlicher Dichter, 
Der iſt kein ſolcher Tor, 
Von unſerem Gelichter 

Führt er uns Leute vor. 


Du machſt uns einen Gruſel, 
Denn ſieh, du denkſt zu viel! 
Ein angenehmer Dufel 

Iſt Dichters Werk und Ziel. 


Auch biſt du uns zu gröblich, 
Dezenz vermißt man da, 
Uns zog zum Anſtand löblich 
Mama und auch Papa.“ 


So pocht an tauſend Pforten 
Umſonſt das arme Buch, 

Da trägt zum grauen Norden 
Es hin des Schickſals Fluch. 


189 
Dort an des Reiches Sitze, 
Im Geiſtrevier der Spree, 
Dort, wo der Bildung Spitze, 
Wie gieng dir's da, o weh! 


Eine Gansſchar kam geſtiegen 
In langem Schweſterreih'n, 
Am Wege ſah dich liegen 

Ein trippelnd Gänſelein, 


Goldgelb, flaumweich wie Butter; 
Es knuſpert dran herum 

Und ſpürt kein Gänfefutter 

Und piepſt: „Das Ding iſt dumm! 


Es wird mir ſchlimm! Potz Wetter! 
Schon ſtellt ein Drang ſich ein!“ 
Es richtet auf die Blätter 

Sein wuslich Schwätzerlein, 


Schußfertig läßt es fallen 
Ein grasgrün Klitterlein. — 
Zwei Herrn vorüberwallen 
Und rufen: ei! wie fein! 


Sie greifen nach dem Drecklein 
Und wickeln's in ein Blatt 
Und reichen es als Schlecklein 
Der lieben Reichshauptſtadt. 


190 


Blauſtrumpf und Blauſtrumpfritter 
Macht ſich darüber her, 

Und all und jeden Zwitter 

Beglückt der hautgoüt ſehr. 


Man ſchnupft, man klatſcht immenſe, 
Man ruft: Wie riecht das ſchön! 
Wie k. . . on doch die Gänſe 
Geiſtreich in Spree-Athen! 


An die Trockenen. 


Wenn ich zum Schöppchen geh' am Abend, 
Von Arbeit müde und erhitzt, 

O, wie iſt mir der Anblick labend, 

Wenn euereins am Tiſche ſitzt! 


Da werd' ich ein Geſpräch genießen, 
Fern von der Leidenſchaften Glut, 
Geſpräch, das nur gemächlich fließen, 
Ja nur ſo anetröpfeln tut. 


Von Reben- und von Hopfenblüte 
Fällt etwan ein zufriednes Wort, 
Vom Ferndigen und ſeiner Güte, 
Von Bier und Tobak und ſo fort. 


191 
Der breite Herr im Mittelſitze: 

Seht ihn, wie er gemütlich ſchmaucht, 

Mitunter die Zigarrenſpitze 

Beſieht, wie weit ſie angeraucht! 


Wie ruht der Nerv in dieſem Frieden 
Vom Drangſal, das gehäuft und kraus 
Der anſpruchsvolle Tag beſchieden, 
In ſanftem Wiegenſchlummer aus! 


Dort ſeh' ich einen auf der Lauer 
Mit Sperberaugen blickt er her, 
Von Goethe, Wagner, Schopenhauer 
Wünſcht er zu ſprechen inhaltſchwer. 


Ideen ſoll ich mit ihm tauſchen 

Im Lärm am Wirtstifch, abends ſpät, 
Soll ſeiner dünnen Stimme lauſchen, 
Wenn ringsum alles kreiſcht und kräht. 


Bleibt mir vom Leib, ihr Geiſtesſchnapper, 
Die ihr kein ſtill Betrachten kennt, 

Mit Feuerreiterhufgeklapper 

Nach Zielen immer hetzt und rennt! 


Ihr ſeid wahrhaftig noch imſtande, 

— Was einfach iſt, fühlt ihr ja nie —, 
Daß ihr dies Lied aufs nicht Prägnante 
Interpretiert als Ironie. 


O, aber den, der fein verſtohlen 

Mich anblinzt und es ſo verſteht, 

Den ſoll doch gleich der Teufel holen, 
Daß ihm das Schmunzeln hübſch vergeht! 


Doch euch, ihr lieben trocknen Schweiger, 
Euch wünſch' ich herzlich gute Ruh', 

Leis führe euch der Stundenzeiger 

Des Himmels tiefer Stille zu! 


Schulmanns Schauer. 


Neulich in warmem Geſpräch mit einem gediegenen 
Schulmann 

Brach in Klagen ich aus über die traurige Zeit. 

Hetze nach Geld und Genuß und Betrug und Wucher und 
Fälſchung 

Sind ja, rief ich, fürwahr unter dem Monde nicht neu; 

Dies aber, dies iſt neu, daß, wenn man von Ehre und 
Plicht noch, 

Von Gewiſſen noch ſpricht, höhniſches Grinſen erfolgt; 

Daß man die Waren fälſcht, iſt nicht das Argſte, die 
Wahrheit 

Wird entmiſcht und gefälſcht von dem ſophiſtiſchen Gift; 

Unter uns wanket der Grund, es wanken die ew'gen Geſetze, 

Die mit des Pfeilers Kraft tragen die ſittliche Welt. 


193 
Und der Biedre verſetzt: Beſtätigen kann ich es leider, 
Wie man in jetziger Zeit ewige Regel vergißt: 
Schaudernd fand ich, und gar bei einem der beſſeren Schüler, 
Geſtern im Hebdomadar ut mit dem Indikativ. 


An einige große Häuſer. 


Der Croupier war euch recht, weil er ein Pompier war; 
Doch hattet ihr bereits bis in das dritte Jahr 

Den Brand zu Haus gelöſcht und wahrlich nur zu ſehr! 
Ihr brauchtet ja den Pompier nicht mehr. 


Freilich der Edle ſprach ſo ein gemütlich Wort: 
„Fried' iſt das Kaiſerreich! Regiert nur ruhig fort!“ — 
Man grüßet, man beſucht, man küßt, umarmet ſich, 
Zum Bruder wird der Bruder Liederlich. 


Da greift er aus und holt aus dem Verehrerchor 
Des Nordens Bären ſich, den Läſſigſten, hervor — 
Er war es, der zuletzt ihn zu begrüßen kam —; 

Er haut und trifft und legt ihn wirklich lahm. 


„Auch recht! Von alter Furcht ſind wir befreit; nur zu! 

Die Bärentatze ab! So hat man beßre Ruh'!“ — 

Jetzt wird man erſt recht fett, und manches ſtolze Haus 

Sitzt mit dem Parvenu bei Wein und Schmaus. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 13 


194 

Da kommt ein Tag, da fpricht zu Oſterreich der Schelm: 
„Wart, du bemooftes Haupt! Ich rüttle dir den Helm!“ 
Mit Welſchland ſchlägt er los für Völkerrecht und Wohl, 
Klopft an den Götzen: horch! und er war hohl. 


Der Götze, halbzerklopft — o, der verſöhnt ſich, o! 
Gibt her den Vetter für den Thron von Mexiko, 
Senkt den Gemordeten ſtill in die Kaiſergruft 
Und bleibt gut Freund mit dem Theaterſchuft. 


Da ſtürzet Preußen her! — „Jetzt komm zu Hilfe, jetzt! 
Den Welſchen hat es gar mir an die Ferſe gehetzt, 

Nur ſchnell!“ Venedig gibt man in die Hand des Wichts; 
Er nimmt's und ſchenkt's dem Welſchen und tut nichts. 


Hernach kommt eine Zeit: auf ſeinem eignen Sitz 

Wird es ihm durmelich; er denkt: je nun, beim Blitz! 
Auf Preußen hau' ich jetzt und den Nordbund hinein, 
Es wird wohl auch ein hohler Götze fein. 


Er läßt ſich hetzen, hetzt und ſpielt Komödie ſo gut, 
Daß der Franzoſe ruft: wir opfern unſer Blut, 
Daß wir den Croupier und Lulu, ſeinen Sohn, 
Noch fürderhin beſitzen auf dem Thron! 


Er bricht den Krieg vom Zaun; jedoch ein Strafgericht 
War es für Preußen auch; es hatte mit dem Wicht, 
Eh’ es auf Oſtreich ſchlug, gewiſſe Munkelei'n, 

Daß er zum Siegespreis nicht ſage nein. 


195 
Ein Glück nur, daß es nicht ein hohler Götze war! 
Und, was noch hübſcher iſt, wie er mit ſeiner Schar 
Behaglich übern Rhein ſo will ſpazieren gehn, 
Sieht er, o weh! ganz Deutſchland vor ſich ſtehn. 


Der Michel hebt die Fauſt und treibt mit frohem Mut 
Ihm in die Fratze tief den gerapſten Kaiſerhut, 

Und es erhellt zum Schluß der ganzen Mummerei, 
Daß er der hohle Götze ſelber ſei. 


Nun aber guckt zurück, ſchaut euch noch einmal umb! 
Warum bedurft' es denn mit dieſem Kaiſertumb 
Des Umſtands gar ſo viel? Ihr war't beraten tumb! 
Von Anfang war's doch klar: er iſt ein Lump. 


Burſchenſchaft und Korps. 
Das war die alte Burſchenſchaft, 
Die hoffte mit Ideen-Kraft 
Und mit viel Trinken und Singen 
Und feſtlichem Schlägerſchwingen 
Das ganze deutſche Vaterland, 
Das ſchon ſo lang aus Rand und Band, 
Unter einen Hut zu bringen. 


Was Korps hieß, war geſtreng verdammt, 
Weil es vom Sondergeiſte ſtammt; 
„Laßt Junker da ſtolzieren, 


= 


13* 


196 


Um Tand ſich duellieren, 

Indeſſen wir in edler Glut 
Alldeutſchlands ſtolzen Zukunftshut 
Eindünſten und präparieren!“ 


Die ſtolze Hoffnung war zu jäh, 

Der Filz zu haarig, hart und zäh, 

Er ſtach, er kratzte, brannte, 

Die Mühe verlief im Sande. 

Da kam ein alter Korpsburſch her 
Und packt den Filz und walkt ihn ſehr 
Und brachte den Hut zuſtande. 


„Nun, altes, ſchwarzrotgoldnes Haus, 
Wie beugſt du dieſer Wahrheit aus?“ — 
Ich wollte ihn necken und fangen; 

Doch ließ er den Kopf nicht hangen, 

Er ſprach: „Ich nehm's nicht eben ſchwer, 
Der Korpsburſch iſt ja doch vorher 

In die Burſchenſchaft noch gegangen.“ 


Auslegung. 


Wenn einer mit den Jahren 
Sein Denken korrigiert, 
Bekommt er zu erfahren, 
Wie man das kommentiert. 


197 
„Er iſt gekauft, beſtochen 
Mit Titel, Stern und Geld, 
Wir haben's gleich gerochen, 
O der Charakterheld! 


Seht den Erfolgsanbeter, 
Seht den Iſchariot, 

Er ward an uns Verräter 
Für Silberlingsgebot. 


Es leuchtet ſonnenhelle 

Ja ganz von ſelber ein: 

Des Abfalls innre Quelle 

Kann nur Gemeinheit ſein.“ — 


Nun, gute Interpreten, 
Denkt doch ein wenig nach, 
Wie ihr da ſeid betreten 
Auf eurer eignen Schmach. 


Beſchließt ein Mann, zu retten 
Aus Irrſal die Vernunft, 

Und macht ſich los von Ketten 
Der Donquixotenzunft, 


Und leget ihr als Sünde 
Ihm aus die klare Tat 

Und rufet ohne Gründe: 
„Der ſchlechte Apoſtat!“ —: 


198 


Die Deutung kann nur fließen 
Aus eurem edlen Ich, 

Dem eignen Selbſt entſprießen 
Der krumme Schluß und Schlich. 


Ihr ſagt ja deutlich ſelber: 
Wir wären's nur imſtand 

Um Gunſt und goldne Kälber 
Und Adlerordensband. 


Die du entdeckſt, die Jauche, 

Naive Kreatur, 

Kommt aus dem eignen Schlauche: 
„Schmutz riecht ſich ſelber nur.“ 


Doch wenn ich ſo betrachte, 
Wie wenig ihr euch kennt, 
Mit welchem Unbedachte 
Ihr in die Falle rennt, 


So kann es mich ergetzen, 

Das Wort, das Shakeſpeare ſpricht, 
Auch ſo zu überſetzen: 

Schmutz riecht ſich ſelber nicht. 


199 


Rache. 


Gedichte, Romane und Dramen 
Habt ihr mir zugeſchifft, 

Auch Manuſkripte gar kamen 
In augenmordender Schrift. 


Wenn ſchon der Kopf mir erkrachte, 
Von Arbeit überſchneit, 

Ein jeder von euch ſich dachte: 

Für mich ja doch hat er wohl Zeit. 


Ich ſollte das Zeug ſtudieren, 
Wenn ich todesmüd' ſchon war, 
Dann einen Brief komponieren, 
Verleger noch ſuchen ſogar. 


Und zuletzt noch mußt' ich mich placken, 
Fluchend wie ein Pandur, 

Stöße Papier zu verpacken 

Mit Siegellack und mit Schnur. 


Jahrzehntelang habt ihr's getrieben, 
Habt mich gemartert, gezwickt, 
Geſchunden, zerſägt, zerrieben, 
Zerklemmt und zerquetſcht und erſtickt. 


200 
Jetzt komm' ich zu euch als Bruder, 
Doch als Rachengel zugleich! 
Da habt ihr es nun, ihr Luder, 
Jetzt leſet! Jetzt ſchinde ich euch! 


Schnurren: 
Lesart. 


Ganz außer Maßen chriſtlich war 
Ein Fürſt von Babylon, 

Er miſchte aus Romantik gar 
Wein und Religion. 


Er rief: Bringt mir Champagner her 
Nebſt Bibel, Lumpenpack! 

Trank mehr als eine Flaſche leer, 
Schnupft auch dazu Tabak. 


Johannis Evangelium 

Schlägt er dann auf mit Schall, 
Es geht in ſeinem Ohr noch um 
Der manchen Pfröpfe Knall. 


Er wieget mit Gedankenſchwung 
Den rotgeſoff'nen Kopf, 

Dann lieſt er mit Beſchwichtigung: 
Im Anfang war der Pfropf. 


Spiritiftifches Trinklied. 
Es geht ein Geift im Keller um, 
Komm, altes, treues Medium, 
Komm, edler Knabe Chriſtian, 
Den Hahnen dreh, den Geiſt zieh an! 
Zi, za, Geiſt zieh an, 
Ja an! 
Da ſchwebt er ſchon, da ſchwebt er ſchon! 
Schweig, arge Welt, mit deinem Hohn! 
Wir liefern dir die Probe gleich: 
Es exiſtiert ein Geiſterreich, 
Gi, ga, Geiſterreich, 
Ja Reich. 


Was ſagt der Geiſt, was ſagt der Geiſt, 
Der hier im Humpen ſchwimmt und kreiſt? 
„Erlöſet mich, erlöſet mich, 

O nehmt mich auf in euer Ich!“ 

Je, ju, euer Ich, 

Ja Ich! 

Habt ihr gehört? Er tut es kund! 

Reicht her, reicht hin von Mund zu Mund! 
Laßt umegahn, laßt umegahn, 

Es ſoll vom Geiſt ein jeder han! 

Ji, ja, jeder han, 

Ja han! 


201 


202 


Schon kehrt er in uns mächtig ein, 
Schon ſchimmert lichter Geiſterſchein 
Aus allen Augen ringsumher, 

Und alle Naſen glänzen ſehr, 

Gli, gla, glänzen ſehr, 

Ja ſehr! 


Das Grundgeheimnis aller Welt 

Iſt offenbarlich aufgehellt, 

Wir ſchauen ihm bis auf den Grund! 
Wie lautet es? Die Welt iſt rund, 
Wi, wa, Welt iſt rund, 

Ja rund! 


Die Welt iſt rund, die Welt iſt Wurſt, 
Drum macht ſie uns auch ſo viel Durſt! 
Die Welt iſt Wurſt, die Welt iſt Tand; 
Trinkt euch empor ins Geiſterland, 

Gi, ga Geiſterland, 

Ja Land! 


Ich merk's, ihr fühlt des Geiſts Gewalt 
Schon ſo, daß euch die Zunge lallt, 

Er gießt ſich aus noch heutzutag 
Pfingſtfeierlich im Zungenſchlag, 

Zi, za, Zungenſchlag, 

Ja Schlag! 


203 
Doch daß die Welt jo Wurſt, ſo rund, 

Das tun mir auch die Beine kund; 

Daß mich des Weltalls Schickſal trifft, 

Sagt ihre Pſychographenſchrift, 

Gri, gra, Graphenſchrift, 

Ja Schrift! 


Und fällt als armer Erdenwiſch 
Mein leiblich Weſen untern Tiſch, 
So hat in dem, was unten liegt, 
Ja doch allein der Geiſt geſiegt, 
Gi, ga, Geiſt geſiegt, 

Ja ſiegt! 


Komm, Medium, komm, Chriſtian, 
Und zieh den Geiſt jetzt wieder an, 
Komm, zieh mich unterm Tiſch heraus 
Und führ das Geiſtorgan nach Haus, 
Gi, ga, gan nach Haus, 

Ja Haus! 


Komm, lege das Organ ins Bett, 

Des ſchweren Leibes Lagerſtätt', 

Der Geiſt ſchwebt um ihn her und wacht 
Und ſieht den Schnarcher an und lacht, 
Schni, ſchna, an und lacht, 

Ja lacht! 


204 


Geſang der Exakten. 

(Aus dem „Dritten Teil“ des „Fauſt.“) 
War's um ſechs Uhr oder ſieben, 
Wann er dieſen Vers geſchrieben? 
War's vielleicht präzis halb achte, 
Als er zu Papiere brachte 
Dieſen Einfall, dieſen Witz? 


War es vor, war's nach dem Eſſen, 
Als bei Lotten er geſeſſen? 

Was des weitern dann geſchehen, 
Durfte, fragen wir, es ſehen 

Der Geliebten kleiner Fritz? 


Wie war's mit Corona Schröter? 
Roſenrötlich oder röter? 

Was iſt Sage, was Geſchichte? 
Auch auf dieſen Streitpunkt richte 
Sich die Naſe ſcharf und ſpitz! 


Marianne — wer es wüßte, 

Ob er nur die Stirne küßte, 

Ob er, um nicht bloß zu nippen, 
Kühnlich Lippen drückt' auf Lippen, 
Amors älterer Noviz? 


Ach, die Knöpf' an ſeinem Rocke, 
Ach, die Haare jeder Locke, 


205 
Wer fie pünktlich könnte zählen, 
Würde nicht den Weg verfehlen 
Zu der Wahrheit tiefſtem Sitz. 


Nur ein Schwätzer kann verübeln 
Dieſes Stöbern, Krabbeln, Grübeln, 
Dieſe kritiſch feine Beize, 

Frucht der ſüßen Prickelreize, 
Dieſen edlen Wunderfiz. 


Doch uns lockt nicht nur das Nächſte, 
Ha! wir wagen, zu dem Texte 
Konjektürchen anzubringen. 

Große Tat! Wird ſie gelingen, —: 
Unſer ſchönſtes Benefiz! 


Echter Forſchung Morgenröte, 
Über Leſſing, Schiller, Goethe, 
Über groß und kleine Dichter 
Glüh empor, verkünde Lichter, 
Neu und blendend wie ein Blitz! 


Laß erſterben das Abſtrakte, 
Laß erblühen das Exakte! 
Leuchte, zeuge, ziehe, züchte 
Wahrer Literargeſchichte 
Muſterhafteſte Miliz! 


206 
Laß erſterben die Aſthetik, 
Laß erblühn die Arithmetik! 
Schüler, auf! zum Heiligtume 
Der addierten Bröſelkrume 
Walle feierlichen Schritts! 


Geiſt, Entwicklungsgang und Fatum: 
Ihr Geheimnis iſt das Datum, 

Die Geſchichte iſt Kalender, 

Leb' er hoch, der Einſichtſpender, 

Und ſein Segen, die Notiz! 


Geſang der Sinnhuber. 


(Aus dem „Dritten Teil“ des „Fauſt“.) 


Lebe hoch die tiefre Deutung, 
Bloß Exaktes iſt vom Übel! 
Hoch die philoſoph'ſche Häutung, 
Schälung dichteriſcher Zwiebel! 


Hier iſt nie ein Ding es ſelber; 
Männer, Weiber, acta, facta, 

Löwen, Hunde, Ochſen, Kälber 
Sind Begriffe, ſind abstracta. 


Nur der Geiſt, er macht lebendig, 
Buchſtab iſt nur Feld im Winter, 


207 
Saatkorn ſchlummert innewendig; 
Fraget ſtets: was iſt dahinter? 


Wer ſich nur am Bild ergetzet, 

Sinnlich iſt er, ſoll ſich ſchämen, 

Wer den Wert ins Zentrum ſetzet, 
Fragt: was läßt ſich draus entnehmen? 


Erſter Sinn will wenig ſagen; 
Vorwärts mit bedachten Schritten! 
Nach dem zweiten mußt du nagen, 
Weiter, weiter nach dem dritten! 


Der Poet iſt ein Verſtecker, 

Flieht, was nur ſich ſelbſt bedeutet, 
Und erwartet den Entdecker, 
Welcher den Begriff erbeutet. 


Nur erklären, nur erklären, 
Aber ja kein Urteil wagen, 

Nur verehren, nur verehren, 
Ob poetiſch? ja nicht fragen! 


Doch auf des Parnaſſes Gipfeln 
Mit den dankbaren Poeten 
Wandeln unter Lorbeerwipfeln 
Arm in Arm die Interpreten. 


208 


Ischias. 


Heldengedicht in drei verkehrten Geſängen, einem lyriſchen, einem dramatiſchen 
und einem epiſchen. 


Dritter Geſang. 
Der ewigen Stube zu entfliehn, 
Schleppt' ich mich nach dem Parke hin, 
Nach rechts auf meinen Stab geſtemmt, 
Denn ach! im linken Beine klemmt 
Und zwickt und zerrt und zuckt und blitzt, 
Gräbt wie mit Meſſern ſcharfgeſpitzt, 
Multipliziertem Zahnweh gleich, 
Der Dämon aus dem Höllenreich. 
Wer ihn ſo ſchleichen ſah, den Kranken, 
Einen alten Spittelmann ſah er wanken, 
Die Menſchengeſtalt verkrümmt, verbogen, 
Verſchrieben, verzeichnet, verkritzelt, verzogen. 
Es wuchs mir die Pein vom erzwungenen Gehen, 
All vierzig Schritt mußt' ich ſtille ſtehen, 
Damit ihr Wüten nur etwas verbrauſe, 
Das Stechen und Bohren nur etwas verſauſe. — 
Schon ſprach in der Luft ein weicheres Regen, 
Es gehe dem holden Mai entgegen, 
Mir aber ſprach in meinen Knochen 
Noch nichts von des Jahres Honigwochen; 
Acht Monde lang hatt' ich die Qual ertragen, 
Zu hoffen mochte ich nicht mehr wagen. 


209 
Im Parke wußte ich eine Bank, 

Auf welcher ein Mann, ſo lahm und krank, 

Vor Winden und Menſchenſchwarm geborgen 
Ausruhen mag von ſeinen Sorgen. 

Es iſt ein heimlicher, ſtiller Raum, 

Die Vögel ſingen in Buſch und Baum. 

Es war ein Stück Arbeit, ihn zu erreichen; 

Mit Hinken und Schlurken, mit Zögern und Schleichen 
Bracht' ich es fertig. Da war ich. Und jetzt — 

O weh! Mein Plätzchen find' ich beſetzt: 

Breit ſitzt auf der Ruhebank ein Weib 

Von völligen Gliedern, ſtattlichem Leib, 

Rotbackig; die dunkeln Augenſterne 

Beſagen mit munterbewegtem Blick, 

Sie lebe gerne. 

Ihr zur Seite lag ein Geſtrick; 

Sie hielt einen großen Beutel — ich kannte 

Die Form, die man früher Ridikül nannte — 

Und griff mit rundlichen Fingern hinein 

Und ſtreute Futter den Vögelein; 

Die flatterten rings von den Büſchen auf 

Und flogen herbei und kamen zu Hauf, 

Alle in ihren feinen Monturen, 

Aufſchlägen, Litzen, Beſätzen, Friſuren, 

Und pickten und hackten mit Zirpſen und Schwatzen: 
Die Meiſen, die Finken, die Lerchen, die Spatzen, 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 14 


210 
Die Ammer, die Amſel, die Droſſel, der Star, 
Rotkehlchen und Gimpel, Zaunkönig und Zeiſig; 
Sie ſcheuten nicht, kannten keine Gefahr, 
Gebrauchten alle den Schnabel fleißig, 
Ja holten Körnlein gar noch, ſchau! 
Aus der Hand der guten, behaglichen Frau. 
Sie pfiff dazu 
In guter Ruh', 
Nicht eben laut, doch frank und frei, 
Eine luſtige Walzermelodei. 


Eine Weile noch blieb ich ſtehen, 

Das vergnügliche Spiel mir anzuſehen, 

Es machte mir Spaß; doch nicht zu verwinden 
War der Verdruß, belagert zu finden 

Mein ſtilles Aſyl, nach dem ich ſo heiß 
Geſtrebt in meines Angeſichts Schweiß; 

Ich wandte mich um, mit ſaurem Verzichten 
Den müden Schritt wieder heim zu richten. 


Da rief mir die Frau mit kräftigem Ton: 
„Ei, warum geht der Herr denn davon? 

Es iſt Platz für zwei, nicht an Raum gebricht's, 
Komm Er nur her, es geſchieht Ihm nichts!“ 


Ich wußte nicht recht, was ſollt' ich machen? 
Es war zum Argern, es war zum Lachen, 


Daß das Weib fo dreift war, einfach zu meinen, 
Ich dürfe in ſolcher Geſellſchaft erſcheinen 

Vor der feinen Welt und ihrem Klatſch, 

Ihrem Gemunkel, Geflüſter und Tratſch; 

Sie gehörte ja doch — leicht war es erkannt — 
Nicht eigentlich zu dem gebildeten Stand. 

Doch ich war müd' und bedurfte der Ruh', 

Und etwas Eigenes kam noch dazu: 

Es ſchien mir doch alles ſo ſonderbar, 

Daß mir ziemlich kurios zumute war. 

Gerade als müßt' ich; kurz, ich kam. 

Nicht leicht war der Akt, als Platz ich nahm: 
Es fuhr mir wie immer ins linke Bein 

Ein Stich wie von glühendem Dolche hinein, 
Dabei entfuhr mir ein leiſes Au! — 

„Biſt krank, mein Alterchen?“ ſagte die Frau. 
„Was fehlt dir, arme creatura, 
Iſt die natura 

Dir nicht amica?“ 

„„Ich habe ischiadica antica, 
Sagte ich, ſtutzend ob dem Latein, 

Das wie erwartend zum Reim lud ein. 
„Dafür,“ erwidert ſie, „kann ich nichts“, 
Doch mit Zügen des Angeſichts 

Und einem Ton, nicht ſo hell und frei, 
Als ob ſie ihrer ganz ſicher ſei. 


744 


14 * 


212 


Wie um zu verwiſchen das ſeltſame Wort, 
Fuhr ſie nun ſchnell in der Rede fort: 

„Haſt gedoktert, mein Söhnchen, wie? Sag an! 
Was haſt du denn alles dagegen getan?“ 


„„Zuerſt, meine Beſte, ward elektriſiert, 

Mit dem konſtanten Strom operiert — 

Nur wenige Mal, ich hatte nicht Zeit, 

Denn zu verreiſen ſtand ich bereit. 

Noch konnt' ich es wagen, der Schmerz war eben 
Noch leidlich; ich dachte: es wird ſich ſchon geben. 
Ich verreiſte. Stündlich wurde das Gehn 
Saurer. Ich kam nach Iſar-Athen, 

Dort gab mir ein guter Freund den Rat: 

Ins Moorbad ſitze! Das iſt probat! 

Zum Bahnhof hinkt' ich, es galt den Verſuch. 
Unter manchem ſtillen Seufzer und Fluch 

Kam ich an und dehnte verdroſſen dumpf 

Die Glieder im klebrigen Schlamm und Sumpf, 
Saß gähnend im ſchmutzigen Zuber, im ſchnöden; 
Wie ſchlichen die Tage, die trüben, öden! 

Und was half das Dulden und Harren? Nichts! 
Da lies — des erhabenen Heldengedichts 

Tief elegiſchen erſten Geſang! 

Erſchrick nur nicht, er iſt nicht lang!““ 


213 
Erfter Geſang. 
Im Moorbad. 


Sieht man die Sau, den Büffel 
Voll Schmutz am ganzen Rumpf 
Mit Grunzen und Geſchnüffel 
Sich wälzen in dem Sumpf, 


So hält man ohne Zweifel 

Sich ſchnell die Naſe zu 

Und denkt: „Hinweg! Pfui Teufel! 
Wie ekelhaft biſt du!“ 


Doch kommen andre Tage 
Und anders klingt das Lied, 
Wenn eine Höllenplage 

Uns durch die Glieder zieht, 


Wenn in das Kreuz uns blitzet 
Der wilde Hexenſchuß, 

In die Gelenke ſitzet 

Der gichtiſch böſe Fluß, 


Wenn ſich die Ischiadik 

In unſre Hüfte ſchleicht 
Und keiner Diplomatik 

Der armen Heilkunſt weicht. 


214 


Wenn alſo uns durchmürbet 
Des grimmen Leidens Bolz, 
Wie ſchwindet da und ſtirbet 
Des Menſchen ſpröder Stolz! 


Mit anderen Gefühlen 

Sieht man im dichten Dreck 

Die Sau, den Büffel wühlen, 
Man denkt: das Ding hat Zweck! 


Käm' es nicht appetitlich 
Den guten Tierlein vor, 

Sie ſchnauften ſo gemütlich 
Und grunzten nicht im Moor. 


Einmal auf dieſer Fährte, 
Entſinnt man ſich geſchwind: 
Geſchaffen iſt aus Erde 

Ja doch das Menſchenkind! 


Stammt alſo nach der Bibel 
Der Menſch vom Erdenkloß, 
So iſt der Ruf nicht übel: 
Zurück zum Erdenſchoß! 


Nach ſo viel harten Proben, 
Die nichts als eitel Dunſt, 

Iſt es ein Wink von oben: 
Den Abſchied gib der Kunſt! 


215 
Geh hin! Entfchloffen wende 
Dich nun zur echten Kur! 
Der Dreck iſt ja am Ende 
Nichts andres als Natur! 


Die Bildung hat uns allen 
Des Siechtums Not gebracht, 
Drum laſſe dir gefallen 

Des Urſtoffs alte Nacht! 


Gefunden iſt das Wahre! 
Zum Henker die Arznei! 
Entſchließe dich und fahre 
Keck in die Sauerei! 


Tauch in die klumpige Lauge, 
Den dickzäh lehmigen Saft, 
Aus Urwaldsmoder ſauge 
Des Erden-Zentrums Kraft! 


Wie fühlt ſich in der Kufe 
Der Menſch nun primitiv! 

Die Schweins- und Büffelſtufe, 
Wie faßt er ſie ſo tief! 


Daß er nun dies Verſtändnis 

Des Tiergemüts beſitzt, 

Das mehrt ihm die Erkenntnis, 
Wenn auch die Kur nichts nützt. — 


216 


Von Moorſchlammſchmutz umſchlungen, 
Zu dichten: das iſt Kunſt! 

Und iſt es nicht geſungen, 

So iſt es doch gegrunzt. 


(Fortſetzung des dritten Geſangs.) 


Schnell hatte ſie das Papier durchflogen, 
Wobei ſie merklich den Mund verzogen, 
Dann gab ſie mir mit verächtlichem Blick 
Mein Poem zurück. 

„Soll ich etwa Gefallen han 

An dem ranzigen, zähen ironiſchen Tran? 
Miſerables muffiges Moordekokt! 

Man ſieht dich, wie du im Schlamm gehockt. 
Biſt du ein Freund der Ironie?“ 
„„Verzeihen Sie —““ 

So begann ich, wollte was Spitziges ſagen, 
Wie etwa: für ſolche Gewiſſensfragen 

Sei es etwas zu früh. 

Sie fiel mir ins Wort: 

„Nur weiter, weiter! Fahre nur fort!“ 
„„Der Doktor auf meine Klagen ſprach: 
Mit elektriſchem Eingriff helfen wir nach, 
Und aufs neue bot ich die Hüfte dar. 

Tut eben auch nicht wohl fürwahr: 


217 
Es beißt, es prickelt, es fühlet ſich 

Wie Brenneſſeljucken und Bienenſtich. 

Doch der Bienenſtich war ſo wenig nutz 

Als im Zuber der Leim, der Papp, der Schmutz. 
Ich ſagte Ade! von alt und jung 

Freundlich vertröſtet auf Nachwirkung, 

Ich verließ, und nicht mit Segenswort, 

Den ungnädigen Gnadenort 

Und ſchleppte zur nahen Hauptſtadt wieder 

Die durchmoorten, durchtorften, durchharzten Glieder 
Und hinkte herum 

Halblahm und krumm 

Und harrte. — 

Die Hoffnung narrte. 

Urſprünglich hatte ich hingewollt, 

Wo die Mandeln blühen, der Tiber rollt, 
Hinüber nach Süden, über den Inn, 

Über den Brenner ſtand mein Sinn. 

Doch: nein! 

Sagte der Brenner im Bein. 

So bin ich denn noch ein paar Wochen 

Als armer Wurm dort herumgekrochen, 

Hab' wieder geharrt und endlich gedacht: 

Zeit iſt es, daß man ein Punktum macht! 

Und weſtwärts gieng es, zurück, nach Haus, 
Und die luſtige Reiſe war aus.““ 


218 
„Weiter,“ ſprach fie, „nur weiter! Und?“ 
„„Ja, da war nun mein armer Hund —““ 
Sie hatte zu ihrem „Weiter“ gegähnt, 
Kaum aber war der Hund erwähnt, 
So wurde ſie munter und warf hinein: 
„Was iſt's für einer? Groß oder klein?“ 
„„Feinhaariger Affenpinſcher, — grau, 
Die Farbe ſpielt fein hinüber ins Blau.““ 
„Muß nett ſein, möchte ihn wohl auch ſehn; 
Nun, und der Pinſcher? ich kann's verſtehn —“ 
„„In guter Pflege, 
Doch dumpf und träge 
War er drei Monde zu Haus gehockt, 
In allen Säften verſtumpft, verſtockt, 
Mir ſagte ſo rührend ſein Salutieren, 
Ich ſollt' ihn auch wieder ſpazieren führen —““ 
„Recht, recht! Und darum noch eine Kur 
Verſuchteſt du an der ſpröden Natur — 
Nun, begreiflich am Ende, verzeihlich —“ 


„„Aber ſehr langweilig. 

Ich ſollte nun Tag und Nacht mich plagen, 
Einen Sack am linken Schenkel zu tragen: 
Warm Waſſer in Guttapercha-Behälter — 
Unmöglich, beſtändig rutſcht er, fällt er, 
Wie man ihn gurten mag und knüpfen, 


Und will nicht erlauben, das Bein zu lüpfen. 


Fluchend ſchmiß ich den Plunder ins Eck; 
Wollte doch nicht laſſen vom Heilungszweck: 
Ins Wildbad ſchrieb ich und klagte 

Dem dortigen Doktor und fragte, 

Ob der warmen Quelle, der wunderreichen, 
Nicht auch ischiadiſche Schmerzen weichen; 
Ja, ſchreibt der Doktor, komm nur ſchnell! 
Und ich placke mich hin, ich dummer Geſell, 
Denn von allen Neſtern der Erde faſt 

Iſt keins wie ein Badeort mir verhaßt.““ 


„Ja,“ ſagte ſie, „da haſt du nun recht! 
Man ſollte wahrhaftig wohl bedenken, 
Dieſem törichten Menſchengeſchlecht 
Eines Heilquells göttliches Gut zu ſchenken. 
Wie die Unſchuld rein 

Aus Urgeſtein 

In Waldesnacht 

Aus der Erde Schacht 

Den Lebendigen allen zur Labe 
Sprudelt die heilige Gabe. 

Die Poſaune gellt 

In die weite Welt, 


Und ſie kommen in Schwärmen herangerumpelt, 


In Kinderwägen, an Krücken gehumpelt, 


219 


220 
Mit den Kranken Tauſende ohne Schmerzen, 
Doch vergiftet, verpeſtet im innerſten Herzen, 
Die Praſſer, die Spieler, die Künſtler im Schwindel, 
Das ganze moderne Kulturgeſindel, 
Und zugleich mit den Gichten und Giften im Bein 
Schleppt man die Gifte der Bildung ein, 
Der Genußſucht, der Geldgier fiebernde Qual 
Ins ſtille Tal. — 
Nun, und wie gieng's im Badverlies, 
Im vergifteten Paradies?“ 
„Da lies 1% 
Und ich gab ihr den zweiten Hochgeſang 
Mit ſeinem dramatiſchen Gang und Drang. 


Zweiter Geſang. 
Im Wildbad. 
Breſthafter Menſch ſchläft und träumt. Ihm erſcheint 
Achilles: 
Ich komme aus der Ilias 


Und habe keine Ischias. 


Odyſſeus: 


Ich komme aus der Odyſſee, 
Die Hüfte tut mir gar nicht weh. 


221 
Siegfried: 

Siegfried bin ich, der deutſche Held, 

Mein Fußgeſtell iſt wohlbeſtellt. 


Karl der Große: 


Ich bin der König Karolus 
Und habe keinen Hexenſchuß. 


Breſthafter Menſch: 
Jetzt hab' ich's genug! Himmelkreuzdonnerwetter! 
Helden wollt ihr ſein? Lümmel ſeid ihr! Wartet, 
Flegel, ich ſchmeiß' euch meine Stiefel an den Kopf! 
(Er greift unter die Bettlade, es auszuführen, ſchreit vor Schmerz auf und er— 


wacht. — Schläft nach einiger Zeit wieder ein. Träumt, er ſitze in der Quelle. 
Ihm erſcheint): 


Graf Eberhard im Bart 
(da der breſthafte Menſch aufſtehen will): 
Bis unverzagt, nur ligen blib! 


Von wunden iſt wol krank din lib? 


Breſthafter Menſch: 
O, leider nein! Ich ſag' es frei, 
Von vieler Sitz- und Schreiberei. 


Graf Eberhard: 


Wer biſt du dan, 
Du fiecher Man? 


222 


Breſthafter Menſch: 
Profeſſor bin ich zubenannt 
Und dien' im Württembergerland. 


Graf Eberhard: 
Stat wol uf miner hohen Schuol 
Ze Tubingen din L£rer-Stuol? 


Brefthafter Menſch: 
Die meiſten, beſten Lebensjahr' 
Mein Mühen ihr gewidmet war. 


Graf Eberhard: 


Daz hore ich mit vröuden an, 
Diewil ich ſie geſtiftet han. 

(Setzt ſich ins Waſſer.) 
Sag an, warum biſt du ſo bleich, 
Tuont dir ſo wehe dine Gleich? 


Breſthafter Menſch: 


Das wohl auch; mehr noch bin ich wund 


Vom Hohn aus alter Helden Mund, 

Die ſtolz auf ihren ſtarken Leib 

Mein ſpotteten zum Zeitvertreib. 
Graf Eberhard: 


Sint liute, die es nit verſtant, 
Diewil ſie nit ſtudiret hant. 


223 
Min wunden fint zwar von dem [wert, 
Doch dine fint mir ouch ge£rt. 
Ruow uz in diſem wazzerlin, 
Sol dir wie mir geſegnet ſin, 
Ez iſt ein brünnlin warm und mild, 


Gar frum für bresthaft menſchenbild. 
Plötzlich hört man Waffenlärm, Angſtruf: „Die Schlegler kommen, ſtürmen ſchon 
zum Dorf herein!“ Der breſthafte Menſch rafft ſich auf, nimmt den Grafen auf 
die Schulter, trägt ihn keuchend ein Stück weit den nächſten Berg hinauf, bricht 

zuſammen, meint Graf Eberhard noch ſagen zu hören: 

Vergelt dir got die triuwe din, 

Din hüftknoch [ol geheilet fin! 


Er erwacht an ſtarken Schmerzen, befinnt ſich, daß er den Grafen und Herzog 
Eberhard im Traum verwechſelt hat, und ruft: „Bei dieſem Traumſchnitzer, was 
kann da der Segen helfen!“ 


(Fortſetzung und Ende des dritten Geſangs.) 


Sie ſchien auch daraus wenig zu machen, 

Nur ein bißchen mußte ſie lachen. 

„Das Altdeutſch mag ich, das hat noch Kraft, 
Und Leben und Mark und flüſſigen Saft, 

Auf euer Neudeutſch ſeid nicht ſtolz, 

Es iſt nur trocknes, geſägtes Holz. 

Verglichen mit dem ironiſchen Tran 

Geht das Ganze noch leidlich an, 

Es iſt um ein gutes Bröſelein beſſer; 


224 
Übrigens hat der Herr Profeſſer 
Den Schnitzer vom Grafen Eberhard 
In verſpäteter Geiſtesgegenwart 
Am Schluſſe vernäht mit Ach und Krach; 
Es klappt nicht ganz, denn man merkt die Sach.“ 


Bei dieſer Kritik meines Dichterwerks 
Dachte ich: Donner! das Weib hat Merks! — 
„Profeſſer“ ſprach ſie mit einem Ton, 

Als habe ſie ohne das Blatt auch ſchon 
Meine Kondition entdeckt, 
Und zwar ohne beſondern Reſpekt. 


„Und für nichts wieder die ganze Schur? 
Und es hieß: nach Hauſe, nach Hauſe nur?“ 


„„Es wiederholte ſich wie ein Reim, 

Und der Krüppel ſchleppte ſich wieder heim. 
Ja ſchlimmer noch ſtand es als zuvor, 

Und doch fieng wieder ich Narr, ich Tor —““ 


„Wieder das Schmieren und Salben an?“ 
„„Nicht gleich. Es erſchien auf dem Feldzugsplan 
Mit ſeinem Kolben, Pinſel und Draht 

Aufs neu' der elektriſche Apparat; 

Drei Wochen, um konſequenter zu fein, 
Durchkniſterte man das ſtörriſche Bein. — 


225 
Umſonſt. — Da dachte der menſchliche Witz: 

Man probiere ein Mittel, weniger ſpitz, 

Man durchknete mit ſtarker männlicher Fauſt 

Die Muskel, worin der Nervſchmerz hauſt! 

Und es kam der Kneter und walkte und ſtrich, 
Und als nach Wochen der Schmerz nicht wich, 
Meint' er, zum Kneten 

Fehle das Beten — 

Doch ſtatt das Beten nun zu probieren, 

Ach, da begann ich das Medizinieren, 

Da gieng's ans Verſchreiben und Rezipieren! 
Wohlan, ſo hieß es, jetzt wirkt man von innen, 
Das treibt den Satan von hinnen! 

Jodkali, vorlängſt ſchon angeraten, 

Schien uns zu ſchwach für ſolche Taten, 

Schärfer dem Feind auf den Leib zu rucken, 
Mußte ich Phosphorſäure ſchlucken, 

Etlich Tropfen des Tags nahm ich wochenlang ein, 
Doch nichts danach fragte die Pein im Bein; 

Mir ſchien es bereits, ich ſollte auf Erden 

Noch gar ein wandelndes Zündhölzchen werden. 
Man beſchloß, da auch dies nichts wollte verfangen, 
Epiſodiſch nach dem Schmiertopf zu langen, 

Nach Salben, Dekokten aus beizendem Saft, 

Aus Pflanzen, aus mineraliſcher Kraft, 

Die man hoffte durch tüchtiges, emſiges Reiben 
Viſcher, Lyriſche Gänge 15 


226 
Bis hinein in das Mark des Nervs zu treiben: 
Zuerſt eine Miſchung von Laudanum, 
Coctum hyoscyami oleum 
Und dazu als vermittelnden spiritus 
Schmerzbannenden aether sulphuricus, — 
Was aber, wie ſehr es auch brannte und biß, 
Auf Wirkung gemütlich hoffen ließ. 
Nun riet mir ein guter Bekannter, 
Ein Leidensverwandter: 
Sicherer wirke da nichts und ſchneller 
Als Doktor Airy's Pain-Expeller, 
Und ich ſchmiert' als duldendes Lämmelein 
Den amerikaniſchen Schwindel ein, 
Doch wie ich auch hantierte und rieb, 
Der Teufel im Nerv mir ſitzen blieb. 


Jetzt tauchte mir auf eine alte Idee: 

Es hatte mir droben am Bodenſee 

Noch im Herbſt ein wackerer Doktorsmann 
Als Mittel, das notfalls heilen kann, 
Geraten in einem Kolloquium 

Kanthariden mit Kollodium: 

Man müſſe mit einem breiten Pinſel 

Eine Art von langgeſtreckter Inſel 

Von der Hüfte über den Schenkel hin 
Von dieſer ſcharfen Latwerge ziehn; 


L 


Hat dies den gehörigen Brand erzeugt, 
So ſoll der Kranke ſich ungebeugt 
Einen zweiten ſolchen Streifen führen, 
Und damit fo lang kontinuieren, 
Bis die ganze betreffende Hügelwelt 
Nichts iſt als ein einziges Wundenfeld. 
Ich will es Euch, ſprach er, nicht ſo empfehlen, 
Als ſei auf das Mittel immer zu zählen, 
Doch ein Fall bezeugt, was es wirken kann: 
Aufs Land hinaus rief mich ein kranker Mann; 
Ich fand von der Ischias ihn gelähmt, 
Kein Remedium hatte das Übel gezähmt, 
Er krümmte ſich, ächzte vor Höllenqual 
Und ſehnte ſich weg aus dem Jammertal. 
„Wollt Ihr das verzweifelte Mittel wagen?“ 
„„Nur her damit!““ rief er ohne Zagen. 
Es geſchah. Vier Wochen nicht ganz voll 
Gehen ins Land. Ein Rädergeroll 
Hör' ich und ſchaue zum Fenſter hinaus, 
Da hält ein Wagen vor meinem Haus. 
Wer ſpringt aus der Kutſche? Wer flink und behend 
Die Stiegen herauf? Mein Patient. 
„„Herr Doktor, da bin ich! Bin frei und frank! 
Und ſag' Euch vieltauſendmal Herzensdank! 
Herr Doktor, mein Retter, ich bin geneſen, 
Aber eine Saukur iſt es geweſen!““ 

15* 


1 


28 

Die Frau erſchrak im mindeſten nicht 

Vor des biederen Wortes Vollgewicht; 

Sie ſchmunzelte, ſie begann zu lachen, 
Erſt leiſe, dann immer heller und heller, 
In kollernden Rucken ſchneller und ſchneller — 
Es war ein Ton, ein waldfriſch echter, 

Als hörte man wilder Tauben Gelächter. 
Die Vögel, durch mein Erſcheinen ſcheue, 
Gelockt von dem Ton erſchienen aufs neue. 
Sie lachte und ſtreute, ſtreute und lachte, 
Indeſſen ich ſchwere Skrupel mir machte, 
Fortzuſpinnen am faden Berichte 

Meiner trübſeligen Leidensgeſchichte. 


„Nur weiter!“ ſagte ſie, „mach nur fort.“ 
„„Nun ja! verſetz' ich, „„das gröbliche Wort, 
Das der gediegene Landmann ſprach, 

Gieng doch wie ein grauſes Geſpenſt mir nach, 
Und ich wagte es nicht auf ſo grimme Beſchwerden. 
Nun ſollte doch aber geſtiegen werden, 

Gegriffen heroiſch nach einem Unguent, 

Das ſuperlativiſch beißt und brennt. 

Man wählte das Ol aus Krotonkraut 

Und verbrannte umſonſt mir die arme Haut.““ — 


„Und nun? 
Was weiter tun?“ 


„„Nun verſuchte man wieder, von innen 
Den Rettungsweg zu gewinnen. 

Auf ſtieg der Gedanke kühn und groß: 
Den Teufel durch Beelzebub zu vertreiben, 
Muß man Gift gegen Gift verſchreiben, 
Metalliſches Gift aus der Berge Schoß 
Gegen des Satans Geiſtergift! 

Das muß wirken, wohlan, das trifft! 
Und ſo nehm' ich denn jetzt mit Mut, 
Hoffend, es tue gut, 

In einem Löffelein 

Per Tag ſechs Tröpfelein 

Arſenik ein. —““ 


Stärker und ſtärker lachte das Weib, 

Es ſchüttelte förmlich den rüſtigen Leib 

In Polterſtößen, in rhythmiſchem Schwall, 

Wie Trommelgedröhne, Trompetenſchall, 

Auf die Schenkel ſchlägt ſie ſich, daß es klatſcht, 
Ja im Lachrauſch wird ſie ſo frech und grob, 

Daß ſie jauchzend auch mir auf den Schenkel patſcht, 
— Den geſunden gottlob. 


Über der Schande 

Stieg mir und brannte 

Die flammende Röte bis ans Ohr, 

Bis zu des Stirnhaars Wurzeln empor; 


30 
Auf will ich fahren und zucke 

Vor Schmerz bei dem mühſamen Rucke, 
Und wie ich ſo ſchwebe, geſtützt auf die Hand, 
Halb Sitz, halb Stand, 

Was muß ich ſehen? Das ſchnöde Weib 
Erdroſſelt im Mutwill, zum Zeitvertreib, 
Im Kitzel des Lachens, im Frevelmut 

Der niedlichen Vögelein bettelnde Brut, 

Nur ſo in der Geſchwindigkeit 

Iſt Daumen und Zeigefinger bereit, 

Wenn ſo ein Tierchen vertraulich pickt, 

Und das tonreiche Hälschen iſt geknickt; 

Da lagen im Sande, es war zum Weinen, 
Noch zuckend ein Teil, die armen Kleinen. 


Ich konnte nicht ſchweigen, im tiefſten Baß 
Sag' ich: „„Pfui! ſo gemein wie graß! 
So graß wie gemein!“ 

Nicht länger bei dieſer Perſon zu ſein, 
Verſucht' ich aufs neue, raſch aufzuſtehen, 
Was leider ſo ſchnell nicht konnte geſchehen. 


Sie erhob ſich und pflanzte ſich vor mich hin, 
Wobei ſie mir ſeltſam größer erſchien 

Als zuvor. Ihr Auge brannte 

Auf mir, mich bannte 

Der Blick. In die Hüften die Fäuſte geſtemmt 


Stand fie, und ich, beſtürzt, beklemmt, 
Setzte mich wieder. Sie ſchwieg eine Weile, 
Im Innern wohl ſammelnd ihre Pfeile, 
Dann tat ſie den Mund auf und begann: 


„Armſelige Menſchlein, Weib und Mann, 
Stellet euch nicht ſo, tut nicht ſo! 

Wir kennen es, euer Ach und O! 

Lügner vom Wirbel zur Zeh! 

Da rufet ihr Au! Da rufet ihr Weh! 
Wenn ein luftiges Vogelweſen 

Von der Grundkraft Hand und ſtrotzendem Beſen 
Schlechthin ſein natürlich Schickſal befährt! 
Raffinierte Beſtien, die ihr zehrt 

Von der gebundenen, 

Geſchundenen, 

Um ihr bißchen Glück betrogenen, 
Gefeſſelten, ausgeſogenen, 

Der überliſteten Kreatur! — 

Empfindſam iſt die Kultur, 

Tränen der Rührung läßt ſie fließen, 

Um das Mitleid ſüß zu genießen, — 

Ja, ja! Empfindſam und grauſam zugleich: 
So ſteht's in eurem moraliſchen Reich! — 
Ihr ſchwätzt vom Naiven, 

Vom Primitiven, 


231 


232 
Und tritt es herein, 
So heißt es gemein. 
Naturwüchſig heißt euer Modewort, 
Und kommt die Natur, ſo ſtoßt ihr ſie fort! 
Das Naive — kokett muß es ſein, 
Dann leuchtet's euch ein. 
Theater wird alles. 
Die Stürze des Waſſerfalles 
Müßt ihr bengaliſch euch illuminieren, 
Die Natur erſt ſchminken und auffriſieren, 
Dann ſtehen und gaffen 
Die Gecken und Affen 
Und klatſchen und rufen: da capo! heraus! 
Als ſäßen die Laffen im Schauſpielhaus. 
Einſam ſein 
Mit der Natur allein: 
Mit der keuſchen, wilden, es macht euch Graus, 
Einen Lebtag müßt ihr machen daraus, 
Zu Hunderten drängt ihr euch herum 
In Fratzenkleidern frech und dumm 
Um das feierlich ſtille Heiligtum 
Und belügt einander im lauten Gewühl, 
Ihr habet Gefühl, 
Und wallet im Schwarm zum ‚hötel‘ zurück, 
Geſpannt auf des Koches Meiſterſtück, 
Die Paſtete, des Tifch-,menu‘ Krone und Glanz, 


233 
Aus der Leber der krankgeſtopften Gans, 
Denn eures Gefühles wahre Welt 
Iſt Magen und Geld. 
Alles fälſchet ihr, Milch, Brot, Wein 
Und am Ende noch Waſſer und Sonnenſchein, 
Ihr fälſchet der Sprache goldenen Hort, 
Verdrehet im Kerne das ehrliche Wort. 
Ja ſelbſt des Buchſtabs beſtimmter Laut, 
Weil vor dem Klaren und Feſten euch graut, 
In ſeinem Beſtande wird er gefälſcht, 
Von der ſchlüpfrigen, glitſchigen Zunge verwelſcht.“ 


Hier hemmt ſie auf einmal der Rede Lauf; 
„Halt!“ ruft ſie, „gib acht, paß auf! 
Sag: Natur!“ 

Ich ſagte: Natur. 

„Sag: Humor!“ 

Ich ſagte: Humor. 

„Das laß dir gut ſein“, 

Lenkt ſie nun ein, 

„Hätteſt den R⸗Laut du gebrochen, 

Und Natua, Humoa geſprochen, 

Wie mit den grog- und punſchverſchmorten 
Zungen die Städter in eurem Norden, 

Sieh, Menſch, ich hätte dir, meiner Seele! 
Zerdrückt wie den Vögeln die zwitſchernde Kehle, 


234 
Du follteft auf grünen Lebensauen 
Mich nie wieder ſchauen. 
Und doch, das will ja noch wenig ſagen; 
Nach etwas anderem laß uns fragen: 
Beichte mir, ſprich! 
Nicht trüge mich! 
Sag mir aufs Haar: 
Biſt du wahr? 
Haſt du nie den franken 
Gedanken 
Gefälſcht, mit verlognen Worten gegleiſt, 
Die Sünde gegen den heiligen Geiſt 
Nie begangen? Den Mund auf, ſprich! 
Oder ich zwinge dich!“ 


Eigentlich wollte ich remonſtrieren, 
Gegen die Drohung rebellieren, 

Hätt' ihr auch gern es hingerieben, 
Sie habe doch ſchrecklich übertrieben, 
Allein in demſelben Augenblick, 

Da ich loszuſchießen gedachte, 

Spüre ich ſachte 

Ihre Hand geſchoben an mein Genick, 
Und mir fiel ein, was im Franzenland 
La toilette fatale iſt benannt: 

Der Henker tritt ins Gefängnis ein 


Und führt dem Verbrecher ſanft und fein 

An den Nacken die Hand, 

Zu fühlen, wie es bewandt 

Mit den untern Haaren, 

Ob das Meſſer bequemlich durch kann fahren, 
Dann zieht er ein Scherchen 

Und ſchneidet die Härchen 

Und verlangt kein Douceur, 

Der grauſe Friſeur. 


Nicht an den Locken, nur am Gewand, 
Packte mich jetzt des Weibes Hand, 

Am kummetähnlichen Kragen, 

Wie wir nach der Mode ihn tragen. 

Was ſoll es? ſchrei' ich entſetzt — 

Aber jetzt, o jetzt — 

Sie beginnt mich zu heben, 

Ich fühle mich ſchweben, 

Wie an der Angel baumelt der Fiſch, 

Wie am Galgen als armer Wiſch, 

Als nichtiger Fetzen hängt in der Luft 

Ein Mörder, ein Räuber, ein diebiſcher Schuft. 
Nun geht es empor — wie macht ſie's nur? 
Sie war doch ſo groß nicht von Statur — 
Höher und höher geht der Zug, 

Der unerbetene bange Flug, 


236 
Bis hinan zur Höhe der Pappeln 
Schweb' ich, was half mein Zappeln, 
Mein wilder Fluch, mein wütendes Schrei'n? 
Ich beſchloß, dem Schickſal ſtille zu ſein, 
Nur eins noch rief ich: „„Ich beichte nicht, 
Ob zehnmal auch das Genick mir bricht!““ 


„Komm, Alterchen, komm an den See! 
Da beichte mir, oder weh!“ 


Es iſt in dem Park ein Waſſerbecken, 

Tief genug, um den Lahmen zu ſchrecken, 
Den hilfloſen Mann, 

Der ſchmerzenhalber nicht ſchwimmen kann. 
Sie macht Ernſt, ſie bewegt ſich fort, 

In wenig Minuten ſind wir am Ort, 

Sie ſtreckt ihren Arm, und hoch in der Luft 
Schwebe ich über der naſſen Gruft; 

Ich hieng, den Rücken ihr zugewandt, 

Sie dreht mich herum mit der Rieſenhand, 
Und wie geblendet von magiſchem Licht 
Schau' ich ihr jetzt ins Angeſicht, 

Schaue nieder 

Über die mächtigen Glieder 

Und wieder herauf zu Kinn und Mund, 
Auf die Stirn, in des Auges gewölbtes Rund — — 


237 
Das iſt nicht mehr das vorige Weib 
Mit dem behäbig rundlichen Leib, 
Athene Promachos glaub' ich zu ſehn, 
Wie ſie hoch auf der Burg zu Athen, 
Die ſtrenge, kalte Jungfrau, die hehre, 
Mit gezücktem Schild, mit gezücktem Speere 
Wachſam und furchtbar blickend ſtand, 
Zu ſchützen ihr teures attiſches Land, 
Daß vor dem ehernen Rieſenbilde 
Der Gotenkönig, der blutige, wilde, 
Entſetzt zurückfuhr, als er hervor 
Aus dem prächtigen Säulentor, 
Aus der Halle der Propyläen trat; 
Eine Walküre ſei ihm genaht, 
Mochte er meinen, oder mit Grauen 
Glaubt' er die Mutter Hertha zu ſchauen, 
Gegen dunkle Thurſen der Urweltzeit 
Die Erdenkinder zu decken bereit. — 
Und wieder, wie ich ſo ſchrecklich nah' 
Ins große, weitoffene Auge ſah, 
Stand eine vor mir, die höchſte von allen, 
Wie ſie einſt in Palaſteshallen 
Als Marmorgebilde vor mir ſtand 
Und mir die Seele mit Ehrfurcht band: 
Kronions Gattin, an ſeiner Seite 
Herrſchend über des Weltalls Weite, 


238 
Ein Haupt von erſchreckender Majeſtät, 
Und doch von der Anmut Flügel umweht. 


So jagten wie Stürme in einem Nu, 
In kurzer Sekunden langem Lauf 

Die Gedanken mir ab und zu; 

Da tut ſie die ſchwellenden Lippen auf 
Und ſpricht in klangvoll tiefem Ton: 
„Noch einmal frag' ich dich, Erdenſohn: 
Biſt du immer wahr geweſen?“ 


Am Ton, in den Augen konnt' ich ihr leſen: 
Jetzt wird's ernſt. — Wie ein Hammer 
Schlug es mir in des Herzens Kammer. 
Ich ſtockte, noch immer ſträubte ſich doch 
Der Trotz mir gegen das ſchmähliche Joch, 
Aber er wich dem Schauer und Bangen, 
Denn über die Stirn und die runden Wangen 
Kam ihr ein grauer Schatten geflogen, 
Ein böſer, dämoniſcher Hauch gezogen, 
Das ruhige Licht im großen, dunkeln 
Sterne des Augs ward nächtliches Funkeln; 
Die hohe Göttin war ſie nicht mehr, 
Geſpenſtiſch ſchaute ſie zu mir her — 

Ihr kennet das ſchauerlich ſchöne Haupt, 
Das man ſoeben verſteinert glaubt 


239 
Und das uns ſelbſt zu verſteinern droht 
Und das noch mitten im grauſen Tod 
Und neben der Bosheit zuckender Spur 
Der Reiz gefallener edler Natur, 
Der Adel der griechiſchen Form umhaucht, 
Den Beſchauer in banges Entzücken taucht, 
Das Haupt, aus deſſen Lockenringeln 
Die Nattern züngeln — 
Ihr wißt, wie es ſtarrt aus der Marmorwand: 
Die Medusa Rondanini genannt. 


In den Adern gefror mein Blut, 

Hin war auch der letzte Reſt von Mut, 
In der Todesangſt, im bleichen Graus 
Stottert' ich kläglichen Tons heraus: 
in Ach ja, ach ja, ich hab' oft gelogen, 
Als Knabe den ſtrengen Lehrer betrogen, 
Das harte Geſetz umſchlichen mit Liſt 
Als mutwilliger Seminariſt.““ 


„Das will ich nicht wiſſen! Weiter im Text!“ 
So beicht' und bekenn' ich denn zunächſt: 
„„Wenn mich der ſchelmiſche Gott beſeſſen, 
Gott Amor, da hab' ich oft vergeſſen 

Der Wahrhaftigkeit ernſte Pflicht. 
Gewiſſensſkrupel macht' es mir nicht, 


40 
Gevattern, Müttern und Baſen 

Zu drehen wächſerne Naſen, 

Half bei ſo manchem diebiſchen Schritt 

Die Geliebte doch ſelber mit.““ 

„Nun ja, das weiß man, die Heimlichkeit 

Liebt Eros. Mach fort! Nicht ſo lang und breit!“ 
„„In der Welt verdorbener, falſcher Luft 

Bin ich höflich geweſen manchem Schuft, 

Hab' manchem: ergebenſter Diener geſagt, 

Dem eine Kugel ich lieber gejagt 

Durch die freche Stirn 

Ins ſchlaue Hirn. 

Hab' manchen Brief unterſchrieben: 

In ganz vorzüglicher Hochachtung, 

Und hätte doch lieber die Feder gewetzt, 

An die Stelle des Hoch ein Ver geſetzt.““ 


„Das iſt die Welt, ihre Form und Art, 
Worin ganz echt ſich keiner bewahrt. 
Springe nicht ab und beuge nicht aus, 
Du glatte, ſchlüpfende Menſchenmaus! 
Du ſollſt mir ſprechen, du weißt es, 
Von Regionen des Geiſtes, 

Von den Gebieten und den Stunden, 
Wo man die Wahrheit unumwunden, 
Ungeſchminkt und nackt und ſcharf 


Erwarten und verlangen darf.“ 

„„Ach Gott, ach ja, ich hab' oft geränkelt, 
Phraſen gedreht, mit Worten geplänkelt, 
Einen blauen Nebel oft vorgemacht, 

Wenn ich ſollte lehren 

Und etwas erklären 

Und hatt' es ſelber nicht klar gedacht. 

Es macht eben gar ſo ſchwül und heiß, 
Wenn man etwas ſelber nicht weiß 

Und ſoll es doch ſagen rund, profund, 

Als ſpräche der Weisheit Prophetenmund.““ 


„Das iſt ſchon ſchlimmer, 

Doch dies auch noch immer 

Läßt ſich verzeihn. 

Nein! Nein! 

Wiſſen will ich, ob du dem Wahren, 
Wo du es ſelber mit klaren 

Augen erkannt und wo man es voll 
Und ganz erwarten darf und ſoll, 

Ob du da in deinem ganzen Leben 

Der Wahrheit haſt die Ehre gegeben.“ 


Bei den Worten ſpürte ich einen Ruck, 
Von ihrem Arm einen Druck und Zuck, 


Er fuhr mir vom Nacken durch alle Glieder, 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 16 


241 


242 
In den Kopf hinauf, zu den Zehen nieder, 
Auch krachten durch die Länge des Tragens 
Bedenklich die Nähte des Kummetkragens, — 
Was, wenn ſie nicht extra mich fallen ließ, 
Mir den naſſen Tod ohnedas verhieß — 
Doch wohl mir! Der Ruck geriet mir zum Heil, 
Er bewirkte ſein richtig Gegenteil. 
Er rüttelte, ſchüttelte mich zurecht, 
Ich ſagte zu mir: bin ich denn ſchlecht? 
Auf die Ehre beſann ich mich 
Und fragte mich: bin ich nicht ich? 
Ich kam zu mir, fand mich, in mir den Mann, 
Und gelüftet war der erdrückende Bann. 
Geſammelt blickt' ich nach oben, 
Dann ſchaut' ich ihr ruhig ins Geſicht 
Und ſagte gelaſſen: Verlange nicht, 
Daß ich mich ſelber ſolle loben. 


Und wie ich das einfache Wort geſprochen, 
Schien der böſe Geiſt in ihr gebrochen, 
Freundlicher wurde der finſtere Blick, 

Die Röte der Wangen kehrte zurück, 

Die Falte des Zorns auf der Stirn verflog, 
Und die Winkel der vollen Lippen umzog 
Ein Lächeln ſo ſanft, wie ich ſelten es ſah, 
Ein ſtummes, zufriedengeſtelltes Ja. 


Gleichzeitig glaubte ich zu entdecken, 

Es weiche des Armes ſtraffliniges Strecken, 
Der eiſerne, ſtarre Zwang und Spann, 

Sie zog mich rückwärts, ſie begann 

Mich niederzuſenken aufs feſte Land. 
Zugleich auch ſank ſie ſelber, es ſchwand 
Langſam, langſam ihr Rieſenleib, 

Und ſie wurde wieder das vorige Weib: 
Dicklicht, auf Menſchenart leibhaft, lebig, 
Rotbackig, gemütlich, bequem, behäbig. 

Und wie ich ſoeben an ihrer Seite 

Zum Boden vollends herniedergleite, 

Mein' ich zu ſpüren, 

Daß unſere Hüften ſich berühren, 

Meine linke, die kranke, die leidende, arme, 
Streift ihre rechte, die volle, die warme. — 
Vom Nacken löſte ſich ihre Hand, 

Und auf den eigenen Füßen ſtand 

Mit einem lauten, freudigen Ah! 

Der Märtyrer endlich wieder da. 


Obwohl nun eigentlich offenbar 

Hier ganz und gar nichts zu danken war, 
Wollte ich dennoch ein Dankeswort 
Stammeln. Aber das Weib war fort. 
In die Luft zerfloſſen? 


16* 


244 
Als Welle zergoſſen? 
Ins Gras, ins Laub, in der Stämme Schaft 
Zerronnen als perlender, nährender Saft? 
Geſunken hinab in der Erde Kern? 
Geſtiegen hinauf, zu ſtrahlen als Stern? 
Wer konnt' es wiſſen? Vor Staunen ſtumm 
Schaut' ich noch eine Weile mich um 
Und gieng 
Und hieng 
Noch immer nach rechts, mich zu ſchonen befliſſen, 
Und meinte noch immer hinken zu müſſen, 
Und merke doch nach und nach — Wie? Was? 
Es geht ja, glaub' ich, auch ohne das! 
Und als ich zu Haus nun angekommen, 
Wo ich ſonſt ſo mühlich die Stieg' erklommen, 
Sc ſprang ich in federleichtem Lauf 
Wie ein Jüngling die Treppen hinauf. 
Mit Hüpfen begrüßte mich frohen Lauts 
Mein Hund, der arme Gefangne, der Schnauz, 
Der immer ſo traurig ſein Schwänzlein ſenkte, 
Wenn ich zum Parke die Schritte lenkte: 
Er wußte — es tat in der Seel' ihm weh —, 
Daß Hunde da haben kein Entree. 


Ich ſchellte — wie ſonſt nicht — ſtärker und ſchneller —, 
Die Schaffnerin kam. „Geh, hol aus dem Keller 


245 
Eine Flaſche herauf vom Achaja-Wein! 
Ein feuriger muß es heute ſein!“ 
Fragend ſah ſie mich an; zum Feſte 
War der Trank geſpart für heitere Gäſte. 
„Geh nur und hole mir unverweilt, 
Ein Feſt iſt, denn wiſſe, ich bin geheilt!“ 


Sie lief und brachte, 

Ich aber dachte, 

Indem ich ſchlürfte das köſtliche Naß, 

Der Tag iſt des Feſttrunks wert vor allen, 
Übrigens iſt es doch kein Spaß, 

In die Hand der lebend'gen Natur zu fallen. 


Dem Ende zu: 


An meine Wanduhr. 


Schwarzwaldtochter, gute, alte, 
Gelt, wir kennen uns ſchon lange? 
Haben redlich miteinander 

In geſetzter Kameradſchaft 
Manches Jährchen ausgehalten, 


246 


Gute Zeiten, ſchlimme Zeiten 
Haben wir verlebt zuſammen. 


Und die ſchlimmſte war von allen, 
Als es ſo weit kommen mußte, 
Daß wir ordentliche Freunde 

Unter uns beinah' zerfielen. 

Damals war es, als du draußen 

In dem Hausgang dunkel hiengeſt 
Und ich deines Pendels Picken 

Faſt nicht mehr ertragen konnte, 
Weil die Stunden, die er zählte, 
Stunden waren, wie Verdammte 
In der Hölle Schlund ſie zählen, 
Damals, als ich nur mit Seufzern, 
Schwer aus tiefer Bruſt geholten, 
Über meine eigne Schwelle, 

In des eignen Hauſes Räume 

Trat und als der Schritt zum Grabe 
Leichter mir denn Heimkehr deuchte. 


Eines Tages aber glaubt' ich 

Aus dem ſchläfrigen Gepicke 

Ein bekanntes, oft geleſ'nes 
Dichterwort herauszuhören, 

Das da heißt: die Stunde rinnt auch 
Durch den rauh'ſten Tag. Von da an 


247 
Sind wir wieder Freunde worden, 
Und nachdem der Tage rauh'ſter 
Von dem Pendel war durchſchwungen, 
Hab' ich dich verpackt, in andre 
Lande dich mit mir genommen, 
Und von da an, gute Alte, 
Sind wir nun allein beiſammen, 
In der Stube, nicht im Hausgang 
Hängſt du, mußt ſie nicht mehr ſehen, 
Der zulieb man dich verdrängte, 
Jene Standuhr, jene eitle, 
Aufgeblaſene Franzöſin 
Mit dem ſchlenkrigen, geſchweiften 
Zierat, der in Golde flunkert, 
Mit dem Schäferknaben drüber, 
Dem empfindſam widrig ſüßen. 
Jenes welſche Prunkgebilde 
Haſt du immerdar, ich weiß es, 
In der Seele Grund verachtet, 
Und ich kann dir's nicht verargen. 


Tik, Tak, Tak, Tik, Tik, Tak, Tak, Tik! 
Und ſo weiter und ſo weiter. 

Oft auch klingt's, als wären's Worte: 
„Zeit iſt Zeit und Zeit iſt Zeit und 

Nichts als Zeit“ — O du geſunde 


248 


Trockenheit, du waſſerklare 
Nüchternheit! Beſchwichtigender 
Mohnſaft der gediegnen, guten 
Langen Weile, der da wohnet 

In dem immer, immer gleichen 
Brunnenrohrgeplauderartig 

Steten Meſſingpendelgange! 

Was ich dir verdanke, weißt du. 
Wenn ich einmal je verſäume — 
Es geſchieht, bezeug es, ſelten — 
Die Gewichte aufzuziehen, 

Und du bleibſt auf einmal ſtehen, 
So erſchreck' ich juſt, als fiel' ich 
Aus der Zeit und ihrem Gleichfluß 
In die Ewigkeit hinunter, — 
Nicht die Ewigkeit des Himmels, 
Nein, die Ewigkeit der Qualen, 
In des Abgrunds Feuerofen, 

Wo glutaugige Dämonen, 

Wo die Larven unſrer eignen 
Menſchenbruſt entkettet hauſen 

Und ſich ſelbſt die Flammen ſchüren. 
Ja wie grauſig geiſterhafter 

Lärm erſcheint mir dann die Stille, 
Wenn der Zeiten ich muß denken, 
Wo ich, deines Rats vergeſſend, 


249 
Takt zu halten, Takt zu halten, 
In das Chaos, in die wilden 
Rhythmusloſen Wirbel ſtürzte. 


Ab und zu — nimm mir's nicht übel, 
Meine gute, liebe Baſe! — 

Haſt du freilich auch Momente, 
Wo der Eifer dich verleitet, 

Eine Regel, die zum Takte 

Doch auch billig wird gerechnet, 
Vorſchnell außer acht zu laſſen: 
Wenn man ſpricht, und wenn man mitten 
Im Zuſammenhang der Rede 

Sich befindet und der Worte 
Wichtigſtes zu ſagen anſetzt, 
Fängſt du an dich laut zu räuſpern 
Mit des Warntons Raͤdgeſchnurre 
Und zerhauſt mit deinem Schlage 
Feinen Wortgewebes Faden. 

Doch ich hab' nach kurzem Arger, 
Etwa einem derben Fluche, 

Dir's noch allemal verziehen, 
Wohlerwägend, daß du eine 

Frau biſt und die Frauen alle 

Doch nur äußerſt ausnahmsweiſe 
Warten können, bis der andre, 


do 


Bis ihr Mitmenſch ausgeredet; — 
Welcher Punkt Geduld erfordert. 


Haſt auch Zeiten miterlebet, 

Die imſtande ſchon geweſen, 
Nerven ſelbſt von Stahl und Meſſing 
Aufzuregen, ja bisweilen 

Wirklich aus dem Takt zu bringen: 
Zeit des Jahres achtundvierzig, 
Als wir alle trunken waren, 
Deutſchen Parlamentes Wirren, 
Niedergang der ſchönen Hoffnung, 
Blinder Aufruhr, Sieg der alten, 
Ausgelebten traur'gen Mißform, 
Die man Deutſchen Bund benamſte, 
Und die Jahre, wo herunter 

Eine Laſt von Blei ſich ſenkte 

Und aufs neue das zerſpaltne 
Deutſchland zum Gelächter wurde 
Für die Völker aller Zonen. 

Endlich regt ſich's in den Lüften, 
Oſtſeewogen hört man rauſchen, 
Alte Sagen klingen wieder 
Ferneher von Nordlandsrecken, 

An dem Fuß der Düäpplerſchanzen 
Blitzt ein Wald von Bajonetten, 


251 
Stürmt hinan und holt ſich droben 
Die begrabne deutſche Ehre. — 
Aber ach, bald ward es wieder 
Schwül und dunkel, und, ich weiß noch, 
Eines Tages war's, als bebteſt 
Du im Fieber, unbegreiflich 
Bliebſt du dann auf einmal ſtehen, 
Und am Abend, blutumwittert, 
Kam die Kunde von Sadowa. — 
Doch wie anders, anders war es 
Uns an einem andern Tage, 
Sonnigen Septembermorgen. 
O wie war es uns zumute, 
Als du eben zehn Uhr ſchlugeſt 
Und ein Freund zu mir ins Zimmer 
Kam geſtürzt und mit Verwundern 
Mich am Schreibtiſch ruhig ſitzend 
Fand und rief: Biſt taub geworden? 
Hörſt das Laufen nicht und Rufen, 
Nicht den hellen Jubel draußen? 
Auf dem Kirchplatz, auf dem Markte 
Wechſeln Chöre und Fanfaren, 
Fahnen flattern von den Giebeln! 
Eingekreiſt von unſrem Heere 
Wie bei einem Keſſeltreiben 
Hat der welſche Lügenkaiſer 


252 


Ausgeliefert feinen Degen! 
Deutſchland lebt, iſt auferſtanden! 


Aber nach den großen Zeiten 

Kam es wieder trüb und trüber, 
Wußte nicht, warum du ſo viel 
Neigung ſpüreſt, nachzugehen, 

Wie ich auch des Pendels Scheibe 
Sorglich aufwärts ſchieben mochte. 
Sumpfluft wehte durch die Fenſter, 
Aufgebrodelt aus dem Schlamme, 
Aus dem Pfuhl, worin die Seele 
Unſers Volks, die angefaulte, 

Von den Siegen dumpf berauſchte, 
Tieriſch wühlend ſich gebettet; 

Und vergällt war uns der reine 
Feuerwein des Hochgefühles, 

Und der vollen Purpurroſe 

Duft war hin, als wär' darüber 
Eine Wanze hergekrochen, 

Und zu Ekel ward die Freude. — 


Wird es beſſer? Wollen's hoffen, 
Wollen's glauben! Ach, wir werden 
Die Geneſung kaum erleben, 
Denn vergiftete Gewiſſen 
Brauchen Zeit, ſich auszuheilen. — 


Etwas heiſer, gute Alte? 

Ja, ſo ſtarker Wetterwechſel, 

Auch der letzte harte Winter, 

Neben dir der heiße Ofen, 

Die Erhitzung, die Vertrocknung 
Deines Lebensöls, darauf dann 
Unausbleiblich die Verkältung — 

Ich begreif' es, und in deine 
Katarrhaliſchen Gefühle 

Kann ich mich verſtändnisinnig 
Teilnahmvoll hineinverſetzen. 

Warte nur, wir werden ſorgen, 

Denn es wird ja bald von Schramberg 
Wohl dein Landsmann wiederkommen, 
Weißt, der wackre Uhren-Jakob, 

Der dich ſchon einmal kurierte, 

Den du mehr als die gelehrten 
Großſtadtärzte liebſt und achteſt. 


Wie, du ſchnurrſt? Du raſſelſt? Warneſt? 
Richtig, ja die mitternächt'ge 

Stunde weiſet ſchon der Zeiger, 

Über unſrem Zwiegeſpräche 

Iſt ſie mit den Geiſtertritten 

Unbemerkt herangeſchlichen. 

Eins, zwei, drei, vier, fünf, ſechs, ſieben, 


254 
Achte, neune, zehne, elfe — 
Was? nicht weiter? elf nur ſchlägſt du? 
So zerſtreut? Ei, ei, was treibſt du? 
Das iſt ſtark, das hätt' ich wirklich 
Nicht von dir erwartet, Alte! 
Hätte gute Luſt, zur Strafe 
Heute dich nicht aufzuziehen — 


Aber halt! Nein, nein! Ich ahne, 
Es iſt gut gemeint, du willſt mir, 
Wie im Spiel man etwa vorgibt, 
Wie der Kaufmann einem Kinde 
Etlich Feigen oder Mandeln 

Zu der Ware in die Hand legt, 

Wie das Schaltjahr einen Tag uns, 
Einen übrigen vergönnet, 

Willſt mir ſo ein Stündchen ſchenken, 
Zuwagſtündchen, Gratisſtündchen, 
Unverhofftes Urlaubſtündchen, 
Prolongierung der Vakanzzeit, 
Ausnahmsweiſen Torſchluß-Aufſchub. 
Danke! Danke! Und ich will es 

Mit Gemächlichkeit genießen! 

Ja, wir wollen's miteinander 

Noch ein Stündchen weiter treiben, 
Wollen uns die dreingegebne 


Spanne Zeit noch ſchmecken laſſen 
Und beim Torſchluß nicht erblaſſen. 
Dir verſprech' ich: eh' es ſchnarret, 
Eh' die Angel ächzt und knarret, 
Eh' ins Schloß die Flügel fallen, 
Dich für deine langen, treuen, 
Unverdroſſ'nen, alten, neuen 
Dienſte werd' ich neben allen 
Andern Freunden, guten, lieben, 
Durch Vergeſſen nicht betrüben. 
Vielmehr ſogleich ſitz' ich nieder, 
Um mit feſten Federzügen 
Teſtamentlich zu verfügen, 

Daß nach mir des Hauſes Glieder 
Immerdar dich ſollen ehren 

Und, wenn einſt in ſpäten Tagen 
Deine Kräfte dir verſagen, 

Dir das Gnadenbrot gewähren; 
Sollen nimmer dich dem ſchnöden 
Auswurfplunder, dem gemeinen 
Alten Eiſen zu vereinen 

Sinn⸗ und herzlos ſich entblöden. 


Oder halt! ein beſſ'rer Wille! 
In demſelben Augenblicke, 
Wo ich nicke, wo ich knicke, 


Stelle man den Pendel ftille! 
Statt in Rumpelkammerwildnis 
Sollſt du an der Wand dort hangen 
Bei dem Bild mit vollen Wangen, 
Meinem alten Knabenbildnis. 
Wird ein ſpäter Enkel deuten 

Nach der ſtummen Uhr und fragen, 
Was ſie ſchweigend will beſagen, 
Mag der Vater, der die Zeiten 
Kennt, und wär' es nur vom Leſen, 
Melden, was in Mannesjahren 

Der dort alles hat erfahren, 

Wie es dazumal geweſen, 

Was für Stunden ihm gezeiget 
Und geſchlagen hat im Leben 

Einſt die Schwarzwalduhr daneben. 
Und der Enkel ſinnt und ſchweiget. 


Zu ſpät. 


Sie haben dich fortgetragen, 

Ich kann es dir nicht mehr ſagen, 
Wie oft ich bei Tag und Nacht 
Dein gedacht, 

Dein und was ich dir angetan 


257 
Auf dunkler Jugendbahn. 
Ich habe gezaudert, verſäumet, 
Hab' immer von Friſt geträumet; 
Über den Hügel der Wind nun weht: 
Es iſt zu ſpät. 


Jugendtal. 


Da biſt du ja im Morgenſtrahl, 
Mein nie vergeſſ'nes Jugendtal! 
Der Berge Kranz, die wunderblaue Quelle, 
Städtchen und Kloſter, alles iſt zur Stelle. 


Noch immer ſteigt, gezackt und wild, 
Empor ſeltſames Felsgebild, 

Burgtrümmer ſchauen über Höhlenſchlünde 
Auf ſtillen Fluß und zarte Wieſengründe. 


So oft hab' ich geträumt von dir: 
Faſt, liebes Tal, erſchienſt du mir 
Als Traum, als Märchen, alte, alte Sage 
Vom Morgenland, vom jungen Erdentage. 


Hier kennt mich keine Seele mehr, 

Fremd ſehn die Leute nach mir her, 

Doch bring' ich mit, was Einſamkeit verſüßet: 

Ein Völkchen, das mich kennt und das mich grüßet. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 17 


258 
Laut reget ſich ein Knabenſchwarm, 
Zu zweien manche, Arm in Arm, 
Mit hellem Aug' und roſenroten Wangen 
Dort aus dem Kloſter kommen ſie gegangen. 


O Duft, o Kelch der Blütezeit: 
Der Jugend ſüße Trunkenheit! 
Die Liebe weint, der holde Mutwill ſprühet, 
Die Seele ſingt, der goldne Himmel glühet. 


Wo ſind ſie hin? Zerſprengt, verweht, 

Wie Gras des Feldes hingemäht! 

Nur wenige Greiſe ſind noch übrig blieben, 
Zu zählen, wer noch lebt von all' den Lieben. 


Du dort in der gedrängten Schar, 

Du mit dem weichen Lockenhaar, 

Dich kenn' ich näher, munterer Geſelle, 

Ja, du biſt ich auf meiner Jugend Schwelle. 


Wie lachte ich das Leben an! 

Wie ſprang ich jauchzend in die Bahn! 

Wie arglos wohnte neben wilden Scherzen 
Geſunder Ernſt im friſchen, ſchlichten Herzen! 


Fern leuchtet Rom und Griechenland 
Durch die geteilte Nebelwand, 


259 
Von Platos Silberfittichen gehoben 
Schwebt fromm und ſtolz der junge Geiſt nach oben. 


Wie Licht ſo hell, wie Schnee ſo rein, 

Gelobt' ich, ſoll mein Leben ſein! 

Was wußt' ich von des Weltgangs irren Pfaden! 
Da bin ich nun, und bin ſo ſchuldbeladen. 


Nicht, daß es bleiern mich beſchwert, 

Ich kenne meines Lebens Wert, 

Ich weiß, wie ich geſtrebet und gerungen 
Und was der ſauren Arbeit iſt gelungen. 


Doch heute, wo herauf zum Wald 

Das alte Kloſterglöckchen ſchallt, 

Heut, wo ich aus ſo ungeteilter Nähe 
Dem frohen Knaben in die Augen ſehe, 


Der ich einſt war, der ſo vertraut, 

So ſchuldlos mir entgegenſchaut, 

Heut weiß ich nichts von meinem Tagewerke, 
Hin taut der Stolz, es beuget ſich die Stärke. 


Zur Felſenhöhle wandl' ich hin — 
Vor Zeiten träumt' ich oft darin —; 
Laß, alt Geſtein, mich heut in meinen Tränen 


Ganz ſtill an deine graue Wand mich lehnen. 
17˙ 


260 
Amfelruf. 
Bravo, bravo, lieber Sänger, 
Daß ich nach ſo langen, trüben, 
In der Stubenluft verſeſſ'nen, 
Klanglos öden Wintermonden 
Endlich einmal deine Stimme, 
Endlich einmal wieder höre! 


Immer gieng der volle, runde 
Glockenton des Amſelrufes 
Ganz beſonders mir zu Herzen. 


Horch! jetzt klingt es tief elegiſch, 
Weich, in wenigen Akkorden! 
Waldes⸗Echo ſcheint ſich dieſem 
Hälschen einverleibt zu haben, 

Um aus ſeinen Klängen ſelber 
Ohne Wald hervorzuhallen. 

Horch, jetzt klingt es ſchalkhaft närriſch, 
Schelmenpfiffe, Kichern, Schnalzen, 
Tonſcherz, ſchnaderhüpfelartig, 
Unterbricht die langgezognen, 
Tiefgeholten Sehnſuchtslaute. 


Weiß ſchon, weiß ſchon, gutes Tierchen: 
Willſt dich melden, dich empfehlen 
Deiner künftigen Geliebten, 

Deiner Cidly, deiner Fanny, 


Wie ſich Klopſtock einft ſo zärtlich 
Seiner nur erſt vorgeſtellten 
Auserwählten hat empfohlen, 

Die aus unbekannter Ferne 
Doch auch ihn nicht minder innig 
Schon im voraus lieben mußte, 
Wenn er in Alcäus' oder 
Sapphos ſtrengem Odenrhythmus 
An ſie hinſang und den Marmor 
Der gemeſſ'nen Form durchbebte 
Mit der Wehmut ſüßer Wonne. 


Eigen aber iſt mir heute 

Bei dem Vogelgruß zumute, 
Anders klingt er in mir wider 

Als in meinen jungen Tagen, 
Summend muß ich ihn begleiten 
Mit den Worten: und ſo darf ich, 
Und ſo darf ich denn noch einmal, 
Darf die mir ſo lieben Töne 
Jedenfalls noch diesmal hören. 


Mag man auch den Tod nicht fürchten, 
Ach, es liegt ein trüber Schleier 

Auf dem hellſten Frühlingstage, 

Ach, es liegt ein trüber Dämpfer 

Auf dem hellſten Vogelſange, 


261 


262 
Wenn man weiß: nicht oft mehr werd' ich's 
Sehen, darf's nicht oft mehr hören, 
Ja, vielleicht ich ſeh' und hör' es 
Dieſes Mal zum letzten Male. 


Doch, mein liebes Amſelhähnchen, 
Das du eben jetzt aufs neue 

Einen Jodler, einen Jauchzer 
Hören läſſeſt, wie die Burſche 
Dort im Waldgebirg von Bregenz 
Aus der ſtarken Kehle Tiefen 

In drei Tönen ſchwellen laſſen, 
Daß er fernhin widerhalle, — 
Glücklich ſorgenfreies Weſen, 

Das du offenbar nach meinen 
Todgedanken gar nicht frageſt, 
Ich will gerne von dir lernen. 
Du auch lebſt wohl ſchwerlich länger, 
Als von heut an ich noch lebe. 
Doch was kümmert's dich? Dir iſt es 
Juſt ſo wohl bei deiner ſüßen 
Sangesleiſtung, und die ſchwarze 
Amſelhenne, die im fernen 

Buſche ſchon verborgen lauſchet, 
Sie vernimmt dich juſt ſo gerne, 
Und du weißt auch, daß das alte 


Menſchenkind, das horchend ſtehet, 
Heute juſt ſo gern dich höret, 
Als vor vielen tauſend Jahren 
Ein Agypter, ein Aſſyrer, 
Inder, Perſer oder Meder 
Oder Grieche oder Römer 
Oder blonder deutſcher Recke 
Deinen Urur-Urur⸗Urur⸗ 
Ururururvetter hörte, 

Als vor vielen tauſend Jahren 
Eine ſchwarze Amſelhenne, 
Amſeleidly, Amſelfanny 

Ihren künft'gen Klopſtock hörte, 
Als nach vielen tauſend Jahren 
Einſt der Enkel jener alten 
Völker oder auch ein Sprößling 
Neuer, jetzt erſt halbgeborner 
Oder ungeborner Völker, 

Als nach vielen tauſend Jahren 
Aus noch ungelegten Eiern 
Ausgeſchlüpfte Amſelhennen 
Deinen auch noch ungelegten 
Zukunftvetter hören werden. 


Woraus logiſch für mich folget, 


Daß man nach dem Vor- und Nachher, 


263 


264 
Nach den tauſend, tauſend Jahren, 
Nach dem: „vielleicht diesmal nur noch“ 
Überhaupt nicht fragen ſoll. 


Und ſo hör' ich deine Weiſen, 
Höre dieſe weichen Klagen, 
Dieſe Schelmenliederſtückchen, 
Trinke dieſes Ohrenlabſal 
Deiner Waſſerorgelklänge 

Juſt ſo froh, als hätt' ich ihnen 
In der Urzeit ſchon gelauſchet, 
Juſt ſo froh, als ob ich immer, 
Immerdar ſie hören dürfte. 
Wer ſich freuet, jener oder 
Dieſer, wann ſich einer freuet 
Und wie oft ſich einer freuet, 
Bleibt ſich völlig gleich; es freut ſich 
Eben jedesmal ein jemand, 

Und der Jemand bin für diesmal 
Eben ich und darf mich freuen. 
Ewigkeit beſteht ja doch nur 
Lediglich aus Augenblicken, 
Schlägt in einen dieſer vielen 
Augenblicke denn ein heller 
Amſelruf herein, warum doch 
Sollt' ich um die vielen andern 


265 
Augenblicke da mich grämen, 
Wo ich nicht mehr bin und andre 
Dieſes Wohllauts ſich erfreuen, 
Warum mich beſchämen laſſen 
Von der heitern Vogelſeele, 
Die den Augenblick ſo lieblich 
Füllet, formt und färbt und feſſelt? 


Horch! es jauchzt und Elaget wieder 
Süß und innig! Horch, es trillert 
Schelmiſch wieder! Ei, das Tierchen 
Mag ſich wohl darob auch freuen, 
Daß ich ſeine weiſe Lehre 

Nun ſo gut verſtanden habe. 


Nett wär's immerhin, geſteh' ich, 
Wenn vor meinem letzten Hauche 
Ich's noch einmal hören dürfte, 
Dieſen Ton noch einmal ſchlürfen. 
Hört' ich ihn dann leiſer, leiſer, 
Wie aus blauer Bergeshalde, 
Wie bei Nacht im tiefen Walde, 
Ganz verhallend, ganz von ferne: 
Noch einmal ſo leicht und gerne 
Würd' ich, von ſo manchen Wegen 
Müde, dann aufs Ohr mich legen. 


266 


Am See. 


Wo iſt er denn? 

Im Gras, im Klee 
Sitzt er am See, 

Am ſtillen See; 

Die Welle regt gelind 
Ein leiſer Wind. 


Was tut er denn? 

Dort drüben, ſchau! 
Taucht rein und blau, 
Silbern und blau 

Hoch aus der Wolken Flor 
Gebirg empor. 


Dort blickt er hin. 

Er gedenkt der Zeit, 

Der geweſenen Zeit, 

Da hoch und weit 

Ihn trug über Berg und Tal 
Der Sehnen Stahl. 


Ob milder Tag, 

Ob Sturmeswut, 
Sturzregenflut, 

Ob Sonnenglut, 

Ob glatt, ob rauh die Bahn, 
Vorwärts, hinan! 


267 
Der Wildbach bricht, 
Daß der Fels erkracht, 
Nieder mit Macht 
In der Schlünde Nacht, 
Aufſchrickt der Widerhall 
Vom Donnerſchall. 


Mit feſtem Schritt 

Vorbei am Tod, 

Den der Abgrund droht, 
Am jähen Tod, 

Den ſchmalen Steg entlang 
Geht's ohne Bang. 


So friſch, ſo leicht 

In Wanderluſt 

Atmet die Bruſt, 

Die freie Bruſt! 

Bei Hirten labt im Tal 
Das ſchlichte Mahl. 


Was möcht' er denn? 

Er möcht' auch heut 

Wie in alter Zeit 
Fortwandern weit, 

Weit von der Städte Qualm 
Zur luft'gen Alm. 


268 


Er hat's verfucht. 
Hinweggerafft 

Fand er die Kraft, 
Die unerſchlafft 

Bis über ſiebzig Jahr 
Geblieben war. 


Wie wird ihm denn? 

Die Sonne ſinkt, 

Wird Purpur und ſinkt, 

Die Welle trinkt 

Aufzitternd den goldnen Schein, 
Den Feuerwein. 


Der Himmel flammt, 
Berghäupter glühn, 
Lichtfunken ſprühn 

In des Schilfes Grün, 
Es errötet im Weidenbau 
Das kühle Grau. 


Ein Ruck, und hinab 
Iſt ſie getaucht, 
Übers Waſſer haucht, 
Flüſtert und haucht 
Wie ein Erinnern lind 
Ein leiſer Wind. 


269 
Aus den letzten Jahren: 


Und noch einmal. 


Noch einmal hin zum Jugendtal, 
Mit ſiebenundſiebzig Jahren! 
Warum nicht dieſes eine Mal 
Dem Sehnen noch willfahren? 


Nicht ſicher ſind die Schritte mehr 
Und nicht mehr hell die Augen, 

Doch frohe Wallfahrt iſt nicht ſchwer, 
Wohlan, ſie werden taugen! 


Schau, wie die Abendſonne ruht 
Dort auf der Felsburg Trümmern! 
Nie ſah ich noch in ſolcher Glut 
Die ſtolze Höhe ſchimmern. 


Vermag des Lichtes Kraft allein 

So wunderbar zu weben? 

Sind's Geiſter, die im goldnen Schein 
Von ferne grüßend ſchweben? 


Der Pfad am kleinen, klaren Fluß 
Sei raſch jetzt eingeſchlagen, 
Dorthin, wo an des Tales Schluß 
Der Turm, die Giebel ragen, 


270 


Dorthin, wo jeder Stein mich kennt, 
In die vertrauten Räume, 

Hinauf ins dämmrige Dorment — 
Da träum' und träum' und träume! 


Erſcheinet, ſeid zur Stelle gleich, 
Ihr friſchen, wilden Knaben, 

Und müßt' ich aus dem Totenreich 
Bald auch den letzten graben! 


Empfang, o alterbraunes Haus, 

Die munteren Geſellen! 

Horch, ſchon durchhallt der Jugend Braus 
Die klöſterlichen Zellen! 


Sie ſchwärmen aus dem engen Tor 
Hinaus in Bergesklüfte, 

Wie Gemſen klettern ſie empor 
An ſteiler Felſenhüfte. 


Sie ziehn mit Jauchzen und Geſang 
Durchs Wieſental zum Walde, 

Und weiter rollt der helle Klang 
Von Halde fort zu Halde. 


Die Augen leuchten, Luſt und Schwung 
Strahlt aus den offnen Mienen, 

O, ſie ſind glücklich, ſie ſind jung, 
Und ich, und ich mit ihnen! 


271 
Nun aber hin zum Fühlen Grund, 

Am Überhang der Buchen 

In dem geheimnisvollen Rund 

Die Nixe zu beſuchen! 


„Biſt wieder da? Mich freut's, du weißt,“ 
Hör' ich die Gute hauchen, 

„Komm nur, den todesreifen Geiſt 

Ins reine Blau zu tauchen!“ 


Es kann ja nicht immer ſo bleiben. 


Worüber wir einſt ſo herzlich gelacht, 
Dazu lacht bald niemand mehr, 

Die Späße, die Witze, die wir gemacht, 
Wer weiß und verſteht ſie noch, wer? 


Der ganze kreuzluſtige Sagenkreis, 

Der Geſchichtlein ſcheckiger Kranz, 

Die Leutlein, die er zu melden weiß, 
Bald ſind ſie vergeſſen ganz. 


Steht manches geſchrieben in Lederband, 
Soll vererben auf Enkelein, 

Bald wird es ein unbekanntes Land, 
Verſiegelter Kodex ſein. 


272 
Wie ſchade, wie ſchad' um die Herrlichkeit, 
Daß ſie ſo verrauſcht und verweht! 
Da fällt's auf die Seele ſchwer und breit, 
Daß eben doch alles vergeht. 


O Herz, bedenke, wenn du's beweinſt: 
Die Studenten in Rom und Athen, 
In Memphis, Perſepolis haben einſt 
Gleich luſtige Tage geſehn. 


Bedenke, ſie haben wohl auch gemeint, 
Der Bemooſte, der Burſche, der Fuchs, 
Es gebe, ſo lange die Sonne ſcheint, 
Nie wieder ſo einzigen Jux, 


Er müſſe beſtehen ewig neu, 

Es wäre zu ſchade darum — 

Und iſt verflogen wie Staub und Spreu, 
Verklungen und tot und ſtumm. 


Auch unſere Kinder und Kindeskind, 
Es geht ihnen ebenſo: 
Nichts bleibt im ſauſenden Zeitenwind 
Von all ihrem jubilo. 


Was tut's? Nichts tut es; es iſt ja gleich, 
Wer lacht und worüber man lacht, 

Es quillt eben allezeit jung und reich 

Des Lachens erfriſchende Macht. 


273 
Nur eins, wenn's käme, ja dann Gutnacht! 
— Doch es hat keine Not, man wacht — 
Wenn die Menſchheit nur zum Gemeinen noch lacht, 
Dann iſt's Zeit, daß alles verkracht. 


Kurze Freude. 


Die Erde bleibt doch für alle Zeit 
Ein ſchlimmer Ort. 

Wird man endlich ein bißchen geſcheit, 
So muß man fort. 

Und jenſeits? nein, 

Wird's auch nichts Rares ſein. 


Mein Kätzlein. 


Klagelied. 


Man fand dich fern vom warmen Hauſe, 
Bedrängt von Schnee und eiſ'gem Wind, 
Trug dich zu meiner ſtillen Klauſe, 
Verirrtes armes Katzenkind. 


Du ſchrieſt und klagteſt in dem neuen 
Unheimlich bücherreichen Ort, 

Doch bald verſchwand dein wildes Scheuen, 
Du fühlteſt dich in ſichrem Hort. 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 18 


274 


Trafſt du doch einen biedern Kater 
Im Haus des unbekannten Manns, 
Und dich empfing faſt wie ein Vater 
Der muntre Rattenfänger Hans. 


Du warſt noch etwas unerzogen, 
Vergiengeſt dich in manchem Stück, 
Doch führte, mütterlich gewogen, 
Die Rike dich zur Pflicht zurück. 


Das Spiel begann, ein luſtig Jagen, 
Ein Wettkampf in verwegnem Sprung, 
Ein Raufen, Purzeln, Überſchlagen, 
Mit welcher Grazie, welchem Schwung! 


Und kam der Herr, dich ſanft zu ſtreicheln, 
Wie ſprangſt du gern auf ſeinen Arm 

Und riebſt mit Schnurren und mit Schmeicheln 
An ihm dein Pelzchen, zart und warm. 


Du dienteſt mir zu allen Stunden 

Mit Arlecchino-Schelmerei'n, 

Wie tief haſt du die Pflicht empfunden, 
Mein dankbarer Hanswurſt zu ſein! 


Nie war uns bang, die Witze gehen 
Zum komiſchen Ballett dir aus, 
Durch ſtete Fülle der Ideen 
Belebteſt du das ganze Haus. 


275 
Und wenn du endlich ſchlummern ſollteſt, 
Zogſt du den Hund als Lager vor, 
Du ſchmiegteſt dich an ihn und nollteſt 
Im halben Schlaf an ſeinem Ohr. 


Dein Anzug, elegant im Schnitte, 
War blaugrau, mit Geſchmack verziert, 
Bruſt, Pfötchen, Antlitz bis zur Mitte 
Mit Weiß ſymmetriſch dekoriert. 


Doch was iſt Schmuck? Die eignen Formen 
Kann aller Aufputz nur erhöhn; 

Gebildet wie nach griech'ſchen Normen — 
Ich darf es ſagen, du warſt ſchön. 


Die Naſe fein, die Augen helle, 
Zart roſenfarb der kleine Mund, 
Jedwede Linie eine Welle 

Und jede Regung weich und rund. 


Da kam, von Teufeln angeſtiftet, 

Ein Mäuschen her in einer Nacht — 
Du fraßeſt es, es war vergiftet, 

Und ach! dein Schickſal war vollbracht. 


Nicht ganz; noch Höllenqualentage, 
Brandſchmerz und grimmen Durſtes Pein, 
Durchlebteſt du, und ohne Klage, 
Dann ſchliefſt du endlich lautlos ein. 

18* 


276 


Es ſuchen dich die alten Freunde 

In jedem Winkel aus und ein, 

Du warſt der liebenden Gemeinde, 
Was einſt der Max dem Wallenſtein. 


Mag nur die Spötterwelt es wiſſen: 
Du tuſt mir tief im Herzen leid, 
So jäh, ſo graß herausgeriſſen 
Aus deiner Jugend Heiterkeit. 


Vor Hungertod konnt' ich dich wahren, 
Nicht vor der rohen Menſchheit Gift, 
Es ſchützen keines Hauſes Laren 

Vor Mord, der in die Ferne trifft. 


Ich trüge wahrlich noch viel eher 

Manch eines Tiervergifters Tod. 
Verzeih mir's Gott, ſie geht mir näher, 
Des armen Kätzleins Todesnot. 


Und leb' ich nach dem Lärm hienieden 
Noch fort auf einem ſtillen Stern, 
Sei auch in Gnaden herbeſchieden 
Das Kätzlein zu dem alten Herrn. 


277 
Frühling. 


Es iſt ein Feſt im ganzen Tal, 

Was blühen kann, blüht allzumal. 

Die ganze Stadt liegt weich und warm 
Gebettet in des Frühlings Arm. 
Heut, wo ſo lau die Lüfte wehen, 
Laß auch das Eis in dir zergehen, 
Vergiß! Vergiß! 


Vergiß, wie oft in einer Nacht 
Der Froſt ein Ende hat gemacht, 

Als kreiſchten Teufelsſtimmen drein: 
Vergiftet muß der Segen ſein! 

Als müßt' auf ihrer Kinder Blüten 
Erboſt die eigne Mutter wüten. 
Vergiß! Vergiß! 


Und wenn du nach den Dächern ſchauſt, 
Vergiß, was dort im Dunkeln hauſt, 
Am Boden kriecht, im Winkel ſpinnt, 
Den Biedern ſpielt, auf Tücke ſinnt, 
Vergiß der Frechheit ſchnöde Blöße, 
Vergiß des Unrechts Meſſerſtöße, 
Vergiß! Vergiß! 


Ins Grüne ſchau, ins Weiße ſchau, 
Blick auf zu dieſem zarten Grau, 


278 


Wodurch ein goldnes Abendlicht 
Sich ſeine ſanften Pfade bricht! 
An guter Menſchen Kraft und Milde 
Gedenke bei dem reinen Bilde! 
Vergiß! Vergiß! 


In glücklich blinder Jugendzeit, 

Da war's zur Freude nicht ſo weit. 
Jetzt lächle nur, daß ſelbſt zur Luſt 
Sich mahnen muß die ſchwere Bruſt. 
Heut, wo ſo lau die Lüfte wehen, 
Laß auch das Eis in dir zergehen, 
Vergiß! Vergiß! 


Troſt. 


Wie bin ich ſonſt ſo ſtraff geſchritten, 
Noch als ich in die ſiebzig kam, — 

Iſt mir der Nerv entzweigeſchnitten? 
Wie ſchleich' ich jetzt ſo ſchlaff und lahm! 


O ſchlimm! Doch in des Unmuts Tiefen 
Bleibt etwas mir, das mich ergetzt: 

Als ich ſo rüſtig lief, da liefen 

Die Verſe nicht ſo gut wie jetzt. 


Gedenkfeier am 2. September 1882. 


Abendnebel ſpinnet und webet 

Der ſtille Gebirgsſee. 

Heimkehrender Herden Glockengeläute 
Tönt nah und fern. 

Frauen begegnen und grüßen in alter 
Guter Sitte den Fremdling. 


Einfalt wohnt noch in dieſem grünen, 
Heimlichen Tale. 

Geborgen bin ich, geſchützt vor der heißen 
Hetze der Welt, 

Fern iſt der ſtädtiſche Schwarm, 

Nicht ertragen muß ich den Anblick 
Bebrillten Dünkels, 

Der ſich nach Luft und Duft und Unſchuld 
Sehnet und ſie verlacht und verderbt. 


Männer auch kommen geſchritten, 
Nervig die nackten Knie bewegend, 
Breitſchultrige, hochgewachſ'ne, 
Kraftgefühl in den offnen, hellen 
Augen und Mut und Kampfluſt, 
Rieſen von altem, echtem 
Gotiſchem Stamme. 


279 


280 
Horch, ein Windſtoß! 
Die Tannen rauſchen, der See wird laut, 
Man hört ihn brauſen, bewegter wallen 
Über den Wogen die feuchten Nebel. 
Wodan lebt noch und grüßet. 


Hell wird's auf einmal, aufgetaucht 
Hinter dem ſchroffen Felſenkamm 
Leuchtet der Mond. 

Brütend ſchimmert im Dunſtgewebe 

Sein Geiſterlicht. 

Mir iſt, als hört' ich ein Flüſtern dort 
Im ſilbergrauen ſchwebenden Flor, 

Ein Flüſtern von Waſſerfrauen, 
Raunende Stimmen, die ſich erzählen 
Von fernen Schweſtern an breiten Strömen, 
Durch Rebenhügel und Gartengelände 
Prächtig ergoſſ'nen, wo ſie am Ufer 

Auf Felſen ſitzen, die goldnen Haare 
Kämmen und ſingen, und von dem Volke, 
Von den heitern und raſch bewegten 
Geſchlechtern, die dort haufen —, 
Raunende Stimmen, die ſich erzählen 

Von fernen Schweſtern, Nixen der See, 
Der deutſchen See, die an weißes Geſtad, 
An ſagenumwobenes waldiges Eiland 


Stürmiſch in wilden Brandungen anſchlägt, 
Und von den Männern, die dort wohnen, 

Von Nordlandsrecken, von Kerngewächſe 

Der Frieſen und alten Sachſen. 


Von Walküren auch raunen ſie, 
Helmgekrönten, ringelgepanzerten, 
Beſchwingten, auf blutdurchronnener Walſtatt 
Eilig befliſſ'nen. 

Getürmt ſind Leichen, viel iſt der Arbeit, 
Siegreich gefallener Helden viel 

Gilt es zu tragen hinauf nach Walhall. 


Du haſt ſie geſpürt, die vereinte Kraft, 
Die wohlgeführte der Enkel des hehren 
Theodorich und ſeines ergrauten 
Waffenmeiſters Hildebrand, 

Des jähen Wolfhart und des getreuen, 
Tapferen Spielmanns Volker, 

Des grimmen, ſchuldigen, feinem Schickſal 
Klaglos ſtehenden Hagen 

Und des redlichen, tugendreichen, 
Jugendſtrahlenden Siegfried, — 

Haſt ſie geſpürt, die vereinte Kraft, 

Als ſie dich enger und enger umſchnürte, 
Die unwiderſtehliche wilde Jagd, 


282 
In den erſtickenden Todesring 
Drängend dich eintrieb, 
Als die erſchreckende Werwolflarve 
Dir vom erblaßten Antlitz fiel, 
Geſpenſtiſches, welſches Scheinbild! 
Als du hervorkrochſt und vor der wahren 
Steigenden Größe 
Die gefallene hohle ſank ins Knie. 


Und in den Lüften über den beiden 
Schwebte ein Geiſt, unſichtbar ſichtbar, 
Sinnend, der Völker Schickſal wägend. 


Heut iſt der Tag. Still, einſam träumend 
Wollt' ich ihn feiern. 


Geiſtesrieſen auch ſind noch, 

Denkende Stirnen fehlen uns nicht, 

Lichteſte, feinſte Gebilde der dunkeln 
Urweltkraft in der Alpen Granitkorn, 

In der Eichen und Föhren zähem Safte, 

In des langſamen, derben, nicht ſchnell zürnenden, 
Im Zorne furchtbaren Volkes 

Eiſenhaltigem Blute, — 

Geiſtesrieſen, Staaten- und Schlachtenlenker, 
Andere forſchend in ſtiller Kammer, 

Nach der Dinge geheimnisvollem Grund 


283 
Suchend und grabend mit Seherauge; 
Andere zaubern Wundergeſtalten, 
Unbekannte und doch bekannte, 
Traumgewobene, von des Entzückens 
Schauer umwehte 
Bilder des Lebens. 


Mild wird die Luft. Die Stöße des Sturmwinds 
Ruhen, ein weicher, lauer Hauch 
Streichelt die Wangen des Tals 

Und heißt mich gedenken all der Güte 
Und all des Mitleids, all der herzlichen 
Menſchlichkeit, 

Die der Gemüter verborgnen Kern 
Hinter der rauhen Schale durchwärmt 
Und ſchmeidigt und ſüßet. 

Biſt du es, der aus der ſilbernen, 
Goldgeſäumten Wolke mit blonden 
Locken mir zunickt, 

Biſt du es, Balder, 

Freundlicher, friedlicher, ſanfter Gott, 
Der Götter und Menſchen Liebling? 
Du biſt's und bejaheſt. 


Luſtige Reigenweiſen ertönen, 
Hinter beleuchteten Fenſtern dort 


284 
Huſchen walzende Schatten vorüber, 
Jauchzen erſchallt, und kräftiges Stampfen 
Tritt zu dem Wirbel den meſſenden Takt. 
Freuet euch! Heute bleib' ich fern, 
Vom geſtrigen Abend ſchwebt ein Bild 
Mir vor den Augen jetzt und immer, 
Als ich droben im ringsbeliebten 
Stattlichen Hauſe des Wirts zum Steinbock 
Dem Tanze zuſah. 
Und als die großgebaute, ſchlanke 
Tochter des Bauern drüben am Bergjoch 
Sterngleich unter den Dirnen glänzte, 
Als ſie am Arme des braunen Burſchen 
Mit leuchtenden Augen, lächelnden Lippen 
So leicht und feurig und doch ſo züchtig 
Sich drehte und wiegte und bog und neigte, 
Als ihr die ſilbernen Kettchen am Halſe 
Schimmernd ſpielten und ich mich fragte: 
Woher der Adel? woher in der ſchlichten 
Tochter des Volks die hohe Anmut? 
Da meint' ich blinken zu ſehen 
Der holden Freia Halsband, 
Das ihr in unterirdiſcher Eſſe 
Die klugen Zwerge geſchmiedet, 
Zauberſprüche zur Arbeit murmelnd, 
Einzuverleiben dem Götterſchmuck 


Geheime Mitgift, 
Allbeſiegenden Liebesreiz. — 


Bald muß ich hinab ins graue Reich 

Der Hel, und willig geh' ich. 

Aber erfahren möcht' ich noch dürfen, 
Wiſſen dort unten, was iſt und wird 

Da oben im Lichtreich, 

Ob der Drache noch lebt und wütet, — 
Ich kenn' ihn und leugne mir nicht ſein Gift — 
Der ſchnöde Lindwurm, 

Der, geheckt im Pfuhle der Zeit, 
Herzverdorrenden Schwefelglutqualm 
Aushaucht über die Völker und, wehe! 
Auch in die deutſchen Markungen einbrach, 
Ob in der Lebenden Mitte nicht 

Aus der Tiefe ſich etwas bewegt 

Und rührt und regt und ſteigend anſchwillt 
Und zur lichten Geſtalt ſich bildet 

Und gewappnet hervorſpringt, 

In der Hand ein blitzendes Geiſterſchwert, 
Und den ſcheußlichen Wurm durchbohrt, 
Der Drachentöter aus Vorwelttagen, 

Der Ahne Siegfried — 

Ob mein geliebtes Volk geneſet, 

Blühet und wächſt und ob wir Alten 

Nicht vergeblich gerungen. 


286 


In der Vaterſtadt. 
I. 


Das find die alten Wege, 
Die ſchattigen Alleen, 

Des Parkes alte Stege, 
Felsburg und kleine Seen, 


Das ſind die alten Gaſſen, 
Der Marktplatz, leer und breit, 
Vollauf iſt Raum gelaſſen 
Für Kinderluſtbarkeit. 


Das ſind die Laubengänge, 
Die uns ſo wohl behagt, 

Durch deren luft'ge Länge 
Wir jauchzend uns gejagt. 


Und hier am Hallenbaue, 

Hier ſteht das Vaterhaus. 
Ehrwürdig Haupt, o ſchaue — 
Ich harre — ſchau heraus! 


O Mutterbild, erſcheine! 
Geſchwiſter, kommt ans Licht! 
Der teuren Seele keine 

Darf fehlen. Säumet nicht! 


287 
II. 
Iſt mancher jo gegangen 
Und hat zurückgedacht, 
Wie er mit Kinderwangen 
Hier einſt geſpielt, gelacht. 


Wird mancher noch ſo gehen 
Und denken ſo zurück 

Und wird ſich ſelber ſehen 
In ſeinem Kindesglück, 


Wird ſtehen, wie ich heute, 
An ſeinem Vaterhaus, 

Wo nun die fremden Leute 
Zum Fenſter ſchaun heraus, 


Wird ſuchen und wird ſpähen, 
Am hellen Tage blind, 

Wird meinen, er müſſe ſie ſehen, 
Die alle nicht mehr ſind. 


Mut. 


Wie es blitzt und kracht! 
Heiß, heiß 

Iſt die Schlacht, 

Wo es einſchlägt, wer weiß? 


288 


Sie ſtürzen im Rücken, vorn und neben, 
Wie viele Minuten noch werd' ich leben? 


Hart am Feind 

Stehen vereint, 

Stehen die Alten, 

Greiſe Geſtalten, 

Stehn, die vor ſechzig Jahren 
Jung miteinander waren, 
Zuſammen geſungen, geliebt, gelacht, 
Zuſammen ans Alter nicht gedacht, 
Zuſammen andre Zeiten geſehn, 
Untereinander ſich noch verſtehn. 


Bei den Geſchützen da drüben, 

Die ſo blutige Arbeit üben, 

Der finſtre Hauptmann, wer mag er ſein, 
Der Feuer! und wieder Feuer! brüllt, 
Jetzt ſichtbar im roten Widerſchein, 

Jetzt vom qualmenden Dampfe verhüllt? 
Fern ſteht er, doch ſeh' ich ihn wohl, 
Seine Augen ſeh' ich, ſie ſind hohl! 


Wie der Helm auf ſeinem Schädel ſchlottert, 


Der Küraß um ſeine Rippen lottert! 
Grauſen! Grauſen! 


Aber mitten im Sauſen, 
Im Ziſchen der Kugeln und Gekrach, 


289 
Der Fallenden Schrei, der Sterbenden Ach 
Welch mächtige Stimme? Wo tönt fie her, 
Als ſänge der Held, der Taillefer? 
Wie kann ſie mit ihrem Singen 
Durch das Schlachtgetös nur dringen? 
Iſt es ein lebender Menſchenſohn? 
Iſt es von oben Geiſterton? 
Die Weiſe, wie hebt ſie das Herz empor! 
Was dringt für ein herrlicher Spruch hervor! 
„Der dem Tod ins Angeſicht ſchauen kann, 
Der Soldat allein iſt der freie Mann.“ 
Und wieder, hört, höret das große Wort, 
Wie ſchallt es und hallt in der Seele fort: 
„Und ſetzet ihr nicht das Leben ein, 
Nie wird euch das Leben gewonnen ſein!“ 


Hab Dank, du tapfre, du hohe Wacht! 
Hab Dank, du getreue, du ſichre Hut! 
Wie mahneſt du gut! 

Das Leben iſt eine Schlacht, 

Eine Schlacht iſt das Leben! 

Soldaten ſind wir, ſollen nicht beben! 
Der Feige ſtirbt zehnmal, eh' er ſtirbt, 
Der Mutige nur das Leben erwirbt, 
Und wär' es dein letztes Lebenslicht, 


Frei ſchaue dem Tod ins Angeſicht. 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 19 


290 
Geſellſchaft. 


An einem Tiſche ganz allein 

Saß ich im Wirtshaus bei meinem Wein. 
In der Nebenſtube war's nicht ſo leer, 
Laut und luſtig gieng es da her. 

Es ſchienen Männer in jüngeren Jahren, 
Die wohl alle doch ſchon erfahren, 

Was Leben heißt im Philiſtergeleis, 

Und die ſich verbunden zu fröhlichem Kreis, 
Verſchwundene Tage ſich zu erneuen, 
Der ſchönen Burſchenzeit ſich zu erfreuen. 
Sie ſangen die alten Studentenlieder — 
Nach manchen Jahren hört' ich ſie wieder — 
Trinklieder, heiße, durſtige, 

Rauſchige, tolle, hanswurſtige, 

Aber auch ernſte, feſtlich hohe, 

Lieder voll heiliger Glut und Lohe, 

Wie ſie erbrauſten mit Sturmeskraft 
Einſt in der Halle der Burſchenſchaft. 
Seltſam, als wäre mir's angetan, 

Kam mich ein junges Gelüſten an, 

Zu den muntern Zechern hineinzudringen 
Und ohne viel Vorwort mitzuſingen; 

Doch ſchien es mir ein zu kecker Schritt, 
Ich ließ es und ſummte nur leiſe mit. 


291 
Auf einmal war ich nicht mehr allein, 

Auch nicht zu zweien und nicht zu drei'n; 

Mein Tiſch war voll, 

Beſetzt bis zum letzten Zoll. 

Wohlbekannte junge Geſichter 

Lachten mich an beim Schein der Lichter, 

Augen blitzten, Wangen glühten, 

Stirnen glänzten, Lippen blühten, 

Locken wallten, 

Rufe ſchallten, 

Gefülltes Trinkhorn machte die Runde, 

Scherze flogen von Mund zu Munde, 

Und begann dort drinnen ein neuer Sang, 

So begann er auch hier, und mit hellerem Klang, 
Ja es ſchien, als bleibe der andre Chor 

Zurück und der unſrige ſinge vor. 


Jetzt wurde das Lied noch angeſtimmt 

Vom bemooſten Burſchen, der Abſchied nimmt, 
Dem die Brüder noch geben das Geleit, 

Da zu Ende der Jugend goldne Zeit; 

Hat's mancher mit naſſen Augen geſungen, 
Wenn es im trauten Kreis erklungen. 

Weicher und weicher klang die Weiſe, 

Und von den Lippen nur noch leiſe 


Floſſen die Worte am Liedesſchluß: 
19* 


292 


„Das letzte Glas, den letzten Kuß! 
Ade, ade, ade! 
Ja Scheiden und Meiden tut weh!“ 


Nun ward's ſtill im Nebengemach, 

Es verſtummte der Lieder rauſchender Bach. 

Die Lichter drinnen löſchte man aus, 

Die Nachbarn Zecher giengen nach Haus. 

Und wie es ſo ſtill geworden war, 

Verlor ſich auch meiner Geſellen Schar. 

Es war Mitternacht. Sie ſchwanden dahin, 

Wie Nebelgebilde ſich verziehn, 

Wie ein Wölkchen verſchwimmt im Mondenſchein, 
Und am Tiſche ſaß ich wieder allein. 


Da brach ich auf und gieng gelaſſen 

Langſam heim durch die ſtillen Gaſſen 

Und nannte mir zählend ſo im Gehen 

Die Namen der Brüder, die ich geſehen, 

Der guten Kameraden, 

Die der Geſang zu mir geladen, 

Der braven, der heitern, ſo friſch und rot — 
Lebt keiner mehr, ſind alle tot. 


Bald. 


Es währt noch eine kurze Weile, 
Daß du durch dieſe Straße gehſt 


293 
Hinauf, herab die lange Zeile, 
Und manchmal grüßend ſtille ſtehſt. 


Bald wird der ein' und andre ſagen: 

Den Alten ſehen wir nicht mehr, 

Er gieng an kalt und warmen Tagen 

Doch hier ſein Stündchen hin und her. 


Es ſei! Des Lebens volle Schalen 
Hab' ich geneigt an meinen Mund, 
Und auch des Lebens ganze Qualen 
Hab' ich geſchmeckt bis auf den Grund. 


Getan iſt manches, was ich ſollte, 

Nicht ſpurlos laſſ' ich meine Bahn; 

Doch manches, was ich ſollt' und wollte, 
Wie manches iſt noch ungetan! 


Wohl ſinkt ſie immer noch zu frühe 
Herab, die wohlbekannte Nacht, 

Doch wer mit aller Sorg' und Mühe 
Hat je ſein Tagewerk vollbracht! 


Schau um dich! Sieh die hellen Blicke, 
Der Wangen jugendfriſches Blut, 

Und ſage dir: In jede Lücke 

Ergießt ſich junge Lebensglut. 


294 
Es iſt geforgt, brauchſt nicht zu ſorgen; 
Mach Platz, die Menſchheit ſtirbt nicht aus. 
Sie feiert ewig neue Morgen, 
Du ſteige feſt ins dunkle Haus! 


Alter. 


Geſchlagen 

Hat mich das Alter, und ich verſtehe, 
Was ich ſonſt nur obenhin verſtand, 
Wie es gemeint iſt, wenn man redet 

Von müden Greiſen. 

Müde vor allem ſind mir die Beine, 

Und nach wenig Morgenbewegung 

Freu' ich mich auf das Mittagsſchläfchen. 
Nicht gelüſtet mich's, mitzueilen, 

Wenn, von Trompetenſchmettern gelockt, 
Nach des feſtlichen Aufzugs Schauſpiel 
Neugierſelig die Menge ſtrömt, 

Wenn ſie am Felsberg atmend aufklimmt, 
Wo auf dem Gipfel die Rundſicht winkt. — 
Und der Geiſt, wie ſteht es um ihn? 
Müd' iſt geworden, müd' auch er, 

Müde der Täuſchung. 

Eine nur, eine noch iſt geblieben. 


295 
Nimmer, jo lang’ ich noch Atem hole, 
Nimmer, nimmer ſchwinde ſie mir, 
Die hohe Täuſchung, der wahrheitsvolle, 
Heilige Wahn, daß Götter leben! 


Geſchichten und Sagen. 


Ein Fang, 


oder: Was ſich bei Kannſtatt am Neckar im Jahr 1796 zwiſchen einem kleinen 
franzöſiſchen Schützen und einem öſterreichiſchen Reiter begeben. 


Bei Kannſtatt an der Brucken, 
Da war das Schießen groß, 
Als aufeinander ſtießen 
Oſtreicher und Franzos. 


Haubitzen und Granaten 
Brummten den Baß mit Macht, 
Und das Musketenfeuer 
Dazwiſchen klatſcht und kracht. 


Bei den Franzoſen drüben 
Ein kleiner Schütze war, 
Der zielte wie ein Falke, 
Er fehlte nicht ein Haar. 


296 


Er ſchoß, er lud, er ſpannte, 
Legt' an und drückt' und traf, 
Und mancher von den Feinden 
Sank in den Todesſchlaf. 


Ein kaiſerlicher Reiter, 

Der nahm ihn recht aufs Korn: 
„Manndl, dich muß ich kriegen!“ 
Dacht' er in ſtillem Zorn. 


Am Abend ward es ſtille, 
Das Schießen hörte auf, 
Da nahm das kleine Schützlein 
Zum Neckar ſeinen Lauf. 


Es putzte ſeine Flinte 

Dort an dem Waſſer klar, 
Dieweil ſie von dem Schießen 
Gar ſehr verrußet war. 


Der Reiter, nicht verdroſſen, 
Erſpäht es auf der Stell', 
Sagt's keinem Kameraden, 
Setzt ſich zu Pferde ſchnell. 


Er ritt am Fluß hinunter, 
Kam an einen Ort allda, 
Wo er konnt' überſetzen, 
Daß es der Feind nicht ſah. 


297 
Wie er herübergeſchwommen, 
Kam er ganz leiſ' heran, 
Wie eine Katze ſchleichet, 
Die eine Maus will fahn. 


Das Schützlein ſtand gebücket, 
Nur auf ſein' Arbeit ſicht, 
Es putzt an ſeiner Flinte, 
Und putzt und merkt es nicht. 


Der Reiter ſtieg vom Pferde, 
Schlich an des Ufers Rand, 

Das Schützlein nahm er am Kragen 
Mit ſeiner ſchweren Hand. 


Es ſchreit, es flucht, es zappelt, 
Der Schrecken, der war groß; 
Hat alles nichts geholfen, 

Er zog es auf ſein Roß. 


Hielt es allda recht feſte, 
Reit't fort, ſo ſchnell er kann, 
Setzt wieder übers Waſſer, 
Kommt wohlbehalten an. 


Er nahm das Schützlein kleine 
Daſelbſt in ſein Quartier, 
Gab ihm für ſeinen Schrecken 
Von ſeinem Wein und Bier. 


298 


Das Bankett. 


Die Diener eilen hin und her, 

Sie tragen auf zum Feſte, 

Die Tafel prangt von Silber ſchwer, 
Wo bleiben nur die Gäſte? 


Und eh' ich wart' in Ewigkeit, 
Schreit wild der Herr vom Hauſe, 
So ſeien alle Teufel heut 

Geladen zu dem Schmauſe! 


Da glänzt im Hofe Fackelſchein, 
Da ſcharrt es auf dem Gange, 
Geputzte Herren treten ein 
Mit hellem Sporenklange. 


Willkomm, ihr Herrn, ſo ſpricht der Graf, 
Lang ſeid ihr ausgeblieben, 

Nun aber ſei mit Trinken brav 

Und Schmaus die Zeit vertrieben! 


Die Gäſte nicken wunderlich 

Mit ſchmunzelndem Geſichte, 

Sie räuſpern ſich, verbeugen ſich 
Im Kerzenflimmerlichte. 


299 
Des Grafen Knie fein Kind umflicht, 
Hängt ſich an ihn mit Bangen: 
„Ach, ſiehſt du denn die Krallen nicht, 
Die ſpitzigen, die langen?“ 


Der Graf nach ihren Fingern ſieht — 
„Hilf, Herr im Himmel droben!“ 
Graf, Gräfin und Geſinde flieht, 
Wie Spreu im Wind zerſtoben. 


Im Saal erſchallt ein Jubelſchrei, 

Sie ſetzen ſich zum Schmauſe, 

Es quackt, es ſchnarrt: „Juchhei! Juchhei! 
Nun find wir Herrn im Hauſe!“ 


Wie tobt das wilde Höllenpack 
Mit Springen und mit Singen! 
Die Fiedel kreiſcht, der Dudelſack, 
Man hört die Gläſer klingen. 


Sie füllen ſich den Höllenbauch, 
Sie grunzen, bellen, mauen, 

Man ſah ſie aus den Fenſtern auch 
Mit langen Rüſſeln ſchauen. 


Die Gräfin lauſchet in die Höh', 
Es gellt ihr in die Ohren, 

Sie ſieht umher: „O weh, o weh! 
Mein Kind, mein Kind verloren! 


300 
Vergeſſen blieb mein armes Kind 
Dort oben in dem Saale!“ 
Ein treuer Diener läuft geſchwind 
Hinauf zum Teufelsmahle. 


Er höret auf der Treppe ſchon 
Ein Näſeln und ein Meckern, 
Sie treiben mit dem Kinde Hohn, 
Sie ſchnäbeln und ſie ſchäkern. 


Der eine reicht's dem andern dar, 
Es auf dem Arm zu ſchaukeln, 
Sie zupfen es am blonden Haar, 
Sie tänzeln und ſie gaukeln. 


Der Diener ohne Furcht und Schreck 
Steht mitten in dem Schwarme, 
Ergreift das Kind und reißt es keck 
Aus eines Teufels Arme. 


Gib her das Kind, ſo ſchreit er laut, 
In Jeſu Chriſti Namen! 

Das Kindlein munter um ſich ſchaut, 
Und leiſe ſagt es: Amen! 


Von oben glänzt ein heller Strahl, 
Die Gäſte ſind verſchwunden, 

Der Diener ſteht im leeren Saal, 
Den Arm ums Kind gewunden. 


Herr Olaf. 


Herr Olaf reitet im weichen Sand, 
Im Wellenſchaum am Meeresſtrand. 
Merk auf, Herr Olaf! 


Die Woge ſpritzet, die Woge rauſcht. 
Was klingt dazwiſchen? Herr Olaf lauſcht. 
Merk auf, Herr Olaf! 


„Komm, Olaf, zu mir, komm, ſteige vom Roß! 
Komm zu mir herab in mein grünes Schloß!“ 
Merk auf, Herr Olaf! 


Es ſinget ſo ſüß, es locket ſo laut, 
Er vergißt zu Hauſe die treue Braut. 
Merk auf, Herr Olaf! 


Er ſprengt ſeinen Rappen ins Meer hinein, 
Die Sonne geht unter in rotem Schein. 
Merk auf, Herr Olaf! 


Und heller und heller das Meerweib ſingt, 
Und ſüßer und ſüßer die Stimme klingt. 
Merk auf, Herr Olaf! 


„Laß fahren die Welt, laß fahren den Schwarm, 
Laß dich küſſen und wiegen in meinem Arm!“ 
Merk auf, Herr Olaf! 


301 


302 


Was ſieht er im Strudel? Ein Augenpaar, 
Eine ſchimmernde Bruſt, blond Lockenhaar. 
Merk auf, Herr Olaf! 


Und er ſpornt ſeinen Rappen, der wirft ihn ab, 
Und er ſinkt hinunter ins feuchte Grab. 
Merk auf, Herr Olaf! 


Schön Ramild ſchaut zum Fenſter heraus, 
Ein naſſer Rappe ſteht vor dem Haus. 
Merk auf, Herr Olaf! 


O Rappe, o Rappe, dein Sattel iſt leer, 
Sag an, was bringſt du für traurige Mär'? 
Merk auf, Herr Olaf! 


„Dein Liebſter iſt hin, daß Gott ſich erbarm', 
Ihn wieget die Nixe im ſchneeweißen Arm!“ 
Merk auf, Herr Olaf! 


„Bei den Fiſchen wohnt er im tiefen Meer, 
Die Sonne ſiehet er nimmermehr.“ 
Merk auf, Herr Olaf! 


Gwyon und Taliefin. 


(Keltiſch. Vergl. „Auch Einer“ Bd. 1, S. 134—136 und S. 278—281.) 


Gwyon, dieſer kleine Tropf — 
Was tut der? 
Hat geſchleckt vom Zaubertopf. 


303 
Wer kommt her? 
Kommt herbei, o weh! o weh! 
Coridwen, die ſtarke Fee! 


Gwyon, dieſes Zwergelein, 
Was wird er? 

Wird ein flinkes Häſulein, 
Wer kommt her? 

Coridwen als Hündin ſchnell 
Will zerzauſen ihm das Fell. 


Daß ſie ihn nicht packt am Wiſch, 
Was tut er? 

Gwyon wird im Nu ein Fiſch. 

Wer kommt her? 

Coridwen als Ottertier 

Jagt ihn und erhaſcht ihn ſchier. 


Gwyon, Gwyon, jetzt ſei flink! 
Was tut er? 

Er wird flugs ein Diſtelfink. 
Wer kommt her? 

Coridwen ſtößt auf den Schalk 
Gleich herab als Finkenfalk. 


Zu entfliehn des Falken Zorn, 
Was tut er? 
Er wird raſch ein Weizenkorn. 


304 
Wer kommt her? 
Coridwen wird eine Henn' 
Und verſchluckt ihn, Coridwen. 


Das Korn hat gegoren 

Im heiligen Leib, 

Da hat ſie geboren, 

Das Wunderweib, 

Die Strahlenſtirne, den Talieſin, 

Der da ſchauet allen geheimen Sinn, 
Der da blicket hinaus in die Ewigkeit, 
Der da iſt und war in aller Zeit, 

Der Druiden Vater und Geiſterhaupt. 
Selig, wer an Talieſin glaubt, 

Doch zurück zum Zwergengeſchlechte kehrt, 
Wer ihm nicht glaubet und ihn nicht ehrt. 


Unglücksſtern. 


Der Bruder hat mit ſanfter Hand 

Die Augen ihm geſchloſſen, 

Sonſt kräht in der Welt kein Hahn nach ihm, 
Der heute ſich erſchoſſen. 


Sein Vater war Genie und Lump, 
Sucht' überm Meer ſein Glücke 
Und kehrte als Genie und Lump 
Mit Weib und Kind zurücke. 


305 
Der Sohn trat feine Erbſchaft an: 
Die bucklich hohe Stirne, 
Den feinen Geiſt, das Lumpentum 
Und einen Span im Hirne. 


Hat dennoch wacker ſich geplackt 
Auf ſteilen, dornigen Pfaden, 
Stets wieder einen Streich gemacht, 
Und iſt ihm nichts geraten. 


Bald zog er ſtraff an ſeinem Strang, 
Bald lief er weg vom Karren, 

Wie's halt nicht anders gehen kann 
Bei einem Stück von Narren. 


Bald hat die Hoffnung ihm geſtrahlt, 
Bald iſt ſie ihm erloſchen, 

Dann gieng ſie endlich ganz ihm aus 
Mit ſeinem letzten Groſchen. 


Er wurde klug, er wurde klar, 

Er dachte, wir müſſen's enden; 
Da liegt er nun im Kämmerlein 
Mit ſeinen kahlen Wänden. 


Die Sterne ſchauen kalt herein; 
Wo ſteht wohl unter ihnen 
Der Unglücksſtern, der lebenslang 
Dem Armen hat geſchienen? 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 20 


306 
Große Glufen-Ballade 


oder 
Die magnetiſche Nadel. 
. 
In . . .. im grünen Alpental 
Auf der Poſt iſt die Koſt vorzüglich; 
An der Tafelrunde ſaßen einmal 
Drei Offiziere vergnüglich. 


Forellen ſetzte man auf den Tiſch. 

Der Major, der nicht viel lobte, 

Sprach ſchmatzend: wirklich ein feiner Fiſch! 
Als er den Biſſen erprobte. 


Duftend erſchien jetzt auf dem Plan 

Ein Vogel, ein ſaftiger Braten, 

Der Hauptmann koſtet den welſchen Hahn 
Und ſchmunzelt: köſtlich geraten! 


Ein zartes Gemüſe fehlte nicht, 
Eine Schüſſel voll junge Bohnen, 
Sie waren des Leutnants Leibgericht, 
Er dachte ſie nicht zu ſchonen. 


Doch der Leutnant bleich wie ein Schemen ſaß, 
Der hat kein Wort geſprochen: 
Eine Nadel hat er, ſobald er aß, 
In das Zahnfleiſch ſich geſtochen. 


307 
In 
Er fährt empor zur Tür hinaus 
Zum Erſtaunen der Tafelrunde 
Und zieht und zerrt mit Schmerzen und Graus 
Die Nadel ſich aus dem Munde. 


Er ſtürzt in die Küche, er blickt umher, 
Die Täterin zu erſpähen, 

Und ſieht einen Kochreferendär 

Bei dem Geſinde ſtehen. 


Es iſt eine Jungfrau feiner Art 

Aus einer guten Familie, 

Von Antlitz lieblich, von Gliedern zart 
Und ſchlank wie eine Lilie. 


Sie trägt eine Schürze mit Schulterband, 
Schneeweiß, ohne Flecken und Tadel, 

Und feſtgehalten am einen Rand 

Mit einer glänzenden Nadel. 


Die Nadel, die er beinah' verſchluckt, 

Und dieſe, ſie ſind die gleichen, 

Auch erſcheint, wie er weiter ſpäht und guckt, 
Ein zweites ſchlagendes Zeichen: 


Das andere Tragband hängt nur los 
Um die Achſel, die rundlich feine — 


20* 


308 
Es iſt aus! Die Schuld, fo rieſengroß, 
Sie iſt bewieſen wie keine. 


Das Mägdlein wird inne und ſieht von Blut 
An des Leutnants Lippen ein Tröpfchen, 

Da ergießt ſich lodernde Purpurglut 

Über ihr holdes Köpfchen. 


Er wollte wettern, er wollte ſchrei'n, 
Wollte fluchen wie ein Heide, 

Da ſieht er das bebende Mägdelein, 
Das arme, da tat es ihm leide. 


Er beſinnt ſich, die Nadel in ſeiner Hand 
Erhebt er, ſich artig verneigend, 

Durch das linke, das loſe Schulterband 
Drückt er ſie ſanft und ſchweigend. 


Doch drang ihr ein wenig in die Haut 

Die blutbegierige Spitze, 

Ihr entfuhr ein grillender Schmerzenslaut, 
Als ſie fühlte die ſcharfe Ritze. 


Der Laut, der flog wie ein Flintenſchuß 
In das Leutnantherz, in das warme, 
Da gab er ihr einen herzlichen Kuß 
Und ſchloß ſie in ſeine Arme. 


309 
Dann eilte er in den Saal zurück, 
Aß Gemüs und Kuchen und Törtchen, 
Als ob er träumte, ſo war ſein Blick, 
Und wieder ſprach er kein Wörtchen. 


III. 


In . . . . im grünen Alpental 

Auf der Poſt iſt die Koſt vorzüglich, 
An der Tafelrund, da ſaß einmal 
Ein bräutliches Paar vergnüglich. 


Ein Hauptmann war es mit ſeiner Frau, 
War fernd noch Leutnant geweſen, 

Man konnt' es ihm in der Augen Blau, 
Wie lieb er ſie hatte, leſen. 


Der vorige Hauptmann war dabei, 
War jetzo Major geworden, 

Der Major nicht fehlte zur Zahl der drei, 
Jetzt Oberſtleutnant mit Orden. 


Und manche Frauen und manche Herrn 
Saßen herum als Gäſte, 
Sie waren geladen von nah und fern 


Zum fröhlichen Hochzeitsfeſte. 


310 


Forellen ſetzte man auf den Tiſch, 
Dann einen gebratenen Hahnen, 

Es war bei dem leckern Braten und Fiſch 
Nicht nötig, zum Eſſen zu mahnen. 


Dann eine bedeckte Schüſſel kam — 
Wer ſollte den Deckel heben? 

Das Bräutchen winkte dem Bräutigam, 
Das Zeichen zum Angriff zu geben. 


Und wie er ihn hebt und wie er ſchaut, 

Ei, ſeht, was hat er entdecket? 

Da lauſcht zwiſchen Bohnen und Bohnenkraut 
Ein kleiner Schütze verſtecket. 


Ein Knabe mit Silberflügelein, 
Der zielet mit Pfeil und Bogen, 
Der Pfeil, das iſt eine Nadel fein, 
Am Knopfe mit Federn bezogen. 


Der Hauptmann ſtutzt und verwundert ſich, 
Schnell nimmt das Bräutchen, das flinke, 
Die Nadel und gibt ihm einen Stich 

In die Achſelſeite, die linke. 


Er quiekt. Man lacht, und von Hand zu Hand 
Geht die Nadel umher im Kreiſe, 
Gelangt zu dem Oberſtleutenant, 
Der beſchaut ſie und ſeufzet leiſe. 


Er war geſchworener Hageſtolz, 

Tat am liebſten kommandieren, 

Wollte nichts wiſſen von Amors Bolz, 
Jetzt fühlt er ein menſchlich Rühren. 


Wo, ruft er, iſt da noch Gegenwehr, 
Wo rings der Feind nach uns zielet, 
Wenn ſelbſt aus der Bohnenſchüſſel her 
Der Franktireur lauernd ſchielet? 


Wohin vor des Schützen arger Liſt 
Im dichten Menſchengetriebe? 

Ich merk' es, im Lebenskompaß iſt 
Die magnetiſche Nadel die Liebe. 


Das Kreuz am Inn. 


Am Innſtrom giengen wir dahin 
Und ſahen die breiten Wogen ziehn. 


Ein einſam Kreuz gewahrt' ich da 
Jenſeits im Feld, dem Ufer nah. 


Dran hieng, ich ſah's im Sonnenglanz, 
Entblättert faſt ein dunkler Kranz. 


Was will das Kreuz am fernen Ort? 
Beſagt es Unfall oder Mord? 


311 


Mär’ heut der rechte Tag im Jahr, 
Du ſäh'ſt ein Bild, das ſpräche klar. 
Ein altes Weiblein ſäheſt du, 

Es ſtrebt vom Dorf der Stätte zu, 


Schwarz angetan von Kopf zu Fuß, 
Mit einem Kranz als Totengruß, 


Die rechte Hand am Krückenſtab, 

Gelangt ſie mühſam an dies Grab, 
Kniet nieder, hängt den Blätterkreis 
Ans Kreuz und betet lang und heiß, 


Und weint und weint und weilet lang 
Und macht zurück den ſchweren Gang. 


Sie war im Dorf die ſchönſte Maid 
Und manches Freiers Herzeleid, 


Im Landlertanz als Königin 
Gefeiert auf und ab am Inn, 


Raſch, wacker, friſch an Seel' und Leib, 
Man weiß noch heut: ein prächtig Weib. 
Da brach ins Inntal der Franzos, 

Da gieng am Strom das Schlagen los. 


Und eines Tags in ſchmucken Reihn 
Marſchieren Kaiſerjäger ein, 


313 
Dem Zug voran ein junges Blut, 
Das grüne Reis am Jägerhut, 
Zwei Ehrenzeichen auf der Bruſt, 
Der ganzen Mannſchaft Stolz und Luſt. 
Ein Schütze, wie man keinen ſah, 
Wo die Gefahr kam, war er da, 


Sein Feuerblick, ſein Feuerwort 

Riß ſelbſt den Bebenden mit fort, 

Doch vatergleich, ſo jung er war, 
Sorgt er für ſeine kleine Schar. 

Und wie ihn kaum die Maid geſehn, 
Da war es um ihr Herz geſchehn. 

Den Abend und die nächſte Nacht 

Ward in dem Dorfe Halt gemacht, 
Fürbaß ins Feld, vielleicht zum Tod, 
Gieng's ſchon am nächſten Morgenrot. 
Wie leicht in Krieges Sturm und Drang 
Wird Sturmſchritt auch der Liebe Gang! 
Als kennten ſie ſich manches Jahr, 

Eilt Herz an Herz das junge Paar, 
Tauſcht Kuß um Kuß, verträumt die Zeit, 
Vergißt, daß wohl der Feind nicht weit. 


314 
„Horch! Hörſt du nicht ein Hornfignal 
„„O nein, es war der Hirt im Tal.“ 


Er glaubt es nicht und glaubt es doch 
Und bleibt und weilt im Himmel noch. 


Da knallt ein Schuß und noch ein Schuß. 
„Fort! Auf! Noch einen letzten Kuß!“ 


„Den Stutzen her!“ und aus dem Haus 
Stürmt er hinein in Nacht und Graus. 


Links, rechts empfängt ihn Knall auf Knall — 
Es war ein jäher Überfall. 

Die Jäger ſind zurückgedrängt, 

Die letzten mit dem Feind vermengt. 
Zum Laden reicht die Zeit nicht mehr, 
Den Kolben ſchwingt er um ſich her. 
Er wehrt ſich wie ein grimmer Leu, 
Der Schwall vermehrt ſich immer neu. 
Sie ſieht's noch einen Augenblick, 
Dann drängt die Not auch ihn zurück. 
Sie hört, ſie horcht, zum Stromesbord 
Bewegt die wilde Jagd ſich fort. 

Fern tönt und ferner nun der Schall, 
Stumm wird der Berge Widerhall. 


Man fuchte fie am frühen Tag 
Und fand fie, wo der Tote lag. 


Auf feine Leiche hingeſtreckt 
Ward fie zum Leben ſchwer geweckt. 


Dort war es, ſieh noch einmal hin, 
Dort lag er, dort begrub man ihn. 


Ob's regnen, ſtürmen, ſchneien mag, 
Nie fehlt der Kranz am Todestag. 


Schickſal. 
LE 

Zu Freudenfeſten zogen fie hinaus. 
Zum Täufling geht es in dem Grafenhaus, 
Den die beglückte Tochter hat geboren; 
Die andre hat ein Brite ſich erkoren: 
Ein jugendlicher Herzog reicht die Hand 
Der deutſchen Braut im flutumrauſchten Land. 
Raſch trägt die See das frohe Elternpaar 
Zur hohen Feier an den Traualtar; 
Volksjubel grüßt, und neben ihrem Sohne, 
In ihren Locken die Brillantenkrone, 
Der Kinder Wohl im tiefbewegten Sinn, 
Steht Englands Königin, Indiens Kaiſerin. 


316 
Und fernher aus des Schwabenlandes Garten 
Iſt eine frohe Botſchaft zu erwarten, 
Denn dort begrüßt der Frühlingsſonne Blick 
Vielleicht ſchon heut ein neues Mutterglück; 
Wär's auch kein Erbe, dem der Krone Pracht 
Von weitem ſchon in ſeine Wiege lacht, 
Wer ſchaute nicht mit menſchlich reiner Wonne 
Ein neu Geſchöpf am heitern Licht der Sonne? — 
Ein Kreis von Feſten! Traufeſt in der Mitte, 
Und an das erſte ſchließt ſich ſchön das dritte! 
Drei Tage drauf — 
Kaum reichte des Dampfrads ſchnellſter Lauf — 
Stehn ſie an einem Grab. Im Abendſchein 
Senkt man die Mutter zu dem Kind hinein. 


II. 
Du ſchrittſt zum Throne, 
Dein wartete mit dem geliebten Gatten 
In goldnen Baldachines Schatten 
Die Krone. 
Vermeſſen nicht giengſt du dem Glanz entgegen; 
Gut will ich ſein, dem Land ein Segen, 
Einfach und gut! gelobt die treue Bruſt. — 
Und mitten in des Lenzes Hoffnungsluſt 
Erſcheint das Schickſal, ſchreitet durch das Tor 
Und hält dir eine Dornenkrone vor 


317 
Und ſpricht: Gut willſt du fein? 
Schlag ein! 
Erprob es ſogleich: ſtirb ergeben! 
Verfallen iſt dein junges Leben. 
Sie nickt in Tränen, ihrer Teuren Schmerz, 
Den eignen nicht, beklagt das brave Herz, 
Sie nimmt vom Gatten, von dem holden Kind 
Den ſchweren Abſchied, ſchweigt und neigt gelind 
Ihr ſterbend Haupt. In ſanftem Geiſterglanz, 
Nun dornenlos, umleuchtet es der Kranz. 


III. 
Du weißt, 
Was Menſch ſein heißt, 
Weißt, was ein Menſch erfahren kann, 
Du ſchwergeprüfter Mann! 
Du haſt's geſehen in der weiten Welt, 
Geſehn im Schlachtſturm auf dem blut'gen Feld. 
Man muß ihn kennen, all der Menſchheit Schmerz; 
Feſt wird und mild ein richtig Mannesherz, 
Das Menſch zu Menſch des Lebens Bild betrachtet. 
Du haſt es nie für einen Raub geachtet, 
Nah an den Stufen eines Throns zu ſtehen, 
Dein Aug' blieb offen, rein und klar zu ſehen, 
Und wie du fühlteſt, ein erfreutes Land 
Hat es an deiner Liebe Wahl erkannt. 


318 
Nun aber, nun — du ſollſt nicht bloß gewahren, 
Erfahren, in des Lebens Mark erfahren 
Sollſt du, was Menſch ſein heißt! 
Gebot der dunkle Weltengeiſt. 
Herab vom Himmel des Glücks gewettert, 
Zu Boden geſchmettert, 
Hin auf ein Grab gegoſſen, 
In Tränen zerfloſſen, 
Das Herz aus dem Leib geriſſen, 
Nicht faſſen, nicht wiſſen, 
Was nun ſoll werden —: 
So kommt's auf Erden. 
Nun kennſt du ganz des Lebens dunklen Grund. 
Du wirſt erſtehen aus dem finſtern Schlund, 
Denn du biſt Mann, doch rein und ungeſchwächt 
Will heilig Weh ſein heilig tiefes Recht. 
Mitweint des Landes Herz, und es empfindet 
In dieſer Schickſalswolke, 
Wie tief das Unglück einen Fürſten bindet 
Mit ſeinem Volke. 
Wir ſehn ein Bild, 
Ein Weſen mild 
Aus einem Grabe ſchweben, 
Dir das Geleit zu geben, 
Und wird dir die gefährliche Gewalt, 
So ſegnet dich die himmliſche Geſtalt. 


319 
Der alte Totengräber. 


Er grub ein Grab mit müder Hand, 
Faſt wollte die Kraft verſagen. 

Für wen? Das war ihm unbekannt, 
Er pflegte nicht mehr zu fragen. 


Er murrte nicht, es ſei zu ſchwer, 

Er ſummte gemach und leiſe — 

Das helle Singen gieng nicht mehr — 
Eine alte Liederweiſe. 


Ein Lied von Liebesluſt und Leid, 
Es hatt' ihn ſtets erfreuet, 

Denn ſeiner Jugend Munterkeit, 
Sie hat ihn nie gereuet. 


Bald wird die Arbeit fertig ſein; 

Da ſind ihm die Sinne geſchwunden, 
Er ſinkt und fällt in das Grab hinein, 
Da hat man ihn tot gefunden. 


Sein friedlich Antlitz, Aug' und Mund, 
Erſchien ſo unbeweget, 

Als hätt' er in den kühlen Grund 

Sich wie ins Bett geleget. 


320 
Auch etwas Schalkheit ſchien dabei 
Die Lippen zu umſpielen, 
Und auf den Raub, ſo tadelfrei 
Begangen, hinzuzielen. 


Man hob ihn ſtill und ſacht' heraus, 
Als ob er ſanft nur ſchliefe, 

Man grub am dunkeln Erdenhaus 
Noch bis zur rechten Tiefe. 


Sein Totenhemde mußt' er nun 
Und ſeinen Sarg noch haben, 

Dann durft' er in dem Grabe ruhn, 
Das er ſich ſelbſt gegraben. 


Ein Augenblick. 


Um die alte Stadt auf der Promenade, 
Dem bequemen, beliebten Pfade, 

Den die Platanen beſchatten und zieren, 
Gieng ich am Sommerabend ſpazieren. 

Ein Sonntag war's und ein Sonnentag, 
Es wandelten Leute von allerhand Schlag, 
Feſtlich geputzt, und allem dem Volke 
Stand auf dem Geſicht keine einzige Wolke. 


321 
Da kam mir im goldenen Abendfchein 
Entgegen ein Kinderwägelein, 
Ein nett geflochtnes, auf leichten Rädchen, 
Es zog ein ſauberes Ulmermädchen. 
Mein Blick fiel juſt ins Gefährt hinein, 
Da lag ein Knabe gebettet fein, 
Kaum jährig etwa, ſein Angeſicht 
Umwob ein Schimmer von Roſenlicht, 
Als ruht' er in einem Roſenhag, 
Denn in den Schatten, worin er lag, 
Fiel erhellend ein Widerſchein 
Vom farbigen Obdach im Wägelein, 
Auch kam von außen der Glanz ergoſſen, 
Denn ganz mit Licht war die Luft durchſchoſſen; 
Ja vom Kind auch ſchien es mir auszugehen, 
Denn ein ſchöneres hab' ich noch nie geſehen; 
Man glaubte Herz und Auge zu laben 
An einem von Raffaels Engelknaben, 
Es ſchwamm wie ein Bild im erleuchteten Raum, 
Wie ein Feenkind, wie ein ſeltener Traum. 


Stillbeglückt ſah es vor ſich hinaus 
In ſeinem fahrenden kleinen Haus, 
In ſeiner Welt ein kleiner König, 
Lächelte auch dazu ein wenig, 


Als ſchwebten ihm an der Zukunft Tor 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 21 


322 x 
Schon die allerhand luſtigen Streiche vor, 

Die man verübt in den Tagen der Jugend, 
Welche — man weiß ja — nicht hat viel Tugend; 
Er ſchaute ſo hell aus den dunkeln Augen, 

Als möcht' er nicht immer gar zu viel taugen. 


Ich ſah ihn an, ich blinzte und nickte, 
Schmunzelnd. Der reizende Knabe blickte 
Mich an und blinzte, ſchmunzelte, nickte. 
Gelt du, es iſt eben gar was Gutes 

Ums Exiſtieren, ſchmecken tut es? 

Und ein bißl Spitzbüberei 

Iſt eben immer auch dabei? 


Er hat es mir richtig im Auge geleſen, 

Der Schelm, das kleine, kaum ahnende Weſen, 
Er hat es verſtanden und hat es bejaht, 

Der liebliche Lebenskandidat. 


Ich hätt' ihn mögen vor lauter Entzücken 

Aus den Polſtern heben, verküſſen, verdrücken, 
Doch ich ſagte mir: laß es lieber gehen, 

Es ſoll ſo bleiben, wie es geſchehen, 

Es ſoll bleiben ein Augenblick. 


Fürbaß gieng ich, ſah nicht zurück. 
Ein alter Bekannter begegnete mir, 
Er ſtellte mich, fragte: „Was iſt's mit dir? 


323 
Es ſtrahlt ja ordentlich dein Geficht, 
So heiter ſah ich dich lange nicht; 
Wart, ich merk's ſchon, du kommſt vom Wein! 
Ein guter muß es geweſen ſein!“ 
Ja, ſagt' ich, er war nicht eben ſchlecht, 
Noch Moſt, aber Ausſtich, feurig und echt. 


Ein Kameradenfeſt. 


Etlich und zwanzig Kameraden 
Begiengen ein heitres Feſt, 

Sie hatten einander geladen 

Von Süden, Nord, Oſt und Weſt. 


Sie gedachten der Kloſterhallen 
Im grünen, felſigen Tal, 

Sie ſahen ſich wieder wallen 
In der Jugend Morgenſtrahl. 


Schon manchem hatte die Locken 
Des Lebens Winter geraubt, 

Schon manchem die weißen Flocken 
Geſchüttelt aufs ernſte Haupt. 


Die vergangenen Scherze wieder 
Brachten ſie auf den Plan, 

Sie ſangen die alten Lieder 

Von Follen, von Arndt und Jahn. 


324 
Und einer der alten Knaben 
Zog ein Gedicht hervor 
Und las es und wußte zu laben, 
Zu rühren den ganzen Chor. 


Von allen Seiten ſprangen 

Die lobenden Zecher zu Hauf: 
„Bravo!“ Die Gläſer klangen, 
Man ließ ihn leben — „wohlauf!“ 


Dankend erhebt der Dichter 

Sein Glas mit freudigem Schwung, 
Die Augen glänzen ihm lichter, 

Als wäre er wieder jung. 


Und wie ihm der Kelch ſoeben 

In der Hand noch erklingt und blinkt — 
„Hoch!“ rief er, „die Jugend ſoll leben!“ — 
Da bricht er zuſammen und ſinkt. 


Noch jubelte, trank und lachte 
Abſeits manch heitrer Geſell, 

Der nicht an Schreckliches dachte — 
Es kam wie ein Blitz ſo ſchnell. 


Er liegt uns zuckend im Arme, 
Noch ſind ſeine Wangen rot, 


325 
Doch das Leben entflieht, das warme, 
Er röchelt, verblaßt, iſt tot. 


Er war der Schönſte geweſen 
In der blühenden Jugendſchar, 
Und im Antlitz war ihm zu leſen: 
Verſtändig und ſchlicht und wahr. 


Sah man ihn ringen und ſpringen 
Im rüſtigen Wettverein, 

Die ſchlanken Glieder ihn ſchwingen, 
Man glaubte in Sparta zu ſein. — 


Auf Kiſſen legt man ihn nieder, 
Man drückt ihm die Augen zu, 
Rings ſtehen die ſtummen Brüder; 
Da liegt er in ſanfter Ruh'. 


Es ſchwinden von Stirn und Munde 
Die Spuren von Qual und Krampf, 
Keine Furche gibt noch Kunde 
Vom ſtürmiſchen Todeskampf. 


Lächelnd ſcheint er zu ſagen: 

Nichts weiß ich von eurem Schmerz, 
Und wer da noch wollte klagen, 

Der zeigte kein männlich Herz. 


326 
Marathon. 


Stumpf hieng ich im Sattel, ein leiſes Fieber, 
Frucht der Ritte, der tagelangen, 

Auf glühendem Fels, in feuchtſchwülem Sumpftal, 
Rieſelte durch die Glieder. 

Weit voraus ſchon waren die andern, 

Der Reiſegenoß und der dienende Führer. 

Was mich umgab, ich ſah es kaum, 

Sah es mit Augen ohne Gedanken. 

Auf einmal wiehert mein Pferd 

Nach den entfernten Stallkameraden. 


Aufſchrak ich. 

„Allnächtlich vernimmt man 

Auf dem Schlachtfeld von Marathon 
Roſſegewieher und Kampfgetöſe“ — 
Das alte Wort des ſagenkundigen, 
Gläubigen Griechen, das ich vor Jahren 
Hatte geleſen und halb vergeſſen, 

Fuhr wie ein Blitz in die Seele mir. 
Ferne ſah ich den Hügel jetzt, 

Des Denkmals rührenden Erdenreſt, 
Das die gefallnen Athener ehrte. 

Drüber hinaus in ſilbernen Streifen 
Blitzte das Meer auf. 

Ich ſchaue rechts: dort ſind ſie geſtanden, 


327 
Dort auf den Höhen, die in gedehntem 
Bogen nach mir ſich herziehn. 


Zum Angriff blaſen die Hörner. 

In die Hüfte geſtemmt die langen, ſtarken, 
Gefällten Speere ſchreiten ſie vorwärts, 

Mann an Mann, eng, feſt wie Kettengelenke, 
Die Höhen herunter, lautlos, 

Langſam zuerſt, dann ſchneller und ſchneller, 
Zum Sturmſchritt wird am Gefälle des Abhangs 
Der gemeſſene, ſtramme Marſch. 


Drüben aber von linksher 

Wälzt ſich entgegen ein Wall von Völkern, 
Rollender Wellen ein Ozean 

Brauſet heran mit Sturmesgebrüll, 
Mißtönigem wüſtem Kriegsgeſchrei 

In allen Zungen des Morgenlands, 

In gellenden Lauten der ſchwarzen Söhne 
Afrikaniſcher Glutſandfläche. — 

Sendet aus tiefer nächtlicher Pforte 

Der Hades ein wimmelndes Larvenheer, 
Wie man in grauſigen Träumen es ſchaut? 
Helme wie Lindwurmſchweife gewunden, 
Felle des Panthers, Felle des Löwen, 
Bälge des Fuchſes mit bauſchigem Schweife, 
Häute des Roßhaupts mit flatternder Mähne 


328 
Tragen auf Haupt und Schultern die fremden, 
Wilden Geſtalten. 
Da genügt als Waffe nicht Schwert, nicht Lanze, 
Nicht ſpitziger Dolch, nicht Pfeil und Bogen, 
Da drohet die Keule mit eiſernen Stacheln, 
Die mähende Sichel, der packende Haken, 
Stricke ſchwingen ſie, lange Schlingen, 
Zu haſchen, zu fangen an Fuß und Nacken, 
Beile erheben fie, Doppelärte — 
Wollt ihr, wie fie einſt tat, 
Als ſie den Gatten umſchlang mit dem Garne 
Und den entwaffneten Helden erſchlug, 
Wollt ihr Menſchen wie Tiere des Waldes 
In Schnurnetz verwickeln und vor die Stirne 
Wie der Fleiſcher den Schlachtſtier hauen? 


Es naht ſich. 

Ein Hagel von Pfeilen und Lanzen ſchwirrt 

Und praſſelt auf griechiſchem Helm und Schild, 
Weithin hört man das Erz erklirren. 

Tauſende fehlen ihr Ziel, nicht alle; 

Schon fällt aus dem Gliede der eine und andre, 
Doch ſchnell, wo der Stahl eine Lücke geriſſen, 
Schließt die gegliederte Kette ſich wieder. 

Kette nicht, Mauer wär' es zu nennen, 

Könnt' eine Mauer lebendig werden, 


Wandeln und vorwärts rücken und drücken: 
Wie ſie mit unerbittlichem Zwange 
Schöbe und drängte, was ihr begegnet, 
Wie ſie zermalmte, was nicht Platz macht, 
Alſo, verkitteten Quadern gleich, 

Aber mit Augen ſchauend, mit Händen 
Tödliche Waffe zum Stoß ausſtreckend, 
Alſo bewegt ſich vorwärts, vorwärts 

Die furchtbare Phalanx. 

Seht, wie ſie beben, ſeht, wie ſie weichen! 
Sie haben es nie geglaubt, noch geſehen, 
Was geſchloſſene, mannszuchtfeſte, 
Vaterlandliebende, 

Geſetzen folgſame, freie 

Männer vermögen, und wäre zehnfach 
Des pochenden Feindes Überzahl. 


Mit Peitſchen hauen die grimmigen Vögte 

Von rückwärts hinein in das Angſtgetümmel, 

In die bunten, zerſprengten, zu Klumpen gerollten, 
Keuchenden, ſchlotternden Sklavenrotten; 

Sie kreiſchen, ſie ächzen unter den Hieben, 

Aber ſie fürchten die griechiſchen Speere 

Mehr als der Geißel ſauſenden Schlag, 

Kaum daß zitternd und hoffnungslos 

Dieſer und jener die Waffe noch hebt, 


330 
Dem Feinde noch bietet die klopfende Bruſt. 
Ja zum Spotte noch laſſen ſie Zeit: 
Wie ernſt und blutig das Werk auch ſei, 
Zu lachen geben die indiſchen langen 
Weiberröcke, die hohen, ſpitzen 
Umwickelten Hüte, die bunten Lappen, 
Der ganze verrückte Barbarenaufputz, 
Zu lachen dem Einfalt liebenden Griechen, 
Den die Natur in der Wiege geadelt. 


Aber weh! o wehe! 

Dort in der Mitte! Schau hin! 

Wie durch die berſtende Wolkenwand 

Der Blitz hervorſchießt, 

Mit einmal teilt ſich, fährt auseinander 
Der ebbende, breite Hordenſchwall, 

Und hervor aus der Spalte ſprengt 
Schuppengepanzerte Reiterſchar, 
Auserkornes, geſpartes Kernvolk, 

Perſer vom echten ariſchen Stamme, 

Edler an Zügen, edler an Gliedern 

Als das gezwungene Sklavenblut. 

Die Rüſtungen blinken, die Lanzen funkeln, 
Es wallen und wehen die vollen, langen 
Mähnen und Schweife der feurigen Roſſe, 
Hell wiehert des Hauptmanns Vollbluthengſt, 


Wie Silber glänzend, niſäiſcher Weide 
Rein gezüchteter nerviger Sproß. 

Weh euch, ihr armen Braven! Für euch iſt 
Keine Hoffnung, auf ſolches wart ihr 
Nimmer gefaßt. Verdeckt als Nachhut 
Hatte die eherne Schar ſich geſammelt, 
Wider Vermuten hatten die Schiffe 

Mit ſich geführt die ſtampfende Tierkraft, 
Wider Vermuten haben ſich kühne 
Geſchwader des mächtigen Reiterſchwarms 
Über des Erdreichs ſeebeſpülten 

Morſchen Boden gewagt zum Angriff. 
Wie ein Orkan aus heiterem Himmel 
Auf den ungewarnten Piloten ſtürzt, 

Wie auf den Rotwild jagenden Rüden 
Aus der Aſte verbergendem Laub 

Ein Panther herabſpringt, alſo plötzlich 
Kommt der Gewaltſtoß über euch. 


Sie ſind aneinander. Wildes Jauchzen, 
Haſtiger Notruf, raſſelnder Erzklang, 
Hufegepolter, ein Mantel von Staub 
Umwirbelt verhüllend das grauſige Wirrſal. 


Der Staub iſt verweht. — Da liegen ſie, 
Der attiſchen Jugend und Mannheit Blüte! 


331 


332 
Weite, von Lanzenſpitzen gebohrte, 
Vom Hiebe der krummen Schwerter geſchlagne 
Wunden klaffen, blühende Glieder 
Sind von den Hufen der Roſſe geknickt, 
Leuchtende Augen ſind gebrochen. 
Nicht jammernder Aufſchrei, aber ein Stöhnen 
Steigt in die Lüfte aus mancher breiten 
Herrlich gewölbten Jünglingsbruſt. 


Schrecklicher Ares! Nimmer, ſolange 

Völker kriegten und kriegen werden, 

Lag noch und wird je liegen am Boden, 
Verblutend, verhauchend die männliche Seele, 
So viel Schönheit. 

Mir iſt, als beugte ſich weinend 

Phidias über die Heldenleiber. 


Auf überſchauendem Hügel ſteht 

In ſchlichter Chlamys, die Arme gekreuzt, 
Ruhig, bewegungslos, 

Mit Augen des Adlers weitausblickend, 
Wachend über das Ganze 

Miltiades. 

Jetzt bei dem Anblick 

Fährt es ihm blutrot über die helle, 
Denkende Stirn. 


Die wenigen Reiter, Boten des Schlachtworts, 
Stehen umher, mit pochenden Herzen 
Befehl erharrend. 


Er befiehlt. 

Wie Sturmwind jagen ſie in das Feld, 
Linkshin die einen, rechtshin die andern, 

Hin, wo die Flügel, dort der Platäer, 

Hier der Athener ſiegende Kraft 

Vorwärts gedrungen, wie Schnitter mähend, 
Nicht rückſchauend, ganz in die heiße 

Arbeit verſenket. 

Schallende Rufe, mahnende Hörner 
Schmettern ins Ohr dem trunkenen Sieger 
Ein ſtrackes: Halt! 

Sie gehorchen, ſie ſtehen, ſie blicken 
Rückwärts, ſehen die Brüder liegen, 

Sehn die gewappneten Reiter wüten, 

Laſſen ab vom Jagdwerk — allzu ſchwer nicht: 
Getan iſt's; wer da noch lebt und atmet 

In dieſem Haufen geſcheuchten Wildes, 
Streckt nimmer zum Kampfe das zitternde Knie. 
Sie ſammeln die locker gewordnen Glieder, 
Schreiten zurück in ſchleunigem Marſch, 
Schwenken in zwei geordneten Säulen, 
Umarmen den ſchuppigen Perſerdrachen, 


334 
Der die Zähne noch weidet in attiſchem Blute. 
Hier aus den Hügeln, die ſich aus Toten, 
Aus Verwundeten hoch ſchon geſchichtet, 
Rafft ſich empor, was den Arm und die Waffe 
Noch kann heben, und grüßet die Retter 
Tiefaufatmend und tritt in die Reihen. 


Von würgendem, ſtachlichem Todesknoten 
Sind ſie umſchnürt, die Siegesgewiſſen, 

Roß um Roß und Reiter um Reiter 

Röchelt am Boden, vom Speer durchſtochen, 
Mit Splitter der Lanze, mit Dolch, mit Fauſt 
Ringt der Geſtürzte noch wütend fort. 
Schnaubende Hengſte, dem Stich entronnen, 
Steigen, als ob ſie Geſpenſter ſähen, 

Fliehen und reißen den Mann mit fort, 

Die nächſten folgen, als ſpornte der Reiter, 
Der doch ſterbend im Sattel hängt 

Und auf das Kreuz des geängſteten Tieres 
Lummelnd mit läſtigem Aufſchlag hämmert. 
Die noch aufrecht ſind und noch kämpfen könnten 
— Nicht zu wenige ſind es, gewaltig 

War ſie geweſen, die Überzahl —: 

Als gellte mit markverzehrendem Laute 

Die Stimme des Pan, des dunkeln Gottes, 
Wenden die Stirnen und ſuchen, in krauſem 


335 
Geballtem Gewimmel ſich ſtoßend und preſſend, 
Sich niederrennend den Weg ins Weite, 
Hinüber zum Meer, zu den winkenden Schiffen. 
Als jagte der Sturmwind tanzende Blätter, 
Drängt der Verfolger hinter dem Schwarm her, 
Bohrt ihn und drückt ihn ins ſchlammige Moor 
Hinein zum Gewürm in die breite Lagune, 
Die, nicht bedacht von dem ſpannenlangen 
Sinne des Übermuts, dort drüben 
Lauernd am Fuße der Hügel hinzieht. 
Glücklich noch andre, die ſich zur Rechten 
Hin nach dem feſteren Strande geworfen, 
Wo ſich die Segel, die rettenden, blähen. 
Aber nach Feuer rufen die Dränger, 
Schleudern die zündende Fackel hinüber 
Zwiſchen die Maſte, die Seile, die Bohlen, 
Springen hinein in die ſalzige Meerflut, 
Und mit dem Schwimmer ringet der Schwimmer, 
Und mit dem letzten Atem der Lungen, 
Sieben der Schiffe dem Sieger laſſend, 
Löſt noch die Anker ein kleines, armes 
Überbleibſel des ſtolzgeſchwellten 
Strotzenden Heeres. 


Jauchzen, unendliches Jauchzen ſchallt 
Aus griechiſchen Kehlen ins Meer hinaus — 


336 
Kurz nur; in ernſter, gehaltener Stille 
Sammelt ſich das geſchmolzene Heer 
Und betrachtet das fertige Werk 
Und danket den Göttern. 


Nach den Verwundeten geht man ſuchen, 

Die Toten hebt man vom blutigen Feld, 

Um ſie der Mutter Erde zu geben. 

Viel erzählt der eine dem andern, 

Was er getan und gelitten habe 

Am heißen Tage und wie er die Teuren 

Habe fallen geſehn, wie der Sohn vom Vater, 
Der Vater vom Sohne, der Freund vom Freunde 
Auf immer den kurzen Abſchied nahm. 


Und durch die Reihen läuft eine Kunde, 
Darob ſie erſtaunen, die müden Helden. 
Seltſames iſt von Männern gemeldet, 

Die in der Mitte der Schlachtordnung 
Standen, als ſie durchbrochen war, 

Als die Hilfe herbeikam, aber noch haarſcharf 
Auf der Meſſerſchneide das Schickſal ſchwebte. 
Da ward ein Mann geſehen, 

Sagten ſie, 

Größer war er, als Menſchen ſind, 
Bauernkleidung trug er am Leibe, 


3U 
Eine Pflugſchar führte er in der Fauſt, 
Schlug in die enggekeilten Feinde 
Weit ausholend mit Rieſenſtreichen, 
Furchen riß er, breite und tiefe 
Furchen dem dicht nachrieſelnden Blut, 
Und als geackert war die Hufe, 
Als man ihn ſuchte, war er verſchwunden. 


Und ſie ſagen, Theſeus 

Müß es geweſen ſein, 

Niedergeſtiegen aus Geiſterreihen, 
Eingedenk des Tages der Hochzeit, 
Wo er die Räuber, halb Mann, halb Roß, 
Wo er die wilden Kentauren ſchlug, 
Niedergeſtiegen aus Geiſterreihen, 

Weil er nicht wollte dulden, 

Daß Barbaren ſein Werk zerſtampfen, 
Saaten des Korns und 

Saaten der Sittigung. 


Mykene. 


Habt Nachſicht, Manen des Aſchylos, 
Vergebt mir, daß ich euch nachgeſtammelt. 


Auf altersgrauer, halbverfallener 

Ziſterne Brüſtung ſaß ein großer Geier 
Regungslos, 

Viſcher, Lyriſche Gänge. 22 


338 
Plötzlich ſchoß er hinab 
Und eine Schlange feſt in den Krallen 
Taucht' er im Nu wieder auf 
Und ſchwang mit ſeiner Beute ſich hinweg. 
Sie wand und krümmte ſich 
In ihrer Haft, und dunkel hoben 
Die Ringelwindungen des langen Tiers 
Vom lichtvoll blauen Himmelsgrund ſich ab. 


Und mit den Ringeln kamen mir 

Die Schlangenhaarigen, 

Die Erinnyen in den Sinn, 

Und ich beſann mich, wo ich war. 
Mykenes Burgtor mit den Säulenhaltern, 
Den Panthertieren, ſtand 

In Mittagsſonnenglut 

Mir gegenüber. 


Und aus dem Tor ſeh' ich ſtürzen 

Eine Geſtalt, 

Einen Jüngling, todbleich, mit ſtieren, 
Weitaufgerißnen Augen, 

Ein blutiges Schwert in der Hand, 
Das er weitweg ſchleudert, 

Und hinter ihm eine dunkle Meute, 
Wie Hunde bellend, Fluchlied heulend, 
Gräßliche Weiber, 


339 
Rieſengroße, 
Blutblickende, 
Schlangenlockige, 
Fackelnſchwingende, 
Schlangenbündel wie Geißeln ſchwingende. 
Sie peitſchen los auf den Fliehenden, 
Keuchenden, Atemloſen, 
Hart an den Ferſen ihm 
Wie Tiger dem ſtöhnenden Edelhirſch. 


Willſt nicht auch du noch, lechzendes Pantherpaar, 
Herunterfahren vom Marmorblock, 
In Katzenſprüngen, mit Katzenſchrei 
Dich zu dem wilden Huſſa geſellen? 


Hinz und hinwegſauſt 
Über Stock und Stein 
Die wütende Hetzjagd, 
Fern und ferner verhallt der Jagdlärm. 


Wohin? Wohin entſchwunden? 
Dorthin, dorthin, zum Iſthmos hin, 
Fort über Berg und Tal, 
Hin zu Parnaſſos' Berggeländen, 
Hinauf, hinauf zu ihm, 
Dem delphiſchen Apollon, 
Zu ihm, der dich's geheißen, 
29* 


340 
Der es geſprochen: 
Den Vater zu rächen, morde die Mutter! — 
Todmatt, leichengleich 
Seh' ich dich liegen am heil'gen Altar, 
Seufzergebrochene Bitte ſtammelnd. 
Entſchlummert liegen die Schwarzen umher, 
Ermüdet ſie ſelbſt von der raſenden Jagd. 
Kurz iſt die Friſt nur, aus ſtygiſcher Pforte 
Steigt der gemordeten Mutter Schatten 
Und wecket und hetzet die Hetzerinnen 
Von neuem ans mitleidloſe Geſchäft. 
Aber hervor wie ein Lichtſtrahl tritt 
Der Pythonſieger, 
Und mit Götterſcheltwort, 
Gewitterſturzſchmetterndem, ſcheucht er 
Von ſeines Heiligtums reiner Schwelle 
Die Töchter der Nacht, 
Die Ausgeburten des Abgrunds. 
Dich aber heißt er 
Im Schutze des Götterboten, 
Des Seelengeleitmanns, 
Des füßebeflügelten Hermes 
Wandern zur heiligen Burg hinüber, 
Wo ſie wohnet in Marmorhallen, 
Die hehre Jungfrau, 
Zeus' Tochter, Athene. 


Richten, verheißet er, richten 
Wird ſie und ſchlichten. 


Werdender Hoffnung glimmet ein Funken 
In der Seele, der müdgehetzten, 

Er rafft ſich empor und wandert weiter. 
Und Geſang vernimmt er, 
Herniedertönend von heiligen Gipfeln, 
Parnaſſosgipfeln, 

Himmliſche Weiſen, 

Dichterchöre begleitenden, 

Ewigen Einklangs vollen, 

Seligen Muſengeſang. 

Zu Boden blickt er, 

Auf ſeine Rechte blickt er, 

Die blutbefleckte; 

„Für mich nicht, für mich nicht! 

Für mich das Geheul des Drachen, 


Der da drüben hauſet im nächtlichen Hohl, 


Wie meine wildaufzuckende Seele 


Wohnt in der dunkeln Kammer der Bruſt!“ 


Abwärts geht es, zur Rechten rauſchet, 


Durch zackige Schluchten die Gaſſe ſich reißend, 


Der Pleiſtos herauf und ſingt ihm 


Zu den trüben Gedanken ſein dumpfes Lied. 


341 


342 
Und einen Schatten glaubt er zu ſehen, 
Voraus ihm ſchreitend geſenkten Hauptes, 
Sinnend, brütend 
Über ein dunkles Orakelwort. 
O, er weiß, wer es iſt, 
Weiß, was der ſoll erfahren 
Alſobald, drunten im Tal: 
Nichtwiſſend wird er den Vater erſchlagen. 


Und hinter dem Mörder des Vaters 

Geht bang und ſcheu 

Und weinend doch um den Schickſalsbruder 
Der Muttermörder. 


Greiſe ſitzen auf heiligem 
Hügel des Ares 

An der Akropolis Abhang, 
Silberbärtige, 

Zu Richtern berufen 

Von Pallas Athene. 


Geſprochen haben 

Die Klägerinnen, haben gefordert 
Urrecht, hochheiliges, 

Daß nicht ſtraflos bleibe 
Grauſer Mord, Muttermord. 


Geſprochen hat 

Der hohe Anwalt, Latonas Sohn, 

Hat gefordert 

Urrecht, hochheiliges, 

Daß nicht ſtraflos bleibe 

Grauſer Mord, Gattenmord. 

Und wäre die Strafe auch neue Schuld: 
Er wolle, ſo ſprach er, 

Den Mann, der da handelt. 


Und geſprochen hat 

Nicht kläglichen Tones, 

Aber ſtockend und arm an Worten 
Der hoffende, bangende, 

Rache erleidende 

Rächer des Vaters. 


Stumm ſitzen die Greiſe, 

Die Häupter wiegend in ſchwerem Sinnen. 
Erfolgen ſoll Wahlſpruch. 

In eherner Urne ſammelt der Alteſte 

Das vernichtende Schuldig! in ſchwarzen Steinen, 
In weißen das rettende Schuldfrei! 


Er zählt, und gleich iſt die Zahl. 
Erloſchenen Blickes, erdfahl ſteht 
Oreſtes im Kreiſe. 


343 


344 
Lieber hinunter, jo ſpricht fein Auge, 
Hinunter zum Ahnherrn, zu Tantalos, 
Als hängend ſchweben im Hohlen, im Leeren, 
Gerichtet und nicht gerichtet, 
Ein Schemen, ein Unding, lebendiges Nichts! 


Ratlos ſtarren die Richter ins Leere, 

Grimmig blicken die nächtlichen, 

Noch nicht ſatten Verfolgerinnen 

Und murren und ſchütteln das Schlangenhaupt; 
Todſtill ſchweigen die Lüfte. 

Er aber, der nie Beirrte, 

Phöbos, der ewig Lichte, 

Ruhig ſchaut er empor, und ſiehe! 

Blitzgleich, 

Wie ſie aus Jovis Haupt hervorſchoß, 
Schwebt von der heiligen Burg hernieder 

Sie ſelbſt, des Gerichtes göttliche Gründerin, 
Pallas Athene. 

Schon ſteht ſie inmitten des ernſten Kreiſes, 
Gelaſſen ſteht ſie, leicht hängt ihr am Arme 
Der blinkende Schild, und geſenkt iſt die Spitze 
Des oft gezückten furchtbaren Speers. 

Sie tritt an die Urne und hebet die Rechte, 
Und zu den weißen gleitet ein weißer 

Losſtein hinab, und ſie ſpricht die Worte: 


Denn ich will nicht, daß krank und verſtört 
Bleib’ eine Mannesſeele, 

Welche tauget und wirken kann, 

Wär' ſie auch ſchuldig und wär' auch 
Weibes Leben ihr Opfer. 


Nicht frohlocket Oreſtes. 

Vor der Göttin beugt er die Kniee, 

Legt auf die Bruſt die gekreuzten Arme 
Und ſchaut hinauf in das himmliſch kühle, 
Bläulich graue, leuchtende, große 

Auge der Jungfrau, 

Und ſein Auge, das fieberſchwüle, 

In ſeine Höhle zurückgeſunkne, 

Mit dem erloſchenen, trüben Blick, 
Kläret ſich langſam. 


Heulend klagen die Rachegeiſter, 

Aber zu ihnen ſpricht die Erhabne: 
Rechtlos darum ſollt ihr nicht ſein, 
Schuldſtrafende Weſen! 

Verehrung genießet, heilige Scheue! 

Im nahen Hain, im ſchattigen, lieblichen, 
Dort, wo geheimnisvoll 

Ein Schlund klafft, 

Dort im Schoße der Erde 

Sei Nachtliebenden euch 


346 
Die Stätte bereit und Dienſt des Altars 
Und frommer Andacht jeglicher Zoll, 
Der göttlichen Mächten gebühret. 
Eumeniden, die Wohlgeſinnten, 
Die Gnädigen laſſet fortan euch nennen. 
Spüret die Schuld auf, ſtrafet ſie ſtreng, 
Nicht ſtrenger und länger nicht, 
Als ſie verdient. Auch Fülle des Wohles 
Auszuſpenden iſt euch gegeben, 
Wo man euch ehrt und euer Walten; 
Gönnt ſie dem teuren attiſchen Lande! 


Feſtlich geleitet ziehn die Beſänftigten 
Hinweg nach der ſchauerumwehten Kluft. 
Sie aber ſchwebt hinauf, empor, 

Hin wo im heiteren Atherlicht 

Schimmert ihr heiliges Tempelhaus. 


Wie im Traume, ſo ſah ich's, 

An der alten Ziſterne noch ſitzend. 
Auf ſtund ich, trat unter das Löwentor, 
Gieng vorwärts und ſah mich um. 

Aus Trümmerhaufen erwuchs mir 

Der Atriden Palaſt. 


Koſtbare Teppiche, purpurne Tempelzier 
Sind gebreitet vom Tor zu der Treppe. 


347 
Auf der oberften Stufe erfcheint 
Klytämneſtra. 
Mit ſchönredendem Gruß empfängt ſie 
Den Völkerfürſten, Trojas Beſieger, 
Der gezogen kommt hoch zu Wagen, 
Müde des Krieges, froh der erſehnten 
Endlichen Heimkehr. 
Er ſtutzet und ſcheut ſich, 
Zu betreten die Prachtgewebe, 
Thronender Götter geheiligten Hausſchmuck. 
Doch weicht er der Bitte des falſchen Weibes, 
Steigt vom Wagen in dunkler Ahnung, 
Schreitet dahin und hinauf und tritt 
Über die Schwelle. 
Ihm folget Kaſſandra, die Seherin, 
Die Kriegsgefangne, geehret vom Sieger, 
Tödlich gehaßt von der ſcheelen Fürſtin. 
Nicht dunkel ahnend, hell wiſſend wohin, 
Schickſal verkündend, Erfüllung des alten 
Götterfluches, Rache durch Sohnes Hand, 
Klaglos gefaßt 
Tritt ſie hinein ins gewiſſe Grab. — 


Aufſtöhnen hört man 
Zweimal. 
Stille wird's. 


348 
Heraus vor des Volkes Augen, 
Des todesbangen, 
Stolz aufgerichtet, 
Die Mordart über der Schulter haltend, 
Auf der Stirn einen Flecken Bluts, 
Tritt ſie, die Schlächterin, 
Und rühmt ſich der Tat. 


Uralter Fluch iſt's, der ſich vollziehet, 
Tantalos hat ihn geweckt, der Ahnherr, 
Grauſere Tat auf grauſe häufend 
Haben Berge von Schuld getürmt 
Thyeſtes und Atreus, 

Und am Altar am Strande von Aulis 
Hat Agamemnon, Atreus' Sohn, 

Die Gattin täuſchend das Kind geopfert. 
Und empört in der Seele Tiefen 

Hat ſie Agiſthos ſich ergeben, 

Mit ihm des Gatten Mord beſchloſſen 
Und ſelber die blut'ge Tat vollführt. 


Du Armer, du haſt es getragen, 
Dieſes Gebirge von Schuld und Fluch, 
Haſt erfüllet im Muttermord, 

Haſt vollendet im gräßlichen Jagen, 
Der Rachegeiſter gehetztes Wild, 


349 
Haft vollendet am bangen Gerichtstag 
Den weitausſchreitenden Schickſalsgang. 
Aber entlaftet, geſühnt, geneſen 
Durfteſt du lang noch und kräftig walten, 
Herrſchen in Ehren als Fürſt Mykenes. 


Wo ſind ſie, die Räume? Ein Trümmerhaufen. 
Wo ſind ſie, die Gräber? Wo ſchläft Agamemnon? 
Unter der Kuppel, die einſam dort, 
Geheimnisvoll aus dem Schutte ragt? 

Und er, der Dulder, der letzte des Stammes, 
Der Schickſalsvollender, 

Wo er wohl ausruht? 

Aber ein Etwas ſprach mir im Herzen: 

Frage nicht, ſuche nicht! 

Die weite Welt 

Iſt ſeine Wiege und iſt ſein Grab. 


Odipus. 


Habt Nachſicht, Manen des Sophokles, 
Vergebt mir, daß ich euch nachgeſtammelt. 


I 


Schon graute der Abend. Rauh und kalt 
Durch düſteres Felstal ſtürmte der Wind. 


350 
Unheimlich war es; mildere Lüfte 
Erwartet in Hellas des Nordens Sohn. 
Wir kamen von Thebä, hatten die öde 
Stätte geſehen, wo Kadmos' Burg ſtand, 
Hatten in Daulis lange geraſtet, 
Harrend, ob wir im Buſchwerk nicht 
Philomeles Klage vernähmen, 
Aber es täuſchte der kühle Maitag. 
Wir ritten feſt in die Mäntel gehüllt 
Und ſchwiegen. Auf einmal hält 
Mein Reiſegenoſſe ſein Saumpferd an. 
Hier war es, ruft er, hier iſt die Triodos, 
Der Kreuzweg, wo er's getan, der Arme! 
Erbleicht im Gedächtnis war ſie mir, 
Die verhängnisvolle, felſige Stelle, 
Die im herzerſchütternden Trauerſpiel 
Kenntlich der große Dichter zeichnet. 
Geborſten in Urzeit iſt das Geſtein, 
Drei enge Gaſſen blieben dem Wandrer. — 
Wir ſtanden und ſchauten. 
Die Roſſebeſitzer, die Wächter in Waffen, 
Der ſorgliche Diener begriffen nicht, 
Was da zu ſehen ſei und zu ſtaunen. 
Wir hatten Eile. Nach Delphi hinauf 
Gieng die Reiſe, das hohe Gebirgsdorf 
Arachowa ſollten wir heut noch erreichen, 


351 
Um morgen im hellen Sonnenlichte 
Zu ſtehn, wo Apollons heiliges Haus 
Marmorſchimmernd empor einſt ragte. 
Bedenklich war der nächtliche Ritt, 
Grauſame Räuber ſchweiften im Umkreis; 
Die Wächter mahnten, wir aber weilten 
Und ſchauten. 
Hier iſt es geſchehen, du Mitleidswerter, 
Geſchlagner des Schickſals, Odipus! 
Wir wandern die Pfade, die du betrateſt; 
Aufwärts, von wannen herab du zogſt, 
Führt uns der finſtere, wilde Weg. 


Hinweg und weiter! Nacht iſt's geworden. 
Über Geröll und Steingeſplitter, 

Durch Rinnen und Riſſe zerfallner Straße 
Blind mit den Hufen taſtend und ſuchend, 
Keuchend klimmen die müden Tiere 
Hinauf an der Schlucht, wo dumpfaufrauſchend 
Der ſchäumende Pleiſtos rennt in die Tiefe. 
Und durch die Seele gieng mir im Dunkel 
Bild um Bild; 

Geiſter ſchwebten, trübe Begleiter, 

Mir zur Seite, ſahen mit großen, 
Traurigen Augen mir ins Auge. 

Dann ſchien auf einmal, es teile ſich 


352 
Der Mantel der Nacht und Tag ſei um mich, 
Fürchterlich heller, greller Tag. 


Es war ein Tag, vor des Kadmos Burg, 
Dem Sitze des Königs Odipus, 

Um des Apollon heil'gen Altar 

Standen verſammelt Greiſe von Thebä, 
Männer und Knaben, 

Zweige des Olbaums in den Händen; 
Aufſeufzend zu dem verehrten Herrſcher, 
Fragten ſie ihn, ob er Rat nicht wiſſe, 
Er, der beſte der Menſchen. 

Mähende Seuche, raffende Fieber, 
Ausgekocht in der Lüfte Gluthauch, 
Sind über Thebäs Fluren und Straßen, 
Herden und Menſchen hereingebrochen. 
Wer das Rätſel der Sphinx gelöſt, 

Wer ſo väterlich um uns ſorgt, 

Wird Abwehr finden auch dieſer Not, 
Glauben die guten, vertrauenden Herzen. 
Tränen vergießend um all das Elend, 
Hat er bereits den Schwäher Kreon, 
Seiner Gattin Jokaſte Bruder, 

Zu des pythiſchen Gottes erhabnem Haus 
In Delphi droben hinaufgeſandt 

Und hofft und wartet auf löſendes Wort. 


Der kommt und berichtet den dunklen Spruch: 


Ein Frevler lebt in des Landes Schoß, 
Blutſchuld laſtet auf ſeinem Haupt, 
Gemordet hat er den König Laios, 
Verbannet ihn oder tötet ihn, 

Vertilgt den Frevel, und mit der Schuld 
Schwindet die Strafe, die gottgeſandte. — 
Laios, Jokaſtes erſter Gatte, 

War gefallen durch Räuberhand, 
Verborgen waren die Täter geblieben, 
Erbleicht in der Menſchen Gedächtnis war 
Der Gemordete ſchon vor dem neuen, hellen 
Herrſchergeſtirn des Odipus. 


Eifrig, zu folgen dem heil'gen Gebot, 
Verkündigt der König: Wer von dem Mörder 
Weiß, der ſäume nicht, mir's zu ſagen, 
Dank empfängt er und reichen Lohn. 

Wer da weiß und hehlt, den treffe der Bann, 
Ihm verſchließe ſich jede Türe, 

Der Altäre und Tempel heiliger Dienſt 

Sei ihm verſperrt als einem Befleckten! 

Treu dem Gotte will ich als treuer 
Mitſtreiter wirken, ſuchen und richten, 

Will für den Toten als Rächer ſtehen, 


Als wär' er mein eigener Vater geweſen. 
Viſcher, Lriſche Gänge. 23 


353 


354 
Dem Täter aber, noch eh’ er gefunden, 
Fluch' ich, ein Leben voll ſchnöder Qual 
Reibe den ſchnöden Verbrecher auf! 
Und nährt' ich ihn ſelber ohne mein Wiſſen 
Als Hausgenoſſen an meinem Herd, 
So treffe mich ſelber alles Leid, 
Das ich dem Schuldigen angewünſcht! 


Die Suche beginnt. 

Den blinden Seher Tireſias 

Beruft der König auf Kreons Rat. 

Licht ſoll er ſchaffen, der ohne Augen 

Geiſtig ſchaut in Höhen und Tiefen. 

Ungern kommt er, traurig und trüb 

Senkt er das Haupt mit den weißen Locken, 
Bittet: entlaß mich! Er will nicht reden, 
Rät und ermahnt, nicht weiter zu ſpüren. 
Jäh iſt des Königs feurig Gemüt, 

Argwohn faßt er, mit heftigen Worten 
Fährt er ihn an und zeiht ihn verborgner 
Mitſchuld. Offenes Schreckenswort 
Entringt ſich des Greiſes Lippen jetzt, 

Des beleidigten, arg verkannten: 

Du biſt der Mörder, und mehr noch künd' ich: 
Mit Blindheit geſchlagen pflegeſt du 
Naturentheiligend ſchnöden Bund. 


355 
Wie jener es hört, das Undenkbare, 
Empört ſich die Galle, verſtört ſich der Sinn, 
Unrecht begeht der Brave, Gerechte: 
So am Geiſt wie am Leibe blind 
Schilt er den augenloſen Greis, 
Und in einem Atem gibt er ihm Schuld, 
Mit Kreon, welcher als Ränkeſchmied 
Nach der Königskrone die Hand ausſtrecke, 
Steh' er in ſchleichendem Diebesbund. 


Genug iſt's. Jetzo ſpricht der Seher: 

So wiſſe, weil du mich Blinden gehöhnt: 

Ein Blinder, den Weg mit dem Stab vortaſtend, 
Ein Bettler, ein fluchbeladner Verbannter, 
Bruder der eigenen Kinder, 

Mörder des Vaters wirſt du wandern 

Hinaus in die Fremde! 


Kaum ſo nur, wie es uns grauen mag, 
Wenn wir ein Schreckenswort anhören, 
Das einem andern verkündigt wird, 
Graut es dem Odipus. Rein von Schuld 
Weiß er ſich ja, der empörten Unſchuld 
Kochender Ingrimm füllet die Bruſt. 
Kreon erſcheint, den häßlichen Argwohn 


356 
Sprudelt er drohend gegen ihn aus. — 
Wer den bewährten Freund verftößt, 
Der tut Gleiches, ſagt der Gekränkte, 
Als ſtieß' er das eigene Leben aus; 
Zugrunde gehn, ein verfluchter Mann, 
Soll ich, wenn du mich wahr bezichtigſt. 
Aus den Gemächern tritt Jokaſte, 
Mahnt mit dem Volk den erboſten König, 
Daß er des Bruders hohe Beteurung 
Scheuend in Frieden ihn entlaſſe. 
Er tut es, doch unmild, immer noch zürnend, 
Klaget der Gattin, wie ihn der Seher 
Auf Kreons Geheiß — ſo glaubt er noch immer — 
Des greulichen Mordes beſchuldigt habe. 
Sei ſorglos, tröſtet ſie jetzt des Gatten 
Wildaufwogendes Herz; nimm's leicht! 
Spruch der Seher bekümmre dich nicht! 
Kein ſterbliches Weſen ſchaut in die Zukunft. 
Ein Wort entlaſte dich aller Angſt: 
Prieſter Apollos, irrtumbefangen, 
Haben dem Laios einſt verkündigt, 
Ihm ſei blutiger Tod beſchieden 
Durch des eigenen Sohnes Hand 
Zur Strafe für alte Jugendſchuld, 
Am Freunde verübten Knabenraub. 
Dem Kindlein, das ich nach Jahren ihm 


Geboren, ließ er die Knöchel durchſtechen, 
Mit Gerten feſſeln und übergab es 

Einem Sklaven, im Waldgebirge 

Des rauhen Kithäron es auszuſetzen. 

Durch andere Hand iſt Laios gefallen, 
Räuber, fremde, noch unerforſchte, 

Haben ihn überfallen, erſchlagen 

Am dreigeſpaltenen Kreuzweg — 

Warum erbleichſt du? Warum, mein Gatte, 
Zuckſt du und ſinken die Züge dir ein? 


„Nenne das Land mir, wo es geſchehen.“ 
Im Phokerland, wo von Daulis her 

Nach Delphi gewendet die Straße führt; 
Wegen der Sphinx den Gott zu befragen, 
Die im Fleiſche von Thebäs Söhnen 
Wütete, war er dahin gereiſt. 

„Wie war ſein Ausſehn?“ 

Ergrauende Locken, hohe Geſtalt, 

Die Züge den deinen ähnlich. 

„Seine Begleiter, wie viele waren's?“ 
Vier, und einer davon entkam. 

„Wo iſt dieſer eine, lebt er im Haus noch?“ 
Er weilte bei uns, doch als du kameſt, 

Als du König von Thebä wurdeſt, 

Ergriff er die Hand mir und bat mich innig, 


358 
Zur Hut der Herden ihn fortzuſenden 
Ferne vom Anblick dieſer Stadt. 
„Kann man ihn rufen und ſchnell?“ — 
Warum ſo dringend? — Und Odipus, 
Mit bebenden Lippen erzählt er jetzt, 
Was er bis dahin hat verſchwiegen, 
Was er im Glücke ſo gern vergeſſen, 
Was ihm am Kreuzweg widerfahren. 


Laß mich die Laſt des Berichts, du armes, 
Vom Blitze durchzucktes Menſchenkind, 
Von der ſtockenden Zunge dir nehmen! 


Ein fröhlicher Knabe wuchs er auf 

In des reichen Korinthos ragender Burg. 
König Polybos und ſeine Gattin 

Merope waren ihm Vater und Mutter. 
Zum Jüngling geworden muß er ein böſes 
Wort vernehmen aus Spöttermund, 
Zweifel zündend, ob ſie es ſeien, 

Die er als Eltern liebte und ehrte. 

Da verläßt er die fürſtlichen Hallen, 
Nach Delphi zum wiſſenden Gott hinauf 
Pilgert er, dumpfen Druck im Herzen, 
Und fragt ihn um Licht. 

Und es ergehet das grauſe Wort: 


359 
Töten wirft du den Vater, 
Wirſt die Mutter zur Gattin haben 
Und Kinder zeugen, des eigenen Vaters 
Brüder und Schweſtern. 


Fort und hinaus in die weite Welt, 

Zu meiden, was auch zu denken nur 
Entſetzlich iſt! 

Als trieben Geſpenſter, macht er ſich auf, 
Wandert und wandert, es ſenkt ſich der Pfad, 
Dumpf toſet der Pleiſtos neben ihm, 
Über die Blöcke zerrißner Felſen 

Sucht er ſchäumend, ſpringend und ſtürzend 
Hinunter den dunkeln Weg zum Abgrund. 
Tief in Gedanken horchet der Jüngling 
Und ſchreitet abwärts weiter und weiter. 
Er iſt unten. Er ſtehet ſtill, 

Sinnend, wohin er ſich wenden ſolle, 
Und ſchlägt ſich linkwärts. 

Hat kein warnender Geiſt dich leiſe 

An der Schulter berührt und rechtwärts 
Dir mit winkendem Finger gezeigt, 

Wo am Ufer des Pleiſtos hin 

Der Weg dich führte zur hellen Meerbucht, 
Hinweg, hinaus ins Offne, ins Weite, 
Wo die blaue See in die Ferne lockt? 


360 
Gefahren kommt mit Dienergeleite 
Ein ſtolzer Herr von großer Geſtalt, 
In dunkeln Locken das erſte Grau; 
Der Lenker der Roſſe, wie er den ſchlichten 
Wandrer im engen Felsweg ſieht, 
Haut mit geſchwungener Geißel nach ihm, 
Der Jüngling erwidert den rohen Schlag, 
Jetzt auf den Scheitel fällt ihm ein Hieb, 
Vom Wagen herab mit dem Stachelſtabe 
Heftig geführt vom Übermute 
Des Ungeduldigen, der da gebietet. 
Aufbrauſt im Entehrten der Jugend Zorn, 
Aus dem Wagen ſtößt er den barſchen Täter, 
Rücklings ſtürzt der Getroffne herab, 
Rafft ſich empor und fällt mit den Dienern 
Wütend über den Fremden her. 
Da gilt's Notwehr. 
Heldenmäßig an Gliederbau 
Siegt er im wilden Handgemenge, 
Erſchlägt bis auf einen, der entflieht, 
Den Herrn und die Diener 
Und wandert weiter nach Daulis hin. 


Hat es den düſtern Mut dir gereizt, 
Als du die Kunde da vernahmeſt 
Von dem geflügelten Ungeheuer 


361 
Im nahen Thebä, wie es die Kühnen, 
Die ſich verwegen, ſein Rätſel zu raten, 
Und es zu löſen nicht vermögen, 
Zerreiße mit ſeinen Löwenklauen 
Und als blutigen Zoll verſchlinge? 
Haſt du gedacht: ich wag' es darauf!? 
Was iſt verloren, wenn ich's verliere, 
Dieſes geſpenſtiſche, ſchwüle Leben? 


Er kommt nach Thebä. 

Dort in der alten Burg des Kadmos 

An des ermordeten Königs Statt 

Waltet Kreon in ſchweren Sorgen. 
Räuber, ſo hatte der Flüchtling geſagt, 
Waren es, die den Laios erſchlugen. 

Nach der Bande zu forſchen, zu fahnden, 
Gönnt nicht Atem der Drang der Zeit; 
Auf die Ferſe dem Schrecken tritt der Schrecken, 
Des Kreon eigner geliebter Sohn 

Iſt Opfer geworden des Ungetüms. 
Verkündigt hat er in all der Not: 

Wer ſich ſtellt, das Rätſel zu löſen 

Der menſchenopferſchlingenden Sphinx, 
Und es errät, ſoll haben zum Lohne 

Der Witwe Jokaſte fürſtliche Hand 

Und mit ihr die Krone des toten Königs. 


362 
Der Fremdling wagt es. 
Hellen Geiſtes, gedankenſchnell 
Löſet er leicht die dunkle Frage, 
In den Abgrund ſtürzt ſich der geiſterhafte 
Zwitter aus Jungfrau, Vogel und Löwe. 
Hochgefeiert wird der Erretter, 
In der Hand einen Kranz von Myrten und Lorbeer, 
Tritt ihm entgegen das hohe Weib, 
Jener edlen Geſtalten eine, 
Welche dem herbſtlichen Reif der Jahre 
Trotzen in Friſche gediegener Kraft. 
Vom Jauchzen des Volkes hallen die Straßen, 
Die Halden der Berge rings um die Stadt; 
Die Geſpenſter weichen ihm von der Seele, 
Schnell reift an der Sonne der ernſten Pflicht 
Der junge Geiſt, er herrſchet gewaltig, 
Mild und ſtrenge, gerecht und weiſe. 
Ebenen Fluſſes gleitet das Leben, 
Und ein blühendes Töchterpaar 
Und ein kräftiges Paar von Söhnen 
Entſproſſet dem glücklichen Ehebund. — 


Und nun ſteht er und hat es erfahren, 
Und nun weiß er, wer es geweſen, 
Der im gekreuzten Felsweg dort 
Den König Laios hat erſchlagen, 


363 
Und wer Laios ihm geweſen, 
Und weiß auch, wer ſeine Gattin iſt. 
Und nun ſteht er und hat es erzählt, 
Was er bis dahin hatte verſchwiegen, 
Weil es entſchlummert war im Geiſte, 
Eingewiegt von den Tagen des Glücks. 


O Hoffnung, aus wie feſtem Garne 

Iſt gewunden dein Ankertau! 

Ein dünnes Fädchen, es hält noch feſt, 

Wenn nichts mehr zu halten iſt und zu retten. 


Sind's Räuber geweſen, und viele, nicht einer, 
Die den Laios erſchlugen, ſo ſind zwei Taten, 
Zwei Stellen des Wegs zu unterſcheiden; 

Einen andern hat ſeine Hand getroffen 

An andrem Kreuzweg. Gewiß auch iſt doch, 
So meint Jokaſte, daß Laios' Kind 

Schon längſt verſchmachtet iſt in der Wildnis. 
Eins nur nach des Orakels Spruch 

Kann noch drohen: daß er dereinſt noch 
Polybos, ſeinen Erzeuger, töte. 

Nach dem Hirten iſt ausgeſchickt, 

Dem Mann, der entflohn am Tage des Kampfes. 
Ewigkeiten ſind die Minuten, 

Bis er erſcheint, der furchtbare Zeuge. 

Die Herzen klopfen. Odipus ringet, 


364 
Sich zu täuſchen, als wüßte er nicht, 
Was ihm oft ſchon Gedanken gemacht: 
Daß er Narben, bedenkliche Zeichen, 
An den Knöcheln der Füße trägt. 
Zurück in der Seele dunkeln Schacht 
Drängt er gewaltſam die alte Frage, 
Woher das ſeltſame Merkmal ſtamme. 
Auf Jokaſte's Buſen liegt es ſchwer, 
Daß es ſo ſchwer liegt auf des Gatten 
Pochender Bruſt. Mit Kränzen kommt ſie, 
Am Altare ſie aufzuhängen, 
Weihrauch-Opfer zündet ſie an, 
Ob die frommen Geſchenke wohl 
Verſöhnen möchten des Gottes Zorn. 
Was verſuchſt du nicht, armes Erdenkind, 
Unter der Wolke des Schickſals bebend! — 


Schritte vernimmt man; doch nicht der Hirte, 
Ein anderer iſt's, von Korinthos' Hofburg 
Kommt ein Bote mit hellem Glückwunſch, 
Bringt erlöſende, feſtliche Kunde: 

Geſtorben iſt Polybos, herrſchen ſoll, 

Von dem wählenden Volk erkoren, 

Odipus dort im iſthmiſchen Land. 


Aufatmen die ſchwer beklemmten Gemüter. 
Wohl mir! o, wohl mir, ich bin frei! 


Wahr iſt's, fie wiſſen nichts dort oben 
Am pythiſchen Herde, die wirren Seher! 
Zum Hades hinunter hat Polybos 

Mit ſich des Gottes Fluchwort genommen! 
Frohlockt des Königs entlaſtetes Herz; 
Nur ein ſcheuer Gedanke beſchleicht es noch, 
Und er geſteht ihn dem fragenden Mann: 
Die Mutter lebt, und ihm iſt geweisſagt, 
Daß er ſie werde zur Gattin nehmen. 


Jetzt, wo doppelter Königskrone 

Goldener Glanz ſein Haupt ſoll ſchmücken, 
Jetzt naht es — 

Grundlos beſorgſt du, beruhigt der Bote, 

Nicht des Polybos, nicht der Merope 

Sohn biſt du, der Zeuge bin ich. 

Ich ſelber hab' in Kythärons Waldſchlucht, 

Ein Hirte damals, von einem Hirten, 

Knecht des Laios, dich empfangen, 

Ein wimmerndes Kind mit durchſtochnen Füßen; 
In die Arme des Königs Polybos, 

Des Kinderloſen, legt' ich das Knäblein, 

Er nahm dich ans Herz und nannte ſein Kind dich. 
Dir mögen die Fußgelenke bezeugen, 

Daß du der gerettete Findling biſt. 


366 
Kennt einer den Mann, der zu jener Zeit 
Des Laios Herden im Waldgebirg 
Gehütet hat? So fragt Odipus. 
Derſelbe Mann iſt's, berichtet das Volk, 
Der dem Tod entkam, als Laios fiel, 
Der die Stadt verließ, nachdem du erſchienen, 
Die Sphinx vernichtet, den Thron beſtiegen, 
Der als Hirte jetzt wieder dient, 
Derſelbe, den du vorhin beſchieden, 
Eh' von Korinthos der Bote kam. 


Forſche nicht weiter! mahnt mit Beben 
Jokaſte, mögeſt du nie erfahren, 

Wer du biſt! 

Und da er beharrt auf ſeinem Willen, 
Eilt ſie mit Wehruf über den Armen 
Zum letzten entſchloſſen in den Palaſt. 


Noch nicht löſt ſich, gelockert längſt, 

Der Blindheit Binde, vom Aug' des Königs; 
Er wähnet und ſieht auf das eine nur hin: 
Es komme zutag, daß er niedrig geboren, 
Daß er der Sohn eines Hirten ſei, 

Jokaſte fürchte ſich vor der Schmach, 

Und mit dem Mute des braven Mannes 
Will er es auf ſich nehmen und tragen. 


367 
Man hat ihn gefunden, er kommt, der Hirte, 
Ein Greis ſchon wie der korinthiſche Bote. 
Der Bote erkennt ihn und er den Boten, 
Der neben ihm einſt die Herden geweidet. 
„Gedenkſt du,“ fragt ihn der alte Nachbar, 
„Daß du vor Jahren ein neugebornes 
Kind im Gebirge mir übergeben?“ 
Der Hirte zögert und zittert. 
Odipus, herriſch noch immer, droht: 
„Auf den Rücken laß ich die Hände dir ſchnüren!“ 
Jetzt geſteht er: „Ich hab's getan.“ 
„„Und weſſen Kindlein iſt es geweſen?““ 
Er ſtockt. Mit dem Tode droht der König. 
„Ich bin daran, zu ſprechen ein Schreckenswort!“ 
„„Und ich, es zu hören, doch hören muß ich’s 
„Es ſei! Die Königin ſelber war's, 
Die mir den Knaben übergab, 
Hinaus in die Wildnis ſollt' ich ihn legen, 
Dem Hunger oder dem Wolf zur Beute.“ 
„„Die eigene Mutter 7 
„Erſchreckt durch grauſigen Götterſpruch, 
Der Eltern Verderben werde das Kind ſein.“ 
„„Warum dem Greis hier gabſt du das Knäblein?““ 
„Es erbarmte mich.“ 
„„Warſt du dabei, als Laios fiel?““ 


A 7. 
„Ja. 


368 
„„Sind's Räuber geweſen, die ihn erſchlugen?““ 
„Ich log aus Scham, daß viele von einem 
Sollten bezwungen ſein. Den Beſieger 
Erkannt' ich in dir, als du kamſt nach Thebä. 
Warſt du das Kind, von dem wir ſprechen, 
Biſt du zum Elend wahrlich gezeugt.“ 


Heraus iſt's, die Binde vor ſeinen Augen 
Fällt. 

Was er getan in jener Stunde, 

Als er hinab von Delphi floh, 

Dem Netze des Schickſals zu entrinnen, 
Das iſt es, was ihn hineingeführt. 


„„Wehe mir, weh! O Sonnenlicht, 

Zum letztenmal ſeh' ich heute dich! 

Ich ſtamme von wem ich nicht geſollt, 
Ich verkehrte mit wem ich nicht gedurft 
Und begieng am Vater den Greuelmord!““ 


Er verſchwindet in des Palaſtes Pforte, 

Tobt drinnen umher wie vom Wahnſinn gepeitſcht, 
Schreit nach dem Unweib, fordert ein Schwert, 
Die Diener weigern, er reißt aus den Angeln 

Die geſchloſſene Türe des Schlafgemachs, 

Findet erdroſſelt von eigener Hand 

Die Gattin-Mutter, zerrt von der Bruſt ihr 


Die goldene Spange, gräbt ſich die Dorne 
Bohrend hinein in die Augenſterne 

Und ruft: „Seid blind! Ihr habt, als ihr ſahet, 
Nicht geſehen, und was auf der Welt nun 
Könntet ihr Süßes je noch ſehen!“ 


Man führt ihn heraus, ein Knabe lenkt ihn, 
Sein Volk ſoll ihn ſchauen, er hat es gewollt. 
Ein dunkler Blutſtrom ſchießt aus den Augen, 
Die noch ſoeben helle geleuchtet, 
Geiſtesmächtigen, ſcharfen Blicks. 


Und jetzt ſtiegen empor zum Himmel 
Jammerrufe, Laute des Wehs, 

So furchtbaren Tons, ſo markdurchbohrend, 
Worte der Sprache nennen ihn nicht. 

Viel Wehklagen, Stöhnen und Seufzer 
Vernimmt das eherne Himmelsgewölbe, 
Denn viel leiden die verwundbaren Sterblichen. 
Hat wohl je auf dem Erdenrund 

Jammers Aufſchrei, ſo grundtief 

Aus verzweifelnder Seele geholt, 

Ausgepreßt von Übelsgebirgslaſt 

So ganz unerträglicher Art 

An die ewige Kuppel gepocht, 

Wie dieſes Blinden: Wehe! Wehe! 


Viſcher, Lyriſche Gänge. O4 


369 


379 
Dies Wehe, Weh! aus des Volkes Mund? 
Parnaſſosberge, felſige Häupter, 
Die ihr umſtandet, ſteinerne Zeugen, 
Die Bühne des Jammers, ich wundre mich, 
Daß ihr nicht wanktet, daß nicht die Stöße 
Des grauſen Schalls und des Widerhalls 
Zu Staub zerrieben das Korn des Granits. 
Ja mancher, der dem unſeligen Mann 
Vorrücken gewollt die zornige Wallung 
Und zeigen, wie nun unter dem Fluche, 
Den er gewälzt auf den dunkeln Täter, 
Erdrückt er ſelber liege und ſeufze: 
Mancher, der alſo Hartes gedacht, 
Muß nun weinen. 


Die Klage wird ſtiller, zu Red' und Antwort 
Sammeln ſich die zerriſſenen Geiſter. 
„Wohlgetan haſt du dennoch nicht, 
Beſſer nicht ſein, als lebend blind!“ 
Milden Tones erhebt den Vorwurf 

Im Kreiſe des Volks ein bedachter Greis. 
„Nicht alſo ſprich!“ erwidert der Arme; 
„Im Hades ſelber mit welchen Augen 
Hätt' ich den Vater, hätt' ich die Mutter 
Nach ſolchen Taten noch angeblickt! 

Der Kinder Blüte, die Türme der Stadt, 


Die Straßen, die Tempel, die Götterbilder 
Könnt’ ich mich ſehnen, noch einmal zu ſehn, 
Dürft' ich mit Augen des Reinen ſie ſehn, 
Nimmer! Für mich wär's beſſer, ich könnte 
Einen Damm, einen Wall rings um mich ziehn, 
Jeglichen Sinnes Pforte verſchließen, 

Um einſam zu ſein, ganz einſam. 

Hinaus mit mir in die Ferne, die Ode! 

Stoßt mich hinab in des Meeres Tiefe, 

Daß kein Auge mich fürder ſehe!“ 


So ruft er, aber noch nicht zu Ende 
Sind ſeine Leiden, bittere Hefe 
Iſt noch im Kelch. 


Kreon erſcheint, nicht zürnend mehr, 
Willfährig im einen, doch hart im andern. 
Zwei Bitten noch hat der verlorene Mann: 
„Flugs banne mich fort aus dieſem Land, 
In des Kithäron waldige Schluchten 

Laß mich führen; die grauſame Wiege, 
Die mich bewahrt hat, ſtatt mich zu töten, 
Werde mein Sarg. Doch meine Kinder, — 
Nicht um die Söhne iſt mir bange, 

Sie werden ſich bahnen ihren Weg — 
Die Töchter aber, in deine Hut 


372 
Befehle ich fie, o ſchirme die Teuren! 
Und tu mir die Liebe, bring ſie mir her, 
Laß mich noch einmal ſie umarmen!“ 


„Es ſei dir gewährt.“ Er führt ſie herbei, 

Sie kommen ſchluchzend, nach ihren Häuptern 
Taſtet der Vater, zieht an die Bruſt ſie 

Und beweinet das Los der Waiſen 

Und wünſchet, freundlicher möge ihnen 

Das Leben werden, als ihm es ward, 

Und küßt ſie herzlich und läßt ſich mit Handſchlag 
Von Kreon geloben, daß er ein zweiter 

Vater wolle den Armen ſein. 


Nun möcht' er ſcheiden und muß noch erfahren, 
Daß nicht frei iſt ein blinder Mann. 

Kreon befiehlt: „Es iſt genug! 

Auf nun und geh ins Haus hinein! 

Die Gottheit muß ich noch erſt befragen, 
Was es werden ſolle mit dir!“ 

Folgen muß er; aber die Töchter, 

Bittet der Blinde, möcht' er ihm laſſen. 
„Zu viel nicht wolle!“ lautet die Antwort, 
„Vergiß nicht, daß es dir nicht zum Heile 
Auf des Lebens Bahnen gedient hat, 
Wenn du des Herzens Wunſch erreichteſt!“ 


Und wie er zurückwankt in das Haus 

Ohne die Töchter und wie ſie ihm nachſchau'n, 
Tritt einer hervor aus der Bürger Reihen, 
Ein Mann, nicht jung mehr, die erſten Falten 
Hatten ſich auf die Stirn geprägt; 

Er war von allen geliebt und geehrt, 

Weil er gut war und weil er in tiefer 

Seele des Lebens Ernſt bedachte; 

Der ſpricht: 

„Ihr Bewohner von Thebä, ſehet, 

Dies iſt Odipus, 

Der das Rätſel der Sphinx entwirrt hat, 
Der da geherrſcht hat groß und gewaltig, 

Den wir alle ſelig geprieſen, 

Den wir alle beneidet haben! 

Darum der Erdenſöhne keinen 

Rühme du glücklich, eh' er von ſchwerem 
Wetterſchlage des Schickſals frei 

Zum letzten Ziele gelangt iſt.“ 


Odipus. 
II 


Welch liebliche Flur iſt's, die wir betreten? 
Graubläulich ſchimmert des Olwalds Grün, 


374 
Platanen bieten ein ſchattiges Dach; 
Stuten weiden auf ſaftigem Raſen, 
Wiehernde Füllen ſpringen umher, 
Ein munteres Flüßchen kommt gezogen, 
Plaudernd grüßt es die durſtigen Matten, 
Schmückt ſie mit blitzendem Silberband, 
Erquickt ſie mit friſchen, reinen Waſſern 
Und nähret Blumen, goldnen Krokos, 
Veilchen und Roſen und Anemone's 
Purpurkelche und weiß vorglänzend 
Perſephone's und Demeter's Liebling, 
Die Blume Narkiſſos. Emſige Bienen 
Schwärmen umher und ſuchen und ſammeln, 
Wie leiſes Läuten tönt ihr Geſumm. 
Aber an Ulmen und jungen Pappeln 
Schlingt ſich hinauf und ſenkt die blauen, 
Schwellenden Trauben zwiſchen die breiten, 
Schöngeſchnittenen Blätter herab 
Des Dionyſos köſtliche Gabe. 
Im Dunkel der Myrten- und Lorbeerbüſche 
Klagt in langgezogenen Tönen 
Und vergißt in ſchmetterndem Jauchzen 
Philomele den tiefen Schmerz. 
In lichtdurchdrungenem Ather ſchwimmt 
Die ſelige Welt. Von weitem ſchauen 
Schlank anſteigende Berge herein, 


37.5 
Warmgoldig leuchtend, fern und ferner 
Verſchwebend in tiefem, duftigem Blau. 


Er ſieht ſie nicht, die liebliche Flur, 

Der Greis, der dort aus des Waldes Schatten 
Am Bettelſtabe ſich herbewegt. 

Er iſt blind. Eine Jungfrau leitet 

Mit zärtlicher Sorge ſeinen Schritt. 

Er iſt müd', er iſt lang' gewandert. 

Auf ein Felsſtück ſetzt ſie ihn nieder 

Und ſchmiegt ſich an ihn und küßt ſein Haupt. 
Da ruht er nun aus. Ein leichter Wind 
Spielt mit den wilden, ungepflegten 

Grauen Locken. In Lumpen gehüllt 

Iſt die gebrochene Heldengeſtalt. 

Ein goldener Thron war einſt ihr Sitz. 


Ihr kennt ihn. Der Adel ſeiner Züge 
Leuchtet noch jetzt aus den Furchen hervor, 
Es ſind die Züge des Odipus. 


Bis dahin? Mußt' es bis dahin kommen? 
Noch immer nicht, auch damals nicht 
Iſt ausgetrunken der Leidenskelch? 


Als er den jähen Tod ſich wünſchte, 
Niemand tat ihm den Liebesdienſt. 
Und über ihn kam mit breitem Flügel 


376 
Die Zeit, und langſam fang fie ihm 
Das nüchterne, harte Lied ins Ohr: 
Im erſten, tobenden Sturm der Seele 
Haſt du dich allzu ſchwer beſtraft! 
Und ihm zählte der ſchleichende Tag, 
Die bleierne Stunde pünktlich auf, 
Was alles befaßt ſei in dem Worte: 
Blind ſein. 
Wie ein anderer Sohn des Staubes 
Erfährt er im Kleinen des Lebens Not 
Und wäre zufrieden, da er ja doch noch 
Lebt, gemächlich leben zu dürfen 
In des Hauſes wohnlichem Schutz, 
Und in der Töchter, von Kreon ſelbſt 
Wieder gegönnter ſorglicher Pflege, 
An der Gewohnheit ſteter Hand 
Zu lernen, wie er ſich tragen laſſe, 
Des zerriſſenen Daſeins armer Reſt. 


Das wird ihm nicht. In unſerer Mitte 
Soll nicht weilen der Fluchbeladne! 
Rufen gehäſſige Angſtgemüter, 

Werben im Volke, ſchaffen ſich Anhang, 
Gewinnen Kreon, gewinnen zuletzt 

Die unnatürlichen Söhne ſelbſt, 

Und vertrieben wird er, verbannt, 


Hinausgeſtoßen ins Unbekannte, 

In die weite und doch verſchloßne Welt. 
Aber treu ſind die Töchter geblieben. 
Zur blühenden Jungfrau ſchon erſtarkt, 
Kraft in den Gliedern, Mut in der Seele, 
Schreitet Antigone mit dem Vater 
Aus dem ſchirmenden Heimathaus. 

Auf der Schwelle, in heißen Tränen, 
Steht Ismene, die zarte Schweſter; 
Hoffend, daß ſie ihm Tröſtliches noch 
Erwirken und fernhin melden könne, 
Sagt ſie mit innigem Tochterkuß 
Lebewohl und blickt noch lange 

Den Scheidenden nach. 


Regenſchauer und Sonnenbrand, 

In wilden Wäldern Räubergefahr, 
Pein der Ermattung, hartes Lager 
Hat mit dem Vater das Kind geteilt, 
Mit ihm gehungert und für ihn 
Gebettelt. 


Es glimme, ſo wollt' es ihr oftmals ſcheinen, 
Ein geheimes Licht in des Greiſen Seele, 
Welches nach einem Ziel ihn weiſe, 

Nicht deutlich und dennoch Quelle von Troſt. 
In der Erinnrung war ihr geblieben, 


3 


378 
Daß in den Tagen vor dem Scheiden 
Ein bejahrter Bürger, ein treubewährter, 
Geheimnisvoll zu dem Vater eintrat 
Und daß klarer als ſonſt die Stirne, 
Heller die Stimme des Blinden war, 
Als er hinweggieng. Jener war es, — 
Sie wußte es nicht, — der Mitleidsvolle, 
Welcher das Wort vom Menſchenſchickſal 
Dem Volke von Thebä zugerufen 
Am ſchrecklichen Tag, als Odipus 
Troſtlos zurück nach der Pforte wankte. 
Philophron war der Brave genannt. 
Als Bote des Troſtes, ahnte ſie, 
Mußte er nun gekommen ſein. 


Wo ſind wir? fragt auf dem Felsblock ſitzend 
Der blinde Greis. In der Ferne dort 

Ragt eine Burg, Athenes Feſte 

Glaub' ich zu ſehen, ſpricht die Tochter. 


Ein Landmann kommt, der Blinde befragt ihn, 
In welchem Gaue des attiſchen Landes 

Er ſich befinde. „Bevor ich erwidre, 

Hebe dich weg von dieſem Sitz! 

Betreten haſt du heiligen Boden, 

Unnahbar iſt er, den furchtbar ernſten 


379 
Göttinnen eigen, die unſrem Lande 
Gnädig ſind, den Eumeniden.“ 


„„So weich' ich nimmer von dieſer Stätte! 
Sag mir, wie heißt der Gau?“ — „Kolonos 
Iſt er genannt.“ — „„Und wer beherrſchet 
Dies Land?“ — „Er nennt ſich Theſeus.“ — 
„„Tu mir die Liebe, ruf ihn herbei, 

Ich muß ihn ſprechen.““ — Der Mann von Kolonos 
Betrachtet gerührt den armen Alten; 

Zuerſt die heimiſchen Bürger zu fragen, 

Ob der Fremde am heiligen Ort 

Verweilen dürfe, geht er hinweg. 

„Wohl mir!“ ruft mit erhobnen Armen, 

Mit gefalteten Händen Odipus, 

„Wohl mir! Wohl mir! es iſt erreicht, 

Das erſehnte Ziel, hier darf ich ſterben. 

O grollet mir nicht, ihr hehren, ſtrengen 
Nächtlichen Weſen! in eurem Haine 

Hat mir Apollons Stimme verheißen 

Rettende Zuflucht und des langen, 

Schweren Lebens Ende, den Tod. 

Zeichen, ſo hat der Gott geſprochen, 

Blitz und Donner, Beben der Erde 

Werden vorangehn und bezeugen, 

Daß der Höchſte ſein Jawort gebe, 


380 
Zeus, der Herrſcher in Himmelshöhen. 
Segen und Heil auch iſt verkündigt 
Dem gaſtlichen Lande, das dem Müden 
Ein Grab in ſeinen Markungen ſchenkt. 
O gönnet mir bald, den Lichtgott ehrend, 
Begnügt mit des Leidens gehäuftem Maß, 
Furchtbare Töchter der alten Nacht, 
Der Stunden letzte! Und du, geprieſne 
Stadt der Pallas Athene, ſchaue 
Mitleidsvoll auf dies entftellte 
Gebilde, das meinen Namen trägt!“ 


Nicht länger ſäumet der Vater nun, 
Der Tochter auf ihre ſchweigende Frage 
Licht zu geben: Es war Philophron, 
Ihm verdank' ich die hohe Kunde; 

Als man beſchloß, mich auszutreiben, 
Sammelt er ſtill die Treugebliebnen, 
Führt ſie vereint hinauf nach Delphi. 
Flehend wirft er ſich dort zu Füßen 
Dem Gott als Sprecher der frommen Wallfahrt, 
Und es ergieng der milde Spruch, 

Den er geheim wie lindernd Ol 

Auf die wunde Seele mir goß. 


Der zweifelnde Landmann kommt zurück 
Und bringt koloniſche Bürger herbei. 


Wie ſehr fie der blinde Greis erbarmt, 

Sie heißen ihn weichen vom ſtreng verſagten 
Heil'gen Bezirk, den ungeweihet 

Kein ſterblich Weſen betreten darf. 
Benachbarten Hügels felſigen Gipfel 

Soll er beſteigen und dort weilen. 

Auf Antigones Arm geſtützt, 

Seufzend verläßt er die Ruheſtätte, 
Erklimmt den Hügel und ſteht dort oben 
Den Männern vor Augen; deutlich hebt ſich 
Von einer ſilbernen Wolke Grund 

An der Jungfrau Seite ſein düſtres Bild. 


„Wer biſt du? Sprich!“ Er möchte ſchweigen, 


Sie fragen und fragen, und aus der Seele 
Ringt ſich, als zöge man unerbittlich 

Aus tiefer Wunde ein ſcharfgezahntes 
Roſtiges Schwert, das herbe Geſtändnis. 
Grauen und Angſt verdrängt das Mitleid 
Aus der entſetzten Hörer Seelen: 

„Hebe dich fort! Aus unſern Grenzen 
Fliehe mit deines Fluches Laſt!“ 

Herzlich fleht für den Augenloſen 

Die weinende Tochter. Jedoch er ſelber 
Beſinnt ſich auf ſich, und nicht mit ſchwacher 
Greiſenſtimme, mit Manneston 

Ruft er: „Scheuet des Schickſals Macht! 


381 


82 

Heilig ſollte das Unglück fein! 
Fraget euch ſelbſt, ob jeder nicht 
Befahren könnte, was ich befuhr! 
Heilig ſollten die Häupter ſein, 
Welche ein Gott hat auserſehen 

Und gezeichnet und hingeſtellt 

Hoch als Bilder des Menſchenloſes, 
Daß man ſehe, daß man erkenne, 
Was dem Menſchen begegnen kann!“ 


Tief in die Herzen dringt ſein Wort, 
Und ſie willfahren ſeiner Bitte, 

Daß man warte, bis Theſeus kommt, 

Er ſoll ihn vernehmen und ſoll entſcheiden. 


Man wartet. Antigone ſchaut hinaus 

In die Ferne und ſieht ein Weib ſich nahn 
Auf Roſſes Rücken, das Haupt bedeckt 

Mit breitrandigem Schattenhut. 

„Was ſeh' ich? Darf ich den Augen traun? 
Ismene, die Teure! Schon ſeh' ich ſie lächeln! 
Sie iſt es, die Schweſter, die lang entbehrte!“ 
Sie kommt und liegt in des Vaters Armen, 
In der Schweſter Armen und weint vor Freude. 
Beſcheiden tritt zu den froh Vereinten 

Der treue Geleitsmann, der ſie geführt, 
Philophron. Innig, wie ſie ihm danken, 


383 
Dankt er den Göttern, daß fie zum Ziele 
Gelangt iſt, die mühvoll ſuchende Fahrt. 


Kurz iſt die Freude. Traurige Botſchaft 
Hat ſie zu bringen. Der ältere Sohn, 
Polyneikes, hatte den Thron beſtiegen. 
Eteokles, der herrſchaftgierige Bruder, 

Hat ihn verdrängt. Der Beraubte weilt 
In Argos drüben und wirbt ſich Freunde 
Und rüſtet Krieg, ſein Recht zu erkämpfen, 
Bruderkrieg. — Zur Quelle des Lichts 
Nach Delphi ſandte man Opferboten 

Im Drang und Dunkel der ſchweren Zeit — 
„Und, o Vater, der jüngſte Spruch 

Des hohen Gottes, er hat verheißen: 
Segen ſoll er dem Lande bringen, 

Wo er im Tode ruhen darf, 

Dein müder Leib. Und jetzo will man 
Dich wieder haben, und holen will dich 
Kreon und will dich heimwärts führen; 
Doch an der Grenze nur ſollſt du wohnen, 
Nicht in Kadmos' Burg und Bezirk, 

Weil im Leben dich Fluch umgibt.“ 


Neues, ſchneidendes Leid geſellt ſich 
Zu der willkommnen Beſtätigung 
Des tröſtlichen Lichtes, deſſen Bote 


384 
Einft der treue Philophron war. 
Verbannt, vertrieben, am Bettelſtab, 
Und nun geſucht! Im Leben verabſcheut 
Und dann im Tode der rechte Mann! 
Zu des Waldes Tieren hinausgeſtoßen, 
Und nun reißen ſie ſich um ihn! 
Als gefangenen ſeltnen Vogel 
Will man ihn hegen, deſſen Gefieder, 
Wenn er verendet, Nutzen bringt. 
Und dem Sträubenden wird mit Gewalt 
Kreon, der Schonungsloſe, drohen! 


Der ſehnſuchtsvoll erwartete Hort, 

Er kommt, er iſt da, vor dem Flüchtling ſteht 
Theſeus. Könnt' er ihn ſehn, der Blinde, 
Schauen würd' er, wie mild und hell 
Unter des Helden behelmtem Haupt, 

Der die Räuber, die Ungeheuer bezwungen, 
Sitte, Geſetz und Recht gegründet, 

Die Augen blicken; er würde fühlen: 

In dieſen Zügen, auf dieſen Lippen 

Wohnt Menſchlichkeit. 

Aber die Stimme kann er vernehmen, 

Den herzlichen Ton, womit er ſpricht: 

Du biſt Laios' Sohn, ich weiß es, 

Die dunkeln Höhlen der Augen ſchon 


385 
Bezeugen es mir. Sei unverzagt, 
Sage mir frei, um was du bitteſt; 
Es ſoll dir gewährt ſein, vermag ich's irgend, 
Was du auch wünſcheſt. Ich hab's erfahren 
Im eigenen Leben, was Fremdſein heißt, 
Drum keinem Fremdling weigre ich Hilfe, 
Ich bin ja Menſch. 


„Ich komme zu dir, für dieſen Leib, 

Den welken, keinem Auge willkommnen, 

Um Zuflucht und um ein Grab zu bitten. 

Nicht fruchtlos wird die Gewährung ſein: 

Hoher Lohn iſt der guten Tat, 

Dem gaſtlichen Tugendwerk verheißen, 

Heil und Segen bringt ſie dem Lande, 

Im Kriegskampf rühmlichen Waffenſieg.“ 

„„Das Unglück acht’ ich auch ohne Lohn,“ 
Spricht Theſeus, „„doch was dem Lande frommt, 
Muß mir heiliger Antrieb ſein. 

Du haſt mein Wort, ich verlaſſe dich nicht.““ 
„Ich vertraue dir; eidlichen Schwur 

Erbitt' ich nicht.“ — „„Du gewänneſt mehr nicht, 
Als mein ſchlichtes Wort dir ſagt.““ 

„Die Drohung von Thebä macht mich zittern.“ 
„„Ich fürchte ſie nicht, ſie wagen es nimmer, 
Mein Name allein ſchon ſchreckt ſie zurück.““ 


Viſcher, Lyriſche Gänge. 25 


386 
Diesmal zu ficher baut er darauf, 
Der gewaltige Theſeus. — Opferdienſt 
Ruft ihn; den Gott Poſeidon feiert, 
Des feurigen Roſſes Schöpfer und Zähmer, 
Den Schützer der weidenreichen Flur, 
Die Gemeinde Kolonos, hoch iſt das Feſt, 
Der König des Landes darf nicht fehlen, 
Er drückt dem beſorgten Odipus 
Die Hand und ſcheidet auf kurze Zeit. 


Kaum iſt er hinweg, ſo hört man Schritte, 
Und der gefürchtete Kreon kommt. 

Mit ſanften Worten, mit Heuchelrede 
Beginnt er, des Mitleids rührende Töne 
Bietet er auf; Geſandter ſei er 

Des tiefbedauernden Volks von Thebä, 
Als naher Verwandter auserwählt, 
Weil er als ſolcher beſonders innig 
Mitfühlen müſſe des Königs Los. 
Überreden, raten und bitten: 

Dahin laute ſein Auftrag nur. 

Auch Antigones Schickſal ſei ja 

Nur zu beklagen, die Jungfrau ſei doch 
Starken Entbehrungen und Gefahren 
Als weibliches Weſen ausgeſetzt; 

Um ihretwillen allein ſchon ſei es 


387 
Rätlich und Pflicht, der trauten Heimat 
Schützendes Obdach wieder zu ſuchen. 


Das alte Feuer, es lodert auf 

Im Ungetäuſchten, die ſchönen Worte 
Entlarvt er mit der geraden Wahrheit, 
Die ſpätnachhinkende Gleißnergüte 
Verſchmäht er, die Falle, die ſchlaugeſtellte, 
Stößt er hinweg und heißt ihn gehen, 

Den lockenden Jäger, der ſie geſtellt. 


Kreon erhitzt ſich, des Herzens böſe 
Meinung, ſie bricht ihm nackt heraus. 
Kein Mitleid wohnet in ſeiner Bruſt, 
Er verachtet den Alten, den Bettelarmen, 
Nicht hat er verziehen die alte Schuld, 
Die ſchwergebüßte, und nie bedacht, 
Was über den Menſchen kommen kann: 
Nicht Unglück nur, nicht wirkliche, klare 
Verſchuldung bloß, nein, geiſterhaftes 
Zwielicht, daß er ſich lebenslang 
Entſetzliche Schuld vorrücken muß, 
Quelle von unnennbarem Leiden, 
Schuld, die zugleich auch nicht Schuld iſt, 
Zubereitet und hingelegt 
Unter die Füße auf den Weg, 

05* 


388 
Als hätten Dämonen ſich verſchworen, 
Mit hölliſchem Zauber den leeren Zufall 
Zur Schlinge, zum heimlichen Netz zu bilden. 
Solches Geſpinſt, er verſteht es nicht, 
Denn er gehört zu den Selbſtgerechten, 
Die da meinen, weil ſie ja ſelber 
Ordentlich immer durchgekommen, 
Haben ſie Götterlohn verdient; 
Er gehört zu den weiſen Meiſtern, 
Die nicht weiter als Schwarz und Weiß 
Unterſcheiden und kein Helldunkel 
Kennen und keine finſtern Tiefen, 
Worin des forſchenden Denkers Senkblei 
Den Dienſt verweigert, ſo daß er ſchweigt 
Und eines beſchließt: Verzeihung, Mitleid! 
Und er gehört auch zu den Beglückten, 
Die mit dem Rätſel ſich nie geplagt, 
Wie es komme, daß kein Menſch jemals 
Schuldlos wandelt und Schuld doch Schuld bleibt. 


Unbarmherzig rückt er dem Blinden 

Die alten grauſen Taten vor. 

Nimmer, ſo ruft er mit harter Stimme, 
Nimmer könne die Stadt Athen, 

Wo auf des Ares heiligem Hügel 

Zu Gerichte die ernſten Greiſe ſitzen, 


389 
In ihrer Nähe die gröbſten Frevler, 
Blutſchänder und Vatermörder dulden. 


Frei und ganz, wie es nie gelungen 

In des Elends langen, lähmenden Jahren, 
Freier und heller als vorhin noch, 

Als er die ſcheuen Bürger mahnte 

An des Unglücks Heiligkeit, 

Hebt ſich empor aus Zweifels Wirren, 
Verſtörendem Wirbel des Ja und Nein 
Die gefolterte Seele des Odipus. 
„Schuldfrei bin ich, ſchuldig iſt nur, 

Wer mit Wiſſen und Wollen Übles getan. 
Des Vaters Geiſt ſelbſt, könnt' er zum Lichte 
Wiederkehren, er ſpräche mich frei. 

Wer zum Schritt nur den Fuß erhebt 

Und niederſetzt, zertritt auch Leben, 

Und wär' es das Leben des Wurmes nur, 
Der gerne wie jedes Geſchöpf doch lebt. 
Handle: du wirſt auch ſchaden und fehlen. 
Bin ich ſchuldig, es trifft mich nur 

Die menſchliche Schuld, die allgemeine, 
Verteilt an alle Geſchlechter und Zeiten, 
Die in des Daſeins erdiger Wurzel 

Den tiefen, dunkeln Grund hat. 

Blind iſt der Menſch; iſt Blindheit Schuld, 


390 
So hab' ich fie ſelbſt genug beſtraft, 
Als ich die Blindheit ſtrafte mit Blendung, 
Und habe genug durch euch gelitten, 
Selbſtſüchtige, mitleidloſe Seelen! 
Aber ich hoffe, ſie ſind mir gnädig, 
Die ſtrengen Weſen im Schlund der Erde, 
Und haben dem Dulden ein Ziel beſchloſſen 
Und werden vor deiner Fauſt mich hüten. 
Dir aber und denen, die dich ſenden, 
Dem Volke von Thebä, das ich beherrſcht 
Und wie ein Vater geliebet habe, 
Den Söhnen, die ſich im Bruderkrieg 
Zerfleiſchen wollen, euch allen droht, 
Die ihr mich grauſam vertrieben habt 
Und grauſam zurück nun zwingen wollt, 
Euch droht, ich fürcht' es, ich wünſch' es nicht, 
Von den hehren Rächerinnen der Schuld 
Unabſehliches Strafgericht.“ 


Wir wollen es ſehen, ob ſie dich ſchützen, 
Ruft der Gereizte und gibt ein Zeichen. 
Im Dunkel des Waldes lauert ſchon 
Bewaffnete Mannſchaft, ſtark an Zahl; 
Aus Thebä hat er ſie mitgeführt 

Ins nicht gewärtige Nachbarland. 

Sie ſtürzen hervor und reißen die Töchter 


391 
Vom Vater hinweg; die erſchrocknen Bürger 
Wehren mit nackten Armen umſonſt; 
An Hilfe gebricht's, beim Feſte draußen 
Weilt der Gemeinde rüſtige Männerſchar; 
Sie ſind Bejahrte, die Kraft verſagt, 
Und nichts vermag der treue Philophron, 
Auch er ein Bejahrter; das Schwert entreißt ihm, 
Das raſch gezückte, der ſtarke Feind. 
Hilflos wehklagend muß es der Vater 
Dulden, daß man die Kinder ihm 
Hinwegſchleppt, ja der Verlaßne ſelbſt 
Fühlt am Arme ſich ſchon gepackt 
Und glaubt ſich in Thebä ſchon zu ſehen, 
Von nickenden Köpfen begrüßt, begafft. 


Es brennt die Gefahr, des böotiſchen Landes 
Grenze iſt nah, dort werden die Räuber 
Die köſtliche Beute, des Segens Bürgſchaft, 
Bald in geſicherter Obhut bergen. 


Gelähmt vom Gefühle der Ohnmacht ſtehen 
Die koloniſchen Bürger, ſteht Philophron, 
Wehmutvoll tatloſe Betrachter, 

Wie man dem Armen das letzte Gut 

Der ſpäten Tage, die letzte Stütze 
Hinwegrafft und zum ſchrecklichen Schluß 
Die Hand der Gewalt an ihn ſelber legt, 


392 
Und Philophron, müde von fo viel 
Dunkeln Schlägen des Menſchenſchickſals, 
Haucht in die Lüfte das trübe Wort: 


Iſt es an dem und ſteht es alſo 

Um das Leben der Menſchenkinder, 
Kann man ſo ſchuldlos ſchuldig werden, 
Häuft ſich für Schuld, die nicht Schuld iſt, 
So unerträglich des Leidens Maß, 

Toben die Stürme, toben die Wogen 
So wutgrimmig von allen Seiten, 

So ſag' ich: der Wünſche größter iſt, 
Nicht geboren zu ſein 

Oder dahinzugehen bald, 

Woher du gekommen. 

So lange die Jugend grünt und blüht 
Leichten, törichten Sinnes voll, 

Wer lebt ohne Bekümmernis? 

Keuchende Hetze der Leidenſchaft, 

Mord und Hader, Aufruhr, Kriegskampf, 
Neid und Haß ſind deine Gefährten, 

Und am düſteren Ende naht 

Das Alter, troſtlos öd, an Freunden 
Verarmt, der Mitwelt fremd, 

Wenn's gut noch geht, leicht aber zuletzt noch 
Weh auf Weh zu Bergen getürmt. 


Da klirrt's im Gebüſch, da ſchimmert ein Helm, 
Eine gewaltige Stimme befiehlt 

Ruh' und Frieden, und leuchtend tritt, 
Als ſchwebte ein Gott vom Himmel nieder, 
Theſeus in den geängſteten Kreis. 

Ihm hatte mitten im Opferfeſt 

Plötzliche Ahnung gepocht ans Herz, 

Es war, als triebe ein Geiſt ihn fort, 

Von fernher hat er den Lärm des Streits, 
Die klagenden Rufe ſchon vernommen. 

Er fragt, man berichtet, was da geſchehen, 
Was noch Wilderes jetzt im Werk iſt, 

Mit dürftigem Vorwand mühet ſich 
Kreon, die ſchlechte Tat zu begründen. 
Eilende Boten ſendet der König 

Zur Feſtverſammlung, die Männer dort 
Sollen im Nu die Roſſe beſteigen, 

Dem Kreon gebeut er: Fort mit mir! 

Du ſollſt ſelber den Weg uns zeigen, 
Auf dem ſie geflohen, die Mädchenräuber, 
Und mit verhängten Zügeln ſollen 

Die rettenden reiſigen Jäger ſprengen! 
Und den Erbleichten mit ſich zwingend 
Eilt er den eilenden Boten nach. 


Zu Zeus empor, dem Herrſcher des Alls, 
Zu Pallas Athene, zum hohen, ſchlanken 


393 


394 

Weidmann Phöbos und feiner Schweſter, 
Der windſchnellfüßigen Artemis, 

Steigen Gebete aus tiefer Bruſt, 

Von bebenden Lippen in der bangen 

Zeit des Wartens, deren Minuten 

Aonen gleich der zitternde Vater, 

Der Zeugen klopfende Herzen zählen. 


Und ſiehe! Die Jungfraun an der Hand, 
Mit ſtrahlenden Augen, hochbeglückt 

Von dem Glück, das er bringen kann, 
Die Wangen gerötet von der Freude, 
Als ehrlicher Mann ſein Wort zu halten, 
Steht Theſeus vor dem tiefauf- 
Atmenden Greis und legt ihm die Kinder 
In die Arme, die ſehnlich ausgeſtreckten. 
Innig umſchlungen ruhen ſie 

An ſeiner Bruſt. So ganz unſelig, 

Ruft er, da ich mein Liebſtes halte, 

Kann mein Ende nun nicht mehr werden, 
Und bittet die Götter, daß ſie dem Lande, 
Das ſie noch ehret und edle Milde 
Pflegt und Treu' und Wahrhaftigkeit, 
Alles ſchenken, was er ihm wünſcht, 

Und greift nach des Retters Hand und freut ſich, 
Daß er ſie noch berühren darf, 


395 
Und möchte das Haupt ihm dankend küſſen 
Und waget es kaum, doch Theſeus drückt ihm 
Herzlich die Hand und nimmt den Helm ab 
Und beut ihm das Haupt zum Kuſſe hin. 


Horch! ein mächtiger Donnerſchlag! 
In Schrecken und Ehrfurcht ſchweigen alle, 
Aber der Greis ſpricht hell und feſt: 
Die Stimme des Donnergottes ruft, 
Es iſt Zeit, ich bin bereit! 

Und er beginnt aus der Töchter Armen 
Sanft und langſam ſich zu löſen. 
Wieder ein Blitz und Donnerſchlag, 
Die Erde bebet, die Hörer beben. 

Ein dritter Schlag, in Gewitternacht 
Liegt begraben die Welt umher. 


Aber ein inneres Licht geht auf 

In Odipus' Geiſt. Er ſchaut die Stelle 

Im Dunkel des Eumenidenhains, 

Wo zu ſterben ihm nun gegönnt iſt, 

Als hätte er Augen, ſie zu ſehen. 

Für Pilger, die ihn betreten wollen, 

Iſt ein reinigend Bad bereit 

Am Saume des Hains, wohin des Kephiſſos 
Lebendige Waſſer geleitet ſind; 

Bekränzte Krüge zu Opferſpenden 


396 
Stehen dabei, nicht ungeweiht 
Soll irdiſcher Leib dem Geheimnis nahen. 
„Dorthin geht und beſchickt mir neues 
Gewand und laſſet es dort mich finden,“ 
Sagt er den Töchtern. Sie folgen traurig. 


Während er wartet, ſpringt von der Seele 
Auch die Binde der Zeit entzwei, 

Auch in die Zukunft kann er ſchauen: 

Was ſie bezeugen, was ſie verbürgen, 

Die Blitze, die rollenden Donnerſchläge, 
Er ahnt es nicht nur, es iſt ein Wiſſen; 
Vor dem geöffneten innern Auge 

Breitet ſich lichthell aufgeſchlagen 

Das Bild der Blüte des attiſchen Landes, 
Das ihn beherbergt, das ihn beſchützt 

Und ſein heiliges Grab umhegt. 

Auf blutiger Walſtatt wird gerungen, 

Auf ſchäumenden Wogen drängt ſich krachend, 
Blitzend von Waffen Kiel an Kiel, 
Helden kämpfen für Weib und Kind, 

Für der Götter geweihte Stätten, 
Barbariſchen Feindes Stolz und Pracht 
Liegt und ſchwimmt in Trümmern umher. 
Neues Leben entſproßt dem Boden, 

Der mit ſo teurem Blut getränkt iſt, 


Marmorne Hallen fteigen empor, 
Göttergebilde von Künſtlerhand, 
Majeſtätiſch und anmutvoll, 

Schauen hernieder auf ihr Volk, 

Am prangenden Feſt in heitrem Wettſtreit 
Tummeln ſich um den Siegerkranz 
Jünglinge, ſchön und ſchlank und gewandt 
Wie Hermes ſelbſt, ihr göttliches Vorbild. 
Der Lyra melodiſche Töne tragen 
Begeiſterter Dichter Hochgeſang. 

Masken ſieht er auf hoher Bühne 
Wandeln, des Lebens ernſten Sinn 
Spiegeln ſie ab vor ſtaunenden Augen, 
Tauſend und aber tauſend Herzen 
Klopfen und beben, und ach! ſein eignes 
Trübes, beweintes Ebenbild 

Glaubt er zu ſchauen wie im Traum. 
Aber ein Friede wehet ihn an, 

Wie er im Schatten naher Platanen 
Stille Geſtalten gehen ſieht, 

Sinnende Männer, tief in Gedanken, 
Welche der Weisheit göttlichen Samen 
In die empfänglichen, reinen Seelen 
Ringsum horchender Jünger ſtreu'n. 
Wer iſt das Haupt mit der hohen Stirn? 


Mit Blicken der Andacht hängen die jungen 


397 


398 
Augen an ihm, von hohen Dingen, 
Von der Seele Geburt aus himmlifcher Lichtwelt 
Spricht er, und wie ſie ewigen Urbilds, 
Das ſie geſchaut vor aller Zeit, 
Mitten im Staubkleid ſich erinnre, 
Wie ſie vom Schein ſich lernend befreie 
Und mit dem Weſen Eines werde. 
Odipus kennt ihn nicht, doch dünkt ihm, 
Er höre den Namen Plato nennen. 


Das Bad iſt gerüſtet; der Greis vernimmt's, 
Nickt und dankt mit verklärten Zügen, 

Steht auf und ſchickt zum Gehen ſich an. 
Man will ihn führen, jegliche Hilfe 

Lehnet er ab und bittet freundlich, 

Daß ſie nach kurzer Zeit ihn ſuchen, 

Zu empfangen ſein Lebewohl, 

Und ſchreitet hinweg mit ſicheren Tritten 

Wie in den Jahren der vollen Kraft, 

Als ihm die Augen den Weg noch zeigten. 


Schweren, erwartungsvollen Herzens 
Haben die Töchter, die Freunde geharrt; 
Wie ſie ſich nähern, ſteht er vor ihnen 
Feſt und aufrecht, 

Ein weißer Mantel wallt in großen 
Falten von ſeiner Schulter herab, 


| 399 
Hoch und frei auf nervigem Nacken, 
Nicht geſenkt mehr trägt er das Haupt, 
Die Bruſt iſt gewölbt, nichts Müdes und Schlaffes 
Iſt an der ganzen Geſtalt zu ſehen. 


Ein Dröhnen tönt aus dem Erdenſchoß, 

Die Töchter beben, umfaſſen ſchluchzend 

Des Vaters Knie, an ſeine Bruſt 

Hebt er ſie auf, und die Stimme beherrſchend, 
Die ihm vor Wehmut brechen will, 

Sagt er: Von heut an, arme Kinder, 

Habt ihr keinen Vater mehr! 

Die Klage verhaucht in tiefen Seufzern, 

Das letzte Haben genießen ſie ſtumm 
Verflochten, als könnte ſie niemand ſcheiden. 


Da hören ſie rufen eine Stimme: 

„Odipus, komm, nicht länger zögre!“ 

Keine Zunge benennt's, kein Wort beſagt es, 
Wie wunderbar der Laut erklang, 

Wie hocherhaben und doch wie huldreich; 
Ruft es von oben? ruft es von unten? 

Ruft es von draußen? Von hier? Von dort? 
Kein menſchliches Ohr kann hören, woher? 
Zu eng ſind die Sinne für ſolchen Laut. 


Eines hat er auf Erden noch, 
Der willige Aufgebotne, zu tun. 


400 
Mit andrem Vertrauen, als zur Zeit, 
Da er fie Kreon anbefahl, 

Übergibt er die Töchter nun 

Dem treuen Theſeus, innig bittend, 

Daß er ein zweiter Vater ſei 

Den Armen, bald nun ganz Verwaiſten; 
Und Theſeus, nicht zu ſchwören gewohnt, 
Diesmal, in dieſer Schickſalsſtunde 
Gelobt er Treue mit hohem Eid. 

Und Philophron, der alte Freund, 

Gibt ſich als ſeines Willens Werkzeug, 
Als ſtetiger Pfleger in ſeinen Dienſt, 

Um nimmer die Einſamen zu verlaſſen. 
„Ihr müßt jetzt ſcheiden, ihr dürft nicht folgen! 
Ertraget es, Kinder, mit ſtarkem Sinn! 
Du nur, Theſeus, Haupt des Landes, 
Darin ich für immer ruhen ſoll, 

Du, von den Göttern auserkoren, 

Mir die letzte Liebe zu tun, 

Darfſt des Kommenden Zeuge ſein.“ 


Der letzte Kuß, die letzte Umarmung — 
Der Töchter Troſt, den treuen Philophron 
Noch einmal dankbar ans Herz gedrückt, 
Und das ſchwere Scheiden, es iſt vollbracht. 


401 
Im heiligen Olwald iſt ein Schlund, 

Dem rauhen Rande hat Menſchenkunſt 

Die Form der ehernen Schwelle gegeben, 
Aber zum Eintritt ladet ſie nicht, 

In unergründliche Tiefen führt 

Die nächtliche Kluft, die Schwelle des Hades 
Iſt die Stufe von Erz benannt. 

Dort wohnen in unerforſchtem Dunkel 

Die ernſten Weſen, die Rächerinnen, 
Verſöhnt und gnädig dem frommen Volke 
Seit dem Tag des Oreſtesgerichts 

Und mild geſonnen, zu furchtbar nicht, 

Nicht ins Grenzenloſe zu ſtrafen 
Entſchuldbare und bereute Schuld; 

Herrlicher Gaben ſind ſie mächtig, 

Sie können martern, ſie können ſegnen. 


Dorthin wendet ſich Odipus. 

Noch iſt kein Wanken an ihm zu ſehen, 
Vorwärts geht er mit jenen Schritten, 

Wie er als König einſt gegangen 

An heiligen Tagen, wenn er zum Opfer 
Voran dem feſtlichen Zuge ſchritt. 

Doch hört man die feſten Tritte nicht, 

Es iſt, als ſchwebt' er, leiſe wehen 


Des weißen Mantels bewegte Falten; 
Viſcher, Lyriſche Gänge. 26 


402 
Es iſt, als ob er dem Geiſterreich, 
Dem ſeligen, jetzt ſchon angehörte, 
Den heiligen Schatten, die nicht leben, 
Doch in der Geiſterwelt ewigen Hallen 
Ewig licht und lebendig ſind. 


Ihm an der Seite zu bleiben ſcheut ſich 
Der Heldenkönig von Attika, 

Kürzeren Schrittes folgt er ſtumm 
Der ehrfurchtwerten Erſcheinung nach. 


Gehorſam ferne weilen die drei, 

Vom Haine die Häupter abgewendet, 
Von unnennbarer Bewegung zitternd, 
Bis ſie die Zeit gekommen glauben, 

Zu nahen und in das dämmernde Dickicht 
Durch die verwachſ'nen Aſte die ſcheuen, 
Bangen Blicke hineinzuſenden. 


Vorgebeugt, vorſtreckend das Haupt, 

Mit den Händen die Augen ſich deckend 
Sehen ſie Theſeus ſtehen, geblendet, 
Überwältigt von nie geſehnem, 

Fremdem, unausſprechlichem Licht. 

Und wie es verblaßt und langſam ſchwindet, 
Sinkt er mit ausgebreiteten Armen 


403 
Nieder, als wollt' er den Boden faſſen, 
Und betet. 
Was er geſehen, er hat es keiner 
Seele geſagt, und wollt' er es ſagen, 
Er könnt' es nicht. 
Aber die laut wehklagenden Töchter 
Tröſtet er herzlich. Sünde ja wär' es, 
Sprach er, fort und fort zu bejammern 
Den Vater, der zu den Schatten ſtieg 
Freudig, dem ſeligen Ende zu. 


Feierlich ſinkt die Sonne hinab, 

Purpurglut iſt ausgegoſſen 

Über die Höhen, über die Flächen, 

Über die Waſſer, über die Lande. 

Sie löſt ſich gemildert in zartes, feines 

Roſenrot, die graulichen Wipfel 

Des Eumenidenhains erblühen 

Wie von warmem himmliſchem Gruße 

Verklärt; ein ſanftes Flüſtern geht 

Durch das Gezweig, der einzige Laut iſt's, 

Den man vernimmt. Ein ſtiller Friede 

Breitet ſich über Berg und Tal. 

In lichtdurchdrungenem Ather ſchwimmt 
Die ſelige Welt. 


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N 
rn 


Inhaltsverzeichnis. 


Vorwort 
Jugendjahre. 
An den Feier . 5 „ 20 


Das graue Lied. 1827 
Scheinleben. 1828 


Fauſt'ſche Stimmen: 
Frage ER 
Kein Ende. 

Der Schlaf 
Stille 

Die Nacht 

Das Kätzlein 

Der erfte Schnee. 

Ein Gaſt 

Glaube 

Paſtors Abendſpaztergang 

Wunder 3 

gt 

Der Erfte . 8 x 

Maͤdchens Abendgedanken . 

Trinklied 

Die Hyazinthe . 

Gefangen 


An das Bild Peter Viſchers « am Erbalbusgrab 1 Nürnberg b 


Zufall, I. II. 
Doris, I.— VII.. 
Immer zu. 


1 an 


406 


Seite 
Tad ee 2 A 
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Hinaus: 
Perugia, I. Iiiiil. 
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Nachts an der Engelsbrücke 4 0.0. 
Auf dem Kapito!!; 8 
Enthebing +. »- = 0. een =. 2 ME 
Ein Tag in Sprint -. = = 2... ven 
Maleemd. 7..." 0 8 
Mittlere und fpäte Zeit. 
Sehen, Leben, Leiden: 
An eine Quelle. 189 „„ 
Felsblock (bei Waſen an der Gotthardſtraße) „„ Fe 
Im Hochgeb irg 721 Ve 
Auf der Eiſenbaha nns MM 
Droſſelſaaaxanddnnnnnnsssssss ee 
Ans Dien ta u m WW 
Die Nagelfchmiedin = u ne Ber 
Zur Höll en 
Breite und Tieſeſ8dgme 
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Nunc pluat! Mach einer alten Deviſe 7). 104 
Unterm Buchenbauuunnßn 200 Wr 
An das Mitleid 0 2 Me 
Rom 18722 110 


Prolog für das Konzert des Kanfıninnikhen Vereins in 
Frankfurt a. M. am 31. Januar 1883, zum Beſten der 
Überſchwemmten des Rhein tales 115 


407 


Seite 
en Mee. 119 
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Krieg 1870—1871: 
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Ehen und Sein 153 


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408 


Nachts und Morgens 

Gedicht und Sinn 

Form ee 

Konfeffion, I.— III. 

Die Beichte. 3% 

Tragiſche Geſchichte von einer ige 
Anhängen ee 

Sprache, I.—IV. . 

Mann und Weib . 

Dank für Rat. 

Verloren. 

Sprüche 

Selbſtgefühl. 

Vorteil des Altertums 

Spätlinge 3 

„Sie haben ihren Lohn dahin“ 

Anwendbar { 5 

An einen bewunderten Koloriſten . 

Erfolg 

Kritiker 

Verehrung 

Warnung 

Mitte 

Zweiſeitig 

Ein Moraliſcher 

Priamel . 

Eiertanz . 

Vereinbar 

An die Sead 

Vom Tode 

Schlußergebnis 2 

Einharts Wanderſchickſal 

An die Trockenen 

Schulmanns Schauer 

An einige große Häufer . 


Mit 


Seitz 


156 
157 
158 
159 
162 


163 
170 
173 
174 
175 
175 
176 
176 
177 
177 
179 
179 
179 
180 
181 
181 
182 
182 
183 
183 
184 
184 
185 
186 
186 
187 
190 
192 
193 


Burfchenfchaft und KRorpe 
Auslegung 
Rache. 
Schnurren: 
Lesart ; 
Spiritiſtiſches Tiinklied k 
Geſang der Exakten 


Geſang der Sinnhuber. (Aus dem „Dritten Teil“ des 


„Fauſt“) f 
Ischias. e che in Me ee Geſangen, 
einem lyriſchen, einem dramatiſchen und einem epiſchen 


Dem Ende zu: 
An meine Wanduhr 
Zu ſpät 
Jugendtal 
Amſelruf 
Am See. 


Aus den letzten Jahren: 
Und noch einmal 
Es kann ja nicht immer ſo bleiben 
Kurze Freude 
Mein Kätzlein 
Frühling. 
Troſt 5 
Gedenkfeier am 2. Berlenbn 1882 5 
In der Vaterſtadt, I. II. 
Mut 
Geſellſchaft 
Bald 
— 
Geſchichten und Sagen: 
Ein Fang, oder: Was ſich bei Kannſtatt am Neckar im 
Jahr 1796 zwiſchen einem kleinen franzöſiſchen Schützen 
und einem öſterreichiſchen Reiter begeben 


295 


410 


Das Bankett 

Herr Olaf 

Gwyon und Talieſin 
Unglüdgftern . 


Große Glufen-Ballade oder Die magnetische Nadel, I.—III. 


Das Kreuz am Inn 
Schickſal, I. — III. 
Der alte Totengräber. 
Ein Augenblick 

Ein Kameradenfeft . 
Marathon 

Mykene 

Odipus, I. II. 


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Vischer, Friedrich Theodor 
2547 von 


Dichterische Werke 


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