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Die
altdeutschen Gläser.
Beitrag zur
Terminologie und Geschichte des Glases.
Von
Carl Friedrich,
Bibliothekar des Bayrischen Gewerbemuseums.
Herausgegeben
vom
Bayrischen Gewerbemuseum in Nürnberg.
Nürnberg, 1884.
Druck und Verlag von G. P. J. Bifeling (G. Dietz).
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/^HARVARD
FINE ARTS
LIBRARY
OCT 14 )968
£iDOUXX5E.
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Zur Einführung.
AS Bayrische Gewerbemuseum veröffentlicht seit
einer Reihe von Jahren Arbeiten über einzelne Ge-
biete des Kunstgewerbes, wobei das Bestreben be-
steht, sowohl die Formen und die Verzierungen, wie auch
die technische Ausführung der Erzeugnisse zu berücksich-
tigen. Dass auch die Geschichte nicht vernachlässigt werden
kann, und dass diese in einzelnen Fällen sogar in den Vorder-
grund treten muss, ist selbstverständlich, wenn nicht bereits
gewonnene Resultate, die aus dem Benützen alter guter Ar-
beiten hervorgegangen sind, durch Sprünge verloren gehen
sollen. Das Werden und Entwickeln aus Vorhandenem ist
für die Form und für die Technik gleichwichtig. Die vor-
liegende Arbeit über altdeutsche Gläser berücksichtigt diese
Gesichtspunkte und wird sicher dazu beitragen, freund-
liche Theilnahme für die kunstgewerblichen Glaserzeugnisse
zu wecken.
Nürnberg, März 1884.
V, Stegmann.
Vorw^ort
ER Verfasser hat über die altdeutschen Gläser und
die damit zusammenhängenden Fragen in > Kunst
und Ge werbe c, Zeitschrift zur Förderung deutscher
Kunstindustrie, herausgegeben vom Bayrischen Ge-
werbemuseum in Nürnberg-, femer im »Sprechsaal«, Organ der Por-
zellan-, Glas- und Thonwaaren-Industrie in Coburg und endlich in
der > Wartburg <, Organ des Münchener Alterthumsvereins, bereits
mehrere Aufsätze veröffentlicht. Von vielen Seiten aufgefordert,
diese zerstreuten Abhandlungen zu einem Ganzen zu verarbeiten,
unternahm er die Abfassung des vorliegenden Buches. Hierbei
zeigte sich aber bald, dass eine blosse Sammlung der bereits publi-
cirten Artikel nicht nur des inneren Zusammenhanges, sondern auch
eines allgemeinen Interesses entbehren würde. Dazu kam noch,
dass durch Entdeckungen, so z. B. durch die glückliche Bestimmung
des Alters der sogenannten Hedwigsbecher, durch die Definirung und
Auffindung einiger Gläser »ä la fa^on de Damas,« durch die Ab-
■
grenzung der Bedeutung von »verres de cristaU und »verres cristal-
lins< u. s. w., die früher geäusserten Ansichten zum Theil umge-
stossen und namentlich der Einfluss der byzantinischen Glasindu-
strie auf die venetianische als beinahe null erwiesen wurde. Diese
— VI —
Gesichtspunkte forderten zu einer umfassenderen Arbeit auf, deren
Resultat das hier vorgelegte Buch ist.
Dieses Buch behandelt in einer Einleitung kurz die Ge-
schichte der Hohlglasindustrie seit dem Beginne des Mittelalters
und zwar zunächst den Stand der Glasindustrie in den nördlichen
Ländern, die Entwicklung derselben in Venedig, den Einfluss der
letzteren auf die erstere, das Selbständigbleiben der deutschen
Gefassformen und den neuen Aufschwung, welcher von Böhmen
ausging. Dieser orientierenden Einleitung glaubte der Verfasser
eine ausführliche Behandlung der Oefen, des Schmelzens und Ver-
arbeitens des Glases folgen lassen zu müssen. Die Wichtigkeit
gerade dieses Abschnittes, welcher sich unter Anderem viel mit
der Geschichte der Werkzeuge beschäftigt, wird erst voll zu
Tage treten, wenn dem Verfasser einmal Gelegenheit gegeben
sein wird, alle grösseren Glassammlungen Europa's eingehend
studieren zu können. Es sei nur ein Moment herausgenommen.
Unter den Venetianergläsern existiren viele, deren Boden, obwohl
er mit der einfachen Auftreibscheere aufgetrieben ist, aussen herum
kein abschliessendes Ränftchen hat. Von dieser Art besitzt die
Mustersammlung des Bayrischen Gewerbemuseums eine ziemliche
Anzahl, ebenso das Germanische Nationalmuseum und die Vene-
tianergläser der Sammlung Slade, wenn sonst die Abbildungen in
dem betreffenden Katalog genau sind, hatten zum weitaus gröss-
ten Theile kein Ränftchen um die Bodenscheibe. Hatten etwa
alle echten Venetianergläser seit dem i6. Jahrhundert kein solches
Ränftchen? Oder stammen diese Gläser von Giuseppe Briati,
welcher in Böhmen mit der Bodenscheere aufgetriebene Gläser-
böden sah und daher die Böden seiner Gefässe mit der einfachen
Auftreibscheere ebenso auftrieb? Jede Vermuthung ist einstweilen
verfrüht; dazu sind die eingehendsten Studien und Vergleichungen
HQthwendig, Es ist dieser Punkt nur desshalb hier angezogen
— VII —
worden, weil er zeigt, wie unerlässlich dem Archäologen das Stu-
dium selbst der gewöhnlichsten Werkzeuge ist. Ein weiterer Ab-
schnitt behandelt die altdeutschen Gefässformen , namentlich in
Bezug auf die alten Bezeichnungen. Derselbe enthält über den
Römer manches Neue, zeigt die Form des Spechters und Kraut-
strunks auf und alle übrigen alten Geßtssnamen, soweit dies aus
den erhaltenen Gläsern und Nachrichten möglich war. Der III.
Abschnitt ist den Gläsern mit Emailmalerei gewidmet. Es wird
in demselben nachgewiesen, dass diese Art des Gläserschmuckes
nicht aus Byzanz, sondern aus dem sarazenischen Oriente nach
dem Abendlande und zwar speciell nach Venedig kam, wo man
sich anfangs bloss auf die Nachahmung der orientalischen Vor-
bilder verlegte. Ein weiterer Abschnitt handelt von den Schaper-
gläsern, blauen Gläsern, Kunckelgläsern und den Gläsern mit Gold-"
schmuck, ein fünfter von den geschliffenen und geschnittenen
Gläsern. Für diesen lagen gar keine Vorarbeiten vor. Gleichwohl
ist es gelungen, nicht bloss den Gang der Glasschneiderei von den
Sarazenen nach Venedig, sondern auch die Entwicklung der Technik
selbst, bis Lehmann in Prag den heutigen Glasschneiderstuhl er-
fand, klar aufzuzeigen und dürfte daher gerade dieser Abschnitt
nicht zu den uninteressantesten des Buches gehören. Der VI. Ab-
schnitt endlich handelt ausführlich von den Gläsern »k la fagon de
Venise« und weist unter Anderem nach, dass man im 15., 16.
und noch im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts unter »verres de
cristal« nur die in Venedig hergestellten Krystallgläser verstand
und mit »verres cristallins« alle Nachbildungen dieser venetiani-
schen Krystallgläser in anderen Ländern bezeichnete. Soviel im
Voraus von der Anlage und dem Inhalt des vorliegenden Buches.
Dass sich dasselbe zunächst an die Fachgenossen, namentlich an
die Museumsvorstände und Beamten wendet, braucht kaum eigens
gesagt zu werden. Aber auch die Sammler und Antiquare wer-
— VIII —
den es nicht ohne Nutzen gebrauchen, ebenso die Freunde des
Kunstgewerbes und der herrlichen Leistungen alter Zeit. Dabei
ist indess die einfache Haltung der Diction sowie die zahlreichen
Abbildungen darauf berechnet, dass auch die Glasmacher, Glas-
schneider, Emailleure und wer sich sonstwie mit der Glasindustrie
beschäftigt und dem es darum zu thun ist, wieder >Stil« in die
Erzeugnisse der Gegenwart zu bringen oder auch nur die Ge-
schichte seines Faches kennen zu lernen, das Buch ohne Schwie-
rigkeit zu Rathe ziehen können. Möge dasselbe in dieser Hin-
sicht den gewünschten Nutzen stiften, von den Fachgenossen aber
mit Wohlwollen aufgenommen werden.
Der Verfasser.
Einleitung.
ICHT einen Zweig des Kunstgewerbes gibt es wohl,
aufweichen Italien in der Zeit der Renaissance einen
grösseren Einfluss ausgeübt hätte als auf die Glas-
industrie. Hier ist es speciell die Lagunenstadt Vene-
dig oder vielmehr das nahe dabei auf der gleichnamigen Insel
gelegene Muranö, welches die Glasindustrie ganz Europa's von
Grund aus umgestaltete.
Was die nördliche Glasindustrie anbelangt, so nimmt die-
selbe bekatintlich erst am Beginne des i6. Jahrhunderts einen
grösseren Anlauf zu künstlerischer Gestaltung und Ausschmückung
ihrer Gefässe. Vordem begnügte sie sich mit der Herstellung
gewöhnlicher Gebrauchsartikel, hauptsächlich von Fenstertafeln und
kleinen Spiegeln. Aber auch die Hohlglasindustrie lag weder wäh-
rend des früheren, noch während des späteren Mittelalters, wenn
sie auch auf tiefer Stufe stand, doch nicht gänzlich brach; sie
lieferte namentlich Gefasse für Apothekerwaaren und ordinäre
Artikel für den gewöhnlichen Hausbedarf. Trotzdem aber hat Jules
Labarte*) ohne Zweifel Unrecht, wenn er jedes Glasgefäss, das
mittelalterliche Schriftstücke mit Bewunderung erwähnen, auf antiken
oder byzantinischen Ursprung zurückzuführen sucht; denn derlei
Bewunderungen sind sehr relativer Natur und dürfen durchaus
*) Histoire des arts industriels au moyen-äge et ä l'^poque de la renais-
sance. Tom. HI, p. 373.
I
— 2 —
nicht mit dem Masstabe unseres heutigen Geschmackes gemessen
werden. Überhaupt hat die Erzeugung von Hohlgläsern und selbst
von Luxusgläsern, natürlich im Sinne der damaligen Zeit, seit
dem Sturze des weströmischen Reiches im Abendlande niemals so
gänzlich aufgehört, wie Labarte behauptet. Es ist keine Frage, dass
in Folge der häufigen Einfalle der Barbaren in Italien während
des fünften Jahrhunderts unter anderen auch viele Glaskünstler
ihre Zuflucht, sei es in Konstantinopel oder sei es in Alexandrien,
suchten, so dass das Abendland der besseren Kräfte verlustig ging.
Aber es ist auf der anderen Seite ebenso gewiss, dass gerade jene
Gewerbe, welche für den täglichen Bedarf arbeiteten, unter den
Wirren und Schrecknissen der Völkerwanderung am wenigsten
litten, da sie eben unentbehrlich waren. Daher ist ohne Zweifel
die Annahme gerechtfertigt, dass von den schon im ersten Jahr-
hundert n. Chr. in Spanien und Gallien entstandenen Glashütten ^ )
manche auch während und nach der Völkerwanderung fortdauerten
und wenn sie sich auch nicht mehr auf der früheren Höhe und
Leistungsfähigkeit zu erhalten vermochten, doch die gewöhnlichen
Bedürfnisse der eingewanderten Stämme an Glas deckten. Es ist
zunächst der Bischof Isidor von Sevilla (f 636), welcher uns hier-
über den nöthigen Aufschluss gibt. Dieser Bischof sagt nämlich
in seinen „Origines et Etymologiae", nachdem er zuVor die An-
gaben des Plinius über das Glas excerpirt hatte, wörtlich also:^)
„Einst wurde sowohl in Italien wie in Gallien und Spanien ein
reines und weisses Glas erzeugt". Daraus, geht nicht hervor, dass
damals in Italien, Gallien und Spanien gar kein Glas mehr gemacht
wurde, wie Labarte und nach ihm Dr. Albert Hg 3) irrthümlich
schliesst, sondern nur, dass man in den genannten Ländern in der
ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts kein farblos durchsichtiges, kein
Kry stallglas mehr herzustellen verstand. Die specielle Hervorhebung
1) Plinius, Hist. Nat. lib. XXXVI, 194.
2) Lib. XVI, c. XX : Oliüi fiebat et in Italia et per Gallias et Hispa-
mam . , . vitrum purum et candidum.
3) Die Glasindustrie, ihre Geschichte, gegenwärtige Entwicklung und Sta-
tistik. In Gemeinschaft mit Dr. Albert II g und Wendelin Böheim, heraus-
gegeben von L. Lobmeyr. Stuttgart, W. Spemann, 1874, S. 46.
— 3 —
dieser einen Glassorte gesteht stillschweigend zu, dass man dort
farbiges, ambragelbes, grünes und ähnliches Glas noch gar wohl
zu erzeugen wusste. Wie hätte dies auch anders sein können I
Die Produkte aus Glas, welche seit alten Zeiten durch phönizische
und römische Kaufleute bis nach England *) und an die nörd-
lichen Küsten von Deutschland gebracht worden sind, hatten sich
so sehr in die Lebensgewohnheiten der Barbaren verflochten, dass
sie nicht so leicht mehr entbehrt werden konnten. Man findet
daher auch häufig am Rheine roh geschnittene Gläser aus dem
Ende des 5 . und zum Theil schon aus dem Anfange des 6. Jahr-
hunderts, welche das Fortbestehen der Glasfabrikation nach dem
Sturze des weströmischen Reiches augenscheinlich beweisen 2); noch
mehr, sie beweisen sogar das Fortleben der Glasraffinerie, welche
doch viel entbehrlicher gewesen wäre als die Glasmacherei selbst.
Die letztere lieferte damals in Gallien noch ganz ordentliche Ar-
beiten, wie man z. B. an einigen doppeltgehenkelten gläsernen
Grabkelchen 3) mit angesetzten Knöpfen und anderen, in fränkisch-
alemanischen Gräbern gefundenen Gläsern*) ersehen kann.
Dass mit der Renaissance der Kunst, welche das Zeitalter
Carls des Grossen bezeichnet, auch die Glasindustrie einen neuen
Aufschwung nahm, lässt sich kaum in Abrede stellen. Es mögen
dazu die in Folge des Bilderverbotes aus Konstantinopel nach
Italien geflüchteten Künstler Einiges beigetragen haben. Wie dem
aber auch sei, jedenfalls bezeugen gelegentliche Erwähnungen von
Glasgefässen das Fortbestehen unserer Industrie im 9. Jahrhundert.
So wird in der um 834 geschriebenen Chronik der Abtei von
Fontanellum erzählt, dass im Jahre 823 Abt Ansigisus seinem
Kloster zwei mit Gold verzierte Schalen und einen sehr schönen
Humpen aus Glas geschenkt habe^). Ja damals war zur Her-
stellung von kirchlichen Gebrauchsgegenständen eine thätige Glas-
1) Strabo, IV, 192.
2) Ernst aus'm Werth, Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden
im Rheinlande, Heft LXIII, p. 99, Taf. IV u. V; Heft LXIX, S. 49, Täf. I-VI.
3) Ernst aus'm Werth, Jahrbuch., a. a. O. Heft LXIV. p. 119, Taf. X.
^) Lindenschmitt, die Alterthümer unserer heidn. Vorzeit, Bd. II u. III.
^') Labarte, 1. c. III. p. 373: »cuppas vitreas auro omatas duas*;
j^hanapum vitreum Optimum unum*.
I*
— 4 —
Industrie unumgänglich nothwendig ; denn noch bediente man sich
an vielen Orten gläserner Kelche und Patenen, bis dieselben im
Jahre 813 durch das Concil zu Rheims feierlich verboten wurden * ).
Aber selbst dieses kirchliche Verbot vermochte sie nicht sofort zu
beseitigen; denn noch Thangmar erzählt uns im Leben des heil.
Bernhard 2), dass dieser einen gläsernen Kelch habe machen lassen,
und von Kaiser Heinrich II. hören wir, dass er einen Glaskelch an
die Kirche des hl. Vitus in Verdun geschenkt habe 3).
In der folgenden Zeit wurde unsere Industrie durch die
Mönche, diese Pioniere der Cultur im frühen Mittelalter, fast in
alle nördlichen Länder getrag;en. In Deutschland gingen in dieser
Beziehung namentlich die Klöster St. Gallen, Reichenau, Fulda,
Benedictbeuern, Tegemsee ruhmvoll voran. Die grosse Anzahl von
Kirchen, deren Bau der fromme Eifer der massenhaft zum Chri-
stenthum bekehrten Barbaren nothwendig machte, erforderten zum
Verschlusse ihrer Fenster eine bedeutende Menge von Glastafeln,
durch deren Erzeugung wenigstens der Schmelzprocess in Kennt-
niss erhalten wurde; ja die grosse Nachfrage nach dem seit den
Tagen des Gregor von Tours, des Fortunatus von Poitiers u. A.
unaufhörlich hergestellten Fensterglase musste nach und nach auch
Fortschritte und Erfindungen herbeiführen. In der That hören wir,
dass bereits im Jahre 999 die Kirche der Abtei Tegernsee durch
den Grafen Arnold mit gemalten Glasfenstern beschenkt wurde*).
Aber auch Glasgefässe werden aus jener Zeit gelegentlich erwähnt.
So sagt in der, im ersten Drittel des 1 1 . Jahrhunderts geschriebenen
Fortsetzung der Geschichte St. Gallens der Mönch Ekkehard von
den Glasgefässen, welche der im Jahre 890 zum Abt erhobene
Salomon besessen hat, dass sie mehr bewundert worden seien, als
selbst die Kunstwerke aus Gold und Silber^).
') Siehe meinen Aufsatz : ^^Glaskelche und Glaspalenen*. (Wartburg, Organ
des Münchener Alterthumsvereines, 1879, Nr. 8—10.
2) c. 8.
*^) Gest. episc. Verdun. Bei Pertz, Mon. Hist. Germ. IV., p. 49.
*) Vgl. Dr. Sepp, Ursprung der Glasmalerkunst im Kloster Tegernsee.
München und Leipzig, Hirth 1881.
^) CasuumS. Galli continuatio auctore Ekkehardo IV., ap. Pertz, Monum.
Germ. t. II, p. 84.
— 5 -
Im 12. Jahrhundert finden wir die Kenntniss der Glasfabri-
kation bereits über ganz Europa verbreitet. In den dieser Zeit
angehörigen Werken des Heraclius*) und Theophilus') werden
Vorschriften zur Herstellung sowohl von Gefassen wie von Fen-
Stern gegeben. Auch ist in ihnen eine Reihe von Recepten
zur Erzeugung farbigen Glases sowie zur Bereitung künstlicher
Steine enthalten. Theophilus lobt speciell die Geschicklichkeit der
Franken im Glasfache. Immerhin mögen die damals im europäi-
schen Abendlande erzeugten Glasgefasse kunstlos gewesen sein,
gemacht aber wurden solche ohne Zweifel und zwar zu den ver-
schiedensten Zwecken. So erfahren wir aus dem interessanten saty-
rischen Gedichte des Nigel Wereker, »Brunellus« betitelt, aus dem
Ende des 13. Jahrhunderts, dass ein Kaufmann aus London in
Salerno gläserne Gefasse — vitrea vasa — für Apothekerwaaren
feilhielt^). In der Kleider-Ordnung aus dem 28. Regierungsjahre
Eduards I. von England, also aus dem Jahre 1300, werden zwei
gläserne Nachttöpfe — urinalia vitrea — zum königlichen Ge-
brauche erwähnt*). In England, wohin der Bischof Benedict bereits
im 7. Jahrhundert geschickte Tafelglasmacher gebracht hat^),
scheint diese Kunst von da an nicht mehr erloschen zu sein, wenn
sie -auch ein ziemlich kümmerliches Leben fristete. Dort erfahren wir
sogar die Namen einiger Glasmacher, eines Robert, Matthew,
Henry mit dem jedesmaligen Zusatz »le Verrer«, welche am
Ende des 13. Jahrhunderts in Colchester lebten und unter die vor-
nehmsten Bürger der Stadt gehörten ß). Freilich diese und noch
spätere Erwähnungen beziehen sich durchgehends auf das Fenster-
glas; von der Ausübung der Gefasskunst hören wir in England
vor dem 16. Jahrhundert nichts.
1) Von den Farben und Künsten der Römer. Herausgegeben von Dr.
Alb. Ilg. [IV. Band der .Quellenschriften zur Kunstgeschichte und Kunsttechnik*.]
2) Schedula diversarum artium. Herausgegeben von Dr. Alb. Ilg. [VII Bd.
der »Quellenschriften etc*].
3) Nesbytt. Preface zu: Catalogue of the Collection of glass formedby
Felix Slade, p. XXXI.
*) Nesbytt, 1. c.
5) Nesbytt, 1. c. p. XXII.
6) Nesbytt, 1. c. p. XXXII.
— 6 —
Etwas mehr Licht liegt über der spätmittelalterlichen Ge-
schichte der Glasindustrie in Frankreich*). Schon am Ende des
13. Jahrhunderts gab es dort nach der Kleider-Ordnung für Paris
vom Jahre 1299 einige Bouteillenfabrikanten , wenn diese sonst
in Glas gearbeitet haben 2). Weit interessanter ist das Patent, durch
welches Humbert, Dauphin von Viennois, im Jahre 1338 einem
gewissen Quionet, der im Besitze der Geheimnisse der Glasfabri-
kation war, einen Theil des Forstes von Chamborant überliess,
damit derselbe dort eine Glashütte errichten konnte. Hiefür musste
sich aber Guionet verpflichten, dem Dauphin jährlich für seinen Haus-
halt im Ganzen 31 51 verschiedene Gläser zu liefern und zwar:
100 Dutzend Gläser in Glockenform, 12 Dutzend kleine trichter-
förmige Gläser^), 20 Dutzend Humpen oder Becher mit Fuss,
1 2 Dutzend Amphoren, 36 Dutzend Nachttöpfe, 1 2 Dutzend grosse
Näpfe, 6 Dutzend Schüsseln, 6 Dutzend Schüsseln ohne Rand,
12 Dutzend Töpfe, 12 Dutzend Kannen, 12 Dutzend kleine Ge-
fasse, genannt »gottelles«, i Dutzend Salzgefässe, 20 Dutzend
Lampen, 6 Dutzend Leuchter, i Dutzend weite Tassen, i Dutzend
kleine Fälschen, ein grosses Schiff und sechs grosse Flaschen zum
Transportiren des Weines^). Um solche Abgaben leisten zu können,
muss Guionet in der That ein geschickter Glasmacher gewesen sein.
Dass damals die Glasindustrie in Frankreich bereits einige
Bedeutung hatte, geht auch daraus hervor, dass die Glasmacher
als adelig anerkannt wurden und dieselben Rechte, Freiheiten und
Privilegien wie die Edelgebornen genossen ^). Vielleicht war diese
hohe Achtung, in welcher die Glasmacher standen, mit Ursache
') Vgl. Le Vaillant de la Fieffe, Les Verreries de Normandie.
Rouen 1873. — Turgan, Les grandes usines. Etudes industrielles en France et
ä l'Etranger. Paris 1863 -—1868. — Beaupre, les Gentilshommes-Verriers de
Lorraine. Nancy, 1847, ff« ^' A.
2) Lab arte, 1. c. III, p. 374.
^) Diese Gläser finden sich schon zur fränkisch- alamanischen Zeit überall
in Europa. Einige Abbildungen siehe bei VioUet-Le-Duc, Dictionnaire rai-
sonn^ du mobilier frangais, tom. II. p. 164 und bei Lindenschmitt, a. a. O.
*) Legrand d'Aussy, Histoire de la vie privee des Fran^ais. Paris
1782, t. IQ, p. 185, angeführt von Labarte und Nesbytt.
■^) Labarte, 1. c. p. 375.
— 7 —
*
Sache, dass unter Carl VI. (1380 — 1422) ein regeres Streben ent-
stand und verschiedene Glasmacher, ein Guillaume (le voirrier),
ein Jehan (le voirrier) aus dem Forste Dotte, die Glasmacher
aus dem Forste von Chevreuze u. s. w.„ sich durch Überreichen
ihrer Leistungen die Gunst des Königs zu gewinnen suchten, wie
die königl. Rechnungen aus dem Ende des 14. Jahrhunderts aus-
weisen ' ). Allein trotz alledem bedurfte die französische Glasindu-
strie erst einer kräftigen Anregung von aussen, um sich auf eine
höhere Stufe emporheben zu können.
Am weitesten scheint im 14. Jahrhundert die flandrische
Glasfabrikation vorgeschritten gewesen zu sein; denn man kann
aus einigen Beschreibungen in alten Inventaren entnehmen, dass
dort sogar wirkliche Luxusgläser erzeugt wurden. So liest man in
dem Inventar Karls V. von Frankreich vom Jahre 1379: »Ung
gobelet de voirre blant de Fl andres, garny d*argent«. Es war
also ein Becher aus farblosem Glase, welcher für würdig gehalten
worden war, in Silber gefasst zu werden. J. Houdoy^) vermuthet
daher nicht mit Unrecht, dass unter den zahlreichen Gegenständen
aus farblosem und farbigem Glase, welche in den Inventaren der
burgundischen Herzoge, namentlich in jenem Karls des Kühnen
vom Jahre 1477 aufgeführt werden, viele aus flandrischen Fabriken
hervorgegangen sein mögen. Diese Vermuthung wird mehr als
wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass die Zahlmeister, welche
diese Inventare redigirt haben, an die Beschreibung fremder Gläser
häufig die Herkunft derselben anfügten, wie z.B. »de Venise«,
»ä la fagon de Damas«. Dies scheint nämlich anzudeuten, dass
jene Gläser, bei welchen eine solche Angabe fehlt,- aus den hei-
mischen Fabriken stammten. Eine solche Fabrik muss im 15. Jahr-
hundert in Lille gestanden haben; denn man liest unter den Aus-
gaben Philipps des Guten zur Dekorirung eines Saales im Stadt-
hause zu Lille auch Zahlungen an einen gewissen Gossuin de
Vieuglise, »maitre voirrier« zu Lille, und zwar für die Lieferung
von Gläsern, welche mit dem Wappen des Herzogs und seinem
^) Labarte, 1. c. p. 375.
-) Verrerie ä la fagon de Venise. La fabrication flamande d'apr^s des
documents inedits. Paris, Lüle, Bruxelles, p. 3.
— 8 —
Orden vom goldenen Vliesse, jedenfalls in Gold, geschmückt waren ;
ferner für eine Fontaine aus Glas, welche in dem genannten Saale
aufgestellt wurde, und endlich für vier gläserne Schüsseln*).
Ich komme, freilich nur kurz, zu Deutschland zurück. Wie
kaum anders zu erwarten, fliessen hier die Nachrichten über die
spätmittelalterliche Glasindustrie sehr spärlich. Aber die gelegent-
lichen Erwähnungen von Wald- und Feldglas, welche sich in den
Urkunden finden, geben einen Fingerzeig, dass sich die damaligen
Glashütten hauptsächlich in den waldreichen Gebirgsgegenden, im
Spessart, Fichtelgebirge, Thüringer Walde, sächsischen Erzgebirge,
Böhmerwalde u. s. w. befanden. Ich werde später auf alle diese
Hütten zurückkommen. Ihre Produkte scheinen vor dem i6. Jahr-
hundert im Allgemeinen von sehr gewöhnlicher Art sowohl in
Bezug auf die Form wie hinsichtlich der Reinheit und Farbe der
Masse gewesen zu sein. Flaschen und Trinkbecher finden sich in
Manuscripten und in den ersten gedruckten Büchern abgebildet.
So ist in dem »OrtusSanitatis«, welcher im Jahre 1511 in Venedig
gedruckt wurde, der Artikel »Vinumc durch einen Holzschnitt
illustrirt, welcher einen aus einem Glasbecher trinkenden Mann
und eine vor ihm stehende Flasche zeigt. Dass diese Gef^sse
Gläser sein sollen, geht aus dem starken Schatten hervor, durch
welchen die Flüssigkeit angedeutet ist, und die Holzschnitte dieser
Ausgabe scheinen deutschen Ursprungs zu sein 2). Die betreffende
langhalsige Flasche ist nicht unelegant in der Form*, aber, wie
schon Eingangs gesagt worden ist, ein regeres Streben nach künst-
lerischer Schönheit der Produkte kommt in die Glasindustrie der
nördlichen Länder erst am Beginne des 16. Jahrhunderts 3).
*) Houdoy, 1. c. p. 4.
2) Nesbytt, 1. c. p. XLV flf.
3) Einen richtigen Begriff von der damaligen deutschen Glasindustrie
wird freilich erst der bekommen, welcher die nachfolgenden Abschnitte liest.
_ 9 —
Damals stand die venetianische Glasindustrie bereits auf dem
Gipfelpunkte ihres Ruhmes. Ihre Erzeugnisse wurden zu Wasser
und zu Lande in die fernsten Gegenden verfrachtet und überall
zu enormen Preisen abgesetzt. »Das venetianische Glas«, sagt um
die Mitte des 1 6. Jahrhunderts der böhmische Pfarrer Mathesius ^ ),
»ist heutzutage in aller Welt beschrien; denn da macht man die
schönsten Trinkgeschirre, die klarsten Fensterscheiben, die hellsten
Brillengläser, wie man auch Tafelglas da pressen soll, durch das
man aus einem Gemache Alles auf der Gassen sehen kann<.
Venedig zeichnete sich also damals in gleicher Weise durch
sein Hohlglas wie durch seine Fensterscheiben und optischen
Gläser aus; nur in der Spiegelfabrikation stand es hinter Deutsch-
land und Flandern noch zurück. ^) Im Uebrigen aber rühmt der
eben genannte Autor die venetianischen Glasmacher afs die sub-
tilsten und künstlerischesten, die es gibt. Sie hatten, sagt er,
Lust und Gefallen zu schönen und klaren Gläsern, die schlecht
und zirkelrecht waren, und thaten sich namentlich durch die Accu-
ratesse in ihren Arbeiten hervor, wie man an den Warzen und
Böden ihrer Gefösse, an den Nabeln der Butzenscheiben und
Anderem sehen konnte. Sie machten ganze Service, welche die
grossen Herren um theures Geld erwarben, und fertigten aus Glas
Schlösser, Häuser und Instrumente, die lieblich zu sehen und von
subtilen Stimmen waren. Mathesius steht mit diesem Lobe nicht
allein da. Alle Reisenden, welche Venedig besuchten, wie Ber-
trandon de la Brocqui^re (1432), Bruder Felix Faber von Ulm
(1484), William Wey (f 1474) sprechen ebenfalls voll Bewunde-
rung von den venetianischen Glasmachern und ihren Produkten.
Der Bologneser Mönch Leandro Alberti, welcher in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Murano kam, sagt, dass damals
auf der Insel 24 Glashütten in Betrieb standen. Er beschreibt
^eine gläserne Galeere von der Länge einer Elle mit vollständigem
Takelwerk und eine Orgel, welche sehr melodiöse Töne von sich
gab. Noch überschwänglicher ist das Lob, welches Marcantonio
') Sarepta oder Bergpostill. Nürnberg, 1582. 15. Predigt: ,Vom Glass-
machen.*
^) J. Houdoy, 1. c, p. 4.
— lO —
Coccio Sabellico in seinem um 1495 geschriebenen Werke:
»De situ Venetae urbis«, der Insel und ihren Glasmachern spendet.
Er lobt zunächst das helle Krystallglas und erzählt, wie der
rührige Geist der Leute niemals stille stand, sondern immer etwas
Neues zu erfinden strebte, bis er es dahin brachte, dem Stoffe
tausend Farben und unzählige Formen zu geben. Unter diesen
Formen werden erwähnt: Becher, Schalen, Kannen, Becken, Krüge,
Kandelaber, alle Arten von Thieren, Homer u.s.w. Alle menschlichen
Wonnen, sagt er, würden aus dem Glasstoffe hergestellt und was
nur immer das Auge der Sterblichen ergötzen könne ^ es gebe keinen
kostbaren Stein, der nicht nachgeahmt würde, ja selbst die blu-
migen Wiesen des Frühlings würden in Glaskugeln eingeschlossen * ).
Es lohnt sich der Mühe, einen flüchtigen Blick auf die
EntwickluSig der venetianischen Glasindustrie zu werfen, um zu
sehen, wie sich dieselbe zu dieser Höhe emporschwang. Ihr
Ursprung liegt im Dunkeln. Die einen glauben, sie sei von den
vor Attila im 5. Jahrhundert aus dem Festlande nach den Lagu-
nen Flüchtenden mitgebracht worden und folglich so alt wie die
Stadt; Andere dagegen behaupten, sie sei erst in einer viel spä-
teren Zeit von den Byzantinern erlernt worden. Vor dem 13.
Jahrhundert fehlen alle Beweise dafür, dass in Venedig eine
Glasindustrie von Bedeutung vorhanden war, mit Ausnahme der
Mosaiken von Murano, Torcello und San Marco, von denen das
in der Kirche des hl. Cyprian auf Murano 882 vollendet wurde.
Diese können aber nur wenig in Betracht kommen, da es nicht
ausgemacht ist, ob die Glaswürfel hiezu aus byzantinischen oder
venetianischen Glashütten kamen. Jedenfalls kann im 11. Jahr-
hundert die venetianische Glasindustrie noch nicht berühmt ge-
wesen sein, da der Abt Desiderius von Monte Casino nicht nach
Venedig, sondern nach Constantinopel um Mosaikarbeiter sandte.
Allein es muss auf der anderen Seite auch eingeräumt werden,
dass das gewaltige Unternehmen, das Innere des Markusdomes
mit Glasmosaiken zu überziehen, jedenfalls epochemachend ge-
wesen sein wird. Dasselbe konnte nicht verfehlen, einer etwa
schon bestehenden Glasfabrikation die grösste Anregung zu geben
J) Nesbytt, 1. c, p. XXXVHI.
— II —
oder, im Falle Venedig noch keine Glashütte besass, die Augen
der anwesenden griechischen Künstler und Werkleute auf die
zum Betrieb einer Glashütte günstige Lage der Stadt, welche
feinen Sand und Seepflanzen, deren Asche das Alkali lieferte, in
Ueberfluss hatte, zu lenken.
Eine weitere Gelegenheit, sich die Kenntniss der von den
griechischen Glaskünstlern geübten Techniken anzueignen^, soll
den Venetianern die Eroberung Constantinopels im Jahre 1204
geboten haben, was indess, wie sich später zeigen wird, als Irr-
thum angesehen werden muss. Ein halbes Jahrhundert später
(1268) bildeten die Glasmacher Venedigs bereits eine Zunft,
welche an der bei der Wahl des Dogen Lorenzo Tiepolo veran-
stalteten Prozession der Kaufleute theilnahm. Im Jahre 1283
werden unter den Glasmachern >butteliarii< und »phyalarii« —
Flaschenmacher — erwähnt. Diese scheinen den Anfang der >fab-
briche di vassellani o recipiendi di vetro e cristallo«, die Fabri-
ken von Krystallglasgefässen zu bezeichnen, welche sich fortan
von jenen Hütten unterschieden, die der Kunst des Perlen- und
Edelsteinmachens, der >arte del perlaio<, >arte del margaritaioc
oblagen. Acht Jahre früher (1275) ist bereits durch ein Gesetz
die Ausfuhr des Sandes und anderer zum Glasmachen nöthiger
Substanzen aus Venedig verboten worden. Gegen das Ende des
13. Jahrhunderts hin hatten sich die Glasfabriken in der Stadt
so vermehrt, dass dieselbe fortwährend Feuersbrünsten ausgesetzt
war. Ein Erlass des Grossen Rathes verbot daher im Jahre 1289
jedem, der nicht Besitzer des betreffenden Hauses war, im Innern
der Stadt eine Glashütte zu errichten. Aber auch diese Aus-
nahme zu Gunsten der Hauseigenthümer wurde am 8. November
1291 aufgehoben und verordnet, dass alle Glasfabriken, welche
im Innern der Stadt existirten, abgerissen und vor die Stadt
hinaus verlegt werden sollten. Dieser Erlass wurde zwar am
II. August 1292 insoweit etwas gemildert, dass den Erzeugern
von kleinen Glaswaaren, den iverixelli« oder den >fabbriche di
conterie< gestattet wurde, ihre Werkstätten innerhalb der Stadt,
aber 15 Schritte von den Häusern entfernt, zu errichten. Trotz-
dem scheint derselbe den Grund zu dem Ruhme Murano's gelegt
— 12 —
ZU haben, wenn auch feststeht, dass auf dieser Insel schon im
Jahre 1255 ^^^s gemacht worden ist.
Wenn auch die »butteliariic und »phyalarii«, wie wir sahen,
schon im 13. Jahrhundert auftraten, so scheint doch noch wäh-
rend des ganzen 14. Jahrhunderts hauptsächlich die Herstellung
von falschen Perlen, künstlichen Steinen und sonstigen Glas-
kleinodien geblüht zu haben. Als Erfinder der falschen Perlen —
. margarite — gelten Christoforo Briani und Domenico Miotti,
welche sich zugleich auf die Nachahmung der edlen Steine ver-
legten. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts scheinen diese Con-
teriewaaren bereits einen bedeutenden Handelsartikel gebildet zu
haben. So werden in dem Tarif, welchen Margaretha, Gräfin
von Flandern, im Jahre 1252 für alle nach Damm, dem Hafen
von Brügge, ijnportirten Güter erlassen hat, auch venetianische
Glasringe erwähnt. Am meisten aber haben zur Ausbreitung des
venetianischen Glashandels, wie Labarte mit Recht annimmt, die
Beziehungen beigetragen, welche der berühmte Marco Polo wäh-
rend seines Aufenthaltes im Innern Asiens, an den Ufern und
auf den Inseln des indischen Oceans und im persischen Meer-
busen angeknüpft hat. Als er im Jahre 1295 zurückkehrte,
machte er seine Landsleute mit den Sitten der Völker bekannt,
welche jene weiten Strecken bewohnten, und schilderte ihnen den
speciellen Geschmack, den dieselben für Perlen, farbige Steine
und Kleinodien jeder Art zur Schau trügen, indem sie damit sich
und ihre Kleider zu schmücken liebten. Dies entflammte selbst-
verständlich den Eifer für die Perlen- und Steinfabrikation und
bald hernach unternahm der schon genannte Domenico Miotti
mit grossem Erfolge eine Expedition nach Bassora. Es dauerte
nicht lange und die venetianischen Glasperlen und Steine hatten
Aegypten, Aethiopien, Abessynien, die Küsten von Westafrika,
Centralasien, Indien bis gegen China hin erobert und trugen den
Unternehmern und der Republik grosse Reichthümer ein.
Man hat gedacht, dass durch diese gewinnbringenden Unter-
nehmungen die Gefassbildnerei in ihrer Entwicklung etwas auf-
gehalten worden sei, zumal bis jetzt kein einziges Glasgefäss aus
Venedig, weder ein wirkliches noch ein beschriebenes bemerkt
— 13 —
worden ist, welches dem 13. oder 14. Jahrhundert angehörte.
Daher hat Labarte die Vermuthung aufgestellt, dass die Glas-
sachen, welche venetianische Schiffe im Jahre 1394 dem Herzog
Philipp dem Guten von Burgund lieferten, byzantinische Arbeiten
gewesen sein mögen. Allein das ist sicher ein grosser Irrthum,
da die Byzantiner damals gewiss keine Bedeutung in der Glas-
branche mehr hatten, wenn überhaupt je. Das Wenige, was sie
zu leisten vermochten, hatten ihnen die Venetianer bei der Er-
oberung Constantinopels im Jahre 1204 ohne Zweifel abgelernt,
so dass sie im 14. Jahrhundert schwerlich mehr aus Byzanz Glas-
gefässe zu beziehen brauchten. Doch das nebenbei.
Der ausgebreitete Handel mit den Conteriewaaren hat die
Gefässbildnerei nicht nur nicht aufgehalten, sondern sogar den
Grund zur raschen Entwicklung derselben gelegt. Durch diese
Handelsreisen haben nämlich die Venetianer die Bekanntschaft
mit den sich seit den Tagen des Alterthums erhaltenen Glas-
fabriken des Orients gemacht und deren Arbeitsweise und Tech-
niken -kennen lernen. Während bis dahin die meisten Luxus-
gläser aus dem Oriente bezogen worden waren, wurden diese
seitdem in Venedig mit Erfolg nachgeahmt und alle jene, in den
Inventaren erwähnten Gläser »ä la fagon de Damas< sind, wie ich
später zeigen werde, venetianische Arbeiten. Der Orient mit
seinen herrlichen Glasgefslssen, welche durch Emailmalerei oder
Schliff verziert wurden, war in der That der beste Lehrmeister
für Venedig. Unter seinem Einflüsse erhob sich hier die Glas-
industrie bald zu solchem Ansehen, dass der Hohe Rath anfing,
ihr sein specielles Augenmerk zuzuwenden. Schon am 22. Dez.
1376 verordnete ein Erlass, dass die Kinder, welche aus der Ehe
eines Adeligen mit der Tochter eines »vetrajoc — Glasmachers —
hervorgingen, als adelig angesehen werden sollten, und am 15.
März 1383 wurde eine Anzahl von Bestimmungen getroffen,
welche den Zweck hatten, »dass die so vornehme Kunst in
Murano sich aufrecht halte und fortbestehe«.') Auch das lebhaft
erwachte Studium der Ueberreste des Alterthums wirkte zur Ent-
');».. ut ars tarn nobilis stet et permaneat in loco Muriani,*
— 14 —
Wicklung der venetianischen Glasindustrie, wenigstens im 15.
Jahrhundert fördernd mit. Im Jahre 1441 wurden die Statuten
der Flaschenmacher — pbioleri — , der Hauptzunft der Glasmacher in
Venedig, erneuert. Zu den hervorragendsten Mitgliedern dieser
Zunft zählten damals Don Paolo Godi von Pergola und sein
Schüler Angelo Beroviero. Des Letzteren Glashütte aufMurano
hatte einen Engel als Schild. In der Grabschrift dieses, dem
Ende des 15. Jahrhunderts angehörigen Künstlers in St. Stefano
di Murano heisst es, dass ihm Alles offenbar war, was in der
Glaskunst verborgen lag. Sein Schüler, ein gewisser Giorgio, mit
dem Spottnamen il Ballerino, soll das Receptbuch seines Meisters
copirt, einem anderen Meister verkauft und so sich die Mittel
versdiafFt haben, skh in der Hütte des Letzteren selbständig
niederzulassen. Er wurde das Haupt der Ballerini. Marino
Beroviero, der Sohn des Angelo, wurde im Jahre 1468 Zunft-
meister — gastaldo — der >phioleri<. Von ihm wird berichtet, dass
ihm und seiner Familie der gewaltige Fortschritt, welchen die
Glasfabrikation im 15. Jahrhundert auf Murano machte, zum
grossen Theile zuzuschreiben sei.
Mit dieser höheren Entwicklung der Glasindustrie gingen
Hand in Hand die erneuerten und erweiterten Privilegien, welche
der Grosse Rath den Glasmachern gewährte. Im Jahre 1445 ge-
stattete er ihnen die Wahl eines Kanzlers — cancelliere pretorio —
welchem die Gerichtsbarkeit auf Murano, und eines Delegirten bei
der Regierung, welchem die den Handel interessirenden Ange-
legenheiten oblagen. Im Jahre 1502 wurde der unter dem Namen
>Statuto di Murano < bekannte Gesetzescodex, durch welchen der
Insel Murano eine eigene civile, gerichtliche und administrative
Verwaltung gegeben wurde, durch den Grossen Rath bestätigt.
Die darin enthaltenen Bestimmungen blieben bis zum Untergange
der Republik in Kraft. Dafür aber wurde jedem Glasmacher
strengstens verboten, sich in der Fremde niederzulassen. Dieses
Verbot scheint ziemlich weit zurückzureichen, wurde aber später
als nicht ausreichend befunden, obwohl am 13. Febr. 1490 der
Vorsitzende des Raths der Zehn die Oberaufsicht über die Fabri-
ken Murano's übernommen und am 27. Okt. 1 547 der Rath sich
— 15 — .
die Sorge der Bewachung der Hütten vorbehalten hatte, um zu
verhindern, dass die Kunst des Glasmachens in die Fremde »ver-
schleppt« wtirde. Daher nahm die Staatsinquisition im 26. Artikel
ihrer Statuten folgende Bestimmungen auf: »Wenn ein Arbeiter
seine Kunst zum Schaden der Republik in ein fremdes Land
trägt, soll ihm der Befehl zur Rückkehr zugehen^ gehorcht er
nicht, sollen seine nächsten Verwandten eingekerkert werden;
wenn er trotz der Einkerkerung seiner Verwandten trotzig in der
Fremde bleiben will, wird man ihm einen Emissär, mit der Weisung
nachsenden, ihn aus der Welt zu schaffen.« Und diess blieb
kein todter Buchstabe, sondern es sind zwei Fälle constatirt, in
denen wirklich fortgezogene Glaskünstler ermordet wurden.
Doch ich kehre zu der Glas Fabrikation des 15. Jahrhunderts
zurück. Allem Anscheine nach besass dieselbe damals ihre
Hauptstärke in der Herstellung farbiger, namentlich grüner, blauer,
purpurner , ambragelber , rubinrother und milchweisser Gläser,
welche durch Emailmalerei und Vergoldung geschmückt wurden.
Auch marmorirte und goldgesprengelte Gläser kannte man im
15. Jahrhundert bereits. Hierin zeigt sich- hauptsächlich der
orientalische Einfluss zur Wirkung gekommen. Diese Gläser sind
auch noch massiver als jene des 16. Jahrhunderts. Einige sehr
hübsche Beispiele sind in dem »Catalogue of the CoUection of
glass formed by Felix Slade« abgebildet. *)
Um 1463 werden die farblos durchsichtigen Gläser bereits
in »cristallini« und in »comuni«, auch schlechtweg »vetro« genannt
unterschieden. Die ersteren vervollkommnen sich bald so sehr
dass sie schon gegen das Ende des 15., namentlich aber wäh
rend des 16. Jahrhunderts den höchsten Ruhm Venedigs aus
machten und fast in allen Ländern mit Gold aufgewogen wurden
Von ihnen spricht bereits Marcantonio Coccio Sabellico im Jahre
1495 und sie bildeten während des 16. und 17. Jahrhunderts
das Ziel der nach venetianischer Art in den nördlichen Ländern
errichteten Glasfabriken. Gleichzeitig mit ihnen, vielleicht schon
etwas früher, blühten die Millefiori- oder Mosaikgläser, von
p. 68-80 und plate XII, XUI,YIV. — Vgl. auch Labart ein, pLLXXII.
. — i6 —
denen der eben genannte Autor sagt, dass sie den Anschein
geben, als ob die verschiedenen Blumen, mit welchen im Früh-
ling die Wiesen besät sind, in sie eingeschlossen wären. Ebenso
ist das craquelirte oder Eisblumenglas eine Erfindung des l6.
Jahrhunderts. Dagegen lassen sich die geschnürlten Gläser, die
verschiedenen Arten des »vetro ditrina<: das »vetro di filigrana«,
das »vetro a ritorti« und das »vetro a reticelli« nicht vor der
Mitte des i6. Jahrhunderts nachweisen, wie ich später zeigen
werde, ja es ist nicht unmöglich, dass die Venetianer hiezu die
Anregung von den Deutschen erhielten.
-Im Jahre 1528 soll ein gewisser Andrea Vidaore die
Kunst, Perlen mittels der Pfeife herzustellen, erfunden haben,
während man vordem zu diesem Zwecke Stäbe gezogen hat,
welche oft eine Länge von 30 Ellen hatten. Die nach der neuen
Methode Arbeitenden erhielten den Namen »soffialume«, Lichter-
bläser. Ungefähr 50 Jahre früher, im Jahre 1507, hatten zwei
Einwohner von Murano, Andrea und Domenico Danzolo del
Gallo die Spiegelfabrikation nach deutsch -flandrischem Muster
eingeführt und hiezu ein ausschliessliches Privileg von 20 Jahren
erhalten. ' ) Dieselbe vermehrte sich bald so sehr, dass sie selbst
in Deutschland als Vorbild angesehen wurde. Viel hatte dazu
ein gewisser Vincenzo Roder beigetragen. Im Jahre 1571
bildeten die specchiaj schon eine Zunft mit eigenen Statuten und
Privilegien. Damals also hatten sich die Venetianer aller Zweige
der Glasindustrie bemächtigt, ja sie verstanden nach Mathesius
auch Glastafeln von grosser Reinheit zupressen, d.h. zu giessen^
es geschieht demnach mit Unrecht, wenn diese Erfindung dem
Franzosen Lucas de Nehou (1688) zugeschrieben wird.
Im Laufe des 17. Jahrhunderts hielt sich die venetianische
Glasindustrie in allen Zweigen auf der Höhe und setzte ihre Pro-
dukte in allen Ländern zu enormen Preisen ab. Noch am Ende
des 16. Jahrhunderts hatte die Glasmachergemeiode auf Murano
das Recht erhalten, jährlich eine Anzahl von Medaillen prägen
lassen zu dürfen, welche mit den Wappen des regierenden Dogen,
') J. Hondoy, 1. c, p. 4.
— 17 —
der Zunft, des Podestä, des Kämmerers und der 4 Deputirten
vonMurano versehen waren. Diese >oselle« wurden den Ortsbe-
hörden und einigen höheren Behörden der Republik zum Ge-
schenke gemacht. Wenn man ferner irgend einem Besucher ein
Geschenk machen wollte, blies man eine solche Medaille in den
Boden eines Gefässes ein und gab ihm dieses zum Andenken. Die erste
dieser >oselle Muranese< stammt aus dem Jahre 1581*, von da
an ist eine Lücke bis zum Jahre 1673; von 1673 bis 1796 ist
die Reihenfolge ununterbrochen erhalten.
Als im Jahre 1573 Heinrich III. von Frankreich nach Ve-
nedig kam, verlieh er fast allen Glasmachermeistern den Adel. Die
Glasmachergemeinde in Murano beschloss hierauf, nach dem Vorbilde
des adeligen >Libro d'oro« ebenfalls ein goldenes Buch anzulegen, in
welches die ursprünglichen Glasmacherfamilien eingeschrieben wer-
den sollten. Diesen Beschluss bestätigte der Senat am 20. Aug.
1602. Das betreffende Buch existirt noch. Man • liest darin
folgende Namen als diejenigen der ersten Glasmacher: Muro,
Seguso, Motta, Bigaglia, Miotto, Briani, Gazzabino, Vi-
stosi und Ballerino.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat die Glasfabrikation von
England, Frankreich, Deutschland und Böhmen erfolgreich mit
der venetianischen zu concurriren begonnen und dieselbe schliess-
lich ganz aus dem Felde geschlagen. Zwar gelang es einem
Muranesen, Giuseppe Briati, sich drei Jahre in Böhmen aufzu-
halten, die neuen Fabrikationsweisen kennen zu lernen und auf
dieser Grundlage nochmals einen kurzen Aufschwung der Glas-
industrie seiner Vaterstadt herbeizuführen. Mit seinem Tode aber
(f 1772) und mit dem Falle der Republik verfiel die venetia-
nische Glasindustrie, welche Jahrhunderte lang ein Gegenstand der
Bewunderung von ganz Europa gewesen war, vollständig.
— i8 —
Der venetianischen Glasindustrie gebührt aber nicht allein
der Rahm, Vorzügliches, ja in mancher Beziehung sogar das
Höchste geleistet zu haben, sie hat auch die Glasindustrien der
übrigen Länder wie ein Sauerteig durchdrungen und von Grund
aus umgestaltet. Wohl hatte derRath der Zehn selbst bei Todes-
strafe, ja sogar bei Strafe des Meuchelmordes jedes Verschleppen
der »ars tam nobilisc aus Venedig zu verhindern gesucht; wohl
sind Einige als Opfer dieses Gesetzes gefallen: aber der Drang
nach Freiheit kennt kein Hindemiss. Daher vermochten all
diese drakonischen und unmenschlichen Massregeln den Wander-
trieb der venetianischen Glasmacher mit nichten einzudänmien.
Ja es hat den Anschein, als ob gerade diese strengen Verbote es
gewesen wären, welche die Glaskünstler Murano's zum Hinaus-
tragen ihrer Kunst in alle Länder £uropa*s anspornten. Zunächst
scheinen sich dieselben nach den grösseren Städten Italiens ge-
wandt zu haben. Schon um die Mitte des 1 5. Jahrhunderts treffen
wir einen geschickten Glasmacher aus Murano, Namens Angeli
Borromeo, in Florenz. Derselbe scheint bis zum festgesetzten
Termin die mit der Republik eingegangenen Verbindlichkeiten
nicht gelöst zu haben; daher wurde ihm am 19. Okt. 1459 eine
Verlängerung der Frist zugestanden. *) Sicher handelte es sich
hier um die Errichtung einer Glashütte nach venetianischem
Master. In der nämlichen Stadt wurden am l^nde des 16. Jahr-
hunderts die berühmten Glasmacher Luna aus Venedig aufge-
nommen. Aus einer vonj. Houdoy ^) publicirten Urkunde vom
7. Januar 1623 erfahren wir, dass damals Florenz eine, Rom
zwei, Neapel, Mailand, Verona je eine Glashütte nach dem Vor-
bilde der venetianischen besassen. Manche dieser Fabriken, so-
wie diejenigen zu Rimini und St. Giuliano reichen bis zum An-
fange des 16. Jahrhunderts zurück.
Aber nicht bloss nach den Städten Italiens brachten die
venetianischen Glasmacher ihre Kunst; sie wanderten, zum Theil
von den Fürsten gerufen, zum Theil wohl auch aus Furcht, er-
') Labarte, 1. c. m., p. 381.
2) L c, p. 54-
— 19 —
mordet zu werden, weit nach Norden, nach Frankreich, den Nieder-
landen und bis in das Innerste von Deutschland, ja einer ist bis
nach Persien gekommen^. Bald erschien es als Ehrenpflicht eines
jeden Landes und Herrschers, sich eine Glashütte zu gründen,
welche, von einem Venetianer Künstler geleitet, Gläser in der
Art der venetianischen zu erzeugen strebte. Bekannt sind die
Anstrengungen, welche in dieser Beziehung die Könige Frankreichs
gemacht haben. So rief Heinrich II. einen Italiener, Namens
Theseo Mutio, nach Frankreich und etablirte ihn zu Saint-
Germain-en-Laye in der Absicht, dass durch Errichtung einer
Glashütte nach venetianischem Muster dem Lande das Geld er-
halten bliebe, das jährlich für Glaswaaren "nach Venedig wanderte.
Diese Glashütte scheint indess nicht lange nach dem Tode Hein-
rich*s II. wieder eingegangen zu sein. Aber Heinrich IV. erneuerte
den Versuch und etablirte je eine Glashütte zu Paris und Nevers,
von denen jene noch im Jahre 1623 bestand, wie aus der vorhin
angeführten Urkunde hervorgeht. *)- Im Jahre 1598 erlaubte
Heinrich IV. zwei adeligen Glasmachern, Vincent Busson und
Thomas Bartholdus aus Mantua, sich in Rouen zu etabliren,
und im Jahre 1605 gewährte er einem Frangois de Gar sonnet
ebenfalls ein Privileg. Ludwig XIV. endlich suchte Frankreich
mit der venetianischen Spiegelglasfabrikation zu beschenken und
verlieh zu diesem Zwecke einem Nicolas du Noyer ein aus-
schliessliches Privileg. Hand in Hand mit diesen von den Königen
eingeleiteten Unternehmungen scheinen solche von Privaten ge-
gangen zu sein; denn wir hören, dass zahlreiche Glashütten, welche
venetianische Gläser imitirten, sich am Anfang ,des 17. Jahrhun-
derts an der Grenze von Flandern, ferner zu Mdzi^res und in der
Dauphind erhoben hatten. *)
Einen weit glänzenderen Erfolg aber als in Frankreich
hatten derartige Versuche in den Niederlanden. Hier ist schon
unter Karl V. in Antwerpen eine Glashütte nach venetianischem
') J. Houdoy, 1. c, p. 54.
2) J, Houdoy, 1. c, Urkunden vom 26. Januar 1807; vom 7. Februar
161 1; von 1618.
2*
— 20 —
Muster eingerichtet und vom Kaiser mit weitgehenden Privilegien
ausgerüstet worden. Diese liessen sich die Nachfolger des unbe-
kannten Gründers, Ambrosio Mongarda, Philippo de Gri-
dolphi und Ferren te Morron immer wieder erneuem und
mehrfach erweitern. Im Jahre 1623 Hess sich ein venetianischer
Edelmann aus der altberühmten Glasmacherfamilie der Miotti, der
Hauptmann Antonio Miotti, von Philipp IV. ein ähnliches Pri-
vileg geben und erbaute hierauf eine Glashütte in Brüssel und
eine zweite in Namur. *) Beide standen im Jahre 1629 kalt.
In Folge dessen erbat sich der damalige Eigenthümer der Ant-
werpener Fabrik, Van Lemens, ein Privileg, welches ihn allein
ermächtigte, in den Niederlanden Glashütten zu erbauen, welche
sich mit der Nachahmung der Venetianergläser beschäftigten. Als
er im Jahre 1642 dasselbe an einen Gillet Collinet verkaufen
wollte, wurde es ihm entzogen und auf Giovanni Savonetti
übertragen, welcher in dessen Genuss bis 1653 blieb. Damals
wurde es zu Gunsten eines Francesco Savonetti erneuert.
Bald darauf aber erscheint Van Lemens wieder als Inhaber des
Privilegs, das er endlich 1658 auf Henry und Leonhard
Bonhomme übertragen Hess. Mit den zwei zuletzt Genannten
beginnen die einheimischen Glasmacher und wird der Zweck der
Fabriken ein anderer. Neben diesen Hütten that sich ferner eine
zu Lüttich errichtete eine Zeit lang durch die Schönheit ihrer
Nahahmungen der Venetianergläser hervor.*) Seit Giovanni Sa-
vonetti (1642) erzeugten diese Hütten auch venetianische Spiegel.
Für den letzteren Zweig der Glasfabrikation Hess sich endlich im
Jahre 1661 ein Josue Hennessel aus Lothringen ein Privileg
geben.
In den Niederlanden also blühten die Hütten nach venetia-
nischem Muster über 1 50 Jahre. Von der eigentlichen Bedeutung
dieser niederländischen Glasindustrie seit der Mitte des 16. Jahr-
hunderts vermögen wir uns erst eine richtige Vorstellung zu
machen, wenn wir bedenken, dass die dortigen Glaskünstler im
') J. Houdoy, 1. c, Urkunde vom 4« Sept. 1629.
2) J. Houdoy, 1. c, Urkunde vom 26. Jan. 1607.
— 21 —
Auslande ebenso gesucht waren wie die venetianischen. So be-
rief beispielsweise um das Jahr 1567 die Königin Elisabeth von
England den Anwerpener Jean Quarre mit mehreren anderen
Glasmachern nach London behufs Anlage einer Glashütte. ')
Diese wurde im Savoy-House am Strande errichtet. Einen zweiten
Antwerpener Glaskünstler berief Herzog Albrecht V. von Bayern;
von ihm wird später die Rede sein.
In England wurden Gläser nach venetianischer Art zuerst
in Crutched Friars gemacht und zwar durch einen Italiener, Namens
Jacob Vessaline, welcher seine Hütte im Jahre 1557 aufge-
richtet zu haben scheint.*) Zehn Jahre später berief, wie wir
eben hörten, die Königin Elisabeth den Antwerpener Jean Q uarre,
welcher indess keine Hohlglas-, sondern eine Spiegelglasfabrik
angelegt hat. In dem nämlichen Jahre erhielten DoUyne und
Carye von Antwerpen ein Privileg zum Glasmachen. Damit ver-
sehen, schlössen sie einen Contract mit Thomas und Balthasar
de Hamezel — wohl derselbe Familienname wie Hennezel — *
welche in einer Glashütte in den Vogesen in Lothringen wohnten,
dass sie, um Glas zu machen, nach London kommen sollten.
Allein es ist nicht gesagt, ob diese Hennezel oder Hamezel nach
venetianischer Art Glasgefässe oder bloss Fensterglas gemacht
haben. Im Jahre 1589 suchte ein George Longe um ein Pri-
vileg nach. In der betreffenden Eingabe wird gesagt, dass es
damals 15 Glashütten in England gab. Diese sollten nachLonge's
Ansicht auf zwei reducirt und andere in Irland gebaut werden.
Im Jahre 1615 erhielt Sir Robert Maunsell ein Privileg zum
Erzeugen und Handeln mit Glas. 1670 Hess der Herzog von
Buckingham Werkleute aus Venedig kommen und etablirte sie zu
Lambeth, wo sie eine Spiegelglasfabrik einrichteten. Endlich sind
im Jahre 1860 zu Buckholt die Reste einer dem 16. Jahrhundert
angehörigen Glashütte und dabei einige Produkte im Stile Mu-
rano*s aufgefunden worden. ^)
^) Labarte, 1. c. III, p. 398.
2) Nesbytt, 1. c, p. XLIX.
"') Nesbytt, l. c, p. L.
— 22 —
Etwas mehr wissen wir über die Bestrebungen, welche in
Deutschland zur Einführung der venetianischen Glasindustrie unter-
nommen wurden. Eines der interessantesten Documente ist in
dieser Beziehung der bereits berührte Vertrag des bayerischen
Herzogs Albrecht V. (15 50 — 1579) mit Bernhard Schwarz. ')
Dieser Vertrag verpflichtete den Antwerpener Glasmacher, in
Landshut an der Ringmauer einen Glasofen zu errichten und
einen deutschen Arbeiter in seiner Kunst zu unterweisen. Damals
bestanden, wie an anderen Orten Deutschlands, so auch im baye-
rischen und Böhmerwalde schon viele Glashütten. Aber all diese
Hütten waren nach der Aussage des Bernhard Schwarz schlecht
und unschön gebaut und verschlangen unverhältniss massig viel
Holz. Sie scheinen auch nur gewöhnliches Glas — »verres sim-
ples ou ordinaires« oder »gros allemands< , wie die aus Deutsch-
land, Böhmen, Lothringen u. s. w. nach den Niederlanden ge-
brachten Gläser in den Urkunden heissen — erzeugt zu haben;
denn sonst würde der Herzog schwerlich einen fremden Glas-
macher gerufen haben. Leider fehlen uns urkundliche Nachrich-
ten über dfen Erfolg, welchen Schwarz mit seinem Glasofen und
der geplanten Schleiferei erzielte. Es hat zwar etwas Verlocken-
des, die »feinen kleinen Trinkgläserlein«, aus denen man um das
Jahr 1562, wie Mathesius berichtet, in München die frischen
Weine aus Eppan zu trinken pflegte, mit dem durch Bernhard
Schwarz herbeigeführten Aufschwung der bayerischen Glasfabri-
kation in Verbindung zu bringen; allein es fehlt an sicheren Be-
weisen hiefür. Ebenso kann die Zurückfiihrung einiger Gläser
in Nymphenburg auf Schwarz einstweilen nur als Vermuthung gelten.
Uebrigens wenn die Resultate des Bernhard Schwarz keine
befriedigenden gewesen wären, dann hätte der Nachfolger Albrecht's,
Wilhelm V. (1579 — 1597)» schwerlich abermals einen Fremden,
den Italiener Giovanni Scarpaggiato, mit einigen, des Glas-
scheiben- und Spiegelmachens kundigen Meistern kommen lassen
') Dr. J. Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bayerischen Hofe
unter Albrecht V. und Wilhelm V. [Quellenßchriften zur Kunstgeschichte, Bd.
Vm, S. 129—132].
- 23 —
und mit ihm am 5. Nov. 15 84 einen Vertrag abgeschlossen,
durch welchen Scarpaggiato sich verpflichten musste, ein Schmelz-
werk für Glasscheiben und Spiegel zu bauen, dasselbe in Schwung,
d. h. in Betrieb zu bringen und sein Können »die Teutschen, so
ihm arbeiten, zu lehren c^)
Wie also Albrecht V. die Hohlglasindustrie in die Höhe
zu bringen suchte, so Wilhelm V. die Tafel- und Spiegelglasfabri-
kation. Die letztere war zwar ein halbes Jahrhundert früher in
Deutschland und in den Niederlanden ziemlich hoch entwickelt,
während sie in Venedig im Jahre 1 507 entweder noch ganz un-
bekannt war oder doch erst im Keime lag. ^) Aber schon im
Jahre 1 562 sagt Mathesius, dass zu Venedig die klarsten Fenster-
scheiben erzeugt werden, und im Jahre 1584 mtissen die dortigen
Glashütten auch in Bezug auf das Spiegelglas bereits Tüchtiges
geleistet haben. Ja damals musste die von Andrea und Dome-
nico Danzolo del Gallo im Jahre 1507 eingeführte Spiegel-
glasfabrikation sich bereits zu bedeutender Höhe emporgeschwungen
haben, da sie selbst in Deutschland als Vorbild angesehen wurde.
Hier gab es wohl Gegenden, in denen die Spiegel- und Fenster-
glasfabrikation fortblühte; in anderen aber lag sie arg darnieder.
Es hatten z. B. die sogen. Waldscheiben ein so hässliches Aus-
sehen, da^s ihre Einführung nach Nürnberg im Jahre 1 563 durch
einen Erlass des Senates eigens verboten wurde. *) Der für den
Wohlstand seines Landes besorgte Herzog suchte daher durch
Einführung der venetianischen Arbeitsmethode die bayerische
Tafel- und Spiegelglasfabrikation ebenso zu heben wie sein Vor-
gänger die Hohlglasindustrie. Möglicherweise Hesse sich im
bayerischen Walde die frühere Anwesenheit, italienischer Glas-
macher durch verschiedene zurückgebliebene italienische Wörter,
so z. B. Ribisl (ital. ribiso) für Johannisbeeren, Bambs (ital. bam-
') Dr. J. Stockbauer, a. a. O.
2) Sausay, La Verrerie depuis les temps les plus recul^s jusqu* k nos
jours, p. 84. (La Biblioth^ue des MerveUIes.)
3) Dr. J. Stockbauer, Nürnbergisches Handwerksrecht des XVL Jahr-
hunderts. Herausgegeben vom Bayerischen Gewerbemuseum. Nürnberg, Kom'-
sche Buchhandlung, 1879, S. 10.
— 24 —
bino) als Scheltwort gegen Kinder u. s. w. nachweisen. Doch
genug hievon.
Wie in Bayern, so wurde auch in den übrigen Gegenden
Deutschlands im 1 6. Jahrhundert und zum Theil schon früher die
venetiianische Art des Glasmachens eingeführt und so die ein-
heimische Industrie wesentlich gefördert. Am frühesten scheint
man in Wien in dieser Beziehung Versuche gemacht zu haben.
So hören wir, dass im Jahre 1428 ein dort ansässiger Glaser
Onofrius von Blondio aus Murano sein in der Kärtnerstrasse
gelegenes Haus dem Herzog Albrecht versetzte, weil er von diesem,
wie man wohl mit Recht glaubt, Geld zur Glasfabrikation vorge-
schossen erhalten hatte.*) Im Jahre i486 sodann erbot sich ein
gewisser Nicolaus Walch, d. h. der Wälsche, bei der Stadt
Wien eine Glashütte zu errichten und in derselben allerlei Glas-
werk, wie solches zu Venedig gemacht wird, zu Ehren und Nutzen
der Stadt anzufertigen. Dieses Anerbieten nahm der Bürger-
meister und der Stadtrath freundlich auf und erliess besagtem
Nicolaus die Steuer auf 10 Jahre. Die beabsichtigte Glashütte
erhob sich sodann wirklich im unteren Werd , der nach Einigen
hievon den Namen Venedigerau erhalten haben soll, und war
noch im Jahre 1563 im Gang. 2) Aehnliche Anlagen wurden in
Wien selbst später noch vorgenommen. So gründete Kaiser Fer-
dinand's I. Waldmeister Pithy eine venetianische Glasfabrik in
Weidlingau bei Wien, welche indess bald wieder einging, und
noch Kaiser Leopold I. Hess aus Venedig zwei Glasmacher kom-
men, welche aber den vom Grossen Rathe nachgesandten Meuchel-
mördern zum Opfer fielen. ^)
In Nürnberg ferner bekamen zwei Hafner, Hanns Nickel
und Oswald Reinhardt, welche in Venedig die Glasmacherei
gesehen und gelernt zu haben scheinen oder diess doch vorgaben,
im Jahre 1531 vom Rathe der Stadt eine Unterstützung von 50 fl.
^) Alb. Ilg, Zur Geschichte der älteren Glasindustrie in Wien. (Mit-
theilungen des k. k. österr. Museums für Kunst und Industrie, III. Bd., S. 247 flf.)
2) Alb. Ilg, a. a. O.
3) Labarte, I. c. HE, p. 381.
— 25 —
zum Zwecke der Einführung der venetianischen Glasfabrikation;
ebenso zu dem gleichen Zwecke August in Hirschvogel, wel-
cher für Oswald Reinhardt in das Geschäft eingetreten war.*)
Ueber den Erfolg dieser Bestrebungen fehlen uns die Nachrichten.
Dagegen hören wir, dass im Jahre 1607 in Köln sich eine Glas-
hütte nach venetianischem Muster erhoben hat, welche die Vene-
tianergläser so genau nachmachte, dass selbst die Glasmacher-
meister nur mit grosser Mühe einen Unterschied zwischen den
echten Venetianergläsern und ihren Nachahmungen entdecken
konnten. Diese Fabrik hat aber bereits im Jahre 161 1 ihre Ar-
beit wieder einstellen müssen.*)
Gewiss sind auch in anderen Städten und Gegenden ahn-
liehe Anstrengungen gemacht worden-, aber es sind die archiva-
lischen Studien in dieser Beziehung noch zu wenig weit gediehen,
so dass es hier damit sein Bewenden haben muss. Dagegen will
ich in Bezug auf die Glasindustrie Schlesiens noch einige Worte
sagen. Dass dieselbe ein hohes Alter hat, lässt sich nicht leug-
nen, und wir werden später hören, dass dort um die Mitte des
16. Jahrhunderts sogar »geschnürlte« Gläser oder Gläser mit
incorporirtem Fadenschmucke gemacht wurden. Es besteht kaum
ein Zweifel, dass dieses Aufblühen der schlesischen Glasindustrie
durch den berühmten Begründer der Mineralogie und Hütten-
kunde, durch Georg Agricola hervorgerufen wurde. Agricola,
geb. zu Glauchau am 24. März 1490, gestorben zu Chemnitz am
21. Nov. 1555, hatte sich mehrere Jahre in Venedig und auf
Murano aufgehalten und die dortigen Hütteneinrichtungen studirt.
Die gesammelten Erfahrungen, welche er in seinem Werke: »De
re metallica« ^) theilweise der Oeffentlichkeit übergab, hat er sicher
^) Des Johann Neudörfer, Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg,
Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547 nebst
der Fortsetzung des Andreas Gulden. Nach Handschriften und mit Anmerk-
ungen herausgegeben von Dr. G. W. C. Lochner. (Quellenschriften zur Kunst-
geschichte, Bd. X, S. 152 ff.) — Vgl. Anzeiger filr Kunde der deutschen Vor-
zeit. Organ des germanischen Museums, 1877, Nr. 10, S. 291.
2) J. Houdoy, 1. c. , Urkunde vom 16. Januar 1607 imd vom 5. Fe-
bruar 161 1.
3) c. xn.
— 26 -
auch zur Hebung der Glasindustrie Schlesiens verwerthet und
daher datirt deren frühes Aufblühen.
Es darf endlich nicht übersehen werden, dass Venedig einen
gewaltigen indirekten Einfliiss durch seine Produkte, welche aller
Orten verkauft wurden und somit geschmackbildend wirkten, auf
die deutschen und überhaupt die nördlichen Glashütten ausübte.
Schon im 1 3. Jahrhundert lässt sich der Handel mit venetianischen
Glaswaaren nach dem Norden constatiren. Im 14. Jahrhundert
hatte dieser Handel schon einen bedeutenden Umfang angenom-
men. Wir können diess daraus ermessen, dass Andrea Zane
und Jacopo Dandolo, Besitzer von zwei venetianischen Galee-
ren, welche mit Glasgefassen und Schüsseln aus Thon beladen
waren, nach London kamen und sich am 17. Sept. 1399 von
Richard II. die Erlaubniss erbaten, ihre Waare an Bord der
Galeeren abgabenfrei verkaufen zu dürfen.') Dass im Jahre 1394
venetianische Schiffe dem Herzog von Burgund Philipp dem Guten
Glaswaaren nach Flandern brachten, ist schon gesagt worden. In
dem Inventar Karl's des Kühnen von Burgund wird eine grosse
Anzahl von in Gold gefassten Bechern aus >Krystallglas€ 2) be-
schrieben, welche insgesammt, wie sich später zeigen wird, aus
Venedig stammten. Ausdrücklich ist die Herkunft beigeschrieben
bei dem » jaspisfarbenen Humpen in Goldfassung von venetianischer
Arbeit«.'*) Unter den Gegenständen femer, welche Maximilian
von Oesterreich im Jahre 1480 den Bürgern von Brügge als Ga-
rantie für ein Anlehen überlassen musste, figurirt »ein Topf aus
venetianischem Glase, gelb und in Gold gefasst«.*) Venetianische
Gläser mit Goldsprengelung waren femer auch die zwei kleinen
Krüge aus blauem mit Gold ibepudertem Glase«, welche in der
Kammer der Doniina Mylcentia Fastolf sich befanden, als im
Jahre 1459 dieGüter Sir John Fastolfs inventarisirt wurden.^)
n Nesbytt, 1. c, p. XXXVI.
2) ,gobeletz de cristal garnis d'or.*
•*) ,Ung hanap de jaspre garay d'or, h oeuvre de Venise*.
*) L a b a r t e , 1. c. m, p. 386 : ,un pot de voirre de Venise, jaune, garny d'or.*
•') Nerbytt, 1. c, p. XXXVII, Anm.: ,11 lyttyll ewers of blew glasse
powdered with golde,*
— 27 —
In dem 1542 aufgestellten Inventar der Effekten König Hein-
rich*s VIII. von England, welche sich im Westminster Palaste be-
fanden, werden 450 Gegenstände aus Glas aufgezählt, welche so
ziemlich alle aus Venedig stammten.*) Um 1562 schrieb Mathe-
sius, dass das venetianische Glas in der ganzen Welt beschrien
sei, und am 7. Januar 1623 stellt ein venetianischer Glaskünstler,
Antonio Miotti, Philipp IV. vor, dass aus den Niederlanden
allein jährlich 80,000 fl. für venetianische Glaswaaren ausser Land
gehen. ^) Kurz, am Anfange des 16. Jahrhunderts zog sich über
die nördlichen Länder, darunter auch über Deutschland, bezüglich
der Glasindustrie der Einfluss Venedigs wie ein milder Thau hin,
überall das technische Können erhöhend und die Formen ver-
edelnd. Erst auf dieser Grundlage erblühte, namentlich in Deutsch-
land, eine Glasindustrie, welche ein höheres Streben kannte und
formschöne Produkte von exakter Arbeit zu erzeugen im Stande
war. Damals erhoben sich imSpessart einige Glashütten, welche
so feine Waare lieferten, dass Mathesius nicht anstand, dieselbe
den Venetianer Arbeiten an die Seite zu stellen-, vor Allem zeich-
neten sich diese Hütten durch ihre gestreiften und mit Rauten-
mustern versehenen Spechter aus, wie wir später sehen werden.
Aber so gross und nachhaltig der Einfluss Venedigs auf
die deutsche Glasindustrie auch war, er musste sich doch alsbald
auf die grössere Exaktheit und Accuratesse in der Arbeit, auf
die bessere Anlage der Oefen und die vortheilhaftere Leitung der
Schmelze beschränken. In Bezug auf die Formen der GefKsse
blieben die deutschen Hütten fast ganz unabhängig; ja die Spes-
sarter Hütten, welche vielleicht von venetianischen Arbeitern ge-
leitet wurden und ähnliche Gläser wie zu Venedig herzustellen
') Nesbytt, 1. c, p. XXXDC,
2) Houdoy, 1. c, p. 54.
I — 28 —
begannen, hatten damit keinen Erfolg, sondern ihre Kunst musste,
wie unser Autor bedauernd hinzufügt, alsbald dem Geschmacke
von Land und Leuten Rechnung tragen. Auch sie mussten, ebenso
wie die übrigen Fabriken Deutschlands, allerlei Knöpfe, Steine
und Ringlein an die Gläser setzen, > damit dieselben etwas fester
und beständiger wurden und von vollen und ungeschickten Leuten
desto leichter in Fäusten behalten werden konnten <. Auf diese
Weise wurden die >knortzigten und knöppfichten Gläser < allge-
mein Mode, ohne dass sie der Einfluss Venedigs zu verdrängen
vermocht hätte.
Es besteht kaum ein Zweifel, dass diese letztere Gattung
von Gläsern, welche indess schon in das früheste Mittelalter zurück-
reicht, im i6. Jahrhundert hauptsächlich im Böhmerwalde, sowohl
auf der böhmischen wie auf der bayerischen Seite, hergestellt
wurden; denn es hätte sich bei der Verurtheilung derselben
Mathesius schwerlich so sehr ereifert, wenn er nicht die Glas-
macher aus Zarbath, die sich unter seinen Zuhörern befanden,
damit hätte treffen wollen. Mathesius war ein Freund der > schönen
und glatten Gläser«, aber ein abgesagter Feind allen Schmuckes
derselben, gleichviel ob er angesetzt, gemalt oder gravirt war.
Daher trägt er ein sichtliches Bedauern darüber zur Schau, dass
die schönen und glatten venetianischen Gläser in Deutschland
mittels des Diamanten mit allerlei Laub- und Zugwerk versehen
wurden. Unser Autor sagt uns zwar nicht, wo solches geschah;
aber der Zusammenhang, in welchem sich die betreffende Stelle
findet, lässt vermuthen, dass diese Gravirung zunächst in Schlesien
vorgenommen wurde, wie denn Schlesien überhaupt schon früh-
zeitig eine hochentwickelte Glasindustrie besessen haben muss,
welcher leider noch viel zu wenig nachgeforscht worden ist.
Uebrigens ist bereits auch in dem oben angeführten Vortrage Al-
brecht*s V. mit Bernhard Schwarz erwähnt worden, dass jährlich
eine grosse Menge venetianischen Glases über Antwerpen nach
Schwäbisch-Gemünd kam und dort geschliffen wurde. Man darf
also annehmen, dass die sich in Deutschland findenden gravirten
und geschliffenen Venetianergläser grossentheils erst hier rafünirt
worden sind.
— 29 —
Das Gleiche gilt wohl auch von dem Bemalen der Gläser
mit Emailfarben, welche, wie die Glasmalerei überhaupt, haupt-
sächlich in Deutschland gepflegt wurde. Seit alten Zeiten malte
man hier > grosser Herren Contrafactur und Wappen auf Scheiben, .
welche man in die Fenster versetzte« ; ebenso haben bereits vor
der Mitte des l6* Jahrhunderts einige Fabriken angefangen, >an
die weissen Gläser Farben, allerlei Bildwerk und Sprüche im
Kühlofen brennen zu lassen«. Vielleicht sind die Glashütten des
Fichtelgebirges hierin vorangegangen^ denn der Umstand, dass
man die bekannten bemalten Humpen, freilich erst in bedeutend
späterer Zeit, allgemein als >Fichtelberger-Gläser«, als »Fichtel-
gebirg*sche Willkommgläser« zu bezeichnen pflegte, auch wenn sie
anderswo gemacht worden waren, könnte ein Beweis dafür sein,
dass die ersten derartigen Gläser aus dem Fichtelgebirge als
Aufsehen erregende Neuheit gekommen sind. Doch lässt sich
einstweilen hierüber nichts Bestimmtes sagen. Ueberhaupt wurden
die Gläser um die Mitte des i6. Jahrhunherts überall in Deutsch-
land bemalt und zwar nicht bloss in den Glashütten selbst, son"
dern auch in den Städten von wirklichen Künstlern. Doch mögen
die »Fichtelberger Gläser« desshalb zu dem Rufe gekommen sein,
weil sie etwa die ersten waren, welche gleich in der Fabrik und
zwar fabriksmässig bemalt worden sind.
Wir haben demnach bisher gesehen: erstens dass die mit
Steinen u. s. w. besetzten Gläser namentlich durch die Hütten
des Böhmerwaldes in Mode gebracht worden zu sein scheinen;
zweitens dass die in gestreifte und mit Rautenmuster versehene
Formen geblasenen Gläser hauptsächlich von den Spessarter Hüt-
ten ausgingen; drittens dass man mit der Diamantspitze auf
Gläser zu zeichnen zuerst in Schlesien angefangen haben mag,
während das Schleifen seit alter Zeit in Schwäbisch-Gmünd be
trieben wurde; viertens endlich dass die fabriksmässige Bemalung
der Gläser zunächst im Fichtelgebirge aufgekommen zu sein
scheint.
Was nun die damals gebräuchlichen Gefassformen anbelangt,
so haben sich dieselben, wie bereits gesagt worden ist, im Allgemei-
nen vom venetianischen Einflüsse freigehalten. Wenn man die Fülle
— 30 —
altdeutscher Gläser durchmustert, dann wird man vor Allem zwei
Grundformen entdecken, von denen aus sich alle Gefässe ent-
wickelt haben. Diese zwei Grundformen sind der Cy lind er und
die Kugel. In Venedig, wo man nur Wein trank, sehen wir
eine andere Form in ewigen Variationen wiederkehren, nämlich
das Kelchglas. Der deutsche Most und das Bier aber wären,
in so kleinen Portionen genossen, wie sie ein Kelchglas darbot,
nicht ausgiebig genug gewesen, zumal im i6. und 17. Jahrhundert,
in jener Blüthezeit des deutschen Durstes. Damals hatten die
Deutschen bekanntlich stets trockene Kehlen; man möchte glau-
ben, dass sie schon mit einem grossen Durste auf die Welt
kamen, und manche brachten es in der Kunst des Trinkens so-
weit, dass sie, ohne abzusetzen oder Athem zu holen, 6 volle
Mass in sich hinein rinnen lassen konnten. Für solche Trink-
helden reichte kein Kelchglas hin; da musste ein mächtiger Cy-
linder, ein Humpen von gewaltigem Umfange her.
Diese Humpen nun, gewöhnlich Willkommen genannt,
waren meistens bemalt und je nach der Darstellung auf ihrem
Mantel heissen sie Reichshumpen oder Adlergläser, Kur-
für&tenhumpen, Innungshumpen, Fichtelberger-Gläser.
All diesen Gläsern liegt die cylindrische Form zu Grunde, bald
rein, bald gegen die Mitte hin etwas anschwellend, bald nach
oben zu etwas ausgeweitet, so dass die Gestalt einem abge-
schnittenen, umgekehrten Kegel gleicht. Von dieser Form sind
namentlich viele Becher. Aus dem Cylinder entwickelte sich
auch, wie unten gezeigt werden wird, der Römer, dieses herr-
lichste aller altdeutschen Trinkgläser mit seinem, einer geöffneten
Beere gleichenden Kelche.
Durch andere Veränderungen des Cylinders entstanden an-
dere Formen. Man Hess z. B. den Cylinder gegen die Mitte hin
etwas anschwellen, so dass er beinahe einem stehenden Fässchen
glich, und setzte an dieses Glas ringsherum Knöpfe oder Steine
an: es entstand, wie wir sehen werden, der sog. Krautstrunk.
Wurde der Cylinder unten mit einer Bodenkugel versehen, welche
hernach als Fuss aufgetrieben wurde , dann entstand ein schlankes
Trinkgefass, der sog. Specht er, wie später gezeigt werden wird.
— 31 —
Wenn man um den Mantel dieses Spechters gleichweit von ein-
ander entfernte Ringe anbrachte, dann erhielt man das sog. Pass-
glas. Aus dem Cylinder entstand ferner auch das Bier glas»
welches nur nach oben hin etwas eingezogen, mit einem Henkel
und einem Bodenreiflein versehen wurde. Endlich muss hieher
auch noch das liegende und stehende Fass gerechnet werden,
obgleich beide in Formen geblasen wurden, welche nach der
Mitte hin stark anschwollen.
Die zweite Grundform der altdeutschen Gläser bildet die
Kugel. Die Kugelform entsteht jedesmal, wenn man eine flüssige
Glasmasse an der Pfeife ohne beengenden Model aufbläst. Hält
man dabei die Pfeife nach unten und bläst die Masse unter
leichtem Schwenken auf, dann entsteht die Flasche mit mehr
oder minder langem Halse. Erweiterte man diese Flasche oben
am Mundstück zu einer kleinen Trinkschale, dann erhielt man
den sog. Angst er oder Kutrolf. Trieb man endlich den Hals
der Flasche weiter auf und setzte einen Henkel an das Geföss,
dann entstand der Krug. Hielt man aber die Pfeife mit dem
flüssigen Glase beim Blasen aufwärts, dann erhielt man die ver-
schiedenen schalenartigen Gefasse, als deren Repräsentant der
Tümmler genannt werden mag.
Der grösste Theil dieser Gefassformen ist echt deutsch;
der venetianische Einfluss war in dieser Hinsicht gering, er hatte
nur eine grössere Exaktheit und Accuratesse in der Arbeit zur
Folge. Mächtiger gestaltete sich der Einfluss Venedigs in Bezug
auf die 'Anlagen der Hütten und Oefen und in Bezug auf die
Zusammensetzung des Gemenges und die Leitung der Schmelze,
namentlich seitdem Georg Agricola seine Erfahrungen in Venedig
und Murano über diesen Punkt seinen Landsleuten bekannt ge-
macht hatte. Doch davon wird ein eigener Abschnitt handeln.
Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts treten die böhmischen
Glashütten in den Vordergrund*, es kamen die vergoldeten, die
geschliffenen und gravirten Gläser auf und drängten die glatten
und bemalten allmählig zurück. In Bezug auf die Gefassformen
dienten zwar jetzt die venetianischen Gläser als Vorbilder, aber
die Produkte der böhmischen Glaskünstler fielen ungleich schwerer
— 32 —
und schwerfälliger aus. Gleichwohl wurden sie in kurzer Zeit in
ganz Europa Mode, freilich nicht so sehr wegen ihrer Form als
vielmehr wegen ihres mit dem Rade hergestellten Schmuckes und
wegen ihrer Krystallreinheit.
Man darf indess nicht glauben, dass alle Gläser, welche
gemeinhin als böhmische bezeichnet werden, auch wirklich aus
Böhmen stammen. Es ist allerdings merkwürdig, dass in Bayern,
wo die Herzöge Albrecht V. und Wilhelm V. nicht etwa bloss
aus einer vorübergehenden Laune, sondern in wohlerwogener und
systematischer Weise die Glasindustrie zu fördern und mit der
venetianischen auf gleiche Weise zu heben bemüht waren, auf
einmal nichts mehr von einer Glasindustrie gehört wird. Die
venetianische Art des Glasmachens, soweit diess die Zeit noch
zuliess, das Schleifen, der Handel nach allen Welttheilen, lauter
Dinge, deren Realisirung Bernhard Schwarz geplant hatte, ent-
wickeln sich in Böhmen und zwar im grossartigsten Massstabe.
Nun ist aber nicht anzunehmen, dass die bayerischen Glashütten
hinter denen des Nachbarlandes zurückblieben oder ganz ein-
gingen und erst in späterer Zeit von Böhmen aus wieder belebt
wurden. Es ist zwar richtig, dass die Glasarbeiter beider Länder
bis auf den heutigen Tag über den Gebirgskamm hinüber- und
herüberwandem, und im bayerischen Walde gibt es einige Orts-
und Hüttennamen, welche ohne Zweifel zur Bestätigung dieser
Thatsache dienen. So ist die Tafelglasfabrik Riedelhütte, die
man in neuerer Zeit, ich weiss nicht in Folge welcher Ideenasso-
ciation der zuständigen Behörden, Rüdelhütte zu schreiben sich
gewöhnt, von einem Herrn Riedel gegründet worden, ein Name,
der sich unter den böhmischen Glashändlern des i8. Jahrhunderts
häufig findet.*) Viel älter noch ist das Dorf Palmberg. Dass
hier eine Glashütte gestanden, davon ist in der Bevölkerung jede
Erinnerung geschwunden, und doch war dem so; denn beim Neu-
bau des »Bartlhausesc kam man, wie mir gesagt wurde, auf die
Reste einer Hütte und förderte, ausser einer Menge von Glas-
*) Schebek, Böhmens Glasindustrie und Glashandel. Quellen zu ihrer
Geschichte. Prag, Verlag der Handels- und Gewerbekammer 1878.
— 33 —
Scherben, namentlich Glasperlen zu Tage, welchen leider keine
weitere Beachtung zu Theil wurde. Ohne Zweifel bestand dort
eine »Paterlhütte« und der Gründer derselben war ein gewisser
Palm oder Palme, welcher Name nun abermals mehrfach, selbst
gegenwärtig noch unter den Glasmachern Böhmens vorkommt.
Wie heutzutage, so wanderte also auch schon früher die Glas-
macherbevölkerung hinüber und herüber und kamen somit die
Bestrebungen der bayerischen Herzöge der böhmischen Glasindustrie
wohl ebenso zu Statten wie der bayerischen. Dass aber die
erstere auf Kosten der letzteren fast ganz allein genannt und in
der Welt bekannt wurde, das hat seinen Grund zum grossen Theile
darin, dass der Gebirgszug zwischen Böhmen und Bayern auch
auf der bayerischen Seite, selbst noch in den gegenwärtigen Hand-
büchern der Geographie Böhmerwald genannt wird. Auch
Bernhard Schwarz sagte unter Anderem, dass die bayerischen
Glashütten wegen ihres unschönen Aeusseren sich nicht in der
Nähe der Städte, sondern im Böhmerwalde befänden. Die aus
jenen Gegenden kommenden Waaren galten daher bis in die
Neuzeit schlechtweg für böhmische Produkte.
Es besteht aber kaum ein Zweifel, dass die böhmischen
Handelsstationen viel Glas aus bayerischen Hütten führten- in
Bezug auf das Tafelglas wird dies sogar bezeugt.^) Es wäre
eine lohnende Aufgabe, eine Geschichte der bayerischen Glas-
industrie in ähnlicher Weise zu schreiben, wie dies Schebek für
Böhmen gethan hat. Auch hier Hesse sich eine Reihe von Ort-
schaften zusammenstellen, in denen «früher Glashütten bestanden,
sei es, dass sich die Erinnerung daran erhalten hat oder dass der
Name, wie z. B. Althütte, Neuhütte u. s. w., darauf hinweist. 2)
Vor Allem aber müssten die Tauf- und Todtenbücher der Pfar-
reien . durchforscht werden. Ich bin überzeugt, dass sich hiedurch
manche Aufschlüsse gewinnen Hessen. Im Uebrigen giebt es im
^) Schebek, a. a. O., Einleitung, S. 5.
2) Unter dem Lusen sollen vor Jahren mitten im Walde die' Holzhauer
auf die Reste einer Glashütte gestossen sein. Auf dem Platze standen bereits
wieder mächtige Bäume.
3
— 34 —
bayerischen Walde Glashütten, so z. B. eine der Herren von
Poschinger, die bereits seit der Mitte des l6. Jahrhunderts be-
stehen.
Doch um zurückzukommen. Die Ansicht, als sei Alles, was
im 17. und 18. Jahrhundert, zumal an farblosem, geschliffenem
oder gravirtem Glase producirt wurde, böhmischer Fabrikation, ist
eine durchaus irrige. Es ist dies so wenig der Fall, dass Georg
Franz Kreybich, welcher eine Beschreibung seiner Handelsreisen
hinterlassen hat, noch im Jahre 1688 von den damals bestehenden
sechs Londoner Glashütten behaupten musste, dass sie schöneres
Glas erzeugten, als er aus Böhmen mitgebracht hatte. ^) Im Jahre
1682 belud Kreybich in der Seewiesener Glashütte in Böhmen
seinen Karren mit »schlechtem« Glas; »denn«, sagte er, >zur
selben Zeit ward bei uns noch kein gutes Glas gemacht als nur
Schockglas.« Dagegen konnte er im Jahre 1686 in den »Hünder-
hütten« auf dem »Schreiberhau« in Schlesien »gutes« Glas ein-
laden. *) Die schlesischen Hütten scheinen demnach am Ende
des 17. Jahrhunderts den böhmischen überlegen gewesen zu sein.
Wahrscheinlich war es Georg Agricola, welcher, wie schon oben
gesagt wurde, den Aufschwung der schlesischen Glasindustrie
während seines Aufenthaltes in Chemnitz hervorrief.
Dass die im 17. Jahrhundert ins Leben gerufene kurfürst-
liche Hütte auf der Pfaueninsel bei Potsdam, welche lange Zeit
von Kunkel geleitet und später (1732) nach Zechlin ver-
legt worden ist, den böhmischen Glashütten nichts nachstand, ist
selbstverständlich, ja sie übertrafen diese sowohl in Bezug auf die
Reinheit des Krystalls und die Schönheit der Gravirung. Der
im Jahre 1736 in Deutschland reisende Dr. Pococke sagt von den
Produkten dieser Hütte, einige seien so fein geschnitten gewesen,
dass sie für £ 100 bis 150 verkauft wurden. Das Glas selbst
in Bezug auf seine innere Qualität rühmt er als das beste der
Welt. *) Von dem böhmischen Glase dagegen sagt unser Autor,
1) Schebek, a. a. O., S. XXI.
2) Schebek, a. a. O., S. XXH.
3) Dr. Pococke, Travels II, p. 231.
— 35 —
dass es dielt und schwer und fast so gut wie das englische sei.
Dieses böhmische Glas wurde in Breslau geschnitten, wenn es sich
um Herstellung feinerer Gravirarbeit handelte. Die Hütten des
bayerischen Waldes ferner, wie sie gegenwärtig dort bestehen,
haben fast alle ein hohes Alter und beinahe durchgehends ist
mit diesen Hütten seit alten Zeiten eine Vergolderei, eine Schlei-
ferei oder wenigstens Glasschneiderei verbunden. Ohne Zweifel
deckten diese Hütten den Bedarf des eigenen Landes oder doch
der angrenzenden Provinzen. Wenn demnach die Provenienz
eines Glases nicht feststeht, lässt sich durchaus nicht mit Sicher-
heit bestimmen, ob es ein böhmisches, bayerisches, brandenburgi-
sches oder dergl. Produkt sei. Daher haben in dem vorliegenden
Werke die vergoldeten sowie die geschlififenen und gravi rten
Gläser mit Recht Aufnahme gefunden, nm so mehr, als die aus
den Hütten bezogenen Gläser häufig erst in Städten, wie Nürn-
berg u. s. w. raffinirt worden sind.
Im Uebrigen aber muss anerkannt werden, dass die böh-
mische Glasindustrie ein hohes Alter hat. Sif beginnt im 15.
Jahrhundert eine Rolle zu spielen. Im Jahre 1442 geschieht
einer )Glashut in silva Daubitzi Erwähnung und 1443 errichtete
Paul Schirmer eine Glashütte zu Steinschönau. Um dieselbe
Zeit ist die angeblich erste böhmische Glasfabrik unter Peter
Berka von Duba unter dem Tannenberg bei St. Georgenthal
angelegt worden. Von da an entwickelte sich die böhmische
Glasindustrie im engsten Zusammenhange mit der deutschen, bis
sie am Ende des 17. Jahrhunderts den Weltmarkt eroberte.
I.
> I
Die Oefen, das Schmelzen und Verarbeiten des
Glases.
I. Während des Mittelalters.
EIM Studium der altdeutschen Gläser muss man vor
Allem den Hütten, in welchen dieselben geschaffen wur-
den, sein Augenmerk zuwenden. Es trifft sich dabei
glücklich, dass wir über diese besser unterrichtet sind, als
über jene. Bereits aus dem 1 2. Jahrhundert besitzen wir eine aus-
führliche Beschreibung des Glasofens sowohl wie des ganzen
Schmelzprocesses in der »Schedula diversarum artium« des deut-
schen Mönches Theophilus. *) Seine Angaben wurden im 13.
Jahrhundert von dem sog. Heraclius, wohl einem Italiener, theil-
weise wiederholt und weiter ausgeführt. 2) Dadurch sind wir in
der Lage, uns eine ziemlich genaue Vorstellung von den Glas-
hütten des früheren Mittelalters, von ihrer Einrichtung und dem
Schmelzprocesse zu machen.
Ich will mich zunächst dem Ofen zuwenden. Ueber seine
Anlage und Construction schreibt Theophilus hinlänglich aus-
führlich ^); aber seine Schilderung scheint mir weder von dem
^) Herausgegeben von Dr. Alb. II g. [VTE. Band der QueUenschriften
für Kunstgeschichte und Kunsttechnik. 1874.]
2) Herausgegeben von Dr. Alb. Hg. [IV. Bd. der Quellenschriften. 1873.]
3) lib, U, I und 2.
— 37 —
Herausgeber noch von Dr. H. E. Benrath in einer hierauf bezüg-
lichen verdienstvollen Abhandlung*) vollkommen richtig aufgefasst
worden zu sein. Ich muss sie daher etwas eingehender behan-
deln. Theophilus beginnt also:
»Baue dir aus Steinen und Thon einen Ofen von 15 Fuss
Länge und 10 Fuss Breite in folgender Weise: Zunächst führe
auf beiden Seiten Grundmauern von je einem Fuss Stärke auf;
dann stelle zwischen diesen aus Steinen und Thon eine feste und
ebene Herdsohle her; diese theile in drei Drittel und führe dann
eine Quermauer so auf, dass zwei Drittel der HerdsoMe auf die
eine, das dritte auf die andere Seite der Quermauer zu liegen
komme.*)
Die Uebersetzung des letzten Satzes scheint auf den ersten
Blick etwas , willkürlich zu sein ; aber sie gibt den Sinn der Worte
des Theophilus vollständig getreu, wesshalb sie auch gewählt
worden ist. Der Grundriss des von unserm Autor beschriebenen
Ofens hatte demnach 15 Fuss in der Länge und 10 Fuss in der
Breite. Da von der letzteren je ein Fuss auf die beiden Seiten-
mauern kam, war die Herdsohle nur 8 Fuss breit. Diese Herd-
sohle wurde nun durch eine, etwa i| Fuss dicke Quermauer **)
in zwei Theile geschieden, von welchen der grössere zwei Drittel,
der kleine ein Drittel der ganzen Fläche enthielt.; es war also
der grössere Raum 10, der kleinere 5 Fuss lang. Zu dieser
Länge muss aber noch beiderseits etwa i\ Fuss hinzugerechnet
werden, da, wie wir gleich hören werden, auf jeder Stirnseite eben-
falls eine Mauer von ungefähr i^ Fuss Dicke zu errichten war.*)
•) ,Zur Kenntniss der Glastechnik der Vorfahren* im »Sprechsaal, Organ
der Porzellan-, Glas- und Thonwaaren-Industrie*. Coburg 1879, Nr. 7.
2) Postmodum compone furnum ex lapidibus et argiUa longitudine pedum
XV et latitudine X, in hunc modiun. Primum pone fundamenta in utroque
longitudinis latere spissitudine pedis unius, faciens larem in medio flrmum et
aequalem lapidibus et argilla, dividens cum inter tres partes aequales, ita ut
duae partes sint per se et tertia per se, divisa muro in latitudine posito.
'^) Diese Dicke nehme ich an, weil die Quermauer zwei Gewölbe zu
tragen hatte.
^) Die Stirnmauern dürfen wohl etwas stärker angenommen werden, als
die Seitenmauern.
- 38 -
Die Quermauer wird wohl auf der Fläche des grösseren Raumes
gestanden haben, muss aber bei der Berechnung beide Male in
Anschlag gebracht werden. Die grössere Herdsohle hatte also
ohne die Mauern 8^ Fuss Länge und 8 Fuss Breite, mit den
Mauern ii^ Fuss Länge und i8 Fuss Breite, war also nahezu
quadratisch; die kleinere dagegen hielt ohne die Mauern 5 Fuss
in der Länge und 8 Fuss in der Breite, mit den Mauern 8 Fuss
in der Länge und 10 Fuss in der Breite, sie legte sich daher als
ein oblonges Rechteck quer vor die grössere.
Theophilus fahrt fort: »Hierauf führe auf jeder Stirnseite
eine Mauer auf und mache in der Mitte einer jeden ein Loch,
durch welches man Holz und Feuer hineinbringen könne; führe
sodann auch auf den beiden Langseiten die Mauern ungefähr 4
Fuss hoch empor und mache darüber abermals einen starken und
vollständig ebenen Herd und lasse die Scheidemauer etwas dar-
über emporragen. € >)
Theophilus lässt zwar die Löcher an den beiden Stirnseiten
zuvor machen und erst nachher ringsherum die Mauern aufführen;
weil aber in Wirklichkeit Beides zu gleicher Zeit geschehen
musste, hielt ich es des besseren Verständnisses halber in meiner
Uebersetzung für geboten, die Sache umzukehren und zuvor an
den Stirnseiten die Mauern aufführen zu lassen, da ohne diesel-
ben keine Löcher ins Leere gemacht werden konnten. Der Sinn
der Stelle ist einfach. Ueber der ersten Herdsohle wurde auf
allen Seiten eine 4 Fuss hohe Mauer aufgeführt. Ueber diese
Umfassungsmauer ist sodann ein zweiter Herd hergestellt worden,
vielleicht dadurch, dass von einer Langseite zur andern dicht
neben einander Eisenstangen gelegt und diese mit Steinen und
Thon bedeckt wurden. Durch diese Ueberdeckung entstanden
unterher zwei Kammern, zu deren jeder von der Stirnseite aus
ein Loch ging, welches Holz und Feuer in dieselben einzufuhren
') Dein de fac foramen in atraque fronte latitudinis, per quod possint
ligna et ignis imponi, et aedificans murum in circuitu usque ad altitudi-
nem (diese Lesart aus dem Codex der Leipziger Universitätsbibliothek ist
ohne Zweifel die richtige) pene qnatuor pedum, fac iterum larem firmum et
aeqnalem per omnia, et sine murum divisionis aliquantulum ascendere.
— 39 —
gestattete: diese Löcher waren die beiden Schürlöcher und die
Kammern waren die Feuerungsräume.
Nachdem also Theophilus hiemit die Anlage der Feuerungs-
räume beschrieben hat, fährt er folgendermassen fort: »Hierauf
setze den Aufbau der Mauern beim grösseren Räume fort und
mache nach der Mitte des Herdes zu auf der einen Seite sowohl
wie auf der anderen Langseite 4 Arbeitslöcher, vor welche (im
Innern) die Häfen gestellt werden, und bringe zwei Löcher in
der Mitte des Herdes selbst an, so dass die Flamme aus dem
Heizungsraume heraufsteigen kann. Dann führe die Mauern auch
auf den Querseiten auf, mache in jede eine viereckige Oeffnung
von der Breite und Länge einer Spanne gegen die Arbeitslöcher
hin. Durch diese Oeffnungen werden die Häfen, welche mit dem
Gemenge gefüllt werden müssen, hinein- und herausgethan. Mache
sodann auch in dem kleinen Räume ein Loch in den Herd nahe
bei der Scheidemauer, ferner eine viereckige Oeffnung von dem
Masse einer Spanne an der äusseren Stirnmauer * ) , durch welche
das beim Arbeiten Nothwendige hineingethan und herausgenom-
men werden kann.« ^)
Diese Stelle lehrt uns über der Feuerungsanlage einen neuen
Aufbau kennen, dessen Mauern etwa eine Höhe von 3 oder 4
Fuss gehabt haben mögen. In diese Mauern wurden beim grösse-
ren Räume auf jeder Langseite vier Werk- oder Arbeitslöcher
gemacht. Femer erhielten die Stirnseite und die Scheidewand
je eine viereckige Oeffnung. Durch die erstere wurden die vor-
her mit dem Gemenge oder vielmehr mit der gefritteten Glas"
1) Gegensatz: innere Stirnmauer, d. i. Scheidewand.
2) Post quae fac in majori spatio quatuor foramina in imo latere longitu-
dinis, et quatuor in altero per medium laris, in quibus ponantur vasa operis,
duoque foramina in medio, per quae flamma possit ascendere, et aedificans mu-
rum in circuitu, fac duas fenestras quadras longitudine et latitudine unius palmi,
in utroque latere contra foramina unam, per quas vasa imponantur implenda
cum his, quae in iUis mittuntur. Fac etiam in minori spatio foramen per me-
dium laris juxta parietem medium, et fenestram ad mensuram palmi juxta parie-
tem frontis exteiiorem, per quam possit imponi et assumi quod necessarium
est operi.
— 40 —
masse gefüllten Häfen oder Tiegel eingetragen; die zweite da-
gegen konnte keineswegs dem gleichen Zwecke dienen, obwohl
dies Theophilus behauptet-, denn zu ihr konnte man nach Vollen-
dung des Baues gar nicht mehr hin. Diese Oeffnung musste
vielmehr dazu dienen, die Wärme aus dem grösseren Räume in
den kleineren hinüberzuleiten. In den grösseren Raum aber ge-
langte die Hitze aus dem Feuerungsraume dadurch, dass in dem
zuletzt geschilderten Herd zwei Löcher angebracht wurden. Durch
ein solches Loch wurde die Hitze auch in den kleineren Raum
geführt, so dass dieser also nicht bloss aus dem grösseren, son-
dern auch aus seiner eigenen Heizkammer den nöthigen Grad
Wärme erhielt. Die viereckige Oeffnung, durch welche die ferti-
gen Gläser in den kleineren Raum zum Abkühlen eingetragen
wurden, befand sich an der Stirnseite, so dass man von beiden
Seiten des Schmelzofens gleichweit zu ihr hatte.
Endlich fiihrt Theophilus also fort: >Wenn du das Alles
ausgeführt hast, dann mache die Scheidewand mit der Umfassungs-
mauer (des grösseren Raumes) zu einem überwölbten Ofen, dessen
Wölbung indess nur etwas über ^ Fuss beträgt, so dass du dar-
über , einen vollständig ebenen Herd herstellen kannst. Um die-
sen führe einen 3 Finger hohen Rand ringsherum, damit, was
immer an Arbeitssachen oder Werkzeugen hinaufgethan wird, nicht
herabfallen kann. < * )
Der eigentliche Schmelzraum wurde also überwölbt und
zwar mit einem Tonnengewölbe; denn wörtlich heisst die Stelle
unseres Gewährsmannes: > Verbinde die innere Scheidewand mit
der äusseren Stirnmauer nach Art eines überwölbten Ofens«, d. h.
mit andern Worten: > Schlage von der Scheidewand nach der
Stirnmauer einen Bogen, der den Raum zu einem überwölbten
Ofen macht.« Dieses Tonnengewölbe musste aber sehr flach ge-
') Postquam haec ita ordinavens, fac parietem interiorem cum muro ex-
teriori in similitudinem fornacis arcuarii, interius altitudine modico amplius pedis
dimidii, ita ut superius larem facias aequalem per omnia, cum labro altitudine
trium digitorum in circuitu posito, ut quicquid operis vel utensiliorum superponi-
tur non possit cadere. Iste fumus dicitur clibanus operis.
— 41 —
halten sein, damit die Aussenseiten desselben leicht gleichmässig
aufgefüllt und so ein ebener Herd über ihm hergestellt werden
konnte. Es besteht kein Zweifel, dass die angegebene Höhe von
^ Fuss sich nicht auf den ganzen Schmelzraum, sondern nur auf
die flache Wölbung beziehen kann. Durch den Herd über dem
Tonnengewölbe wurde der Schmelzofen vollendet. Derselbe war
also nahezu quadratisch. Er bestand, um das Ganze nochmals
kurz zu wiederholen, zunächst aus einer Feuerungsanlage, welche
mit einem ebenen Herd überdeckt war. Dieser Herd hatte zwei
Löcher, durch welche Flamme und Hitze in den eigentlichen Ofen
hinaufdrangen und die Masse in den 8 Häfen zum Schmelzen
brachten. Ueberdeckt war dieser letztere Raum durch ein flaches
Gewölbe, welches aber oben zu einem ebenen Herde ausge-
glichen war.
Von dem kleineren Räume ist in diesem Kapitel nicht mehr
weiter die Rede. Derselbe bildet aber, was bisher übersehen
worden ist, den Inhalt des 2. Kapitels. Es heisst dort: > Mache
auch den anderen Ofefn lO Fuss lang und 8 Fuss breit, 4 Fuss
aber hoch. Hier mache an der Stirnseite ein Loch zum Ein-
feuern und auf einer Langseite eine viereckige, einen Fuss grosse
Oeffhung zum Eintragen und Herausnehmen dessen, was nöthig
ist, und innerher einen festen und ebenen Herd. Dieser Ofen
heisst Külilofen.< ^)
Hiezu sind einige Bemerkungen nothwendig. Was vorerst
die Massangabe betrifft, so stimmt dieselbe genau mit der im
vorigen Kapitel angegebenen überein. Dort sahen wir, dass der
kleinere Raum als Länge ein Drittel der ganzen Anlage, also 5
Fuss erhielt. Hiebei ist weder die äussere Stirnmauer noch die
Scheidewand in Anschlag gebracht, von denen jede etwa i| Fuss
dick gewesen sein mochte. Diese hinzugerechnet, ergibt sich als
Länge des kleineren Ofens 8 Fuss und seine Breite betrug mit
') Fac et aliam fumum, longitudine pedum X et latitudine VIII, altitudine
vero IV. Hinc facies in una fronte foramen ad imponenda ligna et ignem, et
in latere ono fenestram pedis unius ad imponendam et ejiciendum quod neces-
sarium fuerit, et larem interius firm um et aequalem. Iste furnus dicitur clibanus
refrigerii.
— 42 —
den beiden Seitenmauern lo Fuss. Theophilus hat nnn im 2.
Kapitel, wo er von dem kleineren Ofen allein spricht, das, was
er und wir beim ganzen Bau als Breite nahmen, zur Länge ge-
macht. Diese Länge beträgt nach ihm lo Fuss, was genauestens
der früheren Breite entspricht. Was die Breite, als welche hier
die frühere Länge figurirt, anbelangt, gibt unser Autor 8 Fuss
an, was wiederum mit der vorhin erörterten Angabe überein-
stimmt. Dass der Heizungsraum 4 Fuss hoch sein soll, ist auch
bereits im i. Kapitel gesagt worden. Die Masse stimmen dem-
nach beide Male vollkommen überein.
Ferner ist zu bedenken, dass das, was vorhin als Seiten-
mauer angegeben wurde, hier als Stirnmauer auftritt und umge-
kehrt. In einer dieser Stimmauem musste ein Feuerungsloch
angebracht werden, weil die aus dem Schmelzofen eindringende
Wärme und die Flamme, welche ganz hinten bei der Scheide-
mauer aus dem Feuerungsraume heraufkam, nicht für alle Fälle
und Zwecke ausreichte. Ich brauche kaum zu erwähnen, dass
Theophilus mit dieser Oeffnung nicht das Schürloch meinte, wel-
ches in den Heizraum ging, sondern eine Oeffnung, welche in
den Raum über dem zweiten Herde, also in den Kühlraum ging.
Das geht auch aus der unmittelbar sich anschliessenden Bemer-
kung hervor, dass nämlich auf jener Seite, welche wir früher als
Stirnseite betrachteten und die jetzt als Langseite auftritt, eine
viereckige Oeffnung angebracht werden musste, durch welche die
fertigen Gläser in den Kühlofen geschafft werden konnten. Diese
Oeffnung befand sich desshalb auf der genannten Seite, damit
man von beiden Seiten des Schmelzofens gleichweit zu ihr hatte.
Diese sämmtlichen Angaben mit Ausnahme jener, dass auf einer
der Stirnseiten ein Feuerungsloch angebracht werden soll, sind
aus dem vorigen Kapitel einfach wiederholt. Die Schliessimg
des Raumes nach oben hin übergeht unser Autor auch hier, da
dieselbe eben auf die gleiche Weise wie beim Schmelz- oder
Werkofen erfolgte. Es wurde von der Scheidemauer nach der
gegenüberliegenden Schlussmauer ein flacher Bogen geschlagen
oder mit anderen Worten : der Kühlofen wurde mit einem Tonnen-
gewölbe überwölbt, welches dem vorigen parallel lief. Dieses
— 43 —
Gewölbe wurde hierauf nach oben hin ausgeglichen und so ein
ebener Herd hergestellt, wie aus dem 4. Kapitel des nämlichen
Buches deutlich zu ersehen ist. Dort wird nämlich gesagt, dass
das Frilten des Gemenges über der kteinereo Abtheilung des
Ofens zu geschehen hat. Der kleinere oder KUhlofeo diente ohne
Rg. I.
Zweifel auch zum Antempem der Schmelztiegel. Den Durch-
schnitt des ganzen Ofens mag die Skizze I der beigegebenen
Abbildung (Fig. 1) veranschaulichen.
Hören wir nun, was ungefähr ein Jahrhundert später der
sog. Heraclius über den Ofenbau sagt.') Seine Schilderung ist,
I) lib. in, c. vu.
— 44 —
weil aus verschiedenen Autoren compilirt, im Allgemeinen nicht
so fachmännisch und verständlich wie jene des Theophitus. Schon
das dem lO. Jahrhundert angehörige I. Buch des sog. Heraclius
gibt im Ganzen und Grossen nur die Ergebnisse antiquarischer
Studien. In Folge dessen konnte der Autor selbstverständlich
von Irrthümern und falschen Auffassungen nicht frei bleiben.
Auch im III. Buche scheint sich der dem 13. Jahrhundert ange-
hörige Verfasser über die Künste seiner Zeit weniger durch Augen-
schein, als durch Hörensagen unterrichtet zu haben. Dies gilt,
wie von Anderem, so auch von seiner Beschreibung eines Glas-
ofenbaues. Gleichwohl lässt sich aus seinen Worten ein kleiner
Beitrag zur Kenntniss der damaligen Glasöfen gewinnen; sie
müssen daher hier angeführt werden: >Baue dir<, sagt Heraclius,
»einen Ofen aus Bruchsteinen und verbinde diese mit einem Thon,
der mit Viehmist durchsetzt ist. Das Fundament desselben mache
einen halben Ellbogen hoch und ganz eben*, diese Fläche lasse
in der Mitte ohne Baumaterial, d. h. in der Mitte bringe nichts
an, weil dort während der Arbeit stets Feuer unterhalten werden
muss. Ueber diesem Fundamente des Ofens stelle drei Kammern,
welche >Ärchae< genannt werden, mit Oeffnungen her. Die mitt-
lere Kammer mache gross; in ihr sollen zwei Oeffnungen sein,
die eine auf dieser, die zweite auf jener Seite. In diese Kammer
stellt man und zwar vor die Mündung der Archa zwei wohlge-
brannte. Töpfe, welche >mortariola« — Mörser — heissen; in
diesen wird, wie gezeigt werden soll, die Asche oder der Sand
geschmolzen und so das Glas erzeugt. Von den beiden anderen
Kammern aber mache die eine zur Rechten, die andere zur Lin-
ken der mittleren. Die erstere mache grösser als die letztere.
In der linken Kammer glühe das Gemenge einen Tag und eine
Nacht und zwar so, dass es beinahe flüssig wird. In dieser
Kammer musst du auch deine Häfen vollends brennen, auf dass
sie fest und hart genug seien zum Aufnehmen und Schmelzen des
Glases und nicht brechen.« *)
') Deinde facies fiirnum de petris argiUa linitis mixta de stercore jumen-
torum. Fundamentum ejus altitudine dimidii cubiti totum planum facies; pro-
— 45 —
Nach dieser Schilderung sollte man meinen, dass die drei
Kammern gleich unmittelbar über der Herdsohle errichtet worden
seien. Das ist aber schon desshalb unmöglich, weil in diesem
Falle gar kein Feuerungsraum vorhanden gewesen wäre. Ein
zweiter Grund, warum diese Auffassung unzulässig ist^ liegt in den
Worten des Heraclius selbst. Unser Autor sagt nämlich ausdrück-
lich, dass auf der Herdsohle durchaus kein Baumaterial oder sonst
etwas angebracht werden durfte; dieser Herd sollte durch die
ganze Flucht des Ofens hin der Feuerung vorbehalten bleiben.
Man muss sich daher in der Schilderung des Heraclius ergänzen,
dass nach Vollendung der Herdsohle ringsherum die Mauern etwa
4 Fuss hoch emporgeführt und darüber, wie beim Ofen desTheo-
philus, ein zweiter Herd hergestellt wurde. Der so überdeckte
Raum diente als Feuerungsanlage; man führte in denselben Holz
und Feuer durch die an den Stirnseiten angebrachten Oeffnungen. ' )
Ueber dem zweiten Herde wurden sodann drei Kammern ange-
legt. Die mittlere davon, in welche die Flamme aus der Feue-
rungsanlage durch in der Herdsohle angebrachte Oeffnungen
drang, hätte auf jeder Seite ein Arbeitsloch, vor welches ein Hafen
zu stehen kam. Dies war somit der Werkofen. Links davon
befand sich eine kleine Kammer. In derselben wurde das Ge-
menge gefrittet. Da dies auf dem flachen Herde geschehen
musste, konnte dieser höchstens eine Oefihung gegen den Feue-
rungsraum herab und zwar nur an zurückgelegener Stelle haben;
fundum furni dimittes sine materia, id est, in medio fumi nihil facies, quod in
medio ejus ignis quando operatur semper faciendus est. Super fundamentum
furni incipies facere tres mansiunculas, quae archae nominantur, in quibus erunt
fenestrellae. Mediam archam magnam facies, in qua duae fenestrae erunt, una
ex parte una, et alia ex parte altera. In istam archam intus ante os archae
duas ollas optime coctas ponunt, quas mortariola vocant, in quibus cinis sive
arena, ut dicetur, funditur, et vitrum efficitur. Alias autem archas facies unam
a dextris mediae archae, et alteram a sinistris. lUam autem, quae est a dextris
minorem facies illa quae a sinistris est. In archa sinistrae partis ima die et una
nocte cinerem coques. In tantum vero coqui facies, ut similiter sit agglutinatus.
In hac quoque archa mortariola tua penitus coqui facies, et ut firma sint et
duriora ad vitrum sustinendum et coquendum, ne frangantur.
') Dies hat schon Dr. Benrath a. a. O. ausgesprochen.
- 46 -
es drang übrigens in diesen Raum die Hitze auch aus dem Werk-
ofen durch ein Loch in der Scheidemauer. Die dritte Kammer,
welche sich rechts von dem Werkofen befand, diente ohne Zweifel
als Kühlofen. Dieser erhielt seine Wärme durch ein in der
Scheidewand gelassenes Loch aus dem Schmelzofen und durch ein
in der Nähe der Scheidewand in der Herdsohle angebrachtes
Loch aus dem Heizraume.
Nach Heraclius hatten also die Glashütten des 13. Jahr-
hunderts drei zusammenhängende Oefen: einen Schmelzofen, einen
Frittofen und einen Kühlofen. Eine Durchschnittsansicht des
ganzen Ofens ist in Fig. I unten zu sehen. Der von Theophilus
im 12. Jahrhundert beschriebene Ofen bestand nur aus zwei
Theilen: aus dem Schmelzofen und dem Kühlofen; als Frittstätte
diente die obere Plattform. Die Häfen können bei der ersteren
Anlage entweder im Kühlofen oder im Frittofen gebrannt worden
sein. Diese beiden Ofenanlagen müssen also im Mittelalter neben
einander bestanden haben') als einfache Fortsetzung der >con-
tinui fornaces<, von welchen bereits Plinius spricht.
Ueber die weiteren Hütteneinrichtungen erfahren wir wenig.
Unser kundiger Mönch erzählt uns nur noch, dass zum Heizen
des Schmelzofens »im Rauche vollkommen getrocknetes Buchen-
holz < genommen werden soll.*) Da nun auch sonst das im
Rauche getrocknete Holz erwähnt wird 3), hat Dr. Benrath mit
Recht geschlossen, dass das in den Glashütten nothwendige Holz
über den Oefen getrocknet wurde und hiezu unter dem Dache
das Balkenwerk eingerichtet war. Noch heutzutage trocknet man
in den Hütten des bayerischen Waldes das Holz unter dem Dache,
auf der sog. Harsche unmittelbar über dem Ofen. Aehnliche
Vorrichtungen müssen also schon im frühen Mittelalter vorhanden
gewesen sein. Ebenso hat es bereits damals zum Mischen des
Gemenges > reinliche Orte«, sog. Zurichtkammern gegeben.**)
*) Die Oefen för Tafelglasfabrikation liegen ausserhalb meines Rahmens.
2) lib. II, c. IV. u. xxm.
3) lib. n, c. xin.
^) Theophilus, 1. c. lib. H, c. IV.
— 47 —
Zu beiden Seiten des Schmelzofens befanden sich sodann
die Werkstätten der Glasmacher, Der von Theophilus geschilderte
Ofen erforderte acht solcher Werkstätten, welche den acht Häfen
entsprachen; bei dem von Heraclius beschriebenen Ofen dagegen
waren zunächst nur zwei Werkstätten nöthig, da derselbe auch
nur zwei Häfen hatte. Diese Häfen müssen aber grösser ge-
wesen sein als die von Theophilus gemeinten. Auch ist nicht
anzunehmen, dass in der Werkstatt vor jedem Arbeitsloch nur
ein einziger Glasmacher arbeitete ; es werden wohl zwei oder drei
Glasmacher auf jeder Seite thätig gewesen sein, so dass also auch
vor diesem Schmelzofen vier bis sechs Werkstätten nothwendig
waren. Bevor aber die Glasmacher an ihre Arbeit gehen konn-
ten, musste die Masse vom Schmelzer zusammengewogen und in
einem langen Processe gereinigt worden sein. Hierüber haben
wir wieder etwas ausfuhrlichere Nachrichten.
> Willst du Glas machen«, sagt Theophilus*), > falle zuvor
viel Buchenholz und lasse es dürr werden. Dann verbrenne es
mitsammen auf einem sauberen Platze, sammle hierauf die Asche
und achte sorgfaltig darauf, dass du keine Erde und Steine dar-
unter bringst. € Als Hauptbestandtheil des Glases galt also da-
mals die Asche; es scheint demnach, so schliesst Dr. H. E. Ben-
rath mit Recht ^), die im Alterthume vorzugsweise angewendete
Rohsoda — nitrum — durch die Pflanzenasche vollständig ver-
drängt worden zu sein. Auch Heraclius sieht in der Asche den
Hauptbestandtheil des Glases, wenn er schreibt 3): >Das Glas wird
aus Asche gemacht und zwar aus der Asche des Farrenkrautes
und der Faina, d. h. der kleinen Bäumchen, welche im Walde sind
oder wachsen. Geholt wird das Farrenkraut vor dem Feste Johan-
nis des Täufers; hierauf wird es bestens getrocknet, ins Feuer
gebracht und in Asche verwandelt. Aehnlich wird auch die Asche
der Faina durch das Feuer gewonnen. Nimm nun 2 Theile von
1) lib. n, c. I. 2) a. a. O. Nr. 8. 3) Ub. ÜI, c. Vn.
- 48 -
der Farrenkrautasche und den dritten aus der Fainaasche und
mische sie durch einander. < — Um jene Zeit sang auch Freidank :
;»Gott hat erschaffen manchen Mann,
Der Glas aus Asche machen kann,
Und das Glas kann schöpfen, wie er will.*')
Theophilus kennt indess auch den Sand als Bestandtheil des
Glases, doch durfte dieser nur ein Drittel des Gemenges bilden.
Er sagt 2): iNimm zwei Theile der oben besprochenen Aschen
und den dritten aus Sand, welcher sorgsam von Erde und Stein-
chen gereinigt ist, ihn findest du im Wasser; und dann vermenge
Alles an einem sauberen Orte.< Dieser saubere Ort war^ wie
bereits bemerkt worden ist, die heutige sog. > Zurichtkammer <•
Auch bei Heraclius heisst das Gemenge einmal Sand. Dieses
Gemenge wurde hierauf gefrittet. Theophilus beschreibt den be-
treffenden Vorgang also: >Wenn du den Sand und die Asche
lange und ordentlich gemischt hast, dann fasse davon mit einem
eisernen Löffel (Kelle) und bringe es auf den oberen Herd über
der kleineren Abtheilung des Ofens (d. h. über dem Kühlofen),
damit es geglüht werde, und sobald es warm zu werden anfangt,
durchkrüke es alsogleich, damit es nicht etwa von der Hitze des
Feuers flüssig werde und sich zusammenballe, und so verfahre
eine Nacht und einen Tag.c
In dem von Heraclius beschriebenen Bau war für diesen
Process, wie wir gehört haben, ein eigener Ofen vorgesehen, in
welchem das Gemenge ebenfalls einen Tag und eine Nacht ge-
glüht werden musste. Erst nachdem dies geschehen war, konnte
das Gemenge in die Häfen des Schmelzofens gebracht und lauter
geschmolzen werden. Heraclius sagt hierüber 3): >Wenn nun das
ganze Gemenge sehr lange und bestens geglüht ist, dann schöpfe
es mit einem eisernen Löffel (der Schöpfkelle) in deine Häfen
und schmelze es so lange, bis es weiss wird.« Dasselbe berichtet
Theophilus, wenn er schreibt*): > Schöpfe mit einem Löffel die
') Diese Stelle ist meines Wissens zuerst von Dr. H. E. Benrath,
^ Sprechsaal a. a. O. bemerkt worden.
2) lib. n, c. IV. 3) lib. III, c. Vn. 4) Hb. II, c. V.
— 49 —
geglühte, sandvermischte Asche und füllfe damit am Abend alle
Häfen an und schüre die ganze Nacht mit trockenem Holze, da-
mit die aus der Asche und dem Sande flüssig hervorgegangene
Glasmasse gänzlich geschmolzen werde, c
Hiezu hat schon Dr. H. E. Benrath bemerkt, dass man
unter dem guten Durchschmelzen das gegen das Ende der Schmelze
nothwendige >Heissschüren< behufs der Läuterung mitverstehen
könne; dagegen scheinen unsere beiden Gewährsmänner von dem
sog. > Abgehenlassen«, das den zweiten Theil der Läuterung bil-
det, noch keine Kenntniss gehabt zu haben. Diesem Umstände
muss es wohl auch zugeschrieben werden, dass das alte Glas
meist schlecht geläutert erscheint.
Die Häfen nun, in welchen diese Schmelze und Läuterung
vor sich ging, waren, wenigstens in dem Ofen des Theophilus,
nicht entfernt so gross wie die in unseren heutigen Glashütten.
Schon der Umstand, dass sie durch eine quadratische OefFnung
von dem Masse einer Spanne eingetragen wurden, lässt sie mehr
als Tiegel denn als Häfen im modernen Sinne des Wortes er-
scheinen. Ihre Herstellung beschreibt Theophilus also*): >Nimm
weissen Lehm, aus dem man Töpfe macht, trockne ihn aus und
zermahle ihn fleissig. Giesse Wasser daran und rühre ihn tüchtig
mit einem Holze und forme dann daraus deine Gefösse, welche
oben weit, unten aber enge seien und um die Mündung einen
kleinen, nach innen gebogenen Rand haben. Wenn sie getrocknet
sind, fasse sie mit einer Zange und stelle sie in die Oeffnungen
des glühenden Ofens, welche hiezu eingerichtet sind.« Da der
von Heraclius beschriebene Ofen nur zwei Häfen hatte, müssen
diese selbstverständlich etwas grösser gedacht werden.
Wenn nun in diesen Häfen oder Tiegeln während der
Nacht das Glas gehörig geläutert war, begannen die Glasmacher
am Morgen dasselbe zu verarbeiten. Jeder von ihnen hatte vor
seinem Arbeitsloche eine Werkstatt. Die wesentliche Einrichtung
derselben wird wohl schon im frühen Mittelalter ungefähr die
nämliche wie heute gewesen sein. Es war vor Allem ein Stuhl,
i) lib. II, c. V.
— 50 —
der sog. Glasmacherstuhl, oder vielmehr eine Bank, bestehend aus
einem einfachen Brette, angebracht, femer ein Ober- und ein
Untertrog. Der letztere diente zur Aufnahme der abfallenden
Scherben u. s. w., der erstere war mit Wasser gefüllt und diente
zum Eintauchen der Hände und Werkzeuge. Dass dieser mit
Wasser gefüllte Obertrog in den frühmittelalterlichen Hütten wirk-
lich vorhanden war, bezeugen mehrere Stellen des Theophilus, so
z. B. wenn er vorschreibt, das fertige Glas von der Pfeife mittels
eines eingenetzten Holzes^ — cum humido ligno*), cum
ligno aquae intincto^) — loszumachen.
In den alten Werkstätten war ferner auch unmittelbar vor
dem Arbeitsloche dieselbe Aufmauerung und Einrichtung wie heut-
zutage. Sehr genau beschreibt diese Heraclius, wenn er sagt'):
>Du machst nämlich daselbst (d. h. am Arbeitsloche) aus Mauer-
werk eine Schutzwand, damit du nicht vom Feuer zu leiden hast.
Auf diese Schutzwand legst du die eiserne Platte, welche Marmor
genannt wird.« Es befand sich demnach unmittelbar vor dem
Werkloch eine gemauerte Fläche, wie noch gegenwärtig, und auf
dieser lag auch damals bereits die eiserne Platte. Der letzteren
gedenkt auch Theophilus; er sagt*): >Habe auch einen ebenen
Stein vor döm Arbeitsloche, über welchen du das glühende Glas
leicht hinwälzest, damit es ringsum gleichmässig (von der Pfeife)
weghängt.« Die betreffende Platte, welche, wie wir eben gehört,
im 13. Jahrhundert aus Eisen war, bestand im 12. Jahrhundert
noch aus Stein. Dieser Umstand erklärt die noch gegenwärtig
übliche Benennung > Marbelplatte« — marmor ferri — ; es hat
sich eben die uralte Bezeichnung, welche von einer Marmorplatte
ausgegangen zu sein scheint, auch dann noch fortgesetzt, als man
diese Platte weder aus Marmor noch aus sonst einem Steine, son-
dern aus Eisen machte.
Wenn nun der Glasmacher in der so eingerichteten Werk-
stätte die Arbeit beginnen wollte, dann bedurfte er zunächst eines
eisernen Rohres, der Pfeife, um sich zu jedem Stücke die nöthige
1) lib. n, c. VI, XI. 2) lib. n, c. X. 3) lib. III, c. VII.
^) lib. II, c. VI.
— 51 —
Quantität Glas aus dem im flammenden Ofen stehenden Hafen
holen und dieses an ihr aufblasen zu können. Von ihr sagt
Heraclius: >Wenn du aber Gefasse oder Tafeln machen willst,
dann habe innen hohle eiserne Rohre von der Länge eines Ell-
bogens oder länger oder kürzer, wie es dir erforderlich scheint,
und an einem Ende des Rohres bringe ein kleines, innen hohles
Holz mit einem äusserst kleinen Mundstück an, durch welches du
bläst, wenn du irgend ein Gefäss machen willst.«
Mit diesem Rohre also musste der Glasmacher die zum
gewollten Gegenstande nöthige Glasmasse aus dem Hafen holen
oder, wie der Hüttenausdruck gegenwärtig lautet, anfangen.
> Tauche«, sagt Heraclius, > tauche die Pfeife in den Hafen, ziehe
ein kleines Stück des teigähnlichen Glases heraus und drehe dabei
die Pfeife in der Hand.«
Das herausgenommene Glas musste dann gleich über die
Marbelplatte hingewälzt werden, damit es gleichmässig von der
Pfeife wegzuhängen kam. Hierauf blies der Glasmacher in die
Pfeife und formte theils mit seinem Hauche, theils mit Instru-
menten irgend ein Gefass. >In erster Morgenstunde«, sagt Theo-
philus*), >nimm die eiserne Pfeife und . . . setze ihr Ende in
einen der mit .Glas gefüllten Tiegel; wie sich nun das Glas
daran anlegt, drehe die Pfeife in deiner Hand, bis sich rings um
sie herum so viel zusammengeballt hat, als du willst; dann ziehe
sie sogleich heraus tmd setze sie an deinen Mund und blase
massig hinein, thue sie sofort wieder weg und halte sie an die
Backe, damit du nicht etwa beim Athemholen die Hitze (die aus
der Pfeife kommt) in deinen Mund ziehst . . . und so oft du mit
Eile vielmals bläst , so oft entferne auch die Pfeife sogleich
wieder vom Munde.«
Demnach scheint es, dass man im 12. und 13. Jahrhundert
für irgend ein Gefäss oder eine Glastafel nur einmal Glas anfing,
dass man das sog. Kölbchen nicht kannte. In späterer Zeit
verfuhren die Glasmacher also: Sie fassten zuerst nur sehr wenig
Glas an die Pfeife, streiften dasselbe bis an den Rand gleich-
1) lib. n, c. VI.
4*
— 52 —
massig zurück und bliesen es zu einer kleinen Kugel auf. Diese
Hessen sie sodann an der Pfeife bis zur Rothgluthhitze erkalten;
hierauf tauchten sie damit abermals in den Hafen und fingen
darüber ein grösseres Quantum Glas an, wie es eben der zu
fertigende Gegenstand erheischte. So ist es bis auf den heutigen
Tag geblieben. Bei kleineren Sachen, Fläschchen, Apotheker-
waaren, Cylindern u. s. w. lässt man indess auch gegenwärtig das
Kölbchen fort, da fUr diese gleich das erste Mal die nöthige
Glasmasse gefasst werden kann; unmöglich aber ist dies bei den
grossen Cylindern des Tafelglases. Demnach darf man aus dem
Umstände, dass man im frühen Mittelalter kein Kölbchen her-
stellte, den Schluss ziehen, dass man damals durchgehends nur
Gegenstände von massiger Grösse fertigte.
Ueber den weitern Fortgang der Arbeit berichtet Heraclius
nur ganz kurz; er sagt: »Auf der Marmelplatte forme das Glas,
welches du machst und gib ihm beliebige Gestalt, c Viel aus-
führlicher und fachmännischer äussert sich Theophilus. Nachdem
er gezeigt, wie das Glas anzufangen und aufzublasen ist, fahrt er
fort^): >Du musst dann das ganze (aufgeblasene Glas) mit einem
in Wasser getauchten Holze von der Pfeife abschlagen, aber es
sogleich wieder mit einem erwärmten Rohre an seinem Boden
anheften. Dann musst du das Gefass aufheben, in der Flamme
erwärmen und mit einem runden Holze jene Oeffnung, von der
du die Pfeife entfernt hast, erweitern, dort ein Mundstück bilden
und beliebig gross machen. Femer musst du um das Rohr auch
den Boden etwas erweitem, damit er unterher hohl sei. Wenn
du Henkel an das Glas ansetzen willst, an welchen es hängen
könne, nimm ein schlankes Rohr, tauche es mit der Spitze in
den Glastiegel und, wenn etwas Glas daran hängt, ziehe es heraus
und setze letzteres an das Gefäss, wo du willst, und wenn es haftet,
erwärme es, damit es fester hafte. Forme aus diesen Henkeln,
was du willst, halte aber inzwischen das Gefass an die Flamme,
damit es warm bleibt, ohne jedoch flüssig zu werden. Nimm
auch ein bischen Glas aus dem Ofen, so dass es einen Faden
>) üb. n, c X.
— 53 —
nach sich zieht, setze diesen an das Glas an, wo du willst, und
drehe dasselbe, aber bei der Flamme, damit der Faden hafte. <
Diese Stelle zeigt, dass die Glasmacher des frühen Mittel-
alters fast dieselben Manipulationen bei Herstellung eines Ge-
fasses machten, wie die heutigen. Diese Manipulationen sind
seitdem nur in einigen Beziehungen etwas einfacher geworden,
was mit der Verbesserung und Vermehrung der Werkzeuge zu-
sammenhängt. Was zunächst das Abschlagen des geblasenen
m
Stückes von der Pfeife anbelangt, so geschah dies damals mit
einem eingenetzten hölzernen Werkzeug-, heutzutage thut man
dies gewöhnlich mit dem Streicheisen oder auch mit dem Werk-
zeuge, das man eben in der Hand hat; bei Flaschen und ähn-
lichen kleinen Gegenständen lässt man nur mit der Hand oder
mittels eines Instrumentes etwas Wasser vorne auf die Pfeife
tropfen und schlägt mit dieser das Glas auf den Herd vor dem
Arbeitsloche, so dass es abspringt. Dann nimmt man das sog.
Hefteisen, an welchem sich ein vorne breit gedrückter gläserner
> Nabele befindet, und fasst damit das Glas an der Bodenseite.
Dieses Hefteisen kannte man schon im 12. Jahrhundert. Die
Abschneid- und Auftreibscheere dagegen hat man damals noch
nicht gekannt; denn Theophilus sagt nur, dass das geblasene Glas
nach dem Anheften mittels eines runden, vorne jedenfalls gespitz-
ten Holzes aufgetrieben wurde. Gegenwärtig treibt man Flaschen
mit eigens dazu eingerichteten sog. Rollscheeren auf; bei grösse-
ren Gegenständen aber wird zuvor mit der Abschneidscheere ein
Stück von der Mündung ringsherum weggeschnitten, damit die
Oeffnung weiter wird; dann wird diese mit der Auftreibscheere
noch grösser gemacht und zum Schlüsse mit einem hölzernen
Werkzeuge, dem sog. Plattholz vollendet. Von all diesen Werk-
zeugen hatte man im 12. Jahrhundert noch keine Kenntniss,
wenn man sonst annehmen darf, dass Theophilus als Fachmann
und aus eigener Erfahrung spricht; ja nach diesem Autor hätte
man die Fläschchen mit langem Halse gar nicht aufgetrieben und
ohne Rand am Mundstück gelassen. Er sagt^): »Wenn du
') lib. II, c. xn.
— 54 —
Fläschchen mit langem Halse herstellen willst, mache es also:
Sobald du das heisse Glas als längliche Blase aufgeblasen hast,
halte die Oeffiiung der Pfeife mit deinem Daumen zu, damit die
Luft nicht etwa herausgeht, schwinge die Pfeife mit dem Glase
daran über deinen Kopf hinweg, gleichsam als ob du sie weg-
werfen wolltest, und sobald sich der Hals des Fläschchens in die
Länge gezogen hat, hebe deine Hand in die Höhe und lasse die
Pfeife mit dem unten daran befindlichen Gefasse hinabhängen,
damit der Hals nicht krumm werde, und dann trenne die Flasche
mit dem feuchten Holze ab und gib sie in den Rühlofen.< Ob
hiemit unser Mönch die volle Wahrheit spricht, liesse sich nur
an erhaltenen Flaschen aus jener Zeit controliren.
Unklar ist femer auch, was Theophilus über das Erweitern
des Bodens sagt, so dass derselbe unten hohl sei. "Eine derartige
Bearbeitung konnte an einem Gefasse, das bereits am Hefteisen
sass, nicht mehr vorgenommen werden- sie musste erfolgen, so
lange das Gefass noch an der Pfeife hing. An der Pfeife musste
das Gefass unten zunächst breit gedrückt werden, so dass ein
ebener Boden entstand, und dieser Boden musste sodann mit
einem spitzigen Instrumente etwas eingestochen werden.
Ausser der Pfeife und dem Hefteisen ist noch ein drittes
Rohr in den Glashütten nothwendig, nämlich das Bindeisen.
Auch dieses kannte unser Mönch bereits, und schon damals diente
dasselbe zum Ansetzen der Henkel und zum Anlegen von Fäden.
Den Henkeln wurde verschiedene Gestalt gegeben hauptsächlich
mit dem Henkelholze und wohl auch mit dem Zwick- oder
Zwackeisen (Zange); denn die Kenntniss dieses Instrumentes
darf sicherlich vorausgesetzt werden.
Was die Verzierung der Gläser anbelangt, so wird ausser
den Henkeln nur der Fadenschmuck erwähnt. Nach Theophilus
pflegte man nämlich manche Gläser mit einem Faden zu über-
spinnen und ihnen dadurch eine gefallige Decoration zu geben.
Sonst aber wird, wie gesagt, keine Verzierung erwähnt, welche
von dem Glasmacher selbst an den Gefässen angebracht worden
wäre. Das ist Alles, was uns unsere beiden Gewährsmänner über
die Arbeitsmethode berichten.
- 55 -
War ein Stück fertig, dann kam es in den Kühlofen. »Ist
das Gefass oder der Becher, die flache Schale oder die Tasse«,
sagt Heraclius*), »vollendet, dann bringe sie in die links ange-
brachte Kammer, damit sie dort langsam auskühle.« Es war
schwerlich der Glasmacher selbst, welcher die fertigen Gläser in
den Kühlofen trug, sondern dieses Geschäft wird auch damals
schon der »Eintrager« besorgt haben. Theophilus gedenkt des-
selben da, wo er von dem Erzeugen der Glastafeln spricht.
»Gieb«, sagt er dort*), »den fertigen Cylinder dem Knaben,
welcher ein Holz durchschiebt und ihn in den Kühlöfen trägt,
welcher nur massig erhitzt sein soll.« Da die damaligen Glas-
macher so ziemlich allgemein Tafel- und Hohlglasmacher zugleich
waren, dürfen wir getrost auch zum Eintragen der fertigen Ge-
fasse einen Eintrager (Lehrling) annehmen, nur musste er hier
in vielen Fällen statt des Holzes ein langes Eisenrohr, das sog.
Eintrageisen, und eine lange eiserne Gabel haben.
Die vorhin angeführte Stelle des Heraclius lehrt uns zu-
gleich, dass man im 1 3. Jahrhundert hauptsächlich Trinkgeschirre
aus Glas machte und zwar vor Allem Becher, Tassen und flache
Schalen. Die letzteren erwähnt auch Wolfram von Eschenbach in
seinem berühmten Epos Parzival (1200 — 1207), wenn er schreibt*):
yinan tmoc von golde (ez was niht glas)
ftir sie manegen tiwem (theaere) schal.*
Der nämliche spricht auch von Parfümvasen aus Glas, wenn er
von Lichtem erzählt in*):
sehs glas lanc lüter wol getdn,
dar inne baisam der wol bran.
Einer solchen Vase mit Wohlgerüchen gedenkt auch Wirnt von
Gravenberg im Heldengedicht »Wigalois« (1208 — 1210).^) Sehr
häufig ist in den Dichtem die Rede von den Glasringen. Schon
in der Einleitung haben wir gehört, dass die Gräfin Margarethe
von Flandern im Jahre 1252 sich eine Kiste voll Glasringe
J) lib. II, c. VII. [Vgl. Theophilus, Üb. n, c. X u. XI.]
2) Üb. II, c. VI. 3) XVI, 232. 4) 1. c. V, 363. ö) Vers 10362.
— 56 —
bringen Hess. Nach Walter von der Vogelweide ^) und Gottfried
von Strassburg*) waren diese Ringe nicht besonders geschätzt.
Dass sie aber gleichwohl häufig hergestellt wurden, zeigt der
Umstand, dass Theophilus ihrer Herstellung ein eigenes Kapitel
widmet.^) Wenn fetner in den »Carmina burana« das Nacht-
gestirn als »Dianae vitrea lampas« bezeichnet wird, mag darin
eine Andeutung liegen, dass damals auch im Abendlande gläserne
Lampen in Gebrauch waren.*) Dazu kamen, wie wir bereits
aus Theophilus gehört haben, noch langhalsige Flaschen. Von
den Bechern und Schalen erhielten manche Henkel. Von den
Griechen speciell erzählt uns unser Autor ^): »Sie machen auch
purpurne oder lichtblaue Becher und Schalen mit massig ausge-
dehntem Halse und umgeben sie mit Fäden aus weissem Glase,
aus welchem sie auch die Henkel ansetzen.« Angeeifert durch
den Schriftsteller werden wohl auch die deutschen Hütten jener
Zeit ähnliche Sachen zu erzeugen gesucht haben. Freilich in
Bezug auf das Färben der Glasmasse waren diese so ziemlich
aiif den Zufall angewiesen ; es gab nur für wenige Farben sichere
Vorschriften. Höchst naiv klingt, was Theophilus z. B. über das
safrangelbe Glas schreibt. »Solltest du«^ sagt er^), »irgendeinen
Tiegel eine Safranfarbung annehmen sehen, dann lasse ihn bis
zur dritten Stunde schmelzen und du wirst ein helles Safrangelb
erhalten. Daraus fertige, soviel du willst, nach der oben ange-
führten Regel. Wenn du aber willst, lasse den Tiegel bis zur
sechsten Stunde schmelzen und du erhältst ein ins Röthliche
spielendes safranfarbenes Glas. Auch daraus mache, was dir
beliebt. <
Ueber die Herstellung dieses Glases zeigt sich Heraclius
besser unterrichtet, wenn er schreibt'): »Das safranfarbene Glas
wird auf diese Weise erzeugt. Nimm die rohe Asche und bring
sie in den Hafen und schmelze sie und zugleich mit ihr wirf
1) Edit. Pfeiffer, 14, 24. 2) Tristan, V. 16874. ^) lib. II, c. XXX.
4) Diese Stellen nebst einigen von dem Spiegelglas handelnden sind zu-
erst von Dr. Alb. II g, Mittheilungen des k. k. Oesterr. Museums für Kunst
und Industrie, Jahrg. Xin, S. 177 ff., bemerkt worden.
5) üb. II, c. XIV. 6) lib. n, c. Vn. 7) 1. c.
— 57 —
einen kleinen Theil Sand hinein und, wenn ich recht berichtet
bin, ein bischen pulverisirtes Kupfer, rühre Alles durcheinander
und es wird sich ein safrangelbes Glas ergeben, das manCerasin
nennt.« Heraclius scheint dieses Recept aus guter Quelle ge-
schöpft zu haben. Interessant ist auch, was der nämliche Autor
über die Herstellung des rothen Glases sagt. »Willst du aber«,
heisst es an der vielcitirten Stelle, >dass das Gemenge roth werde,
so hast du mit der nicht gut durchgebrannten Fritte also zu
verfahren. Nimm Kupferfeile und brenne sie so lange, bis sie
zu einem Pulver wird, und wirf sie dann in die Häfen, so wird
sich daraus ein rothes Glas ergeben , welches man Galienum
nennt.« Damit ist das blutrothe Glas, das Hämatinon der Alten
gemeint ; es ist unser Kupferrubin, welcher somit den Glasmachern
des 13. Jahrhunderts bereits bekannt war. ^)
Ein weiteres Recept, das Heraclius mittheilt, behandelt das
grüne Glas: »Grünes Glas«, sagt er, »bereite also: Thu von dem
eben besprochenen Pulver aus gebranntem Kupfer soviel in den
Hafen, als dir eVforderlich scheint, rühre die Masse um und sie
wird grün werden.« Weniger sachlich ist das, was er über das
purpurne und fleischfarbene Glas sagt. »Purpurnes und fleisch-
farbenes Glas«, so lauten seine Worte, »werden wieder anders
und zwar aus der Asche der Buche bereitet, welche wie die weisse
Asche geglüht, dann in den Hafen gethan und so lange ge-
schmolzen wird, bis es purpurne Färbung annimmt. Während
des Schmelzens rühre sie häufig um, wie dies auch beim anderen
Glase geschieht, wie ich schon oben gelehrt habe. Wenn du
bemerkst, dass sie ins Purpurne überzugehen beginne, dann nimm
davon, soviel du willst und fertige daraus, was dir gefällt, so lange
bis du bemerkst, dass die Färbung blass werde. Aus diesem
blassen Tone geht das Glas sodann in einen anderen über, wel-
cher Membrum heisst.« Fehlt es schon diesem Recepte an that-
sächlichen Angaben, so ist das, was Theophilus hierüber schreibt,
wieder geradezu naiv: »Wenn du aber«, sagt er*), »gewahr wirst,
*) Vgl Dr. Benrath, a. a. O. 1879 Nr. 9.
2) lib. u, c. vni.
- 58 -
dass irgend ein Hafen ins Röthliche, welches der Fleischfarbe
ähnlich ist, hinüberspielt, so soll dessen Glas für nackte Theile
gebraucht werden; nimm^ davon, soviel du willst. Das Uebrige
aber schmelze noch zwei Stunden, d. h. von der ersten bis zur
dritten, und du erhälst eine leichte Purpurfarbe, und wenn du
von der dritten bis zur sechsten Stunde abermals weiter schmel-
zest, wird die Purpurfarbe roth und vollkommen.«
Aus derlei unbestimmten Angaben ist kaum mehr zu ent-
nehmen, als dass die deutschen Glasmacher resp. die Schmelzer
des 12. und 13. Jahrhunderts in Bezug auf das Farbenglas so
ziemlich auf den Zufall angewiesen waren. Was ihnen dieser
versagte, das scheinen sie theils durch aus Venedig importirtes
Rohglas, theils durch römische Glasscherben angestrebt zu haben.
»Es findet siehe, sagt Theophilus * ), >in den alten Gebäuden der
Heiden Glas von verschiedener Art in musivischer Arbeit, näm-
lich weisses, schwarzes, grünes, safrangelbes, saphirblaues, rothes,
purpurnes, und zwar nicht etwa durchsichtiges, sondern nach Art
des Marmors dichtes, in Form von viereckigen Steinen, aus denen
man die Electra (Emaile) an Gold, Silber und Kupfer macht . . .
Es werden auch verschiedene Gefasse von denselben Farben ge-
funden, welche die in dieser Arbeit sehr erfahrenen Franken
sammeln. Diese_erschmelzen daraus in ihren Oefen ein saphirnes
Glas, wobei sie ein wenig helles und weisses Glas hinzufügen,
und machen daraus kostbare saphirne Tafeln, welche zu Fenstern
sehr tauglich sind. Aehnlich machen sie es mit dem purpurnen
und grünen Glase.« Die Franken, d. h. die jenseits des Rheines
Wohnenden, erschmolzen sich also im 12. Jahrhundert ihr Saphir-
glas aus antiken saphirnen, hellen und weissen Glaswürfeln und
Gefössen, ihr grünes und ihr Purpurglas aus grünen und purpur-
nen Glasfragmenten und Gefässen, die sie in den antiken Ge-
bäuden fanden. Dass auf diese Weise unendlich viele antike
Gläser und namentlich Mosaikböden zu Grunde gegangen sind,
lässt sich denken; und doch werden selbst gegenwärtig noch ge-
rade in der Rhein- und Moselgegend die meisten alten Glas-
1) lib, II, c. xn.
— 59 —
gefässe gefunden. Dies lässt es uns ahnen, welcher Reichthum
an antiken Gläsern uns dort erhalten geblieben wäre, wenn nicht
die Barbarei des frühen, ja selbst noch des späteren Mittelalters
dieselben grösstentheils vernichtet hätte.
Die römischen Glaswürfel, aus welchen die Emailfarben
hergestellt wurden, erwähnt auch Heraclius. iWenn jemand c,
schreibt er^) im I. Buche, das aus dem lO. Jahrhundert stammt,
»wenn jemand Gefasse mit Glasmasse bemalen will, so vermähle
er römisches Glas tüchtig auf dem Marmor und male dann,
sobald es wie Staub ist . . . auf die Gefässe des Töpfers.«
An einer andern Stelle schreibt er also^): >Auf folgende Weise
kannst du aus römischem Glase schöne, glänzende Steine aller
Gattungen herstellen u. s. w.« Das römische Glas — >Roma-
num vitrum« — war demnach seit dem lo. Jahrhundert ein
»terminus technicus< und in den deutschen Glashütten ein wohl-
bekannter Artikel, ebenso wie das jüdische Glas. ^)
Wo man keiner antiken Scherben theilhaftig werden konnte,
bezog man das farbige Rohglas von den Griechen. So erwähnt
Theophilus da, wo er von der Bereitung der Emailfarben zum
Bemalen der Fenstertafeln spricht, * ) ausdrücklich das griechische
Saphirglas, und nach Heraclius scheint das Saphirpulver ein
bekannter Handelsartikel gewesen zu sein, da er dasselbe ohne
weitere Angabe mit seinem Bleiglas behufs Erzeugung von Email-
farben zu mischen vorschreibt. **) An eben dieser Stelle gibt
unser Autor auch ein interessantes Recept zur Herstellung von
grünem Glase. Nachdem er zuvor angegeben, wie aus zwei
Theilen Bleipulver und einem Theile Sand Glas gemacht werden
könne, fährt er also fort: »Willst du aber, dass dieses Glas grün
erscheine, dann nimm Messingfeile und gib davon, soviel als
dir nöthig scheint, in das Bleiglas.«
Neben den römischen und griechischen Glasscherben ist
schon frühzeitig venetianisches Rohglas nach Deutschland ausge-
führt worden. Aus diesen Glasbrocken, welche in Deutschland
1) Hb. I, c. m. 2) lib. I, c. XIV. 3) Heraclius III, 49.
4) lib. II, c. XIX. 5) Üb. m, c. vm.
— 6o —
möglicherweise für antik gehalten wurden, scheint man ein besse-
res Glas als das einheimische erzeugt zu haben so zwar, dass
die Venetianer sich bereits im Jahre 127S und neuerdings 1285
veranlasst fanden, die Ausfuhr des Glases in Stücken zu ver-
bieten. *) Noch interessanter ist ein Erlass vom 2. Juli 1345
gegen die Glaserzeuger, weil dieselben »Körper aus Glas ganz
ähnlich den Körpern aus Kryställ machten und diese an die
Deutschen verkauften zum grossen Schaden der genannten Kunst, c ^)
Die Glasmacher Venedigs scheinen also im 14. Jahrhundert ein
förmliches Geschäft daraus gemacht zu haben, das geschmolzene
Glas einfach zu Stücken zu verarbeiten und diese Stücke den
Deutschen zu verkaufen, wodurch diese in den Stand gesetzt
wurden, Gläser besserer Qualität zu erzeugen.
2. Zur Zeit der Renaissance.
Wenn wir um einige Jahrhunderte, ungefähr bis zum Be-
ginne des 16. herabsteigen und wiederum einen Blick auf die
damaligen Glashütten, deren Oefen und sonstigen Einrichtungen
werfen, dann werden wir in Deutschland zunächst so ziemlich
Alles noch in demselben Zustande finden wie im frühen Mittel-
alter. Damals aber hatte die venetianische Glasindustrie bereits
ihren Höhepunkt erreicht. Es konnte daher nicht ausbleiben,
dass dieselbe alsbald auf die Glasindustrien aller Länder von ent-
scheidendem Einflüsse wurde und gründliche Wandlung schuf.
Dies ist in der That, wie wir bereits in der Einleitung ausführ-
lich gehört haben, im Laufe des 16. Jahrhunderts geschehen.
Wir besitzen in Bezug auf Deutschland aus jener Zeit hauptsäch-
lich zwei Berichte, welche uns über den damaligen Stand der
') B. .Cechetti, Cenni suUa storia dell' arte vetraria Muranese. Venezia
1865. Besprochen in den ^^Mittheilungen des k. k. österreichischen Museums
für Kunst und Industrie*. III. Band, S. 112. — Nesbytt, 1. c, p. XXXIV.
'^) a » * faciunt corporalia de vitro similia corporalibus de cristallo et
ipsa vendant Teotonicis quod in maximum prejudicium dicte artis redundat.*
— 6i —
Glasindustrie, namentlich in Bezug auf den Ofenbau und die
Schmelze, in fachmännischer Weise aufklären. Der erste rührt
von dem bekannten Begründer der wissenschaftlichen Mineralogie
und Hüttenkunde, von Georg Agricola (1490 — 1555) her und
der zweite von dem Pfarrer Johann Mathesius zu Joachimsthal in
Böhmen (f 1565). Beide Männer waren nicht nur gründliche
Gelehrte, sondern auch weit gereist. Agricola hatte sich zwei
Jahre lang in Venedig und ein andermal längere Zeit auf Mu-
rano aufgehalten, hat also hinlänglich Gelegenheit gehabt, die
dortigen Hütteneinrichtungen neben den einheimischen schlesischen
kennen zu lernen. Diese beiden Männer dürfen wir daher ge-
trost zu Führern nehmen, wenn wir einen Einblick in die Glas-
industrie des 16. und des folgenden Jahrhunderts gewinnen wollen.
Hören wir also, was uns diese über den Ofenbau ihrer Zeit be-
richten. Hierin müssen wir uns hauptsächlich an Agricola halten.
In seinem Werke »De re metallica«*) erzählt dieser Autor zu-
nächst, dass die Zahl der Oefen in den verschiedenen Hütten
verschieden sei. Es gibt Glasmacher, sagt er, welche drei Oefen,
andere, welche deren zwei, und wieder andere, welche nur einen
besitzen. Diejenigen, fahrt er weiter, welche drei Oefen haben,
schmelzen im ersten das Getaenge, im zweiten schmelzen sie das-
selbe um und im dritten kühlen sie die gemachten Gläser. Den
ersten Ofen nennt die Uebersetzung Schmelzofen; er entspricht
dem Frittofen des Heraclius. Seine Gestalt glich einem Backofen
und er musste gewölbt sein. Wie die aus der "Uebersetzung ent-
nommene Abbildung (Fig. 2) zeigt, bestand er aus zwei Abthei-
lungen, von denen die untere als Feuerherd, die obere als Fritt-
stätte diente. Die letztere musste 6 Fuss lang, 4 Fuss breit und
2 Fuss hoch sein. In ihr wurde das Gemenge bis zum begin-
nenden Flüssigwerden geschmolzen; in ihr wurden auch die Häfen
angetempert. In seiner Construction unterschied sich dieser Ofen
von dem bei Heraclius beschriebenen nur dadurch wesentlich.
•) Hb. XII. — Mir steht nur die i. J. 1557 zu Basel durch Jeronymus
Froben und Niclausen Bischoff veranstaltete Uebersetzung zu Gebote, welche
den Titel führt: »Vom Bergkwerck 12 Bücher.*
— 62 —
dasB er rund war und nicht mit dem Werkofen zusammenhing,
sondern fiir sich stand.
Der zweite Ofen, belehrt uns Agricola weiter, soll rund
sein, 50 Fuss im Durchmesser haben und 8 Fuss hoch sein. Der
grösseren Festigkeit halber soll er aussen mit 5 Bögen von ij
Fuss Dicke umgeben sein. Auch dieser Ofen soll aus zwei Ge-
wölben bestehen; das untere davon soll \\ Fuss dick sein und
vorne ein enges Loch haben, durch welches das Holz auf den
Fig. 8.
Herd, den sein Boden bildet, eingeführt werden könne. Dieses
Gewölbe soll sodann in der Mitte ein grosses Loch haben, damit
durch dasselbe die Flamme in den oberen Raum dringen könne.
In der Mauer dieser oberen Abtheilung sollen zwischen den Bö-
gen acht Oeffnungen von der Grösse sein, dass durch sie die
Häfen hinein und um das erwähnte Loch in der Mitte des Herdes
gesetzt werden könne. Was die Häfen anbelangt, sollen die.
selben 2 Zoll Wandstärke und eine Höhe von 2 Fuss, am Bauche
einen Durchmesser von i| Fuss, am HaJse und Boden einen
- 63 -
solchen von i Fass haben. Die Häfen waren abo im i6. Jahr-
hundert nicht mehr konisch, sondern bauchig und bereits von
bedeutender Grösse.
Im hinteren Theile dieses Ofens, fahrt Agricola fort, soll sich
eine viereckige Oefihung befinden, welche eine Hand breit und
hoch sein muss. Durch diese soll die Hitze in den angebauten
dritten Ofen gelangen. Der letztere soll viereckig und zwar 8
Fuss lang und 6 Fuss breit sein. Er soll wiederum aus zwei
gewölbten Abtheilungen bestehen. An der Stirnseite der unteren
soll eine Oeffiinng angebracht sein, durch welche die Scheiter
auf den Herd des Bodens geschafft werden können. Zu beiden
Seiten dieser Oefihung soll in der Mauerung zur Aufnahme langer
irdener Töpfe je eine Nische sein von 4 Fuss Länge, 2 Fuss
Höhe und i^ Fuss Breite. Das obere Gewölbe soll zwei Oeff-
nungen, eine auf der rechten, die andere auf der linken Seite
haben und diese Oeffiiungen sollen so gross sein, dass die eben
genannten Töpfe, welche 3 Fuss lang, i^ Fuss tief und i Fuss
am Boden breit sind, bequem durch sie eingeschoben werden
können. In diese Töpfe kommen die gemachten Glaser, damit
sie bei gelinder Wärme allmählig auskühlen, da sie sonst springen
würden. Hernach müssen die Töpfe aus dem Kühlofen genom-
men und in die vorhin geschilderten Nischen gethan werden,
damit die Gefässe vollends abkühlen. (Fig. 3.)
Der mit dem Kühlofen verbundene Schmelzofen des 16.
Jahrhunderts unterscheidet sich also in mancher Beziehung von
jenem des 12. Jahrhunderts. Abgesehen von einigen kleineren
vortheilhafteren Einrichtungen, bekundet er einen wesentlichen
Unterschied dadurch, dass bei ihm der viereckige Grundriss auf-
gegeben und dafür ein kreisrunder gewählt ist.
Was sodann jene Hütten betrifft, welche nur zwei Oefen
hatten, so berichtet uns Agricola Folgendes: Diese Hütten, sagt
er, fritten das Gemenge im ersten Ofen und schmelzen es im
zweiten um und legen auch die gemachten Gläser an einen und
denselben Ort, nämlich in den ersten oder Frittofen*, oder sie
fritten und schmelzen das Gemenge im zweiten oder Schmelzofen
und tragen die fertigen Gläser in den anderen Ofen, der dann
- 64 -
bloss KUhloren ist. Im ersteren Falle gibt es keinen eigenen
Kühlofen (da dort auch gefrittet wird), und im zweiten keinen
eigenen Schmelzofen (da in diesem dann ebenfalls zugleich ge-
frittet wird). Dieser Schmelzofen unterscheidet sich auch von dem
oben beschriebenen in seiner Einrichtung. Er ist zwar auch rund,
aber sein Inneres ist 8 Fuss breit, 12 Fuss tief und besteht aus
3 gewölbten Abtheilungen, von denen die untere von der des
oben an zweiter Stelle beschriebenen Ofens nicht wesentlich ver-
Fig. 3-
schieden ist. In den Mauern der mittleren Abtheilungen sollen
6 durch Bögen abgeschlossene Oeffhungen sein, welche, nachdem
in sie die Häfen gesetzt worden sind, bis auf kleine Löcher mit
Lehm verstrichen werden. Mitten im Gewölbe dieser zweiten
Abtheilung ist ein viereckiges, eine Spanne langes und breites
Loch angebracht, durch welches die Hitze in die oberste Kammer
geht. Diese letztere dient als Kühlofen j sie muss daher hinten
eine Oeffnung haben, damit durch dieselbe die Töpfe hineinge-
-- 65 -
tragen und in diese die fertigen Gläser zum Kühlen gethan werden
können. An dieser Seite ist dann der Boden der Glashütte er-
höht oder es ist dort eine Bank angebracht, damit die Glas-
macher hinaufsteigen und so ihre Arbeiten bequemer ablegen
können. (Fig. 4.)
Es besteht kein Zweifel, dass eine so eingerichtete Glashütte
Fig. 4.
in praktischer Hinsicht weit hinter jener mit drei Oefen zurück-
stand, wesshalb die letztere auch nach und nach den Sieg Über
sie davontrug. In manchen Hütten fiel auch der zweite Ofen
weg, so dass also nur einer übrig blieb. Dieser bestand dann
ebenfalls aus drei Abtheilungen über einander, wie der eben be-
schriebene. (Fig. 5.)
Wir haben schon oben gehört, dass Bernhard Schwarz, jener
~ 66 —
Antwerpener Glasmacher, welchen Herzog Albrecht V. zur Hebung
der bayerischen Glasindustrie gerufen hatte, über die Hütten des
bayerischen Waldes äusserte, dass sie insgesammt schlecht und
unschön gebaut wären und unverhältnissmässig viel HoU ver-
schlängen. Leider fehlen uns die näheren Angaben, welchen Ofen
Schwarz mit seinem Tadel treffen woUle, ob alle im Vorhergehen-
Flg. 5.
den geschilderten oder nur jene mit drei Abtheilungen. Welche
verbesserte Construction er selbst im Auge hatte, wird uns eben-
falls nicht gesagt. Allein aus dem Umstände, dass Agricola die
muranesischen Oefen von Grund aus kannte, darf geschlossen wer-
den, dass er deren Einrichtung bei seiner Schilderung berück-
sichtigt hat.
Wenden wir uns nun dem Gemenge zu und sehen, woraus
- 67 -
dasselbe in der in Rede stehenden Zeit zusammengesetzt wurde.
Agricola sagt, dass das Glas »auss etlichen harten säfften und
griess, oder auss sandt, mit gewalt des feurs, und subtiler kunst
aussgetruckt wirt«. Es entsteht aber, föhrt er dann fort, aus ins
Schmelzen gerathenen Steinen und harten Säften oder auch aus
Säften anderer Körper, welche sich mit diesen durch natürliche
Verwandtschaft verbinden.*) Von den schmelzbaren Steinen sind
die weissen und durchsichtigen die besten, wesshalb man den
Krystallen den ersten Platz einräumt. Den zweiten Platz weist
man den Steinen an, welche, wenn sie auch nicht die Härte des
Krystalles besitzen, doch weiss und durchsichtig wie dieser sind,
den dritten endlich den weissen, aber undurchsichtigen Steinen.
Diese alle aber müssen zuvor gebrannt, dann im Pochwerke ge-
brochen und zerstossen werden, dass sie wie Sand werden. Letz-
terer wird dann noch durch ein Sieb getrieben. Bietet sich aber
dem Glasmacher ein derartiger Sand an Flussmündungen dar,
dann wird ihm die Arbeit des Brennens und Zerpochens erspart.
Was sodann die Säfte betrifft, so räumt man unter ihnen
die erste Stelle der natürlichen Soda ein, die zweite dem weissen
und durchsichtigen Steinsalz, die dritte dem Salze, das man aus
Lauge bereitet, welche aus Anthyllisasche oder aus der Asche eines
anderen Salzkrautes ausgezogen worden ist. Manche indess
räumen diesem und nicht dem Bergsalz die zweite Stelle ein.
Von dem aus den schmelzbaren Steinen oder aus den
Flüssen gewonnenen Sande sollen nun zwei Theile genommen
und mit einem Theile der natürlichen Soda oder des Steinsalzes
oder des Laugensalzes gemischt und dazu ein kleines Stückchen
Braunstein*) gegeben werden. Diejenigen aber, denen die an-
geführten Säfte nicht zur Verfügung stehen, mengen zwei
Theile der Asche verschiedener Eichenarten oder, wenn diese in
der Umgebung nicht vorkommen, zwei Theile der Buchen- und
Fichtenasche mit einem Theil Sand und geben etwas Salz, aus
') Ichlialte mich hiebei zum Theil an die vonDr. Benrath im , Sprech-
saal* 1882, Nr. 19 gegebene Uebersetzung , da mir der lateinische Text nicht
vorliegt und die Baseler Uebersetzung nicht überall zuverlässig erscheint.
2) Agricola hält, wie schon Plinius, den Braunstein für den Magnetstein.
s*
— 68 —
salzhaltigem Quell- oder Seewasser gewonnen, und ein kleines
Stück Braunstein zu. Diese gewinnen aber ein weniger weisses
und durchsichtiges Glas. Die Asche wird aus alten Bäumen ge-
wonnen, deren Stamm in einer Höhe von 6 Fuss gefallt und im
Feuer zu Asche verbrannt wird. Dies geschieht im Winter, wenn
lange kein Schneefall stattgefunden hat, oder im Sommer, wenip
es nicht regnet, da der Regen der anderen Jahreszeiten die Asche
mit der Erde vermengt und dieselbe verunreinigt. In diesen
Jahreszeiten sollen eben diese Bäume in Stücke zerhauen, unter
Dach verbrannt und so zu Asche gemacht werden.
Aehnliches berichtet Mathesius ' ) über die Bestandtheile des
Glasgemenges. Von den venetianischen Hütten sagt er: »Ihre
eigne Sand haben hiezu die Venediger, unnd brennen ir eygne
asch, und brauchen ire zusetz, und halten ir kunst heimlich. Ich
höre sagen, man brenne asch auss schilfwurzel. Cardanus ^)
schreibet, sie haben ir eigen erde die den sand leutere, damit
sie auch das glass ferben, wie die zu Antdorf (Antwerpen) die
laken brauchen, welchs die schönste rote färb ist ... . Sie
sollen auch Sal gemmae, des durchsichtigen Saltzes neben dem
steinsaltz, das man aus der erden grebt, zum zusatz brauchen
neben dem sal chali. Sie brennen auch auss etlichen saltzkreutem
als Anthyllis ire subtilere asche, darauss das glas heller und
reiner wird.«
»Nun«, fahrt er hierauf fort, »kommen wir zu den deutschen
Glashütten. Etliche haben iren eignen sandt, die anderen pochen
ir weiss quertz und kissling, und brauchen eichene, anhorn, bu-
chene und tennene asch, kiferne asche unnd weidasche sol gut
werck geben, ob sie wohl der fettigkeit halber nicht so gar weiss
glass gibet. Man setzt auch unseres saltzs dem sande und asche
zu, doch sol Polnisch steinsaltz nützlicher sein .... Man wil
mich auch berichten, etliche sollen die farmen mit wurtzel mit
al zu asche brennen und Weinstein zuschlagen «
J) Sarepta oder BergpostiU. Sampt der Joachimsthalischen kurzen Chro-
niken. Nürnberg 1562. 15. Predigt, S. 265 ff.
2) Cardanus* Schriften stehen mir nicht zur Verfügung.
- 69 -
Das Glas wurde also im i6. Jahrhundert in Deutschland aus
Quarz oder Sand und aus verschiedenen Aschen oder aus diesen
gezogenen Salzen zusammengesetzt, wobei in vielen Fällen Koch-
oder auch Steinsalz zugegeben wurde. Von der Nothwendigkeit
eines Kalkzusatzes wusste man damals noch nichts; aber die be-
nützten Aschen enthielten durchgehends so viel Kalk, als das
Gemenge erforderte. Aus diesen Bestandtheilen, wozu manchmal
nachhelfend ein Stückchen Braunstein kam, wurde zunächst das
farblos durchsichtige Glas erzeugt. Man verstand aber damals
bereits auch alle möglichen Farbengläser herzustellen. In Deutsch-
land hat man nach Mathesius hauptsächlich grüne Gläser gemacht.
:> Solche grüne färbe«, sagt er^), »machet man dem glass mit
hammerschlag, wie sie auch rot und gelb glass mit braunstein
und kupferschlag, und die braunen mostkreusslein ferben.«
Aus einer Stelle des Agricola*) ersieht man ferner, dass
man damals Gläser herzustellen verstand, welche dem Diamanten,
Smaragde, Karfunkel, Amethyst, Hyacinth, Saphir, Obsidian und
anderen einfarbigen Steinen, ja sogar solche, welche dem Opal
und Jaspis glichen. Mathesius ferner erzählt uns, dass man in
Venedig und Antwerpen rothes und ultramarines Schmelzglas von
allerlei Nuancen erzeugte. Im Ganzen und Grossen aber fliessen
über diesen Punkt die Quellen spärlich, da die damaligen Glas-
macher ihre Geheimnisse nicht gerne verriethen.
Was Venedig speciell anbelangt, so benützte man dort nach
Biringuccio (1540)®) als Rohmaterialien Alkali und Kiesel. Jenes
wurde von der Asche einer >herba calida<, welche aus Syrien
oder aus der Nachbarschaft von Maguelonne in Südfrankreich
bezogen wurde, oder aus der Asche des Farrens oder einer
>uznea<, auch >ugnea< genannten Pflanze. Statt des weissen
Kiesels bediente man sich auch eines feinkörnigen Sandes. Von
diesem oder dem zerpochten Kiesel mussten zwei Theile, von dem
Alkali ein Theil zum Gemenge genommen und demselben etwas
1) a. a. O., S. 277.
2) De natura fossilium, ed. Froben, Basel 1846, lib. V.
^) Pirotechnia, 26, II. — Vgl. Nesbytt, 1. c. p. XLV.
— 70 —
Braunstein, welcher damals consequent mit dem Magneteisenstein
verwechselt wurde, beigegeben werden. Dieses wurde dann ge-
frittet und hierauf im Schmelzofen umgeschmolzen. Ganz Aehn-
liches berichtet auch Garzoni in dem 64. Discorso seiner »Piazza
universale« (1587). Nach ihm sind die aus dem Osten oder
aus Syrien bezogenen Aschen die besten ; gleichwohl aber wurden
auch jene aus Frankreich gebraucht. Interessant sind seine An-
gaben über die Herstellung der Farbengläser. Er sagt nämlich,
dass calcinirtes Eisen eine rothe, Zinn eine weisse, Kupfer eine
grüne und Blei eine smaragdene Farbe gebe. Im 17. Jahrhundert
verwendete man zur Glasschmelze in Venedig sowohl wie in den
Niederlanden die Soda — barilla — aus Valencia in Spanien.^)
War nun in einer Hütte, welche drei Oefen besass, das
Gemenge fertig und genau zusammengewogen, dann kam das-
selbe zunächst in den Frittofen und blieb dort so lange, bis es
glühend und glasartig geworden war. Hierauf wurde es heraus-
genommen und in Stücke zerschlagen (Fig. 2). War das ge-
schehen, dann schürten die Gehilfen den zweiten oder Schmelz-
ofen auf. Zu gleicher Zeit wärmten sie im Frittofen die Häfen >
anfangs bei gelinder Temperatur, damit sie die Feuchtigkeit ver-
loren, dann bei starker Hitze, damit sie gedörrt und roth wurden.
Die Glasmacher öffneten hierauf den Frittofen, fassten die ge-
brannten Häfen mit Zangen und setzten sie in den Schmelzofen
vor die Arbeitslöcher. Hier wärmten sie dieselben weiter an,
%llten sie mit den Frittestücken, versetzten dann die Oeffnungen
mit Ziegeln und verschmierten sie mit Lehm bis auf zwei kleine
Oeffnungen, durch deren eine sie in den Ofen schauen und den
Fortgang der Schmelze beobachten konnten, während die andere
zum Anwärmen der Pfeifen diente. Diese Pfeifen waren nämlich
noth wendig, um Proben aus den Häfen nehmen zu können.
War das geschehen, dann Hessen sie der Schmelze ihren
Gang und je länger sie dieselbe fortsetzten, desto reiner und
durchsichtiger, blasen- und fleckenloser wurde das Glas. Die-
jenigen Glashütten mit zwei Oefen, welche das Gemenge nur eine
^) J. Houdoy, 1. c. Urkunde vom 7. Januar 1623.
— 71 —
Nacht hindurch schmelzen Hessen und dann gleich verarbeiteten,
lieferten daher ein weniger reines und durchsichtiges Glas als
diejenigen, welche einen eigenen Frittofen besassen, und von den
letzteren lieferten wiederum diejenigen das beste Glas, welche die
Schmelze zwei Tage und zwei Nächte fortsetzten; denn die Güte
des Glases, lügt Agricola mit Recht hinzu, hängt nicht nur von
den Materialien, aus denen es hergestellt worden ist, sondern
auch vom Schmelzen ab. Während der Dauer der Schmelze
nahmen die Glasmacher häufig an ihren Pfeifen Proben aus den
Häfen, bis sie an diesen ersahen, dass die Masse rein geworden.
Die Glasmacher jener Hütten, welche nur zwei oder gar
bloss einen Ofen hatten, warfen, sobald sie ihr Tagwerk voll-
bracht hatten, das Gemenge in die ausgearbeiteten Häfen und
Hessen es dort während der Nacht schmelzen, wobei die Schür-
buben das Feuer mit gedörrtem Holze beständig unterhalten
mussten. Am Morgen wurde die Galle abgeschöpft und die
Ausarbeitung begonnen. Dass nach so kurzer Zeit die Glasmasse
nicht besonders rein sein konnte, ist selbstverständlich. Vielleicht
stammten die sog. Waldscheiben, welche so hässlich waren, dass
z. B. in Nürnberg deren Einfuhr verboten wurde, aus derartigen
Hütten mit einem Ofen.
Ein Haupterforderniss während der Schmelze war das Hei-
zen mif gedörrtem Holze, das mit lichter Flamme brannte und
keinen Rauch gab. Auch Mathesius sagt: >Es sol aber das glas
weisser und reiner werden, wenn man asch und saltz fleissig
schmeltzet mit dürrem Holtz, denn grün Holtz und viel rauchs,
sol das glas dunckler, unnd schwertzHchter machen, und wenn
man die Materien offt abkület und lesst sie etlichs mal durchs
fewr gehen, und streicht oder feimet* die Glassgallen und was
mehr für unreinigkeit auff dem zulasnen (zerlassenen) Glass
schwimmet, fleissig abe.<
Schon aus den letzten Worten geht hervor, dass Mathesius
das Umschmelzen kannte*, ja dieser Autor schreibt zur Erhaltung
der besten Qualität des Glases, das »nicht blesicht, federicht,
wölket, blettericht, steinig oder griesslich sein< soll, ein zwei-
maliges Ausschöpfen und Abschränken in kaltem Wasser vor.
— ^2 —
Dabei musste die Masse häufig umgerührt und die Galle und
andere Unreinigkeiten fleissig abgeschöpft werden. Dadurch war
es auch den Hütten mit einem Ofen möglich, ein reines Glas zu
erzeugen.
War auf diese Weise das Glas geläutert und rein geschmol-
zen, dann begann die eigentliche Arbeit des Glasmachens. Agri-
cola beschreibt diese also: > Haben sich die Glasmacher überzeugt,
dass die umgeschmolzenen Brocken (aus der Fritte) genügend
rein geworden sind, dann senkt jeder von ihnen seine Pfeife in
den Hafen und dreht sie langsam um ; dabei hängt sich das Glas,
wie ein zäher Saft, in Kugelform an. Er nimmt aber nur soviel,
als er zu dem herzustellenden Stücke braucht. Dieses Glas drückt
er dann gegen die Marbelplatte und wälzt es über dieselbe hin
und her, dass es sich vereinige. Er bläst hierauf in die Pfeife
und treibt so das Glas wie eine Blase auf; so oft er aber in die
Pfeife geblasen hat, und das muss er mehrmals thun, entfernt er
dieselbe rasch vom Munde und drückt sie gegen den Backen,
damit er die heisse Luft aus dem Rohr nicht einathmet. Macht
er ein langes Glas, dann schwenkt er die Pfeife über den Kopf
hinweg im Kreise herum oder er formt dies in einem kupfernen
Model, und gestaltet es durch wiederholtes Anwärmen, Hinein-
blasen, Drücken und Ausweiten zu Bechern und grösseren Ge-
fässen oder fertigt nach seinem Belieben andere Gegenstände.
Er drückt es auch wieder gegen die Marbelplatte nieder und
macht hiedurch den Boden breiter, den er dann mit einem ande-
ren Rohre einsticht. Hierauf beschneidet er die Ränder der .
Oeffnung rund herum mit der Scheere, und setzt, wenn erforder-
lich, Füsse und Henkel an; auch vergoldet er sein Werkstück
und bemalt es mit mancherlei Farben, wenn es gewünscht wird.
Zuletzt legt er es in den thönernen Topf, der sich im Kühlofen
oder in der oberen Abtheilung des Schmelzofens befindet. Dort
lässt er es kühlen. Wenn aber dieser Topf voll ist, dann streckt
er ein breites Eisen unter denselben, hebt ihn mit diesem und
dem linken Arme aus und setzt ihn in eine der beiden Nischen. «
Es ist nothwendig, hiebei etwas zu verweilen und die damals ge-
brauchten Werkzeuge genauer zu betrachten. Was zunächst die
— 73 —
Pfeife anbelangt, so war dieselbe nach Agricola aus Messing,
Kupfer oder Eisen und 3 Fuss lang, also bedeutend länger als
im 12. und 1 3. Jahrhundert. Der hölzerne Schaft daran ist aber,
wie aus der obigen Abbildung zu ersehen ist, an der Stelle, wo
hineingeblasen wird, noch nicht zugespitzt, sondern sehr breit.
Heutzutage befindet sich dort eine Pippe aus Messing; diejenigen
Glasmacher, welche Apothekerwaare etc. machen, bedienen sich
bloss der Rohre ohne Holzschaft.
Vor dem Arbeitsloche lag femer eine eiserne Platte und
auf dem Boden davor befand sich eine viereckige Platte von
ziemlicher Dicke. Diese war wohl, wie die unter dem Model
liegende Platte unserer Hütten, aus feinem Thon. Die Schrift-
steller nennen sowohl diese wie die vorhin genannte Eisenplatte
Marbelplatte. Es ist daher sehr wohl möglich, dass von ihnen
beide Platten gelegentlich, wohl schon zu des Heraclius' Zeiten,
verwechselt wurden und dass der Name Marbelplatte im Grunde
genommen nur der* letzteren zukäme.
Einen Fortschritt gegen früher bezeichnet die Anwendung
von Formen aus Kupfer, in welche die Gläser geblasen wurden;
ja, aus Mathesius ') erfahren wir, dass man im 16. Jahrhundert
sogar schon gemusterte Formen, gestreifte Modeln und solche mit
einem Rautenmuster kannte.
Die Abschneidscheere femer, welche im 12. und 13. Jahr-
hundert noch nicht bekannt war, sehen wir im 16. ebenfalls be-
reits in Gebrauch. Einige andere Werkzeuge lemen wir aus
Mathesius kennen. Derselbe schildert die Arbeit des Glasmachers
mit folgenden Worten: »Da nun das Glass rein undt lauter ist,
so fehet man an zu arbeiten; der Meyster nimmt sein eyseme
oder messinge pfeiffen, die er ein wennig erwarmen lesset, denn
am kalten röhr hafit das glas nicht, damit reicht er durchs werg-
loch in ofen, und fasset ein pellel glas an die pfeiffe, und drehet
es umb, das es mnd wirdt, und wenn es an der luf!t erkaltet,
so fert er damit wieder in ofen, das es wieder weich werde, und
nachdem er ein gross glas machen wil, fasset er mehr glas dran,
>) SU a. O. S. 277.
— 74 -
wie er denn offl zum dritten mal die pfeiffe einduncket.« Daraus
ersieht man, dass es in den deutschen Hütten des i6. Jahrhun-
derts bereits Sitte war, zuvor ein >Kölbchen< anzufangen und
erst mit diesem sich aus dem Hafen die nöthige Masse zu holen.
>Wenn er nun«, fahrt unser Autor fort, »glas genug an
der pfeiifen hat, so streicht ers mit seinem streich- oder rühreysen
bis zu ende der pfeifFen, und bleset das glass auff wie ein Sew-
blase. Er muss aber das glas mit einem ödem auff bringen.
Wenn aber das glas an der lufil gestehen wil, wermet ers wider
abe, unnd bleset abermals drein, bis es so gross wird als ers
haben wil.< Auch von diesem Streich- oder Rühreisen haben
wir im 12. und 13. Jahrhundert keine Notiz gefunden, so dass
es fraglich bleibt, ob es damals schon bekannt war. Die Glas-
macher des 16. Jahrhunderts dagegen besassen dasselbe. Freilich
hatte es damals noch nicht die Gestalt wie heute; es war noch
keine breite, ebene Schaufel an einem spitzigen Stile, sondern ein
einfaches Rohr; es war jenes Rohr, mit welchem nach Agricola
auch die Böden der Gefässe eingestochen wurden. Heutzutage
sticht man die Böden mit dem spitzen Stile des Streicheisens ein*^
die flache Schaufel aber benützt man zum Plattdrücken u. s. w.
Zum Vorstreichen des Glases gebraucht man jetzt gewöhnlich das
Zwackeisen.
Mathesius beschreibt sodann die Herstellung eines Angsters
und fahrt also fort: »Alsdann fasset er an sein bindeysen auch
ein pelle oder klumpen glas, und leget bodenreiflein, stein und
knöpff ans glas . . . Drauff schlegt ers abe von der pfeifFe, und
holet ein new pellel oder petzel glas, und fasset das geschirr am
boden an sein hefft- oder werckeysen, daran glühet ers wider,
und stampffet es auff sein buchen stampfahn, so breit ers haben
wil, und wenn ers wider abgewermet, und stein und ringel dran
gelegt, und mit seim zwickeysen abgezwickt, ausskerbet und
spitzig gezogen, . . . lest er das glas wider gar fewrrot im ofen
werden, unnd drehet es mit seiner schere auss, und macht ein
rand soweit ers haben wil, unnd stampet es auff den span, das
der randt gleich werde.« In dieser Stelle sind fast alle Werk-
zeuge genannt, welche auch heute noch und zwar zu den näm-
- 75 —
liehen Zwecken in Gebrauch sind. Es wird das Bindeisen, Heft-
eisen, Zwickeisen, die Auftreibscheere genannt und unter dem
buchenen Stampfahn ist wohl das heute sog. Walkholz gemeint;
denn dieses wird auch jetzt noch, ausser zum Zusammenwalken
der aus dem Hafen geholten Glasmasse, zum Ebendrücken der
Mündung u. s. w. benützt.
»Er lesset auchc, fährt Mathesius fort, »aufif seinem bein
das glass am heffteysen, wie ein Drechsler umblauffen, dass es
rundt und circkelrecht werde. Wenn es also gefertiget, lest er
ein tröpfflein wasser auffs glass, da es an das heffteisen geköttet
ist, fallen, und schlecht binden drauff, so springt das glass in den
andern haffen im küloffen, da es bey temperirtem fewer abkülen
muss.c Dieses Umlaufenlassen des Glases auf dem Kniee oder
eigentlich auf dem Oberschenkel geschah und geschieht in der
Regel beim Auftreiben des Gefösses. Der Glasmacher hat zu
diesem Zwecke auf dem rechten Schenkel , über welchen das
heisse Heft eisen hinläuft, ein gerundetes Holz, den sog. Sattel.
Zum Auftreiben bediente man sich ausser der Auftreibspheere auch
noch verschiedener hölzerner Werkzeuge, die im Grossen und
Ganzen wohl den heutigen glichen. Das nämliche gilt in Bezug
auf die Instrumente, deren man beim Anlegen der Henkel sich
bediente. Dagegen finde ich die Bodenscheere nirgends ange-
deutet und von den RoUscheeren hatte man ohne Zweifel keine
Kenntniss. Die erstere scheint im Laufe des i8. Jahrhunderts
erfunden worden zu sein ; die letztere war damals ebenfalls in ein-
zelnen Gegenden bekannt, wie die mit vielen Wülsten und Astragalen
versehenen hohen Füsse mancher Pokale beweisen (Fig. i8),
scheint aber später, wenigstens in Deutschland, verloren gegangen
und erst in unserem Jahrhundert wieder eingeführt worden zu
sein und wird nun zu den verschiedensten Zwecken benützt.
Eine Reihe der genannten Werkzeuge ist auf den beigegebenen
Abbildungen zu sehen.
Die im Vorhergehenden geschilderten Oefen haben sich
noch lange nach dem Tode unserer Autoren erhalten. Ihrer
- 76 -
bediente sich nocli Kuockel, wie die seiner >Ars vitraria experi-
mentalis« beigegebenen Abbildungen ersehen lassen. Einen
wesentlichen Fortschritt bezeichnen dagegen die am Ende des
vorigen Jahrhunderts im nördlichen Frankreich, namentlich in den
Bouteiltenhütten des Languedoc gebräuchlichen Oefen dadurch,
dass in ihnen das Brennmaterial nicht auf breiter, ebener Sohle,
sondern auf einem Roste ruhte, unter welchem sich ein Aschen-
falt befand. In der übrigen Eintheilung waren diese Oefen den
vorigen gleich. ')
Bald jedoch drängten die sog. deutschen Oefen alle übri-
gen zurück. Diese waren nicht mehr rund, sondern, wie die des
Theophilus, viereckig; zugleich war in ihnen der Feuerherd direct
in den Schmelzraum verlegt, durch welchen hin er sich als ver-
tiefter Canal erstreckte, der von zwei Seiten aus geheizt werden
konnte. Links und rechts von dieser Schürgrube befanden sich
die sog. Bänke, auf welchen die Häfen standen.^) Ueber die
weiteren Veränderungen, welche der Glasofen durch die Stein-
kohlenfeuerung und endlich durch die Einführung der Gasfeuerung
erfuhr, verweise ich die geneigten Leser auf das in der vorletzten
Anmerkung erwähnte lehrreiche Werk von Dr. H. E. Benrath')
und auf Kannarsch*), da dieselben ausserhalb meines Rahmens
liegen.
I) Vgl. Dr. H. E. Benrath, Die Glasfabrikation. I. Liefg. Braun-
schwMg, Friedrich Vieweg & Sohn 1875.
-) VgL Dr. H. E. Benrath, a. a. O., S. 102 ff.
^) a. a. O., S. 94-- 157-
'} Geschichte der Technologie seit der Mitte des 18. Jahrhundetta,
München 1873, R. 01denbourg,.S. 5a8.
II.
Die altdeutschen Gefassformen.
I. Römer.
ER Römer gehört unbedingt zu den edelsten Geföss-
formen, die es gibt- namentlich hat er unter den Glä-
sern an Schönheit kaum Seinesgleichen. Wir sind
gewöhnt, ihn als Rheinweinglas mit Auszeichnung zu
betrachten. Gleichwohl scheint seine Geburt nicht am Rheine gefeiert
worden zu sein. Sagt uns doch noch um die Mitte des 1 6. Jahrhunderts
der in solchen Dingen äusserst gut unterrichtete böhmische Pfar-
rer Mathesius in seiner Predigt »vom Glasmachen« *), dass die
Rheinländer, Schwaben und Franken ihre »möst und wein auss
kreusslein (Thonkrüglein) trinken«. Da nun damals, wie sich
zeigen wird, der Römer bereits existirte, so ist demnach seine
Wiege weder am Rheine noch in Schwaben oder Franken zu
suchen, sondern, wenn sie überhaupt in Deutschland stand, in
den hüttenreichen Waldgegenden, zunächst also im Bayerischen
und Böhmerwalde. Auf diese Gegenden weist uns Mathesius
merkwürdigerweise auch, wo er von den grünen Weingläsern
überhaupt spricht. Es ist nämlich bekannt, dass man das ganze
Mittelalter hindurch den Wein aus grünen Gläsern zu trinken
pflegte. Unser Pfarrer gibt uns auch den Grund hiefür an: »Weil
aber«, sagt er, >das glass von natur weyss und plank ist, wenn
^) Sarepta oder Bergpostül. Nürnberg 1562. 15. Predigt,
- 78 -
zumahl der sandt und die asche reyn und mit fleyss aussgesotten
und abgefeymet ist , hat man in diesen landen gemeinigklich zu
weyn grine gleser gemacht, darinn ein reberechter
plankeweyn sehr schön und lieblich steht und dem weyn
eine lustige Farbe gibt.« Nicht also, weil man, wie manche
glauben, weisses Glas nicht so leicht herzustellen wusste, hat man
im i6. Jahrhundert und schon früher grüne Weingläser gemacht,
sondern aus ästhetischen Gründen und in zielbewusster Absicht,
weil nämlich in grünen Gläsern »ein rebenrechter blanker Wein«
sich sehr schön und lieblich ausnimmt und »eine lustige Farbe«
erhält.
Es darf nun hiebei keineswegs übersehen werden, dass unser
Autor sagt, man habe grüne Weingläser »in diesen Landen«
gemacht-, denn mit diesen Worten kann er, wie aus dem Zu-
sammenhange hervorgeht, unmöglich Deutschland im Allgemeinen,
im Gegensatz etwa zu Venedig und Antwerpen, meinen, sondern
nur die um Böhmen herum liegenden Waldgegenden, von denen
er auch sonst noch einmal spricht, also namentlich den Baye-
rischen und Böhmerwald ; denn die Schwaben, Franken und Rhein-
länder bedienten sich eben, wie wir bereits gehört, der Kreusslein.
Ist nun hiedurch auch die Fabrikation der grünen Wein-
gläser, wenigstens annähernd lokalisirt, so scheint dadurch für
unseren Zweck vorderhand doch wenig erreicht-, denn der
Gebrauch der grünen Gläser, sagt Wilh. Seibt*), beweist noch
lange nicht den der Römer. Ich gebe dies gerne zu; aber Mathe-
sius spricht eben auch nicht von grüneb Gläsern überhaupt, son-
dern von grünen Weingläsern und da könnte wohl an den
Römer zu denken sein; denn alle anderen altdeutschen Gefäss-
formen, wie sie unser Autor aufzählt und wie sie auf uns ge-
kommen sind, können nicht als Weingläser schlechtweg betrachtet
werden. Es wäre auch sonderbar, wenn der über Alles sonst so
ausführlich berichtende Pfarrer des Römers, der doch zu seiner
Zeit sicher schon ein vielgebrauchtes Trinkglas war, mit keiner
*) Studien zur Kunst- und Culturgeschichte. I. Frankfurt a. M. Hein-
rich Keller, 1882.
— 19 —
Silbe Erwähnung thäte. Es müsste das um so mehr Wunder
nehmen, als der Genannte gerade an den »schönen und glatten«
sowie an den »gerieften Gläserne, wozu die Römer grossentheils
gehörten, ein so grosses Gefallen fand. Oder hat Mathesius mit
den »feinen kleinen Trinkgläserlein, aus denen man z. B. in
München die frischen Weine aus Eppan zu trinken pflegte«, die
formschönen Römer gemeint? Möglich ist dies immerhin, zur
Gewissheit aber lässt sich diese Annahme nicht erheben.
Man ist selbst über die Herkunft des Namens »Römer« bis
jetzt noch lange nicht im Klaren. Einige haben gedacht, der-
selbe stamme von dem im Mittelalter neben dem Reinfal und
dem Malvasier vielgetrunkenen Romany her, welcher aus Romanee
in Burgund im Departement Cöte-d'or kam. Aber abgesehen da-
von, dass es hiefür nicht den Schein eines Beweises gibt, lässt
sich auch nicht recht begreifen, warum bloss dieser eine Wein
einem Glase den Namen gegeben haben sollte und nicht ebenso
auch die anderen. Zudem haben wir von unserem Gewährsmann
gehört, dass wenigstens die Rheinländer, Schwaben und Franken
ihre Moste und Weine ohne Unterschied aus ein und derselben
Gefässform tranken, aus den sog. Kreusslein aus Steinzeug, welche
ihnen namentlich von den niederrheinischen Töpfern geliefert
wurden. ^) Desshalb versuchten Andere die Herleitung des Namens
»Römer« von dem englischen »room«, Raum, wonach unser Glas
der Inbegriff des Geräumigen wäre, was ganz gewiss nicht der
Fall ist, da es eben auch und zwar zumeist kleine Römer gab
und die grossen Riesenrömer, wie deren das germanische Museum
in Nürnberg einige besitzt, nicht aus der ersten Zeit stammen.
Es stehen diesen übrigens die mächtigen Willkommen wenig oder
gar nichts nach. Mir scheint ferner die Herleitung »rummer«
von >room< schon sprachlich unmöglich, da das »u« in > rummer«
kurz, >room< aber gedehnt ist. Wenn »rummer« nicht eine miss-
verstandene Uebersetzung der deutschen Bezeichnung »Römer«
') Vgl. Dornbusch, Die Kunstgilde der Töpfer in der abteilichen
Stadt Siegburg und ihre Fabrikate. Cöln 1875. J« M. Heberle (H. Lempertz'
Söhne).
— 80 —
wäre, die England über die Niederlande erhielt, möchte ich es
eher von »rumc herleiten und zwar nicht von jenem irumc, welches
das bekannte Getränke bedeutet, sondern von jenem »ramt, welches
nach Webster »altmodisch, alt, übriggelassene heisst, mit welchem
man auch alterthümliche Gebäudereste und in der Form > rummele
Fragmente von Ziegeln und Mörtel benennt. Darnach hätte sich
auch in der englischen Sprache die Erinnerung erhalten, dass
unser Glas zunächst aus altrömischen Scherben erschmolzen wurde.
Im Holländischen heisst das betreffende Glas jetzt » romer €*, im
i6. Jahrhundert soll sich die Bezeichnung »roomer« finden. Diese
heisst zu deutsch nichts Anderes als > Römer <-, wenn sie den
Begriff des Räumlichen einschliessen sollte, dann müsste sie >rui-
mer< lauten.
Wieder Andere dachten an das mittellateinische W^ort >ro-
marius<, römisch, so dass also Römer gleichbedeutend mit »römi-
sches Glas< wäre. Da aber durchaus keine üntik-römischen Gläser
dieser Art nachzuweisen sind, bezeichnet Wilh. Seibt diese Her-
leitung als ganz unsicher; und doch scheint ihr ein Kömchen
Wahrheit zu Grunde zu liegen, freilich nach einer anderen Seite
hin, als man bisher gedacht hat.
Es ist bekannt, dass man das ganze Mittelalter hindurch
alte römische Glasscherben suchte, aufkaufte und mit zur Schmelze
verwendete. Die aus diesen Scherben erschmolzene Glasmasse
führte schon zur Zeit des sog. Heraclius, also im lo. Jahrhundert,
den Namen »römisches Glas — vitrum Romanumc. Heraclius
schreibt im III. Kapitel des I. Buches also: »Wenn jemand Ge-
fasse mit Glasmasse bemalen will, so zerpoche er römisches
Glas — vitrum Romanum — tüchtig auf dem Marmor, bis es
zu Staub wird.€ Und im XIV. Kapitel des nämlichen Buches
erzählt unser Autor, wie man aus römischem Glase — ex Ro-
mano vitro — alle möglichen Edelsteine herzustellen vermöge.
Noch interessanter ist, was Theophilus in seiner »Schedula diver-
sarum artium« im 12. Jahrhundert über diesen Punkt schreibt.
Er sagt*): »In den alten Gebäuden der Heiden findet man
1) 1. c. lib. n, c. xn.
— 8i —
verschiedene Arten des Glases in musivischer Arbeit, nämlich
weisses, schwarzes, grünes, safrangelbes, saphirnes, rothes, purpur-
nes und zwar nicht durchsichtiges, sondern wie Marmor dichtes;
es sind gleichsam viereckige Steinchen, aus denen die Schmelz-
farben für Gold, Silber und Kupfer gemacht werden ... Es
werden auch verschiedene Gefasse von denselben Farben gefun-
den; diese sammeln die in solcher Arbeit besonders erfahrenen
Franken und schmelzen daraus in ihren Oefen Saphirglas, wobei
sie ein wenig helles und weisses Glas zusetzen. Daraus fertigen
sie kostbare und für die Fenster sehr taugliche Tafeln. Auf ähn-
liche Weise erzeugen sie 1auch purpurnes und grünes Glas.<
Solches römisches Glas verwandte man noch im i6. Jahr-
hundert mit zur Schmelze. So erzählt Mathesius'): >Viel kauffen
alte Glasbrocken oder scherben aufif, daraus man in diesen weiden
das schönste glas machet, c Damals also machte man in den
deutschen Waldgegenden aus diesen alten Glasbrocken das schönste
Glas. Eine andere Frage ist nun freilich die, ob die Käufer
nicht häufig betrogen wurden und griechische und venetianische
Scherben für altrömische geliefert erhielten. Von den Griechen
ist in der That schon frühzeitig Rohglas, namentlich blaues, be-
zogen worden. So erwähnt Theophilus^) ausdrücklich das »grie-
chische Saphirglas — vitri saphiri graecic — als noth wendigen
Bestandtheil der Farbe, mit welcher Glas bemalt wurde. In der
Folgezeit gesellten sich den römischen und griechischen Scherben
noch venetianische bei; ja in Venedig betrieb man bereits im 13.
Jahrhundert die Herstellung von Rohglas für die deutschen Glas-
hütten als eine Art Industrie. Schon i. J. 1275 und 1285 musste
der Rath der Zehn die. Ausfuhr des Glases in (Roh) Stücken
verbieten. Ein Erlass vom 2. Juli 1345 sodann richtet sich gegen
die Glaserzeuger, weil dieselben »Körper aus Glas herstellten
ganz so wie jene aus Krystall und diese an die Deutschen ver-
kauften, was der genannten Kunst (in Venedig) zum grössten
Nachtheil gereichte. < ^) Dass nun diese Glasbrocken von den
J) a. a. O. S. 276. 2) lib. II, c. XIX.
'^) Bß Cecchetti, Cenni sulla storia dell' arte vetraria Muranese. Ve-
6
- 82 -
Zwischenhändlern häufig zur Erhöhung ihres Werthes für alt-
römische ausgegeben wurden, darüber besteht kein Zweifel; es
geht dies schon aus den Worten des Mathesius hervor, wenn er
sagt, dass viele die alten »Glasbrocken« aufkauften; denn aus der
Römerzeit gab es wohl Scherben, aber keine Glasbrocken.
Wenn nun die auf diese Weise gewonnene Glasmasse schon
im lo. Jahrhundert im Handel den Namen >Romanum vitrum«
führte, dann wird sie überhaupt das ganze Mittelalter hindurch
unter der Bezeichnung >Romanum< oder >Romarium vitrum«
ebenso wie das > vitrum Judaicum < bekannt geblieben sein, da
eben während dieser ganzen Zeit aus altrömischen Scherben und
Mosaikwürfeln Glas erzeugt worden ist.
Ich glaube nun kaum mehr auf ernstlichen Widerspruch zu
stossen, wenn ich behaupte, dass die aus dieser Masse gefertigten
Gläser ebenfalls unter der Bezeichnung >römisches Glas< in
den Handel gingen, da dies auch heutzutage unter gleichen Ver-
hältnissen nicht anders sein würde.
Die mittelalterlichen Glasgefasse waren nun zum weitaus
grössten Theile Trinkgläser und namentlich Weingläser. Da fer-
ner die »römische Glasmasse < sowohl wegen ihrer Schönheit als
wegen der Seltenheit der hiezu nothwendigen Scherben sehr kost-
bar war, ist es selbstverständlich, dass man bei ihrer Verarbeitung
die Masse möglichst antrug und während man aus dem heimi-
schen Glase auch Apothekerwaaren , Flaschen , Nachttöpfe etc.
fertigte, aus dieser nur kleine, hübsche und gefällige Formen
herstellte. Diese nun wurden, um den Käufern in ihrem ganzen
inneren Werthe klar zu sein, als »Romani« oder »Romarii« (sc.
calices etc.) bezeichnet und hieraus hat sich der Name »Römer <
entwickelt, wobei selbstverständlich der Gedanke an eine als Vor-
bild gebrauchte altrömische Gefassform ausgeschlossen ist. Einige
Verse aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts (i 619), welche Wilh.
Seibt anfuhrt und die absichtlich das germanische Vaterland
nezia 1865. — [Besprochen in den Mittheilungen des k. k. Osten*. Museums fiir
Kunst und Industrie, Bd. III, S. 102 ff.]
- 83 -
neben dem Römer nennen, reihen sich meiner Beweisführung
trefflich ein * ) :
»Hiemit wil ich mein schrdben endo,
Der dann noch wil mein Reimen schendn,
Den raffe ich zu desen streit,
Das er mir dan thu recht bescheyt,
Den RÖhmer ich führ in der Hand,
Germania war mein Vaterlant/
Noch interessanter ist eine Stelle in einer Urkunde vom 22. Dez.
1653*); denn in dieser erscheint der Ausdruck > Römer« nicht
als Bezeichnung einer Gefässform, sondern als Bezeichnung einer
Glasmasse neben dem Krystallglas , dem krystallinischen und ge-
wöhnlichen Glase. Die Schreibweise »reumers< statt > Römer <
erklärt sich von selbst, da im Französischen eben unser ö nur
durch eu gegeben werden kann. J. Houdoy, welcher die Ge-
schichte der niederländischen Glasindustrie gründlichst studiert
hat, bemerkt bei dieser Stelle, dass unter diesen >reumers< jeden-
falls Gläser deutscher Fabrikation zu verstehen seien. Als Beleg
hiefUr fiihrt er eine Stelle aus einem Inventar vom Jahre 1570
an, in welcher von »einem grünen Römer« mit silbervergoldetem
Fusse und eben solchem Deckel, geschmückt mit dem Wappen
der Frau von Buren, die Rede ist. *) Das erste Römerglas also,
das wir kennen lernen, war mit dem Wappen der Frau v. Büren,
womit wohl das Büren in Westphalen gemeint ist, decorirt und
hatte einen silbervergoldeten Fuss und einen Deckel, ebenfalls
aus vergoldetem Silber; es war also eine deutsche Arbeit und
hiess hier Römer, welches Wort der Franzose mit »rumer«
übersetzte.
Die deutsche Bezeichnung »Römer« kommt zum ersten Male
^) Hymnus Bacchi, das ,ist des Weines , oder Gott Bacchi Lobgesang.
Mit fleiss zusammenbracht und mit schönen Figuren gheziehret. Durch C. V.
Pas, Kupferstecher und Burgher zu Utrecht. Anno 161 9.
2) J. Houdoy, Verreries k la fagon de Venise. Paris, Lille, Bruxelles
1^73) P* 29 u. 68: Aucunes sortes de verres, soit christal, christalin, reumers,
gros verres.
^) ,Un rumer vert encass^ en une pied dWgent dor6, et couvercle de
meisme, armoye des armes de la dame de Buren.'
6*
\
- 84 -
vor in dem Gedenkbuche des Hermann von Weinsberg, welches
im Cölnischen Stadtarchive aufbewahrt wird.*) Der Genannte
sagt nämlich in einem Berichte über die Art und Weise, wie man
im Jahre 1589 in Cöln ein Festessen abzuhalten pflegte: »und
alss man eirst klein glesser und pott neben den beirpotten und
Wermut oder salben weinss potten ufifgesatzt, so setzst man zum
gebrat uff jeden Dische 4 groisse roemer etliche mit gülden
foissen.c Wie hier von 4 grossen Römern die Rede ist, so
spricht auch der vorhin genannte Kupferstecher einmal von einem
> grossen frischen Römer c, was jedoch keineswegs ausschliesst»
Fig. 6.
dass es auch kleine Römer gab. Ueberhaupt war die Form der-
selben sehr verschiedener Art: da gab es grüne und solche von
braungoldener Farbe mit einem Stich ins Olivengrüne, solche mit
geripptem und andere mit glattem Kelche, wieder andere mit
Deckel u. s. w. Die zuletzt angeführten Stellen zeigen uns ferner,
dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Bezeichnung
> Römer € schon gang und gebe war. Sicherlich aber ist eine
lange Zeit der Entwicklung vorausgegangen, da solche Namen
nicht mit einem Male fertig in die Welt zu springen und ihr
Ding sofort streng abgegrenzt zu bezeichnen pflegen.
n Bd. III, S. 154 unter 1589, den 15. Nov. [Vgl. J. B. Dornbusch
a. a. O. S. 40.]
- 85 —
Aus dem Vorhergehenden ist femer ersichtlich, dass man
unter >Römer< anfangs weniger eine bestimmte Form als viel-
mehr jene Gläser meinte, welche aus dem sog. römischen Glase
gefertigt worden waren. Sagt doch Hermann von Weinsberg, dass
dnige der vier grossen Römer goldeneFUsse hatten, unddasGlei-
che hörten wir von dem Römer der Frau von BUren. Wann und wo
sich der Name >Römer< auf die bekannte Form beschränkte, diese
Frage ist bisher unberücksichtigt geblieben, da es sich zunächst nur
um die Herleitung des Namens handelte. Diese mag ihre Schwä-
chen haben-, lächerlich aber kann sie nur ein Einfaltspinsel finden.
Fig- 7-
Was nun die Form des Römers anbelangt, so ist dieselbe
augenscheinlich die des Kelches; sie hatte tausend Vorbilder, so-
wohl in der Goldschmiedekunst wie namentlich unter den vene-
tianischen Kelchgläsern. Unter diesen letzteren erwähne ich
besonders den schönen grünen Kelch, der sich einst in der Glas-
sammlung des Herrn Felix Slade befand und in dem Kataloge
dieser Sammlung abgebildet ist.') Von diesem bis zu einem
Römer ist der Weg in der That nicht weit. Aber auch die
anderen venetianischen Weinkelche scheinen zu dem Römer in
') Catalogue of the CoUection of glass fonned by Feta Slade 1871,
PL XU.
— S6 —
naher Verwandtschaft zu stehen, indem sie sich wesentlich von
ihm nur dadurch unterscheiden, dass sie einen geöffneten Blüthen-
kelch in ihrer Schale nachahmen, während am Römer in seiner
vollendeten Gestalt eine geöffnete Beere zum Ausdruck kommt.
Dieser letztere Gedanke, so einfach er an sich ist, ist doch von
eminent künstlerischer Bedeutung, wenn man sich desselben im
i6. Jahrhundert vielleicht auch nicht bewusst war. Es lässt sich
keine schönere Trinkgefassform für unseren Rheinwein finden als
der Römer ist. Nicht derb und nicht überzierlich, hält er eine
Fig. 8.
goldene Mitte inne und seine gerundete Form, welche etwas mehr
fassen kann als ein aufgeschlossener Blumenkelch, deutet an, dass
man seinen Inhalt, wenn auch massig geniessen soll, doch nicht
bloss zu schlürfen braucht.
Wenn nun aber der Römer in den Kelchgläsern der Vene-
tianer auch Vorbilder hatte, denen er im Laufe der Zeit sichtlich
nachgestrebt hat, so ist er doch von einer ganz anderen Gefäss-
form ausgegangen. Seine Urform war, wie bereits in der Ein-
leitung gesagt wurde, ein cylindrisches Glas, das sich nur allmählig
- 87 -
ZU der herrlichen Form entwickelte. Die nächste Veränderung,
welche an dem Cylinder vorgenommen wurde , tiestand darin,
dass ungefähr in der halben Höhe desselben ein Reifchen henim-
gelegt wurde, um die ungegliederte Fläche etwas zu beleben.
Der damaligen Mode Rechnung tragend, setzte man sodann unter-
halb des Reifchens mehrere Knöpfe oder Steine an, wodurch der
Gegensatz zwischen der oberen und unteren Hälfte bereits etwas
stärker hervortrat {Fig. 6). Dieser wurde noch grösser, als die
untere Hälfte in Folge des herurogelegten Reifchens allmählig sich
Fig. 9.
einzuziehen anfing, während die obere über das Band heraus-
quoll (Fig. 7).') Auf diese Weise entstand vom Bändchen auf-
wärts eine breitere Schale und unterhalb des Bändchens eine Art
Fuss, der aber noch immer Inhalt fasste. Von dieser Gattung
sind auch mehrere Riesenröraer im germanischen Nationalmuseum,
Wie an fast alle altdeutschen Gläser legte man alsbald auch an
dieses ein Bodenreiflein an und stach den Boden etwas ein
') Ans: Apieiger fiir Kunde der deutscher Vorieit. Orgao des germa-
niscben Museums, 1S79, ä. 35.
{Fig. 8). Dieses' Bodenreiflein wurde zunächst mit dem Zwack-
eisen gekniffen, erhielt aber alsbald eine grössere Bedeutung und
wurde schliesslich zum eigentlichen Fusse und gesponnen, wozu
vielleicht die Goldschmiedekunst, welche die Römer anfangs mon-
tirtc, den Anlass und das Motiv gegeben hat. Der frühere Fuss
wurde in Folge dessen kurier und sank zu einem blossen Ver-
mittlungsgliede zwischen der Schale und dem gesponnenen Fusse
herab, fasste aber immer noch Inhalt {Fig. 9). Zuletzt hörte auch
dies auf; das Mittelglied wurde ein Stück fUr sich, das zwar hohl
Fig. 10.
blieb, aber wie gegen unten, so auch nach oben hin abgeschlossen
war: es war nur mehr ein Kölbchen, von dem aus das Spinnen
des Fiisses begonnen wurde, während die Schale für sich gemacht
und erst dem vollendeten Fusse aufgesetzt wurde. (Fig. 10.)
Dieser Entwicklung des Römers blieb man sich bis zum
Anfang unseres Jahrhunderts bewusst. An allen allen Römern
findet sich das Bändchen mit gekniffenen Ornamenten da, wo der
Kelch beginnt, um diesen nochmals fest zusammenzuschnüren,
bevor er sich erweitert. Nie fehlt femer das Mittelstück zwischen
Fus3 und Kelch, gleichviel ob es zum Kelche gehört oder selbst-
sländig als Bindeglied auftritt (Fig. ii). Erst am Beginoe unseres
Jahrhunderts geht dieses MittelstUck vollständig verloren, so dass
Kelch undFuss unmittelbar aneinander rücken, was sich ungefähr so
ausnimmt, als wenn man auf die menschlichen Beine unmittelbar
den Kopf setzen würde. Gegenwärtig kehrt man jedoch zu der
firttheren edlen Form zurück und vergisst auf dem MittelstUcke
auch der Traubennuppen nicht, welche die Bestimmung des Glases
zum Weingenusse sinnbilden mögen.
Graviningen finden sich auf den alten Römern nur höchst
selten aus dem einfachen Grunde, weil die Römer zum weitaus
Fig. II.
grössten Theile aus farbigem,"hellgrünem oder braungoldenem
Glase bestanden, während die Gravirung sich mehr an farblos
durchsichtigem Glase zu bethätigen pflegt. Von den zwei gra-
virten Römern der Mustersammlung des Bayrischen Gewerbe-
museums ist der eine (Fig. 8) weiss, der andere {Fig. 9) so hell-
grün, dass er beinahe weiss genannt werden kann.
Für die Fabrikation ist es von grossem Interesse zu sehen,
wie unsere Vorfahren den Fuss des Römers gesponnen haben.
Selbstverständlich hatten sie dazu einen Kern aus Holz oder viel-
mehr aus Eisen, über welchen sie denselben von oben nach unten
spannen, und zwar begann dieses Spinnen vom Mittelsttick aus.
— 90 —
d. h. man spann den Fuss nicht selbständig, um ihn dann an
das Mittelstück anzusetzen, sondern derselbe wurde gleich an das
Mittelstück angesponnen. Der Inhalt fassende Theil wurde zuvor
fertig gestellt bis zum Abschneiden und Auftreiben; dieser Theil
wurde sodann mit seinem unteren Ende an das obere Ende des
Kernes gehalten und hierauf das Spinnen in der Weise begonnen,
dass man, wie Fig. 9 und 10 zeigen, den Faden noch auf das
Mittelstück selbst auftropfen Hess. Bestand das Mittelstück für
sich, dann spann man den Fuss an dieses an und setzte hierauf
das Ganze an den Kelch. In unserem Jahrhundert hat man den
Fuss, statt ihn zu spinnen, in der Regel zuerst geblasen nnd dann
bloss übersponnen, so dass derselbe also nicht mehr bloss aus
einem spirallaufenden, sich eng aneinander schliessenden Faden
besteht, sondern zunächst aus einer Glasschichte, welche die Unter-
lage für den Faden bildet, der somit nur mehr Decoration ist.
Dass dadurch der Fuss seine Elasticität vollständig eingebüsst hat,
braucht kaum gesagt zu werden. Das Gleiche gilt von dem ge-
gossenen Fusse, an welchem ohnehin der spirale Faden an den
Formnähten unterbrochen erscheint.
Was das Alter der Römer anbelangt, so gehören im Allge-
meinen diejenigen, welche noch keinen gesponnenen Fuss haben,
in denen also der Inhalt bis zum Boden hinabgeht, der 2. Hälfte
des 16. Jahrhunderts an. Diejenigen Römer dagegen, welche
bereits einen gesponnenen Fuss haben, an denen aber das Mittel-
stück noch zum Kelche gehört und somit Inhalt fasst, müssen im
Ganzen und Grossen dem 17. Jahrhundert zugeschrieben werden.
Dem 18. Jahrhundert endlich gehören jene Römer an, an welchen
das Mittelstück selbständig auftritt. Alle diese Stadien der Ent-
wicklung sind an den beigegebenen Abbildungen deutlich zu er-
sehen. Es wäre zu wünschen, dass die Glasfabrikanten sich an
denselben ein Muster nehmen und die stilwidrigen Gebilde, welche
zum Hohne der edelsten Gefässform, die es gibt, täglich entstehen,
endlich vollständig verbannen möchten. Diese Verbannung wäre
namentlich jenen Römergläsern zu wünschen, welche aus einem rosa-
farbigen Kelche auf milchweissem Fusse, das Stilloseste, was es
geben kann, bestehen.
— 91 —
2, Angster und Kutrolf.
Der Name Ängste r bezeichnet nach Schmeller ^ ) eine hohe,
enghalsige Trinkflasche; er stammt von dem mittellateinischen
»angustrum<, lateinisch >angustus< (enge), und ist gleichbedeu-
tend mit dem florentinischen >anguistara< oder »inguistara«. Die
Bezeichnung trägt also lediglich der engen Ausgussröhre Rech-
nung, heisst wörtlich: >ein Trinkgefass mit engem Halse. < Nach
Grimm kommt der Ausdruck »Angster« zum* ersten Male im
Kaufbeur. Inventar vom Jahre 1480 vor. Erwähnt wird diese
Trinkflasche sodann in der Autobiographie des im Jahre 1499 zu
Grenchen im Kanton Solothum geborenen Thomas Platter 2), wel-
cher erzählt, dass er um das Jahr 1528 sich ein Fässlein Wein
heimgethan habe, den er und seine Frau aus einem Angster und
später aus einem Stiefel getrunken haben. Aus seinen Worten,
dass in den Stiefel ein wenig mehr gegangen sei als in den
Angster, ist ersichtlich, dass der letztere von nur massigem Um-
fange gewesen sein muss. Dass der Hals dieser Trinkflasche
sehr enge war, sagt uns femer indirect eine Stelle in Johannes
Agricola's Sprüchwörtem^), in der es heisst: >Wer zu eilend in
einn Angster schenkt, der schütt mehr darneben denn drein.«
Grimmas Wörterbuch führt noch verschiedene andere Stellen an,
in denen des Angsters gedacht wird. Mathesius, den ich schon
oftmals genannt habe, rechnet in seiner Predigt > vom Glasmachen«
den Angster zu den älteren deutschen Trinkgläsern; zugleich
erzählt uns dieser Autor, dass um die Mitte des 16. Jahrhunderts
der Hals des Angsters häufig bereits aus mehreren Röhrchen be-
stand. >Wenn er« (der Glasmacher), sagt nämlich unser Pfarrer,
> Angster mit zwey fachen rörlein machet, so zeucht er den ödem
an sich, darnach schwenkt er's an der pfeife und gibt ihm seine
Länge. Alsdann fasset er an sein bindeysen auch ein pelle oder
li 79« — Vgl. Weigand, Deutsches Wörterbuch, I, S. 54. -—Ja-
kob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. I.
2) Thomas Platter und Felix Platter, zwei Autobiographien. Heraus-
gegeben von Dr. A. Fechter. Basel 1840, S. 68.
•^) Frankfurt a. M., Egenolph's Erben 1570.
— 92 —
klumpen glas und leget bodenreiflein, stein und knöpff ans glas. «
Einen ähnlichen Hals von mehreren gewundenen Röhrchen scheint
auch Fischart*) im Auge zu haben, wenn er sagt: »Tringt ein-
ander mit Krausen, vil krummer Angster bringt her, die kehret
umb und machet sie lähr. < Die späteste Erwähnung des Angsters
findet sich nach Wilh. Seibt*) in >Paul Jakob Marperger's . . .
vollständigem Küch- und Kellerdiclionairumc *) Damals war
aber die eigentliche Bedeutung des Namens > Angster« schon ver-
loren gegangen \ denn Marperger erklärt ihn daraus , dass die
betreffenden Gefässe »offt manchen, der sie voll eingeschenkt
austrinken soll, Angst genug machen«. Unsere Antiquitätenhändler
wussten bis vor Kurzem weder Zweck noch Namen des Angsters
und nannten ihn daher wegen seiner zwiebelähnlichen Gestalt
»Zwiebelglas«, ja die Venetianer verkaufen ihre modernen Nach-
bildungen desselben als > Tulpengläser«.
Was nun die Form des Angsters anbelangt, so gleicht der
Bauch einer unten etwas platt gedrückten Kugel, hat also Aehn-
lichkeit mit einer Zwiebel. Seit der Mitte des i6. Jahrhunderts
wurde nach Mathesius an diese Kugel unten als Fuss ein Boden-
reiflein angelegt; an sich nothwendig aber war dasselbe nicht, da
der Angster, wenn seine Kugelform unten platt gedrückt und
etwas eingestochen war, auch ohne Bodenreiflein stehen konnte.
Für die Altersbestimmung eines Angsters ist indess das Boden-
reiflein von Wichtigkeit: diejenigen Angster, an denen dasselbe
fehlt, gehören im Allgemeinen der Zeit vor der Mitte des i6.
Jährhunderts an; denn seit der Mitte dieses Jahrhunderts legte
man, wie an alle übrigen Gefässe, so auch an die Angster Boden-
reiflein an.
Von dem kugelförmigen Bauche nun geht ein enger Hals
in die Höhe, welcher in eine Trinkschale, später häufig in einen
Römerkelch oder dergleichen mündet. Manchmal besteht der
Hals aus zwei, drei und mehr, zuweilen sogar aus sechs in
einander gewundenen Aussgussröhren. Da man aus den Angstem
1) Geschichtklitterung. Neudruck von Scheible, S. 80. ^) a. a. O.
3) Hamburg, Benjamin Schiller's seel. Wittwe. Anno 17 16, S. 425.
— 93 —
feinen Wein trank, hatte der enge Hals ursprünglich den Zweck
das zu schnelle Verdunsten der Weinblume zu verhindern. Später
jedoch, namentlich seit dem ausgehenden l6. Jahrhundert, wurde
der Angster ein reines Vexirglas und es war eine Kunst und ver-
ursachte > übersichtige Augen«, durch die verschiedenen in einan-
dergeflochtenen Halsröhren den Wein in die Schale herauf zu be-
kommen, zumal wenn diese Schale sich seitwärts nach dem Fusse
zurücksenkte.
Ein dem Angster ganz ähnliches Trinkglas war der Kutrolf
(Gutterer, Kutter, Kiittorf, Kutrof). Georg Hennisch setzt in sei-
nem Wörterbuche*) beide, den Angster und Kutrolf, als gleich-
bedeutend und nennt sie >ein Glas mit einem dicken Bauch und
engen Hals<. Auch Johann Rädlein ^) erklärt den einen Ausdruck
durch den andern und hebt als charakteristische Eigenschaft beider
Gläser den engen Hals hervor. Unter diesen Umständen ist es
für' uns schwer, den Unterschied zwischen den zwei in Rede ste-
henden Trinkflaschen, falls überhaupt einer bestand, zu erfassen.
Fischart wirft in seiner >Geschichtklitterung<3) zwar einmal die
Frage auf, was für ein Unterschied sei »zwischen Flasche, Ang-
ster und Gutterufc; aber obwohl er > grosse c Verschiedenheiten
findet, ist seine Erklärung doch zu wenig bestimmt, um sofort die
richtige Vorstellung zu geben. Deutlich sind seine Worte nur in
Bezug auf die Flasche, welche als »enggeseckelmeulet am Mund-
port c bezeichnet wird. Die Flasche unterschied sich demnach von
den Angstem und Kutrolfen dadurch, dass sie sich an der Mün-
dung nicht zu einer Trinkschale erweiterte, sondern dort am eng-
sten oder wenigstens sehr enge war. Von dem Gutteruf ferner
sagt Fischart, dass er »enggeseckelmeulet am weydengewundenen
Kranchshalssc sei. Dieser Kranzhals kann schwerlich etwas Ande-
1) Teutscbe Sprach und Weisheit Thesaurus linguae et sapientiae ger-
manicae. Pars prima. Augsburg, 1616: Gutterer. Citirt von Seibt, a. a. O.
2) Europäischer Sprachschatz oder Wörterbuch der vornehmsten Sprachen
in Europa. 3 Theile. Leipzig 171 1: Kutter. Citirt von Seibt, a. a. D.
3) S. 176 (Neudruck von Scheible).
— 94 —
res sein als jenes Geflechte, jenes gekniffene Bändchen, welches
sich an verschiedenen erhaltenen Trinkflaschen dort um den Hals
legt, wo die Röhren aus dem Bauche sich erheben. An dieser Stelle
war nach Fischart der Gutteruf oderKutrolf »enggeseckelneulet«.
Er unterschied sich dadurch von der Flasche, deren Bauch nur
allmählig in den Hals überging und die oben am engsten wurde,
während der Hals des Kutrolf umgekehrt unten zusammengezogen
war und sich oben in einen Kelch oder eine Trinkschale erwei-
terte. Wodurch sich aber der Kutrolf vom Angster unterscheidet,
wird aus Fischart nicht recht klar*, denn dieser sagt vom Angster
nur, dass man aus ihm den Wein »mit engen Ängsten, wie die
Balbierer ihr Spicanarden und Roswasser herausängstigen c musste.
Wilhelm Seibt vermuthete, gestützt auf diese Stelle, >dass der
Angster einen aus einer einzigen engeli und krummgebogenen
Ausgussröhre bestehenden Hals hat, während der Hals des Kutrolfs
gleich einem Weidengeflecht aus mehreren Röhren zusammengedreht
ist<. Allein diese Vermutung ist nicht stichhaltig, da, wie wir be-
reits gehört, Mathesius ausdrücklich von Ängstem >mit zweifachen
Röhrlein < spricht. Ausserdem ist es wahrscheinlich, dass Fischart
unter > weidengewundenem Kranzhals < nicht den aus Röhren besteh-
enden Hals selbst gemeint hat, sondern wie wir gehört, das Ge-
flecht, das sich da um den Hals legt, wo derselbe beginnt. Ich
dachte früher, dass man Ängster diejenigen Trinkflaschen genannt
habe, welche einen geraden Hals und eine horizontal stehende
Schale gehabt haben, Kutrolf dagegen diejenigen, deren Hals ge-
krümmt und deren Trinkschale gegen den Fuss zurückgeneigt war.
Aber spräche dafür auch der Umstand, dass Mathesius in seiner
Beschreibung der Herstellung des Angsters vop einem Krümmen
der Röhrlein nichts erwähnt, so wird diese Vermuthung doch
gleich wieder durch die bereits oben angeführte Stelle Fischart's
widerlegt, welche ausdrücklich von > krummen Ängstern < spricht.
Da man nach Fischart die krummen Ängster eigens umwenden
musste, wenn man sie austrinken wollte, scheint das Verhältniss
eher umgekehrt gewesen zu sein und der Kutrolf einen geraden
Hals und eine horizontal stehende Schale gehabt zu haben, oder
es bestand der einzige Unterschied zwischen den beiden Trink-
— 95 —
flaschen darin, dass der KutroU einen weidengewundenen Kranz-
hals«, d. h. ein Geflecht um den Hals hatte da, wo derselbe be-
gann der Angster aber nicht. Doch wie dem auch sei, im Grossen
und Ganzen waren Angster und Kutrolf gleich.
Herr Seiht ftihrt zum Schlüsse seiner Erörterung Über den
Angsler und Kuterolf noch mehrere Holzschnitte und Handzeich-
nuQgen an, auf welchen sich Abbildungen unserer Trinkflaschen
finden. In Fig. 4 sind ebenfalls einige einfache Ängster in einem
Behälter unten rechts zu sehen. Erhalten sind von . diesen alt-
deutschen Vexirgläsem nicht gerade viele. Das germanische Natio-
Fig. 12.
nalmuseum in Nürnberg bewahrt ihrer drei mit schiefstehenden
Trinkschalen und in der Mustersammlung des Bayrischen Gewerbe-
museums befinden sich deren zwei. Von diesen ist das eine unbe-
dingt eines der interessantesten und stammt zweifellos noch aus
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Fig. 12), denn es hat
weder ein Bodenreiflein noch angelegte Knöpfe und Steine, noch
zweifache Röhrlein, sondern ist von ursprünglicher Einfachheit, so
dass man es im Grunde genommen noch nicht als Vexirglas be-
zeichnen darf. Das andere (Fig. 13) hat bereits eine schiefstehende
Trinkschale und einen aus mehreren (5) Röhren zusammengefloch-
tenen Hals nebst Bodenreiflein.
- 96 -
Hieher gehören auch mehrere Gläser, welche in dem >Cata-
logue of the collection of glass formed by Felix Sl3ule< abgebildet
sind. Sie werden dort als >bouquet!ers<, als Blumenvasen be-
zeichnet, was jedoch unrichtig ist ; denn die schiefstehenden, ja
vertilud gestellten Mundstücke dieser >Trinkflaschen< wären zu
diesem Zwecke durchaus nicht geeignet gewesen. Kurz, es sind
Ängster, wie wir sie bisher gesehen haben. Der interessanteste
darunter ist jener in Gestalt einer Giraffe ohne Kopf, welche auf
einer mit einem geluiiffenen Bändchen als Fuss versehenen Kugel
steht. Der lange Hals ist spiralisch gerifil und die senkrecht ste-
Fig. 13-
hende Trinkschale hat nach oben eine Schnauze'). Eine zweite
dieser Trinkflaschen*) hat einen schlanken graziösen Körper, wel-
cher nach oben und unten in auf einander folgenden Wellen sich
zuspitzt. Die mittelste dieser Wellen ist am breitesten ; an ihr be-
finden sich zwei kleine Flügel aus blauem Glase. Der Fuss mit
seiner flachen Bodenscheibe ist angesetzt. Das nach oben mit
') 1- =■ P- 96, Nr. saa; abg. unter Fig. 134, p, 97,
*) Al^b. unter Fig. 155, p, 97; Tejtt Nr. sa3, p. 96.
— 97 —
einer Schnauze versehene Mundstück ist senkrecht gestellt und das
Ganze vertikal gerieft. Eine dritte hieher gehörige Trinkflasche
hat einen spiral gerieften Kugelbauch, dessen Rippen sich in den
schlanken Hals hinaufziehen, und einen eigenen Fuss. Das senk-
recht stehende Mundstück hat nach oben ebenfalls eine Schnauze^).
Sind diese Ängster venetianischen Ursprungs? Der erste, welcher
eine Giraffe darstellt, scheint allerdings aus Venedig zu stammen.
Allein es ist ebenso ^ gut möglich, dass alle drei von Italienern,
welche sich im Norden angesiedelt hatten, nach deutschen Vor-
bildern, aber mit etwas mehr Phantasie gemacht worden sind;
denn im Allgemeinen muss der Angster als deutsche Gefassform
betrachtet werden.
3. Spechter.
Ausser dem Römer und Angster gab es im 16. und in den
folgenden Jahrhunderten noch eine grosse Menge anders geformter
Trinkgläser. Ihre Zahl war so bedeutend, dass Mathesius an eine
Aufzählung gar nicht denken mochte. >Wer kann aber<, sagte er,
>allerley gattung und form der gleser erzelen? Die alten hatten
ire hohen spechter, krautstrünck, engster, piergleser, teubelein, brü.
derlein und feine kleine trinkgleserlein, alss da man die frischen
Eppener etwan zu München auss pfleget zu trinken. Vor wenig
Jarn hat sichs alles mit trinkgeschirm verkeret, wie zwar auch
schier ein yeder seinem gefass ein sondern namen erdichtet«.
Es ist sehr schwierig jedes der in dieser Stelle genannten
Gefässe genau zu deflniren, da ältere Beschreibungen von ihnen
fehlen. Mathesius selbst geht, abgesehen von dem bereits beschrie-
benen Angster nur auf die Spechter etwas näher ein. Zu seiner
Zeit und schon früher, sagt er, habe man >gar glatte, reyne und
hohe und enge grüne spechter am Spessart gemachet, da gar kein
ringel oder steyn an gewesen, one das etliche solche gleser gleich
ir schattirung rauten oder Spiegel haben in einer eignen form be-
kommen«. Diese Stelle ist von grosser Wichtigkeit. Wir erfahren
•) Abgeb. unter Fig. 156, p. 97; Text p. 96, Nr. 523.
7
- 98 -
durch sie, dass die Spechter in ihrer besseren Qualität um die
Mitte des 1 6. Jahrhunderts imSpessart gemacht wurden. Vielleicht
erklärt sich hiedurch auch der Name Spechter, welcher sich aus
>Spessarter< Waare entwickelt haben mag. Die Spechter nun
waren hoch und eng, zumeist aus grünem Glase; Ringlein oder
Steine wurden an sie in der Regel nicht angesetzt, dagegen wur-
den sie häufig ih Formen geblasen und erhielten so, ohne dass
sie geschliffen oder Knöpfe an sie angesetzt . zu werden brauchten,
ihre Schattirung oder Gliederung durch Rauten oder Spiegel. Was
Mathesius unter dem letzten Worte versteht, geht aus einer andern
Stelle hervor, in der es heisst: > Etliche haben auch ire form, dar-
ein sie die glass stossen, dass sie striemicht und spieglicht werden«.
Diese Form ist ein noch heutzutage vielgebrauchter eiserner
Model, dessen Inneres aus scharfen, ziemlich weit vorstehenden
vertikalen Rippen besteht. In diese Form hält man die an die
Pfeife genommene, flüssige Glasmasse und bläst scharf hinein, dass
sich die Form gut ausprägt, zieht die Pfeife etwas in die Höhe
und stösst sie wieder nieder, was Mathesius Alles genauestens
beobachtet hat. Den auf diese Weise erhaltenen Cylinder bear-
beitet man sodann zu einem beliebigen Glase, wobei man die
Streifen entweder gerade laufen lässt oder in spirale Richtung
bringt. Die so gestreiften Gläser nun nennt Mathesius wegen der
Lichtreflexe auf den gebrochenen Flächen spieglicht. In diesem
Sinne ist auch das Wort Spiegel, das er in Bezug auf die in
Formen geblasenen Spechter gebraucht, zu verstehen. Die Spechter
hatten demnach häufig eiaen gerieften Körper gleich der Schale
einer Melone oder ein Rautenornament und diese Spechter waren
so trefflich gearbeitet, dass sie Mathesius den Venetianerarbeiten
an die Seite stellt.
Man ist nur zu gerne geneigt, die halbwegs hübschen Gläser,
namentlich wenn sie leicht von Gewicht sind, auf venetianischen
Ursprung zurückzuführen. Die eben angeführte Stelle aus Mathe-
sius mahnt uns zur Vorsicht in dieser Beziehung, besonders wenn
es sich um Gläser handelt, die in einen gestreiften, rautenförmig
oder sonstwie gemusterten Model geblasen wurden. Rautenmuster
haben wir bisher nur eines gesehen und zwar an einem sehr frühen
- 99 —
Römer (Fig. 7); geriefte Gläser dagegen befanden sich anter den
bisher abgebildeten bereits mehrere ; unter anderen waren die bei-
den Ängster (Fig. 12 u, 13) gestreift und trotzdem oder viel-
mehr eben deswegen deutsche Arbeiten, wie ich überhaupt, im
Gegensatze zu Herrn Seibt, glaube, dass die Angster grössten-
theils deutschen Ursprungs sind, so zart und hübsch die Arbeit
daran auch sein mag. In diesen gestreiften und mit Rautenmustern
versehenen Sachen nun waren die Spessarter Glasmacher Meister.
Auf sie darf man daher das Meiste, was von besserer Arbeit dieser
Art aus dem 16. Jahrhundert erhalten ist, zurückfuhren.
Doch um wieder auf die Spechter zurückzukommen , so
scheinen sich ihrer ziemlich viele erhalten zu haben; aber man
hat dieselben bisher unter den altdeutschen Gläsern nicht erkannt.
Durch die oben angeführte Stelle des Mathesius wissen wir nun,
dass die Spechter hoch und eng waren. Hohe und enge Trink-
gläser gibt es aber unter den erhaltenen altdeutschen nur zwei
und auch diese sind in der Form vollständig gleich, nur gehen
um den Mantel des einen gleichweit von einander entfernte Ringe,
welche dem andern fehlen. Das erstere dieser beiden Gläser ist
längst bekannt; es ist, wie wir später sehen werden, das soge-
nannte Passglas. Auf das zweite passt der Name von keinem
altdeutschen Glase, mit Ausnahme des Spechters; dasselbe muss
folglich auch der Spechter sein. Dass^ dem wirklich so ist, wird
durch ein derartiges Glas in der Mustersammlung des Bayrischen
Gewerbemuseums zur Evidenz erhoben, da es der Beschreibung
des Mathesius genauestens entspricht. Das betreffende Glas ist
hoch und schlank und hat, wie die Passgläser, einen aus einer
Kugel aufgetriebenen Fuss. Der Model, in den es geblasen wurde,
hatte in seinem Innern Vertiefungen, welche von einer viereckigen
Basis ausgingen. Auf dem Mantel des Glases erscheinen daher
diese Vertiefungen als Erhöhungen, welche sich auf viereckiger
Grundform erheben und nach oben hin sich etwas abstumpfen,
wodurch sehr hübsche Lichtrefiexe oder »Spiegel« entstehen. Diese
»spieglichten« Verzierungen, welche in langsam ansteigender spi-
raler Linie den Mantel des Gefasses umgeben und in vertikaler
Richtung durch gerade Linien getrennt sind und so eine Art
7*
Rautenmuster in Relief bilden, geben dem Ganzen hinlänglich
genügende Schattirung. Der Rand oben ist ungefähr 20 cm breit
glatt gelassen; der Fuss ist gerade gerippt und sein Rand ist
ziemlich weit aufgetrieben: kurz es ist ein im Spessart geroachter
Spechter, genau so, wie derselbe von Mathesius beschrieben wird
(Fig. 14). Dieser hier abbildlich miigetheilte Spechter rechtfertigt
in der That das Lob, welches unser Pfarrer den Spessarter Glas-
machern spendet. Freilich war es denselben nicht lange ver-
gönnt, ihre Geschicklichkeit und ihren Kunstsinn frei zu bethä-
Fig. 14.
tigen ; sie mussten alsbald dem Geschmack von Land und Leuten
Rechnung tragen. »Es hat sich*, sagt Mathesius bedauernd, >die
kunst endtlich müssen nach dem Lande richten ; daher man aller-
ley knöptr, steyn und ringlein an die gleser gesetzet, damit
die gleser etwas fester und besteodiger und von vollen und
ungeschickten leuten dest leichter köndten inn feusten behalten
werden; daher die starken knortzigten und knöpRchten gleser
inn brauch kommen sein«. Diesem Brauche mussten sich deutsche
— lOI —
seitdem auch die »schönen und glatten c Spechter fügen. Es sind
daher die oft dunkelgrünen hohen cylindrischen Gläser mit ange-
schmelzten Knöpfen und Buckeln keine Passgläser, wie Albert
Ilg meint ^), da ihnen eben die Pässe fehlen, sondern zweifellos
Spechter. Allerdings in der Form gleichen diese, wie bereits
I
gesagt, genau den Passgläsern; sie haben denselben aus einer
Kugel aufgetriebenen Fuss, sind cylindrisch, hoch und schlank»
Wegen des Mangels der Pässe aber können sie keine Passgläser
sein, sondern nur Spechter.
Trotz der Mode, an alle Gläser Knöpfe anzusetzen, gab es
aber noch lange Zeit hindurch ganz glatte Spechter. An diesen
wurde dann, um die ungegliederte Fläche einigermassen zu be-
leben, Emailmalerei angewendet. Die Mustersammlung des Bay-
rischen Gewerbemuseums besitzt fiinf derartiger, mit Wappen u.
dgl. bemalter Spechter; einer derselben stammt aus dem Jahre
1693 und zwar aus der »Hoff kellerey Dresden« ; ein zweiter trägt
die frühe Jahreszahl 1594. Um andere Spechter wurde ein
spirallaufender Faden mit gekniffenen Ornamenten gelegt, wieder
andere endlich sind über den ganzen Mantel hin mittels der
Diamantspitze mit Rankenwerk geschmückt, welches Köpfe und
Figuren einschliesst. Die zwei schönsten Spechter, die ich kenne,
sind jene zwei im Katalog der Slade'schen Glassammlung (Plate
XXII) abgebildeten. Sie sind in Form, Farbe, Decoration und
Grösse vollkommen gleich. Um jeden läuft oben und unten ein
ziemlich breites Goldband; das obere ist beide Male zu einem
Schuppenomamente ausgekratzt und jede Schuppe mit einem
blauen Tupfen versehen. Auf der Vorderseite des einen Glases
steht auf einer leicht angedeuteten grünen Landschaft ein Mann,
welcher zwei blaue Blümchen in der Hand hält. Auf der Rück-
seite befindet sich ein Allianzwappen und darüber die Worte:
Jacob Braun. Das rechte der beiden Wappen ist in der That
jenes des Jacob Braun von Nürnberg. Auf dem zweiten ist auf
der Vorderseite von demselben Maler Jacob Braun's Frau darge-
stellt*, sie hält in der Linken ein zierliches rothes Blümchen,
^) Lübmeyr, a. a, ü., S. 109.
— I02 —
während sie selbst etwas dick gerathen ist. Auf der Rückseite
befinden sich die gleichen Wappen wie vorhin. Die Füsse dieser
beiden zusammengehörigen Gläser sind, wie bei allen Spechtem,
aus einer Kugel aufgetrieben. In dem genannten Kataloge wer-
den diese zweifellosen Spechter irrthümlich als >Wiederkom€
(Willkommen) aufgeführt.
In der späteren Zeit hat man den aus einer Kugel aufge-
triebenen Fuss fortgelassen und dafiir entweder ein Boden reiflein
angelegt oder aus der an die Pfeife gefassten Glasmasse einen
Fuss ausgeschieden. Der Körper wurde dann in der Regel mit
Steinen oder Knöpfen dicht besetzt. Es dürfen also Gläser, wie
das in dem vorhin genannten Kataloge ^ ) abgebildete, in ideellen
Zusammenhang mit den Spechtem gebracht werden, selbst wenn
sie diesen Namen nicht mehr getragen haben sollten.
4. Passglas.
Ein sehr häufig vorkommendes altdeutsches Trinkgefäss ist
das Passglas. Dasselbe hatte eine hohe cylindrische Gestalt und
einen einfachen, aus einer Kugel aufgetriebenen Fuss. Die Man-
telfläche des Glases ist durch parallele horizontale Ringe oder
auch bloss durch gleichweit von einander abstehende Ziffern in
verschiedene Zonen oder Pässe eingetheilt (Fig. 1 5). Diese Ein-
theilung gab Anlass zu der Benennung. >Die Passgläser <, sagt
W. Seibt, »stammen ursprünglich aus den Niederlanden. Sie
haben zuweilen inwendig einen senkrechten Masstab, viel häufiger
aber, aussen um den Cylinder laufend, gleichweit von einander
angebrachte Reife als Mass; denn schon mittelniederdeutsch ist
das ,pas* soviel als Mass.c Aus diesem Grunde ist es unrichtig,
wenn Dr. Albert Ilg sagt, dass das Passglas oft nichts als ein
dunkelgrüner hoher > Cylinder mit aufgeschmelzten Knöpfen oder
Buckeln f sei. Wenn die Pässe fehlen, ist. das Glas eben kein
^) p. 148. Fig. 244: Cylindrisches Glas aus bläulich grüner Masse mit
etwas vertretendem Boden und oben ausgebogenem Mundstück. Der ganze Kör-
per ist über und über mit spitzigen Steinen besetzt.
— I03 —
Passglass mehr, sondern , wie wir bereits gesehen haben , ein
Spechter. Der Zweck der Pässe wird durch folgende Inschrift,
welche sich auf einem Passglass des 17. Jahrhunderts im öster-
reichischen Museum befindet und die Dr. Albert Ilg mittheilt*),
am besten erläutert:
»Vivat. In gesundheit anser AUer Inssgemein
Sollen die Päss ausgetrunken Sein
War aber Seinen Pass nicht dreffen kan
Der Soll den andern gleich auch-hahn.
Nun So will Ich Sehen zu
Dass Ich den Pass bescheidt auch thu
Wie Es mein nachbar hadt gemacht.
Da, hien will Ich auch Sein bedacht. Vivat.*
Man muss sich nämlich vorstellen, dass das Passglas im
Kreise der Zecher herumging oder auch, dass jeder sein eigenes
Passglas hatte. Beim Trinken nun musste jeder genau den Inhalt
innerhalb zweier Ringe leeren; gelang dies einem nicht, dann
musste er zur Strafe gleich bis zum nächsten Ringe weiter trinken
u. s. f. Diese Sitte hat sich in etwas veränderter und derber
gewordenen Form bis auf den heutigen Tag, namentlich in Stu-
dentenkreisen erhalten. Statt eines massig grossen Passes trinkt
man sich jetzt einen Schoppen, ein Seidel, eine ganze Mass zu
und ruinirt auf diese Weise seine Gesundheit. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus könnte die Wiedereinführung der Passgläser nur
freudigst begrüsst werden. Mathematisch geschulte Köpfe würden
sofort auch herausbringen, dass das Treffen eines Passes gar keine
Schwierigkeit bietet. Da das Passglas cylindrisch ist, braucht
man nur solange zu trinken, bis die Flüssigkeit die Diagonale
vom I. bis zum 3. oder vom 2. bis zum 4. Passe bildet.
Die Ringe nun sind gewöhnlich aufgemalt; doch gibt es
auch Passgläser, an denen sie aus herumgelegten Glasßlden be-
stehen. Zwei Beispiele der letzteren Art, an denen die Pässe
durch gekniffene Bänder gebildet werden, besitzt das Bayrische
Gewerbemuseum. An einem anderen Glase desselben Museums,
welches aus dem Jahre 1696 stammt und mit dem kursächsischen
*) Lo^Dmeyr, a. a. O., S. 109.
— I04 —
Wappen geschmflckt ist, sind die Pässe nicht durch Ringe, son-
dern durch gleichweit von einander entfernte Ziffern bezeichnet.
Sehr häufig ist zwischen dem i. und 3. Ringe irgend ein Karten-
brief angebracht. So zeigt das abbildlich mitgetheilte Passglas
einen Eichelunter, Über welchem steht: >Ich steche Dich.< Auf
einem anderen Fassglase in der Mustersammlung des Bayrischen
Gewerbemuseums nimmt dieselbe Stelle ein Grasunter ein, über
welchem zu lesen ist: >Ich filrcht mich nicht.«
Auch das Passglas hat in späterer Zeit den aus einer Kugel '
aufgetriebenen Fuss verloren, wie der Spechter. Eines der inte-
Fig. 15.
ressantesten Stttclce dieser Art ist ein Fassglas, welches zur Ver-
herrlichung der Taufe des bayerischen Kronprinzen Maximilian
Emanuel Ludwig Maria Joseph 1662 hergestellt worden ist. Das-
selbe ist in 5 Zonen getheilt, in denen ein feierlicher Aufzug vor
sich geht. Darunter ist folgende Inschrift angebracht: >Churfürst-
hch Bayrisches Frewden-Fest. Bey den vergangenen Tauff-Cere-
monien des Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn Herrn Maximilian
Emanuel Ludwig Maria Joseph. Im Jahr 1662.*') Die Dar-
') Abgeb. indem CatalogueoriheCoIlection ofSiAde, fig. *39, pl. r, p. 143.
— lOS —
Stellungen sind gemalt, und zwar sind sie »en grissaillec gemalt,
wie die Beschreibung sagt. Darunter ist jene Art der Gläser-
bemalung verstanden, welche Johann Schaper eingeführt hat.
Unser Passglas ist also ein sog. Schaperglas.
5. Krautstrunk, Fass, Tümmler, Handtummler, Schale,
Brüder lein, Bierglas, Krug, Kanne, Flasche, Humpen,
Becher, Magellel, Cholchel u. A.
Ueber den Krautstrunk, welchen Mathesius ebenfalls zu den
älteren deutschen Trinkgläsern rechnet, habe ich bisher keine
geschichtlichen Nachrichten auffinden können. Seine Bestimmung
ist indess nicht schwer; denn ohne Zweifel war es die Aehnlich-
keit mit einem natürlichen Krautstrunk, d. h. mit einem abge-
blätterten Kohlstengel, welche diesem Trinkglas den Namen ge-
geben hat. Unter den erhaltenen altdeutschen Gläsern gibt es
nun keines, das auf diese Aehnlichkeit mehr Anspruch erheben
könnte, als jene nicht eben seltenen, meist dunkelgrünen Becher,
deren Form sich gegen den Fuss sowohl wie gegen die Mündung
hin etwas einzieht, dass sie ungefähr einem stehenden, oben ge-
öffneten Fässchen gleicht. Der Boden ist einfach platt gedrückt,
die Wandung an den älteren Exemplaren ziemlich stark und mit
Knöpfen oder Steinen besetzt, welche die Ansätze der Kraut,
blätter andeuten mögen und daher in der späteren Zeit eine
eigenthümliche Breite erhielten. Solcher Becher besitzt das Ger-
manische Nationalmuseum in Nürnberg zwei, welche ohne Zweifel
in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, wenn nicht noch weiter,
zurückreichen. Sie sind von massiger Grösse und handlich zum
Gebrauche und entsprechen so der Angabe des Mathesius, der
den Krautstrunk in Gegensatz zu dem übermässig grossen Will-
kommen setzt.
In späterer Zeit wurden die Krautstrünke etwas leichter,
mitunter sogar zierlich gebildet; sie erhielten zugleich ein in
der Regel gekniffenes Bodenreiflein als Fuss und oben ein eigenes
halbkugelförmiges Mundstück. (Fig. 16.) Dadurch wurde dem
— io6 —
Krautstnink das Schwerfällige benommen und ihm dafür eine ge-
wisse schwungvolle Elastizität verliehen. Auch von dieser hübsche-
ren Gattung besitzt das Germanische Nationalmuseum einige
Beispiele.*) Ueberhaupt sind die Krautstriinke nicht selten und
finden sich deren in jeder grösseren Sammlung.
Der Form nach verwandt mit dem Krautstrunk ist das Fass,
namentlich wenn dasselbe stehend gedacht ist. Der grösste Theil
der Fässer ist indess liegend gebildet. Ein sehr hübsches Bei-
spiel eines solchen Fasses von ziemlicher Grösse besitzt das
Germanische Nationalm useum. Dasselbe stammt wohl aus dem
Fig. 16.
17. Jahrhundert. Fässeraus Glas abergab es, abgesehen vomAlter-
thum, schon viel früher. Wir haben bereits in der Einleitung
gehört, dass der Glasmacher Guionet im Jahre 1338 sich ver-
pflichten musste, dem Dauphin Humbert von Viennois jährlich
nebst anderen Glassachen auch eine gewisse Anzahl von Fässern
zu liefern. Der französische Ausdruck für Fass lautet bekanntlich
ibarilt. Dieser Ausdruck ist von Wolfram von Eschenbach in
seinem Epos Parzival ins Deutsche aufgenommen worden*): >mit
win ein glesin barel.c Albert Ilg meim^), dass unter diesem
') Der in Fig. iS abgebildete Trinkbecher befindet sich in der Muster-
sammlung des Bayrischen Gewecbemuseums.
>) Ml. 1179.
>) Mittheilangen des k. k. Österreich. Museums fSr Kunst und Industrie,
Jahrg. Xm, S. 177 ff.
— I07 —
>barel, auch parel ein flaschenähnlicher Behälter für Wein<
gemeint sei. Allein es besteht kein Zweifel, dass Wolfram von
Eschenbach »mit Wein ein gläsern fässelt meint; denn in dem
oben erörterten Vertrag zwischen Guionet und Humbert werden
die >barrils( (Fässer) eigens von den grossen Flaschen zum
Transportiren des Weines — >six grandes bottes pour transporter
du vin< — unterschieden. Bekannt ist auch das >glass wie ain
vässlein gestalt, mit vier geschmellzten raiflent, das ein jeder, der
nach Schloss Ambras kam, mit Wein gefüllt in einem Trunk
austrinken musste, ' )
Fig. 17.
Den Tümmler erwähnt der böhmische Pfarrer nicht; über-
haupt scheinen die Nachrichten über ihn sehr spärlich zu sein.
Dr. Friedrich Ludwig Karl Weigand') erklärt denselben als halb-
kugelförmigen Becher ohne Fuss und Henkel oder eigentlich als
einen >sich schwankend selbst bewegenden Becher; denn er
richtet sich, zur Seite gelegt, von selbst wieder auf, wie das seine
Form mit sich bringt«. Trefflich sind daher auf einem echten
Tümmler vom Jahre 1650, den unsere Fig. 17 nach einer Imita-
tion abbildlich gibt, folgende Verse angebracht:
^Trinck mich auss uod löge mich oieder.
Steh Ich auf, so fille mich wieder.
Und Bringe mich Einen gattenn freindt hinnwieder.'
') Lobmeyr, a, a. O., S. loS-
~) Deutsches Wörterbuch. Giessen 187S, Ricker'bche Buchhandlung, S. 945.
— io8 —
Dagegen ist in dem Trinklied, welches Albert Ilg anführt * ),
keinerlei Beziehung zu dem Tümmler zu erkennen, da darin nur
dem Weine zugerufen wird, er solle sich tummeln, d. h. sich be-
eilen, an den Mund des Zechers zu kommen. Ueberhaupt stammt
Fig. i8.
die Bezeichnung Tümmler nicht von dem Zeitwort >sich tummeln«,
d. h. sich beeilen, sondern dieselbe ist nach Weigand ins Hoch-
^) Lübmeyr, a. a. O., S, iio.
I
— 109 —
deutsche erst nach der Mitte des i8. Jahrhunderts aufgenommen
• worden und zwar aus dem gleichbedeutenden niederdeutschen:
>Der Tümler<, was zu Hochdeutsch >Taumler< heisst. Dies be-
stätigt auch die englische Bezeichnung »tumbler« von tumble
(rollen, umdrehen); vor Allem aber wird die Herleitung des Tümm-
lers von dem niederdeutschen »tumeln«, niederländischen »tuimeln«,
unserem > taumeln c, durch die Form des Geßlsses gefordert, wel-
ches, zur Seite gelegt, solange hin- und hertaumelt, bis es wieder
auf dem Boden steht.
Unter den Antiquaren cursirt auch die Bezeichnung Hand-
tu mm 1er. Sie verstehen darunter ein mit einem Stile als
Handhabe versehenes kelchartiges Weinglas ohne Fuss, so dass
dasselbe auf die Mündung gestellt werden muss. Das Bayrische
Gewerbemuseum besitzt ein derartiges Kelchglas von bedeutender
Grösse, so dass es ein Mann auf einmal schwerlich austrinken
konnte. Dasselbe scheint die Bestimmung gehabt zu haben, im
Kreise der Zecher herumgegeben zu werden. Es hat, wie Fig. i8
zeigt, auf der Handhabe einen sehr hübschen Messingaufsatz,
dessen Schluss der auf der Weltkugel stehende Merkur bildet.
Mit diesem ist das schon dem i8. Jahrhundert angehörige Glas
47 cm hoch; die Breite der Mündung beträgt nicht ganz 14 cm.
Ob die Bezeichnung Handtummler alt ist, weiss ich nicht anzugeben;
bis jetzt habe ich sie nur aus dem Munde der Antiquare ver-
nommen, die nicht immer eine sichere Gewähr sind.
Verwandt mit dem Tümmler ist die Schale. In ihrer ein-
fachsten Gestalt unterscheidet sie sich von ihm wesentlich nur
dadurch, dass sie unten am Boden, gleichviel ob dieser rund ge-
lassen oder platt gedrückt ist, dieselbe Stärke wie an der
Wandung hat. Dagegen aber reicht ihr Alter beinahe bis zur Zeit
der Enfindung der Pfeife zurück. Sie gehört zu den häufigsten
Producten der Glasmacher des Alterthums, des Mittelalters und
selbst der Neuzeit. Manchmal ist sie mit einem oder zwei Hen-
keln versehen, um in gefülltem Zustande leichter an den Mund
geführt werden zu können, und sehr häufig hat sie einen eigenen
Fuss. Fig. 19 bildet eine solche doppelgehenkelte, in der Samm-
lung des Bayrischen Gewerbemuseums sich befindende, sehr nied-
— HO —
liehe Trinkschale aus dem Jahre 1675 ab. Auf der Wandung
derselben sieht man vorne und hinten in Emailmalerei zwi->
sehen Maiglöckchens trau s sehen einen Vogel auf einem Baum-
stamm sitzen. Form und Schmuck der Schale sind gefällig.
Zu den älteren deutschen Trinkgläsern gehören sodann auch
die Brüderlein. Ich weiss nicht, ob, ausser Mathesius, sie sonst
noch ein Autor erwähnt. Dem Namen nach müssen sie zwei
oder drei zu einem Ganzen vereinigte Becher, wie deren auch
aus Siegburger Steinzeug existiren, vorgestellt haben. Möglicher'
big. ig.
weise sind unter ihnen auch zwei zu einem Ganzen verbundene
Flaschen gemeint, ähnlich den heutzutage gebräuchlichen Gläsern
für Essig und Oel. Vielleicht findet sich irgend wo ein doppeltes
altdeutsches Glas, dann ist die Frage gleich gelöst. Einstweiten
aber müssen wir uns mit der AntUhrung des Namens begnügen.
Das Bierglas ferner ist sich im Ganzen und Grossen bis
auf unsere Tage gleich geblieben. Mathesius rechnet es ebenfalls
zu den äheren deutschen Trinkgefässen und schon damals hatte
es die noch heute übliche Gestalt. Freilich wusste man früher
das Derbe der Form an sich mehr zu mildem als gegenwärtig,
wo dieselbe alles Reizes baar geworden ist. Wie hübsch nimmt
sich diesen plumpen modernen Produkten gegenüber dos braun-
liche Bierglas mit dem trefTlichen Henkel aus der Mustersammlung
des Bayrischen Gewerbemuseums aus, welches in Fig. 20 abge-
bildet isti Das Glas ist von einer goldig schimmernden bräun-
lichen Farbe und sehr leicht. Die Grösse des schön gebildeten
Henkels ist auf ein bescheidenes Mass zuTÜckgefUhrt, drängt sich
daher keineswegs vor und das unten angelegte Bodenreiflein gibt
dem Gefässe einen ebenso kräftigen wie einfachen Fuss, der zu-
Fig. 20.
gleich einen richtigen Abschluss bildet. Die Wandung ist durch
Malerei in wirksamster Weise gegliedert. Man sieht darauf einen
Mann, welcher einer Dame einen Kelch darbietet, während diese
ihm einen Kranz entgegenhält. Die Inschrift lautet: >Godt allein
die ehr. 1657.* Um diese Scene herum sind Maiglöckchen,
Edelweiss, Kornblumen, Nelken u. s. w. angebracht. Das Ganze
kann als ein Muster eines hUbschen Bierglases gelten. Die ge-
nannte Sammlung besitzt noch ein anderes Bierglas aus blauer
Masse und von gleich schöner Form.
Unter Krug versteht man gegenwärtig ein bauchiges Gefäss
— 112 —
mit Henkel, das je nach der Grösse Vorraths-, Schöpf- oder
Trinkgeföss ist. Aehnlich verhielt es sich bereits im i6. Jahr-
hundert. Auch damals scheint man unter Krug nur ein bauchi-
ges gehenkeltes Gefäss verstanden zu haben, wie denn Krug
überhaupt schon seiner Abstammung nach >ein gerundetes Gefäss«
bezeichnet'), während man unter Kanne, welche Benennung
Flg. 31.
von dem lateinischen icanna« (Rohr) abgeleitet ist, meistens
ein cylindrisches oder konisches Gefäss mit Henkel versteht. Das
oben geschilderte Bierglas ist demnach nur eine Abart der Kanne.
Ein prächtiges Beispiel einer reich mit Malerei, verzierten Kanne
findet sich in dem >Catalogue of the Collection of glass formed
I) Weigand, a. a. O., Bd. I, S. 1018.
— 113 —
by F. Slade (pl. XXI) abgebildet. Dieselbe stammt aus dem
Jahre 1572 und gehört durch ihre Malerei zu den sog. Adler-
gläsern, von welchen später die Rede sein wird. Häufiger als
die Kannen scheinen die altdeutschen Krüge aus Glas zu sein.
Das Bayrische Gewerbemuseum besitzt Beispiele von verschiede-
nen Grössen. Sehr interessant ist ein kleines türkischblaues
Krügchen, auf welchem, dem Henkel gegenüber, ein trefflich aus-
geführtes Wappen und links und rechts davon Blumenschmuck
angebracht ist. Die farblosen Krüge sind häufig von einer
weniger eleganten Form und auch bereits aus späterer Zeit. Da-
gegen gewährt ein tiefblaues Krüglein mit Emailmalerei und Zinn-
beschlag (Fig. 21) einen reizenden Anblick. Es ist in Bezug auf
die Gesammtform in der That ein Muster zu nennen und darf
zur Nachahmung empfohlen werden. Um den schönen Bauch
wird auf leicht angedeuteter Landschaft ein Hase und ein Fuchs
von je einem Hunde gejagt. Genau das gleiche Krüglein ist in
dem »Catalogue of the CoUection of Slade« abgebildet*); selbst
das Beschläge aus Zinn und die Malerei, die Henkel- und Fuss-
bildung sind an beiden Krüglein vollständig gleich; nur am Halse
hat das letztere ein anderes Ornament und statt des von einem
Hunde verfolgten Hasen befindet sich darauf ein Hirsch, welcher
von einem Hunde gejagt wird. Femer ist es um zwei Jahre
älter; denn es stammt aus dem Jahre 1595, während das im
Bayrischen Gewerbemuseum auf dem ums Kennen schlankeren
Bauch die Jahreszahl 1597 trägt. Diese beiden Krüglein müssen
aus ein und derselben Glashütte, ja, wie die ganze Machart, na-
mentlich des Henkels zeigt, aus der Hand eines und desselben
Glasmachers und eines und desselben Malers hervorgegangen sein.
Eines der häufigsten Glasgefässe ist die Flasche und das
Flacon. Diese gehören überhaupt zu den ältesten und belieb-
testen Gläsern, die es gibt. Soweit man die Gefässbildnerei zurück
verfolgen kann, überall trifft man die Flasche und das Flacon
und zwar sowohl mit kurzem wie mit langem Halse, mit rundem
wie mit eckigem, in einen Model geblasenem Bauche, ohne Henkel
») Fig. 234, p. 138; Nr. 732.
8
— 114 —
und mit einem oder zwei Henkeln. Characteristisch für alle diese
Arten ist der enge Hals, wie wir bereits aus Fischart gehört
haben. Dieses häufige Vorkommen der Flasche aus Glas erklärt
sich daraus, dass Stoff und Technik eben keine andere Form so
sehr begünstigt. Die Flasche ist die Glasgefassform mit Aus-
zeichnung und es gibt unter den Glasflaschen in der That vollen-
dete Beispiele. Die Mustersammlung des Bayrischen Gewerbe-
museums besitzt eine reiche Auswahl sowohl von Flacons wie
von Flaschen. Da ist ein blaues, aus zwei Kugeln über einander
bestehendes Flacon von 1733, welches mit einem zinnernen
Schraubenmundstück versehen und mit einigen Ornamentbändern
in Emailmalerei geschmückt ist. Die neckische Inschrift darauf
heisst: >Lieb Du mich, Wen osterhas gar Sein.« Da ist ferner
ein breit gedrücktes Flacon aus farblosem Glase, dessen unterer
Theil in einem gerippten vergoldeten Messingbeschlag eingelassen
m
ist. Auf den beiden Seiten sind Darstellungen in Emailfarben
angebracht und zwar einerseits ein Blümchen, andererseits ein
Mann in einer Landschaft. Höchst interessant ist sodann ein
viereckiges violettes Flacon mit Zinnverschluss, indem die gravir-
ten Darstellungen darauf sehr tief gehalten und durch französische
Inschriften erklärt sind. Was die Flaschen betrifft, erwähne ich
an erster Stelle eine farblose, in einen viereckigen Model gebla-
sene mit kurzem Halse. Sie ist mit Ornamenten und einer Dar-
stellung in Schwarz (ä la Schaper) geschmückt. Die Farben sind
nicht gut eingebrannt. Sehr hübsch ist sodann eine gehenkelte
Flasche mit breitgedrücktem Bauche, wie die bekannten Pilger-
flaschen. Die Seiten sind mit reicher Gravirung versehen. Eine
eigene Art repräsentirt eine andere Flasche von vollständig koni-
scher Form mit darüber gestürztem Becher. Am schönsten aber
sind die Flaschen mit geripptem Kugelbauche. Da ist zunächst
ein Fläschchen mit Bauch von gedrückter Kugelform. Dasselbe
ist in einen Model mit Rautenmuster geblasen worden und darf
daher für eine Spessarter Arbeit des 16. Jahrhunderts gehalten
werden. Am Halse ziehen sich die Rauten selbstverständlich stark
in die Länge (Fig. 22). Die Glasmasse ist farblos und wir
wissen auch, dass im Spessart bereits im Jahre 1502 in einer
dem Graren Reinhardt von Reineck zu Rappershom bei Fram-
mersbach gehörigen HUIte weisses, d. h. farbloses Glas gemacht
wurde. ') Noch drei andere Flaschen von der gleichen Masse
und von ausgezeichneter Arbeit dürfen als Spessarter Fabrikat
betrachtet werden. Da ist eine Flasche mit vertikal gestreiftem
Kugelbauch und ziemlich langem, glattem Halse. Der Bauch ist
unien etwas abgeplattet und eingestochen (Fig. 23). Die zweite
Flasche hat ebenfalls einen vertikal gestreiften Kugelbauch; ihr
Hals verjüngt sich etwas nach oben und wird da, wo er beginnt.
Fig. 22.
sowie oben am Mundstück von einem gekniffenen Bändchen um-
geben, Sie ist daher etwas jünger als die vorige. Die dritte
Flasche endlich ist ebenfalls in einen gestreiften Model geblasen
worden. Die Riefen laufen am Kugelbauche vertikal, am Halse
dagegen winden sie sich leicht nach rechts hinj das Mundstück
erweitert sich leicht und unmittelbar darunter legt sich ein ge-
kniffenes Bändchen um den Hals.
') Lobmeyr, L c, S. III.
— ii6 —
Die Bezeichnung Humpen für ein grosses weites Trink-
geschirr von meist cylindrischer Form ist erst um die Mitte des
17. Jahrhunderts aufgekommen; trotzdem aber ist die Herkunft
des Wortes nicht bekannt. Mit dem Namen Becher bezeichnet
man seit Alters her alle mittelgrossen Trinkgeschirre, welche im
Allgemeinen von cylindrischer Form^ nach oben hin aber häufig
etwas ausgeschweift sind. Manchmal haben sie die Form eines
Korbes. Welche Glasform als M agell el oder als Cholchel
Fig. 23.
bezeichnet wurde, ist mir nicht bekannt. Aus dem Vertrage Al-
brecht's V. mit Bernhard Schwarz geht hervor, dass diese beiden
Glasformen aus gemeinem, schlechtem Glase waren und ihrer zwei
Glasmacher an einem Tage wenigstens 300 Stück machen konn-
ten, von denen eines zu 2 kr. angeschlagen wurde. Die Bezeich-
nungen: Warzengläser, Batzengläser, Spitzgläser u. s. w.
sind neueren Datums und entweder von der Form oder dem
Schmucke hergenommen.
— 117 —
Ausser den bisher namentlich aufgeführten Gläsern machten
die früheren Glasmacher noch unzählige andere Gefässe. In den
älteren Werken und Inventarien lesen wir von: Kelchen, Nä-
pfen, Nachttöpfen, Schüsseln mit und ohne Rand, Salzfäs-
sern, Lampen, Leuchtern, Becken, Töpfen, Sauci^ren,
Körbchen, Weihwasserbehältern u. s. w. Kurz, es würde
ins Unendliche gehen, alle Arten der damals gebräuchlichen Glas-
gefasse aufführen zu wollen, und man würde hiebei um so weni-
ger an ein Ziel kommen, als nach Mathesius jeder seinem Glase
einen besonderen Namen erdichtete.
6. Barocke Formen aus Glas.
Noch ungleich grösser als die Zahl der eigentlichen Gefässe
ist im i6. Jahrhundert jene der barocken Trinkgefässformen aus
Glas. Ein Autor jener Zeit, der gegen die Völlerei eifernde
Freund *) konnte nicht umhin, in die Klage auszubrechen: > Heu-
tiges Tages trinken die Weltkinder und Trinkhelden aus Schiffen,
Windmühlen, Laternen, Sackpfeifen, Schreibzeugen, Büchsen, Stie-
feln, Krummhörnern, Weintrauben, Gockelhähnen, Affen, Pfauen,
Mönchen, Pfaflfen, Nonnen, Bären, Löwen, Bauern, Hirschen,
Schweinen, Käuzen, Schwänen, Sträussen, Elendfüssen und ande-
ren ungewöhnlichen Trinkgeschirren, die der Teufel erdacht hat,
mit grossem Missfallen Gottes im Himmel.«
Allerdings sind hiemit vor Allem die Gefässe in Metall ge-
meint*, aber man machte damals genau die gleichen Missgestalten
für Trinkgefässe auch aus Glas und selbst schändlicheFormen
waren nach dem Zeugnisse des Mathesius schon um die Mitte
des i6. Jahrhunderts nicht unbeliebt. Der nämliche Autor er-
zählt uns auch, dass man aus Glas sog. Narren machte, d. h.
Narrenköpfe mit Ohren und Schellen, aus denen sich die Leute >zu
Nabeln und Narren soffen. < In anderen Gefässen brachte man
nach ihm ein Rädle in an, das beim Trinken umlief. Eben die-
ser Idee entsprangen die Mühlen, von welchen Freund spricht.
^) Vom Gesundheittrinken etc. etc. Siehe A. Berlepsch, Chronik der
Gold- und Silberschmiedekunst. St. Gallen, Scheitlin und ZolUkofer. S. 159.
— ii8 -
die sog. Mühlenbecher, holländisch Molenbeker. Von die-
sen seltsamen Gläsern existiren viele in den Niederlanden i). Es
sind Homer von Filigranglas oder vielmehr von weissem Glase,
welches mit farbigen Fäden geschmückt ist. Die Spitze dieser
Hörner ist mit einer Silberfassung versehen, welche eine kleine
Windmühle trägt. Wenn der Trinker sein Glas geleert hatte,
musste er eine Probe von der Kraft seiner Lungen geben, da-
durch dass er die Flügel der Mühle durch Hineinblasen in Be-
wegung setzte. Diese schrieben sodann auf ein kleines, zu die-
sem Zwecke angebrachtes Zifferblatt die mehr oder minder grosse
Stärke, welche der blasende Trinker entfaltete. Der obere Theil
des Glases, welcher bei der Mündung gravirt ist, ist hinter dieser
Gravirung von einem dreifachen Ring aus einem blauen Faden
zwischen zwei opakweissen umgeben. Von diesem Ringe gehen
abwechselnd blaue und weisse Fäden bis zur Spitze des Hornes.
Einen Stiefel aus Glas als Trinkgefass erwähnt, wie wir
bereits gehört haben, Thomas Platter in seiner Selbstbiographie
(1528) und auch Fischart spricht von »gestiffleten Krügen« ^).
Beispiele davon haben sich mehrere erhalten. Wie der Stiefel, so
wurde auch der Schuh als Vorbild für Trinkgefässe gebraucht.
Hans von Schweinichen ferner erzählt von einem Schiff aus
Glas, in welchem ihm der Willkommtrunk gereicht wurde (1575).
Derartige Schiflfe aus Glas aber gab es schon viel früher. So
werden in dem oben erörterten, dem Glasmacher Guionet 1338
verliehenen Patent Schiffe erwähnt und zwar musste Guionet dem
Dauphin unter Anderem jährlich ein grosses Schiff >une grande
nef< liefern. In dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts
ferner beschreibt der Bologneser Mönch Leandro Alberti
eine vollständig aufgetakelte, i Elle lange Galeere aus Glas,
welche er in Murano gesehen hatte ^). Ob diese letztere zum
Trinken gehörte, ist nicht gesagt, scheint aber eher einen Tafel-
aufsatz gebildet zu haben. Ein Trinkgefass aus Krystallglas in
Form eines Schiffes befand sich dagegen auf Schloss Ambras.
^) J. Houdoy, 1. c. p. 38 fr. 2) a. a. D. S. 142.
3) Isole appartenenti all* Italia, ed. 1576, p. 95.
— 119 -
Dasselbe mussteo die Frauen und Jungfrauen in einem Trünke
austrinken ').
Mathesius erwähnt femer der Täublein aus Glas. Andere
Thiere, wie Bären, Mäuse u. s. w. als Trinkgeasse sind im
Germanischen Nationalmuseum zu sehen. Nach Marcantonio Cocdo
Sabetlico ') machte man in Venedig alle Arten von Thieren —
omnis generis animatia. Einen hübschen Vogel hat der Catalogue
of the Collection of Slade abgebildet ^). Die Mustersammlung
des Bayrischen Gewerbemuseums besitzt einige Trink- oder Oel-
gefasse in Form von Hunden und Fischen von zweifellos deut-
scher Arbeit. In eben dieser Sammlung befindet sich auch ein
Trinkglas in Form einer langgekleideten Dame (Fig. 24) *).
1) Lobmeyr, a. a. O. S. 105. ^) De situ Venetae Urbis (1495).
^) p. 107, Fig. 183.
-■) Eine ähnliche Dame siehe abgebildet im Catalogne of the Collection
uf Slade, p. io3, Fig. 1Ö3.
— I20 —
Ein eigenthümliches Vexirglas beschreibt Mathesius also:
»Man kann auch mit einem heissen eysen trinkgleser zuknicken,
wie die fenstermacher ir taffelglass spalten , wenn sie das warme
glass nass machen, dass sie sich auss einander dehnen lässt,
und gleichwol, wenn man sie wieder niederlesset, wein halten.«
Durch einen Artikel von mir im » Sprechsaal < ^) auf diese Stelle
aufmerksam gemacht, stellten Villeroy, Boch, Karcher & Cie. in
Wadgassen a. d. S. diese Art von dehnbaren Gläsern wieder
her und schickten mir einige sehr gelungene Proben. Es sind
dies Becher, in welche von oben bis ungefähr zur Mitte herunter
eine' spirale Linie durch die ganze Wandung hindurch gesprengt
ist, so dass sich die Glasringe >aus einander dehnen lassen«, das
Glas aber gleichwohl eine Flüssigkeit zu fassen im Stande ist;
nur muss man sich hüten beim Aufheben das Glas da zu neh-
men, wo sich dasselbe aus einander ziehen lässt. Steht ein sol-
cher Becher an einem Fenster, dann nimmt sich die spirale Linie
wie ein feiner Silberfaden aus. Es existiren auch alte Exemplare
dieses Vexirglases, darunter welche von bedeutender Höhe und un-
glaublicher Elastizität.
Hieher gehören auch gewisse Vexirkrüge. Aus diesen
geht aus dem Innern vom Boden aufwärts ein Rohr aus Glas,
welches aussen als Henkel benützt ist. Die Mündung dieses
Rohres ist etwas auswärts gebogen; an derselben musste man mit
dem Munde anziehen, dann lief der Inhalt des Kruges von selbst
heraus, da das Rohr dort, wo es auf dem Boden im Innern auf-
steht, mit einer kleinen Oeffnung versehen ist. Aussen ist dieses
Rohr, bevor es ausmündet, mittels eines gekniffenen Bandes mit
dem Bauche verbunden. Solche Bänder sind auch über die
Mündung des Kruges gelegt, damit dort niemand trinken konnte
(Fig. 25).
In diese Reihe von Gläsern gehören auch die Fruchtschalen
in Form von Kronen, ferner die gläsernen Pistolen und Trom-
peten. In Bezug auf die letzteren sei an eine Stelle bei Mathesius
erinnert, in welcher erzählt wird, dass man > subtilere und künst-
') Organ der Porzellanr, Glas- und Thonwaaren-Industrie. Coburg.
121
lichere Arbeiter c nicht finde wie in Venedig, >wie man auch gle-
seme Schlöser, Heuser und Instrumente allda machen solle,
die lieblich zu sehen und von subtilen Stimmen sein sollen. < Der
schon öfter genannte Bologneser Mönch Leandro Alberti sah in
Murano eine Orgel aus Glas, welche sehr melodiöse Töne her-
vorbrachte. Derartige Instrumente wurden aber auch in Deutsch-
land gemacht, wie die Trompete in der Mustersammlung des Bay-
^^ ^-t-^
Fig. 25.
rischen Gewerbemuseums und jene im Germanischen Nationalmu-
seum beweisen.
Dass die von Freund erwähnten traubenartigen Trinkge-
fasse auch in Glas gemacht wurden, bezeugt ein derartiges Glas, das
sich früher in der Sammlung Slade befand ^ ). Die nämliche Samm-
') Abgeb. im Catalogue etc., plate g, Fig. 149.
lung bewahrte auch eine als Trinkgefäss benutzte Glocke aus
Glas •). Derartige Glocken werden schon frühzeitig erwähnt,
Guionet z. B, sollte dem Dauphin Hmnbert von Viennois seit 1338
jährlich- lOO Dutzend glockenförmiger Gefässe liefern. Kurz, die
Zahl dieser barocken Formen aus Glas, welche mit Ausnahme der
Trompeten, Häuser und Schlösser, fast insgesammt als Trinkge-
fasse benutzt wurden, ist eine ungeheure, so dass man, wollte
man sie alle aufzählen, an kein Ende käme. Ein grosser Theil
dieser bizarren Formen , namentlich die verschiedenen Thiere,
Centauren , Tritonen scheint durch die Muranesen aufgekommen
zu sein. Sie dienten im 15. und 16. Jahrhundert, wo sie auf
Murano am gebräuchlichsten waren, zu alchymistischen und na-
mentlich zu Destillationszwecken *). Auch die )Balbierer< wer-
den sich ihrer zu ihren wohlriechenden Wassern bedient haben.
In Deutschland aber, wo sie erst seit der Mitte des 16. Jahrhun-
derts gebräuchlich waren, wurden sie hauptsächlich als Trinkge-
fässe benützt.
') Al^eb. im Catalogue elc,
2) Labarte, L c. p. 384
in.
Gläser mit Emailmalerei.
Entwicklung der Technik.
IE ersten Spuren der Anwendung von Emailfarben zur
Decorirung derGlasgefösse finden sich bereits imAlter-
thume. Unter den sogenannten Goldgläsern*) gibt es
nämlich mehrere , an welchen einzelne Gewandpartien,
Bäume u. s. w. durch Schmelzfarben, wie roth, grün, blau, hervor-
gehoben werden. So bildet Perret in seinem Katakombenwerke eine
derartige Schale ab, an welcher die Tuniken der dargestellten Per-
sonen mit Purpurstreifen verbrämt sind*). Auf einem zweiten hieher
gehörigen Glase schwimmt das Schifflein des Jonas auf grünen Mee-
reswogen*), auf einem dritten zeigt das Antlitz des den Gicht-
brüchigen heilenden Erlösers Fleischfarbe*). Manchmal sind die
betreffenden Stellen zuvor mittelst des Rades etwas vertieft und
dann mit den Schmelzfarben ausgefüllt worden^). Boldetti, eine
allerdings etwas unzuverlässige Autorität, erzählt ferner^), er habe
im Cömeterium des hl. Calixtus in Rom eine ganze Schale ge-
funden, auf deren Grund nicht mit Gold, sondern aus verschie-
') Garrucci, Vetri ornati di figüre in oro trovati nei ' cimiteri di Roma.
Roma 1858.
2) Les Catacombes de Rome, T. IV, pl. 33, n. 114.
3) 1. c. pl. 29, n. 76. *) 1. c. pl. 33, n. 102.
^) Dr. Fr. X. Kraus, Die christliche Kunst in ihren frühesten Anfangen.
Leipzig 1872, S. 137.
6) Osservazioni sopra i cimiteri dei santi martiri ed antichi christiani
di Roma. Roma 1720.
— 124 —
denen anderen Farben ein Kopf des Erlösers dargestellt war. Wie
dem auch sei, es existirt in der That eine ziemliche Anzahl von
antiken Gläsern, welche mit Emailfarben bemalt sind*)
Diese Anfänge der Emailmalerei auf Glasgefässen scheinen
am Ende des 3. oder im Laufe des 4. Jahrhunderts p. Chr. ge-
macht worden zu sein. Ohne Zweifel wanderten sie mit den
übrigen Techniken des Alterthums nach Constanjinopel und sie
wurden sicher auch in Alexandrien nicht vergessen, sondern sorg-
fältig weiter entwickelt. Gerade hier scheint diese Art der Glä-
serverzierung zu der späteren Rolle, die sie unter den mohamme-
danischen Herrschern im Oriente spielen sollte, vorbereitet worden
zu sein. Allein auch die byzantinischen Hütten, sowohl jene zu
Konstantinopel wie die in Thessalonich, mögen an ihr Gefallen
gehabt haben, wenn dies auch aus der Schedula diversarum artium
des Theophilus nicht mit absoluter Sicherheit geschlossen werden
kann. Dieser Mönch erzählt nämlich, dass die Griechen ihre
saphirblauen Schalen mit Gold zu verzieren pflegten und zwar auf
zweierlei Art. Entweder, sagt er, nehmen sie ein Goldblatt, bil-
den daraus menschliche Gestalten oder solche von Vögeln, Thieren
oder Blattwerk, befestigen es danii auf der Schale, überstreichen
es mit pulverisirtem Kry stallglas und brennen das Ganze ein 2).
Oder sie nehmen gemahlenes Gold und Silber, machen daraus auf
die Gefässe Kreise und in dieselben Bildnisse, Thiere und Vögel
in abwechselnder Ausführung und überstreichen diese Darstellungen
ebenfalls mit pulverisirtem 'Krystallglas. > Hierauf«, fährt er fort,
»nehmen sie weisses, rothes und grünes Glas, welches zu den
Electren verwendet wird, reiben ein jedes für sich auf einem Por-
phyrsteine fleissig mit Wasser und damit malen sie sodann Blu-
men und Verschlingungen und andere Kleinigkeiten, die sie wollen,
in verschiedener Ausführung zwischen den Kreisen und Verschlin-
gungen und einen Saum um den Rand. Und diese nicht etwa
dünn aufgetragenen Farben brennen sie im Ofen in der Weise
') W. Froehner, 1. c. p. XV ff.
-) Theophilus, 1. c. lib. II. c. XIII. — Vergl. meinen Aufsatz : »Ueber
die Goldgläser*. [Wartburg, Organ des Münchner Alterthumsvereins, Jahrg. 1876
auf 1877, Nr. 9—10].
— 125 —
ein, wie oben gezeigt worden ist^). Labarte^) hat dieser Stelle
meines Erachtens eine falsche Deutung gegeben, indem er unter
den >Graeci< sofort die byzantinischen Glashütten in Constantinopel
und Thessalonich verstand. Wir wissen nicht, auf welchem Wege
Theophilus seine Informationen erhielt. Möglicherwfeise waren es
griechische Kaufleute, welche derartige Gläser nach dem Norden
brachten. Theophilus hielt diese daher auch gleich für griechische
Produkte, obwohl sie aus asiatischen oder alexandrinischen Fa-
briken gekommen sein mögen. Uebrigens ist es durchaus nicht
nothwendig, unter den Griechen des Theophilus die Byzantiner
zu verstehen ; darunter können ebenso gut auch griechische Künstler
in Alexandrien gemeint sein und in der That spricht Vieles hie-
für, wie sich gleich zeigen wird.
Im Oriente, namentlich in den Glashütten Phöniziens und
in jenen Alexandriens, hat die Glasindustrie seit den Tagen des
Alterthums fortgeblüht. Wissen wir doch, dass Petrus Damianus
dem Kaiser Heinrich II. (i002 — 1024) aus einer Fabrik Alexan-
driens ein Glas von wunderbarer Arbeit mitbrachte, welches dieser
später dem Abte von Cluny schenkte^). Im 12. Jahrhundert waren
nach Benjamin von Tudela in Antiochia lO und in Neu-Sur lOO
jüdische Glasarbeiter thätig. Kurz, im Oriente hat die aus dem
Alterthume stammende Glasindustrie durch die vordringenden Araber
einen neuen Aufschwung, namentlich in Bezug auf die Emaillirung
der Gefasse, genommen. Es ist wahr, Theophilus erwähnt nur die
Griechen als Hersteller von bemalten Glasgefassen. Aber wären
darunter wirklich die byzantinischen Hütten in Constantinopel
gemeint, dann hätten diese nicht ein Gefass in dieser Technik
hinterlassen -, denn so viele wir deren besitzen, alle tragen unzwei-
felhaft den Stempel der arabischen Kunst an sich, ja der Beschrei-
bung des Theophilus selbst scheinen nicht byzantinische, sondern
arabische Arbeiten zu Grunde gelegen zu haben. Der Autor hat
diese entweder aus byzantinischen Händen bekommen und sie
daher, wie bereits gesagt worden ist, für Werke der Byzantiner
>) I. c. tib. II, c. XIV. 2) 1. c. t. m, p. 369.
^) B. Petri Damianl, Opera. Romae 1606, t. II, p. 218, citirt von
Labarte.
— 126 —
gehalten oder aber er wusste, dass griechische Glasarbeiter in Ale
xandrien thätig waren, und meint diese. Dass aber griechische Künstler
in Alexandrien dem arabischen Einflüsse unterliegen mussten, ist
selbstverständlich. In der That löst nur die Annahme, dass Ale-
xandrien der Mittelpunkt der frühmittelalterlichen orientalischen
Glasindustrie war, die vielen Räthsel und Schwierigkeiten, die
sonst der Forschung entgegenstehen. Ich will dies an einem Bei-
spiele zeigen. Im Schatze von S. Marco in Venedig befindet sich
eine kleine Vase aus tiefbraunem, fast opakem Glase mit kugel-
förmigem Bauche und sich nach oben erweiterndem Mundstück*).
Der Körper ist geziert mit /Kreisen, welche Figuren einschliessen.
Diese sind in einem blassen fleischfarbenen Email auf die Ober-
fläche gemalt zugleich mit Ornamenten in Gold und Roth. Nach
Nesbytt sind die bald halb bekleideten bald nackten Figuren augen-
scheinlich Copien nach alten Originalen. Eine derselben scheint
Jupiter auf dem Throne sitzend, begleitet von einer geflügelten
Gestalt, vielleicht Merkur, darzustellen; eine zweite hält den Drei-
zack. Die Kreise sind aus Rosetten von blauem, grünem und rothem
Email gebildet und jeder von goldenen Linien umzogen. Ober
und unter den Berührungspunkten der Kreise befinden sich klei-
nere Runde von Gold, welche Büsten von Männern, deren Haar
mit goldenen Bändern geschmückt ist, einschliessen. An der Aussen-
seite des Mundstückes sieht man Rosetten zu je vier vereinigt
und dazwischen goldenes, schnörkelartiges Blumenwerk. Wie man
sieht, entspricht diese Ornamentation genau der Beschreibung des
Theophilus; aber sie ist gleichwohl nicht in Constantinopel ent-
standen; denn es läuft um den inneren Rand des Mundstückes
und um den unteren Theil des Bauches eine Inschrift in kufischen
Lettern. Bedenkt man nun, dass die Figuren in Zeichnung und
Charakterisirung, die Rosetten und die Büsten innerhalb der Me-
daillons genau mit den Darstellungen mehrerer für byzantinisch
gehaltener Elfenbeinbüchsen aus dem ii. und 12. Jahrhundert
übereinstimmen, so wird man mit Nesbytt zu dem Schlüsse kom.
men, dass alle diese Gegenstände von einem Orte stammen müssen,
>) Nesbytt, 1. c. p. XXIV, ff.
— 127 —
an welchem antike, byzantinische und arabische Kunst vereinigt war.
Als dieser Ort kann aber nicht Constantinopel, sondern nur Ale-
xandrien geltend gemacht werden. Hier waren seit Alters her
griechische Arbeiter thätig; hier mögen viele der durch den Bil-
derstreit aus Constantinopel vertriebenen byzantinischen Künstler
Zuflucht gefunden haben; hier hatte das Alterthum seine schön-
sten Werke errichtet, wie die begeisterte Beschreibung der Stadt
des Achilles Tatius beweist; hier waren endlich die Araber herr-
schend und prägten den künstlerischen Erzeugnissen ihren Cha-
rakter auf. Wenn also den byzantinischen Glashütten die Kunst,
Glasgefasse mit Emailfarben zu bemalen, auch nicht abgesprochen
werden soll, so ist doch auf der anderen Seite gewiss, dass diese
wenigstens seit der Mitte des 9. Jahrhunderts hinter den alexan-
drinischen zurückstanden, denn weder hat sich ein byzantinisches
Glas mit Emailmalerei irgendwo erhalten, noch wird ein solches
in den alten Inventaren erwähnt oder beschrieben. Dagegen exi-
stirt eine Reihe von solchen, welche in den alexandrinischen und
den davon ausgegangenen Glashütten des Orients, als deren Glanz-
punkt im 14. Jahrhundert Damaskus erscheint, entstanden sein
müssen. Mehrere dieser Gläser reichen bis in das 10. Jahrhundert
zurück. So besitzt der Schatz von S. Marco in Venedig ein Glas,
welches laut der angebrachten arabischen Inschrift Eigenthum des
Kalifen Aziz Billah, Herrschers von Aegypten und Syrien (975 — 996)
war. Nach Deville*s^) geistreicher Vermuthung war dieses Glas ein
Geschenk des Sohnes dieses Fürsten, welcher Patriarch von Ale-
xandrien war, und seiner christlichen Gemalin, an seinen Vater.
Aehnliche Gefasse mit kufischen Inschriften und Kalifennamen gibt
es in mehreren Sammlungen, so eines mit dem Namen des ägyp-
tischen Kalifen Al-Moazz (952 — 975) in der ehemaligen kaiserl.
Bibliothek in Paris; so ein Becken und eine grosse Flasche im
Besitze des Barons Lionel von Rothschild. Um die letztere läuft
eine arabische Inschrift, welche den Namen des El Malek el Aschraf
enthält, den verschiedene Sultane des 13. Jahrhunderts getragen
haben 2). Labarte erwähnt ferner ein grosses gläsernes Becken
*) Histoire de Part de la verrerie dans Tantiquit^. Paris 1873, p. 75.
2) Nesbytt, 1. c. p. XXVIII.
— 128 -■
von 37 cm Durchmesser im Hotel de Cluny in Paris, welches mit
Zeichnungen in Gold und mit Medaillons und Inschriften in blauem
£mail geschmückt ist. Dieses Glas muss ebenfalls aus einer ägyp-
tischen, resp. alexandrinischen Glashütte hervorgegangen sein;
denn die Inschriften tragen die Titel eines der Malek-Adel, welche
in Aegypten von 1279 — 1294 regiert haben *). .
Noch zahlreicher sind derartige orientalische Arbeiten aus
dem 14. Jahrhundert. An diesen erscheinen Inschriften in brei-
ten Zügen, Vögel, Thiere und Ungeheuer als beliebte und manig-
fach variirte Ornamentmotive. Die Umrisse sind gewöhnlich mit
rothem Email gezogen, die Räume dazwischen häufig vergoldet.
Die Emaile bilden manchmal den Grund, manchmal die Orna-
mente. Die angewandten Farben sind blau, grün, gelb, roth,
blassroth und weiss. Unter diesen Produkten der orientalischen
Glasindustrie des 14. Jahrhunderts sind besonders die Lampen zu
erwähnen, welche in den Moscheen aufgehangen wurden. Solche
Lampen finden sich noch in der Moschee des Sultans Hassan
(1447 — 61) zu Kairo. Eine mit dem Namen dieses Herrschers
geschmückte Lampe besitzt die Sammlung Mr. Magniac's; eine
andere mit dem Namen des Emirs Sheikhoo, der eine Moschee
zu Kairo 1355 gebaut hat, befand sich früher in der Sammlung
Slade ^); wieder andere sind zur Zeit des Mohammed ben Ka-
laoun (1293 — 2341) und seiner Nachfolger gemacht worden 3).
Aus eben dieser Zeit wird auch die prachtvolle Lampe
stammen, welche Erzherzog Rainer dem Oesterreichischen Museum
* in Wien geschenkt hat. Sie ist in Roth, Weiss und Blau bemalt,
trägt aber keine kufischen Inschriften *). Mit solchen sind dage-
gen zwei hieher gehörige Gefässe im Domschatz von St. Stephan
in Wien geschmückt, von denen das eine einer Pilgerflasche gleicht,
während das andere schlanker ist und mehr die Gestalt einer
') Labarte, 1. c. p. 372.
2) Abgeb. in Catalogue of the CoUection of Slade, pl. VIII, Nr. 333.
'0 Nesbytt, 1. c. p. XXVIII.
^) Abgeb. in: Kunsthi&lorische Bilderbogen, Leipzig, Seemann, N. 146, 4.
— Vgl. Lobmeyer, Die Glasindustrie etc. S. 49.
— 129 —
Caraffe hat. Auf dem ersten ist eine Falkenjagd und eine Garten-
scene mit Musikanten dargestellt. Die Dekoration ist in prachtvoll
leuchtenden Farben, in Gold» Roth, Blau, Gelb, Grün und Weiss
gehalten. Die eine Inschrift lautet in vielen Wiederholungen: es
Suitin, der Sultan, die andere: elcälim, der Weise. Einige herr-
liche Gläser dieser Art, darunter eine Flasche mit arabischen In-
schriften besass früher die Sammlung Slade ^).
Nesbytt ^) nennt ferner einen Becher im Museum der Bres-
lauer Universität, welcher mit dem Namen der Königin Elisabeth
von Ungarn (f 1231) in Verbindung gebracht wird. Es ist ein
Trinkbecher ohne Fuss von massiger Grösse und sein einziges
Ornament sind Linien von rothem Email, welche Arabeskenmuster
bilden. Da ich weder das Glas noch eine Abbildung davon ge-
sehen habe, wage ich nicht zu entscheiden, ob es wirklich eine
orientalische Arbeit oder bloss die venetianische Nachbildung einer
solchen aus dem 14. Jahrhundert ist. Unzweifelhaft orientalisch
ist dagegen das sog. »Glas Karls des Grossen c, welches aus der
Abtei Chateaudun in das Museum in Chartres gekommen ist;
denn dieses trägt arabische Inschriften ^), Ob aber das »Glück
von Edenhall < , so heisst nämlich ein in der Familie Musgrave
von Edenhall bewahrter Becher mit feiner Emaillirung in arabi-
schen Mustern, wirklich orientalisch ist, muss ich, da ich das Glas
selbst nicht sah und die Abbildung und Beschreibung in Lyson's
Cumberland (p. CCIX) mir nicht zur Verfügung steht, unent-
schieden lassen. Dieses Glas ist in einem dem 15. Jahrhundert
angehörigen Fehälter aus gepresstem Leder eingeschlossen. Ein
anderes hieher gehöriges Glas, welches sich in einem ähnlichen
Behälter befindet, wird im Museum zu Douai aufbewahrt.
Damals galt im Abendlande Damascus für den Hauptsitz der
Fabrikation dieser Gläser. Dort hatte die Glasindustrie im Laufe
des 14. Jahrhunderts in der That einen grossen Aufschwung ge-
nommen. Als aber Timur Bey i. J. 1402 die Stadt eroberte, führte
er Seidenweber und Männer, welche Bogen, Gläser und Thon-
waaren machten, mit sich nach Samarkand. Dies scheint ^ der
') Abgebildet in: Catalogue of the Collection of Slade. pl. IX, N. 334.
2) 1. c. p. XXIX, «^) Abgeb. in: Revue arch^ologique, Tom. XIV, pl. 308.
9
— I30 —
Glasindustrie in Damascus den Todesstoss gegeben zu haben ^),
während von den in Samarkand durch die mitgenommenen Glas-
macher errichteten Hütten behauptet wird, dass sie das beste Glas
in der Welt erzeugt hätten.
Die emaillirten Glasgefässe des Orients nun waren im 14.
Jahrhundert im Abendlande sehr geschätzt; denn wir finden sie
in den Inventaren der damaligen Fürsten aufgeführt und zwar als
Werke von Damascus — >ouvrages de Damas.« So werden in
dem Inventar des Herzogs von Anjou vom Jahre 1360 erwähnt:
>zwei Flacon aus Glas in Blau mit verschiedenen Dingen von
damascenischer Arbeit, deren Henkel und Hals von der gleichen
Art sind; ein anderes Flacon von Glas in Azur gemacht in da-
mascenischer Arbeit, dessen Fassung von ähnlicher Art ist *). . .<
Bald nach 1360 hat man, ohne Zweifel in Venedig, ange-
fangen, diese louvrages de Damas« nachzumachen. Solcher Glä-
ser ä la fagon de Damas werden mehrere in den Inventaren
erwähnt. Man hat bisher fälschlich geglaubt, es seien darunter
wirkliche Damascener Gläser zu verstehen; aber dies verbieten
schon die in den betreffenden Beschreibungen gewählten Ausdrücke.
So werden in dem Inventar KarFs V. von Frankreich vom Jahre
1379 erwähnt: >Drei Topfe von rothem Glase in der Art der
damascenischen;< — »ein grosses Glas, aussen nach der Art der
damascenischen bearbeitet ;< — >ein anderes kleines Glas, äus-
serlich nach Art der damascenischen mit Bildern bemalt;« —
>ein sehr kleiner Humpen aus Glas in der Art der damasceni-
schen;« — »ein flaches Becken aus Glas, in der Art der damas-
cenischen bemalt;« — > eine Lampe von Glas, gearbeitet nach Art
der damascenischen, ohne Fassung;«^) — »eine Schale von Glas,
bemalt nach maurischer Art« *).
J) Nesbytt, 1. c. p. XXIX.
2) ,Deus flascons de voirre, ouvrez d'azur k plusleurs diverses choses
de l'ouvrage de Damas, dont les anses et le col sont de mesmes*^; ^uu
autre flascon de voirre, ouvre d'azur de l'ouvrage de Damas, dont la gami-
son est semblable fagon . . . '
3) Lab arte, 1. c. p. 369: ^Troys potz de voirre rouge k la fagon
de Damas; — ung grand voirre ouvre a la fagon de Damas par de-
— 131 —
Aus diesen Anführungen lernen wir zwei Arten von Nach-
bildungen der Damascener Gläser kennen; die einen werden be-
zeichnet als »ouvres ä la fagon de Damas,« die anderen als
>peints ä la fagon de Damas.< Diese letztere Phrase wird manch-
mal umschrieben durch: >ouvres ä la fa^on de Damas par de-
hors< oder »ouvr^s par dehors ä ymages ä la fagon de Da-
mas.« Gerade diese letzteren Ausdrücke sind es, welche mich
zur Entdeckung einiger erhaltener Gläser dieser Art geführt haben.
Dadurch nämlich, dass in dem genannten Inventar einige Gläser
als bloss >äusserlich, bloss auf der Oberfläche mit Bildern nach
damascenischer Art gemalte bezeichnet werden, ist ein Finger-
zeig gegeben, dass der Grund, auf dem diese Malereien ange-
bracht waren, dass also das Glas selbst nicht den Eindruck eines
damascenischen machte. Jene Gläser dagegen, von denen es heisst,
sie seien >in der Art der Damascener gearbeitet», gewährten durch-
aus das Ansehen damascenischer Werke. Eines von diesen wird
als >rouge< (roth) bezeichnet und echte Damascener Gläser wer-
den als blau geschildert. Blau oder roth sind in der That die
meisten erhaltenen emaillirten Gläser des Orients oder sie bestehen
zum mindesten aus Farbenglas. Wenn nun ein Glas geschildert
wird als nur Ȋusserlich nach damascenischer Art ^mit Figuren
bemalt«, so scheint dabei vorausgesetzt, dass das Glas selbst nicht
aus einer farbigen , sondern aus einer farblosen Masse bestand.
Wie, gibt es unter den erhaltenen Gläsern, welche arabischen
Ursprungs zu sein scheinen, wirklich solche, die aus farblosem
Glase bestehen und so meine Beweisführung unantastbar machen?
Gewiss, es existiren ihrer einige. So ging aus der Sammlung des
Fürsten SoltykofF in die des Barons Gustav von Rothschild eine
grosse Flasche mit langem Halse aus ungefärbtem Glas über,
deren vergoldete und emaillirte Omamentation auf den ersten An-
blick arabischen Character zeigt , ohne aber kufische Lettern zu
hors; — ung autre voirre ouvr6 par dehors k ymages h la fagon de
Damas; — ung tr^s petit hanap de voirre en fagon de Damas; — ung
bassin plat de voirre paint ä la fagon de Damas; — une lampe de voirre
ouvr^ en fagon de Damas sans aucune gamison.*
^) Nesbytt, I.e. p. XXIX: une coupe de voirre peint k la Morisquö.
9*
— 13^ —
tragen *). Auch die Ornamentation in Gold und Emailfarben,
wenn auch im Allgemeinen von arabischem Character, hat im Ver-
gleich mit den echten orientalischen Gläsern etwas Fremdartiges.
Dies ist bereits Herrn Labarte aufgefallen. Derselbe schreibt da-
her die Flasche byzantinischer Fabrikation zu und findet die Deco-
ration in vollständiger Uebereinstimmung mit den oben angeführten
Worten des Theophilus, ohne zu bemerken, dass Theophilus die
Griechen nur saphirblaue Schalen mit Emailmalerei verzieren
lässt. Von ähnlicher Art ist ein grosses Becken von 3 5 cm Durch-
messer im H6tel de Cluny zu Paris. Auch dieses hält Labarte
fiir byzantinisch, obwohl es der Katalog der genannten Sammlung
bereits als venetianische Arbeit erkannt hatte. Derartige Gläser
also gehören zu denen, welche als >paints k la fagon de Damas
par dehors« geschildert werden.
Nach Erlangung dieses Resultates will ich einen Augenblick
stehen bleiben. Schon in der Einleitung haben wir gesehen, dass
die Venetianer im 13. und 14. Jahrhundert grossartige Handels-
beziehungen mit dem Oriente angeknüpft haben und dass hiezu
die Reisen des berühmten Polo und gleich darauf die von Do-
menico Miotti geleitete Expedition nach Bassora am meisten bei-
getragen haben. Ohne Zweifel war es dieser intime Handelsver-
kehr mit dem Oriente, welcher die Venetianer auf die Idee brachte,
die emaillirten Gläser von Damascus nachzuahmen und so jene
Werke ä la fagon de Damas und ä la Morisque zu schaffen ^).
Aber schon in diesen ersten Produkten, welche am Ende des
14. Jahrhunderts entstanden sind, zeigten die Venetianer hin und
wieder ihre Vorliebe für das farblose Glas, welches später ihren
Weltruf begründete. Dass sie aber damals bereits farbloses, ja
sogar Krystallglas herzustellen vermochten, beweist das oben an-
geführte interessante Verbot der Ausfuhr der Krystallglasbrocken
vom Jahre 1345. Ja gerade zu der Zeit, in welcher unsere Gläser
*) Abgeb. bei Lab arte, 1. c, pl. LXXI; Text p. 373.
2) Die Unterscheidung der maurischen von der damascenischen Decora-
tionsweise zeigt augenscheinlich, dass unter den Gläsern j,a la fagon de Damas*'
keine maurischen etc. Werke zu verstehen sind.
— 133 —
aufkommen, lebte in Venedig ein Alberto Scivabriga cristal-
larius, und 1370 ein Karamigo di S. Zulian cristallaio.
Die Emailmalerei also bethätigten die Venetianer zunächst
in der Nachahmung der bemalten Gläser von Damascus, mit de-
ren Herstellung sie in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts be-
kannt geworden sind. Im Laufe des 15. Jahrhunderts emanci-
pirten sich die muranesischen Hütten von der Befolgung der
Emaillirweise der orientalischen Vorbilder und wurden nach
und nach selbständig. Aus dieser Zeit ungefähr 1440 stammt
eine vergoldete und emaillirte blaue Schale im Correr - Museum
zu Venedig. Ein Fussbecher aus smaragdgrünem Glase, welcher
in die letzte Zeit des 15- Jahrhunderts gesetzt wird, befand sich
früher in der Sammlung Slade *). Wie auf vielen anderen ähn-
lichen Gläsern sieht man darauf in Medaillons eingeschlossen die
Brustbilder eines jungen Mannes und einer Frau: es ist eine sog
coppa nuziale. Aus einer ähnlichen Zeit stammt auch der blaue
Becher derselben Sammlung, welcher mit dem Triumphe der Venus
geschmückt ist*). Etwas früher, gleichsam den Uebergang von
den Gläsern ä la fagön de Damas zu den selbständigen Arbeiten
bildend, sind jene Gläser, welche mit einem Schuppenmuster in
Emailfarben geziert sind. Die Schuppen sind in verschiedenen
Farben gehalten und manchmal Hühnerfedern nicht unähnlich.
Hervorstehende Theile sind dabei effectvoU vergoldet. Diese Ver-
goldung namentlich ist es , welche beweist , dass die Venetianer
mit den Produkten der ägyptischen und damascener Hütten be-
kannt waren. Als im 16. Jahrhundert die Fabrikate Murano's
statt der früheren massiven Gestalt äusserst leichte und elegante
Formen annahmen, vertrugen sie die Hitze des Emaillirofens nicht
mehr* das Emailliren beschränkte sich daher seitdem auf Tassen,
Schalen und Salzfässer. An Stelle der Porträte und ausgefiihrte-
rer Scenen traten jetzt hauptsächlich Wappenschilder, der Löwe
') Abgebildet in dem Catalogue of the Collection of Slade, pl. XII.
Vgl. p. xxxvn.
2) Abgeb. in dem Catalogue of the Collection of Slade, pl. XIU.
— 134 —
von S. Marco oder nur Blumen und Punkte '). Das Gold spielt
in diesen Produkten nicht mehr die frühere Bedeutung.
Von Venedig aus hat sich die Emaillirkunst auf Glasge fas-
sen nach Frankreich verbreitet. Es war, wie wir bereits gehört
haben, Heinrich II., welcher die venetianische Art der Glasfabri-
kation in seinem Lande einzubürgern suchte und zu diesem Be-
hufe den Italiener Theseo Mutio in Saint- Germain -en-Laye eta-
blirte. In dem Inventar nun , welches nach Heinrich's Tode im
Jahre 1560 aufgestellt wurde, werden einige Glasgefasse aufge-
führt, welche nach Labarte's Vermuthung aus der Hütte des Mutio
hervorgegangen sein mögen. Ohne Zweifel ist diese Annahme
berechtigt hinsichtlich der kleinen Vase »de cristallin blanc«,
wie aus den Anführungen des VI. Abschnittes hervorgehen wird;
aber auch das 'auf violettem Grunde weiss emaillirte Glas —
ung voere d'dmail blanc sur fond violet — mag denselben Ur-
sprung haben. Dass man damals in Frankreich in der That
emaillirte Glasgefasse herstellte, ist durch einige erhaltene Gläser
bezeugt. Das wichtigste derselben ist ein Fussbecher aus gelb-
lichem Glase, welcher sich in der Sammlung Slade befand ^).
Darauf ist ein Mann dargestellt, welcher einer Dame ein Bouquet
mit den auf einer Bandrolle zu lesenden Worten: »Je suis ä vous<,
darreicht. Sie antwortet ihm : »Mon euer av^s« und übergibt ihm
ihr mit einem Vorhängeschloss versehenes Herz. In einem drit-
ten Felde findet sich ein Bock, welcher an der Mündung eines
enghalsigen Gefässes leckt. Um den Rand läuft die Inschrift:
»Je suis ä vous. Jehan Boucau et Antoynete Bouc<. Auf diesen
Namen Bouc-au spielt die Darstellung des Bockes und der Wasser-
flasche ohne Zweifel an. Das Glas stammt, nach den Costümen
zu schliessen, aus der i. Hälfte des 16. Jahrhunderts und wird
mit Recht der bis in das 13. Jahrhundert zurückreichenden pro-
vengalischen Glasfabrikation zugeschrieben, da dort in der That
eine Familie Boucault existirte; Form und Behandlung des Glases
*) Nesbytt, 1. c. p. XLIÜ.
2) Abgebildet in dem ,Catalogue of the CoUection of Slade*, pl. XX;
p. 136, Fig. 232, No. 824. — Lab arte, 1. c. p. 395.
— 135 —
zeigen venetiani sehen Einfluss an. Aehnliche Gefslsse sind noch
mehrere bemerkt worden. Einige derselben bildet Benjamin Fil-
lon ab.*) Das eine davon war für die Familie Pineau von La
Rochelle gemacht. Auf dem anderen sieht man drei Männer in
Waffenrüstung und die Inschrift: »En la sevur de ton visaige tu
mangeras le pain.€ Ein sehr feines Trinkglas enthält die email-
lirten Worte: »A bon vin ne fault point anseigne«; ein anderes
im Museum zu Poitiers hat eine unleserliche französische Inschrift.^)
Ein weiteres hieher gehöriges Glas besitzt Herr Davilliers. Dar-
auf sieht man die Profilbüste einer Frau mit einem Wappen und
einem Sprüchbande, auf welchem geschrieben steht: »Sur toute
cohuse« (chose). Endlich befindet sich eines im Museum zu
Poitiers; darauf ist folgende Inschrift in Relief angebracht: »Vous
savez bien que je seap tout. c ^) Volcyr de Serouville spricht in
seiner 1530 in Paris gedruckten >Cronique abregde Par petis
vers huytains des Empereurs etc.< von Bildern, Porträts, Figuren
und Wappen, welche man in bunten Farben auf Glas herge-
stellt habe.*)
Im Jahre 1603 gründete Heinrich IV. Glasfabriken zu Paris
und Nevers. Aus diesen stammen nach Labarte zwei Gläser,
welche einst Jean d'Huyvetter besass. Diese beiden Stücke sind
aus Opalglas und mit Emailmalereien geschmückt. Auf dem
Bauche der Kanne ist ein Bäcker vor seinem Backtrog dargestellt
mit der Inschrift: »Vive la belle que mon coeur aisme.« Das
Becken trägt dieselbe Inschrift mit der Jahreszahl 1625. Im
Jahre 1598 ferner hatte Heinrich IV. einem Vincent Busson und
Thomas Bartholus aus Mantua erlaubt, sich in Rouen niederzu-
lassen und dort »verres de cristal, verres dores, esmaulx etc. <
zu erzeugen. Wie die Gläser selbst, so zeigen auch die directen
Bemühungen der Könige den engen Zusammenhang, in welchem
die französische Glasindustrie zur venetianischen stand.
i) L'Art de Terre chez les Poitevins, suivi d'une etude sur l'anciennete
de la fabrication de verre en Poitou. Paris 1864, p. 206.
2) Nesbytt, 1. c, p. XLVI.
3) Catalogue of the Collection of Slade, p. 136.
"*) Lobmeyr, a. a. O., S. 117.
— 136 —
In Flandern haben wir bereits mehrere »verri^res armoriees
des armes du duc (Philippe-le-Bon) et de son ordre de la toison
d'or< aus dem 15. Jahrhundert kennen gelernt. Ob diese Wap-
pen und der Orden vom goldenen Vliesse schon venetianischen
Einfluss voraussetzen, lässt sich nicht nachweisen. Dagegen haben
wir oben gesehen, dass Alles, was im 16. und 17. Jahrhundert
in den Niederlanden an Glas erzeugt wurde, mit der venetiani-
schen Glasindustrie in innigstem Zusammenhange stand. Dies
gilt selbstverständlich auch von den mit Emailmalerei verzierten
Gläsern, deren mehrere existiren, wie J. Houdoy nachgewiesen
hat.*). So besitzt ihrer das Hotel de Cluny gegen 17. Ein 90
cm hohes Glas derselben Herkunft befindet sich^in Lille; es ist,
wie ein ganz gleiches, aber kleineres im Hotel Cluny, geschmückt
mit Blümchen in blauer Masse. Ein cylindrisches Glas, das sich
oben etwas erweitert, besitzt das Museum zu Oudenarde; dasselbe
stammt aus dem Jahre .1602 und ist mit Emailmalerei geschmückt.
Auf der einen Seite sieht man einen Maiglöckchenstock, auf der
anderen einen jungen Mann in reichem Wamms, welchem eine
Dame auf den Knieen sitzt. Eine grosse Zahl der aus den
niederländischen Ateliers hervorgegangenen Gläser gilt fUr vene-
tianisch. So hat J. Houdoy im Musee de la porte de Hai
zu 'Btüssel ein Glas mit dem Wappen von Antwerpen be-
merkt, welches früher als venetianische Arbeit galt, das aber ohne
Zw-eifel aus der Antwerpener Hütte stammt. Das älteste nieder-
ländische Glas mit Emailmalerei, abgesehen von den in den
Rechnungen Philipp's des Guten erwähnten, ist das. in einem
Inventar vom Jahre 1569 aufgeführte: »Ung hault verre de cristal
d'Anvers, ayant le piet et le couvercle d'argent dore par dedans,
armoye des armes de Molenbais, mis en une custode, pesant avec
le verre III mars V Estrelins.< 2). Endlich sei erwähnt, dass
Mathesius der Hütte von Antdorf (Antwerpen) nachrühmt, dass
sie zugleich mit den venetianischen »das schöneste schmelzglas,
als ritzkle (roth)'), ultramarin von allerley färben, das die gold-
*) 1. c, p. 34 ff. 2) j, Houdoy, I. c, p. 34.
3) Dieses Ritzkle bedeutet jene Farbe, welche das Gold zeigt, wenn
— 137 —
schmid gebrauchen«, also die Emailfarben, deren sich in gleicher
Weise auch die Glasmaler bedienen konnten, herzustellen ver-
mochten.
Ich komme endlich zu Deutschland. Wann hier die Email-
malerei auf Glasgefässen den Anfang nahm, ist nicht bekannt.
Wir wissen auch nicht, ob diese Technik aus Venedig eingeführt
wurde oder ob sie hier bereits im Mittelalter in Uebung war,
indem ja die Deutschen als Erfinder der Glasmalerei überhaupt
gelten^), und im 12. Jahrhundert Theophilus von dem Bemalen
des Glases als einer gewöhnlichen Technik spricht. ^) Auffallend
ist es jedenfalls, dass der sonst so gut unterrichtete Mathesius,
WO immer er von den venetianischen Glashütten spricht, nicht mit
einer Silbe der Emailmalerei gedenkt. Es geht daraus hervor,
dass in Murano um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Email-
malerei ihre Rolle bereits ausgespielt hatte; denn Mathesius wusste
davon so wenig, dass er die Erßndung derselben auf Glas-
gef£lssen den Deutschen zuschreibt. Er sagt nämlich da, wo er
von den deutschen Glashütten handelt, u. A. Folgendes: >Nach-
malss hat fürwitz immer ein newes über das ander erdacht,
etliche haben an die weyssen gleser färben, allerley
bildwerck, und Sprüche im küloffen brennen lassen, wie
man auch grosser Herrn contrafactur und wappen auff
scheyben gemalet, die man in die Fenster versetzet.«
Leider verschweigt unser Pfarrer, wo in den deutschen Landen
der > Fürwitz« zum ersten Mal auf diese Idee kam. Doch wie
dem auch jsei, so viel ist durch die angeführte Stelle ausgemacht,
dass das Bemalen der Glasgef^lsse mit Emailfarben um die Mitte
des 16. Jahrhunderts in Deutschland längst bekannt war. Das
älteste emaillirte Glas in der Mustersammlung des Bayrischen
Gewerbemuseums trägt die Jahreszahl 1556 und das älteste datirte
darauf das Licht durch Obsidianglas fKUt. In dem Wörterverzeichnisse zu Georg
Agricola, ,De natura fossiliuin, Ed. Proben, Basel 1546*, wird es also erklärt:
Vitrum quo tingitur aurum rubro colore.
') Vgl. Dr. Sepp, Ursprung der Glasmalerkunst im Kloster Tegernsee.
München und Leipzig, Hirth 1880.
2) Üb. II, c. XIX ff.
— 138 -
Überhaupt stammt aus dem Jahre 1547* Noch früher scheint das
echte sog. Lutherglas in der Stadtbibliothek in Nürnberg zu sein.
Dieses soll nämlich Luther 1 546 seinem Fretmde Jonas geschenkt
haben, als er bei ihm, auf der letzten Reise nach Eisleben be-
griffen, in Halle einkehrte. Darauf sieht man die Brustbilder von
Luther und Jonas und dabei die Anfangsbuchstaben der Namen,
bei jenem D. M. L., bei diesem D. I. I. Um den Rand läuft
folgende laleinische Inschrift:
yDat vitrum vitro Jonae vitram ipse Luthenis,
Ut vitro firagili simUem se noscat uterque*,
welche unterher deutsch übersetzt ist, wie folgt:
^Dem alten Dr. Jonas bringt Dr. Luther ein schön Glas;
Das lehret sie alle beide fein, dass sie gebrechliche Glaser sein.*')
.2. Fichtelberger Gläser.
Unter den bemalten Gläsern gibt es eine Anzahl, welche
unter dem Namen >Fichtelberger Gläserc bekannt sind. Die-
selben«, sagt Friedrich Leist*), >sind von einem weissen, nicht
sonderlich feinen Glase; die Form ist eine ganz gewöhnliche,
nach oben etwas ausbiegend, ohne den geringsten künstlerischen
Zug; die Grösse bewegt sich von der eines Branntweingläschens
bis zu der eines Masspokales, diese letzteren sind reine Cylinder. <
Es ist wohl möglich, dass Mathesius mit den > Etlichen, welche
an die weissen Gläser Farben u. s. w. einbrennen lassen c, die
Glashütten des Fichtelgebirges im Auge hatte; denn es ist kaum
ein Zufall, dass die eigentlichen > Fichtelberger Gläser« in der
That aus weissem, d. h. farblosem Glase bestehen und so die
Worte des Mathesius bis ins Einzelne rechtfertigen. Stimmt doch
selbst der Umstand, dass »man grosser Herren Contrafactur und
Wappen auf Scheiben gemalet, die man in die Fenster versetzet« ;
denn in Bischofsgrün sind viele derartige Fensterscheiben gemalt
1) Abgebildet in der lUustrirten Zeitung, Leipzig 1883, Nr. 2103 (20.
Okt.), S. XXV.
2) Friedr. Lei st. Die Fichtelberger Gläser [Kunst und Gewerbe, 1873,
Nr. 40, S. 315].
— 139 —
worden; leider sind die am Anfange unseres Jahrhunderts in
Wunsiedel und Bischofsgrün noch vorhandenen seitdem verschwun-
den, nur in der Bernecker Pfarrkirche befindet sich noch eine
solche Scheibe, welche aber schon aus sehr später Zeit, aus dem
Jahre 1696 stammt. ^ )
Demnach darf man, wie schon oben gesagt wurde, mit eini-
ger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass unter den Glashütten jene
des Fichtelgebirges, namentlich jene in Bischofsgrün, in Deutsch-
land die ersten waren, welche die Gläser mit Emailfarben fabriks-
mässig bemalten.^) Dafür spricht auch der Umstand, dass man
späterhin die bekannten humpenartigen Glasgefässe mit Email-
malerei allgemein als >Fichtelberger Gläser« bezeichnete, wenn
sie auch anderswo gemacht waren; denn daraus dürfte hervor-
gehen, dass die ersten derartigen Gläser aus dem Fichtelgebirge
als Aufsehen erregende Neuheit gekommen sind. Und als man
bald darauf in allen Hütten Deutschlands die Gläser in ähnlicher
Weise zu bemalen begann, suchten die Fichtelberger Glasmacher
ihren Produkten den Stempel der Echtheit und Priorität dadurch
zu wahren, dass sie auf dieselben den zweithöchsten Berg ihres
Gebirges, nämlich den Ochsenkopf, darstellten.
Der merkwürdig frühe Aufschwung der Glashütten des bayri-
schen Fichtelgebirges wird auf venetianischen Einfluss zurückge-
führt. Es soll nämlich das Sagenreiche Gebirge schon im 14.
und 15. Jahrhundert von goldsuchenden Venetianem, welche vom
Volke »Wahlen«, d. h. Wälsche genannt wurden, durchforscht
worden sein und diesen mögen die dortigen Glashütten in der
That ihre Entstehung verdanken. Die urkundlichen Nachrichten
reichen indess nicht so weit zurück, sondern beginnen erst mit
dem Anfange des 17. Jahrhunderts. Nach Friedrich Leist kann
aus einem Eintrage in den Bischofsgrüner Kirchenbüchern ge-
folgert werden, dass im Jahre 1601 in Bischofsgrün ein Glasmaler
Lorenz Glaser lebte-, im Jahre 16 li sodann wird ebendort ein
') Friedr, List, a. a. O.
^) Einzelne Gläser sind längst von wirklichen Künstlern bemalt und die
Farben darauf eingebrannt worden.
— 140 —
Glasmaler Elias Wanderer erwähnt und am 3. Sept. 161 3 Hess
ein Christoph Hock, Maler und Knopfmacher (Paterimacher) ein
Kind taufen. Hieraus lässt sich jedoch keineswegs schliessen, dass
erst mit Beginn des 17. Jahrhunderts im Fichtelgebirge Glas-
hütten entstanden; denn auch die Siegburger Steinzeugfabrikation,
um ein Beispiel aus einem anderen Gebiete anzuführen, kann
urkundlich nur bis zum Jahre 1429 zurückgeführt werden, und
doch hat dieselbe ein bedeutend höheres Alter.
Was nun die »Fichtelberger Gläser« anbelangt, so spielen
auf denen des 17. Jahrhunderts figürliche Darstellungen die Haupt-
rolle. Gewöhnlich sieht man, sagt Friedrich Leist, einen >jungen
Mann in der bekannten Tracht des dreissigjährigen Krieges auf
der einen Seite und Blumenschmuck auf der anderen. Hier ist
die Zeichnung noch möglichst correct, die Auffassung und Dar-
stellung der Figur eine frische und flotte; die Blumen sind streng
stilisirt, das grelle Colorit zeigt keinen Schatten. Auch allego-
rische Figuren oder Abbildungen ganzer Familien kommen vor,
hin und wieder sogar Begebenheiten des alltäglichen Lebens,
wirkliche Genrebilder, c ') Allein derartige Gläser wurden bald
überall in Deutschland gemacht, so dass man sie nicht sammt
und sonders den Glashütten des Fichtelgebirges zuschreiben kann.
Es ist femer auch die Behauptung Ilg's, dass die Fichtelberger
Gläser imit viel blasseren, dick aufgesetzten Farben bemalt sind
als die anderen gleichzeitigen deutschen Werke« 2), nicht so all-
gemein richtig; denn es gibt echte Fichtelberger Gläser, welche
das Gegentheil beweisen. Im Allgemeinen darf man daher einst-
weilen nur jene , welche unzweifelhaft aus dem Fichtelgebirge
stammen, als Fichtelberger Gläser bezeichnen. Es sind dies
Gläser der 2. Hälfte des 17. und des 18. Jahrhunderts, welche das
Symbol des Fichtelgebirges an sich tragen, nämlich einen dicht-
bewaldeten Berg, an dessen beiden Seiten sich die Köpfe der
Thiere des Gebirges befinden, während dem Fusse die vier Flüsse:
Main, Eger, Naab und Saale entströmen. Auf der Spitze befindet
sich ein Ochsenkopf, um den zweithöchsten Berg des Gebirges,
') a. a. O. ^) Lobmeyr, a. a. O., S. 107.
— 141 —
den Ochsenkopf, zu bezeichnen (Fig. 26). Manchmal ist um den
Berg eine goldene Kette mit goldenem Schlosse gezogen, welche
das Geheimniss volle des Gebirges andeuten soll. Die Inschriften,
deren Friedrich Leist und Albert Ilg mehrere publicirt haben,
besingen grösstentheils die Schönheit und die fabelhaften Schätze
des Gebirges. Auf dem abbildlich mitgetheilten liest man:
.Des füchtelberges Ruhm ist weit und breit bcLnod,
er naUt zwar frembden mehr als eignen Vatterland;
doch bleibt dem Lande was von ihme noch verliehen:
an Eisen, Grtz und holCz thut man viel von ihm ziehen.'
Auf der Rückseite befindet sich das Allianzwappen von Branden-
burg und Württemberg; zu beiden Seiten desselben stehen die
Worte: >Vivat Brandenburg und Würthenberger Hauss, Gott Lass
sie leben Anno 1 748.1 Endlich lauf) ganz unten tim den
Humpen folgende Inschrift:
— 142 —
3- Willkommen und Becher.
Weitaus am zahlreichsten sind unter den bemalten Gläsern
die »Willkommen«. Mit diesem Namen scheint man ursprüng-
lich jedes Gefass bezeichnet zu haben, in -welchem man einem
Gaste den ersten, also den Willkoiiimtrunk reichte; denn Hans
von Schweinichen, ein tüchtiger Trinkheld, nennt in der Erzählung
von dem Gastmahl, welches Max Fugger in Augsburg im Jahre
1575 dem Herzog Heinrich XI. von Liegnitz gab, sogar ein
Schiff aus venetianischem Glase einen Willkommen ^ ), und in dem
Dictionarium latinogermanicum [Tiguri 1556, Bl. 597 a] und in
der Umarbeitung dieses Werkes vom Jahre 1561^) kommt der
Willkomm als ein unten spitzes Trinkgeschirr vor, das unaus-
getrunken nicht hingestellt werden kann. Femer war der Will-
komm nicht an das Glas gebunden, sondern er hestand auch aus
anderen Stoffen, wie z. B. aus Sflber. 3) Die Willkommen aus
Glas kamen nicht viel vor der Mitte des 16. Jahrhunderts auf,
wie uns Mathesius ausdrücklich versichert, wenn er nach Her-
zählung der früheren Trinkgefässe also fortfahrt: »nun macht man
die unfletigen grossen willkommen, narrengleser, die
man kaumet aufheben kann.« Daraus geht zugleich hervor,
dass die Grösse eine characteristische Eigenschaft der Willkommen
war, sowie dass dieselben damals bereits stehen konnten. Seit
dieser Zeit ist für sie überhaupt die cylindrische oder wenigstens
konische Form typisch geworden; ebenso wurde seitdem der
grösste Theil derselben durch mehr oder minder gelungene Male-
reien verziert.
Manche dieser Willkommen mögen aus den Glashütten in
Bischofsgrün am Fusse des Ochsenkopfes hervorgegangen sein.
1) Leben des schlesischen Kitters Hans von Schweinichen. Herausgege-
ben von Prof. Büsching, Leipzig 1833, I, S. 157.
2) Die Teutsch Sprach, dem ABC nach ordentlich gestellt und mit
gutem Latein fleissig und eigentlich vertolmetscht , dergleichen bisshärr nie ge-
sähen, durch Josua Maaler Burger zu Zürich. Tiguri i56i,Bl. 500a — ange-
führt von W. Seibt, a. a. O.
^) W. Seibt, a. a. O., S. 50.
m
Tafel I. Reichshumpen.
— 145 —
Man pflegt auch im Allgemeinen von >Fichtelgebirg'schen Will-
kommgläsern« zu sprechen. Da aber derartige Gläser auch tiber-
all sonst gemacht wurden, lässt sich eine Ausscheidung nach
dieser Richtung nicht gut bewerkstelligen. Ich lasse daher die
Willkommen und Trinkhumpen dieser Art nach den Darstellungen
geordnet folgen und ftige hier zugleich alle mehr oder minder
cylindrischen oder konischen Becher mit ähnlichen Darstellungen an.
a. Adlergläser oder Reichshumpen.
Adlergläser oder Reichs humpen nennt man jene Will-
kommen, welche mit einem Doppeladler bemalt sind, von dessen
Flügeln die Wappen der verschiedenen Stände, Länder, Städte ^
und Burgen des Reiches ausgehen (Tafel i); an seltenen Pracht-
stücken trägt der Adler auch noch ein Krucifix auf der Brust.
Auf die Bemalung dieser Humpen wurde, wenigstens im i6. und
17. Jahrhundert, grosse Sorgfalt verwendet; manche derselben sind
in der That von hohem künstlerischen Werthe. Wie an allen
bemalten Gläsern, besteht auch an ihnen die Malerei in aufge-
setzten und dann eingebrannten, aber nicht durchsichtigen Email-
farben. Das älteste der bis jetzt bekannten Adlergläser befindet
sich in Laxenburg im sog. Speisesaale der Franzensburg; dasselbe
trägt nämlich die Jahreszahl 1547^); die grosse Mehrzahl ist in-
dess nicht älter als das 1 7. Jahrhundert. Im Allgemeinen müssen
daher die Reichshumpen, welche Jahreszahlen wie 1572, 1578,
1586, 1590 tragen, also diejenigen, welche noch aus der 2.
Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen, als frühe Beispiele ange-
sehen werden. Dass der Gebrauch dieser Humpen nicht aus-
schliesslich auf die hohen und höchsten Personen des Reiches
beschränkt war, wird durch ein Adlerglas des österreichischen
Museums von 1679 bewiesen; denn dasselbe diente laut Inschrift
als Zunftbecher 2).
Um den Rand dieser Humpen läuft in der Regel eine In-
schrift, wie z. B. »Das heilige römische Reich mit sammt seinen
') Lobmeyr, a. a. O., S. 106. ^) Lobmeyer, a. a. O. S. 166.
10
146 —
Gliedern« oder iGottbehüt und erhalt das heilige römische Reich
mit sammt seinen Gliedern und allen zugleich< u. s. w., und manche
sind mit einem Deckel versehen, wie z. B- der Prachthumpen vom
Jahre 1 671, welchen unsere Tafel I abbildet. Die von den Schwingen
des Adlers ausgehenden Wappen sind bei allen Reichshumpen
gleich^und, wie folgt, benannt:
1. 4 Vicari: Braband, N. Sachsen, Westerreich, Schlessi.
2. 4 Lantgraven: During, Edelsass, Hessen, Leuchtenberg.
3. 4 Graven: Cleve, Saphoy, Schwartzburg, Cilli.
4. 4 Ritter: Anndelaw, Weissenbach, Fraanberg, Strundeck.
5. 4 Dorfer: Bamberg, Ulm, Hagenaw, Sletstat.
6. 4 Birg: Magdaburg, Lutzelburg, Rotenburg, Aldenburg.
7. 4 Baurn: Cöln, Regensburg, Cosenitz, Saltzburg.
8. 4 Stett: Augspurg, Metz, Ach, Lübeck.
9. 4 Semver Frein: Luntburg, Wasserburg, Thussis, Alwalden.
10. 4 Burggraven: Maidburg, Nürnberg, Remeck, Stramberg.
11. 4 Marggrafen: Merchern, Brandenburg, Meichssen, Baden.
12. 4 Sevl: Braunschweig, Baiern, Schwaben, Lutring.
Auf der Rückseite dieser Humpen sind in der Regel Blu-
men meistens Maiglöckchen oder Kornblumen angebracht; doch
finden sich auch welche, auf deren Rückseite ein Kreuz mit
Schlange daran zu sehen ist. Manchmal endlich ist die Form
dieser Adlergläser nicht die eines cylindrischen Humpens, sondern
jene eines mächtigen Pokals. Ein hübsches Beispiel dieser letz-
teren Art besitzt die Mustersammlung des Bayrischen Gewerbe-
museums. An demselben ist der Fuss bis zum Knaufe herauf weg-
gebrochen und durch einen Holzfuss ersetzt. Eine hieher gehörige
Trinkkanne , welche Nesbytt abbildet, ist schon oben erwähnt
worden.
b. Kurfürstengläser, Kurfürsten-, Apostel- und andere
Service.
Kurfürstengläser nennt man jene Willkommen, auf deren
Mantelfläche die kaiserliche Majestät, umgeben von den sieben
Kurfürsten, dargestellt ist. Dieselben sind entweder sitzend oder
zu Pferde. Im letzteren Falle sind sie in der Regel auf zwei Zonen
Tafel II. Kurfürstenhumpen.
— T49
vertheilt, wobei dann der Kaiser und die drei geistlichen Kur-
fürsten in der oberen und die vier weltlichen Kurfürsten in der
unteren ihren Platz haben (Tafel II). Manchmal geben gereiinte
Inschriften über jeden der Dargestellten nähere Auskunft; so sind
auf zwei hieher gehörigen Humpen des Bayrischen Gewerbe-
museums folgende drei Strophen angebracht:
;^Also in all Ihren Ornat
Sitzt keisserliche maystat
Sampt den sieben churfürsten gut,
Wie denn ein jeder sitzen thut
Ihn churfürstlicher kleidung fein
mit ahnzeigung des amptes sein*.
,Der König in Behm der ist
des reichs' ertzschenk zu aller frist;
hernach der pfaltzgraf bei den rein
Des reichs truchsess thut sein,
der Hertzog zu Sachsen geboren
ist des reichs marschalch auserkoren
der margraf von brandenburg gut
des reichs ertzkammerer sein thut*.
J^er ertzbischof zu mentz bekant
ist cantzler in dem deitschen lant,
So ist bischof von köln gleich
auch cantzler in ganz Frankreich,
Darnach der ertzbischof zu trier
ist cantzler im welschen Refier*.
Hin und wieder scheinen »Kurfürstenservice«, wenn der
Ausdruck erlaubt ist, hergestellt worden zu sein. Man ' erinnert
sich hiebei einer Stelle des Mathesius, in welcher gesagt wird, dass
man in Venedig >eine gantze gleseme Credentz oder Tresier, des
sich grosse Herrn viel gestehen (kosten) lassen«, gemacht habe.
Diese Sitte, ganze Trinkservice herzustellen, hat sich bald auch
nach Deutschland verpflanzt. Es gibt u. A. eine Reihe von Bechern,
die nur mit einem einzigen Kurfürstenbilde, oder bloss mit der
Kaisergestalt versehen sind. Ohne Zweifel gehörten 8 solcher Becher,
von denen 7 mit je einem Kurfürsten und der 8. mit dem Kai-
serbilde geschmückt waren, zu einem Ganzen zusammen. Das
Bayrische Gewerbemuseum besitzt mehrere derartige Becher, so
— ISO —
einen mit dem Reiterbilde des PfaJzgrafen bei Rhein vom Jahre
IÖ34, einen anderen mit dem Kurfürsten von Cöln zu Pferde
U.S.W. In eben dieser Sammlung befindet sich ein farbloser Trink-
becher von 1645, welcher beweist, dass man damals nicht blos
Apostelkrüge, sondern auch »Apostelservice» gemacht hat. Auf
dem betreffenden Becher stehtnämlich folgende Inschrift: no. ich
glaub ann deoD heilligeo geist, eine heilige christliche Kirche.
l645<; daneben ist laut Beischrift S.Simon dargestellt. Der Becher
gehörte demnach unzweifelhaft zu einem grösseren Service; auf
den einzelnen Gläsern dieses Services war je ein Apostel und ein
ETfr***^.
Fig. 27.
Satz des christlichen Glaubensbekenntnisses angebracht. Die alt-
deutschen Zecher sassen demnach bald mit den Aposlelü, bald mit
Kaiser und Kurfürsten zu Tische. Unsere Fig. 27 gibt einen rei-
zenden kleinen Becher in natürlicher Grösse wieder, einen soge-
nannten ungarischen Krönungsbecher, auf dessen Rückseite: »Vivat
Josephus* zu lesen ist; derselbe gehörte ohne Frage zu einem
grösseren Service. Das Gleiche gilt von dem hübschen Becher,
welcher in Fig. 28 zu sehen ist. Er ist mit zwei ^grünen Laub-
kränzen geschmückt und trägt um das Wappen, welches die Vor-
derseite einnimmt, die Buchstaben: J. W. V. A,
151
c. Innungshumpen uod Zunflbecher.
Besonders zahlreich sind jene Humpen und Becher, auf wel-
chen irgend ein Gewerbe verherrlicht wird. Seit der Mitte des
ly. Jahrhunderts haben nämlich die Glasmaler durch Anbringung
der Zunftwappen und ähnlicher Darstellungen ihren Produkten
einen grösseren und leichteren Absatz in den Kreisen der Gewerbe-
treibenden zu Verschaffen gesucht. Allerlei ainnige Sprüche sollten
zur Förderung dieses Zweckes beitragen. So wurde das Handwerk
der Schneider, Töpfer, Schmiede, Bäcker, Gärtner, Metzger, Schu-
ster, Kürschner und viele andere auf den Gläsern gefeiert. Dass
Fig. a8.
in jener Blüthezeit des deutschen Durstes auch der Brauerei nicht
vergessen wurde, ist selbstverständlich. Auf einem hieher gehörigen
Becher des Bayrischen Gewerbemuseums sieht man vorne das
Wappen der Bierbrauer und rückwärts liest man folgende stolze
Inschrift in schlechten Versen:
^Im Lpbeii bamburg (Gambrinus] ward ich genaDd,
ein könig in persin und brabanC,
bab aas der gersten molss gemacht
und das bihr breuen erst erdachl,
also die brauet können sE^en,
das sie ein könig zum meisCer haben,
nim kom ein ander Handwerk her
und zeige der gleicher oihöber mehr. Anno 1719*.
— 152 —
Fast jede grössere Sammlung besitzt eine Anzahl derartiger
Humpen; von denen des Bayrischen Gewerbemuseums stammen
5 aus der 2. Hälfte des 17., 7 aus der i. ^Hälfte des 18. Jahr-
hunderts und einer aus dem Jahre 1789. Die Farben sind auf
diesen späten Humpen im Allgemeinen viel blasser als auf den
früheren. Das Glas selbst hat selten mehr jenen warmen, bald
gelblichen bald grünlichen Ton wie früher; die farblos durch-
sichtige Masse nimmt immermehr überhand. Es verhält sich eben
mit den Gläsern ebenso, wie mit allen der Mode unterworfenen
Dingen. So lange die höheren Kreise Gefallen fanden an den
mit Emailfarben bemalten Humpen, beschäftigten sich mit deren
Herstellung oft tüchtige Künstler. Als sich aber die Mode den
geschliffenen und gravirten Krystallgläsern zuwandte, fanden die
bemalten Humpen nur mehr in den Kreisen der Handwerker
Absatz. Diese waren selbstverständlich nicht in der Lage, hohe
Preise zu zahlen, und so verfiel die Emailmalerei nach und nach
und hörte gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts hin fast ganz
auf, wenigstens schuf sie seit dieser Zeit nichts Erhebliches mehr.
In Bezug auf Böhmen schreibt ein Autor um das Jahr 1830: *)
>Die Glasmalerei war damals (Ende des 18. Jahrhunderts) einfach;
man verdünnte die Farben mit Wasser und trug sie so auf das
Glas. Das Glas musste dann noch einmal auf der Glashütte
behandelt werden, damit die Farben fest eingebrannt blieben,
wobei viel Sprung entstand. Man nannte diese Maler Wasserglas-
maler. Später kam es von dieser Malerei ganz ab und es ent-
stand die feine Glasmalerei und Glasvergoldung, wo ein jeder
Glasmaler und Glasvergolder in seiner Wohnung einen dazu ein-
gerichteten Ofen hat, worin er die Farben und Vergoldung dem
Glase einbrennt, die daher Brennöfen heissen.< Ein anderer
Autor sagt um dieselbe Zeit 2), dass >man bei der früher üblichen
sogenannten Kleckmalerei die Farben massiv aufs Glas auftrug,
so dass man die Glasgemälde und ihren Umfang eben so gut
mit dem Gefühle als mit den Augen bemerken konnte.«
I) Schebek, Böhmens Glasindustrie und Glashandel. Quellen zu ihrer
Geschichte. Prag 1878, S. 64. -) Schebek, a. a. O. S. 19.
— 153 —
Wenn somit die Malereien an diesen späten Gläsern weder
in technischer noch in künstlerischer Beziehung von besonderem
Interesse sind, so enthalten die Darstellungen und die Inschriften
doch so viel Witz und Humor, dass man gerne etwas bei ihnen
verweilt. Da besitzt die Mustersammlung des Bayrischen Ge-
werbemuseums einen Schneiderhumpen aus dem Jahre 1738.
Wegen der besonderen Grösse des Gefösses fand es der Maler
für nothwendig, darauf das Lob der Massigkeit in folgenden
Versen zu singen:
;,Es bleibt die Massigkeit dass Kleinoth edler Sinnen,
sie fähret alles aus mit rühm und mit bedacht,
sie kann in allen thun den besten Preis gewinnen,
Drum wird sie ider Zeit geliebet und geacht.*
Aber diese Begeisterung für die Massigkeit scheint bei den
ehrsamen Besitzern des Humpens nicht in Fleisch und Blut ge-
sessen zu haben; denn sie Hessen gleich daneben noch folgende
Verslein anbringen:
»Auss grossen gläsern Schmäckts den Schneydem allen gutt,
drum Trinken sie hier nicht aus dem Fingerhut,
imd dieses wollen wir noch nicht so bald verschweeren,
Weil es noch alle Zeit kan lust und Freud ge(wejhren.
Es geh unss allen wohl/
Auf einem gewaltigen Humpen der Hammerschmiede von
1673 steht nicht mit Unrecht:
;^Wer mich auss Trinkt zu ihter zeidt,
dem gesegnes die heilige Dreyfaltigkeidt/
Ein verliebtes Bäckerpaar Hess seinem Trinkhumpen ( 1 706)
folgende Worte einbrennen:
yLieb haben in ehren^
kan uns beyden niemand wehren*,
und ein Töpfer rief seiner Geliebten zu (1733):
yMein Schatz lieb du mich,
gleich wie ich dich.*
Weniger schwärmerisch war der Hutmacher, welcher auf
seinem Trinkglas folgende Devise anbringen Hess:
,lieb habenn unndt nicht geniesen, ♦
Möchte woll einnen andern verdriesen *
— 154 —
Von Stolz und Selbstgefühl des Besitzers zeigen folgende
Verse auf einem Schreinerhumpen (1696);
«Kunst, witz and fleiss,
wer dass find und weiss,
dem bringt's Nutz und Preyss/
Auf einem Bäckerglase vom Jahre 1696 steht zu lesen:
;»Ein Handwerck Gottes ortnung ist.
treib es nur fleissig, lieber Christ
und bet darbei andächtiglich,
Gott will dich segnen müdiglich/
Erfüllt von seinem Berufe war ein Töpfer in Greiffenberg,
welcher 1657 ^^^ seinem Trinkglase diese Verse anbringen liess:
,Ich bin ein Topffer, dass ist war,
anss thon mach ich so mancherley Wahr,
krüge, tiegel, topile und Schieseln fein,
dass braucht man als in gemein.*
Die Metzger dagegen haben sich auf einem Humpen von
1697 durch folgende Inschrift als gewissenhafte Trinker verewigt:
,Wir Schlachten (Schlichter) schlagen Todt, vergissen manches Blut,
vergissen Wenig Bier, Weil das Unss Schmäcket gutt.
So geh Unss allen wohl.
Trincket mitt freuden.*
Manchmal machten sich die Glasmaler auch lustig über ir-
gend ein Gewerbe. Sehr interessant ist in dieser Beziehung ein
Spotthumpen auf die Schneider in der Mustersammlung des Bay-
rischen Gewerbemuseums vom Jahre 17 14. Darauf sind zwei Dar-
stellungen angebracht: auf der Vorderseite sieht man den Schneider
vor einem Tische stehen, links und rechts davon, auf Sesseln
sitzend, einen Geisbock und einen Hasen. Ueber dem Schneider
stehen die Worte: >Ist es vergont?«; über dem Hasen, welcher
zunächst antwortet: »vor mir alle Zeit«, und über dem Geisbock:
»vor mir auch, Herr Vettere. Auf der Rückseite gerathen eben
der Bock und der mit einem Schwerte bewaffnete Hase an ein-
ander* vor ihnen steht der Schneider mit der Scheere und ruft
ihnen zu; > Kamerathen, haltet Friede f.
— 155 —
d. Gläser mit Darstellungen aus dem täglichen Leben
und solche mit allegorischen Bildern.
Eine grosse Anzahl von Willkommen und Bechern, nament-
lich des 17. Jahrhunderts, ist mit Scenen geschmückt, welche dem
täglichen Leben entnommen sind. Auch bei diesen entfaltet sich
nicht selten ein naturfrischer Humor und Witz; sie sind daher in
kulturhistorischer Beziehung von Interesse. So liest man auf einem
Becher von 1674, auf welchem eine Bärenjagd dargestellt ist,
folgende Inschriften:
,Mitt freuden dran,
Mitt geluck davon*
und:
;»Aaff Reiner Heidt ondt zardter Erdt,
Hatt mir Gott of!l mein Beth bescherdt.*
Auf einem anderen Becher von 1689 befindet sich ein Lie-
bespaar unter einem Baume vor einem Haus: die Schöne scheint
etwas spröde gewesen zu sein, daher die Inschrift:
^lAb haben ohne Dank
Macht mir Zeit und Weille lang.*
Das Seitenstück dazu bildet ein konischer Becher, auf wel-
chem eine sittsame Dame dargestellt ist, wie die Inschrift:
^Zucht, Ehr und Tugent
Ziert wohl die Jugend*
hinlänglich bezeugt.
£in ander Mal sieht man ein Wirthshaus und dabei die
Inschrift:
,In diesen hauss
trinken wir unss einen Rausch*,
wobei der betreffende sich mit der ganzen Welt identificirte.
Wieder ein ander Mal macht ein Narr schlechte Witze über ein
Haus, in welchem Alles liebte:
,1. Die Hennen und der Hahn,
2. Das weib und der mann,
3. Die Docher und der mich (Michel),
4. sprach der nar, das spil lob ich*.
- 156 -
Entsprechende Scenen erläutern diese Inschrißen. Auf diese
Weise haben alle Seiten des alltäglichen Lebens durch die Glas-
maler ihre mehr oder minder gelungene Verherrlichung gefunden.
Verschiedene altdeutsche Willkommen sind ferner mit alle-
gorischen Darstellungen geschmückt, deren Sinn oß schwer zu
enträthseln ist. So besitzt die Mustersammlung des Bayrischen
Gewerbemtiseums einen Humpen von i6oS, auf dessen Vorder-
seite man innerhalb eines Lorbeerkranzes auf bläulichen Wellen
eine auf einem geflügelten Todtenkopfe stehende weibliche Gestalt
sieht, welche, in der Rechten eine Waage, in der Linken einen
Lorbeersweig haltend, dem Lande zutreibt, wo sich eine grosse
blaue Beere befindet. Aehnliche Darstellungen finden sich noch Öfter.
IV.
Einige Spezialitäten.
I. Schapergläser,
IT der Emaillirung der vorhin namhaft gemachten
Gläser beschäftigten sich namentlich in der ersten
Zeit zum Theil bedeutende Maler. In der That darf
der Schmuck von manchen der bemalten Humpen
einen gewissen künstlerischen Werth beanspruchen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass bereits der vielseitige Augustin Hirsch-
vogel (1488 — c. 1553) sich mit dem Emailliren gläserner Ge-
fasse beschäftigt hat. Johann Neudörfer ^) und nach ihm Johann
Gabriel Doppelmayr ^) nennen ihn einen Glasmaler und sagen
von ihm, dass er, wie sein Bruder Veit und sein Vater glei-
chen Namens, im Emailliren eine grosse Fertigkeit besessen, ja
im Glasmalen beide übertrofifen habe, da ihm im Brennen be-
sondere Vortheile bekannt gewesen seien ^). Dass sich diese
seine Kunst nicht auf Glasscheiben beschränkt hat, geht aus sei-
nen Bestrebungen hervor, die venetianische Art des Glasmachens
') Nachrichten von Künstlern und Werkleuten. Herausgegeben von Dr.
G. W. K. Lochner. Quellenschriften zur Kunstgeschichte, Bd. 10, Wien, 1875.
S. 175.
^) Historische Nachricht von den Nümbergischen Mathematicis und
Künstlern. Nürnberg 1730. S. 199.
3) Vgl. R. von Retberg, Nürnbergs Kunstleben in seinen Denkmalen
dargestellt. Stuttgart, Ebner & Seubert 1854, S. 137.
- 158 -
in Nürnberg einzuführen '). In einem hierauf bezüglichen Ver-
trage zwischen dem Hafner Hanns Nickel und Augustin Hirschvogel
vom 15. Mai 1532 wird ausdrücklich erwähnt, dass Hirschvogel
zum Zwecke des geplanten Glasmachens »das gemele, färb und
das holz auf sein costen dargeben < solle. Hirschvogel musste
demnach zur Erzeugung des Farbenglases die Färbemittel (>farb<)
liefern und zugleich für die fertigen Produkte > das gemele«, d.h.
wohl, er musste diese emailliren.
Gewiss haben auch andere Glasmaler ihre Kunst nicht bloss
auf Glastafeln beschränkt, sondern auch auf das Hohlglas über-
tragen. Ich darf daher an dieser Stelle wohl auch Georg Gut-
tenberger (f 1670) nennen, von welchem Doppelmayr rühmt 2),
dass er sich durch seine Kunst bei vielen beliebt gemacht und
namentlich im Unterrichten von Schülern, wie z. B. des Johann
Ludwig Faber, sich bewährt habe. Ebenso darf hier des Glas-
malers Georg Strauch (f 1675) gedacht werden^), da derselbe
sich besonders im Emailliren ausgezeichnet hat. Bekannt ist fer-
ner, dass Kaiser Ferdinand I. durch den Nürnberger Maler Al-
brecht Glockendon im Jahre 1553 vier Wappen auf zwei Trink-
gläser malen und einbrennen Hess. Diese zwei Gläser wurden
sodann durch den Wiener Goldschmied M. Kessler in Silber ge-
fasst und von dem Kaiser den Augsburger Kaufleuten Wolf Paller
und Conraden Herbsten verehrt. Glockendon bekam für setn^e
Arbeit 238 fl. *)
Der bedeutendste von allen Malern aber, welche ihre Kunst
den Trinkgläsern zu gute kommen Hessen, war Johann Schaper.
Von ihm sagt Doppelmayr ^), dass er >äuf die Trink - Gläser .. .
gar delicat mahlte, und hernach mit gutem Vortheil solche schön
brannte, dahero auch dergleichen Stücke, zumahlen da es ihme
1) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ des Germanischen
Nationalmuseums. 1877, No. 10, S. 191 ff. — Joh. Neudörfer's Nachrichten von
Künstlern und Werkleuten. Herausgegeben von Dr. G. V. K. Lochner, a.
a. O. S. 152 ff. 2) a. a. O. S. 233. ^) Doppelmayr, a. a. O. S 233.
*) Lochner, Neudörfer*s Nachrichten, a. a. O. S. 230. — Vgl. Lob-
mayr, a. a. O. S, iio. '') a. a. O. S. 233.
— 159 -
bishero fast Niemand hierinnen gleich gethan, annoch von denen
Kunst-Liebenden sehr ästimiret werden <.
Johann Schaper, auch Schapper geschrieben, wurde zu Har-
burg, einem an der Elbe nicht weit von Hamburg gelegenen Orte
am Anfange des 17. Jahrhunderts* geboren. Seit 1640 lebte er
in Nürnberg und starb daselbst am 3. Februar 1670. »Er be-
malte < , sagt Dr. G. K. Nagler >), »gläserne Trinkgefässe und
Prachtgeräthe , und lieferte in dieser Art sehr schöne Arbeiten
von wirklich künstlerischer Bedeutung. In der Kunstkammer zu
Berlin sind von ihm eine Reihe sehr anmuthig bemalter Gläser
mit Landschaften, Figuren und Wappen, theils in bunten Farben,
theils monochrom gehalten, in schönem Sepiaton der Farbe«. Diese
hat Franz Kugler mit grosser Liebe studiert und beschrieben *).
Am seltensten sind von Schaper die mit bunten Farben bemalten
Gläser; die monochrom, in bräunlichem oder auf schwarzem Tone
gehaltenen dagegen sind ziemlich käufig und sie sind es zunächst,
an welche man bei der Bezeichnung >Schapergläser« denkt.
Schaper hat seine Arbeiten nur ausnahmsweise mit seinem, aus den
beiden Anfangsbuchstaben seines Namens zusammengezogenen Mo-
nogramme bezeichnet; noch seltener aber findet sich der volle
Name und ist derselbe sodann mikroskopisch klein ausgefallen,
dass man ihn mit unbewaffnetem Auge schwerlich erkennen kann.
Schaper hatte einige Schüler und Nachahmer, welche die
eigenthümliche Art der Gläserbemalung ihres Meisters fortsetzten.
In der Kgl. Kunstkammer zu Berlin befindet sich ein Glas, wel-
ches mit: »Joh. Keyll (f.) 1675« gezeichnet, und ein zweites,
auf welchem >Nr. 9. Herman Benchert f. anno i6yS.< zu lesen
ist 3). Zwei Gläser mit dem Monogramme des ersteren befan-
den sich auch in der Sammlung Rolas du Rosey^). Die be-
treffenden Arbeiten, so tüchtig sie auch waren, erreichten aber
die Feinheit der besten von Schaper's Hand nicht. Wie lange sich
diese Art der Verzierung auf Gläsern erhalten hat, lässt sich nicht
') Neues allgemeines Künstlerlexikon. 15. Bd. S. 144.
2) Beschreibung der Kgl. Kunstkammer zu Berlin. S. 273.
3) Fr. Kugler, a. a. O. S. 273. ^) Seibt, a. a. O. S. 59.
— i6o —
bestimmt angeben; jedenfalls unrichtig ist es aber, wenn Kugler
sagt: »Mit der späteren Zeit des siebzehnten Jahrhunderts ver-
schwindet die Mode der Malerei auf den Glasgefässen , und es
tritt Schleifarbeit an deren Stellet; denn die Bemalung der Glflser
im Allgemeinen dauerte noch Jas ganze i8. Jahrhundert hindurch
und die Bemalung von Glasgefässen in der Manier Schaper's blühte
noch in der ersten Hälfte des i8. Jahrhunderts, wie ein sehr
hübscher Becher dieser Art in der Mustersammlung des Bayrischen
Gewerbemuseums vom Jahre 1720 bezeugt.
Da nun die Schüler und Nachahmer Schaper's mitunter ganz
tüchtige Arbeiten hinterlassen haben , ist es da , wo der Name
"^-^
oder das Monogramm fehlt, sehr schwer zu entscheiden, ob das
betreffende Stück aus der Hand Schaper's hervorgegangen ist oder
nicht; andrerseits ist es nicht immer zulässig, die minder ge-
lungenen Werke Schaper einfach abzusprechen, da auch er hin
und wieder Gläser >in der kälteren schwarzen Farbe und ohne
hervorsfechend geistreiche Ausführung* gemalt hat. Freilich an-
dere Arbeiten SchaperS sind so delicat, dass sie sich als wahre
Kunstwerke darstellein' Unter den hieher gehörigen 9 Gläsern
des Bayrischen Gewerbemuseums befinden sich mehrere, welche
eines Schapers wohl würdig sind. Besonders hübsch ist die Ma-
lerei an einem sehr leichten cylindrischen Becher, welcher auf
— i6i —
drei Kugeln ruht; sie ist in schönem bräunlichen Tone gehalten.
Auf der Vorderseite sieht man in trefflicher Ausführung das Wap-
pen des Stiftes St. Lambrecht und das Hauswappen eines Abtes
dieses Klosters; auf der Rückseite ist eine Siegestrophäe darge-
stellt. Auf einem anderen cylindrischen, auf drei Kugeln ruhenden
Becher mit Deckel aus sehr leichtem Glase ist die Malerei poly-
chrom; die angewendeten Farben sind schwarz» weiss, blau, roth
und gelb; wieder an anderen Bechern ist der Mantel zuvor zwölf- oder
mehrseitig geschliffen worden, bevor die Malerei angebracht wurde.
Unter diesen ist der in Fig. 29 abgebildete der schönste und
sicher aus der Hand Schapers hervorgegangen. Die Darstellung
zieht sich um das ganze Glas herum. Man sieht im Vordergrunde
einer Seestadt eine prächtige römische Ruine; der Hafen und das
weite Meer wimmeln von Segelschiffen und Barken, darüber ein
Schwärm von Möven. Am Ufer sitzen angelnde Fischer und gehen
Leute auf und ab. Den Vordergrund nimmt eine derbe Gärtnerin
mit einem Rechen Über der Schulter ein; ihr kommt ein ebenso
derber Mann entgegen. Zeichnung und Ausführung sind vorzüglich.
2. Blaue Gläser.
Im Allgemeinen pflegt man die farbigen Gläser, mit Aus-
nahme der grünen und gelben, der venetianischen Fabrikation zuzu.
schreiben. Auf diese Weise sind bisher der deutschen Glasindu-
strie manche ihrer schönsten Produkte entzogen worden. Es be-
steht nunmehr kein Zweifel, dass auch diese ganz ausgezeichnete
Farbengläser erzeugt hat und zwar schon in sehr früher Zeit. Ihre
Hauptstärke bildete allerdings das gelbe und das grüne Glas. Aus
dem letzteren bestehen nicht nur die Römer, sondern auch eine
grosse Anzahl anderer Gefasse, wie Becher und Humpen, und
selbst das farblose Glas hat in manchen Gegenden durchweg einen
Stich in's Grünliche. Mindestens eben so alt wie das grüne Glas
ist das gelbe; denn man hat zu Nordendorf gelbe Gläser des früh-
esten Mittelalters gefunden und später hatten die farblosen Gläser
einiger Fabriken nicht selten einen gelblichen Hauch.
Wenn die Angaben des Theophilus über die Erzeugung der
Farbengläser unbestimmt, ja häufig geradezu naiv sind, so darf uns
II
— l62 —
das nicht irre machen; denn damals galt die Geheimhaltung der
Recepte als erste Pflicht. Es ist schon viel, dass unser Mönch
überhaupt im Detail von der Herstellung der Farbengläser spricht
und unter diesen das safrangelbe, fleischfarbene, purpurne u. s. w.
erwähnt. Gewiss war der Zufall häufig ein ausschlaggebender Factor ;
aber man wusste sich, wie schon oben gesagt wurde, theilweise
dadurch zu helfen, dass man die Masse mittels der in den antik-
römischen Gebäuden gefundenen Mosaikwürfel oder mittels des
von den Griechen oder Venetianem bezogenen Rohglases färbte.
Es fehlte übrigens doch nicht gänzlich an zuverlässigen Recepten
schon in dieser frühen Zeit des Mittelalters; denn Heraclius sagt
ganz richtig, dass das rothe Glas durch Kupferfeile (Kupferrubin)
und das grüne durch Messingfeile erzielt werde.
Das Nämliche berichtet im i6. Jahrhundert Mathesius, wenn
er sagt, dass man das Glas mit Hammerschlag grün färbe, roth
und gelb aber mit Braunstein und Kupferschlag. Von anderen
Farben erwähnt Mathesius nur noch das Beinglas, dessen sich die
Schlesier zu ihren geschnürlten Gläsern bedienten, ohne aber Näheres
darüber anzugeben. Georg Agricola, welcher erzählt, dass man
damals Gläser herzustellen verstanden habe, welche dem Diamanten,
Smaragde, Karfunkel, Amethyst, Hyacinth, Saphir, Obsidian und
anderen einfarbigen Steinen, ja sogar dem Opal und Jaspis gli-
chen, meint jedenfalls zunächst die venetianischen Glashütten. Im
Ganzen und Grossen also wissen wir über die deutschen Farben-
gläser des 1 6. und der ersten Hälfte des 1 7. Jahrhunderts beinahe
noch weniger als Über jene des frühen Mittelalters; kein Wunder
also, wenn dieselben grösstentheils venetianischer Fabrikation zuge-
schrieben werden. Aber es existiren aus der genannten Zeit zwei-
fellos deutsche Farbengläser, namentlich solche von dunkelblauer
Farbe. Es muss damals irgendwo in Deutschland eine Fabrik be*
standen haben, die sich hauptsächlich auf die Herstellung blauer
Gläser verlegte und hierin wirklich Ausgezeichnetes leistete. Die
betreffenden Produkte thun sich durch grosse Leichtigkeit der
Masse, durch eine brillante dunkelblaue Farbe und durch ebenso
elegante wie delicat gearbeitete Formen hervor, so dass sich einem
die Vermuthung aufdrängt, eingewanderte Glaskünstler aus Vene-
— i63 —
dig seien die Verfertiger gewesen. Ein anderes charakteristisches
Merkmal dieser Gläsergruppe liegt darin, dass die Masse bei allen
stark steinig ist.
Ihre deutsche Herkunft wird durch den Emailschmuck, der
auf einigen angebracht ist, bis zur Evidenz erwiesen. So besitzt
das Bayrische Gewerbemuseum ein reizendes, oben in Fig. 2 1 abge-
bildetes Krüglein dieser Art. Um den Bauch desselben sieht man
eine leicht angedeutete Landschaft, genau so wie auf jenen mäch-
tigen Humpen, auf welchen die Kurfürsten zu Pferd dargestellt
sind. In dieser Landschaft wird ein Fuchs und ein Hase von je
einem Hunde gejagt. Dabei befindet sich die Jahreszahl 1597.
Der Hals ist mit senkrechten Strichen in Grün, Blau und Weiss
decorirt und mehrere Bänder aus weissen Perlen vollenden den
Schmuck. Ein genau gleiches Krüglein besass einst die Sammlung
Slade in London ; dasselbe trägt aber eine frühere Jahreszahl, näm-
lich 1595. Das Bayrische Gewerbemuseum erwarb ferner zugleich
mit obigem Krüglein eine Kanne mit reizendem Emailschmuck
aus Blumen werk, der ganz die gleichen Farben aufweist wie jener
an den beiden Krüglein. Auch die blaue Farbe der Masse ist von
derselben Nuance wie an diesen und die Henkel sind an allen
drei Gläsern so vollkommen gleich, dass über ihre gemeinsame
Herkunft kein Zweifel bestehen kann. Verschiedene andere Gegen-
stände aus derselben Glasmasse und von der nämlichen Machart,
wie z. B. niedliche Schalen mit Schlangenbändchen um die Mitte,
flache Schalen auf hohem Fusse, müssen demnach ebenfalls der
deutschen Glasindustrie zurückgegeben werden;
Es fragt sich nun, wo in Deutschland die betreffende Fabrik
gestanden haben mag. Hierüber geben unsere Nachrichten nicht
die leiseste Andeutung. Die Untersuchung muss sich daher ledig-
lich an den Emailschmuck halten und diesen in Vergleich mit
anderen Gläsern bringen. Ich thue das um so lieber, als sich hier-
aus für die altdeutsche Glasindustrie, namentlich für die Email-
malerei einige wichtige Ergebnisse gewinnen lassen.
An unseren blauen Gläsern sind die Farben satt und von
grosser Frische, ohne aber grell zu sein weder an sich noch in
ihrer Harmonie. An allen findet man ein sehr reines Weiss, ein
II»
— 1 64 —
schönes, beinahe dem Golde gleichkommendes Gelb, ein kräftiges
Braunroth und ein lichtes Himmelblau. Die Umrisse bei den
Thieren sind schwarz, ebenso die Schattirungsstriche. Die gleichen
Farben finden sich fast auf allen emaillirten Gläsern, aber selten
von dieser eigenthümlichen Nuance und noch seltener von der
gleichen Frische. Dass zwischen unseren Gläsern und den Fich-
telbergergläsern ein unleugbarer Unterschied besteht, sieht man
auf den ersten Blick. An den letzteren sind nämlich die auch
etwas weniger dick aufgetragenen Farben nicht frisch genug, son-
dern eher von mattem,, fast ausgetrocknetem Ansehen. Die Fich-
telgebirg'schen Glasmaler bekunden ferner nirgends das künst-
lerische Geschick*, welches in dem Emailschmuck der in Rede ste-
henden Kanne zu Tage tritt. Aus den Hütten des Fichtelgebirges
also kann dieselbe nicht stammen.
Eine zweite Gruppe von emaillirten Glasgefässen bilden die-
jenigen, an denen die weisse Farbe den Gesammteindruck beherrscht,
manchmal neben den schwarzen Umriss- und Schraffirungslinien
ganz allein angewendet ist. Von dieser Art befindet sich in der
Mustersammlung des Bayrischen Gewerbemuseums ein cylindrischer
Humpen, auf welchem innerhalb eines Lorbeerkranzes das Brust-
bild Kaiser Joseph's I. dargestellt ist. Dass diese hier nicht in
Betracht kommen können, ist selbstverständlich.
Unsere blauen Gläser gehören zu jenen, die sich an die
venetianischen Vorbilder anlehnten und daher namentlich reich
mit Perlenschnüren und anderen geschmackvollen Ornamentbän-
dern geschmückt sind. Unter diesen findet sich eine ganze Reihe,
welche direct die venetianischen Muster nachahmten. So ist z. B.
auf den Kurfürsten- und Reichshumpen häufig das sich auf vene-
tianischen Gläsern so oft wiederholende Ornamentband aus golde-
nen, opakweiss umsäumten und in der Mitte mit einem farbigen
Tupfen besetzten Schuppen angebracht. Und gerade diese kunst-
volleren Gläser weisen im Allgemeinen die gleichen Farbennuancen,
denselben Auftrag und dieselbe Frische der Farben auf wie un-
sere blauen Gläser, so dass ein näherer Zusammenhang dieser
beiden Gläsergruppen angenommen werden darf. So ist z. B.
auf der Rückseite der Kurfürstenhumpen ein Bouquet aus Mai-
- i6s -
glöckchen dargestellt, das direct an den Blumenschmuck unserer
Kanne erinnert. Und merkwürdigerweise sind gerade diese Gläser
mit besseren Malereien selten aus farblosem, sondern meistens
aus einem herrlich leuchtenden gelben und nur vereinzelt aus
grünem Glase. Die Fabrik also, welche sie herstellte, muss in
der Erzeugung des Farbenglases einige Tüchtigkeit besessen
haben. Leider fehlen alle Nachrichten darüber, wo diese Fabrik
gestanden und wo ihre Produkte emaillirt wurden. Aber das
darf als ausgemacht gelten, dass dieses Emailliren nicht in der
Fabrik selbst und fabriksmässig geschah, wie in den Hütten des
Fichtelgebirges und des Thüringer Waldes, sondern in den Städten
und von wirklichen Künstlern vorgenommen wurde ; denn den
handwerksmässig geschulten Malern entlegener Hütten^ konnten
derartige Arbeiten unmöglich glücken, da ihnen die Anregung,
namentlich aber die Vorbilder fehlten. Selten, wenn überhaupt
je, werden diesen Venetianergläser zugekommen sein. Die be-
treffenden Hütten arbeiteten auch nicht für die vornehmen Leute,
sondern fiir die Kreise der Bürger und Handwerker; denn jene
pflegten ihren Bedarf an Gläsern aus Venedig zu decken; nur
mit Emailmalerei Hessen sie manchmal deutsche Gläser durch
wirkliche Künstler schmücken. So Hess z. B., wie wir bereits
gehört haben, Ferdinand I. durch den bekannten Maler Albrecht
Glockendon im Jahre 1553 auf zwei Gläser vier Wappen malen,
um diese hernach Augsburger Kaufherren zu verehren. Gewiss
suchten die Fabriken derartige mustergiltige Leistungen nachzu-
ahmen; aber diese Nachbildungen blieben weit hinter den Vor-
bildern zurück. Im AUgemeinen darf also angenommen werden,
dass die Gläser mit besseren Malereien in den Städten emailHrt
worden sind.
Ich muss hier eine kleine Abschweifung machen. Nach
Georg Agricola und Mathesius wendeten die deutschen Glashütten
gar verschiedene Rohmaterialien an, wie sie ihnen eben die Lage
ihrer Fabrik an die Hand gab, und erhielten demgemäss Gläser,
welche selbst bei angestrebter Farblosigkeit bedeutend abweichende
Nuancen aufweisen. So gibt es eine grosse Anzahl von farblosen
Gläsern, die einen Stich ins Bräunliche haben. Es sind dies die
— i66 —
Gläser jener Fabriken, welche entweder von venetianischen Künst-
lern geleitet wurden oder doch die Venetianer nachahmten ; denn
auch das venetianische Glas hat nicht selten diesen Stich ins
Bräunliche. Auffallender ist dieser in der Regel bei den Gläsern
der Spessarter Hütten, wenn diesen mitunter auch ein ganz farb-
loses Glas gelungen ist. Fast alle Gefösse, die in einen Model
mit Rautenmuster geblasen sind und die nach Mathesius den
Spessarter Hütten zugehören , zeigen diese bräunliche Nuance.
Das grüne Glas der Spessarter, von welchem Mathesius ebenfalls
spricht, neigt ins Gelbliche hinüber und zeichnet sich durch grosse
Weichheit des Tones aus.
Von mitunter greller Wirkung, aber echt deutsch ist jenes
farblose Glas, welches einen Stich ins Grünliche hat. Von dieser
Art sind die meisten Fichtelgebirgischen und Thüringergläser.
Die Hütten des bayrischen und Böhmerwaldes haben zumeist
ganz grünes Glas erzeugt und sich mit dem Ansetzen von Knöpfen
und Ringen an ihre Gefasse begnügt. Das Emailliren kam dort
sicher erst sehr spät auf.
Wie die bräunlichen und grünlichen Gläser, so dürfen auch
die gelbleuchtenden zu einer Gruppe vereinigt und einer be-
stimmten Gegend oder Fabrik zuerkannt werden; aber welcher?
Diese gelblichen Gläser sind meistens in künstlerischer Weise
emaillirt; die betreffende Hütle muss also in der Nähe einer Stadt
gestanden haben. Etwa in der Nähe von Augsburg oder Nürn-
berg? Ich denke nicht; denn in diesen Städten sind wohl Gläser
emaillirt worden, aber das Emailliren bildete dort keinen spe-
ciellen Kunstzweig, soweit es sich auf Glasgefasse beschränkte.
Das letztere scheint dagegen in Dresden in ausgedehntem Masse
der Fall gewesen zu sein; denn es existiren viele Gläser mit der
Aufschrift: >Hofkellerey Dresden c, welche ohne Zweifel in der
genannten Stadt mit dem kursächsischen oder sächsisch-polnischen
Wappen, mit den schönen grünen Laubkränzen u. s. w. bemalt
worden sind. Sie stammen allerdings erst aus den letzten Jahr-
zehnten des 17. Jahrhunderts, also aus jener Zeit, in der man in
Deutschland aller Orten nur mehr krystallreines Glas herzustellen
suchte und musste, um von der Concurrenz nicht erdrückt zu
— 1 67 —
werden. Daher ist die noch immer steinige Masse dieser Gläser
ziemlich farblos und scheint in Folge dessen mit den gelblichen
in keinerlei Beziehung zu stehen. Dagegen haben diese Gläser
in ihrem malerischen Schmucke eine auflallende Verwandtschaft
mit jenen gelblichen Kurfürsten- und Reichshumpen. Wir sehen
wiederum denselben etwas dicken Farbenauftrag und dieselbe
Frische der Farben, namentlich des Rothbraun und des eigen-
thümlichen Grün. Zugleich finden wir wieder jene Vorliebe für zier-
liche Ornamentbänder (Fig. 28). Die Mode hatte sich in der Zwischen-
zeit etwas geändert, die Technik und deren Hilfsmittel sind die-
selben geblieben. Ich trage daher kein Bedenken, den grössten
Theil der künstlerisch emaillirten Gläser unserer Vorfahren den
Glasemailleuren Dresdens zuzuschreiben, unter ihnen auch unsere
blauen Gläser.
Nun erhebt sich die Frage, woher die Emailleure Dresdens
ihren Bedarf an Rohgläsern deckten? Hierauf dürfte die Antwort
nicht mehr schwer fallen: es geschah aus den schlesischen Hütten,
von deren einer am Ende des 17. Jahrhunderts der böhmische
Glashändler Kreybich behauptete, dass sie viel schöneres Glas
erzeugte als die böhmischen Hütten. Den Schlesiern rühmt ferner
Mathesius die Erfindung der geschnürlten Gläser nach. In Schle-
sien wirkte und lebte endlich Georg Agricola, der Begründer der
Hüttenkunde, der sich mehrere Jahre in Venedig und auf Murano
aufgehalten hat. Es ist gar nicht anders denkbar, als dass dieser
gelehrte und erfahrene Mann die schlesische Glasindustrie mit
seinen Kenntnissen bestens unterstützte und so deren frühzeitige
Blüthe herbeiführte. Namentlich scheint er es gewesen zu sein,
der die dortigen Glasmacher mit den Färbemitteln vertraut machte.
Ich wenigstens weiss vor Kunckel keinen Mann ausser Agricola,
welcher dergleichen hätte ins Werk setzen und so die Erzeugung
jener gelben sowohl wie namentlich unserer blauen Gläser er-
möglichen können.
Doch wie dem auch sei, soviel ist gewiss, dass unsere
blauen Gläser und die gelbleuchtenden aus einer und derselben
Fabrik hervorgegangen sind. Dies wird bewiesen durch das schon
oben (Fig. 20) abgebildete Bierglas aus leuchtendem gelben Glase
— i68 —
in der Mustersammlung des Bayrischen Gewerbemuseums. An
diesem ist nämlich der Henkel genau wie an der blauen Kanne
und an dem Krüglein; die Henkel dieser drei Gefässe müssen
von Gliedern der nämlichen Glasmacherfamilie angesetzt worden
sein und überhaupt ist die Arbeit an allen dreien vollkommen
gleich und vorzüglich. Diese dunkelblauen Gläser gehören dem-
nach zu den besten Erzeugnissen der altdeutschen Glasindustrie
vor Kunckel.
3. Kunckelgläser.
Eine eigene Art unter den älteren Gläsern bilden die
Kunckel'schen Rubingläser, welche gewöhnlich schlechtweg
als Kunckelgläser bezeichnet werden. Johann Kunckel gilt
nämlich als der Erfinder des Rubinglases. Er ward 1630 zu
Hütten, einem Dorfe bei Schleswig geboren, wurde ohne gelehrte
Vorbildung Apotheker, studirte aber in Wittenberg nachträglich
Chemie und trat dann in den Dienst des Herzogs Franz Karl
von Lauenburg. Bald drang sein Adeptenruf zu den Ohren des
Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen, welcher ihn denn auch
zu seinem Kammerdiener und zugleich zum Director seines che*
mischen Laboratoriums ernannte. Kunckel's Ruf wurde noch
grösser, als er im Jahre 1677 in Wittenberg vor einem zahlreichen
Auditorium Vorlesungen über Chemie hielt. In Folge dessen be-
rief ihn der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm nach Berlin als
geheimen Kammerdiener, stellte ihm mehrere Glashütten zur Ver-
fügung und errichtete ihm ein eigenes Laboratorium auf der
Pfaueninsel bei Potsdam. Freilich mit dem Goldmachen, wofür
Kunckel zunächst engagirt war, hatte es seine Wege; aber er
erwarb sich die Zufriedenheit des Kurfürsten durch die Erfindung
des Rubin- und Smaragdglases. Er musste alljährlich an die kur-
fürstliche Kellerei Krystall- und andere Gläser im Betrage von
50 Thalern abliefern und für die von dem Kurfürsten gegründete
brandenburgisch - afrikanische Handelscompagnie die Glasperlen
fabriciren, gegen welche von den Wilden Elfenbein, Ebenholz und
Spezereien eingetauscht wurden. Nach dem. Tode seines hohen
Gönners folgte Kunckel einem Rufe des Königs Karl XI. von
— i6g —
Schweden nach Stockholm und starb dortselbst, als Bergrath und
mit dem Zunamen von Löwenstern geadelt, im Jahre 1702.
Johann Kunckel war ein vielkundiger Mann. Um die Glas-
industrie hat er sich unstreitig grosse Verdienste erworben. Zwar
die Erfindung des Rubin- und Smaragdglases wird ihm nicht ohne
Weiteres zugestanden. Das Geheimniss der Erzeugung des Sma-
ragdglases war in der That schon im Alterthume bekannt und jenes
des Rubinglases, wenigstens des Kupferrubins haben die Glasmaler
des Mittelalters besessen. *) Kunckel's Verdienst scheint sich dem-
nach auf die Wiederentdeckung des Rubin- und Smaragdglases zu be-
schränken oder auf die Erfindung einer leichteren Herstellungsart,
nämlich durch Goldpurpur, statt durch Kupfer feile; namentlich
aber scheint er mir der erste gewesen zu sein, welcher das Rubin-
glas in die Hohlglasindustrie einführte, welcher aus Rubinglas
Gefässe und nicht blos Emailfarben herstellte. Was man auch
sagen mag, man wird kein einziges Gefäss aus Rubinglas, es wäre
denn ein antikes, vor Kunckel nachweisen können. Mit Recht
tragen daher die betreffenden Gläser den Namen KunckeFs. Da-
durch aber, dass Andreas Cassius zu Leyden zuerst das Verfah-
ren, durch welches der zur Erzeugung des Rubinglases nöthige
Goldpurpur hergestellt wird, öffentlich bekannt gemacht hat 2),
wäre Kunckel bald um sein ganzes Verdienst gekommen; und
doch hatte er, wie schon G. K. W. Seibt**) bemerkt hat, bereits
mehrere Jahre seinen Goldpurpur praktisch zur Erzeugung von
Rubinglas angewendet, bevor dem Cassius die Herstellung seines
Präparates gelang (1683). Dieses führt daher mit Unrecht den
Namen > Goldpurpur des Cassius c. Es ist zwar gesagt worden,
dass schon des Cassius Vater den Goldpurpur durch Versetzung
einer Lösung von Gold in Königswasser mit einer Lösung von
Zinn in Königswasser hergestellt, und dass sein Sohn diese Er-
') Vergl. Theophil US, Diverserum artium schedula. Herausgegeben
von Dr. Albert Hg. [Quellenschriften zur Kunstgeschichte, Band 7.] Lib. II,
c. VIII.
2) Cogitata de auro et admiranda ejus natura. Hamburg 1685.
3) a. a, O., S. 61. -=- Vgl. Karl Karmarsch, Geschichte der Tech-
nologie seit der Mitte des 1 8. Jahrhunderts. München, R. Oldenbourg 1872. S. 526.
— I/o —
iindung in dem genannten Werke sich unrechtmässiger Weise zu-
geschrieben habe. Aber selbst wenn sich das wirklich so verhält,
so ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass auch Kunckel den Gold-
purpur unabhängig von Cassius erfunden habe. Doch wie dem
auch sei, Kunckel war derjenige, welcher von dem Goldpurpur
zuerst einen praktischen Gebrauch machte und damit die nach
ihm benannten Rubingläser herstellte.
Ein noch grösseres Verdienst erwarb sich Kunckel um die
Glasfabrikation seiner Zeit durch die Herausgabe der >Ars vitra-
ria experimentalis oder vollkommene Glasmacherkunst, c ^ ) Dieses
Werk gibt den Tractat des Florentiners Antonio Neri über die
Glasmacherkunst sammt den Anmerkungen des Engländers Chri-
stoph Merret zu demselben in deutscher Uebersetzung, vermehrt
und vervollständigt durch viele Erläuterungen und einen II. Theil
von Kunckel selbst. Freilich theilt Kunckel nicht alle seine Er-
fahrungen mit. In Bezug auf das Rubinglas begnügt er sich mit
der Bemerkung, dass dasselbe noch viel zu rar sei, um allgemein
bekannt gemacht zu werden. Trotzdem erwarb sich das Werk
durch die Menge der mitgelheilteti Recepte, Rathschläge und
Beobachtungen unter den Zeitgenossen ein grosses Ansehen und
blieb bis in unser Jahrhundert herein der gelehrte Rathgeber des
Glasmachers und Glasfabrikanten.
Ich will mich nun zu den Kunckel'schen Rubingläsern wen-
den. Dieselben sind ziemlich schwer, weil sie viel Goldkalk ent-
halten, und tragen hiedurch jenem Stilgesetze, dass ein dunkles
Glas stärker gebildet sein müsse als das farblos durchsichtige,
vollauf Rechnung. Dem entsprechend ist auch die Form der
Becher, Flaschen, Pokale, Schalen, Schüsseln eine etwas derbe,
ohne indess unschön zu sein; sie ist im Gegentheil höchst charak-
teristisch nicht bloss für jene Zeit, sondern auch für den Stoff
(Fig. 30). Damit das herrliche Feuer des Rubinglases noch
wirkungsvoller leuchtete, fagonnirte man die betreffenden Produkte
häufig mittels des Rades. Prachtexemplare wurden sodann in
vergoldetes Silber gefasst, mit Filigranarbeit und selbst mit Edel-
^) Frankfurt und Leipzig, gedruckt bei Christoph Günthern, Leipzig 1679.
— 171 —
steinen verziert. Die Fa,brikation von Rubin glas scheint noch
lange nach Kunckel's Weggang in den Potsdamer Glashütten, ja
selbst noch, nachdem diese im Jahre 1732 nach Zechlin über-
gesiedelt waren, fortgesetzt worden zu sein; denn ohne Zweifel
meint Dr. Poccocke, welcher i. J. 1736 bemerkte, dass zu Zechlin
Trinkgläser um £ lOO — 150 gekauft würden'), die kostbaren,
Fig. 3°-
durch Schliff verschönerten Rubingläser mit. Auch diese späteren
Gefässe bezeichnet man durchgehends als Kunckelg läser. Das
hübsche Krüglein, welches in Fig. 30 zu sehen ist, besitzt das
Bayrische Gewerbemuseum. Es ist in einfacher, aber gelungener
Weise in Messing gefasst und auf dem Deckel befindet sich ein
1) Lobmeyr, a. a. O., S. 136..
— 172 —
männliches Brustbild in Messingguss; das sanfte Feuer der Farbe
kommt in der glatten Rundung des Bauches vorzüglich zur
Geltung.
4. Gläser mit Goldschmuck.
Das Gold ist schon seit den ältesten Zeiten zur Verzierung
des Glases angewendet worden. Unter den erhaltenen antiken
Gelassen befinden sich verschiedene, welche eingebrannten Gold-
schmuck zeigen. ') Eine besondere Specialität der altrömischen
Glasindustrie bildeten die sog. Goldgläser, d. h. Schalen, deren
Böden eine Darstellung in Gold zwischen zwei äusserst dünnen
Glasschichten enthalten. ^) Diese Art von Glas Verzierung ist zwar
nach dem Untergange des weströmischen Reiches im Abendlande
verloren gegangen; dagegen blieb das Gold zu partieller Deco-
rirung der Glasgefasse das ganze Mittelalter hindurch in Anwen-
dung. 3) Mit richtigem Verständniss beschränkte man damals und
noch im 16. und 17. Jahrhundert dieser Verwendung von Gold
auf ein sehr geringes Mass. Man begnügte sich, ein oder zwei
Bänder aus Gold um den Mantel eines Cylinders zu legen und
in die farbige Decoration eines Gefässes fügte man nur da Gold
ein, wo es unbedingt nothwendig war. Ausserordentlich effectvoU
verwendeten die Orientalen das Gold an ihren emaillirten Gläsern,
an welchen sich die Venetianer mit grossem Erfolge gebildet
haben. Die spätere Zeit, namentlich seitdem die böhmischen
Hütten den Weltmarkt erobert hatten, war nicht so glücklich und
bescheiden. Jetzt überzog man die Gläser ganz und gar mit
Gold. Dadurch bekamen dieselben zwar einen gewissen, sofort
sich aufdrängenden prächtigen Schimmer, büssten aber viel von
der wahren und bleibenden Schönheit ein. Dies gilt namentlich
von jenen Gläsern mit Zwischenvergoldung. Bei ihnen ist die
Vergoldung gewöhnlich über den ganzen Mantel des Gefässes hin
') W. Fro ebner, La verrerie antique. Description de la collection
Charvet. Le Pecq. 1879, p. ^o^«
-) Vgl. meinen Aufsatz: ,Die Technik der Goldgläser* in der Zeitschrift
des Münchener Kunstgewerbevereins, 1879, Nr. 11 u. 12.
3) Theopilus, 1. c. lib. II, c. ;CI1I, XIV, XVI.
— 173 -
verbreitet; daher hätte man die Fläche zum mindesten in ununter-
brochener Rundung fortlaufen lassen müssen. Allein die Zeit
nahm keinen Anstoss daran, wenn diese Mantelfläche sechs-, acht-,
zehn-, zwölfeckig u. s. w. facettirt und so die Darstellung immer
wieder durch scharfe Kanten unterbrochen wurde. Man schreibt
diese Gläser gewöhnlich böhmischer Fabrikation zu und nennt
sie daher schlechtweg »böhmische Goldgläser f. Allein ähnliche
Gläser wurden wenigstens im 17. Jahrhundert, auch anderwärts
in Deutschland gemacht. Doch gebührt den Böhmen das Ver-
dienst, dieselben durch ihre Handelsstationen in der weiten Welt
bekannt gemacht zu haben. ^)
£s ist nothwendig, bezüglich dieses Punktes die oben be-
sprochene >Ars vitraria« Johann Kunckel's zu Rathe zu ziehen,
welches Werk bekanntlich für das 17. und 18. Jahrhundert die-
selbe Bedeutung hat, wie des Presbyters Theophilus »Schedula
diversarum artium< für das frühe Mittelalter oder wie Agricola's
Schriften und des böhmischen Pfarrers Mathesius Predigt »vom
Glasmachen < für das 16. Jahrhundert. Kunckel gibt im II. Theile
seiner »Vollständigen Glasmacherkunst« vom XI. Kapitel an eine
ganze Reihe von Recepten über das Vergolden des Glases. Frei-
lich sind dieselben für unsere Zeit von keiner praktischen Be-
deutung mehr. Dagegen sind sie von grossem Interesse für die
aus jener Zeit stammenden vergoldeten Gläser. Ich will daher
eines der in Rede stehenden Recepte hier folgen lassen. Im
XXI. Kapitel beschreibt Kunckel »eine andere Verguldung, die
einschmelzt«: »Nimm Gummi arabicum«, sagt er, »und ein wenig
Borrax, zerlasse es in so viel reinem Wasser als nur von nöthen,
lasse es über Nacht stehen; streiche das Glas damit an, oder
schreib damit mit einem Pinsel, oder neugeschnittenen Feder was
und wie du willt, lege alsdann das Gold darauff, lass es drucken
werden, gradire hernach darin nach deinen Gefallen; man kann
allerhand schöne Figuren darein zeichnen oder gradiren, lege es
') lieber diese vergleiche Dr. Edmund Schebek's ausgezeichnetes
Werk: ^Böhmens Glasindustrie und Glashandel. Quellen zu ihrer Geschichte.*
• Prag, Verlag der Handels- und Gewerbekammer 1878. 8'\
— 174 —
hernach in einen Ofen und lass es wohl heiss werden, so geht es
nimmermehr ab.«
In der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts sind demnach nicht
bloss in Böhmen, sondern auch in den kurfürstlichen Hütten bei
Potsdam und gewiss auch noch anderwärts vergoldete Gläser her-
gestellt worden.
Eine eigene Art dieser vergoldeten Gläser bildeten diejeni-
gen, an welchen die Vergoldung ein zuvor mit dem Rade einge-
schnittenes Muster deckt. >Indem man« , sagt F. S. Zahn *),
»die mittels des Schnittes und der Gravirung vertieften Muster
mit Firniss bekleisterte und mit geschlagenen Goldblättchen be-
legte, wurde der Uebergang zur Blattvergoldung bewerkstelligt.
Jetzt ist man davon ganz abgekommen. Ehedem aber ging viel
Glas mit solchem Goldschnitt nach Portugal, Spanien und nach
dem Abfall der Colonien nach Mexico, c Die betreffenden Gläser
stammen zum weitaus grössten Theile aus dem 18. Jahrhundert.
Die Mustersammlung des Bayrischen Gewerbemuseums besitzt ihrer
mehrere, unter Anderem zwei vollständige Service. Es ist sicher,
dass dieser Goldschmuck dadurch, dass er in Folge des Vor-
schliffes etwas vertieft liegt, eine prächtige Wirkung ausübt. Zu-
gleich verbindet sich mit dieser Verzierungsmethode der Vortheil,
dass das Gold fester haftet und dem Abreiben weniger ausge-
setzt ist.
Eine zweite Spezialität unter den vergoldeten Gläsern bilden
jene mit Zwischenvergoldung. Wie schon oben gesagt wurde,
werden dieselben insgesammt böhmischer Fabrikation zugeschrie-
ben. Allein wie die Gläser mit einfacher Vergoldung, so wurden
die mit Zwischen Vergoldung , wenn man sonst den Worten Kun-
ckel's ein Gewicht beilegen darf, auch anderwärts, namentlich in
den Potsdamer Hütten, hergestellt. Kunckel beschreibt im >II. Theil
der Vollständigen Glasmacherkunst < die betrefi'ende Technik also:
> XXVII. Ein sonderliches curieuses Trinkglas zu machen. Nimm
zwey glatte Gläser, welqhe sich gerade in einander fügen, welche
auch, sonderlich was die Höhe betrifft, also beschaffen seyn, dass
^) Schebek, a. a. O. S. 135.
- 175 —
das innere Glas dem euseren ja nicht an der Höhe vorgehe, son-
dern beyde gleich hoch seyn; mahle das grössere inwendig mit
Oehlfarben nach Edelgestein -Art auffs beste als du kanst; lass es
trocken werden, alsdann reisse mit einer spitzigen Gradirnadel
hin und wieder Aederlein oder was du wilt darein. Ferner schwäncke
altes Leinöhl darinn herumb, lasse es wieder wohl heraus lauffen
und umgestürzt fest trocken werden; wenn es demnach ein wenig
klebrigt ist, so lege Blättlein von Gold oder Metall hinein, drücke
sie mit einer Baumwollen inwendig an, und lass es folgends
wohl austrucknen , so scheinen die gerissenen Aederlein goldreich
heraus. Indessen nimm * das andere oder kleinere Glas, streich
es auch vermittelst eines Pinsels mit alten klaren Leinöhl oder
einen reinen Firniss auffs dünnste an, und belege es über und
über mit geschlagenen Gold oder Metall, so siehet es von in-
wendig einen vergoldeten Becherlein gleich, lasse es auch trocken
werden und setze sie in einander (es müssen auch die Gläser
also eingerichtet sein, dass sie in der Mitten, wann sie in einan-
der gesetzt, keinen oder wenig Raum haben, damit sie nicht gar
zu dick scheinen). Ferner pulverisire reine Kreiden, mache solche
mit rechten Lacc-Firniss zu einen Teig, verkütte damit oben den
Rand der zwey Gläser fein glatt, auff dass mans nicht erkennen
kan, dass es 2 Gläser seyn, welches sich denn gar wohl thun
lasset; laisse es trocken werden, wanns wohl trocken, Überstreichs
wieder mit einen Penselein lautern Lacc-Firniss, lass wieder trock-
nen, poliers hernach mit Bimsstein; Streichs wieder mit lautern
Fümiss an, und wanns schier trocken, so lege geschwind Blättlein
von Gold daraufF, alsdenn noch einmahl oder 3. mit Lacc-Fürniss
angestrichen, so kan das Gold nimmermehr abgehen. Wann man
anstatt der Farben. und Mahlwercks nur alt Leinöhl in das grös-
sere Glas giesset, solches wieder ausleeret und austropffen lasset,
hernach des Hautschen Streuglantz darein streuet, von allerley Co-
leuren, und dennoch das inwendige Glas verguldet, so kommet es
noch schöner. Man kans auff allerley Arten bemahlen und be-
legen, nach eines jeden selbst Belieben und Gefallen, es hat auch,
wann es recht gemacht, ein sehr feines und ergötzliches Ansehen. <
Ein genau nach diesem Verfahren hergestelltes Glas kenne
- 176 -
ich nun allerdings nicht; wohl aber sieht man an allen hieher
gehörigen Bechern, Flaschen u. s. w. , dass ihr Goldschmuck auf
eine ganz ähnliche Weise angebracht worden ist. Die meisten
dieser Doppelgläser sind zuvor durch Schlilf genauestens in ein-
ander gepasst worden, so dass man die Zusammensetzung kaum
gewahr wird. Sie sind, soviele ich ihrer zu sehen bekam, an der
Aussenseite durchweg eckig geschliffen und zwar reicht das innere
F'g- 3'-
Glas Über das äussere um einige Centimeter empor und tritt dort
soweit heraus, dass sein Mantel genau die Fortsetiung von jenem
des äusseren Glases zu sein scheint. An diesem äusseren Glase
ist femer am Boden eine medaillonartige Vertiefung ausgeschlif-
fen, in welche ein farbiges, meist rothes rundes Glasstück mit
einer nach innen gekehrten Darstellung in Gold eingesetzt er-
scheint. Der Goldschmuck zwischen den zwei Glasschichten am
— "^n -^
Mantel solcher Becher besteht in Landschaften und ähnlichen
Darstellungen. Die Mustersammlung des Bayrischen Gewerbemu-
seums besitzt vier solcher Becher mit Zwischenvergoldung , von
denen einer in Fig. 3 1 zu sehen ist. Die Wirkung dieser Gläser
mit ihren feinen, zwischen spiegelndes Krystallglas eingeschlosse-
nen Golddarstellungen muss eine prächtige genannt werden.
Näher stehen dem von Kunckel angegebenen Verfahren jene
seltenen Stücke, meist Flaschen, an welche unten am Boden eine
Kappe , oben ein Ring und in der Mitte des Mantels Medail-
lons angeschliffen sind. Diese Ringe, Kappen und Medaillons
sind in die zuvor vertieft geschliffenen Stellen des Gefasses so
genau eingefügt, dass man die Zusammensetzung auf den ersten
Blick gar nicht gewahr wird. Bevor sie aber an ihre Stelle ka-
men, sind sie auf der Innenseite mit Golddarstellungen versehen
worden. Ueber diese hat man sodann eine leichte Schichte rothen
Farbstoffes, wie es scheint Drachenblut, gezogen, so dass die Gold-
darstellung, von aussen gesehen, wie auf rothleuchtendem Hinter-
grunde erschien. Hierauf legte man über die ganze vertieft ge-
schliffene Stelle des Glases auch ein Goldblatt, überzog dasselbe
ebenfalls mit rothem Farbstoff, strich endlich über diesen eine
Schicht von harzigem Kitt, vielleicht Mastix, und nun wurde der
Ring, die Kappe oder das Medaillon eingesetzt und verbanden sich
dieselben in Folge des Kittes fest mit dem Gefässe. Besah man
dieses von aussen, dann zeigten sich überall, wo ein Ring, ein
Medaillon oder dgl. eingesetzt worden war, eine prächtige Gold-
darstellung auf rother Folie; auf der Innenseite des Gefasses sah
man an eben diesen Stellen eine ungegliederte Goldfläche, wie an
den von Kunckel beschriebenen Gläsern. Von diesen seltenen
Gefässen besitzt die Mustersammlung des Bayrischen Gewerbe-
museums drei Stücke, zwei Flaschen und einen Deckelpokal. Die
beiden Flaschen sind nur in der Grösse verschieden; sie haben
einen glatten Bauch, welcher von dem flachen Boden aus sich
langsam erweitert und dann in einem scharfen Winkel zum Halse
sich einzieht. An den Boden ist in der vorhin geschilderten Weise
eine Kappe angeschliffen, welche nach unten auf rothem Grunde
die Darstellung eines weitschichtigen Schlosses und da, wo sie
12
- 178 -
Über den Mantel heraufreicht, einige Omamentbänder zeigt. Die
Unterschrift, welche den Namen des Schlosses angab, ist nicht
mehr zu lesen, da die Kappe etwas gedreht worden ist. Auf der
Vorderseite des Mantels ist sodann ein Medaillon eingeschliffen,
nnter welchem ein Wappen (Doppeladler über einem zugebunde-
nen Beutel) dargestellt ist. Da femer, wo der Bauch am breite-
sten ist, bevor er in den Hals übergeht, ist ein Glasring herum-
gelegt, durch den man wiederum einige Omamentbänder in Gold
auf rothem Grunde sieht; das Gleiche ist oben am Mundstück
der Fall. Der Pokal ist auf Taf. HE. zu sehen. Seinen Kelch
überzieht ein reiches, reizend gravirtes Rankenwerk , welches an
Berain erinnert. Dasselbe schliesst vier Medaillons ein, welche
in die geschliffenen Vertiefungen eingesetzt worden sind, nach-
dem zuYor auf rothem Grunde eine Golddarstellung auf ihnen
angebracht war. Die Darstellungen geben die vier Jahreszeiten
wieder und zwar bezeichnet ein Knabe in blumen- und blüthen-
reicher Landschaft, ein Blumenstöckchen in der Hand haltend
den Frühling; ein anderer Knabe, mit der Sichel im Kornfeld
stehend, den Sommer; den Herbst sinnbildet der Weingott und
der Winter ist dargestellt durch einen am wärmenden Feuer
stehenden Mann, welcher ein Gefass in der Hand hält, aus dem
Ranch aufsteigt.
Tafel HL Prachtpokal mit eingesetzten Medaillons.
V.
Geschliffene und geschnittene Gläser.
I. Die Glasschneiderei bis zum Ausgange des
Mittelalters.
IE Glyptik in Glas ist so alt wie das Glas selbst. Ihre
höchste Ausbildung hat die betreffende Technik in der
römischen Kaiserzeit erhalten. Die vasa diatreta und
die kostbaren Überfanggläser bleiben für alle Zeiten
die sprechendsten Beweise hiefiir. Aber auf dieser Höhe hat sich
unsere Technik nicht lange zu halten vermocht. Noch vor dem
Sturze des weströmischen Reiches trat ein bemerkbarer Verfall
ein, welcher sich namentlich in der Rohheit der durch das Schleif-
rad dargestellten vertieften Figuren kundgibt. Ganz erloschen aber
ist sie selbst im Abendlande nicht zugleich mit dem Falle des
weströmischen Reiches. In einzelnen Gegenden, sogar am Rheine
scheinen sich Spuren davon erhalten zu haben. Die geschnittenen
Schalen, Flaschen, Becher und Kelche, welche hier noch während
der merovingischen Zeit hergestellt wurden, sind freilich von einer
unbeschreiblichen Barbarei. Trotzdem hören wir noch im 7. Jahr-
hundert von einem berühmten Steinschneider, dem hl. Eligius
(588 — 663). Von ihm sagten die Goldschmiede des 8. Jahrhun-
derts, dass es schwerlich einen Mann gäbe, welcher, so geschickt
er in jeder Art von Arbeit wäre, den Eligius als Steinschneider
und Fasser von edlen Steinen auch nur entfernt erreichte^ denn,
fahren sie «fort, diese Künste hat man schon seit einer Reihe von
Jahren zu üben aufgehört*). Im 8. Jahrhundert lag also im Abend-
') Gesta Dagoberti c. XX, ap. Duchesne, Hist. franc. script. t.
P* 57S) citirt von Lab arte, Histoire des arts industriels, t. I, p. 247.
— I82 —
lande die Stein- und Glasschneidekunst brach; währenddes J.Jahr-
hunderts aber blühte sie noch unter den* kunstreichen Händen des
mit seinem Rufe das ganze Zeitalter ausfüllenden Eligius. Wir
dürfen annehmen, dass seine Geschicklichkeit wenigstens auf seine
unmittelbaren Schüler, namentlich auf den Sachsen Thillo über-
gegangen ist; denn £ligius suchte das Aufblühen und Fortleben
der Künste auf alle mögliche Weise zu fordern. Er baute zu
diesem Behufe im Jahre 631 zu Solemniac ein Kloster und ver-
einigte in demselben sehr viele, in den verschiedenen Künsten
erfahrene Mönche; Thillo, sein Schüler, wurde der zweite Abt
dieses Klosters. Hier mag es vor Allem gewesen sein, wo die
Stein- und Glasschneidekunst in den rauhen Zeiten der zweiten
Hälfte des 7. Jahrhunderts noch einige Pflege fand. Wir besitzen
in der That eine Glasgemme aus dieser Zeit, welche noch mittels
Fig- 32.
des Rades mit einer Darstellung versehen worden ist (Fig. 32).
Man hat diese Gemme bisher für einen Abraxas gehalten, da man
die verschiedenen darauf dargestellten Figuren und Zeichen nicht
zu erklären wusste. Man sieht nämlich ein Kind auf einem
Lföwen über einen Leichnam hinreiten und eine weibliche mit
dem Turban bedeckte Gestalt, welche die Linke an den Mund
hält, verfolgen. Vor dem Kinde sieht man ein Brustbild mit Strah-
lenkrone, die Personifikation der Sonne und hinter demselben ein
zweites Brustbild mit der Mondsichel auf dem Haupte, die Per-
sonification des Mondes. Im Felde umher sind acht Sterne verstreut
und hinter dem Löwen ist noch ein unkenntlicher Gegenstand, viel-
leicht eine Schildkröte, sichtbar. Diese auf den ersten Blick son-
derbaren Zeichen sind weiter nichts als eine höchst naive Illustra-
tion zu Psalm 8, Vers 3 ff.: >Aus dem Munde der jungen. Kinder
und Säuglinge hast Du eine Macht (Löwe) zugerichtet um Deiner
:^
Tafel IV.
Frühmittelalterliche Glasgemmen.
- i85 -
Feinde willen, damit Du vertilgest den Feind (weibliche Gestalt
— Personification des Unglaubens) und die Rachgierigen (Leich-
nam). Denn ich werde sehen die Himmel (Sonne), Deiner
Finger Werk, den Mond und die Sterne, die Du bereitest . . .
Alles hast Du unter seine Füsse gethan . . . Die Fische im Meere
und was im Meere geht (Schildkröte)*. Der Künstler hat ein-
fach einige Worte aus dem Psalm herausgegriffen und jedes durch
ein Bild veranschaulicht. Diese Illustrationsmethode gehört dem
7. und 8. Jahrhundert an*). Weil aber unsere Gemme noch mit-
tels des Rades mit der erörterten Darstellung versehen worden
ist, muss sie dem 7. Jahrhundert zugewiesen werden; denn im
8. Jahrhundert war diese Technik, wie wir bereits gehört haben,
vollständig erloschen. Damals hatte man keine Kenntniss des Rades
mehr. Als daher irgend ein Mönch auf Glassteine Illustrationen
zu dem Buche Hiob graviren wollte, sah er sich gezwungen, sich
hiezu eines blos ritzenden Instrumentes zu bedienen. Die betref-
fenden Gemmen, deren man bis jetzt 20 kennt und in denen man
prähistorische Erzeugnisse und Gott weiss was Alles gesehen hat,
sind auch darnach ausgefallen. Des hohen Interesses wegen, wel-
ches sie sowohl durch ihr Alter wie durch ihre Technik und in
archäologischer Beziehung haben, sind ihrer auf Tafel IV neun
zur Abbildung gebracht worden. Sie enthalten alle, wie gesagt,
Illustrationen zu dem Buche Hiob. Die eine mit vier Figuren
zeigt den Hiob und seine 4rei Freunde und illustrirt den Vers 4
des 3. Kapitels: j Derselbe Tag müsse finster sein (daher die
Sterne), und Gott von oben herab müsse nicht nach ihm fragen,
sein Glanz (Kreuz) müsse über ihm leuchten« 2). Von den übrigen
haben die einen eine, die anderen zwei, die übrigen drei Figuren
nämlich entweder den Hiob allein oder mit einem Freunde oder
endlich mit deren zwei. Die letzteren enthalten eine Illustration
zu Vers 32 und 33 des 15. Kapitels: »Er wird ein Ende nehmen,
wenn es ihm uneben ist und sein Zweig wird nicht grünen. Er
wird abgerissen werden wie eine unzeitige Traube vom Weinstock
1) Siehe meinen Aufsatz über .Einige mittelalterliche Glasgemmen*.
[Wartburg, Organ des Münchner Alterthums Vereines, 1884, Nr. 1 — 4].
2) Siehe meinen eben citirten Aufsatz.
— i86 —
und wie einOelbaum seine Blüthe abwirft«. Von dieser Darstel-
lung sind die ein- und zweifigurigen Gemmen nur Abbreviaturen.
Die Technik ist eine rohe, welche nur unvollkommene Ritzinstru-
mente zur Verfügung hatte, das Rad aber nicht mehr kannte.
Dagegen mag in der karolingischen Epoche, welche über-
haupt eine Art Renaissance der antiken Cultur und Künste be-
deutet, die Glyptik in Stein und Glas mittels des Rades nicht
ganz brach gelegen haben. Vielleicht haben zu ihrem Aufleben die
um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Folge des Bilderstreites aus
Constantinopel nach Italien und überhaupt nach dem Abendlande
entflohenen Künstler Einiges beigetragen. In der That existiren
aus jener Zeit mehrere Denkmäler, welche abendländischen Ur-
sprungs zu sein scheinen. So befindet sich in dem prachtvollen
Altarkreuze im Schatze zu Aachen, welches den Namen Lothar-
kreuz fuhrt, die in Krystall geschnittene Gemme des Siegelringes
Kaiser Lothar's I. (841 — 855) mit der Büste des Kaisers und der
Umschrift + XPE ADIVVA HLOTARIVM REG +i). Die Sti-
lisirung der Buchstaben passt vollständig für die Zeit des genannten
Herrschers. Die Gemme beweist demnach, dass um die Mitte des
9. Jahrhunderts die Glyptik in Krystall und somit auch jene in
Glas von sehr befähigter Künstlerhand mit grosser Geschicklichkeit
geübt wurde. Das britische Museum in London bewahrt femer
eine Schale aus Bergkrystall, welche laut Inschrift auf Befehl
Lothar's, Königs der Franken, hergestellt worden ist. Darauf ist
die Geschichte der keuschen Susanna, erklärt durch lateinische
Inschriften, eingeschnitten 2). Wir haben somit ein zweites, aus der
Hand eines abendländischen Künstlers hervorgegangenes Beispiel,
welches die Uebung der Skulptur in harten Steinen im 9. Jahr-
hundert beweist.
Gleich darauf aber scheint jede Spur der Stein- und Glas-
schneidekunst in Italien sowohl wie in den nördlichen Ländern
verloren gegangen zu sein. Zwar im 10. Jahrhundert spricht der
') Dr. Fr. Bock, Ueber die Bergkrystall-Skulpturen des Mittelalters.
[Mittheilungen des k. k. Österreich. Mus. für Kunst und Industrie, Bd. I, S. 118].
-) Erwähnt von Barbet de Jouy, Les gerames et joyaux de la cou-
j-onne au Muse? du Louvre. Paris, Techener, jjnie Ijyraison, PI. IV.
- i87 -
sogenannte Heraclius, wie es scheint, ein Italiener von Nation, von
den in Rede stehenden Techniken mit spezieller Beziehung auf
das Glas. Aber die eine Stelle, in welcher er, Worte des römischen
Polyhistors Plinius übersetzend, sagt*), > das Glas werde theils ge-
blasen, theils am Drehrade geschliffen, theils nach Art des
Silbers ciselirtc, wiederholt nur eine Thatsache, welche fiir das
Alterthum Geltung hatte, und die zweite, welche ausführlich von
der Skulptur des Glases handelt^), ist reiner Humbug. Hera-
clius räth nämlich den Glassculpteuren, fette Regenwürraer zu
suchen, sodann Essig zu nehmen und das warme Blut eines grossen
Bockes, der während einer kurzen Frist unter ein festes Dach
eingeschlossen und mit Epheu gefüttert wurde, mit diesen beiden
Flüssigkeiten die Regenwürmer zu begiessen und mit der erhal-
tenen Mischung sodsyin das Glas zu bestreichen, um demselben
auf diese Weise die zu grosse Sprödigkeit und Härte zu benehmen.
Mittels eines harten Steines, welcher Pyrit genannt werde, Hesse
sich das Glas hierauf leicht schneiden.
Dieses Recept ist, wie gesagt, so wenig ernst. zu nehmen,
dass daraus nicht einmal auf Uebung der Glassculptur in Italien
und somit wohl auch in den nördlichen Ländern im lo. Jahr-
hundert geschlossen werden kann. Freilich das brittische Museum
in London besitzt eine etwa aus dem Anfang des ii. Jahrhun-
derts stammende Tafel aus Bergkrystall , auf welcher die Haupt-
momente aus dem Leben und Leiden Christi in vielen Scenen
dargestellt sind. '^) Wenn dies wirklich eine abendländische Arbeit
wäre, dann stünde die Uebung der Glyptik in Stein und Glas im
lO. Jahrhundert fest; aber diese interessante Tafel steht so. ver-
einzelt da, dass man besser thut, sie für ein orientalisches Werk
zu halten. Das Gleiche gilt sicher von der Kry stallschale des
Kaisers Heinrich II. (i002 — 1024) in der Reichen Kapelle in
München.
Im 1 2. Jahrhundert handelt von unserer Technik der deutsche
Mönch Theophilus. Er gibt beinahe dasselbe Verfahren an, wie
1) 1. c. lib. III. c. V (13. Jahrb.). 2) 1. c, Hb. I, c. IV. (10. Jahrb.),
^) Pr. Bock, a. a. O,, S. 119,
^ i88 —
Heraclius. >Wenn du den Krystall schneiden willst«, sagt er^),
)»nimm einen Bock von zwei oder drei Jahren, binde ihm die
Füsse, schneide ihm in der Herzgegend zwischen Brust und Bauch
eine Oeffnung und lege den Krystall hinein, so dass er in dem
Blute desselben liegt, bis er warm wird. Dann nimm ihn so-
gleich heraus und schneide darein, was du willst, solange jene
Wärme andauert*, wenn er zu erkalten und hart zu werden an-
fängt, lege ihn abermals in das Blut des Bockes und nachdem er
erwärmt ist, nimm ihn wieder heraus und schneide darein und so
fahre fort, bis du die Sculptur fertig hast. Zum Schlüsse erwärme
ihn, nimm ihn heraus und reibe ihn mit reinem wollenen Lappen,
auf dass du ihm mit demselben Blute den Glanz gibst.«
Das zum Schneiden nothwendige Werkzeug erwähnt Theo-
philus nicht und überhaupt ist sein ganzes Verfahren noch sinn-
loser als das von Heraclius angegebene. Wir sehen somit, dass
bei den Schriftstellern des lo. und 12. Jahrhunderts die Kenntniss
der Glas- und Steinglyptik vollständig verschwunden ist und daher
abendländische Werke aus dieser Zeit schwerlich existiren können.
Man hat gedacht, Theophilus schreibe im Vorworte zum I. Buche
die Beinsculptur und Gemmenschneiderei Italien zu. Allein
dies beruht auf einem Missverständniss; denn Theophilus sagt
nur, dass man aus seinem Buche lernen könne: >was nur immer
unter den verschiedenen Gefässen und unter den Gemmen und Stein-
sculpturen das hiedurch berühmte Italien durch Gold und Silber ver-
ziert. < ^) Theophilus meint damit ohne Zweifel das Fassender bezoge-
nen Gefösse und Sculpturen. Woher aber entlehnten die beiden Autoren
jene Märchen? Haben sie vielleicht durch die Erdichtung derselben
ihre Unkenntniss verbergen wollen? Oder banden die allein des
Besitzes unserer Technik sich erfreuenden Künstler den Schrift-
stellern derartige Bären auf? Oder waren es die byzantinischen
Künstler, welche die Abendländer auf diese Weise utzten? Dass
') 1. c. üb. III, c. XCIV: De poliendis gemmis.
2) ,Quicquid in vasorum diversitate, seu gemmarum, ossiumve sculptura
auro et argento inclyta Italic deqorat.*
— 1 89 —
es den beiden Schriftstellern um ihre Sache ernst war, zeigt die
Ausführlichkeit, mit der sie von derselben berichten. Eher könnte
man sich der Meinung zuneigen, dass eine geringe Zahl von Stein-
schneidern im Abendlande absichtlich Fabeln über die Herstellung
ihrer Werke verbreiteten, einerseits um diese im Werthe zu lieben,
andererseits um die Technik nicht allgemein zu machen. Allein
auch hiefür fehlt jeder Anhaltspunkt. Noch weniger können die
Byzantiner als Verbreiter dieser Märchen angesehen werden; denn
wenn auch unsere Techniken in Constantinopel mindestens bis
zum Bilderstreite fortgeblüht haben mögen, so war der Einfluss
der byzantinischen Künstler auf die deutschen und überhaupt die
abendländischen durchaus nicht von so durchgreifender Bedeutung,
wie manche zu glauben scheinen, weder in technischer noch in
künstlerischer Beziehung. Vor Allem gilt dies in den verschiede-
nen Branchen der Glasindustrie, in welcher sie, abgesehen von
der Herstellung der Glasmosaikwürfel, nichts Nennenswerthes ge-
leistet haben. Nirgends ist in den Inventaren des Mittelalters
von byzantinischen Gläsern die Rede. Labarte ^) führt eine Stelle
aus Constantinus Porphyrogennetus *) an, in welcher bei der Auf-
zählung der Geschenke, die Kaiser Romanus Lecapenus an Hugo,
König von Italien i. J. 926 schickte, auch Gefässe aus Glas-
neben Onyxschalen erwähnt werden, und Clavijo sagt in der Er-
zählung von seiner Gesandtschaft an Timur Bey (1403— 1406),
dass in der Kirche des hl. Johannes des Täufers zu Constantinopel
viele Glaslampen hingen. Das ist Alles, was zu Gunsten der
byzantinischen Hohlglasfabrikation angeführt werden kann. Aber
es bleibt eine offene Frage, ob namentlich unter diesen Glas-
lampen wirklich byzantinische Arbeiten vermuthet werden dürfen,
ob dieselben nicht vielmehr als aus dem Oriente bezogen be-
trachtet werden müssen. Hiefür spricht wenigstens der Vorrath
der Denkmäler; denn unter diesen findet sich nicht ein einziges,
welches mit einiger Wahrscheinlichkeit auf byzantinischen Ursprung
zurückgeführt werden könnte. Nesbytt hat dies zwar an fünf
geschliffenen Gläsern im Schatze von S. Marco in Venedig ver-
^) 1. c, p. 368. '^) De ceremon. aulae Byzant., p. 661.
— igo —
sucht; allein es ist ihm nicht gelungen; die betreffenden Gläser
sind zweifellos orientalischer Herkunft. Dies beweist mehr als
alles Andere die Masse des Glases. Wie nämlich an allen Gläsern
von zweifellos orientalischer Fabrikation die Farben zwar schön,
die Masse aber schlecht geläutert und von unzähligen Bläschen
durchsetzt ist, so an den fünf geschnittenen grünlichen Gläsern
im Schatze von S. Marco. Die orientalische Herkunft dieser
Gläser beweist auch die sehr dicke Wandung, welche die nach
Ueberzierlichem strebenden Byzantiner niemals gemacht haben
würden. Endlich weist die Art und Weise der Sculptur un-
zweifelhaft auf den Orient, wie wir sehen werden. Die Byzan-
tiner also konnten den Abendländern nicht geben, was sie selbst
nicht hatten. Aber man wird mir die verschiedenen Stellen des
Theophilus entgegenhalten, in welchen dieser von griechischer
Glasfabrikation spricht. Ich habe schon bei den emaillirten Glä-
sern gezeigt, dass Theophilus, wenn er sah oder hörte, dass grie-
chische Handelsleute diese und jene Gläser nach dem Abendlande
brachten, leicht glauben konnte, die Griechen seien auch die
Fabrikanten, während diese doch die betreffenden Waaren aus dem
Oriente bezogen. Andererseits liegt durchaus kein Grund vor,
unter den Griechen des Theophilus mir nichts dir nichts die
Glasmacher von Constantinopel und Thessalonich zu verstehen;
denn auch in Alexandrien und in den Hütten Phöniziens hat sich
mit der Glasfabrikation ohne Zweifel auch die griechische Arbeiter-
schaft erhalten und vielleicht hat auch der Bilderstreit die wenigen
Hohlglaskünstler Constantinopels nach Alexandrien getrieben. Wie
dem auch sei, soviel ist gewiss, dass Constantinopel in einer Ge-
schichte der Hohlglasindustrie nur sehr wenig, nach dem Bilder-
streite gar nicht mehr in Betracht kommt.
Wir müssen daher der Herkunft obiger Märchen, die sich
allerdings bis auf Plinius zurückverfolgen lassen^), nach einer
anderen Seite hin auf die Spur 2u kommen suchen. Unter den
verschiedenen erhaltenen Gegenständen aus Bergkrystall und Glas
befindet sich eine Anzahl mit kufischen Lettern, wie wir deren
Heraclius, 1. c. Hb. I, c. VI. — Plinius, Proem. XXXVH, 4.
— 191 "
bereits auch auf mehreren emaillirten Gläsern haben kennen
lernen. So ist die Kanzel des Domes zu Aachen mit einer der-
artigen Schale und Untertasse geschmückt*); so bewahrt der
Schatz von S. Marco in Venedig, das South Kensington Museum
in London und andere Sammlungen verschiedene Gegenstände
dieser Art. Sie sind alle sculptirt und zwar mit denselben Deco-
rationsmotiven wie die Teppiche und Stoffe sarazenischen und
orientalischen Ursprungs, welche auf die abendländische Kunst
einen so grossen und nachhaltigen Einfluss ausgeübt haben; sie
tragen denselben Stilcharacter wie die bereits geschilderten Gläser
mit Emailmalerei, als deren Ausgangspunkt wir Alexandrien er-
kannt haben.
Ich komme also zu folgendem Schlüsse: Seit dem Ende des
9. Jahrhunderts ist es wahrscheinlich, dass im Abendlande die
Glyptik in Stein und Glas nicht mehr fortgeübt wurde; seitdem
trifft man im Abendlande hin und wieder geschnittene Krystall-
und Glasgefässe mit kufischen Inschriften: was ist natürlicher als
die Annahme, dass man von da an den Bedarf an diesen Dingen
aus dem Oriente, von den Sarazenen bezogen habe? Diese An-
nahme wird durch eine kleine Notiz aus dem 13. Jahrhundert
zur evidenten Thatsache erhoben.
Ich habe vorhin der Herkunft der von Theophilus und
Heraclius in Betreff unserer Techniken vorgebrachten Märchen
auf die Spur zu kommen gesucht. Nun habe ich diese Spur in
einer Stelle des Heraclius glücklich gefunden. Dieser Auior
schreibt nämlich im III. Buche Folgendes^): »Die Sarazenen
brennen die Euter der Ziege heftig mit der scharfen Brennessel
und streichen sie mit den Händen, damit die Milch in sie ein-
schiesse. Darauf wird die Milch in ein Gefäss gemolken und
das Glas sammt dem Eisen, womit dasselbe geschnitten werden
soll, eine Nacht darein gelegt. [In dieser Milch wird das Eisen
gehärtet, aber auch im Harn eines kleinen rothhaarigen Mädchens,
*) Abgeb. bei Dr. Bock, Karl's des Grossen Pfalzkapelle und ihre
Schätze.
2) c. DC: Qaomodo inciditur vitnim et alii lapides.
— 192 —
den man vor Sonnenuntergang gewonnen hat.] Die Milch aber
soll, wenn nöthig, auf denselben Wärmegrad gebracht werden,
den sie beim Melken hatte, und darin ist das Glas stets warm
zu machen [bis es weich ist] und so sich schneiden lässt. Und
so auch die übrigen Steine. [Die Ziege muss aber mit Epheu
gefüttert werden.«]
Wir haben also die Quelle, aus welcher die albernen und
doch äusserst spitzfindig erdachten, auf den Angaben des Flinius
weiterbauenden Märchen betreffs der Stein- und Glasglyptik im
Mittelalter geflossen sind. Es waren die Sarazenen, worunter
nicht etwa bloss die in Unteritalien und Sicilien, sondern dem
damaligen Sprachgebrauche gemäss überhaupt alle Moslims von
den Säulen des Hercules bis nach Indien gemeint sind, es waren
die Sarazenen, welche den nördlichen Völkern derartige Bären
aufbanden. Sie suchten dadurch zweierlei zu erreichen: einmal
sollten die übrigen Völker weit ab von dem eigentlichen Processe
unserer Techniken geführt werden, und zweitens sollten die sculp-
tirten Steine und Gläser einen um so höheren Werth bekommen.
Es liegt System in den Erdichtungen, welche die Sarazenen unter
das Volk brachten. Sie erfanden Recepte, welche den Leuten
von damals nicht ganz unmöglich erschienen, deren Ausführung
aber entweder so kostspielig oder mit so vielen Schwierigkeiten
verbunden war, dass man sie. lieber bleiben Hess. Wer hätte
denn die Mittel besessen, um so viel Böcke abschlachten zu kön-
nen, als ein einziger Stein, ein einziges Glas, um immer wieder
erwärmt werden zu können, erfordert hätte? Wer hätte den Epheu
aufgebracht, um alle diese Böcke zu nähren? Derartige Recepte
schlössen von vornherein den Versuch aus. Andere sollten die
Leute ordentlich auf den Leim führen, so z. B. wenn vorge-
schrieben wurde, das Euter einer Ziege mit Brennesseln einzu-
reiben. Gewiss eine solche Ziege wäre dem Krepiren nahe ge-
kommen und der Betreffende würde von weiteren Versuchen
abgestanden sein. Auf diese Weise also suchten die Sarazenen
die Techniken geheim zu halten, und dass sie dies thaten, ist
ein Beweis, dass sie seit dem 10. Jahrhundert allein in deren
Besitze waren.
— 193 —
Der Mittelpunkt der damaligen Hohlglasfabrikation war
anfangs Alexandrien, später Damaskus, wie Constantinopel jener
der Glasmosaikwürfel. In Alexandrien und später in den Hütten
von Damascus entstand, wie wir gehört haben, eine grosse Anzahl
herrlich emaillirter Glasgefässc. Nach Alexandrien und überhaupt
nach den sarazenischen Glasfabriken, vielleicht auch nach den
altberühmten Schleifereien Alabanda's^), weisen uns auch die ge-
schnittenen Gläser, Krystalle und Steine. Aus diesen Gegenden
stammen auch die fünf oben angeführten Gläser im Schatze von
S. Marco in Venedig. An dem einen derselben ist mit dem
Schleifrade die Oberfläche so entfernt worden, dass nur kleine
wegstehende Zapfen davon zurückgeblieben sind. Im Besitze des
Dr. Bock befindet sich eine Art Drachenkopf aus Bergkrystall.
An diesem ist die weit herausgereckte Zunge ebenfalls in der
Weise bearbeitet, dass von ihr kleine Zäpfchen wegstehen. Dieser
Drachenkopf nun ist unzweifelhaft eine sarazenische, ich meine
nicht unteritalische, sondern morgenländische Arbeit aus dem lo.
bis 12. Jahrhundert. Man sieht daran auf der oberen Seite ein
Thiermotiv, genau wie auf den sarazenischen Geweben jener Zeit:
es sind zwei mit den Schnäbeln an einander stossende Vögel
und da, wo deren Flügel aufhören, zwei sich zugewendete Löwen-
köpfe. Auf der unteren Seite des Kopfes sieht man ein Orna-
ment aus Ranken. Das Ganze ist von derber, aber sicherer Aus-
führung und von effectvoller Wirkung. Das in Rede stehende
Glas im Schatze von S. Marco ist daher gleichfalls eine saraze-
nische Arbeit. Wie an diesem die Zapfen, so sind an einem
zweiten auf dieselbe Art emporstehende Kreise hergestellt worden.
Ein drittes Glas zeigt die rohe Gestalt eines liegenden Leoparden,
von dem die Umrisse und die Flecken emporstehen, ebenso wie
an dem Krystalle des Herrn Dr. Bock die Umrisse und Augen
der Thiere. Es besteht kein Zweifel, sie sind insgesammt sara-
zenische Arbeiten aus der Zeit vom lo. bis 12. Jahrhundert. Aus
einer ähnlichen Zeit stammt auch ein blaugrünes Glas im Schatze
von S. Marco in Venedig. Dasselbe ist funfseitig, hat auf jeder
I) Plinius, Nat. Hist., XXXVH, 92.
13
— 194 —
Seite die sculptirte Gestalt eines Hasen und auf dem Boden vier
arabische Zeichen, welche nach Montfaugon *) »Gott dem Er-
schaffer« bedeuten. Die Fassung besteht aus mit Zellenemail ge-
schmücktem Filigran. Eine alte Tradition behauptet, dass dieses
Glas im Jahre 1470 als Geschenk eines persischen Königs nach
Venedig gekommen. Diese Tradition mag wohl recht haben,
wenn auch die Glasfassung viel älter und nicht persisch ist; denn
der betreffende König oder vielmehr einer seiner Ahnen kann
das Glas von einem sarazenischen Fürsten erhalten haben. Im
Uebrigen mag diese% Beispiel genügen, die letzten Zweifel zu be-
seitigen, dass alle derartig geschnittenen Gläser und Krystalle
sarazenischen Ursprungs sind.
Nun nochmals eine Bemerkung über die seit Labarte in der
Geschichte aller Zweige des Kunstgewerbes übermässig grassirende
byzantinische Frage. Wären die Byzantiner in der That bis zum
Ende des 14. Jahrhunderts die alleinigen Hersteller von Luxus-
gläsern gewesen, wie Labarte behauptet 2), dann würden sich die
betreffenden Techniken in Constantinopel sicher bis zur Erobe-
rung der Stadt durch die Türken im Jahre 1453 erhalten haben.
Da ferner die Moslims sowohl in Alexandrien wie in Phönizien
die altberühmten Glasindustrien nicht nur nicht vernichtet, Son-
dern sorgfältigst gefördert und einer neuen Entwicklung entge-
gengeführt haben , so hätten sie das Gleiche ohne Zweifel auch
in Constantinopel gethan, wenn sie dort eine Hohlglasindustrie
von irgend welcher Bedeutung angetroffen hätten. Aber es ist
von einer solchen auch nach 145 3 nichts bekannt geworden.
Nach alle dem haben wir uns den Stand der Hohlglasindustrie
während des Mittelalters also vorzustellen: In dem von Con-
stantin zur Hauptstadt des östlichen Reiches erhobenen Constan-
tinopel scheint anfangs auch die Hohlglasindustrie gepflegt wor-
den zu sein. Durch den Bilderstreit aber ist dieselbe aller Wahr-
scheinlichkeit nach vollständig vernichtet worden, indem die Glas-
schneider und Emailleure auswanderten und vielleicht in den be-
J) Diarium Italicum, angefahrt von Nesbytt, 1. c. p. XXVIII.
2) 1. c. p. 377.
— 195 —
rühmten Hütten Alexandriens eine Unterkunft fanden; denn ale-
xandrinischen und überhaupt sarazenischen Ursprungs sind alle
emaillirten und geschnittenen Gläser, welche vom lO. bis 15. Jahr-
hundert nach dem Abendlande kamen. Die betreffenden griechi-
schen und sarazenischen Künstler suchten sich die Geheimnisse
ihrer Techniken dadurch zu bewahren, dass sie über dieselben
allerlei Märchen unter die Leute brachten. Allein dies scheint
ihnen über das 13. Jahrhundert hinaus nicht lange gelungen zu
sein , sondern die seitdem mit dem ganzen Oriente in Handels-
verbindungen stehenden Venetianer haben nicht bloss orientalische
Gläser nach dem Abendlande verhandelt, sondern auch die zu
ihrer Herstellung nöthigen Techniken heimgebracht und selbst
auszuüben gelernt. Die vier aus dem 14. Jahrhundert stammen-
den sog. Hedwigsbecher mögen als Beweis dienen. Es sind
das äusserst interessante, auf metallenen Füssen befestigte Becher
aus Glas , welche mittels des Rades sculpirt worden sind. Man
sieht darauf einzelne Flächen schräg nach innen geschliffen, so
dass die streng stilisirten Gestalten von Löwen, Greifen und Adlern
von der ursprünglichen Oberfläche stehen geblieben sind. Eine
Art von Modellirung zeigen einzelne eingeschnittene Strichgrup-
pen an. Bis auf diese letzteren ist die Behandlung genauestens
den oben besprochenen sarazenischen Arbeiten gleich, so dass sie
ganz gut aus dem Oriente stammen könnten. Wenn dies gleich-
wohl nicht zugegeben werden kann, so sind hiefür, wie sich zei-
gen wird, andere Gründe massgebend. Die allgemeine Annahme
bezeichnete, fussend auf einer alten Tradition, diese Becher bis-
her als einstiges Besitzthum der hl. Hedwig (f 1243)*, man nannte
sie daher gewöhnlich schlechtweg Hedwigsbecher; aber mit
Unrecht, wie sich zeigen wird. Sie sind durch Alter und Technik
so hoch interessant, dass sie in der That eine ausführliche Be-
sprechung verdienen *)»
Wie gesagt, kennt man bis jetzt vier solche Hedwigsbecher.
Zwei davon befinden sich im Museum zu Breslau. Von diesen
') Vgl. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ des Germa-
manischen Nationalmuseums 1877, S. 227 ff.
13*
- 196 -
ist der eioe von gchwereni, gelblichem, blasen reichem Glase, etwa
7" hoch und unten mit einem silbernen Rande versehen, der auT
den Schultern von drei Engeln aus demselben Metalle ruht. Diese
Fassung stammt aus der Zeit vom 14. bis 15. Jahrhundert. Die
Figuration an dem Glase selbst hat zwar zwischen zwei Löwen
einerseits ein steifes romanisches Blattomament , andrerseits ein
unten abgerundetes, schildartiges Viereck, darüber einen Stern in
einer querliegenden Mondsichel, ist aber trotzdem, wie sich zei-
gen wird , mit der Fassung gleichzeitig und nicht fiüher. Die-
ser Becher befand sich seil uralten Zeiten im Rathsarchive zu
Fig- 33-
Breslau und wird jetzt im Museum dortselbst aufbewahrt ■). — Der
zweite derartige Becher des eben genannten Museums befand sich
frilber im MatthiasstJfle-, ihn hat der Baumeister Bartholomäus
Mandel (1567 — 82) neu fassen lassen.
Ein dritter ähnlicher Becher wird im Domschatze zu Krakau
aufbewahrt. Darauf sieht man einen Adler mit ausgebreiteten
Flügeln und zwei sich ihm von beiden Seiten nähernde Löwen.
Er ist in einen silbernen Fuss gefasst, welcher nach Director Dr.
A. Essenwein seine Bestimmung als Messkelch zu dienen, anzeigt.
') Abgebildet und beschrieben von Fuchs, Romanische und gothische
StUproben ans Breslau und Trebniti, S. ii, 13 und Fig. 16.
— 197 —
Ueber die früheren Schicksale dieses Bechers weiss man nur, dass
ihn im Jahre 1641 Sigismund Porembski der Kirche der hl. Hedwig
zu Krakau weihte. Als diese gegen das Ende des vorigen Jahr-
hunderts aufgehoben wurde, kam er in den Domschatz ').
Den vierten Becher dieser Gattung erwarb i. J. 1877 das
Germanische Nationalmuseum in Nürnberg *). Derselbe hat eine
hohe gothische Fassung, aber nur aus vergoldetem Kupfer. Der
Becher selbst (Fig. 33) ist mit der Darstellung zweier Löwen und
eines Greifen geschmückt, welche einander folgen. Er hat eine
Höhe von 9,5 cm und einen oberen Durchmesser von 9,2 cm. Die
Glasmasse ist nach Director Dr. Essenwein etwas gelber als bei
den übrigen, sie spielt mehr ins Braune als ins Grüne und ist
etwas reiner. Es ist bereits oben gezeigt worden, dass man da-
mals gerade die verschiedenen Nuancen des Gelb im Abendlande
herzustellen verstand. Schon die zu Nordendorf und in anderen
Gräbern gefundenen Gläser haben zahlreiche Beispiele aus dieser
Masse an den Tag gefördert. Es darf indess hier nicht ver-
schwiegen werden, dass die Dicke der Wandung genau den sara-
zenischen Beispielen dieser Art entspricht, was aber darin seinen
Grund hat, dass eben sarazenische Vorbilder nachgebildet und
zwar zum Behufe des späteren Schleifens nachgebildet wurden.
Ein fünfter Hedwigsbecher ist nur aus einem Briefe des
Breslauer Bischofs, Erzherzogs Karl (1608 — 24) an den Herzog
von Brieg (1609 — 39) bekannt. Dieser Bischof holte sich näm-
lich in dem besagten Briefe vom 2. Februar 16 14 von dem Her-
zoge nachträglich Bewilligung ein, weil er ein angeblich aus dem
Besitze der hl. Hedwig stammendes Glas aus dessen Schloss Ohlau
habe mitgehen lassen. Eine weitere Stelle, in welcher von einem
sechsten sog. Hedwigsbecher die Rede ist, hat man zwar mehr-
fach angemerkt, aber niemals auf ihren Inhalt geachtet. Sie be-
findet sich in dem Inventar Karl's des Kühnen von Burgund
(1467 — 1477) u^d lautet: >ung voirre taille d'un esgle, d'un
') Abgeb. im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, a. a. O.
S. 228—230.
2) Abgeb. im A n z c i g e r , a. a. O. S. 23 1 —232 ; darnach unsere Figur 33.
— 198 —
griffon et d'une double couronne garay d'argent,< d. h. »ein mit
einem Adler, einem Greifen und einer doppelten Krone sculptir-
tes Glas in silberner Fassung < ^). Dass darin eines der in Rede
stehenden Gläser gemeint ist, braucht kaum eigens gesagt zu wer-
den. Und gerade diese Stelle ist es, welche uns über das Alter
der betreffenden Gläser und einige andere Fragen den lange ver-
missten Aufschluss gibt.
Bisher ist die Hedwigstradition nirgends angefochten worden.
Das Alter der Becher schien dieser Tradition keineswegs zu wi-
dersprechen. Ich selbst setzte dieselben früher mindestens bis in
die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück; denn^ damals, sagte
ich mir, war die Mode, die Thiergestalten, welche man auf den
aus Sicilien bezogenen Teppichen fortwährend vor Augen hatte,
auf alle möglichen Geräthe ebenso wie auf die Glieder der Ar-
chitektur zu übertragen, am stärksten. Allein die zwingende Be-
weiskraft der aus dem Inventar Karl's des Kühnen angeführten
Stelle hat mich eines Besseren belehrt. So altehrwürdig die Hed-
wigstradition auch sein mag, vor der Kritik kann sie ferner nicht
mehr bestehen. An dem Glase des Herzogs Karl des Kühnen
war nämlich ausser einem Adler und einem Greifen eine zwei-
fache Krone skulptirt und diese ist für die Zeitbestimmung mass-
gebend; denn die zweifache Krone hat erst Papst Bonifaz VIII.
(1294 — 1303) eingeführt 2). Folglich kann ein damit geschmück-
tes Glas nicht vor diesem Papste, resp. nicht vor 1298 entstan-
den sein. Die zweifache Krone trugen aber die Päpste nur bis
zu Urban V. (1362 — 1370), da dieser einen dritten Reifen hin-
zufügte und somit der Schöpfer der dreifachen Krone war ^).
Daraus geht hervor, dass das in Rede stehende Glas zwischen
1298 und c. 1370 entstanden sein muss.
^) Inventaire de Charles le T^m^raire, nis. des archives de Lille publik
par M. de Laborde, Les Ducs de Bourgogne, t. II, n. 2753. — Lab arte)
1. c. p. 375. —
2) Dr. Carl Haas, Geschichte der Päpste nach den Ergebnissen der
neuesten Forschungen. Tübingen 1860, G. Laupp'sche Buchhandlung, S. 417.
^) Dr. Carl Haas, a. a. O. S. 464.
— 199 —
Man hat behauptet, dass die sogenapnten Hedwigs-
becher nicht abendländischen, sondern arabischen oder sara-
zenischen Ursprungs seien. Dagegen hat schon Director Dr.
Essenwein eingewendet, dass diese Annahme wegen der über
den Löwen angebrachten Schilächen nicht wohl möglich sei. An
den orientalischen Gläsern und Krystallen dieser Art fehlen ferner
auch die kleinen Querstrichelchen, welche an den sogenannten
Hedwigsbechern als eine Art Schattirung eingeschnitten sind. Durch
die zweifache päpstliche Krone auf dem Glase Karl's des Kühnen
endlich ist die abendländische Herkunft unserer Gläser ein für
alle Male entschieden. Dagegen kann aber nicht geleugnet werden,
dass unsere Becher sich direct an orientalische Vorbilder anlehnten.
Wir haben oben bei den emaillirten Gläsern gesehen, dass
in dem Inventar des Herzogs von Anjou vom Jahre 1360 noch
Gläser >de Touvrage de Damas«, also solche, die aus Damaskus
stammten, aufgeführt werden. Dagegen figuriren in dem Inventar
Karl's V. von 1379 nur mehr Gläser >ä la fagon de Damas«.
In der Zeit, also zwischen 1360 und 1379 muss in Europa die
Nachahmung der orientalischen, speciell der damals am meisten
bewunderten Damascener Gläser aufgekommen sein. Diese Nach-
ahmungen beschränkten sich nicht auf die emaillirten Gefösse, sie
umfassten auch die geschnittenen Gläser, wie die in Rede steh-
enden Becher bezeugen. Ohne Zweifel waren es abermals die
Venetianer, welche diese Imitationen herstellten ; denn nur in Ve-
nedig war damals die Glasindustrie bereits so hoch entwickelt und
nur Venedig hatte so viele Beziehungen zum Oriente, dass es sich
die dort geübten Techniken aneignen konnte. Ja, ihre venetianische
Herkunft wird direct dadurch bewiesen, dass der Becher Karl's
des Kühnen nebst anderen Gläsern unter der allgemeinen Bezeich-
nung »gobeletz de cristal« aufgeführt wird; denn unter »verres
de cristal« verstand man im 15., 16. und noch im ersten Viertel
des 17. Jahrhunderts, wie sich im VI. Abschnitt zeigen wird, nur
in Venedig gemachte Krystallgläser.
Unsere Becher dürfen daher künftighin nicht mehr als Hed-
wigsbecher bezeichnet werden, sondern als ein Theil jener Gläser,
welche als »ouvres k la fagon de Damas« beschrieben werden;
— 200 —
sie bilden ein Gegenstück zu den oben erörterten »voirres paints
ä la fagon de Damas«. Da diese erst seit 1360 aufkamen, können
auch die sogenannten Hedwigsbecher nicht früher fallen; sie sind
insgesammt erst seit dem Beginne der sechziger Jahre des 14. Jahr-
hunderts entstanden. Eines der frühesten war ohne Zweifel jenes
im Besitze des Herzogs Karl des Kühnen; denn dieses muss noch
bevor Urban V. (1362 — 1370) die dreifache Krone einführte, ge-
macht worden sein. Aber auch nicht viel früher; denn Karl der
Kühne hatte das Glas jedenfalls als Familienerbstück von dem
Stifter seines Hauses, Philipp dem Kühnen, erhalten. Philipp der
Kühne, der jüngste Sohn des Königs Johann des Guten von Frank-
reich, ist aber von diesem erst im Jahre 1363 mit dem Herzog-
thum Burgund belehnt worden. Demnach wird das Glas Karl's
des Kühnen >ouvre ä la fa^on de Damas« aus den ersten sech-
ziger Jahren des 14. Jahrhunderts, aus den ersten Regierungsjahren
Philipp's des Kühnen,, bald nach 1 363 stammen und war vielleicht
ein Geschenk des damals regierenden Papstes, bevor er die drei-
fache Krone eingeführt hat. Die übrigen hieher gehörigen Gläser
müssen allgemein der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zuge-
schrieben werden; denn aus dieser Zeit stammen auch die noch
ursprünglichen Fassungen des einen Breslauer und des Krakauer
Glases, welche, wie jene des Glases Karl's des Kühnen, ebenfalls
aus Silber sind. Die hl. Hedwig konnte demnach kein derartiges
Glas besessen haben. Die Bezeichnung Hedwigsbecher muss daher
aufgegeben werden. Zum Schlüsse will ich noch bemerken, dass
unsere Gläser auch nach Heraclius nicht schon aus dem 13. Jahr-
hundert sein können ; denn damals schrieb dieser Autor die Glyptik
in Stein und Glas noch ausschliesslich den Sarazenen zu. Ich
glaube, die Frage über die sogenannten Hedwigsbecher hiemit end-
giltig gelöst und für sie die wahre Bezeichnung als Gläser »ouvres
ä la fagon de Damas« gefunden zu haben.
Die durch die Venetianer aus dem Oriente um 1360 geholte
Technik der Glyptik in Stein und Glas scheint sich von da an
rasch verbreitet zu haben; denn wir hören, dass unter den Künst-
lern, welche sich um 1390 am Hofe der Königin Elisabeth zu
Königgrätz in Böhmen niederliessen, eigens Glasschneider, ge-
— 201 —
nannt werden'). Jedenfalls waren dies Künstler, welche in ähn-
licher Weise arbeiteten, wie die Hersteller der Ȋ la fa^on de
Daraas« geschnittenen Gläser, also Glasschleiferei und Schneiderei
mit einander verbanden. In Nürnberg endlich erhielten bald nach
1373 die dortigen Tafelschneider und alle übrigen Steinschneider
eine Zunftordnung.
2. Die Glasschleiferei bis zum Ausgan ge des Mittelalters.
Auch der Glasschliff reicht bis tief in das Alterthum zurück.
Schon damals übte man auf Gläsern und Steinen den Facetten-
und Kugelschliff, wie ich demnächst in einer Geschichte der Glas-
raffinerie ausführlicher zeigen werde. Die Schleiftechnik scheint
auch im Abendlande während des Mittelalters niemals gänzlich
verloren gegangen zu sein. Sie war fortwährend ein Bedürfniss,
da man seit dem Falle des weströmischen Reiches niemals auf-
gehört hat, Schwertknöpfe, Gewandnadeln und andere Schmuck-
stücke mit tafelförmig geschliffenen oder mit durch Schliff gerun-
deten farbigen Gläsern und edlen Steinen zu zieren. Die Edel-
steine, die echten sowohl wie die künstlichen, waren seit den
Tagen des Alterthums die beliebtesten Schmuckgegenstände für
Kleider, Reliquiarien, Kreuze, Kronen, Kelche und sonstige Ge-
räthe, und dass die Kenntniss davon nicht verloren ging, dafür
sorgten von Zeit zu Zeit unterrichtete Schriftsteller. Schon am
Anfange des 7. Jahrhunderts hat Bischof Isidor von Sevilla (f 636)
in seinen »Origines et Etymologiae« die Edelsteine in Anlehnung
an Plinius eingehend besprochen. Im 11. Jahrhundert schrieben
über den gleichen Gegenstand Psellos und der Bischof Marbodus
und suchten ihren Zeitgenossen die geheimnissvollen Kräfte und
wunderbaren Eigenschaften der Edelsteine geläufig zu machen.
Sie erreichten in der That, was sie wollten^ denn seitdem er-
wachten alle die alten Fabeln über die Edelsteine wieder. So
sollte der Diamant im Stande sein, Dämonen, ein damals häufiges
Uebel, auszutreiben, der Amethyst sollte vor Trunkenheit bewahren,
der Hyacinth Schlaf bereiten und ausserdem Reichthum und Weis-
') Schebeck, a. a. O., S. 8.
— 202 —
heit gewähren u. s. w. Man fing an, viel über ihre Entstehung zu
fabeln und die seltsamsten und verkehrtesten Ansichten und Be-
schreibungen von ihnen zu verbreiten. Namentlich wurde ihnen
ein merkwürdiger Einfluss auf Gesundheit und Schönheit, auf
Reichthum und Glück zugeschrieben. So sollte der Rubin gegen
Pest und Gift, der Smaragd gegen Epilepsie und andere gegen
andere Leiden schützen. Das Smaragdpulver war eine beliebte
Medicin und es gab im Mittelalter eigene Exlelsteindoctoren wie
unsere Homöopathen. Blan trug die Edelsteine als Amulette und
brachte sie in Beziehung zu den Planeten, Sternbildern und Jah-
reszeiten und unterschied Gesundheits-, Monats- und Zodiakalsteine.
Auch die 12 Apostel wurden sinnbildlich durch Eldelsteine dar-
gestellt und in späterer Zeit erfand man aus den Anfangsbuch-
staben der E^el- und Halbedelsteine ein Alphabet, aus welchem
ganze Namen zusammengesetzt wurden^).
Diese Methode, welche im ii. Jahrhundert bereits begann,
musste die Techniken des Schleifens, Polirens und Durchbohrens
der Steine wesentlich fördern. In der That wurden dieselben schon
im 12. Jahrhundert ziemlich schwunghaft betrieben, und Theophi-
lus, welcher in Bezug auf die Glyptik in Stein und Glas nur Mär-
chen vorzubringen wusste, spricht über das Schleifen, Poliren und
Durchbohren als Fachmann, und, wie es scheint, aus eigener Er-
fahrung. >Der Krystall<, sagt er*), »wird auf folgende Art ge-
schliffen und polirt. Nimm die Mischung, welche Tenax heisst
und von welcher oben (lib. III. c. LVIII) die Rede war, nähere
sie dem Feuer, bis sie flüssig wird und befestige hicmit den Kry-
stall an ein langes Holz, das ihm an Dicke gleich ist. Wenn er
ausgekühlt ist, reibe ihn unter beständigem Zugiessen von Wasser
mit beiden Händen auf einem sandigen, harten Steine, bis er die
Form annimmt, welche Du ihm geben willst; dann ebenso auf
einem anderen Steine von gleicher Art, nur etwas feiner und glätter,
bis er ganz und gar eben ist. Nun nimm eine flache Bleitafel,
lege darauf feuchte Ziegelerde, welche Du mit Speichel auf einem
I) Karl Emil Kluge, Handbuch der Edelsteinkunde fiir Mineralogen,
Steinschneider und Juweliere. Leipzig, Brockhaus 1860.
2) üb. m, c. XCIV.
— 203 —
harten Steine anreiben musst, und polire damit den Krystall, bis
er Glanz annimmt. Zum Sclriusse aber bringe auf eine weder ge-
schwärzte noch geölte Bockshaut, welche auf ein Holz gespannt
und unten mit Nägeln befestigt ist, die feuchte Mischung der mit
Speichel angemachten Ziegelerde und reibe damit den Krystall,
bis er ganz leuchtend wird.<
Das sind Worte eines Fachmannes, der die primitive Tech-
nik seiner Zeit genauestens kannte. In ähnlicher Weise spricht
Theophilus von dem Durchbohren des Krystalles, was um so inter-
essanter ist, als sich so bearbeitete Knöpfe an Crucifixen etc. bis
auf unsere Zeit erhalten haben. »Wenn Du aber«, sagte er, >Knöpfe
aus Krystall machen willst, welche an Bischofsstäben oder Cande-
labem angebracht werden können, durchbohre sie auf folgende
Weise: Mache Dir zwei Hämmer von der Dicke des kleinen Fin-
gers und ungefähr eine Spanne lang, an beiden Enden sehr dünn
und gut gestählt. Wenn Du den Knopf geformt hast, mache in
einem Holze ein Loch, so dass derselbe bis zur Hälfte darin
liegen könne und befestige ihn mit Wachs in eben diesem Holze,
damit er haften bleibe; nimm hierauf den einen Hammer und
schlage damit leicht auf die Mitte des Knopfes immer auf die-
selbe Stelle, bis Du ein kleines Loch fertig hast und erweitere die
Oeffnung dadurch, dass Du in dieser Weise auf die Mitte fort-
schlägst und ringsherum sorgfältig ausbrichst. Wenn Du so fort-
während bis zum Mittelpunkt des Knopfes gelangt bist, wende
diesen um und verfahre auf der anderen Seite ebenso. Hast Du
ihn durchbohrt, so hämmere Dir ein Stück Kupfer von der Länge
eines Fusses und rund, und zwar so, dass es durch das Loch hin-
durchgethan werden kann; nimm rauhen, mit Wasser vermengten
Sand, thue ihn in das Loch und feile mit der Kupferstange. Wenn
Du aber das Loch ein wenig erweitert hast, dann hämmere Dir
eine andere dickere Kupferstange und feile damit auf ähnliche
Weise; und wenn es die Arbeit erfordert, nimm eine noch grös-
sere dritte Kupferstange. Hast Du die Oeffnung soweit gemacht,
als Du willst, dann zerpoche behutsam einen sandigen Stein, gib'
ihn in die Oeffnung und feile mit einer neuen Kupferstange, bis
sie glatt ist. Dann nimm eine ebenfalls runde Bleistange, gieb in
— 204 —
die Oeffnung den mit Speichel angeriebenen Ziegelstaub und po-
lire sie inwendig und den Knopf auswendig, wie oben gezeigt
wurde. Der ganz reine, völlig abgerundete und polirte Krystall
zieht, wenn man ihn mit Wasser oder Speichel beleuchtet und
dem klaren Sonnenlichte aussetzt, das Feuer sehr schnell an, so
dass der Glanz in ihm zittert, wenn eine Anlockung für das Licht,
welche man Tinktur nennt, untergelegt ist.«
Ferner verstand man den Krystall und die edlen Steine im
12. Jahrhundert zu zersägen. »Wenn du den Krystall«, sagt
unser Autor, > zersägen willst, dann schlage vier hölzerne Nägel
auf einem Schemel ein; so dass zwischen ihnen der Krystall fest
liege. Diese Nägel sollen so stehen, dass die zwei oberen und
die zwei unteren so nahe bei einander sind, dass die Säge zwischen
ihnen gerade hindurch gezogen werden und nach keiner Seite
entweichen kann. Hierauf setze die eiserne Säge an, streue
rauhen, mit Wasser vermengten Sand darauf und stelle zwei Leute
hin, welche die Säge ziehen und den mit Wasser angemachten
Sand ohne Unterlass darauf geben. Dies geschehe solange, bis
der Krystall in zwei Theile zersägt ist, welche du schleifen und
poliren sollst wie oben.c
>Auf dieselbe Weise wie der Krystall c, heisst es weiter,
> werden auch zersägt, geschliffen und polirt der Onyx, Beryll,
Smaragd, Jaspis, Chalcedon und die übrigen kostbaren Steine.
Man macht auch aus den Theilchen des Krystalles ein sehr feines
Pulver, welches, mit Wasser vermischt, auf ein ebenes Brett von
Lindenholz gelegt wird, und darauf schleift und polirt man die
Steine ebenfalls. Der Hyacinth, welcher härter ist, wird auf
folgende Art geschliffen. Es gibt einen Stein, welcher Schmirgel
heisst-, dieser wird zerkleinert, bis er dem Sande gleicht, und,
mit Wasser vermischt, auf eine ebene Kupfertafel gebracht;
der Hyacinth wird nun darüber hin geschliffen und erhält so
seine Gestalt. Die Flüssigkeit aber, welche abfliesst, fangt man
sorgfältig in einem reinen Becken auf itnd wenn sie die Nacht
über stand, wird am folgenden Tage das Wasser ganz abgegossen
und das Pulver getrocknet und hierauf, eingefeuchtet mit Speichel,
auf eine ebene Tafel von Lindenholz gebracht und damit der
— 205 —
Hyacinth polirtJ) Auf dieselbe Weise wie der Krystall werden
auch die gläsernen Steine geschliffen und polirt.<
Muss man sich nicht billig wundern über die Menge tech-
nischer Hilfsmittel, welche den Schleifern des 12. Jahrhunderts
zu Gebote standen? Wer mag diesen klaren und fachmännischen
Worten gegenüber noch behaupten, dass die geschliffenen Steine
schon vollendet aus dem Oriente bezogen wurden? Von dem
Zersägen des Krystalles spricht übrigens bereits im 10. Jahrhun-
dert der sog. Heraclius als von einer Technik, die zu seiner
Zeit in Italien geübt wurde*); aber er mengt in sein Recept
Wahres und Falsches, so dass davon Abstand genommen werden
kann. Heraclius beschreibt auch das Poliren der Edelsteine 3);
er schreibt vor, den Stein mit etwas Wasser über ein Stück Mar-
mor mit leichter Handführung hinzureiben, und behauptet, dass
auf diese Weise die härteren Steine einen schöneren Glanz be.
kommen. Doch ich komme zum Glase zurück. Die künstlichen
Steine aus Glas wurden nach Theophilus auf dieselbe Weise ge-
schliffen und polirt wie der Krystall. Dass man solche künst-
liche Steine in der That schon im 10. Jahrhundert herstellte,
lehrt uns Heraclius, welcher diese Steine aus altem, römischem
Glase zu machen vorschreibt.*)
Ueber die weitere Entwicklung dieser Techniken in Bezug
auf das Glas fehlen uns die Nachrichten; nur über den Fortbe-
stand der Steinschleiferei erhalten wir hie und da eine kurze
Notiz. So erfahren wir, dass sich im Jahre 1296 in Paris eine
Steinschleiferzunft bildete. Ungefähr ein Jahrhundert später, im
Jahre 1373, gab es in Nürnberg schon Diamantpolirer. Im Jahre
1434 lehrte Guttenberg dem Andreas Dritzehen in Strassburg
das Steinschleifen und im Jahre 1456 soll Ludwig van Berquen
aus Brügge die übrigens in Indien längst bekannte Kunst, den
Diamanten mit seinem eigenen Staube zu poliren, erfunden haben.
Im Jahre 1590 kam der Franzose Claudius de la Croix nach
') Von da bis zum Poliren des Diamanten mit seinem eigenen Staube
war nur mehr ein kleiner Schritt und man muss sich wundern, dass dieser nicht
schon im 12. Jahrhundert gemacht wurde.
2) lib. I, c. XU. 3) lib. I, c. X. 4) lib. I, c. XIV.
— 206 —
Nürnberg und führte dort namentlich den Schliff der Rosettenform
für Granaten ein. *)
Unter diesen Umständen ist es nicht anders zu erwarten,
als dass sich auch die Glasschleiferei in entsprechender Weise
entwickelte. Der erste Fortschritt in der Technik wurde noch im
13. Jahrhundert gemacht, wie uns eine merkwürdige Stelle des
diesem Jahrhundert angehörigen III. Buches des Heraclius lehrt. ^)
iNimmc, sagt unser Autor, iden Stein, der Emantes genannt
wird, und nicht allzu hart sei, auch nicht geädert, sondern über-
aus flach und hell, gehe damit zur Mühle [d. h. zum Schleif-
steine] des Schmiedes und ebne ihn, wie dir beliebt. Sobald
es dir genug zu sein scheint, ebne ihn noch leicht auf einem
Ziegel, dann noch einmal, auf dass er milder werde, mit dem
Wetzsteine; endlich auf der Bleiplatte, um ihn zu poliren. Femer
wieder auf Kuhleder, an der Seite, wo die Haare sassen, das
aber völlig glatt und rein sein muss; auf diesem glätte ihn noch
einmal besser. Hierauf poliere ihn von Neuem auf einem sehr
geglätteten Holze, welches Zitterpappel oder Pappel genannt
wird, aufs beste und vielmals. € Daraus geht hervor, dass man
bereits im 13. Jahrhundert eine Maschinerie gekannt und in der
Steinschleiferei, wenn auch nur zum rohen Vorschliff verwendet
hat, bei welcher die Schleifscheibe wie ein Mühlrad umgetrieben
wurde: es war der Vorrichtung der Schmiede zum Schleifen ihrer
Gegenstände ähnlich, also jedenfalls ein Schleifstein, welcher
durch Menschenhände oder Wasserkräfte umgetrieben wurde.
3. Die Schleiftechnik seit dem Mittelalter.
Die Keime zur Entwicklung der Schleiftechnik, welche im
12. und 13. Jahrhundert bereits vorhanden waren, starben in den
folgenden Jahrhunderten nicht ab, sondern entfalteten sich immer
schöner und reicher. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts
war es nicht mehr nöthig, den an einem Holzstabe festgemachten
1) Karl Emil Kluge, a. a. O., S. 82.
^ lib. m, c. XII: Quomodo politor lapis et dens animalis.
— 207 —
Stein über die Schleifplatten hin- und herzureiben, bis er die
gewünschte Gestalt annahm , sondern man konnte ihn damals
bereits auf von Menschenhänden oder von Wasser umgetriebenen
Schleifsteinen vollständig schleifen. Zurückverfolgen können wir
diesen Fortschritt bis zum Jahre 1454 und zwar in Idar und
Oberstein. Dort existirten seit dem genannten Jahre nachweislich
Achatschleifereien und. zwar wurden die Achate auf riesigen, vom
Wasser umgetriebenen Schleifsteinen geschliffen. Nach G. Lange*)
war diese Art und Weise des Schlei fens nur in den Gebirgs-
thälern des Hunsrucks heimisch und anderswo unbekannt, >wess-
halb die Schleifer ihr Geheimniss ängstlich hüteten und selbst die
Regierungen jener Gegenden zum Zwecke der Geheimhaltung
Verordnungen trafen«. Recht lange scheint ihnen -dies jedoch
nicht geglückt zu sein, wie wir gleich sehen werden.
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts haben wir urkundliche
Nachrichten, welche die hohe Blüthe der Schleiferei und zwar
speziell der Glasschleiferei, namentlich in Deutschland bezeugen.
Von grösstem Interesse ist in dieser Beziehung der schon mehr-
fach erwähnte Vertrag, welchen der bayrische Herzog Albrecht V.
(1550 — ^579) ^\^ ^^™ Glasmacher Bernhard Schwarz aus Ant-
werpen geschlossen hat. In diesem Vertrage wird nämlich er-
zählt, dass alljährlich von den Antwerpener Kaufleuten viel ge-
zogenes Glas aus Venedig bezogen und nach Schwäbisch-
Gmünd gesandt wurde. Daselbst, stellt Bernhard Schwarz dem
Herzoge vor, haben die von Gmünd Schleifmühlen aufge-
richtet, dort wird sämmtliche Waare geschliffen, geht so
nach Antwerpen zurück, um nach Indien verführt zu werden.
Ueber eben diesen Punkt berichtete der Stadtschultheiss
Kohn in Schwäbisch-Gmünd Herrn Dr. Stockbauer Folgendes:
»In hiesiger Stadt wurde schon im 16. Jahrhundert, wie historisch
nachweisbar ist (?), die Achat- und Glasschleiferei in ausgedehn-
tem Masse betrieben. Die Gmünder standen damals und bis auf
die neueste Zeit in lebhaftem Handelsverkehr mit den Städten
') Die Halbedelsteine aus der Familie der Quarze und die Geschichte
der Achatindustrie. R. Voigtländer, Kreuznach 1868, S. 48.
— 2o8 —
Livorno, Genua, Mailand und Venedig. Ohne Zweifel Hessen die
Venetianer in Gmünd auch hier (?) Gläser schleifen, um sie über
Antwerpen auf den Weltmarkt zu bringen. Eigentliche Urkunden
stehen mir hierüber keine zu Gebote, allein es ist das notorisch,
es beruht auf Tradition und man weiss es gar nicht anders.
Graündner Handlungshäuser hatten noch im vorigen Jahrhundert
in den Niederlanden Zweigniederlassungen.«
Da diese Tradition durch die Angaben des in Rede stehen-
den Vertrages vollauf bestätigt wird, mag sie immerhin einigen
Werth beanspruchen ; . ich werde daher nochmals darauf zurück-
kommen und wende mich daher wieder dem Vertrage zu. Aus
demselben ergibt sich, dass die Schleifereien und zwar speciell
die Glasschleifereien in Schwäbisch • Gmünd allen übrigen in
Deutschland, Italien und den Niederlanden, wenn dort überhaupt
welche bestanden, weit überlegen sein mussten; denn sonst wür-
den sich die Antwerpener Kaufherren ohne Zweifel die Kosten
der Hinsendung ihrer aus Venedig bezogenen Glaswaaren nach
Schwäbisch-Gmünd und des Rücktransportes nach Antwerpen er-
spart haben. Die dadurch entstandenen Mehrausgaben mussten
durch anderweitige Vortheile, durch bessere oder billigere Arbeit
wieder ausgeglichen werden. Die Schleifmühlen in Schwäbisch-
Gmünd standen demnach auf der Höhe der Zeit, sie hatten nach
damaligen Begriffen einen Weltruf. In Schwäbisch-Gmünd hatte
sich um die Mitte des i6. Jahrhunderts die Glasschleiferei bereits
zu einer bedeutenden Industrie entwickelt. Ihrer gedachte sich
auch Bernhard Schwarz zum Schleifen seines »Zogen Werkes« zu
bedienen, welches er in der bei Landshut zu errichtenden Glas-
hütte erzeugen würde; doch trug er sich auch mit dem Gedanken,
in Landshut selbst, also in unmittelbarer Nähe der geplanten
Glashütte, Schleifmühlen aufzurichten. Wie weit diese Projekte
realisirt wurden, ist nicht bekannt. Es wird auch nicht gesagt,
wie diese Schleifmühlen beschaffen >^aren, ob blos auf mit der
Hand gedrehten Scheiben geschliffen wurde oder ob dies auf von
Wasser umgetriebenen Schleifsteinen geschah. Der Ausdruck
> Schleifmühle« scheint auf das Letztere hinzuweisen.
— 209 —
Aus dem Berichte des Stadtschultheisses Kohn von Schwä-
bisch- Gmünd haben wir vorhin gehört, dass in der genannten
Stadt nicht bloss Glas, sondern auch Achate geschliffen wurden.
Diese Nachricht zwingt uns, die Schleifmühlen von Schwäbisch-
Gmünd in Zusammenhang mit jenen zu Idar und Oberstein zu
bringen; denn die Gmündner waren in diesem Falle wegen Be-
zugs der Rohsteine auf einen regen Verkehr mit dem Obersteiner
und Idar kreis angewiesen. Nichts erscheint daher natürlicher,
als dass von jener Gegend zugleich mit den Achatsteinen auch
die Einrichtung der Schleifmühlen, ja die ganze Industrie nach
Schwäbisch-Gmünd kam, sei es durch Arbeiter von dort oder durch
Gmündner Kaufleute. Die Gmündner Schleifmühlen hatten daher
jedenfalls die gleiche Einrichtung wie jene in Idar und Oberstein,
d. h. sie hatten grosse, vom Wasser umgetriebene Schleifsteine,
wie sie noch jetzt gebräuchlich sind.
Eine andere Frage ist nun die, welche Gläser um die Mitte
des i6. Jahrhunderts in Schwäbisch-Gmünd geschliffen wurden.
Hierauf gibt uns Bernhard Schwarz die Antwort. Aus seiner
Angabe nämlich, dass die geschliffene Waare nach Indien verführt
wurde, geht hervor, dass er mit -seinem > Zogen Werke Perlen,
künstliche Edelsteine, kurz die Conteriewaaren im Auge hatte.
Dies beweist auch der Ausdruck »Zogen oder gezogenes Werk«;
denn die Schmucksteine und dergleichen Dinge wurden aus
Stäbchen hergestellt, welche nach Biringuccio oft 30 Ellen lang
gezogen wurden.*) Die Schleiftnühlen in Schwäbisch-Gmünd be-
schäftigten sich demnach mit der Raffinerie der Conteriewaaren.
Den Schliff als Schmuck der Glasgefässe kannte man noch nicht.
Dagegen war damals die sog. Grossschleiferei in Idar und Ober-
stein und jedenfalls auch in Schwäbisch-Gmünd schon sehr hoch
entwickelt, wie man aus den ganz aus edlen Steinen geschnittenen
Gefässen, aus den Onyx- und Krystallgefässen jener Zeit, welche
mit grosser Virtuosität ausgehöhlt und geschliffen sind, ersehen kann.
Zur Decoration von Glasgefässen wurde der Schliff, nachdem
er in Venedig längst zum Schmucke der gläsernen Spiegelrahmen
^) Pirotechnia, lib. IT, angeführt von Nesbytt, 1. c, p. XLI.
14
— 2IO —
Verwendung gefunden hatte, erst gegen das Ende des 17. Jahr-
hunderts hm herbeigezogen. Damals fing man nämlich in Böh-
men an, runde und ovale Vertiefungen sog. Kugeln in die Ober-
fläche der Gläser einzuschleifen. Die betreffenden Arbeiter hiessen
und heissen noch heutzutage Kugler und ihre Technik Kugel-
schliff. ^) Daneben kannte man auch bereits den Facetten-
schliff; die mit seiner Herstellung beschäftigten Arbeiter wurden
Eckigreiber genannt. Ausserdem gab es am Ende des 17.
•
Jahrhunderts, wenigstens in Böhmen, schon eigene Polirer. In
allen diesen Techniken sind gegenwärtig grosse Fortschritte ge-
macht worden, welche ihre Höhe im sog. Brillantschliff erreicht
haben. Für gewöhnlich aber beschränkt sich der Schliff an Ge-
fassen auf kleine Correcturen der Glasmacherarbeit am Fusse, an
der Mündtmg, auf die Vorbereitung Hir den Schnitt u. s. w.,
und das ist gewiss nicht vom Uebel. Zum Schlüsse sei jedoch
bemerkt, dass häufig die Ausdrücke Glasschleiferei und Glas-
schneiderei für einander gebraucht werden.
4. Die Glasschneiderei seit dem Ausgang des
Mittelalters.
Was die Stein- und Glasschneiderei als einen besonderen,
von der Stein- und Glasschleiferei verschiedenen Zweig anbelangt,
so nimmt man gewöhnlich an, dass in dieser Beziehung die
byzantinischen Künstler, welche in Folge der Eroberung Constan-
tinopels durch die Türken im Jahre 1453 nach dem Abendlande
auswanderten, einen grossen Aufschwung und zwar zunächst in
Italien herbeiführten. Allein die Byzantiner haben, wie bereits
gezeigt worden ist, selbst wenn sie im Besitze der Technik waren,
hierin nichts Besonderes geleistet. Diese haben die Venetianer
vielmehr in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts vom Oriente
überkommen, und seitdem entwickelte sich dieselbe in Italien so
rasch, dass sie um 1 500 bereits die wunderbarsten Werke schaffen
konnte. Was speciell die Krystallschneiderei betrifft, so ist diese
1) Schebek, a. a. O., S. 64, 13$.
— 211 —
ohne Zweifel den Sarazenen abgesehen worden. Die Haupt-
ursache, warum sich dieselbe in Italien so rasch auf eine so hohe
Stufe hob, liegt namentlich darin, dass die Mode sich mit aller
Macht den Gelassen aus Bergkrystall zuwandte, um so in allen
Dingen das Alterthum zu imitiren. Wem es nur halbwegs die
Mittel erlaubten, der suchte sich in den Besitz geschnittener
Krystallgeschirre zu setzen. Wie weit man den Luxus in dieser
Beziehung trieb, das können wir heutzutage noch in den Schatz-
kammern der kunstsinnigen Fürsten jener Zeit in Wien, München,
Dresden, Hannover u. s. w. sehen. Diese Liebhaberei der Grossen
zog alsbald ttlchtige Künstler heran und förderte die Technik
durch die Aufgaben, die sie ihr stellte, von selbst. Nach ein-
ander traten in Italien und Deutschland Krystallschneider auf,
deren Namen zu grosser Berühmtheit gelangten. Unter ihnen
ist an erster Stelle Valerio Belli (1479 — 1546), gewöhnlich
Valerio Vicentino genannt, hervorzuheben.*) Zu seinen vor-
züglichsten Werken gehört eine Krystallkassette, welche er für Papst
Clemens VIII. gefertigt und auf deren einzelnen Tafeln er das
Leiden Christi mit bewunderungswürdigem Fleisse geschnitten
hatte. Clemens schenkte diese Kassette an Franz I. von Frank-
reich. Gegenwärtig befindet sich dieselbe in den Uffizien zu
Florenz.*) Ein berühmter Krystall- und Edelsteinschneider war
auch Johann Bernardi (f 1555), von seinem Geburtsorte Bo-
^ognese genannt; ferner Domenico de' Camei, Anichini,
Caraglio, Francia, Caradossa und viele andere hochbedeu-
tende Künstler, und seitdem blieben Rom, Florenz und Neapel
die hohen Schulen der Steinschneidekunst bis in die neueste Zeit.
Aber auch in Deutschland wurde seit dem Beginne des
16. Jahrhunderts die Steinschneidekunst geübt, besonders in Nürn-
berg. Bekannt sind Hans Neuburger (1458), Daniel Engel-
hard (f 1552), Lucas Kilian, der deutsche Pyrgoteles genannt.
1) Dr. G. K. Na gier, Neues allgemeines Künstlerlexikon.
-) Ueber das Krystallgefass dieses Künstlers in der Kunstkammer zu
Berlin siehe Kugler, Beschreibung der in der k. Kunstkammer zu Berlin vor-
handenen Kunstsammlung. Berlin 1838, Karl Hejrmann, S. 127 Anm.
14»
— 212 —
Georg Höfl^r (1572 — 1632), Erhard Dorsch (1649— 1712),
Johann Christoph Dorsch (1680 — 1732) und seine Tochter
Susanne Marie Dorsch (1701 — 1765), alle in Nürnberg; ferner
Philipp Christoph von Becker (167S — 1743) aus Coblenz,
Gottfried Kraft ans Danzig, Joh. Lorenz Natter aus Biberach
(1705 — 1765) und viele andere. Zur Hebung dieser Kunst in
Deutschland haben die Fürsten viel beigetragen, dadurch dass sie
tüchtige Künstler aus Italien kommen Hessen. So berief beispiels-
weise Kaiser Rudolph II. die Brüder Girolamo und Caspare
Miseroni von Mailand nach Prag und ernannte sie dort zu seinen
Hofedelsteinschneidern. Von dem ersteren soll unter Anderem
ein zwei Ellen hoher prächtiger Pokal aus Tiroler Bergkrystall in
Form einer Pyramide geschnitten worden sein. Auch mancher
der vorhin genannten Künstler mag in Krystall und Glas ge-
schnitten haben* von Johann Christoph Dorsch ist sogar be-
kannt, dass er sich mit Glasschleifen beschäftigt hat. ^ ) Es gab
aber seit dem Ende des 16. Jahrhunderts auch Künstler, welche
sich fast ausschliesslich der Glasschneiderei widmeten. An erster
Stelle ist hier Caspar Lehmann^) zu nennen. Ihm wird sogar
die Erfindung der Glas- und Krystallschneiderei zugeschrieben.
Ist nun dies auch unrichtig, so muss Lehmann doch die Technik
irgendwie verbessert oder ein neues Verfahren eingeführt haben,
da er von Kaiser Rudolph II., in dessen Dienst er zu Prag von
1590 — 1609 stand, zum >Cammer-Edelstein- und Glasschneider«
ernannt wurde und am 10. März 1609 ein Privileg für seine
Erfindung erhielt. In dem betreffenden Diplom heisst es unter
Anderem 3): >Und thun kund jedermänniglich , dass uns Unser
Cammer-Edelgestein- und Glasschneider, Caspar Lehmann, gehor-
samst zu erkennen geben, was massen er nun, von etlichen Jahren
1) Von dem Kupferstecher und Kunstverleger Martin Engelbrecht
in Nürnberg (f 1756) bildet J. C. Wessely, Das Ornament und die Kunst-
industrie in ihrer geschichtlichen Entwicklung auf dem Gebiete des Kunstdrucks.
Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung 1877— 1878. Bd. III, Blatt 221 den
Entwurf zu einem Essig- und Oelgefasse mit Facettenschliff ab.
2) Doppelmayr, a. a. O., S. 201. — Nagler, a. a. O., VII, S. 401.
3) Sandrart, Der Teutschen Academie zweiter Theil, III. Buch, S. 345.
— 213 —
hero, mit grosser Bemühung, fleissigem {Nachsinnen und nicht
geringem Unkosten, die Kunst und Arbeit des Glasschnei-
dens erfunden, und ins Werk gerichtet etc., und darum ihme
unserm Cammer-Edelstein- und Glasschneider Caspar Lehmann,
diese besondere Gnade gethan, und Freyheit gegeben; thun ihme
auch solche hiemit wissentlich, in Kraft dieses Briefes, also und
dergestalt, dass er obbemeldte seine neu-erfundene Kunst und
Arbeit allenthalben frey und ungehindert machen, üben und trei-
ben, und keiner, wer der auch seye, ihme solche Kunst und Arbeit,
ohne sein Bewilligen und Zugeben, nachmachen, treiben, feil
haben oder verkauffen solle noch möge. Und gebieten darauf
allen und jeden Churfürsten, Fürsten etc., und sonsten allen an-
dern unsern und des Reichs, auch unserer Königreiche erblichen
Fürstenthum und Lande Unterthanen und Getreuen, in was Wür-
den, Stand oder Wesen die seyen, ernstlich und festiglich mit
diesem Brief, und wollen, dass Sie mehrgedachten unsern Cammer-
Edelgestein- und Glasschneidern, Caspar Lehmann bey diesem
unserm Kayserl. Privilegio, festiglich handhaben, auch den oder
diejenigen, so sich in Ihren Landen, Oberkeiten und Gebieten,
demselben zuwider zu handeln unterstehen würden, auf des Er-
finders oder seines Gevollmächtigten Ansuchen und Begehren, zu
gebührender Strafe anhalten, und * sich keineswegs waigem , als
lieb einem jeden sei , unsere Kayserl. Majest. Ungnade und
Straffe, und dazu ein Poen, nämlich zwanzig Mark löhtiges Golds,
zu vermeiden etc.«
Worin diese Erfindung bestanden haben soll, ist nicht ge-
sagt. Dass Lehmann seit den Tagen des Alterthums der erste
gewesen sei, welcher sich wieder des Rades bediente, ist undenk-
bar, da dasselbe die Italiener längst zur Herstellung ihrer schwung-
vollen Ornamente auf Krystallge fassen anwandten und vor ihnen
schon die Sarazenen; ja das Rad zum Schneiden von Glas und
edlen Steinen war während des ganzen Mittelalters im Oriente be-
kannt. Der Umstand aber, dass Zacharias Beizer^), ein gleich-
tüchtiger Krystallschneider , welcher um 1590 mit Lehmann zu-
1) Vgl. Nagler, I, S. 399.
— 214 —
sammen in Frag arbeitete, gegen das Privilegium seines Kame-
raden nichts einzuwenden hatte, wenn er sonst noch am Leben
war, bezeugt, dass Lehmann in der That eine weittragende Er-
findung gemacht hatte. Sandrart gibt uns eine Andeutung, worin
diese bestanden hat, wenn er von den Rädern sagt, dass sie
früher zum Umdrehen Radzieher und Gehilfen erforderten. Da
diese Gehilfen und Radzieher bald hernach als selbständig ge-
wordene Glasschneider erscheinen, welche nach Sandrart das Ge-
schlecht der >Stimplerc begründeten, so ergibt sich, dass man
inzwischen die Glasschneidemaschine auf eine einfachere und be-
quemere Weise in Gang zu bringen gelernt hatte, so dass eben
Fig. 34.
jene Gehilfen entbehrlich waren. Dies war nur dadurch möglich,
dass das Schwungrad verkleinert und an die Stelle der Kurbel
zum Drehen eine einfache Vorrichtung angebracht wurde, welche
das Rad mittels Fusstritt in Umlauf zu setzen ermöglichte. Der
Erfinder dieser Fusstrittvorrichtung nun muss Lehmann gewesen
sein, da seit ihm die Gehilfen entbehrlich waren, da seine Gehil-
fen sich nach Sandrart selbständig gemacht haben und die Glas-
schneiderei auf eigene Faust, wenn auch nur als Stümper, be-
trieben. Lehmann mag zu dieser epochemachenden Neuerung
durch die Erfindung des Spinnrads, welche um 1530, also etwa
— 215 —
50 — 6o Jahre zuvor erfolgt war, geführt worden sein. Diese
Neuerung ist für so wichtig gehalten worden, dass man den Ur-
heber derselben schlechtweg als Erfinder der Stein- und Glas-
schneidekunst bezeichnete. Man möchte beinahe sagen mit Recht.
Denn erst jetzt war eine künstlerisch feine Durchführung der
gravirten Darstellungen ermöglicht. Die so vervollkommnete
Maschine (Fig. 34) ') hat sich seitdem nicht mehr wesentlich ge-
ändert; nur die Werkzeuge, Räder etc. sind von Lehmann's
Nachfolgern noch verbessert worden.
Was nun die Arbeiten Lehmann's und Belzer's in Glas und
Krystall anbelangt, so nennt Sandrart dieselben so vortrefflich
und kunstreich I dass sie »von allen Kunstverständigen höchlich
bewundert und gelobet werden, c £s existiren deren welche in
den Kunstkammem von Wien und München. Lehmann und Bei-
zer haben Prag zum Hauptort der Glasschneiderei gemacht. Sie
mussten für ihre Arbeiten ein schönes Krystallglas haben und so
wirkten sie auch auf die böhmischen Glashütten und spornten
dieselben an, sich die Erzeugung eines farblosen, dem Krystalle
möglichst ähnlichen Glases angelegen sein zu lassen. Dies ge-
lang auch in der Folge und dadurch wurde der böhmischen Glas-
industrie die glänzende Rolle vorbereitet, die sie im 18. Jahrhun-
dert spielen sollte. Die von Lehmann gemachte Erfindung hat
die Glasschneiderei unendlich vereinfacht-, die Technik wurde in
Folge dessen bald populär und es stand nicht lange an, so mach-
ten die geschnittenen Gläser den bemalten erfolgreich Concurrenz,
um sie schliesslich ganz zu verdrängen.
Lehmann hatte einen Schüler aus Nürnberg, Georg Schwan-
hardt'mit Namen (1601 — 1667) ^)- Dieser blieb bei seinem
Meister bis zu dessen Tode (1622); er erbte daher auch dessen
Nachlassenschaft und das ihm von Rudolph II. ertheilte Privileg,
welches die folgenden Kaiser >noch mehrers extendirt, und auf
>) Aus P. N. Sprengel's Handwerke und Künste in Tabellen, fortgesetzt
von O. L. Hartwig. 10. Sammlung. Berlin[^i773, Taf. V.
2) Doppelmayr, S. 231. — Lochner, a. a. O. S. 209. — Rett-
berg, a. a. O. S. 182. — Sandrart, a. a. O. S. 346.
— 2l6 —
seine, Schwanhardt's beede Söhne, Heinrich und Georgen conti-
nuirt< haben. Schwanhardt verdiente diese Berücksichtigung in
der That, da er die Technik des Glasschneidens verschiedentlich
verbessert und namentlich das helle und blanke Schneiden zu
grösserer Vollendung gebracht hatte. Gleichwohl, fiigt Sandrart
hinzu, »ist ihm und seinen Vorgängern, wegen der allzu starken
und rauhen Werkzeuge, deren sie sich gebraucht, die Lindigkeit
und Lieblichkeit zu exprimiren unmöglich gewesen, massen an den
vorhandenen grossen und schweren Instrumenten und Rädern
wozu sie Gehilfen und Radzieher, (von denen hernach das noch
grassirende Unkraut der Stimpler entsprossen), gebrauchen müssen ' ),
zu verwundern ist, dass sie noch so viel, als sie gethan, prästiren
können, c Zur Zeit Sandrart's (1675) war es in dieser Beziehung
bereits anders. Damals hatte man ausser der Maschinerie mit
Fussbetrieb auch schon bessere Werkzeuge, kleinere Räder u. s. w.;
denn Sandrart erzählt weiter, dass man durch üeissiges Nachden-
ken bequemere und schicklichere Instrumente erfunden habe, so
>dass das jetzige Glasschneiden gegen der ersten harten Arbeit,
als ein Lustspiel zu achten, auch alle Natur gemässe Lindigkeit
und Emollition, es sei in Bildern, Thieren, Gewächsen, Land-
schaften, Contrafäten und andern, da man nur Verstand und Fleiss
anwenden will, leichtlich herauszubringen ist.< Bei diesem Vor-
theil, meint Sandrart weiter, hätten die Glasschneider seiner Zeit
Besseres leisten können , wenn sie mehr auf Zeichnen und Aus-
wandern, als auf junges Verheirathen und nachher »in der Küchel
arbeiten« bedacht gewesen wären.
Nach dem Tode seines Meisters kehrte Schwanhardt nach
Nürnberg, wo bereits vor ihm ein gewisser Hans Wessler^)
die Glasschneiderei eingeführt hatte, zurück und betrieb seine
Kunst alldort mit vielem Eifer, indem er allerhand Embleme,
Landschaften, Blumen und groteske Dinge sehr nett auf die Glä-
ser schnitt. Dadurch gelangte er in hohen Ruf und erwarb sich
die Gunst vieler grosser Herren, namentlich des damaligen Kur-
') Das gilt nur von der ersteren Zeit ihrer Thätigkeit.
^) Lochner, a. a. O. S. 204.
— 217 —
fürsten von Mainz und Bischofs zu Wtirzburg Johann Philipp, so-
wie des Bischofs von Bamberg Melchior Otto. Im Jahre 1652
ging er auf den Wunsch Kaiser Ferdinand's III. auf einige Zeit
nach Prag, um allerhand Zeichnungen zu Gläsern, d. h. zu Gra-
virungen auf Gläsern zu machen , und im folgenden Jahre nach
Regensburg, wo er den Kaiser im Zeichnen auf Gläser mittels der
Diamantspitze unterrichtete. Aus Dankbarkeit erwies ihm der
Kaiser verschiedene hohe Ehren und ernannte ihn zu seinem Kunst-
factor. Er starb am 3. April 1667.
Von seinen Söhnen hat sich namentlich der ältere, Hein-
rich*), im Glasschneiden hervorgethan, ja seinen Vater noch weit
übertroffen, da er sich auf verschiedenen Academien im Zeichnen
eine grössere Fertigkeit angeeignet hatte. »Dieser Schwanhardt«,
sagt Sandrart, »hat allerhand Landschaften und ganze Städten,
unter anderm auch die Stadt Nürnberg auf Glass, ganz correct
an der Proportion, und erkenntlich, nach der Perspectiv hinein
weichend, gleich den gemahlten, zuwegen gebracht, und hierinn
alle, so vor ihm gewesen, weit überstiegen. < Ausserdem rühmt
Doppelmayr von ihm, dass er Schriften, besonders lateinische auf
italienische Manier mit schönem Zugwerk auf Glas zu schneiden
pflegte und hierin so Ausgezeichnetes leistete, dass er es den be-
sten Schreibkünstlern, die dergleichen mit der Feder auf dem
Papier darstellten, zuvorthat.
Nach dem Jahre 1680 erfand er durch einen Zufall die
Kunst, auf Glas zu ätzen. Es tropfte ihm nämlich einmal Scheide-
wasser auf seine Brille und da sah er zu seinem Erstaunen, dass
dieselbe dadurch ganz matt wurde. Er stellte nun Versuche an
und brachte die Glasätzerei bald zu grosser Vollkommenheit. Seit-
dem ätzte er Menschenbilder, theils nackt, theils bekleidet, und
allerlei Thiere, Blumen und Kräuter auf Glas und brachte es im
Erheben dieser Gebilde zu Reliefs sehr weit , so dass Sandrart
voll des höchsten Lobes ist. Er starb am 2. October 1693.
Sein Bruder, Georg Schwanhardt der jüngere, hat eben-
') Doppelmayr, S. 249. — Lochner, S. 210. — Rettberg,
S. 181. — Sandrart, S. 346.
falls bei seinem Vater das Glasschneiden gelernt und es hierin
zu einem tüchtigen Künstler gebracht; aber eine langwierige Glle-
derkrankheit hinderte ihn, sein Talent vollständig auszunUtEen.
Er sUrb am 4. Februar 1676 ').
Wie die Söhne des älteren Schwanhardt, so zeichneten sicli
auch dessen drei Töchter Sophia (t 1657), Susanna (f 1658)
und Maria (f 1658) im Glasschneiden aus; sie schnitten nament-
lich Blumen und Laubwerk äusserst zierlich auf die Gläser und
fanden damit vielen Beifall. Der Boden Nürnbergs scheint fttr die
Fig. 35-
Glasschneiderei ^überhaupt besonders günstig gewesen zu sein;
denn es gab dort , ausser den Schwanhardts , noch verschiedene
andere Künstler dieses Faches. So erwähnt Doppelmayr einen
sonst unbekannten Stephan Schmidt als Glasschneider zu Nürn-
berg. Bei ihm lernte Hermann Schwinger (1640 — 1683) '),
welcher indess seinen Meister übertraf, Er schnitt auf die Glä-
ser >mehrentheils schöne Landschaften mit einem angeneh-
. - Sandrart, S. 347
— 219 —
men Baumschlag und machte sich hiedurch bei vielen beliebt.
Von ihm befand sich ein Becher in der Sammlung Slade*). Da-
rauf ist auf einer Seite der traubenbekränzte, auf einem Fasse
sitzende Bacchus darstellt als Sinnbild des Herbstes, In seiner
Nähe befindet sich als Sinnbild des Sommers Ceres, welcher ein
Knabe Wein einschenkt. Auf der andern Seite tragen zwei Kna-
ben einen Becher und eine Traube. Die Inschriften lauten: »Der
Busse Trauben SaSt Freud und Ergötzung schafft« und »Hermann
Schwinger Cristallschneider zu Nürnberg. < Etwas später zeich-
nete sich in Nürnberg der Goldschmied Johann Heel {1637 —
1709)*) durch seine figuralen Reliefs auf Glasgetässen aus.
Nicht weniger angelegen liess man sich das Glasschneiden
am Wiener Hofe sein. Dort arbeitete unter Ferdinand III. ein
iUrstlich holsteinischer Glasschneider Paul Struden. Ihm Hess
der Kaiser einmal fiir geschnittene Flaschen 900 fl. ausfolgen »).
Im 18. Jahrhundert ging die Kunst der Glasschneiderei
keineswegs zurück; noch immer fanden sich tüchtige Künstler,
') Catalogue of the Colkction of Glass formed by Fei. Slade, p. 150,
No. 883. *) Doppelmayr, S. 262. ■>} Lobmeyt, ». a. O. S. 130.
— 220 —
welche sich in dieser Technik besonders auszeichneten. Bekannt
ist ein gewisser Recknagel, welcher in Glas so leicht stach wie
in Silber oder Kupfer; er arbeitete um 1710 in Berlin '). Eben-
dort schnitten einige Jahrzehnte später der aus Prag gebürtige
Gottfried Spiller und Schurich treffliche Landschaften, Blu-
men u. s. w. in Krystall und Glas ^). Der erstere scheint einen
Sohn Anton Spill er gehabt zu haben. Dieser kunstreiche
Glasschneider kam aus Böhmen nach Berlin und Hess sich dort
Fig. 37.
nieder. Er »wusste auf Krystallgläser die zierlichsten Landschaf-
ten, Bataillen, Historien, Blumen und dergleichen, flach und er-
haben zu schneiden, dass man nichts Schöneres sehen konnte.
Auch werden solche von ihm gefertigte Gläser noch immer in
') Dr. Fr. Trautmann, Kunst und Kunstgewerbe vom frühesten Mit-
telalter bis Ende des 18. Jahrhunderts. Nördlingen , Beck'sche Buchhandlung
i869.^|S. 113.
-) Traut mann, a. a. O. S. 113.
Berlin hochgehalten < •). Die nämliche Quelle erzählt, dass der
Vater des Kupferstechers und Zeichners Michael Key! in Nürn-
berg Krystall- und Glasschneider war*). Vielleicht ist dies jener
Johann Keyl, den wir bereits oben als Schüler oder Nachahmer
des Schaper haben kennen lernen, oder vielmehr der Sohn dieses
Johann Keyl, da der genannte Michael Keyl, der in diesem Falle
der £Qkel des Johann wäre, erst am 26. Febr. 1722 geboren wurde.
In Regensburg ätzte J. Martin Teuber um 1720 Figuren
in Krystall und auf Gefässe aus Achat '). Michael Vais in Des-
FLg. 38-
sau schnitt u. A. auch in Glas. Sein Schüler Aaron Wolf arbeitete
an verschiedenen Orten, namentlich im Toscanischen ; er schnitt
trefflich sowohl in feine Steine wie in Glas und Krystall *).
Weniger in künstlerischer als vielmehr in industrieller Be-
ziehung wurde die von Lehmann verbesserte Technik des Glas-
') Nachrichten von Künstlern un<i Kunstsachen, I^pzig, Jo-
hann Paul Kraiiss, Wien 1768. I, S. 84.
') Nachrichten von Künstlern and Knnstsachen, I, S. I30.
3) Trautmann, a. a. O. S. 113. ') Trautmann, a. a. O. S. 114.
Schneidens in Böhmen ausgebeutet. Einige rührige Männer eig-
neten sich die neue Erfindung rasch an , schliffen und gravirten
die Gläser und handehen mit denselben durch alle Länder Europas.
Da diese Technik noch neu war, fanden ihre Produkte überall
reissenden Absatz und der Ruf der böhmischen Glasindustrie war
in kurzer Zeit begründet. Von grossem Interesse ist tn dieser
Beziehung das Manuscript, welches Georg Franz Kreybtch
hinterlassen hat '). Dieser Kreybich wurde am 17. April 1662
zu Steinschönau in Böhmen geboren und widmete sich anfänglich
der Glasschneiderei, welche ja damals, wie wir gehört haben, auf
eine ziemlich hohe Stufe geführt worden war. Da er aber schon
im 20. Lebensjahre in das Wanderleben des Glashandels hinein-
^S- 39-
gezogen wurde, hat er es in jener Kunst gewiss nicht sonderlich
weit gebracht und Sandrart würde nicht angestanden haben, ihn
unter die >StimpIer< einzureihen, welche sich aus den Gehilfen
. Lehmanns , die zunächst nur das grosse Rad zu drehen hatten,
entwickelt haben. Aber Eines kann dem Kreybich nicht abge-
sprochen werden , dass er nämlich mit kaufmännischem Blicke
sofort begriff, wie sich die so unerwartet rasch entwickelte Glas-
schneiderei aus einer reinen Kunst zur Industrie machen und
wirthschaftlich ausnützen lasse. Er kaufte sich zu Hause einen
') Dr. Eduard Schebek, Böhmens Glasmdustrie ond Gkshandel. Quel-
len zu ihrer Geschichte. Prag 1878, Verlag der HajideU- und Gewerbekammer
S. XDC ff.
— 223 —
Karren voll Glas und trat im Jahre 1682 seine erste Geschäfts-
reise durch Bayern , das Salzburgische , Kärnthen , Krain nach
Laibach an , wo das mitgeführte Glas geschnitten und verkauft
wurde. Auf seiner Rückreise trat er als Glasschneider in Graz
bei einer Wittfrau auf ein halbes Jahr in Arbeit; in einer Glas-
hütte in Mähren blieb er fast anderthalb Jahre in Arbeit und
wurde dann zu Kreibitz, wo sich bereits 1669 eine Glasschneider-
zunft gebildet hatte, Meister. Immer sein Schneidzeug bei sich
führend, unternahm Kreybich im Ganzen 29 ausgedehnte Ge-
schäftsreisen, von denen er die ersten 15 in dem erwähnten
Manuscript beschrieben hat. Im Jahre 1688 kam er nach Lon-
don, konnte dort aber 6 Wochen lang kein Geschäft machen, da
die sechs Londoner Glashütten, welche wie wir gesehen haben, ihre
Entstehung niederländischen und italienischen Arbeitern verdank-
ten, besseres Glas erzeugten, als er bei sich hatte; allein da seine
Gläser geschliffen, geschnitten und bemalt waren, fanden dieselben
in der Folge reissenden Absatz. Der Schliff und Schnitt waren
es hauptsächlich, welche dem böhmischen Glase den Weltmarkt
erobern halfen; denn die geschliffenen Gläser, abgesehen von den
eigentlichen Kunstwerken dieser Art, waren damals noch neu und
selten. Noch im Jahre 1686 sagt Kreybich, dass es in Böhmen
noch keine Eckigreiber (Fa^onniers) und nur wenig Glasschneider
gab. Im Jahre 1719 aber waren die geschnittenen und geschlif-
fenen Gläser ein allerwärts gesuchter Modeartikel geworden , so
dass man sich bei den Glasschneidern, Kuglem und Polirern in
Winterberg förmlich um die Waare riss. Damals gab es bereits
hinlänglich viele Glasschneider. Abgesehen von der schon er-
wähnten Zunft zu Kreibitz, bestand seit 1683 auch eine Innung
der Herrschaft. Btirgsteiner Glasschneider; ihre Bildung hatte Jo-
hann Kaspar Kittel, welcher selbst Glasschneider war, zum
grossen Aerger seiner Vettern Samuel und Daniel Heltzel
erwirkt. Im Jahre 1694 bildete sich auch zu Steinschönau eine
mit Privilegien ausgerüstete Glasschneider-Innung. Kurz, die Glas-
schneidierei erblühte in kurzer Zeit zu einer bedeutenden Industrie.
Es gab zwar auch unter den böhmischen Glasschneidern wirkliche
Künstler, wie z. B. Franz Weidlich, Joseph Zappe, Joseph
— 224 —
Ziegler, Florian Wander, Wenzel Klemm, Christian Greu-
ner, Joseph Frietz u. s. w. *). Im Grossen und Ganzen aber
liegt seit Beginn des i8. Jahrhunderts der Schwerpunkt der böh-
mischen Glasschneiderei und Schleiferei nach der industriellen
Seite hin, obwohl die erstere fortwährend den Character eines
Kunstgewerbes beibehielt; nur gegen das Ende des i8. Jahrhun-
derts ging sie etwas zurück. Damals beschränkte sich die ganze
Glasschneiderei auf > Kränzchen, die mit kupfernen Rädchen mit-
tels des Schmirgel eingeschnitten wurden« 2). Gegenwärtig hat
sich die Glasschneiderei in Böhmen wieder erhoben, ja sie hat
sich dort geradezu zur höchsten Stufe der Vollendung aufge-
schwungen. Im vorigen Jahrhundert aber wurden die besseren
Glasschneiderarbeiten in Breslau, und namentlich in der von Pots-
dam nach Zechlin übergesiedelten Glashütte hergestellt, wie wir
schon oben aus Dr. Pococke gehört haben. Damals war die
Glasschneiderei bereits auch in den anderen Ländern, in den
Niederlanden, England, Frankreich und Italien eingebürgert. Spe-
ziell in Venedig zeichnete sich um 17 70 Giovantonio Caraffa
aus Brescia durch die grossen Gefässe in geschnittenem Glase
aus, welche er für den Dogenpalast machte.
Aeltere geschnittene Arbeiten besitzt jede grössere Sammlung.
Von jenen des Bayrischen Gewerbemuseums sind auf Tafel V
einige gelungene Beispiele zu sehen. Einen Prachtpokal der ge-
nannten Sammlung gibt die obige Tafel III wieder. Die De-
corationsmotive an denselben sind theils im Geschmacke Jean
Berain's, theils aus einem Werke entnommen, welches den Titel
führt: »Neues Groteschkenwerk, gestochen von L. Beger, Verlag
von J. C. Weigel in Leipzig«. Von den diesem Abschnitte im
Texte beigegebenen Abbildungen stellt Fig. 35 eine 12 cm hohe
Blumenschale aus dem 17. Jahrhundert und Fig. 36 und 37 die
dieser Blumenschale eingeschnittenen Verzierungen dar. Das Ori-
ginal davon befindet sich im Schlosse Favorite bei Baden-Baden.
Das nämliche Schloss bewahrt auch den 1 2 cm hohen , ebenfalls
') Vgl. Gottfried Joh. Dlabacz, Künstlerlexikon für Böhmen. Prag
iSi5> 3 Bde. ^) Schebek, a. a. O. S. 64.
Tafel V. Geschnittene Gläser.
~ 227 —
aus dem 17. Jahrhundert stammenden Becher mit Deckel, von
welchem Fig. 38 die Form und Fig. 39 die eingeschnittene Ver-
zierung wiedergibt.
4. Die mit der Diamantenspitze gravirten Gläser.
Eine eigene Art der Glasraffinerie ist die Gravi rung
mittels der Diamantspitze. Dieselbe kam um die Mitte des
16. Jahrhunderts und zwar, wie es scheint, in Deutschland auf.
Mathesius erzählt uns nämlich in unmittelbarem Anschlüsse an die
in Schlesien gemachte Erfindung der geschnürlten Gläser, dass
man zu seiner Zeit angefangen habe, »auff die schönen und
glatten Venedischen gleser mit Demand allerley laubwexk
und schöne züge zu reissenc Man kann daraus schliessen,
dass diese Gravirung der importirten venetianischen Gläser zu-
nächst in Schlesien vorgenommen wurde.
Was die weitere Geschichte dieser Art der Glasraffinerie
anbelangt, haben wir bereits gehört, dass Georg Schwanhardt
sich in derselben auszeichnete und i. J. 1653 i^^ch Regensburg
berufen wurde, um dort Kaiser Ferdinand III. in dieser Kunst
zu unterrichten. Aus dem 17. und 18. Jahrhundert existiren
viele Gläser, welche mit der Diamantspitze geschnitten sind.
Unter anderen kenne ich einen Spechter, welcher am ganzen
Körper mit Laubwerk überzogen ist, in das verschiedene Köpfe
hineincomponirt sind. Die Ausführung scheint in Deutschland
regelmässig in Strichmanier geschehen zu sein.
Ihre höchste Ausbildung erreichte diese Technik im 18.
Jahrhundert in Holland. Dort zeichnete sich namentlich der
Kunstliebhaber Frans Greenwood in der Gravirung der Gläser
mittels der Diamantspitze aus. Er arbeitete mit solcher Feinheit
und Delicatesse, dass seine Bilder nur wie an die Gläser hinge-
haucht erscheinen. In der Mustersammlung des Bayrischen Ge-
werbemuseums befindet sich ein Kelchglas, auf welchem an dor-
nigem Stile eine prächtige Rose, umflattert von einem Schmetter-
ling, mittels der Diamantspitze gezeichnet ist. Auf der Rückseite
desselben liest man: »GeeneRozen zonderdoornen«, und darunter:
15*
— 228 —
»F. Green WO od fect. 1746'* Die ausserordentliche Leichtigkeit, mit
welcher dieser Künstler seine Darstellungen hinwarf, lässt seine
Arbeiten leicht erkennen. Dieselben sind zudem, nicht wie die
deutschen in Strich , sondern in Punktmanier hergestellt und in
Folge dessen von zartestem, duftigstem Ansehen. In der ge-
nannten Sammlung befinden sich noch mehrere derartige Kelch-
gläser, welche ohne Zweifel von Greenwood herrühren, wenn sie
auch nicht mit seinem Namen gezeichnet sind. Auf einem sieht
man in eminenter Ausführung auf leichtem Gewölke einen Genius
mit abwärts gekehrtem Füllhorn und den Amor mit einem Pfeil -
bündel zu einer reizenden Gruppe vereinigt, welche durch die
farblos durchsichtige Umgebung noch gewinnt. Auf einem ande-
ren sieht man in einer leise angedeuteten Landschaft zwei Männer,
von denen der eine einen Korb auf dem Rücken trägt, während
der andere den seinen neben sich auf den Boden gesetzt hat
und dem Freunde ein Flacon reicht, das wohl als mit Schnaps
gefüllt zu denken ist; darüber steht: »Vriendschap«. Zeichnung
und Ausfuhrung sind gleich vorzüglich.
Auf einem dritten Kelchglase ist mit der Diamantspitze
ein Ornamentband dargestellt, von welchem viele Guirlanden
herabhängen-, darüber befinden sich in allerlei Rankenwerk meh-
rere Genien, welche den Frieden, die Freiheit, die Freude, das
Vergnügen und die Freundschaft darstellen sollen. Der eine der-
selben hält ein Sträusschen in die Höhe, es ist die iVreedec;
ein zweiter hat einen Hut vor sich liegen und schlägt seine
Augen sinnend zu Boden, die >Vryheid<; ein dritter hält eine
Wage, es ist die »Vreugdec; ein vierter riecht an eine Blume,
er sinnbildet das >Vergenoeging«; von den zwei letzten hält der
eine ein Kelchglas, nach welchem der andere langt: sie stellen
die »Vriendschap« dar. Diese, namentlich in der Ausführung vor-
züglichen Bildchen rühren jedenfalls von der Hand Greenwood's
her. Das Gleiche gilt endlich von dem Brustbilde des »Henrik
Hooft Damielsz, Burgemeester der Stad Amsterdam«, welches auf
einem vierten Kelchglase zu sehen ist.
Auf einem fünften Kelchglase derselben Sammlung sieht
man einen Vogelkäfig mit einem Insassen; davor befindet sich
— 229 —
auf der einen Seite eine Katze, welche begierig nach dem Käfig
schaut; über ihr schwebt ein freier Vogel, Auf der anderen
sieht man einen Knaben mit Pfeilbogen und hinter ihm eine
Art Wasserjungfer Ueber dem ganzen steht auf einem Spruch-
band: iPlus sur que libre.« Auf der Rückseite des Glases sind
Bäume angebracht und auf dem Fusse steht: >J. Ch. De Boese-
lager. Ao. 1750c, worunter wohl der KUnstler zu verstehen ist.
Die Ausfuhrung ist weniger gut, wie an den bisherigen, obgleich
der Name des Künstlers auf Holland weist.
Unzweifelhaft deutschen Ursprungs ist das sechste Kelch-
glas der genannten Sammlung, auf welchem sich das preussische
Ktinigswappen in Stridimanier ausgeführt zeigt. Es darf wohl
angenommen werden, dass manche der oben genannten Glas-
schneider sich gelegentlich der Diamantspitze bedienten; leider
aber fehlen durchgehends genauere Angaben hierüber.
Das Aetzen auf Glas, um auch hierüber einige Worte zu
sagen, ist, wie wir bereiu gehört haben, von Heinrich Schwan-
hardt erfunden worden. Dasselbe erlangte aber erst eine grössere
Bedeutung, als Scheele die Flusssäure entdeckte.') Diese wird
seitdem zum Mattätzen ganzer Flächen und zum Einätzen radirter
Zeichnungen oder Schriften in das blanke Glas angewendet; je-
doch geschieht dies mehr bei Glastafeln als beim Hohlglase.
Das Gleiche gilt von dem erst neuestens erfundenen Sandge-
bläse, s)
') Kaimarsch, Geschichte der Technologie seit der Mitte des 18.
Jahrhundert. München, Oldenboni^ 1872, S. 536.
3) J. B. Miller, Die Verziening derGl&ser durch den Sandstrahl. Wien,
Pest, Leipzig, A. Hartleben 188a.
VI.
Gläser k la fe^on de Venise.
Verres de cristal und verres cristallins.
INE eigene, freilich äusserst schwer zu bestimmende
Gattung altdeutscher Gläser bilden jene >it la fagon
de Venisec. Schon in der Einleitung haben wir die
Bestrebungen kennen lernen , welche Fürsten und
Städte Deutschlands zur Einführung der venetianischen Art des
Glasbildens im Laufe des i6. und noch im 17. Jahrhundert ge-
macht haben. Dort haben wir aber zugleich gesehen, dass alle
diese Bemühungen, selbst wetln sie darauf abgezielt hätten, die
einheimischen Gefässformen nicht zu verdrängen vermocht hatten.
Wohl war die venetianische Glasbildnerei der damaligen Zeit,
hauptsächlich in den höheren Kreisen, der Inbegriff alles Kunst-
schönen, das sich in Glas Überhaupt erreichen lasse ; sie vertrat
ungefähr das, was wir gegenwärtig mit > Kunstgewerbe« in der
Hohlglasindustrte zu bezeichnen pflegen. Aber diese venetianische
Glasbildnerei wurde nicht als Sauerteig benützt, welcher die hei-
mische Industrie durchdringen sollte, man war es hinlänglich
zufrieden, wenn die gerufenen Glasmacher gelungene Nachbil-
dungen der Venetianergläser herzustellen vermochten, so dass der
theuere Import aus Venedig wenigstens theil weise entbehrlich
wurde. Wie hoch sich dieser belief, das zeigt eine Urkunde vom
Jahre 1623'), in welcher gesagt wird, dass aus den Niederlanden
') J. Hou doy, Veireries ä la fason de Venise. La fabricalion flamande
d'aprb des documents iD^diU. Paris, Lille, Braxelles 1873, p. 54.
— 23T —
allein jährlich 8o,000 fl. für Glaswaaren nach Venedig wanderten,
obwohl dort die Glashütte in Antwerpen schon seit mehr als
einem Jahrhundert sich auf die Nachahmung der Venetianergläser
geworfen hatte.
Wenn nun der grosse Nutzen, den die zur Einführung der
venetianischen Glasbildnerei unternommenen Bestrebungen im
Allgemeinen zur Folge hatten, auch nicht geläugnet werden soll,
wenn hier, wie oben, sogar gerne zugegeben wird, dass dieselben
eine vortheilhaftere Leitung der Schmelze, eine bessere Einrich-
tung des Ofens, eine grössere Accuratesse in der Arbeit und
selbst einen feineren Geschmack herbeiführten, und namentlich
das helle und reine Krystallglas als erstrebenswerthes Ziel er-
scheinen Hessen, so ist doch ebenso gewiss, dass mit dem Tode
oder Weggange der aus Venedig gerufenen Arbeiter die betreffen-
den Hütten sich nicht mehr auf der alten Höhe erhalten konnten,
da zur systematischen Heranbildung eines tüchtigen Glasmacher-
nachwuchses wenig oder gar nichts gethan wurde. Der bayerische
Herzog Albrecht V. hatte zwar eine solche Erziehung heimischer
Arbeiter ins Auge gefasst , seine edle Absicht scheint aber nicht
verwirklicht worden zu sein. Es lag ja im Interesse der Gerufe-
nen, ihre Geheimnisse, wenigstens in Bezug auf die Schmelze,
nicht preiszugeben, so dass die von ihnen abgerichteten Arbeiter,
wenn sie noch so geschickt wurden, doch immer unselbständig
und auf ihre Lehrer angewiesen blieben. Wie gering der Erfolg
in den meisten Fällen war, das ersieht man am deutlichsten aus
der Geschichte der niederländischen Glasindustrie. Obwohl dort
über 1 50 Jahre lang ein italienischer Glasmacher auf den anderen
folgte, stand die Glasindustrie am Ende des 17. Jahrhunderts,
als Venedig keine Kräfte mehr abzulassen hatte, doch auf keiner
höheren Stufe, als sie wahrscheinlich auch ohne diese Anstreng-
ungen gekommen wäre. Wohl Hess sich 1648 Giovanni Savo-
netti eilt ausschliessliches Privileg geben, durch welches nicht
bloss die Einfuhr der deutschen, böhmischen, lothringischen und
französischen Gläser, sondern auch jene der venetianischen streng-
stens verboten wurde; wohl Hessen sich dieses Privileg 1653
Francesco Savonetti und 1658 Henry und Ldonard Bon-
I
— 232 —
homme erneuern und, wo möglich, noch verschärfen: aber wie
damals die venetianische Glasindustrie selbst rasch dem Verfalle
entgegentrieb , so vermochte auch die niederländische nichts
Nennenswerthes mehr zu leisten. Hiefür ist nichts bezeichnender
als der Umstand, dass es nicht die Niederlande waren, von wel-
chen ein neuer Aufschwung der Glasindustrie ausging, wie man
hätte erwarten sollen, sondern Böhmen, wohin, soviel man weiss,
gar keine Venetianer gerufen worden sind. Kurz, die nach dem
Norden verpflanzte Glasbildnerei Venedigs blieb neben der hei-
mischen fortwährend ein fremdes Element. Ihr kam es lediglich
darauf an, die Venetianergläser nachzubilden und so zu
verhindern, dass jährlich ungeheure Summen hiefür ausser Land
gingen.
Diesen Zweck, lediglich Gläser >ä la fagon de Venise<
herzustellen, welcher allen im Norden nach venetianischem Muster
errichteten Glasfabriken, soviel wir ihrer in der Einleitung haben
kennen lernen, gemeinsam war, ersieht man am deutlichsten aus
den von J, Houdoy über, die zu Antwerpen und Brüssel von
Venetianem erbauten und geleiteten Glashütten veröffentlichten
Urkunden. Bei ihnen müssen wir daher einen Augenblick ver-
weilen. Gleich in der ersten dieser Urkunden*) heisst es, dass
Philippo de Gridolphi, welcher die Wittwe des Ambrosio
Mongarda geheirathet hatte, Krystallgläser nach venetiani-
scherArtzu machen fortfahren dürfe. ^) Zugleich wurde in derselben
die Einfuhr der genannten, auf diese Weise nachgemachten
Krystallgläser^), sowie die Herstellung solcher Nachahmungen
strengstens untersagt bei Strafe der Confiscation und ausserdem
bei einer Geldbusse von 6 fl für jedes Stück.
In der Urkunde vom 14. März 1600, durch welche dem
Gridolphi das vorige Privileg verlängert wurde, ist der Import von
allen nach venetianischer Art gemachten Gläsern*) neuer-
dings verboten; dagegen blieb die Einfuhr der einfachen oder ge-
^) J. Houdoy, 1. c, Urkunde vom 7. Jan. 1599.
^) , ... de faire voires de cristal k la faQon de Venise.*
^) «... des dits voires de cristal, ainsy contrefaicts.*
**) , ... de tous voires contrefsUcts ä la fagon de Venise.*
— 233 —
wohnlichen Gläser aus Böhmen , Deutschland , Frankreich und
Lothringen ' ) gestattet. Diese Urkunde ist insofeme von beson-
derem Interesse» als wir aus ihr entnehmen können, dass >voires
ä la fagon de Venisec und >voires cristallinsc nur zwei verschie-
dene Bezeichnungen einer und derselben Sache sind; denn die
Glashütte zu Antwerpen, welche weiter nichts als Gläser >ä la
fagon de Venise< erzeugte, wird darin kurzweg >foumaise des voi-
res de cristallins« genannt.*) Dagegen werden die echten Ve-
netianergläser zum Unterschiede durchweg als >voires de cristaU
oder »verres de cristal fins< ') bezeichnet. Wo also in den In-
ventaren und Urkunden ohne nähere Bezeichnung von »voires
cristallins< oder »voires de cristallinc die Rede ist, haben wir
sofort an Nachahmungen der Venetianergläser zu denken; wo
dagegen »voires de cristal« oder »verres de cristal fins« erwähnt
werden, sind echte Venetianergläser gemeint. Wir werden dieser
Unterscheidung öfter begegnen.
In der Urkunde vom 26. Jan. 1607 wird zunächst ausgeführt,
dass jede Einfuhr der auf venetianische Art nachgemachten
Gläser*) verboten sei und dass Niemand die Gläser aus Krystall
nach venetianischer Art nachmachen könne bei Strafe der Confiscation
der genannten Gläser und sechs Karlsgulden Hir jedes dieser so
nachgemachten, in unser Land gebrachten oder verkauften, von
welcher Form oder Weisse sie auch sein mögen. ^) Aus den
ersten Worten dieser Stelle ersieht man abermals, dass »voires
de cristal « gleichbedeutend ist mit »Venetianergläser«. Die Nach-
ahmung dieser Krystallgläser, selbst wenn sie nicht ganz rein in
1) yVoires simples ou ordinaires de Boheme, Allemagne, France et
Lorraihe.*
2) Vgl. auch die Urkunde von 1807: ,1a fournaise des voires de cristal-
lins*; jene von 1605: «la fournaise aux voires de cristallin* etc.
3) Urkunde vom 7. Jan. 1623.
*) , . . . des voires contretaicts k la fagon de Venise.*
•^) ;» . . . ne pourrait faire les voires de cristal ni les contrefaire h la fagon
de Venise . . . sous peine de confiscation des dits voires et de six florins ca-
rolus pour chacun d'iceux, ainsi contrefaicts, apportes ou vendus en nos dits
pays, de quelque fagon on blancheur ils pouroient estre.*
— 234 —
der Farbe und von einer anderen Form als die venetianischen
gewesen wären, war Niemand ausser Gridolphi gestattet. Aber-
das dem Letzteren ertheilte Privileg wurde gleichwohl umgangen.
Es hatten sich nämlich an der Grenze der Niederlande, zu Cöln,
zuMezi^res und selbst in Lütt ich ebenfalls Glashütten erhoben,
in denen man die genannten Venetianergläser so genau nach-
machte, dass nur mit Mühe die Glasmachermeister einen Unter-
schied entdecken konnten. *) Diese so vollendeten Nachbildungen
nun brachten die Kaufleute als echte Venetianergläser, deren
Einfuhr, wie wir gehört haben, fortwährend gestattet war, nach
den Niederlanden und verkauften sie dort zu hohen Preisen»
indem sie dieselben für weit hergebrachte Stücke aus erlesenem
Krystall ausgaben. 2) Dadurch bereicherten sich die Kaufleute,
schadeten aber der Antwerpener Fabrik so bedeutend, dass sich
Gridolphi gezwungen sah, mit dem Hoflieferanten Jehan Bruyninck
um Abbestellung dieses Uebelstandes einzukommen, zumal man
ihm sogar seine Glasmacher abwendig zu machen gesucht hatte.
Auf das hin erhielten Gridolphi und Bruyninck das ausschliessliche
Recht, echte Krystallgläser aus Venedig einzuführen und Niemand
sonst durfte künftighin solche von dorther kommen lassen. Ausser-
dem wurde das frühere Privilegium bezüglich der Nachahmung
dieser Krystallgläser, also bezüglich der Herstellung der >voires
cristallinsc erneuert. Durch diese Massregel sind die Glashütten
an der Grenze gezwungen worden, ihre Arbeit einzustellen, wie
die Urkunde vom 5. Febr. 161 1 mit Befriedigung konstatirt. In
derselben heisst es nämlich, dass »die Oefen, welche andere an
den Grenzen unseres Landes, so zu Cöln, Lüttich und Mezi^res
haben errichten wollen, in Rauch aufgegangen sind«. ^) Die Fabrik
von Antwerpen dagegen hob sich so, dass sie seit 16 18 für den
Genuss des Privilegiums jährlich 600 fl. an den Staat zahlen konnte.
^) j,...ou l'on pratique de contrefaire les dits voires de Venise sy ponc-
tuellement, qu'ä grande peine les maistres scauroient juger de la
difference.*
3) jp . . . espfeces de cristal eslit amen^s de loing.*
•i) , . . . qu'aultres ont voulu eriger hs fronti^res de nos pays de par dega
{sicomme k Cologne, Li^ge et Maziferes sont alle en fumee.*
— 235 —
Bald darauf trat ein Umschwung ein. Bisher galten alle
KrystaJlgläser, welche nicht direct aus Venedig stammten, für
minderwerthig, für >voires cristallins«, so gelungen sie auch sein
mochten. Im Jahre 1623 aber machte ein venetianischer Edel-
mann aus der altberühmten Glasmacherfamilie der Miotti, der
Hauptmann Antonio Miotti eine Eingabe an Philipp IV., in
welcher er behauptet, dass er die Gläser, Gefässe, Schalen und
Tassen aus feinem venetianischen Krystall in allen Farben zum
Wein- und Biertrinken zu machen verstehe*) und zwar von der-
selben Güte, Vollendung und Materie, wie sie im genannten Ve-
nedig gemacht werden. 2) Er würde sich, fährt er fort, hiezu
der Soda von Valencia in Spanien bedienen und sein Glas würde
»parfaict et real et non contrafaict< und dazu um ein
Drittel billiger sein. Miotti war also der erste, welcher sich zu-
traute, nicht bloss Nachbildungen, sondern echte Venetianergläser
machen zu können. Er erhielt auch das verlangte Privileg auf
12 Jahre und das Recht, alle feinen, fremden und eingeführten
Gläser aus Krystall, welche in die Niederlande eingeführt würden,
confisciren zu dürfen.^) Dadurch war in der That auch der
Import der echten Venetianergläser, der iverres de cristal fins«
verboten. Deshalb hiessen die von ihm gebauten Fabriken in
Brüssel und Namur auch nicht mehr »fournaises aux verres
cristallins<, sondern >manufactures des voires cristallins et
christal«.^) Dieselben konnten sich indess nicht lange halten
wegen der grossen Anzahl von Gläsern, welche aus Frankreich
und Deutschland eingeführt wurden. 0) Sie standen daher im
Jahre 1629 beide kalt. Da kam ein gewisser Van Lemens,
welcher damals zugleich Besitzer der Antwerpener Fabrik gewor-
den war, um ein weittragendes Privileg ein, welches ihm auch
') ,. . .les verres, vases, couppes ettasses de fin cristal deVenise, de toutes
sortes de couleurs ä boires vins et biferes.*
2) j, ... de la m^me bonte, perfection et mati^re comme se fönt audit Venise.*
3) , . , . touttes verres de cristal fins estrangers et contrefaicts.*
4) Urkunde vom 4. Sept. 1629.
^) ,...ä cause d'un grand nombre de voires qui entrent de Frans et d'Al-
lemagne.*
— 236 —
auf 15 Jahre gewährt wurde. Durch dasselbe erhielt er das
Recht, ausser den bereits bestehenden Glashütten noch andere zu
erbauen und Krystall-, krystallinische und andere Gläser zu
machen, welche einfach Gläser oder >vetro< im Italienischen
heissen, sowie Spiegel mit dem Verbote, dass kein anderer sie
machen noch nachmachen könne. >) Van Lemens war also
damals in den Niederlanden allein berechtigt, Glas zu machen.
Er allein durfte die von Miotti eingeführten echten Venetianer-
gläser, die >voires de christal« machen. Deshalb wurden alle
fremden Gläser aus Krystall, welche denen von Venedig nachge-
macht waren ^), so nachgemacht nämlich, wie es Miotti projectirt
hatte, verboten. Dagegen musste sich Van Lemens verpflichten,
diese echten Krystallgläser von derselben Qualität, Wesenheit und
Ciüte wie die von Venedig^) zu machen; denn nur dadurch
konnte das Verbot der Einfuhr der echten Venetianergläser ge-
rechtfertigt werden. Van Lemens war ferner auch allein befugt,
die früheren Nachahmungen der Venetianergläser, welche zum
Unterschiede von diesen »voires cristallins< hiessen, auf seinen
Hütten fortzusetzen; er musste aber versprechen, diese von der
nämlichen »bont€, qualit^ et essencec zu machen wie die vorge-
legten Muster. Dafür wurde die Einfuhr »der krystallinischen
Gläser aus Frankreich, Deutschland, Böhmen, Lothringen und an-
deren Ländern f verboten^), so dass also Van Lemens auch in
dieser Beziehung ohne Concurrenz blieb. Derselbe war auch
eingekommen, das gewöhnliche Glas, welche man im Italienischen
»vetro« nannte, allein herstellen zu dürfen, was ihm indess nicht
gewährt worden zu sein scheint. In dem in Rede stehenden
Privileg war endlich auch der Preis bestimmt, welchen er fdr
das Hundert Krystallgläser und für das Hundert krystaUinischer
^) »* « «vks voures de christal et cristaDuis et auhres, qvi siiii{»lcnient s*iq>pd*
lent xhMres oa tetio en itaKen et des miroirs» avecq intcrdictk» qfn'anam aaltre
ne k« ^ |H>ttnrii lute nj contreftdie.*
-) ». . »K^K Yv^ies estFttQgeis de dutstal« oontiefiucts i cenx de Vcnisc.*
^^"^ ». « «de U M^Me <|«ilite« essence et bontc de ccnx de Vcntse.*
^^ ,. . .des crisiaUiKS dtt {avs de Fnace et dWDenagiie, BoImk. Lonane
— 237 —
Gläser nehmen sollte. Derselbe betrug für die letzteren 15 fl.
und dürfte für die ersteren 25 fl. nicht überschreiten. Dieses
weittragende Privileg, welches uns Van Lernens als einen specu-
lativen, aber selbstsüchtigen Geschäftsmann kennen lehrt, wurde
ihm 1634 verlängert. Als er es aber 1642 an einen gewissen
Gilles Colinet verkaufen wollte, wurde es ihm entzogen und
auf den muranesischen Edelmann Giovanni Savonetti über-
tragen. Savonetti, der schon unter Van Lernens Hüttendirector
gewesen und desshalb von Venedig aus unter Einziehung seiner
Güter mit der Verbannung bestraft worden zu sein scheint, erhielt
dadurch das Recht, >alle Arten von Gläsern, Gelassen, Schalen ,
Tassen, Spiegeln in Nachahmung derjenigen von Venedig und im
Allgemeinen alle anderen Werke von Krystall und Krystallin,
selbst auch die Gläser, die man im Italienischen vetro nennt <,
zu erzeugen.') Die Einfuhr > aller fremden Gläser aus Krystall,
welche denen von Venedig nachgemacht sind, und der krystalli-
nischen, die aus Deutschland, Frankreich, Böhmen, Lothringen,
dem Lande von Lüttich und allen anderen kämen«, wurde aber-
mals verboten.^) Eine Erläuterung dieses Privilegs vom 17. Juli
1648 sagt, dass durch dasselbe schlechtweg »toutes sortes de ver-
res estrangers« in die Niederlande einzuführen untersagt sei, und
nochmals, dass bis zum Jahre 1660 die Einfuhr aller Sorten von
Gläsern, von welchem Lande oder welcher Composition sie seien,
ungeachtet dass sie aus Asche oder anderen Materien beständen,
selbst das deutsche Schockglas, ohne auch die Krystallgläser von
Venedig auszunehmen^), verboten sei bei Strafe der Confiscation
und einer Geldbusse von 3 fl. für jedes Stück. Für dieses abso-
lute Verbot aller fremden Gläser musste sich Savonetti abermals
') ,... toutes sortes de verres, vases, couppes, tasses, miroirs ä rimitation
de ceux de Venise...et g6n6ralament tous aultres ouvraiges de cristal et cristal-
lin, meme aussy les verres, qu'on appelle en Italien vetro.*
2) ,. . .de tous voires estrangers de cristal contrefaicts k ceulx de Veniseet
de cristallins venans d'AUemagne, France, Boheme, Lorraine, pays de Lifege et
tous aultres.
■*) ,...de toutes sortes de verres de quelque pays ou composition que ce
soit, non obstant quHls seroient de cendre ou d'autres mat^riaux, mesmes les
grog allemands, sans en excepter aussi les verres ou cristal de Venise.*
— 238 —
verpflichten, seine Krystallgläser von derselben Qualität, Wesen-
heit und Güte wie die venetianischen , und die krystallinischen
und anderen von der Güte, Qualität und Wesenheit der vorzu-
legenden Muster^) herzustellen. Im Jahre 1653 wurde dieses
Privileg auf Francesco Savonetti übertragen. Kurz darauf
erscheint aber Van Lernens wieder als Besitzer desselben. Von
diesem ging es 1658 an Henry und Leonard Bonhomme
über. Weil aber Van Lemens einem gewissen Nico laus Coli-
net, vielleicht einen Sohn des oben genannten, ebenfalls den
Genuss des Privilegs erlaubt und dieser zu dem Behufe in Lüttich
eine Hütte gebaut hatte, beschwerten sich die beiden Bonhomme
und erwirkten das Verbot der Lütticher Hütte.
Durch die in den letzten Privilegien enthaltene Erweiterung
des Programmes trat der ursprüngliche Zweck der Nachahmung
der Venetianergläser vollständig in den Hintergrund, ja er er-
scheint seit 1659 überhaupt aus den Augen verloren worden zu
sein; denn seit dem genannten Jahre hiessen die beiden Bon-
homme ihre Fabrik nicht mehr >fournaise aux voires cristallins«,
auch nicht mehr »manufacture des voires cristallins et cristal«, son-
dern ganz allgemein »Manufactur von Kunst- oder Luxusgläsern c *).
Den Anstoss hiezu hat, wie wir gehört haben, AntonioMiottii623
gegeben. Dieser wollte nominell nicht mehr »voires cristallins«, son-
dern > voires de cristal«, also echte Venetianergläser machen. Seit
Miotti also muss man bei den niederländischen Gläsern zwei Arten
von Nachahmungen der Venetianergläser unterscheiden. Die ursprüng-
liche Art, welcher man zum Unterschiede von den Venetianer Kry-
stallgläsern den Namen »verres cristallins« gegeben hatte, war seit-
dem so häufig geworden, dass man dabei an eine directe Nach-
ahmung von Venetianerglas nicht mehr dachte, sondern einfach
»cristallins d'Allemagne, de France, de Boheme, de Lorraine etc.«
zu sagen, pflegte. Die neuere Art strebte dahin, den Venetianer-
gläsern so vollkommen zu gleichen , dass gar kein Unterschied
') j,. . .de la mesme qualite, essence et bont^ de ceux de Venise et ceux
de cristallin et autres susdits des bonte , qualite et essence des verres quUl
en aura present^.*
2) ^Manufacture des verres fins.* »
— 239 —
mehr zu entdecken wäre. Dazu waren selbstverständlich geeig-
nete Rohmaterialien erforderlich. Miotti wollte sich zu diesem
Zwecke der Barilla (Soda) aus Valencia in Spanien bedienen.
Allein schon vor ihm gab es, wie wir gehört haben, an der Grenze
der Niederlande , in Mdzi^res und Cöln , sowie in Lüttich Glas-
hütten, welche die venetianischen Krystallgläser so genau nach-
machten, dass selbst damals die Glasmachermeister nur mit gros-
ser Mühe einen Unterschied zwischen den echten , aus Venedig
bezogenen und den nachgeahmten entdecken konnten. Für uns
bietet eine solche Unterscheidung noch mehr Schwierigkeiten.
Es handelt sich hier zunächst um die Krystallgläser.
Die den nördlichen Industrien als Vorbilder vorschwebenden Ve-
netianergläser dieser Art heissen stets, wie wir gehört haben,
»verres de crystalf. Die nach ihnen in Deutschland, Frankreich,
den Niederlanden u. s. w. hergestellten heissen >verres de cristal
ä la fäQon de Venise« oder »verres cristallins<. In diesen ver-
schiedenen Bezeichnungen liegt ein Unterschied zwischen beiden
deutlich ausgedrückt. Die Nachahmungen schienen nicht würdig,
einfach als > verres de cristal < bezeichnet zu werden, sie waren
nur »verres cristallins. «
Worin liegt nun dieser Unterschied? Die oben besprochenen,
dem Miotti, Van Lemens, Savonnetti u. s. w. ertheilten Pri-
vilegien liefern uns einige Anhaltspunkte. Die Genannten hatten
nämlich durchgesetzt, dass in den Niederlanden auch die Einführ
der echten Venetianergläser verboten wurde; denn sie wollten
dieselben selbst erzeugen und nicht mehr, wie bis dahin, blosse
Nachbildungen von ihnen liefern. Sie verpflichteten sich daher,
in ihren Fabriken > verres de cristal de la mÄme bonte, qualite
et essence, comme se fönt ä Venise« machen zu lassen. Daraus
geht hervor, dass sich bis dahin die Venetianergläser vor ihren
Nachahmungen durch ihre > bonte, qualitd et essence« ausgezeichnet
haben. Der Ausdruck > bonte« bezeichnet die innere Güte der Gläser,
welche sich in der richtigen Abkühlung und in Folge dessen in
der Haltbarkeit, aber auch in der Gebrauchs fahigkeit kundgibt.
Unter > qualite«, wofür einmal »perfection« steht, ist der künstlerische
W.erth in Bezug auf die Formen, auf die Accuratesse und Sub-
— 240 —
tilität der Arbeit zu verstehen. Die »essence« endlich, wofür ein-
mal »materiaux« steht, bedeutet die innere Beschaffenheit, die che-
mische Zusammensetzung oder mit anderen Worten die Leichtig-
keit, Reinheit und Weisse des Krystallglases. In diesen drei
Punkten standen die Nachahmungen hinter den Vorbildern zurück.
Die >verres cristallins« waren wohl farblos; aber ihre Masse war
jedenfalls nicht so rein und gut geläutert wie die der >verres de
cristaU aus Venedig. Es fanden sich in ihnen Bläschen, Stein,
chen und andere kleine Unvollkommenheiten. Auch hatten sie
wohl häufig einen Stich ins Bräunliche oder Gelbliche. Dies
geht schon aus der Urkunde vom 26. Januar 1307 hervor, in
welcher die fremden Imitationen der Venetianergläser, >de quelque
fagon oublancheur qu*ils pouraient estre< verboten wurden. Auch
sonst ersieht man aus den Urkunden, dass die Nachahmungen
von anderer Composition waren, als die Venetianergläser. Ausser-
dem war die Arbeit an den Imitationen, wenn auch noch so
tüchtig, doch nicht so vollendet und von solcher Feinheit und
Accuratesse wie an den Venetianergläsern; man spürt die Hand
der minderen Künstler^ denen zudem die tägliche Anregung fehlte,
welche die Glasmacher Venedigs so geschickt gemacht hatte.
Andrerseits Hessen im Norden auch die Rohmaterialien häufig zu
wünschen übrig. Heutzutage würden wir die Nachahmungen halb-
feine, die echten feine Krystallgläser nennen.
Aus alle dem ergibt sich, dass wir kein Glas, welches sei-
ner Form nach auf den ersten Blick an Venedig erinnert, für
wirklich venetianisch halten dürfen , wenn es nicht in j<cder Be-
ziehung vollendet, wenn es nicht von ausgezeichneter >bonte,
qualite et essence < ist. Im Gegentheile, alle sog. Venetianer-
gläser, welche in einem dieser drei Punkte etwas zu wünschen
übrig lassen, sind entweder niederländische oder franzö-
sische oder deutsche Fabrikate. Und das braucht uns nach
dem Vorausgegangenen durchaus nicht Wunder zu nehmen; denn
in diesen Ländern wurden Nachahmungen von Venetianergläsern,
wurden die >verres cristallins« während des 16. und 17. Jahrhun-
derts, wie -sich denken lässt, in ungeheurer Menge hergestellt.
Namentlich waren es die Deutschen und Franzosen, welche die
— 241 —
Niederlande mit derartigen Produkten förmlich tiberschwemmten.
In keiner der von J. Houdoy publicirten Urkunden ist davon die
Rede, dass die niederländischen Gläser >ä la fagon de Venise<
nach Deutschland oder Frankreich verkauft worden wären , son-
dern umgekehrt, in den Niederlanden fürchtete man die deutsche
und französische Concurrenz so sehr, dass man die Einfuhr der
»verres cristallins< aus diesen Ländern immer und immer wieder
unter den strengsten Strafen untersagte. Und trotzdem hat der
Import derartiger Gläser die entsprechenden Glasfabriken in den
Niederlanden mehrmals zum Einstellen ihrer Arbeit gezwungen.
Es darf daher angenommen werden, dass alle in Deutschland sich
findenden »verres cristallins« in der That auch hier gemacht wor-
den sind. Ihre Zahl ist unter den erhaltenen sog. Venetianer-
gläsern grösser, als man denkt.
Es gab aber unter den Gläsern »ä la fagon de Venise<
noch eine zweite Art, welche sich schwieriger von den echten
Venetianergläsern unterscheiden lässt, eine Art von Krystallglä-
sern, welche schon zur Zeit ihrer Herstellung nicht mehr als
Nachahmungen der venetianischen gelten wollten, sondern den
Anspruch erhoben, selber > verres de cristal< zu sein. Alle Glas-
fabrikanten, welche sich seit Antonio Miotti (1623) Privilegien
geben Hessen, erwirkten das Verbot der Einfuhr der echten Vene-
tianergläser, welche bis dahin gestattet war, dadurch, dass sie sich
verpflichteten, echte > verres de cristal« von derselben ibonte,
qualite et essence« wie die Venetianer zu machen. Miotti wollte
sich zu diesem Zwecke der Soda von Valencia in Spanien bedienen.
Daraus geht hervor, dass die niederländischen Glasfabrikanten ihre
Hoffnung zur Erreichung ihres Zieles auf die Verwendung besserer
Rohmaterialien setzten. Sie strebten also zunächst, die > essence«
die innere Beschaffenheit ihrer Gläser, die Reinheit und Farblosig-
keit, sowie die Leichtigkeit derselben zu erhöhen. Vor den Nie-
derländern haben aber schon verschiedene Fabriken an der Grenze,
namentlich jene zu M^zi^res und Cöln, die > verres de Venise sy
ponctuellement qu'ä grande peine les maistres scauroient juger
de la difFerence«, nachzumachen verstanden ^). Wenn man also
1] J. Houdoy, 1. c. Urkunde vom 26. Januar 1607.
16
— 242 —
schon damals den Unterschied zwischen den echten Venetianer-
gläsem und ihren Nachahmungen kaum zu entdecken vermochte,
so wird dies für uns noch schwieriger sein. Zugleich aber wer-
den wir hiedurch gewarnt, jedes Glas und wenn es noch so ge-
lungen ist, für eine venetianische Arbeit zu halten. Wo eine ur-
kundliche Beglaubigung fehlt, werden wir gut thun, falls keine
anderen zwingenden Gründe vorliegen, das betreffende Glas der
Industrie des Landes zuzuschreiben, in welchem es sich findet;
und als echte Venetianergläser darf nur jene Gruppe von Gläsern
ausgeschieden werden, welche in aller und jeder Hinsicht vollendet
sind. Dass eine solche Gruppe von echten Venetianer gläsern auch
in Deutschland existirt, kann nicht bezweifelt werden. Aber es
sind ihrer nicht so gar viele; denn die echten Venetianergläser
waren so theuer, dass nur reiche Leute, vor Allem die Fürsten
sich den Luxus derselben gestatten konnten. Wären diese echten
Venetianergläser von ihren Nachahmungen getrennt, dann würden
ihre Vorzüge erst zu Tage treten und wir würden einsehen, dass
der grosse Ruhm, in welchem Murano's Glasindustrie bei den
Zeitgenossen stand, kein leerer war. So aber sind sie durch-
gehends mit ihren Imitationen zusammengestellt. Unter diese
müssen zunächst alle jene Gläser gerechnet werden, an welchen
irgendwie Subtilität und Accuratesse der Arbeit vermisst wird,
also hauptsächlich diejenigen mit einseitigem Boden, die in Form
und Arbeit etwas derben, die in ihrer Gliederung unproportionir-
ten, die schlecht aufgetriebenen, die in Folge nachlässiger Abküh-
lung krumm und schief gezogenen, kurz alle die, an welchen die
A.rbeit nicht vollends als Beherrscherin des Stoffes erscheint. Man
braucht bei der Ausscheidung dieser Gläser nicht engherzig zu
sein und alle halbwegs gut gearbeiteten Stücke den Venetianem
zu belassen; denn auch in den nördlichen Ländern waren es zum
grossen Theil venetianische Glasmacher , welche diese Nachbil-
dungen herstellten, und wenn es auch nicht eben die bebten Glas-
künstler waren, welche Murano und Venedig verliessen,' so müssen
es doch immerhin tüchtige Leute gewesen sein, welche Fabriken
ins Leben. rufen und mit Erfolg fortführen konnten. Freilich um
vollendete Arbeiten liefern zu können, müssen auch die Gehilfen
— 243 —
beinahe auf der gleichen Stufe wie die Meister stehen; hierin
wurden die ausgewanderten Muranesen nicht selten im Stiche
gelassen.
Den einheimischen Fabriken müssen ferner auch diejenigen
Gläser zugetheilt werden, welche zu wenig >blancheur€ besitzen,
d. h. welche nicht weiss und farblos genug sind, und alle die-
jenigen, deren Masse nicht gut geläutert, nicht rein genug, son-
dern von Striemen, Schlacken, Blasen, Steinchen u. s. w. durch-
zogen ist, und endlich alle diejenigen, deren Gewicht nicht den
Eindruck grösster Leichtigkeit macht, denen irgendwie etwas
Schweres anhaftet. Scheidet man in den Sammlungen die sog.
Venetianergläser nach diesen Gesichtspunkten aus, dann wird sich
überall eine erkleckliche Anzahl von Gläsern >ä la fagon de Ve-
nise< ergeben, selbst wenn man hiebei nicht allzu rigoros vorgeht.
Freilich bis dies einmal geschieht, wird noch eine gefaume
Zeit vergehen, da nur wenige Gelehrte im Stande sind, die ange-
deuteten technischen Gesichtspunkte richtig zu würdigen. Dagegen
werden die vorausgehenden Erörterungen genügen, dass künftighin
alle in den Urkunden, Inventaren u. s. w. als »verres cristallins<
bezeichneten Gläser sofort als Nachahmungen der venetianischen
Krystallgläser erkannt werden. Ich will nur ein Beispiel anCUhren.
Labarte, nachdem er erzählt hat, dass König Heinrich 11. von
Frankreich den italienischen Glasmacher Theseo Mutio zu Saint-
Germain-en-Layen etablirte, vermuthet *), dass einige Gläser, welche
in dem nach dem Tode Heinrich's IL 1560 aufgestellten Inventar
beschrieben sind, aus dieser Fabrik hervorgegangen sein mögen.
Unter diesen Gläsern figurirt eine kleine Vase >de cristallin
blanc garny d'argent dor^«. Diese muss aus einer nichtvenetia-
nischen Fabrik hervorgegangen sein und war, wie der Ausdruck
» cristallin < zeigt, in der That eine Nachahmung des venetiani-
schen Krystallglases. Sie mag daher sehr wohl aus der Fabrik
von Saint - Germain -en-Laye hervorgegangen sein. Wenn ferner
Volcyr de Serouville im 4. Kapitel seiner 1530 in Paris gedruckten
>Cronicque abregde Par petis vers huytains des Empereurs etc.c ')
») 1. c. tom. III. p. 398. 2j Lobmeyr, 1. c. a. a. O. S. 113.
l6»
— 244 —
von feinem Glase >en la semblance de cristallins< spricht, so
meint er hiemit wiederum Nachahmungen der venetianischen Kry-
stallgläser, die ja in Lothringen sehr häufig hergestellt, wie die
von J. Houdoy veröffentlichten Urkunden beweisen.
Zum Schlüsse sei hier noch bemerkt, dass man im i6. und
17. Jahrhundert unter »verres de cristal« nicht bloss die farblos
durchsichtigen Gläser, welche dem Krystalle glichen, verstanden
hat, sondern alle durchsichtigen, aus Soda, Potasche und Kalk
erschmolzenen Gläser, gleichviel ob sie gefärbt oder ungefärbt
waren. Dies geht aus dem Privilegium hervor, welches sich An-
tonio Miotti am 7. Januar 1623 hat geben lassen'). In dem-
selben heisst es nämlich, dass Miotti die Fähigkeit besitze, die
Gläser, Vasen, Schalen und Tassen >de fin cristal de Venise de
toutes sortes de couleurs« herzustellen. In dem Inventar Karl's
des Kühnen (1467— 1477) ^^^ ferner unter dem Titel: »gobeletz
de cristal garnis d'orc eine grosse Anzahl farbiger Gläser be-
schrieben, darunter namentlich: >ung hanap de jaspre garny
d'or, ä Oeuvre de Venise« ^). Wenn also in den Urkunden von
der Nachahmung der venetianischen Krystallgläser die Rede ist, so
dürfen die farbigen Gläser mitverstanden werden. Dass diese in
den nach venetianischem Muster eingerichteten Hütten der nörd-
lichen Länder wirklich nachgeahmt wurden, wird uns aber auch
durch directe Nachrichten bezeugt. So wollte Bernhard Schwarz
in der bei Landshut zu errichtenden Fabrik >Krystallglas auf
allerlei Sorg, dazu aus dem reinsten und besten Zeug sammt an-
deren vielen künstlichen Sachen machen, so zu Murano bei Ve-
nedig gemacht werden, es sei von was Farben es wolle;<
und in dem Vertrage zwischen dem Hafner Hanns Nicki und
Augustin Hirschvogel vom 15. Mai 1532 wird ausdrücklich er-
wähnt, dass Hirschvogel zum Zwecke der Glasbildnerei nach ve-
netianischem Muster »das gemele, färb und das Holz auf sein
costen dargeben < sollte. Aus alle dem geht hervor, dass die in
Rede stehenden Glashütten auch farbige Gläser erzeugten, diese
folglich durchaus nicht alle venetianischen Ursprungs sind. Wenn
1) J. Houdoy, 1. c. 2) Labarte, 1. c. p. 386.
— 245 —
daher in dem Inventar Heinrich's II. von Frankreich vom Jahre
1560 zwei Ge fasse »de voere retirans ä agathec erwähnt wer-
den, so können diese sehr wohl aus der Glashütte hervorgegan-
gen sein, welche der genannte König durch Theseo Mutio in
Saint-Germain-en-Laye hat errichten lassen.
2. Gläser mit incorporirtem Fadenschmucke.
Wie die Krystallgläser, die farbigen, emaillirten und ver-
goldeten Gläser aus Venedig, so wurden auch die mit incorpo-
rirtem Fadenschmucke, wurde auch das >vetro di trina<, wie die
Venetianer sagten , in den nördlichen Ländern nachgeahmt.
Schriftliche Nachrichten haben wir hierüber allerdings fast keine.
In dem Vertrage, welchen der bayerische Herzog Albrecht V.
mit Bernhard Schwarz geschlossen hat, könnte davon die Rede
sein. Schwarz verspricht nämlich darin dem Herzog, ausser
Krystall- und Farbenglas, auch »Zogen Werkt von allerlei Farben
zu machen. In Murano, fugt er hinzu, wird jährlich in allerlei
Farben viel hundert gezogenes Werk gemacht, welches nach
Indien verführt wird. Unter diesem > Zogen Werk« könnten wohl
die Gläser gemeint sein, welche mit incorporirtem Fadenschmucke
versehen sind, da bei der Herstellung derselben in der That ein
Ziehen der Masse vorkommt. Allein der Umstand, dass diese
»gezogenen Arbeiten < , nachdem sie zuvor in Schwäbisch-Gmünd
geschliffen worden waren, nach Indien exportirt wurden, deutet
an, dass Bernhard Schwarz die Produktion von Kugeln, Perlen,
Ring- und Schmucksteinen, kurz der Conteriewaaren im Auge
hatte. Diese Dinge wurden nach Biringuccio aus Stäben gebildet,
welche oft 30 Ellen lang und so dünn gezogen wurden, dass sie
das Ansehen einer Schnur hatten.
Wie dem auch sei, die Herstellung von Gläsern mit incor-
porirtem Fadenschmucke wurde in den nördlichen Ländern gleich-
wohl geübt. Es geht dies schon daraus hervor, dass in den
Niederlanden noch im 18. Jahrhundert die Füsse der Weinkelche
innerher mit gewundenen farbigen Fäden verziert wurden. Hierin
zeigt sich ein Nachklang der damals bereits ausser Mode gekom-
— 246 —
menen Technik. Dass in den von J. Houdoy veröffentlichten
Urkunden auch nicht einmal von dem ivetro di trina< die Rede
ist, könnte allerdings auffallend erscheinen; allein da die >ge-
schnürlten« Gläser durchgehends aus Kryslallglas bestehen, so
dürfen sie seit der Mitte des l6. Jahrhunderts überall mitver-
Fig. 40.
Standen werden, wo von diesem die Sprache ist, Uebrigens exi-
stiren in den Niederlanden nach Houdoy noch viele »verres au
moulint, sog. Molenbeker (Mühlenbecher), deren Homer aus Fili-
granglas bestehen. Dadurch ist die Nachahmung des >vetro di
trinai in den Niederlanden erwiesen.
Was Deutschland anbelangt, besitzt die Mustersammlung des
— 247 —
Bayrischen Gewerbemuseums,- ausser einigen anderen, ein hieher
gehöriges Glas von hohem Interesse. Es ist ein Becher aus
farblosem Glase, welcher mit milchweissen Fäden geziert ist.
Derselbe erweitert sich stark nach oben, ist 19 cm hoch und
12,2 cm breit. Da, wo der ziemlich weit ausladende Fuss anhebt,
ist der Becher am Ende des vorigen Jahrhunderts gebrochen,
aber durch einen Metallring, von dem auf entgegengesetzten Seiten
Je eine Palmette aufsteigt, wieder benutzbar gemacht worden (Fig. 40).
Auf der Vorderseite umschliesst ein blauer Streifen , auf welchem
die Worte: >Honi: soit: Qui: Mal:y:Pense:« (Schande dem, der
schlecht d^n denkt), ausgekratzt sind, das kursächsische Wappen.
Oberhalb befindet sich der Kurhut und um das Ganze läuft die
Inschrift: »B6i Einweihung des Neuerbauten Schiesshauses. Anno
1676.« Darüber stehen die Buchstaben: I. G. D. A. H. Z. S. I.
C. V. B. C., welche vermuthlich den Schenker dieses Schützenpreises
bezeichnen und als solchen den joh. Georg. Dom. Altenb. Henneb.
Zeitz. Saxon. Juel. Clev. Westphal. Berg. Coburg. (?) nennen. Auf
der Rückseite sieht man eine Scheibe, in deren schwarzem Punkte
ein Pfeil steckt; darüber steht: >Haubtschiessen,< darunter: >zu
Dressden«. Ich habe früher gedacht, die deutschen Inschriften
seien von einer anderen Hand als das Wappen, der Becher mit
dem gemalten Wappen demnach von auswärts, von Venedig be-
zogen worden. Seitdem aber habe ich mich an mehreren , aus
der >Hofkellerey zu Dressden« stammenden Bechern und Hum-
pen, welche in Bezug auf die Behandlung und die satten Farben
genau das gleiche Wappen an sich tragen, vollständig vom Gegen-
theil überzeugt: Das Wappen ist in Dresden gemalt worden, wo
im 17. Jahrhundert diese Art der Gläserverzierung besonders ge-
blüht hat. Die gesammte Malerei auf dem Becher rührt ferner
von einer und derselben Hand her, wie die absulute Gleichheit
des Farbenauftrags, die Farben selbst und Anderes dergleichen
zur Evidenz darthun. Der Becher selbst endlich stammt nicht
aus Venedig, sondern ist eine deutsche Arbeit. Es geht dies aus
verschiedenen Gründen unleugbar hervor. Vor Allem ist die
Glasmacherarbeit nicht so vollendet wie an den venetianischen
Gläsern; schon die Gesammtform ist etwas gedrungen, namentlich
— 248 —
lässt das Auftreiben des Kelches, worin die Venetianer gerade
die höchste Meisterschaft zur Schau tragen, so dass man sich vor
ihren Kelchen des Gedankens nicht erwehren kann, es sei von
dem Fusse eine Explosion ausgegangen, welche in ihren Begren-
zungslinien plötzlich erstarrt sei, Vieles zu wünschen übrig; denn
seine Wandung ist uneben und oben sogar in unschöner Weise
wieder etwas eingezogen. An dem Fusse ferner ist das abschlies-
sende Bändchen durch ungeschicktes Hineinstossen der Auftreib-
scheere in die Bodenkugel nach unten gebogen, statt wie ge-
wöhnlich, nach oben. Der Fadenschmuck endlich entbehrt jeg-
licher Feinheit. Es sind weisse Fäden aus Bein-, Milch- oder
Opalglas, bald ein breiter, bald ihrer mehrere sehr dünn gezogene,
welche aber nicht gedreht, sondern neben einander gestellt und
so zu einem Ganzen vereinigt sind. Diese umgeben das Glas in
vertikaler Richtung, unregelmässig und völlig kunstlos angeordnet:
kurz das Glas ist eine deutsche Arbeit aus der Zeit des Kurfür-
sten Johann Georg II. von Sachsen, welche, so wenig gelungen
der Fadenschmuck auch ist, doch den Beweis liefert, dass man
die geschnürlten Gläser auch in Deutschland nachzumachen ge-
strebt hat.
Das in Rede stehende Glas ist in Dresden bemalt und von
dem sächsischen Kurfürsten als Schützenpreis gegeben worden.
Dies legt den Schluss nahe, dass auch die Glasfabrik, aus welcher
der Becher selbst hervorging, in Sachsen oder doch in der Nähe
gestanden haben möge. Vielleicht ist eine Stelle des Mathesius
geeignet, das nöthige Licht in die Sache zu werfen. Dieser oft
genannte Pfarrer schrieb nämlich um 1562, also loo Jahre vor
unserem Becher: »Jetzt werden die weyssen gleser gemein,
darauff gleich weysse feden von weysser färbe getragen,
die man in der Slesing machen solle.« Ich habe diese
Stelle früher in sachlichen Zusammenhang mit dem vorausgehen-
den Satze gebracht und geglaubt, dass hier von Fenstergläsern
die Rede sei , obwohl ich mir von keiner derartigen Fenstertafel
je gehört zu haben bewusst war. Durch genaueres Studium der
Schreibweise des Mathesius sehe ich aber jetzt ein, dass ich mich
im Irrthum befunden habe, nicht als ob ich die in den ange-
— 249 —
führten Worten gemeinte Technik nicht verstanden hätte, sondern
in Bezug auf die Gegenstände , auf welchen diese angewendet
wurde. Diese Gegenstände sind keine Fenstertafeln, sondern
Gl asge fasse. Es bezeugt dies der unmittelbare Anschluss fol-
gender Worte an obigen Satz: »Wie man yetzt auff die schönen
und glatten Venedischen gleser mit Demand allerley laubwerck
und schöne ztige reisset«, worunter ebenfalls Gefasse gemeint sind.
Also der incorporirie Fadenschmuck an Gefässen oder genauer
gesprochen die Gläser »di vetro di trina< waren in Schlesien bereits
um die Mitte des i6. Jahrhunderts bekannt, vielleicht früher als
in Venedig. ÖJ In diesem Falle verhielte es sich mit den geschnürl-
ten Gläsern ähnlich wie mit den Spdegeln, deren Fabrikation eben-
falls erst (1507) aus Deutschland nach Venedig gekommen, dort
aber in kurzer Zeit so unendlich vervollkommnet worden ist,
dass sie schon nach einem halben Jahrhundert selbst in Deutsch-
land .als Vorbild erschien. Ich bin geneigt, das Gleiche von den
geschnürlten Gläsern zu glauben* denn diese treten in Venedig
erst gegen das Ende des 16. und namentlich im 17. Jahrhundert
auf. Labarte ^) und Andere glauben zwar, diese Technik sei aus
Byzanz nach der Lagunenstadt gekommen , und scheinen diese
Ansicht auf eine Stelle des Theophilus zu stützen, welche be-
weisen soll, dass die Byzantiner des 12. Jahrhunderts geschnürlte
Gläser zu machen verstanden. Die betreffende Stelle ist ohne
Zweifel die folgende: »Sie, die Griechen, machen auch purpurne
oder lichtblaue Becher und Schalen mit massig ausgedehntem
Halse und umgeben dieselben mit Fäden aus weissem Glase, aus
welchem sie auch die Henkel ansetzen. Auch aus anderen Far-
ben fertigen sie nach ihrem Belieben verschiedene Arbeiten« 2).
Dass in diesen Worten nicht im Entferntesten von einem den
Gläsern incorporirten Fadenschmucke die Rede ist, sieht man auf
^) 1. c. p. 369, wo er von ;pOrnaments en filigranes de v^re* bei den
Griechen spricht.
2) ,Faciunt quoque scyphos ex purpura sive levi saphiro et fialas medi-
ocriter extento collo circumdantes filis ex albo vitro factis, ex eodem ansas
imponentes. Ex aliis etiam coloribus variant diversa opera sua pro libitu suo,*
— 250 —
den ersten Blick'). Theophilus erzählt nur, dass die Griechen
ihre purpurnen und saphimen Schalen mit einem weissen Glas-
faden umspannen, diesen an die fertig geblasenen Ge fasse an-
legten. Dies geht schon daraus klar hervor, dass sie an das
Gefäss, nachdem sie es mit weissem Glase umsponnen hatten, aus
demselben Glase Henkel ansetzten. Wer sieht ferner nicht ein,
dass die Venetianer, wenn sie hierin Nachahmer der Griechen
gewesen wären, diese auch in Bezug auf die Farben ihrer ge-
schnürlten Gläser nachgeahmt hätten? In diesem Falle würden
die Venetianer ohne Zweifel auch farbiges Glas, purpurnes oder
saphimes, als Bindemittel ihres opakweissen oder farbigen Faden-
schmuckes gewählt haben. Das ist aber keineswegs geschehen,
sondern die geschnürlten Gläser der Venetianer bestehen durch-
gehends aus Krystallglas. Wie stimmt hiezu die Nachricht des
Mathesius? > Jetzt werden die weyssen (d. h. farblosen) gleser ge-
meyn, draufF gleich weysse feden von weysser (d. h. opaker)
färbe getragen« sind. Also gleich, wie die Gläser gemacht wur-
den, sah man darauf opakweisse Fäden getragen, Fäden, die in
Folf e dessen dem Glase incorporirt sein mussten. Mathesius spricht
also von den sog. Gläsern »di vetro di trina« und behauptet von
diesen, dass sie zu seiner Zeit in Schlesien gemacht wurden.
Man könnte sich geneigt fühlen, den Georg Agricola, welcher den
Glasfabriken Schlesiens sicherlich viel genützt hat, als denjenigen
anzusehen, welcher diese Technik aus Murano in seine Heimath
gebracht habe. Allein es ist bisher kein Beweis hiefür beige-
bracht worden, dass die Venetianer vor der Mitte des i6. Jahr-
hunderts derartige Gläser gemacht haben. Nesbytt führt zwar
eine Stelle aus der im Jahre 1540 gedruckten Pirotechnia 2) des
Biringuccio an, in welcher von den geschnürlten Gläsern die
Rede sein soll ^). Allein der Autor spricht nur von den Enden
*) Auf S. 383 hat auch Lab arte diese Stelle richtig verstanden.
2) lib. II, c. XUI.
^) ^risguardinsi ancho non solo le cose picchole ma le grandi che fan
di vetro biaucho o d'altri colori, che paiano intessuti di vimine con quanta
egualitä e giustezza di t ermini con coloro eparii locati.*
— 251 —
der Glasstäbe, welche mit so grosser Gleichmässigkeit und Richtig-
keit gesetzt waren, dass er die betreffenden Arbeiten als etwas
Grosses betrachtete. Folglich meint der Autor nicht das »vetro
di trina< , sondern die Millefiorigläser. Dass die geschnürlten
Gläser damals noch nicht gemacht wurden, das zeigt u. A. auch
das im Jahre 1543 aufgenommene Inventar der Effecten König
Heinrich*s VIII. von England, welche im Westminster Palaste der
Obhut Sir Anthony Denny's anvertraut waren. In diesem Inven-
tar werden 450 Glasgegenstände aufgeführt, welche fast alle
aus Venedig stammten, und unter diesen 450 Gegenständen
findet sich nicht einer, welcher mit incorporirtem Fadenschmucke
versehen gewesen wäre. Zwar Nesbytt fand darunter einige Stücke,
welche nach ihm aus >vetro di trina< bestanden, nämlich ein
Becken und einen Krug, verschiedene Näpfe, Becher und ein
Körbchen mit Ohrhenkeln, von denen es heisst, dass sie »of
diaper work of sundry fashions« waren. Nun heisst aber »diaper«
>geblümt, marmorirt, gestickt«; die betreffenden Gläser waren also
>von geblümter, marmorirter oder gestickter Arbeit in den mannig-
faltigsten Arten. € Es ist klar, dass darunter nur Millefiorigläser
und solche aus marmorirtem Glase, dessen Kenntniss die Vene-
tianer bereits im 15. Jahrhundert besassen, verstanden werden
können. Bis jetzt also fehlt jeder Beweis, dass die Venetianer
vor der Mitte des 16. Jahrhunderts reticulirte, Filigran- und an-
dere geschnürlte Gläser hergestellt haben. Es liegt sonach der
Gedanke nahe, dass die Deutschen, resp. die Schlesier hierin
vorausgegangen sind und dass die Venetianer erst von ihnen die-
ses unendlich variable Motif der Gläserverzierung erhalten haben.
Tüchtig geschult, wie sie sich in der Jahrhunderte langen Her-
stellung der Millefiorigläser hatten, und begabt mit einem hohen
künstlerischen Verständniss, begriffen die Venetianer sofort den
hohen Werth dieser Neuheit und ihre weit vorgeschrittene Tech-
nik schuf bald die wunderbarsten Combinationen und Muster, so
dass sie damit .die Augen der ganzen Welt auf sich lenkten und
niemand mehr der Schlesier als Erfinder gedachte. Diese fuhren
zwar fort, in der ursprünglich einfachen Weise geschnürlte Gläser
zu machen, konnten aber mit der raschen Entwicklung, welche
— 252 —
die Technik in Venedig erfuhr, nicht gleichen Schritt halten und
wären sicher für alle Zeiten um ihren Ruhm gekommen, wenn uns
nicht Mathesius die interessante Notiz hinterlassen hätte. Merk-
würdig 1 Oder ist es nicht ein seltsames Spiel des Zufalls, dass,
nachdem im Laufe des vorigen Jahrhunderts die Technik der
reticulirten Gläser verloren gegangen war, dieselbe wieder in
Schlesien und zwar durch den Direktor Pohl der Josephinenhtitte
bei Warmbrunn 1843 erfunden wurde? *)
Ich komme nun wieder zu dem in Fig. 40 abbildlich ge-
gebenen Glase zurück. Dasselbe zeigt, dass die Schlesier, denen
es zugeschrieben werden darf, von der Mitte des 16. Jahrhunderts
bis zum Jahre 1678 in der von ihnen erfundenen Technik der
geschnürlten Gläser keine wesentlichen Fortschritte gemacht haben,
sondern auf der ursprünglichen Stufe stehen geblieben sind. In
anderen, unter venetianischem Einflüsse stehenden Hütten dagegen
wird man auch besseres geleistet haben. So führt nach August
Demmin*) Beckmann in seiner Geschichte Dessau's >Krystallgläser,
Nipptische, Filigrangegenstände und vielfarbige Blumen c an (Bd.
II. und III. S. 68). Da aber Demmin den Zusammenhang die-
ser Stelle nicht angibt und mir selbst das genannte Werk nicht
zur Verftigung steht, vermag ich hieraus keine weiteren Schlüsse
zu ziehen. Demmin selbst ist in allen seinen Angaben höchst
unzuverlässig, namentlich da er keine Quellen anführt. Ich weiss
daher nicht zu sagen, welchen Werth seine Angaben über die
Glashütten in Dessau und Emde haben. Doch um denen, welche
hierüber etwas Näheres wissen, Gelegenheit zu geben, dieselben
zu bestätigen oder zu berichtigen, wiederhole ich sie hier. Demmin
erzählt, dass Johann Georg II., Fürst zu Anhalt-Dessau, im
Jahre 1669 zu Dessau auf dem Schlosse Oranienburg eine Glas-
hütte ins Leben gerufen und im Jahre 1679 den Muraneser Glas>
Uelter iHe verschiedenen Techniken der geschnürlten Gläser siehe:
1>T, IL E, Benr^sith. Die Glasfabrikation. Brauoschweig, 1S75. Friedrich
Vicweg ;!t Sohn S» 35a ff. — Lab arte. 1. c 4, IIL p. 387 ff. — Catadi^ne
of ihc Ci>Uection v>f giass fornie^i by Felix Slade, p. 114 ff.
^^ Keraiuik-StiKUen. Merte Folge. Das Glas, dessen Geschichte und
\\\tVuc:j«c. Icuo^iij. ThcvKlor ThonKv> iSSj. S. 59.
— 253 —
macher Marin etti von Wien und einen andern italienischen
Glasmacher LudovicoSavonelli*)habe kommen lassen, umdieVer-
fertigung der >geblasenen und gekniffenen« Gläser, die doch
in Deutschland schon seit Jahrhunderten nichts Neues mehr waren,
einzuführen. Die Glashütte soll bis l686 bestanden haben und
ausser Anderem auch viele Flügelgläser gemacht haben. Das
Gleiche behauptet Demmin von der Hütte in Emde, ohne irgend
etwas zur Stütze dieser Behauptung anzuführen. Noch windiger
aber ist folgender Kraftspruch von ihm, dass sämmtliche Flügel-
gläser in Deutschland gemacht worden seien. Dass in Dessau
solche gemacht wurden, ist möglich, wenn dort wirklich venetiani-
sche Arbeiter thätig waren. Sehr zweifelhaft ist dies aber schon
von der Hütte in Emde, da diese nach Demmin's Angabe erst
um 1757 arbeitete. Damals waren die venetianischen Glasmacher,
wie wir oben gehört haben, bereits so weit zurükgekommen, dass
sie sich durch das Studium der böhmischen Glasindustrie fördern
mussten •, sie konnten daher schwerlich an Emde tüchtige Künstler
ablassen. Aber Demmin's Behauptung trägt einen Widerspruch
in sich selbst. Es sind nach ihm venetianische Arbeiter,
welche in Dessau die Fitigelgläser hergestellt haben sollen, und
nicht die deutschen Glasmacher. Wenn nun die Venetianer diese
Kunst nach Deutschland mitbrachten, werden sie dieselbe dann
nicht zuvor in Murano erlernt und geübt haben? Doch genug
von Demmin und seinem Werkchen. Flügelgläser sind in Deutsch-
land jedenfalls ebenso nachgemacht worden wie die geschnürlten
Gläser, anfangs von den eingewanderten Italienern und hernach
von den durch diese abgerichteten Arbeitern.
Bei Albert Ilg liest map, dass der schon oft genannte
Bernhard Schwarz, dessen bei Landshut errichtete Glashütte
bis 1580 gestanden haben soll, unter Anderm Millefiorigläser und
»vasi a reticelli«, »welche jedoch nicht so leicht sind als die
venetianischen,« erzeugt habe. 2) Worauf sich diese Behauptung
') Einen Savonetti lernten wir in den Niederlanden kennen; vielleicht
soll auch hier statt Savonelli Savonetti geschrieben werden.
2) Lobraeyr, a. a. O. S. iii.
- 254 —
stützt, konnte ich nicht finden. Soviel ich mich erinnere, hat sich
der derzeitige Bürgermeister von Landshut, Dr. Gehring, einst mit
der von Schwarz in Landshut gegründeten Hütte beschäftigt; aber
derselbe konnte mir auf meine schriftliche Anft-age gar nicht
sagen, wo seine Resultate gedruckt worden sind. Ich glaube, es
fehlt Allem, was über die wirkliche Erbauung der Landshuter
Hütte und deren Arbeiten verbreitet wurde, Hand und Fuss, es
ist Alles nur Phantasie. Ilg behauptet femer auch von dem oben
genannteD Scarpoggiato, welchen Wilhelm V. von Bayern zur
Errichtung einer Spiegel- und Tafetglashütte berufen hat, dass er
3vasi a ritorti und vasi a reticelli bunt und weiss< herzustellen
verstanden habe. In Dr. Stockbauer's > Kunslbestrebungen am
bayerischen Hofe u. s. w,«,') auf welche Ilg verweist, ist davon
mit keiner Silbe die Rede. Die Sache bedarf also noch einer
weiteren Aufklärung.
I) ,. ü. O.
Anhang.
I. Die soziale Stellung der früheren Glaskilnstler.
^V^
mu
IE Glaskünstler galten zu allen Zeiten für Leute, die
etwas Besonderes verstehen, etwas, das dem Gold-
machen in nichts nachsteht. Waren doch in den
ältesten Zeiten ihre Produkte den Edelsteinen gleich
geschätzt und so hoch gewerthet, dass sich nur die Könige in
deren Besitz setzen konnten. Als die Herstellungs- und Verar-
beitungsprocesse sich vervollkommneten, wurde das Glas allerdings
billiger, und vollends, als die ordinäre farblose Masse autkam.
Nichts destoweniger genossen die Glasmacher und Glaskünstler
überhaupt selbst noch in der römischen Kaiserzeit ein hohes
Ansehen, wie aus dem Interesse hervorgeht, welches die damaligen
Schriftsteller diesem Industriezweige zuwandten, und aus der Be-
wunderung, die sie den betreffenden Erzeugnissen nicht selten
spendeten. Ja damals wurde das Glasmacherhandwerk so geehrt,
dass sogar die Kaiser selbst sich herabliessen, dasselbe gelegent-
lich zu treiben, und den Glasmachern die Steuern und Abgaben
erliessen. Als aber das römisciie Reich unter den wuchtigen
Schlägen der Germanen zusammenbrach und in den stürmischen
Zeiten des frühen Mittelalters nur das Kriegshandwerk ein Recht
auf das Leben gewährte, m'ussten diejenigen, welche den Künsten
des Friedens obliegen wollten, hinter den festen Mauern der sich
Überall erhebenden Klöster Schutz und Zuflucht suchen. Auf diese
Weise kam die Ausübung aller Künste und Handwerke in die
— 256 —
thätigen Hände der Mönche, die den Regeln des Ordens ohne Unter-
schied der Person unterworfen waren. Die ersten Keime eines bür-
gerlichen Handwerks entstanden wohl mit der Gründung starker Bur-
gen und Städte durch Heinrich I. (919 — 936) und seine Nachfolger;
aber dasselbe erstarkte erst Jahrhunderte später so, dass die Concur-
renz der Mönche überwunden werden konnte. So scheint die Glas-
macherei, welche sich damals hauptsächlich auf die Herstellung klei-
ner Spiegel und farbiger Tafeln für die Glasmalereien der Kirchenfen-
ster beschränkte, ohne dass jedoch die Gefässbildnerei ganz brach ge-
legen wäre, noch im 12. Jahrhundert ziemlich ausschliesslich in den
Klöstern geübt worden zu sefn, wie es denn auch ein Mönch ist, der
uns über die technischen Glasprocesse jener Zeit berichtet. Wenn sich
in den drei folgenden Jahrhunderten in den nördlichen Ländern auch
manche von den Mönchen unabhängige Glasfabrik erhob, die soziale
Lage der Glasmacher dürfte sich schwerlich von jener der übrigen
Handwerker damaliger Zeit wesentlich unterschieden haben. Erst im
16. Jahrhundert erhalten diesen gegenüber die Glasmacher eine
Ausnahmestellung.
Die Vorkämpfer in dieser Beziehung waren die Glasmacher
von Venedig resp. Murano. Diese wussten die Bedeutung, welche
ihre Hütten allmählig erlangt hatten und den Nutzen und reichen
Gewinn, den sie der Republik brachten, auch zu ihrem Vortheil
klug auszubeuten, so dass sie bald als wirkliche Künstler angesehen
wurden und hohes Ansehen genossen. Schon im Jahre 1383
trug der grosse Rath von Venedig kein Bedenken mehr, das
Glasmacherhandwerk als eine vornehme Kunst — ars tam
nobilis — zu bezeichnen, und bald gewährte er den Ausübern
desselben nach einander weitgehende Rechte und Privilegien.
So verlieh er den grösstentheils aus Glasmachern bestehenden
Einwohnern von Murano seit dem 13. Jahrhundert das Bürger-
recht von Venedig, wodurch diese zu den höchsten Aemtem des
Staates befähigt wurden. Im Jahre 1445 gab er ihnen das Recht,
sich emen Kanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit auf Murano
und einen Delegirten bei der Regierung von Venedig zu wählen,
welcher die den Handel interessirenden Angelegenheiten zu be-
sorgen hatte. Der unter dem Namen >Statuto di Murano« bekannte
— 257 —
Codex, welcher im Jahre 1 502 vom Senate genehmigt wurde und
bis zum Ende der Republik in Rechtskraft blieb, enthält eine der
Insel speziell eigenthümliche civile, gerichtliche und administrative
Gesetzgebung. Ferner konnten die Patrizier Venedigs die Töchter
der muranesischen Glasmacher heirathen, ohne dass die aus einer
solchen Ehe hervorgehenden Kinder des Adels verlustig wurden,
gewiss eine grosse Gunst in damaliger Zeit. Als König Hein-
rich III. von Frankreich im Jahre 1573 nach der Lagunenstadt
kam, erhob er in einem Anfall von seltsamer Grossmuth die haupt-
sächlichsten Glasmacher vonMurano in den Adelsstand. EinErlass
der Gemeindeverwaltung von Murano bestimmte in Folge dessen,
dass ein goldenes Buch, ähnlich dem >Libro d'oro« des Adels
von Venedig, aufgelegt und darein die ursprünglichen, nunmehr
geadelten Glasmacherfamilien von Murano eingeschrieben werden
sollten. Neidlos bestätigte diesen Erlass der Senat am 16. August
1602. Dieses goldene Buch existirt noch heutzutage, wie wir
schon in der Einleitung gehört haben.
Die Glasmacher, welche seitdem trotz der strengsten Ver-
bote in die nördlichen Länder wanderten, nannten sich regel-
mässig Edelleute, und der Schutz und die Privilegien, welche
ihnen seitens aller Fürsten zuTheil wurden, haben ihre Bedeutung
noch gehoben. Bald waren es nicht mehr die venetianischen
Glaskünstler allein, welche sich eines solchen Ansehens erfreuten;
auch die einheimischen Glasmacher wurden, in Frankreich wenig-
stens, als adelig anerkannt, da die Könige auf diese Weise die
Glasfabrikation anspornen wollten. Schon am Ende des 14. Jahr-
hunderts genossen sie dort alle Rechte, Privilegien und Freiheiten
des Geburtsadels und waren namentlich von der Kleiderordnung
und allen den sonstigen Handwerkern auferlegten Abgaben befreit.
So erkannte König Karl VI. auf die Bitte Philippon Bertrand*s,
Glasmadiermeisters im Parc de Mouchamp in der Vendee, durch
Patentbrief vom 24. Januar 1399 das Recht an, welches dieser
adelige Glasmacher hatte, nicht mit den Nichtadeligen den land-
läufigen Kleiderordnungen und Herdsteuern unterworfen zu werden. *)
Lab arte, 1. c. T. III. p. 365.
17
— 258 —
Hiedurch wurde wohl der Grund zu dem späteren Glauben gelegt,
dass das Glasmachen an sich und überhaupt adle, ein Glaube,
welcher einfach thöricht ist; denn nicht die Glasfabrikation allein
erfreute sich im Laufe der Geschichte einer derartigen Begün-
stigung, noch verschiedenen andern Handwerken widerfuhr das
Gleiche. Ich erinnere nur an die italienische Fayence-Industrie
und an die Drechslerei. Was jene betrifft, so fanden es ver-
schiedene Adelige nicht unter ihrer Würde, Fayencen zu machen.
So war Maestro Giorgio Andreoli, welcher die Fabrik von Gubbio
längere Zeit leitete, vom Adel; denn er setzte seinem Namen das
Wörtchen don vor. Piccolpasso ferner, Fabrikant zu Castel-
Durante, nannte sich cavaliere ; ja in Ferrara war selbst der Herzog
Alfonso I. ein Töpfer. In noch höherem Ansehen stand im
17. Jahrhundert die Drechslerei; denn selbst Könige und Kaiser
wussten sich keine angenehmere Unterhaltung in den Mussestunden,
als an der Drehbank zu arbeiten. Immerhin mögen es sich die
genannten Handwerke zur Ehre schätzen, unter ihren Arbeitern
so erlauchte Persönlichkeiten zu finden ; dass aber der Adel dieser
auch auf die andern übergehe, wird im Ernste Niemand glauben,
auch nicht unter den Glasmachern', wenn diese in früheren Zeiten
auch eine bevorzugte Stellung hatten. Im Allgemeinen war die
Sachlage vielmehr die: Das Glasmachen an sich adelte nicht,
wenn auch viele Glasmacher in den Adelsstand erhoben wurden,
sondern dasselbe entadelte nicht, wenn sich Adelige damit be-
schäftigten. Bei den damals herrschenden Vorurtheilen war dies
ein grosser Vortheil für viele verarmte Edelleute, denen auf diese
Weise Gelegenheit geboten war, sich auf anständige Art ihr Brod
zu verdienen. So entstanden die »gentilshommes verriers< in
Frankreich, deren Lebensweise Le Vaillant de la FiefFe so nett
geschildert hat.*) Dieselbedauerte bis zur französischen Revolution.
So theilt Henry Delange, der Herausgeber des >Recueil des^faiences
italiennes,< eine hochinteressante Anekdote, wie er sagt, mit, die aber
vollauf das Gepräge der Wirklichkeit trägt. Ein Abkömmling einer
1) Les verreries de la Normandie. Les gentilshommes et artistes verriers.
Ronen 1873. — EinenAuszug davon gabDr.H.E.Benrath, Sprechsaal i875,Nr.5o.
— 259 —
alten Glasmacherfamilie, Herr de la Roche, Domherr zu Autun,
erzählte ihm nämlich Folgendes: »Mein Vater, welcher am Hofe
war<, sagt der genannte Domherr, »besuchte eines Tages seinen
Bruder, der eine grosse Glashütte betrieb. Es war lange her,
dass sie sich nicht mehr gesehen hatten. Mein Onkel empfing
natürlich seinen Bruder; aber bevor er ihn in die Glashütte führte,
in welcher eben gearbeitet wurde, sagte er zu ihm: » >Ich mache
Dich darauf aufmerksam, allen Glasmachern viel Rücksicht zu er-
weisen, wenn Du durch sie hindurchgehst; denn diese Leute,
welche Du zur Hälfte nackt und triefend von Schweiss sehen
wirst, sind lauter arme Edelleute aus der Provinz.« < Trotz sei-
nes Staunens hielt sich mein Vater an diese Weisung und war
selbst gegen den geringsten Arbeiter möglichst liebenswürdig.
Beim Herausgehen sagte mein Onkel zu meinem Vater: » »Das
ist noch nicht Alles; es ist in der Glasfabrik Sitte, dass am Samstag
nach der Bezahlung alle gemeinsam soupiren. Natürlich nimmst
Du an diesem Mahle Theil und ich ersuche Dich, zuvor Toilette
zu machen.«« Das Souper fand in einem grossen Saale des
Schlosses statt, in welchem mein Onkel wohnte, und als mein
Vater eintrat, waren die Glasmacher bereits versammelt; aber es
waren nicht mehr die Leute , welche er einige Tage zuvor ge-
sehen hatte; sie waren alle in Hoftracht, den Degen an der Seite,
die Kleider mit Borten besetzt, und mehrere trugen an den Man-
schetten und am Halse kostbare Spitzen. Das Mahl verlief heiter;
die geistreiche und angeregte Unterhaltung erging sich über die
Zeitereignisse. <
Gewiss waren das auf der Höhe der Zeit stehende Arbeiter.
Schade, dass wir über die socialen Verhältnisse der deutschen
Glasmacher nicht ebenso unterrichtet sind. An manchen Plätzen
hat sich zwar noch die Erinnerung erhalten, dass die Glasmacher
als Künstler früher einen Degen tragen durften, dass ihnen aber
wegen der vielen Raufhändel dieses Recht am Anfange unseres
Jahrhunderts genommen wurde. Damals hätte auch von einem
gewöhnlichen Landrichter ein Glasmacher nicht .gerichtet werden
können, da dieser sich jährlich höher gestanden habe als jener.
Ich weiss nicht , wie viel Wahres an diesem und ähnlichen Ge-
I7»
— 26o —
rüchten ist. Möglicherweise sind sie noch ein Ueberbleibsel der
Privilegien, welche die Kaiserin Maria Theresia den Glasmachern
gegeben haben soll; aber auch über diese ist mir nichts Näheres
bekannt und O. L. Hartwig, der Fortsetzer von >Sprengers Hand-
werke und Künste in Tabellen« >), sagt nur, dass die Glasmacher
in der Brandenburg unter sich zünftig waren. Auch die Glas-
schleifer und Glasschneider waren, wie wir bereits oben gehört
haben, aller Orten in Zünfte vereinigt, obwohl sie sich zu den
Künstlern rechneten. Ihre Lehrlinge mussten im 1 8. Jahrhundert
sechs Jahre lernen und ein angehender Meister musste in Berlin
einen Pokal mit vertieften Figuren verzieren *). Das ist Alles,
was ich über die deutschen Glaskünstler- Verhältnisse finden konnte.
2. Die internationale Bedeutung der altdeutschen
Glasindustrie.
Die Bedeutung der deutschen Hohlglasfabrikation in der
Glasindustrie überhaupt ist lange verkannt worden, aber mit gros-
sem Unrecht; denn selbst wenn dieselbe weiter nichts als die
herrliche Form des Römers geschaffen hätte, dürfte sie sich keck
an die Seite der Glasindustrien aller anderen Länder, sogar Ve-
nedigs stellen. Eine neue Form zu erfinden, die sich im Wechsel
der Zeiten erhält und unvergänglich bleibt, ist nämlich nichts
Geringes-, es ist vielmehr das Höchste, was eine Industrie zu lei-
sten vermag. In dieser Hinsicht steht selbst die venetianische
Glasindustrie der deutschen nicht voran; denn sie hat nur eine
einzige Gefässform von bleibender Dauer, nämlich das Kelchglas,
geschaffen, allerdings in tausenderlei Variationen bis hinauf zum
mächtigen Deckelpokale. Die deutsche Glasindustrie aber hat
ausser dem Römer noch zwei andere unvergängliche Formen in
das Dasein gerufen, das Bierglas und den cylindrischen Hum-
pen, der sich als Becher fortwährend erhält, wenn er auch in
Schönheit dem Römer nicht gleichkommt. Alle übrigen Gefäss-
formen sind nichts Neues; sie sind entweder direct aus dem Alter-
1) Zehnte Sammlung. Berlin 173, S. 309. -) Hartwig, a.a.O. S. 340.
— 26l —
thume überkommen, wie z. B. die verschiedenen Schalen, oder
sie sind erst über den Orient in vollendeter Gestalt in das Abend-
land gelangt, wie z. B. die Flasche. Auch die Krug form
wurzelt bereits im Alterthume. Allerdings erhielt sie ihre Vol-
lendung erst in der Zeit der Renaissance , damals aber weniger
in den Glashütten als in den Werkstätten der Goldschmiede und
Töpfer. Doch auch die Glasmacher bemächtigten sich ihrer und
es dürfte schwerlich einen formschöneren Glaskrug geben als den
oben unter Fig. 21 abgebildeten, welcher aus einer deutschen
Hütte hervorgegangen ist. Dieser herrliche Krug verdiente zum
unübertrefflichen Vorbild für alle Krüge in Glas gestempelt zu
werden.
In Bezug auf die Gefassformen also kann sich die altdeutsche
Glasindustrie kühn neben die venetianische stellen, von jener der
übrigen Länder gar nicht zu reden. Das Gleiche gilt hinsicht-
lich der Einführung neuer technischer Prozesse zum Verzieren
der Gläser. Hierin haben die Venetianer nichts Neues aufge-
bracht; denn das Emailliren erhielten sie vom Alterthume aus
der Hand der Orientalen und auch der, in der Zeit vor dem
17. Jahrhundert ohnehin sehr beschränkte angesetzte Schmuck
war schon im Alterthume auf das Höchste ausgebildet. Immer-
hin aber gebührt ihnen das Verdienst, diese Verzierungsarten in
geläuterter Gestalt wiederum im Abendlande eingeführt zu haben.
Die deutsche Glasindustrie kann sich dagegen rühmen, dass sie
die Gravirung der Gläser seit den Tagen des Alterthums zuerst
wieder aufgenommen und zur höchsten Vollendung gebradit hat.
Sie war es auch, der die Erfindung der Gläser mit incorporirtem
Fadenschmucke zugehört, wenn sie in der Erzeugung und künst-
lerischen Gestaltung derselben auch bald von den Venetianern
unendlich überholt worden ist. Auch die gerieften Gläser sind
von der deutschen Glasindustrie zuerst wieder in Schwung ge-
bracht worden, und die Verschmelzung des Emailschmuckes mit
den nicht ganz farblosen Gläsern ist so harmonisch, wie niemals
wieder seither.
Die Stilgesetze des Glases sind bereits im Alterthume in der
Praxis aufgestellt worden, sowohl fUr die farbigen als wie auch für die
— 262 —
farblosen Gläser. Die ersteren bildete während des Mittelalters
der Orient weiter, die letzteren ergriff später die venetianische
Glasindustrie und stellte sie der staunenden Welt bis in die klein-
sten Details klar vor Augen. Die deutsche Glasindustrie schlug
einen Mittelweg ein und suchte für jenes Glas, das zugleich farbig
und durchsichtig ist , die richtigen Formen auf. Wie sehr ihr
dies geglückt ist, zeigen die oben erörterten Gefässe. Ich könnte
noch dieses und jenes zu Gunsten der altdeutschen Glasindustrie
anführen , so z. B. die originelle Ausprägung der Eroailmalerei
auf den Adlergläsem und Kurfllrstenhumpen u, s. w. Aber ich
glaube, dass das Gesagte hinreicht, sie als jeder anderen, selbst
der venetiani sehen Glasindustrie ebenbürtig erscheinen zu lassen.
Zu ihr muss die Gegenwart zurückkehren, wenn sie es wieder zu
Selbständigkeit und Originalität, zu ureignem kräftigen Leben
bringen will.
Inhaltsverzeichniss.
i
Seite
Zur Einführung IJI
Vorwort . y
Einleitung i
I. Die Öfen, das Schmelzen und Verarbeiten des Glases 36
1. während des Mittelalters 36
2. zur Zeit der Renaissance 60
II. Die altdeutschen Gefassformen 77
1. Römer , 77
2. Angster und Kutrolf 91
3. Spechter 97
4. Passglas 102
5. Krautstrunk, Fass, Tümmler, Handtummler, Schale, Brüderlein,
Bierglas, Krug, Kanne, Flasche, Humpen, Becher, Magellel u. A. 105
6. Barocke Formen aus Glas 117
in. Die Gläser mit Emailmalerei 123
1. Entwicklung der Technik 123
2. Fichtelberger Gläser 138
3. Willkommen und Becher 142
a. Adlergläser oder Reichshumpen 145
b. Kurfürstengläser, Kurfürsten-, Apostel- und andere Service 146
c. Innungshumpen und Zunftbecher 151
d. Gläser mit Darstellungen aus dem täglichen Leben und
solche mit allegorischen Bildern 155
IV. Einige Spezialitäten 157
1. Schapergläser 157
2. Blaue Gläser 161
3. Kunckelgläser 168
4. Gläser mit Goldschmuck 172
— 204 —
Seite
V. GeschlifTene und geschnittene Gläser ...i8i
1. Die Glasschneiderei bis zum Ausgange des Mittelalten . . . . i8l
2. Die Glasschleiferei bis zum Ausgange des Mittelalters . . '. 201
3. Die Schleiftechnik seit dem Mittelalter 206
4. Die Glasschneiderei seit dem Ausgange des , Mittelalters . .210
5. Die mit der Diamantspitze gravirten Gläser 227
VI. Gläser k la fagon de Venise 230
1. Verres de cristal und verres cristallins 230
2. Gläser mit incorporirtem Fadenschmucke 245
Anhang: i. Die sociale Stellung der früheren Glaskünstler 255
2. Die internationale Bedeutung der altdeutschen Glasindustrie . 260
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