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ANDOVER THEOL. SERINARY
JUN 201907
— LIBRARY. —
mim
INS TI TIO THEOTOGIEN
BOTEN εν δ) Οἱ
TEXTR UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE VON DER KIRCHENVÄTER-COMMISSION
DER KGL. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTERNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR τὸν GEBHARDT uno ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE NEUNTER BAND
DER GANZEN REIHE XXIV. BAND
0
LEIPZIG
δ. C. HINRICHS’scne BUCHHANDLUNG
1903
\
INHALT DES 9. BANDES DER NEUEN FOLGE
(DER GANZEN REIHE XXIV. BAND)
Schmidt, Carl, Die alten Petrusakten im Zusammenhang der
apokryphen Apostellitteratur untersucht, Nebst einem neu- ἡ Heft 1
entdeckten Fragment. VIII, 176 Seiten. 1903.
Wrede, William, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs \ Heft 2
untersucht. VIIT, 116 Seiten. 1903.
Harnack, Adolf, Der pseudocyprianische Traktat de singularitate
clericorum, ein Werk des donatistischen Bischofs Macrobius
in Rom. (72 Seiten). — Die Hypotyposen des Theognost. ! Heft 3
90 Seiten‘. — Der gefälschte Brief des Bischofs Theonas an
den Oberkammerherrn Lucian. (25 Seiten). Il, 117 Seiten. 1903.
von Schubert, Hans, Der sogenannte Praedestinatus. Ein Beitrag |
H ἢ
zur Geschichte des Pelagianismus. IV, 147 Seiten. 1903. J οἷ 4
DIE
ALTEN PETRUSAKTEN
IM ZUSAMMENHANG DER
APOKRYPHEN APOSTELLITTERATUR
NEBST EINEM NEUENTDECKTEN FRAGMENT
UNTERSUCHT
VON
CARL SCHMIDT
FOL SENT,
—— RP
- L
& -
Ja 29 189
LEIPZI“ LisnrAaRl:
1 ©. HINRICHS’sene BUCHHANDLT'NT
1903
Neue Folye Banıl VIII. 3. und 4. Heft sind nuh im Druck
li.
Ve, ι΄ 7
Verlag der 4. C. HINRICHS’schen Buchhandling in Leipzig.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE GRIECHISCHEN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
DER ERSTEN DREI JAURHUNDERTE
Herausgereben von O. νὸν GEBHARLT und A. Hannack.
brhalt der Neuen Fol: :
Neueste Hefte:
Schmidt, C., Die alten Petrusakten im Zusammen-
hang der apokrypb. Apostelliteratur unter-
sucht. Nebst einein neuentdeckten Fragment.
. ΥΠῚ. 176 S, 1902. (ΝΕ IX, 1 M. 5 —
Narnack, A., Über verlor. Briefe u. Actenstück«,
die sich 8. ἃ. Cyprian. Briefsammlg. ermitteln
lassen. 45 S. — Klostermann, E., Kusebius'
Schrift περι τῶν γυπικιν ureuarer τῶν ἦν τῇ Dee
γεφῆ. 58, -- Bonwetsch, 8. N., Hippolvts Kom-
meutar 2. Holienlied auf Grund v. N. Mars
Ausg. ἃ. grunsin Textes lerausg. 10% 8, 1102,
(ΝΕ. VIII, 21 M. 5.50
Inhalt von N. F. Band I—FIII, 1:
Achelis, H., Hippolytstudien. VIII, 233 S. 1897,
(NF. 1,2) M. 750
Bonwetsch, G. W., Studien zı den Konimentaren
Hippolyts zum Buche Daniel und Hobenliede.
IV, 86 δι 1897. (NE. 1,2) M. 3 —
Bratke, E., Das sogenannte Keligionsgespräch
arm Hof der Sasaniden. IV.305 8. 1890, (Mit
Harnaok, t'yprian. Schriften iNF.IV .3) M. 10.50
Dobschütz, E. von, (!hristusbilder. Untersuchun-
gen zur christlichen Legende. XII, 294, 336
und 578. 1800, (NF. ΠῚ MW. 80 —
Erbes, C., Die Tudestaga der Apostel Paulus
und Petrus und ihre römischen Denkmäler.
IV, 158 S. 800. (Mit Harnack, Ketzerkatalug
und Gostz, ('yprian ΝΕ. IV, 1) _. MW. 550
Fıemming, J., Das Tuch Henoch. Athiopischer
Text mit Einleitung nn! Commentar.
XVL 1728. 1902, (NF. VI.) N. 1 —
Gebhardt, O.v., P’assio S. Therlar virginin. Die
latein. Übersetzen. der Acta Panli et Theclae
nehst Fraxm., Auszügen πὶ. Beilagen heraus.
UXVOT, 1RSS. 1002. (NF. VI, 23 M. 9.80
Geffcken, J., Kömpusition und Entstehungszeit
der Oracula Sibyllina. IV, 78 Ss. 102,
(SF. VIH, DD M. 250
Goltz. E. v. d, Kine textkrit. Arbeit ἃ. in. bez.
a. Juhrh., herag. nach einem Codex ı. Atlıus-
klosters Lawra. Mit 1 Lichtiruck-Titel.
VI 110 8. ıs0n, (ΝΕ. ΠΡ M 4.50
Goetz, K.G., Der alte Aufangz und die ursprüng-
liche Form vun Uyprians Schrift al Donatum.
188 ἸΌΝ 18. ὦ. Erbes)
Haller, W., Jovinianus, die Fragm. 5. Schriften,
He tuellen Δ. 8. esch., sein Lehen u. 8. Lehre.
VIII 15. S. 1897. NF. II, 2) M. 550
Karnack, A., Die Pfalf’schen Irenaus-Fragm. als
Fsilsch. Pfatf's narhgew. — Patrist. Miserllen.
II. 118 5. 100m, INNF.VY, ἢ. a —
Der Ketzer-Katalog des Bischuts Marta
von Maipherkat. 178. 180 (8. 0. Erbes)
Die Erste Reihe Band I-XY) der Texte und Untersuchungen οἷο,
Zweile Reihe 7 Bünde his jetzt vollstindig:.
ach in gute Halbfranz-Bihliotli-ksbände
Harnaok, A., Diodorv. Tarsus. Vierpsendojustin.
Schriften als Eigentum D'’s. nachgewiesen.
IV, :51 8. 1901. (NF. VLA) ΝΜ. S—
— Drei wenig beachtete Uyprianische Schriften
und die „Acta Pauli“. 348. τῆθος (5.0. Bratke:
Holl, K., Fragmente vurnieänischer Kirchen-
väter aus den Sacra parallela.
XXXIX, 211 δι 1820, (NNF.V, 2) M. 9 -
— Die Sacra parallela d«s Johannes Damas-
venus. ΧΥῚΙ, 302 ἃ. 18067. (ΝΕ, nm M.12--
Jeep, L., Zur Überlieferung δα Philosturgios.
33 S. 1810, (5. u. Wobbermin)
Kiostermann, E., Die Überlieferung der Jeremin-
Homilien des Origenes.
Vi, 116 8. 1897. (NF.T, 33 M. 3.50
Knopf, R., Der erste ('lemensbrieil. Untersucht
u.hberausg. IV, 1048 1896.ı(NF.V, 5 Μ, 6—
Nestle, E., Die Kirchengeschichte les Fusebius
aus dem Syrischen übersetzt.
X, 208 τς Til. ΙΝ VI, ἡ M. 9.50
Preuschen, E., FKuschbius’ Kirchengeschichte
Bueh YIu. VII ans d. Armenischen übersetzt.
XXI, 1009 8. 1002, (NF. VIE M. 1 --
Schmidt, C., Plotin's Stellung z. Gnostieismus u.
kirchl. Christentum. X, 90 8, — Fragnı. einei
Sehrift ἃ. Märt.-Bisch. Petrus v. Alexandrien.
508. 1900. (Mit Stählin NF.\, 4, M. 5 --
Siokenberger, J., Die Lukaskatene des Niketas
von Herakleia untersucht.
VIII 118 8. 1902. (NF. VILLA) M. +-
— Titus von Bostra. Studien zu dessen Lukas-
homilien. VIIT, 2088. 180L.(NF.VI,ı) M. 850
Stählin, O., Zur handschrittl, Überlief. ἀν lem.
Alexandrinus. 8 S. 1100. (Ἀν o Schmidt:
Steindorff, @., Die Apokilygse d. h.lias, e. unhek.
Apok. m. Bruchst. d Sophonpias-Apuk. Kopt.
Texte, Übersetzung, Glossar. Mit e. Doppel-
Tatel in Liechtdruck. X, 120 S. 1800
(ΝΕ. II, 3 M. 6.50
Stülcken, A., Athanasiana. Litterar- und dug-
wengeschichtliche Untersuchungen.
VII, 150 8. num, IıNF.I\, 1 M. ἃ —
Urbain, A., Kin Martyrologium 1, christl. (τὸς
meinde Zu Rum am Anfang des V Jahrh.
Vuellenstudien Z. Gesch. d. rom ΔΙΆ ΤΎΡΟΥ
VI, “δ S. 1001. INF. VL, τ MM. 8.0
Weiss, Β.. Der ΟἿΟΣ D in d. Apostelgeschichte,
Tex:kritische Untersuchung.
IV, 112 8. 1847, INF. IT, IM. 50
— Textkritik der vier Evangelien.
VI, iss. sum, (ΝΕ IV zo 8-
Wobbermin, @., Altchristl. litung Stücke aus der
Kirche Argyptens nebst einem lo.nstischen
Brief des Bischols Serapion von Timuis,
358. 18, (lit deep N. II, .:. 402
M. ὅδ
M. 117 —-
I. Keibe in 1% Dile. zu je M δυο, gebunden vorrätig.
Ausführliches Inhaltsverzeichnis steht zu Diensten.
DIE
ALTEN PETRUSAKTEN
IM ZUSAMMENHANG DER
APOKRYPHEN APOSTELLITTERATUR
NEBST EINEM NEUENTDECKTEN FRAGMENT
UNTERSUCHT
voN
CARL SCHMIDT
ἘΝ
LEIPZIG
J. C. HINRICHS’scar BUCHHANDLUNG
1903
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE VON DER KIRCHENVÄTER-COMMISSION
DER KGL. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTERNOMNMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEUGEBEN VON
OSCAR v. GEBHARDT uNnD ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE. IX. BAND, ı. HEFT.
Fr
“-
JAN 26 1503
L IBRARL |
DER HOCHWÜRDIGEN
THEOLOGISCHEN FAKULTÄT IN BERLIN
WIDMET
DIESE STUDIE ÜBER DIE PETRUSAKTEN
ALS ZEICHEN HERZLICHSTER DANKBARKEIT
FÜR DIE IHM VERLIEHENE
WÜRDE EINES LICENTIATEN DER THEOLOGIE
DER VERFASSER
Vorwort.
Bei meinen Studien über den Gnostieismus wurde ich auf
die apokryphen Apostelakten gewiesen, die ja fast allgemein als
gnostische Produkte gelten. Aber je tiefer ich in den Inhalt der
einzelnen Akten eindrang, um so mehr befestigte sich in mir die
Überzeugung, dass diese Schriften unmöglich von Gnostikern
verfasst sein können. selbst dann nicht, wenn sie von ihnen in
der bestimmten Absicht der Propaganda unter den Katholiken ge-
schrieben sein sollten. Der Gnosticismus, wenn man ihn durch
die vagen Begriffe des Doketischen, Asketischen und Fabelhaften
bestimmen zu können meint, wird zu einer unfassbaren Grösse,
während er doch stets eine ganz konkrete Weltanschauung vor-
aussetzt. Nicht jeder Doket und jeder Asket ist ein Gnostiker,
denn wie verschiedene Wege nach Rom führen, so haben auch
im Christentum verschiedene Gedanken und Motive zum Doke-
tismus und zur Askese geleitet. Kein Litterarhistoriker wird
einen Melito oder Clemens Al. ihrer zahlreichen Archaismen
wegen zu den Gnostikern zu rechnen wagen. Nach demselben
Kanon haben wir auch die Apostelakten zu beurteilen, nämlich
als Schriften, deren Gedankenwelt sich, gemesssen an der spä-
teren Theologie, noch in einem wenig abgeklärten Zustande be-
findet. Dazu kommt, dass diese Akten augenscheinlich aus Krei-
sen stammen, die sich um die offizielle Theologie wenig küm-
merten. Die Urteile der orthodoxen Väter des vierten und der
späteren Jahrhunderte können natürlich nicht in Betracht kommen;
sie vermochten sich in diese Art von Katholizismus nicht mehr
VI Vorwort.
zu finden. Von diesen Erwägungen geleitet, habe ich im An-
schluss an die Publikation eines unbekannten Stückes der alten
Petrusakten meine Untersuchungen über die Akten selbst auf eine
breitere Basis gestellt; sie sind zu einer litterarhistorischen Studie
über die gesamten Apostelakten ausgewachsen. Freilich habe ich
die Paulus-, Andreas- und Thomasakten nur gelegentlich herbei-
gezogen, dafür aber die Johannesakten um so eingehender behan-
delt, da gerade diese Akten angeblich das Hauptmaterial für ılen
gnostischen Charakter der Petrusakten liefern. Nur auf Grund
der Thomasakten könnte meine These von dem katholischen Cha-
rakter der Apostelakten ernstlich beanstandet werden, denn (die
daselbst vorkommenden Hymnen tragen allerdings einen spezi-
fisch gnostischen Charakter an sich. Sobald man aber den Ur-
sprung und die Zeit dieser Schrift in Rechnung zieht, löst sich
das Rätsel. Denn der Verfasser hat in Syrien geschrieben; seit
dem Ausgang des 2. Jahrh. beherrschte aber der Geist des Tatian
und des Bardesanes die Gesamtkirche Syriens. So konnte sich
auch ein Vertreter der Grosskirche garnicht dieser gnostisieren-
den (sesamtrichtung entziehen, vor allem nicht auf dem (tebiete
der Hymnologie, seitdem Bardesanes der Begründer des syrischen
Kirchengesanges geworden war. Ephraim Syrus hat ja erst nach
der Mitte des 4. Jahrh. durch seine Hymnen diesen gnostischen
Geist aus der Kirche gebannt,
Besteht nun meine These zu Recht, so tritt an den Kirchen-
und Dogmenhistoriker die Aufgabe heran, die apokryphe Apo-
stellitteratur statt bei der Darstellung des vulgären (inostivis-
mus vielmehr als wichtige Urkunden des altkatholischen Popular-
christentums zu würdigen. Hier liegt m. E. noch ein Schatz,
den wir nicht ohne Schaden ungehoben lassen dürfen. Weiter
aber: an diesen Schriften können wir den höchst interessanten
Prozess verfolgen, wie im 3. Jahrh. die Legende als (Geschichte
ihren Eingang in die Tradition der katholischen Kirche über
das apostolische Zeitalter gefunden hat. Auch naclı dieser Rich-
tung hin werden die Untersuchungen in grösserem Umfange auf-
genommen werden müssen.
Bemerken will ich noch, dass ich die auf S. 45, Anın. I in
Aussicht genommene Zusammenstellung der für das Urteil Auzu-
stins in Betracht kommenden Stellen nach reiflicher Überlegung
unterlassen habe. da ich im Texte die Citate in der Hauptsache
Vorwort. ΝΠ
wiedergegeben habe und im übrigen auf Zahns Acta Johannis
S. 201 ff. verweisen kann.
Zum Schluss möchte ich auch an dieser Stelle meinem Freunde
Dr. Köster in Heidelberg herzlichen Dank für seine Hilfe bei
der Korrektur aussprechen.
Berlin, den 22. Nov. 1902.
Carl Schmidt.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung
Text
Übersetzung . .
. Inhalt des Stückes
II. Herkunft des Stückes
III. Integrität des Textes und Verhältnis ; zu den übrigen Stücken der
alten Akten. . . ες
IV. Die Petrusakten und die Akten des Leueius . .
A. Leucius und die sogenannte leucianische Sammlung der apo-
kryphen Apostelgeschichten . . .
B. Ist der Verfasser der Johannesakten mit dem Verfasser der
Petrusakten identisch?. . . νον . ες
V. Abfassungs-Zeit und -Ort der Petrusakten .
VI. Charakter der Petrusakten . . ἊΣ
VII. Geschichtlicher Wert der Petrusakten .
Anhang: Ein heidnisches Fengnis über die alten Petrusakten
Nachträge ες ΝΕ ΞΕ
Register .
m,
Einleitung.
In einer kurzen Notiz, die ich im J. 1896 der Akademie
der Wissenschaften 1 über einen von Herrn Dr. Reinhardt in
Kairo erworbenen koptischen Papyrus vorlegte, wies ich darauf
bin, dass dieser wertvolle Kodex neben drei gnostischen Original-
werken der ältesten Zeit am Schluss eine kleine Abhandlung
unter dem Titel Tenpagıc unerpoc = πρᾶξις Πέτρου enthielte.
Da ich diese Mitteilung damals ohne alle litterarischen Hilfsmittel
anfertigen musste, war es mir nicht möglich, das Stück selbst
zu identifizieren und seinen Wert für die altchristliche Litteratur
näher zu bestimmen. Jetzt habe ich die Herausgabe der kop-
tisch-gnostischen Litteratur begonnen, kann aber in diesen Band
die πρᾶξις Πέτρου nicht aufnehmen, da sie kein gnostisches
Originalwerk ist, vielmehr zu den sogenannten apokryphen
Apostelakten gehört oder, richtiger gesagt, ein verlorenes Stück
der alten Petrusakten bildet, von denen durch Lipsius? das
grosse Schlussstück publiziert worden ist. Überdies beabsich-
tige ich, in den anschliessenden Untersuchungen einige wichtige
prinzipielle Fragen über die Apostelakten zu erörtern, so dass ich
bei meiner Edition der Paulusakten auf dieselben verweisen kann.
Dies wird m. E. die besondere Publikation der „Praxis“ in den
Texten und Untersuchungen rechtfertigen.
Die koptische Papyrushandschrift befindet sich jetzt in
Berlin unter der Inventarnummer P. 8502 des ägyptischen Mu-
seums. Das ursprüngliche Ms. umfasste 72 Blätter resp. 144
1) Sitzungsber. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wissenschaften phil.-hist.
Cl. 1896 Bd. XXXVI, S. 839 ff.
2) Acta apostolorum apocrypha I, p. 44 ff.
Texte u. Untersuchungen. N.F, IX, 1. 1
2 Carl Schmidt.
Seiten mit Hinzurechnung des Titelblattes; von diesen Blättern,
die sämtlich paginiert sind, fehlen nur 7, nämlich die 6 ersten
Blätter und pAr—pAa2 gegen Ende. Jede Seite enthält durch-
schnittlich 18—22 Zeilen; die Schrift weist m. Εἰ. auf das IV. —
V. Jahrh., der ganze Kodex ist von ein und derselben Hand ge-
schrieben. Der zu publizierende Text der „Praxis“ steht auf den
Seiten pru—pma; die Rückseite des letzten Blattes ist leer ge-
blieben, nur ein Schreiber resp. ein Leser hat den freien Raum
zu folgendem Herzenserguss benutzt:
Bic_ γ'.
IINOTTe ππίοστε
-- sic ___
INOTTE NNOFTE NIC
- -- Sic
πποεῖς πρρὸ ἤρφρωίοῦυ
ἀ. 1.: „o Gott der Götter, o Gott der Götter, o Herr der Herren,
o König der Könige“.
Der wirkliche Text unseres Stückes umfasst also nur 14
Seiten des Ganzen; davon fehlen leider durch Verlust eines
Blattes noch zwei Seiten. Der Grund, weshalb der Schreiber
den kleinen Text am Schluss angefügt hat, liegt offensichtlich
darın, dass ihm noch eine Reihe Blätter von der letzten Papyrus-
lage. übriggeblieben waren, die er nicht unbeschrieben lassen
wollte. Aus welchem Grunde er gerade diese „Praxis“ hinzu-
gefügt, werden wir später sehen, jedenfalls müssen wir ihm dank-
bar sein, dass er bei der Auswahl ein uns unbekanntes Stück
abgeschrieben hat,
Zum Schlusse will ich noch bemerken, dass auf Grund
meiner persönlichen Nachforschungen die Handschrift zuerst bei
einem arabischen Antikenhändler in Achmim aufgetaucht ist. Sie
war, wie ich weiter erfuhr, eingehüllt in Federn in einer Mauer-
nische gefunden worden. Wir dürfen daher mit Sicherheit an-
nehmen, dass sie aus dem Gräberfelde von Achmim oder wenig-
stens aus der Umgebung der Stadt stammt.
Ich gebe zunächst den koptischen Text nebst Übersetzung.
Die Ergänzungen sind durch eckige Klammern, die schwer les-
baren durch untergesetzte Punkte bezeichnet. Die Stellen, wo
am Schlusse der Zeilen ein Buchstabe des Raummangels wegen
übergeschrieben ist, habe ich nicht angemerkt.
Text.
p- PRın]
HM ποσὰ ae [inncakha
τοῦ E€TE TRTPIARH Te
ATAAHHWE CWOTO egosm'
ATEINE ἐροῦσι WA πε»
TPOC NHNOTARAHHIIE” ἐσ
UWE RERAAC Eljep>
πᾶρρε EePOOT ἃ 0A Δὲ Ὁ
TOAana choA gar Tiaer
HUJE ACXOOC δέπετρος
BE TIETPE EICHHHTE A
rIitaeTo choA δῆτρε ὁδῷ
πὸλλε tar ehoA asw ar
Tpe fiRweboc cWTAr
ATW AKTpe ngare ano
5 oe ATw Aarphoneeı
niswh δεῖ mas nor
Son eThe οὐ NTOC TER
WEEPE δἰπάρϑεῖος €
acaiaT eco Hcain eac
1) Ms. eg0F, wie auch sonst am Schluss der Zeilen. | 3) ππ Ομ
indem der Vorschlagsvokal e durch n wiedergegeben ist.
4! de übergeschrieben. | 5) statt iinepe 1. περε.
p. pre
TIICTETE EIIPAN AUIINOT
Te Mnerphoneerı πὰς
EICHHHTE TAP TIECOTA
ἐδ CHF ΤΗΡΕΙ͂ ATW cHHX
Znıca αὐμπάσε eccowt 5
CENAT ENETRTAATO U
ARLOOT τεπίπεερε HWR’>
AarpanzEeAt epoc ATIeTpoc>
δὲ cwhe nezar πίῃ»
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poc an eine Set σε Ππεροῦ
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HAPTIGE Ari πετξεπι
RA ETNMATICTETE NO
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4° Carl Schmidt.
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TEsjyeepe TIEeXarl πὰς
RE TWOTH ALTIERLA eat
πε Ἄδδν ἴτοοτε fica Ic
οσδδ NTELLOOWE δὲ
rraato ehoA final τηροῦν
ἐρεεοτῖ Teer WAPO
εἰ NTOC δε ACTWOTH
δέει ENIECHT WAPOL ἃ
TIRRHHWE TEAHA eat
πειτα πε TIeXe
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HTE A TIETHOHT TWT>
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>ETHPAITI 4 κε 660.1 TOTE
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OFT MINIOTTE πεσε πε
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6 Carl Schmidt.
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1) 1. genkewyaze. | 2) |. mnerMTo. | 3) das zweite ehoA ausradiert. |
4: Die letzte Seite ist umrändert und verziert.
Übersetzung.
p. 128 Am ersten Wochentage aber (δέ) ', d. 1. am Sonntag
(xvpraxn) versammelte sich eine Menge, und man brachte zu
Petrus viele Kranke, damit er sie heile. Einer aber (δέ) aus der
Menge wagte (τολμᾶν) dem Petrus zu sagen: „Petrus, siehe vor
unsern Augen hast du gemacht viele Blinde sehen und die Tauben
(xogof) hören und die Lahmen gehen und hast den Schwachen
geholfen (βοηϑεῖν) und ihnen Kraft gegeben —, warum aber
hast du deiner jungfräulichen (παρϑένος) Tochter, die schön
seiend aufgewachsen ist und | p. 129 | an den Namen Gottes ge-
glaubt (πεστεύει») hat, nicht geholfen (βοηϑεῖν) Denn (γάρ)
siehe ıhre eine Seite ist ganz paralytisch und sie liegt hingestreckt
dort im Winkel behindert. Man sieht die von dir Geheilten;
um deine eigene Tochter hast du dich nicht gekümmert (aue-
λεῖν)".
Petrus aber (δέ) lächelte und sprach zu ihm: „Mein Sohn, Gott
allein ist es offenbar, weshalb ihr Körper (σῶμα) nicht gesund
1) Im griechischen Text stand μιᾷ δὲ τοῦ σαββάτου.
N
8 Carl Schmidt.
ist. Wisse nun, dass Gott nicht schwach oder (7) machtlos ist,
sein Geschenk (dopea) meiner Tochter zu gewähren (χαρίέζεσϑιαι).
Damit aber (δῶ) deine Seele (ψυχή) überzeugt (rel9eoHaı) werde
und die Anwesenden noch mehr glauben (πεστεύει»), | p. 130
blickte er nun! seine Tochter an und sprach zu ihr: „Erhebe
dich von deinem Platze, ohne dass jemand dir geholfen hat
ausser Jesus allein, und wandle gesund vor diesen allen und
komme zu mir“. Sie aber (δέ) erhob sich und ging hinab zu
ihm; die Menge jubelte über das, was geschehen war. Es sprach
Petrus zu ihnen: „Siehe euer Herz ist überzeugt, dass nicht macht-
los ist Gott inbetreff aller Dinge, um die wir ihn bitten (alreım)“.
Da (τότε) freuten sie sich noch mehr und priesen Gott. Sprach |
p. 131 | Petrus zu seiner Tochter: „Gehe an deinen Ort, setze
dich und befinde dich von neuem in deiner Krankheit, denn (γάρ)
dieses ist mir und dir dienlich“. Wiederum (πάλιν) ging das
Mädchen fort, setzte sich an seinen Platz und wurde wie vorhin.
Die ganze Menge weinte und bat Petrus, dass er es gesund
mache.
Petrus sprach zu ibnen: „So wahr der Herr lebt ?, dieses ist
ihr und mir dienlich. Denn (γάρ) an dem Tage, wo sie mir
geboren wurde, sah ich ein Gesicht (öpaue). und der Herr sagte
zu mir: „Petrus, dir ist heute geboren eine grosse | p. 132 |
Heimsuchung (πειρασμός), diese (sc. Tochter) wird nämlich (γάρ)
vielen Seelen (ψυχαί) Schaden bringen, wenn ihr Körper (σῶμα)
gesund bleiben wird“. Ich dagegen dachte, dass das Gesicht
(ὅραμα) mich neckte.
Als das Mädchen zehn Jahre altgeworden war, da wurde vielen
durch es ein Ärgernis bereitet (σχανδαλίζεσϑαι). Und ein sehr
Begüterter?, mit Namen Ptolemäus, als er das Mädchen mit
seiner Mutter baden gesehen hatte, schiekte nach ihm, um es zu
seiner Frau zu nehmen; seine Mutter (d. i. die Mutter der Petrus-
1) Es liegt hier dieselbe Konstruktion vor wie}Matth. 9, 6: Ira dt εἰδῆτε
ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑοώποι ἐπὶ τῆς γῆς ἀφιέναι ἁμαρτίας,
τότε λέγει τῷ παραλιτικῷ"
2) Wörtlich: „lebendig ist der Herr“ = 7 ὁ χύριος, eine alte Schwur-
formel vgl. I. Clemens-Brief cap. 58, 2: SZ γὰρ ὁ ϑεὸς zul ζῇ ὁ κύριος
Ἰησοῦς Χριστός; Acta Joh. ed. Bonnet p. 166, 12: X κύριος Ἰησοῦς Χριστός.
3) Wörtlich „ein Reicher an Vermögen (βίο-)“.
Petrusakten. 9
tochter) willigte (πείϑεσϑαι) nicht ein. Er schickte oftmals
nach ihm, nicht konnte er erwarten = x κα
Das folgende Blatt 133—134 fehlt.
[die Leute des!]
ΠΡ. 185 | Ptolemäus brachten das Mädchen, legten es vor der
Thür des Hauses nieder und gingen fort.
Als ich (es) aber (δέ) bemerkte, ich und seine Mutter,
gingen wir nach unten und fanden das Mädchen, dass die eine
ganze Seite seines Körpers (σῶμα) von seinen Zehen bis zu
seinem Kopfe paralytisch und verdorrt war. Wir trugen es fort,
indem wir den Herrn priesen, der seine Dienerin vor Befleckung
und Schändung und ..... 2 bewahrt hat. Dies ist der Grund (αἰτία)
der Sache, dass das Mädchen also [bleibt] bis zum heutigen Tage.
Jetzt nun geziemt es euch, zu wissen die Schicksale des |
p. 136 | Ptolemäus. Er ging in sich und trauerte Nacht und Tag
über das, was ıhm geschehen war; und infolge vieler Thränen,
die er vergoss, wurde er blind. Indem er den Entschluss fasste,
aufzustehen und sich zu erhängen, siehe um die neunte Stunde
jenes Tages, da er sich aber (δέ) allein in seinem Schlafgemach
(xoırav) befand, sah er ein grosses Licht, das das ganze
Haus erleuchtete, und er hörte eine Stimme, die zu ihm sagte: |
p. 137 | „Ptolemäus, die Gefässe ? (σχεύη) hat Gott nicht gegeben
zum Verderben und zur Schändung, dir selbst vielmehr geziemt
es nicht, wie (ὡς) du an mich geglaubt (πιστεύειν) hast, meine
Jungfrau (παρϑένος) zu beflecken, welche du als deine Schwe-
ster erkennen wirst, als ob (αἷς) ich euch beiden ein Geist
(πνεῦμα) geworden sei —, sondern (ἀλλα) erhebe dich und gehe
eilends zum Hause des Apostels (ἀπόστολος) Petrus und du
wirst meine Herrlichkeit schauen; er wird dir die Angelegenheit
kund thun.“
Ptolemäus aber (δέ) zögerte nicht (ἀμελεῖν) und befahl seinen
1) Es wird etwa zu ergänzen sein ἃ FipwMme M,
2) Eine passende Ergänzung für ein mit Te anfangendes Wort habe
ich nicht gefunden. Vielleicht ist die Stelle korrupt und Tako „Verder-
ben“ zu lesen.
3) Ist der Ausdruck σχεύη im Sinne von 1 'Thess. 4, 4 in Bezug auf
das weibliche Geschlecht aufzufassen ?
10 Carl Schmidt.
Leuten, | p. 138 | ihm den Weg zu zeigen und ihn zu mir zu
führen. Als er aber (δέ) zu mir gekommen war, sagte er alles,
was ihm geschehen war in der Kraft Jesu Christi, unseres Herrn !.
Da (τότε) sah er mit den Augen seines Fleisches (σάρξ) und mit
den Augen seiner Seele (ψυχή), und eine Menge hoffte (ἐλπέζει»)
auf Christus; er that ihnen Gutes und gewährte (χαρέζεσϑαι) ihnen
das Geschenk (δωρεα) Gottes.
Darnach starb Ptolemäus, er schied aus dem Leben (βίος)
und ging hin zu seinem Herrn. | p. 139 | [Als er] aber (δέ) sein
Testament (δεαϑήχη) [machte], verschrieb er ein Stück Acker
auf den Namen meiner Tochter, weil er durch sie an Gott ge-
glaubt (πεστεύειν) hatte und gesund geworden war. Ich dagegen,
dem die Verwaltung (οἰχορομία) übertragen war, habe sie mit
Sorgfalt (ες σπουδαίως) geführt. Ich habe den Acker verkauft,
und Gott allein weiss es — weder (ovre) ich noch (ovre) meine
Tochter — ich habe den Acker verkauft und nicht habe ich
etwas von dem Erlöse des Ackers unterschlagen, sondern (ἀλλα)
das ganze Geld (χρῆμα) habe ich den Armen geschickt“.
Wisse nun, o Diener Christi Jesu, dass Gott | p. 140 | die Sei-
nigen regiert(?)! und einem jeden das Gute bereitet, wir dagegen
denken, dass Gott unser vergessen hat. Jetzt nun, ihr Brüder,
lasst uns trauern, wachsam sein und beten, so wird die Güte
(.-ἀγαϑός) Gottes auf uns blicken, und wir warten auf sie.“
Und noch andere Reden 2 hielt Petrus vor ibnen allen, und
preisend den Namen des | p. 141 | Herrn Christi gab er ihnen
allen von dem Brote; als er es zerteilt hatte, stand er auf und
ging in sein Haus.
Die Praxis des Petrus.
Untersuchungen.
I. Inhalt des Stückes.
Der Inhalt giebt sich als eine kleine Episode aus dem Leben
des Apostels Petrus zu erkennen; sie hat insbesondere das Schick-
1) Hier ist vielleicht eine kleine Lücke, s. u.
2) nupor „alle“ muss m. Εἰ. gestrichen werden.
Petrusakten. 11
sal der eigenen Tochter zum Gegenstande, die von einer andauern-
den Paralyse befallen ist. Die Ursache dieses Leidens wird vom
Vater selbst einer versammelten Menge in folgender Erzählung
vorgetragen: Der Herr erscheint dem Petrus am Tage der Ge-
burt in einem Gesicht und teilt ihm mit, dass die Geburt der
Tochter eine grosse Heimsuchung für ihn sein werde, da sie bei
gesundem Körper viele Seelen gefährden würde. Petrus selbst
beachtet das Gesicht nicht weiter und denkt an eine Neckerei.
Als aber die Tochter zehn Jahre alt geworden ist, lenkt sie
durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit der Männer auf sich.
Eines Tages erblickt sie Ptolemäus, ein sehr begüterter Mann,
mit ihrer Mutter im Bade; er wirbt sofort um sie, wird aber
von der Mutter abgewiesen, obwohl er seine Werbung wie-
derholt.
Das Folgende müssen wir wegen Ausfalls des einen Blattes
ergänzen. Aus dem Zusammenhange geht aber hervor, dass
Ptolemäus die Tochter, sei es nun auf eigene Hand sei es
durch seine Diener, gewaltsam entführt. Kaum erhält Petrus die
Kunde davon, da betet er zum Herrn, seine Tochter vor Berau-
bung ihrer Jungfräulichkeit zu bewahren. Der Herr erhört sein
Gebet. Die Tochter wird von Paralyse der einen Körperseite
befallen, so dass der Liebhaber sein Vorhaben nicht ausführen
kann. — Darauf setzt der Text wieder ein.
Ptolemäus lässt die Paralytische durch seine Diener zu
den Eltern zurücktragen; jene legen sie vor dem Hause nieder
und gehen fort. Petrus mit seiner Frau nehmen die Tochter
unter Lobpreisung über die Rettung der Jungfrau wieder auf.
Sie wird aber nicht geheilt, sondern verbleibt in der Paralyse
bis zum Zeitpunkte der Erzählung.
Im Anschluss daran berichtet Petrus auch die Schicksale
des Ptolemäus. Derselbe ist nämlich untröstlich über den Ver-
lust seiner Geliebten und bringt Tag und Nacht in Trauern
und Weinen zu. Die Folge davon ist völlige Erblindung. In
seiner Verzweiflung will er sich das Leben durch Erhängen
nehmen, wird aber daran durch eine Erscheinung des Herrn ge-
hindert; denn wie er allein in seinem Schlafgemache über den Plan
brütet, wird das ganze Haus von einem grossen Lichte erleuchıtet,
und eine Stimme ruft ihm zu, dass Gott die Weiber nicht zur
sinnlichen Befriedigung der Männer geschaffen habe; es gezieme
12 Carl Schmidt.
sich deshalb für ihn als Christ! nicht, eine Jungfrau zu be-
flecken, vielmehr solle er sie als Schwester betrachten, da er,
nämlich Christus, in ihnen beiden ein Geist geworden sei. Der
Aufforderung, sich in das Haus des Petrus zu begeben, um dort
die Herrlichkeit Christi zu schauen, leistet Ptolemäus sofort
Folge und lässt sich durch seine Diener hinführen. Hier erzählt
er das Vorgefallene und wird durch die Kraft Jesu sehend, und
zwar nicht nur mit den leiblichen, sondern auch mit den seeli-
schen Augen. Im Glauben an den Herrn scheidet er später
aus dieser Welt und vermacht in seinem Testamente ein Stück
Acker der Tochter aus Dank dafür, dass er um ihretwillen den
wahren christlichen Glauben wie die Gesundheit erlangt hatte.
Petrus übernimmt die Verwaltung des Ackers, verkauft ihn
darauf und schenkt den Erlös den Armen, ohne etwas für sich
zu behalten.
Soweit die Erzählung. Die Veranlassung dazu gab die ver-
wunderte Frage eines Mannes aus der Mitte der vor dem Hause
des Petrus versammelten Menge, aus welchen Gründen der Apo-
stel, der so viele Heilungswunder an den verschiedenen Kranken
vollbracht hätte, nicht seine eigene Tochter von ihrem Leiden
befreie. Petrus giebt ihm zu verstehen, dass nur Gott allein die
Ursache ihres Leidens offenbar, und dass es ihr sowohl wie ihm
selber so dienlich wäre. Damit aber der Frager wie die An-
wesenden nicht an der Allmacht Gottes zweifelten, wolle er sie
vor aller Augen durch Christi Kraft gesund machen. Er befiehlt
seiner Tochter, von ihrem Lager aufzustehen, zu wandeln und
zu ihm zu kommen. Sofort geschieht das Wunder, und die
Menge bricht in Lobpreisungen Gottes aus. Doch dauert diese
Heilung nur kurze Zeit, denn Petrus befiehlt gleich darauf, dass
die Tochter sich wieder auf ihr Lager begebe und von der Para-
lyse befallen werde. Statt nun den inständigen Bitten der Menge
1) Ob Ptolemäus bereits Christ war, als er um die Tochter warb,
oder erst im Verlaufe der Begebenheit es wurde, ist bei der lapidaren
Kürze der Erzählung nicht deutlich. M. E. war er doch schon Christ, ist
aber zum wahren Christentum erst von dem Momente an hindurchge-
drungen, wo er durch Christus zur Virginität bekehrt wurde.
2) Damit soll angedeutet werden, dass Ptolemäus von jetzt ab für
das lebendige Christentum im Gegensatz zum Namen-Christentum gewon-
nen wird.
Petrusakten. 13
zu willfabren, seiner Tochter die volle Gesundheit zu schenken,
erzählt er die früheren Ereignisse, die zu der Krankheit nach
dem Ratschlusse Gottes geführt haben.
Die ganze Episode ist auf einen Sonntag verlegt, an dem
man zu Petrus viele Kranke behufs Heilung bringt. Im An-
gesichte aller werden die Blinden sehend, die Tauben hörend
und die Lahmen gehend, indem der Apostel mit derselben Wun-
derkraft wie sein Herr ausgerüstet ist. Die Scene spielt sich
vor dem Hause des Petrus ab, das als sein Eigentum gedacht
ist, wo er auch mit seiner Frau und seinem unglücklichen Kinde
weil. Als Ort der Handlung gilt Jerusalem, wie wir noch
später sehen werden.
II. Herkunft des Stückes.
Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass die vorliegende
Erzählung nur einen kleinen Ausschnitt aus einem grösseren
Werke bildet. Dies beweist schon der Anfang, der im griechi-
schen Original μιᾷ δὲ τοῦ σαββάτου lautete; ebenso hat das
Stück einen viel zu kleinen Umfang, um jemals als selbständiges
Ganzes komponiert zu sein. Offenbar hat ein Schreiber es aus
den oben erwähnten äusseren Gründen von dem Ganzen losge-
löst, es ist auch kaum anzunehmen, dass das Stück bereits zu
seiner Zeit abgesondert umherlief; der innere Grund der Aus-
lösung liegt in dem stark enkratitischen Charakter der Erzäh-
lung, die für gnostische Leser ein besonderes Interesse hatte.
Die Unterschrift lautet in der koptischen Übersetzung Tenpagıc
MIETPOC, was auf eine griechische Vorlage πρᾶξις Πέτρου zurück-
geht!. Demgemäss muss das ganze Werk den Titel πράξεις
Πέτρου geführt haben; wir haben mithin ein bis dahin unbe-
kanntes Stück der alten von Eusebius (ἢ. e. III, 3, 2) zuerst unter
dem obigen Titel angeführten Akten vor uns.
Und wäre dieser Schluss nicht an sich schon zwingend, so
würden die Nachrichten der Kirchenväter unsere Annahme be-
1) Die einzelnen Episoden der Akten waren wahrscheinlich durch be-
sondere Überschriften kenntlich gemacht. Das gleiche Verfahren finden
wir in den Acta Thomae (vgl. die Ausgabe von Bonnet, Leipzig 1883).
Ebenso sind die Paulusakten in der koptischen Überlieferung in einzelne
Abschnitte zerlegt.
14 Carl Schmidt.
stätigen, denn Augustin sowohl wie Hieronymus gedenken der
Erzählung von einer (paralytischen) Tochter des Petrus und führen
sie auf die Petrusakten zurück. Augustin berichtet nämlich c.
Adimant. Manich. ὁ. XVUI, 5: In illo ergo libro. ubi apertissime
spiritus sanctus, quem dominus consolatorem promiserat, venisse
declaratur, legimus ad sententiam Petri cecidisse homines et mor-
tuos esse virum et uxorem, qui mentiri ausi erant spiritui sancto.
quod isti magna caecitate vıtuperant, cum in apocryphis pro
magno opere legant et illud, quod de apostolo Thoma comme-
moravi, et ipsius Petri fillam paralyticam factam ! precibus patris
et hbortulanı fillam ad precem ipsius Petri esse mortuam, et
respondent, quod hoc eis expediebat, ut et illa solveretur para-
lysı et illa moreretur, tamen ad preces apostoli factum esse non
negant.
Augustin will an dieser Stelle die Manichäer, die aus ihrer
ablehnenden Stellung zur kanonischen Apostelgeschichte gegen
die Erzählung Act 5, 1 ff. polemisieren, mit ihren eigenen Waffen
schlagen, indem er auf die von diesen so hochgeschätzten Apo-
stelakten zurückgreift und neben einer bereits früher angeführten
Erzählung aus den Thomasakten zwei Beispiele den Petrusakten
entnimmt, da es sich ja bei Act. 5 ebenfalls um Petrus handelt.
Hier erfahren wir in glücklicher Ergänzung der Lücke unseres
Textes, dass die Tochter auf das Gebet des Petrus paralytisch
geworden ist, zugleich erhalten wir die Kunde, dass in denselben
Akten die Geschichte von der Tochter eines Gärtners enthalten
war, die auf ein Gebet des Petrus sofort tot zur Erde sank.
Interessant ist nun die weitere Notiz des Augustin, dass auf
seine Vorhaltung die Gegner antworten: hoc eis expediebat, ut
illa solveretur paralysi et illa moreretur, denn gerade das Schlag-
wort τοῦτο συμφέρεε αὐτῇ 2 in griechischer Rückübersetzung
1) Die editio Lovaniensis hat sanam vor factam eingeschoben, was
aber von den Benediktinern mit Recht wieder beseitigt ist (vgl. Zahn,
Acta Joh. p. LXXVII, Anm. 1). Leider hat Lipsius: Apocr. Apostelg. Bd. IT,
203, Anm.1 jene ältere Lesart beibehalten und deshalb den Sinn der Stelle
verkannt.
2) Dasselbe Schlagwort als Antwort auf eine ähnliche Bitte der Um-
stehenden lesen wir in den Thomasakten c. 38 ed. Bonnet, wo der Apostel
aufgefordert wird, das Füllen wieder zu beleben, das ihn zur Stadt ge-
tragen hatte und vor den Thoren tot niedergesunken war: ὁ δὲ anoxoı-
Petrusakten. 15
kehrt zweimal in der kleinen πρᾶξις wieder und ist auch von
dort entnommen. Zu Augustins Zeit besass man also die alten
Petrusakten und zwar in lateinischer Übersetzung, wie ich gleich
hinzufüge.
Auch Hieronymus las noch in den Petrusakten die Geschichte
von der Tochter, wenn er adv. Jovin. I, 26- bemerkt: Possumus
autem de Petro dicere, quod habuerit socrum eo tempore quo
credidit et uxorem ıam non habuerit!, quamquam legatur in
περιόδοις 3 et uxor eius et filia.
Daneben besitzen wir noch zwei indirekte Zeugnisse In
den Philippusakten erinnert nämlich Philippus am Kreuze den
Bartholomäus an die Worte des Herrn Matth. 5, 28 und giebt
als Beleg das Verhalten des Petrus: xal διὰ τοῦτο ὁ ἀδελφὸς
ἡμῶν Πέτρος ἔφυγεν ἀπὸ παντὸς τόπου ἐν ᾧ ὑπῆρχεν γυνή"
ἔτε δὲ καὶ σχάνδαλον εἶχεν διὰ τὴν ἰδίαν ϑυγατέρα καὶ ηὔξατο
πρὸς κύριον, χαὶ ἐγένετο ἐν παραλύσει τῆς πλευρᾶς αὐτῆς διὰ
τὸ μὴ ἀπατηϑῆναι αὐτήν. Die zweite Überlieferung bietet fol-
genden Wortlaut: Καὶ ὁ χορυφαῖος δὲ Πέτρος ἔφυγεν ἀπὸ
προσώπου γυναιχός᾽ τὴν γὰρ ϑυγατέραν αὐτοῦ εὔοπτον οὖσαν
καὶ ἤδη γεγενῆσϑαι ἐπὶ τῇ εὐμορφίᾳ αὐτὸς ηὐξατο, καὶ ἐγένετο
ἐν παραλύσεει ἡ ϑυγάτηρ αὐτοῦ. Die letztere Form schliesst
ϑεὶς εἶπεν αὐτοῖς᾽ ἐγὼ μὲν ἠδινάμην ἐγεῖραι αὐτὸν τῷ ἐπιχλήσει τοῦ χυρίου
ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ: ἀλλὰ πάντως τοῦτο σιμφέρει" ὁ γὰρ αὐτῷ
δοὺς λόγον, ἵνα λαλήσῃ, ἠδίνατο αὐτὸν ποιῆσαι μηδὲ ἀποθανεῖν" οὐχ ἐγερῶ
ὅς αὐτὸν οὐχ ὡς μὴ δυινάμενος, ἀλλ᾽ ὅτι τοῦτό ἐστιν τὸ συμβαλλόμενον
αὐτῷ χαὶ σιμφέρον. Mir ist nicht zweifelhaft, dass der Verfasser der
Thomasakten das Schlagwort ebenso wie das Motiv eines mit menschlicher
Stimme redenden Tieres den Petrusakten entlehnt hat.
1) In der epist. 118 sagt Hier.: habuit et Petrus (sc. uxorem) et tamen
cum reti eam et naviculam dereliquit. Wie dies sich mit der Angabe des
Paulus 1. Kor. 9, 5 reimt, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen. Die
Meinung, Petrus habe nach Matth. 19, 27 seine Frau verlassen, hatte be-
reits Origenes tom. XV, 21 in Matth. vertreten.
2) In seinem Catal. vir. ill. 1 zählt Hieron. im Anschluss an Euseb.
h. e. UI, 3, 2 auch die actus Petri auf.
3) Durch die Liebenswürdigkeit des Hrn. Bonnet konnte ich bereits
seine Ausgabe der Acta Philippi (Acta apost. apocr. III, 81) in den Aus-
hängebogen benutzen. Vgl. auch Tischendorf, appendix ad apost. apocr.
p. 149 u. 155. Bei ἤδη γεγενῆσϑαι ist eine Lücke, die von Lipsius, Apocr.
‚ Apostelg. II, 1 8. 204 zu xal ἤδη -“πειρασϑεῖσαν σχάγδαλον αὐτῷ)" γεγενῆ-
σϑαι dem Sinne nach ergänzt ist. Bonnet ergänzt zweifelnd (ἰδὼν oxar-
16 Carl Schmidt.
sich enger an den Text an, aber auch die erstere bietet einzelne
Züge, die auf die alte Vorlage zurückgehen. Auch sonst hat
der Verfasser der Philippusakten die Petrusakten ! benutzt. Be-
merken will ich noch, dass die Angabe, Petrus habe jeden Ort
vermieden, an dem sich eine Frau aufhielt, niclıt auf die Petrus-
akten zurückgeht, sondern eine übertriebene Schlussfolgerung von
seiten des Verfassers der Philippusakten ist.
Einen lehrreichen Einblick in die legendenhafte Aus-
schmückung und Weiterbildung der ursprünglichen Sage gewährt
uns das zweite indirekte Zeugnis, wie es in den Akten des
Nereus und Achilleus aufbewahrt ist. Der griechische Text
der Akten ist nach dem Vorgange von Albr. Wirth (Acta SS.
Nerei et Achillei graece ed. Lips. 1890) von H. Achelis (Texte u.
Unters. X], 2) veröffentlicht worden; der lateinische Text ist ab-
gedruckt in den Acta SS., Monat Mai Bd. III, S.6fl. Wie FE.
Schäfer ? m. E. mit Recht nachgewiesen hat, ist nicht der Grieche,
sondern der Lateiner das Original; deshalb gebe ich den lateini-
schen Text des cap. 15 und zwar um der Wichtigkeit willen in
extenso:
De Petronilla vero filia domini mei Petri apostoli, quis eius
exitus fuerit, quia interrogastis, solicite breviterque intimabo.
Petronillam itaque bene nostis voluntate Petri paralyticam fac-
tam: nam recolo interfuisse vos, cum apud ipsum plurimi disci-
puli eius reficeremus, et contigit ut Titus diceret apostolo: Cum
universi a te salventur infirmi, quare Petronillam paralyticam
iacere permittis? Apostolus ait: Sie expedit ei. Sed ne existi-
metur ımpossibilitas eius incolumitatis meis sermonibus excusarı,
ait ad eam: Surge, Petronilla, et ministra nobis. Et statim sur-
rexit sana. Ministerio autem expleto iussit eam redire ad gra-
batum. At ubi in timore dei coepit esse perfecta, non solum
dalov γενήσεσθαι) χαὶ ἤδη yeyevjodaı, vielleicht besser auf Grund von
p. 139, 2.9 (kopt. Text) zu emendieren: χαὶ ἤδη σχάνδαλον πολλοῖς, γε-
γενῆσϑαι.
1) Das Citat Act. Phil. 140: ἐὰν μὴ ποιήσητε ὑμῶν τὰ χάτω εἰς τὰ
ἄνω χαὶ τὰ ἀριστερὰ εἰς τὰ δεξιά, οὐ μὴ εἰσέλϑητε εἰς τὴν βασιλείαν μου
geht auf Acta Petri c. 33 zurück.
2) „Die Akten der hil. Nereus und Achilleus. Untersuchung über den
Originaltext und die Zeit seiner Entstehung“. Röm. (uartal-Schr. 1894,
S.89 fl. (vgl. auch A. Hilgenfeld, Berl. phil. Wochenschr. 1894, S. 1383).
Petrusakten. 17
1088 salvata est, verum etiam plurimis recuperavit in melius suis
orationibus sanitatem. Et quoniam nimis speciosa erat, venit ad
eam Flaccus comes cum militibus, ut eam 5101] uxorem assumeret.
Cui Petronilla ait: Ad puellam inermem cum militibus armatis
venisti: si uxorem me habere vis, fac matronas et virgines ho-
nestas ad me post tres dies venire, ut cum ipsis veniam ad do-
mum tuam. Factum est autem, ut trium dierum acceptum spa-
tium virgo sanctis jejuniis et orationibus occuparetur, habens
secum sanctam virginem Feliculam collectaneam suam, in dei
timore perfectam. Tertio itaque die veniens ad eam 8. Nicomedes
presbyter celebravit mysteria Christi. Virgo autem sacratissima,
mox ut Christi sacramentum accepit, reclinans se in lectum,
emisit spirtum. Factumque est, ut omnis turba matronarum et
virginum, quae fuerant a Flacco adductae, exequias funeris
sanctae virginis celebrarent.
Das 15. Kapitel bildet nur einen Teil jenes Briefes, den
Marcellus, Sohn des Präfekten von Rom mit Namen Marcus,
an die beiden Kammerdiener der nach der Insel Pontia verbannten
Domitilla, nämlich an Nereus und Achilleus von Rom aus schreibt
und zwar auf deren briefliche Aufforderung (vgl. c. 11), ihnen
über das Leben des Simon Magus und seinen Kampf mit Petrus
ausführlichen Bericht zu erstatten, damit sie gewissen Schülern
des Simon Magus erfolgreich gegenübertreten können. In diesem
Briefe suchen wir aber vergebens nach einer Anfrage über den
Tod der Tochter des Petrus; sie wäre ja für den vorliegenden
Zweck ganz unmotiviert gewesen. Hier muss also eine bestimmte
Tendenz des Aktenschreibers vorliegen; wir werden gleich sehen,
welche. Zunächst verlohnt es sich, einen Blick ın die Werkstatt
des Fabulanten zu werfen, da wir jetzt in der glücklichen Lage
sind, Original und Kopie vergleichen zu können.
Von dem Aktenschreiber erfährt man zum ersten Male
den Namen der Tochter, nämlich Petronilla. Was man bisher
vermutet bat, dass erst eine jüngere Kombination eine in Rom
verehrte heilige Petronilla auf eine oberflächliche Namensähn-
lichkeit hin resp. eine Art von Volksetymologie (Petronilla von
dem männlichen Stamme Petrus abgeleitet) mit der Tochter des
Apostelfürsten identifiziert hat, finden wir bestätigt, da unsere
Praxis die Tochter anonym einführt, wie ja auch die übrigen Zeugen
der alten Erzählung nur von einer filia Petri zu reden wissen.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1. >
18 Carl Schmidt.
Den Namen selbst hat aber der Verfasser keineswegs erfunden,
sondern es gab in Rom eine Märtyrerin Petronilla, deren Ge-
dächtnis seit dem 4. Jahrhundert in der Domitillakatakombe !
gefeiert wurde, wie die Ausgrabungen vollauf bestätigt haben 2.
Die Mache des Aktenschreibers bestebt nun darin, dass er auf
seine Hand die Identifikation der Heiligen mit der Petrustochter
vorgenommen hat, denn an eine zu seiner Zeit bereits bestehende
volkstümliche Kombination zu denken, verbieten die übrigen
selbstgemachten Notizen. Dagegen ist mit Bestimmtheit an-
zunehmen, dass die geschichtswidrige Kombination des Verfassers
für die allgemeine Wertschätzung der Heiligen in Rom, von der
man sonst nichts oder wenig wusste, von Einfluss gewesen ist.
Freilich ist der offizielle römische Heiligenkalender von der
Petrustochter verschont geblieben, da man eine leibliche Tochter
des Petrus nicht gebrauchen konnte, denn sowohl das Martyro-
logium Hieronymianum wie die übrigen Kalendarien kennen nur
eine Petronilla virgo.
Der römischen Petronilla zuliebe musste auch der Ort der
Handlung von Jerusalem nach Rom verlegt werden, und dies
hatte dann weitere eingreifende Umgestaltungen der Vorlage
zur Folge. Die Ursache der Paralyse wird als bekannt voraus-
gesetzt. Bei der zeitweiligen Heilung sind neben zahlreichen
Jüngern des Petrus auch Marcellus, Nereus und Achilleus
zugegen. Der Fragesteller ist nicht ein τίς aus der Menge,
sondern Titus, der wahrscheinlich aus der Passıo Pauli des
Pseudo-Linus? hier Aufnahme gefunden hat. Die Frage selbst.
cum universi a te salventur infirmi, quare Petronillam paralyti-
cam iacere permittis? stimmt mit derjenigen in der Praxis über-
ein, ebenso die Antwort des Petrus: sie expedit ei. Während
aber Petrus hier die Heilung vollzieht, um die Anwesenden von
seiner Kraft über die Krankheiten zu überzeugen, verrichtet er
nach dem Originaltexte das Wunder behufs Machterweisung
seines Gottes, Neu ist die Aufforderung: surge, Petronilla, et
ministra nobis; dieser Zug erinnert nur zu deutlich an die Er-
1) In cap. 18 wird das Grabmal der Petronilla als gelegen an der
via Ardeatina auf dem Landgute der Domitilla 11. m. p. von Rom an-
gegeben.
2) Vgl. Achelis 1. c. 8. 40 ἢ
3) Lipsius, Act. apost. apocr. I, p. 43, ὃ.
Petrusakten. 19
zählung von Petri Schwiegermutter Luk. 4, 39 und ist auch von
dort bezogen. Nach Verrichtung der διαχονία muss sie auf Ge-
heiss des Petrus sich wieder auf ihr Lager begeben ΄.
Damit hätte der Verfasser seine Erzählung schliessen können,
aber gerade der exitus interessierte ihn am meisten. Darüber
besass er aber keinen Stoff in seiner Vorlage; deshalb fabrizierte
er aus dem Anfang der alten Legende einen passenden Schluss.
Zunächst erlangt die Petronilla infolge ihres vollkommenen Glau-
bens ihre Gesundheit wieder, wie sie auch durch ihre Gebete
vielen Heilung verschafft hat. Danach hat Petronilla die Rolle
des Petrus übernommen. Jetzt wird auch mit einem Male die
Schönheit der Tochter als Motiv für die Werbung des Comes
Flaccus hervorgeholt. An die Stelle des reichen Ptolemäus tritt
der vornehme Römer, der gleich mit Soldaten die Geliebte abholen
will Petronilla bittet um drei Tage Aufschub, die sie mit Fasten
und Gebeten zubringt. Nach Empfang des heiligen Sakramentes
stirbt sie als heilige Jungfrau, so dass Flaccus sein Ziel nicht
erreicht.
Das Motiv für die Paralyse ist bier zum Motive für den
Tod geworden, da der Verf. offensichtlich über eine geringe Er-
findungsgabe verfügte. Der Grund aber, weshalb die ganze Petro-
nilla-Episode in die Akten eingefügt ist, liegt in der Tendenz
der Akten selbst, die auf eine Verherrlichung der Virginität aus-
geht. Die Domitilla, deren Geschichte einen breiten Raum ein-
nimmt, erinnert ganz an die Petronilla, da jene durch ihre
Kämmerer bewogen wird, statt des irdischen Bräutigams den
himmlischen zu wählen, und infolgedessen nicht nur ihr eigenes
Schicksal, sondern auch das einer Reihe anderer Personen, die
willkürlich mit ihr in Verbindung gesetzt werden, besiegelt. Die
einzige äusserliche Berührung besteht darin, dass die Personen
im Heiligenkalender Roms standen.
Demgemäss verlieren die Akten des Nereus und Achilleus
jeden historischen Wert, ein Umstand, der auch bei der Beur-
teilung der anderen Nachrichten des Marcellus-Briefes über Petrus
1) Im Griech. heisst es εἰς ἣν (sc. χλίνην) ἐν τῷ φόβῳ τοῦ ϑεοῦ
ὁλόχληρος διέμεινεν μέχρι τοῦ τῆς ζωῆς αὐτῆς τέλους; dies kann nicht ur-
sprünglich sein gegenüber dem latein.: at ubi in timore dei coepit esse
perfecta, denn thatsächlich ist die Tochter auch nach dem Griechen nicht
bis ans Ende ihres Lebens paralytisch geblieben.
2
90 Carl Schmidt.
und Simon Magus zu beachten ist. Einzig und allein die Kennt-
nis der vollständigen Petrusakten, die der Verf. verrät, ist in-
sofern für die Litterarhistorie von grossem Interesse, als dadurch
feststeht, dass noch zur Zeit der Abfassung der Akten des Nereus
und Achilleus — und diese fällt nach Schäfer in die erste Hälfte
des 5. Jahrh.! — die Petrusakten in grosskirchlichen Kreisen
eifrig gelesen wurden. Freilich kennt der Verf. daneben noch
eine andere Schrift, die das Martyrium des Petrus und des Paulus
behandelt, und nennt als Autor den Linus, von dem er behauptet.
er habe graeco sermone omnem textum passionis eorum ad eccle-
sias orientales geschrieben ?.
Uns interessiert zunächst die Frage. ob auch in der sonstigen
Überlieferung der vorliegenden Erzählung inbetreff der Petrus-
tochter gedacht wird, so dass von hier aus Schlüsse über die Be-
nutzung der alten Akten gezogen werden können. Doch weitere
sichere Spuren der Benutzung finden sich nicht. Die Clement.
Homilien XII, 1 und Recogn. VII, 25 erwähnen nur die Frau
des Petrus, doch kann dies auch aus der sonstigen Tradition ge-
schöpft sein, wenn auch m. E. für diese Schriften die Kenntnis
der Petrusakten nicht geleugnet werden darf.
Von viel grösserer Wichtigkeit für die Datierung würde der
Nachweis sein, dass bereits Clemens Alex. einige Nachrichten aus
dieser (Juelle bezogen habe. Strom. Ill, 6, ὃ 52 berichtet er näm-
lich: Πέτρος μὲν γὰρ καὶ Φίλιππος ἐπκαιδοποιήσαντο, Φίλιππος
δὲ χαὶ τὰς ϑυγατέρας ἀνδράσιν ἐξέδωχεν. und ferner Strom.
v1, 11, 8 63: φασὶ γοῦν τὸν μαχάριον Πέτρον ϑεασάμενον τὴν
αὐτοῦ γυναῖχα ἀγομένην τὴν ἐπὶ ϑάνατον ἠἡσϑῆναι μὲν τῆς
χλήσεως χάριν xal τῆς εἰς οἶχον ἀναχομιδῆς. ἐπιφωνῆσαι δὲ
εὖ μάλα προτρεπτικῶς τε χαὶ παραχλητικῶς ἐξ ὀνόματος προσ-
εἰπόντα᾽ μεμνήσϑω αὐτῇ τοῦ χυρίου (vgl. Euseb. h. e. III, 80),
Um mit der letzten Notiz anzufangen, so müsste das geschilderte
Ereignis, wenn es in den Petrusakten berichtet wäre, in Jerusa-
lem stattgefunden haben, da die Akten nur Jerusalem und Rom
als Schauplatz der Thätigkeit des Petrus kennen. Leider giebt
uns Clemens nicht den Ort an, um sogleich die Frage entschei-
1) Achelis (l. c. 8. 56) verlegt sie nicht früher als in die zweite Hälfte
des 5. Jahrh.
2) Darauf werden wir noch in anderem Zusammenhange zurück-
kommen.
Petrusakten. 91
den zu können; offenbar aber handelt es sich bier um eine der
vielen mündlichen Traditionen des Clemens, wie ja auch das
φασί zeigt. Dazu hat keiner der späteren Schriftsteller die Ge-
schichte vom Martyrium der Frau des Petrus erwähnt. Ebenso-
wenig beruht die erste Notiz über die Thatsache, dass Petrus
Kinder erzeugt habe, auf einer schriftlichen Quelle, vor allem
nicht auf den Petrusakten, wie Zahn (Acta Joh. p. LXXV]II und
Gesch. d. Kan. Il, 828, Anm. 1) behauptet!. Nur so viel können
wır der Notiz des Clemens entnehmen, dass auch der Verf. der
Akten die Legende von der Tochter gebildet habe auf Grund
jener grosskirchlichen Tradition, dass Petrus eine Frau und zu-
gleich Kinder von ihr besessen habe, denn — so lautet die natür-
liche Annahme — wer verheiratet ist, hat auch Kinder. Vollends
ist Epiphanius kein Zeuge für die Petrusakten, denn seine An-
sicht h. 30, 22 μετὰ γὰρ τὸ γῆμαι καὶ τέχνα χεχτῆσϑαι xal
πενϑερὰν ἔχειν συνέτυχε τῷ σωτῆρι ἐὲξ Ἰουδαίων ὁρμώμενος
ist die vulgär katholische, dass jenes zu der προτέρα ἀναστροφή
des Petrus gehöre, während er mit seiner Berufung ein neues
Leben in der Nachfolge des Herrn begonnen habe.
III. Integrität des Textes und Verhältnis zu den
übrigen Stücken der alten Akten.
M. E. kann es keinem Bedenken unterliegen, in der kopti-
schen Übersetzung der Praxis eine getreue Übersetzung des Ori-
ginals zu erkennen. Den Verdacht, dass vielleicht gnostische
Hände an dem Text gemodelt hätten, finde ich nirgends bestätigt.
Für Originalität des Ganzen spricht schon die knappe, jede Weit-
schweifigkeit vermeidende Erzählungsweise, wie sie in den übrigen
Stücken uns entgegentritt. Nur auf p. 138 möchte ich durch
Versehen des Abschreibers eine kleine Lücke fannehmen, denn
der Satz: „als er aber zu mir gekommen war, sagte er alles, was
ihm geschehen war in der Kraft Jesu Christi, unseres Herrn“,
giebt im letzten Teile keinen rechten Sinn; vielleicht lautete er
ursprünglich ungefähr also: „als er aber zu mir gekommen war,
sagte er alles, was ihm geschehen war. [Da legte ich meine
1) Lipsius, Act. apost. apocr. I, p. X ist schwankend.
22 Carl Schmidt.
Hände auf seine Augen und sprach: Werde sehend] in der Kraft
Jesu Christi, unseres Herrn“.
Wie verhält sich nun das vorliegende Stück zu den übrigen
vorhandenen Texten der alten Petrusakten? Wir besitzen ja be-
kanntlich in dem Cod. Vercellensis den grossen Schlussabschnitt
der römischen Wirksamkeit des Petrus, und zwar in einer alten
lateinischen Übersetzung (vgl. Actus Petri cum Simone Verc.
p. 45—103 bei Lips. Act. apost. apoer.); ihm tritt zur Seite für
das eigentliche Martyrium in Rom ein griechischer Zeuge aus
einem Codex von Patmos und Athos (vgl. Lips. 1. c. p. 78—102).
Während Harnack früber! in diesen Actus Vercell. eine „im
wesentlichen treue, sachlich wenig veränderte Übersetzung der
von Eusebius genannten Πράξεις Πέτρου“ erblickte, hat er
jüngst? die These vertreten, dass eine Kompilation vorliege, in-
dem neben anderem das Martyrıum des Petrus aus den Paulus-
akten entlehnt und umgemodelt sei?. Diese These ist viel zu
kompliziert, um auf allgemeine Anerkennung rechnen zu können
dazu vermag ich in den koptisch vorhandenen Fragmenten der Pau-
lusakten keine Stelle zu entdecken, wo das Martyrıum des Petrus
Erwähnung finden konnte, ebensowenig wie überhaupt, mit Zahn
(Gesch. d. Kan. 11, 834), daselbst episodenartig von Petrus in Rom
die Rede war. Die Lösung der ganzen Frage liegt in der That-
sache, dass der Verfasser der Petrusakten als Quelle die Paulus-
akten benutzt hat!. So bleibt es dabei, dass die Petrusakten
ein Werk aus einem Guss sind; irgendwelche tiefgreifende spä-
tere Überarbeitungen liegen nicht vor, wenn auch hier und dort
der Ausdruck im einzelnen etwas geglättet ist oder kleine Zusätze
bei der Übersetzung resp. im Laufe der Überlieferung entstan-
den sind.
Vergleichen wir das neue Stück mit dem alten, so fällt so-
fort die frappante Übereinstimmung in Sprache und Gedanken
in die Augen, so dass an der Identität des Verfassers nicht ge-
1) Altchristl. Litteraturgesch. II, 551.
2) Texte u. Unters. N. F.V,3 8. 104 fl.
3) Bereits Lipsius, Apocr. Apostelg. 11, 1, 1 hat auf Grund des Citats
bei Origenes (in Joh. tom. XX, 12): ἄνωϑεν μέλλω σταυροῦσϑαι den Schluss
gezogen, dass in den πράξεις Παύλου der Märtyrertod des Petrus behan-
delt gewesen wäre. Vgl. dagegen Zahn, (iesch. ἃ. Kan. 11, 8:9.
4) S. darüber unten.
Petrusakten. 23
zweifelt werden kann. Eine Reihe Punkte werden dies illu-
strieren.
1. Die Verlegung der Scene auf die μία τοῦ σαββάτου
resp. xvpraxr)! entspricht genau den sonstigen Angaben in den
Act. Vercell. Danach tritt Petrus in Rom ebenfalls am Sonn-
tag auf: prima autem sabbatorum multitudine conveniente Petrum
vıdendi causa (= p. 53, 18 ed. Lips.), er will „die dominico“ die
Witwen besuchen (= p. 79, 4), und gleich darauf wieder im An-
schluss an die jüdische Zählung: et alia die post sabbatum venit
in domum Marcelli (= p- 79, 8), während es zu Anfang von
cap. 30 heisst: χυριαχῆς ovong ὁμιλοῦντος τοῦ Πέτρου τοῖς
ἀδελφοῖς τις dominica autem die adloquente Petro fratribus
— 79, 16). Neben dem Sonntag spielt in den Akten der Sabbat
eine grosse Rolle. Am Sabbat findet der Kampf zwischen Simon
Magus und Petrus auf dem Forum Julium statt (= p. 62, 8.
15. 16. 24; p. 65, 30), am Sabbat heilt Petrus zablreiche Kranke
(= p. 80, 15 ἔφερον δὲ καὶ τοὺς χάμνοντας πρὸς αὐτὸν ἐν τῷ
σαββάτῳ δεόμενοι ὅπως ἀνασφάλωσιν τῶν νόσων --- p. 81, 18
adferebant autem ad Petrum infirmos sabbato ut sanaret ab in-
firmitatibus suis, vgl. p. 78, 6 [apportantes] et quos habebant in
domo infirmos, ut curaret eos).
2. Damit komme ich auf einen andern Punkt, die Kranken-
heilungen. Dieser Zug stimmt nämlich zu dem Eingange der
Praxis: „Am ersten Wochentage aber, d. 1. am Sonntag versam-
melte sich eine Menge, und man brachte zu Petrus viele Kranke,
damit er sie heile“. Die Heilung von Blinden, Tauben und Lah-
men, die Petrus hier vollzieht, wird in gleicher Weise seinem
Antipoden Simon zugeschrieben, nur mit dem Unterschiede, dass
dessen Heilungswunder für den Augenblick und auf Schein be-
rechnet sind, weil sie sämtlich durch Magie und nicht in der
Kraft Jesu vollzogen werden?. Von Petrus dagegen heisst es
—
1) Der Grund, weshalb in der Praxis neben der altertümljchen, den
Evangelien entnommenen Bezeichnung die in der christlichen Gemeinde
übliche gesetzt ist, während in den Act. Vers. beide Ausdrücke promiscue
gebraucht werden, liegt m. E. einfach darin, dass der Verf. der Akten an
dieser Stelle die beiden Ausdrücke eingeführt hat.
2) p. 80, 23: ἐν τρικλίνοις γὰρ ἐποίει πνεύματά τιν. πρὸς αἰτοὺὶς
εἰσάγεσθαι, φαινόμενα μόνον, οὐχ ὄντα δὲ ἀληϑῶς. καὶ τί γὰο λέγει";
διεληλεγμένου αὐτοῦ διὰ πολλῶν ἐπὶ μαγίᾳ, καὶ χωλοὺς ἐποίησεν φαίνεσθαι
ὑγιεῖς πρὸς βραχὺ καὶ τυφλοὺς ὁμοίως etc.
24 Carl Schmidt.
p. 80, 16£.: χαὶ ἐἰῶντο πολλοὶ παραλυτιχοὶ xal ποδαγρικοὶ καὶ
ἡμιτριταῖοε καὶ τεταρτίζοντες, καὶ πάσης νόσου σωματικῆς
ἰῶντο ἐν ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ πιστεύοντες.
3. Die besondere Hervorhebung der Person Christi und die
mangelbafte Unterscheidung zwischen Gott Vater und Christus.
Jesus allein ist es, der durch Petrus die paralytische Tochter
für den Augenblick heilt, gleichwie Ptolemäus „in der Kraft
Jesu Christi, unseres Herrn“ sehend wird. Er ist der Herr, der
χύριος, der dem Petrus im Traume erscheint; den „Herrn“ preisen
die Eltern, dass er ihre Tochter vor Befleckung ihrer Jungfräu-
lichheit bewahrt habe. „Zu seinem Herrn“ geht Ptolemäus bei
seinem Tode. Daneben wird an verschiedenen Stellen „Gott“
angeführt, aber es bleibt zum Teil sehr zweifelhaft, ob „Gott
Vater“ oder Christus gemeint ist. So finden sich folgende Stellen:
„glauben an den Namen Gottes“ — „Gott allein weiss es* —
„Gott ist nicht schwach und machtlos“ — „nicht machtlos ist
Gott inbetreff der Dinge, um die wir ihn bitten“ — „die Gefässe
hat Gott nicht gegeben zum Verderben* — „um ihretwillen hat
er geglaubt an Gott“ — „er gewährte ihnen das Geschenk
Gottes“ — „Gott regiert(?) die Seinigen und bereitet das Gute
einem jeden, wir dagegen denken, dass Gott unser vergessen
hat“ — „die Güte Gottes wird auf uns blicken“.
Dieselbe Abwechslung und zugleich Unbestimmtheit im
Ausdrucke zeigen die Actus Verc.; ich will nur die Stellen auf
den beiden ersten Seiten bei Lipsius anführen. p. 45, 7: sı fuerit
‘ voluntas dei — p. 45, 8: petens adomino — p. 45, 9: vidit...
dicentem sibi dominum — p. 45, 11: referens fratribus quae
deus praecepisset — p. 46, 2: per adventum domini nostri
lesu Christi — p. 46, 7: Paulus, dei minister — p. 46, 15: Pau-
lus spiritu dei repletus — p. 46, 16: altarium dei — p. 46, 17:
dei eucharistiam — p. 46, 19: credentium in domino — p. 46, 26:
sciant quoniam deo vivo scrutatori cordium crediderunt —
p. 46, 30: nescimus, si nobis deus pristina peccata....remittat
— p. 46, 31: qui nunc credere coepistis in Christum.
4. Von der Tochter des Petrus heisst es: „wir fanden das
Mädchen, dass die eine ganze Seite seines Körpers von seinen
Zehen bis zu seinem Kopfe paralytisch und verdorrt war“. Das-
selbe Schicksal erleidet die Rufina, welche an der eucharistischen
Feier trotz ihres hurerischen Verkehrs teilnehmen will, auf Be-
Petrusakten. 35
fehl des Paulus: et confestim Rufina a sinistra parte a capite
usque ad ungues pedum contorminata cecidit (p. 46, 25 f.).
5. Sehr charakteristisch ist in beiden Teilen die Einflechtung
einer früheren Begebenheit in Form eines Vortrags von seiten
des Apostels, wie hier die Geschichte von der Tochter des Petrus,
so dort die Geschichte von dem Diebstahl des Simon Magus im
Hause der Witwe Eubula in Jerusalem (cap. 17 u. 23).
6. In beiden Stücken spielt das visionäre Moment eine
grosse Rolle. Der Herr erscheint dem Petrus in einem Gesichte
und verkündigt die mit der Geburt einer Tochter verknüpfte
Heimsuchung; ebenso ergeht an Ptolemäus, nachdem sein Schlaf-
gemach erleuchtet ist, eine Stimme, die ihn zu Petrus behufs
Heilung gehen heisst. Viel markanter tritt dieser Zug noch in
den Act. Verc. hervor, wo Visionen und himmlische Stimmen zum
ständigen Repertoire gehören (vgl. p. 45, 9; 46, 6; 49, 24; 50, 15;
51, 31; 52, 17; 62, 20; 63, 12; 68, 31; 70, 6; 77, 24; 88, 5).
7. Die enkratitische Haltung bei der Abendmahlsfeier und
in der geschlechtlichen Enthaltsamkeit. Der Wein wird nicht
genannt; in der „Praxis“ preist Petrus den Namen des Herrn
Christi, giebt den Anwesenden von dem Brote, verteilt es und
geht in sein Haus zurück. In den Act. Verc. p. 46, 12 heisst es:
optulerunt autem sacrificium Paulo pane et aqua, ut oratione
facta unicuique daret; diese Handlung wird eucharistia p. 46, 17
genannt. Ebenso nach der Taufe des Theon heisst es p. 51, 3: et
accepit panem Petrus et gratias egit domino, qui eum dignatus
fuisset sancto ministerio suo, auch hier wird p. 51,8 der Aus-
druck eucharistia gebraucht. — In Rom predigt der Apostel als
christliches Sittlichkeitsideal den λόγος τῆς ἁγνείας (p. 84, 17 u.
86, 8), so dass viele Frauen und Männer dafür gewonnen werden,
und das Schicksal der eigenen Tochter, das sie auf eigenen
Wunsch der Eltern ereilt, ist eine noch eindringlichere Predigt
für die Fernerstehenden, dass die Jungfräulichkeit das höchste
Gut ist und dass selbst der verheiratete Christ seine Frau in
Wahrheit als seine Schwester betrachten soll.
Diese Beobachtungen, die noch durch die Identität des
Sprachschatzes verstärkt werden könnten, werden m. E. genügen,
um beide Stücke als zusammengehörige Teile eines grösseren
Ganzen, d.h. der alten πράξεις Πέτρου erkennen zu lassen.
26 Carl Schmidt.
IV. Die Petrusakten und die Akten des Leucius.
Es möchte vielleicht als eim kühnes Wagnis bezeichnet
werden, wenn ich an dieser Stelle die Leucius-Frage wieder an-
schneide, da trotz der eindringenden Untersuchungen ven Lip-
sius! und Zahn? dieses Problem auf Grund des vorliegenden
Materials keine befriedigende Lösung gefunden hat. Selbst die
jüngsten Entdeckungen auf dem Gebiete der apokryphen Apostel-
geschichten, besonders die Publikation umfangreicher Fragmente
der alten Johannesakten von James? und Bonnet* haben das
Dunkel, das über dem vielgenannten Leucius zu schweben scheint,
noch keineswegs gelichtet, obwohl die Frage von verschiedenen
Seiten neuerdings lebhaft diskutiert worden ist. Ein so gelehrter
und kritisch gestimmter Forscher wie Corxssen® glaubte sogar
die Hypothese aufstellen zu können, dass der Verfasser des Jo-
hannes-Evangeliums, wenn nicht das Werk des Leucius, d. h. die
Johannesakten selbst, so doch die Traditionen vor sich gehabt
habe, die Leucius auch nicht geschaffen, sondern vorgefunden
und nur ausgestaltet hätte, das Johannes-Evangelium also ge-
wissermassen eine Apologie wider die Johannes-Akten wäre.
Freilich hat diese so innige Verquickung zweier litterarkritischer
Fragen, von denen jede für sich eine Reihe der schwierigsten
Probleme in sich schliesst, den Widerspruch zahlreicher Gelehrten
wie Zahn®, James’, Jülicher‘, Holtzmann? u. a. hervorgerufen, -
als dessen Resultat die m. E. allein berechtigte These gelten darf,
dass der Verf. der Johannesakten das Joh.-Evangelium und die
übrigen johanneischen Schriften gekannt und ausgiebig benutzt
habe!®. Dagegen hat eine andere Hypothese in weiteren Kreisen
1) Apocr. Apost. 1, 44 ff.
2) Acta Joh., p. LX ff. u. Gesch. ἃ. Kan. II, 856 fl.
3) Texts and Studies, Vol, V,S.2ff.
4) Act. apost. apocr. 1], 160 ff.
5) Monarchianische Prologe (T. u. Unters. XV, S. 131).
0) Die Wanderungen des Apostels Johannes in d. N. kirchl. Zeitschr.
X, 8. 199.
2) 1. α. 5. 11}. Ε΄
8) Gött. Gel. Anz. 1890, 8, 811 ff.
9) Theol. Litteraturztg. 1897, 331.
10) Nur Hilgenfeld hat in der Z. f. wiss. Theol. XLIIT, 1 ff. die Ansicht
von Corssen noch durch andere Argumente zu stützen versucht. -
Petrusakten. 97
Beifall gefunden, dass nämlich Leucius, der Verfasser der gno-
stischen Johannesakten, mit dem Verfasser der gnostischen Petrus-
akten, [vielleicht auch der Andreasakten]) zu identifizieren sei.
Ich will nur die Namen von Zahn!, James?, Bonnet, Hennecke und
Bardenhewer anführen. Harnack? dagegen nimmt eine geson-
derte Position ein, indem er den gnostischen Charakter der Petrus-
akten sowohl wie ihren leucianischen Ursprung bestreitet‘. Da-
mit ist der heutige Stand der Leucius-Frage zur Genüge charak-
terisiert. Das nötigt uns, das gesamte Material von neuem einer
eindringenden Untersuchung zu würdigen, in der Hoffnung, dass
nach dieser oder jener Seite ein gesichertes Resultat gewonnen
werden könnte. Es gilt in erster Linie die Beantwortung der
beiden Fragen: 1. Stammen die Petrusakten aus der Feder des
Verfassers der Johannesakten? 2. Wer ist Leucius und wie sind
die Überlieferungen der Alten zu würdigen? Ich werde mit der
Beantwortung der zweiten Frage beginnen, da diese m. E. auch
die wahre Lösung der ersten Frage an die Hand giebt.
A. Leucius und die sogenannte leucianische Sammlung
der apokryphen Apostelgeschichten.
Sehr häufig wird der Name des Leucius bei den Alten mit
dem Verfasser von apokrypben resp. häretischen Apostelakten in
Verbindung gebracht, und zwar geschieht dies übereinstimmend
bei den Griechen sowohl wie bei den Lateinern. Bei der Prü-
fung dieser Zeugnisse hat man aber zuweilen den verschiedenen
Wert der einzelnen Stimmen, ebenso das allmähliche Anwachsen
der Tradition über Leucius unbeachtet gelassen, vor allem hat
das Zeugnis des Photius schon wegen seiner Ausführlichkeit die
erste Stelle bei den Untersuchungen eingenommen und hat die
Richtlinien für die übrigen abgegeben. Deshalb wird auch die
Kritik an dieser Stelle einzusetzen haben.
Photins berichtet bekanntlich in seiner Bibliotheca cod. 114
also: “Ϊνεγνώσϑη βιβλίον, αἱ λεγόμεναι τῶν ἀποστόλων περίο-
1) Gesch. d. Kan. II, 840, N. kirchl. Zeitschr. X, 210 £.
2) T. and Stud. V, p. XXIV sqg.
3} Altchr. Litter. 11, 553 ff.
4) Auf Ehrhard: Die altchristl. Litteratur 1900, S. 157 scheinen die
Argumente Harnacks Eindruck gemacht zu haben.
98 Carl Schmidt.
dor, ἐν αἷς περιείχοντο Πράξεις Πέτρου, Ἰωάννου, ᾿Ανόρεου,
Θωμᾶ, Παύλου. γράφει δὲ αὐτὰς ὡς δηλοῖ τὸ αὐτὸ βιβλίον
levxıos Χαρῖνος. Nach dieser Angabe lag dem Photius ein
Kodex vor, der die einzelnen Akten der genannten Apostel unter
dem Titel πράξεις enthielt. Unzweifelbaft wird dem Ganzen
auch ein Gesamttitel nicht gefehlt haben. Wie lautete derselbe?
Sicherlich nicht αἱ λεγόμεναι περίοδοι τῶν ἀποστόλων, denn
die Bezeichnung περίοδοι ist die bei den Katholikern übliche
zur Unterscheidung von den kanonischen πράξεις τῶν ἀποστό-
λων, wie Nicephorus in seinem Kanonsverzeichnis ruhig περί-
odos für πρᾶξις resp. πράξεις einsetzt, ebenso die sog. Synopsis
des Athanasius von περίοδοι redet!. Besonders interessant ist
in dieser Beziehung das 2. Konzil zu Nicäa vom J. 787, denn
bier bezeichnet man die Schriften als ψευδεπίγραφοι περίοδοε
oder einfach als περίοδοι, aber Amphilochius von Iconium, aus
dessen Buch einige Stellen vorgelesen werden, hat die alte Be-
zeichnung πράξεις. Aber auch ohnedies würde der Zusatz αἱ
λεγόμεναι bei Photius das subjektive Referat verraten, genau so
wie Eusebius ἢ. 6. III, 3, 2 von einem Asyouevor χήρυγμα des
Petrus oder ἢ. e. I, 3, 5 von λεγόμεναι πράξεις des Paulus oder
h. 6. IIl, 25, 4 von einem λεγόμενος Ποιμήν oder λεγόμεναι δι-
δαχαὶ τῶν ἀποστόλων redet.
Deshalb kann der Gesamttitel, falls derselbe vorhanden war,
nur πράξεις τῶν ἀποστόλων gelautet haben. Damit hängt eng
zusammen die zweite viel wichtigere Frage, ob der Name des
Leucius Charinus als Verfasser der ganzen Sammlung an der
Spitze des Buches stand. Die Worte des Photius: „es schrieb sie
(d. ἢ. die πράξεις), wie das Buch selbst deutlich zeigt, Leucius
Charinus“, lassen im ersten Augenblick nicht mit Sicherheit er-
kennen, ob ein objektiver Befund oder ein subjektives Urteil
vorliegt, d.h. ob Photius in dem Kodex selbst den Namen des
Leucius Charinus als Verfasser überliefert fand oder aus ge-
wissen äusseren und inneren Gründen diesen erschloss. Für die
erste Ansicht tritt Lipsius, für die zweite Zahn ein. Ich kann
mich nur der Meinung von Zahn anschliessen. Denn in den
uns aufbewahrten Notizen der griechischen Schriftsteller wird
niemals der Name des Leucius mit den Apostelakten in Verbin-
1) 8. ο. auch schon Hieronymus.
Petrusakten. 29
dung gebracht, möglicherweise könnte er in dem verloren ge-
gangenen Buche des Amphilochius gestanden haben; von einer
verbreiteten Tradition kann aber gar keine Rede sein, und dies
um so weniger, als während des Kampfes mit dem Manichäismus
die Apostelakten im Morgenlande nicht dieselbe Rolle gespielt
haben wie im Abendlande. Vom Abendlande wird Photius seine
Tradition ebenfalls nicht bezogen haben, da man hier nur den
Namen Leucius kannte, der Name Leucius Charinus gänzlich un-
bekannt ist (über die Acta Pilati s. u.). Demgemäss müssen wir
daran festhalten, dass nach dem subjektiven Urteil des Photius
Leucius Charinus als Verfasser der sämtlichen in einem Buche
vereinigten fünf Apostelakten galt; wo er diesen Namen fand,
und aus welchen Gründen er einen einzigen Verfasser voraussetzte,
bleibt einer späteren Erörterung vorbehalten.
Die dem Photius vorliegende Sammlung umfasste, wie ge-
sagt, fünf Akten, nämlich die des Petrus, Johannes, Andreas,
Thomas und Paulus. Kann nun keinem Zweifel unterliegen,
dass Photius die Reihenfolge des Kodex genau wiedergegeben
habe, so besitzen wir darin einen kleinen Fingerzeig für die Ent-
stehung der Sammlung. Denn es fällt doch m. ΕἸ. die Stellung
der Acta Pauli am Schluss des Ganzen auf, während wir sie
doch in unmittelbarer Nachbarschaft der Acta Petri suchen
würden; an einen blossen Zufall darf man nicht denken, viel-
mehr ist die Erklärung darin zu suchen, dass die Paulusakten
einer älteren, aus jenen vier genannten bestehenden Sammlung
hinzugefügt worden sind. Dies geht auf die verschiedene Wert-
schätzung der Paulusakten im Rahmen der altchristlichen Lit-
teratur zurück, wie wir es noch deutlich bei Eusebius ersehen
können. Denn ἢ. 6. III, 25, 6 führt er die πράξεις Avdoeov
χαὶ Ἰωάννου καὶ τῶν ἄλλων ἀποστόλων an, zu den ἄλλοι
ἀπόστολοι rechnet er auch die πράξεις Πέτρου und Θωμᾶ',
daneben kennt er die πράξεις Παύλου h. e. III, 25,4 u. 111, 3, 5.
Während er aber sein Urteil über jene ersteren dahin formu-
liert, dass sie nicht einmal zu der Gruppe der νόϑα--ἀντιλεγό-
μενα zu rechnen, sondern als häretische Machwerke durchaus
1) Eusebius nennt diese nicht mit Namen, da er kurz vorher das
Evangelium des Petrus und Thomas zusammen genannt hat. Die πράξεις
Πέτρου zählt er h. 6. Ill, 3,2 auf, während er von den Akten des Thomas
sonst nicht redet.
10
30 Carl Schmidt.
zu verwerfen seien, stellt er die Acta Pauli im Anschluss an
Origenes bekanntlich an die Seite des Hermas, der Apokalypse
des Petrus, des Barnabasbriefes und der Didache. Solange also
das Urteil des Eusebius in weiten Kreisen massgebend war, zu-
mal da er den common sense der Kirche wiederspiegelt, konnten
die Paulusakten zu den übrigen Apostelakten nicht gestellt, des-
wegen auch nicht handschriftlich überliefert werden. Da brach
die manichäische Krisis über die Grosskirche herein. Die Mani-
chäer_waren es, die die kanonische Apostelgeschichte verwarfen
und an ihre Stelle das Corpus der πράξεις τῶν ἀποστόλων in
den Kanon einsetzten. Dieses Corpus umfasste neben den vier
älteren Akten auch die Paulusakten, welche an letzter Stelle
hinzugefügt wurden; ihre Aufnahme erfolgte um so bereitwilliger,
als gerade ihre besondere Schätzung bei den Grosskirchlern be-
kannt war, andererseits sie formell wie materiell mit den übrigen
Akten dermassen gleichartig waren, dass eine gesonderte Über-
lieferung geradezu widernatürlich erschien.
Das Corpus der acta apostolorum ist offensichtlich ein Werk
der Manichäer, um mit ihrer Hilfe eine Reihe Sonderlehren, wie
7. B. die Beurteilung der menschlichen Natur und der Tierseelen,
die enkratitische Ethik, die doketische Christologie etc., als genuin
christliche zu erweisen und auf die Autorität der Apostel selbst
zurückzuführen. Der Manichäer Agapius und die gnostischen Sekten
benutzten keine andere Sammlung wie die abendländischen Mani-
chäer und später die Priscillianisten, welche natürlich eine lateini-
sche Übersetzung in der Hand hatten; denn es ist nicht unwichtig
zu bemerken, dass das Corpus zu keiner Zeit einen grösseren Um-
fang als jene fünf zeageıs! gehabt hat, dass niemals zu ihm die
Acta Philippi oder Bartholomäus oder Matthäus gehört haben;
das Corpus war eine fest umrissene Grösse. Aber es wäre ein
grober Irrtum, diese Sammlung nur im Gebrauch der Häretiker
zu denken, im Gegenteil, die Katholiken des Orients wie des
1) Nach Photius bibl. cod. 179 benutzte Agapius die πράξεις τῶν
δώδεχα ἀποστόλων und besonders die πράξεις des Andrens. Unter diesen
ist durchaus nicht eine aus den fünf alten Akten zu der Anzahl von 12
Akten erweiterte Sammlung zu verstehen, sondern der Ausdruck ist nur
ein hyperbolischer, wie auch die Katholiken die kanonische Apostelge-
schichte zuweilen als πράξεις τῶν dwdexa ἀποστόλων resp. acta omnium
apostolorum bezeichneten.
Petrusakten. 21
Vccidents lasen die πράξεις jener fünf Apostel genau in der-
selben Zusammenstellung!, obne eine Ahnung von ihrer Ent-
stehung zu besitzen; sie konnten diese Kenntnis um so weniger
besitzen, als ja die einzelnen Akten in der Kirche bisher mit
grosser Verehrung gelesen worden waren. Der Streit zwischen
beiden Lagern drehte sich in der Folgezeit einzig und allein um
die Frage, ob die fünf πράξεις als πράξεις τῶν ἀποστόλων
neben oder an die Stelle der kanonischen πράξεις τῶν ἀποστό-
io» zu setzen seien, wie die Manichäer es thaten, oder keine
apostolische Autorität besässen resp. als häretische Machwerke
gänzlich zu verwerfen seien, wie die Grosskirchler in extremer
Opposition behaupteten. Mit oder durch den Streit ist aber auch
die zeitliche Entstehung der Sammlung gegeben; als terminus a
yuo muss m. E. die zweite Hälfte resp. das letzte Drittel der
ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts betrachtet werden, denn, um
von Agapius? abzusehen, fanden sich nach dem Zeugnis des
Philastrius Brixiensis (383—391) de haer. c. 88 bei den abend-
ländischen Manichäern die Akten im Gebrauch, und zwar, wie
wir gleich binzusetzen können, in einer lateinischen Version.
Und ein zweites, — in und mit dem ausbrechenden litterarischen
Kampfe der Grosskirche gegen den Manichäismus und Priscillia-
nismus taucht auch nicht ohne Grund der Name des Leucius im
Zusammenhang mit den apokryphen Apostelakten auf. Diesem
Vorgange müssen wir aber im einzelnen nachgehen, um die
ganze Leucius-Frage verstehen und in befriedigender Weise
lösen zu können.
Bevor wir aber an diese Aufgabe herantreten, beanspruchen
noch zwei resp. drei Stellen, an denen der Name des Leucius er-
wähnt wird, eine besondere Besprechung, zumal sie bei den Er-
örterungen den wirklichen Thatbestand zum Teil verdunkelt haben.
Epiphapius berichtet nämlich ἢ. 51, 6 (Aloger) folgendes:
Mar$alov μὲν γὰρ κεχηρυχότος τὸν Χριστὸν γεννηϑέντα xal
ἐκ πνεύματος ἁγίου συλληφϑέντα ἐχ σπέρματος Δαβὶδ χαὶ
1) Damit will ich nicht behaupten, als ob in der ganzen Überlieferung
die von Photius angegebene Anordnung beibehalten wäre. Das wird sicher-
lich nicht der Fall gewesen sein, aber die Anzahl hat keine Veränderung
erlitten.
2) Er lebte nach Beausobre, hist. crit. de Manichee I 434 sq. vermut-
lich um die Mitte des 4. Jahrh.
32 Carl Schmidt.
Aßoacau κατὰ σάρχα οἰχονομηϑέντα, πλάνη τισὶ γεγένηται
τοῖς μὴ νενοηχόσιν, οὐ τοῦ εὐαγγελίου αἰτίου ὄντος αὐτοῖς
εἰς τὸ πλανηϑῆναι, ἀλλὰ τῆς αὐτῶν διανοίας πεπλανημένης,
εἰς παράστασιν τῆς περὶ τῶν αὐτῶν πληροφορίας τὰ ἀπὸ
τοῦ εὐαγγελίου χαχῇ ὑπονοίᾳ ἐπινενοημένα. ἔνϑεν γὰρ οἱ περὶ
Κήρινϑον καὶ Ἐβίωνα ψιλὸν αὐτὸν ἄνϑρωπον κατέσχον καὶ
ήρινϑον καὶ Κλεόβιον, εἴτ᾽ οὖν Κλεόβουλον, καὶ Κλαύδιον καὶ
Δημᾶν καὶ Ἑρμογένην, τοὺς ἀγαπήσαντας τὸν ἐνταῦϑα αἰῶνα καὶ
χκαταλείψαντας τὴν ὁδὸν τῆς ἀληϑείας. ἀντιλέγοντες γὰρ τοῖς
τοῦ Χριστοῦ μαϑηταῖς κατ᾽ ἐχεῖνο καιροῦ ἀπὸ τῆς κατὰ τὸν
᾿Αβραὰμ καὶ Δαβὶδ γενεαλογίας τὴν αὐτῶν ἄνοιαν παριστᾶν
ἐπειρῶντο, οὐ καλῶς μὲν οἰόμενοι, πλὴν ἐντεῦϑεν τὴν πρό-
φασιν ϑηρώμενοι. ἀντελέγοντο γὰρ πολλάχις ὑπὸ τοῦ ἁγίου
᾿Ιωάννου καὶ τῶν ἀμφ᾽ αὐτόν, Asvxiov καὶ ἄλλων πολλῶν.
Hätte nicht Zahn (Act. Joh. p. 1Χ] 544.) gewichtige Folgerungen
aus dieser Stelle über die Persönlichkeit und das Werk des Leu-
cius gewonnen, würde man über die vorliegenden Angaben in
Kürze hinweggehen können. Jetzt erfordern sie eine eingehende
Besprechung. Nach dem Berichte des Epiphanius soll ausser
dem Apostel Johannes und vielen seiner Schüler auch ein zu
seinem Schülerkreise gehöriger Mann Nanıens Leucius die klein-
asiatischen Irrlehrer wie Kerinth, Ebion, Merinth, Kleobius resp.
Kleobulos, Klaudius, Demas und Hermogenes, die Christus für
einen ψελὸς ἄνϑρωπος erklärten, bekämpft, ἃ. ἢ. durch Schriften
resp. in Disputationen widerlegt haben. Diese Nachricht steht
einzig in der ganzen Litteratur da. Offensichtlich schwebt dem
Epiphanius die Geschichte von der Entstehung des Johannes-
Evangeliums vor. Deshalb hat er an die Spitze der gesamten
Ketzerschar den Namen des Kerinth gestellt; war es doch seit den
Tagen des Irenäus (c. haer. Ill, 11) zur festen Tradition geworden,
dass Johannes sein pneumatisches Evangelium zur Bekämpfung
der Irrlehre des Kerinth ! verfasst habe. Neben Kerinth durfte aber
1) Epiph. unterscheidet das judaistische Auftreten des Kerinth gegen die
Apostel, d. h. gegen Petrus und Paulus in Judäa und Antiochien h. 28, 2.3.4
und sein Auftreten in Asien (ἢ. 51,2); vgl.h.28 c.1: ἐγένετο δὲ οὗτος ὁ
Κήρινϑος ἐν τῇ ᾿Ασίᾳ διατρίβων, κἀκεῖσε τὴν ἀρχὴν τοῦ χηρύίγματος πε-
ποιημένος und c. 2: ἐποίησε δὲ τοῦτο Κήρινϑος πρὶν ἢ ἐν τῇ Acla χηρῦξαι
τὸ αὐτοῦ κήριγμα χαὶ ἐμπεσεῖν εἰς τὸ περισσότερον τῆς αὑτοῦ ἀπωλείας
βάραϑρον.
Petrusakten. 33
Ebion, sein Kollege in der Leugnung der Gottessohnschaft Christi,
nicht fehlen, wie Epiphanius ja beide h. 51, 2 zusammenstellt:
ἔνϑα γὰρ τὸν Χριστὸν ἐκ παρατριβῆς ψιλὸν ἄνϑρωπον ἐχή-
urttev ὁ Ἐβίων καὶ ὁ Κήρινϑος χαὶ οἱ ἀμφ᾽ αὐτούς, φημὶ
δὲ ἐν τῇ ᾿Ασίᾳ. Das ἐν τῇ Ασίᾳ ist das Bindeglied für beide,
dann aber muss auch Ebion mit Johannes in Ephesus zusammen-
gekommen sein, eine Fabel, welche Epiphanius bereits haer. 30, 24
aufgetischt hatte, indem er von der Erzählung Polykarps über
‚Johannes und Kerinth im Badehause zu Ephesus (Iren. contr.
haer. III, 3, 4) eine Dublette in Gestalt einer ähnlichen Zusammen-
kunft mit Ebion machte, die ursprüngliche Erzählung inbetreff
Kerinths dagegen mit Stillschweigen überging.
Infolge dieser Verbindung der beiden Ketzer ist aber dem
Epiphanius das Unglück passiert, den Namen ,ήρινϑος von
Κήρινϑος zu trennen!, obwohl er haer. 28, 8? seine starken
Bedenken über die Unterscheidung der beiden Ketzernamen zum
Ausdruck bringt und sich für den Namen ἤϊήρενϑος nur auf
eine persönliche φήμη beruft, da von jenem dasselbe wie von
Kerinth überliefert 86].
Merkwürdigerweise will Zahn (Acta Joh. p. LXII) in der
gnun nicht eine dem Epiph. zugekommene mündliche Tradition,
sondern einen schriftlichen Bericht erblicken; aber höchst un-
glücklich ist das Argument, dass es zu Epiphanius Zeiten keine
mündliche Tradition über Personen der apostolischen Zeit mehr
1) h. 51, 7 nennt er beide nebeneinander: φημὲ de τοὺς περὶ Kijew-
Yor zal ήρινϑον χαὶ τοὺς ἄλλους, ebenso h. 31, 2 neben Basilides, Sator-
nil werden Ebion, Kerinth und Merinth angeführt und gleich darauf ὀλίγῳ
δὲ πρόσϑεν μᾶλλον ol περὶ Κήρινϑον zul ήρινϑον χαὶ Ἐβίωνα. Ebenso
h. 99, 23: εὑρὼν (sc. Johannes) δὲ τοὺς Κηρινϑιανοὺς χαὶ ηρινϑιανοὺς ἐκ
παρατριβῆς αὐτὸν (sc. Christum) λέγοντας εἶναι ψιλὸν ἄνθρωπον.
2) Καλοῦνται δὲ πάλιν οὗτοι ηρινϑιανοί, ὡς ἡ ἐλθοῦσα εἰς ἡ μᾶς
«φήμη περιέχει. εἴτε γὰρ ὁ αὐτὸς Κήρινϑος Μήρινϑος πάλιν ἐχαλεῖτο οὐ
πάνυ τι σαφῶς περὶ τούτου ἴσμεν, εἴτε ἄλλος τις ἣν" ήρινϑος ὀνόματι,
σιγεργὸς τούτῳ, ϑεῷ ἔγνωσται. ἤδη γὰρ εἴπαμεν ὕτι οὐ μόνον αὐτὸς ἐν
Ἱεροσολύμοις πολλάχις ἀντέστη τοῖς ἀποστόλοις, ἀλλὰ χαὶ οἱ σὺν αὐτῷ
καὶ ἐν τῷ ᾿Ασίᾳ, πλὴν ἤτοι αὐτὸς εἴη ἢ χαὶ ἄλλος αὐτῷ στνεργὸς τὰ ὕμοια
αἰτῷ φρονῶν χαὶ συμπράττων καὶ τὰ ἴσα, οὐδὲν διαφέρει. ἡ γὰρ πᾶσα
αἰτῶν χαχοτροπία τῆς διδασχαλίας τοῦτον ἔχει τὸν χαραχτῆρα, Κηρινϑια-
vo) δὲ χαὶ Μηρινϑιανοὶ ὁμοῦ οὗτοι καλοῦνται. Im Ancorat. 13 deshalb
richtig ηρινϑιανοὶ οἱ xal ηρινϑιανοί.
Texte u. Untersuchungen. N.F. IX, 1. 3
34 Carl Schmidt.
gegeben habe. In erster Linie hat man doch den Sprachgebrauch
des Epiphanius zu beachten, und danach handelt es sich aus-
schliesslich um persönliche Kunde !. Ich verweise nur auf ἢ, 31, 2:
εἰς ἡμᾶς δὲ ὡς ἐνηχήσει φήμη τις ἐλήλυϑε, διὸ οὐ παρελευσόμεϑα
xal τὸν τούτου τύπον μὴ ὑποδειχνύντες, ἐν ἀμφιλέχτῳ μὲν,
εἰ δεῖ τὰ ἀληϑῆ λέγειν, ὅμως τὴν εἰς ἡμᾶς ἐλϑοῦσαν φάσιν» οὐ
σιωπήσομεν; hier ist nur von einer ihm mündlich zugetragenen
Kunde die Rede. Aber sogar ın h. 28, 6, also kurz vor dem in
Rede stehenden Kapitel bringt derselbe Epiphanius eine münl-
liche Überlieferung unter dem Titel einer παράδοσις, Doch
was die Hauptsache, — Epiphanius kann den Namen «ήρενϑος
in einer schriftlichen Quelle gar nicht gelesen haben, denn dieser
gehört zu seinem Sondergut, da kein Schriftsteller vor wie nach
ihm einen derartigen Ketzer kennt. Augenscheinlich liegt hier
irgend eine Wortspielerei vor, auf die Epiphanius hineingefallen
ist. Damit wird aber schon deutlich, dass innerhalb der obigen
Ketzerreihe mit der Aufzählung des Merinth die eigene Person
des Epiphanius zu Worte kommt.
Das zeigt deutlich das Namenpaar Kleobius oder Kleobulus.
Weder den einen noch Jen anderen Namen führt Epiphanius
in seinem Ketzerkataloge an, er fand ihn also in seinen Haupt-
quellen nicht vor, und in der That wissen Justin, Irenäus und
Hippolyt nichts von Kleobius oder Kleobulus. Trotzdem kannte
das 2. Jahrh. einen Ketzer dieses Namens. Hegesipp citiert bei
Euseb. ἢ. e. IV, 22, 5 Kleobius neben Simon als Sektenhaupt, un.
der Verfasser der Acta Pauli lässt in dem apokryphen Briet-
1) Die Unsicherheit seiner Überlieferung drückt in gleichen Worten
Epiph. am Eingang zu h. 63,1 aus: χαλοῦγται δὲ Ὡριγένιοι, οὐ πάνυ δὲ
σαφῶς ἰσμεν τίνος ἕνεχα, ἢ ἀπὸ Roıyivors τοῦ Adauarrior, χαλουμίνον
τοῦ σιντάχτοι, ἢ ἄλλου τινὸς εἶναι, ἀγνοῶ. ὕμως τοῦτο τὸ ὄνομα χατει-
λήφαμεν.
2) ἐν ταύτῃ γὰρ τῇ πατρίδι, φημὶ δὲ Adi, ἀλλὰ καὶ ἐν τῇ Γαλατία
πάνι' ἤχμασε τὸ τούτων διδασχαλεῖον, ἐν οἷς καίτι παραδόσεως πρᾶγπα
ἦλϑεν εἰς ἡμᾶς, ὡς τινῶν μὲν παρ᾽ αὐτοῖς προφϑανόντων τελευτῆσαι
ἐΐνευ βαπτίσματος, ἄλλους δὲ ἀντ᾽ αὐτῶν εἰς ὄνομα ἐχείνων βαπτίζεσθαι,
ὑπὲρ τοῦ μὴ ἐν τῇ ἀναστάσει ἀναστάντας αὐτοὺς δίκην δοῦναι τιμωρίας,
βάπτισμα μὴ εἰληφότας, γίνεσθαι δὲ ὑποχειρίους τῆς τοῦ κοσμοποιοῖ' ἐξ-
οὐσίας. χαὶ τούτου Erexa ἡ παυάδοσις ἡ ἐλθοῦσα εἰς ἡμᾶς φησὶ
τὸν αἰτὸν (γιον ἀπόστολον εἰρηκέναι „El ὅλως νεχροὶ οὐκ ἐγείρονται, τί
καὶ ϑαπτίζονται ὑπὲρ αὐτῶν; (1. Kor. 15, 20).
Petrusakten. 35
wechsel zwischen Paulus und den Korinthern den Simon und
Kleobius als gnostische Gegner des Paulus mit einer ganz be-
stimmten Lehre auftreten. Aus diesen Paulusakten hat m. Εἰ. der
Verfasser der Didaskalia seine Nachricht geschöpft, wenn er
VI, 8 berichtet: ἡνίχα de ἐξήλθομεν ἐν τοῖς ἔϑνεσι κηρύσσειν
τὸν λόγον τῆς ζωῆς, τότε ἐνήργησεν ὃ διάβολος εἰς τὸν Acov
ἀποστεῖλαι ὀπίσω ἡμῶν ψευδαποστόλους εἰς βεβήλωσιν τοῦ
λόγου καὶ προσεβάλοντο Κλεύβιόν τινα καὶ παρέζευξαν τῷ
Σίμωνι. Erst der Bearbeiter der Didaskalıa, d. ἢ. der Verfasser
der Apostolischen Konstitutionen, hat diesem Satze die Bemer-
kung hinzugefügt: οὗτοι δὲ μαϑητεύουσι Δοσιϑέῳ τινί, ὃν καὶ
παρευδοκιμήσαντες ἐξώσαντο τῆς ἀρχῆς. Die Quelle seiner
Weisheit findet sich in den Pseudoclem. Recogn. 1, 54; II, 8—11.
Homil. II, 24, die wiederum aus dem Ketzerkatalog des Hegesipp
schöpfen !. Ist nun der Verfasser der Apostol. Konstitutionen mit
dem Interpolator resp. Fälscher der Ignatiusbriefe identisch, so ver-
lieren die Mitteilungen über die Ketzer ad Trall. 11 und ad Philad.
c.6 jeden selbständigen Wert. In ep. ad Trall. 11 taucht nun
das Ketzerpaar Θεόδοτος und Κλεόβουλος auf. Die Identität von
Κλεόβουλος und Κλεόβιος Σ unterliegt weiter keinem Zweifel.
Wie kommt nun Epiphanius zu beiden Formen? An eine Kennt-
nis der interpolierten Ignatiusbriefe ist doch wohl kaum zu
denken, ebensowenig an die Apostol. Konstitutionen, da Epi-
phanius nur die Didaskalia® benutzte. Dann wird man am ein-
fachsten als gemeinsame Quelle die Didaskalia annehmen, in der
1) Auf die Pseudo-Clementinen geht als Quelle über Dositheus und Simon
zurück die Nachricht des um c. 400 schreibenden Verfassers des opus imper-
fectum in Matth. (Opp. Chrysost. Bd. VI Migne hom. 48 zu Matth. 24,5: Vene-
runt enim Dositheus et Simon et Cleonius et Varisunas in nomine Christi
et alii multi, quos apostolus in epistolis suis tangit).. Derselbe hat auch
sonst die Clementinen eifrig benutzt (vgl. die Zusammenstellung von Preu-
schen bei Harmack: Altchr. Litteraturg. I, 224). Daneben aber kennt er
auch die Didaskalia (vgl. Preuschen bei Harnack |. ©. 517). So erklärt es
sich, dass wir in diesem Werke neben Dositheus und Simon auch dem
Namen des Kleobius — denn Kleonius ist mit diesem identisch — be-
gegnen.
2) Der Name Θεόδοτος ist m. E. nicht mit Cotelier in Θέβουϑις,
noch mit Ussher in θΘεοδᾶς zu emendieren, sondern eine vom Bearbeiter ab-
sichtlich vorgenommene Veränderung für Δ4οσίϑεος.
3) Vgl. Funk, Apostol. Constitutionen 8. 44 ff.
3*
36 Carl Schmidt.
Epiphanius sowohl wie der Interpolator die Variante K2eoßov-
20:! vorfanden.
Nach Zahns Ansicht (Acta Joh. p. LXIV) dagegen sollen
Epiphanius und der Verfasser des opus imperfect. ihren Kleobius
aus dem Buch des Leucius, d. h. aus den Johannesakten, ge-
wonnen haben, und er findet seine These durch die Thatsache
bestätigt, dass in einem Fragment der Johannesakten in der That
der Name des Kleobius vorkommt. Aber hier erscheint er als
treuer Jünger des Johannes, der diesen von Milet nach Ephe-
sus begleitet und auf den Reisen des Apostels stets in seinem
Gefolge bleibt (Bonnet, Act. Joh. S. 160, 7, vgl. 161, 25; 164, 36;
180,5). Das ficht Zahn weiter nicht an, indem er die unglaub-
liche Hypothese hinwirft, es könnten Kleobius und Konsorten
damals noch nicht offensichtlich und endgültig „den Weg der
Wahrheit verlassen“ und den Verkehr mit Johannes aufgegeben
haben. Der Kleobius der Johannesakten ist aber doch ein rein
fingierter Name, der sich auch in den Petrusakten (Lips. p. 48, 6)
als der eines von Paulus bekehrten Christen aus dem kaiserlichen
Palaste findet, ebenso in einem Fragment der koptisch erhaltenen
Paulusakten neben dem bekannten Ketzer. Die angeblich leucia-
nische Quelle steht also ganz in der Luft.
Aber vielleicht lässt der Name Kleobulos noch auf eine
andere Quelle schliessen, wenn wir den weiter angeführten Häre-
tiker Klaudius betrachten, mit dem man sonst nichts anzufangen
weiss, Nämlich in der Disputatio Archelai et Manetis c 12
werden als Schiedsrichter angeführt Manippus, grammaticae
artis et disciplinae rhetoricae peritissimus, Aegialeus, archiater
nobilissimus et litteris apprime eruditus, Claudius et Cleobu-
los duo fratres egregii rhetores (vgl. Routh, Reliquiae sacrae,
Bd. V, 72). Da haben wir die beiden Namen Klaudius und
Kleobulos nebeneinander, freilich nicht als Häretiker, sondern
als heidnische Zuhörer. Nun kennt auch Epiphanius diese
Schrift und entnimmt ihr ἢ. 66, 10 dieselben vier Namen: ἐξ
αὐτῆς οὖν κιὼ εὐϑὺς παρέρχονται (sc. Archelaos und Manes)
εἰς συζήτησιν δημοσίᾳ ἐν αὐτῇ τῇ Κασχάρῃ, πρότερον εἰς τὴν
7
1) In Apost. Const. VI, 16 wird neben Simon ebenfalls Kleobius ge-
nannt: οἴδαμεν γὰρ ὅτι οἱ πεοὶ Σίμωνα καὶ Κλεόβιον ἰώδη συντάξαντες
[] > » α'ἷ- % ud [2 -
βιβλία ἐπ᾿ ὀνόματι Διριστοῦ χαὶ τῶν μαϑητῶν αὐτοῦ περιφέρονσιν εἰς
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ἀπάτην ὑμῶν τῶν πεφιληχότων Χριστὸν χαὶ ἡμᾶς τοὺς αὐτοῦ δούλους.
Petrusakten. 37
αὐτῶν ἀντιβολην τοῦ ζητήματος αἱρησάμενοι ὁμοῦ κριτάς,
Μάρσιπόν τινα ὀνόματι καὶ Κλαύδιον xai Alyıalda καὶ
Κλεόβουλον, τὸν μὲν τῶν ἐχτὸς λόγων φιλόσοφον, τὸν δὲ
ἰκτροσοφιστήν, τὸν δὲ φύσει γραμματιχὸν xal τὸν ἄλλον σο-
φιστήν. Dann wird der Verdacht rege dass der gute Epipha-
nius gedächtnismässig die Namen zusammengestoppelt und dabei
grosse Konfusion angerichtet habe. Diese Annahme wird auch
durch das Folgende bestätigt. Denn man ist ganz erstaunt, in
der Reihe der Gegner des Johannes das Paar Demas und Hermo-
genes zu finden. Schon der Zusatz τοὺς ἀγαπήσαντας τὸν ἐν-
ταῦϑα αἰῶνα καὶ καταλείψαντας τὴν ὁδὸν τῆς ἀληϑείας verrät
die gedächtnismässige Kontamination von 2. Tim. 4, 10 und 2. Petr.
2,2.15. Als Ketzerpaar kommen beide aber nur in den Paulus-
akten vor, wo sie unter der Maske der Freundschaft als Gegner
des Paulus auf seiner ersten Missionsreise in Pisidien und Pam-
phylien erscheinen. Ihre Lehre ist nach Act. Theclae c. 1 und 14
eine gnostische, da sie die Geburt Christi aus der Maria und dem
Samen Davids, ebenso seine Auferstehung leugneten, also Ver-
treter einer doketischen Christologie waren, wie sie auch eine
leibliche Auferstehung der Menschen überhaupt ablehnten!. Epi-
phanius macht sie umgekehrt gerade zu Vertretern der christo-
logischen Lehre vom ψιλὸς ἄνϑρωπος. Den Unsinn kann er
in keiner schriftlichen Quelle gelesen haben. Demgegenüber
meint Zahn (Act. Joh. p. LXII), dass Epiphanius die beiden schwer-
lich auf eigene Gefabr mit Johannes in Verbindung gebracht
habe, und findet es vielleicht beachtenswert, dass der sogenannte
Dorotheus (Chron. pasch. ed. Dindorf Il, 124) von Demas, den er
mit Hermogenes und Phygelus zusammenstellt, sagt: περὶ οὗ καὶ
Ἰωάννης ὁ ἀπόστολος ἔγραψεν „ES ἡμῶν ἐξῆλθον. ἀλλ᾽ οὐχ
σαν ἐξ ἡμῶν“. Aber ist denn nicht 1. Joh. 3, 19 zum geflügel-
ten Wort gegen die Gegner der Orthodoxie geworden?
Soweit über die einzelnen Namen. Wie steht es nun mit
der Glaubwürdigkeit jener Nachricht, dass die sämtlichen vorher
aufgezählten Häretiker wegen ihrer Bestreitung der übernatür-
lichen Geburt Christi oftmals von dem Apostel Jobannes und
seinen Schülern, besonders aber von Leucius bekänipft worden
1) Demas und Hermogenes sind in den Paulusukten die Vorläufer
der in Korinth mit derselben Lehre auftretenden Ketzer Simon und Kleobius.
38 Carl Schmidt.
seien? Zu Epiphanius’ Zeit gehörte es zum eisernen Bestande
der kirchlichen Tradition, Johannes habe das Evangelium wie
seine Briefe in apologetischem Interesse gegen bestimmte Häre-
tiker verfasst. Jene Tradition hat in der lateinischen historia
ecclesiastica über Johannes, die Corssen mit grossem Scharfsinn
rekonstruiert hat!, ihre schriftliche Fixierung gefunden. Der-
zufolge hat Johannes nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf
Patmos das Evangelium in Ephesus geschrieben, cum iam tunc
haereticorum semina pullulassent, Cerinthii, Ebionis et caeterorum
qui negant Christum ante Mariam fuisse, und zwar habe er dies
gethan auf Zureden fast aller Bischöfe Asiens und der Gesandten
vieler Gemeinden. Von dieser Quelle hängt die spätere Tradition
ın der abendländischen Kirche ausschliesslich ab, am besten findet
sie sich im Prolog. in IV evang. konserviert: Is cum esset in
Asıa et iam tunc haereticorum semina pullularent Cerinthii, Ebio-
nis et ceterorum qui negant Christum in carne venisse etc. Beim
Vergleich mit Epiphanius springt sofort in die Augen, dass auch
bier Kerinth und Ebion an der Spitze stehen, während die übri-
gen namenlos als ceteri zusammengefasst werden. Nun ist ja
auch Epiphanius von der Entstehung des Johannesevangeliums
ausgegangen; dann aber ist die Annahme nicht von der Hand
zu weisen, ihm habe ein gleiches Proömium resp. eine παράᾶ-
dooıs ἐχκλησιαστιχή in griechischer Sprache vorgelegen, worin
als die von Johannes bekämpften Gegner Kerinth und Ebion
namentlich angeführt und mit οὗ ἄλλοι im allgemeinen fortge-
fahren war. Die Arbeit des Epiphanius besteht darin, dass er
οἱ ἄλλοι mit überall zusammengerafften Namen ausgefüllt hat 2,
denn in seiner Vorlage kann er sie nicht gelesen haben, da
Merinth, der Doppelgänger des Kerinth, der an der Spitze der
neu angefertigten Ketzerreihe steht, ausschliesslich dem Epipha-
nıus zur Last fällt.
Die gleiche Erweiterung hat nun auch die Liste der ortho-
doxen Bekämpfer erfahren. Neben Johannes sind die οὗ ἀμφ᾽
αὐτόν getreten, während nach sonstiger Überlieferung die Bi-
1) Monarchianische Prologe S. 7Sf.
2) Zusätze hat diese Notiz auch sonst erfahren, so ist 2. Β. bei Ps.
Augustin, Sermo CXXIX. 5 Marcion hinzugesetzt und bei Primasius, Prol. in
Comment. in Apoc. (Max. bibl. patrum t. X, p. 288 F) Valentin. In beiden
Stellen sind die Zusätze an die Spitze gestellt.
Petrusakten. 39
schöfe Asiens und die Legationen der Gemeinden die dringende
Bitte zur Abfassung des Evangeliums direkt an Johannes ge-
richtet haben. Epiphanius denkt scheinbar gar nicht mehr an
schriftliche Widerlegungen, sondern an mündliche Disputationen,
wie der Ausdruck ἀντελέγοντο πολλάχις besagt.. An die zweite
Stelle der Bekämpfer rücken Leucius und die ἄλλοι πολλοί. Die
ἄλλοι πολλοί sind wiederum eine amplifizierende Ausschmückung,
ihre Namen sind wohlweislich verschwiegen. Wer ist aber Leu-
eıus? Einen Leucius, der an der Seite des Johannes in Asien
im Kampfe gegen die Lehren eines Kerinth und Ebion aufge-
treten wäre, kennt das christliche Altertum nicht, wohl aber einen
Leucius, der häretische Apostelakten fabriziert hat. Nun wird sich
im Verlaufe der weiteren Untersuchungen zeigen, dass in den
Johannesakten sich ein gewisser Leucius als Schüler und Begleiter
des Apostels eingeführt hat und zugleich als Augenzeuge die πράξεις
dlesselben verfasst haben will. Derselbe Leucius kann wohl als Geg-
ner des Kerinth und Ebion gelten, aber keineswegs als Gesin-
nungsgenosse des Johannes, da er einer ausgesprochen doketischen
Christologie in seinem Werke huldigt, die doch gerade mit be-
sunderer Schärfe sein angeblicher Lehrer bekämpft. Epiphanius
muss von diesem Leucius eine dunkle Kunde besessen, zugleich
muss der Name zu seiner Zeit noch einen guten Klang gehabt
haben. Die Annahme von Zahn (Act. Joh. p. LXV), Epiphanius
habe die Johannesakten des Leucius mit gläubigem Auge ge-
lesen. und der entschiedene Widerspruch des Leucius und seines
Johannes gegen die Irrlehre von Jesus als blossem Menschenkind
habe für sein Auge der dogmatischen Sünde Menge zugedeckt,
scheitert an der Thatsache, dass Epiphanius die Johannesakten
ebensowenig wie die übrigen Apostelakten persönlich gelesen
hat. wenn er auch von ihrer Existenz Kunde besass und sie im
Gebrauch einer Reihe gnostischer Sekten wusste. Hätte er nur
einen Blick in die Johannesakten hineingeworfen, so würde er
unbedingt über den Verfasser sowohl wie über das ganze Buch
die Schale seines Zornes ausgegossen haben. Deshalb kann ich
auch darin keine Bestätigung der These von Zahn erblicken,
wenn Epiphanius h. 79, 5! eine Vorstellung vom Lebensende
1) ἀλλ᾽ οὔτε Ἠλίας προσχυνητός, χαίπερ ἐν ζῶσιν ὦν, οὔτε Ἰωάννης
προσχυνητός, χαίτοι γε διὰ ἰδίας εὐχῆς τὴν κοίμησιν αὐτοῦ ἔχπληχτον ἀπερ-
γασάμενος, μᾶλλον δὲ ἐχ ϑεοῦ λαβὼν τὴν χάριν.
40 Carl Schmidt.
des Johannes ausspricht, die dem Bericht der Johannesakten
entspricht. Bereits Overbeck hat in der Anzeige von Zahns
Acta Joh. (Theol. Litteraturztg. 1881 Nr. 2) den richtigen Ge-
danken ausgesprochen, dass man scharf die Fälle unterscheiden
müsse, wo angeblich leucianische Traditionen direkt auf den Text
des Leucius zurückgehen, und wo sie sich schon in den Strom
der allgemein kirchlich rezipierten und anonymen Tradition über-
gegangen zeigen. Letzteres trifft gerade für die Nachricht über
das Lebensende des Johannes zu, denn die Erzählung des Leu-
cius ist in die kirchliche Tradition übergegangen und findet sich
sowohl in der historia ecclesiastica nach der Rekonstruktion von
Corssen ! wie in dem Argumentum evang. Joh.? (vgl. Corssen,
Monarch. Prol. 5. 81 ἢ). Aus einer gleichen Quelle hat auch Epi-
phanıus seine Nachricht bezogen, wie vorher seine Kunde über
die Entstehung des Johannesevangeliums. Damit scheidet Epi-
phanius als selbständiger Gewährsmann definitiv aus.
Als zweiter gewichtiger Zeuge für die hohe Autorität des
Leucius in orthodoxen Kreisen gilt nach Zahn (Acta Joh. p. LXV f.)
auch Pacian, Bischof von Barcelona, der in seiner epist. IIl, 2 ad
Sempronianum Novatianum also berichtet: Et primum bi pluri-
mis utuntur auetoribus. Nam puto et Graecus Blastus ipsorum
est; Theodotus quoque et Praxeas vestros aliquando docuere:
ipsi illi Phryges nobiliores, qui se animatos mentiuntur a Leucio,
institutos a Proculo gloriantur. Bereits Lipsius (Apoer. Apostelg.
1, 93f.) hat konstatiert, dass die Ketzerliste aus Pseudotertullian adv.
omnes haereses abgeschrieben, diese aber in ganz konfuser Weise
1) Hic cum usque ad tempora Traiani vixerit longo confectus senio
cum sciret imminere diem recessus sui convocatis discipulis suis per moni-
menta exhortationum ac missarum celebrationem ultimun. eis patefecit
diem. Deinde descendens in defossum sepulturae suae locum facta ora-
tione positus est ad patres suos tam liber a dolore mortis quam a corrup-
tione carnis invenitur alienus.
2) Et hic est Johannes qui sciens supervenisse diem recessus sui COn-
vocatis discipulis suis in Epheso per multa signorum experimenta promens
Christum descendens in defossum sepulturae suae locum facta oratione
positus est: ad patres suos tam extraneus a dolore mortis quam a corrup-
tione carnis invenitur alienus.
3) Die Lebenszeit des Pacianus ist leider unbestimmt, sein Tod wird
gewöhnlich auf c. 390 angesetzt; vgl. dazu Gruber, Studien zu Pacianus von
Barcelona (Dissertation, München 1%1, S. 5).
Petrusakten. 41
benutzt ist. Nur den Namen des Leucius konnte er von dort-
her nicht nehmen, derselbe muss ihm von anderer Seite zugeflossen
sein; leider hat Gruber, der auf die Benutzung des Tertullian
und Cyprian von seiten des Pacian hingewiesen, es unterlassen,
auf diese Stelle näher einzugehen. So viel ist ja klar, dass der
Angabe über das Verhältnis der Montanisten zu Leucius eine
dunkle Kunde zu Grunde liegt, da es sich um KRleinasiaten han-
delt, die in den christologischen wie in den asketischen Ansichten
mit dem Verfasser der Johannesakten mancherlei Berührungs-
punkte zeigten, wenn auch die Nachricht, die Montanisten hätten
sich gerühmt, von Leucius ins Leben gerufen zu sein, jeder
Grundlage entbehrt.e. Unbedingt handelt es sich aber um keinen
anderen Leucius als den Verfasser der Johannesakten, und es ist
nicht uninteressant zu sehen, dass zur Zeit des Pacian der Name
des Leucius in Spanien noch nicht einen so üblen Beigeschmack
erlangt hatte, wie dies seit dem Kampfe gegen die Manichäer und
Priscillianisten eintrat. Das stimmt mit unseren Beobachtungen
bei Epiphanius überein.
Gar nichts mit Leucius zu thun hat eine dritte Stelle, auf die
Zahn (Act. Joh. S. 213) hingewiesen hat, indem er durch Konjektur
den Namen hat herstellen wollen. Lipsius (Apocr. Apostelg. 1,
S. 86f.) wie Overbeck (Theol. Litteraturztg. 1881 Nr. 2) haben
ihm beigepflichtet. Der Patriarch Nicephorus (806/815) schreibt
nämlich in seinem Antirrhet. adv. Epiphanidem (Fitra, Spicil.
Solesm. IV, 370): "Erı προχομίζουσιν ἀνοσίους καὶ μυϑώδεις
gorac. εἰς Asovrıov τινα ἀναφέροντες, τῆς τῶν ἐξαγίστων
Δοκητῶν μοίρας τυγχάνοντα. oc ἐκ τῶν λόγων αὐτοῦ συν-
ıdeiv ἐστιν, ὃς πρός τε ἑαυτὸν διαστασιάζει καὶ τὴν ἀλήϑειαν.
Tovrov δὲ πρὸς τὸ βλάσφημον ἔτι χαὶ τὸ παράλογον καὶ
ἀλλόχοτον ἐν ἄλλοις ϑριαμβεύεται. χαὶ τοίνυν κατασχιάζειν
πειρώμενος τὴν ἀληϑῆ τοῦ σωτῆρος ἐνσωμάτησιν, φησίν"
Καλῶς οἱ ζωγράφοι μίαν εἰχόνα τοῦ κυρίου γράφειν οὐ μεμα-
ϑήκασι“. χαὶ βούλεται τοῦτο πιστοῦσϑαι ἀπό τε τοῦ προῦ-
ευχύμενον τὸν Χριστὸν γεγονέναι τὸ πρόσωπον αὐτοῦ ὡς ὁ
ἥλιος. καὶ ἀπὸ τοῦ βαπτίσματος τῷ ἰδόντα αὐτὸν φρίξαι τὸν
Ἰορδάνην' πρὸς δέ γε καὶ ἀπὸ τῆς μεταμορφώσεως τῷ μὴ
ἐνέγκαι κατανοῆσαι τοὺς ἀποστόλους" καὶ ἕτερα ἅττα προσ-
ϑεὶς ἐφάμιλλα. Nicephorus unterscheidet deutlich zwischen den
von ihm bekämpften Ikonoklasten und dem von jenen angerufenen
42 Carl Schmidt.
(ewährsmann Namens Leontius, welchen er zu den Doketen
rechnet; andererseits hat er unbedingt das von Leontius verfasste
Werk eingesehen, da er seine Mitteilung über den Doketismus
des Verfassers mit den Worten begründet, οἷς ἐχ τῶν λόγων
αὐτοῦ συνιδεῖν ἐστιν, und gleich darauf ein wörtliches Citat
für die Leugnung der wahren. ἐνσωμάτωσις des Erlösers anführt.
Zum Beweise für die Unmöglichkeit, dass die Maler ein einziges
Bild des Herrn hätten malen können, stützt sich Leontiüs auf
drei Momente: 1. als Christus gebetet, wäre sein Antlitz wie die
Sonne geworden; 2. während der Taufe hätte der Jordan bei
seinem Anblick geschaudert; 3. bei der Verklärung hätten die
Apostel ihn nicht anschauen können. Noch andere Punkte
muss er zur Stütze herangezogen haben, da ja Nicephorus sein
Referat mit den Worten schliesst: χαὶ ἕτερα ἅττα προσϑεὶς
ἐφάμιλλα. Das ganze Werk hat offensichtlich einen dogmatisch-
polemischen Charakter getragen und ist von einem Vertreter des
Bildersturms verfasst, der aller Wahrscheinlichkeit nach im
8. Jahrh. gelebt und bei Späteren als Autorität gegolten hat.
Leontius und Leucius!, der Verfasser der Johannesakten, haben
also nichts miteinander zu thun, ersterer schöpft sein Beweis-
material für nr. 1 und 3 aus den Evangelien und für nr. 2 aus
der Liturgie. Besonders Ad. Jacoby ? hat die Vorstellungen über
die Wunder bei der Taufe behandelt und die Leontiusstelle be-
nutzt, aber es ıst mir unerfindlich, wie er l.c. S. 67 schreiben
konnte: „Hier ist die Taufe mit Zügen aus der Verklärungsscene
ausgeschmückt. Es heisst, der Jordan habe vor dem Antlitz des
Herrn, das wie die Sonne leuchtete, zurückgeschaudert. Eine
derartige Einführung von Zügen der Verklärungsgeschichte in
die Scenerie der Taufgeschichte ist alt.“ Jacoby kann unmög-
lich den Text mit Aufmerksamkeit gelesen haben, da er die
beiden ersten Argumente durcheinandergeworfen hat. Doch um
wieder auf Nicephorus zurückzukommen, so hat er zum Über-
fluss diesen häretischen Leontius dem orthodoxen Leontius von
Neapolis auf Cypern gegenübergestellt, wenn er im folgenden
1) Damit soll nicht geleugnet werden, dass unter den zahlreichen
Namenverschreibungen der Hdss. für Leucius auch Leontius vorkommt.
Vgl. die Zusammenstellung bei Lipsius, Apocr. Apostelg. I, 84, 3.
2) Ein bisher unbeachteter apokrypher Bericht über die Taufe Jesu,
Strassburg 1902, S. 42 ff.
Petrusakten. 43
Kapitel schreibt: ἀλλὰ χαὶ audız τῇ προαγούσῃ τάξει χρώμενοι
τὸν ἀληϑῆ Δεόντιον τὸν τῆς Νεαπολιτῶν ἐκκλησίας.
Damit glaube ich für die folgenden Untersuchungen freie
Bahn geschaffen zu haben. Ich beginne mit den Nachrichten
aus dem Abendlande, da hier die Stadien in der Überlieferung
über die Sammlung der Apostelakten und über die Person des
Leucius viel klarer zu Tage treten als im Morgenlande. Anderer-
seits wird es nötig sein, beide Überlieferungsreihen gesondert zu
behandeln, um jede willkürliche Kombination zu vermeiden.
Der älteste Zeuge für die Sammlung der apokryphen Apostel-
akten im. Abendlande, d.h. einer lateinischen Gesamtausgabe ist
der bereits oben erwähnte Philastrius, Bischof von Brescia, der
in seinem liber de haeresibus c. 88 eine haeresis apocrypha kon-
struiert und Folgendes von ihr berichtet: Alia est heresis, quae
Apocryfa, id est secreta, habet solum prophetarum et aposto-
lorum, (non) accipit scripturas canonicas, id est legem et prophe-
tas. vetus et novum scilicet testamentum. Et cum volunt solum
illa apocrifa legere studiose, contraria scripturis canonicis sen-
tinnt atque paulatim dogmatizant, contra eas dantes sententias,
contra legem et prophetas contrayue dispositiones beatissimorum
apostolorum consulta ponentes: e quibus sunt maxime Manichei,
(nostiei, Nicolaitae, Valentiniani et alii yuam plurimi, qui apo-
crifa prophetarum et apostolorum, id est Actus separatos haben-
tes, canonicas legere scripturas contemnunt. Propter quod sta-
tutum est ab apostolis beatis eorum successoribus non aliud legi
in ecclesia debere catholica nisi legem et prophetas et evangelia
et Actus apostolorum et Pauli tredecim epistolas et septem 8188,
Petri duas, lohannis tres, Iudae unam et unam lacobi, quae
septem Actibus apostolorum coniunctae sunt. Scripturae autem
absconditae, id est apocryfa, etsi legi debent morum causa a per-
fectis, non ab omnibus debent, quia non intelligentes multa addi-
derunt et tulerunt quae voluerunt heretii. Nam Manichei apo-
eryfa beati Andreae apostoli, id est Actus quos fecit veniens de
Ponto in Greciam *quos conscripserunt tunc discipuli sequentes
beatum apostolum, unde et habent Manichei et alii tales Andreae
beati et lohannis Actus evangelistae beati et Petri similiter
beatissimi apostoli et Pauli pariter beati apostoli: in quibus quia
signa fecerunt magna et prodigia, ut et pecudes et canes et
bestiae loquerentur, etiam et animas hominum tales velut canum
44 Carl Schmidt.
et pecudum similes inputaverunt esse heretici perditi (Filastrius
rec. Marx p. 471).
An diesen Mitteilungen sind für unsere Frage zunächst fol-
gende Punkte von Wichtigkeit: 1. Der Kampf bezüglich des
Kanons dreht sich in erster Linie um die Stellung zur Apostel-
geschichte resp. um die Wertung der apokryphen Apostelakten.
2. Dieser Kampf wird wiederum hauptsächlich gegen die Mani-
chäer geführt!. 3. Das von den Manichäern benutzte Corpus der
Apostelakten umfasst die bekannten fünf πράξεις. Philastrius
nennt mit Namen die Akten des Andreas, Johannes, Petrus und
Paulus. Das Fehlen der Akten des Thomas beruht sicherlich
nur auf einem Versehen bei der Aufzählung, die auch m. E. nicht
genau die Stellung der einzelnen Akten im Rahmen des Corpus
wiedergiebt. Wichtig dagegen ist die Zugehörigkeit der Paulus-
akten zum manichäischen Corpus. 4. Der Name des Leucius als
Verfasser der ganzen Sammlung resp. einzelner Akten kommt
noch nicht vor.
Aber erst durch Augustin werden wir in den gewaltigen
litterarischen Kampf zwischen Grosskirchlern und Manichäern
eingeführt und erhalten zugleich die vollgültige Bestätigung der
Angaben des Philastrius. Nicht so sehr die dogmatischen Spitz-
findigkeiten oder die auf ganz verschiedenen Prinzipien aufge-
baute Weltanschauung der Manichäer regten weitere Kreise der
Gläubigen auf, wie gerade ihre Position zum Kanon, die sich
am radikalsten im Neuen Testament gegen die kanonischen Acta
apostolorum zeigte und an ihre Stelle die fünf apokryphen Akten
als kanonische apostolische Urkunden setzen wollte. Augustin
kannte nur zu gut jenen Kanon aus der früheren Zeit, da er
selbst Adept der manichäischen Sekte gewesen war, und war
deshalb wie kein zweiter Mann befähigt, in seinen Öffentlichen
Disputationen wie in seinen Streitschriften auf diese brennende
Frage einzugehen. Als gewiegter Polemiker stellt er sich gleichsam
auf den Standpunkt seiner Gegner und sucht sie mit ihren eigenen
Waffen zu schlagen, indem er die vorgebrachten Argumente ge-
1) Deshalb stehen sie auch in der Liste der Häretiker an erster Stelle;
in dem letzten Abschnitte werden nur sie namentlich angeführt!, wäh-
rend unter „et alii tales“ die vorher erwähnten Häretiker wie Gnostici, Ni-
colaitae, Valentiniani et alii quam plurimi zu verstehen sind. Diese Auf-
zählung ist sehr summarisch.
Petrusakten. 45
rade mit Hilfe ihrer angeblich kanonischen Urkunden zu wider-
legen unternimmt. So durchziehen seine polemischen Schriften
gegen die Manichäer beständig die Auseinandersetzungen über
die apokryphen Apostelakten und bilden unsere beste Material-
sammlung. Betrachten wir die einzelnen Citate! in ihrer chrono-
logischen Abfolge, so würde wohl die erste Erwähnung der
Akten in der um c. 393 verfassten Schrift de sermone domini
in monte zu statuieren sein. In dieser Schrift bekämpft Augustin
‚ keineswegs Marcioniten, wie Lipsius (Apoer. Apostelg. I, 47, Anm.)
zweifelnd bemerkt, sondern Manichäer, die den Gott des A. T.'s
wegen der vielen schweren körperlichen Strafen, welche er ver-
hängt hat, nicht als den wahren Gott anerkennen wollen. Zum
Beweis dafür, dass diese Strafen nicht aus Hass, sondern aus
Liebe von Gott verfügt sind, verweist Augustin lib. I, 20, 65 seine
Gegner zunächst auf die Beispiele in den kanonischen Acta
apostolorum, da sie aber diese nicht anerkennen, auf das Ver-
halten des Paulus 1. Cor. 5, 5 und zuguterletzt, um den höchsten
Trumpf auszuspielen, auf’ illi libri, quibus ipsi magnam tribuunt
auctoritatem. Hier könne man die Geschichte von dem Apostel
Thomas lesen, der einem Menschen, welcher ıhn mit der Hand
geschlagen, den Tod als Strafe dafür anwünscht, damit seine
Seele gerettet würde. Und in der That wird der Mann von
einem Löwen getötet; ein Hund reisst eine Hand vom toten
Körper ab und bringt sie dem Apostel, der noch an der Tafel
speisend sitzt. Diese Geschichte lesen wir noch heute in den
Acta Thomae ed. Bonnet ὁ. 6 u. 8 Demgemäss gehören die
Thomasakten zum manichäischen Corpus, wie auch Augustin
‚lies ausdrücklich bestätigt, wenn er hinzufügt: cui scripturae licet
nobis non credere, non est enim in catholico canone, illı tamen
eam et legunt et tamquam incorruptissimam verissimamque ho-
norant.
Derselben Geschichte, nur viel ausführlicher, gedenkt Augu-
stin in seiner c. 394 verfassten Streitschrift contra Adimantum
cap. 17, der zum Beweise der Verschiedenheit des Gottes des A.
und N. T.s die Stellen Exod. 23, 22sq. und Matth. 5, 44 gegen-
übergestellt hatte. Wiederum argumentiert Augustin vom mani-
1) Um dem Leser ein selbständiges Urteil zu ermöglichen, gebe ich
am Schluss eine Zusammenstellung der in Betracht kommenden Stellen.
46 Carl Schmidt.
chäischen Kanon aus, da er zur Einführung bemerkt: ipsi autem
legunt scripturas apocryphas, quas etiam incorruptissimas esse
dicunt, ubi scriptum est οἷο Um die potestas vindicandi der
Apostel zu erhärten, weist er in demselben Kapitel auf das Ver-
halten des Petrus in Act. 5; aber da gerade die Gegner mit der
kanonischen Apostelgeschichte auch diese That verwerfen, so
entnimmt er seine Beispiele aus den gegnerischerseits so hoch-
geschätzten Apocrypha und hält ihnen wiederum die Geschichte
des Thomas vor und im Anschluss daran die Erzählung von der
paralytischen Tochter des Petrus und der Tochter des Gärtners,
die auf Geheiss des Apostels tot niedergestürzt ist. Da haben
wir neben den Thomasakten auch die Petrusakten.
Noch viel eingehendere Kunde erhalten wir durch die Schrift
contra Faustum Manichaeum (c. 400 geschrieben), zumal da hier
der Gegner selbst zu Worte kommt. In 110. XIV, 1 weist Faustus
auf Petrus und Andreas, die similis passionis exitu (d. h. Kreu-
zestod) defuncti sunt vita, eine Nachricht, welche er unbedingt
den Petrus- und Andreasakten entnommen hat. Und wie ge-
schickt das Haupt der Manichäer die Angriffe der Katholiken
abzuwehren versteht, lehren insbesondere seine Ausführungen in
lib. XXX, wo er mit aller Entschiedenheit den Vorwurf des
Dämonendienstes zurückweist, den die Katholiken auf Grund
von 1. Tim. 4, 1 ff. gegen die Manichäer wegen ihrer enkratitischen
Lehren, d.h. der Enthaltung von Wein- und Fleischgenuss und
der Geschlechtsgemeinschaft, erhoben hatten. Zunächst führt
er Moses ins Feld, der durch seine Speiseverbote ebenfalls dämo-
nische Lebren vorgetragen haben müsste (cap. 1); dazu komme
die Haltung der drei Knaben bei Daniel und des Daniel selbst,
der sich des Fleisch- und Weingenusses während dreiwöchentlichen
Fastens enthalten habe (cap. 2). Ebenso spreche die Lebensweise
der Christen für die manichäische Praxis, da unter ihnen non-
nulli poreina, plerique vero quadrupede omni, alii etiam euncto
animali penitus abstinent und deswegen hoch verehrt würden
icap. 3). Ferner das kirchliche Fasten an den Quadragesima und
(lie Christo geweihten Jungfrauen, die nicht heiraten dürfen und
deren Zahl bereits so gross ist, dass Faustus, wenn auch in über-
triebener Weise, sagen kann: qui certatim semper ad hanc eas
incitetis professionem suasionibus vestris, ut paene iam maior
in ecclesiis omnibus virginum apud vos quam mulierum nume-
Petrusakten. 47
rositas habeatur? So dreht denn Faustus den Spiess um und
hält dem Augustin wie den Katholiken den wirklichen Paulus
vor, wie er sich gegenüber 1. Tim. 4 in einer anderen Schrift zu
erkennen giebt: si vero favere huic quoque proposito et non
reluctari volenti id quoque doctrinam putatis esse daemoniorum,
taceo nunc vestrum periculum, ipsi iam timeo apostolo, ne daemo-
niorum doctrinam intulisse tunc Iconıum videatur, cum Theclam
obpigneratam iam thalamo in amorem sermone suo perpetuae
virginitatis incendit. Diesem Paulus als Prediger der Enthalt-
samkeit stellt er den magister et auctor totius sanctimoniae, nänı-
lich Jesus an die Seite, qui in evangelio tria genera taxans spado-
num, unum nativum, alterum facticium, tertium voluntarium, eis
tamen palmam adtribuit, qui se ipsos, inquit, spadones fecerunt
propter regnum caelorum. Jetzt zieht er das Facit seiner Be-
weisführung und sucht seine Gegner durch folgende Schlüsse
niederzuringen: Quid ergo? et hoc vobis doctrina videtur esse
daemoniorum et in seductorio spiritu dietum? et quis erit alius
in deo loquens, si Paulus et Christus daemoniorum probantur
fuisse sacerdotes? mitto enim ceteros eiusdem domini nostri
apostolos, Petrum et Andream, Thomam et illum inexpertun
Veneris inter ceteros beatum lohannem, qui per diversa posses-
sionem boni istius inter virgines ac pueros divino praeconio ce-
cinerunt formam nobis atque adeo vobis ipsis faciundarum vir-
ginum relinquentes. sed hos quidem, ut dixi, praetereo, quia
eos vos exclusistis ex canone facileque mente sacrilega vestra
daemoniorum his potestis inportare doctrinas. num igitur et de
Christo eadem dicere poteritis aut de apostolo Paulo, quem simi-
liter ubique constat et verbo semper praetulisse nuptis innuptas
et id opere quoque ostendisse erga sanctissimam Theclam? quodsi
haee daemoniorum doctrina non fuit, quam et Theclae Paulus
et ceteri ceteris adnuntiaverunt apostoli, cui eredi iam poterit hoc
ab ipso esse memoratum, tamquam sit daemoniorum voluntas et
doetrina etiam persuasio sanctimonii?
Diese Stelle ist für die Frage nach dem Umfange des mani-
chäischen Corpus der Apostelakten von ausschlaggebender Be-
deutung; denn sie zeigt uns, dass jene von Faustus benutzte
Sammlung unbedingt die Akten des Petrus, Andreas, Thomas
und Johannes umfasste; ob auch die Paulusakten, wie Phila-
strius und Photius angeben, werden wir noch zu untersuchen
48 Carl Schmidt.
haben. Offen gesteht Faustus ein, dass jene vier Akten vom
katholischen Kanon ausgeschlossen seien, darum er sie auch nicht
für seine Zwecke als Autoritäten ausbeuten wolle. Mit um so
grösserem Nachdruck stützt er sich auf eine Schrift, die von
Paulus und der Thekla! handelt und von der er voraussetzt, _
dass sie auch bei den Katholiken gleichsam in kanonischem An-
sehen stehe, deshalb er den Paulus dieser Schrift ohne jedes Be-
denken mit dem Jesus der Evangelien auf gleiche Linie stellt.
Welche Schrift ıst nun darunter zu verstehen? Zahn (Acta Joh.
p. LXXV]) identifizierte sie mit den von Philastrius und Photius
angeführten πράξεις Παύλου, verstand also unter letzteren die
Akten der Thekla und des Paulus. Diese Ansicht hat er (G. K. 11,
868, Anm. 1) als unhaltbar zurückgezogen und die Akten des Paulus
als nicht zum manichäischen Corpus gehörig betrachte. Aber
wie nabe er früher bereits das Richtige gesehen hatte, hat die
Entdeckung der Paulusakten gezeigt, derzufolge die Theklaakten
nur einen Teil der alten Paulusakten bildeten. Durch diesen
Befund wird klar, dass Faustus die Theklageschichte in seinen
Paulusakten las und bei seiner Beweisführung von der Voraus-
setzung ausging, diese Akten seien auch zu seiner Zeit eine bei
den Katholiken hochgeschätzte Schrift. Das waren also nicht
besondere gnostische Paulusakten, wie Lipsius zu statuieren
meinte, — gnostische Paulusakten hat es nie gegeben —, sondern
die seit Tertullian (de baptismo cap. 17) im Abendlande in latei-
nischer Übersetzung vorhandenen alten orthodoxen Akten. Und
wie wahrheitsgetreu Faustus den Thatbestand wiedergegeben hat,
ist durch die Entdeckung von Harnack aufs glänzendste bestätigt
worden, dass nämlich der Verfasser der caena Cypriani noch
am Anfang des 5. Jahrh. die vollständigen Paulusakten gekannt
und als kanonische Schrift benutzt habe?. Wie leicht hätte man
auch hier in den Irrtum verfallen können, dass jenem Verfasser
einzig und allein die Theklaakten vorgelegen hätten, da er seinen
Stoff in erster Linie aus diesen schöpfte, genau so wie man die
Angaben des Tertullian auf die Theklaakten bezogen hatte!
Deshalb kann ich nicht die Meinung von Harnack acceptieren,
1) Die verlobte Thekla ist durch die Predigt des Paulus zur Virgini-
tät bekehrt worden, deswegen wird sie als Heilige hoch verehrt, so dass
ihr Faustus den Ehrentitel „sanctissima‘ beilegt.
2\ Texte u. Unters. N. F.. Bd. IV, 3b.
Petrusakten. 49
Augustin habe die vollständigen Paulusakten nicht mehr gekannt
(1. ς. S. 20. 22), denn die Notiz des Hieronymus (de vir. ill. c. 7)
bezieht sich keineswegs, wie bisher allgemein angenommen, auf
die Thekla-, sondern auf die Paulusakten in ihrer Totalität '!.
Dass die Acta Pauli et Theclae bereits vor Augustin als selbst-
ständige Schrift vom Ganzen losgetrennt waren, da sie als Vorlese-
schrift am Tage der πρωτομάρτυρ dienten, darf freilich nicht
bestritten werden. Das sogenannte Dekret des Gelasius kennt
nur den liber, qui appellatur Actus Theclae et Paulı.
Doch kehren wir zu Augustin zurück: er giebt indirekt
den von Faustus gezeichneten Thatbestand zu, denn er, der sich
sonst rühmt, seinen Gegner Punkt für Punkt widerlegen zu
wollen, übergeht die beiden Hauptargumente, d. ἢ. Matth.:19, 12
und die Predigt des Paulus in Iconium, mit Stillschweigen und
verrät dadurch nur zu deutlich seine eigene Verlegenheit. Ihm
konnte ja nicht unbekannt sein, wie sehr die Thekla als Schülerin
des Paulus und als heilige Schutzpatronin der Jungfrauen in
der Kirche verehrt wurde, wie vor allem sein Lehrer Ambrosius
sie an zahlreichen Stellen seiner Schriften und in Predigten ge-
feiert hatte. Augustin selbst gedenkt ihrer in seiner Schrift de
sancta virginitate 2,
Als Entschuldigung für jenes peinliche Stillschweigen könnte
nun angeführt werden, dass Augustin bereits in lib. XXII, 79 sein
Urteil über die Apostelakten abgegeben hatte, wo er schreibt:
legunt scripturas apocryphas Manichaei a nescio quibus sutoribus
fabularum sub apostolorum nomine scriptas, und wo er zum dritten
resp. vierten Male die Thomasgeschichte auftischt. Hier bestätigt
Augustin die von Faustus offen eingestandene Verwerfung der
Apostelakten von seiten der Grosskirchler: certe enim Manichaei.
a quibus illae scripturae, quas canon ecclesiasticus respuit. tam-
qnuam verae atque sincerae acceptantur, etc. etc. Natürlich waren
in dieses Verdikt auch die an letzter Stelle des Corpus stehenden
Paulusakten in Bausch und Bogen mit eingeschlossen. Dagegen
kann Augustin den Namen des Leucius nicht als Gesamtverfasser
der Aktensammlung vorgefunden haben, denn sonst hätte er
1) Darüber werde ich in meiner Ausgabe der Acta Pauli handeln.
2) cap. 45: Unde, inquam, scit, ne forte ipsa nondum sit Thecla, iam
sit illa Crispina?
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1. | 4
50 Carl Schmidt.
keineswegs so allgemein und unbestimmt von sogenannten Fabel-
schustern reden können; dies setzt m. E. immer voraus, dass er
an verschiedene Verfasser der einzelnen Schriften denkt.
Trotzdem war dem Augustin der Name des Leucius nicht
unbekannt, denn in seiner Schrift contra Felicem lib. II, 6 be-
rührt er die scripturae apocryphae, die der katholische Kanon
verwirft, die aber bei den Manichäern um so grösseres Ansehen
geniessen, und führt zur Widerlegung des Gegners, dass nicht
ın der menschlichen Natur, sondern in dem Willen und in der
Verführung durch den Teufel das Böse zu suchen sei, ein wörtliches
Citat an: etenim speciosa figmenta et ostentatio simulata et
coactio visibilium nec quidem ex propria natura procedunt, sed
ex eo homine, qui per se ipsum deterior factus est per seductio-
nem. Dieses Citat hat Augustin in Actibus conscriptis a Leutio,
yuos tamquam actus apostolorum scribit, gelesen. Ist nun unter
diesen Actus des Leucius generell das ganze Corpus zu ver-
stehen oder nur eine zu diesem Corpus gehörige einzelne Schrift,
die von einem gewissen Leucius verfasst sein wollte? Gewöhn-
lich wird die Stelle in ersterem Sinne aufgefasst, indem man
insbesondere die Aussagen des Euodius und Photius damit kom-
biniert. Näher würde doch die Annahme liegen, Augustin habe
das Citat bestimmten πράξεις entnommen und als Verfasser dieser
πράξεις den Namen des Leucius vorgefunden. Leider lässt sich
jenes Citat in den uns erhaltenen Stücken der Apostelakten nicht
nachweisen, doch ist so viel sicher, dass es nicht aus den Thomas-
akten stammt, da wir diese vollständig besitzen; auch die Petrus-
wie Paulusakten kommen wohl kaum in Betracht. So bleiben nur
die Andreas- und Jobannesakten übrig; besonders die letzteren
haben das stärkste Präjudiz für sich, da der Johannes in den uns
erhaltenen Stücken wiederholt die Lehre vertritt, dass der Satan
als die verderbliche ἐνέργεια den Menschen zum Bösen verführe
(vgl. Acta Joh. ed. Bonnet p. 184, 23; 185. 10; 192, 33; 200, 15;
211, 10; 214, 9), dessen Macht aber durch Christus gebrochen
sei. Die Gründe, welche mich persönlich bewegen, in den Jo-
hannesakten und nur in diesen allein ein Werk des Leucius zu
erblicken, kann ich erst später erörtern. Zunächst bitte ich an
der These festzuhalten, dass der Name des Leucius sich auf eine
einzige Apostelakte, welche sie auch immer sein mag, bezieht
und zwar auf jene, aus der das angeführte Citat stammt. Würde
Petrusakten. 51
überhaupt Leucius als Verfasser der ganzen Sammlung dem Au-
gustin bekannt gewesen sein, so müsste man sich wundern, warum
er dies sonst nirgends anmerkt, auch nicht in seinen späteren
Schriften. Ganz objektiv berichtet er in der Schrift contra ad-
versarium legis et prophetarum ! (c. 420 verfasst) 1,20: Sane de
apocryphis iste posuit testimonia, quae sub nominibus apostolo-
rum AÄndreae loannisque conscripta sunt. Dasselbe wiederholt
sich in seiner ep. 237 ad Ceretium, der in einem Briefe um Aus-
kunft über eine Reihe Stellen gebeten, die ein gewisser Argirius
ans Schriften der Priseillianisten geschöpft und unter denen ein
dem Herrn zugeschriebener Hymnus auf den Fragesteller grossen
Eindruck gemacht hatte. Deshalb belehrt ihn Augustin also:
Hymnus sane, quem dicunt esse domini nostri [688 Christi, qui
ımaxime permovit Venerationem tuam, in scripturis solet apocry-
phis inveniri, quae non proprie Priscillianistarum sunt, sed alii
quoque haeretici eis nonnullarum sectarum impietate vanitatis
utuntur, inter se quidem diversa sentientes, sed scripturas istas
habent in sua diversitate communes easque illi praecipue fre-
quentare assolent, qui legem veterem et prophetas canonicos non
accipiunt. Als solche charakterisiert Augustin die Manichäerg
und Marcioniten. Dieselben nehmen auch im N.T. nicht alle
Schriften als kanonisch an, teils verändern sie einzelne Stellen
oder merzen sie als gefälscht aus, teils verwerfen sie ganze
Schriften wie die Manichäer die kanonische Apostelgeschichte.
Als dritte Gruppe nennt Augustin die Priscillianisten, die omnia Ὁ
et canonica et apocrypha simul accipiunt, einzelne ihren An-
sichten widersprechende Stellen der kanonischen Schriften durch
Interpretationen umdeuten und den scripturae apocryphae eine
divina auctoritas zuschreiben. Als Beleg dafür führt er nun die
vom Fragesteller vorgelegte Stelle an: Habes verba eorum in
illo eodice ita posita: „Hymnus domini, quem dixit secrete sanctis
apostolis discipulis suis, quia sceriptum est in evangelio: hymno
dieto ascendit in montem, et qui in canone non est positus
propter eos, qui secundum se sentiunt et non secundum spiritum
et veritatem dei, eo quod scriptum est: sacramentum regis bonum
est abscondere, opera autem dei revelare honorificum est“. Mit
1) Der adversarius ist nicht mit Lipsius (Apocr. Apost. I, 543) ein
Marcionit, sondern ein Manichäer.
4*
\
52 Carl Schmidt.
Recht hat Zahn (Act. Joh., S. 204 Anm.) darauf aufmerksam ge-
macht, dass wir eine Schrift der Priscillianisten vor uns haben,
in der der Hymnus ohne genauere Quellenangabe als kanonisch
behandelt war, indem zugleich als Grund für sein Fehlen in dem
katholischen Kanon und für die Geheimtradition an die Jünger
das mangelhafte Verständnis der Hörer resp. Leser angegeben
war; die, welche secundum se sentiunt, sind natürlich die Katho-
liken, die, welche secundum spiritum et veritatem dei sentiunt,
dagegen die Priscillianisten. Augustin unterscheidet deutlich
zwischen codex und scripturae apocryphae und verweist auf letz-
tere als die Quelle, ohne freilich die Johannesakten direkt als
solche zu bezeichnen. Dieselben Johannesakten hat er auch in
seinem Tract. 124 in Joh. c. 21, 19syg. im Auge, wenn er eine
katholische Tradition über das Lebensende des Apostels auf
quaedam scripturae yuamıvis apocryphae zurückführt; denn er
las diese Überlieferung nicht in dem uns heute unter dem Titel
μετάστασις des Johannes erhaltenen Schlussabschnitte, sondern
in den ihm noch als Ganzes innerhalb des Corpus der Apostel-
akten vorliegenden Actus Johannis.
Der Vollständigkeit halber will ich noch eine Stelle in de
eivitate dei 1. XV, 23 anfügen, in der er die sub nominibus apo-
stolorum verfassten und von Häretikern gebrauchten Werke er-
wähnt, die sämtlich sub nomine apocryphorum auctoritate cano-
nica diligenti examinatione remota sunt.
Als Resultat dieses Zeugenverhörs bei Augustin kann gelten,
dass bei den Manichäern in Nordafrika und bei den Priscillia-
nisten in Spanien ein Corpus von Apostelakten vorhanden war,
welches die Akten des Petrus, Andreas, Thomas, Johannes und
Paulus umfasste, und um dessentwillen ein heftiger Kampf ent-
brannt war, da die Manichäer dieses Corpus als πράξεις τῶν
ἀποστόλων unter Verdrängung der kanonischen Apostelgeschichte
mit aller Gewalt in den Kanon des N. Ts eingefügt wissen
wollten, während die Katholiken mit derselben Energie den kano-
nischen Charakter bestritten und unter dem Titel „scripturae apo-
cryphae“ die Schriften vom Kanon ausschlossen. Dieses Corpus
wird weder von Augustin noch von seinen Gegnern auf einen
einzigen Verfasser zurückgeführt, sondern ist anonym überliefert;
die eine Stelle in der Schrift c. Felicem, wo der Name des Leu-
elus auftaucht, kann jene sicheren Beobachtungen nicht umstossen.
Petrusakten. 53
Sonst hätte Augustin nicht so allgemein von „Fabelschustern“
reden können, sondern hätte direkt gegen den abscheulichen
Leucius losgewettert,
Dagegen darf m. E. nicht geleugnet werden, dass ein Zeit-
senosse des Augustin und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach
Euodius, Bischof von Uzala, in seiner Schrift de fide contra
Manichaeos den Namen des Leucius generell mit dem Verfasser
des gesamten Corpus in Verbindung gebracht hat. Für diese
Ansicht würde freilich noch keinen stringenten Beweis die Stelle
cap. 5 liefern, wo der Verfasser genau dasselbe Citat, das wir
bei Augustin c. Felic. II, 6 fanden, auf die actus a Leucio con-
scripti zurückführt, da hier wie auch sonst eine Abhängigkeit
von Augustin zu statuieren ist. Aber eine selbständige Kennt-
nis der Akten verrät die Notiz über Maximilla, die Gemahlın
des Königs Egetes, die an ihrer Statt ihre Sklavin Eukleia dem
Gemahl zum Beischlaf untergeschoben hat, da sie von Andreas
zur Keuschheit bekehrt war, und die weitere Notiz, dass ein
schöner Knabe dem Andreas erschienen sei und die Maximilla
und ıihre Dienerin) Iphidamia ihm empfohlen habe, als sie seine
Predigt zu hören sich aufmachten, und dass derselbe Knabe zum
Palast des Königs gegangen sei, das Schlafgemach betreten und
die Stimme der Maximilla wie ihrer Dienerin nachgeahmt habe,
um (em König glauben zu machen, sie wären beide anwesend !.
1) Adtendite in actibus Leuci, quos sub nomine apostolorum scribit,
qualia sint quae accipitis de Maximilla uxore Egetis. quae cum nollet marito
debitum reddere, cum apostolus dixerit: uxori virdebitum reddat, simi-
liter et uxor viro, illa subposuerit marito suo ancillam suam, Kucliam no-
mine, exornans eam,sicut ibi scriptum est, adversariis lenociniis et fucationibus
et eam nocte pro se vicariam subponens, ut ille nesciens cum ea tamquam
cum uxore concumberet. ibi etiam scriptum est, quod cum eadem Maxi-
millı et Iphidamia simul issent ad audiendum apostolum Andrear, pueru-
lus quidam speciosus, quem vult Leucius vel deum vel certe angelum in-
tellegi, commendaverit eas Andreae apostolo et perrexerit ad praetorium
Egetis et ingressus cubiculum eorum finxerit vocem muliebrem quasi Maxi-
millae murmurantis de doloribus sexus feminei et Iphidamiae respondentis.
quae colloquia cum audisset Egetes credens eas ibi esse discesserat (cap. 38).
— In cap. 40 scheint Euodius auf die Johannesakten anzuspielen, da er
schreibt: et tamen cum ipsa caro propter praesentem infirmitatem foenum
appelletur, creditis lohannem de foeno aurum fecisse et non creditis deum
omnipotentem de corpore animalı spiritale corpus facere posse. Vgl. Zahn,
Acta Joh. p. CXVI u. Lipsius, Apocr. Apostelgesch. I, 427.
54 Carl Schmidt.
Diese beiden Episoden standen in den Andreasakten, sind
aber aus dem heutigen Text als anstössig ausgemerzt. Als Ver-
fasser der Andreasakten wird ohne Zweifel Leucius von Euodius
angesehen, da zweimal sein Name genannt ist, und dies kann
nur dahin verstanden werden, dass ıhm Leucius nicht mehr als
Verfasser dieser oder jener Akte der Apostel, sondern der ge-
samten actus sub nomine apostolorum galt. Auf welchem Wege
ist er nun zu dieser Ansicht gelangt? War etwa in seinem Codex
der Apostelakten der Name dem Gesamttitel beigefügt? Das
wäre die einfachste Lösung, aber m. Εἰ. ist Euodius zu jener An-
nahme durch das Citat bei Augustin, welches durch die Worte:
in actibus sceriptis a Leucio, quos tamquam actus apostolorunı
seribit — eingeführt war, verleitet worden, indem er unter actus
apostolorum nicht die in Rede stehende einzelne Akte, sondern
die Gesamtsammlung verstand. Dazu kommt noch ein anderes
Moment. War nämlich einmal der Name des Leucius in irgend
einer Weise als Apostelschüler und Augenzeuge mit den Akten
in Verbindung gebracht worden, so war vorauszusehen, dass er
nicht so leicht wieder von der Bildfläche verschwand; handelte
es sich doch in dem Streite um die Kanonisierung der betreffenden
Schriften; dabei war aber die erste und wichtigste Frage die-
jenige nach dem resp. den Verfassern, denn anonyme Schriften
hatten von vornherein keine Aussicht auf Anerkennung. Deshalb
werden vielleicht die Manichäer sich öfters auf Leucius berufen
und bei den Katholiken den Anschein erweckt haben, als wäre
dieser Leucius der Verfasser des ganzen Corpus.
Von Nordafrika nach Rom ruft uns das Reskript des Inno-
cenz I. vom J. 405 an Exsuperius, Bischof von Toulouse, der an
Teer Stelle seiner Fragen über die sichere Abgrenzung des Kanons
Bescheid haben wollte, ohne Zweifel dazu bewogen durch die
manichäischen und besonders priscillianischen Angriffe. Nach
der Zusammenstellung der kanonischen Bücher des A. und N. T.’s
fährt Innocenz fort: Cetera autem, quae vel sub nomine Matthiae
sive lacobi minoris vel sub nomine Petri et Johannis, quae a
quodam Leucio scripta sunt, [vel sub nomine Andreae, quae a
Nexocharide et Leonida philosophis] vel sub nomine Thomae et
si qua sunt talia (oder alia) non solum repudianda, verum etiam
Y” esse damnanda!. Das Eingeklammerte findet sich nach
-----.
1) Vgl. Zahn, 6. K. II, 244 δ΄.
Petrusakten. 55
der Bemerkung von Zahn in der Collectio Dionysiana und der
davon abhängigen Hispana, zum Teil mit der Variante Xeno-
charide für Nexocharide. Seit Fabricius (Cod. apocr. 11, 767) hat
man in den beiden Namen eine Verstümmelung aus Charinus
und Leucius gesehen; aber selbst wenn dies der Fall sein sollte,
was ich stark bezweifle!, so würde die deutliche Unterscheidung
der einzelnen Akten nur beweisen, dass Innocenz von einem Leu-
eius als dem Verfasser des von den Manichäern und Priseillia-
nisten benutzten Corpus der Apostelakten noch nichts wusste,
Um so mehr benutzt man das Zeugnis des Innocenz für die These,
dass die Petrus- wie die Johannesakten von einem Verfasser,
d. h. von Leucius stammen; aber m. E. darf man ohne zwingende
Gründe den Relativsatz: quae a quodam Leucio scripta sunt
nicht auf beide Teile, sondern nur auf die zunächststehenden
Johannesakten zurückbeziehen. Jedenfalls war der Name des
Leucius in Rom um die Wende des 5. Jahrh. keine unbekannte
|
(irösse mehr.
Auch zu Leos des Grossen Zeit (440—461) war der Streit
über die Apokryphen noch nicht beendet. In seinem Briefe an
Turibius, Bischof von Astorga in Spanien, klagt er die Prisecillia-
nisten an. dass sie scripturas veras adulterant, falsas inducunt,
und versteht unter letzteren die scripturne apocryphae, yuae sub
nominibus apostolorum habent seminarium falsitatum, und deshalb
non solum interdicendae, sed.etiam penitus auferendae sunt atque
ignibus concremandae. Im übrigen geht er auf die einzelnen
Akten nicht weiter ein, erwähnt auch den Namen des Leueius
nicht. Aber bei ihm beginnt m. Εἰ. eine neue Phase in der Be-
urteilung der ganzen Litteraturgattung, indem die Häretiker als
Verfälscher der Akten angesehen werden, deshalb in diesen nicht
verkündigt wird, quod spiritus sanetus docuit, sed quod diaboli
minister inseruit.
Als discipulus diaboli gilt Leucius nach dem sogenannten
Decretum. Gelasji de libris recipiendis et non recipiendis?, denn
an 8.7 Stelle finden wir die Rubrik: librı omnes, quos feecit
1) Bedenken erregt der Zusatz „philosophi“, der garnicht zu erklären
ist. Das Ganze sieht nach einem Einschub eines Pseudogelehrten aus, der
in der Aufzählung die Akten des Andreas vermisste. Doch siehe die Be-
merkung Gutschmid’s bei Lipsius, Apocr. Apostelgesch. II, 2, 430.
3), Über die Kompilation des Dekretes 8. Zahn, K. G. II, 259 ff.
56 Carl Schmidt.
Leucius, discipulus diaboli. Welche Werke ihm zugeschrieben
werden, wird leider nicht angegeben; Leucius ist bereits zum
Sammelnamen geworden. Der kompilatorische Charakter des
Apokryphenverzeichnisses wird deutlich durch die voraufgehende
Aufzählung der actus nomine Ändreae apostoli, actus nomine
Thomae apost., actus nomine Petri apost., actus nomine Philippi
apost. Die Akten des Philippus gehören nicht zum Corpus, da-
gegen fehlen die Paulus- und die Johannesakten; letzteres ist
besonders auffällig. Wahrscheinlich sind sie aber in den „libri
omnes“ des Leucius mit einbegriffen, und das ganze Corpus der
Apostelakten wird noch einmal verworfen, obwohl einzelne Stücke
bereits genannt waren. Der wirkliche Thatbestand ist schon
verdunkelt. Leucius selbst ist zum Manichäer gestempelt, denn
das soll m.E. der Zusatz „discipulus diaboli“ zum Ausdruck bringen.
Diese Entwicklung darf nicht weiter wunder nehmen, wenn man
bedenkt, dass im Kampfe gegen die Manichäer und Priscillia-
nisten der Name des Leucius ausschliesslich mit den Apokryphen
in Verbindung gebracht worden war; zuletzt musste man unwill-
kürlich ihn selbst zu den Häretikern resp. Manichäern rechnen.
In dieser Beziehung ist für uns der Brief des oben genannten
Turibjus, Bischofs von Astorga, an seine Mitbischöfe Idacius und
Creponius von besonderer Bedeutung. In Spanien hatte die Frage
nach dem Gebrauch der Apokryphen neben dem Kanon des A.
und N. T’s. durch die von Priscillian inaugurierte Bewegung
weite Kreise der Kirche in Aufregung versetzt. Priscillian selbst
war in seinem liber de fide et de apocryphis mit aller Energie
für die Sache eingetreten, und nicht allein bei seinen Anhängern,
die durch die Verbindung mit den Manichäern an Zahl bedeutend
gewonnen hatten, sondern auch in grosskirchlichen Kreisen wollte
man sich die Lektüre der Schriften nicht inhibieren lassen. Mit
grossem Schmerze hatte Turibius bei seiner Rückkehr nach langer
Abwesenheit diese von der abendländischen Kirche abweichende
Haltung seiner Landsleute beobachtet. In dieser Notlage hat
Turibius sich nach Rom an Leo den Grossen gewandt, um mit
dessen Autorität den Kampf gegen diese Ketzerei aufzunehmen.
Zugleich aber hat er selbst sich nicht der Mühe überhoben ge-
glaubt, zum Erweise der ausschliesslichen Geltung des katholi-
schen Kanons die sogen. Apokryphen zu lesen, eine Lektüre, die
sich sogar auf die einzelnen Werke, sei es der Manichäer, sei
Petrusakten. 57
es der Priscillianisten, ausdehnte. Freilich muss er eingestehen,
lass er trotz allen Suchens einige Citate nicht habe verifizieren
können. Seine Worte in dem Briefe an Idacius und Creponius
cap. 4 lauten: Primum ergo est ut illa patefaciam quae in pluri-
morum fide vel magis perfidia esse cognovi, quae cum a multis
pıblico pene magisterio doceantur, si catholicorum aliquis paulo
constantius destructionis causa assertioni resistat, continuo inficias
eunt et perfidiam perfidia occulunt. Quid ne ultra iam faciant
et apocryphis scripturis, quas canonieis libris veluti secretas et
arcanas praeferunt et quas maxima veneratione suscipiunt et ex
his quas legunt traditionibus dietisque auctorum suorum ea quae
in ipsis arguuntur vera esse docentes; aliquae autem ex his
yuae in istorum doctrina sunt, in illis quos legere
potui apocryphis codieibus non tenentur. Quare unde
prolata sint nescio nisi forte ubi scriptum est per iacillationes
illas, per quas loqui sanctos apostolos mentiuntur, aliquid inte-
rius indicatur. quod disputandum sit potius quam legendum aut
forsitan sint libri alii qui occultius secretiusque serventur solis,
ut ipsi aiunt, perfectis patentes. Zur eigenen Orientierung der
Leser hat Turibius dann verschiedene markante Stellen aus den
einzelnen namhaft gemachten Schriften ausgezogen und nach
seinen Kräften zu widerlegen gesucht!. Diese kleine Arbeit,
die sicherlich dem Briefe beigelegt war, ist leider verloren ge-
gangen. Ich betone dies alles um so mehr, als m. E. Turibius
neben Augustin als der beste Kenner und Gewährsmann der
apokryphen Litteratur angesehen werden muss.
In cap. 5 seines Briefes hebt er nun aus der Zahl der Akten
die des Thomas hervor und findet es besonders verwerflich, dass
beim Taufritus nicht Wasser, sondern Öl gebraucht würde. Sofort
fügt er aber hinzu: quod isti nostri non recipiunt, sed Manichaei
sequuntur. Diese „isti nostri* sind identisch mit den in cap. 3 ge-
nannten hi nostri vernaculi haeretici, d. h. mit den spanischen
Priscillianisten, welche demgemäss in Übereinstimmung mit den
1) Ex quibus scripturis diversa testimonia blasphemiis omnibus plena
ab titulis suis ascripta digessi, quibus etiam ut potui pro sensus mei qua-
litate respondi.
2) In der That bestätigen die Acta diese Angabe, vgl. Acta Thomae
ei. Bonnet, p. 20, 8. 15; 68, 20 ff.; 73, 17; 81, 21; 82, 6. 9; doch siehe p. «9, 17
un! 82, 14, wo neben ἔλαιον auch ὕδωρ erwähnt wird.
8 Carl Schmidt.
Katholiken die Wassertaufe ausübten. Die Erwähnung der Ma-
nichäer führt den Turibius zu der weiteren Notiz über diese:
Quae haeresis, quae eisdem libris utitur et eadem dogmata et
his deteriora sectatur, ita exsecrabilis universis per omnes terras
ad primam professionis suae Cunfessionem nec discussa damnetur
oportet, per cuius auctores vel per maximum principem Manem
ac discipulos eius libros omnes apocryphos vel compositos vel
infectos esse manifestum est, specialiter autem Actus illos qui
vocantur Andreae vel illos qui appellantur S. Joannis, quos
sacrilego Leucius ore conseripsit, vel illos qui dicuntur S.
Thomae et his similia, ex quibus Manichaei et Priscillianistae
vel quaecumque illis est secta germana, omnem haeresim suam
confirmare nituntur et maxime ex blasphemissimo illo libro, qui
vocatur Memoria apostolorum, in quo ad magnam perversi-
tatis suae auctoritatem doctrinam domini mentiuntur, qui totamı
destruit legem veteris Testamenti et omnia quae S. Moysi de
diversis creaturae factorisque divinitus revelata sunt, praeter
reliquas eiusdem libri blasphemias quas referre pertaesum est.
Wenn nach Turibius alle apokryphen Bücher von Manes
und dessen Schülern verfasst oder verfälscht sein sollen, so liegt
darin eine grosse Unklarheit; vor allem weiss man zunächst
nicht, ob die unmittelbar darauf einzeln aufgeführten Akten zu
den von den Sektenhäuptern verfassten oder verfälschten Schriften
gerechnet werden, wie ohne Zweifel die memoria apostolorum !
1) Dieselbe Schrift erwähnt Orosius (Consultatio ad Augustinum in
den Aug. opp. VII, c. 431), indem er als Lehre des Priscillian berichtet:
volens intelligi tenebras aeternas et ex his principem mundi processisse et
hoc ipsum confirmans ex libro quodam qui inscribitur memoria aposto-
lorum, ubi salvator interrogari a discipulis videtur secreto et ostendere
quia de parabola evangelica quae habet „exiit seminans seminare semen
ruum“, non fuerit seminator bonus: asserens, quia si bonus fuisset, non
fuisset negligens, non vel secus viam vel in petrosis vel in incultis iaceret
semen etc. In dieser Memoria apostolorum hat m. E. jenes Citat gestan-
den, das Augustin bei seinem Gegner vorgefunden, aber nicht hatte veri-
fizieren können. Vgl. c, advers. leg. et proph. 11, 14: Sed apostolis, inquit,
dominus noster interrogantibus de Iudaeorum prophetis quid sentiri debe-
ret, qui de adventu eius aliquid cecinisse in praeteritum putabantur, com-
motus talia eos etiam nunc sentire, respondit: „dimisistis vivum qui ante
vos est et de mortuis fabulamini“. Augustin bemerkt: quando quidem
hoc testimonium de scripturis nescio quibus apocryphis protulit. Harnack,
Altchristl. Litteraturgesch. I, 24 sieht darin ein häretisches Evangelium.
Petrusakten. 59
aus manichäischen Kreisen stammte. Erst aus den folgenden
Ausführungen: [Ὁ autem mirabilia illa atque virtutes, quae in
apocryphis scripta sunt, sanctorum apostolorum vel esse vel
potuisse esse non dubium est, ita disputationes assertationesque
illas sensuum malignorum ab haereticis constat insertas — wird
klar, dass die Apostelakten insgesamt von den Manichäern ver-
fälscht sein sollen, und zwar insofern, als die Berichte über
Wüunderthaten als echt, die Lehr- und Redestücke als häretische
Zuthaten angesehen werden. Welche Stellung nimmt nun Leu-
cius ein, der ausdrücklich als Verfasser genannt wird? Mit Recht
hat Zahn (K. G. Il, 858) betont, dass Turibius den Leucius nur
als Verfasser der Johannesakten unter den 3 Büchern kennt, die
er namhaft macht; denn da er nämlich actus Andreae, loannis,
Thomae durch zweimaliges „vel illos“ auseinanderhalte und nicht
hinter der ganzen Aufzählung, sondern hinter „vel illos qui appel-
lantur S. loannis* die Worte einschalte „quos sacrilego Leucius
ore conscripsit“, so wäre es, unzulässig, diese Angabe auf die
Andreas- und Johannesakten zusammen zu beziehen. Einen
Generaltitel mit dem Namen des Leucius kann Turibius absolut
nicht in der ihm vorliegenden Sammlung der Apostelakten ge-
lesen haben, und dass er neben den drei genannten Akten noch
andere kannte, also das ganze Corpus vor sich hatte, lehrt ja der
Zusatz bei der Aufzählung: et his similia, wobei wir an die
Petrus- und Paulusakten denken. Das ist ein wichtiges Zeugnis
gegen die Existenz einer „leucianischen* Sammlung. Dabei ist
es vollkommen gleichgültig, ob Turibius den Leucius selbst für
einen Manichäer gehalten hat oder nicht.
Nach diesen Erörterungen wende ich mich jetzt zu der
letzten Phase in der Überlieferung über Leucius und die Apo-
stelakten, die als die Zeit der katholischen Bearbeitungen jener
Akten charakterisiert werden kann. Es kommen in dieser Be-
ziehung drei Urkunden in Betracht, die ihren abendländischen
Ursprung nicht verleugnen: 1. Pseudo-Mellitus in der Vorrede
zur Bearbeitung der Passio loannis; 2. Pseudo-Melito im Prolog
zur Bearbeitung de transitu Mariae; 3. der apokryphe Brief-
wechsel des Hieronymus mit den Bischöfen Chromatius und
Heliodorus.
Durch die Dekrete des Innocenz, Leos des Grossen und des
Gelasius war über die Apostelakten das Verdammungs- und Ver-
60 Carl Schmidt.
nichtungsurteil ausgesprochen worden, aber mit der Ausführung
hatte es noch längere Weile, da man die apokryphe Litteratur nicht
mit einem Schlage ausrotten konnte und zwar aus Gründen, die wir
später genauer kennen lernen werden. Zunächst versuchte man nach
dem Rezepte von Leo und Turibius die angeblich häretischen
Verfälschungen aus dem Texte der alten Akten auszumerzen.
Auf diese Weise entstanden die in der sogen. Abdias-Sammlung
vorhandenen virtutes apostolorum; aber auch diese enthielten
noch viel zu viel Anstössiges für katholische Ohren, um den
Glänbigen ohne Gefahr in die Hände gegeben zu werden. Be-
sonderen Anstoss musste beim Leser der virtutes Johannis die
stark an das Obscöne streifende Geschichte der Drusiana und
des Kallimachus erregen, die der lateinische Bearbeiter fast un-
verändert aus den alten Johannesakten übernommen hatte, ebenso-
wenig konnte er Geschmack an der Abschiedsrede des Apostels
finden. Diese Anstösse suchte ein Unbekannter durch erneute
Redaktion zu beseitigen; doch aus dem Redaktor wurde ein Fäl-
scher, indem er einen katholischen Brief unter der Person des
Mellitus fabriziertee Für die Wahl des Melito lassen sich nur
Wahrscheinlichkeitsgründe anführen. Da es sich um das Leben
des Johannes handelte, so lag die Wahl eines Kleinasiaten nahe;
unter den rechtgläubigen Autoritäten der Vergangenheit scheint
dem Verfasser der Name des Melito am bekanntesten gewesen
zu sein, indem er ihn bei Eusebius-Rufin (ἢ. e. V, 24,5) las (vgl.
Harnack, Altchristl. Litteraturg. I, 253). Ob die Bezeichnung
episcopus Laudociae (= Laodiceae) statt Sardes auf eine beab-
sichtigte Veränderung von seiten des Fälschers zurückzuführen
ist oder auf einer flüchtigen Lektüre der Eusebius-Rufin-Stelle
beruht, lasse ich dahingestellt. Der Prolog lautet in den Haupt-
stücken also: „Mellitus, servus Christi, episcopus Laudociae, uni-
versis episcopis et ecclesiis catholicorum in domino aeternam
salutem. Volo sollieitam esse fraternitatem vestram de Leucio
quodam, qui scripsit apostolorum actus, Ioannis evan-
gelistae et sancti Andreae vel Thomae apostoli, qui de
virtutibus quidem, quae per eos dominus fecit, plu-
rıma vera dıxit, de doctrina vero multa mentitus est.
Dixit enim docuisse eos duo principia, quod exsecratur ecclesia
Christi, cum et ipse sanctus Joannes apostolus in capite evangelii
sul unum testatur principium, in quo semper fuerit verbum, a
N
Petrusakten. 61
quo universa creata sunt visibilia et invisibilia. Leucius autem
dieit eos docuisse duo principia boni et mali, et bona a bono,
mala vero a malo principe substitisse, cum constet malum nihil
esse substantiale.... Haec Leucii causa memoraverim, qui
mendacio plenus apostolos domini asserit docuisse, duo principia
hominis exstitisse facturae et anımam a bono deo conditam, car-
nem a malo, et necessitate carnis animam involvi peccatis etc.
Der Fälscher hat m. E. seine Weisheit über Leucius aus
Turibius von Astorga bezogen, dessen Brief er wahrscheinlich in den
Werken Leos des Grossen überliefert fand; denn von dort stammt
die Aufzäblung der drei Akten, d. ἢ. des Johannes, Andreas und
Thomas, von dort die Bezeichnung des Leucius als Verfassers
jener drei Akten, ferner seine angebliche Zugehörigkeit zur mani-
chäischen Sekte und die Unterscheidung innerhalb der Akten
zwischen den wahren virtutes und der falschen doctrina. Eine
selbständige Kenntnis des alten Corpus verrät er an keiner Stelle,
und die Oberflächlichkeit des Urteils dokumentiert zur Genüge
die Behauptung, Leucius habe in jenen Akten offen die mani-
chäische Lehre von dem guten und bösen Prinzip vorgetragen.
Noch viel sekundäreren Charakter trägt der Prolog zu der
Schrift de transitu Mariae, da er erst auf Grund des Prologes zur
Passio Johannis fabriziert ist. Zwar hat der Redaktor den frü-
heren Irrtum in Bezug auf Mellitus, episcopus Laudociae, rekti-
fiziert und infolge dessen den Brief an die fratres Laodiceae con-
stituti gerichtet sein lassen, aber die Vergröberung tritt insofern
zu Tage, als Melito sich zum persönlichen Schüler der Apostel
resp. des Johannes macht, der schon öfter über seinen Mitschüler
Leucius geschrieben habe. Der Verfasser spielt damit unvorsich-
tig genug auf seine Quelle an, aus der er den ganzen Relativ-
satz kompiliert hat: qui .... plurima de apostolorum actibus in
libris suis inseruit, et de virtutibus quidem eorum multa et varia
(vera?) dixit, de doctrina vero eorum plurima mentitus est, asse-
rens eos aliter docuisse et stabiliens quasi ex eorum verbis sua
nefanda argumenta. Daran knüpft er seine eigene Mache an,
indem derselbe Leucius auch die Schrift vom transitus Mariae
verfälscht haben soll, so dass es eine Sünde sei, ın der Kirche
nicht nur sie zu lesen, sondern auch zu hören. Er schliesst
seinen Prolog mit einem kräftigen orthodoxen, antimanichäisch
gefärbten Bekenntnis ab: Nos ergo vobis petentibus, quae ab
62 Carl Schmidt.
apostolo loanne audivimus, haec simpliciter sceribentes, vestrae
fraternitati direximus, credentes non aliena dogmata ab haereticis
pullulantia, sed patrem in filio, filium in patre, deitatis et in-
divisae substantiae trina manente persona, neque duas hominis
naturas conditas, bonam scilicet et malam, sed unam naturam
bonam, a deo bono conditam, quae dolo serpentis est vitiata per
culpam et Christi est reparata per gratiam.
Somit ist Leucius bereits zu einer mythischen Persönlichkeit
geworden, dem gleichsam die Verfälschung der ganzen apokryphen
Litteratur in die Schuhe geschoben wird. Den Tiefpunkt in der
ganzen Leuciusüberlieferung erreicht aber erst der apokryphe
Briefwechsel des Hieronymus mit den Bischöfen Chromatius
und Heliodorus. Derselbe besteht aus dem Briefe der beiden
Bischöfe an Hieronymus, in welchem diese über ein apokryphes
Buch unter dem Titel de ortu Mariae et nativitate atque infantia
Salvatorıs berichten, das viele Anstösse enthalte, so dass sie es
gänzlich verwerfen wollten. Da wäre ihnen durch zwei gottes-
fürchtige Männer, Armenius und Virinus mit Namen, die Kunde
gekommen, dass der Adressat einen hebräischen Matthäus ge-
funden, dem die in Rede stehende Schrift beigegeben sei. Des-
halb bäten sie um eine Übersetzung des Originals ins Lateinische.
In der Antwort bestätigt Hieronymus die Existenz jenes hebräi-
schen Originals!, das als sekretes Werk von Matthäus eigen-
händig geschrieben und von den viri religiosissimi auf dem Wege
der Tradition vererbt wäre, ohne dass sie jemandem eine Über-
setzung übertragen hätten. Doch hätte ein Schüler des Manes?
mit Namen Seleucus (= Leucius), der ebenfalls apostolorum gesta
falso sermone verfasst habe, dieses Buch herausgegeben, aber
nicht zum Zwecke der aedıficatio, sondern der destructio der Gläu-
bigen; deshalb wäre es von der Synode® verworfen. Auf diese
1) Der Fälscher hat nicht übel den eitlen, mit seiner Kenntnis des
Hebräischen prunkenden Hieronymus apostrophiert, der sich ja wiederholt
rühmte, das hebräische Matthäusevangelium ins Griechische und Lateinische
übersetzt zu haben.
2) Hier wird Leucius zum ersten Male direkt als Schüler des Mahes
bezeichnet.
3) Unter dar Synode ist das sogen. Decretum Gelasii zu verstehen, wo
das Buch an 16. Stelle als liber de nativitate Salvatoris et de Maria et
obstetrice salvatoris verworfen wird.
Petrusakten. 63
Weise wäre eine Übertragung und Neuherausgabe dringend not-
wendig geworden, ohne dass deswegen das Buch selbst zu den
kanoniscben Büchern hinzugezählt werden könne.
Freilich scheint diese Redaktion des Pseudo-Hieronymus
keine besondere Aufnahme in der Kirche gefunden zu haben,
denn ein Späterer hat die Schrift von neuem bearbeitet, indem
er den zweiten Teil de infantia Salvatorıs ganz strich und nur de
nativitate Mariae herausgab. Zu diesen Zwecke fabrizierte er aus
dem Prolog des Pseudo-Melito zum Traktat de transitu Mariae
ınd aus dem pseudo-hieronymianischen Briefwechsel eine neue
Vorrede, die ım ersten Teil also lautet: Petitis a me ut vobis
rescribam quid mihi de quodam libello videatur, qui de nativi-
tate 5. Mariae a nonnullis habetur. Et ideo scire vos volo, multa
in eo falsa inveniri. Quidam namque Seleucus, qui passiones
apostolorum conscripsit, hunc libellum composuit, sed sicut de
virtutibus eorum et miraculis per eos factis vera dixit, de doc-
trina vero eorum plura mentitus est, ita et hic multa non vera
le corde suo confinxit. — Das Ganze ist eine elende Kompilation
und ohne jeden Wert.
Zum Schluss will ich noch darauf hinweisen, dass in den
lateinischen Texten des zweiten Teiles der Acta Pilati, d.h. in
der Schrift vom „Descensus Christi ad inferos“ Karinus und Leucius
als Verfasser der Schrift genannt werden (cap. 17 u.27, Tischendorf,
evang. apocr.2p.417u.431). Dabei werden wir lebhaft an den “εύχεος
Χαρῖνος des Photius erinnert, und es kann m. Εἰ. kaum einem Zweifel
unterliegen, dass beide Verfasser die gleichen Namen aus einer
(Juelle geschöpft haben, nur mit dem Unterschied, dass der Ver-
fasser des Descensus den Namen für seine Zwecke in zwei ver-
schiedene zerlegt hat, um die in der griechischen Textüberliefe-
rıng anonym überlieferten Simonssöhne zu benennen.
Damit habe ich das Zeugenverhör der abendländischen Über-,
lieferung beendet und gehe zu demjenigen der griechischen Kir-
chenschriftsteller über.
Die älteste Erwähnung der Apostelakten überhaupt findet
sich, wie oben bemerkt, bei Eusebjug _h: 6. 11], 25,6', der die
Andreas- und Johannesakten neben τῶν ἄλλων ἀποστόλων
1) Niceph. Callısti h. e. II, 46 kann als selbständige Quelle nicht
dienen, da er nur Eusebius ausschreibt.
ΝΕ
64 Carl Schmidt.
πράξεις anführt und zwar als solche, welche von den Häretikern
vorgebracht. würden. Die πράξεις Πέτρου nennt erh. e. 11I, 3, 2
und die πράξεις Παύλου h. ε. 111, 3,5 und 11], 25, 4; die Akten
des Thomas sind wohl aus Zufall unerwähnt geblieben, da sie
sicherlich zu Eusebius’ Zeit existiert haben. Das Urteil des
Eusebius über diese Akten wird uns weiter unten näher be-
schäftigen. Das manichäische Corpus kann er noch nicht ge-
‘kannt haben.
Um 360 bemerkt Ephraim Syrus in seinem Kommentar zum
apokryphen Briefwechse Zwischen Paulus und den Korinthern,
dass die Anhänger des Bardesanes die Apokryphen geschrieben
hätten, „damit sie mittelst der Kraftthaten und Zeichen der Apo-
stel, welche sie beschrieben, ihre eigene Gottlosigkeit, gegen
welche die Apostel gekämpft hatten, auf den Namen der Apostel
schreiben könnten“. Das ist ein offenbarer Irrtum, genau so wie
Ephraim in dem Briefwechsel die Bardesaniten bekämpft sein
lässt. Uns interessiert an der Notiz die Thatsache, dass um die
Mitte des 4. Jahrh. die Apostelakten bei den Bardesaniten verbreitet
waren, aber von Ephraim als häretische Produkte angesehen wurden.
Epiphanius fand die Litteratur in den Händen verschiedener
gnostischer Sekten, bei den Ebioniten h. 30, 16', bei den Enkra-
titen ἢ. 47, 12, bei den Apostolikern ἢ. 61, 1? und bei den Ori-
genianern ἢ. 63, 2?; nach Theodoret, haer. fab. comp. IH, 45 be-
nutzten auch die Quartadecimaner apokryphe Apostelgeschichten,
aber nirgends wird Leucius mit den Akten in Verbindung ge-
bracht, ja wir können diesen Thatbestand auf die ganze griech.
Überlieferung bis zur Zeit des Photius ausdehnen. In dem
1) πράξεις δὲ ἄλλας καλοῖσιν ἀποστόλων εἶναι, ἐν αἷς πολλὰ τὴς
ἀσεβείας «ἰτῶν ἔμπλεα ἔνϑεν οὐ παρέργως χατὰ τῆς ἀληϑείας ἑαιτοὺς
ὥπλισαν.
2) χέχρηνται δὲ γραφαῖς nowrorinwg ταῖς λεγομέναις ᾿Ανδρέου καὶ
Ἰωάννου πράξεσι καὶ Θωμᾶ.
3) οὕτοι δὲ ταῖς λεγομέναις πράξεσιν Ἀνδρέου τε καὶ Θωμᾶ τὸ πλεῖ-
στον ἐπερείδονται, παντάπασιν ἀλλότριοι τοῦ κανόνος τοῦ ἐχχλησιαστιχοῦ
ὑπάρχοντες.
4) χέχρηνται δὲ, ὡς ἔφην, διαφόροις γραφαῖς παλαιᾶς καὶ νέας δια-
ϑήχης καὶ ἀποχρύφοις τισὶ, μάλιστα ταῖς λεγομέναις πράξεσιν ἀνδρέου zal
τῶν ἄλλων.
δ) χέχρηνται δὲ καὶ ταῖς πεπλανημέναις τῶν ἀποστόλων πράξεσι καὶ
τοῖς ἄλλοις νόϑοις, μᾶλλον δὲ ἀλλοτρίοις τῆς χάριτος, ἃ καλοῦσιν ἀπόχρυφα.
Petrusakten. 65
Kampfe zwischen der Grosskirche und den Manichäern hat, wie
schon oben gesagt, der Name niemals eine Rolle gespielt, da
die Bekämpfer des Manichäismus weder von ihm noch von den
Apostelakten Notiz nehmen. Trotzdem haben die Manichäer des
Ostens das Corpus benutzt, wie deutlich eine Notiz des Photius
bibL cod. 179 über Agapius zeigt: xal ταῖς λεγομέναις δὲ πρά-
ξεσι τῶν δώδεκα ἀποστόλων, καὶ μάλιστα ᾿Ανδρέου πεποιϑὼς
ὀείχνυται, κἀκεῖϑεν ἔχων τὸ φρόνημα ἠρμένον ".
Leider ist uns nur ein kleines Fragment erhalten von dem
Werke des Amphilochius, Bischofs von Ikonium seit 374, das
περὶ τῶν ψευδεπιγράφων τῶν παρὰ αἱρετικοῖς betitelt war
und noch der zweiten Synode von Nicäa- vom J. 737 vorlag. Der
Anfang des Werkes lautete: Δίχαιον δὲ ἡγησάμεϑα πᾶσαν αὐτῶν
γυμνῶσαι τὴν ἀσέϑειαν καὶ δημοσιεῦσαι αὐτῶν τὴν πλάνην,
ἐπειδὴ καὶ βιβλία τινὰ προβάλλονται ἐπιγραφὰς ἔχοντα τῶν
ἀποστόλων, di ὧν ἁπλουστέρους ἐξαπατῶσι, und weiter: δείξομεν
γὰρ τὰ βιβλία ταῦτα, ἃ προφέρουσιν ἡμῖν οἱ ἀποστάται τῆς
ἐχκλησίας, οὐχὶ τῶν ἀποστόλων πράξεις, ἀλλὰ δαιμόνων
συγγράμματα. Besonders wird noch eine Stelle aus den Johannes-
akten, dass Johannes bei der Kreuzigung nicht zugegen gewesen
wäre (vgl. p. 199, 10 ed. Bonnet), als der Überlieferung des
Johannesevangeliums (19, 26 ἢ) widersprechend nachgewiesen.
Hätte nun Amphilochius den Leucius als den bösen Dämon be-
zeichnet, so würde dies doch wohl auf der Synode zum Ausdruck
gekommen sein, zumal da die Johannesakten von den Bilder-
feinden als apostolische Autorität citiert worden waren; deshalb
sollten sie als μιαρὸν βιβλίον nach dem Beschluss der Synode
nicht mehr abgeschrieben, sondern mit Feuer verbrannt werden.
Charakteristisch für die abweichende Haltung des Morgen-
landes ist die Vorrede des Johannes, Erzbischofs von Thessalo-
nich (seit 680), zu seiner Bearbeitung der τελείωσις Maglag?,
1) Vgl. über die Auffassung dieser Stelle 8. 30, Anm. Der Presbyter
Timotheus von Konstantinopel (bei Fabricius I, 138) führt in seiner Liste
manichäischer Schriften ebenfalls die Andreasakten auf.
2) ed. Bonnet in d. Z. f. wissensch. Theol. 1880, 8. 239 ff.: ἀλλ᾽ ἐπειδὴ
φιλαλήϑως μὲν ol τηνικαῦτα παρόντες, ὡς εἴρηται, τὰ περὶ τῆς τελειώσεως
αὐτῆς ἀπεγράψαντο, τινὲς δὲ τῶν εἰς ὕστερον καχούργων αἱρετικῶν τὰ
ἑαιτῶν ἐμβαλόντες ζιζάνια ἐστρέβλωσαν τὰ σιγγραφέντα, τούτον χάρι» οἱ
πατέρες ἡμῶν ὡς ἀναρμοδίων τῷ χαϑολιχῷ ἐχχλησίᾳ τούτων ἀπέσχοντο,
χἀντεῦϑεν λήϑη παρ᾽ αὐτοῖς χαὶ τὴν ἑορτὴν ὑπεδέξατο. χαὶ μὴ ϑαυμάσητε
Texte u. Untersuchungen. N. FE. IX, 1. 5
66 Carl Schmidt.
der sein Unternehmen damit motiviert, die Häretiker hätten die
alte orthodoxe Schrift verfälscht und dadurch aus der katholischen
Kirche verbannt. Bei der Bearbeitung will er nun dasselbe Ver-
fahren beobachten, wie seine nächsten Vorgänger bei den περίοδοι
des Petrus, Paulus, Andreas und Johannes und vorher die hei-
ligen Väter bei den Märtyrerakten. Die Beurteilung der Akten
selbst als häretische Produkte ist die gleiche, aber dass Leucius
der Verfälscher oder gar der Verfasser dieser sowohl wie der
Schrift über die Maria gewesen sei, davon weiss Johannes von
Thessalonich nichts. Diese Konfusion hat man erst im Abend-
lande angerichtet.
Auch in dem dem Patriarchen Nicephorus von Konstantinopel
zugeschriebenen stichometrischen Verzeichnis werden als Apokry-
phen des neuen Testaments die 4 Akten: περίοδος Παύλου, περ.
Πέτρου, περ. Ἰωάννου, περ. Θωμᾶ angeführt; merkwürdiger-
weise sind die Andreasakten übergangen. In der sogenannten
Synopsis des Athanasius stehen an der Spitze der ἀντελεγόμενα
des N. T.’s περίοδοι Πέτρου, περ. Ἰωάννου, περ. Θωμᾶ.
περὶ τοῦ διαφϑείρειν τὰς γραφὰς ἀχούοντες τοὺς αἱρετιχούς, ὕπου γε χαὶ
περὶ τὰς τοῦ ϑεοφόρου ἀποστόλου ἐπιστολὰς καὶ περὶ αὐτὰ τὰ ἅγια
εὐαγγέλια τὰ παραπλήσια χατὰ χαιροὺς δράσαντες ἐφωράϑησαν. ἀλλ᾽
od διὰ τὴν ἐχείνων ϑεομίσητον δολιότητα τὰ τῆς ἀληϑείας πράγματα διωσό-
μεϑα, ἀλλὰ τὴν φαύίλην παρασπορὰν ἐχχαϑάραντες τὰ ὡς ἀληϑῶς εἰς
δόξαν ϑεοῦ περὶ τοὺς ἁγίους αὐτοῦ γεγενημένα xal περιπτιξόμεϑα καὶ
διὰ μνήμης ἄξομεν ψυχωφελῶς τε xal ϑεαρέστως. οὕτω γὰρ εὑρήχαμεν
χρησαμένους χαὶ τοὺς ἔναγχος ἡμᾶς προηγησαμένους xal τοὺς πολλῷ πρὸ
αὐτῶν ἁγίους πατέρας, τοὺς μὲν περὶ τὰς χαλουμένας ἰδικὰς περιόδους
τῶν ἁγίων ἀποστόλων Πέτρου χαὶ Παύλου καὶ ᾿Ανδρέου καὶ Ἰωάντου,
τοὺς δὲ περὶ τὰ πλεῖστα τῶν χριστοφόρων μαρτύρων συγγράμματα. δεῖ
γὰρ ὡς ἀληϑῶς ἐχχαϑαίρειν κατὰ τὸ γεγραμμένον τοὺς λίϑους ἐκ τῆς
ὁδοῦ, ἵνα μὴ τὸ ϑεῖον ἢ τὸ ποίμνιον προσχόπτῃ. καὶ ἡμεῖς οὖν, ἐπειδὴ
καὶ εἰς τὴν φιλόχριστον ταύτην μητρόπολιν, ἵνα μηδὲν αὐτῷ λείπῃ τῶν
καλῶν, ἀνάγχη πᾶσα δοξάζεσϑαι εἰλικρινῶς τὴν εὐεργέτιν τοῦ χόσμου χαὶ
δέσποιναν, τὴν ἀειπάρϑενον χαὶ ϑεοτόχον Μαρίαν, τελούντων ἡμῶν μετ᾽
εὐφροσύνης οὐρανίου χαὶ πνευματιχῆς τὴν μνήμην τῆς ϑεοτερποῦς αὐτῆς
ἀναπαΐσεως, εἰκότως σπουδὴν οὗ μετρίαν ἐποιησάμεϑα πρὸς διέγερσιν ψυχῶν
καὶ οἰχοδομὴν παραϑεῖναι ταῖς φιλοϑέοις ὑμῶν ἀχοαῖς οὐχ ἅπερ ηὕρομεν
ἅπαντα ἐν διαφόροις βιβλίοις περὶ αὐτῆς διαφόρως ἐγγεγραμμένα, ἀλλὰ
μόνα τὰ ὡς ἀληϑῶς πραχϑέντα καὶ γεγενῆσϑαι μνημονευόμενα καὶ τοῖς
τόποις μέχρι νῦν μαρτυρούμενα μετὰ φόβου ϑεοῦ φιλαλήϑως συλλέξαντες,
τῆς ταυτολογίας οὐδένα ϑέμενοι λόγον ὡς ἐκ χαχοφροσίνης τῶν ταῖτα
νοϑευσάντων παρεμβεβλημένης.
Petrusakten. 67
Die Erwähnung von τῶν ἀποστόλων περίοδοι bei dem.
Mönch Epiphanius (ed. Dressel 1843, p. 13) ist ohne Bedeutung.
Es bleibt nur noch das Zeugnis des Photius übrig. Aber
zuvor will ich das Ergebnis der bisherigen Untersuchung zusam-
menfassen. Es lautet in kurzen Worten also: Seit dem 4. Jahrh.
existierte in der griechischen wie in der lateinischen Litteratur
eine Sammlung von Apostelakten, die unter dem allgemeinen
Titel πράξεις τῶν ἀποστόλων 'vier resp. fünf Akten umfasste,
nämlich die Akten des Petrus, Andreas, Johannes, Thomas und
Paulus. In dem heftigen litterarischen Kampfe zwischen der
Grosskirche und den Manichäern resp. Priscillianisten im Abend-
lande spielte die Sammlung eine grosse Rolle, da die Gegner
sie als kanonische Schrift neben oder an die Stelle der Apostel-
geschichte setzen wollten. Dabei taucht auch der Name des
Leucius auf, aber nicht als Verfasser der ganzen Sammlung,
sondern nach den Zeugnissen bei Innocenz und Turibius als
Verfasser einer einzelnen Schrift, nämlich der Johannesakten.
Im weiteren Verlaufe wird Leucius zum Manichäer gestempelt,
und ganz parallel damit geht die durch die handschriftliche Über-
heferung absolut nicht gestützte Etikettierung der ganzen Samm-
lung mit dem Namen des Leucius, bis schliesslich eine spätere
Generation, die keine selbständige Kenntnis der alten Akten mehr
besass, sondern nur noch orthodoxe Bearbeitungen der angeblich
häretischen Produkte vor sich hatte, in diesem Manne auch den
Verfälscher resp. Verfasser anderer apokrypher Schriften witterte.
In der griechischen Überlieferung lassen sich die gleichen Phasen
der Entwicklung nicht nachweisen, denn nach den bisher behan-
delten Zeugnissen ist die Sammlung anonym überliefert, einen
Leucius als Manichäer und Verfasser von Apostelakten kennt
man überhaupt nicht, wenn auch der häretische Charakter der
Akten stark betont wird.
Diese Beobachtung bildet nun von vornherein kein günstiges
Präjudiz für jene Ansicht, Photius habe in seinem Corpus der
Apostelakten als Titel πράξεις τῶν ἀποστόλων κατὰ Asvxıov
Χαρῖνον oder etwas Ähnliches gelesen. Angenommen auch, dies
wäre wirklich der Fall gewesen, so würde Photius nur den Ab-
schluss einer gleichen Entwicklungsreihe bilden, wie wir sie im
Abendlande gefunden haben; aber uns fehlen hier die Mittel-
glieder, man müsste denn geradezu eine Abhängigkeit des Pho-
δ᾽
68 | Carl Schmidt.
tius resp. des Abschreibers jener Sammlung von der späteren
abendländischen Tradition statuieren. Aber m. E. ist die Lösung
des Problems bei Photius selber zu suchen. Deshalb ist es not-
wendig, seinen Bericht einer sorgsamen Prüfung zu unterwerfen.
Genau so wie einst Eusebius ἢ. 6. Ill, 25, 71 geht Photius
von dem Sprachcharakter der Schriften aus, der sich als abwei-
chend von dem der Evangelisten und Apostel erweise: ἡ δὲ φράσις
εἰς τὸ παντελὲς ἀνώμαλός τε καὶ RapmAlayuevn‘ καὶ συντάξεσι
γὰρ καὶ λέξεσι κέχρηται ἐνίοτε μὲν οὐχ ἡμελημέναις, κατὰ δὲ
τὸ πλεῖστον ἀγοραίοις καὶ πεπατημέναις, καὶ οὐδὲν τῆς ὁμαλῆς
xal αὐτοσχεδίου φράσεως καὶ τῆς ἐχεῖϑεν ἐμφύτου χάριτος,
. χκαϑ' ἣν ὁ εὐαγγελικὸς καὶ ἀποστολικὸς διαμεμόρφωται λόγος,
οὐδ᾽ ἴχνος ἐμφαίνων. Der zweite Punkt betrifft den Gedanken-
inhalt, die Lehre. Während Eusebius ohne jede nähere Begrün-
dung sein Urteil dahin zusammenfasst: ἢ τὸ γνώμη καὶ ἡ τῶν
ἐν αὐτοῖς φερομένων προαίρεσις, πλεῖστον ὅσον τῆς ἀληϑοῦς
ὀρϑοδοξίας ἀπάδουσα, ὅτι δὴ αἱρετικῶν ἀνδρῶν ἀναπλάσματα
τυγχάνει σαφῶς παρίστησιν, sucht Photius an der Hand der von
ihm vorgenommenen Lektüre die einzelnen Ketzereien nachzu-
weisen. Er beginnt mit den Worten: γέμει δὲ καὶ μωρίας ποᾶλ-
λῆς καὶ τῆς πρὸς ἑαυτὸν μάχης καὶ ἐναντιώσεως. φησὶ γὰρ
ἄλλον εἶναι τὸν τῶν Ἰουδαίων ϑεὸν καὶ καχόν, οὗ καὶ Σίμωνα
τὸν μάγον ὑπηρέτην καϑεστάναι, ἄλλον δὲ τὸν Χριστόν, ὃν
φησι ἀγαϑόν. Die Lehre vom bösen Judengott, als dessen Diener
Simon Magus hingestellt sein soll, im Gegensatz zu Christus,
dem guten Gotte, klingt rein gnostisch, bez. manichäisch; dass
aber diese Lehre in den Petrusakten, — denn nur auf diese kann
jene Bemerkung wegen Simon Magus abzielen, — zu lesen war,
muss ich direkt bestreiten, mag man auch noch so fest an katho-
lische Bearbeitungen ursprünglich gnostischer πράξεις Πέτρου
glauben. Denn dort erscheint Simon Magus als Werkzeug des
Satans oder des Teufels (Lipsius, Act. apost. apoer. I, 49, 27; 55, 24ff.),
dessen Vater der Teufel (p. 62,4; 77,4), obwohl er selbst sich als
die magna virtus dei (= ἡ μεγάλη δύναμις τοῦ ϑεοῦ) in Rom
proklamiert hat (p. 48,22; 57,29; 84,1). Demgegenüber lässt der
Verfasser den Christus zu Petrus in der Vision sagen: Petre,
—
1) πόρρω δέ πον καὶ ὁ τῆς φράσεως παρὰ τὸ ἦϑος τὸ ἀποστολιχὸν
ἐναλλάττει χαραχτήρ.
Petrusakten. 69
quem tu eiecisti de Iudea adprobatum magum Simonem, iterum
praeoccupavit vos Romae. et in brevi scias: omnes enim qui in
me crediderunt dissolvit astutia sua et inergia sua satanas, cuius
virtutem se adprobat esse (p.49,24f.). Das ist natürlich im
Gegensatz zu der anmassenden Behauptung des Simon Magus, nicht
im dualistischen Sinne gesagt. Der Satan ist so weit entfernt, als
der böse Judengott verstanden zu werden, dass er geradezu als
der böse Feind des Gottes im A. wie τῷ N.T. bezeichnet wird,
wenn Petrus p. 55, 23 fl. folgendermassen ihn anklagt: „O artes
variae et temptationes diaboli! o machinationes et adinventiones
malorum! qui sibi in die iracundiae ignem maximum nutrit, ex-
terminium hominum simplicum, lupus rapax, vorator et dissipator
vitae aeternae! tu priorem hominem concupiscentia inretisti et
pristina nequitia tua et corporali vinculo obligasti; tu es fruc-
tus arboris amaritudinis tatus amarissimus, qui varias concupis-
centias inmittis. tu Iudam condiscipulum et coapostolum meum
co&gisti inpie agere, ut traderet dominum nostrum lesum Chri-
stum, qui de te poenas exigat necesse est. tu Herodis cor in-
durasti et Pharaonem inflammasti et coegisti pugnare contra
sanctum servum dei Moysen. tu Caifae audaciam praestitisti,
inique multitudini ut dominum nostrum Iesum Christum traderet,
et usque adhuc sagittis tuis veneficis animas innocentes sagittas.
improbe inimice omnium, catathema ab eius ecclesia fili dei
sancti omnipotentis et tamquam titio de foco eiectus extingueris
a servis domini nostri lesu Christi. in te nigritudo tua et in natos
tuos, semen pessimum, in te convertantur nequitiae tuae et in
te minae tuae et in te temptationes tuae et in angelis tuis, prin-
cipium malitiae, tenebrarum abyssus! quas habes tenebrae tuae
tecum sint et cum vasis tuis quae possides. discede itaque ab
his qui credituri sunt deo, discede a servis Christi et illi volen-
tibus militare. habeto tu tibi tuas tunicas tenebrarum; sine causa
pulsas aliena ostia, quae non sunt tus sed Christi lesu qui ea
custodit. tu enim, lupe rapax, volens abripere pecora quae tua
non sunt, sed sunt Christi Iesu qui custodit ea diligenter summa
cum diligentia.“ Wie kann man sich gemeinchristlicher aus-
drücken, als es hier geschehen ist! Photius muss in der That '
diese und ähnliche Stellen mit grosser Oberflächlichkeit gelesen
haben, um eine böse Ketzerei darin zu entdecken und Christus, den
Gegner und Überwinder des Satans, zum „guten Gott“ im häre-
70 Carl Schmidt,
tischen Sinne zu stempeln. Auch in den andern Akten wird man
keine Stelle ausfindig machen, die Photius’ Angabe bestätigen
könnte. Selbst Acta Joh. p. 197, 11 ed. Bonnet! bildet kein ernst-
liches Gegenargument, da James (T. a. Stud. V, 1, p. XVII) die
Worte bereits richtig interpretiert hat. Augustin wie Euodius
wollten ja gerade mit Hilfe der Akten des Leucius die Lehre
der Manichäer von der bösen Natur des Menschen widerlegen
(8.0. S.50). Dualistische Lehren finde ich nirgends, ohne leugnen
zu wollen, dass Manichäer und Andere manche Worte in ihrem
Sinne dualistisch interpretierten.
Mehr substantiiert ist die zweite Heterodoxie, die Photius
hervorhebt, d. h. die unterschiedslose Bezeichnung Christi als
πατήρ und υἱός: καὶ φύρων ἅπαντα καὶ συγχέων καλεῖ αὐτὸν
καὶ πατέρα καὶ υἱόν. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass
die Akten, besonders die Johannesakten, modalistischen Vor-
stellungen huldigen. Diese Eigentümlichkeit wird uns noch später
beschäftigen.
Als ein weiteres charakteristisches Merkmal der leucianischen
Apostelgeschichte führt Photius die doketische Christologie an:
λέγεε δὲ μηδ᾽ ἐνανϑρωπῆσαι ἀληϑῶς ἀλλὰ δόξαι, καὶ πολλὰ
πολλάχις φανῆναι τοῖς μαϑηταῖς, νέον καὶ πρεσβύτην πάλιν,
χαὶ πάλιν παῖδα, καὶ μείζονα καὶ ἐλάττονα καὶ μέγιστον ὥστε
τὴν κορυφὴν διήκειν ἔσϑ᾽ ὅτε μέχρις οὐρανοῦ. Damit können
.aber nur die Johannesakten gemeint sein, denn hier berichtet
Johannes (p. 194, 8 Ε΄. ed. Bonnet) über Christus, dass er seinem
Bruder Jacobus bei der Jüngerberufung als παεδίον erschienen
sei, ihm selbst als ἀνὴρ εὐμορφος καλὸς ἱλαροπρόσωπος, gleich
darauf ihm wiederum mit kahlem Kopfe, aber mit dickem, herab-
wallendem Barte, seinem Bruder dagegen als ἀρχιγένειος νεα-
vloxos, und er fügt gleich darauf als allgemeine Erscheinung
hinzu: πολλάχις δέ μοι καὶ μικρὸς ἄνϑρωπος ἐμφαίνεται δύσ-
μορφος καὶ τὸ πᾶν { εἰς οὐρανὸν ἀποβλέπων. Bei der
zweiten Verklärung auf dem Berge habe Christus überhaupt nicht
menschliche Gestalt gezeigt, sein Haupt hätte bis zum Himmel
gereicht?, so dass er, ‚Johannes, aus Furcht laut aufgeschrieen;
1) πρὶν δὲ συλληφθῆναι αὐτὸν ὑπὸ τῶν ἀνόμων xal ὑπὸ ἀνόμου
, ὄφεως νομοϑετουμένων Ἰουδαίων etc.
2) Auf diese Episode beziehen sich die Worte des Photius: ὥστε τὴν»
χορυφὴν διήχειν ἔσϑ᾽ ὕτε μέχρις οὐρανοῖ.
Petrusakten. 71
während aber Christus sich ihm zugewandt, wäre er wiederum
als μιχρὸς ἄνϑρωπος erschienen. Der auf Erden Wandelnde hat
überhaupt nur scheinbar eine menschliche Natur angenommen,
deshalb er bei der Berührung bald ὑλώδης und παχύς, bald
ἄυλος und ἀσώματος war (p. 195, 4; 196, 20) und beim Gehen
keine Spuren auf der Erde zurückliess (p. 197, 5). Nicht verwech-
8615 darf man damit die in andern Akten berichteten Erschei-
nungen des Erhöhten, wie z. B. Acta Petri ed. Lips. p. 51, 1
(invenis decore splendidus) oder p. 69, 10 ἢ, wo die von der Blind-
heit geheilten Witwen dem Petrus verichten, sie hätten einen
senior von unbeschreiblicher Gestalt gesehen, andere einen iuve-
nis adulescens und wieder andere einen puer!.
Mit dem Doketimus hängt eng zusammen die von Photius
an vierter Stelle gerügte Heterodoxie: πολλὰς δὲ χαὶ περὶ τοῦ
σταυροῦ κενολογίας καὶ ἀτοπίας ἀναπλάττει, καὶ τὸν Χριστὸν
un σταυρωϑῆναι, ἀλλ᾽ ἕτερον ἀντ᾽ αὐτοῦ, καὶ χαταγελᾶν διὰ
τοῦτο τῶν σταυρούντων. Photius brauchte nicht lange in den
Johannesakten weiter zu lesen, um auf jene χερνολογίαι über das
Kreuz zu stossen. Denn sowohl in dem Hymnus, den Christus
im Chore mit den Jüngern vor seiner Gefangennahme anstimmt
(p. 198, 15 ff.), als auch in der besonderen Offenbarung an Johannes
auf dem Ölberg während der Kreuzigung (p. 199, 14 ff.) bringt
Christus mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck, dass ein Gott
nicht leiden könne, sein Leiden nur ein scheinbares sei, freilich
nicht in den Augen des unwissenden Volkes, das bei der äusseren
Erscheinung stehen bleibt und danach urteilt, sondern in den
Augen der Pneumatiker, die Wesen und Erscheinung wohl zu
unterscheiden verstehen. Bei ἕτερος ἀντ᾽ αὐτοῦ ist also nicht
im Sinne des Basilides? an eine Substituierung einer fremden
Person bei der Kreuzigung zu denken. Dass ferner Christus die
ihn Kreuzigenden verlacht habe, ist im Text nicht deutlich ge-
1) Über die Stelle p. 68, 2f. 8. u.
2) Iren. adv. haer. I, 24, 4 quapropter neque passum eum, sed Simonem
quendam Cyrenaeum angariatum portasse crucem eius pro eo, et hunc secun-
dum ignorantiam et errorem crucifixum, transfiguratum ab eo, ut putaretur
ipse esse lesus, et ipsum autem Iesum Simonis accepisse formam et stantem
irrisisse eos, quoniam enim virtus incorporalis erat et Nus innati Patris,
transfiguratum, quemadmodum vellet, et sic ascendisse ad eum qui miserat
eum deridentem eos, cum teneri non posset et invisibilis esset omnibus.
N
x
7) Carl Schmidt.
sagt 1, dagegen berichtet Johannes von sich selbst, dass er, nach-
dem Christus ihm das Mysterium vom Kreuze offenbart hätte und
unsichtbar zum Himmel aufgestiegen wäre, vom Ölberg hinab-
gegangen sei und über die Menge gelacht habe.
Photius schliesst daran folgende Anklagen: γάμους τὲ vo-
uluovs ἀϑετεῖ καὶ πᾶσαν γένεσιν πονηρᾶν τε καὶ τοῦ πονηροῦ
λέγει. xal πλάστην τῶν δαιμόνων ἄλλον ἐχληρεῖ, νεχρῶν δὲ
ἀνθρώπων καὶ βοῶν καὶ κτηνῶν ἄλλων παραλογωτάτους
καὶ μειρακιώδεις τερατεύεται ἀναστάσεις. Die Predigt von der
ἐγχράτεια durchzieht alle Apostelakten in gleicher Weise, die
gleichsam als Lehrbücher der Enthaltsamkeit bezeichnet werden
können, ohne dass dieser Lehre eine schroff dualistische An-
schauung zu Grunde liegt. Nur der Verfasser der Johannesakten
streift bedenklich an derartige Theorien an, — wahrscheinlich hat
auch Photius wiederum diese in erster Linie im Auge —, wenn
er p. 200, 16 von der χατωτικὴ ῥίζα, ἀφ᾽ ἧς τῶν γινομένων
(πᾶσα) προῆλϑεν φύσις spricht und gleich darauf: οὗτος οὖν ὃ
σταυρὸς ὁ διαπηξάμενος τὰ πάντα λόγῳ καὶ διορίσας τὰ ἀπὸ
γενέσεως καὶ κατωτέρω oder p. 201, 1: ὁ ὀὲ περὶ τὸν σταυρὸν
μονοειδὴς ὄχλος ἡ κατωτικχὴ φύσις ὑπάρχει. Die Auferweckung
von Toten gehört zum ständigen Beruf der Apostel zwecks der
Gewinnung der Ungläubigen für den Christengott; für die
Johannesakten vgl. die Auferweckung des Lykomedes und der
Kleopatra, des Priesters vom Tempel der Artemis, der Drusiana,
des Kallimachus und Fortunatus. Auferweckungen von Tieren
finden sich in den erhaltenen Stücken nicht, wie überhaupt der-
artige Wunderthaten in den übrigen Akten nicht vorkommen.
1) Merkwürdigerweise berichtet Nicephorus in einer Streitschrift
(Mai, Nova P. bibl. V, 1, 72) von den Bilderstürmern: τῷ xaxodeiuorı τῶν
Aoxnrwv πλάνῃ μαινόμενοι συμπεριενεχϑέντες, ἐν φαντασίᾳ τὴν τοῦ χυρίου
σάρχωσίν τε χαὶ σταύρωσιν ὀνειρώσσοντες᾽ μηδὲ γὰρ εἶναι Χριστὸν τὸν σταυ-
ρούμενον ἐφαντάζοντο, ἀλλ᾽ αὐτὸν μὲν ἐπὶ τοῦ ὄρους χαϑέζεσϑαι,
διαγελᾶν δὲ Ἰουδαίους ὡς Σίμωνα σταυροῦντας δόξαι Χριστὸν
ἐσταυρῶσϑαι.
2) p. 202, 3ff. ed. Bonnet: Ταῦτα εἰρηκότος πρός με χαὶ ἕτερα ἃ οὐχ
οἶδα εἰπεῖν ὡς αὐτὸς ϑέλει, ἀνελήφϑη μηδενὸς αὐτὸν ϑεασαμένον τῶν ὄχλων.
χαὶ (κατλελθϑόντος μου κατεγέλων ἐκείνων ἁπάντων, {abrod) εἰρηκότος
πρός μὲ ἅπερ εἰρήχασιν περὶ αὐτοῦ" τοῦτο μόνον χρατύνων ἐν ἑαυτῷ, ὅτι
συμβολιχῶς πάντα ὁ χύριος ἐπραγματεύσατο χαὶ οἰχονομικῶς εἰς ἀνϑοώ-
πων ἐπιστροφὴν καὶ σωτηρίαν.
Petrusakten. 13
Man könnte nur aus den Petrusakten die Geschichte von dem
schwimmenden getrockneten Hering (Lipsius p. 60, 26 ff.) anführen
oder auf die Weigerung des Apostels Thomas verweisen, einen
toten Esel auf Wunsch der Menge wieder zu erwecken (ed. Bonnet
Ρ. 31, 4 ff).
Photius schliesst die Liste der Ketzereien mit den Worten .
ab: δοκεῖ δὲ κατ᾽ εἰχόνων τοῖς εἰχονομάχοις ἐν ταῖς Ἰωάννου
πράξεσι δογματίζειν, und spielt damit auf die bekannte Lyko-
medes-Geschichte an, die ja in den Kontroversen mit den Bilder-
stürmern eine besondere Instanz bildete. Bei dieser Gelegenheit
macht Photius direkt seine Quelle namhaft. Nun hatten wir bei
der Untersuchung der von ihm gerügten Heterodoxien schon be-
merkt, dass diese fast ausschliesslich den Johannesakten ent-
nommen sind, höchstens noch den Petrusakten; die Lektüre jener
liess sich gerade an speziellen Punkten genau verfolgen. Des-
halb glaube ich die Behauptung aufstellen zu können, obne da-
mit der Glaubwürdigkeit des Photius nahezutreten, dass er nicht
das ganze Corpus durchgelesen, sondern sich mit der Lektüre
der Petrus- und Johannesakten begnügt hat, die er an der Spitze
der Sammlung vorfand; er hatte an den beiden Stücken offen-
sichtlich genug. Bildete für ihn das Ganze eine Einheit, so musste
er unwillkürlich den Einzelbefund auf die Gesamtheit übertragen
und sein Urteil als ein allgemeines formulieren. Im Eingange
der Johannesakten stiess er nun auf den Namen Leucius Chari-
nus, der sich als Augenzeuge und Verfasser der πράξεις ausgab.
Da hatte er eine fassbare Grösse vor sich, der ohne Schwierig- .
keit die Autorschaft der ganzen Sammlung zugeschrieben werden
konnte. Dass die Paulusakten in der alten Kirche eine hohe
Autorität besassen, dass ihr Verfasser nicht der Häretiker Leu-
eius, sondern ein Presbyter der Kirche Kleinasiens gewesen sei,
konnte Photius am Ende des 9. Jahrhunderts nicht mehr wissen;
dies wussten ja die altchristlichen Litterarhistoriker bis zur
Entdeckung der koptischen Fragmente ebenfalls nicht.
Aber woher weiss man denn, dass nur in den Johannesakten
Leneius resp. Leucius Charinus als Verfasser genannt war? Wie steht
es mit der direkten Überlieferung? Bestätigen die Akten selbst die
bei dem Verhör der indirekten Zeugnisse gewonnenen Resultate?
Da die Paulusakten in Rücksicht auf die vorhergenannten Gründe
aus der Diskussion ausscheiden, so bleiben nur die Texte der
174 Carl Schmidt.
Petrus-, Johannes-, Andreas- und Thomasakten übrig. Was be-
sitzen wir nun an Überresten dieser alten Litteratur? Mit Aus-
nahme der Thomasakten, die uns vollständig überliefert sind
(vgl. die Ausgabe von Bonnet, Acta Thomae, Leipz. 1883), sind
nur einzelne grössere oder kleinere Stücke auf uns gekommen.
Zum Bestande der alten Petrusakten rechne ich, abgesehen von der
koptisch erhaltenen „Praxis“, den von Lipsius, Acta apostol. apocr.
I, p. 45—103, publizierten Text. Die Fragmente der Johannes-
akten finden sich bei Bonnet, Act. apost. apoer. Il, p. 160—215, zu-
sammengestell. Am schlechtesten ist es um den Text der An-
dreasakten bestellt, wie man aus dem Euodiusfragment (s. o.
S.53) ersehen kann. Sicher altes Gut bietet das von Bonnet, Act.
apost. apocr. 11,38 Εἰ, abgedruckte Stück, während das Martyrium
des Andreas stark überarbeitet ist.
Zunächst aber muss ich noch zu der beliebten Unterschei-
dung zwischen ursprünglich gnostischen und später katholisch
überarbeiteten Akten Stellung nehmen. Lipsius hat nämlich m.E.
durch diesen Kanon seine bahnbrechenden Untersuchungen über
die apokrypben Apostelgeschichten sehr beeinträchtigt. Denn
abgesehen von der Frage, die uns später beschäftigen wird, ob
es überhaupt gnostische Apostelakten jemals gegeben habe, war
es ein grosser Fehler, Philastrius als den ältesten Zeugen dafür
anzurufen, dass zu dessen Zeiten bereits verschiedene Redaktionen,
katholische und häretische, umliefen (Apocr. Apostelgesch. I, 52 f.).
Mit Recht verwirft Zahn (Act. Joh. p.XCI u. G.K. Il, 843, Anm.)
die Lipsius’sche Interpretation der Worte des Philastrius: Scrip-
turae autem absconditae, id est apocryfa, etsi legi debent morum
causa ἃ perfectis, non ab omnibus debent, quia non intelli-
gentes multa addiderunt et tulerunt quae voluerunt heretici.
Nam Manichaei apocryfa beati Andreae apostoli, id est Actus quos
fecit veniens de Ponto in Graeciam”* quos conscripserunt tunc dis-
cipuli sequentes beatum apostolum, unde et habent Manichei etc.
— als rechtfertige Philastrius die Vorsicht, welche er gegenüber
der Verbreitung jener Schriften bei der Menge der einfachen
Gläubigen angezeigt finde, damit, dass die Häretiker sie vielfach
durch Zutbaten und Auslassungen verfälscht hätten, dass also
leicht dergleichen gefälschte Exemplare in die Hände der Un-
kundigen gelangen und ihren Glauben schädigen könnten. Diese
Interpretation gewinnt Lipsius durch eine falsche Interpunktion
Petrusakten. 75
hinter non intelligentes und die Einsetzung von falsaverunt vor
unde et habent. Augustin und später Turibius von Astorga haben
von irgendwelchen katholischen Recensionen neben den von den
Manichäern und Priscillianisten gebrauchten Akten absolut keine
Kenntnis. Später freilich wurden sogenannte katholische Be-
arbeitungen fabriziert, aber diese hatten nur die virtutes oder
passiones der einzelnen Apostel zum Gegenstande, um am Ge-
dächtnistage derselben in der Kirche vorgelesen zu werden. Auch
ın diesen Redaktionen schimmern die alten Texte noch durch,
.da die Vorlagen meistenteils nicht so stark verändert sind, wie
die Bearbeiter uns glauben machen wollen; vor allem war der
Begriff des Häretischen ein ganz verschwommener. Deshalb hege
ich einen viel grösseren Optimismus in Rücksicht auf die getreue
Überlieferung der alten Texte, soweit sie bis jetzt ans Tageslicht
gekommen sind. Die vorhandene Skepsis halte ich für wenig
berechtigt. Diesen Schriften ist es nicht besser und nicht schlechter
ergangen als andern viel gelesenen Schriften der Volkslitteratur.
Wie mannigfaltig sind z.B. die bandschriftlichen Überlieferungen
bei den Martyrien! Deshalb aber von katholischen Bearbeitungen
gnostischer resp. häretisch interpolierter Märtyrerakten zu spre-
chen, wäre ganz verkehrt, wenn auch Johannes von Thessalonich
Zeugnis dafür ablegt. Die Abschreiber kannten durchaus keine
Pietät gegen den Buchstaben ihrer Vorlage; sie wurden gleich-
sam Bearbeiter, indem sie ohne Skrupel einzelne Ausdrücke und
ganze Sätze nach ihrem Geschmack und Gutdünken alterierten.
Und in gleichem Grade fühlten sich die Übersetzer griechischer
Schriften von einer wörtlichen Wiedergabe befreit. Was Wunder,
wenn im Laufe der Jahrhunderte beträchtliche Abweichungen
eintraten! Nicht also bewusste Purifizierung angeblich häretischer
Stücke hat die Textüberlieferung der Akten verwildert, sondern
pure Willkür und persönlicher Geschmack der Abschreiber so-
wohl wie der Übersetzer. Trotz alledem können wir über die
Überlieferung der oben genannten Stücke nicht klagen und die
Texte unseren Untersuchungen zu Grunde legen, ohne in ernste
Gefahr zu geraten, mit wenig gesichertem Material zu operieren.
Betrachten wir nun ganz äusserlich die litterarische Ein-
kleidung, so liegt der pseudonyme Charakter der Petrus-, An-
dreas- und Thomasakten offen zu Tage. Sie wollen als histori-
sche Urkunden über das Leben der betreffenden Apostel gelten,
—
76 Carl Schmidt.
ganz im Stile der Evangelien und der kanonischen Apostel-
geschichte; der Berichterstatter selbst tritt hinter der Erzählung
zurück . Ganz anders dagegen die Johannesakten! Gleich zu
Anfang des uns erhaltenen Stückes giebt sich der Verfasser als
Begleiter des Apostels durch ein πάντων ἡμῶν ἀκουόντων (ed.
Bonnet p. 161,4) zu erkennen, und dieses „Wir“, das p. 180, 25
durch ein „Ich“ abgelöst wird, drängt sich durch die Gesamt-
akten hindurch nachdrücklichst auf. Hier will Selbsterlebtes von
Anfang bis zu Ende erzählt sein. Um so weniger hatte der Er-
zähler Ursache, mit seinem Namen hinter dem Berge zu halten.
Schon aus dieser Sachlage hätte eine umsichtige Kritik die These
von Zahn, dass der Verfasser der Johannesakten im Verlaufe
seiner Erzählung sich selbst als einen anwesenden Schüler des
Johannes eingeführt und an der einen oder anderen Stelle sich
mit Namen genannt habe, niemals in Zweifel ziehen dürfen.
Sollte einmal der Anfang der Akten aufgefunden werden, so
würde man den Namen des Verfassers, — und dieser kann nach
allen Nachrichten nur Leucius oder besser Leucius Charinus ge-
lautet haben, — im Eingange lesen. Dafür kann man m.E. aus
Analogieschlüssen den vollgültigen Beweis liefern. Es muss doch
jedem Kenner der apokryphen Apostelakten auffallen, dass keine
der drei andern Akten eine direkte Nachbildung im katholischen
Gewande erhalten hat. Diese Ehre ist nur den Johannesakten
zuteil geworden. Merkwürdigerweise redet auch hier ein „Wir“
zu uns, dessen Namen wir kennen, nämlich Prochorus, einer der
70 Jünger und jetzt durch das Los zum Begleiter des Johannes be-
stimmter Schüler. Zu diesem dreisten Unterfangen sah sich der
Fälscher dadurch veranlasst, dass es galt, einer bekannten Auto-
rität der alten Akten einen in katholischen Kreisen gut klingen-
den Namen gegenüberzustellen. So wurde denn der alte Leucius
durch den im N.T. beglaubigten Prochorus ersetzt. Auch das ist
ein Zeichen der späteren Zeit gegenüber dem alten Romanschreiber,
der mit souveräner Freiheit die Namen der handelnden Personen
erfand, so auch den Namen Leucius fingierte. Denn dies muss
mit allem Nachdruck betont werden: eine in katholischen Kreisen
1) Die Behauptung von Lipsius (Apocr. Apostelg. II, 1, 272), dass in den
Petrusakten der Erzähler in erster Person rede (vgl. die beiden Stellen
Act. apost. apocr. p. 49, 10 und 69, 2—8), hat Zahn (K.G. II, 860, 4) bereits
widerlegt.
Petrusakten. 77
als kleinasiatischer Johannesschüler in bohem Ansehen stehende
Persönlichkeit mit Namen Leueius, den der Verfasser der Johannes-
akten für seine Zwecke benutzte, hat es niemals gegeben. Epi-
phanius sowohl wie Pacianus dürfen dafür nicht als Zeugen an-
gerufen werden.
So führt die direkte wie indirekte Überlieferung zu dem
gleichen Resultat, dass der Name des Leucius ursprünglich nur
an den Johannesakten gehaftet hat. Dann aber war möglicher-
weise auch der Name im Titel selber angegeben, etwa πράξεις
Ἰωάννου κατὰ Λεύχιον Xaplvov oder πρ. Ἶ συγγράφοντος τοῦ
αὐτοῦ μαϑητοῦ Λευχίου Χαρίνου oder etwas Ähnliches. So
würde sich die Zurückführung der Akten auf Leucius noch besser
erklären.
Damit glaube ich die erste Frage über Leueius und die so-
genannte leucianische Sammlung in befriedigender Weise be-
antwortet zu haben und gehe zu der zweiten Frage über, ob die
Petrusakten aus der Feder des Verfassers der Johannesakten
stammen.
B. Ist der Verfasser der Johannesakten mit dem Ver-
fasser der Petrusakten identisch?
Mit dem Nachweise, dass der Name des Leueius ursprüng-
lich an den Johannesakten gehaftet hat, ist noch keineswegs die
Möglichkeit ausgeschlossen, dass deren Verfasser auch andere
Apostelakten fabriziert babe, nachdem er mit seinem ersten Roman
so grossen Erfolg erzielt hatte. Besonders Zahn (K. 6. II, 860
u.N.K.Z. X, 210) ist mit Lebhaftigkeit für die Identität des Ver-
fassers der Johannes- und Petrusakten eingetreten. Nach ihm
wäre die Übereinstimmung in der theologischen Lehre, in den
seltsamsten Gedankenreihen, in Sprache und Stil eine so weit-
gebende, dass die Herkunft beider Schriften aus der gleichen
Schule nicht zur Erklärung ausreiche. Auch die Thatsache, dass
uns in den Petrusakten kein solches „Wir“ und „Ich“ begegne,
wie in den Johannesakten, spreche nicht dagegen. „Denn Leueius“,
sagt Zahn, „welcher sich für einen in Kleinasien lebenden Schüler
des Johannes ausgegeben hatte, konnte sich in Bezug auf andere
1) Auch Lipsius, Apocr. Apostelg. 11, 1, 272 plaidiert dafür.
«
-
718 Carl Schmidt.
Apostel, die in anderen Ländern gewirkt hatten, an der Rolle
eines räumlich fernerstehenden Berichterstatters, der doch immer-
hin ein ‚vir apostolicus‘ war, genügen lassen.“ Die gleiche These
hat James (Texts a. Studies, V, 1, p. XXIV£.) durch Gegenüber-
stellung zahlreicher Parallelen vertreten, indem er schreibt: It
consists of a number of parallels to our fragment collected from
the other fragments of these Acts, and from the Acts of Peter......
I think they show as clearly as any evidence of this kind could,
that whoever wrote the Acts of John wrote the Acts of Peter.
In der Litterarkritik gebt man oft genug Irrwege, sobald
man mit Parallelen operiert. Bei den Akten der Thekla, um
ein nabeliegendes Beispiel anzuführen, schloss niemand trotz der
Parallelen mit dem Martyrium und anderen Stücken der Paulus-
akten, die nicht unbemerkt blieben, auf Identität der Verfasser, son-
dern man statuierte Benutzung der Theklaakten durch den Verfasser
der Paulusakten (vgl. Zahn, G.K. II, 880, Anm. 2 u. 890, Anm. 1).
Umgekehrt bätte man doch bei den Johannes- und Petrusakten
die Eventualität ins Auge fassen müssen, ob nicht die Parallelen
auf Abhängigkeit der einen Schrift von der andern zurückzuführen
seien. Lipsius freilich war bereits auf dem richtigen Wege, wenn
er (Apocr. Apostelg. II, 1, 266) in der Erkenntnis der auffälligen
Berührungen die Alternative zwischen schriftstellerischer Ab-
bängigkeit der Petrusakten von den Johannesakten oder aber der
Annahme eines und desselben Verfassers stellte, aber er
war durch seine Stellung zur Leuciusfrage zu sehr befangen, um
der ersten Möglichkeit weiter nachzugehen. Stellt man sich nun
auf den Standpunkt der gegenseitigen Benutzung, so kann die
Frage in Rücksicht auf die chronologische Abfolge nur also for-
‘muliert werden: Hat der Verfasser der Petrusakten die Johannes-
‚akten gekannt und benutzt? Diese Frage erweitert sich sofort zu
der andern nach den Quellen der Petrusakten überhaupt. Ich
sehe von der Benutzung der kanonischen Schriften ganz ab, ob-
wohl die Haltung der beiden Verfasser in dieser Beziehung be-
reits Divergenzen zeigt, sondern beschränke mich auf die ausser-
kanonischen Stellen.
Schon Zahn (G.K.11, 821) hat auf die Benutzung einer andern
Petrusschrift, nämlich des Kerygma Petri, von seiten des Verfassers
der Petrusakten hingewiesen. In p. 49,21 f. lesen wir die Worte:
lugentibus autem eis et ieiunantibus iam instruebat deus in fu-
Petrusakten. 79
turum Petrum in Hierosolymis, adimpletis duodecim annis quot
lı praeceperat dominus, Christus ostendit illi visionem talem etc.
Hier wird auf ein Gebot des Herrn angespielt, Jerusalem erst
nach Verlauf von zwölf Jahren zu verlassen. Dieses Gebot stand
nach der Angabe des Clemens Al. Strom. VI, 5,43, als ein authen-
tisches Herrenwort in dem Kerygma Petri!, und es kann nicht
ıweifelhaft sein, dass aus der gleichen Quelle der Kleinasiat
Apollonius in seiner Streitschrift gegen den Montanismus die
παράδοσις von dem zwölfjährigen Aufenthalt der Jünger in
Jerusalem nach der Auferstehung des Herrn ? geschöpft hat. Bei
dem Verfasser der Petrusakten lag die Benutzung um so näher,
als es sich um eine dem Petrus zugeschriebene Schrift handelte,
femer war die Beziehung auf Petrus gegeben, wenn auch das
Herrenwort an alle Apostel gerichtet war. Ausserdem muss der
Verfasser an einer früheren Stelle der Akten dieses Gebot berührt
haben, wie die Worte „iam instruebat deus in futurum Petrum
in Hierosolymis“ zeigen, und zwar m.E. behufs Motivierung des
ausschliesslichen Verweilens des Petrus in Jefusalem. Denn die
Petrusakten zerfallen sichtlich in zwei grosse Abschnitte; der erste
schildert die πράξεις in Jerusalem, hierhin gehört die von uns oben
publizierte „Praxis“, der zweite, noch ganz erhaltene Abschnitt
die πράξεις in Rom. Diese Anordnung des Stoffes ist nur denk-
bar infolge Abhängigkeit von einer in hohem Ansehen stehenden
Schrift. Selbst im zweiten Teile tritt diese ursprüngliche Anlage
noch deutlich zu Tage. Hier erzählt Petrus an zwei verschie-
denen Stellen ausführlich sein früheres Zusammentreffen mit
Simon, den er aus Judäa, wo er durch seine Zaubereien viel
Unheil angerichtet, vertrieben habe?. In Kap. 17 (= p. 62 fl.)
trägt er die Betrugsgeschichte des Simon Magus im Hause einer
reichen Dame Namens Eubula vor und die Aufdeckung des Dieb-
stahls durch eine ihm zu teil gewordene Offenbarung. Unter
1) διὰ τοῦτό φησιν ὁ Πέτρος εἰρηκέναι τὸν κύριον τοῖς ἀποστόλοις"
„Bar μὲν οὖν τις ϑελήσῃ τοῦ Ἰσραὴλ μετανοήσας διὰ τοῦ ὀνόματός μοι
πιστεύίειν ἐπὶ τὸν ϑεόν, ἀφεϑήσονται αὐτῷ αἱ ἁμαρτίαι. μετὰ δὠδεχα
ἔτη ἐξέλϑετε εἰς τὸν χόσμον, μὴ τις εἴπῃ" οὐχ ἠχούίσαμεν."
9) Euseb. h. 6. Υ͂, 18,14. Auch die Gnostiker benutzten dieselbe Über-
lieferung, die bereits in die Öffentliche Tradition der Kirche übergegangen
war. Vgl Harnack, Altchr. Litteraturg. 1I, 243.
3) Vgl. auch p. 49, 24; 51, 27.
80 Carl Schmidt.
Judäa (p. 63, 1. 2; 65, 18. 24) kann nur Jerusalem als Ort der
Handlung verstanden werden. Darauf deutet sowohl die porta,
quae ducit Neapolim ! (p. 63,18; 64,4; 65,16), als auch das Vor-
handensein eines Legaten, der in der Stadt residiert und die
Missethäter im Prätorium verbört. In Kap. 23 (= p.70f.) wieder-
holt Petrus die Eubula-Geschichte vor den Ohren des Simon
Magus und bringt mit der Entdeckung dieser Schandthat dessen
sofortige Flucht von Judäa nach Rom in Verbindung?. Ungleich
interessanter ist die weitere Anrede an Simon: die Simon, non
tu Hierosolymis procidistiad pedes mihi et Paulo, videns
per manus nostras remedia quae facta sunt, dicens: “"Rogo vos,
accipite a me mercedem quantum vultis, ut possim manum im-
ponere et tales virtutes facere. nos a te hoc audito maledixi-
mus te: ‘Putas temptare nos pecuniam velle possidere?” Unver-
kennbar reproduziert der Verfasser die Geschichte Act. 8, 14 ff,
aber der Schauplatz ist nicht Samaria, sondern Jerusalem; an-
dererseits schimmert noch die Vorlage durch, wenn von dem
nach Neapolis? (= Flavia Neapolis) führenden Thore die Rede
ist und Simon p. 65,16 von aussen durch dieses Thor kommend
gedacht ist. Demgemäss ist die Situation so aufgefasst, dass
Simon Magus zu Petrus nach Jerusalem kommt und die Gabe
der Geistesmitteilung erbittet. Diese Umdichtung war eben durch
1) Der freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Schürer verdanke ich
den Hinweis auf die porta Neapolitana für das Nordthor von Jerusalem
beim Pilger von Bordeaux vom J. 333 (Itinera Hierosolymitana rec. P. Geyer
1898 p. 22 Corp. Ecel. Lat. Bd. XXXIX). Ferner Euseb. Onomasticon ed,
Lagarde 1870 p. 300: ἡ Togra. .... ἀπέχοισα Αἰλίας σημείοις ı€ χατὰ τὴν
ὁδὸν τὴν εἰς Νεάπολιν ἄγουσαν.
2) Videtis enim F hunc se repraehensum esse modi tacentem me ἢ
eum exfugasse a Iudaea propter inposturas quas fecit Eubulae honestae
feminae et simplicissimae, magica arte faciens. unde effugatus a me huc
venit putans quoniam posset latere inter vos (p. 7], 9 8... Vgl. p. 65, 158:
et ecce Simon introibat portam quaerens eos, quod tarde facerent: et vidit
turbam magnam venientem et illos ligatos catenis. statim intellexit et fugam
petüit et non conparuit in Tudaea usque in hoc tempus ....... haec autem,
fratres dilectissimi, facta sunt in Iudaea, per quae hinc exfugatus est
angelus satanae qui dicitur.
3) Wenn der Verfasser statt Samaria einsetzt Neapolis, so liegt der
Grund darin, dass bereits zu seiner Zeit das um 72 ἢ. Chr. gegründete
Flavia Neapolis das ältere Samaria-Sebaste an Bedeutung überflügelt hatte.
(Vgl. Schürer, Gesch. d. jüd. Volk., 113, 153.)
Petrusakten. 81
die Unterschlagung der palästinensischen und ausserpalästinen-
sischen Missionstbätigkeit des Petrus infolge des pseudo-petri-
nischen Herrengebotes bedingt. Ob die Einsetzung des Paulus
statt des Johannes auf reiner Willkür des Romanschreibers beruht,
oder ebenfalls durch eine Quelle veranlasst ist, die einen gemein-
samen längeren Aufenthalt der beiden Apostel in Jerusalem
kannte, wage ich nicht zu entscheiden, da hierfür auch die Paulus-
akten in Betracht kämen. Aber noch weiter! Das ganze chrono-
logische System der Petrusakten ist durch das Festhalten an dem
zwölfjährigen Aufenthalt in Jerusalem auf das schlimmste ver-
wirrt worden. Denn da Petrus unmittelbar nach Ablauf der
zwölf Jahre von Jerusalem nach Rom fährt und daselbst nach
zwei Monaten (p. 52, 15) anlangt, musste er im Jahre 42, d.h.
unter Kaiser Claudius den Kampf mit Simon Magus ausgefochten
und den Kreuzestod erlitten haben. Demzufolge hätte Paulus
bereits vorher in Rom eine Gemeinde gegründet, wäre im Jahre 42
nach Spanien gegangen und nach Verlauf eines Jahres zurück-
gekehrt, um dann ebenfalls den Märtyrertod zu erleiden. Und
doch hält der Verfasser an der allgemein kirchlichen Tradition
fest, dass beide Apostel unter Nero das Martyrium erduldet
haben, denn der Imperator resp. Cäsar ist kein anderer als Nero
(p. 100, 15 ff.); ferner ergeht an Paulus und die um ihn Versam-
melten bei seiner Abreise nach Spanien die göttliche Stimme:
Paulus dei minister electus est in ministerium tempus vitae suae;
inter manus Neronis hominis impii et iniqui sub oculis vestris
consummabitur. Hier treffen die Simon Magus-Sage und die
Tradition vom zwölfjährigen Aufenthalt des Petrus in Jerusalem
zusammen. — Ob und wie weit das Kerygma Petri auf die theo-
logische Gedankenbildung des Verfassers der Petrusakten einen
merklichen Einfluss ausgeübt hat, und ob ein oder das andere
apokryphe neutest. Citat (s. u.) etwa aus dieser Schrift gewonnen
ist, lässt sich leider bei den geringen Fragmenten jener Schrift
nicht entscheiden. Unter aller Reserved möchte ich noch auf die
Predigt in Kap. 24 hinweisen, wo Petrus dem Simon Magus
gegenüber, der die landläufigen Einreden der Juden und Heiden
wider die Gottheit Christi vorbringt, elf Stellen hintereinander
aus prophetischen Büchern citiert. Harnack (Altchristl. Litteraturg.
11, 558) sieht in dieser Zusammenstellung gelehrte biblisch-theo-
logische Überlieferung, die bereits vom Verfasser übernommen
Texte u, Untersuchungen. N. F. IX, 1. 6
82 Carl Schmidt.
sei, und, wie ich glaube, mit Recht, aber warum niemand sie gern
in das 2. Jahrhundert verlegen wolle, vermag ich nicht einzu-
sehen; denn wenn auch zwei nicht nachweisbare Stellen sich als
plumpe christliche Fälschungen entpuppen, so finden sich der-
artige Falsifikate doch auch in den Sibyllinen. Auf das Kerygma
Petri führt mich die von Clemens Al. Strom. VI, 15, 128 citierte
Stelle: Ἡμεῖς δὲ ἀναπτύξαντες τὰς βίβλους ἃς εἴχομεν τῶν
προφητῶν, ἃ μὲν διὰ παραβολῶν, ἃ δὲ di αἰνιγμάτων, ἃ δὲ
αὐϑεντικῶς χεὼὶὰ αὐτολεξεὶ τὸν Χριστὸν Ἰησοῦν ὀνομαζόντων,
εὕρομεν καὶ τὴν παρουσίαν αὐτοῦ καὶ τὸν ϑάνατον καὶ τὸν
σταυρὸν καὶ τὰς λοιπὰς κολάσεις πάσας ὅσας ἐποίησαν αὐτῷ
οἱ Ἰουδαῖοι, καὶ τὴν ἔγερσιν χαὶ τὴν εἰς οὐρανοὺς ἀνάληψεν
πρὸ τοῦ Ἱεροσόλυμα κριϑῆναι, χαϑὼς ἐγέγραπτο ταῦτα πάντα,
ἃ ἔδει αὐτὸν παϑεῖν καὶ μετ᾽ αὐτὸν ἃ ἔσται. ταῦτα οὖν ἐπι-
γνόντες ἐπιστεύσαμεν τῷ ϑεῷ διὰ τῶν 7εγραμμένων εἰς αὐτόν,
und gleich darauf: ἐγνώκαμεν. γὰρ ὅτι ὁ ϑεὸς αὐτὰ προσέταξεν
ὄντως, καὶ οὐδὲν ἄτερ γραφῆς λέγομεν. Vielleicht waren neben
den allgemeinen Angaben auch spezielle Citate aus einzelnen
alttestamentlichen Schriften beigefügt, jedenfalls ist die theolo-
gische Haltung in den Petrusakten dieselbe, da Petrus seine
Predigt mit den Worten schliesst: O viri Romani, si essetis
scientes profeticas scripturas, omnia vobis exponerem; per
quas necesse erat per mysterium et regnum dei consummari. sed
haec postea vobis adaperientur (p. 72, 13 8). Ebenso heisst es
p. 61,8: tractabat eis Petrus de profeticas scripturas et quae
dominus noster lesus Christus egisset et verbo et factis.
Als zweite Quelle der Petrusakten sind die πράξ ξεις Παύλου
anzusehen. Freilich kann ich der von Harnack begründeten
Hypothese!, das Martyrıium des Petrus in den Actus Petri c.
Simone (capp. 33—40 lat.), ebenso capp. 1—3 seien aus den Paulus-
akten entlehnt, in keiner Weise beipflichten, denn die auf Grund
der beiden Origenesstellen vorgebrachten Indicien sind nicht
durchschlagend. Insbesondere durfte die Benutzung einer schrift-
lichen Quelle bei dem Citate P- 96,7 περὶ οὗ τὸ πνεῦμα λέγει"
Τί γάρ ἐστιν Χριστὸς ἀλλ᾽ ὁ λόγος, ἦχος τοῦ ϑεοῦ; nicht be-
zweifelt werden. Denn dieses Citat wird mit dem vorhergenannten
Tod Χριστοῦ σταυρός, ὕστις ἐστὶν Teraueros λόγος contami-
1) T. u. Unters. N. F, V,3 8. 1088.
Petrusakten. 83
niert und daran die allegorische Erklärung geknüpft: λόγος
— τοῦτο τὸ ὀρϑὸν ξύλον, ἐφ᾽ ᾧ ἐσταύρωμαι — ἦχος — τὸ
“πλάγιον, ἀνϑρώπου φύσις --- ὁ ἧλος ὁ συνέχων ἐπὶ τῷ ὀρϑῷ
ξύλῳ τὸ πλάγιον κατὰ μέσου — ἡ ἐπιστροφὴ καὶ ἡ μετάνοια
τοῦ ἀνϑρώπου. Die ganze Allegorie ist vom Verfasser selbst im
Anschluss an jenes von ihm übernommene Citat ersonnen. Und
nun das Citat des Origenes aus den Paulusakten (de prine. 1, 2,3 ed.
Lom. 21,46): unde et recte mihi dietus videtur sermo ille, qui in
Actibus Pauli scriptus est, quia ‚Hic est verbum animal vivens‘!
BHarnack nimmt an dem Ausdruck „animal vivens“ Anstoss und
restituiert „anima vivens“ als Erläuterung zu „verbum“: „Dieser
ist das Wort, d.h. nicht ein blosser Schall, sondern ein leben-
diger Hauch“. Dass aber Rufin den griechischen Ausdruck
des Origenes οἦχος" mit „anima vivens“ wiedergegeben haben
soll, ist bedenklich; denn in der angezogenen Stelle Act. 2,2
bietet die Itala „echo“, am Rande aber ist „vox* beigeschrieben.
Unbedingt hat der Übersetzer der Actus Vercell. „yxog“ mit
„vox“ wiedergegeben, — an dieser Stelle ist leider eine Lücke —,
denn p. 98, 14 übersetzt er „ueyaA® ἤχῳ" naturgemäss mit
„maxima voce“. Und vor allem muss Rufin in seiner Vorlage
den Ausdruck ζῶον ζῶν vorgefunden haben, denn Origenes
spricht gerade im Zusammenhange mit „Aöyog“ von einem „Lwor*
in Hom. XX, Jerem. 20,7—12 (Origenes 3. Bd. ed. Klostermann,
8.176,20): οὐδὲ γὰρ ὃ λόγος αὐτοῦ (sc. ϑεοῦ) τοιοῦτός ἐστιν,
ὁποῖος ὁ πάντων λόγος. οὐδενὸς γὰρ ὁ λόγος »ζῶονε, οὐδενὸς
6 λόγος »ϑεόςε, οὐδενὸς [γὰρ] ὁ λόγος »ἐν apxij« πρὸς ἐχεῖνον
ἦν, οὗ 6 λόγος ἦν, κἂν εἰ μόνος ........ zei ὥσπερ ξένον τι
ἔχει ὁ λόγος τοῦ ϑεοῦ παρὰ πάντα τὸν οὑτινοσοῦν λόγον. καὶ
ἔχει ξένον τὸ εἶναι ϑεὸς καὶ τὸ εἶναι λόγος [ὧν] ζῶον, τὸ
ὑφεστηχέναι καϑ' ἑαυτό, τὸ ὑπηρετεῖν τῷ πατρί etc. Der enge
Zusammenhang beider Origenesstellen liegt m. E. auf der Hand!,
zumal Origenes beide Male den Anfang des Johannesevangeliums
folgen lässt?. Dann aber ist das Citat aus den Paulusakten in-
takt und zeigt nur eine entfernte Verwandtschaft mit dem Citat
in den Petrusakten. Aus welcher Schrift der Verfasser der letz-
teren sein Citat geschöpft hat, bleibt in Dunkel gehüllt.
1) Auch Klostermann ist dies nicht entgangen.
2) de prine. I, 2, 3: „Ioannes vero excelsius et praeclarius in initio
evangelii καὶ dieit etc.“
ὃ:
84 Carl Schmidt.
Dagegen hat der Pseudopetrus die Paulusakten an der zweiten
Stelle benutzt, nicht Origenes das „Martyrium des Petrus“ in den
„Akten des Paulus“ gelesen. Bei Origenes lesen wir nämlich im
Comm. in ev. Joh. XX, 12 (T.1l,p. 51 ed. Brooke) folgendes: Ei ro
δὲ φίλον παραδέξασϑαει To ἐν ταῖς Παύλου πράξεσι avaye-
γραμμένον ὡς ὑπὸ τοῦ σωτῆρος εἰρημένον: Avmdev μέλλω
᾿σταυροῦσϑαι', κτλ. Man hat damit die Stelle im Martyrium des
Petrus p. 88, 5 ff. in Verbindung gebracht: ‘2; δὲ ἐξήει [sc. ὃ
Πέτρος] τὴν πύλην, εἶδεν τὸν χύριον εἰσερχόμενον εἰς τὴν
Ῥώμην. καὶ ἰδὼν αὐτὸν εἶπεν. Κύριε, ποῦ ὧδε; καὶ ὃ κύριος
αὐτῷ εἶπεν. Εἰσέρχομαι εἰς τὴν Ῥώμην σταυρωϑῆναι. xal ὁ
Πέτρος εἶπεν αὐτῷ ΚῺύριε, πάλιν σταυροῦσαι; εἶπεν αὐτῷ"
Ναί, Πέτρε, πάλιν σταυροῦμαι. Die Annahme eines Lapsus
memoriae bei Origenes oder eine Änderung von Παύλου in Πέ-
τροῦυ ist zu beanstanden, in gleicher Weise die These, in den
Acta Pauli sei der Tod des Petrus — mindestens in den Haupt-
punkten — so erzählt gewesen, wie wir ihn in dem „Marty-
rıum des Petrus“ geschildert finden; vielmehr hat der Verfasser
der Petrusakten diesen Spruch der Paulusakten, der dort einen
allgemeinen Gedanken aussprach’, unter Veränderung des un-
gewöhnlichen ἄνωϑεν in πάλιν für die Dichtung der berühmten
Szene: domine, quo vadis? einerseits und für die Kreuzigung selbst
andererseits verwertet.
Direkte Abhängigkeit von den Paulusakten verrät der Schluss-
abschnitt (cap. 42 = p. 100, 15 ff.), demzufolge Nero dem bereits
durch den Präfekten Agrippa hinger'chteten Petrus noch eine grau-
samere Strafe zugedacht hatte, mit der Begründung: καὶ γάρ tıvac
τῶν πρὸς χεῖρα αὐτοῦ ὁ Πέτρος μαϑητεύσας ἀποστῆναι αὐτοὺς
ἐποίησεν — etenim Nero ad manum habebat qui erediderant in
1) Zu dieser Stelle vgl. Hilgenfeld, Nov. Test. extra can. rec., fasc.
IV, 69; Lipsius, Apocr. Apostelg. II, 1, 18; Zahn, G.K. 11, 853, Anm. 3 u.
866; Harnack, T. u. U. 1. c. S. 102.
2) Nach Jülicher, GGA. 1900, 8. 269 ist das ἄνωϑε» μέλλω σταυροῦ-
σϑαι gesagt im Hinblick auf das Herzeleid, das ein Gläubiger durch Sün-
digen dem Erlöser bereitet. Vgl. Zahn, G.K. II, 878 f.
3) Zahn hat leider, um seine Ansicht von dem chronologischen Ver-
hältnis der Paulusakten zu den Petrusakten durchzudrücken, der richtigen
Erkenntnis nicht Folge gegeben, indem er 6. Κὶ 11, 853, Anm. 3 den Spruch
ἄνωϑεν μέλλω σταυρωθῆναι zu einem jener zahlreichen Agrapha stempelt,
die im 2. Jahrhundert kursierten und in mehr als ein Buch übergingen.
Petrusakten. 85
Christo, qui recesserant a latere Neronis. In der früheren Er-
zählung steht von Bekehrung getreuer Diener des Kaisers, —
denn unter οἱ πρὸς χεῖρα αὐτοῦ sind männliche Personen zu
verstehen, — und von dem damit zusammenhängenden Zorn gegen
Petrus nichts zu lesen. Das Ganze sieht nach einer gewaltsamen
nachträglichen Verbindung der Person des Nero mit dem Marty-
rium des Petrus aus. In den Paulusakten hängt dagegen der Tod
des Apostels, der hier ausschliesslich ein Werk des Kaisers ist,
mit dem Zorne desselben über die Bekehrung seines Mundschenken
Patroclus zusammen, ferner des Barsabas, Justus, Orion und
Festus, die als πρῶτοι τοῦ Καίσαρος bezeichnet werden. Wie
dort die Folge eine Verfolgung der Jünger des Paulus ist, so
auch hier die der Jünger des Petrus. Die volle Abhängigkeit
wird erst durch den folgenden Zug in der Erzählung evident,
dass nämlich Nero in einer nächtlichen Vision! jemand ihn
peitschen sieht, der zu ihm sagt: Νέρων, οὐ δύνασαι νῦν τοὺς
τοῦ Χριστοῦ δούλους διώκειν ἢ ἀπολλύειν. ἀπέχου οὖν τὰς
χεῖρας ἀπ᾿ αὐτῶν. Infolgedessen lässt Nero aus Furcht vor dem
Gesicht von der Verfolgung ab. Genau so lässt der Verfasser
der Paulusakten das Martyrium abschliessen, indem der Apostel
dem Kaiser plötzlich erscheint und ihm baldige Strafe für das
unschuldig vergossene Blut der Christen androht. Auch hier
wird Nero von grosser Furcht befallen und lässt die Gefangenen
frei. — Die Nachbildung liegt m. E. auf Seite des Verfassers der
Petrusakten, der um einen passenden Abschluss verlegen war,
in welchem er zugleich der kirchlichen Tradition gerecht würde,
dass Nero in irgendwelcher Beziehung zum Tode des Apostel-
fürsten gestanden habe.
Den Paulusakten ist ferner das Motiv zur Verurteilung des
Petrus entlehnt. Die Predigt von der ἁγνεία ist es, die den
Apostel in Konflikt mit der obrigkeitlichen Gewalt bringt, da
die vier Kebsweiber des Präfekten Agrippa in Rom durch die
Predigt zur Keuschheit bekehrt werden, ebenso Xantippe, die
Frau des Albinus, der zu den φίλοι τοῦ Καίσαρος gehört; ja es
heisst weiter p. 86, 8f.: πολλαὶ δὲ καὶ ἄλλαι γυναῖχες τοῦ λόγου
τῆς ἁγνείας ἐρασϑεῖσαι τῶν ἀνδρῶν ἐχωρίζοντο, καὶ ἄνδρες
1) Nach dem Lateiner ist es der angelus dei, aber der „Jemand“ ist
m. E. Petrus.
86 Carl Schmidt.
τῶν ἰδίων γυναιχῶν τὰς κοίτας ἐχώριζον διὰ τὸ σεμνῶς καὶ
ἀγνῶς ϑέλειν αὐτοὺς ϑεοσεβεῖν. Der Rache des Albinus und
des Agrippa fällt dann Petrus zum Opfer. — In den Paulusakten
tritt der Apostel in gleicher Weise in allen Städten als Missionar
der ἐγχράτεια und ἁγνεία auf; die vornehmen Frauen und Jung-
frauen begeistern sich für das neue Lebensideal, die Männer sind
davon keineswegs erbaut und reizen die Obrigkeit zum Einschreiten
gegen den Verstörer der alten Sitte auf. Das ist gleichsam das
ständige Vehikel der Erzählung!. Ich brauche nur an die Thekla-
geschichte zu erinnern oder an die Szenen in Ephesus und Phi-
lippi. — Soviel von den Paulusakten als Quelle der Petrusakten.
Noch zwei andere Stellen lassen auf Benutzung anderweitigen
Materials schliessen. Auf p. 58, 5 citiert Marcellus als Ausspruch
des Herrn die Worte: „Qui mecum sunt, non me intellexerunt.“ Er
will durch den Hinweis auf den Unglauben der Jünger selbst
seinen eigenen Abfall vom christlichen Glauben in ein milderes
Licht rücken und die vergebende Gnade des Petrus anrufen.
Aber schon vorher hat er Beispiele für das Verhalten der Jünger
aus den Evangelien angeführt; er leitet diese dem Apostel viel-
leicht peinliche Erinnerung mit den Worten ein: peto itaque ne
indigne feras quod dieturus sum (p. 57, 33). Als erstes Beispiel
nennt er: Christum, dominum nostrum quem tu praedicas in
veritate, coapostolis tuis coram te? dixisse®: ‘Si habueritis fidem
sicut granum sinapis, dicetis monti huic: transfer te, et continuo
se transferet' (Matth. 17, 20). Das zweite Beispiel bildet Petrus
selbst, indem Marcellus ihn an den Vorgang auf dem Wasser
Matth. 14, 29 ff. gemahnt: te autem Petrum hie Simon infidelem
dixit in aquas dubitantem. Merkwürdigerweise hat man den
Satz so verstanden, als habe Marcellus diese Geschichte über
Petrus aus dem Munde des Simon Magus erfahren; aber man
fragt unwillkürlich, wie dieser dazu kam, solches zu erzählen; denn
den Unglauben des Petrus hätte Simon Magus nur zum Erweise
der Ungöttlichkeit Christi vorbringen können, aber nicht zum
Erweise der stets vergebenden Gnade des Herrn. Deshalb ist
„bie Simon“ eine in den Text eingedrungene Glosse. Ein frommer
1) Die Andreas- und die Thomasakten abmen dies Motiv nach.
2) Dies ist nicht ohne Absicht hervorgehoben.
3) Statt dicens im Ms. muss dixisse gelesen werden, da dieses von
dieturus sum abhängig ist.
Petrusakten. 87
Leser wollte den Titel „infidelis“ nicht auf Petrus sitzen lassen;
er erinnert daran, dass damals er ja noch Simon hiess, der erst
Matth. 16, 16 das Bekenntnis zum Messias abgelegt und seitdem
den Ehrennamen „Petrus“ geführt habe. Dann erhält aber der
folgende Satz zugleich seinen natürlichen Sinn: „Ich habe nämlich
gehört, dass er auch dieses gesagt habe: Die mit mir sind, haben
mich nicht verstanden“. Dieser „er“ soll wiederum Simon Magus
sein, von dem Marcellus jenen Ausspruch Christi gehört habe'!,
und zwar wende Simon den Spruch auf Christus in seinem Ver-
hältnis zu den Jüngern an, was der Verfasser der Petrusakten
als eine simonistische Verleumdung perhorresciere (Harnack,
Altchr. Litteraturg. II, 555). Von einer Verleumdung des Simon
kann überhaupt nicht die Rede sein; Marcellus will doch gerade
mit dem Hinweis auf das thatsächliche Verhalten der Jünger
seinen Abfall als leicht entschuldbar hinstellen, deshalb zieht er
ja aus den drei Beweisstellen? den logischen Schluss: „ergo si
vos quibus et manus inposuit, quos et elegit, cum quibus et
mirabilia fecit, dubitabatis, habens ergo hoc testimonium paeniteor
et ad preces tuas confugio. suscipias anımam meam, lapsus a
domino nostro et a repromissione ipsius. sed credo, quia mise-
rebitur mihi paenitenti. fidelis enim est omnipotens, remittere
mihi peccata.“ Jetzt kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass
der „er“ in allen drei Citaten Christus ist, der den Aposteln die
Hände aufgelegt, sie auserwählt und unter ihnen Wunder gethan
hat. Das „audivi“ = ἀχήχοα ist nicht (mit Zahn G. K. 11, 852)
als mündliche Mitteilung zu deuten, sondern ist eine gezierte Form
eines Büchereitates (vgl. Bernays, Theophrastus über die Frömmig-
keit S. 145). Die abweichende Einführung des Citates geht auf
eine ausserkanonische Quelle zurück (8. u.): welcher es entnommen
ist, bleibt zweifelhaft.
Kürzer kann ich mich bei dem zweiten Citate fassen, das
der Verfasser zugleich mit den Worten einleitet: περὶ ὧν ὁ
1) Nach Zahn, G.K. II, 852, Anm. 3 ist an eine Mitteilung des Paulus
an Marcellus zu denken, da dieser jenen vorher p. 57, 19 als seinen Lehrer
bezeichne.
2) Man vermisst in dieser Zusammenstellung die dreimalige Verleug-
nung des Herrn, doch ist sie absichtlich ausgelassen, weil Petrus bereits
p. 54, 2 dieser Episode und zugleich der grossen Barmherzigkeit des Herrn
gedacht hatte.
Ἃ
88 Carl Schmidt.
κύριος ἐν μυστηρίῳ λέγει" Ἐὰν μὴ ποιήσητε τὰ δεξιὰ ὡς τὰ
ἀριστερὰ καὶ τὰ ἀριστερὰ ὡς τὰ δεξιὰ χαὶ τὰ ἄνω ὡς τὰ χάτω
xal τὰ ὀπίσω ὡς τὰ ἔμπροσϑεν, οὐ μὴ ἐπιγνῶτε τὴν βασιλείαν
(p. 94, 12 ff.) = et dominus ipse dixit: “Si non feceritis dextram
tamquam sinistram et sinistram ut dextram et quae sunt (susum)
tamquam deorsum et quae retro su(nt) tamquam ab ante, non
intrabitis in regna caelorum'!. Einen verwandten Spruch aus dem
„Evang. der Ägypter“ 2 lesen wir bei Clemens Al. Strom. III, 13, 92
und 11 Clemens ὁ. 12, 2, obwohl er von dort nicht zu stammen
scheint.
Lipsius (Apocr. Apostelg. Il, 1, 267. 275) und Zahn ((. Κὶ. 1],
771 Anm. 1 u. 854) haben auch das Thomasevangelium zu den
Quellen gerechnet. Denn p. 71, 24 nennt Simon Christus einen
fabrı fillum et ipsum fabrum (vgl. p. 61, 29); die nachdrück-
liche Betonung scheint nicht auf Mark. 6, 3, sondern auf eine
Erzählung wie im Thom. Ev. graec. A p. 152 lat. p. 175 (Ev. apocr.
ed.?2 Tischendorf) zurückzuführen; aber auch dem Justin dial. 88
galt Jesus als τέχτων. Merkwürdiger ist: das Wunder mit dem
gedörrten Fisch, den der Knabe Jesus in einem Wasserbecken
lebendig umherschwimmen lässt?, da auch Petrus p. 60, 26f. das
gleiche Wunder an einem vertrockneten Hering vollbringt.
Lassen sich nun freilich die vorhin aufgeführten Evangelien-
eitate nicht direkt auf eine bestimmte Quelle zurückführen, so
‚Ist dies für uns jetzt ohne Belang; denn es handelt sich nur um
| die Feststellung der Thatsache, dass der Verfasser der Petrus-
‚akten für sein Werk mancherlei schriftliche Quellen ausgebeutet
‘hat. Von derartigen fremden Anleihen oder gar von einem
gelehrten Studium spüren wir bei dem Leucius der Johannes-
akten gar nichts. Seinen neutestamentlichen Stoff hat er haupt-
sächlich den jobanneischen Schriften, insbesondere dem Evange-
lium und der Apokalypse, entnommen, den übrigen Stoff seines
Romans dagegen mit beispielloser Freiheit aus eigener Phantasie
hinzugedichtet.
Wenn ich von einem gelehrten Studium des Verfassers der
Petrusakten spreche, so meine ich damit die Behandlung der
1) Über Act. Philippi 8. ο. 8. 16,1.
2) Vgl. Hilgenfeld, N. T. extra can. rec., fasc. IV, p.43 f. u. Preuschen,
Antilegomena S. 2.
3) Ev. Thom. lat. c.1 (Ev. apocr. ed.? Tischend. p. 164 £.).
Petrusakten. 89
Simonsage. Ich habe schon oben der Verlegung des Schau-
platzes von Samaria nach Jerusalem und der dadurch bedingten
Umbildung der Erzählung von Act. 8, 9ff. gedacht. Von so-
genannten ebionitischen Überlieferungen, d. h. von Kämpfen des
Petrus mit Simon Magus unter der Maske des Paulus und von den
Disputationen in Caesarea oder gar in andern Städten Syriens
weiss dieser Romanschreiber noch nichts, und zwar, um dies
gleich hinzuzufügen, deswegen, weil die pseudoclementinische
Litteratur zu seiner Zeit überhaupt nicht existierte!. Simon ist
ausschliesslich der Magier, der durch seine Künste die Menschen
gewinnt, sich als „magna virtus dei“ proklamiert und auf dem
Boden Italiens mit dem Zurufe begrüsst wird: tu es in Italıa
dens, tu Romanorum salvator: festina celerius Romae. Die von
Paulus begründete junge Gemeinde Roms geht mit wenigen Aus-
nahmen zu ihm über; Marcellus, ein hervorragendes Glied der
Gemeinde, lässt ihm sogar eine Statue mit der Inschrift setzen:
Simoni iuveni deo2, Die Quelle, aus der dieses Simonbild ent-
lehnt ist, kann m.E. nur bei Justin gesucht werden, denn in der
Apologie 1, 26 u. 56 berichtet er bekanntlich von der Ankunft
des Simon Magus in Rom unter Kaiser Claudius, von seiner
göttlichen Verehrung und der Errichtung einer Bildsäule durch
Senat und Volk mit der römischen Inschrift: Simoni deo
sancto. Die Divergenzen inbezug auf die Setzung der Bildsäule
durch Marcellus und die ein wenig veränderte Inschrift sind auf
das Konto des Romanschreibers zu setzen, der sich nie sklavisch
an seine Vorlage anschliesst. Die Überlieferung von der Ankunft
des Simon in Rom unter Claudius stimmt nun auf das vortreff-
liebste mit der Überlieferung von dem zwölfjährigen Aufenthalt
des Petrus in Jerusalem überein. Demgemäss kann als gesichertes
Resultat gelten, dass der Verfasser der Petrusakten die Simon-
Petruslegende durch Kombination zweier bis dahin unabhängig
nebeneinander herlaufender Überlieferungsreihen, des römischen
Martyriums des Simon Petrus unter Nero einerseits und des Auf-
tretens des Simon Magus in Rom unter Claudius andererseits,
1) Über die Datierung der Pseudoclementinen vgl. neuerdings Chap-
man, Origen and the date of Pseudo-Clement (Journal of theolog. studies,
1902, p. 436 8).
2) Wahrscheinlich ist mit Zahn, G.K. 11, 841,2 Σίμωνι νέω ϑεῷ zu
lesen.
=
— >
Ἂ
90 Carl Schmidt.
geschaffen hat!. In dieser Beziehung hat er sich ein unsterb-
liches Verdienst um die altchristliche Legendenbildung, wenn von
einem Verdienst überhaupt gesprochen werden darf, erworben,
da die kirchliche Tradition seine Darstellung ohne Widerspruch
mit dem Stempel des Geschichtlichen versehen hat.
Nach diesen Voruntersuchungen kehre ich zu dem eigent-
lichen Problem zurück, ob die Johannes- und die Petrusakten
von einem und demselben Verfasser stammen oder nicht. Es
bedarf zu diesem Zwecke einer sorgfältigen Prüfung der von
Zahn und James für die Identität beigebrachten Argumente. Ich
beginne sofort nıit dem stärksten Argument, mit der vorgeblichen
Übereinstimmung in der theologischen Lehre, die sich insbeson-
dere in doketischen und modalistischen Anschauungen dokumen-
tieren soll.
Bei der Besprechung der von Photius gerügten Heterodoxien
hatte ich bereits bemerkt, dass der Verfasser der Johannesakten
einer ausgeprägt doketischen Anschauung über das irdische
‚Wesen Christi huldige, wie auch eine strenge Unterscheidung
zwischen Christus und „Gott Vater“ nicht zu statuieren sei. Die
solenne Bezeichnung υἱὸς τοῦ ϑεοῦ oder πατὴρ Ἰησοῦ Χριστοῦ
kommt nicht vor. Freilich werden πατήρ, λύγος und πργεῦμα
(a@yıov) in dem Hymnus (p. 197, 17f. u. 199, 2£.) deutlich unter-
schieden 2, aber das Ganze klingt formelhaft und ist nach der
Enthüllung auf p. 200,8: ποτὲ υἱός, ποτὲ πατήρ. ποτὲ πνεῦμα
dahin zu verstehen, dass die Namen des Vaters, des Sohnes und
des Geistes nicht verschiedene Wesensbezeichnungen, sondern
blosse Namen des einen auf Erden erschienenen göttlichen Wesens
ı sind. Infolgedessen sind auch alle Prädikate des Vaters? auf
Christus übertragen; Christus ist ὁ τῶν ὅλων δεσπότης (p.163,11),
ὁ ϑεὸς ὁ ὑπὲρ πάντων λεγομένων ϑεῶν ὑπάρχων ϑεός (p.170,31),
ὁ ϑεὸς τῶν αἰώνων (p.191,24), ϑεὸς ἀμετάτρεπτος, ϑεὸς ἀχρά-
τητος, ϑεὸς πάσης ἐξουσίας ἀνώτερος καὶ πάσης δυνάμεος καὶ
1) Vgl. Zahn, Einl. in d.N.T. 112, 27.
2) Erwähnen will ich noch p. 207, 9f.: dos Ξάζομέν σου τὸ λεχϑὲν ὑπὸ
τοῦ πατρὸς ὄνομα' δοξάζομέν σου τὸ λεχϑὲν διὰ υἱοῦ ὄνομα.
3) Auf p. 189,22 ist nach dem ganzen Zusammenhang unter ὁ πατὴρ
ὁ ἐλεήσα: καὶ σπλαγχνισϑεὶς ἐπὶ τὸν ἀμελήσαντα ἄνθρωπον nur Christus
zu verstehen.
Petrusakten. 91
ἀγγέλων πάντων καὶ κτίσεων λεγομένων καὶ αἰώνων ὅλων
πρεσβύτερος xal ἰσχυρότερος (p- 202, 24f.vgl.p. 190, 14 £.; 204, 11ff.)
ὁ τῶν ὑπερουρανίων πατήρ, ὁ τῶν ἐπουρανίων δεσπότης
(p. 212,1), mit einem Worte, er ist ὁ κύριος, ὁ ϑεός, an den man
sich in den Gebeten wendet, auf den alte doxologische Formeln
übertragen werden, wie p. 189, 25: σὺ μόνος ϑεὸς καὶ οὐχὶ ἕτερος"
ᾧ τὸ ἀνεπιβούλευτον χρᾶτος xal νῦν καὶ εἰς τοὺς ἅπαντας
αἰῶνας τῶν αἰώνων, oder p. 193,10: σὺ μόνος καὶ νῦν καὶ ἀεί.
Auch in den Petrusakten ist eine naiv. modalistische Auf-
fassung der Person Christi unverkennbar (vgl. ο. 5. 24). Für die
Gläubigen ist er der deus, der dominus xar’ ἐξοχήν, der optimus
et solus sanctus (p. 51,6), der solus dominus deus (p. 69,14), vor
allem der deus vivus!. An zwei Stellen lesen wir auch einen
doxologischen Schluss auf Christus wie in den Joh.-Akt., nämlich
p. 68, 14: „hic est omnia et non est alius maior nisi ipse; ipsi
laus in omnia saecula saeculorum. amen“ und p.98, 10 ff.: „alvov-
μέν σε, εὐχαριστοῦμέν σοι καὶ ἀνθομολογούμεϑα, δοξάξοντές
0: ἔτι ἀσϑενεῖς ἄνϑρωποι, ὅτι σὺ ϑεὸς μόνος καὶ οὐχ ἕτερος,
ῷ ἢ δόξα χαὶ νῦν καὶ εἰς πάντας τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.
ἀμήν (= lat. p. 99,11 8). Aber diese theologia Christi ist in den
altchristlichen Schriften des 2. Jahrhunderts durchaus nicht so
singulär, um daraus die Identität der Verfasser zu erschliessen;
ich verweise nur, um von den Ignatiusbriefen und dem zweiten
Clemensbrief abzusehen, auf die Thekla- resp. Paulusakten im Ge-
bete an Christus ‚(p. 268, 8 1): ὁ ϑεός μου καὶ τοῦ οἴκου τούτου...
Χριστὲ Ἰησοῦ ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ 2... αὑτὸς εἶ ϑεὸς καὶ σοὶ ἡ
δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας, ἀμήν oder p. 258,3: κύριε ὁ ϑεὸς ᾧ ἐγὼ
πιστεύω. Denn in den populären Vorstellungen der ältesten
Christen, wo die christologischen Gedanken wenig geklärt, dog-
matisch fixierte Formeln über Gott Vater und Christus nicht
vorhanden waren, stand Christus als Gott im Mittelpunkt des
Glaubens; dieser Gott lag ihnen viel näher am Herzen als der
weltferne Schöpfergott, darum richteten sie ihre Gebete und
Gesänge direkt an Christus, wie ja Plinius von einem carmen
_ dieere Christo quasi deo berichtet. Das religiöse Empfinden sah
1) Die Bezeichnung Christi als „deus vivus“ ist sehr häufig (p. 40, 20;
41,4; 52, 3; 57,3. 28; 60, 16(?). 24; 64, 9; 71, 7.21; 75, 18; 80, 22 (= ϑεὸς
ἀληϑινόῳ, kommt aber in den Joh.-Akt. gar nicht vor.
92 Carl Schmidt.
darin keinen Ditheismus. Auf dieser Linie bewegt sich auch der
Verfasser der Petrusakten. Er ıst so weit entfernt, die unter-
schiedslose Identität von Vater und Sohn zu behaupten, dass er
an zahlreichen Stellen in gemeinchristlichen Ausdrücken die
Unterscheidung der beiden Personen hervorhebt. Paulus nennt
Christus nach Kol. 1. 15 primogenitus totius creaturae (p. 47, 10)
und betet (p. 47,12ff.): Deus aeternus, deus caelorum, deus numinis
inenarrabilis, qui confirmasti omnia verbo tuo, qui vinculum in-
ligatum omni saeculo induxisti gratia tua, pater filii tui
sancti lesu Christi, oramus te invicem per filium tuum
lesum Christum etc. Und nicht anders lautet die Predigt des
Petrus: deus fillum suum misit in saeculo (p. 53, 22) — motus
misericordia deus omnipotens misit fillium suum in saeculo
(p. 53, 28) — confortamini in dominum omnipotentem, patrem
domini nostri lesu Christi (p. 54, 21) — ora pro me domi-
num, sanctum dei filium (p. 57, 20) — tibi, domine noster,
gloria et claritudo, deus omnipotens, pater domini nostri lesu
Christi. tibi laus et gloria et honor in saecula saeculorum. amen
(p. 58, 12 f, Doxologie auf den Vater) — credens ergo ex totis
praecordiis suis in nomine lesu Christi filii dei, per quem um-
nia inpossibilia possibilia sunt (p. 59, 30) — ora ad dominum
lesum Christum qui iudicat omnem animam. ipse enim est in-
visibilis dei filius (p. 63, 29 ἢ) — pater sancte filii tuı
lesu Christi (p. 74, 4). Vergebens werden Zahn und James der-
artige volltönende Formeln des christlichen Gemeindeglaubens in den
Johannesakten suchen, oder sie müssten zu dem m. E. unerlaubten
Ausweg ihre Zuflucht nehmen, dass der lateinische Übersetzer an
all diesen Stellen den ursprünglichen Text katholisch bearbeitet
habe. Dies scheint Zahn für die Formel „dominus noster lesus
Christus“ vorauszusetzen, da sie nach seiner Behauptung in
der alten Legende nie angewandt ist (G. K. II, 837, A. 2); denn
wenn auch an einigen Stellen die volltönende Formel vom
Übersetzer hinzugesetzt ist, so spricht doch ihr Vorkommen im
koptischen Texte der „Praxis“ (s. o. S. 10, Z. 4) für die Ursprüng-
lichkeit.
Dazu kommen die mehrfachen’ Berührungen mit dem römi-
schen Symbol, die bereits Zahn und Harnack beobachtet haben.
So lesen wir p.47,23: hortor eredere in dominum patrem omni-
potenten: et in dominum nostrum lesum Christum filium ipsius
Petrusakten. 93
spem omnem habere — p. 53, 22 Geburt Christi per virginem
Mariam — p. 54, 27: hortor vos per fidem quae est in Christo
lesu, ut nemo vestrum alium expectet praeter hunc contemptum
et contumeliatum a Judaeis, hunc Nazorenum crucifixum, mor-
tuum et in tertio die resurgentem — p. 67,27: passus est propter
nos, mortuus est et resurrexit nostri causa. Christus gilt als
der index vivorum et mortuorum (p. 64, 21; 75,2, vgl. p. 90, 14:
ὑπομείνατε αὐτὸν ἐρχόμενον καὶ ἀποδιδόντα ἑκάστῳ κατὰ
τὰς πράξεις αὐτοῦ). Obwohl Simon Magus den Petrus verhöhnt,
dass er an einen jüdischen Menschen, einen Zimmermann und
Sohn eines Zimmermanns glaube (p. 61, 29; 71, 24), da ein Gott
nicht geboren und gekreuzigt werde, reagiert dieser doch nicht
in doketischen Antithesen; ja der Herr selbst erscheint vor dem
Kampfe dem Petrus im Gesichte und thut ihm kund, dass am
kommenden Sabbat viele von den Heiden und Juden an ihn, den
contumeliatum, derisum, consputum glauben würden (p. 62, 25).
Und doch scheint Zahn recht zu haben, wenn er von unkirch-
lichem Doketismus redet (G.K. II, 839) und auf die Predigt des
Petrus (cap. 20 = p. 66, 30 ff.) den Finger legt, besonders auf
die Schlussgedanken: „manducavit et bibit propter nos, ipse
neque esuriens neque sitiens, baiulavit et inproperia passus
est propter nos, mortuus est et resurrexit nostri causa. qui
et me peccantem defendit et confortavit magnitudine sua et vos
consolabitur, ut eum diligatis, hune magnum et minimum,
formosum et foedum, iuvenem et senem, tempore adparen-
tem et in aeternum utique invisibilem, quem manus humana non
detinuit et tenetur a servientibus, quem caro non vidit et videt
nune ..... speciosum sed inter nos humilem, fidum visum sed
proditum: hunc lesum habetis, fratres, ianuam, lumen, viam, pa-
nem, aquam, vitam, resurrectionem, refrigerium, margaritam, then-
saurum, semen, saturitatem, granum sinapis, vineam, aratrum,
gratiam, fidem, verbum: hic est omnia et non est alius maior
nisi ipse; ipsi laus in omnia saecula saeculorum. amen.“ Hier
sind unbedingt Töne angeschlagen, die wir vorher nicht ver-
nommen haben, die mit den übrigen nicht in harmonischem Ein-
klang stehen. Selbst die Annahme eines hohen Christuspathos,
die Erinnerung an die schwungvollen heiligen Antithesen und
Dithyramben des Melito und Irenäus inbezug auf Christus (Har-
nack, Altchristl. Litteraturg. 11, 557, Anm. 1) will die Dissonanz
94 Carl Schmidt.
nicht ganz heben, ebensowenig die Ansicht von Zahn, es läge
ein Fortschreiten von gemeinchristlicher Redeweise zu immer
tiefer in die Geheimlehre einführendem Vortrag vor. Denn hört
ınan genauer zu, so kommen innerhalb des Dithyrambus die do-
ketischen Töne nicht rein hervor, die Komposition ist nicht ein-
heitlich, mit einem Worte, das ıst nicht Geist von einem Geist.
Oder sollten wir etwa den Verfasser der Johannesakten vor uns
haben, an dessen Gedanken eine Reihe Sätze anklingen? Aber
auch dann will noch keine volle Harmonie entstehen. So bleibt
als letzter Ausweg nur die Lösung übrig, dass der Verfasser der
Petrusakten bei der Komposition der Predigt eine Quelle, die in
christologischer Hinsicht andere Gedanken vertrat, benutzt und
den entlehnten Stoff nicht einheitlich verarbeitet hat. Als Quelle
haben wir die Johannesakten zu betrachten. Denn dort lesen
wir in der symbolischen Erklärung des Lichtkreuzes die Worte:
ὁ σταυρὸς οὗτος ὁ τοῦ φωτὸς ποτὲ μὲν λόγος καλεῖται
ὑπ᾿ ἐμοῦ di ὑμᾶς, ποτὲ δὲ νοῦς, ποτὲ δὲ Ἰησοῦς, ποτὲ Χριστός.
ποτὲ ϑύρα, ποτὲ ὁδός, ποτὲ ἄρτος, ποτὲ σπόρος, ποτὲ ἀνά-
στασις, ποτὲ υἱός, ποτὲ πατήρ. ποτὲ πνεῦμα, ποτὲ ζωή, ποτὲ
ἀλήϑεια, ποτὲ πίστις, ποτὲ χάρις. (καὶ ταῦτα) μὲν ὡς πρὸς
ἀνϑρώπους (p.200, 5ff.). Diese Selbstbezeichnungen Christi nimmt
Johannes in seinem letzten Abendmahlsgebete wieder auf: do-
ξάζομέν σου τὸ λεχϑὲν ὑπὸ τοῦ πατρὸς ὄνομα. δοξάζομέν σου
τὸ λεχϑὲν διὰ υἱοῦ ὄνομα. δοξάζομέν σου τὴν εἴσοδον τῆς
ϑύρας. δοξάζομέν σου τὴν δειχϑεῖσαν ἡμῖν διὰ σοῦ ἀνάστα-
σιν. δοξάζομέν σου τὴν ὁδόν. δοξάζομέν σου τὸν σπόρον, τὸν
λόγον, τὴν χάριν, τὴν πίστιν, τὸ ἅλας, τὸν ἄλεκτον (9) μαργαρί-
τὴν, τὸν ϑησαυρόν, τὸ ἄροτρον. τὴν σαγήνην, τὸ μέγεϑος, τὸ
διάδημα, τὸν di ἡμᾶς λεχϑέντα υἱὸν ἀνϑρώπου, τὸν χαρισά-
μενον» ἡμῖν τὴν ἀλήϑειαν, τὴν ἀνάπαυσιν, τὴν γνῶσιν. τὴν
δύναμιν, τὴν ἐντολήν, τὴν παρρησίαν, τὴν ἐλπίδα, τὴν ἀγάπην,
τὴ» ἐλευϑερίαν. τὴν εἰς σὲ καταφυγήν. σὺ γὰρ εἶ μόνος κύριε
ἡ ῥίζα τῆς ἀϑανασίας καὶ ἡ πηγὴ τῆς ἀφϑαρσίας καὶ ἡ ἕδρα
τῶν αἰώνων, λεχϑεὶς ταῦτα πάντα di ἡμᾶς νῦν ὅπως καλοῦ»-
τές σε διὰ τούτων γνωρίξωμέν σου τὸ μέγεϑος ἀϑεώρητον
ἡμῖν ἐπὶ τοῦ παρόντος ὑπάρχον, καϑαροῖς δὲ ϑεωρητὸν μό-
vov ἐν τῷ μόνῳ σου ἀνθρώπῳ εἰχονιζόμενον (p. 207, 9 ff.).
Die Übereinstimmung mit der entsprechenden Petrusstelle
springt sofort in die Augen. Aber ist damit schon die Identität
Petrusakten. 95
der Verfasser erwiesen? Wer würde wohl, wenn sich sonst in
zwei verschiedenen Schriften derartige Parallelen vorfinden, auf
Identität und nicht vielmehr auf gegenseitige Abhängigkeit
schliessen? Überhaupt müsste der Verfasser an seinem Fündlein
grosse Freude gehabt haben, um seine Leser noch ein drittes
Mal damit zu behelligen. Doch bei genauerem Zusehen kann
die sekundäre Haltung der Petrusakten nicht verborgen bleiben.
Denn der Verfasser hat seiner Liste die Doxologie bei Johannes
p. 207,9 ff. zu Grunde gelegt; dafür sprechen margarita, thensaurus,
aratrum, refrigerium, aus der Stelle p. 200, 5 ff. hat er die dort
allein vorkommenden Bezeichnungen ἄρτος und ζωή (= panis,
vita) aufgenommen und dann seinerseits noch eine kleine Nach-
lese gehalten, indem er lumen, aqua, saturitas und granum sina-
pis selbständig hinzugesetzt hat. Und die Hauptsache — gerade
die eigentliche modalistische Spitze des Gedankens bei Johannes,
nämlich das ποτέ — ποτέ und δι’ ἡμᾶς νῦν, ist abgebrochen. In
den Antithesen: tempore adparentem et in aeternum utique in-
visibilem, quem manus humana non detinuit et tenetur a ser-
vientibus, quem caro non vidit et videt nunc etc. etc. handelt es
sich nicht um die wechselnden Erscheinungen des auf Erden
wandelnden, sondern um den in die sichtbare Erscheinungswelt
eingetretenen präexistenten Christus, wie wir derartigen Antithesen
in zahlreichen altchristlichen Schriften begegnen. Deutlich aber
hebt sich wieder als Lehngut aus den Johannesakten die Be-
zeichnung Christi als magnus et minimus, formosus et foedus,
iuvenis et senex ab; hier hat der Verfasser gedankenlos doke-
tische Anschauungen übernommen, denn sicherlich denkt er
dabei nicht an das πολυπρόσωπον des irdischen Christus, son-
dern an die mannigfaltigen Erscheinungen des Erhöhten, da er
gleich im folgenden Kapitel den Herrn bald als senior, bald als
invenis adolescens, bald als puer den blinden Witwen erscheinen
lässt 1. Und weiter der Gedanke, dass der deus misericors, welcher
1) Die Erscheinung des Erhöhten in Kap. 21 ist gleichsam ein Exem-
pel auf die vorhergehende Predigt des Petrus; sie wird ebenfalls als ein
persönliches Erlebnis wie die Verklärungsszene erzählt, daher kommt auch
das auffallende „Wir“ mitten in der Erzählung, während Zahn mit Un-
recht eine Konfusion des Übersetzers annimmt. Die Nachahmung der Ver-
klärung liegt darin, dass plötzlich ein unbeschreibliches Jumen erscheint,
quod enarrare nemo hominum possit, tale lumen, quod nos inluminavit usque
96 Carl Schmidt.
die Fülle der ganzen Majestät ist, „um unseretwillen gegessen
und getrunken hat, obwohl er selbst weder hungerte noch dürstete,
Schmähungen ertragen und gelitten hat um unseretwillen,
gestorben und auferstanden ist unseretwegen“, schliesst keines-
wegs unkirchlichen Doketismus in sich, zumal da unmittelbar
vorher Jes. 53, 4 eitiert ist; in diesem Zusammenhang verlieren
auch die Worte „ipse neque esuriens neque sitiens“ ihren an-
stössigen Charakter ', Wieder in die Bahn der Quelle lenkt zurück
die Verwendung der Verklärungsszene zur Illustration der ver-
borgenen Majestät des Herrn und zur Bekräftigung des allge-
meinen Satzes, dass der Herr zu seinen Lebzeiten auch den Jün-
gern nur in der Gestalt erschienen sei, in der sie ihn mit ihren
Sinnen erfassen konnten. Denn auch der Verfasser der Johannes-
akten hat diese Szene benutzt, aber während er über dieselbe
kurz mit den Worten hinweggeht: εἴδομεν αὐτῷ φῶς τοιοῦτον
ὁποῖον οὐκ ἔστιν δυνατὸν ἀνϑρώπῳ χρώμενον λόγῳ φϑαρτῷ
ἐχφέρειν οἷον ἣν (p.195,9f.), erfindet er flugs eine zweite Ver-
klärungsszene, die er mit seinen doketischen Liebhabereien aus-
füllt. Diese verschiedene Haltung ist meinem Empfinden nach
nur bei verschiedenen Verfassern denkbar, wenn auch gegen-
seitige Abhängigkeit nicht geleugnet werden kann. Und noch
einen andern Gedanken hat Petrus dem Johannes in der Ein-
leitung seiner Predigt entlehnt, dass nämlich die Apostel von
der Person nur das schriftlich überliefert haben, was sie selbst
durch des Herrn Gnade begriffen haben und was von den Menschen
im Fleische erfasst werden konnte, ein Satz, der nach Zabn
(G. K. II, 849, Anm. 2) im griechischen Urtext etwa folgender-
massen gelautet hat: ὅτε τῇ αὐτοῦ χάριτι ἃ ἐχωρήσαμεν ἐγρά-
adeo ut exsensaremur aporistione, proclamantes ad dominum et dicentes:
“miserere nobie, domine, servis tuis. quae possumus, domine, subportare, tu
nobis praesta: haec enim nec videre nec subportare possumus. Die Sehen-
den liegen alle am Boden, nur die blinden Witwen können das Licht, das
in ihre Augen dringt, schauen, sie sehen Christus in der verschiedenen Ge-
stalt. Deshalb lobpreist Petrus den Herrn und weist auf seine frühere Dar-
legung des Wesens Christi zurück: „ergo, fratres, sicut paulo ante vo-
bis rettuli, maior constans deus cogitationibus nostris, sicut ex senioribus
viduis didicimus, quomodo alias et alias dominum viderint“.
1) Origenes (in Matth. XIII, 9) erwähnt ein nichtkanonisches Wort
Jesu, welches ähnliche Gedanken enthält: Διὰ τοὺς ἀσϑενοῦντας ἠσϑένουν
καὶ διὰ τοὺς πεινῶντας ἐπείνων xal διὰ τοὺς διψῶντας ἐδίψων.
Petrusakten. 97
φαμεν χἂν ἔτι ἀσϑενῆ, χωρητιχῶς μέντοι δοκεῖ ὑμῖν τὰ προ-
φερόμενα εἰς ἀνϑροωπίνην oapxa eloeveyxaı!. Auch Leucius
lässt den Johannes seine grosse esoterische Predigt mit den
Worten beginnen (p. 194, 1 ff.): "Avdges ἀδελφοί, οὐδὲν ξένον
πεπόνϑατε οὐδὲ παράδοξον περὶ τῆς εἰς τὸν (κύριον) ἐχδοχῆς,
ὑπου 7ε χαὶ ἡμεῖς, οὕς ἐξελέξατο ἑαυτῷ ἀποστόλους. πολλὰ
ἐπειράσϑημεν" ἐγὼ μὲν ὑμῖν προσομιλῶν (οὔτε εἰπεῖν)
οὔτε γράψαι χωρῶ ἅ τε εἶδον ἅ τε ἤκουσα. χαὶ νῦν
μὲν δεῖ με πρὸς τὰς ἀκοὰς ὑμῶν ἁρμόσασϑαι, καὶ
χαϑ᾽ ἃ χωρεῖ ἕχαστος ἐκείν ω(») ὑμῖν χοινωνήσω ὧν
ἀχροαταὶ δύνασϑε γενέσϑαι, ὅπως ἴδητε τὴν περὶ αὐτὸν
ὀόξαν ἥτις ἣν καὶ ἔστιν xal νῦν καὶ εἰς ἀεί. Das ist die
Uuverture zu dem neuen Evangelium des Leucius. Gerade von
diesem Evangelium weiss Petrus absolut nichts, vielmehr legt er
seiner Predigt die verlesene Stelle aus der sancta scriptura zu
Grunde und illustriert an der Verklärung den Gedanken: „motus
dominus misericordia sua, in alia figura ostendere (se) et effigie
hominis videri, quem neque Iudaei neque nos digne inluminari
possimus. unusquisque enim nostrum sicut capiebat videre, prout
poterat videbat.“ Oder sollte man etwa annehmen, dass Leucius
in den Johannesakten seinen freierfundenen Stoff bereits er-
schöpft hatte, um in der zweiten Schrift nur eine abgeblasste
Dublette zu liefern? M. E. kann nicht zweifelhaft sein, wo das
Original und wo die Kopie zu suchen ist.
Noch ein zweites Stück enthüllt sich als Gedankenanleihe
aus Leucius, ich meine die bereits oben berührte mystische Inter-
pretation des Holzkreuzes. In den Jobannesakten weiht Christus
seinen Lieblingsjünger in das Mysterium ein, dass er nach der
vulgären und niedrigen Anschauung am Kreuze hänge und leide,
in Wahrheit aber gestaltlos über dem Kreuze schwebe. Diese
Partie ist von einem wahrhaft dichterischen Geiste geschrieben
und fügt sich als organisches Glied in das ganze Ensemble ein.
Sie musste unbedingt auf die Leser grossen Eindruck machen
1) Der Verfasser der Thomasakten benutzt den gleichen Gedanken
p. 38, 12 ff. ed. Bonnet: ὁ οὐχ ὁρώμενος παρὰ τοῖς σωματικοῖς ὀφϑαλμοῖς,
τοῖς δὲ τῆς ψυχῆς ἡμῶν οὐδ᾽ ὅλως ἀποχρυπτόμενος, καὶ τῇ μὲν ἰδέᾳ ἀπό-
χριφος, τοῖς δὲ ἔργοις φανερούμενος ἡμῖν" χαὶ ταῖς μὲν πράξεσί σοι ταῖς
πολλαῖς χαϑὼς χωροῦμεν ἐπεγνώχαμέν σε, αὐτὸς δὲ ἀμέτρως δέδωκας
ἡμῖν τὰ δόματά σου χτλ.
Texte u. Untersuchungen. N.F. IX, ı. T
98 Carl Schmidt.
und Epigonen zur Nachahmung reizen. So hat der Verfasser der
Petrusakten, der ersichtlich einen grossen schöpferischen Geist
nicht besass, keinen besseren Stoff und keine tieferen Gedanken
verwerten zu können geglaubt als jene. Freilich ist dieser Petrus
wirklich ans Kreuz geschlagen und hat wirklich den Tod er-
litten; aber ein Abglanz von dem Kreuze seines Herrn, der ihm
auf der Flucht erschienen ist und ihm zugerufen hat: Neil, Πέ-
Tee, πάλιν σταυροῦμαι, ist auch auf ihn gefallen und hat sein
eigenes Kreuz verherrlicht. Der σταυρός ist zu einem μυστήριον
ἀπόχρυφον geworden (p. 91, 20°). Besonders evident wird die
Kopie bei den Worten: ὅστις (86. σταυρός) εἶ δηλώσω σε οὐκ
ἠρεμίσω τὸ πάλαι μεμυχὸς τῇ ψυχῇ μου καὶ κρυπτόμενον τοῦ
σταυροῦ τὸ μυστήριον. σταυρὸς μὴ τοῦτο ὑμῖν ἔστω τὸ φαι-
vouevov, οἱ ἐπὶ Χριστὸν ἐλπίζοντες" ἕτερον γάρ τί ἐστιν παρὰ
τὸ φαινόμενον τοῦτο χατὰ {τὸν τοῦ Χριστοῦ πάϑος (ρ.92, 4f.).
In dem darauf folgenden Kapitel 38 giebt Petrus eine symbo-
lische Erklärung der von ihm gewünschten Kreuzigung mit dem
Kopfe nach unten in Rücksicht auf ihre kosmische Bedeutung,
die mit Benutzung zweier ausserkanonischer Sprüche komponiert
ist, aber in dem Dankgebet Kap. 39 folgt er wieder leucianischen
Gedanken: Aoye ζωῆς, ξύλον νῦν ὑπ᾽ ἐμοῦ εἰρημένον, εὐχαριστῶ
σοι οὐχ ἐν χείλεσιν τούτοις τοῖς προσηλωμένοις, οὐδὲ γλώσσῃ,
δι’ ἧς ἀλήϑεια καὶ ψεῦδος προέρχεται... ... ἀλλ᾽ ἐκείνῃ τῇ φωνῇ
εὐχαριστῶ σοι, βασιλεῦ, τῇ διὰ σιγῆς νοουμένῃ, τῇ μὴ ἐν φα-
νερῷ ἀχουομένῃ κτλ. (vgl. Joh.-Akt. p. 202, 10 f.). Das giebt un-
willkürlich seinem Geiste einen höheren Schwung, und so sind
wir nicht mehr verwundert, wenn wir über Christus die Worte
vernehmen: σὺ xal μόνῳ πνεύματι νοητός" σύ μοι πατήρ, σύ
μοι μήτηρ, σύ μοι ἀδελφός. σὺ φίλος, σὺ δοῦλος, σὺ οἰκονό-
μος σὺ τὸ πᾶν καὶ τὸ πᾶν ἐν σοί" καὶ τὸ ὃν σύ, καὶ οὐκ
ἔστιν ἄλλο ὃ ἔστιν εἰ μὴ μόνος σύ (p.98,2 81), und zum Schluss
die Doxologie: ὅτι σὺ ϑεὸς μόνος χαὶ οὐχ ἕτερος, ᾧ ἡ δόξα
καὶ νῦν καὶ εἰς πάντας τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων" ἀμήν.
1) Die Ausrufungen zu Anfang: ὦ ὄνομα σται ροῦ, μυστήριον ἀπό-
κριφον, ὦ χάρις ἀνέχφραστος ἐπὶ ὀνόματι σταυροῦ εἰρημένη" ὠ φύσις
ἀνθρώπου χωρισϑῆναι ϑεοῦ μὴ δυναμένη" ὦ ἄρρητε φιλία καὶ ἀχώριστε,
διὰ “χειλέων ῥδιπαρῶν ἐκφαίνεσϑαι μὴ διναμέίνη erinnern an ähnliche des
Johannes (p. 192, 17 fl.): ὦ φύσις “μὴ χαταβαλλομένη πρὸς τὸ κρεῖττον" ὦ
πηγὴ ψυχῆς μενούσης ἐν διπῷ" ὦ οὐσία φ«ϑορᾶς σκύτους πλήρης" κτλ.
Petrusakten. 99
Damit glaube ich abbrechen zu können. Die eingehende
Quellenanalyse der Petrusakten hat m. E. mit Evidenz ergeben,
dass der Verfasser neben anderen Schriften insbesondere die
Johannesakten ausgiebig benutzt hat, und dass die frappanten
Übereinstimmungen nicht auf die Verfasserschaft des Leueius
oder eines gleichgesinnten Schülers zurückzuführen sind. Dem
Leucius gebührt vielmehr die Ehre, den ersten Apostelroman
verfasst zu haben; er hat damit, wohl wider sein eigenes Er-
warten, die Bahn für eine ganz neue altchristliche Litteraturgattung
gebrochen, denn seinem Beispiel ist bald der Verfasser der Pau-
lusakten, ebenfalls ein Kleinasiat, gefolgt, und auf beider Schultern
stehend hat der Pseudo - Petrus seinen Roman geschrieben !.
Dies ist m. E. die richtige chronologische Abfolge jener drei
ältesten Akten.
V. Abfassungs-Zeit und -Ort der Petrusakten.
Ich brauche wohl kaum noch zu bemerken, dass durch die
vorhergehenden Untersuchungen dem chronologischen Ansatze
von Lipsius (Apocr. Apostelg. Il, 1, 275) und von Zabn (G.K.
IL 841 u. Einl. i.d. N. T.T', 448), die für die Zeit zwischen 160
und 170 eintreten, der Boden entzogen ist. Es handelt sich jetzt
darum, einen festen Terminus zu gewinnen. Harnack gebührt
das Verdienst, mit gewohntem Scharfsinn auf Grund einer Reihe
allgemeiner Beobachtungen den richtigen Weg gewiesen zu haben.
Nach ihm gehören die Akten höchst wahrscheinlich erst der
Mitte des 3. Jahrh. an; sie noch in dem letzten Decennium des
2. Jahrh. unterzubringen, bestehe kaum eine Möglichkeit. Die
Hauptmerkmale für diese späte Datierung sind folgende (Alt-
ehristl, Litteraturg. II, 553 £.).
1. Die Schrift setze voraus, dass das Christentum in Rom
unter den Senatoren und Rittern weit verbreitet sei?; sie lege
1) Romanfabrikanten, die um des Geldes willen ihre Bücher auf den
Markt warfen, hat es in der ältesten Zeit nicht gegeben.
2) Die römischen Ritter Dionysius und Balbus, Senator Demetrius,
von Paulus bekehrt (p. 48, 2), Senator Marcellus (p. 54, 33‘, die Mutter des
Senators Nicostratus (p. 74, 18), bei der Predigt des Petrus viele Senatoren,
Ritter, reiche Frauen und Matronen gegenwärtig (p. 79, 19f.), die Kebs-
x
100 Carl Schmidt.
sogar dem Nero gegenüber dem christlichen Senator Marcellus
die Worte in den Mund: „ab omni officio te abstineo, ne pro-
vincias expolians Christianis conferas“ (p. 55, 5). So hätte ein
Christ vor der Zeit des Commodus und Septimius Severus nicht
schreiben können, ohne sich durch die Erfindung einer solchen
Situation in der Mitte des 2. Jahrh. lächerlich zu machen !.
2. Ein Hauptzweck der Schrift sei es, zu zeigen, dass Gottes
Barmherzigkeit schrankenlos sei, und dass ebensowohl Ehebrecher
— c.2 sei eigens deshalb ein Geschichtchen eingeschoben — als
Lapsı auf Grund der Reue wieder zugelassen werden und Frieden
(„pax“) erhalten könnten. Wie ein roter Faden ziehe sich das
Interesse hierfür durch die ganze Schrift, s. c. 2. 4. 6. 7. 8. 10.
11. 20. 28. Erst seit 230/50 sei eine solche Haltung verständlich.
3. Die Schrift setze überall selbstverständlich die eine grosse
Kirche voraus mit ihren Bischöfen und Diakonen (c. 27), Wit-
wen (Presbyterinnen) und Jungfrauen (c. 20—22. 29), und mit
jenem Interesse für Almosen und Armenpflege, wie es als
Charakteristicum der christlichen Moral und Religionsbethäti-
gung erst im 3. Jahrh. hervortrete (c. 8. 28. 29). Ex professo
würde ὁ. 30 (= Graec. c. 1) die Frage, ob die Kirche Hurengeld
nehmen dürfe und als Almosen geben, durch eine eingestreute
Geschichte behandelt und bejaht, ja in recht leichtfertiger Weise
behandelt; denn Petrus erwidere den Vorhaltungen gegenüber
lachend: Wie diese Frau lebt, weiss ich nicht; ich habe das Geld
eingestrichen und verwende es für die Knechte Christi. So habe
man in der Kirche vor der Mitte des 3. Jahrh. schwerlich einen
Apostel schreiben lassen dürfen.
4. Der Cento von 11 heiligen Stellen, um die Abkunft von
oben und die wunderbare (teburt Christi zu beweisen, mache den
Eindruck, dem 3. Jahrh. anzugehören. Aus dem zweiten würde
man keine Parallelen zu ihm finden.
weiber des Präfekten Agrippa (p. 51, 14), die Frau des Albinus, des Freundes
des Kaisers (p. 80, 2).
1) Merkwürdigerweise rechnet Clemens Alex. (adumbrat. in 1. Petr.
p. 1007 Potter) kaiserliche Ritter zu Hörern des petrinischen Evangeliums
in Rom: „Marcus Petri sectator praedicante Petro evangelium palam Romae
coram quibusdam Caesareanis equitibus et multa Christi testimonia
proferente, petitus ab eis ut possent quae dicebantur memoriae commendare,
scripsit ex his quae Petro dieta sunt evangelium quod secundum Marcum
voecitatur‘. Besteht zwischen beiden Stellen ein Zusammenhang”?
Petrusakten. 101
5. Die Mitteilung, dass das Haus, in welchem Simon der
Magier geweilt hat, unter Anrufung des Namens Jesu Christi,
also mit geweihtem Wasser gründlich gesäubert wird, sei ein
Zeichen einer späteren Zeit. Dass die ganz absurden Wunder-
geschichten, von denen die Schrift wimmele, nicht im 2. Jahrh.
niedergeschrieben sein könnten, wolle er nicht behaupten, wohl
aber, dass es nicht gerade wahrscheinlich sei, diese Stoffe in das
2. Jahrh. zu verlegen.
Diese Beobachtungen von Harnack hat Erbes in seinem Auf-
satze „Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben“ !
aufgenommen und die Abfassungszeit auf c. 190 unter Commodus
bestimmt. Seine Gründe dafür sind kurz folgende (l. ὁ. S. 164 ff):
1. Die Abfassungszeit fällt längere Zeit vor Commodian, der
um 250 zwei in den Akten stehende Geschichten als Wahrheit
hinnimmt.
2. Euseb. ἢ. 6. V, 21 bezeugt, dass in der Zeit des Commo-
dus viele angesehene Römer, auch Senatoren dem Christentum
zufielen, und eben das bezeugen für dieselbe Zeit die gelegent-
lichen Angaben bei Irenäus ed. Stieren IV, 30, 1 und in den Phi-
losophumena IX, 12. In dieser Zeit konnte man also dieselben
Verhältnisse schon auf die apostolische Zeit zurückverlegen.
3. Nach dem Hirten des Hermas zu urteilen, ist die Haltung
in Bezug auf die Ehebrecher und Lapsi schon viel früher als
230—250 verständlich.
4. Während die Benutzung der vier Evangelien, der pauli-
nischen Briefe, auch der Apostelgeschichte und anderer Schriften
(Ägypterevangelium) vortrefflich mit dem sonstigen Gebrauch in
der Zeit des Commodus stimmt, kommt eine Benutzung von Johannes
K.21 noch nicht vor. Denn wenn der Verfasser schon aus Joh. 21
gewusst hätte, dass Petrus vor andern dazu bestellt worden sei, die
Schafe Christi zu weiden, so war bei der Erwähnung der drei-
maligen Verleugnung die rechte Gelegenheit, das zu sagen. Das
Schweigen darüber beweist dieselbe Unbekanntschaft mit jenem
Kapitel. wie sie noch bei Irenäus vorliegt, wogegen bekanntlich
schon Tertullian dasselbe kennt und benutzt 2,
1) Zeitschrift f. Kirchengeschichte XXII. Bd. 1. Heft S. 1—47 u. 2. Heft
Ss. 161— 231.
2) Dieses Argument ist wenig stichhaltig; denn aus welchem Grunde
hätte Petrus an dieser Stelle von seiner Rehabilitierung durch den Auf-
102 Carl Schmidt.
5. Die absonderliche Geschichte von der Chryse, die dem
Petrus angeblich auf göttliche Eingebung hin 10000 Dukaten für
die Armen schenkt, deren Annahme dem Apostel eine Rüge von
seiten gewisser rigoroser Brüder zuzieht, da die Schenkerin als
Hure in ganz Rom bekannt sei, findet ihre einfache Erklärung
in der Zeit, wo die Kirche in Rom von den guten Diensten und
Gaben der Marcia, der φιλόϑεος παλλαχὴ Κομόδου, grossen Vor-
teil zog.
6. Die Akten machen den Petrus nicht zum eigentlichen
Bischof von Rom, noch viel weniger legen sie ihm schon die
25 Regierungsjahre bei, die ihm bald, um 255, zugeschrieben
wurden, doch gehen sie über Irenäus schon hinaus auf dem Ent-
wicklungsweg des Primats.
Während also Harnack die Abfassungszeit so weit als mög-
lich von dem Ansatze Zahn’s und Lipsius’ abzurücken sich be-
müht, will Erbes sie wieder in das 2. Jahrh. verlegen. M.E. ist
hier Erbes der Wahrheit näher gekommen als Harnack, in-
dem er an dem von letzterem unter Nr. 1 gegebenen Hinweis
auf die Regierungszeit des Commodus und Septimius Severus
festgehalten hat. Nur insofern dissentiere ich von Erbes, als ich
den terminus a quo auf + 200, spätestens auf das 1. Decennium
des 3. Jahrh. bestimme, also die Regierung des Septimius Severus
als die wahrscheinlichste Entstehungszeit bezeichnen möchte.
Freilich sind allgemeine Beobachtungen, so wertvoll sie auch
im einzelnen sein mögen, für eine sichere Datierung wenig
brauchbar; sie können nur subsidiären Wert besitzen. Deshalb
muss man sich nach einer solideren Basis umsehen. Diese finde
ich in der oben erwähnten Thatsache, dass der Verfasser der
Petrusakten in seinem Roman die Simon Magus-Legende und
die Petrustraditionen zu einem Ganzen litterarisch verarbeitet
hat. Betrachten wir nun zunächst die Überlieferungsreihen der
patristischen Zeugnisse über Petrus in Rom: Clemens Romanus
(6. δ), Dionysius von Korinth (Euseb.h.e. II, 25, 8), Irenaeus (adv.
haer. III, 3 u.5), Caius von Rom (Eusek. ἢ. e. II, 25,6), Tertullian
erstandenen reden sollen, da ibm nur die Szene Luc. 22, 61. Matth. 26, 75
vor Augen schwebt. Umgekehrt könnte aus der Thatsache, dass der Ver-
fasser den Kreuzestod des Petrus voraussetzt, auf Kenntnis von Joh. 21
geschlossen werden.
Petrusakten. 103
(de praescr. haer. c. 24. 32. 36, adv. Mare. IV, 5, Scorpiace c. 15),
Kanon Muratori Z. 37, dazu Clemens Alex. (Euseb. ἢ. e. VI, 14,6
und adumbrat. in 1. Petr.); die kirchliche Tradition ist über
die Predigt Petri in Rom und über sein Martyrium daselbst unter
Nero einstimmig, aber nur dieses Faktum wird wiederholt,
darüber hinaus besitzt das 2. Jahrh. keine schriftlich fixierten
Notizen. Dagegen weiss Origenes im 3. Buch seines Genesis-
kommentars (Euseb. ἢ. 6. III, 1, 2) von Petrus zu berichten: ἐπὶ
τέλεε ἐν Ῥώμῃ γενόμενος ἀνεσχολοπίσϑη κατὰ κεφαλῆς, οὕτως
' αὐτὸς ἀξιώσας παϑεῖν. Diese Notiz über die umgekehrte Kreuzi-
gung und die Zurückführung derselben auf den eigenen Wunsch
des Apostels kann nicht aus einer mündlichen Tradition geflossen
sein. Die Quelle finden wir in den Petrusakten, wo es p. 92, 17f.
heisst: ἀξεῶ οὖν ὑμᾶς τοὺς δεσμίους, οὕτως με σταυρώσατε,
ἐπὶ τὴν χεφαλὴν καὶ μὴ ἄλλως" καὶ διὰ τί, τοῖς ἀχούουσιν
ἐρῶ, und gleich darauf: sg δὲ ἀπεχρέμασαν αὐτὸν ὃν ἠξίωσεν
τρόπον, ἤρξατο πάλιν λέγειν" Da nach Eusebius’ Bericht (h. 6.
(1,24, 2) Origenes die ersten $ Bücher des Genesiskommen-
tars noch in Alexandrien ausgearbeitet hat, so fällt die Ab-
fassung vor das Jahr 231, wie viel Jahre vorher, lässt sich
leider nicht bestimmen. Aber dieser terminus ad quem genügt
schon, um den Ansatz von Harnack 230—250 als zu spät zu er-
weisen.
Wie steht es nun mit der Tradition über Simon Magus in
Rom? Justin (1. Apol. c. 26 u. 56), Irenaeus (I, 23, 1), Tertullian
(Apol. 13) berichten einzig und allein von dem Auftreten des
Magiers in Rom unter Claudius und seiner göttlichen Verehrung
durch Errichtung einer Bildsäule; von einem Kampfe zwischen
ihm und dem Apostel und seinem schmählichen Untergange
wissen sie nichts, und dieses Nichtwissen ist um so beredter,
als sie auf das Zusammentreffen beider Act.8,9 ff. Bezug nehmen.
Hippolyt ist der erste Schriftsteller, bei dem die Kombination
„Simon-Petrus gemeinsam in Rom“ auftaucht. Sein Bericht in
den nach 222 verfassten Philosoph. VI, 20 lautet: Οὗτος ὃ Σίμων
πολλοὺς πλανῶν ἐν τῇ Σαμαρείᾳ μαγείαις ὑπὸ τῶν ἀποστόλων
ἠλέγχϑη, καὶ ἐπάρατος γενόμενος. χαϑὼς ἐν ταῖς Πράξεσι
γέγραπται, ὕστερον ἀπευδοχήσας ταῦτα ἐπεχείρησεν' ἕως καὶ
τῆς Ῥώμης ἐπιδημήσας ἀντέπεσε τοῖς ἀποστόλοις: πρὸς ὃν
πολλὰ Πέτρος ἀντικατέστη μαγείαις πλινῶντα πολλούς. Οὗτος
104 Carl Schmidt.
ἐπὶ τέλει ἐλϑὼν ἐν T....ın!, ὑπὸ πλάτανον χαϑεζόμενος ἐδί-
δαῦχε. Καὶ δὴ λοιπὸν ἐγγὺς τοῦ ἐλέγχεσϑαι γινόμενος, διὰ τὸ
ἐγχρονίξειν, ἔφη, ὅτι εἰ χωσϑείη ξών, ἀναστήσεται τῇ τρίτῃ
ἡμέρᾳ. Καὶ δὴ τάφρον κελεύσας ὀρυγῆναι ὑπὸ τῶν μαϑητῶν
ἐκέλευσε χωσϑῆγαι. Οἱ μὲν οὖν τὸ προσταχϑὲν ἐποίησαν, ὃ δὲ
ἀπέμεινεν ἕως νῦν᾽ οὐ γὰρ ἢν ὁ Χριστός. Diese Notiz giebt
Hippolyt am Schluss seines Berichtes über Simon Magus. Hier
liegt eine bereits durch mündliche Lokaltradition bereicherte und
veränderte Legende vor, denn nach römischer Lokaltradition
schmeckt die Erzählung von dem unter einer Platane lehrenden
Simon und seiner lebendigen Bestattung; echt römisch ist die
Legende, Simon habe in Rom den Aposteln, d.h. doch Petrus
und Paulus, widerstanden. Und doch schimmert noch die dieser
Erzählung zu Grunde liegende Quelle durch, wenn Petrus allein
als Widersacher und Besieger erscheint, und an die Geschichte
Act. 8, 9 ff. unmittelbar das Auftreten des Simon in Rom ange-
knüpft wird. Die Nachricht des Hippolyt hat also bereits diese
Darstellung der Petrusakten zur Voraussetzung.
Demgemäss führen die beiden Traditionsketten zu dem über-
einstimmenden Resultat, dass die Akten in der Zeit zwischen
Irenaeus und Origenes-Hippolyt verfasst sind, sodass wir uns von
der Wahrheit nicht zu weit entfernen, wenn wir sie auf + 200,
eventuell auf 200—210 fixieren.
Im Widerspruch damit steht nicht der von Zahn und Lipsius
für eine ältere Datierung geltend gemachte Hinweis auf die
Nachrichten des Clemens Al. über Petrus, da diese nicht den
Akten entnommen sind (8. 0.8. 20f). Mehr Beachtung verdient
1) Die Ergänzung Hilgenfeld’s, Ketzergeschichte S. 182 ἐν τῷ Tir!ıy
ist unmöglich, da nach Hippolyt Simon in Rom starb.
2) Wenn der Marcellustext der Acta Petri et Pauli die Erzählung von
der Selbstbestattung unter der Ankündigung einer Auferstehung nach drei
Tagen in der Form aufgenommen hat, dass Simon Magus sich erboten habe,
an einem dunklen Orte sich den Kopf abschlagen zu lassen, um am 3. Tage
wieder aufzuerstehen, und er in der That diesen Schwindel inszeniert habe
(p. 201 f. ed. Tipsius), infolge dessen Nero den durch den Sturz aus der
Höhe zerschellten Leichnam 3 Tage bewachen liess (p. 211, 15), so berech-
tigt dies noch keineswegs, von einer älteren Grundlage des Marcellustextes
zu sprechen, da der Verfasser der Acta Petri et Pauli in bewusst katholi-
schem Interesse alle vorhandenen Traditionen in die alten Petrusakten
hineingearbeitet hat. Firbes ist hier vollkommen in die Irre gegangen.
Petrusakten. 105
dagegen die Notiz des Verfassers des Kanon Muratori bei Ge-
legenheit der Apostelgeschichte: acta autem omnium apostolorum
sub uno libro scribta sunt, Lucas optime Theophilo comprehendit
quae sub praesentia eius singula gerebantur, sicuti et semota
passione Petri evidenter declarat, sed et profectione Pauli ab
Urbe ad Spaniam proficiscentis (vgl. Zahn G.K. II, 52 ff). Nach
Ansicht des Fragmentisten hat Lucas in der Apostelgeschichte
nur Selbsterlebtes dem Theophilus berichten wollen; dies findet
er durch die Nichterwähnung zweier Fakta, des Martyriums des
Petrus und der Reise des Paulus von Rom nach Spanien, be-
stätigt. Diese auffallende Bemerkung setzt m. E. voraus, dass
der Fragmentist die beiden vermissten Thatsachen als wirkliche
Geschehnisse kennt und zwar nicht auf Grund einer mündlichen
Überlieferung, sondern einer von ihm mit Interesse gelesenen
Schrift. Nur dann wäre m. E. bei der im übrigen so knappen
Fassung ein derartiger Hinweis verständlich. Nun könnte viel-
leicht das Martyrium in einer besonderen Schrift, die Reise nach
Spanien in einer andern beschrieben gewesen sein, aber dann
wundert man sich über das Schweigen inbetreff des Martyriums
des Paulus in Rom, das doch sonst so häufig in den ältesten
Zeugnissen hervorgehoben wird, während ausser dem murato-
rischen Fragmentisten niemand der Reise nach Spanien gedenkt.
So bleibt nur die Annahme übrig, beide Fakta hätten in einem
separaten Werke gestanden, das ebenfalls πράξεις betitelt war
und als willkommene geschichtliche Ergänzung zu den kanoni-
schen πράξεις angesehen wurde. Dieses Werk bildeten die πρά-
seıs Πέτρου, denn dort lesen wir neben dem Martyrium des
Petrus von dem Aufenthalt und der Predigt des gefangenen
Paulus in Rom, von der Weisung des Herrn in einer Vision,
nach Spanien aufzubrechen und das Evangelium zu verkündigen,
und zwar am Anfang des jetzt erhaltenen Stückes der sog. Act.
Vercellenses. Genau wie hier p. 45, 10 u. 51,26 gebraucht der
Fragmentist die seltenere Form „Spania“ statt „Hispania“ und
an beiden Stellen den Ausdruck „proficisci*, sogar p. 45, 12 mit
dem Zusatz „ab urbe“. Beruht diese seltsame Übereinstimmung
auf blossem Zufall? Daran kann ich in Übereinstimmung mit
Zahn (G.K. 11, 844, Anm. 1 u. Forsch. z. Gesch. d. neut. Kanons,
VI, 201, Anm. 3) nicht glauben. Freilich wird man dann die
Abfassungszeit des Kanons nicht an das Ende des 2. Jahrh.,
106 Carl Schmidt.
sondern an den Anfang des 3. Jahrh. verlegen müssen. Die
Akten des Petrus hatten für den Verfasser ein um so grösseres
Interesse, als er selbst zu der römischen Gemeinde gehörte.
Für die Chronologie der Akten ist besonders wichtig das
Zeugnis des Afrikaners Commodian, der nach allgemeiner An-
nahme um 250 gelebt hat. Denn in seinem Carmen apolog.
vs. 623—630 (ed. Dombart) singt er:
... Et deus est, hominem totidemque se fecit,
Et quidquid voluerit, faciet: ut muta loquantur.
Balaam sedenti asinam suam conloqui fecit
Et canem, ut Simoni diceret: Clamarıs a Petro!
Paulo praedicanti dicerent (l. discerent) ut multi de illo,
Leonem populo fecit loqui voce divina.
Deinde, quod ipsa non patitur nostra natura,
Infantem fecit quinto mense proloqui vulgo.
Commodian preist Gottes Wundermacht, die sich zwecks Be-
kehrung Ungläubiger in der Verleihung menschlicher Sprache an
stumme Tiere und Säuglinge kundthut. So hat einst die Eselin zu
Bileam geredet, ein Hund zu Simon [Magus] gesprochen, dass er
von Petrus gerufen werde, ein Löwe zur Unterstützung der Predigt
des Paulus eine Anrede ans Volk gehalten und zuletzt ein Säug-
ling von 5 Monaten zum Volke gesprochen. Die Herkunft des
ersten Wunders ist bekannt, die drei andern finden sich in den
kanonischen Schriften nicht. Was von dem redenden Hunde ge-
sagt ist, liest man dagegen in den Petrusakten c.9 (=p.56, 19 ff.).
Als nämlich Petrus auf seinem Wege zum Hause des Marcellus,
wo Simon Magus weilt, von einer grossen Menge begleitet wird,
kündigt er ein grosses Wunder an; er löst einen gewaltigen
Hund von seiner Kette, der sofort mit menschlicher Stimme zum
Apostel redet: Quid me iubes facere, servus inenarrabilis dei vivi?
Pa giebt dieser ihm den Auftrag: Intra et die Simoni in medio
eonvento suo: Dieit tibi Petrus: procede in publicum, tui enim
causa Romae veni, inprobissime et sollicitator animarum sim-
plicum. Der Hund richtet den Auftrag zum allgemeinen Er-
staunen aus; Marcellus wendet sich sofort von Simon ab, letzterer
selbst ist bestürzt und giebt dem Hunde die Weisung an Petrus,
zu sagen, er (Simon) wäre nicht drinnen (cap. 12 = p. 59, 33 ff.).
Da erwidert der Hund dem Simon: Inprobissime et inpuderate
Petrusakten. 107
et inimieissime omnium animantium et credentium in Christum
lesum, missum ad te mutum animal et vocem humanam
accipientem, ut te argueret et conprobaret planum et
deceptorem. tot horis cogitasti, ut diceres: ‘Die quia non sum
hie’ 1; non te puduit, vocem tuam infirmem et inutilem emittere
contra ministrum et apostolum Christi Petrum, tamquam latere
possis eum qui me iussit loqui contra faciem tuam? et hoc non
tui causa, sed horum quos seducebas et in perditionem mittebas.
maledictus itaque eris, inimice et corruptor viae veritatis Christi,
yui probabit iniquitates tuas quas gessisti igni immortali, et tene-
bris exterioribus 6118. Darauf kehrt der Hund, von einer grossen
Menge begleitet, zu Petrus zurück, meldet ihm die Zusammen-
kunft mit Simon und weissagt zugleich: Petre, agenem magnum
babebis contra Simonem inimicum Christi et servientibus illi;
multos autem convertes in fidem seductos ab eo. propter quod
accipies mercedem a deo operis tuil. Nach diesen Worten fällt
der Hund tot zu Boden', die Menge aber stürzt sich ob des
Wunders mit dem redenden Hunde Petrus zu Füssen.
Auch das dritte ausserkanonische Beispiel von dem mit männ-
licher Stimme begabten Säuglinge findet sich in den Petrus-
akten c. 15 (= p. 61, 30 ff). Dort giebt Petrus einem Weibe mit
einem 7 Monate alten Säuglinge? den Auftrag, zu Simon zu
gehen, selbst aber nicht zu reden, sondern zu hören, was dieser
sagt. Der Säugling nimmt eine vox virilis an und redet zu Simon
also: O horrende deo et hominibus, 0 exterminium veritatis et
corruptionis (?) semen pessimum, o infructuosum fructum naturae!
sed in brevi et in minimo adparens, et post haec poena aeterna
te manet. de inpuderato patre natus, qui numquam in bono, sed
in veneno radices emittis, incredibile genus et omni spe desti-
tute: cane te arguente non es confusus; ego infans cogor a
deo loqui et nec sic erubescis etc. Das Weib kehrt darauf zu
Petrus zurück und meldet das Geschehene; die Brüder aber
preisen den Herrn ob dieses Wunders.
1) In cap. 11 weissagt ein dämonischer Jüngling die Szene zwischen
dem Hunde und Simon und den Tod des ersteren nach Vollendung seines
Auftrages.
2) Nach Commodian ist der Säugling erst 5 Monate alt, doch ist dies
m. E. nur eine freie dichterische Umbildung, vielleicht durch das Metrum
veranlasst.
\
108 Carl Schmidt.
Das zweite von Commodian angeführte übermenschliche Er-
eignis mit dem redenden Löwen dient dem gleichen Zwecke, dass
nämlich die göttliche Wundermacht die Heiden für die Predigt
des Apostels gewinnt, Zahn (G. K. Il, 844, Anm. 2) findet es
wegen der Stellung zwischen zwei Stücken aus den Petrusakten
mindestens sehr wahrscheinlich, dass auch diese Geschichte aus
denselben genommen sei, zumal da in den Petrusakten auch von
der Wirksamkeit des Paulus in Rom gehandelt wäre. An die
Akten der Thekla und des Paulus oder die eigentlichen Paulus-
akten zu denken, wie Lipsius zur Wahl stelle (Apocr. Apostelg.
II, 446 u. Proll. p. XCVI), verbiete der Charakter dieser Bücher.
— Das letzte Argument von Zahn ist ganz hinfällig, da die in
den Paulusakten erzählten Wundergeschichten sich in nichts von
denjenigen der Petrusakten unterscheiden. Ebensowenig verschlägt
das aus der Stellung des Stückes geschöpfte Argument, denn
diese Stellung war direkt durch die Disposition vorgeschrieben;
handelte es sich doch zunächst um Belege für die gottgewirkte
menschliche Sprache der stummen Tiere. Deshalb folgen Esel, Hund
und Löwe aufeinander; erst darauf konnte der Dichter das Bei-
spiel von dem infans bringen und das Wunderbare des Vor-
ganges mit den Worten charakterisieren: quod ipsa non patitur
nostra natura. Und zuletzt, um auch dies nicht unerwähnt zu lassen,
eine längere Geschichte über Paulus im Rahmen der Petrusakten
ist, abgesehen von dem Eingang der Act. Verc., ein Ding der Un-
möglichkeit. Es bleibt dabei, der Dichter hat dieses Beispiel den
Paulusakten entnommen, nur ist fraglich, wo diese Szene stattge-
fanden hat, da sie sich in den uns lückenhaft überlieferten kop-
tischen Fragmenten der Akten nicht vorfindet. Wahrscheinlich
besteht die Vermutung von Lipsius zu Recht, der Vorgang habe
sich in Ephesus abgespielt, da nach dem Bericht des Nicephorus
Call. ἢ. e. 11,25 Paulus einen Tierkampf im Amphitheater daselbst
zu bestehen hatte, in dessen Verlaufe sich ein gewaltiger Löwe
zu den Füssen des Apostels niederlegte, der später nach der wun-
derbaren Rettung des Paulus aus Todesgefahr in die Berge floh.
Dass dieser Löwe vor seiner Flucht mit menschlicher Stimme zu
dem im Amphitheater versammelten Volke, — denn an unserer
Stelle handelt es sich gerade um eine Volksversammlung, — ge-
sprochen habe, würde ganz vortrefflich zu der Szene passen.
Demgemäss hat Commodian nicht nur die Paulus-, sondern
Petrusakten. 109
auch ohne jede Unterscheidung in der Wertbeurteilung die Petrus-
akten mit gläubigen Augen gelesen, ja sie gleichsam wie das
A. T. in den Händen weiter christlicher Kreise vorausgesetzt.
Dies harmoniert auf das beste mit der Haltung des Hippolyt
den Paulusakten gegenüber, der diese im Danielkommentar III, 29
ed. Bonwetsch p.176f. ebenfalls mit dem A. T. auf gleiche Linie
stell. Wenn aber diese Voraussetzung zu Recht besteht, dann
müssen wir die Entstehungszeit der Petrusakten um einige De-
cennien hinaufrücken, zumal da in der afrikanischen Kirche
nur eine lateinische Übersetzung verbreitet gewesen sein kann.
Ich will daran gleich die Frage nach dem Entstehungsorte
der Schrift anschliessen. Harnack (Altchristl. Litteraturg. II, 559)
möchte sie der groben Unkenntnis des Verfassers und des Man-
gels jeder intimeren Lokalkenntnis wegen nicht gern nach Rom
versetzen, doch Rom nicht absolut ausschliessen. Nach Lipsius
(Apocr. Apostelg. 1], 1,274) lässt sich der römische Ursprung aus
den paar vereinzelten, dem Erzähler vielleicht durch dritte Hand
zagekommenen Notizen nicht mit Sicherheit schliessen. Zahn
ıG. K. 11, 841) plädiert um der Johannesakten willen für Klein-
asien. Es wäre nämlich bei der römischen Entstehung schwer
zu erklären, dass von den alten Traditionen über die Todes- und
Begräbnisstätte des Petrus hier keine Spur zu finden sei.
Andererseits wisse der Verfasser einige römische Örtlichkeiten
zu nennen: ein forum Iulium (Ὁ 62,8), eine via sacra (82,5), ein
hospitium Bytinorum (? 49, 16). Er wisse auch von Aricia bei
Rom (48,21; 84,7), von der Verbindung Roms mit seinem Hafen
durch Strasse und Fluss (48, 12f.), von Terracina und Puteoli
als Städten in Italien (51, 13; 84, 8). Er habe auch Kunde von
der auf Simon Magus umgedeuteten Bildsäule zu Rom. Aber
alles dies hätte jemand wissen können, ohne Rom je gesehen zu
haben. Und wie viele Christen des 2. Jahrhunderts hätten Rom
besucht, ohne dort für immer zu bleiben! — Im Gegensatz dazu
ist Erbes (l. ec. S. 171 f) mit besonderem Nachdruck für Rom
eingetreten. Er stellt folgende Hauptmerkmale auf:
1. An welcher Strasse das Grab des Petrus liege, brauchte
kein Schriftsteller den Leuten in Rom zu erzählen (vgl. Polykarp
in Smyrna), und für die Auswärtigen genügte leicht der Name
der Stadt.
3. Die Actus Petri wissen nicht bloss, dass man auf dem
110 Carl Schmidt.
Tiber und auf der Landstrasse zum Hafen (Ostia) gelangt, son-
dern auch, dass die Strasse von Puteoli nach Rom silice strato
den Pilgern concussio verursacht (53, 2, vgl. auch via asperrima
52, 32).
3. Die via sacra (82, 5) ist fast so geläufig wie die Tempel
und Berge Roms, über denen Simon emporschwebt (82, 18).
4. Bezeichnenderweise ist die Streitverhandlung des Petras
mit Simon auf das forum lulium p. 62, 8; 65, 31 cf. p. 70, 26;
73, 20; 75, 8 verlegt, da dieser von Julius Caesar angelegte, da-
her forum Caesaris oder Julii genannte Platz nach dem um 160
n. Chr. in Rom selbst schreibenden Appian de bello eivili 11, 102
ausdrücklich nicht zu Kaufzwecken, sondern zur Ausfechtung von
Streitfragen dienen sollte. Von hier war das Pflaster der via
sacra nicht weit entfernt.
5. Der Name des p. 49,16 genannten hospitium Bytinorum,
ın welchem ein Stamm von paulinischen Gläubigen zurückblieb,
der sich von Simon nicht verführen liess, ist keine spätere Er-
dichtung, sondern bewahrt eine alte Erinnerung an das von
Paulus schon rühmlich erwähnte Haus der Prisca und des Aquila,
da Pontus und Bithynien eine Provinz bildeten, die oft kurzweg
Bithynia hiess.
Der von Erbes zuletzt berührte Punkt kann m.E. ohne jeden
Schaden für die These aufgegeben werden, da die Reminiscenzen
an die römische Urgemeinde wenig probabel erscheinen. Der-
artige hospitia für die Fremdlinge aus aller Herren Ländern be-
sassen sicherlich nicht allein die Christen, sondern auch die
Heiden. Höchstens könnte man annehmen, der Verfasser der
Akten wäre von Bithynien nach kom ausgewandert. Auch das
Haus des Marcellus wird als ein hospitium vorgestellt, da es
nach p. 55, 4 domus peregrinorum et pauperorum hiess. Ein
ähnliches hospitium wird in Puteoli vorausgesetzt (p. 51, 15. 19).
Im übrigen möchte ich für meine Person mich ebenfalls für
Rom entscheiden; daneben könnte noch Jerusalem ın Betracht
kommen, da dort der erste Teil der Akten sich abspielt, und ich
darf hier die richtige Bezeichnung des Nordthores von Jerusalem
als porta quae ducit in Neapolim (s. ο. S. 80) nicht unerwähnt
lassen, denn dieser Kunde liegt die Thatsache zu Grunde, dass
zur Zeit des Verfassers das um 72 n. Chr. gegründete Flavia
Petrusakten. 111
Neapolis das ältere Samarıia - Sebaste bereits überflügelt hatte !.
Ein Provinziale in Ägypten oder Kleinasien hätte am wenigsten
derartige topographische Kenntnisse von Jerusalem besitzen
können, viel eher konnte doch wohl ein Christ in Rom sich über
Jerusalem orientieren, wenn man an den engen Zusammenhang
der römischen Juden mit Palästina denkt. Ob der erste verlorene
Teil der Akten noch andere topographische Angaben über Jeru-
salem enthielt, lässt sich leider nicht mehr bestimmen. Nach
dem Abendlande weist aber m. Εἰ. die Berührung mit dem römi-
schen Symbol und die besondere Stellung zu den groben Sündern
und Lapsiı; denn diese praktischen Fragen beschäftigten seit den
Tagen des Hermas die römische Gemeinde und führten hier zu-
erst zu der Abschwächung der altchristlichen Disziplin. Unbe-
dingt stand der Verfasser auf Seiten der Kirche gegenüber den
montanistischen Rigoristen, sonst hätte er kaum die Chryse-Ge-
schichte so lax von Petrus behandeln lassen. Überhaupt ist er
kirchlich-religiös interessiert, während in den Johannesakten der
spekulativ gerichtete Theologe die Feder führt.
VI. Charakter der Petrusakten.
Bis in die jüngste Zeit galten die Akten allgemein als Pro-
dukt der Gnostiker resp. als Fabrikat jenes Leucius, der die
Johannesakten verfasst hat. Aber zu welcher Sekte dieser Leu-
cius zu rechnen sei, wusste man nicht genau anzugeben. Wäh-
rend Zahn G.K. 11,864 dafür eintrat, dass er nicht zu der Kirche
des verhassten Marcion und nicht zur Schule Valentins gehöre,
steht für ihn nach den Veröffentlichungen von James und Bonnet
der valentinianische Charakter fest (N.K.Z.X, 211). Wir können
diesen angeblichen Valentinianer Leucius für jetzt auf sich beruhen
lassen, nachdem die Identität der Verfasserschaft der beiden
Schriften zurückgewiesen ist. Harnack gebührt auch hier das
Verdienst, den alten Bann gebrochen und an der Hand des über-
lieferten Textes die Frage, ob gnostisch oder katholisch, ernst-
lieh geprüft zu haben. Für den katholischen Charakter der
Petrusakten macht er folgende Merkmale geltend:
1) Leider lässt sich dieser Punkt für die Datierung der Akten nicht
verwerten, da wir nicht wissen, wann diese Bezeichnung des Thores auf-
gekommen ist.
112 Carl Schmidt.
1. Die Schrift zeigt schlechterdings an keinem Punkt, dass
sie aus den Kreisen einer Winkelgemeinde stammt, die der grossen
Kirche feindlich gegenübersteht.
2. Die Schrift macht von alttestamentlichen Schriften direkt
und indirekt einen umfangreichen Gebrauch und bezeichnet sie
als heilige prophetische Schriften. Zum Überfluss heisst es c. 13:
„tractabat eis Petrus de profeticas scripturas et quae do-
minus noster [6808 Christus egisset et verbo et factis.“ Der alt-
testamentliche. Gott ist selbstverständlich der Vater Jesu Christi,
und die Haltung dem A.T. gegenüber ist die korrekt katholische.
3. Ebenso benutzt die Schrift die vier Evangelien, die Apostel-
geschichte, und Spuren der Benutzung paulinischer Briefe, vor allen
des Römerbriefes, sind unverkennbar. Auch hier ist also Alles
katholisch.
4. Dasselbe gilt von der Lehre. Es findet sich nicht wenig
Lehrhaftes in der Schrift, und Alles ist gut katholisch. Zunächst
klingt an vielen Stellen das römische Symbol, resp. die Glaubens-
regel an, ferner, Christus heisst häufig „deus“ oder mit der be-
kannten Formel des 3. Jahrh. „deus et dominus meus [6815 Chri-
sus“ (c. 26); aber weder findet sich ein bestimmt ausgeprägter
Modalismus (was übrigens ın der 1. Hälfte des 3. Jahrh. nicht
häretisch sein würde), noch auch nur ein solcher Doketismus,
wie bei Commodian. Der Katholizismus und zwar nicht ein
Katholizismus älterer Zeit erweist sich aus dem Stellenkomplex
(c.24) von 11 Citaten, um die Abkunft von oben und die wunder-
bare Geburt Christi zu beweisen.
5. Das Abendmahl wird in den Akten von Petrus mit Brot
und Wasser gefeiert. Das liegt auch auf der Grenze des kirchlich
Erträglichen, aber fällt bis zur Mitte des 3. Jahrh. doch noch in
diesen Bereich hinein. Ebenso fällt die geschlechtliche Askese
(auch in der Ehe), die der Verf. predigt, durchaus noch in diesen
Bereich. Er predigt sie auch nicht eigentlich, sondern er bezeugt
sie für die apostolische Zeit, die ihm bereits auf einer von der
Gegenwart nicht zu erreichenden Höhe steht. Das ist die vulgär
katholische Stimmung.
6. Die Überlieferung, dass die Apostel nach der Auferstehung
des Herrn 12 Jahre (auf Befehl des Herrn) in Jerusalem geblieben
sind, ist nicht häretisch, sondern kirchlich.
Petrusakten. 113
Den Fussstapfen Harnacks folgend hat auch Erbes (L c.
3. 164) der Schrift einen katholischen Charakter und Ursprung
zugeschrieben, ebenso scheint Ehrhard (Die altchristl. Litteratur
1900, S.157) wankend geworden zu sein. Zahn dagegen hält mit
andern Gelehrten an dem gnostischen Charakter nach wie vor
unerschüttert fest. M. E. kann die Entscheidung der Kontroverse
nur im Sinne von Harnack getroffen werden.
Durch meinen vorhin geführten Nachweis der Benutzung der
Jobannesakten durch den Verfasser der Petrusakten sind die von
Zahn und anderen gegen die Lehre geltend gemachten Bedenken
vollkommen gehoben. Das angebliche Fortschreiten von gemein-
christlicher Redeweise zu immer tiefer in die Geheimlehre ein-
führendem Vortrag findet seine Erklärung einfach darin, dass der
Verfasser gerade am Schluss in Ermangelung eigener Erfindungs-
gabe seinen Helden mit leucianischen Gedanken ausstaffiert hat,
die natürlich zu den übrigen Stücken wenig passen wollen; aber
von dem Doketismus des Leucius hat er sich vollkommen frei
gehalten.
Den Hauptbeweis für den gnostischen Charakter der Schrift
glaubt Zahn der Stellung des Verfassers zum geschriebenen
Evangelium entnehmen zu können. Petrus tritt nämlich nach
c. 20 in die römische Gemeindeversammlung ein und findet sie
mit der Verlesung des Evangeliums beschäftigt. Er rollt die
Schriftrolle zusammen und beginnt seine Anrede mit den Worten:
„Viri, qui in Christo creditis et speratis, scitote, qualiter debeat
sancta seribtura domini nostri pronuntiari. quia gratia ipsius
quod cepimus, seribsimus, etsi adhuc vobis infirma videntur, ca-
paciter tamen quae proferuntur in humana carne inferri. debe-
mus ergo prius scire dei voluntatem seu bonitatem, quoniam per-
füsa olim inplanatione et hominum multa milia in perditione
mergentium, motus dominus misericordia sua, in alia figura
ostendere (se) et effigie hominis videri. quem neqne Judaei neque
nos digne inluminari possimus. unusquisque enim nostrum sicut
eapiebat videre, prout poterat videbat. nunc quod vobis lectum
est, iam vobis exponam.” — Daraus hat nun Zahn (G. K. 1},
949 6.) folgende Schlüsse gezogen: 1. Die Apostel haben nur das
geschrieben, was sie zu fassen vermochten, und sie waren zu
der Zeit ihres Verkehrs mit Jesus ebensowenig wie die Juden
imstande, die ganze (sottesoffenbarung in der Person Jesu voll-
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1. 8
114 Carl Schmidt.
kommen aufzufassen. Ein jeder sah eben nur das, was er zu
sehen fähig war, und es bleibt dahingestellt, bis zu welchem
Grade diese bei den verschiedenen Subjekten verschiedene Auf-
fassung der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht. Petrus ver-
anschaulicht diese gnostische Ansicht durch Darstellung seiner
Gedanken und Erlebnisse bei der Verklärung auf dem Berge.
2. Das „Evangelium“ der Gemeinde jener Zeit ist unsere Evan-
geliensammlung. Aber eben dies Evangelium erklärt Petrus für
ungenügend. Er als Augen- und Ohrenzeuge kann auch solches
mitteilen, was nicht im Evangelium enthalten ist, und als einer, der
inzwischen in der Erkenntnis fortgeschritten ist, eine weit über
das geschriebene Evangelium hinausgehende mystische Gnosis
verkündigen. — Daran knüpft Zahn die weitere These, der
Verfasser führe p. 94, 12 ein Wort Jesu ausdrücklich als ein
solches an, welches Jesus als Geheimlehre mitgeteilt habe, ja ein
anderes Herrenwort (p. 58, 5) enthülle geradezu das Fundament
der gnostischen Ansicht von der notwendigen Ergänzung der
Schrift durch die Geheimtradition.
Ich kann diese Erklärung Zahns nur als eine gewaltsame
„Interpretation“ der Stelle bezeichnen; hier sind dem Verfasser
Gedanken supponiert, die gerade das Gegenteil bilden von dem,
was er hat sagen wollen. Betrachten wir zunächst das Ganze
nach seinem natürlichen Verständnisse. Petrus trifft die Gemeinde
bei der Verlesung der Verklärungsszene. Die vor ihm aufge-
schlagene Rolle der Evangelienhandschrift rollt er zusammen,
nicht um damit gleichsam symbolisch sein Nichtgebundensein an
das geschriebene Evangelium zum Ausdruck zu bringen, sondern
weil es der Sitte des Gemeindegottesdienstes entsprach, nach der
Verlesung des Textes die Rolle wegzulegen, gerade so wie es
Jesus selbst Luk. 4, 20 ın Nazaret gethan hatte. Der verlesene
Text giebt von selbst dem Prediger den Gedanken an die Hand,
dass bei der Verklärung das wahre Wesen des auf Erden er-
schienenen Göttlichen zur Darstellung gekommen wäre, und dass
Christus von Rechts wegen in dieser seiner wahren Gestalt wäh-
rend seines Wandels unter den Menschen hätte auftreten müssen;
aber, um die Erlösung der verlorenen Menschen zu erwirken,
musste Christus ebenfalls Menschengestalt annehmen, denn nie-
mand hätte ihn in der Fülle seiner Majestät erfassen können.
Die Apostel selbst unterliegen denselben Gesetzen der mensch-
Petrusakten. 115
lichen Beschränktheit gegenüber dem Göttlichen, aber einmal
hat Christus den Wunsch gehabt, seine Majestät wenigstens seinen
vertrautesten Jüngern zu offenbaren; zu ihnen gehörte der Sprecher
selbst. Doch dieser eine Versuch hat deutlich illustriert, dass
der göttliche Glanz für das menschliche Auge zu blendend ist;
deshalb nimmt Christus wieder seine ursprünglich menschlich
fassbare Gestalt an. — Diese Erinnerungen tauchen bei Petrus
auf, als er den Text Matth. 17, 1 ff. hört, und sofort drängt sich
ihm der Gedanke an die inadäquate Darstellung des Wesens
Christi im geschriebenen Evangelium zu der wirklichen
Fülle der Gottheit auf. Für den Verfasser der Akten steht ja
das geschriebene Evangelium im Vordergrund des Interesses.
Wenn Petrus sich selbst zu den Verfassern des Evangeliums
rechnet, so braucht man darin keine besondere Beziehung auf
das Markusevangelium zu erblicken, sondern nur das allgemeine
Bekenntnis der Gemeinde zu der apostolischen Verfasserschaft.
Die sancta scriptura domini ist nun freilich nicht ein einzelnes
Buch, vielmehr das εὐαγγέλιον τετράμορφον. Hat aber dem Ver-
fasser dieses εὐαγγέλιον Terpauopyo» vor Augen geschwebt, so
werden ihn dieselben Gedanken wie seine Zeitgenossen Irenaeus,
Clemens Alex.. den Verfasser des Kanon Muratori und der Mon-
archianischen Prologe beschäftigt haben, weshalb das Evan-
gelium der Gemeinde in vier, von vier verschiedenen Schrift-
stellern verfasste Evangelien zerfällt und so mannigfaltige Ab-
weichungen zeigt; es hätte doch ein einziges Werk aus der
Feder eines Apostels genügt. Und noch dazu das vierte und
letzte Evangelium, welches einen so ganz abweichenden Charakter
trägt! Die Antwort konnte nur in der Richtung erfolgen, dass
durch die Gnade Christi ein jeder nach seinem Fassungsvermögen
geschrieben habe. Damit ist nuu nicht gesagt, dass die Evan-
gelien in ihrer Gesamtheit oder eines derselben ungenügend sei
und eine Ergänzung durch die Geheimtradition erfordere, im
Gegenteil, diese sind die vollkommensten Darstellungen des gött-
lichen Wesens auf Erden vom Standpunkte der Verfasser sowohl
wie der Leser aus begriffen. Unsere menschliche Natur kann
eben nichts Höheres erfassen, aber sie muss ahnen, dass hinter
dieser menschlichen Gestalt ein göttliches Wesen von unbegreif-
licher und unbeschreiblicher Majestät steht, wie es sich in der
Verklärung auf dem Berge für einen Moment den Augen der
gr
116 Carl Schmidt.
vertrautesten Jünger offenbart hat. Irgendwelche Heterodoxien
suche ich vergebens, und wie gut katholisch der Verfasser fühlt.
lehren die von ihm citierten neutestamentlichen apokryphen Aus-
sprüche Jesu. Merkwürdigerweise hat bisher niemand für den
katholischen Charakter der Schrift die besonderen Einführungs-
formeln der Citate geltend gemacht, nämlich p. 58,5: audivi enim
et hoc eum dixisse, p. 94, 12: περὶ οὗ ὁ κύριος ἐν μυστηρίῳ
λέγει und p. 96, 7: περὶ οὗ τὸ πνεῦμα λέγει. Unbedingt will
doch der Verfasser damit zum Ausdruck bringen, dass er diese
Citate nicht dem Evangelium der Gemeinde, sondern andern
Schriften entnommen habe, die zwar nicht die gleiche aposto-
lische Autorität besitzen, aber trotzdem von grossem Werte sind.
Vollends darf man die Worte , ἐν μυστηρίῳ“ nicht als Geheim-
lehre deuten; sie sind, wie Harnack richtig bemerkt, sachgemäss
und harmlos, denn der Spruch ist wirklich änigmatisch, da erst.
eine kosmologische Erklärung den wahren Sinn ans Licht bringt.
Genau dieselbe Haltung können wir bei allen altchristlichen
Schriftstellern seit Irenaeus beobachten, eine Haltung, die bei
einem Gnostiker ganz unverständlich wäre. Schon dieser eine
Punkt würde m. E. genügen, um alle noch vorhandenen Bedenken
ohne weiteres zu heben. : Die Wundergeschichten und die aske-
tischen 'Tendenzen bieten in gleicher Weise die Paulusakten.
deren katholischen Ursprung selbst Zahn nicht leugnet. Dabei
wird stets die Meinung wiederholt, die gnostischen Apostel-
geschichten seien gedichtet, um mittelst der allezeit willkommenen
Wunderlegenden den damit künstlich verflochtenen Lehren und
Parteianschauungen bei den Christen Eingang zu verschaffen.
Vergeblich habe ich die Petrusakten nach dieser Richtung hin
durchmustert. Oder sollte etwa die stetig wiederholte Versiche-
rung, dass der gnädige Gott sich der in Sünde und Irrtum ver-
strickten Christen erbarme, wenn sie in Reue sich wieder zu ihm
wenden, die gnostische Maske sein, unter der man sich bei den
Gläubigen einschleichen wollte? Ein derartiger Gnostieismus ist mir
unbekannt. Auch von einer auf dualistischer Grundlage ruhen-
den Weltanschauung finde ich nicht die geringste Spur. Wenn
überhaupt den grossartig angelegten Untersuchungen von Lipsius
ein Vorwurf gemacht werden kann, so ist es der, dass er den
Begriff des Gnostischen nicht scharf formuliert, sondern sich mit
allgemeinen Kriterien, z. B. dem Hervortreten asketischer Grund-
Petrusakten. 117
sätze und starker Fabeleien, begnügt hat. Lipsius hat wenigstens
mit bewundernswerter Konsequenz diesen Kanon durchgeführt
ınd Schriften wie die Theklaakten zu den gnostischen Produkten
gerechnet; aber seinen Nachfolgern kann dies nicht mehr zugute
kommen, da sie den strengen Kanon durchbrochen haben. Und
zuletzt noch ein bisher für den katholischen Charakter der Petrus-
akten nicht geltend gemachtes Argument! Welcher Gnostiker
hätte denn den in der Grosskirche als Erzketzer und Begründer
der gnostischen Häresie viel verlästerten Simon Magus so schmäh-
lich von Petrus entlarvt und besiegt werden lassen? Der in den
Petrusakten geschilderte Simon ist ja nicht allein der Magier
oder die δύναμις μεγάλη, sondern der ἙἙστος. als welcher er
sich selbst kurz vor seinem Ende proklamiert, wenn er folgende
Anrede an die Römer hält (p. 80, 33 fl): „lvdoss Ῥωμαῖοι, γῦν
δοκεῖτέ μου χατισχῦσαι τὸν Πέτρον ος δυνατώτερον χαὶ μαλ-
λον αὐτῷ προσέχετε; ἠπάτησϑε. αὔριον γὰρ ἐγὼ καταλιπὼν
ὑμᾶς ἀϑεοτάτους χεὼὶ ἀσεβεστάτους ἀνειπτήξομαι πρὸς τὸν
ϑεόν, οὗ ἡ δύναμις ἐγώ εἰμι ἀσϑενρήσασα. εἰ οὖν ὑμεῖς πεπτώ-
χατε, ἰδὲ ἐγώ εἰμι ὁ Ἑστώς᾽ καὶ ἀνέρχομαι πρὸς τὸν πα-
τέρα καὶ ἐρῶ αὐτῷ Κἀμὲ τὸν Ἑστῶτα υἱόν σου κατακλῖ-
ναι ἠϑέλησαν᾽ ἀλλὰ μὴ συνϑέμενος αὑτοῖς εἰς ἐμαυτὸν ἀνέδρα-
ον. Der Lateiner bietet: Viri Romani, putatis, quod Petrus me
vieit, quasi fortior sit me? sic illum adtenditis tamquam poten-
tiorem me: perseduxit enim vos. sed crastina die volabo ad do-
minum, cuius ego virtutem + novi, quia vos caecidistis me, et
ego vario ad patrem omnium et dico illi: "Iniuriam mihi fecerunt
7 filü tui; ego ad te ideo reversus sum. Der lateinische Text
ist offenbar stark verderbt überliefert, vor allem fehlt das zwei-
mal im Griechischen wiederkehrende Ἑστώς. Das muss aber
ursprünglich sein, denn als Ἑστώς genoss Simon nach Clemens
Al. Strom. I], 11, 52! und Hippolyt Philosoph. VI, 17 bei seinen
Anbängern die höchste Verehrung, galt er doch als die Inkar-
nation der Gottheit selbst, der den ‚Juden als υἱός, den Samari-
tanern als πατήρ, den Heiden als πρεῦμα ayıov erschienen sei
‘Iren. adv. haer. I, 23,1, Hippolyt Philos. VI, 19). Diese gnostische
Ansicht schimmert noch durch, wenn Simon von seinem πατήρ
1) οἱ δὲ ἀμφὶ τὸν Σίμωνα τῷ Ἑστῶτι ὃν σέβουισιν ἐξομοιοῦσθαι
τρούπον βούλονται.
118 Carl Schmidt.
redet und sich als dessen υἱός bezeichnet, trotzdem aber die
Wesenseinheit der beiden voraussetzt, da er von sich aussagt:
εἰς ἐμαυτὸν ἀνέδραμον. Schlimmer hätte m. E. ein Gnostiker,
selbst wenn er der valentinianischen Schule angehörte, seinen
eigenen Glauben nicht herabsetzen können. Das hiesse doch offen
für die Grosskirche Propaganda treiben!
Aber widerspricht nicht diese Anschauung, um von den
Modernen zu schweigen, der Tradition der Kirchenväter, die
übereinstimmend die Apostelakten (mit Ausnahme der Paulus-
akten) als häretische Produkte verworfen haben? Hier liegt gerade
das πρῶτον ψεῦδος der ganzen Konstruktion. Es gilt den fun-
damentalen Irrtum aufzudecken, als ob das 3. Jahrh. die Apo-
kryphenlitteratur in gleicher Weise beurteilt habe wie das 4. und
die späteren Jahrhunderte. Bereits in meiner Abhandlung über
den „Osterbrief des Athanasius vom J. 367°! habe ich meinen
abweichenden Standpunkt zum Ausdruck gebracht: „Noch heute
schwebt über jedem apokryphen Werke das Verdikt des Häre-
tischen oder des Gnostischen, was leider immer als gleichbedeu-
tend angesehen wird. Man nehme nur die Ausgaben und die Unter-
suchungen über die apokryphen Apostellegenden — ich denke
vor allem an Lipsius — zur Hand, sie gelten allgemein als
gnostische Fabrikate, und doch kann man mit gutem Gewissen
behaupten, dass die Gnostiker nicht ein einziges Stück dieser
Romanlitteratur verbrochen haben, wie sie überhaupt an der
naiven Legendenbildung ganz unbeteiligt sind, dass vielmehr die
Kirche sie ihnen zugeschoben hat, um ihre Erzeugnisse von ihren
Rockschössen abzuschütteln“, und kurz vorher: „Und so beginnt
mit dem Nicaenum der Feldzug der dogmatischen Kirche gegen
die Geistesprodukte ihrer eigenen Vergangenheit, ein Kampf, der
seinen Höhepunkt erreichte, als die Priseillianisten und Mani-
chäer sich der Apokryphen zur Stütze ihrer Lehren bedienten
und das Recht ihrer Benutzung erstreiten wollten. Da hat man
das Verdammungsurteil über die ganze nichtkanonische Litteratur
ausgesprochen und an Stelle der Bezeichnung „apokryph" „häre-
tisch“ gesetzt.“ Damals musste ich den Beweis für meine These
schuldig bleiben; heute kann und will ich mich dem nicht ent-
--
1) Nachr. ἃ. K. Gesellsch. ἃ. Wiss. zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 1595,
Η. ὁ, 8. 202 £.
Petrusakten. 119
ziehen, selbst auf die Gefahr hin, als Reaktionär angesehen zu
werden.
Ich setze bei Eusebius ein, da sein Urteil neben demjenigen
des Photius geradezu den Ausgangspunkt für die Untersuchungen
über die Apostelakten gebildet hat. Eusebius giebt folgende
Beweisgründe für sein bereits mehrfach erwähntes Verdikt über
die Akten an (h.e.111,25,6.7): 1. Diese Schriften hat kein ἀνὴρ
τῶν κατὰ τὰς διαδοχὰς ἐχκλησιαστιχῶν in seinen Werken je-
mals erwähnt. 2. Der schriftstellerische Charakter weicht von
dem apostolischen 790g ab. 3. Die Gedanken und die vorge-
tragenen Grundsätze, ἃ h. die γνώμη und die προαίρεσις, stim-
men mit der wahren Orthodoxie nicht überein. — Wenn nun
Eusebius auf Grund dieser drei Momente zu dem Resultat ge-
langt, dass die Akten von Häretikern verfasst und deshalb als
ganz abgeschmackte und gottlose Produkte zu verwerfen seien,
so ist sein Urteil für uns nicht massgebend. Freilich sobald
es sich um die Alternative, ob apostolischen Ursprungs oder
nicht, handelt, würden wir ohne weiteres das zweite Argument
anerkennen müssen. Anders aber gestaltet sich unsere Stellung
zu Eusebius, sobald wir die Schriften als das werten, was sie in
Wirklichkeit sind, nämlich als naive Erzählungen über die Lebens-
schicksale der einzelnen Apostel in der litterarischen Form von
πράξεις, von späteren Romanschreibern mit der bestimmten Ab-
sicht verfasst, die Apostelhelden in ihrer Missionsthätigkeit den
staunenden Epigonen lebendig vor die Augen zu führen, die ganz
verblassten Züge der kirchlichen Tradition mit frischen Farben
zu übermalen und im Lichte der Gegenwart das apostolische
Zeitalter in idealer Gestalt darzustellen. Es sind Dichtungen,
nicht wahre Geschichten, es sind Erbauungs-, nicht Lehrbücher;
wer jenes beides bei ihnen sucht, wird vergeblich bei ihnen an-
klopfen. Eusebius urteilt hier als Dogmatiker und Historiker
zugleich, vor allem in letzter Eigenschaft, da er im ersten Teile
des dritten Buches die apostolische Zeit nach den Quellen schil-
dert. Und es ist unbedingt ein glänzendes Zeugnis für sein feines
historisches Taktgefühl, dass er die dürftige Überlieferung nicht
mit dem romanhaften Stoff der Apostelakten ausgefüllt hat,
während seine Nachfolger diese weise Zurückhaltung nicht be-
obachtet haben. Nur an einer Stelle hat er 16 Legende in die
Geschichte eingeführt, nämlich bei der Erzählung von der Flucht des
120 Carl Schmidt.
Simon Magus aus Judäa nach Rom und von seiner Besiegung
durch Petrus daselbst (h.e.1l,1,12 u.Il, 14). Das hängt ja mit der
römischen Legende von dem 25jährigen Episcopat des Petrus
zusammen, aber sicherlich hatte er gar keine Ahnung mehr von
ihrer Herkunft, da die Simon-Petruslegende bereits zum eisernen
Bestande der katholischen Tradition gehörte. Und dass der
Dogmatiker Eusebius in den Schriften nicht die wahre orthodoxe
Lehre gefunden hat, ist ebenfalls nicht zu bezweifeln, denn ihm
sowohl wie seinen Zeitgenossen fehlte jedes Verständnis dafür, dass
die altkatholische Kirche eine tiefgreifende dogmengeschichtliche
Entwickelung bis zum Nicaenum durchgemacht hatte. Gewogen
auf der Wage des Nicaenums mussten fast alle altchristlichen
Schriften zu leicht befunden werden; dass sie einst den wahren
Glaubensgehalt ihrer Zeit widergespiegelt hatten, fand keine Berück-
sichtigung. Das hat neben Melito vor allem Papias erfahren müssen,
dessen derber Chiliasmus von der korrekten Dogmatik peinlich
empfunden, dessen Werk deshalb zu dem alten Eisen geworfen
wurde. Um so weniger konnte ein Dogmatiker Verständnis für die
religiöse Volkslitteratur zeigen, als deren Repräsentanten wir die
Apostelakten anzusehen haben. Nach dieser Seite hin kann ich
das Urteil des Eusebius wohl begreifen. So bleibt nur noch der
erste Punkt übrig, dass nämlich kein kirchlicher Schriftsteller
die Akten jemals in seinen Werken erwähnt hätte. Nicht ohne
Absicht stellt er dies Argument an die Spitze des Ganzen, da es
ja den Leitstern für seine Forschungen über den Umfang des
Kanons bildet. Gerade der Umstand, dass Eusebius die Paulus-
akten bei Origenes mit Hochachtung citiert fand, rettete sie vor
dem allgemeinen Verdikt (ἢ. 6. III,3,5 u. ΠΙ͵,25, 4). Wie steht es
nun mit den Johannes- und Petrusakten? Nur mit diesen wollen
wir uns beschäftigen, da sie ja heute als besondere Typen der
gnostischen Akten gelten. Hat sie wirklich kein altchristlicher
Schriftsteller vor Eusebius erwähnt oder gekannt? Allgemein
wird zugestanden, dass die gleiche Behauptung des Eusebius über
das Evangelium, das Kerygma und die Apokalypse des Petrus
(h. 6. III, 3, 2) auf handgreiflichem Irrtum beruht. Sollte viel-
leicht dasselbe von den πράξεις Πέτρου gelten, die an derselben
Stelle mit den Petrusschriften aufgeführt werden?
Zahn (Forsch. III, S. 87. 97) hat zuerst auf eine Stelle des
Clemens Al. in der lateinischen Übersetzung der Adumbrationes
Petrusakten. 191
aufmerksam gemacht, wo dieser zu 1. Joh. 1 ed. Potter p. 1009
bemerkt: Fertur ergo in traditionibus, quoniam Joannes, ipsum
corpus quod erat extrinsecus tangens, manum suam in profunda
misisse et ei duritiam carnıs nullo modo reluctatam esse, sed
loeum manui tribuisse diseipuli. Diese traditiones lesen wir heute
in den Johannesakten (ed. Bonnet p. 196, 19f. u. 195, 3f.). Mithin
bat Clemens gerade eine Stelle angeführt, die von Zahn wegen
ihres Doketismus als gnostisch besonders hervorgehoben wird.
(Clemens hat weder an dieser Stelle noch an dem ganzen Werke
irgendwie Anstoss genommen!; er selbst huldigte ja doketischen
Ansichten über die Person Christi, die letztlich m. E. auf die
Johannesakten zurückgehen, wenn er Strom. VI, 9, 71 schreibt:
ἀλλ᾿ ἐπὶ μὲν τοῦ σωτῆρος τὸ σῶμα ἀπαιτεῖν οἧςς σῶμα τὰς
weyxalac ὑπηρεσίας εἰς διιμονὴν γέλως ἂν εἴη. ἔφαγεν γὰρ
οὐ διὰ τὸ σῶμα δυνάμει συνεχόμενον ἁγίᾳ, ἀλλ᾽ ὡς μὴ τοὺς
συνόντας ἄλλως περὶ αὐτοῦ φρονεῖν ὑπεισέλϑοι;, ὥσπερ ἀμέ-
ἀει ὕστερον δοχήσει τινὲς αὐτὸν πεφανερῶσϑαι ὑπέλαβον.
αὐτὸς δὲ ἁπαξαπλῶς ἀπαϑὴς ἦν, εἰς ὃν οὐδὲν - παρεισδύεται
χίνημα παϑητιχὸν οὔτε ἡδονὴ οὔτε λύπη χτλ. Auch vertritt
Clemens noch ungescheut die Ansicht von einer besonderen Ge-
heimtradition des Herrn nach seiner Auferstehung an seine näch-
sten Jünger, an Petrus, Jakobus und Johannes’. Das sind für
ıns interessante Archaismen, die einen Einblick in den embryo-
nalen Zustand der Theologie im 2. Jahrh. gewähren, besonders in
Kleinasien, mit dessen Theologie ja Clemens in enger Fühlung
stand. Dass man später derartige (redanken perhorrescierte, war
eine Folge der gnostischen Krisis, genau so wie die Spekulationen
der ältesten Zeit über Christus und die Kirche (Hermas, II Cle-
mens) durch die Äonentheorien der Gnostiker disereditiert waren.
Deshalb können wir es begreifen, wenn Photius bibl. cod. 109
1ı Corssen, Monarch. Prologe 8. 124, 2 fasst die Stelle wegen des fol-
genden: „Propter quod et infert: ‘Et manus nostrae contrectaverunt de
verbo vitae’. Contractabilis utique factus est qui venit in carne“, in dem
Sinne auf, als wenn Clemens die Tradition des Leucius durch den Johannes-
brief widerlegte, aber m. FE. wit Unrecht.
2) Vgl. Johannesakten p. 196, 22 f.; diese Stelle folgt unmittelbar dem
Berichte über das Wesen Christi.
3) Im 6. Buch (Euseb. h. 6. II, 1,3) und ım 7. Buch (Kuseb. h. 6. II,
1,4) der Hypotyposen. Vgl. Strom. I, 11 u. VI, 7,61; ΥἹ, 8, 68; 11, 10, 55.
Γ
[4
122 Carl Schmidt.
vom Standpunkte der byzantinischen Orthodoxie mit den Hypo-
typosen scharf ins Gericht geht: χαὶ ἐν τισὶ μὲν αὐτῶν ὀρϑῶς
δοχεῖ λέγειν. ἐν τισὶ δὲ παντελῶς εἰς ἀσεβεῖς καὶ μυϑώδεις
λόγους εἰσφέρεται Luna xal ταῦτα πάντα πειρᾶται ἀπὸ ῥητῶν
τινῶν κατασχευάζειν τῆς γραφῆς. Καὶ ἄλλα μυρία φλυαρεῖ
χαὶ βλασφημεῖ, εἴτε αὐτὸς, εἴτε τις ἕτερος τὸ αὐτοῦ
πρόσωπον ὑποχριϑείς. Letztere Annahme war noch der
bequemste Ausweg, um Ülemens nicht direkt zum Häretiker zu
stempeln. Das wird uns auch skeptischer gegenüber dem Urteil
des Photius über die Apostelakten machen; wir müssen uns
überhaupt von den Werturteilen der späteren Zeit über Werke
des 2. Jahrh. vollständig emanzipieren und den Begriff des Häre-
tischen resp. Gnostischen viel enger fassen. Doch um auf Cle-
mens zurückzukommen, so hat neuerdings Zahn! noch zwei
andere Stellen für die Johannesakten reklamieren wollen. näm-
lich die berühmte Erzählung von Johannes und dem geretteten
Jüngling (quis dives 42) und die Nachricht über die Entstehung
des Johannesevangeliums in den Hypotyposen (Euseb. h. e. V],
14,7). Es ist zu bedauern, dass Zahn seine richtige Erkenntnis
(Act. Joh. p. CXL f.) inbetreff der Herkunft des ersten Stückes
wieder aufgegeben hat. Noch viel schlimmer steht es mit der
angeblich leucianischen Erzählung über die Entstehung des
Johannesevangeliums. Gerade durch diese These hat Zahn seine
verdienstvollen Forschungen über Leucius in Misskredit gebracht.
Wie ist es nämlich glaublich, dass Leucius, der das Evangelium
und die Apokalypse kennt, ja ihren johanneischen Ursprung als
allgemein anerkannt voraussetzt? und auf dieses gegebene Ma-
terial hin seinen Roman aufbaut, noch eingehend über die Ent-
stehung der beiden Schriften seine Leser unterhalten hätte! Das
wäre genau so, als wenn der Verfasser der Paulusakten von der
Entstehung der paulinischen Briefe geredet hätte. Überhaupt
1) Forsch. VI, 16. u. 201, 1.
2) Diese Erkenntnis ist sehr wichtig. Corssen hat bekanntlich Jie
Kenntnis des Joh.-Ev. bestritten, weil Leucius eine Christologie vertrete,
die Johannes in seinen Schriften scharf bekämpft habe. Nach diesem
Kanon hätte der Verfasser der Paulusakten den 1. Timotbeusbrief nicht
gekannt, da er gerade die hier bekämpfte Lehre vom Verbot des Heiratens
und der enkratitischen Lebensweise zum Hauptthema der paulinischen Mis-
sionspredigt erhebt. Das ist bewusste Abweichung von der Vorlage.
Petrusakten. 123
hat Leucius von dem Patmosexil nichts erzählt, wie deutlich
Pseudo-Prochorus zeigt, der in bewusstem Gegensatze die Er-
zählungen über Johannes an dessen Aufenthalt in Patmos an-
knüpft, von dem langjährigen Aufenthalt in Ephesus verhältnis-
mässig wenig zu berichten weiss, da Leucius ihm den Hauptstoff
vorweggenommen hatte. Ebensowenig konnte er die von Leucius
in Anlehnung an die sieben Sendschreiben der Apokalypse er-
dichtete Rundreise des Johannes an diese sieben Gemeinden ver-
werten, weil er die Apokalypse als nichtjohanneisch verwarf. So
blieb dem Pseudo-Prochorus nichts weiter übrig, als das kleine
Patmos zu dem Range einer grossen Provinz zu erheben, dort
den grössten Teil der πράξεις spielen und auch das Evangelium
daselbst geschrieben sein zu lassen!. Und angenommen, die
Nachrichten des Clemens Al. und des Fragmentisten des Kanon
Murstori gingen wirklich auf Leucius zurück, so wäre damit der
Apologetik ein schlechter Dienst erwiesen; wir könnten über
die Notizen ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen, denn in
leueius echte und selbständige Traditionen über den Apostel
und sein Wirken in Asien zu erwarten, hiesse Feigen von den
Dornen pflücken wollen.
Zu Clemens Alex. tritt als zweiter unverdächtiger Zeuge der
Verfasser der Monarchianischen Prologe, die nach Corssen (Mon.
Prol. S. 63) wahrscheinlich im ersten Drittel des 3. Jahrh. einer
lateinischen Ausgabe der Evangelien vorgesetzt sind, aber viel-
leicht auf eine griechische Vorlage zurückgehen. In dem Argu-
mentum zum Evangelium Johannis ist die Notiz über die vom
Herrn vereitelte Heirat des Apostels? aus den Johannesakten ge-
schöpft?, wie überhaupt die Vorstellung von dem παρϑένος
Johannes und von seinem darauf gegründeten besonderen Jünger-
verhältnis zu dem Herrn ihre Quelle in Leucius hat. Und noch
ein zweiter Zug stammt aus Leucius, nämlich die Legende von
der Selbstbestattung des Johannes in Ephesus; vgl. den Text oben
8. 40, Anm. 2 und Bonnet p. 203, 8 ff. Durch das Medium des
1) Vgl. Zahn, Act. Joh. p. 155, 9 ff.
2) qui virgo electus a Deo est, quem de nuptiis volentem nubere
vocarit Deus.
3) Bonnet p. 212, Ὁ: ὁ χἀμὲ φυλάξας μέχρι τῆς ἄρτι ὥρας χαϑαρὸν
ἑαυτῷ χαὶ ἀμιγῇ μίξεως γιναικός" ὁ ϑέλοντί μοι ἔν νεότητι γῆμαι ἐπι-
φαγεὶς χαὶ εἰρηχώς μοι" Δρήζω σου Ἰωάννη.
124 Carl Schmidt.
Prologs sind dann diese beiden wichtigen Daten aus dem Leben
des Apostels in die kirchliche Tradition ! übergegangen und ruhig
weiter tradiert worden, da man die eigentliche Quelle ganz ver-
gessen hatte. Dass aber gerade der Verfasser des Prologs die
Akten des Leucius nicht als gnostisches Produkt, vor dessen
Gift man sich ängstlich in Acht nehmen müsse, angesehen hat,
regt zum Nachdenken an. Oder sollte man im 4. Jahrh. ein viel
feineres Gefühl für wirklich gnostische Werke und Ideen be-
sessen haben wie am Anfang des 3. Jahrh., wo der gewaltige
Geisteskampf zwischen den beiden Gegnern noch ungebrochen
fortdauerte? War man in der That so kurzsichtig und stumpf-
sinnig zugleich, diese höchst gefährliche Art der gnostischen Pro-
paganda nicht zu erkennen und die Gläubigen vor der Lektüre
der Schriften nicht zu warnen? Im 3. Jahrh. sueben wir ver-
gebens nach einer solchen Stimme. Freilich glaubt uns Zahn mit
der Versicherung zu beruhigen, dass der gnostische Charakter
der Akten auch für Theologen von Bildung und katholischer Ge-
sinnung in jener Zeit kein Hindernis gewesen sei, sie mit Wiss-
begier zu lesen und sich allerlei Dinge gläubig anzueignen. Dann
hätte ın der That der Gnosticismus nach dieser Richtung hin
einen vollständigen Sieg über die Kirche davongetragen und sich
des Erfolges rühmen können, mit seinem Geiste das Popular-
christentum erfüllt zu haben. Man darf mir dabei nicht ent-
gegenhalten, dass der Geist des Tatian und Bardesanes lange
Zeit die syrische Kirche beherrscht habe, denn hier handelt es
sich um ganz natürliche Zustände einer Partikularkirche, während
die Apostelakten zur Litteratur der Gesamtkirche im Abend- wie
im Morgenlande gehörten. Sollte man angesichts dieser That-
sache nicht geneigt sein, den Verfasser der Johannesakten eben-
‚falls in grosskirchlichen Kreisen zu suchen? Und in der That
geben uns die Monarchianischen Prologe die Handhabe, das
1) Tertullian wird seine Bezeichnung des Apostels als „aliquis Christi
spado“ (de monog. c. 17) aus den Prologen mittelbar oder unmittelbar ge-
schöpft haben. Auf mündliche 'Tradition weist dagegen die Angabe (de
praescr. haer. c. 36) von dem Ölmartyrium des Johannes in Rom, denn Leu-
cius hat von einem Ölmartyrium, sei es in Rom, sei es in Ephesus, nichts
berichtet. Diese Legende hat erst durch die historia ecclesiastica ein Hei-
matsrecht in der katholischen Tradition erlangt. Die späteren Biographen
des Johannes haben sie dann natürlich verwerten müssen.
πὰ
Β - πε το πᾶν να, ἅμα, tee Title Belle)
Petrusakten. 125
Problem befriedigend zu lösen. Der Verfasser der Prologe hat
nämlich das Werk des Leucius aus keinem andern Grunde mit
so grosser Verehrung gelesen, als dass er in ihm einen verwandten
Vertreter des Monarchianismus erblickte, oder genauer ausgedrückt,
die Theologie des Leucius ist durch und durch monarchianisch.
In Kleinasien hatte ja der Monarchianismus seine wissenschaft-
lichen Hauptvertreter, aber auch in Rom galt er bis in die Zeit
des Callixt als offizielle Lehre; erst mit Tertullian, Origenes,
Novatian und Hippolyt begann der Kampf gegen die früheren
christologischen Anschauungen zu Gunsten der ökonomischen
Trinität, die nach Tertullians eigenem Urteil (adv. Prax. 3) von
den einfachen Christen garnicht begriffen wurde. Wenn nun
Leucius die Johannesakten in Kleinasien um c. 160—170 verfasst
hat, welch anderen christologischen Gedanken sollte er gehuldigt
haben, ausser monarchianischen? Zu der Partei der Aloger!
konnte er nicht gehören, da er ja ein so begeisterter Verehrer
der Johanneischen Schriften war und seinen Christustypus von
dort bezogen hatte, eher zu den Montanisten, die sicherlich mo-
dalistische Formeln gebraucht haben, wie noch Hippolyt (Philos.
X,26) dies von einem Teile berichtet. Leider sind unsere Quellen
und Nachrichten über die innere Geschichte und die Lehren des
Monarchianismus sehr dürftig, vor allem wissen wir garnichts
aus jener älteren Zeit. Um so willkommener müssen wir daher
die Johannesakten begrüssen und sie als wertvolle Urkunde in
die altchristliche Litteratur einreihen. Aber sind denn die christo-
logischen Anschauungen der Johannesakten wirklich monarchia-
nischen Charakters? Ich kann dies nur im vollen Umfange be-
jaben. Leucius kennt in Übereinstimmung mit den Monarchianern
nur einen Herrn und Gott, das ist Christus, der nicht Gott
neben Gott, sondern der Gott schlechthin ist. Der Name „Vater“
sowohl wie „Sohn“ kommt nicht verschiedenen Wesen zu, son-
dern einem mit sich identischen göttlichen Wesen ?, wie über-
baupt die übrigen Benennungen nur un der Menschen willen
gegeben sind, ohne freilich das unendliche Wesen des einen
Gottes jemals zu erschöpfen. Und genau so wie die Monarchianer
gegenüber den Vertretern der Logoschristologie mit Nachdruck
1) Die Aloger waren sicherlich keine Vertreter des Monarchianismus.
2) Vgl. Act. Joh. p. 201, 11: γίνωσχε γάρ μὲ ὅλον παρὰ τῷ πατρὶ χαὶ
τὸν πατέρα παρ᾽ ἐμοί.
t,
F
126 Carl Schmidt.
betonten, dass der Logos bei Johannes keine vom Vater unter-
schiedene selbständige Person ausmache, da diese Annahme zum
Ditheismus führe, so sieht auch Leucius in dem Worte λόγος
nur einen von Christus um der Menschen willen gewählten Aus-
druck zur Bezeichnung des Wesens Gottes; gerade das zore—
ποτέ ist im echt monarchianischen Sinne gedacht; vgl. Act. Joh.
p. 200, 6 ποτὲ μὲν λόγος καλεῖται ὑπ᾿ ἐμοῦ δι᾿ ὑμᾶς und be-
sonders p. 201, 24 f. νόησον οὖν μὲ λόγου ἀναίρεσιν (Ὁ), λόγου
νύξιν, λόγου αἷμα, λόγου τραῦμα, λόγου ἐξάρτησιν, λόγου πά-
ϑος, λόγου πῆξιν. λόγου ϑάνατον. καὶ οὕτως χωρίσας ἄνϑρο-
πον λέγω" τὸ μὲν οὖν πρῶτον λόγον νόησον, εἶτα κύριον
νοήσεις, τὸν δὲ ἄνϑρωπον τρίτον, καὶ τὸ τί πέπονθεν. Ein
echter Gnostiker, vor allem aus der valentinianischen Schule, hätte
verschiedene Emanationen eines göttlichen Urwesens statuiert
und bei den Namen λύγος, νοῦς, ζωή, ἀλήϑεια, χάρις an selbst-
ständige Äonen gedacht. Und die Gnostiker waren ferner nicht
ausschliesslich Vertreter des Doketismus. Ich brauche nur an das
Petrusevangelium zu erinnern, das nach Serapion (Euseb. ἢ. e.
VI, 12) um 200 nicht nur bei den Doketen im Gebrauch war,
sondern auch bei einzelnen Gemeinden Syriens (Rhossus) ohne
Anstoss im Gemeindegottesdienst gelesen wurde, bis sich dagegen
Opposition erhob. Im 2. Jahrh. konnte man, ohne sich einer
Ketzerei schuldig zu machen, doketische Gedanken über Christus
hegen; erst die gnostische Krisis liess die grosse Gefahr einer
derartigen Theologie erkennen. Und wenn wir auf die Zeit des
Ignatius zurückgehen, wie stark müssen damals die doketischen
Anschauungen in den kleinasiatischen Gemeinden verbreitet ge-
wesen sein!. Ist nicht ferner das Evangelium des Johannes zur
Bekämpfung des Doketismus geschrieben? Sollte dieser nun in
der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. schon ausgestorben sein? Gerade
der Monarchianismus, der in Christus den Gott schlechthin er-
blickte und verehrte, musste in konsequenter Gedankenfolge seine
leibliche Erscheinung in Schein auflösen. In unseren sonstigen
N: achriehten trıtt dies nicht hervor?, aber bei Commodian, dessen
1) Epist, ad Trall. c. 10, ad Smyrn. c. 2.4.5.
2) Doch spricht der Verfasser der Prolog im Argument. in Jo. von
Christus als dem incorruptibile principium in Genesi und dem incorrupti-
bilis finis per virginem in Apocalypsi. Die enkratitische Haltung zeigt sich
nicht allein in der Betonung Jer Virginität des Johannes, sondern auch in
Petrusakten. 197
monarchianischer Standpunkt unleugbar ist!, stehen doketische
Gedanken im Hintergrunde.? So werden wir in der Annahme nicht
fehlgehen, dass der Verfasser der Prologe, wie auch der Ver-
fasser der Petrusakten® in den Johannesakten nicht gnostischen,
sondern monarchianischen Geist zu spüren glaubten, als sie diese
Schrift für ihre Zwecke benutzten. Dann werden wir auch die
seltsame Notiz des Pacian (s.o. S.40) über Leucius bei den Μου-
tanisten richtiger würdigen. Aber sie könnten alle drei durch die
geschickten Fallstricke des Gnostikers arglos ins Netz gegangen
sein. Denn eine Stelle der Johannesakten enthält nach allge-
meinem Urteil rein gnostische Termini, nämlich der Hymnus
p. 198, 6 f.: Oydoas μία ἡμῖν συμψάλλει. μήν. Ὁ δω δέχα-
τος ἀριϑμὸς ἄνω χορεύει. ᾿Ιμήν. Τὸ δὲ ὅλον ἀχόρευτον
ὑπάρχει. 'Aunv4. Man bezieht gewöhnlich die Ogdoas und Do-
dekas auf die bekannten valentinianischen Äonen des Pleroma,
nur vermisst James (T. a. Stud. V,1, p.XX) zur Vervollständigung
des Systems der 30 Äonen noch die Dekas und vermutet des-
halb den Ausfall einer Zeile, in der dieser Name enthalten war,
Aber eben dieser Versuch einer Konjektur giebt den Fingerzeig,
dass der Fehler in der Gleichung liegen muss, und dass man
m. E. an dieser Stelle Geheimnisse sucht, wo in Wahrheit keine
vorhanden sind. Denn der δωδέχατος ἀριϑμός ıst der Zodiakal-
kreis, und die Ogdoas sind die sieben Planeten resp. Himmel mit
der Deutung des Wunders auf der Hochzeit zu Kana als Zeichen, dass das
Hochzeiten aufhören muss, wo der Herr geladen wird, quod veteribus in-
mutatis nova omnia quae a Christo instituuntur appareant.
1) Vgl. Harnack, Dogmengesch.? S. 669 f.
2) Vgl. Dombart, Carm. apolog. vs. 224 u. 632.
3) Überhaupt steht kein altchristlicher Schriftsteller dem Verfasser
der Petrusakten in seinen theologischen Anschauungen so nahe wie Com-
modian; vgl. den Ausdruck „deus vivus“ für Christus Instruct. I, ?6 Auf-
schrift, ed. Domb. p. 33; II, 1 Aufschrift, ed. Domb. p. 58. Commodian ist
ja ein echter Vertreter der volkstümlichen Frömmigkeit, wie er auch in
erster Linie seine Dichtungen für das Volk bestimmt hatte. Daraus er-
klärt sich die Benutzung der Volkslitteratur in Gestalt der Petrus- und
Paulusakten. Aber derselbe Commodian ist nicht ohne Grund dem glei-
chen Schicksal verfallen wie jene; das Decretum Gelasii hat seine Werke
auf den Index gesetzt.
4) Der letzte Satz nach der Konjektur von Jamen.
5) I suspect very strongly that a line has fallen out of our text here
and that that line contained mention of a Decad.
x
128 Carl Schmidt.
dem Kosmokrator resp. Satan an der Spitze. Die sichtbare untere
Welt schaut dem Reigen Christi und seiner Jünger zu und nimmt
an ihm teil, indem die Himmelsgestirne sich im Kreise harmo-
nisch bewegen !. Christus ist ja der Herr der Äonen, vor dem
sich fürchet πᾶς ἄρχων καὶ πᾶσα κτίσις, δύναμις, ἄβυσσός τε
καὶ σχότος ἅπαν καὶ ϑάνατος ἀγέλαστος καὶ οὐρανῶν ὕψωμα
χαὶ ἄδου χκυχλώματα καὶ νεχρῶν ἀνάστασις καὶ πηρῶν ὄψις
χαὶ τοῦ κοσμοκράτορος ἅπασα ὴ δύναμις χαὶ ἢ τοῦ
ἄρχοντος ὑπερηφανία (ρ. 168, 28 81). Bei der Auferweckung
der Drusiana ruft Johannes ın gleicher Weise den Herrn an:
Τὸν μόνον ϑεὸν σε ὄντα ἐπικαλοῦμαι τὸν ὑπερμεγέϑη, τὸν
ἄφραστον, τὸν ἀκατάληπτον ᾧ πᾶσα δύναμις ἀρχοντικὴ
ὑποτέταχται᾽ ᾧ πᾶσα ἐξουσία ἔχλινεν (ἐγχλίνει"), ᾧ πᾶσα ἀλα-
ζονεία προσπεσοῦσα ἡσυχάζει: ὃν δαίμονες ἀχούοντες φρίτ-
Tovow' ὃν ἡ κτίσις ὅλη καταμαϑοῦσα μετριάζει (p. 190, 14 ff.).
Nicht anders p. 200, 13 fl.: Ὑ σοφία δὲ οὖσα ἐν ἁρμονίᾳ T
ὑπάρχουσιν δεξιοὶ καὶ ἀριστεροί, δυνάμεις, ἐξουσίαι, ἀρχαὶ καὶ
δαίμονες. ἐνέργειαι, ἀπειλαί, ϑυμοί, διάβολοι, Σατανᾶς καὶ ἢ
κατωτικὴ ῥίξα 3, ἀφ᾽ ἧς (πᾶσα) τῶν γινομένων προῆλϑεν φύσις.
Ferner p. 202, 23 ff.: πείσϑητε οὖν καὶ ἡμεῖς ἀγαπητοὶ ἃ ὅτι 00%
ἄνϑρωπον ὑμῖν καταγγέλλω σέβειν, ἀλλὰ ϑεὸν ἀμετάτρεπτον,
ϑεὸν ἀχράτητον, ϑεὸν πάσης ἐξουσίας ἀνώτερον καὶ πάσης
δυνάμεως καὶ ἀγγέλων πάντων καὶ χτίσεων λεγομένων καὶ
αἰώνων ὑλῶν πρεσβύτερον καὶ ἰσχυρότερον. Besonders inter-
essant ist die Beschreibung des Weges der Seele zum Herrn,
wie ihn Johannes sich wünscht (p. 214,4 1): χαὶ ἐρχομένου μου
πρός σε, ὑποχωρησάτω πῦρ, VIXNINTO σχότος" ATOVNOATO
χάος" μαρανϑήτω χάμινος" σβεσϑήτω γέεννα᾽ ἀχολουϑησάτοω-
σαν ἄγγελοι, φοβηϑήτωσαν δαίμονες" ϑραυσϑήτωσαν ἄρχοντες.
ϑυνάμεις πεσέτωσαν᾽ δεξιοὶ τόποι στηχέτωσαν, ἀριστεροὶ μὴ
μενέτωσαν᾽ ὁ διάβολος φιμωϑήτω, ὁ Σατανᾶς καταγελασϑήτο᾽
ὁ ϑυμὸς αὐτοῦ ἐχκαυϑήτοω" ἢ μανία αὐτοῦ ἠρεμησάτω: ἡ τι-
μωρία αὐτοῦ ἀσχημονείτω" ὴ ὁρμὴ αὐτοῦ ὀδυνάσϑω᾽ τὰ τέχνα
αὐτοῦ παταχϑήτω καὶ ὕλη ἡ ῥίζα αὐτοῦ ἀπορρηϑήτω (?). Die
1) Bei dem oberen Pleroma ist der Ausdruck χορεύειν ganz unver-
ständlich, da dieses unbewegliche Syzygien ausfüllen.
2) Der χοσμοχράτωρ ist wohl identisch mit dem πλάστης τῶν δαι-
μόνων des Photius.
3) Darunter sind wohl die Archonten der Planeten zu verstehen.
Petrusakten. | 129
Gnostiker haben viel systematischer ihre Lehre von der Wande-
rung der Seele durch die Äonenreihen ausgebildet und die gnosti-
schen Seelen mit allen möglichen Mysterien ausgerüstet. Hier
nimmt nicht das Pleroma die Seele auf, sondern Christus gewährt
die ἀνάπαυσις bei sich allen denen, welche sich rein und unbe-
fleckt bewahrt haben. Die Vorstellungen über die 7 Planeten,
den Tierkreis, die Archonten, Gewalten und Engel waren All-
gemeingut der damaligen religiösen Welt; sonst wäre auch Pau-
lus zu den Gnostikern zu rechnen, wenn neben Christus, dem
πρωτότοχος πάσης κτίσεως, die ϑρόνοι, κυριότητες, ἀρχαί und
ἐξουσίαι (Kol. 1, 16) als Personifikationen auftreten. In der naiven
Volksreligion hat diese Geisterwelt von jeher eine grosse Rolle
gespielt, wenn auch die Namen sich mit dem Wechsel der Zeiten
geändert haben. In den Akten des Philippus, deren katholischen
Ursprung am Ende des 4. Jahrh. selbst Zahn (Forsch. VI, 18 ff.)
nicht leugnet, kommen die der Seele feindlichen χοσμοχράτορες
ın gleicher Eigenschaft vor (Act. Phil. 38 ed. Tischend. p. 98 1).
Mein Exkurs ist länger geworden, als ich dachte, aber ich
hoffe zuversichtlich, dass noch genauere Untersuchungen meine
These von dem katholischen Charakter der Johannesakten unter
Berücksichtigung der besonderen Eigentümlichkeiten ihres Ideen-
kreises, ihres Alters und ihres Entstehungsortes bestätigen wer-
den; vor allem aber möchte ich darauf dringen, nicht mit allge-
meinen Begriffen des Gnostischen zu operieren und über den
unleugbaren Berührungen die tiefeingreifenden Unterschiede nicht
zu vergessen, die ein gnostisches Geistesprodukt in letzter Instanz
von einem katholischen trennen. Der gnostische Apostelroman'
ist für mich ein Phantom.
Ich komme nun zu den Petrusakten. Welche Stellung hat
man ihnen gegenüber im 3. Jahrh. eingenommen? Ich sehe hier von
1) ἐλϑὲ νῦν Ἰησοῦ καὶ δός μοι τὸν στέφανον τῆς νίχης τὸν αἰώνιον
χατὰ πάσης ἐναντίας ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας, καὶ μὴ χαλυψάτω με ὁ σχοτεινὸς
αὐτῶν ἀήρ, ὕπως διαπεράσω τὰ τοῦ πιρὸς ὕδατα χαὶ πᾶσαν τὴν ἄβυσσον.
χύριέ μου Ἰησοῦ Χριστέ, μὴ σχῇ χώραν ὁ ἐχϑρὸς κατηγορῆσαί μον ἐπὶ
τοῦ βήματός σου, ἀλλὰ ἔνδυσόν με τὴν ἔνδοξόν σου στολήν, τὴν φωτεινὴν
σου σφραγῖδα τὴν πάντοτε λάμπουσαν, ἕως οὗ παρέλϑω πάντας τοὺς χοσμο-
χράτορας χαὶ τὸν πονηρὸν δράχοντα τὸν ἀντιχείμενον ἡμῖν. Wahrschein-
lich liegt hier Nachahmung der Joh.-Akten vor. Dass man später sich
gehütet hat, von einem χοσμοχράτωρ zu reden, ist im Hinblick auf seine
Stellung bei den Gnostikern ganz begreiflich.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1. 9
130 Carl Schmidt.
dem immerhin zweifelhaften Zeugnis des Kanon Muratori, ebenso
von dem des Hippolyt ab. Aber Origenes'! hat, wie wir gesehen
haben, die Erzählung von der Kreuzigung des Apostels mit dem
Kopfe nach unten den Akten entnommen und an ihrer Geschicht-
lichkeit nicht gezweifelt. Ebenso habe ich bereits das Citat bei
Commodian erwähnt (8. ο. 5. 106). Es lässt uns zugleich erraten,
aus welchen Gründen die Apostellegenden im 3. Jahrh. mit so
grosser Anerkennung innerhalb weiter kirchlicher Kreise gelesen
und gehört wurden; es waren die alles Menschliche überragen-
den Wunderkräfte, mit denen die Apostel hier von Christus aus-
gerüstet erschienen. Nur den Juden waren ja die Wunder-
heilungen des Herrn zu gute gekommen, die Heidenwelt hatte
sein Wirken nicht erlebt; umsomehr mussten die Heidenchristen
ihre Blicke auf die Apostel richten und einen Ersatz für jene
von ihnen schmerzlich empfundene Thatsache suchen. Auch galt
es eine Erklärung auf die Frage zu geben, auf welchem Wege
das Christentum unter den Heiden eine so mächtige Verbreitung
erlangt habe. Die Antwort war kurz die: durch die δυνάμεις,
τέρατα und σημεῖα, welche die Apostel in der Kraft und im
Namen Jesu vollbracht haben. Bereits die Apostelgeschichte
1) Ich will aa dieser Stelle noch nachholen, dass es den Anschein
hat, als ob Origenes bei seinem Citat im 3. Buche des (renesiskommentars
(Euseb. h. e. III, 1) bereits die fünf alten Akten gekannt habe; denn es
ist doch auffällig, dass er aus der Reihe der Apostel den Thomas, Andreas,
Johannes, Petrus und Paulus bervorhebt, von denen wir allein aus alter
Zeit Akten besitzen. Die παράδοσις, dass Thomas Parthien als Missions--
gebiet erlost habe, geht doch wohl auf die Acta 'Thomae zurück, wenn
auch hier Indien genannt ist, da gerade in den Thomasakten die Legende
von der Verteilung der Gebiete durch das Los auftaucht (Act. Thom. ed.
Bonnet c. 1). Skythien als Wirkungskreis des Andreas wird ebenfalls in
den Akten genannt sein, denn nach Philastrius behandelte ein Teil die
πράξεις in Griechenland nach der Reise von Pontus. Über Johannes in
Asien und seinen Tod in Ephesus brauche ich nichts zu sagen. Bei Petrus
ist die Tradition von dem Wirken in Pontus und den übrigen Provinzen
Kleinasiens aus 1. Petr. 1, 1 erwachsen, aber Origenes giebt seine Skepsis
durch £oıxev zu verstehen, da er in den Petrusakten davon nichts las, wohl
aber von dem Märtyrertode in Rom. Dass Origenes die Paulusakten kannte,
wissen wir, wenn er auch hier mit den Ausdrücken von Röm. 15, 19 das
Missionsgebiet umschreibt und daran den Märtyrertod in Rom anknüpft.
Die Paulusakten lassen im Anschluss an die Apostelgeschichte den Apostel
in denselben Ländern und Städten missionieren.
Petrusakten. 131
hat diese Art der Apologetik, wenn auch in massvoller Weise,
angewandt; in den Apostelakten sind die Wundergeschichten zum
stehenden Requisit der Propaganda geworden: ohne Apostel keine
Wunder, ohne Wunder kein Glaube. Dass diese Erzählungen
auf uns einen so absurden Eindruck machen, thut nichts zur
Sache, der Geschmack jener Zeit war eben ein anderer. Je wunder-
barer die Geschichten, um so willigere Aufnahme bei der grossen
Masse durften sie erwarten. Die Romanschreiber kannten ihr
Publikum nur zu gut. Gegen diesen Geist ‚hat der Historiker
Eusebius durch sein Verdikt der Akten öffentlich protestiert, wie
er die Übernahme der Apostellegenden in die Geschichtsdarstel-
lung des apostolischen Zeitalters perhorreseiert hat. Und um
nun auf seine Behauptung, dass kein kirchlicher Schriftsteller
die Johannes- wie die Petrusakten erwähnt habe, zurückzukom-
men, so würde allerdings diese insoweit der Wahrheit entsprechen,
als keine direkten Citate unter solenner Einführungsformel wie
bei den Paulusakten sich nachweisen lassen; aber indirekte Zeug-
nisse liefern die Schriftsteller doch genug, zumal wenn man be-
denkt, dass die Apostellegenden in der erbaulichen Predigt mehr
als in den dogmatischen Schriften Verwendung finden konnten.
Jedenfalls hat Eusebius sein Urteil bona fide abgegeben.
Aber die Autorität des Eusebius wäre sicherlich nicht stark
genug gewesen, das bisherige Ansehen der Akten zu erschüttern,
wenn nicht die Kirche in dem Kampfe gegen die Manichäer und
Priseillianisten vor die Frage der Kanonisierung gestellt wäre.
Aus den Erbauungsbächern waren plötzlich bei den Gegnern
dogmatische Lehrbücher mit apostolischer Dignität geworden, die
zur Begründung ketzerischer Lehrsätze angerufen wurden. Die
Reaktion von seiten der Grosskirche konnte nicht ausbleiben.
Diese veränderte Stellung zeigt sofort Philastrius in seinen oben
(S. 43) eitierten Worten. Der veränderten Situation Rechnung
tragend stellt er den Grundsatz auf, dass die Akten von den ge-
reiften Christen „morum causa“, d.h. um der auf das christliche
Sittlichkeitsideal ausgehenden Förderung willen, gelesen werden
könnten, aber nicht von den „omnes“, d. ἢ. von der ungebildeten
Masse. Das schliesst ihre Verlesung in dem Gottesdienste aus
und verlegt die Lektüre in die Privaterbauung. Er begründet
seinen Standpunkt damit, dass „non intelligentes“ vieles hinzu-
und hinweggethan haben, was die Häretiker [als ihre Lehre] ge-
95
132 Carl Schmidt,
wollt haben. Er unterscheidet also scharf zwischen „non intelli-
gentes“ und „haeretici“. Diese „non intelligentes“ (= oi un
γοοῦντες) sind aber katbolische Christen, die in ihrem Unver-
stande den ursprünglichen Text verdorben und auf diese Weise
den Lehren der Häretiker Vorschub geleistet haben. Wie Phi-
lastrius sich das Geschäft des „addere et ferre“ vorgestellt hat,
bleibt ihm überlassen; er gebraucht diesen geflügelten Ausdruck
(Apok. Job. 22, 18. 19) ganz allgemein von Veränderung des Ur-
textes!. Die Frage, wo die ursprünglichen Schriften geblieben
sind, beunruhigt den Philastrius nicht weiter. Von einer Ver-
fälschung durch die Hände der Häretiker, wie Lipsius in dieser
Stelle zu entdecken glaubte, ist absolut keine Rede. Was Phi-
lastrius an den Häretikern tadelt, ist nur dies, dass sie die von
den Aposteln gewirkten Wundermitteilungen der menschlichen
Rede an Vieh, Hunde und wilde Tiere? zum Beweise ihrer
Seelenlehre, d. ἢ. der stofflichen Gleichbeschaffenheit der Men-
schen- und der Tierseelen, benutzen. Die Thatsächlichkeit der
Wunder wird dabei nicht in Zweifel gezogen. Und doch welcher
Wandel seit Commodian! Die Wunder, die dieser ohne Scheu
und in voller Naivität neben die alttestamentlichen Machtthaten
Gottes gestellt hatte, sind jetzt zum Gegenstand der dogmatischen
Kontroverse geworden. Jetzt musste die Kirche klar und deut-
lich Stellung zu den Schriften nehmen, die mit einem Schlage
als apostolische Schriften in den Kanon Aufnahme finden sollten.
Wiederum giebt uns Augustin die beste Auskunft. In Über-
einstimmung mit Pbilastrius bezeichnet er sie an keiner Stelle
als bäretisch oder von den Häretikern gefälscht. Für ihn als
Katholiken ist die Frage schon entschieden, dass die Apokryphen
nicht im katholischen Kanon des A. und N, T.’s stehen; deshalb
ist er auch durch kein Band an sie gebunden. Immer und immer
wiederholt er diesen Mangel der äusseren Bezeugung. Den Titel
„Apokrypben“ führen sie, non quod habendi sint in aliqua aucto-
1) Mit derartigen Annahmen konnte man ja leicht bedenkliche Stel-
len älterer Schriftsteller katholisch umarbeiten, wie Rufin seine Bearbei-
tung des Origenes nepl ἀρχῶν damit motivierte.
2) Philastrius redet hier im Plural von pecudes, canes und bestiae,
obwohl unter den beiden letzten nur der Hund in den Petrusakten und
der Löwe in den Paulusakten zu verstehen sind. Die pecudes beziehen
sich wohl auf den Esel in den Thomasakten.
Petrusakten. 133
ritate secreta, sed quia nulla testificationis luce declarati
de nescio quo secreto nescio quorum praesumptione prolati sunt!.
Deshalb ruft er Faustus entgegen: Quam libri a te prolati ori-
ginem, quam vetustatem, quam seriem successionis testem
citabis? nam si hoc facere conaberis, et nihil valebis et videbis
in hac re quid ecclesiae catholicae valeat auctoritas, quae ab
ipsis fundatissimis sedibus apostolorum usque ad hodiernum diem
succedentium sibimet episcoporum serie et tot populorum con-
sensione firmatur (c. Faust. 1. X1,2). Denselben echt katholischen
Traditionsbegriff vernehmen wir ebend. lib. ΧΙΠ, 5: nostrorum
porro librorum auctoritas tot gentium consensione per successi-
ones apostolorum, episcoporum conciliorumgue roborata etc. Und
als Faustus (lib. XXI, 4) sich für die Ansicht, dass die Maria
nicht aus dem Geschlechte Davids, sondern aus dem Stamme
Levi stamme, auf eine Schrift beruft, in der Joachim als der Vater
genannt sei, und dass er auch als solcher allgemein in der katho-
lischen Tradition gelte2, da richtet er an ihn folgende Auffor-
derung: ipse ergo convincat non eam pertinuisse ad semen David
et hoc ostendat non ex quibuscumgue litteris, sed ec-
clesiasticis, canonicis, catholicis; aliae quippe apud nos
non habent ad has res ullum pondus auctoritatis; ipsae
sunt eninı, quas recipit et tenet ecclesia toto orbe diffusa, quae
per illas est etiam prophetata et quemadmodum promissa, sic
reddita. ac per hoc illud, quod de generatione Mariae Faustus
posuit, quod patrem habuerit ex tribu Levi sacerdotem quendam
nomine loachim, canonicum non est, non me constringit. Als ehr-
licher Christ gesteht er weiter ein, dass er lieber eine kirchliche
Tradition durch irgendwelche Deutungen mit dem kanonischen
Texte in Übereinstimmung bringen als dem Evangelium einen
Irrtum zuschreiben würde: sed etiamsı hoc crederem, ipsum po-
tius loachim dicerem aliquo modo ad David sanguinem perti-
nuisse et aliquo modo ex tribu luda in tribu Levi fuisse adopta-
tum, vel ipsum vel eius aliquem progeneratorem, vel certe in tribu
Levi ita natum, ut de stirpe David consanguinitatem aliquam
1) Hätte Augustin irgendwelche sichere Nachrichten über die Ent-
stehung und den Verfasser besessen, würde er sich nicht so unbestimmter
Ausdrücke bedient haben.
3) Er schöpft dies aus dem Protevangelium Jacobi, das von Innocenz
verdammt wird.
134 Carl Schmidt.
duceret: sicut fieri potuisse idem Faustus fatetur, ut Maria de
tribu Levi esset, quam tamen constat traditam viro, qui fuerit
de stirpe David, id est de tribu luda, et dieit ita potuisse accipi
Christum filium David, si Maria filia loseph fuisset. proinde si
8116 Ioseph nupsisset in tribu Levi, non absurde diceretur etiam
filius David, quisquis de illa et in tribu Levi natus fuisset. ıta si
mater illius loachim, quem patrem Mariae Faustus commemorat,
de tribu Iuda et genere David nupsit in tribu Levi, non inme-
rito et loachim et Maria et filius Mariae etiam sic ex David
semine veraciter perhibentur. hoc ergo potius vel tale ali-
quid crederem, si illius apocryphae scripturae, ubi
Joachim pater Mariae legitur, auctoritate detinerer,
quam mentiri evangelium (l. c. lib. XXIII, 9). Und wenn
Augustin zuweilen einen unwilligen, ja wegwerfenden Ton, z. B.
in dem Ausdruck (lib. XX11, 79) „sutores fabularum“ oder quas
canon ecclesiasticus respuit, gegen die neuen Eindringlinge an-
schlägt, so können wir dies in der Polemik wohl begreifen, aber
wir dürfen derartige Ausdrücke nicht zu schwer auf die Wag-
schale legen, denn in demselben Zusammenbange sagt er: quae
(sc. scripturae apocryphae) suorum scriptorum temporibus
in auctoritatem sanctae ecclesiae recipi mererentur,
si sancti et docti homines, qui tunc in hac vita erant
et examinare talia poterant', eos vera locutos esse co-
gnoscerent. Ich füge noch das Urteil in der Schrift c. advers.
leg. et propbet. I, 20 hinzu: sane de apocryphis iste posuit testi-
monia quae sub nominibus apostolorum Andreae Joannisque
conscripta sunt. Quae si illorum essent, recepta essent ab
ecclesia, quae ab illorum temporibus per episcoporum
successiones certissimas usque ad nostra et deinceps
tempora perseverat et immolat deo in corpore Christi sacri-
ficium laudis. Schon diese eine Stelle beweist, um noch einmal
auf die Leuciusfrage zurückzukommen, dass man die Abfassung
der Apostelakten im allgemeinen auf die einzelnen Apostel selbst
zurückführte Für jetzt aber gilt es, die Anschauung zurück-
zuweisen, als ob die Apostelakten innerhalb der Apokryphen-
litteratur eine besondere Stellung eingenommen hätten und sie
1) Wie schlecht es nach dieser Norm um die Bezeugung einiger Bücher
des neutestamentlichen Kanons bestellt wäre, war dem Augustin verborgen.
Petrusakten. 135
allein wegen ihres häretischen Charakters aus dem katholischen
Kanon verbannt worden seien. Sie erlitten vielmehr nur dasselbe
Schicksal, das auch andere in der ältesten Zeit hochangesehene
Schriften getroffen hatte, da man engherziger geworden war. Diese
“Wendung lernen wir deutlich bei Augustin de civit. dei, lib. XV, 23
betreffs seines Urteils über den Henoch! kennen: Omittamus
igitur earum scripturarum fabulas, quae apoeryphae nuncupantur,
eo quod earum occulta origo non claruit patribus, a quibus usque
ad nos auctoritas veracium scripturarum certissima et notissima
successione pervenit. In his autem apocryphis etsi invenitur
aliqua veritas, tamen propter multa falsa nulla est cano-
nica auctoritas. Seripsisse quidem nonnulla divina Enoch illum
septimum ab Adam, negare non possumus, cum hoc in epistola
canonica Tudas apostolus dicat. Sed non frustra non sunt in eo
canone seripturarum, qui servabatur in templo Hebraei populi
sueccedentium diligentia sacerdotum, nisi quia ob antiquitatem
suspectae fidei iudicata sunt, nec utrum haec essent quae ille
seripsisset, poterat inveniri, non talibus proferentibus, qui ea per
seriem successionis reperirentur rite servasse. Unde 1118 quae
sub eius nomine proferuntur et continent istas de gi-
gantibus fabulas, quod non habuerint homines patres,
reete a prudentibus iudicantur non ipsius esse cre-
denda; sient multa sub nominibus et aliorum prophe-
teruım et recentiora sub nominibus apostolorum ab
haereticis proferuntur, quae omnia sub nomine apo-
erypborum auctoritate canonica diligenti examinatione
remota sunt. Wie schnell hatte man in der Kirche vergessen,
dass im 2. und 3. Jahrb. das Buch Henoch trotz seines Fehlens
im armarium Iudaicum als prophetische Schrift über Christus
zum christlichen Kanon gerechnet worden war. Augustin brauchte
aur zu seiner Belehrung den Tertullian aufzuschlagen, der so
kräftig für die kanonische Anerkennung des Henochbuches ein-
getreten war (vgl. de cultu fem. 1, 2.3; II, 10. de idolol. 4, 152).
1) Vgl. de οἷν. dei, lib. XVIII, 38.
2) Ebenso auch Barnabas-Brief c. 4, 3; 16, 5; Iren. IV, 16, 2; Clemens
Alex., eclog. proph. c. 2. 53; hypot. ad Iudae ep. v. 14; Origenes, c. Cels. V, 54
u.homil. 28,2 in Num. Dagegen Athanasius, Festbrief v. J. 367, Nachr. ἃ.
Gea. d. Wiss. zu Gött. phil.-hist. Kl., 1898, S. 183. Vgl. im allgemeinen Zahn,
6.&.1,120£. u. II, 797, Anm. 2 u. Schürer, Gesch. ἃ. Jüd. Volkes, 1113, 205 ft.
136 Carl Schmidt.
Der Grundsatz von 2. Tim. 3, 16: πᾶσα γραφὴ ϑεόκπνευστος καὶ
opElıuos πρὸς διδασχαλίαν hatte keine Geltung mehr. Auf
jeden Fall brauchten die Apostelakten sich nicht besonders ge-
troffen zu fühlen, wenn sie mit Schriften wie Henoch verworfen
wurden.
Noch aber war die Frage über den Wert der Apokryphen nicht
ganz erledigt, der Streit war vielmehr mitten im Gange. Selbst zu
Augustins Zeiten herrschte grosse Unsicherheit innerhalb der
kirchlichen Kreise Nordafrikas, welche Schriften verlesen werden
sollten oder nicht, obwohl die Synoden von Hippo (a. 393) und
von Karthago (a. 397 u. 419) feste Grenzen gesetzt hatten !.
Augustin kennzeichnet deutlich den Zustand in der epist. 64, 3
ad Quintianum (Migne XXXIII, col. 233): Vos ipsi prius nolite
ın scandalum mittere ecclesiam legendo in populis scripturas,
quas canon ecclesiasticus non recipit; his enim haeretici et
maxime Manichaei solent imperitas mentes evertere, quos in
campo vestro libenter latitare audio. Miror ergo prudentianı tuam,
quod me admonueris, ut iubeam non recipi eos, qui ad nos a
vobis ad monasterium veniunt, ut quod statutum est a nobis in
concilio permaneret, et tu non memineris in concilio institutum,
Quae sint scripturae canonicae, quae in populo dei legi .debeant.
Ein Bischof gestattet also ganz ruhig die Verlesung der Apostel-
akten, denn um diese wird es sich wohl in erster Linie handeln,
da ibr Gebrauch bei den Manichäern vorausgesetzt wird; er wird
freilich von Augustin scharf getadelt. Der Tadel war aber sicher-
lich unberechtigt, da der Bischof nur dem alten Brauche gefolgt
war, während die rigorosen Bestimmungen der Generalsynoden,
die zur Abwebr der manichäischen Angriffe getroffen waren, ent-
schieden eine Neuerung bedeuteten.
Und noch ein zweites Beispiel. In dem Tract. CXXIV in
Joh. 21, 19sqg. polemisiert Augustin gegen grosskirchliche Exe-
geten, die aus den Worten des Herrn an Petrus (Job. 21,22) die
Meinung ableiten, dass der Apostel Johannes noch lebe, und zum
Beweise dafür sich auf eine Tradition berufen, nach der Johannes
sich ein Grab habe graben lassen und, nachdem er sich in das-
selbe gleichsam wie in ein Bett gelegt, sofort entschlafen sei,
dieses Entschlafensein aber dahin deuten, dass er einem Ent-
1) Vgl. Zahn, G. K. 11, 246 ff.
Petrusakten. 137
schlafenen äbnlich im Grabe schlummere, wie ja noch jetzt die
Erde des Grabhügels in Ephesus infolge des Atems sich hebe
und gleichsam sprudele!. Jene Tradition, dass der Apostel wirk-
lich gestorben sei, stützt sich nicht allein auf die von Augustin
vertretene Exegese der Johannesstelle, sondern auch auf die Dar-
stellung der Johannesakten, wo es zum Schluss heisst: καὶ εἰπὼν
ἡμῖν Εἰρήνη μεϑ᾽ ὑμῶν ἀδελφοί, παρέδωχε τὸ πνεῦμα χαίρων.
Demgegenüber stehen die von Augustin bekämpften Exegeten, die in
Joh. 21, 19sqq. die Meinung vertreten finden, der Apostel solle bis
zur Wiederkunft des Herrn leben. Auch sie erkennen die Dar-
stellung der Johannesakten an, deuten aber dieselbe in Über-
einstimmung mit der ephesinischen Lokaltradition vom wunder-
thätigen Staube nicht auf wirklichen Tod, sondern auf todes-
äbnlichen Schlaf?. In diesem Exegetenstreite werden also die
Jobannesakten von beiden Teilen gebraucht, sie werden zwar
von Augustin als quaedam scripturae quamvis apocryphae einge-
führt, aber sie gelten doch keineswegs als gnostisches Machwerk,
mit dem die Katholiken überhaupt nichts zu schaffen haben.
Das erhellt noch deutlicher aus einer unmittelbar daran an-
schliessenden Ausführung über die Virginität des Johannes: Sunt
qui senserint et hi quidem non contemptibiles sacri eloquii tracta-
tores, a Christo Iohannem propterea plus amatum, quod neque
uxorem duxerit et ab ineunte pueritia castissime vixerit. Hoc
quidem in scripturis canonicis non evidenter apparet; verum-
tamen id quoque multum adiuvat congruentiam hujusce senten-
tiae, quod illa vita per eum significata est, ubi non erunt nuptiae.
Hier nimmt Augustin eine von zahlreichen Katholiken geteilte
Tradition der Johannesakten beifällig auf; freilich bleibt zu be-
1) Quem traduut etiam, quodin quibusdam scripturis quamvis
apocryphis reperitur, quando sibi fieri iussit sepulchram, incolumem
fuisse prassentem, eoque effosso et diligentissime praeparato ibi se tam-
quam in lectulo collocasse statimque esse defunctum; ut autem isti putant,
qui haec verba Domini intelligunt, non defunctum sed defuncto similem
cubuisse et cam mortuus putaretur, sepultum fuisse dormientem, et donec
Christus veniat, sic manere suamque vitam scaturigine pulveris indicare,
qui pulvis creditur, ut ab imo ad superficiem tumuli ascendat, flatu quiescen-
tis impelli.
2) Vgl. Corssen, Mon, Prol. 8. 100f., Zahn, Act. Joh. p. XCVIII sq.;
Lipeius hat nach dem Vorgange von Overbeck (Theol. Litteraturztg. 1881,
Nr. 2, Sp. 96) die Stelle missverstanden.
138 Carl Schmidt.
denken, ob er selbst oder wenigstens die sacri eloquii tracta-
tores nicht bereits aus einer abgeleiteten Quelle, d. h. aus den
Evangelienprologen ihre Ansicht geschöpft haben.
Bei dieser Sachlage in Nordafrika werden wir uns nicht
weiter darüber wundern, wenn Priscillian in Spanien um 380
mit besonderem Nachdruck den Gebrauch und die Verlesung der
Apokryphen im Gottesdienste, nicht als Ersatz für die kanonischen
Schriften, sondern als Ergänzung forderte!. In seinem leider am
Anfang verstümmelten tractatus de fide et apocryphis (ed. Schepps
p. 44 sqq.) weist er zur Begründung seines freien Standpunktes
auf das Henoch -Citat im Judasbrief. auf den 4. Esra hin und
spricht am Schluss den richtigen Gedanken aus: In quo illud
tamen non recuso nec respuo inperitis haec non committenda
auribus, ne, quia ab hereticis pleraque falsata sunt, dum prae-
titulato nomine prophetarum in verbis sanctorum divinum opus
quaerunt, haereticae falsitatis inruant foveum, dum apostolici ser-
monis non ad plenum retinent disciplinam. Sed nec propter
nequitias pessimorum prophetia damnanda sanctorum est; nam
in omnibus heresibus cunetarum seribturarum interpraetatione
perversa infelictum sectarum instituta de persuasione fecerunt
omnesque se Christum deum credere et Christianos esse confir-
mant. Nec ideo divina seribtura damnanda est aut repudianda
fides Christi est aut nomen refugiendum est Christianum, si, dum
adserere sacrilegia sua volunt, catholici nominis audent usurpare
consortium. Si enim omnia quae legunt damnare voln-
mus, certe 4186 etiam in canone suntrelatadamnamus,
unde melius est interpraetationem funestam et insti-
tutionem sacrilegam quam scribturam damnare divi-
nam, quoniam scribtum est: Vobis datum est scire mysterium
regni dei, ceteris autem in parabolis loquar, ut videntes non vi-
deant et audientes non audiant (Luk. 8, 10; Mark. 4, 11. 12). —
Keiner von den altchristlichen Schriftstellern bat den wirklichen
Thatbestand so klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht wie
Priscillian, indem er den Grundsatz aufstellte, dass der Gebrauch
der Apokryphen durch die Häretiker noch keineswegs den Cha-
rakter der Schriften selbst in irgend einer Weise tangiere, weil
1) Priscillians Ansicht deckt sich also nicht mit den Forderungen der
Manichäer.
Petrusakten. 139
man von diesem Gesichtspunkte aus gezwungen wäre, auch die
kanonischben Schriften zu verdammen, die ebenfalls von den
Häretikern gelesen und nach ihrem Geschmacke interpretiert
würden. Hier redet nicht der Vertreter einer Sekte zu uns, son-
dern ein Mann, der sich als katholischer Christ fühlt und zu-
gleich ein inneres Verständnis für das religiöse Volksempfinden
besitzt, da das Volk seine Erbauung nicht in den spitzfindigen
dogmatischen Erörterungen sucht, sondern in den behaglichen
Erzählungen über die Heroen der Religion, seien es nun Propheten,
Apostel, Märtyrer oder Heilige. Diese Schriften waren grossen
Volkskreisen lieb und teuer, aber die Kirche konnte sich zu jenem
höheren Standpunkte nicht aufschwingen. Indem sie Priseillian
und die priscillianische Bewegung als häretisch verdammte, verbot
sie zugleich die Lektüre der Apokryphen als Häresie. Freilich muss
dieses Verbot in der spanischen Kirche zunächst keine grosse
Wirkung ausgeübt haben. Ich habe bereits S. 56 f. auf die Schil-
derung des Turibius von Astorga hingewiesen, der klagend ein-
gesteht: quapropter mihi post longas annorum metas ad patriam
reverso satis durum videtur, quod ex illis tradıtionibus, quas
olim catholica damnavit ecclesia quasque iamdudum abditas esse
credebam, nihil penitus imminutum esse reperio. In
gleichem Sinne hatte er an Leo den Grossen berichtet, der seiner-
seits den status quo folgendermassen wiedergiebt: quae vero illic
aut quanta pars plebium a contagione pestis huius aliena est,
ubi, sieut dileetio tua indicat, lethali morbo etiam quorumdam
sacerdotum corda corrupta sunt, et per quos opprimenda falsitas
et defendenda veritas credebatur, per ipsos doctrinae Priscillianae
evangelium subditur Christi, ut ad profanos sensus pietate sancto-
rum voluminum depravata sub nominibus prophetarum et
apostolorum non hoc praedicetur quod spiritus sanctus docuit,
sed quod diaboli minister inseruit. Und am Schluss folgt die
drakonische Massregel: Unde si quis episcoporum vel apocrypha
haberi per domos non probhibuerit vel sub canonicorum nomine
eos codices in ecclesia permiserit legi, qui Priscilliani adulterina
sunt emendatione vitiati, haereticum se noverit iudicandun), quo-
niam qui alios ab errore non revocat, se ipsum errare demonstrat.
Das ist der Standpunkt des echten römischen Hierarchen,
den bereits Innocenz I. eingenommen hatte. Das autokratische
Rom kennt im Kampfe keinen schwächlichen Frieden; der böse
140 Carl Schmidt.
Feind muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, selbst auf
die Gefahr bin, dass manche Unschuldige dabei mitgetroffen
werden. Deshalb sind die von den Häretikern benutzten Schriften
generaliter zu vernichten resp. zu verbrennen, wenn auch die in
den Akten erzählten Wundergeschichten auf Wahrheit beruhen.
Quamvis enim, sagt Leo, sint in illis quaedam quae videantur
speciem habere pietatis, numquam tamen vacua sunt venenis et per
fabularum illecebras hoc latenter operantur, ut mirabilium narra-
tione seductos laqueis cuiuscumque erroris involvant. Aber mochte
der theoretische Wille zur Ausrottung vorhanden sein, so fehlte
doch die praktische Machthabe zur Ausführung. Stand man denn
nicht nach der gänzlichen Vernichtung der Akten vor einem
Vacuum in Bezug auf das Leben der fünf Hauptapostel? Besass
denn die Kirche andere echt katholische Schriften, die sie an die
Stelle der vernichteten setzen konnte? Die ehrliche Antwort
musste ein rundes Nein bilden. Alle katholischen Traditionen
über die Apostel waren aus den angeblich häretischen Akten
geflossen; das christliche Volk hatte an den Festtagen die be-
treffenden Abschnitte über das Lebensende der einzelnen Apostel
vernommen und liebgewonnen, die Homileten hatten oft den ge-
gebenen Stoff zur Erbauung der Gemeinden benutzt. Der Radi-
kalismus Roms hätte unbedingt grössere Beunruhigung erregt.
Bei dieser Sachlage zog man das kleinere Übel dem grösseren
vor und erfand die These von der Verfälschung der Akten durch
die Häretiker. Dies gab dann die Veranlassung zu den katho-
lischen Redaktionen der virtutes oder miracula, indem man bei
dieser Arbeit das Rezept anwendete, die Wundererzählungen als
echt grösstenteils unberührt zu lassen, die Reden als häretisch im
katholischen Sinne zurechtzustutzen. Zuweilen wollte dieses Ge-
schäft dem ersten Redaktor nicht recht gelingen, dann war eine
weitere Bearbeitung notwendig. Schliesslich blieben als letzter
Rest der alten Akten die sogenannten Martyrien resp. Passionen
übrig, da man sie notwendig am Gedächtnistage der Apostel
brauchte. Ich kann dieser Phase in der Entwicklung der Apostel-
legendenschreibung hier nicht weiter nachgehen. Der kurze Hin-
weis möge genügen zur Erklärung der Thatsache, dass die voll-
ständigen Akten mehr und mehr aus dem Gesichtsfelde der
kirchlichen Kreise verschwanden, bis zuletzt ihre Existenz selbst
gänzlich der Vergessenheit anheimfiel.
Petrusakten. 141
Es erübrigt mir noch, einen Rückblick auf die Benutzung
der Petrusakten von seiten katholischer Kreise im 4. und 5. Jahrh.
zu werfen. Da ist zunächst der sogenannte Ambrosiaster, ein
um 370 die paulinischen Briefe kommentierender Geistlicher der
römischen Kirche, der zu Röm. 16, 11 die Notiz liefert: Nareis-
sus hie illo tempore presbyter dieitur fuisse, sicut legitur in aliis
eodieibus. Et quia praesens non erat, videtis, qua causa eos in
domino salutet ut „sanctos, qui ex eius erant domo“. Hic autem
Narcissus presbyter officio peregrini fungebatur, exhortatione fir-
mans credentes. Nach Zahn (G. K. 845, Anm. 1) unterscheidet
Ambrosiaster die verbreitete Überlieferung (dicitur), dass jener
Narcissus ein Presbyter gewesen, von den Büchern, worin das
auch zu lesen ist. Die Überlieferung eigne er sich an, für die
codices übernehme er keine Verantwortung. Mit Recht hat Har-
nack (Altchristl. Litteraturgesch. 11, 552, Anm. 2) diese feine
Unterscheidung bestritten. Fraglich bleibt nur, ob unter den
8111 codices mit Harnack Handschriften des Römerbriefes zu ver-
stehen sind, oder mit Zahn die Petrusakten. Für die These von
Harnack scheint zu sprechen, dass ja auch sonst in die Bibel-
handschriften ausserkanonische Überlieferungen eingedrungen sind,
wie z.B. bei 2. Tim. 4, 19 die Namen der Frau und der Söhne
des Onesiphorus aus den Paulusakten; aber die folgenden Sätze
des Kommentators lassen keinen Zweifel, dass er aus den Petrus-
akten seine Weisheit geborgt hat. Denn die Bemerkung, dass
Narcissus die Gläubigen durch Ermahnung befestigt habe. geht
auf die Erzählung c. 4 zurück, dass durch Simon Magus die
römische Gemeinde mit Ausnahme von sieben Personen, darunter
der Presbyter Narcissus, vom christlichen Glauben abfällt, der
Rest im hospitium Bytinorum Tag und Nacht im Gebet: zubringt.
Dieses bospitium identifiziert Ambrosiaster mit der habitatio
Narecissi presbyteri (p. 53, 13), wo Ariston und Petrus Einkehr
halten, und wo Petrus während seines Aufenthaltes in Rom längere
Zeit weilt (p. 61, 7. 27); zugleich macht er den Narcissus zu einer
besonderen Spezies von Presbytern, nämlich zum Presbyter der
peregrini, dem also die Fürsorge für die aus den Provinzen nach Rom
kommenden Christen obliegt. Es liegt hier eine charakteristische
Wechselbeziehung vor; der Romanschreihber hat den Namen des
Nareissus aus dem Römerbriefe aufgelesen und ihn mit dem
Presbyteramt ausstaffiert, der Exeget benutzt den Roman wieder
142 Carl Schmidt. u
zur Illustration der Paulusstelle, indem er in jenem echte ge-
schichtliche Überlieferung voraussetzt. Dass Ambrosiaster aber
unter codices wirklich die Petrusakten und nicht andere Bibel-
handschriften ! verstanden wissen wollte, wird evident durch die
analoge Benutzung der Paulusakten bei der Erklärung von 2. Tim.
2, 18 über Hymenäus und Philetus: hoc enim negabant, quod
palmare est christianorum, ut credant, se in futurum a mortuis
resurgere. Hi autem, ut ex alia scriptura? docemur, in filiis
fieri resurrectionem dicebant?. Der Ausdruck „alia sceriptura“ und
„alii codices“ * besagt dasselbe. Überhaupt müssen die Petrus-
und Paulusakten in kirchlichen Kreisen separat circuliert haben,
da auch Commodian beide Akten mit Hochachtung las; im
Abendlande, besonders in Rom, spielten ja Petrus und Paulus
eine grosse Rolle.
Dem Ambrosiaster reiht sich der ungefähr gleichzeitig
schriftstellernde Pseudo - Hegesippus ®° de bello iudaico an, der
in seine Darstellung (lib. III, 2 ed. Weber et Caesar p. 170
bis 173) einen umfangreichen Exkurs über den Kampf des
Simon Magus mit Petrus und über das Martyrium des Petrus
eingewoben hat. Diesem Berichte liegen die alten Petrusakten
zu Grunde; denn aus ihnen stammt die Geschichte von dem auf-
erweckten Sohn einer Witwe, von dem verunglückten Flugver-
suche des Simon und seinem Tode in Aricia, von der Flucht.
des Petrus aus Rom, der Begegnung mit Christus und der Kreu-
zigung mit dem Kopfe nach unten. Freilich ist Pseudo-Hegesipp zu-
gleich von der römischen Tradition abhängig und verarbeitet diesen
Stoff. Hierhin ist zu rechnen: 1. die Freundschaft des Nero mit
Simon Magus, 2. die Zurückführung des Todes des Petrus auf
den Zorn des Kaisers über den Tod seines Freundes, 3. die ganz
1) Die gegenteilige Annahme wird auch gedrückt durch die That-
sache, dass der Kommentator dann ohne jede Bemerkung ausserkanonischen
Stoff herbeigezogen habe. Dass bei bestimmten Anlässen Ambros. unter
„codices“ auch Bibelhandschriften versteht, ist zweifellos.
2) Ambrosiaster citiert wiederum ungenau, denn in den Paulusakten
bezieht sich die Lehre auf Demas und Hermogenes.
3) Vgl. auch die Benutzung bei 2. Tim. 1, 15; 1, 20; 4, 14.
4) Von „apocryphi codices“ redet auch Turibius (8. o. 8. 57).
5) Vgl. Zahn, G.K. 11T, 845, Anm. 2, der die Abhängigkeit des Ver-
fassers vom sog. Linus-Text gegen Lipsius, Apocr. Apostelg. II, 1, 103 und
Proll. zu der Ausgabe p. XI mit Recht bekämpft.
Petrusakten. 143
äusserliche und gewaltsame Verknüpfung des Paulus mit Petrus
zum gemeinsamen Martyrium. Besonders seit der Einführung
des Peter-Paul-Festes am 29. Juni als Feier ihres gemeinsamen
Todestages konnten die alten Akten des Petrus und des Paulus
den orthodoxen Anschauungen nicht mehr genügen; die römische
Kirche verlegte nämlich den beiderseitigen Todestag nicht allein
auf denselben Tag, sondern auch auf dasselbe Jahr, während die
Petrusakten ein Jahr nach dem Tode des Apostels den Paulus
das Martyrium erleiden liessen. Bereits Hieronymus de vir. ill.
6. 1 u.5 vertritt diese offizielle römische Tradition. Die auf die
Akten gegründete ältere Anschauung wird im sogen. Decretum
Gelasii als häretisch verworfen: (Petro) addita est etiam societas
beatissimi Pauli apostoli, vasi electionis, qui non diverso, ut
baeretici garriunt, sed uno tempore, uno eodemque die glo-
riosa morte cum Petro in urbe Roma sub Caesare Nerone ago-
nizans coronatus est!. Dieser neuen Wendung der Legende
musste auch im Festtexte Rechnung getragen werden, und so
entstand der sogenannte Marcellustext der Passio sanctorum
apostolorum Petri et Pauli. Auch diesen Punkt muss man be-
achten, um den Verlust der alten Akten zu begreifen.
Einen dritten abendländischen Zeugen für die Benutzung der
Petrusakten in katholischen Kreisen ? habe ich bereits S. 16 ff: bei
der Erzählung von der paralytischen Tochter des Petrus ange-
führt, nämlich den Verfasser der Akten des Nereus und Achil-
leus. der in dem Briefe des Marcellus an die beiden Kämmerer
ausführlich über den Kampf des Simon mit Petrus berichtet.
Aber wie bei der Petronilla-Geschichte hat er mit dem gegebenen
Material willkürlich geschaltet, indem er zugleich die römischen
Traditionen über den gemeinsamen Kampf des Petrus und Paulus
gegen Simon verarbeitete. Ich gehe deshalb darauf nicht weiter
ein. Nur möchte ich auf die Thatsache hinweisen, dass die Akten
1) Vgl. Pseudo-Augustin, sermo L de natali app. Petri et Pauli bei
Mai, Nova Patr. Bibl. I, 1. p. 101: Nam unus dies duorum martyrum est
et duorum apostolorum quantum ecclesiae traditione percepimus: nam non
diverso, sicut quidam garriunt, sed uno tempore, uno eodemque die gloriosa
morte in urbe Roma sub Caesare Nerone agonizantes coronati sunt.
2) Ich verweise noch auf das Zeugnis des Hieronymus (8. o. S. 15).
3) Hat der Verfasser bereits den Pseudo-Hegesipp, wie Ambrosius es
ohne Zweifel thut (vgl. Zahn, G.K. 11, 847, Anm. 1), benutzt?
144 | Carl Schmidt.
das älteste Zeugnis für die Existenz der sogenannten Linustexte
der Passıio des Petrus und der des Paulus liefern, indem der
Verfasser auf diese Darstellung verweist. Er hat sie auch für
seine Darstellung benutzt, z. B. bei der Bezeichnung des Mar-
cellus als „Marci praefecti filius“ (p. 4, 20 ed. Lipsius). Nur darf
man aus der Bemerkung, dass Linus den Text der Passionen in
griechischer Sprache für die orientalischen Kirchen geschrieben
habe, nicht auf ein griechisches Original schliessen. Denn die
Linustexte sind, wie Zahn G.K. 1], 834 ff. treffend gegen Lipsius
nachgewiesen hat, eine selbständige lateinische Übersetzung und
dem damaligen dogmatischen Standpunkte entsprechende Über-
arbeitung der griechischen Martyrienabschnitte aus den alten
Akten. Sie stammen m.E. von der Hand eines und desselben Re-
daktors, und zwar sind sie der älteste Versuch einer Bearbeitung
der ursprünglichen Legende in spezifisch römischem Inter-
esse. Nach Rom weist in dem Martyrium des Petrus die be-
sondere Hervorhebung der Stadt als urbs orbi praelata (p. 2, 2)
oder urbs aeterna (p. 5, 4; 9, 15), vgl. auch sanctus ritus Roma-
nus (p.9, 14). Nach römischer Lokallegende schmeckt die Erzäh-
lung von der Mamertini custodia, dem Gefängnis des Petrus, von
der Fesselung und der späteren wunderbaren Befreiung (p. 2, 14;
6,28; 7,25), von der Senatssitzung, in der das Todesurteil unter
Vorsitz des Präfekten Agrippa beschlossen wird (p. 5, 3ff.), von
der Bekehrung der Gefängniswärter Processus und Mamertinus,
ihrer Taufe in der wunderbar aus dem Felsen sprudelnden Quelle !
(p. 6, 20 ff.), und zuletzt die Notiz über die Richtstätte, die Nau-
machiae iuxta obeliscum Neronis in montem (p. 11, 16). Die
Linustexte tragen einen so spezifisch römischen Charakter an
sich, dass sie niemals in der griechischen Litteratur existiert
haben. Umsomehr wundert man sich, dass nach dem Zeugnis
1) Nach Zahn (G.K. Il, 837, Anm. 2) verrät sich die Erweiterung
p. 6, 20—7, 9 durch das Ungeschick der Einfügung als späterer Einschub.
Dass die Erzählung ungeschickt eingefügt ist, kann nicht bezweifelt werden,
deshalb aber darf sie dem Verfasser nicht abgesprochen werden. Denn
bereits in cap. 2 ist die Bekehrung der vier Konkubinen des Agrippa in
das Gefängnis verlegt, ebenso flieht Petrus aus dem Gefängnis, in.dem die
Fesseln wunderbarer Weise abfallen (p. 7, 25). Wenn nun trotzdem an
manchen Stellen Petrus als freier Mann erscheint, so liegt dies in der
mangelhaften Verarbeitung der ursprünglichen Legende, welche von einem
Gefängnis nichts weiss.
Petrusakten. 145
des Verfassers der Akten des Nereus und Achilleus und der
Überschriften in der handschriftlichen Überlieferung die Origi-
nale in griechischer Sprache abgefasst sein sollen. Das kann nur auf
beabsichtigter Fiktion beruhen, um den Texten gläubige Aufnabnıe
bei den Katholiken zu sichern, da dem Griechischen ein grösseres
Vertrauen im Abendlande entgegengebracht wurde. Die gleiche
Maske hat auch der Verfasser der Akten des Nereus und Achil-
leus angenommen, der, obwohl er ein Lateiner gewesen ist, in
dem Prologe die Erklärung abgiebt, er habe ein griechisches
Original ins Lateinische übersetzt '. Das scheint im Anfang des
5. Jahrh., — denn in diese Zeit fällt aller Wahrscheinlichkeit nach
die Abfassung der Linustexte (vgl. Lipsius, Apocr. Apostelg. 1],
1, 113), — eine litterarische Manier im Abendlande gewesen zu sein.
Wie steht es nun mit der Anerkennung der Akten des Pe-
trus und des Johannes im Morgenlande? Man sollte nach der
schroffen Verurteilung der Akten durch Eusebius und Amphi-
lochius erwarten, dass in grosskirchlichen Kreisen jegliche Be-
rührung mit derartigen Schriften verpönt gewesen wäre, aber
auch hier war die alte Gewohnheit stärker als die Machtsprüche
einzelner Autoritäten. Selbst die Thatsache, dass gnostische Sekten
und Manichäer sich zur Begründung ihrer enkratitischen Ethik
der Apostelakten bedienten?, konnte ihr Ansehen nicht erschüt-
tern. Die Kanonsverzeichnisse der späteren Zeit rechnen sie noch
zu den Apokryphen des N. T’s neben der Didache, den Clemens-
briefen und anderen altchristlichen Schriften; die sogen. Sticho-
metrie des Nicephorus giebt sogar die genauen Stichen, nämlich
2750 für die Petrus- und 2500 für die Johannesakten an. Ein
direktes Citat aus den Petrusakten finden wir bei Isidor von
Pelusium 3 (gestorb. c. 440), epist. Il, 99 ad Aphrodisium (Migne
LXXVIIl, col.544) zu Joh. 21,25: οἱ μὲν οὖν ἀπόστολοι ἃ ἐχώ-
onsav ἔγραψαν, καϑὼς Πέτρος ὁ κορυφαῖος τοῦ χοροῦ ἐν
1) Auch der Verfasser der Vita Sylvestri führt sich als Grieche ein,
obwohl das Gegenteil der Fall ist. Vgl. Duchesne, Lib. pontificalis I, p. CIX.
2) Die koptisch-gnostische Originalhandschrift bestätigt die Angaben
des Epiphanius.
3) Die Notiz über den Tod des Simon in epist. I, 13 ad Lampetium
(Migne, ]. c., col. 188): xal ἐξ ὕψους χατηνέχϑη (ΣἰμωνῚ ὁ δείλαιος πρὸς τὸν
πολυϑρύλλητον ϑάνατον, ἵνα δειχϑῇ ὡς ἐξ ἑνὸς τοῦ χατ᾽ ἐχεῖνον πτώματος
οἵων τυγχάνουσιν ἄξιοι οἱ οὐράνιον δρόμον ψευδόμενοι wird wohl eben-
falls auf den Originaltext zurückgehen.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1. 10
146 Carl Schmidt.
ταῖς ἑαυτοῦ Πράξεσιν, σαφῶς ἀπεφήνατο" „A ἐχωρήσαμεν,
ἐγράψαμεν“. Isidor ist sich so wenig bewusst, aus einer häre-
tischen Schrift zu citieren, dass er mit dem Ausdruck σαφῶς
die Stelle beifällig aufnimmt, und zwar unglücklicherweise noch
eine solche, die Zahn als „echt gnostisch“ bezeichnet. Auch
Andreas von Caesarea in Kappadocien (gegen Ende des 5. Jahrh.)
hat in seinem Comm. in Apoc. cap. 37 ed. Sylburg p. 58 (Migne
CVI, col. 340) eine Notiz den Akten selbst entlehnt: ὥσπερ
[xal] Σίμων ὁ μάγος ἔδειξε Ῥωμαίοις νεχρὸν κινούμενον κατὰ
παρουσίαν τοῦ μεγάλου Πέτρου, εἰ καὶ τὴν πλάνην ὁ ἀπόστο-
λος ἐξήλεγξε. δείξας δι’ ὧν ἀνέστησεν αὐτός, πῶς νεκροὶ
ἐγείρονται. Denn diese Geschichte von der Totenauferweckung
des Nicostratus liest man bei Lipsius p. 75, 16 ff., besonders
p. 77,28 die Anrede des Petrus an das Volk: Viri Romani, sie
mortui resuscitantur, sic confabulantur, 516 ambulant re-
surgentes.
Zuletzt will ich auf die Apostol. Konstitutionen oder besser
auf die in syrischer Sprache erhaltene alte Didascalia hinweisen,
die noch der früheren Periode, d. h. dem 3. Jahrh., angehört
und sicherlich im Osten (Syrien oder Palästina) entstanden ist.
Hier giebt der Verfasser einen summarischen Bericht über die
Entstehung der Häresien und lässt bei dieser Gelegenheit den
Petrus über sein Zusammentreffen mit Simon folgendes erzählen ?:
1. Ἢ δὲ καταρχὴ τῶν αἱρέσεων γέγονεν οὕτως" Σίμωνα τινα
μάγον ἐνεδύσατο ὁ διάβολος ὑπηρέτην αὐτοῦ ἔχπαλαι ὄντα.
χαὶ ἡμῶν τῇ τοῦ κυρίου δόσει καὶ τῇ τοῦ πνεύματος αὐτοῦ
ἐνεργείᾳ δυνάμεις ἰαμάτων ἐπιτελούντων ἐν Ἱερουσαλὴμ καὶ
ἐπιτιϑέντες τὰς χεῖρας τὴν τοῦ πνεύματος μετουσίαν δωρου-
μένων, χρήματα προσήνεγχεν ἡμῖν βουλόμενος ὡς τὸν Αδὰμ
τῇ γεύσει τοῦ ξύλου τῆς χατ᾽ ἐπαγγελίαν ἀϑανασίας ἐστέρησεν
ὁ διάβολος. οὕτο καὶ ἡμᾶς τῇ λήψει τῶν χρημάτων ϑέλξας
τῆς ὁόσεως τοῦ ϑεοῦ περιγράψαι, ὕπος ᾿ἀντικαταλλαξάμενοι
ἀποδώμεϑα αὐτῷ χρημάτων τὴν τοῦ πνεύματος δωρεάν. πάν-
των δὲ ἡμῶν ἐπὶ τούτων ταραχϑέντων, ἀτενίσας Πέτρος εἰς
τὸν ἐν Σίμωνι Σατανᾶν εἶπον AUTO τὸ ἀργύριόν σου σὺν σοὶ
εἴη εἰς ἀπώλειαν᾽ οὐχ ἔστι σοὶ μερὶς ἐν τῷ λόγῳ τούτῳ.
1) Isidor sieht Petrus selbst als den Verfasser der Πράξεις an.
2) Didasc. VI, 7-9 in Lagarde’s griechischer Rückübersetzung bei
Bunsen, Analecta Antenicaena II, p. 325 sq.
Petrusakten. 147
8. ἡνίχα δὲ ἐξήλϑομεν ἐν τοῖς ἔϑνεσι κηρύσσειν τὸν λόγον τῆς
ζωῆς, τότε ἐνήργησεν ὁ διάβολος εἰς τὸν λαὸν ἀποστεῖλαι
ὑπίσω ἡμῶν ψευδαποστόλους εἰς βεβήλωσιν τοῦ λόγου. καὶ
προσεβάλοντο KAsopıov τινα xal παρέζευξαν τῷ Σίμωνι" εἶτα
χαὶ ἕτεροι πάλιν &x τῶν περὶ Σίμωνος ἠχολούϑουν ἐμοὶ Πέ-
τρῳ διαστρέφειν τὸν λόγον. 9. γενόμενος δὲ ἐν Ῥώμῃ πολὺ
τὴν ἐχχλησίαν ἔσχυλε, πολλοὺς ἀνατρέπων καὶ ἑαυτῷ περι-
ποιούμενος ὡς πτῆναι δυνάμενος, τὰ δὲ ἔϑνη ἐξιστῶν μαγικχῇ
ἐμπειρίᾳ. καί ποτε ἐλϑὸν εἶδον αὐτὸν ἱπτάμενον᾽ καὶ ἀναστὰς
ἐγὼ εἶπον" ἐν δυνάμει τοῦ ὀνόματος Ἰησοῦ τὰς δυνάμεις σου
περιχύόπτω, καὶ κατηνέχϑη καὶ συντρίβεται τῶν ποδῶν τοὺς
ταρσούς. καὶ πολλοὶ ἀπέστησαν ἀπ᾿ αὐτοῦ, τινὲς δὲ ἄξιοι αὐτοῦ
ὄντες παρέμειναν αὐτῷ. Καὶ οὕτω πρώτη ἐπάγη ἢ τοῦ Σί-
uovos αἵρεσις. καὶ διὰ τῶν λοιπῶν ψευδαποστόλων ἐνήργει ὃ
διάβολος.
Dieser Darstellung muss eine schriftliche Quelle zu Grunde
liegen, die Annahme einer mündlichen Überlieferung ist unhalt-
bar. Bei genauerer Analyse entdeckt man auch bald die Vor-
lage, und zwar sind zwei Schriften benutzt, nämlich in c. 8 die
Paulusakten inbetreff des Simon und Kleobius (8. o. S. 37), für den
andern Teil die Petrusakten. Den vollgültigen Beweis liefert die
bisher, wie es scheint, nicht bemerkte Thatsache, dass der Ver-
fasser trotz seiner Anlehnung an Act. 8, 14 ff. die Szene nicht in
Samaria, sondern in Jerusalem spielen lässt. Das stammt aber
einzig und allein aus den Petrusakten (8. o. S. 80 ἢ). Ferner
schliesst er das Auftreten des Simon in Rom direkt an das Er-
eignis in Jerusalem an, denn seiner Quelle zuliebe lässt er
nicht Simon und Kleobius unter den Heiden gegen Petrus und
die übrigen Apostel auftreten, sondern ihre Anhänger resp.
Schüler. Besonders charakteristisch ist der Bericht über das
Wirken des Simon in Rom, denn es wird in feiner Weise unter-
schieden zwischen dem Abfall der dortigen Gemeinde zu Simon
infolge seines wunderbaren Fluges, und der Gewinnung der Hei-
den durch seine magischen Künste. Gerade aber nach der Er-
zählung der Petrusakten werden die römischen Christen durch
den Flug des Simon durch die Lüfte bei seiner Ankunft in ihrem
Glauben an Paulus wankend und erblicken in dem Magier den
verheissenen Christus (p. 48, 19 ff.). Deutlich davon geschieden
ist der zweite Flugversuch in Gegenwart des Petrus, der durch
10*
148 Carl Schmidt.
das Gebet des Apostels ein unglückliches Ende nimmt, indem
der Magier beim Sturze aus der Höhe die Fusswurzeln zerbricht.
Dies lesen wir ganz ähnlich auf p. 82, nur dass der Sturz mit
dem Zerbrechen der Schenkel endet; aber diese kleine Verände-
rung ist irrelevant gegenüber dem Umstande, dass der Ver-
fasser den Tod des Simon nicht unmittelbar mit dem Falle in
Verbindung bringt, wie auch Petrus ‚P- 82,23 nicht um sofortigen
Tod bittet: τάχυνον κύριε τὴν χάριν σου χιὼὰ χκαταπεσόντος
αὐτοῦ ἄνωϑεν, ἐκλζ(υϑ)εὶς συστῇ καὶ μὴ ἀποϑάνῃ. Diese Fein-
heiten der alten Grundschrift! hat der Verfasser der Apostolischen
Konstitutionen fast durchweg beseitigt. 1. Die erste Begegnung
des Simon mit Petrus ist nach Act. 8 berichtigt und statt ἐν
Ἱερουσαλήμ eingesetzt ἐν Σαμαρείᾳ. 2. Auf Grund des pseudo-
clementinischen Romans ist die Disputation des Simon mit Petrus
in Caesarea eingefügt und damit die Flucht nach Italien moti-
viert. 3. Der erste für die römische Gemeinde so entscheidende
Flug des Simon ist ganz unterdrückt, statt dessen die zweite
Himmelfahrt weiter ausgeschmückt, indem der Verfasser sich an
die urspüngliche Erzählung näher angeschlossen hat. Dafür
spricht, dass in dem Fluchgebet des Petrus die Bitte um Zer-
brechen, nicht um Sterben (ῥήξαντα δὲ un ϑανατῶσαι, ἀλλὰ
συντρῖψαι) enthalten und neben dem alten Ausdruck τῶν xo-
δῶν τοὺς ταρσούς noch τὸ ἰσχίον hinzugefügt ist.
Für die Johannesakten besitzen wir ein klares Zeugnis bei
Ephraim von Antiochien (527—45), dem von einem gewissen
Scholasticus Anatolius unter anderem auch die Frage vorgelegt
war: πόϑεν δυνάμεϑα τεχμήρασϑαι τὸν εὐαγγελιστὴν Ἰωάννην
ἔτι μένεεν (Photius, bibl. cod. 229). Ephraim ist Vertreter der
von Augustin bekämpften Exegeten zu Joh. 21, 22 (s. o. S. 136 f.).
die für die Fortdauer des Lebens des Apostels eintreten. Wie
jene beruft er sich auf die Virginität des Apostels: ὅτι δὲ πε-
ρίεστιν ὁ παρϑένος Ἰωάννης, ὅπερ ἐξήτησας, ὥσπερ τὸν Ἐνὼχ
καὶ τὸν Ἠλίαν παράδοσις μαρτυρεῖ, οὕτω καὶ τοῦτον. Dazu
komme das Wort des Herrn Joh. 21, 22, dem auch nicht Joh.
21, 23 widerspreche. Denn sterben sollte Johannes ohne Zweifel.
1) Für die chronologische Fixierung der Pseudoclementinen ist es
wichtig, dass gerade der im Osten lebende Verfasser der Didascalia nicht
diese, sondern die Petrusakten gekannt und benutzt hat; denn sicherlich
existierten jene zu seiner Zeit noch garnicht.
Petrusakten.- 149
aber erst im Moment der Wiederkunft des Herm und nur für
einen Augenblick, wie auch Henoch und Elias!. Selbst die An-
gabe des Lebensalters des Johannes bei Kirchenhistorikern wie
Eusebius spreche ebensowenig dagegen, wie die biblische Angabe
über die Jahre des Henoch. Zuletzt beruft er sich zur Be-
stätigung seiner Ansicht auf die Akten des Johannes: ταύτῃ τῇ
δόξῃ συνάδουσι καὶ αἱ πράξεις τοῦ ἠγαπημένου Ἰωάννου
καὶ ὁ βίος, ἃς οὐχ ὀλίγοι προφέρουσι. κατατεϑεὶς γάρ, φασί,
κατὰ τὴν αὐτοῦ ἐκείνου προτροπὴν Ev τινι τόπῳ, ζητηϑεὶς
αἰφνίδιον οὐχ εὑρίσχετο, ἀλλὰ μόνον τὸ ἁγίασμα βρύον ἐξ
αὐτοῦ τοῦ τόπου, ἐν ᾧ πρὸς βραχεῖαν ῥοπὴν ἐτέϑη" ἀφ᾽ οὗ
πάντες ὡς πηγὴν ἁγιασμοῦ τὸ ἅγιον ἐκεῖνο μύρον ἀρυόμεϑα.
Ausdrücklich hebt er hervor, dass er bei der Benutzung dieses
Argumentes sich in Übereinstimmung mit zahlreichen Vorgängern
befinde. Es hat nun den Anschein, als ob Ephraim bereits einen
Text der Johannesakten vor sich gehabt habe, in dem der Schluss
der ephesinischen Lokaltradition zuliebe, die so viel von dem Ver-
schwinden des Körpers und dem aufquellenden wunderthätigen
Staube des im Grabe schlummernden Apostels zu berichten wusste,
erweitert se. Wir kennen ja derartige spätere Bearbeitungen
(vgl. Zahn, Acta Joh., 5. 250 ἢ). Aber sobald wir auf die Kontro-
verse bei Augustin zurückblicken, wird es klar, dass Ephraim die
von seinen Vorgängern mit dem Bericht der Johannesakten in
Einklang gebrachte mündliche Tradition als ebenfalls in den
Akten stehend voraussetzt. Augustin, der in seinem Traktat die-
selben Exegeten bekämpft, die Ephraim zu seinen Gewährs-
männern zählt, kennt genau diese weit verbreitete kirchliche
Opinio; er behandelt sie deshalb schonend, wenn er bemerkt:
huie opinioni supervacaneum existimo reluetari. Viderint enim
qui locum seiunt, utrum hoc ibi faciat vel patiatur terra quod
dieitur, quis et re vera non a levibus hominibus id audivimus.
Interim cedamus opinioni, quam certis documentis refellere non
volemus, ne rursus aliud, quod a nobis quaeratur, exsurgat, cui
super humatum mortuum ipsa humus quodammodo vivere ac
1) Bei Augustin argumentieren die Gegner von Moses und Elias aus:
Non enim possunt deesse qui credant, si non desunt qui etiam Moysen asse-
rant vivere, quia seriptum est, eins sepulerum non inveniri, et apparuit
cum domino in monte, ubi et Elias fuit, quem mortuum legimus non esse,
sed raptum.
150 Carl Schmidt.
spirare videatur. Es handelt sich also in dem Streite um eine
Opinio, nicht um eine schriftlich fixierte Darstellung. Genau das-
selbe müssen wir bei Ephraim oder besser bei seinen Gewährs-
männern voraussetzen. Deshalb muss ich die Ansicht von Lipsius
(Apocr. Apostelg. I, 61), das Zeugnis des Ephraim beziehe sich
auf einen zu seiner Zeit sicher schon umlaufenden gereinigten
Text, zurückweisen; seine Worte bestätigen im Gegenteil den
Befund bei Augustin, dass in dem Streite über die Auslegung
der Worte des Herrn Joh. 21, 22 die alten Jobannesakten eine
bedeutende Autorität gewesen sind. Überhaupt muss man sich
doch, wenn man so viel von gereinigten Texten redet, die Frage
vorlegen, woher denn die Katholiken die alten Akten bezogen
haben. Oder sollten sie etwa die Texte von den Häretikern ge-
borgt haben, sobald sie sich der nichtgereinigten Exemplare be-
dienten? Waren aber die Johannesakten in der kirchlichen Lit-
teratur allgemein zugänglich, so verstehen wir es, dass sie in dem
Bilderstreite von den Ikonoklasten als apostolische Zeugnisse für
ihre Praxis angerufen wurden. Öffentlich wurden sie auf der
Synode zu Konstantinopel vom Jahre 754 vorgelesen, und keiner
der anwesenden Bischöfe hatte Protest dagegen erhoben. Erst
das 2. Konzil von Nicaea hielt das Ketzergericht ab, indem es
diese angeblich hohe Autorität der Gegner durch Verlesung be-
sonders markanter doketischer Stellen und des Urteils des Am-
philochius den Bischöfen vorführte. Darauf erfolgte der Antrag:
εἰ παρίσταται τῇ ἁγίᾳ ταύτῃ καὶ οἰχουμενικῇ συνόδῳ. γένοιτο
ἀπόφασις, τοῦ μηχέτι ἀπογράφεσϑαί τινας τὸ μιαρὸν τοῦτο
βιβλίον, und der Beschluss der Synode lautete dementsprechend:
ἡ ἁγία σύνοδος εἶπεν" μηδεὶς ἀπογραφέσϑω᾽ καὶ οὐ μόνον τοῦτο,
ἀλλὰ καὶ πυρὶ αὐτὸ ἄξιον χρίνομεν ἀποδίδοσθαι. Damit war
das Schicksal der Johannesakten entschieden. Noch bei Photius
klingt diese starke Aversion infolge des Bilderstreites deutlich
durch (s. o. S. 73) und hat: unbedingt sein Urteil beeinflusst.
Dazu kamen die πράξεις des Johannes von Pseudo-Prochorus,
die einen Ersatz für die alten Akten bilden sollten. So erklärt
es sich ohne jede Schwierigkeit, aus welchen Gründen die Akten
des Leucius uns nur trümmerhaft überliefert sind. Einzelne
Liebhaber muss es nämlich noch immer gegeben haben, die
grössere oder kleinere Stücke aus dem Ganzen abgeschrieben
haben.
Petrusakten. 151
Ich komme zu dem Schlussresultat. Dies kann angesichts
der zahlreichen Zeugnisse innerer und äusserer Natur nur also
lauten: Die Petrus- wie die Johannesakten sind in kirchlichen
Kreisen entstanden und ursprünglich als grosskirchliche Produkte
mit hoher Achtung gelesen, seit dem 4. Jahrh. dagegen wie die
übrigen Akten in steigendem Masse mit Misstrauen betrachtet
worden. Die nachnicänische Zeit konnte diese Litteratur nicht
mehr verstehen, da in ihren Augen nur das als katholisch galt,
was die nicänische Orthodoxie vertrat; trotz alledem sind sie
noch auf lange Zeit hinaus eine beliebte Lektüre in gutkatho-
lischen Kreisen gewesen, bis man für sie durch angeblich ortho-
doxe Bearbeitungen einen Ersatz geschaffen hatte. Um so mehr
sind wir heute verpflichtet, unter voller Würdigung und An-
erkennung der Archaismen und besonderen Eigentümlichkeiten
dieser Litteratur den ihr gebührenden Platz innerhalb der Ge-
samtlitteratur wieder anzuweisen. Dass die Gnostiker den christ-
lichen Roman erfunden und ganz allein im Interesse der Pro-
paganda gepflegt haben sollten, ist von vornherein undenkbar
und wird durch den Charakter der Schriften widerlegt. Einen
Gnostieismus zweiter Ordnung hat es niemals gegeben. Die
Urteile des Eusebius, des Photius und Anderer sind für uns heute
absolut nicht massgebend, da wir die Grundlagen für ihre An-
sichten genau kontrollieren können.
VII. Geschichtlicher Wert der Petrusakten.,
„Wahrheit und Dichtung“, unter diesem Motto pflegt man
gewöhnlich die apokryphen Apostelakten zu betrachten, sobald
man die Frage aufwirft, welche echte Überlieferung über das
apostolische Zeitalter in ihnen uns noch aufbehalten, und ande-
rerseits, was auf das Konto der freien Erfindung des Roman-
schreibers zu setzen ist. Vergegenwärtigen wir uns, dass die
Abfassungszeit jener Schriften ın den Zeitraum der zweiten Hälfte
des 2. Jahrh. und der ersten Decennien des 3. Jahrh. fällt, so
wird unsere Hoffnung auf echte und selbständige Traditionen
von vornherein herabgestimmt. Denn durch welche besonderen
Kanäle sollten diesen Romanschreibern wertvolle Stoffe zuge-
flossen sein, wenn schon den altchristlichen Schriftstellern trotz
eifrigen Bemühens so spärliche und so wenig brauchbare Tra-
152 Carl Schmidt.
ditionen über das Urchristentum zu Gebote standen? Für uns
heute mag dieser Thatbestand beklagenswert erscheinen; die
Urchristen haben dabei keinen Mangel empfunden. Das neue
religiöse Leben nahm ihr ganzes Sinnen und Trachten in An-
spruch, der enthusiastische Geist beherrschte ihre Gemüter. Der
Herr und seine Worte, die von den Jüngern und Aposteln ver-
kündet wurden, waren die lebendigen Autoritäten, und als zweite
Instanz galten die mit Charismen ausgestatteten Evangelisten,
Propheten und Lehrer. In dieser Zeit der ersten Liebe fasste
man garnicht den Gedanken an eine Einbürgerung des Christen-
tums in der Welt, da das ırdische Leben und die weltlichen
Güter keinen Wert besassen gegenüber den Gedanken an die
Erwartung Christi und des Gottesreiches. Bei dieser geistigen
Disposition der ältesten Christengemeinden, zumal da sie ver-
hältnismässig wenige wissenschaftlich gebildete und geistig inter-
essierte Männer in ihrer Mitte hatten, fehlte jede Reflexion über
die Vergangenheit, jedes Interesse für historische Persönlich-
keiten; man fühlte sich in der Gegenwart so reich und freute
sich der nahen Zukunft.
Wie ganz anders gestaltete sich das innere Leben seit der
Mitte des 2. Jahrh., als innere und äussere Kämpfe die Gemein-
den zur Organisierung einer katholischen Kirche zwangen; als
diese konsolidierte Kirche mehr und mehr ihren Pakt mit der
Welt schloss, um das Heidentum für die neue Lehre zu ge-
winnen und das römische Reich für sich zu erobern; als das
bischöfliche Amt die Geistesträger ersetzte und die freiwirken-
den enthusiastischen Mächte einschränkte, ja verdrängte Die
lebendigen geistigen Ströme flossen nicht mehr so reichlich; die
Epigonen fühlten in sich nicht mehr den inneren Reichtum zur
Reproduktion neuer Erkenntnisse, sie suchten nach Autoritäten,
von deren geistigem Eigentum sie zehren konnten, und diese
fanden sie in den Aposteln. Mit einem Schlage erhielt die
apostolische Zeit einen ganz andern Wert für die Gesamtkirche.
Die apostolischen Urkunden wurden die klassischen Quellen für
Lehre und Leben; deshalb ging man mit emsigem Eifer an ihre
Sammlung. Die apostolischen Kirchen traten als die Träger und
Bewahrer der wahren Traditionen gegen die Gnostiker auf; sie
waren in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, da ihre Bischöfe
als Nachfolger der Apostel die richtige Lehre verbürgen sollten.
Petrusakten. 153
Man stellte Bischofslisten auf, man zeigte die Gräber der Apostel
und sammelte mündliche Überlieferungen. Aber gerade bei dieser
Arbeit zeigte es sich, wie wenig die alten Generationen sich um
die äusseren Lebensschicksale der Apostel gekümmert hatten,
und, was noch schmerzlicher, wie unwiederbringlich jener Verlust
war! Eusebius hat mit Argusaugen die Werke des Hegesipp,
Irenaeus, Clemens und Anderer nach Traditionen über die Apostel
durchsucht, aber wie’ kärglich ist seine Ausbeute gewesen, und
auch das Wenige, so dürfen wir heute sagen, konnte kaum eine
wertvolle Ergänzung zu dem schriftlichen Nachlass liefern, mochte
auch Clemens seine wundervolle Erzählung über Johannes und
den geretteten Jüngling mit den Worten einleiten: "4xovoo»
uödov, οὐ μῦϑον, ἀλλὰ ὄντα λόγον, περὶ Ἰωάννου Tod ἀπο-
στόλου παραδεδομένον καὶ μνήμῃ πεφυλαγμένον. Es ist diesen
Sammlern apostolischer Traditionen nicht besser ergangen wie
dem Papias einige Decennien vorher, als er es unternahm, die
mündlichen Überlieferungen über den Herrn auf die Erkundi-
gungen bei den Preshytern und andern Augenzeugen der früheren
Generation hin schriftlich zu fixieren; freilich muss er viel Mate-
rial gesammelt haben, aber nach den uns erhaltenen Proben zu
urteilen, scheint der innere Wert dem äusseren Umfange nicht
entsprochen zu haben, da sonst sein Werk den Späteren viel
mehr Stoff geliefert haben müsste.
Und doch hatte man apostolische Traditionen so dringend
nötig, um dem gnostischen Ansturm siegreich zu begegnen. Denn
die neutestamentlichen Urkunden reichten bei weitem nicht aus,
um alle neuen Bedürfnisse auf dem Gebiete der Verfassung, des
Kultus und der Lehre zu befriedigen. Ganz andere Probleme
wie in der Zeit des Urchristentums beschäftigten jetzt die christ-
lichen Gemeinden und erheischten bündige Antwort durch apo-
stolische Autoritäten. Da man diese aber nicht besass, so musste
man durch pseudepigraphe Litteratur dem Mangel abhelfen. In
dieser Notlage hat ein guter Katholik die „Didache“ der Kirche
geschenkt, indem er das gesammelte Material unter die Autorität
der Apostel stellte. Aus der gleichen Not sind auch die Apostel-
akten geboren. Der Paulus der Briefe, der leidenschaftliche
Kämpfer gegen den Judaismus, wurde von den Heidenchristen
in vielen Stücken kaum mehr verstanden (vgl.2. Petr. 3, 16), oder
seine Lehrmeinungen wurden durch Interpretationen verunstaltet.
154 Carl Schmidt.
Das bewog m. E. einen Presbyter der Kirche Kleinasiens, einen
Paulus zu zeichnen, der in der Sprache seiner Zeit redete und
lehrte, der in dem Briefwechsel mit den Korinthern ein klares
und unzweideutiges Glaubensbekenntnis wider den Gnosticismus
ablegte und auf dem Gebiete der Ethik das christliche Sitt-
lichkeitsideal in der Person der Thekla darstellte. Nicht also
zur Befriedigung eines persönlichen Ehrgeizes hat er zur Feder
gegriffen, sondern aus Liebe zu Paulus, ‘wie er seinen Rich-
tern eingestand, und aus Liebe zur Kirche, wie wir hinzusetzen
dürfen. Aus gleichen Motiven haben auch die übrigen Verfasser
die einzelnen Apostelgestalten zum Mittelpunkt ihrer Werke ge-
macht. Die litterarische Form war ohne Schwierigkeit gefunden,
nämlich in den kanonischen πράξεις τῶν ἀποστόλων. Nicht
nur der Titel πράξεις“ ist von dort entnommen, sondern auch
die ganze Komposition, das Gedanken- und Sprachmaterial, wie
überhaupt die Anlehnung an die kanonische Litteratur sehr stark
hervortritt: ein sicheres Zeichen, dass wir keine Gnostiker vor
uns haben. Deshalb brauchen wir durchaus nicht auf den antiken
Roman zu recurrieren, wie es jüngst v.Dobschütz! gethan hat, um
die Entstehung dieser Litteraturgattung zu erklären. Der Unter-
schied zwischen den kanonischen πράξεις und den apokryphen
πράξεις liegt einzig und allein in dem verarbeiteten Material.
Der Verfasser der Apostelgeschichte konnte nämlich zum Teil über
ein ausgezeichnetes Quellenmaterial verfügen und mit dessen Hilfe
ein ziemlich treffendes Bild von den Ereignissen liefern, wenn
er auch in den Reden seiner freien Phantasie die Zügel schiessen
liess, und ferner die treibenden Kräfte und Gegensätze der ur-
christlichen Zeit nicht mehr in der ganzen Tiefe verstand; immer-
hin stand er der Apostelzeit nahe. Wie viel schlechter waren
die Verfasser der Apostelakten gestellt! Nicht nur waren sie der
Zeit nach ca. 1 Jahrh. den Begebenheiten entrückt, sondern vor
allem verfügten sie nur über wenige abgerissene historische
Notizen resp. Überlieferungen von selbständigem Werte. Trotz-
dem hatten sie es sich zur Aufgabe gestellt, ein umfangreiches
Werk über die Lebensschicksale jedes einzelnen Apostels zu ver-
fassen. In Ermangelung eines Besseren musste die Phantasie
1) „Der Roman in der altchristlichen Litteratur‘ in der Deutschen
Rundschau, 1902, H. τ, 8.$7 ft.
Petrusakten. 155
den Stoff formen. Nur aus diesem Grunde gehören die Apostel-
akten der Romanlitteratur an, während die Apostelgeschichte zu
den historischen Büchern gerechnet wird; beide aber sind, auf
das litterarische εἶδος gesehen, völlig gleich zu achten.
Also Legende, nicht Geschichte konnten die Verfasser bieten,
freilich eine Legende, die stets auf einer schmalen geschichtlichen
Grundlage ! aufgebaut ist; insofern haben die Verfasser sich nicht
von der kirchlichen Überlieferung emanzipiert und zeigen sich
auch in dieser Beziehung als Glieder der Grosskirche. Und dass
sie überall ein dankbares Publikum fanden, lehrt der beispiellose
Erfolg ihrer Schriftstellerei. Wie Wasser von dürrem Boden mit
Begierde aufgesogen wird, so nahmen die Zeitgenossen die Ro-
mane mit glühender Verehrung auf. Die schönen Erzählungen
von den Wunderthaten der Apostel und der Ausbreitung des
Christentums in den ersten gesellschaftlichen Kreisen mussten bei
der grossen Masse des Volkes, das viel lieber unterhalten, als
belehrt werden will, zündend wirken. Hier hatte man keine
Schemen, sondern greifbare Gestalten vor sich und freute sich
der herrlichen Vergangenheit, die das Christentum unter den
Aposteln erlebt hatte. Dass diese Schriften Legenden, nicht Ge-
schichte enthielten, daran dachten die Leser garnicht; die histo-
rische Kritik und Skepsis eines Eusebius lag ihnen bei ihrer
Naivität fern. Aber beweist nicht das Schicksal jenes Verfassers
der Paulusakten das Gegenteil? Er wurde doch vor ein geist-
liches Gericht gestellt und seines Presbyteramtes entsetzt! Mit
der Entlarvung des Verfassers hätte nun nach unserem Dafür-
halten auch das Schicksal des Buches entschieden sein müssen,
aber gerade die Acta Pauli haben einen Triumph erlebt, wie
wohl kaum ihr Verfasser erhofft hatte Schon am Anfang des
3. Jahrh. sind sie in lateinischer Sprache in Nordafrika verbreitet
und werden von Hippolyt in Rom als geschichtliche Urkunde
benutzt: Das giebt auch bei andern Fragen zu denken, aber wir
wollen dem nicht weiter nachgehen. Für uns genügt es, zu
1) Dazu rechne ich auch die aus der profanen Geschichte geschöpften
Königsnamen (vgl. A. v. Gutschmid, Die Königsnamen in den apokryphen
Apostelgeschichten, im Rhein. Mus. f. Philologie. N. F. Bd. XIX 1864, S. 161 ff.
u. 380 ff... Dass ein Verfasser, der über Indien oder die Pontusländer schrei-
ben sollte, sich über diese Länder aus anderweitigen Quellen orientierte, ist
doch selbstverständlich.
156 Carl Schmidt.
wissen, dass die alte Kirche neben den neutestamentlichen Ur-
kunden nur wenige sichere Nachrichten über die Lebensschick-
sale der Apostel besessen und in Ermangelung dessen die Legen-
den als Geschichte in die Tradition aufgenommen hat.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen werden unsere Er-
wartungen auf brauchbare selbständige Traditionen über die
Lebensschicksale des Petrus nicht allzu hoch gespannt sein. Und
in der That wusste der Verfasser aus der kirchlichen Überlieferung
nicht mehr als was wir wissen, dass nämlich Petrus in Jerusalem
gewirkt, am Ende seines Lebens nach Rom gekommen sei und
daselbst unter Nero den Märtyrertod erlitten babe. Bei Justin
las er, genau so wie wir, dass der in der Apostelgeschichte ge-
nannte Simon, der in Samaria als Zauberer göttliche Verehrung
genoss und dort mit Petrus zusammengekommen war, unter Clau-
dius nach Rom gekommen und gleichfalls als Gott mit einer
Bildsäule ausgezeichnet wäre. Durch willkürliche Kombination
dieser beiden Überlieferungen hat er fast den ganzen Stoff seines
Romans erfunden. Deshalb besitzen die Petrusakten für uns
absolut keinen historischen Wert, wir können sie bei den Unter-
suchungen über das Leben des Petrus ganz beiseite lassen.
Immerhin wird es von Interesse sein, einen kurzen Blick ın die
Werkstatt des Fabrikanten zu werfen.
In dem N. T. wie in der Tradition fand der Verfasser über-
liefert, dass Petrus verheiratet gewesen sei und auch Kinder ge-
zeugt habe. Dies war die schmale Unterlage für die Legende
von der paralytischen Tochter des Petrus. Und wenn am Schluss
der Episode Petrus erzählt, Ptolemaeus habe aus Dank seiner
Tochter ein Stück Acker testamentarisch vermacht, und wenn
er ausdrücklich betont, indem er Gott zum Zeugen anruft, dass
er den Acker später verkauft und das Geld den Armen geschickt
habe, ohne etwas davon zu unterschlagen, so soll uns nur das
Gegenbild von Ananias und Sapphira vor Augen geführt wer-
den. Nicht besser steht es mit den in den Actus Vercellenses
überlieferten Personen !. Folgende Namen kommen vor: Can-
dida und ihr Gemahl Quartus, Gefangenwärter des Paulus in
Rom, Rufina, die wegen sündhafter Teilnahme an der Eucha-
ristie mit Paralyse bestraft wird, die römischen Ritter aus Klein-
1) Über die spanische Reise des Paulus werde ich in der Ausgabe der
Acta Pauli handeln.
Petrusakten. 157
asien Dionysius und Balbus, der Senator Demetrius, Anhänger
des Paulus, desgleichen aus der Zahl der kaiserlichen Libertinen
Cleobius, Ifitus, Lysimachus und Aristeus, die Matronen
Berenice und Filostrate, der Presbyter Narcissus, der
Steuermann Theon und sein Gastfreund Ariston in Puteoli,
der Senator Marcellus, der von den Toten auferweckte Jüng-
ling Nicostratus, die reiche Chryse, Gemellus, der Freund
des Simon Magus, Kastor in Terracina, Agrippa, Präfekt
von Rom, mit seinen vier Kebsweibern Agrippina, Nicaria,
Euphemia und Doris, Albinus, der Vertraute des Nero, und
dessen Gemahlin Xantippe, Agrippinus, Goldschmied in Jeru-
salem, Eubula, reiche Matrone in Jerusalem, die beiden Jüng-
linge und Genossen des Simon Magus, Italicus und Antulus,
Pompeius, Legat von Judäa. Überblickt man dieses stattliche
Verzeichnis von 32 Personen, nämlich 11 weiblichen und 21 männ-
lichen, so sind zwei Namen aus dem Schlusse des Römerbriefes
entnommen, Quartus Röm. 16, 23 und Narcissus Röm. 16, 11.
Berenice erinnert an die Gemahlin des Königs Agrippa
Act. 25, 13 u. Agrippa an deren Gemahl selbst. Zum Geschäft
eines Romanschreibers gehört es nun, diese Personen einerseits
mit bestimmten Funktionen auszurüsten, andererseits die vor-
handenen willkürlich umzuändern. So wird Quartus zum Ge-
fangenwärter des Paulus in Rom, Narcissus zum Presbyter kreiert,
aus Berenice wird eine vornehme römische Matrone und aus Agrippa
der Präfekt Roms gemacht. Leider hat Erbes diese Mache nicht
beachtet und aus dem Vorkommen von Agrippa und Albinus,
den er mit dem Nachfolger des Statthalters Festus identificiert,
auf eine ursprüngliche Überlieferung geschlossen, derzufolge
Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben sein soll.
Seine Hypothesen sind vollkommen haltlos, wie überhaupt seine
Konstruktion über das Verhältnis der alten Akten zu den Linus-
akten auf durchaus falschen Prämissen beruht. Sollten wir viel-
leicht etwa auf Grund der Angabe, dass Simon Magus in Jeru-
salem mit Petrus und Paulus zusammentrifft, eine alte echte
Überlieferung statuieren? Der Romanschreiber nimmt eben für
sich das Recht in Anspruch, der wirklichen Geschichte direkt
ins Gesicht zu schlagen.
Die Bedeutung der Akten liegt für den Kirchenhistoriker auf
einem ganz andern Felde. Denn so wertlos sie für die Geschichte
158 Carl Schmidt.
des apostolischen Zeitalters sind, so wertvoll sind sie für unsere
Kenntnis der altkatholischen Kirche, ja sie sind m. E. geradezu
Quellen ersten Ranges. In der Darstellung der Apostelzeit spiegelt
sich die Zeitgeschichte wieder; Ideal und Wirklichkeit sind
durch eine seltsame Verkettung gewissermassen mit einander
verwoben; aber dem aufmerksamen Leser liegt die Aufgabe ob,
dieses kunstvolle Gewebe wieder aufzulösen. Der Dogmenhistoriker
freilich berücksichtigt diese Quellen nur nebensächlich, da seine Dar-
‚ stellung sich auf den Höhen der christlichen Erkenntnis bewegt.
Es geht uns umgekehrt wie im Gebirge: hier erblicken wir so selten
die Spitzen der Berge im hellen Sonnenschein, obwohl die Thäler
vom Nebel befreit sind, dort dagegen treten uns die Spitzen in
der Gestalt der wissenschaftlichen Vertreter des Christentums
in voller Beleuchtung entgegen, während der thatsächliche Zu-
stand der unteren breiten Masse in Nebel gehüllt ist. Vergebens
suchen wir nach einer Darstellung des Popularchristentums,
wie es uns in den Apostel-, Märtyrer- und Heiligenlegenden, in
den Predigten und andern Schriften aufbewahrt ist. Das Christen-
tum ist nicht Philosophie, sondern Leben, nicht Erkenntnis,
sondern Kraft gewesen. Und manche Seiten in der Entwicklung
des Christentums würden uns m. E. verständlicher sein, wenn
wir diese grossen Unter- und Nebenströme genau kennten. Mag
deshalb auch immer die älteste Missionsgeschichte der Kirche
durch eine tendenziöse Geschichte ersetzt sein, um so heller
leuchtet uns in den Apostelakten die Mission entgegen, welche
das Christentum thatsächlich unter der Heidenwelt ausgeübt
hat und zur Zeit des Verfassers noch ausübt. Deshalb wollen
wir den Legendenwust beiseite lassen und in kurzen Strichen
den religiösen Gehalt der Petrusakten skizzieren.
Die christliche Missionspredigt richtet sich an die Heiden-
welt mit den Worten: „sı non convertamini ab his malis vestris
et ab omnibus fabricatis diis vestris et ab omni inmunditia et
concupiscentia, (in aeternum peribitis. convertimini ergo et) per-
cipite communicationem Christi credentes (ut) in seternum vitam
consequamini“ (p.78, 1ff.). Ewiges Feuer einerseits (vgl. p. 55, 25;
57,23; 60,11; 62,4; 64, 19; 76,11) und ewiges Leben
(p. 55, 27) andererseits sind die beiden Wege, die dem Heiden
bei der Verkündigung des Evangeliums zur Wahl gestellt
werden. Denn in den früheren Zeiten herrschte die ignorantia
Petrusakten. 159
(p. 53, 24. 27; 58, 22) und damit verbunden die Sünde, welche
als das Werk des Satans und seiner Engel gilt. Als nun Gott
das Verderben der Menschen sah, hat er aus Güte und Mitleid
(p. 53, 28; 67, 5) seinen Sohn in die Welt geschickt, der in
Menschengestalt erschienen ist und um der verlorenen Menschen
willen gelitten hat, gestorben und auferstanden ist. Aber das
Evangelium vom Gekreuzigten', das Paulus in den Mittelpunkt
gestellt hat, tritt hier ganz zurück gegenüber der Verkündigung
von dem „deus misericors“ Jesus Christus, der nach seiner Auf-
erstebung mit dem Vater identisch ist. Für den einfachen Christen
ist eben der Erböhte der deus vivus (8. o. S. 91, Anm. 1); sein
monotheistisches Gefühl lässt den Gedanken an Subordination
des Sohnes nicht aufkommen. Bonitas, misericordia und gratia
(p. 47,21; 53,28; 54, 6; 55,20; 67, 7.20; 68,21; 69, 16; 74, 21.30;
77, 17. 18) sind die drei Haupteigenschaften, die der Christ an
seinem lebendigen Gott erfahren hat. Deshalb taucht nirgends eine
Versöhnungstheorie im alttestamentlichen oder paulinischen Sinne
auf, mag auch an Jes. 53, 4 erinnert werden. Das einzige und
höchste Gut, das Jesus Christus den Menschen schon jetzt ge-
schenkt hat, ist die Vergebung der Sünden. „Fidelis est, qui
possit peccata tua delere“ (p. 46, 21), das ist das Glaubensbe-
kenntnis, mit dem der Missionar an die Einzelnen herantritt und
den schon Verzagten die Gewissheit der Sündenvergebung über-
mittelt. Wie lebenswahr und zugleich erschütternd ist die Szene,
wo die Neophyten, eingedenk ihrer früheren Sünden, an ihre
Brust schlagen und verzweifelnd ausrufen: „Wir wissen nicht, ob
uns Gott die früheren Sünden, die wir gethan haben, vergeben
wird“ (p. 46, 28). Die Erkenntnis der Sünde ist die Eingangs-
pforte der christlichen Missionspredigt in die Herzen der Un-
gläubigen. Ohne paenitentia (p. 46, 21; 58,8; 59, 15; 63,31) tritt die
misericordia Gottes nicht in Aktion. Denn das Evangelium richtet
sich an die Gewissen der Menschen, es will den ganzen Menschen
und verlangt deshalb einen neuen sittlichen Habitus, wie Paulus
in seiner Rede auf jene verzweifelte Frage die Antwort also
formuliert: „Viri fratres, qui nunc credere coepistis in Christum,
si non permanseritis in pristinis operibus vestris et paternae
traditionis et abstinueritis vos ab omni dolo et iracundia et sae-
--- ««---..-...-.-.-ς-.-...
1) Das Kreuz ist bereits zum Mysterium geworden.
160 Carl Schmidt.
vitia et moechia et coinquinatione et a superbia et zelo, fastidio
et inimicitia, dimittet vobis lesus deus vivus quae ignorantes
egistis. quamobrem, servi dei, armate vos unusquisque interiorem
hominem vestrum pacem, aequanimitatem, mansuetudinem, fidem,
carıtatem, scientiam, sapientiam, amorem in fraternitatem, hospi-
talitatem, misericordiam, abstinentiam, castitatem, bonitatem,
iustitiam. tunc habebitis in aeterno ducem vestrum primogenitum
totius creaturae et virtutem in pace cum domino nostro“. Mit
diesen Hauptstücken ist in nuce die christliche Missionspredigt
umschrieben: Abwenden von den früheren heidnischen Lastern
— Vergebung der in Unwissenheit begangenen Sünden, Voll-
bringen des neuen christlichen Sittengebotes — ewiger Lohn in
der zukünftigen Welt bei Christus. Diese einfachen Gedanken
haben in der Heidenwelt fruchtbaren Boden gefunden und die
wunderbare Ausbreitung der neuen Lehre hervcergerufen. Es ist
nicht Ideal, sondern Wirklichkeit, dass das Evangelium bereits
in den vornehmsten Kreisen der römischen Gesellschaft Einzug
gehalten hat. Es ist nicht Ideal, sondern Wirklichkeit, dass ein
neuer sittlicher Geist die christliche fraternitas — dies ist die
solenne Bezeichnung der Christen neben servi dei — belebt und
sich überall thatsächlich erweist. „Non est in verbis habenda
fides, sed in operibus et factis‘“ (p. 64, 28), das ist das neue
Lebensprinzip, und dies zeigt sich nach aussen hin in der Aus-
übung der Feindesliebe (p. 57,18; 76, 28)! und innerhalb der
christlichen Gesellschaft in der werkthätigen Liebesgemeinschaft.
Die misericordia ist von Gott auf seine Gemeinde überge-
gangen. Hell strahlt sie uns entgegen in der Person des Senators
Marcellus, von dem die römischen Christen an Petrus zu berichten
wissen: „viduae omnes sperantes in Christo’ ad hunc refugium
babebant; omnes orfani ab eo pascebantur. quid plura, frater?
Marcellum omnes pauperi patronum vocabant. cuius domus pere-
grinorum et pauperorum vocabulum habebat. cui imperator
dixit: "Ab omni officio te abstineo, ne provincias expolians Chri-
stianis conferas’. cui Marcellus respondit: "Et mea omnia tua sunt..
cui dixit Caesar: θα essent, si mihi ea custodires; nunc autem,
quia non sunt mea, cui vis ea donas et hoc nescio quibus
1) malum enim pro malo non novimus retribuere; sed didicimus ini-
micos nostros diligere et pro persecutores nostros orare.
Petrusakten. 161
infimis’“ (p. 55, 1ff. vgl. 64, 26; 66, 14). „Axovoov μῦϑον, οὐ
uö$ov“, möchte man bei dieser schönen Erzählung mit Clemens
ausrufen. Die Sorge für die Witwen und Waisen, für die Armen
und Fremden war ja die soziale Botschaft des Evangeliums;
Privat- wie Gemeindeliebesthätigkeit rangen in edlem Wetteifer
mit einander. Der Christ verzichtet gern auf die Güter dieser
Welt, da ein aeternum refrigerium seiner harrt (p. 64, 2; 65, 21;
74,6). Petrus verkauft den Acker seiner Tochter und sendet
den ganzen Erlös an die Armen (8. ο. 8. 10). Die reiche Eubula
schenkt ihre gesamte Habe den Witwen, Waisen und Armen';
die Mutter des auferweckten Nicostratus bringt aus Dank
2000 Goldstücke für die virgines Christi, ihr Sohn selbst
4000 Goldstücke (p. 79, 9. 12), die Chryse sogar 10.000 (p. 80, 1).
Aber das letzte Beispiel zeigt, wie bereits der alte strenge Stand-
punkt durchbrochen und die sittliche Würdigkeit des Gebers
nicht mehr ausschlaggebend ist, wenn das Geld nur den Armen
zugute kommt. Noch freilich regt sich eine rigorose Partei in
der Gemeinde, aber sie ist in der Minderheit. Die Verweltlichung
hat schon die Kirche erfasst, die Almosen sind gewissermassen
zu einem blossen ministerium veräusserlicht?. Derselbe Geist
droht auch die alte strenge Disziplin und Busspraxis zu zer-
stören. Die Taufe war die Versiegelung in die Gemeinschaft
Christi, daher signum = σφραγίς (p. 50, 28; 51, 8) genannt, sie
verpflichtete zu einem reinen Leben nach den Geboten Christi.
Die Christen galten als die sancti (= ἅγιοι p. 62, 10), als die
vasa sancta (σχεύη ἅγια p. 47, 29), und als solche haben sie sich
in der Gemeinschaft zu bewähren. Es ist insbesondere der Kampf
gegen die Unsittlichkeit des Heidentums, den das Christentum
von Anfang an mit Nachdruck aufgenommen hat; die ἁγνεία
(p- 86, 9) und ἐγχράτεια (p. 47, 8) gelten daher als das christ-
liche Sittlichkeitsideal. Sie müssen in der älteren Predigt einen
1) p- 65,19%: Eubula autem postquam recepit omnia sua dedit in
ministerium pauperorum, credens autem in dominum Iesum Christum
et confortata et contemnens et abrenuntians huic saeculo, tribuebat viduis
et orfanis et vestiens pauperos.
2) Der Lohngedanke spricht deutlich aus den Worten des Marcellus,
der seine Wohlthätigkeit an die Christen bei seinem Abfall zu Simon
Magus bereut hatte: „Tantam substantiam inpendi tanto tempore, supervacuo
eredens in dei notitiam me erogare!“
Texte u. Untersuchungen, N. F. IX. 1. 1
162 Carl Schmidt.
breiten Raum eingenommen haben, dafür legen der 11 Clemens-
brief und die Acta Pauli ein deutliches Zeugnis ab. Das In-
stitut der heiligen Jungfrauen (p. 69, 22; 79, 10) ist entstanden;
der wahre verheiratete Christ führt ein eheliches Leben nach dem
Grundsatze des Paulus 1. Kor. 7, 29, die Frau betrachtet er als
ἀδελφή; der Unverheiratete soll sich der Ehe ganz enthalten,
wie an dem Beispiel des Ptolemäus und der Petrustochter illu-
striert wird. Dass diese Propaganda insbesondere bei der Frauen-
welt grosse Wirkung ausgeübt hat, ist nicht der Phantasie des
Romanschreibers entsprungen, sondern entspricht wirklichen That-
sachen, wenn auch der Maler hier stärkere Farben aufgetragen
hat. Aber für die grosse Masse der Christen war diese Aufgabe
viel zu hoch; die tägliche Erfahrung zeigte nur zu deutlich die
mannigfachen Fehltritte, die auf die Machinationen und Ver-
suchungen des Teufels zurückgeführt wurden (p. 49, 20. 27;
52, 10.14; 53,21; 54,8; 55, 24ff. etc); die infirmitas carnis
(p. 47,33; 54, 6) verlangte Berücksichtigung. Wie vor der Taufe,
so steht auch nach der Taufe Christus, den Angriffen des Satans
gegenüber, seiner Herde helfend und schützend zur Seite. Dass
der Christ stets einen gnädigen und gütigen Gott hat und
dessen gewiss ist, klingt wie kaum in einer andern gleichzeitigen
Schrift als Hauptthema durch. Selbst die groben Sünden wie
Hurerei und Abfall vom Glauben sind von der Vergebung nicht
ausgeschlossen; das bedeutet bereits einen Fortschritt in der
Verweltlichung über Hermas hinaus und führt in gerader Linie
zu dem Standpunkt des Calixt. Der Verfasser der Akten lässt
den Paulus sowohl wie den Petrus die gleiche Stellung in der
Bussdisziplin einnehmen; beide Apostel fordern als einzige
Vorbedingung die „paenitentia ex toto corde“. So hat Rufina
sich vermessen, an der Eucharistie teilzunehmen, obwohl sie in
einem unkeuschen Verhältnis lebt; sie wird zwar mit einer teil-
weisen Paralyse bestraft, aber Paulus giebt ihr zugleich die Ver-
sicherung: si autem paenitueris in facto tuo, fidelis est, qui possit
peceata tua delere (et) ab hoc liberare peccato“; der ewige
Tod trifft sie erst, wenn die paenitentia nicht geleistet wird:
„si autem non paenitueris, cum adhuc in corpore es, accipiet te
ignis vastator et tenebrae exteriores in omnia saecula“ (p. 46, 21f}.).
Für diese laxere Praxis in der Sündenvergebung beruft man sich
bereits auf Herrenworte, wie das Verhalten des Marcellus bei
Petrusakten. 163
der Bitte um Wiederaufnahme in die Gemeinde lehrt. Zunächst
ist das Bekenntnis der Sünde notwendig, dann folgt die Reue
über die That und das Vertrauen zu Gott, dass er die Sünden
vergeben wird, und zuletzt die flebentliche Bitte an die Gläubigen,
durch ihre Fürbitte den Sünder der Gnade Gottes bez. Christi
zu empfehlen. Das Gebet des Petrus (p. 58, 12ff.) kann gewisser-
massen als klassische Urkunde für ein öffentliches Bittgebet bei
der Aufnahme von Sündern angesehen werden; es lautet: „Tibi,
domine noster, gloria et elaritudo, deus omnipotens, pater domini
nostri lesu Christi. tibi laus et gloria et honor in saecula sae-
eulorum. amen. quoniam et nos nunc in pleno confortasti et
constabilisti in te sub oculis omnium videntium, domine sancte,
confirma Marcellum et mitte pacem tuam in eum et domum
illius hodie; quidquid autem periit (? peccat) aut errat, tu solus
convertere potes universos. te depraecamur, domine pastor
ovium dissipatarum olim, nunce autem per te coadunabuntur.
sic et Marcellum tamquam unam de oviculis tuis suscipias et
non patiaris iam in errore aut in ignorantia diutius bacchari;
sd recipias in numero ovium tuarum. etiam, domine, suscipe
eum, cum dolore et cum lacrimis rogantem te.“ Dies Fürbitte-
gebet trägt einen so einfachen, echt christlichen Charakter an
sich, dass ich an künstliche Mache nicht glauben kann. So muss
wirklich in der Gemeinde vom Bischof gebetet worden sein, wenn es
galt, ein verirrtes Schaf in den Schoss der Herde wieder aufzu-
nebmen.! Besonders schön klingt der Schluss aus: „Ja, ὁ Herr,
nimm ihn auf, der unter Schmerz und Thränen dich bittet.“ Ist
also auch der rigorose Standpunkt in der Bussdisziplin gegen-
über groben Sündern im Schwinden begriffen, so ist doch der
Akt der Sündenvergebung noch nicht zu einer blossen Form
herabgesunken. Es wurde ernste innerliche Reue verlangt, die
sich nach aussen durch Schmerz und Thränen kund that. Und
die Christen sind der Erhörung ihres Gebetes gewiss, da ihr
Gott fidelis (πιστός 1. Kor. 1, 9) ist; jeder, der fest auf ihn ver-
traut und zu ihm im Gebet sich wendet, findet Gewährung
(p. 59, 28; 74, 5). denn per eum omnia inpossibilia possibilia sunt
(p. 59, 31). Freilich sind Gottes’ Wege nicht der Menschen Wege,
1) Die Wiederaufnahme in 416 (iemeinde geschieht durch Umarmung
(p. 58, 25).
11*
164 Carl Schmidt.
deshalb meinen die Menschen häufig, dass er ihrer vergessen
hat, oder dass er machtlos ist inbetreff der Dinge, um die sie
ibn bitten, aber der wahre Christ weiss, dass der gütige Gott
die Seinigen regiert und einem jeden das Gute bereitet! (vgl.
die Praxis o. S. 10). Das höchste Gut, das der Christ in der Zu-
kunft erwartet, ist das ewige Leben; dies ist gewährleistet durch
die repromissio Christi (p. 47, 20; 58, 9), von der niemand die
Gläubigen trennen kann (et nemo vos evellere poterit de repru-
missione ipsius p. 47, 25). Christus ist nicht allein der Heiland’,
sondern auch der Richter der Lebendigen und der Toten (p. 64, 20 f.:
qui est omni veritate plenus et iustus iudex vivorum atque mor-
tuorum, et non est alia spes vitae hominibus, nisi per eum, per
quem tibi salvata sunt quae perdideras, vgl. p. 75, 2); auf ihn harrt
deshalb die Gemeinde. dass er kommen und einem jeden nach
seinen Werken zuerteilen wird (p. 90, 14). Aber es ist doch auf-
fallend, dass der enthusiastische Gedanke an das zukünftige Reich
ganz zurücktritt. Das vierte Hauptstück der christlichen Missions-
predigt neben Gott, Christus und der Enkrateia, d. i. die Anastasis
wird nirgendwo in den erhaltenen Stücken erwähnt. Die christ-
liche Gemeinde, zu welcher der Verfasser gehört, kennt keine
Schwärmerei 3, sondern sie hat sich auf den Boden der Wirklichkeit
gestellt; sie will in der Welt wirken und die Religion der Sitt-
licbkeit verbreiten. Damit hängt auch zusammen die wenig
schroffe Haltung gegenüber dem heidnischen Staat, insbesondere
gegen den Kaiserkult. Marcellus, der Christ, hat ruhig eine grosse
marmorne Kaiserstatue im Atrium seines Hauses stehen und ist.
ganz bestürzt, als die Statue durch einen Dämonischen in Stücke
zerschlagen wird, da er eine Anzeige beim Kaiser durch Dela-
1) In Christus fühlt sich jeder geborgen, da er stets für die Seinen Für-
sorge trägt (p. 70, 24) und auf sie hört, da er ihnen gegenwärtig ist (p. 65,
318: „flectamus ergo genua Christo, obaudiens nos, etsi non clamaveri-
mus; est qui videt nos, etsi non videtur istis oculis, sed in nobis est: si
volumus, non recedet a nobis. expurgemus ergo animas nostras ab omni
temptatione pessima, et non discedet a nobis deus; et si tantum annueri-
mus oculis, adest nobis“).
2) Vgl. 61, 17; 63, 31; 74, 14.
3) Doch ist der Gedanke an die Wiederkunft des Herrn kräftig genug;
die Christen beschwören den Paulus „per adventum domini nostri lesu
Christi“, nicht länger als 1 Jahr von ihnen fern zu sein.
Petrusakten. 165
weisung von Seiten des Petrus erwarten, aber der Tadel ist sehr
milde: „Non te talem video sieut paulo ante: dicebas enim
paratum te esse, omnem substantiam tuam erogare velle ut ani-
mam tuam salvam facias“; zugleich fordert er den Marcellus auf,
mit Händen das aus dem Springbrunnen fliessende Wasser zu
schöpfen und es unter Gebet im Namen Christi auf die Frag-
mente zu sprengen. Dies geschieht, und die Statue wird wieder
heil. Von Feindschaft gegen den Kaiserkult, von Märtyrer-
freudigkeit ist nichts zu merken, wenn Marcellus betet: „si ergo,
domine, voluntas tua est. esse me in corpore, et non patiar ali-
quid a Caesare, sit lapis hie integer sieut ante fuit“ (p. 59, 24f.).
Dieses Wunder lehrt zugleich, wie tief bereits magische Vor-
stellungen in die christlichen Volkskreise eingedrungen sind.
Die häufigen Anrufungen des Namens Jesu Christi bei Wundern
aller Art oder im Kampfe gegen die Dämonen mussten in den
unteren Schichten den Aberglauben erwecken und festhalten, der
ihnen noch vom Heidentum her tief im Blute lag. Ganz heid-
nisch mutet es uns an, wenn Marcellus sein Haus von den Spuren
und ılem Staube des abscheulichen Simon reinigt, indem er mit
geweihtem Wasser das ganze Haus, alle Sophas und die
ganze Halle mit Einschluss der äusseren Thür besprengt und
die Worte spricht: „seio te, domine Jesu Christe, mundum et
intactum esse ab omni immunditia, ut exfugetur hostis et ini-
miens meus a conspectu tuo“ (p. 66, 105). In dieser äusserlichen
superstitiösen Weise werden Heiden, die as Evangelium an-
nahmen, den Reinigungsakt im Hause vorgenommen haben. Ob
und wie weit sich magische Vorstellungen an die beiden heiligen
Handlungen, an Taufe und Abendmahl, angeschlossen haben, lässt
sich nicht sicher bestimmen. Das Beispiel des Theon lehrt, dass
beim Taufakt der Täufling wie der Täufer im fliessenden Wasser
stehen und die Taufe beim Untertauchen in nomine patris et filii
et spiritus sancti (p. 50, 30) stattfindet. Daran schliesst sich
die Feier der Eucharistie, die den Getauften in die volle Gemein-
schaft aufnimmt und (den Zweck hat, ut sit consummatus servus
tuus sine repraehensione in perpetuo (p. 51,9). Als Mysterien!
der Sündenvergebung und der Bewahrung sind ohne Zweifel
1) Vgl. den Ausdruck p. 52, 6 „sanctorum mysteriorum communis“ τα
τῶν ἁγίων μυστηρίων κοινωνός.
166 Carl Schmidt.
beide Sakramente gedacht. Wie dort das Wasser, so dienen
hier Wasser und Brot als heilige Elemente (vgl. ο. S. 25). Dass
die Eucharistie in weiten Kreisen der Kirche statt mit Wein
mit Wasser gefeiert wurde, ist kaum anzunehmen, aber bei den
Agapen wird man häufig aus Mässigkeitsrücksichten ! den Wein
durch Wasser ersetzt haben, und bei der engen Verbindung der
Eucharistie mit der Mahlzeit in der ältesten Zeit scheint die
apostolische Praxis ganz allgemein als Feier mit Brot und Wasser
dargestellt zu sein. Ideal und Wirklichkeit differieren m. E. an
diesem Punkte. Im übrigen dient die christliche Gemeinde ihrem
Gotte unter Beten und Fasten (p. 45, 8; 49, 21; 63, 11; 65, 26),
kommt an dem ‘dies dominicus’ zum gemeinsamen Gottesdienst
in Privathäusern ? zusammen, wo das A. und Ν. 1.3 den Gläu-
bigen vorgelesen und erklärt wird (p. 61, 8; 66, 29; 72, 14), und
wo die Leiter der Gemeinde, die Episkopen und Diakonen resp.
Presbyter, ihres Amtes walten (p. 49, 15; 74, 12).
In dieser Gestalt, die noch durch einzelne Züge genauer
charakterisiert werden könnte, trıtt uns aus den Petrusakten die
christliche Gemeinde am Ende des 2. Jahrhunderts in ihrem
religiösen Denken, Fühlen und Handeln vor Augen. Ich schliesse
meine Untersuchungen mit der Frage: Konnte wohl ein Gnostiker,
d. h. der Stifter oder Anhänger eines Konventikels, ein derartig
lebenswahres Bild von den thatsächlichen Verhältnissen liefern ?
1) Dazu kommt die Rücksicht auf die Vorwürfe der Heiden und die
Gefahr der Verfolgung.
2) Im 2. und 3. Jahrh. müssen auch die Xenodochien, Hospitien zu
Versammlungszwecken benutzt worden sein, da man unter der heidnischen
Obrigkeit ungestörter hier zusammenkommen konnte (p. 49, 16).
3) Das A. T. ist für die christliche (iemeinde als prophetisches Buch
auf Christus von grosser Bedeutung.
Anhang.
Ein heidnisches Zeugnis über die alten Petrusakten.
Jüngst hat Harnack in einer „Miscelle zum Aufenthalt des
Petrus in Rom“ (Theol. Litteraturztg. Nr. 22, Col. 604) auf eine
Stelle im Apocriticus des Macarius Magnes 110. Ill, cap. 22 (ed.
Blondel, 1876, S. 102) aufmerksam gemacht, in welcher der von
ihm bekämpfte Heide, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach
Porphyrius in seinem Buche xara Χριστιανῶν, unter anderen
folgende Vorwürfe gegen den Apostelfürsten Petrus erhebt:
Οὗτος 6 πρωτοστάτης τοῦ χοροῦ τῶν μαϑητῶν διδαχϑεὶς ὑπὸ
τοῦ ϑεοῦ ϑανάτου καταφρονεῖν, συλληφϑεὶς ὑπὸ Ἡρώδου καὶ
φυγών, αἴτιος κολάσεως τοῖς τηροῦσιν ἐγένετο. Φυγόντος γὰρ
αὐτοῦ νυχτὸς ἡμέρας γενομένης ϑόρυβος ἡν ἐν τοῖς στρα-
τιώταις πῶς ἐξῆλϑεν ὁ Πέτρος" ἐπιζητήσας δὲ αὐτὸν ὁ Ἡρώ-
ὅης καὶ μὴ εὑρὼν ἀναχρίνας τοὺς φύλακας ἐχέλευσεν ἀπαχϑῆ-
var. τουτέστιν ἀποτμηϑῆναι. Θαυμάσαι τοίνυν ἐστὶ πῶς 6
ησοῦς τοιούτῳ ὄντι τῷ Πέτρῳ τὰ κλειδία δέδωχε τῶν οὐρα-
νῶν. πῶς ἐν τοσούτῳ τεταραγμένῳ ϑορύβῳ καὶ τηλιχούτοις
πράγμασι καταπεπονημένῳ ἔλεγε. Βόσχε τὰ ἀρνία μοῦ, εἴ
γε τὰ μὲν πρόβατά εἰσιν οἱ πιστοὶ εἰς τὸ τῆς τελειώσεως
προβάντες μυστήριον, τὰ δ᾽ ἀρνία τῶν ἔτι κατηχουμένων
ὑπάρχει τὸ ἀἄϑροισμα, ἁπαλῷ τέως τρεφόμενον διδασκαλίας
γάλαχτι. Ὅμως ἱστορεῖται μηδ᾽ ὀλίγους μῆνας βοσχήσας τὰ
προβάτια ὁ Πέτρος ἐσταυρῶσϑαι, εἰρηκότος τοῦ Ἰησοῦ τὰς (δου
πύλας μὴ κατισχύσειν αὐτοῦ. Porphyrius knüpft also seine
Polemik an die Erzählung Act. 12,5 ff. und erhebt den Vorwurf
der feigen Flucht, obwohl Todesverachtung von Gott geheissen
gei. Statt des Flüchtlings haben die unschuldigen Soldaten den
SEN,
||— σνσθνσθοια 2}
168 Carl Schmidt.
Tod erleiden müssen. Hier schwebt ihm in der Person des
Petrus das Bild eines Bischofs vor, der nach christlicher An-
schauung in der Verfolgung sich nicht bestürzt zeigen, vor allem
nicht sein Heil in der Flucht suchen darf, sondern mutig dem
Tode entgegensehen muss. Der Petrus, dem die Schlüssel des
Himmelreiches von Jesus übergeben sind, und an den das Wort
gerichtet ist: „Weide meine Lämmer!“ ist ja der Inhaber des
Bischofsamtes; denn auf die Bischöfe als Nachfolger der Apostel
resp. des Petrus werden ja beide Stellen allgemein bezogen. In
boshafter Weise benutzt Porphyrius zunächst den ersten Aus-
spruch: „Weide meine Lämmer“ (Joh. 21,15), indem er den Aus-
druck „Lämmer“ urgiert und zwischen „Schafen“, d. h. den in
alle Mysterien eingeweihten Gläubigen, und „Lämmern“, d. h.
den noch mit der zarten Milch der Lehre genährten Katechu-
menen, unterscheidet. Demgemäss will er versteckt andeuten,
dass Jesus in richtiger Erkenntnis den Petrus nur mit der Lei-
tung der Katechumenen betraut habe. Erst dann wird das fol-
gende ὅμως klar, indem Porphyrius den Ausspruch Jesu Joh.
21,18 „Booxe ta προϑάτιά μου" aufnimmt und dem Petrus im
Anschluss an die allgemeine Überlieferung die Führung des
Bischofsamtes zuerkennt. Aber diese Zuerkennung wird wieder
limitiert durch die Angabe, Petrus hätte „nicht einmal wenige
Monate die Schafe geweidet“, andererseits hätte diese kurze
Amtszeit durch den Kreuzestod ihren Abschluss gefunden. Auch
dabei fehlt es nicht an einer hämischen Bemerkung, indem Por-
phyrius aus der bereits vorher angezogenen Verheissung des
Herrn an Petrus bei seinem Messiasbekenntnis die Worte Matth.
16, 18 χαὶ πύλαι adov οὐ κατισχύσουσιν αὐτῆς herausnimmt
und an Stelle von αὐτῆς willkürlich αὐτοῦ einsetzt!. Auf diese
Weise bekommt der Satz den Sinn, als ob Petrus nach der Ver-
heissung des Herrn überhaupt nicht habe sterben sollen. Nun
ist er aber trotzdem gestorben und zwar des gemeinen Kreuzes-
todes. Den Kreuzestod hat aber Petrus nach der christlichen
Tradition in Rom erlitten. Porphyrius giebt als seine Quelle die
1) Harnack macht mich freundlichst auf Ephraim’s Kommentar zu Ta-
tian’s Diatessaron (Moesinger 1876, 5. 153) aufmerksam, demzufolge Tatian
die Stelle ebenfalls auf Petrus bezogen hat, wenn er am Schluss schreibt:
„et portae inferi te non vincent“. Aber deshalb kann an der selbständi-
gen Veränderung durch Porphyrius nicht gezweifelt werden.
Petrusakten. 169
ἱστορία an. ist also ganz genau unterrichtet, dass in der Apostel-
geschichte oder sonstwo im N.T. diese Nachricht sich nicht vor-
findet. Aus dieser ἱστορία stammt auch die zweite Nachricht,
dass Petrus nur wenige Monate die Herde geweidet hätte. Dies
kann man mit Harnack nur auf Rom deuten; Jerusalem ist ganz
ausgeschlossen, da Petrus ja nach Porphyrius feige von dort ge-
flohen ist. Einem so gelehrten Manne wie Porphyrius, der noch
dazu in Rom lebte, konnten die Ansprüche der römischen Kirche
anf Petrus als ihren Gründer und ersten Bischof nicht verborgen
sein, denn um 270 gehörte der 25jährige Episcopat des Petrus
zum festen Bestande der offiziellen Tradition Roms. Dem gegen-
über vertritt Porphyrius die These von einem nur über wenige
Monate sich erstreckenden Episcopat. Woher hat er diese geschöpft?
Seine Quelle bildeten die Petrusakten, denn nach ihren chrono-
logischen Angaben hat Petrus nur ganz kurze Zeit in Rom der
Gemeinde vorgestanden. Seit der Abreise nämlich des Paulus
nach Spanien bis zur Ankunft in Rom sind zwei Monate ver-
flossen (p. 52, 15), Paulus selbst soll nicht mehr als ein Jahr von
Rom abwesend sein (p. 46,3) und den Märtyrertod gleich darauf
erleiden. Inzwischen aber hat Petrus seinen Kampf mit Simon
Magus ausgefochten und ist vor der Rückkehr des Paulus ge-
kreuzigt. Steht nun weiter fest, dass Petrus nach der älteren
Überlieferung, d. h. vor der Einführung des Peter-Paul-Festes,
an (demselben Tage, aber ein Jahr vor Paulus, am 29. Juni, den
Tod erlitten haben soll, so bleiben in der That nur wenige
Monate für die Anwesenheit des Petrus in Rom übrig. Der-
xestalt würde die chronologische Berechnung lauten, wenn man die
Thatsache ganz übersehen wollte, dass durch die Kombination der
Simon Magus-Legende mit der Petrus-Legende in Wirklichkeit
ein Zeitraum von 25 Jahren geschaffen ist, indem Petrus zwölf
Jahre nach dem Tode Christi von Jerusalem aufbricht, also unter
Claudius im Jahre 42 nach Rom kommt und unter Nero im
Jahre 67 stirbt!. Das war die offizielle Chronologie, wie sie
seit Hippolyt in die kirchliche Tradition übergegangen ist. Die
Legende vom 25jährigen Episcopat ist erst durch die Anerken-
nung der Petrusakten als Geschichtsquelle, — denn aus ihnen ist
1) Den Naınen des Claudius hat natürlich der Romanschreiber unter-
drückt, um sein chronologisches System nicht zu diskreditieren.
170 Carl Schmidt.
die Legende geschöpft, — möglich geworden. Porphyrius dagegen,
der ja in chronologischen Untersuchungen ein Meister war, hat
bei der Lektüre der Akten die offen zutage liegenden Angaben
seiner Berechnung zugrunde gelegt, und darnach konnte er
allerdings mit gewissem Recht die Dauer des römischen Aufent-
halts und der Leitung der Gemeinde auf einige wenige Monate
ansetzen. Dass aber in der römischen Gemeinde um die Mitte des
3. Jahrh. eine Überlieferung bestand, Petrus habe nur ganz kurze
Zeit in Rom gewirkt, und dass diese von Porphyrius ohne weiteres
übernommen sei, kann ich für die Mitte des 3. Jahrh. nicht mehr
annehmen, mögen auch wenig gebildete Leser, die von der offi-
ziellen Tradition der Kirche nichts wussten, bei der Lektüre der
in den Petrusakten erzählten römischen Begebenheiten den Ein-
druck einer kurzen Zeitspanne gewonnen haben. Auf wie lange
Zeit man vor der Existenz der Akten den römischen Aufentbalt
des Petrus ausgedehnt hat, wissen wir nicht; m.E. hat man sich
im 2. Jahrh. darüber überhaupt nicht den Kopf zerbrochen, da
die Tradition von Petrus als Bischof der römischen Kirche noch
garnicht existierte.
Aber nicht allein Ill, 22, sondern auch IV, 4 kommt Por-
phyrius auf den Tod des Petrus zu sprechen, indem er zugleich
den Märtyrertod des Paulus damit verbindet. Höhnisch weist er
auf die Erscheinung des Herrn Act. 18, 9—10 hin, in der er zu
Paulus gesprochen: „Fürchte dich nicht, sondern rede, denn ich
bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden.“
Er, der Prahler, welcher sagte: „Wir werden die Engel richten“
(1. Kor. 6,3), sei bereits in Rom ergriffen und enthauptet worden.
In gleicher Weise sei auch Petrus, der die Macht (von Jesus)
erhielt, die Lämmer zu weiden, ans Kreuz mit Nägeln geschlagen!.
Bei Paulus setzt Porpbyrius ἐν Ῥώμῃ hinzu, aber unzweifelhaft
verlegt er auch den Kreuzestod des Petrus nach Rom; diese
Thatsache ist zu bekannt, deshalb dünkt ihm eine genaue An-
gabe ganz überflüssig. Dies ist aber wichtig für die von Harnack
1) Ἴδωμεν δ᾽ ἐκεῖνο τὸ onder τῷ Παύλῳ: „Eine δὲ δι᾿ ὁράματος ὁ
Κύριος ἐν νυχτὶ τῷ Παύλῳ ΜῊ φοβοῦ, ἀλλὰ λαλεῖ, ὅτι μετὰ σοῦ εἰμι
καὶ οὐδεὶς ἐπιϑήσεταί σοι τοῦ χαχῶσαί σε“. Καὶ ὕσον οὐδέπω ἐν Ῥώμῃ
χρατηϑεὶς τῆς χεφαλῆς ἀποτέμνεται οὗτος ὁ κομψός, ὃ λέγων ὅτι ἀγγέλους
χρινοῦμεν, οὐ μὴν ἀλλὰ χαὶ Πέτρος λαβὼν ἐξουσίαν βόσκειν τὰ ἀρνία. τῷ
σταυρῷ προσηλωϑεὶς ἀνασχολοπίζεται.
Petrusakten. 171
vertretene Ansicht, in III, 22 sei ebenfalls Rom gemeint, denn
auch an unserer Stelle spricht Porphyrius von der Macht des
βόσκειν τὰ ἀρνία, vertritt mithin die Überlieferung, dass Petrus
der römischen Gemeinde vor seiner Kreuzigung vorgestanden
hätte. An letzter Stelle könnte man auf die Benutzung der
gangbaren Tradition über Paulus und Petrus schliessen, denn in
den gleichen Ausdrücken beschreiben die altehristlichen Schrift-
steller das Martyrium des Paulus und Petrus, aber durch die
erste Stelle wird m. E. die Lektüre der Petrusakten selbst zur
Evidenz erhoben. So liefert Porphyrius ein beachtenswertes
Zeugnis für die Verbreitung und für das hohe Ansehen der
Petrusakten in Rom. Er wertet den Inhalt der Akten als ἱστορία,
nicht als Legende, genau wie später Eusebius h.e.11,25,5: Παῦ-
λος δὴ οὖν ἐπ᾿ αὐτῆς Ῥώμης τὴν κεφαλὴν ἀποτμηϑῆναι
καὶ Πέτρος ὡσαύτως ἀνασκολοπισϑῆναι κατ᾽ αὐτὸν ἱστο-
ροῦνται.
Nachträge.
Zu 8.9, Anm. 3: Der Ausdruck σχεύη ist wohl besser im
Sinne von Röm. 9, 22. 23 auf die gläubigen Christen zu beziehen,
da der Verf. der Petrusakten p. 47, 29 von vasa sancta et fideles
des Herrn und p. 56, 12 im Gegensatz dazu von vasa des Teufels
redet.
Zu S. 98: Zahn, G.K.839, Anm. 3 sieht in der Stelle p. 98, 2 ff.
einen an das Häretische anstreifenden „Panchristismus“, aber
τα. Εἰ. mit Unrecht, denn der Verfasser will zum Ausdruck bringen,
dass der Gott-Christus nur mit dem Geiste erfassbar ist; aber
trotzdem ist er für den Gläubigen nicht im kosmischen, sondern
im ethischen Sinne ein erkennbares Wesen, denn es besteht zwi-
schen beiden ein inniges Liebesverhältnis. Dieses Band wird
durch die im menschlichen Leben bestehenden innigen Beziehun-
gen dargestellt; so steht Christus zu seinen Gläubigen im Verhält-
nis von πατήρ, μήτηρ, ἀδελφός, φίλος, δοῦλος, οἰκονόμος. Erst
mit den Worten σὺ τὸ πᾶν χαὶ τὸ πᾶν ἐν σοί geht der Verf.
zur Beschreibung des Christus als eines kosmischen Prinzipes über.
172 Carl Schmidt.
Zu S.99. Für die Benutzung der Johannesakten durch den
Verfasser der Petrusakten könnte man auch die Stelle p. 76, 28 fi.
herbeiziehen, wo es heisst: „malum enim pro malo non novimus retri-
buere; sed didieimus inimicos nostros diligere et pro persecutores
nostros orare. si enim et 816 potest paeniteri, melius. deus enim
non memorabitur mala“. Genau so redet Johannes p. 191, 11 ff.:
Οὐχ ἐμάϑομεν, τέχνον, κακὸν ἀντὶ καχοῦ ἀποδοῦναι. καὶ γὰρ
ὁ ϑεὸς ποιησάντων ἡμῶν εἰς αὐτὸν πολλὰ καχὰ καὶ οὐχὶ καλὰ
ἀντιμισϑίαν ἡμῖν οὐχ ἀπέδωχεν, ἀλλὰ μετάνοιαν᾽ xal ἀγνοη-
σάντων ἡμῶν τὸ ὄνομα αὐτοῦ οὐχ ἠμέλησεν, ἀλλ᾽ ἠλέησεν.
χαὶ βλασφημησάντων οὐχ ἐπεξῆλθεν, ἀλλ᾽ ἐσπλαγχνίσϑη" καὶ
ἀπιστησάντων ἡμῶν οὐχ ἐμνησικάκησε᾽" καὶ διωξάντων τοὺς:
ἀδελφοὺς αὐτοῦ οὐχ ἀνταπέδωχεν, ἀλλὰ μετάνοιαν ὑποβαλὼν
καὶ ἀποχὴν καχῶν παρεχάλεσε καὶ ἡμᾶς ἐπ᾽ αὐτόν.
Zu 5. 102: Gerade unter der Regierung des Septimius Seve-
rus konnte ein Schriftsteller von der Verbreitung des Christen-
tums in den höchsten Gesellschaftskreisen Roms erzählen und
den zeitgeschichtlichen Zustand in idealer Weise auf die Apostel-
zeit zurückdatieren, denn Tertullian berichtet ad Scapulam ce. 4
von dem Kaiser: „sed et clarıssımas feminas et clarissimos viros
Severus, sciens huius sectae esse, non modo non laesit, verum et
testimonio exornavit et populo furenti in nos palam restitit“, und
vorher: „ipse etiam Severus Christianorum memor fuit. nam et
Proculum Christianum, qui Torpacion cognominabatur, Euhodi
procuratorem, qui eum per oleum aliquando curaverat, requisivit
et in palatio suo habuit usque ad mortem eius; quem et Anto-
ninus optime noverat lacte Christiano educatus“.
Zu S. 126: Es ist mir wahrscheinlich, dass der Verfasser der
Johannesakten in der Leidensgeschichte auch das Petrusevange-
lium benutzt hat. Theologisch zeigen beide Schriften grosse Ver-
wandtschaft.
Zu 5. 141: Auch Philastrius kann als Zeuge für die Petrus-
akten aufgezählt werden, denn h. 29 berichtet er von Simon
Magus: „Qui cum fugeret beatum Petrum apostolum de Hieru-
solimitana civitate Romamque deveniret ibique pugnaret cum
beato apostolo apud Neronem regem, devictus undique oratione
beati apostoli atque percussus ab angelo sic meruit interire, ut eius
magia evidens ac mendacium cunctis hominibus patefieret“. Die
direkte Flucht von Jerusalem nach Rom stammt ja aus den Akten.
Namen- und Sachregister.
(Die Ziffern bezeichnen die Seiten.)
Abdias-Sammlung 60.
Abendmahl 25. 112. 165 f.
Aberglauben 165.
Acta Pilati 63.
Ägypter-Evangelium 88.
Agapius 30. 31. 65.
Agrippa, Präfekt von Rom S4f. 100.
144. 157.
Agrippina 151.
Agrippinus 157.
Albinus 85 f. 100. 157.
Almosen 100. 161.
Aloger 31. 125.
Ambrosiaster 141 f.
Ambrosius 49. 143.
Amphilochius 28. 29. 65. 145. 150.
Ananias 150.
Anastasius 104.
Anatolius Scholasticus 148.
Andreas v. Caesarea 146.
Andreasakten 27.29. 30. 44. 46. 47. 50.
32.53. 54.55.59.61.63.74.75.86. 130.
„Antiochien 32.
Antulus 157.
Apollonius τῷ.
Apostelgeschichte 14. 30. 31. 44 f. 51.
δῶ, 67. 76. 105. 130.
Apostolische Constitutionen 35. 146.
148.
Apostoliker 64.
Aricia 109. 142.
Aristeus 157.
“ Ariston 157.
Asien 32. 38. 121. 123. 125. 130.
: Askese 8. Enkrateia.
Athanasius 135.
Athanasius (Synopsis des) 28. 66.
Augustin 14f. 44. 49 ff. 57£. 70. 75.
132 ff. 145 ff.
Balbus 99. 157.
Bardesanes 64. 124.
Barnabasbrief 30. 135.
Bartholomäus 15. 30.
Basilides 33. 71.
Berenice 157.
Bussdisziplin 163.
Cäsarea 89. 148.
Caius v. Rom 102.
Calıxt 125. 162.
Candida 156.
Chiliasmus 120.
Christus 24, 90 ΕΣ 112. 114 £. 121. 126.
129. 164. 171.
Chryse 102. 157. 161.
Claudius (Kaiser) 81. 89. 103. 1506. 169.
Clemens Alexandr. 20. 21. 35. 79. 82.
88. 100. 103. 104. 115. 117. 120f. 153.
Clemens (Il. Brief)88. 91. 102. 145. 162.
Clementinen 20. 35. 89. 148.
᾿ Cleobius 36. 157.
Commodian 101. 106 ἢ. 112. 126£. 130.
132. 142.
174
Commodus (Kaiser) 100. 101. 102.
Cyprian 41.
Daniel 46.
Demas 32. 37. 142.
Demetrius 99. 157.
Didache 30. 145. 153.
Didaskalia 35. 146.
Dionysius 99. 157.
Dionysius v. Korinth 102.
Doketismus 30. 37. 39. 42. 70. 71. 90.
93. 95. 96. 102. 113. 121. 126.
Domitilla 17 ἢ,
Doris 157.
Dositbeus 35.
Drusiana 60. 72. 128.
Ebion 32. 33. 38. 39.
Ebioniten 64.
Egetes 53.
Ehe 102.
Klias 149.
Enkrateia 13. 25. 30. 46. 47. 72. 85.
865. 112. 116. 145.
Enkratiten 64.
Ephesus 33. 36. 38. 86. 108. 123. 124.
130. 137.
Ephraim v. Antiochien 148.
Ephraim Syrus 64.
Epiphanius 21. 31 ff. 64. 77.
Epiphanius (Mönch) 67.
Eubula 25. 79. 80. 157. 161.
Eukleia 50.
Euodius 50. 53f. 70.
Euphemia 157.
Eusebius 13. 28f. 63f. 101. 103. 119f.
131. 145. 149. 151. 153. 155. 171.
Faustus (Manichäer) 46 ἢ.
Festus 157.
Filostrate 157.
Flaccus (comes) 19.
Fortunatus 72.
Geheimlehre 52. 94. 113 ff. 121.
Gelasius 49. 55 f. 59. 62. 127. 143.
Carl Schmidt.
Gemellus 157.
Gnostiker 13. 21. 27. 30. 37. 79. 111.
| 113. 118. 120. 124. 126. 129. 145.
152. 166.
Hegesipp 34. 35. 53.
᾿ Pseudo-Hegesipp 142 ἢ
| Henoch 135. 149.
Hermas 30. 101. 111. 162.
| Hermogenes 32. 37. 142.
᾿ Hieronymus 14. 15. 49.
| Pseudo-Hieronymus 62 f.
Hippolyt 34. 35. 103 £. 109. 117. 125.
130. 155.
Iftus 157.
Ignatius 35. 91. 126.
Ikonoklasten 41. 42. 150.
Innocenz 1. δά ἢ, 59. 67. 139.
Iphidamia 53.
Irenäus 32. 34. 93. 101f. 115f. 153.
Isidor v. Pelusium 145 f.
Italicus 157.
mm m mn σ;])ᾺῸ.ν
Jakobus, Bruder des Johannes 70.
Jakobi, Protevangelium 133.
Jerusalem 13. 18. 20. 25. 79. 80. 81.
88. S9. 110. 111. 147. 156. 169.
Johannes v. Thessalonich 65.
| Johannes-Akten 26. 27. 29. 36. 39. 47.
| 50. 52. 53. 55. 56. 59. 60. 61. 63.
65. 67. 70. 72. 73. 74. 76. 77. 78.
90. 94. 96. 97. 99. 111. 113. 120.
121. 123 ff. 137. 145. 148ff. 172.
' Johannes-Apokalypse 88. 122. 123.
Johannes-Evangelium 26. 32. 38. 122.
172, ᾿
ι Judäa 32. 79. 80. 120.
. Julium (Forum) 23. 109. 110.
Jungfrauen 46. 49. 162.
Justin 34. 89. 103. 150.
Kuiserkult 164.
Kallimachus 60. 72.
Kastor 157.
Kerinth 32. 38. 39.
Petrusakten.
Klaudius 32. 36.
Kleobinn (Kleobulus) 32. 34. 35. 36. ἢ
. 147.
Kloopatra 12.
Konstantinopel (Synode) 150.
Kosmokrator 128.
Krankenheilungen 13. 23.
Lapsi 100. 101. 111.
Leo der Grosse 55. 56. 59. 60. 61. 1391. |
Leontius 42.
Leucius 26f. 31£. 37. 39f. 44. 49.
SL. 73. 76f. 88. 97. 99. 111. 118.
1214.
Liebesthätigkeit 160.
Linus-Akten 18. 20. 144. 145.
Lykomedes 72. 73.
Lysimachus 157.
Manichäer 14. 29f. 41. 44f. 50M. 61f.
nö. 67. 70. 75. 118. 131. 136. 138. 145,
Marcellus 17. 15. 86. 87. 89. 99. 100.
106. 143. 144. 157. 160. 162. 164f.
Mareia 102.
Mareion 38. 45. 51. 111.
Marcus, Präfekt von Rom 17. 144.
Matthäus-Akten 30.
Maximilla 53.
Melito (Mellitus) 60 f. 93.
Merinth 32 ff. 38.
Modalismus 70. 90. 95. 112. 125.
Monarchianische Prologe 115. 123 8.
Montanisten 41. 79. 111. 125. 127.
Muratori, Kanon 103#. 115. 123. 130.
Nureiseus 141. 157.
Neapolis (Flavia) 80. 111.
Nereus- u. Achilleus-Akten 16f. 143.
145.
Neroit. SA. 89. 100. 108 £. 142. 156.
Ἢ Synode) 28. 65. 150.
Nicaria 157.
Nicephorus 28. 41. 66. 145. ᾿
Nicephorus Callisti 108.
Nicostratus 99. 146. 157. 161.
175
Nordafrika 52. 136. 138.
| Novatian 125.
. Origenes 15. 22. 30. 82 £. 96. 103. 104.
120. 125. 180.
Origenianer 64.
Orosius 58.
Pacian 40. 41. 77. 127.
Papias 120. 153.
: Parthien 130.
Patmos 38. 123,
Paulus-Akten 13. 22. 29. 30. 34. 37.
44. 47 δὶ 50. 52. 56. 64. 73. 18, 81.
82ff. 91. 99. 108. 116. 120. 122. 130.
141. 142. 147. 155. 162.
Petronilla 17 δ. 143.
Petrus-Apokalypse 30. 120.
Petrus-Evangelium 29. 120. 126. 172,
Petrus-Kerygma 78. 79. 82. 120.
Philastrius 31. 43f. 47. 74. 1308 172,
Philippus-Akten 15. 16. 30. 56. 88. 129.
Photius 27#. 47. 50. 64. 65. 67f. 90.
119. 121. 1605
Plinius 91.
Polykarp 33.
Pompeius 157.
Porphyrius 107 f.
Priscillian (Priscillianisten) 30. 31. 41.
51. 52. δ4 8. 67. 75. 118. 131. 1385
Prochorus (Pseudo-) 76. 123. 150.
Propheten 81. 82.
Ptolemäus 11f. 19. 24. 25. 156. 162.
Quartadecimaner 64.
Quartus 156.
| Rom 17. 18. 20. 22. 23. 54. 55. 68. 79,
80. 81. 89. 102. 104. 105. 108. 109.
120. 124. 125. 141. 144. 147. 156.
168.
| Rufin 83.
᾿ Rufina 24. 156. 162.
Samaria 80. 89. 111. 147. 156.
Sapphira 156.
Sardes 60.
176 Carl, Schmidt. Petrusakten.
Seelenlehre 132. \ Tierseelen 30. 132.
Septimius Severus 100. 102.. 172. Timotheus, Presbyt. v. Konstant. 05.
Sibyllinen 82. Titus 18.
Simon Magus 17. 20. 23. 25. 34 ff. Thekla 48. 78. 86. 91. 108. 116. 154.
68. 69. 795. 865. 93. 101. 103. 104. Theodoret 64.
106. 109. 117 ff. 141 f. 1461. 156. Theon 25. 157.
Spanien 41. 52. 55. 56. 81. 105. 138. ; Thomas-Akten 13. 14. 29. 44 ff. 50. 52.
Sündenvergebung 159 f. 57. 01. 64. 74. 75. 86. 97. 130. 132.
Symbol, römisches 92. 111. 114. Thomas-Evangelium 29. 88.
Syrien 89. 126. ; Turibius 55 ff. 60. 61. 67. 75. 189.
Tatian 124. Valentin 38. 111. 118. 126. 127.
Taufe 57. 161. 165. Virginität 12. 19. 25.
Terracina 109. 157. Visionen 25.
Tertullian 41. 48. 102. 103. 124. 125. '
135. 172. | Xantippe 85. 157.
Teufel 50. 68. 69. 128. 159. |
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Neueste Hefte: Harnack, A., Divlorv. Tarsus. Vier pseudojustin.
Wrede, W., Dive Keltheit des zweiten Thessalo- IY hritten ΝΣ νυ ἈΝ Tem .
nicherlriets untersucht, Sek ἘΝ er un - Drei we nis heachtete U ἊΣ pr iauise he Sehrilten,
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Sohmidt,C., Die 19} Perrusakten ım Zusammen- und lie „An ta Pauli“. 548, Inn, (4.0. Bratke
han der apokryph. Apostelliterarur anter- ὀἠὠ ΠΟΙ͂, Kr Plapmente vornicänischer Rircher-
sneht,. Nebst ΟἹ ei netentdeekten Fragment. vater aus (den Sacra parallela
VI. lau x ΠΝ δὰ ΝΕ, ΙΧ. 1) \ 7 ἐδ ΧΧΧΙΝ, 2108, 18m, INF.V, 2) M. 0 —
Gressmann, H., turlicn zu Kusch’s Theespisanie, - Die saera parallela des Johannes Danmıa=-
NL αὐ τις νον en, NND. NL, MS - eenus. XV], 5028. 1807 (NF.L αἰ M.12--
' _y ‚ . Jeep, L., Zur Ü berlieferun : des Philustorgio=.
Inhalt von X. F. Band I—VIN 2: u ΤΉ is, δ Wobbermin; ᾿
Achelis, H., Hippolytstudien. ww ας 1807, Klostermann, E., ἮΝ Ü berlieferung der ‚leremia-
ΝΙΝ 750 Humilien des Ohigenes.
Bonweatsch, Β. 8., Stilien zu den Kommentaren VL 158. 1887. (ΝΕ. 1,4. MH
Hinulyts zum Ic he Nanın ul el ide. - E se bins schritt ae τῶν τ αἰκῖτν να τὸν
rar νιν γι y°. 3S8. ΤΠ, 8.0, Harnack
Knopf. R., Dr srste vlemensiniet. Untersncht
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Nestle, E., ir Kite heugeschichte des Eus:bins
an dem Svrischen he rsutzt,
- Hip polyts Kommentar. Hohenlietanftrund
v.N, Mars Atze. dd. vrusin Textes heraus,
jan Ss, 10, Ss, αἰ, Harnack:
Bratke, E., Das soegenantte Religionsgzesprach
am Hor der Susaniden IV, 3058, Is, Mit
Harnack, t'yprian. Schriften NEIN: MW, don Nzuis. lol. ΝΕΟΙ, EM. am
Dobschütz, E. von, ı hıristusbiller. I ntersuchun- Preuschen, E., Ensehins‘ Rirelengzeschicht
wen zur christlichen Lewenle. ΝΠ, 281,248 ΕΓ ἢ ΔΊ ἢν Δ 1 ans ἀν Arwmemischen ul» rserzi
und τ 8. Inn NE. DEM. 32 -- NN. eos. m. .NFVIL SEM. α--
Erbes, C., Die Terl-stage der Apostel Pauls Schmidt, C., !ertir"s Stellung Ζ. inosticismus u.
und Petrus nm ihre romischen Denkmaleı. kırchl. Christentum. X, #0 8. — Fragu. eine
IV, 128, is Air Harnack, Ketzerkutalon Schritt ὦν Maıt.-Bisch. Petrus v. Alexandıien
und Goetz, ı yprian NF. IV, τι WM. 5.50 zu Ss. Lem, Mit Stählin NF V, 4: M. 5--
Flemming. J., Pas Ich Henoch. Arkinpisi her
a N, ν ickenberger. J., 1010 Lukask: » des Niketas
Text mit Einleitung un] Cummentar. Siekenberger. J., 1}10 Iuhuskatene des Niketu
ven Herakleia untrasnecht.
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Gebhardt, O.v.. innie m. 1 la yiemin. Die -- Tiras von Bostra. Stadien zu dessen Lukas-
ΝΗ μεθ ἴσας VII SS. ΠΊΝΕΙΝ, ΝΟ Kan
ἈΠ ας He NEN 2 Mo na Stählin, O., Zur kanischriftl. Überliet. d. e'lem.
Gaffcken, J.. K mies tion up] Entatehöngsze"t Aexundrinae. RS. mn 18 0. Schmidt‘
ler σαν αὐ δ μας 18,088 del, Steindorff. @., Die Apokalspse ας Elias, ὡς unbek.
NF. NH, ı MW. wie Ἄγ. πὸ Wuackst. d Sophonias-Apok. Kopt.
Goltz, Ε. ν. d. Kins ΤΧΤ αἶτι Arbeit 1. 10. le, Texte, Ülersetzung, τὴ Mit ὁ. Doppel-
τς lab. Foren. elettenitolen ἢν ΔΤ λας Tate! in Liehtiruek. \, S. jun
aluaters Dana. Mio Lies Irn- Taiel NE II, 3: M. 6.5:
Δ 113 ne, NF.ıL αι Ma Stülcken, A., Athatasiana, Litterar- und dorz-
Goetz, K. 8. Τὴν or Antanzın db He niserinem niert in hiehrliche Untersuchnngen.
1 be fuorms ΣΝ ParsS Zn at Donatum. \, en. mw ;NF. IV, ΑΜ, ἃ-
Nenn Erbes Urbain. A.. Hin Martyrolosium Jd. christl. tie-
Haller, W.. ΤΟΥ Τ 1, “νι Finanz, s Silit, mieinle zu kom aı Auntang es V, Jahr).
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— Di- Pr cn. [τὸ ἐντὶ αἷν Fais- ΝῊ Ξα πὸ ΤΥ ἮΝ ΝΕ. IV, 3. Ν. 8 -
Ptat's nal. Δι κι rien, Mon. Wobbermin, G., Altyhristl. liturg Stücke aus der
111. 1188. ven NEN ΜΝ ἃ - Rilke Ärgı tens nebst einem dogmatischen
— Der Ketzer-Karalur tea Bisehufs Mirita Briet des Kischofs Serapion von Thmuls.
ven Maipheikat 178 Im nn, Erbes “NS. tw, ‚Mit Jeep NF, II, 3) WM. 2 —
Die Zr pie (Bun I— NV der ΓΝ Me un Untersuchungen ete. ΔΙ, 850 —
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“u franz-Kailıeti.- καὶ ande ἊΝ αἰ mi Vie δὰ ἡὲ ΔᾺΝ gebunlen χοιτωὰς,.
Ausfiinrcen Diener Ss ΜΚ δὰ Diensten,
DIE ECHTHEIT
DES
ZWEITEN THESSALONICHERBRIEFS
UNTERSUCHT
D. W. WREDE
FROFESSOR DER Ἐν. TRROLDOIE In uRESLAU
LEIPZIG
J. C. HINRICHS’scne BUCHHANDLUNG
1903
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE VON DER KIRCHENVÄTER-COMMISSION
DER KGL. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTERNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR v. GEBHARDT un ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE. IX. BAND, 2. HEFT.
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MEINEM SCHWIEGERVATER
D. HERMANN SCHULTZ
IN GÖTTINGEN
IN LIEBE UND DANKBARKEIT
Vorwort.
Die nachfolgende Abhandlung war bereits, als ich die Aus-
arbeitung meines Buches über das Messiasgeheimnis in den
Evangelien (Göttingen 1901) begann, d. h. vor mehr als zwei
Jahren, bis auf einige Anmerkungen fertig niedergeschrieben.
Inzwischen erschien H. Holtzmanns Aufsatz „Zum zweiten
Thessalonicherbrief“ in der Zeitschrift für die neutestamentliche
Wissenschaft II, 1901 S. 97—108. Da hier ebenfalls, wie in
meiner Arbeit, das Verhältnis des zweiten Thessalonicherbriefs
zum ersten besonders erörtert wird, konnte die Frage entstehen,
ob meine Arbeit nun noch am Platze sei. Ich habe darüber
keinen Zweifel gehegt. Meine Studie ist von Holtzmanns
Arbeit nach Inhalt, Anlage und Problemstellung doch so ver-
schieden, dass ich sie wohl auch geschrieben hätte, wenn ich
jene bereits gekannt hätte. Bei der Revision und Redaktion,
der ich das Ganze jetzt vor der Veröffentlichung unterworfen
habe, schienen mir lediglich einige wenig erhebliche Nachträge
und eine Reihe formeller Anderungen notwendig.
Vielleicht ist manchem Leser die Darstellung in Abschnitt I
zu breit. Ich babe jedoch gerade hier, wo es sich um die Grund-
legung handelt, die Thatsachen so genau als möglich feststellen
wollen.
Wer zu dem in Abschnitt V behandelten Problem Besseres
zu sagen weiss als ich, dem werde ich dankbar sein. Wertvoll
war mir in diesem Punkte eine briefliche Äusserung H. Gunkels,
wenngleich ich seiner Auffassung nicht gefolgt bin. —
Für die Geschichte des Urchristentums hat die Frage nach
der Echtheit dieses Briefes nur eine sehr begrenzte Bedeu-
tung. Gleichwohl hat das Thema sein Interesse. Mich hat es
fast wider Willen festgehalten, als ich ihm einmal näher ge-
treten war.
Breslau, Dezember 1902.
W. Wrede.
Addenda und Üorrigenda.
Zu 8. 26 oben. Die Worte aus 2. Thess. 3ı und 33 nebst den Paral-
lelen 1. Thess. 525 u. 24 sollten auch unterstrichen sein, wenn es richtig
ist, dass der Verf. von 2. Thess. eigentlich 3ı schon zum Schlusse über-
gehen wollte (8. 181)
S.112. 8v. u. lies Il 315 statt II 4 15.
47 „ 17.0. „ 22 „21.
Inhalt.
Seite
Einleitendes . . . . 2. 2 2 nn m m 22... 1-- 8
I.
Literarisches Verhältnis des2.zum1.Thess.brief£. 3—36
Übersicht über die Parallelen S. 3—12. Allgemeines
darüber 8.12—14.Der besondere Parallelismus der Briefe: 1)
historische Situation S.15—17, 2) Gedankeninhalt S. 17, 3)
Gliederung 8. 17f.; 4) die Einzelparallelen stehen ın paral-
lelen Abschnitten 8. 18—20, 5) einige an auffallend ent-
sprechenden Einzelstellen S.20—23; 6) die Reihenfolge der
Parallelen vielfach gleich S. 23—27; 7) bes. genau stimmt
111 mit 1111.2, 129 mit Π38 S. 27f. Nur literarische Be-
nutzung von 1. Thess. erklärt die Thatsachen S. 28—32.
Paulus nicht Verfasser S. 32—35 (S. 34f. eine Differenz
zwischen II und I). Auch Timotheus nicht Verfasser S. 35f.
11.
Bedenken gegen eine frühe Fiktion . . . 36—39
Absicht und Situation des Autors (2. Thess. 22). 40—73
2. Thess. gegen unmittelbar bevorstehende Parusie
S.40—42. Gegensätzliches Verhältnis von 21—ı2 zu 1. Thess.
51—4 5. 42---47, Die Predigt vom Eintritt des Endes erzeugte
nach 22 Schrecken S. 47—50. Einwirkung von Pröpheten
8. 50. 364. ergiebt nichts für die Situation, auch die Er-
wähnung von Verfolgungen nicht 8. 51-54. 22 kann
Paulus nur einen untergeschobenen Brief meinen; aber
22 als paulinisch nicht begreiflich. S. 54—59. Wenn un-
paulinisch, geht 22 nicht auf Briefunterschiebung 8.5965.
vıu Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Διὰ λόγου 22 S.6öf. Ergebnis S.67—69 (Weshalb ein Thess.
brief? S. 68). Grösserer geschichtlicher Zusammenhang? Die
Autorität der Paulusbriefe schafft Schwierigkeiten (2. Petr.
316, Jak. 2148.) 5. 69—73.
111.
Form und schriftstellerisches Verfahren
Zur Ausdrucksweise S. 73—75. Stimmung und Ton
S.75f. Schriftstellerisches Verfahren des Nachahmers im
Einzelnen. S. 76-82. „Ich“ und ‚„wir“ im Briefe S. 82f.
Vorstellbarkeit der angenommenen Nachahmung? 8. 831.
Unklarheiten als Folge der Nachahmung 8. 841.
IV.
Der Brief eine Fälschung
Anwendbarkeit des Begritfes Fälschung 5, 801 817
widerspricht nicht, ist sogar verräterisch 8. 87---90. Erfolg
der Fälschung S. 96f.
Chronologisches en
Kein fester terminus a quo S. 91. Bezeugung des
Briefs (bes. Marcion, Polykarp) S. 91-95. Bedenklich für
einen späteren Ansatz scheint 24 S. 95f.
Υ.
Die Erwähnung des Tempels Gottes 24
Der Tempel nicht die Kirche S. 96f. Der Inhalt von
281. nicht Erfindung des Autors. Schriftliche Quelle mög-
lich S. 9S—100. Die Erwartung 24 gleichfalls eine ältere
Konzeption. 8. 100-193. Umdeutung des Wortes vom
Tempel nicht anzunehmen. S. 103—105. Wiederaufbau des
Tempels schwerlich vorausgesetzt S. 105 ἢ. Ist die Wen-
dung ohne Gedanken an die Zerstörung des Tempels über-
nommen” Analogien dafür? (Apok.ilı. 2. 8. 18) 8. 106—112.
Ergebnis δ. 112f.
Abschluss .
Seite
73—85
86—91
91— 96
. 96—113
. 113. 114
Unter den Bedenken der Kritik gegen die Echtheit des
zweiten Thessalonicherbriefs hat E. Reuss! das „schlagende
Hauptargument“ vermisst. Wenn H. Holtzmann es in der Be-
handlung des eschatologischen Themas im zweiten Kapitel finden
wollte?, so hat er damit gewiss der herrschenden Meinung der
Kritik Ausdruck gegeben, soweit sie überhaupt den paulinischen
Ursprung des kleinen Briefes bestritten hat. Auf den gleichen
Punkt hat sich auf der andern Seite ganz überwiegend die Be-
mühung der Verteidigung gerichtet.
Ich glaube, dass aus dem Inhalt und Sinn dieser Stelle wohl
ein Verdacht erwachsen kann, ein wirklich überführender Beweis
gegen die paulinische Herkunft des Briefes sich aber nicht gewinnen
lässt. Was neuerdings 2. B. Bornemann?, Jülicher*, Zahn,
unter anderm Gesichtspunkte Gunkel® und Bousset? in dieser
Richtung über den Passus vom Antichrist gesagt haben, ist
nicht so ganz leicht zu entkräften. Die Deutung der Stelle auf
Nero ist jedenfalls gründlich erschüttert. Man siebt ein, dass
1) E. Reuss, Die Geschichte der heil. Schriften Neuen Testamente>
1874 S. 73.
9) H. Holtzmann, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in
das Neue Testament? S. 215.
3) Bornemann, Die Thessalonicherbriefe (5. u. 6. Aufl. des Meyer-
schen Kommentars), bes. 8. 357 ff.
4) Jülicher, Einleitung in das Neue Testament? 4 3. 48 ff. (= 1.2
5. 41 ff.).
5) Zahn, Einleitung in das Neue Testament 8. 178 ff. (Ich zitiere die
erste Auflage. 18. 160183 entrpricht 28. 161—184.) Vgl. auch Zahns
Apokalyptische Studien („Nero der Antichrist“) in der Zeitschr. für kirchl.
Wissenschaft und kirchl. Leben 1886 8. 337 ff.
6) Gunkel, Schöpfung und Chaos 8. 221 ff.
7) Bousset, Der Antichrist 5. 13 u. 8.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX. 2. 1
y) Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
dem Bilde des Antichrists gerade die Züge fehlen, die den römischen
Herrscher, den Muttermörder, den Redivivus und den Christen-
verfolger verraten müssten. Auch die Behauptung, das Kapitel
stehe unter dem Einfluss der johanneischen Apokalypse, findet
heute nicht mehr so leicht Glauben wie früher.
Mit erheblich besserem Rechte kann man — unabhängig von
der Auffassung des eschatologischen Stückes — jenes „schlagende
Hauptargument“ in einem andern Punkte finden: in dem lite-
rarischen Verhältnis des zweiten zum ersten Thessa-
lonicherbriefe. Manche Kritiker haben von diesem Verhältnis
kaum Notiz genommen; viele andere haben es ernstlich unter-
sucht, haben auch Gewicht darauf gelegt, durchweg aber wird
auch von ihnen seine Bedeutung noch nicht hoch genug ein-
geschätzt.?
Mir wenigstens will es so scheinen. Mein Urteil über diesen
Brief hat lange hin und her geschwankt. Eine genauere Unter-
suchung seines Verhältnisses zum ersten Thessalonicherbriefe hat
mich zu der Ansicht geführt, dass seine Echtheit sich doch nicht
halten lässt. Ich bin dabei allerdings der Meinung dass trotz
aller guten Beobachtungen, die bei dem Vergleiche der beiden
Briefe gemacht worden sind, die ganze Stärke dieses Arguments
noch nicht zu Tage getreten ist, sei es auch nur, weil man diese
Beobachtungen nicht genügend gesammelt, beleuchtet und ver-
folgt hat. Ob ich mich hierin täusche, muss der Leser ent-
scheiden.
Natürlich ist es unmöglich, die Untersuchung auf den ge-
nannten Punkt zu beschränken. Manches, was oftmals verhandelt
worden ist, soll freilich in dieser Studie nur gestreift werden;
anderes aber wird eine eingehende Berücksichtigung verlangen.
1) 2. B. Klöpper in seiner sorgfältigen Arbeit „Der 2, Brief an die
Thessalonicher‘“ (Theol. Studien und Skizzen aus Ostpreussen II 1889). Auch
B. Weiss geht in seiner Einleitung in das Neue Testament sehr kurz über
den Punkt hinweg.
2) Weizsäcker, Das Apostolische Zeitalter S. 258 (= 2249) macht
den Punkt zur Hauptsache. Bornemann S. 460 hält ihn ebenfalls für den
wichtigsten, tritt aber für die Echtheit ein. Neuestens hat ihn auch H.
Holtzmann, Zum zweiten Thessalonicherbrief, Zeitschrift für die neu-
testamentliche Wissenschaft (im Folgenden = ZNTW) II 1901 S. 97—108,
besonders betont, obwohl ihm die apokalyptische Haltung des Briefes die
Hauptinstanz zu bleiben scheint (S. 97).
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 3
Vor allem darf es nicht bei der blossen Negation bleiben: es
muss gefragt werden, wie der Brief positiv als pseudonymes
Schriftstück zu begreifen ist. Die Kritik hat wertvolle Beiträge
für diese Frage geliefert, aber sie hat sich ihrer doch nicht mit
dem gleichen Interesse angenommen wie der Begründung des
negativen Urteils.! Daher hat sie auch gewisse Schwierigkeiten,
die der Bestreitung der Echtheit des Briefes thatsächlich im
Wege stehen, nicht genügend gewürdigt.
I.
Zunächst stellen wir in einer raschen Übersicht die zwischen
beiden Thessalonicherbriefen bestehenden Übereinstimmungen
nochmals einfach zusammen.
Es entspricht unserm Zwecke am besten, die in Frage
kommenden Stellen des ersten Briefes neben den in Abschnitte
zerlegten Text des zweiten zu rücken, das Verwandte — nicht
blos die wörtlichen Anklänge, sondern gelegentlich auch sonstige
Ähnlichkeiten — durch den Druck hervorzuheben und vorerst
nur einige wenige Bemerkungen zur Erläuterung einzuschalten.
Die Zusammenstellung wird lehren, welche Parallelen zusammen
betrachtet werden müssen — darauf kommt etwas an, wie sich
zeigen wird; andererseits wird sie einigermassen deutlich machen,
in welchem Verhältnisse das Gemeinsame zum Sondereigentum
der Briefe steht. Wir führen übrigens nicht schlechthin alles
auf, was man in den beiden Briefen verglichen hat. Parallelen
wie 1. Thess. 216 ἵνα σωϑῶσιν und 2. Thess. 210 εἰς τὸ σωϑῆναι
αὐτούς oder 1. Thess. 21: ἕνα ἕχαστον und 2. Thess. 13 ἑνὸς
1) Bornemann hat nicht so Unrecht, wenn er 9. 478 sagt: „... es
ist von den Bestreitern der Echtheit (des Briefes) bisher der Versuch weder
gemacht noch durchgeführt worden, die ganze Eigenart und den ganzen
Inhalt des 2. Briefes unter Voraussetzung seiner Unechtheit verständlich
zu machen“.
2) Holtzmann, ZNTW 1901 S. 101 vergleicht ausserdem auch das
vor diesen Worten stehende οὐχ ἐδέξαντο mit dem ἐδέξασϑε 1. Thess. 213,
obwohl dieses 3 Verse vor dem ἵνα σωθῶσιν steht und ein ganz anderes
Objekt hat als das οὐχ ἐδέξαντο.
1*
4 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ἑχάστου werden absichtlich übergangen. Indessen wird die Über-
sicht, denke ich, alles enthalten, was überhaupt für unsere Frage
von irgend welchem Belang ist.!
2. Thess.
lı. 2
1 Παῦλος καὶ Σιλουανὸς καὶ
Τιμόϑεος τῇ ἐχκλησίᾳ Θεσσα-
λονιχέων ἐν ϑεῷ πατρὶ ἡμῶν
καὶ κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ" 2 χά-
ρις ὑμῖν χαὶ εἰρήνη ἀπὸ ϑεοῦ
πατρὸς [ἡμῶν] καὶ κυρίου ’In-
σοῦ Χριστοῦ.
18.. 12
3 Εὐχαριστεῖν ὀφείλομεν τῷ
ϑεῷ πάντοτε περὶ ὑμῶν, ἀδελ-
pol, χαϑὼς ἀξιόν ἐστιν, ὅτι
ὑπεραυξάνει ἡ πίστις ὑμῶν καὶ
πλεονάζει (b)? ἡ ἀγάπη (a, b)
ἑνὸς ἑκάστου πάντων ὑμῶν
εἰς ἀλλήλους (Ὁ), 4 ὥστε av-
τοὺς ἡμᾶς ἐν ὑμῖν ἐνχαυχᾶσϑαι
ἐν ταῖς ἐχκλησίαις τοὺ ϑεοῦ (ἃ)
ὑπὲρ τῆς ὑπομονῆς ὑμῶν καὶ
πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς διω-
γμοῖς (d) ὑμῶν καὶ ταῖς ϑλί-
ψεσιν αἷς ἀνέχεσϑε, 5 ἔνδειγμα
τῆς δικαίας χρίσεως τοῦ ϑεοῦ,
εἰς τὸ καταξιωϑῆναι ὑμᾶς τῆς
βασιλείας τοῦ ϑεοῦ (6), ὑπὲρ
ἧς χαὶ πάσχετε, 6 εἴπερ di-
χαιον παρὰ ϑεῷ ἀνταποδοῦναι
τοῖς ϑλίβουσιν ὑμᾶς ϑλίψιν
1. Thess.
1ı
Παῦλος καὶ Σιλουανὸς καὶ
Τιμόϑεος τῇ ἐκκλησίᾳ Θεσσα-
λονιχέων ἐν ϑεῷ πατρὶ καὶ
κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ" yagıcvulv
καὶ εἰρήνη.
a) zu V. sh, ı0f:
l2-ı0 (8)
2 Εὐχαριστοῦμεν τῷ ϑεῷ
πάντοτε περὶ πάντων ὑμῶν.
μνείαν ποιούμενοε ἐπὶ τῶν
- ς - σ:τ- ,
προσευχῶν ἡμῶν, 3 ἀδιαλεί-
ς - -
ATOG μνημονεύοντες ὑμῶν τοῦ
”
ἔργου τῆς πίστεως καὶ τοὺ
χύπου τῆς ἀγάπης καὶ τῆς
ὑπομονῆς τῆς ἐλπίδος τοῦ χυ-
olov ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ
ἔμπροσϑεν τοῦ ϑεοῦ καὶ παὶ
τρὸς ἡμῶν .....
μιμηταὶ ἡμῶν ἐγενήϑητε καὶ τοῦ
6 καὶ ὑμεῖς
κυρίου, δεξάμενοι τὸν λόγον ἐν
ϑλίψει πολλῇ μετὰ χαρᾶς πνεύ-
ματος ἁγίου, Ἴ ὥστε γενέσϑαι
ὑμᾶς τύπον πᾶσιν τοῖς πιστεύ-
ουσιν ἐν τῇ Μακεδονίᾳ καὶ τῇ
᾿Αχαΐᾳ. 8 ap ὑμῶν γὰρ ἐξήχη-
1) Ich gebe den Text nach Nestles Neuem Testament.
2) Ich schalte diese Buchstaben, die auf die entsprechenden Stellen
des 1. Briefes hinweisen, nur da ein, wo sie die Orientierung erleichtern.
Das literarische Verhältnis zu 1. 'Thess. 5
7 χαὶ ὑμῖν τοῖς ϑλιβομένοις
ἄνεσιν μεϑ’ ἡμῶν, ἐν τῇ ἀπο-
[4 -- N -ππὰσασσ τσ
xalvıpsı τοῦ χυρίου ]ησοῦ (Ὠ)
ἀπ᾽ οὐρανοῦ (ς) μετ᾽ ἀγγέλων
δυνάμεως αὐτοῦ 8 ἐν πυρὶ
φλογός, διδόντος ἐκδίκησιν τοῖς
μὴ εἰδόσιν ϑεὸν (f) καὶ τοῖς
μὴ ὑπακούουσιν τῷ εὐαγγελίῳ
τοῦ χυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ, 9 οἵ-
᾿ ”
τινες δίχην τίσουσιν ολεϑρον
αἰώνιον ἀπὸ προσώπου τοῦ
κυρίου καὶ ἀπὸ τῆς δόξης τῆς
> ’ 3 - Ω ν
ἰσχυος αὑτοῦ, 10 οταν ελϑῃ
, - eo
ἐνδοξασϑῆναι ἐν τοῖς αγίοις
2 - να “απ “απ
αὑτοῦ (Ὁ) καὶ ϑαυμασϑῆναι
ἐν πᾶσιν τοῖς πιστεύσασιν.
[4] [4 3 ’
ὁτι ἐπιστευϑὴ τὸ μαρτύριον ,
« - 2) >» ς » -- « N
ἡμῶν Ep vuas, ἐν τῇ ημέρᾳ
‚ a
exeivn. 11 Eis ὁ καὶ προσευ-
χύμεϑα πάντοτε περὶ ὑμῶν,
4) = Im » “-- ’
Lv ὑμᾶς ἀξι) 6} τῆς κλησεῶς"
ὁ ὁ ϑεὸς (e) ἡμῶν καὶ πληρώσῃ
πᾶσαν εὐδοχίαν ἀγαϑωσύνης
χαὶ ἔργον πίστεως ἐν δυνάμει,
12 ὅπως ἐνδοξασϑῇ τὸ ὄνομα
τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ ἐν
« N « 2 - 4
υμῖν, καὶ υμεῖς ἐν αὐτῷ, κατὰ
τὴν χάριν τοῦ ϑεοῦ ἡμῶν καὶ
κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ.
ται ὁ λόγος τοῦ κυρίου οὐ μό-
vov ἐν τῇ Maxedovla καὶ
Axaig, ἀλλ᾽ ἐν παντὶ τόπῳ ἢ
πίστις ὑμῶν ἡ πρὸς τὸν ϑεὸν
ἐξελήλυϑεν, ὥστε μὴ χρείαν
ἔχειν ἡμᾶς λαλεῖν τι...
bh) zu Υ. 5, 7, 10:
918. 18
12 ὑμᾶς δὲ ὁ κύριος πλεονά-
σαι καὶ περισσεύσαι τῇ ἀγάπῃ
εἰς ἀλλήλους καὶ εἰς πάντας,
καϑάπερ καὶ ἡμεῖς εἰς ὑμᾶς,
13 εἰς τὸ στηρίξαι ὑμῶν τὰς
καρδίας ἀμέμπτως ἐν ἁγιωσύνῃ
ἔμπροσϑεν τοῦ ϑεοῦ καὶ πα-
τρὸς ἡμῶν ἐν τῇ παρουσίᾳ
τοῦ χυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ μετὰ
πάντων τῶν ἁγίων αὐτοῦ.
ec) zu V. τ (wo ebenfalls vom
Kommen Jesu die Rede ist):
416
καταβήσεται ἀπ᾽ οὐρανοῦ.
4) zu V. « Η:
24 ff. 10
14 ὑμεῖς γὰρ μιμηταὶ ἐγενή-
ϑητε, ἀδελφοί, τῶν ἐχκλησιῶν
τοῦ ϑεοῦ τῶν οὐσῶν ἐν τῇ Iov-
δαίᾳ.... Die Fortsetzung spricht
von Verfolgungen, auch vom
göttlichen Zorne.
19 τίς γὰρ ἡμῶν ἐλπὶς
χαρὰ ἢ στέφανος καυχήσεως
οὐχὶ χαὶ ὑμεῖς ον
6) zu V.5 und ıı:
212
... χαὶ μαρτυρόμενοι εἰς τὸ
Ἶ
7
6 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
περιπατεῖν ὑμᾶς ἀξίως τοὐὔϑεοῦ
τοῦ χαλοῦντος ὑμᾶς εἰς τὴν
ἑαυτοῦ βασιλείαν καὶ δόξαν.
f) τὰ Υ. 5:
45.
.... 6 μὴ ἐν πάϑει ἐπιϑυμίας
χαϑάπερ καὶ τὰ ἔϑνη τὰ μὴ εἰ-
δότα τὸν ϑεόν, 7 τὸ μὴ ὑπερ-
βαίνειν xal πλεονεχτεῖν. ..
διότι ἔχδικος κύριος περὶ πᾶν-
των τούτων.
Die Hauptparallele zu vorstebendem ΑὈδρῃπιξο des zweiten
Briefes ist 1. Thess. 12-10, doch bieten die Verse 5-» im 2. Briefe
kaum etwas, was mit diesem Texte verglichen werden könnte.
Die Übereinstimmungen liegen zunächst in den Worten von Dank
und Bitte (V. 8.11) — was natürlich sehr wenig bedeutet —,
in der engen Aufeinanderfolge von πίστις, ἀγάπη, ὑπομονή,
ϑλίψις, in dem bei Paulus sonst nicht vorkommenden Ausdrucke
ἔργον πίστεως (1: τῆς πίστεως) und in der Wendung (ἐν) πᾶ-
σιν τοῖς πιστεύσασιν (1: πιστεύουσιν»), die jedoch hier in ande-
rem Zusammenhange erscheint als I17. Alleın neben diesen Wort-
parallelen ist bemerkenswert, dass auch der Gedanke von V. 4
nahe verwandt ist mit I1rf: nach dieser Stelle verkündet Paulus
den Ruhm der Thessalonicher, indem er sagt, dass sie (durch
ihren Glauben) als Vorbild bei allen Gläubigen von Makedonien
und Achaja dastehen, nach [114 erklärt er geradezu, dass er
selbst — sei es allein, sei es mit seinen Gefährten (ἡμᾶς) —
sich der Thessalonicher (wegen ihres Glaubens) unter den Ge-
meinden Gottes rühme.
Zu f) sei angemerkt, dass der Ausdruck οἱ μὴ εἰδότες ϑεόν
(I: τὰ ἔϑνη τὰ un εἰδότα Heov) für die Heiden nur an diesen
beiden Stellen in den Paulusbriefen begegnet.' Ähnlich jedoch
Gal. 48: ἀλλὰ τότε μὲν οὐχ εἰδότες ϑεὸν ἐδουλεύσατε τοῖς
φύσει μὴ οὖσιν ϑεοῖς. Vgl. im übrigen LXX Jerem. 1025, auch
Ps. 79 (78).
1) Ich notiere dergleichen auch in solchen Fällen, wo es wie in diesem
wenig bedeutet. Die Hinweise, die ich in dieser Beziehung der Übersicht
beifüge, werden übrigens später ergänzt werden.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 7
Erwähnt sei auch (zu Ὁ), dass ἀγάπη mit πλεονάζειν nur
[215 und Il1s in den Paulusbriefen zusammensteht.
2. Thess.
21-12
1 Ἐρωτῶμεν δὲ ὑμᾶς. ἀδελ-
φοί, ὑπὲρ τὴς παρουσίας τοῦ
χυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ
καὶ ἡμῶν ἐπισυναγωγῆς ἐπ᾿
αὐτόν, 2 εἰς τὸ μὴ ταχέως
σαλευϑῆναι ὑμᾶς ἀπὸ τοῦ νοός
κτλ.
1. Thess.
a) 414- 11
14 ... ὁ ϑεὸς τοὺς κοιμη-
ϑέντας διὰ τοῦ Ἰησοῦ ἄξει σὺν
αὐτῷ. 18... ἡμεῖς οἱ ζῶντες
οἱ περιλειπόμενοι εἰς τὴν παρ-
ουσίαν τοῦ xvplov οὐ μὴ φϑά-
σωμεν... 11... ἀρπαγησόμεϑα
ἐν νεφέλαις εἰς ἀπάντησιν τοῦ
χυρίου.
b) ὅ: (οὗ 4ı)
ἐρωτῶμεν δὲ ὑμᾶς, ἀδελφοί...
Die einleitende Phrase (ἐρωτῶμεν χτλ) findet sich in dieser
Form nur ın den Thessalonicherbriefen.
ἐρωτῶ καὶ σέ.
Vgl. jedoch Phil. 48:
Zu V. 2—12 des 2. Kapitels finden sich im 1. Briefe im
Ganzen keine Seitenstücke.
Die Verse können daher hier über-
gangen werden. Bemerkenswert ist jedoch Folgendes:
2. Thess.
25
3 [4 o ” ”
οὐ μνημονεύετε, ὁτι ἔτι ὧν
Α Ce = - «
προς υμᾶς ταῦτα ἔλεγον υμῖν;
1. Thess.
94
ὅτε πρὸς ὑμᾶς nuev,
προελέγομεν vulv....
καὶ γὰρ
Ein μνημονεύετε mit Bezug auf die Anwesenheit des
Paulus ın Thessalonich findet sich [29.
Ein Rückblick auf den
Besuch bei den Lesern findet sich in Verbindung mit einem ἔλε-
γον (προελέγομεν) ὑμῖν in andern Paulusbriefen nicht wieder.
Vgl. auch 2. Thess. 810.
2. Thess.
213. 14
13 “μεῖς (4) δὲ ὀφείλομεν
εὐχαριστεῖν τῷ ϑεῷ (a, b)
πάντοτε περὶ ὑμῶν (Ὁ), ἀδελ-
φοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ κυρίου,
ὅτε εἵλατο ὑμᾶς (b vgl. ἃ) ὁ
1. Thess.
a) 2ı2. 18
12 .... μαρτυρόμενοι εἰς τὸ
περιπατεῖν ὑμᾶς ἀξίως τοῦ ϑεοῦ
τοῦ καλοῦντος ὑμᾶς εἰς τὴν ἑαυ-
τοῦ βασιλείαν καὶ δόξαν. 13 καὶ
διὰ τοῦτο καὶ ἡμεῖς εὐχα-
8 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ϑεὸς ἀπ᾿ ἀρχῆς εἰς σωτηρίαν
(ἃ) ἐν ἁγιασμῷ (ce) πνεύματος
καὶ πίστει ἀληϑείας, 14 εἰς ὃ
ἐχάλεσεν (ἃ, 4) ὑμᾶς διὰ τοῦ
εὐαγγελίου ἡμῶν εἰς περιποί-
ησιν (ἃ) δόξης (ἃ, a) τοῦ χυ-
ρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ (d).
ριστοῦμεν τῷ ϑεῷ ἀδιαλείπτως,
ὅτι...
b) 12..«
2 Βὐχαριστοῦμεν τῷ ϑεῷ
πάντοτε περὶ πάντων ὑμῶν
. 4 εἰδότες, ἀδελφοὶ ἤγα-
πημένοι ὑπὸ [τοῦ] ϑεοῦ, τὴν
ἐχλογὴν ὑμῶν ....
6) 47
οὐ γὰρ ἐκάλεσεν ἡμᾶς ὁ ϑεὸς
ἐπὶ ἀχαϑαρσίᾳ, ἀλλ᾽ ἐν ἁγιασμῷ.
d) ὅ9
ὅτι 00x ἔϑετο ἡμᾶς ὁ ϑεὸς
εἰς ὀργήν, ἀλλὰ εἰς περιποίησιν
σωτηρίας διὰ τοῦ κυρίου ἡμῶν
Ἰησοῦ Χριστοῦ.
Hier sind auf den ersten Blick die unter b) und d) aufge-
führten Parallelen am auffallendsten. Abgesehen davon, dass
I12-ı die Wendung vom Danken, den Gedanken der göttlichen
Wahl und die Phrase ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ τοῦ ϑεοῦ
(II: ὑπὸ xvolov) mit dem andern Briefe gemein hat, ist bemer-
kenswert, dass diese Phrase sich bei Paulus nur in den Thessa-
lonicherbriefen findet (Röm. 17: ἀγαπητοὶ ϑεοῦ)". Gleiches gilt
von περιποίησις (8. d). Vgl. jedoch Eph. 11su.s. Zu 159 ist
nicht nur 1121: zu vergleichen, sondern auch der vorangehende
Vers mit seinem εἵλατο ὑμᾶς ὁ ϑεὸς εἰς σωτηρίαν.
2. ΤΉ 688. 1. Thess.
215— 35° a) Zu V. 17:
15 ἄρα ovv, ἀδελφοί, στή- 32.
᾿ \ Co Ἢ
οὐν εἰς τὸ στηρίξαι υμᾶς καὶ
κετε, χαὶ κρατεῖτε τὰς παρα-
δόσεις ἃς ἐδιδάχϑητε (vgl.
141) εἴτε διὰ λόγου εἴτε δὲ
ἐπιστολῆς ἡμῶν. 16 “υτὸς δὲ
παρακαλέσαι...
b) 38---4
8 ὁτι νῦν ζῶμεν, ἐὰν ὑμεῖς
1) Deut. 33,2 LXX heisst Benjamin ἠγαπημένος ὑπὸ χυρίου.
2) 31 ff. schliessen wir hier gleich an, um alles, was an I3s—42 an-
klingt, zusammen zu haben.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 9
ὁ χύριος ἡμῶν Ἰησοῦς Χριστὸς
χαὶ ὁ ϑεὸς ὁ πατὴρ ἡμῶν, ὁ
ἀγαπήσας ἡμᾶς καὶ δοὺς παρᾶ-
χλησιν αἰωνίαν καὶ ἐλπίδα
ἀγαϑὴν ἐν χάριτε, 11 παραχα-
λέσαι ὑμῶν τὰς κχαρόδίας καὶ
στηρίξαε (a, b) ἐν παντὶ ἔργῳ
καὶ λόγῳ ἀγαϑῷ. δι Τὸ λοι-
πὸν προσεύχεσϑε, ἀδελφοί. περὶ
ἡμῶν (ec), ἵνα ὁ λόγος τοῦ κυ-
olov τρέχῃ καὶ δοξάζηται καϑὼς
χαὶ πρὸς ὑμᾶς, 2 χαὶ ἵνα ῥυ-
σϑῶμεν ἀπὸ τῶν ἀτόπων καὶ
πονηρῶν ἀνθρώπων" οὐ γὰρ
8 Πιστὸς
δέ ἐστιν 6 κύριος. ὃς (6) στη-
ρίξει ὑμᾶς καὶ φυλάξει ἀπὸ τοῦ
πονηροῦ. 4 πεποίϑαμεν δὲ ἐν
χυρίῳ ἐφ᾽ ὑμᾶς, ὅτι ἃ παραγ-
γέλλομεν [καὶ] ποιεῖτε καὶ ποι-
5 Ὁ δὲ κύριος xatev-
«
πάντων ἡ πίστις.
ἤσετε.
ϑύναι ὑμῶν τὰς καρδίας εἰς
τὴν ἀγάπην τοῦ ϑεοῦ καὶ εἰς
τὴν ὑπομονὴν τοῦ Χριστοῦ.
[4
στήχετε ἐν χυρίῳ ..
. 11 Αὐτὸς
δὲ ὁ ϑεὸς καὶ πατὴρ ἡμῶν καὶ
ὁ κύριος ἡμῶν ᾿ἸΙησοῦς κατευ-
ϑύναιτὴν ὁδὸν ἡμῶν πρὸς ὑμᾶς"
12 ὑμᾶς δὲ ὁ κύριος πλεονάσαι
καὶ περισσεύσαι τῇ ἀγάπῃ εἰς ἀλ-
λήλους καὶ εἰς πάντας, καϑάπερ
καὶ ἡμεῖς εἰς ὑμᾶς, 18 εἰς τὸ στη-
olZaı ὑμῶν τὰς καρδίας ἀμέμπ-
τους ἐν ayımovvy ἔμπροσϑεν
τοῦ ϑεοῦ χαὶ πατρὸς ἡμῶν ἐν
τῇ παρουσίᾳ... 41 Λοιπὸν οὐν.
ἀδελφοί, ἐρωτῶμεν ὑμᾶς...
ἵνα xa$oc παρελάβετε παρ᾽
ἡμῶν τὸ πῶς δεῖ ὑμᾶς περι-
πατεῖν... 2 οἴδατε γὰρ τίνας
παραγγελίας ἐδώκαμεν ὑμῖν...
6) zu 4:. 3:
Bra. 26:
24 πιστὸς ὁ καλῶν ὑμᾶς,
35 Adeigpot.
προσεύχεσϑε περὶ ἡμῶν.
ῶ [4
05 καὶ ποιήσει.
Aufforderung zur Fürbitte für den Apostel (8. 6) findet sich
auch Kol. 45 (rgoosvyouevor ἅμα καὶ περὶ ἡμῶν).
Die Über-
einstimmung der beiden obigen Stellen im Wortlaut mag dem
gegenüber bemerkt sein: beide Male der Imperativ und beide
Male ein ἀδελφοί. Stellen wie Röm. 1520, Phil. 119, Philem. 22,
2. Kor. 1ıı liegen im Wortlaute noch weiter ab. Vgl. jedoch
Hebr. 1318. Πιστὸς ὁ ϑεὸς (11: ὁ χύριος), ὅς (de 00...) auch
1. Kor. 1013 19 (vgl. 2. Kor. 118).
Das Wort χατευϑύνειν findet sich bei Paulus ausserhalb der
Thessalonicherbriefe nicht wieder, sonst im N. T. nur noch
Luk. 175, nicht selten ist es in den Apokryphen, vgl. z. B.
Sir. 29ı7, 397, 49sf, 5120. [185 und 1831: finden wir beide Male
10 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
den gleichen Optativ χατευϑύναι, der Sinn ist jedoch verschieden,
sofern das Objekt (1: τὴν ὁδόν, II: τὰς καρδίας) verschieden ist.
Das besagt aber gar nichts gegen die Möglichkeit einer litera-
rischen Abhängigkeit. Dass der Benutzer einer Schrift ihr Wort
aufnimmt trotz der Verschiedenheit des Gedankens, ist keine
seltene Erscheinung. Wer z. B. Jak. 46-10 für abhängig hält
von 1. Petr. 55-9 (oder umgekehrt), wird nicht zweifeln, dass auch
das ὑποτάγητε (1. Petr. 55, Jak. 47) aus der Vorlage stammt, ob-
wohl im 1. Petrusbriefe Gehorsam gegen die πρεσβύτεροι, im
Jakobusbriefe gegen Gott gefordert wird.
2. Thess.
36—15
ὁ Παραγγέλλομεν δὲ ὑμῖν,
ἀδελφοί, ἐν ὀνόματι τοῦ κυρίου
[nu@v) Ἰησοῦ Χῥιστοῦ, στέλ-
λεσϑαι ὑμᾶς ἀπὸ παντὸς ἀδελ-
φοῦ ἀτάχτως (6) περιπατοῦν-
τος καὶ μὴ κατὰ τὴν παράδο-
σιν ἣν παρελάβοσαν rap ἡμῶν.
7 αὐτοὶ γὰρ οἴδατε πῶς del
μιμεῖσϑαι ἡμᾶς (6), ὅτι οὐχ
ἡτακτήσαμεν (6) ἐν ὑμῖν, 8 οὐδὲ
δωρεὰν ἄρτον ἐφάγομεν παρά
τινος, ἀλλ᾿ ἐν κόπῳ καὶ μόχϑῳ
νυχτὸς καὶ ἡμέρας ἐργαζόμενοι
πρὸς τὸ μὴ ἐπιβαρῆσαί τινα
ὑμῶν (Ὁ) 9 οὐχ ὅτε οὐχ ἔχο-
μεν ἐξουσίαν, ἀλλ᾽ ἕνα ἑαυτοὺς
τύπον (ce) δῶμεν ὑμῖν εἰς τὸ
μιμεῖσϑαι ἡμᾶς (ec). 10 χαὶ γὰρ
ὅτε ἡμὲν πρὸς ὑμᾶς (ἃ), τοῦτο
παρηγγέλλομεν ὑμῖν, ὅτε εἴ
τις οὐ ϑέλει ἐργάζεσϑαι, μηδὲ
ἐσθιέτω. 11 ἀκούομεν γάρ τινας
περιπατοῦντας ἐν ὑμῖν ἀτά-
1. Thess.
a) zu V. ef, 10--τὮ:
4ıf. τοῦ
1 Λοιπὸν οὐν, ἀδελφοί, ἐρω-
τῶμεν ὑμᾶς καὶ παρακαλοῦμεν
ἐν χυρίῳ Ἰησοῦ, ἵνα χκαϑὼς
παρελάβετε παρ᾽ ἡμῶν τὸ πῶς
δεῖ ὑμᾶς περιπατεῖν καὶ ἀρέσκειν
ϑεῷ κχαϑὼς καὶ περιπατεῖτε.
ἕνα περισσεύητε μᾶλλον. 2 οἵ-
δατε γὰρ τίνας παραγγελίας
ἐδώχαμεν ὑμῖν διὰ τοῦ κυρίου
Ἰησοῦ...
10 .... “Παρακαλοῦμεν δὲ
ὑμᾶς, ἀδελφοί, περισσεύειν
μᾶλλον, 11 xal φιλοτιμεῖσϑαι
ἡσυχάζειν καὶ πράσσειν τὰ ἴδια
καὶ ἐργάζεσϑαι ταῖς χερσῖν ὑμῶν,
καϑὼς ὑμῖν παρηγγείλαμεν, ἵνα
περιπατῆτε εὐσχημόνος ....
Zu V. τ vgl. noch 21:
αὐτοὶ γὰρ οἴδατε...
b) zu V. e:
29
μνημονεύετε γάρ, ἀδελφοί.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess,. 11
xtoc. μηδὲν ἐργαζομένους ἀλλὰ
περιεργαζομένους᾽ 12 τοῖς δὲ
τοιούτοις παραγγέλλομεν καὶ
παρακαλοῦμεν ἐν κυρίῳ ᾿ησοῦ
Χριστῷ ἵνα μετὰ ἡσυχίας
ἐργαζόμενοι τὸν ἑαυτῶν ἄρτον
ἐσθίωσιν. 13 Ὑμεῖς δέ, ἀδελφοί,
μὴ ἐγχαχήσητε χκαλοποιοῦντες.
14 εἰ δέ τις οὐχ ὑπαχούει τῷ
λόγῳ ἡμῶν διὰ τῆς ἐπιστολῆς,
τοῦτον σημειοῦσϑε, μὴ συνανα-
μίγνυσθαι αὐτῷ, ἵνα ἐντραπῇ;
15 xal μὴ ὡς ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑε.
ἀλλὰ νουϑετεῖτε oc ἀδελφόν.
τὸν χόπον ἡμῶν καὶ τὸν μόχ-
ϑον᾽ νυχτὸς χαὶ ἡμέρας ἐργα-
ξόμενοι πρὸς τὸ μὴ ἐπιβαρῆ-
σαί τινα ὑμῶν ἐχηρύξαμεν ...
6) zu Υ. 1, 9:
16.7 -
6 χαὶ ὑμεῖς μιμηταὶ ἡμῶν
ἐγενήϑητε καὶ τοῦ xvolov, de-
ἔάμενοι τὸν λόγον ἐν ϑλίφει
πολλῇ, μετὰ χαρᾶς πνεύματος
ἁγίου, T ὥστε γενέσϑαι ὑμᾶς
τύπον πᾶσιν τοῖς πιστεύουσιν...
4) zu V. 9:
94
χαὶ γὰρ ὅτε πρὸς ὑμᾶς ἦμεν...
6) zu V. of, 11, 15:
9218. 14
13 xal ἡγεῖσϑαι αὐτοὺς (die
Vorsteher) ὑπερεχπερισσῶς ἐν
ἀγάπῃ... εἰρηνεύετε ἐν ἕαυ-
τοῖς. 14 Παραχαλοῦμεν δὲ ὑμᾶς,
ἀδελφοί, νουϑετεῖτε τοὺς ἀτά-
χτοῦς.
Zu ἀτάχτως (1136. 11 vgl. ἀταχτεῖν 31) ist zu erwähnen, dass
das Wort im N. T. nur noch 1. Thess. 514 vorkommt, freilich in
alljektivischer Form.
Das τὸν ἑαυτῶν ἄρτον (Il3ı2) habe ich hervorgehoben, weil
es durch τὰ ἔδια (1411) veranlasst sein könnte.
Mn os ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑε (1141) kann trotz der Beziehung auf
ganz andere Personen möglicherweise Äquivalent von ἡγεῖσϑαι
ἐν ἀγάπῃ sein.
2. Thess.
916-- 18
16 Αὐτὸς δὲ ὁ κύριος τῆς
εἰρήνης δῴη ὑμῖν τὴν εἰρήνην
διὰ παντὸς ἐν παντὶ τρόπῳ.
1. Thess.
528. 28
23 Αὐτὸς δὲ ὁ ϑεὸς τῆς εἰ-
ρήνης ἁγιάσαε ὑμᾶς ὁλοτελεῖς
12 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ὁ χύριος μετὰ πάντων ὑμῶν.
17 Ὁ ἀσπασμὸς τῇ ἐμῇ χειρὶ
Παύλου, ὁ ἐστιν σημεῖον ἐν
πάσῃ ἐπιστολῇ" οὕτως γράφω.
18 ἡ χάρις τοῦ κυρίου ἡμῶν 28 Ἡ χάρις τοῦ κυρίου ἡμῶν
Ἰησοῦ Χριστοῦ μετὰ πάντων Ἶησοῦ Χριοτοῦ μεϑ᾽ ὑμῶν.
ὑμῶν.
Der letzte Satz findet sich in gleicher oder erweiterter Form
regelmässig am Schlusse der Paulusbriefe. Vgl. Röm. 1650,
1. Kor. 1633 u. 8. w.
In der vorstehenden Übersicht sind mehrfach dieselben Stellen
des 1. Briefes wiederholt angeführt worden. Das bedarf keiner
Rechtfertigung. Eine mehrmalige Abhängigkeit von der gleichen
Stelle ist ebenso möglich wie eine Benutzung verschiedener
Stellen der Vorlage an einer einzigen des abhängigen Schrift-
stücks.
lm Übrigen muss von vornherein betont werden, dass das
vorgeführte Material von sehr verschiedener Bedeutung ist. Selbst
wenn der Nachweis einer Benutzung des ersten Briefes durch
den zweiten erbracht ist, wird ja das Mass der Abhängigkeit im
Einzelnen niemals ganz sicher festgestellt werden können. Wenn
das νουϑετεῖτε 11316 durch 1514 veranlasst sein sollte, so braucht
doch das daneben stehende μὴ ος ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑε mit dem
nyelodaı ἐν ἀγάπῃ 1515 nichts zu thun zu haben. Wenn die
Stelle 1136 wirklich auf I4ı ruhen sollte, so ist damit noch nicht
zweifellos, dass das οἴδατε und πῶς δεῖ Il37 aus dem οἴδατε 142
und dem πῶς δεῖ 4ı geflossen ist. Obgleich τύπος 117 nahe bei dem
μιμηταὶ ἡμῶν (16) steht, wäre τύπος neben μιμεῖσϑαι ἡμᾶς im
2. Briefe (39) keineswegs notwendig Erinnerung an jene Stelle. Nicht
blos weil τύπος dort von den Lesern, hier von Paulus gesagt
wird, sondern auch, weil immer, wo von μεμεῖσϑαι die Rede ist,
das Wort τύπος naheliegt. Aber nicht einmal das μεμεῖσϑαι
ἡμᾶς wäre notwendig durch das μιμηταὶ ἡμῶν, das einem andern
Zusammenhange angehört, bedingt. Sobald der Verfasser des
zweiten Briefes das Arbeiten des Apostels thatsächlich zum Vor-
bild für die Unthätigen machte, stellte sich das Wort μιμεῖσθαι
von selber leicht genug ein. Ähnliche Erwägungen lassen sich
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 13
in manchen andern Fällen anstellen. Umgekehrt kann aber
bei wirklich vorhandenem literarischen Zusammenhange zwischen
den Briefen ein Einfluss der Vorlage auch da vorliegen, wo bei
zwei beliebigen Briefen niemand daran denken würde. Wir
konnten daher dergleichen Fälle von unserer Übersicht doch nicht
ausschliessen, höchstens einige wenige besonders zweifelhafte
übergehen. Ebensowenig liess sich von vornherein eine Schei-
dung der Parallelen nach den Kategorien wichtig und unwichtig
vornehmen.
Die Verwandtschaft der beiden Thessalonicherbriefe ist offen-
bar ın mancher Hinsicht anders geartet als diejenige, die wir
zwischen andern Briefen der urchristlichen Zeit beobachten können.
Das Verhältnis des Jakobusbriefs zum 1. Petrusbriefe, des 2. Pe-
trusbriefes zum Judasbriefe, des Polykarpbriefs zum 1. Petrus-
briefe oder zum 1. Klemensbriefe bietet keine rechte Analogie;
am ehesten noch das des Epheserbriefs zum Kolosserbriefe, auch
dies jedoch nur in sehr eingeschränktem Sinne.
Nicht an bestimmten Einzelpunkten erscheinen im 2. Thes-
salonicherbriefe die Anklänge an den ersten, sie durchziehen viel-
mehr den ganzen Brief; nur die eschatologische Partie 2s ff
bildet eine Ausnahme, die sogleich auffällt.
Wörtlich genaue Übereinstimmungen auf kleinstem Raume
finden sich nur selten. Die Parallelen zum Texte des ersten
Briefes sind vielmehr meist über grössere Abschnitte wie ver-
streut. Man hat deshalb nicht den Eindruck, dass der erste Brief
im strikten Sinne aus- und abgeschrieben ist.
Bei den meisten Abschnitten liefert wohl ein bestimmter
Passus des ersten Briefes vorzugsweise die Parallelen. Aber
andere Stellen bieten sich daneben durchweg, wie es scheint, mit
nicht geringerer Dringlichkeit zum Vergleiche dar. Die vergleich-
baren Worte und Wendungen des ersten Briefes scheinen dabei
in bunter Folge im Texte des zweiten aufzutreten. So macht
das ganze Verhältnis der Korrespondenz auf den ersten Blick
einigermassen den Eindruck des Komplizierten und Undurch-
sichtigen.
Anderwärts nötigt uns ferner so oft die Gleichheit in singulären
Ausdrücken, signifikanten Begriffen, Gedanken und Gedankenver-
bindungen ganz besonders die Annahme eines Abhängigkeitsver-
14 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
hältnisses auf. Hier begegnet uns dergleichen sehr wenig (was
freilich bei dem ganzen Charakter der Thessalonicherbriefe wieder
nicht eben Wunder nimmt); um so grösser ist dagegen die Über-
einstimmung in Ausdrücken, Wendungen, Formeln, wie wir sie
Paulus bei den verschiedenartigsten Anlässen zu Mahnung und
Ansprache leicht zutrauen würden.
Sicher ist es zum Teil diesen Thatsachen zuzuschreiben, dass
das ganze Verwandtschaftsverhältnis auch auf ganz unbefangene
Kritiker keinen starken Eindruck gemacht hat. Indessen stutzig
machen sollte doch schon die blosse Zusammenstellung, noch ehe
man sie näher betrachtet.
Vor allem fällt sogleich die ziemlich gleichmässige Massen-
haftigkeit der Berührungen zwischen beiden Briefen auf. Ohne
eine besondere Erklärung bleibt sie rätselhaft. Einzeln kann man
die Parallelen zum grossen Teile gewiss leicht mit wohlfeilen
Erwägungen um ihre Bedeutung bringen. Sie wollen aber ın
ihrer Gesamtheit gewürdigt sein. Der Parallelen zum 1. Thessa-
lonicherbriefe giebt es ın dem kurzen 2. Briefe jedenfalls mehr,
als in allen Paulusbriefen, ja in allen Schriften des Neuen Testa-
ments zusammen.! Unter allen echten Paulusbriefen ferner —
den Epheserbrief rechne ich nicht darunter — kommt ein ähn-
liches Verwandtschaftsverhältnis nicht zum zweiten Male vor.
Im Galater- und Römerbriefe z. B. finden wir zwar an Stellen,
wo verwandte Themata abgehandelt werden, mancherlei Ausdrucks-
und Gedankenparallelen. Gleichwohl haben wir dort niemals wie
hier den Eindruck einer Wiederholung, schon weil das Gleich-
artige hinter dem Verschiedenen fast verschwindet. Die Parallelen
erklären sich überdies durchweg aus dem Besitz und Erwerb
bestimmter theologischer Gedanken und Lehren oder fester prak-
tischer Grundsätze. Es sei auch an die Briefe des Ignatius er-
erinnert. Wer wird unter diesen Briefen auch nur eine leidliche
Analogie für unsern Fall finden? Etwas sehr Auffallendes liegt
also gewiss vor.
Aber die Ähnlichkeit der beiden Thessalonicherbriefe reicht
erheblich weiter, als der erste Eindruck erkennen lässt; der That-
bestand, der zu erklären ist, ist mit der blossen Übersicht über
1) Vgl. Holtzmann in Schenkels Bibellexikon V S. 509, auch
ZNTW 1001 δὶ, 1061.
Das literarische Verhältnis zu 1. 'Thess. 15
die Parallelen noch gar nicht bezeichnet. Die Übersicht muss
interpretiert und durch manche Momente, die sich aus ihr allein
nicht ergeben, ergänzt werden.
1. Das Wenige, was sich aus dem 2. Briefe über die voraus-
gesetzte historische Situation ermitteln lässt, deckt sich in
der Hauptsache mit den Angaben des 1. Briefes.
Silranus und Timotheus sind hier wie dort beim Apostel
(11:, 1111). Der Zustand des christlichen Lebens in Thessalonich
ist im Allgemeinen erfreulich (1158 II1sff). Doch ist bei manchen
unruhiges, unordentliches Wesen und Müssiggang zu tadeln
([4 08 51, 1868). Fragen der Zukunftshoffnung bewegen die
Gemeinde nach beiden Briefen. Beide reden auch von Verfol-
gung und Bedrängnis der Gemeinde (116, 214, 3sff, 1114). Alles
Weitere, was im 2. Thessalonicherbriefe etwa als neu erscheinen
könnte, bewegt sich jedenfalls innerhalb dieses gemeinsamen
Rahmens. Höchstens die Erwähnung der ἄτοποι und πονηροὶ
ἄνϑρωποι 32 geht darüber hinaus, sie ist aber zunächst ganz
undeutlich, wenn auch diese Leute an dem Orte zu sein scheinen,
von dem aus Paulus schreibt.
Man hat nun aus dem Briefe herausgelesen, dass seit der
Absendung des ersten Schreibens eine neue Verfolgung über die
Gemeinde gekommen sei, unter deren Wucht die schwärmerische
Erregtheit und der Müssiggang über das frühere Mass hinaus-
gewachsen sei.! Die allgemeine Möglichkeit dieser Kombination
bestreite ich nicht. Allein es ist zunächst eben lediglich Kom-
bination, dass die Verfolgung die Ursache der Schwärmerei und
des Müssigganges sei, der Brief selbst deutet es mit keinem
Worte an. Aber nicht einmal das ist sicher, dass der erste Brief
— wegen ἐπάϑετε 2ıı — die frühefe Verfolgung als vergangen
hinstellt?; und der zweite redet zwar zweifellos von gegenwär-
tiger Drangsal (14: ἀνέχεσϑε), kennzeichnet diese aber nicht als
etwas Neues.
Ist die Verabsäumung der täglichen Arbeit als Folge sch wär-
merischer Zukunftshoffnung zu betrachten, wie man meist an-
nimmt, so würde auch jener ungeduldige Glaube an die Nähe
1) Vgl. Klöpper 5. 86 ff.
2) Vgl. 33 und Bornemann 8. 334, Zahn 1 S. 158, auch von Hof-
mann, Die heil. Schrift neuen Testaments 12 S. 366.
’
16 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
des Herrntages, wovon 2ıf die Rede ist, nicht über den ersten
Brief hinausführen. Nur das wäre man versucht aus der schär-
feren Tonart des zweiten Briefes zu erschliessen, dass die
Schwärmerei und Arbeitsflucht seit dem früheren Briefe sich ge-
steigert hatten. Ausgesprochen ist auch das wieder nicht. Übri-
gens bleibe die Frage, ob der gerügte Müssiggang mit der
eschatologischen Schwärmerei zusammenhängt, hier offen. Jeden-
falls ist die einzig deutliche Anspielung auf greifbare Vorkomm-
nisse, die erst seit der Absendung des ersten Briefes eingetreten
sein können, in 23 enthalten. Wir erfahren da, dass eine ausser-
gewöhnliche Erregung Platz gegriffen hat, und dass in diesem
eschatologischen Fieber gewisse pneumatische Kundgebungen und
briefliche (wie mündliche) Äusserungen des Apostels — seien es
nun nur vermeintliche, vielleicht gar untergeschobene, oder aber
wirkliche — irgend welche Rolle gespielt haben. Abgesehen
hiervon könnte man nur noch auf die ganz kahle Angabe ver-
weisen, dass Paulus von Thessalonich Kunde empfangen hat
(ἀκούομεν 3.1).
Wir stossen also bei so dürftigem historischen Gehalte in
unserm Briefe, wenn nur die Stelle 22 erklärt werden kann, nir-
gends auf positive Daten, Namen, Vorgänge, Zustände, die der
Annahme der Unechtheit Schwierigkeiten bereiten müssten, weil
ihre Erfindung psychologisch unverständlich wäre.!
Aber nicht auf dies Negative kommt es hier zunächst an,
vielmehr auf den Nachweis, dass auch unter dem jetzt verfolgten
Gesichtspunkte der Parallelismus der beiden Briefe befremdlich
genug ist. Allerdings kann man mit einigem Rechte sagen, dass
sich neue, wesentlich veränderte Verhältnisse in der Gemeinde
von Thessalonich kurze Zeit nach dem ersten Schreiben gar nicht
erwarten lassen. Dennoch ist es gegen die Erwartung, dass ein
paulinischer Brief, auch wenn er einem früheren bald folste, so
wenig von Vorkommnissen redet, die inzwischen eingetreten
wären, und dort, wo er wirklich auf solche anspielen soll, nirgends
bemerkt, dass seit früher eine Veränderung eingetreten sei. Nicht
weniger bemerkenswert ist aber, wie mir scheint, dıss er nirgends
Streiflichter auf Dinge fallen lässt, die schon der erste Brief
1) Vgl. dazu Zahn, Ignatius von Antiochien (1873) 8, 54Uf, auch Ein-
leitung 1 S. 113f.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 17
hätte erwähnen können, aber zufällig nicht erwähnt. Denn dass
uns der erste Brief kein vollständiges Bild des Gemeinde-
lebens und der Ereignisse in Thessalonich giebt, die für Paulus
Bedeutung hatten, liegt doch auf der Hand.
2. Ahnlich ist das Ergebnis, wenn man die beiden Briefe
nach ihrem Gedankeninhalte vergleicht. Ausgenommen wieder
die Perikope vom Antichrist bietet unser Brief im Grunde nur
Gedanken, die auch im ersten Briefe entwickelt oder doch ge-
streift werden. Es ist überflüssig, das näher zu zeigen. Die
Forderung der Kirchenzucht (36. ı-ıs) könnte man ja als etwas
dem zweiten Briefe Eigentümliches auszeichnen. Da sie jedoch
nur mit Bezug auf die ἄταχτοι ausgesprochen wird, handelt es
sich auch hier lediglich um eine Modifikation in der Durchfüh-
rung des Themas von I4iof. Ähnlich ist es mit dem Passus 15--9,
der Erwähnung des Vergeltungsgerichts über die Bedränger der,
Gemeinde. Der Ausgangspunkt für diese kleine Digression, der
Gedanke an die ϑλίψις, liegt auch im ersten Briefe vor (16)?
Selbst die Apokalypse 2ı-ı2 steht übrigens als Belehrung über
den Zeitpunkt der Parusie (22) unter einem Gesichtspunkte,
der in der eschatologischen Partie des ersten Briefes sich wieder-
findet; ihr zweiter Teil gilt recht eigentlich der Frage nach den
χρόνοι und χαιροί (δι). Ein wirklich neues Thema weist also
der ganze Brief überhaupt nicht auf.
3. Es hängt mit dem unter Nr. 2 Gesagten nahe zusammen,
ist aber noch besonders hervorzuheben, dass die Gliederung
und Anlage des Briefes der des ersten merkwürdig entspricht.?
Nicht alle Abschnitte des ersten Briefes haben zwar ihr
Seitenstück im zweiten. So bleibt vor allem das Stück 21-16 wie das
Stück 217—310 als Ganzes ohne Äquivalent. Aber umgekehrt kann
man jedem Abschnitte des zweiten Briefes einen inhalt-
lich verwandten aus dem ersten gegenüberstellen. Das
erste Stück bringt beide Male einen Dank für das innere Ge-
deihen der Gemeinde. Dem zweiten Stücke im zweiten Briefe
entspricht ein eschatologisches Stück auch im ersten, dıs—5s.
1) Vgl. Bornemann 8. 481.
2) Von I214—ı6 sehe ich ganz ab.
3) Vgl. besonders die treflichen Bemerkungen bei Weizsäcker
S. 259f (-= 22495). Auch Zahn I S. 100, 174 hebt die Gleichartigkeit der
Anlage hervor. 8. ferner Holtzmann ZNTW 1901 8. 104.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 2. 2
18 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Dem Abschnitt 215—35, der in Wunsch und Mahnung vorzüglich
von der Festigung der Leser und vom Verharren bei der em-
pfangenen apostolischen Anweisung redet, ist 311—4s, genauer
der erste Teil dieses Stückes bis 42 zur Seite zu stellen. Zuletzt
folgt die Warnung vor dem Müssiggange 3sff; ihr entspricht
I4io-ı.. Der Einwand, dass die einzelnen Partien nach Umfang
und Art der Ausführung viel Verschiedenheit zeigen, kann die
Wahrnehmung selbst nicht entkräften. Stände das eschatologische
Stück am Ende, so ergäbe sich eine Folge der Teile nach der
Anordnung des ersten Briefes.
4. Obgleich die Beziehungen zwischen den beiden Schrift-
stücken zunächst kompliziert erscheinen,! ergiebt sich der näheren
Betrachtung leicht die Thatsache, dass die Einzelberührungen
sich zum sehr grossen Teile an korrespondierenden Stellen
der Briefe finden, nämlich innerhalb der genannten pa-
rallelen Abschnitte. Wenn also aus einer Stelle des ersten
Briefes zahlreiche oder doch mehrere Einzelheiten ihr Äquivalent im
zweiten haben, so erscheinen diese Einzelheiten nicht etwa in
kleinen Partikeln wie wahllos über das Ganze verteilt, sie be-
gegnen vielmehr in der Regel vereint in einem einzigen kleineren
Zusammenhange.” Diese Thatsache verdient die grösste Aufmerk-
samkeit. Es scheint mir ein Versäumnis der Kritik zu sein, dass
sie sie nicht wirklich klar gestellt hat.
Obwohl sich das Einzelne bereits aus der früheren Zusammen-
stellung der Texte entnehmen lässt, will ich die Hauptsachen,
die einen Zweifel nicht zulassen, hier der leichteren Orientierung
wegen noch kurz in einer Tabelle vorführen. Es wird genügen,
die parallelen Wörter auszuschreiben.
Von den Wendungen und Wörtern, die überhaupt Parallelen
haben, finden ihr Gegenstück
1, Vgl. oben S. 13f.
2) Der Eindruck, den man von der Verwandtschaft gewinnt, ist ein
etwas anderer, ob man zum Texte des zweiten Briefes die Parallelen aus
I sucht oder umgekehrt zu 1 die Parallelen aus Il. Auch dies wird der
Kritiker nicht versäumen, aber auf das Andere kommt es an. Der Grund
jener Thatsache liegt vor allem darin, dass in II manche Parallelen zu
denjenigen Teilen von Ierscheinen, die s. 2. 8. den Überschuss über 11 bilden,
während II eigentlich keinen Überschuss über 1 besitzt.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 19
aus
ll13-ı:: in der einen Stelle
Εὐχεριστεῖν — TO ϑεῷ πάντοτε περὶ 11...
ὑμῶν» - --ἡ πίστις — ἡ ἀγάπη --- der Gedanke
vom RühmenV. 1 --- τῆς ὑπομονῆς --- πίστεως
.- ϑλίψεσιν -- πᾶσιν τοῖς πιστεύσασιν (9 --
προσευχόμεϑα πάντοτε περὶ ὑμῶν --- ἔργον
πίστεως.
215— 35: 3ıı (#)—42
στήκετε (138) — τὰς παραδόσει. ἃς ἐδι-
ὀάχϑητε (141) — αὐτὸς δὲ ὁ κύριος ἡμῶν
Ἰησοῦς Χριστὸς καὶ ὁ ϑεὸς ὁ πατὴρ ἡμῶν
— ὑμῶν τὰς καρδίας --- στηρίξαι — τὸ λοι-
πόν --- ὦ παραγγέλλομεν — κατευϑύναι —
ὑμῶν τὰς καρδίας.
3612! 4dı-ı2:
Παραγγέλλομεν ὑμῖν. ἀδελφοί, ἐν (ovo- 4s-s kommen aber
uere τοῦ) χυρίου Ἰησοῦ — περιπατοῦντος dabeinichtinFrage,
— κατὰ τὴν παράδοσιν 7» παρελάβοσαν also in Wahrheit:
παρ᾽ ἡμῶν — γὰρ οἴδατε — πῶς δεῖ —aup- 4ι. ὃ. το--. Im We-
ηγγέλλομεν (praeter.) ὑμῖν — ἐργάζεσϑαι — sentlichen korre-
παραγγέλλομεν καὶ πιιρακαλοῦμεν ἐν χυρίῳ spondieren dabei
Ἰησοῖ Χριστῷ --- μετὰ ἡσυχίας ἐργαζόμενος [41.5 und 113e.7
— τὸν! ἑαυτῶν |antov) (2) I-tio—ı2 u. 11910-- 13.
31-3: 934. 25
προσεύχεσϑε, ἀδελφοί, περὶ ἡμῶν --- πι-
στὸς δέ ἐστιν ὁ κύριος. ὥς...
Gegenüber dieser Häufung der Anklänge an einzelne kleinere
Partien des ersten Briefes tritt ebenso sehr zurück, was im zweiten
Briefe an andere Partien des ersten erinnert, wie das, was zwar
an die gleichen erinnert, jedoch den hervorgehobenen Parallelis-
mus der Abschnitte durchkreuzt?. Wie es immer hiermit stehe,
man kann nicht leugnen, dass diese Korresdondenz bestimmter
Stellen des einen mit denen des andern Briefes eine Erklärung
durchaus fordert. Anders wäre es, wenn es sich nur um Aus-
drücke handelte, die sich bei der Behandlung bestimmter Themen
1) Diese Stelle sei hier noch angereiht: die Verse 31—3 haben in
1311—42 abgesehen von dem τὸ λοιπόν (cf oben) keine Parallele.
2) 11218 hat 2. B. noch Parallelen in 114 u. s. w.
.)%*
20 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
von selber einstellen (wie ἐργάζεσϑαι, wenn vom Müssiggange
die Rede ist). In Wahrheit handelt es sich zum grössten Teile
um ganz neutrale Wendungen und Floskeln.
5. Eine Ergänzung des eben Dargelegten liegt in der That-
sache, dass in mehreren Fällen Einzelparallelen an Stellen
(besonders Einschnitten im Texte der Briefe) auftreten,
die einander merkwürdig entsprechen.
a) Gerade in diesen beiden Briefen wird die Danksagung des
Eingangs wieder aufgenommen, 1218 und 1121... Das kommt
sonst in den Paulusbriefen nicht vor.! Das Subjekt der Dank-
sagung wird dabei an beiden Stellen durch ein ἡμεῖς besonders
hervorgehoben. Das kann Zufall sein, aber es fällt zunächst des-
halb auf, weil ein solches ἡμεῖς (ἐγώ) nicht nur in unsern Briefen,
sondern auch in den sonstigen Paulusbriefen in der Danksagung
des Anfangs fehlt. Die Stellen, an denen die Danksagung, das
zweite Mal erscheint, dürfen nun in der That verglichen werden.?
Der Abschnitt II2ı-ıa stellt als Ganzes dem ersten Briefe gegen-
über etwas Neues dar; andrerseits wird das Stück I2ı-ı,, wenn
der vorgreifende Ausdruck erlaubt ist, im zweiten Briefe als
Ganzes übersprungen. Sieht man also von diesen beiden Ab-
schnitten ab, so ergiebt sich eine analoge Stellung. Man kann
hinzufügen, dass der auf ll2ısf unmittelbar folgende Abschnitt
sein Äquivalent in 13:1 ff hat, d.h. in dem Abschnitte des ersten
Briefes, der, wenn wir von dem abermals „übersprungenen“
Stücke I21—3ı0o wieder absehen dürfen, auf I2ısff, ἃ. h. die Stelle
der zweiten Danksagung, zunächst folgt.?
Die Wahrscheinlichkeit, dass die eine Stelle der andern nach-
gebildet ist, wird nun aber wesentlich erhöht, wenn man beachtet,
dass die nahestehenden Worte 1124 ἐκάλεσεν ὑμᾶς ὁ ϑεὸς ...
εἰς περιποίησιν δόξης an I2ı2 erinnern, namentlich aber, wenn
man das ἡμεῖς δέ in 112ıs näher besieht. 12ıs ist nämlich der
1) 1. Kor. 114 ist natürlich nicht vergleichbar. Eph. 116 ist nicht
Wiederaufnahme der Danksagung, sondern bringt sie erst.
2) Vgl. Schmiedel im Handkommentar z. N. T. 111. S.8 = 210.
3) Zur Veranschaulichung dieser durch spätere Ausführungen erlüu-
terten Sätze diene folgende Zusammenstellung. Das nicht Vergleichbare
ist durch Klammern kenntlich gemacht.
I: 11—10 ι21---12] 218 [--- 16} [217---310] 311—ı3
II: 11—ıa [21---12] 218 [14] 215—17 (resp. 35).
Das literarische Verhältnis zu 1. These. 2a
Gebrauch des Pronomens motiviert: es bildet einen Gegensatz
gegen die Thessalonicher, die Leser’: nicht allein sie werden für
des Apostels Wirksamkeit und Erfolge dankbar sein, sondern,
obwohl es sich um sein eigenes Thun handelt, auch er — sei es
allein oder mit seinen Gehilfen (καὶ ἡμεῖς) — wegen des Segens,
den dieses Thun gehabt. Im zweiten Briefe ist dagegen das
ἡμεῖς δέ zunächst überflüssig, ὀφείλομεν δέ würde ganz dasselbe
sagen; aber ἡμεῖς δέ lässt sogar, wie Schmiedel? erkannt hat, ;
einen schiefen Gegensatz entstehen. Die beiden voraufgehenden
Verse reden von dem Gerichte derer, die der Wahrheit nicht
glauben. Im Gegensatze zu diesen stehen nun offenbar eigent-
lich die Leser, die Gott nieht zum Gerichte bestimmt, sondern zum
Heile erwählt hat.
Der Satz sollte also etwa lauten: εὐχαριστεῖν δὲ ὀφείλομεν
τῷ ϑεῷ πάντοτε. ὅτι ὑμᾶς εἵλατο ὁ Beög...els σω-
τηρίαν. Statt dessen tritt durch das ἡμεῖς δέ Paulus allein
oder mit Silvanus und Timotheus zusammen — den Ungläubigen
gegenüber. Ist ἡμεῖς mechanisch aus 1218 herüäber genommen,
so ist die einfachste Erklärung geliefert.
b) und 6) Die Wendung αὐτὸς δὲ ὁ ϑεός (11: κύριος) mit
folgendem Optativ findet sich in den beiden Thessalonicherbriefen
je zweimal und zwar, wie ebenfalls Schmiedel* gesehen hat,
beide Male an ganz entsprechendem Orte. Das erste Mal steht
sie am Anfange einer Gedankengruppe, auf deren Korrespondenz
oben hingewiesen wurde, nämlich 1121s und 1311, das zweite Mal
hinter dem Abschluss der Mahnungen an der Spitze des eigent-
lichen Schlusses, nämlich Il31ıs und 1555. Ein höchst auffälliger
Parallelismus!
Es kommt hinzu, dass ein αὐτὸς δὲ ὃ ϑεός (κύριος) bei
Paulus sonst niemals nachweisbar ist; ferner ist der Optativ des
1) Vgl. Schmiedel und bes. Bornemann z. $t.
2) Ebenso Holtzmann a.a. 0. 8. 101.
3) v. Hofmann z. St. (vgl. Zahn, 18.168) leugnet, dass die Gemeinde
den V. 10-12 geschilderten Personen gegenübertrete, da sich sonst: ἡμεῖς
δέ nicht verstehen lasse. Darin liegt indirekt eine Anerkennung der
Schwierigkeit; denn es ist unnatürlich, jenen Gegensatz zu beseitigen.
Bornemann bestimmt das logische Verhiiltnis von V. 12 und 18 richtig,
giebt aber für ἡμεῖς δέ keine befriedigende Erklärung.
4) Schmiedel 8.5 -210.
\
Ὁ») Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Wunsches ausser dem so häufigen μὴ γένοιτο bei Paulus, wie
auch sonst im Neuen Testamente, sehr selten.! Nur Röm. 155
und ıs lassen sich in den ersten Paulusbriefen mit den obigen
Stellen (s. auch Il3s, Wiederaufnahme von 216) vergleichen.?
Doch eine weitere Wahrnehmung lässt den Parallelismus noch
paralleler erscheinen. Vollständig lauten die Stellen so:
I 1l
Zu: “αὐτὸς δὲ ὃ ϑεὸς κὰ Ps: Ιὐτὸς δὲ ὁ κύριος ἡμῶν
πατὴρ ἡμῶν καὶ ὁ κύριος ἡμῶν Ἰησοῦς Χριστὸς καὶ ὁ ϑεὸς ὁ
᾿Ιησοῦς κατευϑύναι... πατὴρ ἡμῶν ... παριικαλέσαι
... (35: ὁ δὲ κύριος κατευϑύ-
ναι...)
Bes: Τὐτὸς δὲ ὁ ϑεὸς τῆς 816: Αὐτὸς δὲ ὁ κύριος τῆς
εἰρήνης ἁγιάσαι... εἰρήνης dam...
Das heisst also: an erster Stelle jedesmal eine vollere Form,
in der Christus neben Gott genannt, Gott aber als ϑεός und
πατήρ bezeichnet wird; an zweiter Stelle beide Male der Zusatz
τῆς εἰρήνης. Dabei findet das χατευϑύναι der ersten Stelle sich
zwar nicht unmittelbar 1216, aber doch nur wenige Verse nachher.!
Die Bedeutung der zweiten Stelle kann man durch die Beobach-
tung abschwächen, dass ὁ ϑεὸς τῆς εἰρήνης in den Paulusbriefen
gerade an Schlussstellen® zu stehen pflegt. Das Frappante der
ganzen Übereinstimmung wird dadurch kaum gemindert.
d) Nachdem Paulus im ersten Briefe den eben erwähnten
Wunsch 3ı1ff ausgesprochen, fährt er 4ı fort mit einem λοιπὸν
οὖν: dem parallelen Wunsche II2ısf folgt 3ı auf dem Fusse ein
to λοιπόν. Die (unmittelbare) Fortsetzung ist freilich in beiden
Fällen verschieden. Deshalb braucht die Gleichheit doch nicht
von ungefähr zu kommen, zumal τὸ λοιπὸν (λοιπόν) als Über-
gangswort von Paulus nicht eben häufig gebraucht wird. Isoliert
hat dieser Fall natürlich keine Bedeutung, im Zusammenhange
1) Vgl. die Stellen bei Burton, Syntax of the moods and tenses in
New Testament, Greek >. edit. Edinburgh 1894, p. 79.
2) Ausserdem vgl. 2. Tin. 116. 18, Hebr. 1391.
3) Holtzmann 8. ἃ. Ὁ. δ. 101 hebt noch hervor, dass beide Male zum
Subjekt (ott und Christus ein Prädikat im Singular tritt.
4) Vgl. über χατευϑύνειν" oben S. ἢ
5) Vgl. Röm. 1538, 1620, 2. Kor. 1311, Phil. 49 (Hebr. 1320).
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 93
mit den übrigen verdient er Erwähnung.! Ähnlich ist es mit
dem folgenden Falle.
e) Nächstverwandt ihrem Orte nach sind die Stellen I4ıod _ı12
und 1131-ı2. Da ist es bemerkenswert, dass gerade hier das-
selbe παραγγέλλειν beide Male im Präteritum erscheint (I4u:
zapnyyeilauev, Il310: zapnyyEeiiouev), oder dass Paulus mit dem
gleichen Worte an eine bei seiner früheren Anwesenheit gegebene
Weisung erinnert. Παραγγέλλειν (vgl. auch 1186) findet sich
(abgesehen von den Pastoralbriefen) bei Paulus nur noch zweimal
ım 1. Korintherbriefe (710, 1117).
f) Die Ausdrücke, die am Eingange des eschatologischen
Abschnittes 2ı stehen (ὑπὲρ τῆς παρουσίας τοῦ χυρίου ἡμῶν
Ἰησοῦ Χριστοῦ χὰ ἡμῶν ἐπισυναγωγῆς ἐπ᾽ αὐτόν) lesen sich
wie ein Rückblick auf den Anfang der eschatologischen Ausfüh-
rung I c.4u.5?. Auch I4ıs redet von der παρουσία τοῦ κυρίου,
die Paulus in andern Briefen kaum nennt. Noch mehr Beachtung
verdient der terminus ἐπεσυναγογὴ ἐπ᾿ αὐτόν. Er ist singulär bei
Paulus, er sieht aus wie eine Zusammenfassung, eine knappe An-
deutung einer Vorstellung; wir würden ihn kaum ganz sicher deuten .
können ohne den ersten Brief. Wir verstehen die Wahl des
Ausdrucks, wenn wir I4ı das ἄξει σὺν αὐτῷ lesen; die
Vorstellung aber, wenn wir hinzunehmen, dass 417 vom ὥρσπά-
ζεσϑαι εἰς ἀπάντησιν τοῦ κυρίου εἰς ἀέρα redet.
6. Verfolgt man vergleichend den Verlauf der beiden Briefe,
so ergiebt sich, dass ein sehr bedeutender Teil der Paral-
lelen in der gleichen Folge auftritt. Der Leser verzeihe,
wenn ich nochmals eine Tabelle gebe. Das Wichtigste lässt sich
zwar bereits aus den Bemerkungen unter Nr. 3—5 entnehmen,
es ist aber nicht überflüssig, die Erscheinung, so gut es geht,
noch besonders zu veranschaulichen.
Die Stellen, auf deren Reihenfolge es uns ankommt, sind
durch fette Linien unterstrichen. In gewöhnlichem Drucke er-
scheinen die Parallelen, die diese Reihenfolge durchkreuzen;
diejenigen jedoch, die nur an wenig verschiedener Stelle stehen,
sofern sie wenigstens Abschnitten angehören, die der Folge nach
1) Auch Zahn I 8. 160 hat die Ähnlichkeit bemerkt, ebenso Holtz-
mann 2.2.0. S. 103,
2) Hier haben auch Exegeten und Kritiker, die den Brief für pauli-
nisch halten, oft einen Riickweis auf den ersten Brief gefunden.
24
Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
parallel sind, sind durch Unterstreichen mit Wellenlinien kennt-
lich gemacht. Bei der Vergleichung werden nur ganz kleine
Stücke der Briefe zusammengenommen. Innerhalb derselben er-
scheinen die parallelen Wörter und Wendungen ganz in der Folge,
die sie im Texte haben. Auch hier gebe ich nur die Stichwörter,
nicht den ganzen Text; ich folge dabei dem Gange des zweiten
Briefes. Die Tabelle berücksichtigt die in der Übersicht 8. 4ff
hervorgehobenen Berührungen.
2. Thess.
11.2 Παῦλος κτΆ τῇ ἐκχλη-
σίᾳ Θεσσαλονιχέωνὲν ϑεῷ πατρὶ
— καὶ χυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ
χάρις κτλ.
13 εὐχαριστεῖν -- τῷ ϑεῷ
——————— hen
[4 < «ν «ς
πάντοτε περὶ υμῶν --- ἢ πίστις
πλεονάζει ἡ ἀγάπη εἰς ἀλλη-
λους-
14 RühmenderThessalonicher
unter den Gemeinden.
ἐν ταῖς ἐκκλησίαις τοῦ ϑεοῦ(")
-- c ««
τῆς vrouovns --- πίστεος ---
διωγμοῖς — ϑλίψεσιν
15 εἰς τὸ καταξιωϑῆναι ---
τῆς βασιλείας τοῦ ϑεοῦ (vgl. 111
ἀξιώσῃ τῆς κλήσεως)
17 ἐν τῇ ἀποχαλύψει τοῦ
χυρίου ᾿Ιησοῦ ἀπ᾿ οὐρανοῦ μετ᾽
ἀγγέλων αὐτοῖ
1. Thess.
1: Παῦλος κτλ τῇ ἐχχλησίᾳ
Θεσσαλονικέων ἐν ϑεῷ πατρὶ
καὶ χυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ χάρις
χτλ.
> -.- - -
12.3 εὐχαριστοῦυμὲν τῷ ϑεῷ
πάντοτε περὶ υμῶν --- τῆς πί-
στεως
-« > [4
τῆς ἀγάπης
312 πλεονάσαι τῇ ἀγάπῃ εἰς
ἀλλήλους
1 Der Glaube der Thessa-
lonicher berühmt in aller Welt.
219 στέφανος καυχήσεως ἢ
οὐχὶ καὶ ὑμεῖς
24. τῶν ἐχκχλησιῶν
ϑεοῦ (9)
13 τῆς ὑπομονῆς
16 ἐν ϑλίφει
2ısf Verfolgungen.
2. περιπατεῖν ἀξίως τοῦ ϑεοῖ
τοῦ καλοῦντος --- βασιλεία"
τοῦ
813 ἐν τῇ παρουσίᾳ τοῦ κι-
viov — Ἰησοῦ μετὰ --- Tor
ἁγίων αὐτοῦ
Aus ἀπ᾿ οὐρανοῦ
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 25
1. ἐχδίχησιν --- τοῖς μὴ εἰ-
+ [4
ὅοσιν» ϑεὸν
) ς 9 «
11. ἐν τοῖς αγίοις αὐτοῦ
lıo ἐν πᾶσιν τοῖς πιστεύσα-
or (9)
[4 ς [4
lıı προσευχομεϑὰα πάντοτε
N c -
πεοὶ υμῶν
ἔργον πίστεως
- \ © »
δι ἐρωτῶμεν δὲ ὑμᾶς, ἀδελ-
got
τῆς παρουσίας τοῦ xuplov —
« - - > >
ἡμῶν ἐπισυναγωγῆς ἐπ᾿ αὐτόν
© 2 ’ ” ”
25 οὐ μνημονευετε — ἔτι ὧν
᾿ € - ς
vos ὑμᾶς — ἔλεγον ὑμῖν
c > -
213.14 ἡμεῖς --- εὐχαριστεῖν τῷ
σπανιοονοΝ EEE EEE δὴ
- [2 < «
ϑεῷ παντοτε περὶ ὑμῶν, ἀδελ-
x > ’ c ’
φοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ κυρίου —
or ce - c ’
εἵλατο Tuas 0 ϑέεος — εἰς 00-
ξγ΄ « u
τηρίαν Ev ayıaoum — ἐκάλεσεν
> I. -ὖ
εἰς περιποίησιν doäns τοῦ κυ-
τ, « - > - -
οίου ἡμῶν Πισοῦ Χριστοῦ
Κ' [4
215 στηζχετε
ΠῚ [4 a ’
τύς παραδόσει... us ἐδιδαχ-
nn
ϑηιτε — ἡμῶν
> μ \ c [4 € ΩΣ
2ι5 ἄὐτος δὲ ὁ κυρίος ἡμῶν
P} - ΄σ Α \ < 4 c
ἰησοῦ: Äoıoroc χαὶ ὁ ϑεὸς 0
% c -
πατὴρ ἡμῶν ---
. ’ « - 4
τ παραχαλέσαι ὑμῶν τας
χαρόίεις --- στηρίξαι (opt.)
[4
45.6 τὰ un εἰδότα ϑεόν — Exdı-
χοὸς
- ς, > -
313 τῶν αγίων αὐτοῦ
17 πᾶσιν τοῖς πιστεύουσιν (?),
12 πάντοτε περὶ ὑμῶν τῶν
προσευχῶν ἡμῶν
18 ἔργον τῆς πίστεο)ς
ὅ:9 ἐρωτῶμεν δὲ ὑμᾶς, ἀδελ-
φοί
414. 15.17 ἄξει σὺν αὐτῷ --- τὴν
παρουσίαν τοῦ χιρίου — εἰς
ἀπάντησιν
34 ὅτε πρὸς ὑμᾶς ἡμεν. προ-
ἐλέγομεν ὑμῖν.
(οὗ 29 μνημονείετεὶ)
212.13 χαλοῦντος --- εἰς δόξαν
ς > - - -
— ημεῖς εὐχαριστοῦμεν TO ϑεῷ
Ir N
ἀδιαλείπτως
3 - -Ή -
1.5 ευχαριστουμεν τῷ ϑεῳ
[4 4 « --
παντοτε περί υμον
> 4 > R < 4
14. ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ
ϑεοῦ --- τὴν ἐκλογὴν
47 ἐχάλεσε»ν ὁ ϑεός --- ἐν
ἁγιασμῷ
5n ἔϑετο ὁ ϑεὸς — εἰς περι-
ποίησιν σωτηρίας τοῦ κυρίου
ἡμῶν ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ
85 στήχετε
4ι χαϑὼς παρελάβετε παρ᾽
ἡμῶν.
3ı Pros δὲ ὁ ϑεὸς καὶ
« - . « ’ < -ψ
πατὴρ ἡμῶν καὶ ὁ κύριος ἡμῶν
) -- » ’
ησοὺῦς Χριστὸς —
318. εἰς TO στηρίξαι vum" τας
καρδίας
26
’
3ı τὸ λοιπόν
προσεύχεσϑε, ἀδελφοί, περὶ
ἡμῶν
33 πιστὸς ὁ κύριος, ὡς
3ı ᾧ παραγγέλλομεν
35 (ὁ κύριος) κατευϑύναι τὰς
καρδίας
36.7 παραγγέλλομεν ὑμῖν --
τοῦ κυρίου Ἰησοῦ
ἐν (ovouerı)
« ὃ ᾽
Χριστοῦ — ἀταχτῶς περιπα-
Ψ 4 4 [4
τοῦντος — χατὰ τὴν παραδοσιν,
TE [4 > « --ψ
nv παρελαβοσαν παρ ἡμῶν ---
> 4 -᾽
αὐτοὶ γὰρ οἴδατε --- πῶς δεῖ
) σπ-΄΄- a en: ee]
— ἡταχτήσαμεν
[4 [4 x
38 ἐν χόπῷ καὶ μόχϑῳ νυχτὸς
χαὶ ἡμέρας ἐργαζόμενοι πρὸς,
I} Ὶ >) - c -
τὸ un ἐπιβαρησαί τινα vuor
39. τύπον -- τὸ μιμεῖσϑαι
co .
Nuas
a 4 o . 3 x
9108 χαὶ γὰρ ὁτὲ ἡμὲν πρὸς
Co
vuas
! ‚ „
310-12 παρηγγέλλομεν vulv
[4 «
--- ἐργαζεσϑαι --- περιπατοῦν-
2 [4 - ’
τας ἄταχτοῶς --- ἐργαζυμένους
— παραγγέλλομεν καὶ παρακα-
_ - “σι = ey τὰ πο, nn
λοῦμεν Ev xuoio Ἰησοῦ Χριστῷ
ER
— μετὰ ἡσυχίας ἐργαζόμενοι
Ä - © ” .
— εαὐτῶν (?) [aurov)
ς
315 (un ὡς ἐχϑρὸν) ἡγεῖσϑε
. ”
— γουϑετεῖτε (sc. die araxtoı)
Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
x m ς» x
32 εἰς TO στηρίξαι υμᾶς καὶ
παρακαλέσαι
[4
4ı λοίπον
„Is ἀδελφοί, προσεύχεσϑε περὶ
ημῶν
524 πιστὸς ὁ καλῶν, ὃς
454 παραγγελίας ἐδώκχαμεν.
du κατευϑύναι
313 τὰς καρδίας
41.2 ἐρωτῶμεν χαὶ παρακα-
λοῦμεν ἐν χυρίῳ Ἰησοῦ (ent-
spricht jedoch 815 noch genauer
als 36) — χαϑὼς παρελάβετε
παρ᾽ ἡμῶν — πῶς del περιπα-
τεῖν --- οἴδατε γάρ
° 2 ἰώ
914 τοῦς ἀταχτους
> \
2ι αὐτοὶ γὰρ οἴδατε (?)
Β ’ 4 x [4 .
29 χόπον — καὶ τὸν μοχϑον
\ Ἢ m \ --
πρὸς τὸ μὴ ἐπιβιωρῆσαί τινα
te -
υμῶν
x © »
16.7 μιμηταὶ ἡμῶν — τῦ-
πον
x ᾿Ὶ o 4 ςζ. =
34 χαὶ γὰρ ὁτὲ πρὸς υμᾶς
ἡμὲν
nm c
410—12 παρακαλοῦμεν — ἡσυ-
’ \ N PR >
χάζειν — τὰ ἴδια (Ὁ) — Eoya-
ζεσϑαι --- ὑμῖν παρηγγείλαμεν
— περιπατῆτε.
° 2 [4
914 τοὺς ATAXTOUS
dı ἐρωτῶμεν καὶ παρακαλοῦ-
μὲν ἐν χυρίο) Ἰησοῦ
- c -._ , > [4
513. 14 ηγεῖσϑαι (Er ἀγαπῃ)} —
. δ᾿ ’
VOUFETEITE τοὺς ἀταχτους
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 37
I αὐτὸς δὲ ὁ χύριος τῆς des αὐτὸς δὲ ὁ ϑεὸς τῆς εἰ-
εἰρήνης ρήνης
8: ἡ χάρις κτλ. das ἡ χάρις κτλ.
Im ersten Teile dieser Übersicht sind die Übereinstimmungen
in der Reihenfolge immerhin schon auffallend, bedeuten aber
doch nicht sehr viel: der Parallelismus wird hier besonders bei
1sff und 2ıff stark durchbrochen, und die Korrespondenz am
Anfange ist teilweise natürlich, durch den Briefstil gegeben. Um
so mehr fällt der zweite Teil (von 218 an), auf den die Mehrzahl
der Berührungen kommt, ins Gewicht. Der Gang der Briefe
zeigt hier eine ganz merkwürdige Gleichartigkeit. Sollte sie
möglich sein, ohne dass der spätere sich an den früheren an-
lehnte?
7. Zwei Parallelen sind noch besonders hervorzuheben
wegen der überraschenden Genauigkeit der Überein-
stimmung.
Einmal kommen die beiden Adressen in Betracht!. Keine
Adresse eines andern paulinischen Briefes ist auch nur annähernd
der des 2. Thessalonicherbriefs so ähnlich wie die des ersten, die
sich ja bis auf den letzten Buchstaben in jener wiederfindet. Zu
beachten ist dabei besonders:
a) dass nur hier hinter den Namen des Apostels und seiner
Gehilfen ein Zusatz wie ἀπόστολος, δοῦλοι Χριστοῦ ganz fehlt;
b) dass nur hier das Nomen gentilicium (Θεσσαλονικέων)
statt der Umschreibung mit dem Ortsnamen gebraucht wird;
6) dass nur hier ein ἐν ϑεῷ πατρί sich findet und zwar an
gleicher Stelle. Befremdlich ist, dass II1s trotz des ἐν ϑεῷ
πατρί xtA am Schlusse noch der Zusatz ἀπὸ ϑεοῦ πατρὸς ἡμῶν
κτλ folgt.
Noch wichtiger ist jedoch die zweite Parallele. Es handelt
sich um die Stellen
Il3s: ... ἐν κόπῳ καὶ μόχϑῳ νυχτὸς καὶ ἡμέρας ἐργαξό-
μενοι πρὸς τὸ μὴ ἐπιβαρῆσαί τινα ὑμῶν. . und
129: μνημονεύετε γάρ, ἀδελφοί, τὸν χύπον ἡμῶν καὶ τὸν
1) 8. 8.4.
8 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
μόχϑον᾽ νυχτὸς xal ἡμέρας ἐργαζόμενοι πρὸς τὸ μὴ
ἐπιβαρῆσαί τινα ὑμῶν...
Wir haben hier beide Male χύόπος χαὶ μόχϑος, beide Male
γυχτὸς καὶ ἡμέρας und ἐργάζεσθαι, beide Male die Angabe des
gleichen Motivs für das ἐργάζεσϑαι, beide Male vor allem von
γυχτὸς an völlig identische Wortformen und Ausdrücke, nicht
etwa einmal ἐργάζεσϑαι statt ἐργαζόμενοι, εἰς τὸ statt πρὸς To,
ὑμᾶς statt τινὰ ὑμῶν. Wie viel abweichender klingen doch die
sinnverwandten Stellen, die man aus den Korintherbriefen ver-
glichen hat, z. B. 2. Kor. 110: χαὶ παρὼν πρὸς ὑμᾶς καὶ ὕστε-
ρηϑεὶς οὐ κατενάρχησα οὐϑενός ... xal ἐν παντὶ ἀβαρῆ ἐμαυ-
τὸν ὑμῖν ἐτήρησα καὶ τηρήσω" (vgl. V. τῇ 1. Kor. Aız, 9ı2). Es
dürfte sich in den echten Briefen des Paulus (abgesehen etwa
von Formeln oder einem Sprichworte wie 1. Kor. 5s, Gal. 589)
überhaupt eine so buchstäblich genaue Übereinstimmung zwischen
zwei Stellen nirgends nachweisen lassen, selbst so ähnliche wie
Gal. 338 und Kol. 311, Gal. 51 und Röm. 135 nicht ausgenommen.
Hiermit scheinen mir die wichtigen Punkte erschöpft zu sein.
Wie finden wir uns nun mit dem dargelegten Thatbestande ab?
Jülicher! sagt — und ähnlich haben manche geurteilt—: „die “
zahlreichen Berührungen mit 1. Th. erklären sich aus der Gleich-
heit der Situation; inzwischen hatte Paulus eben nur sehr wenig
neues über Thessalonich (und dies vielleicht schriftlich) erfahren“.
Man wird diesen Gedanken in Betracht ziehen, aber es ıst nach
der obigen Darlegung sofort klar, dass er nur sehr wenig erklärt.
Wenn in der Adresse neben Paulus auch Silvanus und Ti-
motheus genannt werden, im Eingange von ϑλέψες und ὑπομονή
die Rede ist, wenn 2ı daran erinnert wird, dass die Christen dem
Herrn bei der Parusie entgegengerückt werden, wenn c. 3 zum
ἐργάζεσϑαι und zur ἡσυχία mahnt und von ἀταχτεῖν und vor-
Herelv der ataxroı spricht, so begreift sich das alles vielleicht
aus der Fortdauer der früheren Zustände und Fragen. Aber die
grössere Zahl der Parallelen hat ihrer Natur nach mit einer be-
stimmten historischen Situation ja gar nichts zu thun. Der ganze
Abschnitt 21s—3;, dem so vieles im ersten Briefe entspricht,
1) Jülicher, Einleitunr S. 40 τῷ 3: 4 5. 4τ, Vpl. übrigens unten
Ss. 20.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 29
könnte seinem Gedankeninhalte nach in jedem paulinischen Briefe
stehen. Und in Stücken, wo man mit mehr Recht auf die
Gleichheit der Situation sich berufen kann, wie 2. B. 3eff, geht
die Übereinstimmung weit über das hinaus, was sich aus der
Situation ergiebt. Noch viel weniger genügt diese Erklärung,
um den Parallelismus in der Gliederung der Briefe, in der Stel-
lung und Folge der Parallelen begreiflich zu machen,
Man kann und wird zwei weitere Momente in Rechnung
ziehen. Da der zweite Brief, wenn er von Paulus stammt, jeden-
falls nur einige — mindestens aber doch wohl drei — Monate
nach dem ersten Briefe geschrieben sein wird, so konnte sich der
Apostel seines früheren Schreibens sehr wohl noch in bestimmten
Punkten erinnern; er konnte unwillkürlich in diesen oder jenen
damals gebrauchten Ausdruck zurückfallen, aber auch absichtlich
sich ins Gedächtnis rufen, was er über die eschatologische Frage
der Gemeinde früher geschrieben.! Sodann werden wir es für
möglich halten, dass er in damaliger Zeit einige stilistische Ge-
wohnheiten besass, die ihm später abhanden kamen, etwa in den
Adressen damals ἐν ϑεῷ πατρί statt ἀπὸ ϑεοῦ πατρός schrieb
oder bei feierlichen Wünschen gern mit einem αὐτὸς δὲ ὃ ϑεός
begann. Aber durch diese Erwägungen werden doch immer nur
einzelne Ähnlichkeiten der Briefe verständlich. Sie ändern nichts
daran, dass für die meisten Beziehungen und gerade die frappan-
testen Seiten des Verwandtschaftsverhältnisses, wenn Paulus der
Verfasser sein soll, der Zufall angerufen werden muss.
Zufall muss es sein, dass Wendungen und Wortmaterial
auch dort so stark übereinstimmen, wo in der Natur der behan-
delten Fragen keinerlei Erklärung dafür liegt; Zufall, dass die
Adresse des ersten Briefes der des zweiten nicht nur besonders
ähnelt, sondern in ihr bis aufs Wort wiederkehrt, und dass
Paulus 33 ein Dutzend Wörter fast peinlich genau in der gleichen
Form und Folge bringt wie I2s; Zufall, dass er neue Seiten des
Gemeindelebens nicht einmal streift, und dass er seiner Gemeinde
ausser 2ı-ı2 kaum einen neuen Gedanken zu bieten hat. Zufall
muss es sein, dass er unwillkürlich wieder in eine ganz ähnliche
Gruppierung der Gedanken verfällt wie Monate zuvor; Zufall,
1) Das Letzte macht Jülicher in der 3. u. 4. Aufl. seiner Einleitung
neben dem oben (δ. 28) erwähnten Punkte geltend.
30 Wrede, Die Echtheit des zweiten 'Thessalonicherbriefs.
dass die Reminiscenzen sich in bestimmten Einzelabschnitten
häufen, die denen des früheren Schreibens entsprechen; Zufall,
dass man das fast in allen Teilen des Briefes wahrnehmen muss.
Zufall muss es sein, dass der Schein entsteht, als folge der Ver-
fasser mit Ausschluss gewisser Abschnitte dem Gange des ersten
Briefes; Zufall, dass an sich schon bemerkenswerte Ähnlichkeiten
an merkwürdig analogem Orte auftreten, und dass gerade hier
— und anderswo — Floskeln, Fügungen, Satzformen begegnen,
die sonst in den Briefen des Apostels zwar leicht denkbar wären,
aber sich thatsächlich nicht in ihnen finden !; Zufall endlich und
der eigentliche Zufall, dass alle diese Zufälle zusammentreffen.
Einen solchen Zufall giebt es nicht. Deshalb muss
die Annahme falsch sein, die ihn voraussetzt. Dies ist
das ausschlaggebende Faktum, der zwar indirekte, aber wie mir
scheint, äusserst starke, ja zwingende Beweis.
Denn es hilft auch nichts, nach einer besonderen psycholo-
gischen Erklärung für den Thatbestand zu suchen. Bornemann,
der die Schwierigkeit, die das Verwandtschaftsverhältnis darstellt,
stärker empfunden hat als die meisten Vertreter der paulinischen
Herkunft des Briefes, der sogar den Schluss „unabweislich“
findet, „dass der Verfasser des zweiten Briefes den ersten gekannt
hat und in irgend einer Weise von ihm abhängig gewesen ist“ ?
hat in. einer solchen psychologischen Reflexion die „sehr einfache“
Lösung des Problems gefunden 3,
Paulus sei in den Wochen nach seinem plötzlichen Abschied
von Thessalonich in stets wachsender Unsicherheit und Spannung
wegen der Gemeinde gewesen. Damals habe er nun alles das
wieder und wieder durchgedacht, was er dann, als durch die
Nachrichten des zurückkehrenden Timotheus die Spannung sich
löste und freudiger Gewissheit wich, im ersten Briefe niederlegte,
obwohl es zum Teil nicht einmal mehr unmittelbare Bedeutung
gehabt habe. Der erste Brief sei also der stets aufs neue inner-
1) Es sei hier bes. an folgende bereits erläuterte Ausdrücke erinnert:
τοῖς μὴ εἰδόσιν ϑεύν (18), ἔργον πίστεως (111), ἐρωτῶμεν δὲ ὑμᾶς, ἀδελφοί
(21), ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ χυρίου (213), περιποίησις (2141, αὐτὸς δὲ ὁ
κύριος (216 816), προσεύχεσθε, ἀδελφοί, πεοὶ ἡμμῶν (Bi), χατευϑύνει" und zwar
im Optativ (35), ἀτάκτως (Be. 11).
2) Bornemann NS. 44, vgl. S. 477.
3) δι 434f.
Das literarische Verhältnis zu 1. These. 31
lich durchgearbeitete Ertrag jener ganzen Wochen. Nun komme
es leicht, wenn wir uns mit Personen oder Dingen eingehend
beschäftigen, dass wir uns ganze Gedankenreihen, Wendungen
und Urteile bilden, die bei vorhandener Gelegenheit wieder in
ähnlicher Weise hervortreten. Bei Briefen zu bestimmten gleich-
artigen Gelegenheiten oder bei Predigten über gleiche Texte sei
das eine häufige Erfahrung. Auf diese Weise werde die Ver-
wandtschaft der beiden Schreiben ganz verständlich.
Thatsachen sind das nun jedenfalls nicht, sondern höchstens
Möglichkeiten. Nehmen wir aber an, dass es sich mit der innern
Vorarbeit auf den ersten Thessalonicherbrief im Allgemeinen so
verhielt, ferner, dass sich die früheren Gedanken in einer beson-
dern Weise im Apostel festsetzten: was ist damit erklärt? Viel-
leicht Einzelnes. Z. B. wäre etwa der Ausdruck ἐπισυναγωγῇ
ἐπ᾿ αὐτόν 2ı wieder ganz wohl daraus zu verstehen, dass
Paulus seine frühere Äusserung über die Zukunftshoffnung noch
ziemlich genau im Sinne lag. Aber sollen wir auch glauben,
dass er sich so farblose Wünsche und Mahnungen, wie sie I3ıı
bis 42 stehen, ebenfalls schon vor dem Schreiben im Geiste ge-
formt und hernach lange Zeit im Gedächtnis getragen hatte?
Gerade das aus dem ersten Briefe, wovon man am ersten glauben
möchte, dass es die Gedanken des Paulus lange beschäftigte,
die persönlichen Auseinandersetzungen in c. 2 und 3, die escha-
tologische Belehrung in c. 4 und 5, kehrt ja im zweiten Briefe im
Ganzen nicht wieder. Aber im Allgemeinen — Bornemann
hat zwar die Parallelen ganz besonders sorgsam hervorgehoben,
er hat aber nicht hinreichend erkannt, dass es gar nicht blos die
Massenhaftigkeit der Berührungen ist, was begriffen sein will,
vielmehr gerade die sonderbarste Kongruenz im Einzelnen und
namentlich auch im Kleinen und Äusserlichen, ferner die eigen-
tümliche Stellung der Parallelen. Diesen Dingen gegenüber ver-
fängt kein noch so gut miotivierter Appell an das Gedächtnis
und die unbewusste Erinnerung.
Man muss erkennen, es handelt sich überhaupt nicht um die
Alternative, ob der Verfasser unseres Schriftstücks mit dem ersten
Briefe „bekannt“, „irgendwie von ıhm abhängig“ gewesen ist
1) Widersprechende Bemerkungen bei Bornemann 8. 484 und z.B.
8. 200.
32 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
oder nicht. Die Frage muss viel bestimmter gefasst werden,
und das ist wichtig. Sie muss lauten: hat der Verfasser den
Brief vor sich gehabt und während des Schreibens selbst
in ihn hineingeblickt? Darf man aus alledem, was über
den Platz und die Folge der meisten Parallelen, über die Wört-
lichkeit oder die in anderer Hinsicht überraschende Genauigkeit
einzelner Berührungen gesagt wurde, überhaupt etwas folgern,
so wird man auch dies folgern müssen. Wir haben hier
charakteristische Kennzeichen literarischer Benutzung.
Nur diese Annahme erklärt alles, jede andere erklärt nur eine
unbestimmte Verwandtschaft im Allgemeinen, das eigentlich Auf-
fällige, die besonderen Übereinstimmungen muss sie wieder auf
den Zufall schieben. Denn eine verblasste Erinnerung an früher
Geschriebenes oder auch früher Gelesenes ruft Erscheinungen wie
die unter Nr. 4—7 besprochenen nicht hervor.
Soll also Paulus den Brief trotz allem geschrieben haben,
so bliebe nur die Annahme, dass er bei der Konzeption seinen
eigenen früheren Brief vor sich hatte. Aber ist das nicht wirk-
lich eine ernsthaft zu erwägende Möglichkeit? !
Zahn setzt uns durch eine Hypothese — und es ist gewiss <
die einzige hier denkbare — in die Lage, dieser Möglichkeit
näher zu treten. Er hält? es für „unwahrscheinlich, dass die
Briefe des Paulus so, wie sie sein Schreiber während des Dik-
tierens aufs Papier warf, an die Gemeinden abgesandt wurden“.
„In der Regel wird eine nachträgliche Durchsicht des zu Ende
diktierten Briefes und (!) Anfertigung einer Reinschrift Bedürf-
nis gewesen sein. Während diese an den Ort der Bestimmung
abging, mochte das Konzept eine Zeit lang in den Händen des
Apostels oder seines Schreibers bleiben. Für den vielbeschäf-
tigten und seines erregbaren Temperaments sich bewussten Paulus
lag gerade in diesem Fall nichts näher, als das Konzept des
1. Th., wenn ein solches vorhanden war, noch einmal durchzu-
lesen, ehe er 2. Th. diktierte.*
Zahn hat seine Leser nicht gerade gründlich über die zwischen
1) Die Hypothese, der 2. Brief gehe dem ersten voran, die ja einen
anderen Thatbestand ergeben würde, darf sich selbst überlassen bleiben.
Vgl. z.B. Bornemann 8. 492ff, Jülicher 8.39 =3.18.46, Zahn 1
5. 172.
2) Zahn IS. 178.
Das literarische Verhältnis zu 1. Thess. 33
beiden Briefen bestehende Verwandtschaft unterrichtet. Diese
Hypothese aber — die „Reinschrift“ scheint allmählich zu einer
grösseren Rolle in neutestamentlichen Fragen berufen — verrät,
obwohl sie nur als Hinterthür auftritt, jedenfalls auch ein stär-
keres Gefühl für die vorliegende Schwierigkeit. Es entsteht daher
die Vermutung, es möchte doch wohl nicht ganz so „natürlich“
gewesen sein, „dass Paulus während des Diktierens der Ver-
lauf (!) und Wortlaut (!) des früheren Briefes im Sinne lag“, wie
Zahn uns kurz zuvor! versichert. Ich weiss nicht, wie weit die
Annahme, von der er sonst, soviel ich sebe, keinen Gebrauch macht,
noch andern Thatsachen ihren Ursprung verdankt als der unan-
genehmen Ähnlichkeit dieser beiden Briefe. Ich will auch gar
nicht prüfen, ob die Annahme wahrscheinlich ist, und wie sich
mit ihr die Dunkelheit und ungeglättete Redeweise vieler pauli-
nischer Stellen verträgt?. Aber ich fürchte, wenn wir mit dieser
hilfreichen Reinschrift den Brief retten, so beschädigen wir den
Apostel.
Man soll gewiss an Paulus keine unberechtigten Ansprüche
stellen. Seine Briefe müssen nicht immer besonders bedeutend
und geistvoll gewesen sein. Warum sollte er sich beim Schreiben
nicht einmal an Form und Gedanken eines Briefes angelehnt
haben, den er soeben an andere Adressaten gerichtet hatte? Er
hätte damit nichts anderes gethan, als was vor ihm und nach ihm
viele Briefsteller gethan haben. Allein ein Paulus, der eben sein
früheres Schreiben gelesen und dann der gleichen Gemeinde
gegenüber von sich selbst in dieser Weise abhängig wird, der
so dürftig ist, dass er in mehr als der Hälfte des Briefes kaum
einen neuen Ton anzuschlagen versteht, der dieselben Wendungen
an derselben Stelle wieder gebraucht — das ist eine Vorstellung,
die selbst durch den Umstand, dass er „viel beschäftigt“ und
„seines erregbaren Temperaments sich bewusst“ war, nicht plau-
sibler wird, und durch sein Wort „euch immer dasselbe zu
1: Zahn IS. 175.
2‘ Die Frage, ob Paulus seine Briefe habe kopieren lassen, hat schon
Laurent, Neutestamentliche Studien 1866 8. 4f erwogen. Er vereint sie:
Paulus hatte kaum so viel Mittel, um das Papier für eine doppelte Ausfer-
tigung der Briefe anzuschaffen ; er hatte mit seinen Gehilfen nicht die Zeit
dazu; er legte auch nicht genug Wert auf seine Briefe, um das Original
aufzubewahren.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 2. 3
34 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefe.
schreiben, verdriesst mich nicht“ (Phil. 81) wohl auch nicht. Wie
man die Sache auch wendet, man kommt um folgendes Dilemma
nicht herum: handelt es sich nur um die unbewusste und schon
verblichene Erinnerung des Paulus, so bleiben unter den wirklich
vorhandenen Ähnlichkeiten der beiden Briefe die sonderbarsten
und wichtigsten unerklärt; ist aber ein so frisches und genaues
Wissen um den ersten Brief bei ihm vorauszusetzen, wie es not-
wendig ist, um diese Ähnlichkeiten verständlich zu machen, so
wird der zweite Brief zur Hälfte zu einem Selbstplagiat des
Paulus. Ein Ausweg ist erst dann gefunden, wenn man erklärt
hat, wie die Erinnerung des Paulus in dem Momente, als er
schrieb, beides zugleich sein konnte: bewusst und unbewusst,
scharf und verblasst.
Es ist bisher immer nur von der Verwandtschaft der beiden
Briefe die Rede gewesen. Man muss aber auch die Unterschiede
| beachten. Wenigstens eine Beobachtung lässt sich hier machen,
die wichtig genug ist, um gleich hier angefügt zu werden. Ver-
gleicht man den Inhalt der Schriftstücke, so ist es besonders
auffällig, dass die Partie I21—3ı0 im Ganzen keinerlei Seiten-
stück in unserm Briefe hat; d. h. die geschichtlich-persönlichen
Erörterungen fallen aus. Nun lässt sich sagen, dass zu einer
Wiederholung jenes Rückblicks auf das erste Wirken des Apostels
in Thessalonich, wie er 12:1. 15 vorliegt, schon darum kein Anlass
vorhanden war, weil eben der erste Brief ıhn angestellt hatte.
Ebenso lässt sich nicht erwarten, dass Paulus wiederum von der
Rückkehr des Timotheus und ihrer Wirkung auf ihn (I3ıff) ge-
sprochen hätte. Um so mehr vermisst man die Berührung eines
andern Punktes, der die ganze Ausführungl217_3ıs beherrscht. Sehr
ausdrücklich und, wie es scheint, absichtlich redet hier Paulus von
seiner Sehnsucht, seiner Absicht und Aussicht, die Gemeinde von
Thessalonich wieder aufzusuchen; der zweite Brief aber hat dar-
über nicht eine Silbe. Das ist längst aufgefallen! Man hat
auch eine Erklärung geboten.” Die Arbeit in Korinth habe, als
Paulus den zweiten Brief schrieb, seinen früheren Gedanken an
ein Wiedersehen in den Hintergrund gedrängt. Diese Möglich-
1) Auch Holtzmann ἃ. ἃ. Ὁ. 8. 105, 106 hat es wieder hervorgehoben,
2) Bornemann ὃ. 483, vgl. 475.
Das literarische Verhältnis zu 1. These. 35
keit bestreite ich nicht, aber ich bestreite, dass sie zur Erklärung
genügt. Denn nicht das ist befremdlich, dass der Apostel einen
früberen Plan und eine frühere Hoffnung nach neuen Umständen
modifizierte, sondern dass jede Äusserung über einen Gedanken
fehlt, mit dem er sich eben nicht blos innerlich getragen, viel-
mehr vor der Gemeinde selbst sehr angelegentlich beschäftigt
hatte. Anders ausgedrückt, er übergeht hier, was das Interesse
der Gemeinde eben so sehr wie sein eigenes berührte. Und nun
soll er noch dazu den Brief, in dem er jene Frage besprochen
hatte, so gut im Gedächtnis gehabt haben, dass er — wider
Willen oder mit Willen — in andrer Hinsicht ganz in seine "
Gedankenkreise gebannt blieb!
Hat ein Unbekannter unter dem Namen des Paulus ge-
schrieben, so liegt die Sache einfach genug. Lehnte er sich an
den ersten Brief an, so konnte er mit den geschichtlich-persön-
lichen Partien in der That am wenigsten anfangen. Sicherlich
waren sie ihm auch das am wenigsten Bedeutsame in seiner Vor-
lage, sie enthielten eben nichts Lehrhaftes, Allgemeingiltiges. Den
Reiz, den für uns heute gerade das Persönliche der Paulusbriefe
bietet, empfand er natürlich gar nicht. Die Reisegedanken des
Paulus verschwanden so mit dem Übrigen.
Auch dieser Punkt unterstützt also das Ergebnis, auf das
uns unsere ganze Untersuchung hindrängt: dass nicht Paulus
diesen Brief geschrieben hat, sondern ein Anderer.
Sollte dieser Andere uns doch bekannt, sollte es der 1:
unter den Absendern mitgenannte Timotheus gewesen sein?
>> Spitta' hat mit dieser Annahme ausser andern Eigentümlichkeiten
des Briefes auch gerade? seine Verwandtschaft mit den ersten Briefe
begreiflich machen wollen, die er ähnlich wie Bornemann zu
würdigen weiss, Timotheus hat den Brief im Auftrage und Namen
des Paulus (und Silvanus) verfasst, Paulus hat sich an ihm direkt
nur in der Schlussbemerkung (317) beteiligt. So ist der Brief
echt, ohne von Paulus zu stammen.
Besonders wichtig ist Spitta die Stelle 26: Od μνημονεύ-
ere ὅτι ἔτι ὧν πρὸς ὑμᾶς ταῦτα ἔλεγον ὕμιν; Hier erscheint-
statt des sonstigen ἡμεῖς die erste Person βἰηρι]ατῖθ, Damit
1) Spitta, Zur Geschichte und Literatur des Urchristentums I (1893)
8. 1098.
2) 8. 1268.
3:
36 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefe.
meint Timotheus sich selbst, mit dem ἔτε ὧν πρὸς ὑμᾶς erinnert
er an seinen letzten Besuch ın Thessalonich, von dem der erste
Brief redet.
Auch diese Hypothese würde dem wirklichen Verhältnisse
der Briefe noch keineswegs gerecht werden, solange man wenig-
stens mit Spitta nur bei einer lebhaften Erinnerung des Timotheus
an das frühere Schreiben stehen bleibt. Aber es ist unnötig das
auszuführen, nachdem die Hypothese selbst bereits als unmöglich
nachgewiesen worden ist. Mir wenigstens scheinen die z.B. von
Bornemann!und Zahn? aufgebotenen Argumente eine bündige
Widerlegung zu sein. Wie soll die blosse 1. Person sing. hier
auf Timotheus weisen, wenn im 1. Briefe 35, 527 das „Ich“ zu-
gestandenermassen Paulus ist, obgleich Timotheus der Schreiber
ist? Auch wenn man darauf hinweist?, die Leser hätten ja ge-
wusst, dass das ἔτε ὧν πρὸς ὑμᾶς auf den Besuch des Timo-
theus gehe, da (nach der Hypothese) nur er von den Vorboten
der Parusie zu ihnen geredet habe, bleibt ein nacktes ἔλεγον für
Timotheus in einem Briefe, der an der Spitze den Namen des
Paulus trägt, befremdlich. Wie sollten die Leser aus der Händ-
schrift des Timotheus („im Unterschied von der des Paulus in
der Schlussbemerkung 317“)? geschlossen haben, dass die 1. Person
sing. ibn selbst bezeichne, wenn sie dieselbe Handschrift im
ersten Briefe 35, 527 nicht hinderte, an Paulus zu denken? Vor
allem aber, wie käme Paulus dazu, gerade diesen Brief, an dem
er den geringsten Anteil batte, mit der feierlichen Bemerkung
317 als seinen eignen zu beglaubigen?
Der Verfasser muss also ein Späterer gewesen sein, und der
Brief ist eine Fiktion.
1.
Der wichtigste Einwand, den man gegen dies Resultat er-
heben kann, hat in der kritischen Diskussion hüben und drüben
1) Bornemann ὃ. 529 ff (513 ff).
2) Zahn 18. 166.
3) Spitta S. 125.
4) Ebenda.
Bedenken gegen eine frühe Fiktion. 37
eine merkwürdig geringe Rolle gespielt. Ich denke an die chro-
nologische Bestimmung des Briefes.
Wenn es 2: vom Menschen der Sünde heisst, er werde sich
in seiner frevlerischen Überhebung in den Tempel Gottes setzen,
so ist anscheinend der Bestand Jerusalems vorausgesetzt, und
damit dann die Abfassungszeit vor dem Jahre 70 an die Hand
gegeben. In diese Zeit setzte den Brief denn auch schon Kern
in seiner bekannten und bedeutenden Abhandlung!, in diese Zeit
setzen ihn manche Neuere, z. B. Schmiedel.
Man muss aber einräumen, dass von diesen Gelehrten wenig
gethan worden ist, um die Schwierigkeit zu heben und auch nur
fühlbar zu machen, die diesen chronologischen Ansatz bedrückt.?
Dabei sehe ich ganz ab von der Beziehung der Stelle 2ı ff auf
Nero, wonach die Zeit zwischen 68 und 70 n. Chr. in Frage
käme. Da die Neroerwartung ursprünglich jedenfalls ganz ein-
fach und ohne Mystik war. so ist es ja freilich so gut wie un-
möglich, eine Abfassung vor dem Jahre 70 anzunehnien, wenn in
2ıff wirklich an Nero gedacht sein soll. Aber diese Schwierigkeit
kommt mit der Nerodeutung selbst in Wegfall. Dagegen bleibt
eine andere, die sicher nicht gering ist.
Schwierig ist überhaupt schon, dass so bald nach des Paulus
Tode ein fremder Brief unter seinem Namen ausgegangen sein
soll; schwierig ist aber vor allem, dass dieser Brief an eine be-
stimmte einzelne Gemeinde — eben die von Thessalonich — ge-
richtet gewesen sein müsste. Denn diese Annahme wäre doch
kaum zu umgehen.
An sich beweist freilich die Ortsangabe der Adresse keines-
wegs, dass der Brief (als Pseudepigraphon verstanden) wirklich
gerade für Thessalonich bestimmt und gedacht war. Auch wenn
der Verfasser mit der wirklichen Gemeinde in Thessalonich gar
1) Kern, Über 2. Thess. 2ı—ı2. Nebst Andeutungen über den Ur-
sprung des zweiten Briefes an die Thessalonicher. Tübinger Zeitschrift für
Theologie 1839 S. 145fl.
2) Stärker scheint sie Holtzmann empfunden zu haben nach seiner
\usserung Einleitung? S. 216: „Im Übrigen iaber) ist heute nicht die Frage,
ob der Brief in das nachapostolische Zeitalter herabzudrücken sei, sondern
ob er nicht gegenteils in die Lebzeiten des Apostels hinaufreiche, folglich
echt und bald nach 1. Thess. (um 54) geschrieben sein müsse“. Anders
klingt aber seine Bemerkung ZNTW 1001 S. 107.
38 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
nichts zu thun hatte und zu thun haben wollte, konnten sehr
wohl Gründe für ihn bestehen, die ihn zur Wahl dieser Adresse
führten. Allein diese Möglichkeit hängt an Voraussetzungen.
Wurde der Thessalonicherbrief des Paulus fern von Thessalonich
von jemand benutzt und nachgeahmt, so setzt das voraus, dass
dieser Brief (und dann gewiss auch andere Paulusbriefe) schon
eine weite Verbreitung in der Kirche gefunden hatte, Ist diese
vor 70 n. Chr. als wahrscheinlich anzusehen? Es mag sein. Aber
jene Annahme setzt weiter auch bereits ein sehr hohes Ansehen
der Paulusbriefe in der Kirche voraus. Ohne ein solches konnte
es keinen Sinn haben, dass ein Christ in Kleinasien oder Rom
oder sonst irgendwo, der in seiner Heimat oder in „der“ Kirche
Gehör zu finden wünschte, seinen Namen hinter dem des Paulus
versteckte. Kann man vor dem Jahre 70, d.h. nur wenige Jahre
nach dem Tode des Paulus, mit einer derartigen Autorität der
paulinischen Briefe rechnen?
Bei so früher Abfassung müssten wir mithin, wie es scheint,
den Benutzer des paulinischen Thessalonicherbriefs in Thessalo-
nich selbst suchen oder doch in Beziehung zur Gemeinde von
Thessalonich denken, und also weiterhin glauben, dass der pseu-
donyme Brief in dieser Gemeinde selbst produziert worden wäre.
Allein wie sollen wir dann zu einer befriedigenden Vorstellung
gelangen? Sollte ein solcher Brief, noch dazu einer, der mäch-
tigen Stimmungen in Thessalonich entgegentrat — denn das wäre
doch aus 22 zu schliessen — einfach hingenommen worden sein
von den vielen, die den Apostel noch von Angesicht zu Angesicht
gesehen, seinen ersten Brief und vielleicht noch andere empfangen
hatten, aber von diesem Schreiben nichts wussten? Konnte der
Verfasser eines solchen Briefes überhaupt nur hoffen, dass man
ihn hinnehmen werde, ohne auch nur eine Erklärung dafür zu
erhalten, weshalb der Brief erst jetzt ans Licht trat?
Mit andern Worten: eine Fiktion ἰδὲ a priori nur in einer
späteren Zeit. für wahrscheinlich zu balten, und zwar nur in dem
Sinne, dass der Verfasser den Thessalonicherbrief gar nicht spe-
ziell für Thessalonich bestimmte !.
Unabhängig von den vorstehenden Reflexionen führt eine
andere Erwägung auf den gleichen Gedanken. Haben wir es
1) Zu wenig sagt Schmiedel 8. 10 = 211.
Bedenken gegen eine frühe Fiktion. 39
überhaupt mit einem pseudonymen Schriftstück zu thun, so ist
die Äusserung 317, dass die eigenhändige Schlussbemerkung des
Paulus „in jedem Briefe“ das Zeichen (der Echtheit) sei, wohl
nur verständlich, wenn eine Mehrheit von Paulusbriefen vorlag,
aus denen ein derartiges Urteil abstrahiert werden konnte. Das
ἐν πάσῃ ἐπιστολῇ setzt ja eine Mehrheit ohnehin als bekannt
voraus. Da nun nur der Galater-, der 1. Korinther- und der
Kolosserbrief ausdrücklich von einem eigenhändigen Schreiben
des Paulus! reden, so ist es wahrscheinlich, dass der Verfasser
sie alle? kannte, oder, falls es weiteren Kreisen geläufig war,
von einer solchen Gewohnheit des Paulus zu reden, ein Urteil
reproduzierte, das auf der Bekanntschaft mit ihnen ruhte. Dazu
kam dann jedenfalls der erste Thessalonicherbrief. Aber wo man
diese vier Briefe? kannte, kannte man vermutlich noch mehr.
Die Stelle 317 beweist also, wenn sie von Paulus nicht geschrieben
worden ist, für eine Sammlung der Paulusbriefe, wie sie vor 70
schwerlich denkbar ist.
Schrieb jemand längere Zeit nach dem Tode des Paulus
irgendwo einen Brief, bei dem der Bestimmungsort Thessalonich
lediglich zur Einkleidung gehörte, so brauchte er sich allerdings
über die Aufnahme im fernen Makedonien keine Gedanken zu
machen. Denn die, denen er galt, interessierten sich für Thessa-
lonıch ebensowenig wie der Verfasser selbst. Für sie kam es
lediglich darauf an, dass Paulus zu ihnen redete. Bei dieser
Annahme haben wir dann freilich die Pflicht zu erklären, wie
denn der Verfasser darauf verfiel, seinen Brief als Thessalonicher-
brief zu verkleiden. Ich nehme hier an, dass diese Erklärung
sich liefern lässt. Dann wird aber die Stelle vom Tempel Gottes,
die eine frühere Abfassungszeit zu fordern scheint, zu einer
Schwierigkeit, die nicht verdeckt werden darf.
Es schien angezeigt, gleich hier diese Postulate kenntlich zu
machen. Es empfiehlt sich jedoch, erst später zu ihnen Stellung
zu nehmen.
1, Abgesehen von dem Satze Philem. v.19, der nicht in diese Reihe gehört.
2) Gal. 611 kann sehr wohl nach Analogie von 1. Kor. 1621, Kol. 418
aufgefasst worden sein, selbst wenn sich die Worte ursprünglich auf den
ganzen Brief beziehen sollten.
3) Oder drei, falls man von der Echtheit des Kolosserbriefs, die ich
annehme, nichts wissen will.
4 Wrede, Die Echtheit des zweiten 'I'hessalonicherbriefs.
Zunächst suchen wir Antwort auf einen andern, oft ausge-
sprochenen Einwand: als Fiktion verstanden, sei das ganze
Schriftstück nach seiner Absicht ein Rätsel. Wir nehmen diese
Frage auf, nicht blos um den Einwand zu entkräften. Der Ver-
such, den Brief historisch unter jener Voraussetzung zu begreifen,
ist obnehin unerlässlich Dabei wird Gelegenheit sein, den
Punkt näher zu beleuchten, der unter den Gründen gegen die
Echtheit des Briefes dem oben besprochenen an Bedeutung zu-
nächst stehen dürfte.
Ein Brief wie der unsere kann keine Übung im paulinischen
Stile sein, auch keine Predigt, keine blosse erbauliche Ansprache
an ein unbestimmtes Publikum. Das liegt auf der Hand. Wer
so bemüht ist, als Paulus zu erscheinen (3:7), verfolgt einen be-
stimmten Zweck; sonst wäre seine Arbeit sinnlos.
Verrät uns nun irgend etwas die Absicht des Verfassers, so
muss es die Stelle 21. 19 sein. Hier fanden wir den einzigen
Punkt, wo ein Gedanke ausführlich entwickelt wird, von dem
der erste Brief nichts weiss; hier hören die Wortparallelen auf,
hier wird die oben konstruierte Folge der Parallelen am merk-
lichsten durchbrochen; hier begegnet uns am Beginne das einzig
Konkrete, was wir in betreff der historischen Situation über den
ersten Brief hinaus erfahren. Es ist kein Zufall, dass das alles
zusammentrifft: es deutet alles in eine Richtung, es weist
darauf hin, dass hier der Verfasser selber redet oder doch sagt,
was er eigentlich sagen will. Die Unselbständigkeit der sonsti-
gen Partien dem ersten Thessalonicherbriefe gegenüber wird durch
diesen Gegensatz nur noch heller beleuchtet.
Neben dieser Stelle könnte in zweiter Linie nur noch der
Passus 3sff von Belang sein, in dem der Müssiggang so ernstlich
gerügt wird. Davon sehen wir zunächst ab.
Nun kann es freilich dem Verfasser auf die blosse, sozusagen
theoretische Mitteilung einer apokalyptischen Lehre oder, wie
Kern! sagte, eines von ihm geschauten apokalyptischen Bildes
nicht angekommen sein. Die Belehrung dient vielmehr einer
Absicht, der Absicht zu beweisen oder zu widerlegen. Das folgt
1) Kern S. 214.
Tendenz und Situation. 4
mit Sicherheit aus der Einleitung der Stelle (2s.s°). Der Autor
tritt einer Meinung entgegen, durch die man sich den Kopf ver-
verrücken (σαλευϑῆναι ἀπὸ τοῦ νος) und sich erschrecken (ϑρο-
εἴσϑαι) lässt, die ihm selbst als Trug und Täuschung (V.s) er-
scheint. Die Möglichkeit, dass er diesen Anlass seiner apoka-
lyptischen Ausführung erdichtet habe, kann man nicht ernsthaft
erwägen. Der bestimmte Hinweis auf Dinge, die für die Ent-
stehung dieser Erregung von Bedeutung waren (μήτε διὰ πνεύ-
ματος μήτε διὰ λόγου μήτε di’ ἐπιστολῆς εἷς di’ ἡμῶν), wie
der Nachdruck, den seine Warnung durch die Hinzufügung des
Satzes um τις ὑμᾶς ἐξαπατήσῃ κατὰ μηδένα τρόπον erhält,
schliessen diese Möglichkeit ohne Weiteres aus. Auch wäre gar
nicht vorzustellen, wie und weshalb er auf solche Erdichtung
verfallen wäre. Es müssen hier also wirkliche Vorkommnisse
seiner Zeit und seines Gesichtskreises in die Zeit des Paulus
versetzt sein, und der Verfasser hat demnach eine praktische
Absicht.
Die Meinung selbst, die er bekämpft, ist angedeutet durch
die Worte: αἷς ὅτι ἐνέστηχεν ἡ ἡμέρα τοῦ κυρίου. Dass das
nicht bedeuten kann, der Tag des Herrn sei bereits gewesen !,
alles Hoffen darum vergeblich, ist klar. Wenn es noch οὐκ ἐν-
ἔστηκχεν hiesse!
Nicht einer Ermattung der Parusieerwartung, nicht dem
Zweifel, ob der Herr, auf den man so lange vergeblich geharrt,
überhaupt noch kommen werde, soll die Lehre vom Antichrist
beschwichtigend begegnen. Diese Auffassung ist öfter hervor-
getreten ?, aber sie ist völlig unmöglich.
Ob man ἐνέστηχεν ἡ ἡμέρα τοῦ κυρίου nun übersetzt: der
Tag des Herrn steht bevor, oder (genauer): er ist da, ist einge-
treten: der Sinn ist auf jeden Fall, dass man unmittelbar an der
1) So Bahnsen, Jahrbücher für protest. Theologie 1880 VI 8. 681.
Bahnsen meint, das einmalige Kommen Christi sei geleugnet oder umge-
deutet worden, und vergleicht 2. Tim. 216 (8. 702f).
2) Auch ohne Bahnsens Erklärung von ἐνέστηχεν. Vgl.z. B. Baur,
Paulus 1845 8. 487. Man wolle sich 2. Thess. 2 darüber Rechenschaft geben,
warum die Parusie noch nicht so bald stattfinden könne. Man habe sie
schon länger vergeblich erwartet. Schon Grimm (Die Echtheit der Briefe
an die Thessalonicher, gegen Ὁ. Baurs Angriff verteidigt, Studien und
Kritiken 1850 8. 789f) hat Baur — mit Recht — eines Quidproquo
geziehen.
49 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Schwelle der letzten Ereignisse zu stehen meint.! Dem gegen-
über kann der Verfasser nur sagen wollen: nein, noch nicht. Er
sagt das nicht mit dürren Worten, aber aus seiner Belehrung
über das Ende will er gerade diese Folgerung gezogen wissen.
Wenn „zuerst“ der Abfall kommen und der Mensch der Gesetz-
losigkeit geoffenbart werden muss, wenn diese Offenbarung einst-
weilen noch „gehindert“ ist, so kann der Tag des Herrn noch
nicht im Anheben sein.
Ich sage nicht, dass die Form und Gestalt des Abschnittes
unter diesem Gesichtspunkte vollkommen durchsichtig sei. Es
kann zum Nachdenken auffordern, dass der zeitliche Gesichts-
punkt nicht schärfer ausgeprägt ist. Der Verfasser selbst hat
nicht hervorgehoben, dass das Vorhandensein eines χατέχων die
Parusie erst recht hinausrücke, obwohl der Leser diesen Schluss
aus seinen Angaben ziehen musste Auch fällt es auf, dass der
Anlass der Erörterung in ihrem zweiten Teile (V. sff) nicht noch-
mals durchklingt, und die Breite dieser Schilderung, die beson-
ders dem Auftreten und der Wirkung des arouoc gilt, scheint
über jenen Anlass etwas hinauszugehen. Indessen, wie man hier-
über auch denkt, daran lässt sich doch nicht zweifeln, dass es
die erste Absicht der ganzen Darlegung ist, den (slauben an den
augenblicklichen Eintritt des Endes zu korrigieren.
Es ist sehr häufig ausgesprochen worden, dass hier eine
andere eschatologische Stimmung fühlbar werde als in den Aus-
sagen des ersten Thessalonicherbriefes; zugleich aber hat man
1) Zahn IS. 167f giebt folgende Erläuterung der Stelle. Da die 25 vor-
ausgesetzte frühere Belehrung von den Thessillonichern nicht völlig vergessen
gewesen sein könne, müsse ihnen vorgeredet worden sein, der Antichrist
sei schon gekommen und zwar in (aligula. [Eine kühne Vermutung!]
Mit dessen Ende (41 n. Chr.) sei also (nach dieser Meinung: „der Tag des
Herrn“ schon angebrochen, d. h. die Epoche, während welcher man jeden
Augenblick die sichtbare Wiederkunft Christi zu erwarten hatte. Diese
Auffassung ist schon deshalb nicht durchführbar, weil Paulus solchen Ge-
danken anders hätte begegnen müssen. Er müsste sagen: der Antichrist
sei noch nicht erschienen, wie man glaube, und er sei nicht der. den man
dafür ausgebe. Er sagt nur: vor der Parusie muss erst der Antichrist
kommen, ἃ. h. er betont das, wovon auch die bekämpfte Ansicht ausge-
gangen wäre. Wenn aber ferner der „Tag des Herrn“ schon seit mehr als
10 Jahren „da war“ (ἐνέστηχεν. — eine an sich mehr als befremdliche
Vorstellung —, so ist es nicht eben leicht zu begreifen, wie nun plötzlich
die Erregung darüber ausbrechen konnte, von der ?2 redet.
Tendenz und Situstion. 43
behauptet, unser Brief entwickle seine Lehre mit absichtlicher,
natürlich gegensätzlicher Beziehung auf den ersten Brief. Dabei
käme dann nicht sowohl die Stelle 1415 in Betracht, wonach sich
Paulus zu denen rechnet, die die Parusie erleben werden (vgl.
V. 1), als vielmehr die Äusserung 51-4, dass der Tag des Herrn
komme wie ein Dieb in der Nacht, und das Verderben plötzlich
hereinbreche, wenn man von Friede und Sicherheit rede: eine
Äusserung, die ja 5ı geradezu unter die Rubrik χρόνοι καὶ και-
ool der Parusie gestellt wird.
Verschieden sind nun in diesem Punkte die Briefe ohne
Frage. Aber dass der Vergleich der fraglichen Stellen an sich
einen Widerspruch ergäbe, der die Identität des Verfassers aus-
schlösse, kann man bezweifeln '.
Im zweiten Briefe steht jedenfalls nichts davon, dass die
Parusie noch lange ausbleiben werde. Wenn „das Geheimnis
des Frevels“ schon im Werke ist (ἤδη ἐνεργεῖται 2:), scheint
sie auch hier nicht allzuweit hinausgerückt zu werden. Andrer-
seits sagt der erste Brief doch keineswegs: ἐνέστηκεν ἡ ἡμέρα
τοῦ κυρίου, und lässt insofern Platz für den Eintritt von Ereig-
nissen vor der Parusie.
Doch scheint hiermit der Unterschied beider Briefe noch
nicht scharf genug gefasst zu sein. Ist es denn auch vereinbar,
dass I5ıff der Moment der Parusie geradezu als unberechenbar
hingestellt wird, während nach I12:ff an bestimmten Thatsachen
das Nahen der Parusie erkannt werden kann?? Man verweist?
1) Vgl. zum Folgenden einerseits z. B. Holtzmann, Einleitung®
8. 215, auch Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie II 8. 190f,
Schmiedel 9.8 — 291, andrerseits Spitta 9. 120, Bornemann 9.534 ff,
Jülicher 8. 498 -- 5. 4488, Zahn 1 8. 181.
2) Es ist interessant, dass sich eine verwandte Argumentation bereits
bei dem von Hippolyt bekämpften Caius findet. Caius bestreitet die Mög-
lichkeit der Apok. 88. ı2 genannten Wunder, indem er sich auf 1. Thess. 5a
und s beruft. Vgl. die Capita Hippolyti adversus Caium (aus dem Apo-
kalypsen-Kommentar des Dionysius Barsalibi), Hippolyts Werke edd. Bon-
wetsch und Achelis [5 8. 241f (Fragm. 1 u. 2). — Hippolyt begegnet Oaius
u. ἃ. mit einem ebenfslls aus neuerer Zeit bekannten Argumente: >Dies,
dass der Tag des Herm „wie ein Dieb“ kommt, ist ein Hinweis auf die
Ungläubigen, welche Finsternis sind; denn die Gläubigen sind Kinder des
Lichts, die nicht in Finsternis wandeln« (8. 2411.
3) Vgl. z. B. Spitta $.129f und Bornemann 8.530.
44 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefe.
dem gegenüber gern auf die apokalyptischen Kapitel der Evan-
gelien (vgl. auch die Apokalypse), in denen Worte vom plötz-
lichen, unberechenbaren Kommen Christi unmittelbar neben Aus-
führungen über die Vorzeichen der Parusie stehen. Vielleicht
ist dieser Hinweis nicht ganz schlagend, da erst zu untersuchen
wäre, ob es sich hier nicht um Sätze verschiedener Herkunft
handelt!. Aber ist denn der Gedanke, dass der Tag des Herrn
unberechenbar sei, durch II2ıff umgestossen? Das lässt sich
kaum behaupten, wenn doch die Vorereignisse selbst unberechen-
bar sind. Will man aber ausrechnen?, wie viel Zeit auf die
Wunder des ἄνομος, seine Anbetung in der ganzen Welt und
seinen Zug nach Jerusalem vergehen müsse, um damit zu be-
weisen, dass Christus dann nicht mehr wie ein Dieb in der Nacht
kommen könne, so ist das wohl ein wenig rationalistisch gedacht,
mehr die Chronologie des Verstandes als der apokalyptischen
Phantasie. Denn diese rechnet anders und schneller als der Ver-
stand oder rechnet auch wohl gar nicht, wo der Verstand
rechnet. Jüdische Gelehrsamkeit hat zwar zur Zeit Justins® die
„3, Zeiten“ des Antichrists nach Daniel auf 350 Jahre berech-
net. Aber das ist eben erst eine Gelehrsamkeit, wie sie hier
kaum in Frage steht. Eins lässt sich ja freilich nicht leugnen.
In dem Momente, wo Paulus l5ıff schrieb, hat er an die Vor-
bereitung der Parusie nicht gedacht. Aber die Frage ist doch
auch nur, ob hier nicht ein gewisser Wechsel und meinethalben
selbst Widerspruch der Vorstellungen sehr verständlich ist. Der
Anlass, der die Ausführung Il2ıff hervorrief, lag jedenfalls im
1. Briefe noch nicht vor; erst jetzt war es notwendig, Ungeduld
und Aufregung zu dämpfen.
Nun müsste freilich Paulus nach 25 auch ohne diesen Anlass
und noch vor dem ersten Briefe in Thessalonich ähnlich gelehrt
haben, wie es 2ıff geschieht. Allein auch das lässt sich, wie es
scheint, noch verstehen. Die eschatologische Erwartung ist
ja leicht etwas expansionsfähig. Derselbe Christ konnte die
Vorereignisse und Vorzeichen mit der Katastrophe selbst in
eins zusammenschauen, gleichsam über sie hinweg sehen
zur Hauptsache und wiederum — zu anderer Zeit — betonen,
li Ähnlich Holtzmann ZNTW 1901, 8. 97f.
2) 8. Schmiedel a. a. Ο.
3) Dial. c. Tryph. c. 32.
Tendenz und Situation. 45
es müssten ihr noch gewisse Dinge vorangehen. Und ist es
denn im Allgemeinen wahrscheinlich, dass dem Paulus, als er
den ersten Brief schrieb, ich sage nicht, die Erwartung des
Antichrists, aber überhaupt die Lehre von einer Vorbereitung
der letzten Entscheidung, dieses stehende Kapitel jüdischer Escha-
tologie, ganz fremd gewesen wäre? Das ist eine Frage, die man
nicht übergehen darf. 1. Kor. 7:6 redet er von der ἐνεστῶσα
ἀνάγχη, die doch auch nicht die Parusie selbst ist, an der man
also jedenfalls auch erkennen konnte, dass der Tag des Herrn
komme. Ist dieser kurze Hinweis auf eine bestimmte Gruppe
eschatologischer Vorstellungen auch unvereinbar mit 1. Thess.
51-4? Oder soll Paulus die Vorstellung von dieser arayxn sich
erst nachträglich angeeignet haben? Wer mag das glauben?
Ein Räsonnement dieser Art ist vielleicht nicht für jeden
überzeugend, aber es ist schwer zu widerlegen. Auffallend darf
man und muss man es zwar nennen, dass Paulus in zwei so
rasch auf einander folgenden Briefen so verschieden redet. Auf-
fallend ist ganz besonders, dass er an einer Stelle, wo er aus-
drücklich die Frage nach den χρόνοι und καιροί berührt, wo er
bemerkt, die Leser wüssten über den plötzlichen Eintritt der Pa-
rusie Bescheid, gar nicht an die Dinge denkt, die er nach 1125
in Thessalonich gelehrt haben will.! Allein wenn dies auch ge-
nügt, einen Verdacht, sogar einen ernsten Verdacht, gegen unsern
Brief zu wecken, für sich, ohne den Hinzutritt anderer Gründe,
reicht es doch nicht hin, den Verdacht über die Stufe des Arg-
wohns hinauszuheben.
Anders liegt aber die Sache, wenn die Echtheit des Brietes
aus andern und gerade aus den von uns entwickelten Gründen
bereits in Zweifel gezogen ist. Dann wird das Auffallende sofort
zum Fingerzeige. In einem Briefe, der sich so eng an den
1. Thessalonicherbrief anschliesst, kann es nicht zufällig sein,
wenn gerade die Hauptstelle mit einer markanten Stelle der Vor-
lage inhaltsverwandt ist, dabei aber nach dem unmittelbaren
Eindruck in eine entgegengesetzte Richtung weist. Hier muss
eine Beziehung besteben. Und der Verfasser giebt ja obendrein
im Eingange mit den Worten ὑπὲρ τῆς παρουσίας τοῦ κυρίου
1) Vgl. z. B. Hilgenfeld, Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1862 8, 250,
auch Einleitung in das Neue Testament 8. 648.
46 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ἡμῶν καὶ ἐπισυναγωγῆς ἐπ᾿ αὐτόν selber deutlich genug an,
dass er auf l4ısff zurückgreift, um so deutlicher, als in c. 2 selbst
über die ἐπισυναγωγή speziell nichts gesagt wird.!
Der Verfasser kann in diesem Falle nur die Vorstellung der
unmittelbaren Nähe der Parusie, wie sie ım 1. Thessalonicher-
briefe, speziell in 5ı_4 ausgesprochen zu sein schien, abwehren
und durch eine andere ersetzen wollen, die die Parusie weiter
hinausschob. Ob er selbst l5ıff so verstand oder andere, bleibt
dabei einstweilen unklar. Er hat entweder die Absicht, diesen
bestimmten Äusserungen des Paulus, weil er sie missbilligt und
für gefährlich hält, entgegenzutreten, oder er ist des guten
Glaubens, dass Paulus das Gleiche meine, wie er selbst, und er
will seinen Worten nur eine bestimmte Wendung geben, sie einer
irrigen Deutung entziehen.
Aber war es denn möglich, im 1. Thessalonicherbriefe jene
Meinung zu finden? Der Brief sagt eben nicht, der Tag des
Herrn 861 da oder unmittelbar im Anzuge, er sagt nicht einmal,
er sei „nahe“ ἡ, sondern nur, er werde plötzlich die Sicheren und
Sorglosen überfallen. Indessen ist doch nicht zu bezweifeln, dass
man diese Äusserung auf das unmittelbare Bevorstehen der Pa-
rusie beziehen konnte?. Gewiss ist zwar, dass dieser Gedanke
nicht unmittelbar aus dem Briefe selbst geschöpft werden konnte,
wie denn ja keine Schrift aus vergangener Zeit gerade für
den damaligen Augenblick die Parusie ın Aussicht stellen
konnte, es sei denn, dass sie apokalyptische Rechnungen enthalten
hätte. Aber die Erwartung, dass der Tag des Herrn jetzt her-
einbreche, konnte auf anderm Wege entstehen, sei es durch
Weissagungen, sei es durch bestimmte Ereignisse, und dann
konnte damalige praktische Exegese sich ohne Skrupel der pau-
linischen Worte bemächtigen!. Man konnte sagen, der Apostel
bestätige in seinen Aussprüchen diese Erwartung; eben was er
gesagt. erfülle sich jetzt, der Tag des Herrn komme wirklich
1) So mit Recht Schmiedel zu 22.
2,8. Zahn IS. 167.
3: Der Gedanke, die Parusie komme unerwartet, wird anderwärts
natürlich auch verwendet, um den Zweifel am Kommen des Herrn zu be-
schwichtigen. So findet sich das Bild vom Diebe in der Nacht auch
2. Petr. 310. Vgl. auch das ἐξαίφνης 1. Klem. 238.
4) Vgl. auch Jülicher?* 5. 48,
Tendenz und Situation. 47
wie ein Dieb in der Nacht; auf einen langen Verzug dürfe sich
darum niemand verlassen.! Man konnte vielleicht auf die all-
gemeine Sicherheit (1538) als ein Kennzeichen der letzten Stunde
verweisen.’
Im Übrigen erhält diese Untersuchung ihren vollen Abschluss
erst durch eine Würdigung der Worte δι᾿ ἐπιστολῆς ὡς di’
ἡμῶν 22. Lässt sich zeigen, dass dabei in irgend einem Sinne
an den ersten Thessalonicherbrief zu denken ist, so ıst von selbst
klar, dass man in ihm die unmittelbar nahe Parusie ausgesprochen
oder bestätigt fand. Es sei aber festgestellt, dass ganz abgesehen
von diesen Worten alles darauf führt, bei der eschatologischen
Belehrung 2ıff eine bewusste Beziehung auf den ersten Brief
anzunehmen.
Der Verfasser bat Leute vor sich, die das Kommen Christi
für näher halten als er selbst. Was erfahren wir weiter von
ihnen?
Wir finden 2ı die beiden Ausdrücke σαλεύεσϑαι ἀπὸ τοῦ νοός
und ϑροεῖσθαι. Der erste deutet allerdings bestimmt genug auf
entstandene Erregung hin, aber er sagt mehr, wie der Autor die
Stimmung derer beurteilt, für die er schreibt; er vermisst Nüch-
ternheit und Besonnenheit. Wichtiger scheint der zweite Aus-
druck. Das Wort ϑροεῖσϑαι braucht freilich an sich nicht mehr
1: Wie nahe sich hier das „bald“ und das „plötzlich“ berührt, zeigt
gut 1. Klem. 235: ἐπ᾿ ἀληϑεία: ταχὺ χαὶ ἐξαίφνης τελειωθήσεται τὸ
βούλημα αὐτοῦ χτλ.
2) Holtzmann ZNTW 1901 8. 106 stellt nicht sowohl 1. Thess. 5 1—4
als 415.17 in den Vordergrund (vgl. oben 8. 43). Der Widerspruch der Er-
wartung des Paulus, dass er und die Meisten die Parusie erleben würden,
mit der mehr und mehr gemachten Erfahrung vom Gegenteil habe Reme-
dur verlangt. Das sei das erste und das durchschlagendste Motiv gewesen,
den ersten Brief durch eine neue Redaktion zu ersetzen. Ich kann mich
hiervon nicht überzeugen. Denn ich kann keine Vorstellung davon ge-
winnen, wie man mit jenen Worten dieMeinung vom sofortigen Ein-
tritt des Herrntages begründet haben sollte — das wäre nur zu Leb-
zeiten des Paulus möglich gewesen — und sie ist es doch, gegen die der
Verfasser sich wendet. Anders wäre es, 'wenn er der Gefahr einer Er-
schlaffung der Parusiehoffnung begegnen wollte. — Die Annahme, dass die
Ausdrücke in 31 (besonders ἐπισυναγωγή) sich auf 414.17 zurückbeziehen,
braucht man darum nicht preiszugeben, weil 5ıff als der eigentliche Haupt-
punkt erscheint. Unsere Kapiteleinteilung störte den Verfasser noch nicht,
48 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
zu bedeuten als die durch Überraschung entstandene Erregung,
den Fassung raubenden Gemütsaufruhr! überhaupt. Ich glaube
jedoch, dass man bestimmter mit „Erschrecktwerden“ übersetzen
darf.2 Die Parallele Mr 137, Mt 246 legt das nahe. Und wenn
die Wortbedeutung selbst allgemeiner sein sollte, so denkt der
Verfasser doch gewiss nicht an Aufregung überhaupt — denn
irgend eine bestimmte Farbe muss diese Aufregung gehabt
haben —, aber er denkt auch schwerlich an jene Fassungslosig-
keit, wie sie die Freude, die Erfüllung hesser Sehnsucht bringen
kann, sondern an Bestürzung und Schrecken.
Neben aller Betonung der glühenden, schwärmerischen Hoff-
nung im Urchristentume wird das Furchtbare, das im Gedanken,
im ganzen Bilde des nahen Gerichtes lag, meistens stark unter-
schätzt”. Wenn die Gerichtsdrohung in den urchristlichen
Quellen eine solche Rolle spielt, so ist das ein deutlicher Finger-
zeig. Man sage nicht, dass die christliche Gemeinde das Gericht
doch nicht zu fürchten brauchte. Es ist dennoch durchaus na-
türlich, dass der Gedanke, namentlich sobald die Entscheidungs-
stunde selber zu schlagen schien, vor allem Angst und Grauen
in den Gemütern erzeugte. Dieselbe Botschaft. die diesen zittern
liess, konnte freilich jenen zu Jubel und Begeisterung stimmen.
Aber die grosse Menge darf man nicht auf eine Linie stellen mit
enthusiastischen Märtyrern oder führenden Visionären. Bei dem
Durchschnitt, namentlich den weniger selbständigen und reifen
Christen, scheint es weit natürlicher Furcht als Freude voraus-
zusetzen, immer hat vor allem das „Dies irae“ seine Macht geübt.!
An unserer Stelle lässt überdies schon der Ausdruck ἡ ἡμέρα
τοῦ xvolov eher an den Tag des Zornes und der Welterschütte-
rung als an den Tag der Erlösung denken. Damit stimmt es,
wenn der erste Thessalonicherbrief gerade an jener Stelle 53,
worauf 1[2ıff besonders zurückblicken wird, vom αἰφνίδιος oAe-
900g redet, wobei es nichts verschlägt, dass hier das Verderben
nur den Menschen der Finsternis angedroht wird. Aus dem In-
1) 8. von Hofmann .. St.
2) So auch Bahnsen S. 702, dessen Folgerungen ich freilich ablehne.
3) Nachträglich sehe ich, dass Wernle, Die Anfänge unserer Reli-
gion 8. 373f Ähnliches ausgesprochen hat, wenn auch nicht ganz dasselbe.
4) Dagegen sagt Schmiedel 2. St.: „Nicht etwa Schrecken befürchtet
... der Vf., da in der That Freude näher läge“.
Tendenz und Situation. 49
halt von 23-13 ist wohl überall nichts zu entnehmen, sicher ist
von einer Stillung sehnsüchtigen Verlangens keine Rede.
Zur besondern Stütze dient es aber unserer Auffassung, dass
die Kirche in sehr alter Zeit das ϑροεῖσϑαι auf den Schrecken der
Gerichtsverkündigung gedeutet bat. Dies beweist der Daniel-Kom-
mentar des Hippolyt. Irrelevant mag es sein, wenn der slavische
Text von 2. Thess. 22 Ὁ. IV ec. 21 lautet: „damit ihr nicht
trauert“!. Aber lib. IV c. 19sff zeigt jedenfalls deutlich, dass
Hippolyt — und Andere mit ihm — das ϑροεῖσϑαι in unserm
Sinne verstanden. Es verlohnt sich jedoch, den ganzen Zu-
sammenhang zu reproduzieren, in dem diese Stelle steht. Hippo-
lyt erzählt in der Absicht, voreiliger Erwartung des Endes ent-
gegenzutreten, in c. 18 und 19 des 4. Buches zwei Begebnisse,
von denen wenigstens das zweite (c. 19) mit unserm Texte zu-
sammenzuhalten nicht ohne Interesse ist.?
Ein Bischof in Pontus, fromm und demütig zwar, aber nicht
auf das Schriftwort, vielmehr auf Traumgesichte merkend, „fing
an den Brüdern vorherzusagen wie ein Prophet: dies sah ich,
und dies wird geschehen“, und verkündigte das Eintreten des
Gerichts binnen Jahresfrist. „Sie aber, als sie ihn prophezeien
gehört, ὡς ὅτε ἐνέστηκεν ἡ ἡμέρα τοῦ xvolov?, flehten
unter Weinen und Klagen den Herrn an, da sie Nacht und
Tag den herankommenden Tag des Gerichts vor Augen hatten.
Und in solche Furcht und Verzagtheit brachte er die Brüder,
dass sie ihre Ländereien und Äcker wüste liessen, und die Meisten
verkauften ihre Besitztümer.“ Der Bischof versichert: wenn die
Prophezeiung nicht einträfe, brauche man auch den heiligen
Schriften* nicht mehr zu glauben. Die Folge ist nach einem
1)S. die Ausgabe von Bonwetsch und AchelisT[ıp. 237. Bonwetsch
hält ein ϑρηνῆτε in der Vorlage für möglich (p. 236). Im griechischen
Texte liest er (mit Recht) ϑορυβῆσϑε.
2) Vgl. dazu auch Bonwetsch, Studien zu den Kommentaren Hippo-
lyte zum Buche Daniel und Hohen Liede, Texte und Untersuchungen,
Neue Folge Is 8. 73ff und Harnack, Theol. Lit. Ztg. 1891, Col. 35f.
3) Hippolyt also, der doch auch wissen konnte, was ἐνέστηχεν be-
deutet, hat das Wort im Sinne des unmittelbaren Bevorstehens verstanden.
4) Am Schlusse heisst es: „die Schriften aber erschienen wahrhaftig.“
Leider erzählt uns Hippolyt nicht, welche Rolle die „Schriften“ bei der
Aufregung in Pontus gespielt haben.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 2. 4
50 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Jahr vergeblichen Harrens, dass er selbst beschämt ist, die
Brüder Ärgernis genommen haben, die, die ihre Habe verkauften,
betteln müssen.
Was sollte uns veranlassen, die Erregung, von der unser
Brief spricht, anders vorzustellen als die hier geschilderte? Wes-
halb soll die Predigt vom Tage Christi zu seiner Zeit leichter
eine begeisternde, schwerer eine erschreckende Wirkung gehabt
haben als zur Zeit dieser Vorgänge?
Die Analogie mit der Erzählung Hippolyts reicht offenbar
noch etwas weiter. Es scheint in unserer Stelle deutlich durch,
dass der Verfasser Personen, die die Bestürzung hervorrufen,
unterscheidet von solchen, bei denen sie hervorgerufen wird.
Das ergiebt sich wohl aus der Form der Worte 2s: μή τες ὑμᾶς
ἐξαπατήσῃ κατὰ μηδένα τρόπον. Fibenso aber auch aus der
Angabe 22: wenn der Schrecken διὰ πνεύματος, διὰ λόγου und
di’ ἐπιστολῆς ὡς δι᾿ ἡμῶν hervorgerufen wird, so sind es be-
stimmte Leute, 416 aus diesen Instanzen das Hereinbrechen des
Gerichtstages beweisen. ‚Dabei wird sich jeder durch das διὰ
πνεύματος an die Träume und Weissagungen des pontischen
Bischofs erinnert fühlen. Denn dass mit dieser Wendung auf
Prophetenrede hingedeutet wird, ist kaum zu bezweifeln und
wird kaum bezweifelt. Und natürlich handelt es sich nicht um
ältere, aufgezeichnete, sondern um lebendige, eben erschollene
Weissagungen, die man hier als Beweise anführte, dort glaubte.
Es ist auch nur in der Ordnung, dass wir hier dem Eingreifen
von Propheten begegnen; der jüngste Tag gehörte besonders zu
ihrer Domäne.
Was den Verfasser nun eigentlich treibt, diesen Leuten und
der durch sie entzündeten Stimmung entgegenzuwirken, hat er
mit keinem direkten Worte bestimmter angegeben. War es nur
die entstehende Unruhe und Bestürzung selbst, die ihn zum
Schreiben veranlasste? Oder waren schon weitere Folgen jener
eschatologischen Verkündigung im Gemeindeleben spürbar ge-
worden?
Die Frage liegt nahe; auch die Nachrichten bei Hippolyt,
die in ihrer Anschaulichkeit unsere Vorstellung vom Charakter
und Verlaufe, von den Möglichkeiten solcher Bewegungen so
glücklich bereichern, führen uns darauf. Sie dürfen uns freilich
nicht zu unsicheren Analogieschlüssen verleiten. Nur aus dem
Tendenz und Situation. δὶ
Briefe selbst lässt sich ermitteln, ob noch eine nähere Ähnlich-
keit zwischen den früheren und den späteren Vorgängen besteht.
Hier ist der Ort, auf die Stelle 3eff einzugehen. Diesen
Passus setzen ja fast alle Ausleger in die engste Beziehung zum
eschatologischen Thema: der Müssiggang, der gerügt wird, wird
als „frommer“ Müssiggang, als Begleiterscheinung der enthusiasti-
schen Stimmung betrachtet.!
Die gleiche Deutung hat man meist auch im ersten Briefe
Auf befolgt. Spitta? hat sie hier angefochten — ich glaube,
mit vollstem Rechte. Ein Fingerzeig, dass der Müssiggang, vor
dem gewarnt wird, religiöse Ursachen habe, ist im ersten Briefe
nicht vorhanden. Deun dass gleich nach diesen Worten von der
Parusie geredet wird, lässt einen sicheren Schluss nicht zu, da
der Abschnitt 4ısff als etwas Neues eingeführt wird; das Wort
ἡσυχάζειν aber ist auch verständlich, wenn man ihm die Unruhe
des Umhertreibens, Ausserdemhauseseins, der Unordnung und
Genusssucht entgegenstellt. Eine solche Faulheit ist ebensowenig
befremdlich für eine entstehende Gemeinde wie die Sünden, die
Paulus in seinem Aufruf zur Heiligung 14: δ᾽ verbietet. Gerade
in diesem Zusammenhange aber steht die Mahnung, und alles,
was Paulus über ihre Tendenz angiebt, ist, dass der Müssiggang
die Gemeinde bei den Nichtehristen diskreditiert und einen dem
andern zur Last macht (412). Hätten wir nur den ersten Brief,
so wäre man überhaupt kaum darauf verfallen, hier ein Anzeichen
von Schwärmerei zu sehen. Erst der zweite Brief hat darauf
geführt: hier lag eine abnorme Steigerung der Zukunftserwartung
deutlich vor, und es schien nicht zufällig zu sein, dass wiederum
gerade der Müssiggang eine Rüge empfing und zwar eine ge-
schärfte: das müssiggängerische Treiben schien durch die escha-
tologische Schwärmerei erst rechte Nahrung erhalten zu haben.
Ist nun der zweite Brief ein Pseudepigraphon, so fällt jeder
Gedanke an eine Kontinuität der Verhältnisse von selbst fort.
Selbst dann, wenn die Abfassung relativ früh fallen sollte; erst
recht, wenn sie später fällt, und der Brief mit Thessalonich gar
1) So neuestens auch von Dobschütz, Die urchristlichen Gemeinden
8. ΤΟΥ͂ (mit etwas freier Ausmalung).
2) Vgl. zum Folgenden Spittas Ausführung 8. 130. Verwandtes
schon bei von Hofmann 8.230f. Gegen Spitta Zahn I 5.159.
45
52 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
nichts zu thun hat.! So oder so ist deshalb der Sinn von I4 ff
nicht entscheidend für [136
Es scheint jedoch misslich, eine Straf- und Drohpredigt, die,
nach ihrer Ausführlichkeit zu urteilen, dem Verfasser selbst
immerhin wichtig gewesen sein muss, auf ein Nebeninteresse zu-
rückzuführen, das mit dem eigentlichen Zwecke des Schriftstücks
gar nichts zu thun hätte. Vollends, wenn ein Zusammenhang so
nahe liegt wie hier. Gerade auch nach dem Bericht Hippolyts
über die pontische Bewegung scheint er ja nahezuliegen. Denn
obwohl dieser Bericht mit seinen Worten über die Veräusserung
des Besitzes und die Vernachlässigung der Äcker ein bestimm-
teres und auch ein anderes Bild ergiebt, als unsere Stelle in
dieser Deutung — die hier Getadelten würden eben nicht ihr
eigenes Brot gegessen haben —, so hätten beide doch den G@e-
danken gemein, dass alles Sorgen um das Irdische beim Eintritt
des Endes nutzlos geworden sei, und dass man statt dessen sich
hörend, lehrend, betend auf das Kommen des Richters vorzube-
reiten habe.
Dennoch ist es viel wahrscheinlicher, dass 3sff ganz einfach
von der inertia vulgaris redet.
180 unser Brief überhaupt abhängig vom ersten, so ist er es
auch an dieser Stelle. Seine Vorlage kann also für den Verfasser
der eigentliche Anlass gewesen sein, dies Thema zu berühren.
Der Grund aber, weshalb er gerade diesen Punkt aus dem Ab-
schnitte I4s-ıs herausgreift, und namentlich, weshalb er ihn so
viel eingehender und dringlicher behandelt, als der erste Brief,
kann darin liegen, dass ihm Arbeitsscheu und Bummelei gerade
in seinem Gesichtskreise als ein besonderer Schaden entgegentrat.
Kin Wort wie 310: „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“,
passt gut auf Leute, die Tagediebe waren und nichts weiter. Die
jedoch, die der Predigt des nahen Gerichtes Glauben schenkten,
werden zumeist nicht Subjekte gewesen sein, die sich’s beim Ein-
tritt des Herrntages bequem machen wollten. Dann aber ver-
steht man die Strenge und Schärfe des Verfassers nicht recht,
sein Drohen mit Kirchenzuchtsmassregeln und Abbruch des Ver-
kehrs. Die Pflicht der Arbeit gehörte allerdings zum anerkannten
1; Holtzmann, ZNTW 1001, S. 102f hätte diese Konsequenz wohl
auch ziehen müssen.
Tendenz und Situation. 53
Sittenkodex des Urchristentums; aber weshalb bringt der
Schreiber gar nicht in Anschlag, dass die Wurzel des Verhaltens
dieser ἄταχτοι zum guten Teile eine religiöse Stimmung war?
Überhaupt erinnert in dem ganzen Zusammenhange kein Wort
an die eschatologische Frage. Das ist schon befremdlich genug.
Dazu kommt aber noch eins: der Abschnitt über das Arbeiten
erscheint im Briefe selbst als Nachtrag. 3ıff hat nämlich der
Verfasser ursprünglich schon schliessen wollen. Eine nachtrag-
artige Behandlung aber ist wenig wahrscheinlich für einen Punkt,
der seinem Hauptinteresse so nahe lag, ja mit ihm im Grunde
zusammenfiel ?.
Eine besondere Wirkung des entstandenen Schreckens auf
die Entwicklung des Gemeindelebens lässt sich demnach nicht
erkennen. Sie ist aber auch keine notwendige Voraussetzung
dafür, dass der Autor sich entschloss, seinen Brief abzufassen.
Ein ähnlich negatives Resultat ergiebt sich bei einem andern
Punkte des Briefes, den man mit der eschatologischen Schwär-
merei in Verbindung bringen könnte. Trübsal und Verfolgung
werden im Eingange erwähnt. Gerade weil der Gedanke zu
einer kleinen Digression führt (15ff), die der des ersten Briefes
21ff ganz unähnlich ist, weil man ferner aus den Worten über
die göttliche Rache gegen die Verfolger einen starken Hass
heraushören möchte, scheint der Verfasser hier ein Thema zu
behandeln, das für seine Gegenwart wichtig war. Dann könnte
eben durch den Ausbruch einer Verfolgung der Gedanke, dass
der Herr komme, entstanden sein?. Sie wäre als Beginn der
grossen ϑλίψις verstanden worden.
Aber schon das ist nicht zu erkennen, ob solche Trübsal im
Augenblicke wirklich bestand. Das Praesens ἀνέχεσϑε (14) ent-
scheidet wohl nicbt, wenn anders der Brief auch den Gedanken der
Trübsal entlehnt hat. Vollends ist von einem plötzlichen, frischen
Bereinbrechen der Trübsal keine Rede. Namentlich aber müsste
man erwarten, dass dem mächtigen Argumente, das in der Trüb-
sal lag, wenn sie der eigentliche Nährboden für die gesteigerte
Parusieerwartung war, ausdrücklich die Spitze abgebrochen würde.
Die Abhängigkeit vom ersten Briefe in Verbindung mit den all-
1) Näheres s. unten 8. 78f. ᾿
2) Schon von Hofmann 8. 304 hat Ähnliches bemerkt.
3) Diese Kombination vollzieht von Hofmann. Vgl. 1. Petr. 4 17.
54 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
gemeinen Erfahrungen, die man in der Christenheit schon ge-
macht hatte, wird die Stelle genügend erklären.
Mit drei Ausdrücken hat der Verfasser (22) die Autoritäten
bezeichnet, auf die man sich stützte, um die unmittelbare Nähe
des Endes gewiss zu machen: πρεῦμα, λόγος, ἐπιστολή; das
dritte Glied hat den Zusatz &g di’ ἡμῶν, der auch zu λόγος
gehören kann, mit πνεῦμα aber keinesfalls etwas zu thun hat.
Der Propheten wurde schon gedacht. Unser Briefschreiber
entkräftet offenbar ihren Kredit, indem er als Paulus, als aposto-
lische Autorität vor ihrer Prophezeiung warnt. Neben dem
Prophetenwort war es aber Paulus selbst und zwar — das διὰ
λόγου sei zunächst übergangen — ein Brief von ihm oder viel-
leicht Briefe, worauf man sich besonders berief.
Ich muss bier nochmals beleuchten, wie man mit diesen viel
besprochenen Worten zurecht kommt, wenn man vom paulini-
schen Ursprunge des Briefes ausgeht.
Die Zahl der möglichen Deutungen wird von vornherein
durch die Schlussnotiz 811} etwas begrenzt. Wenn Paulus hier,
sogar unter Hinweis auf seine Handschrift, die eigenhändige
Nachschrift zum „Zeichen“ seiner Briefe macht, so kann er nur
ein Mittel an die Hand geben wollen, echte Briefe von gefälschten
oder vermeintlichen zu unterscheiden. Diese in den paulinischen
Briefen singuläre Bemerkung ist so auffallend, dass sie an sich
starken Verdacht gegen die Echtheit des Briefes erregen muss,
wenn nicht ein bestimmter Anlass für sie angenommen werden
kann. Nun könnte der Anlass ja in Verhältnissen liegen, die
uns unbekannt sind. Gerade bei unserm Briefe ist jedoch diese
Auskunft wenig befriedigend. Da der erste Thessalonicherbrief
nichts Verwandtes sagt, da zwischen dem ersten und zweiten
Briefe nur kurze Zeit liegt, und eine Mitteilung von Paulus an
die Gemeinde in dieser Zeit nicht gelangt sein wird, müsste man
eine Andeutung darüber erwarten, welche Erfahrungen den
Apostel zu einer Erklärung bestimmten, die einer Verwahrung
denn doch äusserst ähnlich sieht. Geradezu unerlässlich war
eine solche Andeutung, wenn der Anlass, was durchaus der erste
Gedanke ist, in irgend etwas lag, was er über Thessalonich selbst
gehört hatte.
Von dieser Erwägung aus muss man es sofort für unwahr-
Tendenz und Situation. 55
scheinlich halten, dass Paulus 25 nur ein Missverständnis seines
ersten Briefes im Auge gehabt habe. Denn bei dieser nicht
selten vertretenen Ansicht büsst die Stelle 317 gerade das Motiv
ein, das sie leicht verständlich machen kann. Ebenso misslich
aber ist es, ihn 22 mit Briefen rechnen zu lassen, die ihm mög-
licherweise untergeschoben werden könnten. Denn dann wäre
317 selbst zwar durch 22 gestützt. aber um so weniger begriffen
wir, was Paulus gerade in diesem Momente dazu gebracht bätte,
an die blosse Möglichkeit so ernstlich zu denken; d. h. im Grunde
bliebe sowohl 3ı7 wie 22 unverständlich. Zudem wäre gerade
für 22 der Hinweis auf die Unvollkommenheit unseres Wissens
über die damaligen Erlebnisse des Apostels am allerwenigsten
angebracht!. Denn der Gedanke an eine mögliche Fälschung
käme an dieser Stelle ja nicht bloss in seiner Allgemeinheit in
Betracht, sondern für eine ganz konkrete Frage. Da müsste er
doch durch irgend ein Vorkommnis motiviert sein.
Paulus kann nur eine Meinung gehabt haben, wenn er die
Worte 22 schrieb und ihnen 3ı7 folgen liess: dass ihm ein Brief
mit eben der Lehre untergeschoben sei, die er missbilligt.
Logisch möglich ist freilich auch die Auskunft, es habe
sich um einen Brief gehandelt, der ohne trügerische Absicht des
Verfassers irrtümlich auf Paulus zurückgeführt wurde?. Voraus-
gesetzt, dass Paulus das wusste, wäre die Bemerkung 3ı7 ja
nicht gegenstandslos. Allein sachlich ist die Erklärung unbe-
friedigend; man sieht es ihr ja auch an, dass sie in der Not er-
klügelt ist. Briefe pflegen doch im Altertum gleich an der Spitze
zu sagen, von wem sie kommen. Wie konnte man also Paulus
für den Verfasser halten?? Offenbar müsste man zu dem sehr
bedenklichen Postulate eines Briefes ohne Zuschrift fortschreiten®,
und dann wäre der Irrtum immer noch höchst sonderbar. Ein
beliebiger Brief konnte denn doch nicht so leicht für einen
Paulusbrief genommen werden. Wie konnte ferner Paulus, wenn
1) Bornemanns Bemerkungen S. 467 u. 536 übertreiben die Skepsis.
2) Vgl. von Hofmann z. St. und bei Bleek-Mangold, Einleitung
in das Neue Testament? S. 451 die Note von Mangold. (Bleek selbst
denkt an ein Missverständnis des ersten Briefes und kann daher 317 nur
äusserst matt erklären.)
3) Vgl. Spitta S. 159.
4) von Hofmann rechnet in der [hat mit einem „namenlosen‘“ Briefe.
56 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
er von einem solchen ihm zugeschriebenen Briefe wusste, an
etwas anderes als an Fälschung denken? Man müsste schon aufs
Neue voraussetzen, dass er erfahren hatte, von wem der Brief
war, und was für einer es war. Und doch müsste der wirkliche
Verfasser in Thessalonich selbst unbekannt gewesen sein!
Modifiziert man aber diese Auffassung so, wie Zahn! es
versucht hat, so wird die Spitzfindigkeit nicht geringer, vor allem
aber geht auch der Vorteil, dass 3ı7 verständlich wird, wieder
verloren. Zahn nimmt als das Wahrscheinlichste an, dass „(münd-
liche und) briefliche Mitteilungen aus der Umgebung des Paulus
nach Thess. gelangt waren, welche eben wegen dieser ihrer Her-
kunft ohne trügerische Absicht derer, von welchen sie ausgingen,
den Irrtum hervorriefen, dass jene Meinung [über den Tag des
Herrn] auf die Autorität der Apostel [d. ı. des Paulus, Silvanus,
Timotheus] sich gründe“. Soll das nur heissen, dass aus den
brieflichen Mitteilungen auf die Ansicht des Apostels ge-
schlossen wurde, so bleibt in der That 317 wieder völlig uner-
klärt? Denn zur Beurteilung von Meinungen über seine Ansicht
trägt diese Stelle nichts bei; sie hat nur dann eine Beziehung
auf das 22 Gesagte, wenn Paulus als Urheber der brieflichen
Mitteilungen selbst erschien. Nur eine weitere Schwierigkeit
egt in der Annahme, dass Mitteilungen solchen Inhalts aus der
Umgebung des Paulus gekommen sein sollen.
1) Zahn 1 8. 167.
2) Zahn weiss sich freilich zu helfen. Er bemerkt: „Da (aber) Pl.
auch für die Zukunft verschiedenartige Weisen solcher Täuschung als mög-
lich ins Auge fasst (28 χατὰ μηδένα τρόπον), so war es wohl veranlasst,
darauf hinzuweisen, dass nur direkt von ihm ausgegangene und durch seine
eigenhändige Grussunterschrift gekennzeichnete Briefe als ein Ausdruck
seiner Meinung gelten sollen (317)“. Also: 1. Paulus wird dadurch, dass
man aus Äusserungen seiner Umgebung eine falsche Ansicht von seiner
Auffassung gewonnen hat, „für die Zukunft‘ auf die Möglichkeit späterer
Fälschungen gebracht. 2. Paulus will durch die Erklärung 317, seine Briefe
seien immer an der eigenhändigen Unterschrift zu erkennen, dieser Mög-
lichkeit späterer Fälschungen begegnen; Paulus will aber durch dieselbe
Erklärung zugleich [was für den „vielbeschäftigten Apostel“ (oben 8. 32)
freilich etwas gewagt erscheint] den Gedanken betonen, dass nur eigene
Briefe, nicht solche aus seiner Umgebung, als Ausdruck seiner Meinung
gelten dürfen. (Obne diesen Gedanken wäre ja auch das wirkliche Vorkomm-
über der „Möglichkeit“ 28 ganz vergessen.) — Zahn stellt hier
nige Ansprüche an die Vorstellungskraft seiner Leser.
Tendenz und Situation. 57
Es bleibt also dabei: hat Paulus 22 und 3ı7 geschrieben,
so hat er gedacht, sein Name sei zu einer Fälschung missbraucht
worden. Die Frage kann nur sein, ob dies thatsächlich der Fall
war, oder ob er sıch darin täuschte.
In jedem Falle ist es eine sehr starke Schwierigkeit, dass
Paulus nicht Anlass nimmt, den Fälscher gehörig zu brand-
marken, vielmehr sich begnügt, den gefälschten Brief kurz unter
anderm zu erwähnen. Paulus musste doch, wenn er an ein der-
artiges, sicher nicht alltägliches Vorkommnis glaubte, darüber
völlig empört sein, doppelt, weil der Missbrauch seines Namens
einer Stimmung zu gute kam, die er missbilligte. Und die Sache
wird auch nicht besser, wenn man mangelhafte Information über
das Was und Wie voraussetzt, oder den Apostel wegen des ver-
worrenen Berichts, der ihm zugekommen, eine Fälschung nur
vermuten lässt. Denn dann war eine Frage, eine Forderung
näherer Mitteilungen ebenso geboten wie die Erklärung 811.
Diese Schwierigkeit wächst, wenn es sich um eine wirkliche
Fälschung handeln soll. Die Anhänger dieser Meinung lassen
hier meist die Skepsis vermissen, die sie gegen die Möglichkeit,
dass unser Brief in späterer Zeit dem Paulus untergeschoben
sei, so reichlich aufzubieten wissen. War es etwa zu Lebzeiten
des Paulus, in einer Zeit, wo seine Beziehungen zur Gemeinde
frisch waren und überhaupt nicht ruhten, leichter, einen Brief
unter seinem Namen zu verfassen und Glauben für ihn zu er-
hoffen? Man sollte die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Vor-
stellung doch einräumen.
Allen die andere Annahme, Paulus babe irrtämlich eine
Fälschung angenommen, ist auch nicht glaublicher, sie verlegt
den Anstoss nur an einen andern Punkt. Nach Spitta und
Jülicher hat Paulus gehört, dass man sich auf einen Brief von
ihm für die alarmierende eschatologische Verkündigung berufen
habe. Man hatte den ersten gemeint (5ı ff). Paulus aber kam
gar nicht auf den Gedanken, dass man ihn missverstanden habe.
„Dieser sein Irrtum, sagt Jülicher, erklärt vollständig 22 wie
317“.! Zugegeben: wenn uns nur sein Irrtum selbst erklärt
würde'? Es ist zwar wahr. dass wir über Nebendingen die
1) Jülicher S.41= 15.48.
2: Den Versuch macht Spitta S. 152f.
58 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
nächstliegenden Möglichkeiten leicht übersehen; aber diese leidige
Erfahrung werden wir hier doch nicht gern anrufen. Wiır
müssten das Konto des armen, unschuldigen Boten, den man aus
3111 erschliesst, schon recht stark mit verwirrten Reden belasten,
um nur leidlich zu begreifen, weshalb Paulus der nächstliegende
Gedanke, der Gedanke an seinen eigenen Brief gar nicht kommt.
Und selbst dann bleibt die Frage unerledigt: wie konnte er,
statt die Fälschung zu vermuten und Nachfrage zu halten, ihrer
ohne Umstände gewiss sein? Nicht minder aber die andere: wie
kam es, dass der Mann, der seinen früheren Brief allen Spuren
nach so ausgezeichnet im Gedächtnisse trug), gerade da, wo ihn
Andere daran erinnerten, nicht mehr wusste, dass er etwas ge-
schrieben, was man immerhin im Sinne der Predigt vom Herein-
brechen des Endes missverstehen konnte? 2
Nur noch mehr Unzuträglichkeiten entstehen, wenn die
Worte διὰ λόγου mit beachtet werden. Wenigstens dann, wenn
das ὡς di’ ἡμῶν ebenso zu διὰ λόγου zu ziehen ist wie zu di’
ἐπιστολῆς. Dass διὰ λόγου ein ganz für sich stehendes Glied
wäre, ist aber auch sehr unwahrscheinlich. Daraus, dass das dıa
πνεύματος „ganz absolut steht“ 3, folgt überhaupt nichts, nichts
dagegen, aber auch nichts dafür. Denn ein Glied mit dem Zu-
satz δι᾿ ἡμῶν zu zwei selbständigen Gliedern zu fügen ist nicht
leichter als zwei Glieder mit Zusatz an ein zusatzloses anzu-
schliessen. Und wollte der Apostel neben dem Geiste wirklich
ein vermeintliches Wort und einen vermeintlichen Brief von ihm
nennen, so ist gegen die Art des Ausdrucks nichts einzuwenden.
Gegen die Selbständigkeit des διὰ λόγου aber spricht Folgendes.
1. Wenn λόγος „die ruhige, nüchterne Rede“, die „verstan-
desmässige Darlegung in den Gemeindeversammlungen“ im
Gegensatz zur prophetischen Geistesrede sein soll* — und an
1) ἀχούομεν γάρ τινας περιπατοῦντας ἐν ὑμῖν ἀτάχτως. Spitta
verweist auch auf 186.
2) Jülicher nimmt in der neuen Auflage seiner Einleitung S. 47
sogar an, dass Paulus sich bei der Konzeption des zweiten Briefes genau
ins Gedächtnis gerufen habe, was er der Gemeinde über den Hauptpunkt
früher (mündlich und) schriftlich vorgetragen. Und selbst dann der
„Irrtum“?
3) Bornemann z. St. Auch von Hofmann verbindet ὡς di’ ἡμῶν
nicht mit διὰ λόγου, wohl dagegen Zahn 1 S. 166f.
4) Bornemanın z. St.
Tendenz und Situation. 59
etwas anderes könnte man kaum denken —, so ist ein Zusatz
wie σοφίας, διδαχῆς, γνώσεως schwer entbehrlich!. 2. Wenn
wenige Verse später (215) die Wendung εἴτε διὰ λόγου εἴτε δι᾽
ἐπιστολῆς begegnet, so ist das eine Parallele, die stark ins Gewicht
fällt. Man könnte noch 3. hinzufügen, dass ein blosser λόγος
so grossen Autoritäten wie dem πρεῦμα oder einem apostolischen
Briefe nicht zur Seite gestellt werden könne; doch ist das eine
zu unsichere Reflexion.
Der Apostel scheint also anzunehmen, dass ihm nicht blos
ein Brief untergeschoben, sondern auch ein Wort oder Worte
angedichtet seien, die man in der eschatologischen Frage kol-
portierte. Ist das wirklich seine Meinung, so wird es noch
rätselhafter, dass er so kurz und ruhig über solche Dinge hin-
weggeht, und weiter müssen wir entweder die Frechheit der
Manipulationen gegen ihn oder die Seltsamkeit seines Missver-
ständnisses verdoppeln. Soll er aber, weil er von der Fälschung
eines Briefes zu wissen glaubt, das Andichten von Worten blos
vermuten oder es für möglich halten und darum von vornherein
abschneiden wollen, so weiss ich nicht, ob jemand, der von einem
ganz bestimmten ihm untergeschobenen Briefe weiss, die Abwehr
gegen ihn so vornehmen wird, dass er blosse Möglichkeiten mit
der bestimmten einzelnen Thatsache auf eine Stufe stellt.
Je genauer man die verschiedenen Vorschläge verfolgt, um
so klarer ergiebt sich, dass die Verteidiger der paulinischen Her-
kunft des Briefes sich an diesem Punkte so oder so in die
stärksten Schwierigkeiten verwickeln, die sie durch Berufung auf
unkontrolierbare, im Nebel des Unbekannten liegende Möglich-
keiten vielleicht abschwächen, aber nicht beseitigen können. Die
Unbefangenen unter ihnen hätten diese Schwierigkeiten besser
ans Licht stellen dürfen. Der Punkt ist in der That, wie oben
bemerkt wurde, nächst dem Hauptargumente das Wichtigste, was
&egen die Echtheit des Briefes gesagt werden kann.
Wir kehren nun zu unserer Auffassung zurück. Wenn ein
_Späterer redet und seinem Briefe in der Zuschrift die Bestim-
“nung nach Thessalonich giebt, so liegt von vornherein keine
Vermutung näher, als dass mit den Worten δι᾽ ἐπιστολῆς ws
»--.. -..-......
1) Tertullian, De resurrectione carnis c. 24 ergänzt zu per sermonem
(und zu per spiritum?): scilicet pseudoprophetarum. Dem entspricht dann
wach per epistolam ein: scilicet pseudapostolorum.
60 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
> «ς
δι᾿ ἡμῶν irgendwie auf den ersten Thessalonicherbrief hinge-
deutet wird. Diese Vermutung wird durch die weitere Unter-
suchung bestätigt werden, und wir kommen so auch von hier
aus auf den Gedanken, der sich schon aus anderen Erwägungen
ergab !, dass 6. 2 die eschatologischen Aussagen des ersten Briefes
im Auge hat. Der Ausdruck selbst redet allerdings nicht von
einem bestimmten Briefe, das genus ἐπεστολή tritt neben das
genus λόγος. Wenn sich daher sachlich rechtfertigen liesse,
noch an andere Briefe neben dem ersten Thessalonicherbriefe zu
denken, so würde der Ausdruck nicht im Wege sein. Aber er
erlaubt trotz seiner Unbestimmtheit auch die Annahme, dass
nur ein Brief wirklich in Betracht kommt, der Brief an eben
die Gemeinde, die der Verfasser selber anzureden vorgiebt?. Ich
kann die Gattung nennen, wenn ich nur ein Exemplar ım Sinne
habe. Einstweilen bleiben wir bei dieser Annahme stehen.
Soll dieser 1. Thessalonicherbrief vom Verfasser verdächtigt
und als unpaulinisch zur Seite geschoben werden? Der erste
Eindruck des Zusatzes ὡς du’ ἡμῶν im Verein mit dem Schluss-
wort 311 wird die Erwägung leicht auf diese von Hilgenfeld?
vertretene Auffassung führen. Das sachliche Verbältnis der
Eschatologie des zweiten zu der des ersten Briefes stände ihr
gewiss nicht im Wege. Allein durchführbar ist die Auffassung
nicht. 2ı5 ist doch wohl sicher vom ersten Briefe die Rede, und
so würde die Autorität des eben angezweifelten Briefes gleich
darauf förmlich anerkannt werden. Wie käme es ferner, dass
der Autor keinen Anstand nimmt, viele Gedankenreihen des ersten
Briefes zu wiederholen? Vor allem aber setzt unser Brief durch
sein Dasein und Sosein ein Ansehen des ersten Briefes voraus,
das mit einem halben Federstriche entwurzeln zu wollen dem
Verfasser schwerlich in den Sinn kommen konnte.
Wenn denn nicht der erste Brief selbst angefochten wird,
so scheint es sich nır um dessen Auffassung handeln zu
1) Oben 8. 15 ff.
2) Man kann hier so wenig wie 215 fordern, dass dann der Artikel
vor 2nıoroAng stehen müsse.
3) Hilgenfeld, Einleitung in das Neue Testament S. 646 und schon
Zeitschr. f. wiss. Theol. 1862 S.240f. Vgl. auch Rauch in der gleichen
Zeitschr. 1895 5. 453f und Ho!tzmann, Einleitung? 5. 214, 216.
4) Verwandtes bei Zahn I S. 176.
Tendenz und Situation. 6
können, also um ein Missverständnis seiner Lehre. Der Autor
würde durch die Worte αἷς δι᾿ ἡμῶν bemerklich machen, dass
er Wort und Brief in dem angenommenen Sinne nicht ge-
äussert und geschrieben habe. Es wäre etwa zu umschreiben:
„als hätten wir (mit Wort und Brief) sagen wollen“!. Allein
hier legt die Grammatik einen Stein in den Weg. Der Gegen-
satz des Vermeintlichen oder Angeblichen und des Wirklichen,
der durch αἷς vor δι᾿ ἡμῶν angedeutet würde, kann sich doch
wohl nur auf Wort und Brief selbst, nicht auf etwas, was man
in ihnen findet, beziehen. Will man aber das διά vor ἡμῶν mit
ϑροεῖσϑαι statt mit ἐπιστολῆς verbinden, so hilft das auch nichts.
Denn auf jeden Fall empfingen λόγος und ἐπιστολή doch wieder
erst aus dem δι᾿ ἡμῶν die Ergänzung, die ihre Erwähnung in
diesem Zusammenhange überhaupt verständlich macht.
Bei dieser Sachlage hat Schmiedel? gemeint, es sei ent-
weder wirklich ein dem Paulus untergeschobener Brief auf-
getaucht, der die Nähe der Parusie noch stärker als 1. Thess. ὅ 5,
415 betonte, oder der Verfasser fingiere dies. Beides gewiss Aus-
künfte, die die grammatische Korrektheit allzu teuer bezahlen.
Denn wenn etwas bei nachpaulinischem Ursprunge unseres
Briefes wahrscheinlich ist, so ist es die Bezugnahme auf den
ersten Thessalonicherbrief; hieran hängt sogar, wie sich noch
deutlicher zeigen wird, das Verständnis des ganzen Schriftstücks®.
Dieser feste Punkt würde mit der ersten Annahme in Wahrheit
aufgegeben und zwar zu Gunsten einer äusserst fragwürdigen
Grösse. Die zweite aber mutet dem Autor eine Fiktion zu, die
entweder gar keinen Zweck hätte oder einen mehr als unwahr-
seheinlichen. Denn die Absicht‘, „die Versicherung der Echtheit
seines Briefes in 317 vorzubereiten“®, lässt sich für unsern Ver-
1) Vgl. Renss, Gesch. der heil. Schriften N. T.ss 8, 74: „als hätte ich
selbst“ gelehrt, was euch ängstigt, (Rjeuss hält dabei aber den Brief
für echt.)
2) Schmiedel 8.9 — 237 (zu 22).
3) Holtzmann ZNTW 8. 105 sagt: „Eine das Rätsel des zweiten,
Briefes erschliessende Hypothese muss schlechterdings vor allem seinem
Ersatscharakter gerecht werden“.
4) Nach Schmiedel2 8. 87 käme hinzu die Absicht, auf die Wich-
tigkeit seines Schreibens hinzuweisen.
5) Auch nach Holtzmann, 8. 8. Ὁ. 8.107, ist die Stelle 317 „wohl
schon 22 vorbereitet“.
62 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
fasser wahrlich nicht besser vorstellen als das Bestreben, den
ersten Brief zu diskreditieren. Wie? Die Furcht vor der miss-
trauischen Aufnahme einer Erklärung (317), die er noch gar nicht
abgegeben hat, einer Erklärung, die selber nur den Zweck hat,
dem Misstrauen zu begegnen, soll ilın den ganzen Brief hindurch
begleitet, soll ihn dann auf den an sich ganz fernliegenden Ge-
danken einer früher geschehenen Briefunterschiebung geführt und
zu einer äusserst schlau, weil mit berechneter Kürze hingewor-
fenen Bemerkung (23) veranlasst haben? Das ist für jeden alten
Christen ein unbegreiflicher Gedankengang, wenn wir ihn nicht
mit der raffinierten Psychologie eines modernen Gebildeten aus-
statten wollen. Überdies bleibt das διὰ λόγου bei dieser Ansicht
unerklärt.
Wir bedürfen aber auch solcher bedenklicher Annahmen gar
nicht. Es ist eine Deutung möglich, die der Grammatik nicht
Gewalt anthut und doch sachlich befriedigt. Bereits Kern! hat
sie gegeben — ganz klar und doch vielleicht noch nicht klar
genug; denn grossen Eindruck hat sie nicht gemacht.
Weil die Frage nach untergeschobenen Briefen in der Kritik
gerade dieses Schriftstücks auch abgesehen von 22 eine Rolle
spielt, und weil der Verfasser irgendwie die auf der Gegenseite
geltend gemachten Grössen „Geist“, „Wort“ und „Brief“ ab-
lehnen muss, so entsteht freilich sehr leicht der Eindruck, als ob
das oc etwas andeuten müsse, was nur vermeintlich, nicht wirk-
lich der Fall sei. Aber das ist nur ein Vorurteil. Denn eine
Irrealität, wie sie unser „als ob“ wiedergiebt. liegt in οὖς gar
nicht notwendig. Notwendig drückt οὖς ja nur eine subjektive
Beziehung aus. Diese kann eine Negation der objektiven Aus-
sage involvieren, braucht es aber keineswegs. Wenn die Parabel
über den ungerechten Haushalter sagt: διεβλήϑη αὐτῷ (sc. dem
Herrn) ος διασχορπίζων τὰ ὑπάρχοντα αὐτοῦ, so sagt das οἷς
über die Wahrheit oder Unwahrheit der Angeberei gar nichts
aus”. Wenn aber Paulus z. B. 1. Kor. 725 schreibt: γνώμην di-
don ὡς ἠλεημένος ὑπὸ κυρίου πιστὸς εἶναι, so weiss jeder,
1! Kern 85.140. Kerns Meinung sollte man nicht mit der von Reuss
zusammenstellen, wie manchmal geschieht. Sie ist zwar sinnverwandt
aber ganz anders begründet.
2) Jülicher, Die (tleichnisreden Jesu II S. 490 nennt die Übersetzung
„als wenn er seinen Besitz verdürbe“ mit Recht unvorsichtig.
Tendenz und Situation. 63
lass das οἷς von der Wirklichkeit der erfahrenen Begnadigung
nichts abzieht und nur zum Ausdruck bringt, dass der Apostel
sich ihrer auch bewusst ist. An unserer Stelle hebt nun das @s
ganz ebenso in keiner Weise auf, dass es sich wirklich um Wort
und Brief des Apostels handelt, ebensowenig zweifelt es die Auf-
fassung dieser Dinge an. Es deutet vielmehr, wie Kern sagt,
„nur die den Andern zugeschobene [d. ἢ. beigelegte] Berufung
auf den Apostel an“. Gerade dass der Apostel so geredet und
geschrieben habe, machte man geltend für die eschatologische
These, und gerade weil seine Autorität angeführt wurde, liess
man sich andrerseits schrecken. Ein blosses μήτε διὰ λόγου
μήτε δι᾿ ἐπιστολῆς δι᾿ ἡμῶν" würde besagen, dass man durch
Wort und Brief des Apostels thatsächlich erschreckt wurde, sich
aber nicht dadurch erschrecken lassen sollte. Ein αἷς vor di’
ἡμῶν lässt diesen Gedanken völlig bestehen, fügt aber noch die
Beziehung auf die Meinung der Aufgeregten hinzu, dass der
Brief, eben weil er vom Apostel stamme, Grund zum Glauben
an das Hereinbrechen des Herrntages und also zum Erschrecken
gebe. Übersetzen wird man daher: „weder durch Wort noch
durch Brief als von uns“. Umschreiben könnte man: lasst euch
nicht dadurch schrecken, dass man Wort und Brief von mir
geltend macht, eben weil beides von mir komme. Auf den
Verfasser gesehen, liegt dann in der Wendung ein Gefühl seiner
Würde und seines Ansehens, d. h. in Wahrheit ein Ausdruck für
das Ansehen des Paulus. Das ist für einen, der die Rolle des
Paulus agiert, ebensowenig auffallend, wie der befehlende, auto-
ritative Ton in ce. 3, den man oft bemerkt hat.
Offenbar kommen wir so, nur freilich auf einem völlig andern
Wege, zu der Meinung zurück, dass der Verfasser zu verstehen
giebt, man deute den ersten Brief falsch. Er sagt das nicht er;
sagt ja aber auch nicht — die Parallele ist zu beachten —, dass
der ‚Geist‘, dessen Aussprüchen man Gehör schenkte, nicht
wirklich Geist sei?. Aber wenn er erklärt, man solle sich nicht
1) So redet der Verf. 215: χρατεῖτε τὰς παραδόσεις ἃς ἐδιδάχϑητε εἴτε
διὰ λόγου εἶτε δι᾽ ἐπιστολῆς ἡμῶν. Diese Stelle stebt nach unserer Aus-
legung zu 22 im einfachsten und klarsten Verhältnis. Vgl. schon Kern
δ. 150.
2) Geistesautorität und Apostelautorität werden insofern etwas ver-
schieden vom Verf. beurteilt, als jene im vorliegenden Falle überhaupt
64 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
schrecken lassen durch das, was er gesagt oder geschrieben, so
ist damit stillschweigend zwar nur, jedoch völlig deutlich ausge-
sprochen, dass er das Gesagte und Geschriebene anders meine,
als man es verstand — um so mehr, als die authentische Beleh-
rung, aus der sich das rechte Verständnis der missdeuteten Worte
von selbst ergab, sogleich (V. sff) angeschlossen wird.
Bei Paulus selbst wäre für meine Empfindung die angenom-
mene Ausdrucksweise sonderbar. Er musste sich zu sehr iden-
tisch fühlen mit seinem früheren Schreiben, zu interessiert für
die Konstanz seiner Meinung, um so farblos objektiv, so bloss
negativ zu sagen, man solle sich auch nicht durch seinen Brief
oder einen Brief von ihm erschrecken lassen!. Passend klingt
es dagegen im Munde eines Pseudopaulus, der sich als Autor des
Thessalonicherbriefs wohl gerieren, aber nicht wirklich fühlen
konnte. Er hat einfach die Thatsache vor sich, dass man Geistes:
rede, aber auch paulinische Äusserungen für die falsche und ge-
fährliche Parole ins Feld führte. Dieser Thatsache entspricht
strikt und einfach seine Warnung; die apostolische Ausserung
ist ihm dabei etwas ebenso Objektives, ausser ihm Liegendes wie
die Prophetenrede. Vielleicht ist es noch klarer, wenn ich sage: es
scheint hier die Redeweise durch, die der Verfasser wählen würde,
wenn er ohne paulinische Maske den Autoritäten seiner Gegner
entgegentreten wollte: beruft euch doch nicht auf den Geist oder
auf den Apostel Paulus!
Das un τις ὑμᾶς ἐξαπατήσῃ 23 bereitet dieser Auslegung,
die von all den gequälten Versuchen, aus dem di’ ἐπιστολῆς δὲ
ἡμῶν besondere Thatsachen herzuleiten, mit einem Schlage be-
freit, keine Schwierigkeit. Auch ohne die Absicht zu fälschen,
konnte man damals zu verführen und zu täuschen scheinen, das
Trügerische liegt in der bekämpften Meinung selbst; jede Lehre,
die nicht „Wahrheit“ ist, ist ohne Weiteres Betrug und Verfüh-
rung. Vielleicht wird man uns aber entgegenhalten, dass oben 2
angenommen wurde, die Stelle 817 verliere ihre Pointe, wenn
Paulus 22 nur an ein Missverständnis seines Briefes denke. Allein
nicht anerkannt, diese zwar anerkannt, aber ihr richtiger Gebrauch ge-
leugnet wird. Zu der Warnung, man solle sich nicht erschrecken lassen,
steht beides jedoch im gleichen logischen Verhältnis.
1) Dazu käme wiederum das Bedenken, dass 317 rätselhaft würde.
2) S. 55.
Tendenz und Situation. 65
das gilt eben nur für den Fall, dass 317 der echte Paulus redet.
Bei einem falschen Paulus wird 317 völlig erklärt durch das
Motiv, dem eigenen untergeschobenen Briefe mit dem paulini-
schen Stempel Eingang zu schaffen; einer Absicht, vor Fälschungen
zu warnen, bedarf es nicht. Hier hat also 317 mit 22 überall
nichts zu thun.
Was bedeutet nun endlich die Erwähnung von λόγος neben
ἐπιστολήν
Mitten in der Darlegung i über den Antichrist @ s) finden wir
das Wort: Od μνημονεύετε, ὅτι ἔτι ὧν πρὸς ὑμᾶς ταῦτα ἔλε-
γον» ὑμῖν! Auf unserm Standpunkte kann das nur einen Sinn
haben: der Autor legitimiert auch damit, nur in einer besondern
Wendung, was er vorträgt, als paulinisch., Paulus hat das alles,
was er im 1. Thessalonicherbriefe nicht sagt, thatsächlich längst
gesagt, mündlich, bei seiner Anwesenheit in Thessalonich. Das
ist aber wohl nicht ganz so raffiniert erdacht, als es scheinen
könnte. Denn die Erinnerung an die Zeit in Thessalonich wird
durch den ersten Brief, der viel davon redet — nicht blos 34,
sondern auch 2ıff. 4ıf, 6. 11, 52 —, dem Verfasser unwillkürlich
zugeflossen sein. Hiernach wird man nun in dem διὰ λόγου 2:
zunächst einen ähnlichen Rückblick auf die Vergangenheit, die
Zeit des mündlichen Verkehrs, finden, wie er in dem ἔλεγον 25
enthalten ist. Dann wäre offenbar nur fingiert, dass Paulus
1) Wenn diese Stelle von Paulus geschrieben sein soll, so muss man
folgende Annahmen machen: 1. Paulus erinnert sich, als er I5ıff auf die
χρόνοι καὶ καιροί zu sprechen kommt, nicht an seine früheren Belehrungen
über den Antichrist. Davon war oben 8.45 die Rede. Aber 2. erinnert
sich ein Teil der Thessalonicher offenbar ebensowenig daran, und das ist
noch merkwürdiger. Ihr Wissen vom Antichrist bindert sie nicht, den
Gedanken, dass die Parusie schon vor der Thür stehe, zu fassen und (wenn
man voraussetzen darf, dass 21f auf den ersten Brief angespielt wird) die
Worte 1516" gegen des Paulus Absicht zu interpretieren. 3. Paulus hat
alles in Thessalonich bereits gelehrt, was er auseinandersetzt, begnügt
sich nun aber nicht damit, daran zu erinnern, sondern verkündet alles
noch einmal, wie wenn es zum ersten Mal geschähe. Hierbei ist vorausge-
setzt, dass das ταῦτα V.5 nicht auf den Inhalt von V.s und + eingeschränkt
zu werden braucht. (Die Auffassung ist freilich nur möglich, wenn νῦν V.6
Licht im Gegensatze zu ἔτι ὧν πρὸς ὑμᾶς steht. Darüber unten 3. 107 ἢ)
Zieht man das οἴϑατε V.6 hinzu, 80 muss auch noch angenommen werden,
dass die Leser zur Zeit, da Paulus schreibt, die mitgeteilte Lehre kennen.
(Vgl. 8.108 Anm. 1.)
Texte u. Untersuchungen. N.F. IX, 3. 5
66 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
mündliche Äusserungen gethan habe, die ebenso wie sein Brief
der überstürzten Zukunftserwartung Vorschub leisteten. Eben
darum aber, weil πνεῦμα und ἐπιστολή nicht blos fiktive Grössen
sind, liegt es nahe, noch eine andere Möglichkeit zu erwägen.
Sollte der Ausdruck an dieser Stelle daher rühren, dass man
in der Debatte über die eschatologische Frage nicht nur von
Briefen oder einem Briefe des Apostels redete, sondern auch
von seinen „Worten“? Es wären damit dann freilich nur brief-
liche Worte gemeint, Wort und Brief wären nur formell getrennt
sie bildeten eine Art von logischem Hendiadyoin!. Die Parallel-
stelle 2ı5 begünstigt aber diese Deutung nicht. Sie klingt, für
sich betrachtet, ganz anders; aber selbst die Annahme, dass die
hier (215) vorliegende Trennung von Wort und Brief nur eine
Nachwirkung des 22 gebrauchten Schemas sei, ist kaum haltbar,
sicher nicht beweisbar. Διὰ λόγου 22 wird also mit Beziehung
auf den mündlichen Verkehr des Paulus mit der Gemeinde ge-
schrieben sein. Für den wirklichen Anlass des Schriftstücks ist
dies Glied dann bedeutungslos: der λόγος des Paulus bezeichnet
neben dem πνεῦμα und neben der ἐπιστολή des Paulus keine greif-
bare Grösse. Hierin kann man vielleicht eine gewisse Schwierig-
keit dieser Auslegung finden. Aber mir ist keine Auffassung
des διὰ λόγου bekannt, die nicht grössere Schwierigkeit hätte.
Was darüber bemerkt ist, braucht nicht wiederholt zu werden.
Und unbegreiflich ist der Ausdruck doch selbst an dieser Stelle,
neben den beiden andern Stücken, keineswegs. Denn der Ver-
fasser hat sich, angeregt durch die Wendungen des ersten Briefes,
in dieser Hinsicht offenbar wirklich in die Situation des Paulus
hineinversetzt. Die Parallelen 25. ı5 36. ı0 beweisen es.
Ich glaube die Stelle 22 mit diesen Ausführungen erklärt
zu haben. Nur ein Punkt bedarf noch eines Wortes. Der Ver-
fasser hat — wer den Brief für unecht hält, muss das annehmen
— die Dinge, die er selbst erlebt hat, und die ihn zum Schreiben
veranlassten, in die Zeit des Paulus versetzt? Diese Annahme
könnte Bedenken erregen. Allein eine wirkliche Schwierigkeit
liegt nicht vor. Dem Paulus die Erwähnung der schwärmerischen
Stimmung in den Mund zu legen, war für den Autor sehr natür-
1) Verwandt wäre 814: εἰ δέ τις οὐχ ὑπαχούει τῷ λόγῳ ἡ μῶν διὰ
τῆς ἐπιστολῆς.
2, Oben S. 41.
Tendenz und Situation. 67
lich, sobald der Thessalonicherbrief des Apostels von seinen
Gegnern für ihre Position verwertet wurde, und er selbst als
Paulus in einem neuen Thessalonicherbriefe zu ihnen sprechen
wollte. Er hat mit dieser Zurückdatierung des in seiner Zeit
Geschehenen nichts Anderes gethan, als was Verfasser fiktiver
Schriftstücke immer wieder gethan haben. Er hat aber auch
nichts geschrieben, was seinen Lesern den Gedanken der Fälschung
oder ihm selbst die Besorgnis vor einer Entdeckung hätte nahe-
legen müssen. Dass Paulus von seinem Briefe sprach und von
der mit ihm begründeten Aufregung seiner Leser, konnte für die
nicht sonderbar klingen, die für ihre schwärmerische Meinung
sich eben auf den Paulusbrief beriefen, oder die von solcher Be-
rufung wussten. Und sollte man es anstössig finden, dass gerade
wie in der Gegenwart auch zu Paulus Zeit die Weissagung von
Propheten die Nähe des Herrntages angekündigt hatte? War
denn der „Geist“ nicht ganz natürlich auf dem Plane, wo es sich
um die Geheimnisse der Zukunft handelte?
Fassen wir zusammen. Es ergiebt sch für unsern Brief fol-
gende Situation.
Irgendwo hat sich die Meinung gebildet, der erwartete Tag
des Herrn sei nun wirklich herangekommen. Einzelne Persön-
lichkeiten bestürmen die Menge mit diesem Glauben, und sie
machen Eindruck. Bestürzung und Schrecken stellen sich ein.
Wie weit bestimmte Dinge den heraufziehenden Herrntag ver-
rieten, erfahren wir nicht. Jedenfalls spielten Prophezeiungen
und Offenbarungen eine wichtige Rolle. Vermutlich waren es
gerade die eigentlichen Träger der Bewegung, die weissagten,
sich auf Träume und Gesichte beriefen. Aber neben den Weis-
sagungen wird besonders Paulus ins Feld geführt. Denn was er
sagt, ist nicht das Wort eines Beliebigen, sondern massgebendes
Apostelwort. Es erscheint hier als ganz möglich, dass man sich
nicht auf Aussprüche aus einem Briefe beschränkte (1. Kor. 15sif,
729?)!. Aber auf einen Brief legte man besonders den Finger,
d. h. auf die Stelle 1. Thess. 5. Das kann durch zufällige Gründe
mitbedingt gewesen sein. Aber eine markantere und besser für
die nahe Parusie zu verwertende Stelle war ja in den Paulus-
briefen auch kaum zu finden.
1) Vgl. oben 8.60.
68 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Indessen fehlt es nun nicht an einer Gegenströmung. Einer
der Nüchterngebliebenen, der das Gefährliche und Verwirrende
der schwärmerischen Predigt besonders empfindet — einen Pau-
liner! ıhn zu nennen haben wir keinen Grund, da die paulinische
Maske noch keinen Pauliner macht — versucht die gegnerische
Position zu entkräften durch einen im Namen des Paulus ge-
schriebenen und mit der Autorität des Paulus wirkenden Brief.
Paulus wird darin gedeutet, oder vielmehr er muss sich selber
darin auslegen. Nichts zwingt uns jedoch zu glauben, dass der
Verfasser den Paulus diese Selbstinterpretation wider besseres
Wissen vornehmen liess. Auch ihm ist Paulus Autorität, und
wenn er so schreibt, wie er schreibt, so ist es, weil er der Än-
sicht ist, Paulus in dieser Streitfrage richtig zu verstehen und
seiner Meinung nachzuhelfen.
Dass ein solcher Brief ein Brief an eine bestimmte Gemeinde
wurde, ist durchaus verständlich. Man wird sich freilich nicht
auf den apokryphen dritten Korintherbrief oder auch auf den
Laodicenerbrief berufen, sie bilden in der That keine wirklich
passende Parallele. Wohl aber darf man auf die Beschaffenheit
der andern Paulusbriefe verweisen. Es gehörte nun doch einmal
zu der in die Augen fallenden Form der Paulusbriefe, dass sie
an bestimmte Gemeinden gerichtet waren. So war die Nach-
ahmung in dieser Hinsicht sehr natürlich. Weil es sich aber
speziell um die eschatologischen Aussagen des Thessalonicher-
briefes handelte, so wählte der Verfasser für sein Schriftstück die
Form eines Briefes nach Thessalonich: denselben Leuten gegen-
über, denen die missdeutete Stelle gegolten, und mit fast ausge-
sprochener Beziehung auf die Stelle selbst (21) gab Paulus nun
die authentische Erläuterung, durch die die Parusie hinausge-
schoben wurde.
Diese Erläuterung lässt uns freilich den Gedanken offen,
dass der χατέχων vielleicht sehr schnell beseitigt werden, der
Antichrist also sehr bald durch den erscheinenden Christus be-
siegt werden könne. Allein dies betonen hiesse dem Verfasser
mit Konsequenzen zusetzen, die gegen seine praktische Tendenz
sind. Dem Glauben an die baldige Parusie im unbestimmten
1) S. Kern S. 214, Hilgenfeld, Einleitung 5. 651, Schmiedel 8. 11
== 213.
Tendenz und Situation. 69
Sinne will er gar nicht entgegentreten, ihn teilt er selbst; er
hat es vielmehr mit dem Glauben an die sofortige Parusie zu
thun, den Anlass der gegenwärtigen Beunruhigung gilt es hin-
wegzuräumen. Wenn man ihm darin glaubt, dass Christus nicht
kommen könne, ehe der Antichrist dagewesen sei, und dass der
Antichrist einstweilen noch aufgehalten werde, so hat er alles
erreicht, was er für den Augenblick erreichen will; er hat Zeit
gewonnen, dem Fieber der Erwartung ist gesteuert. In dem Zeit-
alter, dem unser Brief unter allen Umständen angehört, wird man
überall, wo die Parusie hinausgeschoben wird, doch den Glauben
voraussetzen dürfen, dass sie nicht sehr fern sei. Belege bieten
die Evangelien und auch andere Schriften.
Daran wird sich, denke ich, niemand stossen !, dass schon in
relativ früher Zeit eine allzu feurige Zukunftserwartung Gegner-
schaft finden konnte. Bei Paulus selbst müsste man sich dann
jedenfalls zwiefach daran stossen. Man hat gewiss die Zukunfts-
perspektive schon früh verlängert, und wahrscheinlich gar nicht
ımmer blos aus Not, d. ἢ. weil die Parusie nicht kam’. Jeden-
falls wird die Schwärmerei, wenn sie akut wurde, zu allen
Zeiten ihre Gegner gefunden haben. Dass eine brennende Zu-
kunftserwartung andrerseits in nachpaulinischer, also verhältnis-
mässig doch wieder vorgerückter Zeit nicht befremden kann,
versteht sich so sehr von selbst, dass jedes weitere Wort darüber
unnötig ist.
Nach alledem kann man gewiss nicht behaupten, die Absicht
des Verfassers sei bei der Annahme späterer Abfassung unver-
ständlich, die Situation nicht in sich klar und denkbar. Aber
allerdings — sehr viel erfahren wir nicht, und namentlich ist uns
der geschichtliche Zusammenhang, in den die ermittelte Situation
gehört, nicht deutlich.
Ich meine damit nicht blos, dass wir sie nicht lokalisieren
können, und nicht wissen, wie weitallgemeiner verbreitete Gegensätze
in der eschatologischen Stimmung hier zur Erscheinung kommen °.
1) Bahnsen ὃ. 703 findet die Annahme freilich bedenklich.
9) Vgl. 2. B. Mr 1310,
3) Holtzmann u.a. Ο. 8, 1071 stellt den Brief in die Reihe der viel-
fach nachweisbaren Versuche, über das Ausbleiben der Parusie durch Ver-
schieben des Zeitpunktes zu trösten und so die ermattende Hoffnung zu
70 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Ich denke vor allem auch an die Rolle, die Paulus oder die Briefe
des Paulus in der Angelegenheit spielen.
Der Brief — und darin liegt ein Teil des geschichtlichen
Interesses, das das kleine Dokument beansprucht — führt uns in
einen Moment, in dem Paulus Autorität ist, das Ansehen seiner
Briefe aber einigermassen lästig wird. Darüber seien noch einige
Bemerkungen hinzugefügt.
Nicht mit Unrecht hat man gesagt, dass die dogmatische
Autorität „der Apostel“ in der ersten Zeit ihrer Entstehung einen
lediglich idealen, ungreifbaren und unkontrolierbaren Kanon be-
deutete!. Aber für Paulus ist das Urteil doch sehr einzuschränken.
Von den andern Aposteln hatte die Kirche keine schriftliche
Hinterlassenschaft — sie bildete sich erst nach und nach ---
Paulus dagegen lebte in seinen Briefen fort; wo immer er selbst
zu „den Aposteln“ gehörte, mussten auch seine Briefe eine auto-
ritative Geltung haben. Die Autorität, die Paulus hiess, konnte
daher doch nicht blos in dem vagen Begriff des Apostolischen
aufgehen; was vom historischen Paulus übrig war, musste mit-
bestimmend sein. Das wäre nun von geringem Belang, wenn
man bei der Allgemeinheit stehen bleiben müsste, dass Paulus
für die Zeit war, was seine Briefe sagten; denn seine Briefe
sagten alles Mögliche und eben darum nicht notwendig etwas
Bestimmtes. Allein wichtig ist, dass sich an und aus seinen
Briefen, nicht aus ihnen allein, aber doch auch nicht ohne sie,
bestimmte Begriffe oder Bilder von Paulus erzeugten, die als
solche geschichtlich wirksam wurden. Bei andern Grossen der
Dogmengeschichte ist das ja ebenso gegangen. Der Name Paulus
bedeutete eine bestimmte religiöse oder kirchliche Position, aber
er bedeutete hier eine andere als dort; es gab in Wahrheit ver-
schiedene Paulus, nämlich verschiedene, mehr oder minder ge-
treue und ausgeprägte Vorstellungen von ıhm. Ist die Einkleidung
kräftigen. Damit steht aber 21ı—8 nicht im Einklang (vgl. oben S. 41,
auch 8.472). Und Holtzmann selbst spricht doch 8. 102f auch von „apo-
kalyptischer Erregung“, d. h. er macht hier eine Voraussetzung, die sich
mit der obigen Ansicht nicht vereinen lässt. (Auch Lehrb. der Neutestam.
Theol. II 8.191 redet er von der 28 ff durchschimmernden Tendenz, der Predigt
von der Parusie den Charakter eines fortgesetzten Alarımrufes zu benehmen.)
1) B. Weiss, Einleitung in das N. T.? 5. 34, Jülicher 8. 286
= 3.4 S, 370.
Tendenz und Situation. 71
der Pastoralbriefe nicht zufällig, wie ich glaube, so ist der Paulus
dieser Briefe der Feind der Irrlehrer, der Patron der gesunden
Lehre und Kirchenordnung. Von diesem Paulus der Orthodoxie
unterscheiden wir deutlich den ganz anders gearteten Paulus des
Marcion, den Feind des Judentums, des Gesetzes, des Alten
Testaments. Nach unserm Briefe nun hätten wir gewissermassen
wieder einen ganz andern Paulus vor uns: Paulus wäre der Ver-
treter ungestümer eschatologischer Erwartung; in seinen Briefen
wäre das Wichtigste, was er vom Ende sagt. Oder bauschen
wir eine belanglose Sache auf? Berief man sich nur gelegentlich,
und weil es gerade im Momente bequem war, auf Paulus, ohne
dass eine ausgeprägte Meinung über ihn dahinterstand? Wo
unser Brief so geflissentlich den Paulus ins Feld führt, liegt die
Vermutung doch nahe, dass der Streit um die Autorität des
Paulus nicht blos zum Beiwerk gehörte. Die Voraussetzung einer
solchen Eruption der eschatologischen Erwartung, wie wir sie
hier finden, ıst, dass vorher schon die Gedanken stark in diese
Richtung gingen. Dann werden sie sich vermutlich auch an den
Paulusbriefen besonders genährt haben. Aber das ist freilich
auch alles, was wir ahnen können und höchstens ahnen. Dieser
„Paulinismus“ — wenn wir überhaupt so sagen dürfen — bleibt
für uns ein isoliertes Faktum. Ob er eine weiterreichende Be-
deutung gehabt hat und welche, wissen wir nicht.
Immerhin ist es von Interesse, hier zu sehen, dass die Ver-
breitung und das Ansehen der Paulusbriefe für die Kirche schon
sehr früh Schwierigkeiten erzeugt hat. Sie enthielten manches,
was, wenn es aufgegriffen wurde, umgedeutet oder mühsam hin-
weginterpretiert werden musste. Marcion wird sicherlich schon
bei Lebzeiten seine Gegner manchmal mit paulinischen Texten
in die Enge getrieben und ihnen künstliche Auslegungen abge-
zwungen haben. Ähnlich wird es bei eigentlichen Gnostikern
gewesen sein. Das Neue Testament selbst gönnt uns noch an
zwei Stellen kurze Blicke in diese für uns im Ganzen verschüttete
älteste Geschichte der Paulusbriefe, eine Geschichte, die freilich
bald genug mit der Geschichte der andern autoritativen Schriften
zusammenfliesst. Die Stellen dürfen hier gestreift werden.
Die eine hat es merkwürdigerweise auch mit der Eschato-
logie zu thun. Es ist die Stelle 2. Petr. 316. Wenn hier der
Verfasser seinen Gegnern — denn diese müssen die ἀμαϑεῖς und
72 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ἀστήριχτοι sein, nicht blos schwache und ungebildete Christen !
— den Vorwurf macht, dass sie gewisse Paulusworte verdrehen,
selber aber diese Worte „schwer verständlich“ (δυσνόητα) nennt,
so darf man ohne Weiteres den wahren Sinn dieses „schwer ver-
ständlich“ durch „unbequem“ verdeutlichen. Dass es sich aber
um eschatologische Stellen handelt, folgt doch wohl aus dem
Zusammenhange. Wenn V. ıs Paulus als Zeuge für den Gedanken
auftreten muss, dass sich die Verzögerung der Parusie durch
die Langmut des Herrn erklärt, die das Heil aller will (vgl. V.s),
so kann auch V. 16 wohl nur auf die eschatologische Frage gehen 3,
um deretwillen der ganze Brief geschrieben 808, Was nun kann
dem Verfasser dunkel, deutungsbedürftig in den paulinischen
Briefen scheinen, indem er die Zuversicht auf die Parusie stärken
und gegen radikalen Zweifel sichern will? Waren es vielleicht
gerade die Stellen, in denen Paulus selbst die Parusie zu erleben
hofft, Stellen, die dem Gedanken eines langmütigen Verschiebens
der Parusie ja freilich entgegen sind? Diese Frage ist nicht so
leicht zu entscheiden, hier kann sie offen bleiben.
Die zweite Stelle ist der Passus über die Rechtfertigung im
Jakobusbriefe 2ı4fl. Trotz der in mancher Hinsicht verführeri-
schen Hypothese Spittas®, wonach dieser Brief überhaupt nicht
christlichen, sondern jüdischen Ursprungs sein soll, halte ich
einstweilen daran fest, dass der Verfasser hier auf paulinische
Formeln und die paulinische Beweisführung zurückblickt. Aber
es scheint mir ein Missverständnis, wenn man meint, er wolle
Paulus bekämpfen. Dass er es zunächst jedenfalls nicht mit
Paulus zu thun hat, sondern mit Leuten, die mit paulinischen
Sätzen ihre sittliche Lauheit beschönigen, wird schon dadurch
wahrscheinlich, dass er 3ı3ff denselben Gedanken in andrer, nicht
an die Formeln des Paulus erinnernder Weise ausführt. Dass er
aber nebenbei an der ersten Stelle doch auch gegen Paulus Front
mache, braucht man darum noch nicht zu glauben, weil seine
Erklärungen sachlich gegen die Lehre des Paulus verstossen.
Dem Verfasser selbst konnten sie ebensowohl als Deutung und
Zurechtlegung missverständlicher und insofern freilich etwas
1) Vgl. V. 16: πρὸς τὴν ἰδίαν αὐτῶν ἀπώλειαν und namentlich V. 17.
2) Das gilt auch, wenn nicht ἐν οἷς, sondern ἐν «ic zu lesen ist.
3) S. Jülicher S. 148 — % #8. 183.
4) Spitta, Zuı Geschichte und Literatur des Urchristentums II.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 13
bedenklicher Sätze des Paulus erscheinen. Er behandelt sie —
ich denke namentlich an den sichtlich aus der Verlegenheit ge-
borenen Schriftbeweis 220ff — gar nicht anders, als wie man
das Alte Testament behandelte, wenn böswilliges Verständnis sich
schwieriger Stellen bemächtigte. Ist diese Auffassung möglich,
so ist sie auch wahrscheinlich. Denn für ein so spätes Schrift-
stück, wie der Jakobusbrief ist, falls er aus christlicher Feder
stammt, muss nicht bewiesen werden, dass Paulus Autorität ist,
sondern dass er es nicht ist. ÖObendrein scheint der Brief
anderswo die Paulusbriefe direkt zu benutzen. So darf er in
diesem Zusammenhange genannt werden. Wir hätten hier natür-
lich abermals einen besondern Paulus, den Paulus des Sola fide,
wenn auch nicht im Sinne Luthers.
II.
Soll der zweite Thessalonicherbrief als ein Pseudepigraphon
begriffen werden, so genügt es nicht, die Ursprungsverbältnisse
zu erörtern. Auch seine Form will noch näher beleuchtet sein.
Nur einen flüchtigen Blick werfen wir auf Ausdrucksweise
und Stil des Schriftstücks.
Die Sprache des Paulus kennen wir in jedem Falle nur sehr
unvollkommen. Deshalb kann man aus den sprachlichen Beson-
derheiten, die uns hier begegnen, an sich nichts Sicheres und
Unanfechtbares gewinnen. Andrerseits sollte man in der pauli-
nischen Art der Ausdrucksweise kein positives Merkmal der
Echtheit finden. Noch Jülicher! meint, man müsste den
Fälscher bewundern, der den paulinischen Stil so geschickt nach-
geahmt hätte.
Ich sehe das nicht ein. Sobald die Nachahmung zum guten
Teile Entlehnung aus dem ersten Briefe ist, hat man natürlich
das Entlehnte von vornherein in Abzug zu bringen, und dann
schrumpft das spezifisch Paulinische erheblich zusammen. Was
aber übrig bleibt, enthält genug Dinge, die den Eindruck der
paulinischen Färbung unsicher machen und geradezu durch-
1) Jülicher 5. 40 ΞΞ 3. 4 ἢ, 4τ,
14 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
kreuzen!. Ich zweifle, ob jemand in den beiden selbständigsten
Stücken des Briefes, 15-ı0 und 2ı-ı2, besser und sicherer pau-
linischen Stil wird nachweisen können als etwa im ersten Petrus-
briefe.
Ist daher aus andern Gründen mit der Unechtheit des Briefes
zu rechnen, so wird niemand umhin können, wenigstens einen
Teil der sprachlichen Eigentümlichkeiten daraus abzuleiten, dass
ein Anderer als Paulus hier redet.
Es ist dann gewiss nicht zufällig, dass der Verfasser mehr-
fach χύριος sagt, wo Paulus ϑεός zu sagen pflegt. Denn dass
Gott und nicht Christus mit χύρεος gemeint ist, ist zum wenig-
sten 316 äusserst wahrscheinlich, weil eben die Vorlage ] 525 von
Gott (ὁ ϑεὸς τῆς εἰρήνης) redet. Und von den Stellen 2ıs und
3s (vgl. 35) wird man ebenso denken, wenn man die Parallelen
114 (ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ ϑεοῦ) und 52 (πιστὸς ὁ χαλῶν)
vergleicht. Dass der Verfasser für Gott an diesen Stellen Christus
einsetze, ist auch nach dem Inhalt der Aussagen unwahrschein-
lich. Es war ihm also — ähnlich wie manchen heutigen
Christen — wirklich geläufiger, in manchen Wendungen „der
Herr“ zu sagen?. Im Ergebnisse wäre es übrigens ziemlich das-
selbe, wenn man die Folgerung vorzöge, dass der Verfasser Aus-
sagen, die Paulus von Gott macht, auf Christus zu übertragen
liebe 5,
Auch das zwiefache εὐχαριστεῖν ὀφείλομεν (13, 2ıs) statt
εὐχαριστοῦμεν (112, 218) wird schwerlich zufällig sein‘. Um-
1) Vgl. dabei auch Bornemanns Nachweise für eine stark alttesta-
mentliche Farbe der Sprache (8. 462ff).
2) So auch Spitta I S.128, Holtzmann a. ἃ. Ο. S.101f. Nach
Zahn I S. 182 „liegt es auf der Hand, dass ein Fälscher einen bei Paulus
und sonst so geläufigen Ausdruck wie ‚der Gott des Friedens‘ nicht durch
einen so unerhörten (!) wie ‚der Herr des Friedens‘ ersetzt haben würde“.
Was nicht alles auf der Hand liegt! Als ob bei dem Autor Bekanntschaft
mit unserer kritischen Wortwägerei vorauszusetzen wäre!
3) Vgl. Schmiedel 2S. 10.
4) Nach Zahn 1 5. 1τ ist es wenig glaublich, dass ein Fälscher „dem
Paulus zweimal den in den echten und unechten Briefen des P. sonst ὑπ’
erhörten (!) Satz in den Mund gelegt haben sollte: ‚wir sind verpflichtet,
allezeit Gott um euch zu danken‘“. Auch aus den geschachtelten Perioden
110—ı2, 28-9, die andern verdächtig schienen, weiss Zahn (S. 183) „Kenn-
zeichen der Echtheit“ zu schmieden. Zu der ganzen Periode 18 ---18 zuletzt
Holtzmann a.a.0. S. ySf.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 15
schreibungen mit ὀφείλομεν (ὀφείλετε etc.) sind im Barnabas-
briefe sehr häufig!. Vgl. 17, 21.10, 46, 618, 711, 188; 8. auch
1. Klem. 401. Angesichts solcher Parallelen wird man bei dem
εὐχαριστεῖν ὀφείλομεν von dem „Gefühl der Verpflichtung“, das
Paulus hier zu betonen Gründe haben soll, nicht zu viel Wesens
machen. Sollte dem Verfasser diese Wendung vielleicht gerade
als eine Formel der liturgischen Sprache besonders vertraut ge-
wesen sein? In der blossen Absicht zu „steigern“ kann ich keine
rechte Erklärung für die Wahl des Ausdrucks sehen. Mit εὐχα-
ριστεῖν (ὑπερευχαριστεῖν, εὐχαριστοῦντες αἰνεῖν) findet sich das
ὀφείλομεν auch 1. Klem. 384, Barn. 58, 7:1.
Ebenso lässt sich in dem Gebrauche von χλῆσις (111), das
doch wohl von einer noch bevorstehenden Berufung zu verstehen
und in diesem Sinne ohne Seitenstück bei Paulus ist, in dem
εἵλατο (2ıs) statt ἐξελέξατο und in einigen andern Ausdrücken
mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit eine Spur des Nicht-
Paulus sehen. Die Kritik ist in solchen Urteilen freilich vielfach
zu weit gegangen, wie sie denn die Bedeutung der sprachlichen
Argumente oft überschätzt hat.
Doch es ist nicht meine Absicht, bei diesen oftmals verhan-
delten Dingen zu verweilen. Es genügt festzustellen, dass die
Sprache des Briefes so viel Ähnlichkeit mit der uns bekannten
paulinischen Ausdrucksweise zeigt, aber auch so viel Abweichung
von ihr, wie es sich für einen Autor schickt, der sich eng an
eine paulinische Vorlage anschliesst und mehr als einen paulini-
schen Brief gekannt hat.
Nieht minder gut verträgt sich die ganze Stimmung des
Briefes mit der Annahme seiner Unechtheit, sie liefert ihr sogar
noch eine gewisse Stütze. Wie viel weniger frisch und unmittel-
bar, wie viel kühler, offizieller, unpersönlicher der Ton im Ver-
gleich mit dem ersten Briefe ist, das haben z. B. Spitta und
Bornemann sehr gut geschildert. Nun, diese Haltung passt
für einen Nachahmer.
1) Vgl. Rauch, Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1895, S. 458.
2: Spitta 8. 116ff, Bornemann S.465ff. Vgl. auch Zahn IS. 174.
Bornemann will den Charakter des Unpersönlichen, Neutralen u. a. daraus
erklären, dass Paulus aus Schonung und pädagogischer Weisheit alle Namen
und Personen aus dem Spiel lasse (8. 467f, 481). Das ist doch nur eine
gezwungene und sehr subjektive Zurechtlegung.
76 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Wir verstehen sie aber noch besser, wenn wir an eine frühere
Beobachtung! erinnern. Das Persönliche, Individuelle, Lebens-
warme des ersten Briefes, das, was ihn ohne Weiteres zu einem
originalen, unerfindbaren ? Schriftstück stempelt, liegt am meisten
in seinem 2. und 3. Kapitel (bis 8:10). Wir haben gesehen, dass
unser Verfasser diese Partie im Ganzen überschlägt. Natürlich
fielen damit auch alle die Stimmungsmomente aus, die in ihr liegen.
Abgeseben hiervon liegt ein merklicher Unterschied in dem
befehlenden Tone gewisser Sätze, den der erste Brief so nicht
kennt. Besonders ist hier die Stelle 368 zu erwähnen? „Wir
befehlen euch aber, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus
Christus, euch zurückzuziehen von jedem Bruder, der unordentlich
wandelt und nicht nach der Anweisung (παράδοσις), die sie von
uns empfangen haben“? (36). „Wenn aber einer meinem Briefes-
worte nicht gehorcht, den zeichnet euch an, um euch nicht mit
ihm einzulassen ....“ (314). Die Erklärung ist auch hier leicht
zu geben. Es wird hoffentlich jeder in der Ordnung finden, dass
der Pseudoapostel einen „apostolischen“ Ton anschlagen zu sollen
meint, der wirkliche Apostel nicht.
Über das eigentliche schriftstellerische Verfahren des Autors
sind gelegentlich schon einzelne Bemerkungen gemacht worden.
Wir müssen sie ergänzen, indem wir den ganzen Brief unter
diesem Gesichtspunkte durchgehen.
Die Adresse des ersten Briefes schrieb der Verfasser zu-
nächst wörtlich ab. Er verband dabei die Worte ἐν ϑεῷ πατρὶ
καὶ χυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ jedenfalls mit dem Vorhergehenden;
sonst hätte er nicht ἀπὸ ϑεοῦ πατρός xTi zu dem χάρις ὑμῖν
καὶ εἰρήνη hinzusetzen können. Ob er damit den Sinn des
Paulus getroffen hat, ist doch zweifelhaft. Trotz der auffälligen
1) Oben S. 34 f.
2) Noch immer übt das Urteil der Tübinger Schule über die paulini-
schen Briefe insofern eine gewisse Nachwirkung, als die Echtheit der „vier
Hauptbriefe“ um einen Grad sicherer zu erscheinen pflegt, als die des
1. Thessalonicher- oder des Philipperbriefs. Ich bezweifle die Echtheit des
Römerbriefes nicht, aber wenn ich Gradunterschiede machen sollte, so
würde mir ein Zweifel bei diesem Briefe noch immer verständlicher sein,
als bei den beiden andern.
3) Vgl. Spitta 5. 117, der auch auf 216, 34 u. a. Stellen verweist.
4) Παρελάβοσαν. Die LA παρελάβετε wird Korrektur sein.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 77
Wortstellung legt es die Analogie der übrigen paulinischen
Adressen, in denen χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη niemals ohne Zusatz
(ἀπὸ ϑεοῦ πατρὸς ἡμῶν κτλ) steht, nahe, die Worte ἐν ϑεῷ
κτλ mit χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη zu verbinden!. Wie dem auch
sei: sicher begreifen wir die befremdliche und etwas gedanken-
lose Hinzufügung der zweiten Formel ἀπὸ ϑεοῦ πατρὸς κτλ bei
einem Nachahnmer besonders gut. Er ergänzte das kahle χάρις
ὑμῖν καὶ εἰρήνη durch diese Formel, weil sie ihm aus den Ein-
gängen der andern Paulusbriefe im Ohre lag.
Den Eingang bildete der Autor — in freier Weise — dem
ersten Briefe nach. Aber nach der Erwähnung der διωγμοί und
ϑλίψεις (V.«) geht er in einer kleinen Abschweifung (V. 58}
seinen eigenen Weg und giebt eigener Empfindung Ausdruck.
Davon war bereits die Rede? V.ıı und 1» greifen dann wieder
bestimmter auf den Anfang zurück. Man kann sich den Gedanken-
gang wohl so vorstellen. Der eigentliche Exkurs ist beendet.
Nun weiss der Verfasser, dass er im Anfange wohl vom Danke,
aber nicht vom Bitten und Beten für die Leser gesprochen hat,
wovon der erste Brief auch redet. So, holt er das nach, indem
er freilich zugleich den letzten Gedankengang weiter führt. Mir
scheint, wenn an dieser Stelle der doch sehr eigentümliche Aus-
druck ἔργον πίστεως ὃ auftritt, der im ersten Briefe am Beginne
der Danksagung steht, so liegt darin eine Bestätigung.
Nach diesem Eingange, der selbst schon eschatologische
Momente enthält, folgt sofort der grosse eschatologische Passus.
Das ist sicher nicht zufällig, umsoweniger, als die entsprechende
Erörterung im ersten Briefe am Schlusse steht. Offenbar eilt der
Verfasser sogleich zu diesem Punkte, weil er hier zu sagen hat,
was ihm eigentlich auf dem Herzen liegt. Wir verstehen hier
also, weshalb an dieser Stelle der‘ sonst im Ganzen parallele
Gang der beiden Briefe durchbrochen wird.
Das eigentliche Anliegen des Verfassers ist mit 2ı-ı2 aus-
gesprochen. Nun greift er wieder zur Vorlage. Behält man im
1) Wenn die Herausgeber in 1. These. 11 vor χάρις in der Regel stark
interpungieren (8. auch oben S. 4), so werden sie durch die Analogie von
2. Thess. 11f bestimmt sein. Aber diese ist nicht massgebend (such gegen
Bornemann z. 1. These. 11).
2) Oben 8.17, 53.
3) Vgl. dasu noch Kern 8. 212.
78 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Auge, dass er mit dem geschichtlich persönlichen Inhalt von
21ı— 310 nicht viel anfangen konnte und ihn deshalb übergeht,
so wird es nicht schwer sein, den Fortgang des Briefes zu ver-
stehen.
Sein Blick blieb nach der apokalyptischen Mitteilung zu-
nächst haften an der Wiederaufnahme der Danksagung I2ıs, wie
besonders durch das schiefe ἡμεῖς ἴ, aber wohl auch durch die
Verwandtschaft von 31:14 mit 1219 wahrscheinlich wird. Dabei
kehrte sein Auge zugleich zur Danksagung des 1. Kapitels zu-
rück, das zeigt das ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ xvplov und das
ὅτι εἵλατο ὑμᾶς ὁ ϑεός (vgl. 114. Nun eilt er über das Per-
sönliche von e. 2 und 3 hinweg — das στήχετε in 215 scheint
ihm dabei aus 138 im Sinne geblieben zu sein —, I3ıff aber
begegnet ihm ein allgemeiner Wunsch, den er passend verwerten
kann (2ısf).
Wenn dann, eingeleitet durch τὸ λοιπόν (I4ı: λοιπόν), die
Bitte um die Fürbitte der Leser folgt, so klingt das schon an
und für sich wie eine Schlusswendung. Dieser Eindruck wird
dadurch verstärkt, dass das προσεύχεσϑε, ἀδελφοί, περὶ ἡμῶν
aus dem Schlusse des ersten Briefes genommen zu sein scheint,
und dass auch das πιστὸς δέ ἐστιν ὁ κύριος (38) auf ihn hin-
deutet (152). Es kommt aber weiter hinzu, dass der Gedanken-
gang in 31-5, oder eigentlich schon von 2ı3 an eigentümlich ur-
ruhig und schwankend wird. Fast in jedem Satze ein neuer
Ansatz: 2ıs.1ı eine Danksagung, 215 eine Mahnung, 2ısf ein
Gebetswunsch, 3ı eine Aufforderung zur Fürbitte für das Evan-
gelium und den Apostel, 33 abrupt hinzugefügt ein Ausdruck der
Zuversicht auf Gott, 34 ein anderer Ausdruck des Vertrauens,
auf das Verhalten der Leser gehend, 35 wieder ein Gebetswunsch.
Dieser letzte Satz ist geradezu eine Art Dublette zu 2ısf, und
die Vorlage dieser Stelle (181) wird hier abermals verwertet,
wobei das χατευϑύναε freilich seine Beziehung auf die Reiseab-
sicht des Paulus (1: χατευϑύναι τὴν ὁδὸν ἡμῶν πρὸς ὑμᾶς)
verlieren und farblos werden muss (χατευϑύναι ἡμῶν τὰς καρ-
δίας ...). Es ist doch schwerlich blos subjektive Empfindung,
wenn ich meine, dass der Verfasser in dieser Partie nicht mehr
recht vom Flecke zu kommen weiss, und dass die reichliche
1) Oben 8. 20f.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 19
Anlehnung an das Vorbild nicht ohne Zusammenhang ist mit dem
Versiegen des Gedankenflusses. Nach dem allen werden wir an-
nehmen, dass er wirklich mit 3: (bezw. 216) ursprünglich schon
zum Schlusse kommen wollte!. Es ist das ein Beweis dafür,
dass er nach der Beendigung der eschatologischen Erörterung
sich bewusst war, die eigentliche Absicht, die ihn zur Feder
greifen liess, ausgeführt zu haben.
Abgesehen von der Andeutung, dass bei den Lesern das
Wort Gottes im Schwange ist (καϑὼς xal πρὸς ὑμᾶς), die sich
gut aus der kurz zuvor benutzten Stelle I2ıs erklären würde,
wonach die Thessalonicher das Gotteswort richtig aufgenommen
haben, hat der Inhalt der erbetenen Fürbitte 31.2 in der Vorlage
keinen Anhalt. Das ist bemerkenswert wegen der zweiten Hälfte:
ἵνα ῥυσθῶμεν ἀπὸ τῶν ἀτόπων καὶ πονηρῶν ἀνϑρώπων. Dies
klingt zunächst wie ein Hinweis auf bestimmte Personen und
Vorgänge, und scheint, gerade weil der erste Brief keine rechte
Erklärung liefert, bei einem Pseudopaulus befremdlich, um so
passender für den Apostel, der wenigstens mit dieser Bemerkung
etwas über seine gegenwärtige Lage in Korinth andeuten würde.
Gern hat man hier deshalb eine Anspielung auf das Act. 1812
Berichtete gefunden.
Der Ausdruck ist jedoch weniger eigentümlich, als er scheint,
der Verfasser verwendet eine biblische Redensart. Jes. 254 LXX
heisst es: ἀπὸ πονηρῶν ἀνϑρώπων ῥύσῃ αὐτούς". Wird so
die Form der Stelle verständlich, so geht der Gedanke, wie es
scheint, aus einer recht einfachen Erwägung hervor: der Ver-
fasser hat vor Augen, dass Paulus als Evangelist und Apostel
einer Welt gegenüberstand, die grösstenteils seiner Predigt nicht
glaubte, ja die ihn ihre Feindschaft fühlen liess. Die Begrün-
dung οὐ γὰρ πάντων ἡ πίστις führt auf diesen allgemeinen
Sinn. Nehmen wir hinzu, dass der Autor selbst zweimal sich
scharf gegen solche ἄτοποι und πονηροὶ ἄνϑρωποι, die Bedränger
der Gläubigen und Verächter der Wahrheit, geäussert hat (1sff,
2ı0ff), so wird man keinen Anstoss daran nehmen, dass er den
Apostel neben dem „Laufen des Worts“ gerade dies als Inhalt
der Fürbitte angeben lässt, zu der er auffordert. Irgend eine
1) 8. auch z. B. von Hofmann, Holtzmann, Einleitung 5 8. 212f.
2) Bornemann hat dies bemerkt (9. 388, 533). Vgl. zum Ausdruck
auch Röm. 1551, Did. δ.
80 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Notwendigkeit, an bestimmte Menschen und bestimmte Vorkomm-
nisse zu denken, liegt nicht vor. Im ersten Briefe steht das
προσεύχεσϑε, ἀδελφοί, περὶ ἡμῶν ohne jede nähere Angabe.
Den Gedanken, schon zu schliessen, hat der Verfasser auf-
gegeben, 3s-ı5 lässt er noch eine Mahnrede folgen, deren Ein-
heitlichkeit, Fluss und Lebhaftigkeit merklich absticht vom Vor-
hergehenden. Vielleicht erschien ihm sein bisheriges Schreiben
allzu kurz. Vor allem aber werden wir annehmen, dass ihm die
Worte des ersten Briefes über das Stillesein und Arbeiten nach-
träglich noch ins Auge fielen und als besonders wichtig und
passend für sein Publikum erschienen.
Erklärlicher Weise erinnerte er sich bei der Behandlung
dieses Nachtragsthemas, dass Paulus noch an einer zweiten Stelle
von der Arbeit geredet hatte (129). Diese Äusserung war ihm
willkommen, weil sie eine Stütze für seine Mahnung lieferte.
Freilich muss er, obwohl er die Worte zum guten Teil einfach
abschreiben kann, den paulinischen Gedanken in diesem Zusam-
menhange modifizieren. Denn daran hat Paulus nicht gedacht,
mit seiner Handarbeit den Thessalonichern geflissentlich ein Vor-
bild der Arbeitsamkeit zu geben!. Die Kritik hat an dieser
Bemerkung des zweiten Briefes oft genug Anstoss genommen’.
Wir dürfen hier feststellen, dass sie richtig gesehen hat, ohne
uns weiter auf die Frage einzulassen, ob Paulus selbst sein Ar-
beiten gelegentlich auch einmal unter diesem Gesichtspunkte be-
trachten konnte.
Der Erwähnung wert ist, dass von einer Vorschrift des
früheren Briefes über die Arbeit gar nicht die Rede ist. Soweit
die paulinische παράδοσις berührt wird, wird nur an das persön-
liche Beispiel des Apostels (V.7-s) und an seine mündlich ge-
gebene Anweisung (V.ıo) erinnert, d. ἢ. an die beiden Punkte,
die der erste Brief direkt an die Hand gab. Den Satz über
die ἐπιστολή V.ıa könnte man zwar auf diesen Brief zu beziehen
versucht sein’, da ihm die 1411 nachgebildete Vorschrift unmittel-
1) Vgl. 39: ἵνα ἑαυτοὺς τύπον δῶμεν ὑμῖν... Die vorhergehenden
Worte: οὐχ ὅτι οὐκ ἔχομεν ἐξουσίαν erinnern an paulinische Ausführungen
wie 1. Kor. 94ff.
2: Vgl. z. B. Hilgenfeld, Einleitung S. 64.
3) So z. B. Zahn I S.165 und bes. 173. Sein Bedenken, dass die Er-
Form und schriftstellerisches Verfahren. 81
bar (V. 12) vorangeht. Allein diese Vorschrift tritt als jetzige,
nicht als frühere Forderung auf — von der früheren Forderung
als solcher ist eben gar keine Rede, und dann liegt es viel
näher, διὰ τῆς ἐπιστολῆς vom zweiten Briefe zu verstehen. Der
Gehorsam, von dem V. ıs redet, gilt naturgemäss dem eben aus-
gesprochenen Befehle (παραγγέλλομεν V.ı2). Auch V. ıı (ἀχού-
ouev γάρ τινας περιπατοῦντας ἐν ὑμῖν ἀτάχτως) liest sich
nicht, als wenn bereits vorher, wie nach [41:} anzunehmen wäre,
Kunde über den unordentlichen Wandel von Christen an den
Apostel gelangt wäre. Der Verfasser schreibt also hier einfach
als Nachahmer, gewissermassen vom Standpunkte des ersten
Briefes aus, nicht im Rückblick auf den ersten Brief. Er hätte
auch dies thun, also auf die schon gegebene Vorschrift verweisen
können, wie 215 lehrt. Weniger leicht konnte Paulus igno-
rieren, dass er schon einmal brieflich zur Arbeitsamkeit ge-
mahnt hatte.
Über den ersten Brief geht hinaus, dass die Anweisung sich
nicht blos auf die Müssiggänger selbst (V. 19), sondern auf das
Verhalten der Andern zu ihnen (Υ. 6, ısff) bezieht.
Nach dem Abschlusse dieser Ausführung kommt der Brief-
steller (316) auf den Schluss der Vorlage (523) zurück. Die
Mahnungen, die diesem Schlusse vorangehen, bleiben unberück-
sichtigt. Doch sieht man leicht, dass der Anfang dieses Passus
(9 13 (?), 4) bereits auf die Erörterung über das Arbeiten (315)
eingewirkt hat. Der Übergang von 1411} auf 514 und dann auf
523 zeigt auch hier, wie des Verfassers Auge dem Texte nach-
gegangen ist. Und wenn der schroffe Ton von 314 recht auf-
fällig von dem milden in 8:6 (xal un ὡς ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑε xTA)
abgelöst wird, so ist dieser Wechsel, der fast einem Widerspruche
gleichkommt, am besten damit erklärt, dass der Verfasser durch
die Vorlage (15ıs vgl. ıs) veranlasst wurde, den eigenen Gedanken
zu modifizieren ΄.
Möglicherweise ist in diesem Zusammenhange auch der be-
sondere Hinweis auf seinen Brief (V. ı4) durch 1597 hervorgerufen.
Beide Stellen treffen darin zusammen, dass sie ernste Beachtung
wähnung des 2. Briefes ἐάν c. conj. im Bedingungssatze erforden würde,
schlägt nicht durch.
1) Vgl. Holtzmann in Schenkels Bibellexikon V 8. 508, auch ZNTW
1901, 8. 102.
Tezte u. Untersuchungen. N. F. IX, 2. 6
82 Wrede, Die Echtheit des zweiten 'Thessalonicherbriefs.
des geschriebenen Briefes verlangen. Dabei wird man das τῷ
λόγῳ ἡμῶν διὰ τῆς ἐπιστολῆς (8.4) für den Pseudopaulus
sehr natürlich finden. Er hebt den Brief gerade darum hervor,
weil er selbst weiss, wie es mit der für ihn beanspruchten Auto-
rität steht. Bei Paulus wäre der Zusatz διὰ τῆς ἐπιστολῆς, vom
zweiten Briefe verstanden, m. E. unmotiviert und überflässig'.
Etwas ganz Anderes ist die Erwähnung der ἐπιστολή I5ar, da es
sich hier um die Vorlesung des Briefes handelt.
Der Schlusswunsch 816 ist kürzer als 1528. Das ἐν παντὶ
τρόπῳ könnte eine Zusammenfassung der reichen Bestimmungen
dieser Stelle sein.
Anhangsweise sei hier noch ein Punkt gestreift, auf den
kürzlich eine tüchtige Abhandlung von K. Dick? besonders die
Aufmerksamkeit gelenkt hat. Es ist bekannt, dass Paulus im
ersten Thessalonicherbriefe, wenn er von sich redet, immer die
1. Person Pluralis gebraucht, mit Ausnahme der Stellen 2ıs, 35,
527. Die Deutung dieser Beobachtung kümmert uns hier nicht.
Wir fragen nur, wie sich der zweite Brief hierzu verhält. Er
gebraucht ebenfalls immer die 1. Person Pluralis, nur an den
beiden Stellen 25 und 3ı7 tritt der Singular ein. Die zweite
scheidet dabei von selbst aus der Betrachtung aus, da sie nur
den Singular verträgt. Es könnte nun auffällig scheinen, dass
der Verfasser dieselbe Vorliebe für den schriftstellerischen Plural
oder — nach der andern Auffassung der fraglichen Erscheinung
— für die fortwährende Berücksichtigung der „Mitbriefsteller“
(Silvanus und Timotheus) zeigt, wie Paulus im echten Briefe. Es
kann doch weder ein besonderes Interesse an diesen Helfern des
Paulus noch die gleiche stilistische Neigung bei ihm vorausgesetzt
werden; andrerseits ist es künstlich, eine absichtliche Nachbildung
in einer solchen Kleinigkeit einem Autor zuzuschieben, der wohl
kaum Augen hatte, sie zu sehen, und der den Worten des Paulus
gegenüber viel Freibeit beweist. Allein die Anlehnung an das
Vorbild braucht ja nicht bewusst gewesen zu sein. Der Gedanke
einer unwillkürlichen Nachahmung aber lässt sich gut durch-
führen. Ein Vergleich lehrt, dass das „wir“ an allen Haupt-
stellen durch den ersten Brief wirklich gegeben war. Dass der
1) Das hat offenbar auch Zahn I S. 173 empfunden.
2) Dick, Der schriftstellerische Plural bei Paulus (1900), vgl. bee.
5. 731.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 83
Plural dann auch dort beibehalten wurde, wo eine direkte Paral-
lele nicht vorlag, ist nur natürlich. Die Ausnahme 25 könnte
am ehesten damit erklärt werden, dass in diesem Abschnitte die
Vorlage nicht wirksam war. Doch beweisen lässt sich hier nichts.
Sicher wird der Verfasser nicht, wie Dick für den Fall der Un-
echtheit des Briefes annimmt, daran gedacht haben, den Wechsel
des Numerus im ersten Briefe nachzumachen.
Die vorstehenden Bemerkungen zeigen, dass die Annahme
der Unechtheit des Briefes kein schlechter Schlüssel für das Ver-
ständnis der Komposition im Ganzen und mancher Einzelheiten
ist. Es entsteht hier nun aber die Frage, in welchem Sinne der .
Verfasser seiner Vorlage nachgegangen ist. Hat er in naiver und
unwillkürlicher, halb bequemer Anlehnung sich den Rahmen für
das, was er eigentlich zur Geltung bringen will, geschaffen, oder
hat er ein Bewusstsein davon gehabt, dass Ahnlichkeit mit der
Vorlage seinen Brief empfehlen würde?
Dass eine gewisse Absicht im Spiele war, möchte man doch
vermuten, wenn er am Schlusse seinen Brief durch eine beson-
dere Erklärung vor misstrauischer Aufnahme zu schützen sucht.
Weit entfernt, wie ein Heutiger sich vor der Anlehnung zu
fürchten, dürfte er sich durch sie eher gesichert gefühlt haben.
Aber im Einzelnen kann man sich die ganze Benutzung des
Paulusbriefs freilich nicht als das Ergebnis der Reflexion und
bewussten Mache vorstellen. Die Anlehnung müsste dann an
manchem Punkte sklavischer sein. .
Ich meine in der Analyse des Briefes gegen diese Auffassung
nicht verstossen und dem Verfasser ein künstliches Verfahren
zugeschrieben zu haben. In einer andern Hinsicht liesse sich
jedoch noch ein Einwand gegen die Denkbarkeit des ganzen
schriftstellerischen Verfahrens erheben, das wir voraussetzen.
Schon Grimm hat ihn ausgesprochen !. Er hält Baur entgegen,
um im zweiten Briefe Kopien aus dem ersten nachzuweisen, sei
er genötigt, zu jeder betreffenden Stelle mehrere vermeintliche
oder wirkliche Parallelen aus dem ersten Briefe zur Ver-
gleichung beizuziehen. Damit werde aber dem Pseudopaulus
eine wunderliche Art von Schriftstellerei zugeschrieben, — er
1) Grimm, Studien und Kritiken 1850 8. 801.
84 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
hätte, um einen Satz zu bilden, erst in zwei, drei Stellen der
Vorlage sich umgeschaut und daraus Worte und Gedanken zu-
sammengelesen.
Dieser Einwand ist insofern nicht der schlechteste, als er
darauf dringt, das schriftstellerische Verfahren des Nachahmers
konkret vorzustellen. Jedoch ist ihm schon die Spitze abge-
brochen, wenn die früher! ausgesprochene Beobachtung, dass
meist gerade eine Mehrheit von Anklängen einen einzelnen
Passus des einen mit einem solchen des andern Briefes verbindet,
wirklich richtig ist. Stehen aber umgekehrt einer Stelle des
späteren Briefes thatsächlich manchmal Parallelen aus mehreren
auseinanderliegenden Stellen des andern zur Seite, so ist das auch
noch keineswegs eine unverständliche Erscheinung. Einige Bei-
spiele haben das schon gezeigt. Es war nichts Irrationales darin,
dass 2ı3 neben [218 auch 114 anklingt, und dass 38 mitten in
einem Passus, der vor allem an l4ııf erinnert, auch eine beson-
ders deutliche Anlehnung an 129 begegnet. Andere derartige
Fälle werden sich ähnlich erklären. Ganz natürlich setzten sich
einzelne Wendungen durch Lesen des aufgeschlagenen Briefes so
im Gedächtnis fest, dass sie sich von selbst auch da eindrängten,
wo andere Stellen hauptsächlich massgebend sind. Andrerseits
überflog jemand, der während des Schreibens eine Vorlage
benutzte, leicht auch grössere Partien und kombinierte so, was
nicht zusammenstand. Niemand kann in solchen Fällen pünkt-
lich alles nachrechnen; niemand aber auch verlangen, dass man
es könne,
Aus der Gebundenheit an die Vorlage entstehen in abhängi-
gen Schriftstücken oft, wenn auch durchaus nicht immer, Un-
ebenheiten und Unklarheiten des Textes. In unserer Untersuchung
sind wir schon auf ein paar derartige Fälle gestossen. In der
Adresse erklärte sich uns so die sonderbare Hinzufügung des
ἀπὸ ϑεοῦ πατρὸς ἡμῶν κτλ, in der Stelle 2ıs das nicht sinn-
gemässe ἡμεῖς (δέ). auch an das eigentümliche Verhältnis von
315 Zu 314 wäre zu erinnern, Weitere Anstösse in der Art hat
man mehrfach gefunden. In zwei Fällen ist mir das Urteil der
Kritiker wahrscheinlich.
1: S. 158.
2) Oben 8. 81.
Form und schriftstellerisches Verfahren. 8
Die Wendung πλεονάζει ἡ ἀγάπη ἑνὸς ἑκάστου πάντων
ὑμῶν εἰς ἀλλήλους 158 ist insofern inkorrekt, als εἰς ἀλλήλους
auf einen Singular bezogen wird. Auch wäre nach ἑνὸς ἑχάστου
eher ὑμῶν als πάντων ὑμῶν zu erwarten. Πάντων kann nun
leicht aus [15 stammen. Die Verbindung des Singulars mit εἰς
ἀλλήλους aber würde sich leicht erklären aus einem Einfluss der
Stelle I3ı2: ὑμᾶς ὁ κύριος πλεονάσαι (hier transitiv)... . τῇ
ἀγάπῃ εἰς ἀλλήλους". Wirklich evident ist die Sache nicht.
lm zweiten Falle handelt es sich um die unmittelbar folgen-
den Worte ὥστε αὐτοὺς ἡμᾶς ἐν ὑμῖν ἐγκαυχᾶσϑαι (1a). Das
αὐτοὺς ἡμᾶς setzt hier unverkennbar einen Gegensatz voraus.
Die Ausleger erkennen das grossenteils an, sind aber in Verlegen-
heit, da aus dem Zusammenhange ein schlagender Gegensatz
nicht zu entnehmen ist. Eine Verlegenheitserklärung ist es doch
auch, wenn man den Gegensatz in dem Objekte des Rühmens
findet: die Schreiber rühmen nicht blos die Thessalonicher, sondern
sich selbst um ihretwillen?. Möglich wäre es wohl, das αὐτοὺς
ἡμᾶς einfach als Ausdruck apostolischer Würde zu betrachten
und den verschwiegenen Gedanken anzunehmen: wenn wir uns
jemandes rühmen, so besagt das mehr, als wenn es Andere thun.
Aber näher liegt es noch, in den Worten eine Beziehung auf
Ii-f zu finden, auf die Andern, die dort den Ruhm der Thessa-
lonicher verkünden. Auch so scheint αὐτοὺς ἡμᾶς freilich mit
besonderem Hochgefühl gesagt zu sein’,
Wiefern andere Einzelheiten, die an sich ohne Schwierigkeit
sind. doch durch den Vergleich mit dem ersten Briefe ein be-
sonderes Licht empfangen !, soll hier nicht untersucht werden.
1) Ähnlich Schmiedel 2. St., der jedoch ebenso wie Holtzmanı,
ZNTW 1901, 8. 100, auch das ἑνὸς &xdorov noch aus [211 ableiten möchte.
2) So Bornemann (nach A. Buttmann, Laurent).
31 5. Hilgenfeld, Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1862 (V) S. 243,
ferner Schmiedel z. St. und 8.9 = 211, Holtzmann a.a.0. Vgl.auch
l1sb,9 den Gegensatz: ἡμᾶς — αὐτοί.
4‘ 2. B. etwa das ὑπεραυξάνει ἡ πίστις ὑμῶν 18. Vgl. Holtz-
mann ἃ. 4.0 8. 990.
86 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
IV.
Stammt der zweite Thessalonicherbrief nicht von Paulus, so
ist er eine Fälschung.
Die Mahnung der Kritiker, pseudonyme Schriftstellerei der
urchristlichen Zeit nicht nach den sittlichen Begriffen von heute
zu beurteilen, ist sehr berechtigt. Nicht selten klingt sie aber
so, als ob damals der Begriff der literarischen Fälschung über-
haupt nicht existiert habe. Das kann man doch auch nicht
glauben.
Wer sich nun freilich bemüht, „harmlose Pseudonymität“
und „Fälschung“ begrifflich klar zu scheiden, wird finden, dass
die Grenze nicht ganz leicht zu ziehen ist. Keinesfalls kann hier
beiläufig der Versuch dazu gemacht werden. Ich behaupte nur:
wenn man überhaupt von Fälschung reden darf, so lässt sich in
unserm Falle dieser Titel nicht umgehen, wie denn auch schon
Baur und Weizsäcker ihn gebraucht haben.
Man wird dabei zuerst daran denken, dass der Autor die
Fiktion geflissentlich durchgeführt hat bis zur feierlichen Bekräf-
tigung der Authentie des Briefes (317). Wesentlicher ist vielleicht
noch, dass das Schriftstück zu einem ganz konkreten Zwecke,
um bestimmte Gegner in einer bestimmten Frage ins Unrecht zu
setzen, geschrieben worden ist. Dadurch tritt die Durchführung
der Fiktion erst voll ins Licht, Ein solches Schriftstück wäre
ohne die Absicht zu täuschen gar nicht mehr es selbst, und diese
Absicht ist nicht zu trennen von einem Bewusstsein um die Un-
wahrheit der Angaben.
Eben weil es sich aber um einen solchen konkreten Zweck
handelt, genügt es nicht, hier die Sitte, „im Namen eines Grösse-
ren zu schreiben“, zur Erklärung anzuführen !. Diese Sitte kann
der schriftstellerischen Absicht des Verfassers entgegengekommen
sein, aber sie kann nicht das Entscheidende sein. Es ist ja auch
nicht „ein“ Grösserer, unter dessen Namen eine beliebige allge-
meine Belehrung oder Mahnung ausgienge, es ist vielmehr der
ganz bestimmte Paulus, dessen Meinung in Frage steht.
1) So Schmiedel 8. 10 — 212.
Der Brief eine Fälschung. 87
Moralisch ist nun gleichwohl mit dem Titel Fälschung wenig
genug gesagt. Was des Falsarius Handlungsweise für ihn selbst
sittlich bedeutete, können wir im Grunde gar nicht wissen, da
wir ihn nicht kennen. Auf jeden Fall werden wir ihn aber doch
anders beurteilen, als einen Christen, der in unsern Tagen Ana-
luges thäte. Denn dass man damals für eine Verletzung der
Wahrheit, sobald es sich um einen frommen Zweck han-
delte, weniger und weit weniger empfindlich war als heute,
kann kaum geleugnet werden. Und unser Verfasser verfolgte in
seinem Sinn in der That einen frommen Zweck; er stellte einer
bedenklichen Meinung die „Wahrheit“ gegenüber im Sinne der
richtigen Lehre; überdies werden wir ihm anrechnen, dass er
die wirkliche Meinung des Paulus zu vertreten meint, von einem
Frevel gegen Paulus also nichts ahnte.
Aber auch wenn die Unwahrheit, die er sich erlaubte, in der
beliebten übertreibenden und aufbauschenden Weise zu beurteilen
wäre, so wäre damit gegen die Wahrscheinlichkeit der Annahme
selbst nichts bewiesen. Denn ob einem Manne, der für uns ein
X ist, zuzutrauen ist, dass er eine Fälschung beging oder nicht,
kann niemand sagen. Wird gleichwohl von den Verteidigern der
Echtheit des Briefes gelegentlich so gesprochen, als ob man die
Gegner nur zu der Konsequenz zu drängen brauchte, er sei eine
dreiste Fälschung, um sie ins Unrecht zu setzen, so kommt das
nur daher, dass man die neutestamentlichen Schriften mit anderm
Masse misst als andere Produkte der altkirchlichen Literatur.
Warum hat z. B. niemand die Selbstaussage des Petrusevange-
liums als Beweis seiner Echtheit geltend gemacht, als das Frag-
ment ans Licht trat? Einige Gründe hätten sich da wohl auch
finden lassen. Eine wirkliche Schwierigkeit läge in unserm Falle
nur dann vor, wenn ein glaubhaftes Motiv der Erdichtung fehlte.
So steht es aber nicht, wie wir gesehen haben.
Es muss hier das Schlusswort 317 noch näher berührt werden.
Es enthält nichts, was unserer Auffassung widerspräche, es be-
günstigt sie nur.
Die Kritik hat gefragt, wie Paulus dazu komme, in einem
so frühen Briefe zu versichern, dass der eigenhändige Gruss in
jedem Briefe das „Zeichen“ sei, wie er als den Zweck dieser
eigenhändigen Schlussbemerkungen die Beglaubigung der Echt-
heit hinstellen könne, wo doch namentlich 1. Kor. 168: einen
88 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbrieß.
solchen Sinn durchaus nicht habe, ferner wie es komme, dass
mehrere der vorhandenen (späteren) Paulusbriefe (2. Kor., Röm.,
Pbil.) von einem eigenhändigen Grusse nichts sagen. Diese Fragen
sollen hier nicht von Neuem verfolgt werden. Dass der Vers 317,
als Bemerkung des Paulus verstanden, immerhin recht Auffallendes
voraussetzt, sollte niemand leugnen!. Andrerseits liesse sich
allenfalls sagen, der Eindruck verdächtiger Absichtlichkeit könne
bei einer solchen Bemerkung irre leiten. I5»7 heisst es: 2vog-
χίξζω ὑμᾶς τὸν χύριον ἀναγνωσϑῆναι τὴν ἐπιστολὴν πᾶσιν
τοῖς ἀδελφοῖς. Ständen diese Worte im zweiten Briefe, so
würde man sie vermutlich auch verdächtig finden ?.
Indessen für uns liegt die Sache dadurch ganz anders, dass
wir 23 nicht als Anspielung auf einen wirklich oder vermeintlich
untergeschobenen Brief deuten. Unter solcher Voraussetzung —
und diese Voraussetzung ist notwendig — wird das ὃ ἐστιν ση-
μεῖον ἐν πάσῃ ἐπιστολῇ als Versicherung des Paulus sofort
rätselhaft, weil durchaus kein Zweck und Anlass zu finden ist,
und damit wird es denn in der That „zum Verräter“,
Nun sollen freilich gerade diese Worte für einen Fälscher
nicht passen. Denn die vorhandenen Paulusbriefe hätten eben
nicht alle solchen Schluss. Als wenn bei einer solchen Angabe,
die nicht statistisch-historischem Interesse, sondern einer be-
stimmten Absicht entspringt, peinliche Genauigkeit zu erwarten
wäre! War einmal der eigenhändige Schluss an mehreren Briefen
aufgefallen, so konnte man daraus leicht eine Gewohnheit des
Paulus machen, und ihr nicht minder leicht die Absicht unter-
legen, er wolle damit sein Eigentum kenntlich machen*; der
Verfasser aber brauchte diese Gewohnheit keineswegs an allen
ihm bekannten Briefen des Paulus zu kontrolieren.
Allein vielleicht genügt die Antwort doch nicht. Das Auf-
fallendste ist bei unserer Auffassung eigentlich nicht, dass das
6 ἀσπασμὸς τῇ ἐμῇ χειρὶ Παύλου sich nicht in allen Briefen
1) Selbst Reuss sagt 5. 74: „Verfänglich wäre nur 8317, wenn andere
Gründe zu einem Zweifel berechtigten.“
2) Baur sah in ihnen wirklich ein Kennzeichen der späteren Ab-
fassung des ersten Briefes.
3) Baur, Paulus ?II 3.405, Weizsäcker S. 260 - 2250. Vgl. auch
Kern 85. 209.
4) Vgl oben 9.39.
Der Brief eine Fälschung. 89
findet, vielmehr, dass es gerade in der Vorlage des Verfassers
feblt. Verstehen lässt sich ja freilich auch dies. Der Verfasser
hätte bei der Formulierung eines Gedankens, den er nicht aus
dem Thessalonicherbriefe gewinnt, an diesen eben gar nicht ge-
dacht: die Erwägungen des Kritikers dürfen wir ihm ja nicht
zuschieben. Aber wer sagt uns, dass er nicht auch bei Briefen,
die von eigenhändiger Unterschrift nicht reden, eine solche vor-
ausgesetzt hat? Er kann dann nur den Gruss nicht schon in den
Worten ὁ ἀσπασμὸς τῇ ἐμῇ χειρὶ Παύλου selbst geben wollen,
sondern erst in dem nachfolgenden Segenswunsche V. ıs (event.
schon V.ı6)!. Gegen diese Exegese lässt sich aber auch nichts
einwenden. Es scheint also, dass die Schlusswünsche der pauli-
nischen Briefe überhaupt unter dem Eindruck von 1. Kor. 16aı,
Gal. 611, Kol. 4ıs als eigenhändige Grüsse des Apostels verstanden
wurden? Wäre übrigens Paulus der Verfasser, so wäre das
Verhältnis der Erklärung 317 zum Schlusse des ersten Thessa-
lonicherbriefs keineswegs klar. Wenigstens, so lange er sagt,
dass der eigenhändige Gruss das Zeichen der Echtheit in jedem
Briefe sei, nicht aber, wie man ihn gerne sagen lässt®, dass er
das Zeichen der Echtheit von nun an in jedem Briefe an die
Thessalonicher sein solle. Beides bedeutet denn doch einigen
Unterschied; das schlichte 0 ἐστιν σημεῖον ἐν πάσῃ ἐπιστολῇ
widerstrebt entschieden der angedeuteten Erläuterung.
Doch wie kann der Verfasser Paulus schreiben lassen: οὕτως
γράφωϑ Mussten nicht die Leser hieran merken, dass das Schluss-
wort eine Täuschung sei, da ja eben des Paulus Handschrift
nicht zu sehen war? Oder ist etwa der Schluss mit verstellter
Handschrift geschrieben, um ihn vom Übrigen abzuheben?
Schwerlich. Die einfachste Erklärung, wie der Autor auf das
οὕτως γράφω verfallen ist, liegt in Gal. 61: ἴδετε πηλίκοις
2) Die historische Kritik hat nicht selten auch ausserhalb dieser drei
Briefe eigenhändige Schlussbemerkungen des Paulus gefunden. 8. Weiz-
säcker S. 195, Schmiedel 8.9 = 246: vgl. auch von Hofmann 8. 358.
3: Z. B. Klöpper S. 114 und Westrik, De echtheid van den twee-
den brief aan de Thessalonicensen. Utrecht 1879 S.57f (nach Holtz-
mann, Theol. Lit.-Ztg. 1880, col. 27).
4) Es ist möglich, dass er πηλίχοις = qualibus, nicht = quantis fasste.
Qualibus bietet Itala wie Vulg. Chrysostomus (s. Tischendorfs Octava
90 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
ihm ja noch nach einer andern Stelle bekannt zu sein!. An eine
Schwierigkeit aber hat er bei seiner verkürzenden Nachahmung
von Gal. 611 sicher gar nicht gedacht. Und er brauchte es auch
nicht. Denn die Fiktion einer besondern Handschrift des Paulus
war keine notwendige Bedingung für den Glauben der Leser an
sein Schriftstück. Er selbst las den Galaterbrief in einer Ab-
schrift, die von der eigenen Schrift des Paulus nichts mehr
zeigte. Sein eigener Brief konnte ebensogut als Abschrift aus-
rehen wie als Original.
Wie konnte der Versuch, dem Paulus einen Brief unterzu-
schieben, Erfolg haben? Zahn fordert nicht obne Grund, dass
wir uns in Fällen wie dem unsrigen diese Frage vorlegen? Ich
glaube das Recht dieser Forderung ernstlich gewürdigt zu haben,
indem ich oben 3 eine wirkliche Bestimmung des (unechten) Briefes
für die Gemeinde von Thessalonich von vornherein als wenig
wahrscheinlich bezeichnete. Ist der Brief jedoch irgendwo fern
von Thessalonich entstanden, Jann ist jene Frage zwar ebenso-
wenig konkret zu beantworten, aber auch ebensowenig schwierig
wie bei irgend einer andern Fiktion, die thatsächlich ın der
Kirche Glauben fand. Denn hier konnte den Falsarius niemand
kontrolieren, und man war leichtgläubig, wenn man nur dogma-
tisch befriedigt war. Man kann höchstens darüber reflektieren,
wie die Gemeinde zu Thessalonich den Brief aufnahm, als er
von aussen als ein bereits angesehenes Schriftstück bei ihr im- .
portiert wurde. Wie viel Zeit aber damals seit seiner Abfassung
bereits verstrichen war, entzieht sich jeder Mutmassung. Selbst
wenn jedoch der Brief schon in den Jahren 90—100 n. Chr. nach
Thessalonich gedrungen wäre, wäre es äusserst leicht vorzu-
z. St.) meinte ebenfalls, nnAlxoıg bezeichne οὐ τὸ μέγεϑος, ἀλλὰ τὴν Auop-
φίαν τῶν γραμμάτων. Hesychius erklärt: πηλίχον᾽ οἷον, ὁποῖον, ποτα-
πόν. Vgl. Laurent, Neutest. Studien 8. 64.
1) 2. Thess. 318: ὑμεῖς δὲ, ἀδελφοί, μὴ ἐγχαχήσητε καλοποιοῦντες =
(al. 69: τὸ δὲ χαλὸν ποιοῦντες μὴ ἐνχαχῶμεν. Vielleicht darf man auch
Gal. 510: ἐγὼ πέποιϑα εἰς ὑμᾶς ἐν χυρίῳ und 2. Thess. 34: πεποίϑαμεν
ὁὲ ἐν χυρίῳ ἐφ᾽ ὑμᾶς anführen. Andere Bezüge, auf die Holtzmann
8. ἃ. 0. 8.1061 hinweist, leuchten mir nicht ein. Übrigens wirft auch
Holtzmann die Frage auf, ob 317 mit Gal. 611 zusammenhänge.
2) Zahn [ 5. 1181.
3) 8.37, vgl. 9. 68.
Chronologisches. 91
stellen ', dass die wenigen etwa noch lebenden Bekannten des
Paulus, die, als der Apostel in Thessalonich war, junge Leute
waren, lieber der Stärke ihres Gedächtnisses als der Echtheit
eines Briefes misstrauten, der dem in Ehren gehaltenen ersten
Briefe ähnlich, in seinem Inhalte unanstössig und nach seinen
Personalien unverdächtig war. Zunächst ist jedoch noch nicht
ausgemacht, dass der Brief im Jahre 100 überhaupt schon ge-
schrieben war.
Die chronologische Untersuchung vermag aus den im Briefe
selbst vorausgesetzten Verhältnissen einen sicheren terminus a
quo nicht zu gewinnen. Die eschatologische Position, die er ver-
tritt, lässt sich zeitlich nicht fixieren. Die Erwähnung von #Al-
“εἰς und διωγμοί (1«) führt, auch wenn man die Worte auf des
Verfassers Gegenwart bezieht, d. h. sie nicht aus der Nachahmung
des ersten Briefes begreift, keinesfalls mit irgend welcher Sicher-
heit in die letzte Zeit Trajans?. Sie ist dafür schon viel zu un-
bestimmt und farblos. Die Stelle bereitet ja nicht einmal der
Abfassung durch Paulus Schwierigkeiten (vgl. 1214ff). Eine Be-
stimmung durch das Datum der Apokalypse kommt nicht in
Frage, wenn der Brief nicht von ihr abhängig ist; und der Be-
weis hiefür muss erst noch erbracht werden. Das deutlichste
Datum ist, dass der Verfasser eine Sammlung von Paulusbriefen
vor sich hat. Ich wage nicht zu sagen, dass eine solche Samm-
lung vor dem Jahre 100, nicht einmal, dass sie vor 90 oder 85
undenkbar sei. Wenn freilich die Sammlung nach allen Ver-
ınutungen schon recht umfänglich ist, wenn das Ansehen des
ersten Thessalonicherbriefes so festgewurzelt erscheint, dass er in
dem Gegensatze der Zukunftserwartungen eine entscheidende
Instanz ist, wenn schon Beobachtungen über die Äusserlichkeiten
der Paulusbriefe wie die Nachschrift gemacht werden, so wird man
nach unserer Kenntnis der Dinge eher geneigt sein, über das Jahr
85 oder 90 hinab- als hinaufzugehen. Aber Durchschlagendes
lässt sich auch hier für eine bestimmte Fixierung kaum sagen.
1) Gegen Zahns übertreibende Bemerkungen I S. 114, 173. Zahn
etellt sich die Thessalonicher wie kritische Theologen des 20. Jahrhunderts
vor, wenn er meint, dass 22, 317 die Kritik der ersten Leser geradezu her-
ausgefordert hätten.
2) Hilgenfeld, Einleitung in das N. T., S. 650.
\
92 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Das sicherste Datum für den terminus ad quem bietet uns
die Thatsache, dass Marcion den zweiten Thessalonicherbrief
neben dem ersten in seinem Apostolikon besass. Natürlich muss
der Brief dann einige Zeit vor diesem Momente verfasst sein.
Wie lange oder wie kurze Zeit vorher, ist aber gar nicht leicht
zu sagen. Zahn! hält es für ausgeschlossen, dass einer der zehn
Paulusbriefe, die Marcion in seiner Sammlung hatte, zu Lebzeiten
Marcions oder nach dem Jahre 110 entstanden sein sollte Mir
scheint die Rechnung anfechtbar. Wenn der zweite 'Thessalo-
nicherbrief wirklich ein untergeschobener Brief ist, so ist zunächst
damit gegeben, dass er in dem Kreise, auf den er wirken sollte,
lanciert wurde; denn niemand zündet ein Licht an, um es unter
den Scheffel zu stellen. Wurde der Brief nun überhaupt von
massgebenden Kreisen an dem Orte seiner Entstehung anerkannt,
was wir annehmen müssen, so genügte die kürzeste Zeit, um ihm
das Ansehen zu verschaffen, das die übrigen Paulusbriefe erst
nach einer längeren Geschichte erreicht hatten. Diese ganze Ge-
schichte kam ihm ohne Weiteres mit zu gute. Überall, wohin
der Brief von seinem Ursprungsorte gelangte, war es ebenso;
und dass man am Anfange des zweiten Jahrhunderts das Auf-
tauchen eines neuen Paulusbriefes an sich verdächtig gefunden
hätte, ist nicht glaublich. So könnte es uns gar nicht Wunder
nehmen, wenn der Brief, wäre er beispielsweise in Phrygien ent-
standen, bereits fünf Jahre später in einer Gemeinde der Nach-
' barprovinz mit den übrigen bekannten Paulusbriefen völlig in
eine Reihe gestellt worden wäre. Die weitere Verbreitung in
viele Provinzen muss natürlich längere Zeit erfordert haben.
Gerade nach Rom, wo Marcion der Gemeinde angehörte, ehe er
seine eigenen Wege ging, kann der Brief schnell gewandert sein,
da viele Kanäle dahin führten. Er könnte hiernach recht wohl erst
ca. 120—125, ja selbst 130 entstanden sein und doch ca. 140 bis
150 dem Apostolikon des Mareion angehört haben. Die Meinung,
dass sein Text von der Kirche verfälscht sei, war Marcion wahr-
lich auch dann nicht verwehrt. Die Wertschätzung des Briefes
durch Marcion führt demnach noch nicht zu einer präziseren
Zeitbestimmung.
Was man sonst an alten Zeugnissen für den Brief anführt,
1) Zahn 1 8. 119.
Chronologischee. 93
ist zum grössten Teile belanglos. Justin würde auf keinen Fall
mehr beweisen als Marcion. Aber die Parallelen zu 2sff, die
man bei ihm findet!, machen eine literarische Benutzung auch
keineswegs sicher?, sobald man aufhört, in der Stelle vom Anti-
christ nur individuelle Gedanken des Verfassers zu sehen. Ganz
ebenso ist es mit den Anklängen an die gleiche Stelle bei Bar-
nabas und in der Didache?. Das εἴ τες οὐ ϑέλει ἐργάζεσϑαι,
μηδὲ ἐσϑιέτω 2. Thess. 810 sieht aus wie eine proverbielle Wen-
dung. Dass Did. 123 (ἐργαζέσϑω χαὶ φαγέτω) auf diese Stelle
zurückgehe, lässt sich zwar nicht widerlegen, aber noch weniger
beweisen‘. Ignatius braucht, um Eph. 8: zu schreiben: μὴ οὖν
τις ὑμᾶς ἐξαπατάτω, wahrlich nicht 2. Thess. 23: μή τις ὑμᾶς
ἐξαπατήσῃ κατὰ μηδένα τρόπον gelesen zu haben, und das
ὀφείλομεν κατὰ πάντα εὐχαριστεῖν αὐτῷ 1. Klem. 384, sowie
die ähnlichen Wendungen Barn. 53, 71° verdienen nicht einmal
eine Erwähnung. Es bleibt als einziges erbebliches Dokument
der Brief des Polykarp.
Die Parallele, die zunächst ın Betracht kommt, ist
Polyk. 114: [Sobrii ergo estote et vos in hoc;) et non sicut
inimicos tales existimetis, sed [sicut passibilia membra et
errantia eos revocate] und
2. Thess. 315: xal un ὡς ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑε, ἀλλὰ [vor
ϑετεῖτε os ἀδελφόν).
Die Redensart &g — oder vielleicht ὥσπερ --- ἐχϑρὸν ἡγεῖσϑαι.
die auch im griechischen Texte des Polykarpbriefes gestanden haben
wird, ist an sich nicht besonders charakteristisch. “ὥσπερ 21900»
ἡγεῖσϑαι findet sich überdies schon in den LXX Job 191: (vgl. 33 10,
13% A: ὥσπερ ὑπενάντιον ἡγεῖσϑαι). Auch darf man das αἷς bei
ἡγεῖσϑαι nicht ungewöhnlich nennen δ. Recht auffällig wird die Ahn-
lichkeit der Stellen erst dadurch, dass die genaue Übereinstimmung
1) Vgl. Dial. 32, 110 (116).
2) Gegen Bornemann 8. 320.
3) Vgl. Barn. 49, 156, 183, Did. 168—e.
4) Zitiert wird 2. Thess. 310, wenn auch ungenau, bei Pseudoignatius
ad Magn. c.9.
5) 8. oben 8. 75.
6) Bornemann 8. 398. Vgl. Hermas Vis. 117, 2. Klem. 5e, Sir. 294
(og bei νομίζει»); dazu Blass, Neutestamentliche Grammatik S. 9].
2418, 265
94 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
in der Form hinzukommt. Die gleiche Anknüpfung mit καί ist
freilich auf jeden Fall unwesentlich und zufällig !. Aber dass beider
identischen Wendung beide Stellen nun auch in einem negativen
Imperative mit folgendem ἀλλά zusammentreffen, das weist doch
mit grosser Wahrscheinlichkeit auf eine Entlehnung aus 2. Thess.
915 hin, und um so mehr, als gerade Polykarp so manchmal mit
fremden Worten redet.
Eine zweite Stelle des Polykarpbriefes tritt bestätigend hinzu.
Polykarp schreibt 113: ego autem nihil tale (wie die gerügte
Sünde des Presbyters Valens) sensi in vobis vel audivi, in quibus
laboravit beatus Paulus, qui estis in prineipio epistulae (v. L
ecelesiae) eins. De vobis etenim gloriatur in omnibus
ecelesiis, quae deum solae tune cognoverant; nos autem non-
dum noveramus. Man sieht hier eine Reminiscenz an 2. Thess. 1«:
ὥστε αὐτοὺς ἡμᾶς ἐν ὑμῖν ἐγκαυχᾶσϑαι ἐν ταῖς ἐκκλη-
σίαις τοῦ ϑεοῦ. Man nimmt dann entweder an, dass Polykarp
irrtümlich gemeint habe, die Stelle stehe im Philipperbriefe des
Paulus, oder dass er die nach geographischer Lage und Missions-
geschichte zunächst zusammengehörigen Gemeinden von Philippi
und Thessalonich (bewusst) „zusammengefasst“ habe?. Eine dritte
Möglichkeit wäre noch, dass Polykarp nicht an 2. Thess. 14, sondern
an andere Stellen (2. Kor. Sıff, Röm. 1526, wo freilich nicht von
Philippi, sondern von Makedonien die Rede ist)gedacht, den Aus-
druck aber unbewusst nach 2. Thess. 14 geformt hätte. Doch diese
Annahme wäre künstlich; die Ansicht andrerseits, es handle sich
um eine Verwechslung, ist gerade ın einem Briefe an die Philipper
bedenklich. So scheint die dritte Auffassung, dass Polykarp Thessa-
lonich und Philippi zusammengefasst habe, das Richtige zu treffen.
Allein, man muss einräumen, leicht ist gewiss auch nicht vorzu-
stellen, dass jemand, der an die Philipper schreibt, diese also als
1) Anders wäre es vielleicht, wenn das umgekehrte Abhängigkeits-
verhältnis in Frage stände, da xal nach 2. Thess. 314 auffällt.
2) So Zahn in seiner scharfsinnigen Ausführung Geschichte des Kanons
1 8. 815--817. Zahn will so den Plural ἐπιστολαί Polyc. 32 (Briefe an die
Philipper) erklären. Polyc. 18 fasst er als Anspielung auf 1. These. 1sf.
Ausserdem verweist er darauf, dass in alten Bibelhandschriften der Phi-
lipperbrief den Thessalonicherbriefen entweder sich anschloss oder voran-
ging (vergl. dazu Gesch. des Kanons II 3, 49, 8534. Der Annahme einer
Verwechslung ist Zahn in der Ausgabe der Patr. Apost. (zu 11 3) geneigt.
Eine ältere Erklärung s. in seinem Ignatius von Antiochien 8. 505.
Chronologisches. 95
Einzelgemeinde vor Augen hat, Aussagen über die Thessalonicher
einfach auf sie übertragen sollte. Und so wäre man veranlasst,
die ganze Voraussetzung, dass Polykarp seinen Ausdruck aus
2. Thess. 14 geschöpft habe, in Zweifel zu ziehen. Allein die
Richtigkeit dieser Aunahme — und das allein interessiert uns
bier — drängt sich doch immer wieder auf. Das gloriari in
ecelesis ist eine zu singuläre Wendung, ausserdem eutspricht
das de vobis noch dem ἐν ὑμῖν '.
Ich setze hienach voraus, das Polykarp unsern Brief bereits
gekannt hat. Der Wert dieses Datums bestimmt sich freilich
nach der Abfassungszeit des Polykarpbriefes. Diese kann ich
bier nicht untersuchen. Über das von Harnack? zuletzt errech-
nete Datum — 110—117 n. Chr. oder vielleicht einige Jahre
später (117—125) — wird man gewiss den Brief nicht hinauf-
schieben können. Legen wir diese Bestimmung zu Grunde, so
bleibt unter allen Umständen. die Zeit um die Wende des ersten
Jahrhunderts offen, möglicherweise sogar die Zeit bis ca. 110.
Die Sachlage lässt sich aber noch besser und deutlicher ausdrücken.
Die Benutzung des ersten Timotheusbriefes lässt sich bei Poly-
karp nicht mit geringerer, sondern mit grösserer Deutlichkeit er-
kennen als die Benutzung unseres Briefes, wie namentlich der
Vergleich von 4ı und 1. Tim. 610.7 beweist. Daher darf man
sagen: unter der Voraussetzung, dass Polykarp den Brief benutzt,
braucht er doch nicht früher geschrieben zu sein als der erste
Timotheusbrief, und dieser ist gewiss vor dem Ausgange des
ersten Jahrhunderts nicht geschrieben worden.
Aber alle diese Erwägungen sind gegenstandslos, wenn die
Stelle vom Antichrist in der Bemerkung 24 die Existenz des
Jjerusalemischen Tempels zur Zeit der Abfassung des Briefes vor-
aussetzt. Ja es ist bereits anerkannt worden, dass in diesem
1) Verwiesen sei hier noch auf Harnack, Patristische Miscellen,
Texte u. Untersuchungen N. F. V39.86M, der das Verständnis der schwie-
rigen und sicher korrupten Stelle wesentlich gefördert hat. Harnack
nimmt die obige Zahnsche Deutung an, beseitigt dann aber das allerdings
anstöseige omnibus (vor ecclesiis), indem er es mit vobis verbindet, und
vermutet in dem unmöglichen Relativsatze qui estis in prineipio epistulae
εἶπα ein landati vor estis, so dass sich dann in prineipio epistulae eius auf
den Anfang des 2. Thessalonicherbriefs, eben 14 bezieht. Ob das omnibus
sich aus 2. Thess. 15 (πάντων ὑμῶ») erklären lässt, wie H. meint?
2) Harnack, Chronologie der altchristlichen Literatur I 8. 406.
96 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
Falle ein gefälschter Thessalonicherbrief überhaupt schwer zu
begreifen ist. Wird etwa unsere ganze Darlegung durch jenes
Wort vom Tempel schliesslich über den Haufen geworfen?!
Diese Frage wird man gerade am Schlusse der Untersuchung in
ihrer vollen Wucht empfinden.
γ,
Diejenigen Erklärer, die den Brief nach dem Jahre 70 an-
setzen zu sollen glaubten, haben sich bisher damit geholfen, in
der Stelle 24 einen bildlichen Sinn von ναός anzunehmen. Der
geistige Tempel der Christenheit soll vom Verfasser gemeint sein;
die ganze Aussage, der Antichrist werde sich in den Tempel
Gottes setzen, soll womöglich die Vollendung der christlichen
Irrlehre (im Gnostizismus) bedeuten ’. Mit dieser Auffassung des
vaog τοῦ ϑεοῦ macht man sich die Sache denn doch zu leicht.
Sie passt gut für allegorisierende Kirchenväter? oder auch für
Hengstenberg*, minder gut für moderne Kritiker. Man führt
zwar eine ganze Reihe Parallelen an®. Aber sie beweisen sämt-
1) W. Brückner, Die chronologische Reihenfolge, in welcher die
Briefe des Neuen Testaments verfasst sind (Haarlem 1890) 8. 255f setzt
2. Thess. hinter den ersten Petrusbrief und die Apokalyse Johannis, nimmt
auch wie ich eine fiktive Adresse an, verliert aber über die Stelle 24 kein
Wort, was bei einer ausgesprochen chronologischen Untersuchung beson-
ders Wunder nimmt.
2) Hilgenfeld, Einleitung in das N. T. 8. 650, s. auch Zeitschr. £
wissensch. Theol. 1862 S. 253; Bahnsen 5. 696ff, auch Pfleiderer, Das
Urchristentunm S. 307, der sich freilich über den „Tempel“ nicht besonders
Aussert.
3) An die Kirche Gottes dachten z. B. Chrysostomus, Hieronymus und
— mit absonderlicher Interpretation — Augustin. Vgl. Thomas Malvenda,
De Antichristo. Lugdun. 1647 II p. 61 und auch Bornemann 8. 406, 410
(Augustin). Die Meinung von Theodoret und Theophylact u. a, der „Tempel
Gottes“ bezeichne die Kirchen, darf mit jener andern Ansicht eigentlich
nicht zusammengestellt werden, da die „Kirchen“ die Gebäude (Basiliken
u. s. w.) sind. Diese Auslegung ist nicht allegorisch.
4) Hengstenberg. Die Offenbarung des heil. Johannes. Berlin 1349
I 8. 519, 548, 558ff (zu Apok. l11ff).
5) Hilgenfeld, Einleitung 8. 650 zitiert 1. Kor. 3ısf, 2. Kor. 61:9,
Hebr. 36, 1021, 1. Petr. 26, 417, 1. Tim. 315, ausserdem 1. Clem. c, 23. Einzig
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 97
licb nichts für unsern Fall; sie fordern eben ausdrücklich dazu
auf, das Wort Tempel im übertragenen Sinne zu verstehen, oder
sie lassen doch diesen Sinn sofort erraten. Was an unserer Stelle
den Gedanken an die Kirche unmöglich macht, ist nun freilich
nicht gerade der doppelte bestimmte Artikel (εἰς τὸν ναὸν τοῦ
#eov)!. Sicher aber hätte kein Autor, der den Gedanken aus-
drücken wollte, der Antichrist werde in der Kirche auftreten oder
in die Kirche eindringen, die Wendung xa#loaı εἰς τὸν ναὸν
τοῦ ϑεοῦ gebildet?. Vor allem jedoch passt der Gedanke an die
Kirche gar nicht recht in den Zusammenhang. Bei dem ὥστε
εἰς τὸν ναὸν τοῦ ϑεοῦ καϑίσαι handelt es sich um einen Beweis
für die frevlerische Anmassung des Antichrists, in der er ohne
Scheu nach der höchsten Würde greift. Der Gedanke, dass er
das Heilige feindlich antastet, ist dabei wohl schon verwischt,
steht aber doch im Hintergrunde. Soll nun statt des äussern
Heiligtums, statt der Stätte, da Gott wohnt und thront, die Kirche
in Frage kommen, so verliert εἰς τὸν ναὸν τοῦ ϑεοῦ den Ton,
den es hat und haben muss. Man setze nur für diesen Ausdruck
den vermeintlich eigentlichen „die Christenheit“, „die Kirche
Gottes“ ein, und man wird den Unterschied empfinden. In die
Kirche eindringen ist kein höchster Beweis blasphemischer Selbst-
überhebung.
Wir müssen also mit dem unumwundenen Zugeständnis be-
ginnen, dass die Deutung der Worte auf den jerusalemischen
Tempel nicht nur in jedem Falle unanstössig ist, sondern sogar
ausschliesslich in Betracht kommt — wenn der Autor selbst diese
Vorstellung geprägt hat. Es würde das auch noch aus andern
Gründen folgen. Dann ist die Folgerung, dass der Tempel in
Jerusalem stand, als der Verfasser schrieb, schwerlich zu umgehen.
Dass weltbekannte Dinge, und selbst nur wenig zurückliegende,
von Leuten, die sie wissen sollten, nicht gewusst werden, kommt
zwar alle Tage vor. Aber dass ein schriftstellernder Christ um
die letzte Stelle könnte mit 2. Thess. 24 verglichen werden; darüber
unten S. 103.
1) Bornemann z. St.
2) Der gleiche Grund entscheidet schon gegen die von Baur für mög-
lich gehaltene, übrigens kaum erwähnenswerte Ansicht, dass mit dem vaög
τοῦ ϑεοῦ der τόπος τοῦ ναοῦ gemeint sei, die Stätte des zerstörten Tempels,
die für ebenso heilig gegolten habe als der Tempel selbst. Kadyloaı εἰς
passt nicht dazu. S. Baur, Paulus? 11 8. 358.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 2. 7
98 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
die Wende des ersten Jahrhunderts nichts vom Fall Jerusalems
gewusst hätte, ist nicht glaublich.
Es bleibt nur die Frage, ob die Sache anders liegt, wenn
der Verfasser die Bemerkung, der Antichrist werde sich in Gottes
Tempel setzen, übernommen hat. Auch in diesem Falle ist
bei isolierter Betrachtung der eschatologischen Stelle sicher
der erste und nächstliegende Gedanke, dass der jerusalemische
Tempel und zwar der bestehende Tempel gemeint ist. Es wird
also unsere Erwartung von vornherein nicht zu hoch greifen.
Aus der Stelle selbst lässt sich auf keinen Fall mehr als die
Möglichkeit einer andern Auffassung erweisen.
Diese andere Auffassung könnte nun entweder dahin gehen
(lass der Verfasser bei der fraglichen Wendung, eben weil er sie
übernommen, nicht an den jerusalemischen Tempel zu denken
brauchte, oder dahin, dass er, obgleich der jerusalemische Tempel
zur Zeit seines Schreibens zerstört war, die Wendung dennoch
von ihm gebrauchen konnte. Lässt sich nach der einen oder
andern Seite im Ernste von einer Möglichkeit reden?
Die Vorfrage ist, ob es wahrscheinlich ist, dass der Autor
den Gedanken, der Antichrist werde sich in Gottes Tempel setzen,
nicht selber gebildet, sondern irgendwie überkommen hat. Diese
Frage ist zu bejahen, und zwar, wie ich betone, nicht weil es für
unsere Auffassung bequem ist, sondern ganz unabhängig von dem
uns beschäftigenden Problem.
Dass der Verfasser in 6. 2 im Grossen und Ganzen nicht
apokalyptische Ideen eigener Erfindung vorträgt, darf heute als
ausgemacht gelten!. Ausdrücke wie ὁ ἄνϑρωπος τῆς ἁμαρτίας.
ἡ ἀποστασία, ὁ χιιτέχων und To κατέχον erscheinen schon nach
dem Texte als festgeprägte Termini. Die Parallelen, die für
manche Züge der Darstellung vorhanden sind, geben eine weitere
Bestätigung. Ich habe oben? bemerkt, dass die Schilderung mehr
bringt, als der nächste Anlass, die Frage nach dem Wann des
Herrntages, erwarten lässt. Es liegt nahe, die Erklärung eben
darin zu suchen, dass der Verfasser an ein fertiges, mit bestimmten
Zügen ausgestattetes Bild gebunden war.
1) Vgl. bes. Gunkel, Schöpfung und Chaos S. 221ff, Bousset, Der
Antichrist S. 13u.s., Spitta, S. 139, auch Zahn IS. 162.
2) S. 42.
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 99
Spitta hat eine schriftliche Quelle vermutet, und zwar nicht
blos ım Allgemeinen; er hat vielmehr die ganz bestimmte Hypo-
these aufgestellt, dass eine jüdisch-apokalyptische Äusserung aus
Caligulas Zeit von Timotheus — dem von ihm angenomnienen
Verfasser — in sein Schreiben aufgenommen worden sei, freilich
unter Umdentung des ursprünglichen Sinnes!. Ich kann — ganz
abgesehen von der Verfasserfrage — dieser Hypothese nicht
folgen?. Nur ein einziger Zug, eben das χαϑίσσι εἰς τὸν ναὸν
τοῦ ϑεοῦ, kann überhaupt den Gedanken an Caligula erwecken;
der Kaiser beabsichtigte ja, seine Kolossalstatue im Tempel zu
Jerusalem aufzustellen, und sein Vorhaben rief tiefste Erregung
unter den Juden hervor. Im Übrigen weist in dem ganzen
Passus auch nicht ein Wort auf den Kaiser hin, was für eine
„Caligula-Apokalypse“ denn doch sehr befremdlich wäre. Über-
haupt hat aber das ganze Bild keinen politischen Charakter, ein
irdischer Herrscher wird hier nicht geschildert. Im Besondern
kommt hinzu, dass der χατέχων bei dieser Auffassung keine an-
nehmbare Erklärung findet!. Indessen selbst jene Beziehung auf
Caligula ist keineswegs evident: seine Statue im Tempel aufstellen
ist zunächst noch etwas Anderes als sich selbst im Tempel nieder-
lassen 5. Beides ohne Umstände zu identifizieren wird auch dadurch
widerraten, dass Gedanken nahe verwandter Art vorhanden sind,
die jedenfalls mit Caligula nichts zu schaffen haben ©.
1) Spitta δὶ 134—149; vgl. auch schon Die Offenbarung des Johannes
S. 497 — 500.
2) Vgl. Gunkel a. ἃ. O.
3) Näheres bei Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes 3.41
ὡ, 303, vgl. 8. 405 #.
4) Spitta nennt Offenbarung S.499 Aristobul, den Bıuder des He-
rodes Agrippa, sowie diesen selbst, auch (nach Grotius) den Vitellius. In
der Umdeutung der ursprünglichen Apokalypse durch Timotheus soll Clau-
dius als χατέχων gedacht sein. (Zur Gesch. und Literatur des Urchristen-
tums I 8. 1461f.) — Das sich schon regende μυστήριον τῆς ἀνομίας sollen
ursprünglich die immer mehr Gestalt gewinnenden Pläne des Caligula sein
(8.139). Vgl. auch Holtzmann, Einleitung? S. 216.
5) So schon Kern ὃ. 189 gegen (Grotius, ebenso Gunkel unl
Bousset.
θ᾽ In späterer Zeit ist allerdings eine Form der Erwartung vorhanden,
die sofort an Caligula denken lässt. Bousset hat S. 14, 104, 106 darauf
hingewiesen. Im Apokalypsenkommentar des Victorin heisst es zu Apok.
7*
100 Wrede, Die Echtheit des zweiten 'Thessalonicherbriefs.
Indessen ist hiermit noch nicht ausgeschlossen, dass der Ver-
fasser, sei es im Ganzen, sei es in einzelnen Teilen seiner Schil-
derung durch eine uns unbekannte schriftliche Darstellung be-
stimmt wurde!. Gerade weil er auf die Frage nach dem Zeit-
punkte der Parusie eine Antwort giebt, die weit mehr enthält als
eine Antwort und daher aus seiner polemischen Absicht nicht
ganz begreiflich wird, wäre das keineswegs unmöglich. Es
widerspräche dem auch gar nicht, dass er gerade in diesem Ab-
schnitte seine eigenste Meinung kundgiebt. Er hätte den über-
nommenen Stoff eben unter dem bestimmten, ihm wichtigen
Gesichtspunkte verwendet, dabei aber auch Einiges beibehalten,
was nicht durch ihn gefordert war. Schon darum freilich, weil
er das ganze Thema vom Antichrist der Frage nach dem Kommen
des jüngsten Tages unterordnet, ist es sicher, dass er nicht ein-
fach Abschreiber einer etwaigen Vorlage ıst. Auf den gleichen
Gedanken führt die Bemerkung V.;, die an die frühere Beleh»
rung der Thessalonicher durch Paulus erinnert, ferner das οἴδατε
V.s und schliesslich doch auch die Art seiner Nachahmung des
1. Thessalonicherbriefs. Eben deshalb liegt aber wieder keine
Nötigung vor, an eine schriftliche Quelle zu denken. Mehr als
die Möglichkeit lässt sich nicht behaupten.
Die besondere Erwartung, dass der Antichrist sich in den
Tempel Gottes setzen werde, ist in der älteren apokalyptischen
Literatur nun freilich noch nicht sicher nachgewiesen worden.
Allerdings könnten die Worte Mr. 1311: ὁταν δὲ ἴδητε τὸ βδέ-
λυγμα τῆς ἐρημώσεως ἑστηκότα ὅπου οὐ del... geradezu als
eine volle Parallele betrachtet werden. Die Vermutung, dass das
zu βόέλυγμα konstruierte Masculinum des Particips auf den Anti-
christ weise, ist sehr ansprechend; gewiss denkt man dabei eher
an eine Person, eine menschliche Figur als an das Römerheer.
1315: faciet etiam (der falsche Prophet), ut imago aurea antichristo in
templo Hierosolymis ponatur. Dass dieser Gedanke in der Caligulazeit
entstanden ist, wie Bousset vermutet, ist mir nicht gerade wahrschein-
lich. Vgl. auch Bousset, Komm. zur Apokalypse S. 58.
1) Auch Bousset redet. S. δύ von einer „dem Paulus schon fixiert vor-
liegenden Weissagung“. An schriftliche Vorlagen haben auch Andere ge-
dacht, z. B. Michelsen bei Schmiedel?S. 41.
2) Bousset S. 14, 141f will auch Mt 2415 das βδέλυγμα τῆς domuw-
σεως 80 verstehen. Das scheint mir schwierig. Im Übrigen vgl. auch
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 101
Volle Klarheit ist bier jedoch schwer zu gewinnen, schon wegen
der Unbestimmtheit der Wendung ὅπου οὐ δεῖ. In dem häufigen
Vorkommen der Idee bei Kirchenvätern oder späteren kirchlichen
Apokalyptikern ! ist eine Bürgschaft für ihr höheres Alter kaum
zu finden. Denn hier liegt doch die Erklärung am nächsten,
dass eben der inzwischen heilig gewordene Text 2. Thess. 2+ den
Zug lieferte, verfestigte und verbreitete 2.
Dennoch wird der Gedanke ebensowenig persönliches Eigen-
tum des Autors sein wie der Inhalt der kleinen Apokalypse im
(Ganzen. Er tritt hier nicht wie etwas Neues auf, und man kann
sich auch nicht leicht vorstellen, dass der Verfasser ihn so bei-
läufig aus freier Phantasie gebildet haben sollte Dazu kommt,
wie schon bemerkt, dass verwandte Vorstellungen im Judentum
wie im jüdisch bestimmten Urehristentum mannigfach nachweis-
bar sind‘. Es sei an einige dieser Data erinnert. Als Gipfel
frevlerischer Anmassung erscheint es schon Jes. 1418} und
Ezech. 285", wenn heidnische Könige sich dem Höchsten gleich-
stellen oder sich als Gott binstellen. Natürlich gehört auch das
in unserer Stelle selbst aus Daniel (11.301) zitierte Wort von der
Erhebung des frevlerischen Königs über jeden Gott in diese
Reihe, in etwas anderm Sinn auch alle Worte vom βδέλυγμα τῆς
ἐρημώσεως bei Daniel und in den Makkabäerbüchern®. Nach
Dan. ὁ ferner wird Darius zu dem Gebote verleitet, dass nie-
mand an irgend einen Gott oder einen Menschen eine Bitte
Klostermann, Das Markusevangelium 8. 25?f, Zahn IS. 168. Holtz-
mann, Handkommentar zum N. T.3 IS. 168.
11 S. Bousset N. 104.
2) Diese Möglichkeit wird von Bousset, so viel ich sehe, ganz über-
gangen.
3) Gunkel N. 221£.
4) Ezech. 233 LXX lautet: Kal ol, vis ardowaor, εἰπὸν τῷ ἄρχοντι
Τύρου Τάδε λέγει χύριος Ard’ οὗ ὑψώϑη σου ἣ xapdia καὶ εἶπας Θεὸς
εἰμι ἐγώ, κατοιχίαν ϑεοῦ χατοίχηκα ἐν zapdlır: ϑαλίίσσης, at δὲ εἰ
ἄνθρωπος Χαὶ οὐ ϑεός χτλ. Vgl. auch 986. 9. Man könnte geneigt sein,
die Erwähnung des Tempels 2. 'Thess. 94 unmittelbar aus dieser auch sonst
im Ausdruck verwandten Stelle abzuleiten, aber diese Erklärung ist schwerlich
durchführbar. Hippolyt hat die Stelle bereits auf den Antichri-t bezogen,
ist aber vermutlich erst durch 2. Thess. 24 an sie erinnert worden. Vgl.
De Antichristo c. 53: μετὰ ταῦτα ἄρξεται ὡς ϑεὸν ἐπιδειχνύναι, ὡς προ-
einer Ἐξεχιήλ᾽ ἀνθ᾽ ὧν ὑψώθη ἡ καρδία σου, χαὶ εἶπας" ϑεός εἰμι ἐγών
5) Dan. Sııf, 927, 1181, 1211, 1. Makk. 154ff u. 8.
102 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
richten darf ausser an ihn. Nach Judith 88. will Holofernes alle
Götter der Erde vernichten, damit Nebukadnezar allein als Gott
angerufen werde (vgl.62). Da er die Heiligtümer der Völker
plündert und vernichtet (41), fürchtet man die Entweihung des
jerusalemischen Tempels (42, 821, 92). Offenbar steht diese Be-
sorgnis mit der Vergötterung des Königs im Zusammenhange.
Erwähnung verdient daneben der Zug aus dem dritten Makka-
häerbuche (13—23:), «lass der heidnische König (Ptolemäus) sich
in Überhebung und Frechheit vermisst, das Allerheiligste zu be-
treten!. Zum Bilde des ersten Tieres in Apok. 13 gehört es,
dass es angebetet, also zum Gott gemacht wird (Υ. 4. 12), und
dasselbe Tier lästert mit: seinem grosssprecherischen Maule den
Namen Gottes und sein Zelt (V.sf). In diesem Zusammenhange
ist schliesslich aber allerdings auch an Caligulas Vorbaben zu
erinnern.
Die Prämissen für den Gedanken unserer Stelle, das Atten-
tat gegen den wahren Gott, die Usurpation der göttlichen Würde,
das Antasten des Tempels, liegen hienach auf jüdischem Boden
schon vor, wenn auch die Stelle in der Verbindung dieser Ele-
mente ihre Besonderheit unleugbar behält. Mich dünkt, auch
wenn Paulus als Verfasser des Briefes gelten müsste, wäre es
das Wahrscheinlichste, diesen Zug der Antichristerwartung als
ein Stück älterer Tradition anzusehen. Dabei soll es ganz dahin-
gestellt bleiben, ob es dem späteren Paulus zuzutrauen ist, dass
er einen solchen Zug — nicht sich aneignete und festhielt, son-
dern — aus sich selbst hervurbrachte, einen Zug, von dem man
doch nichts so sicher behaupten kann, als dass er einem Be-
wusstsein entsprungen ist, für das der Tempel entscheidende
Bedeutung besass, d. ἢν. einem spezifisch jüdischen Bewusst-
sein’. Sollte die Erregung über Caligula auf die Antichrist-
erwartung abgefärbt und die Vorstellung 2. Thess. 24. erzeugt
1) Verwandt ist die Erzählung über Heliodorus, den Kanzler des Se-
leukus, 2. Makk. 39 ff.
2) Boussets Vermutung iS. 107, vgl. 93), dass der letzte Ursprung
des Zuges im Drachenmythus liege — der Tempel wäre ursprünglich die
himmlische Behausung (οἰ 65 — könnte daneben bestehen bleiben; sie ist
mir Jedoch bisher nicht wahrscheinlich geworden. Der Gedanke, dass der
Antichrist im Tempel Gottes sich niederlässt, enthält an sich nichts, was
über den jüdischen Boden hinauswiese.
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 103
haben ἷ, so wären wir für die Entstehung unter allen Umständen
in eine Zeit gewiesen, die jene Erregung noch frisch empfand.
Wir halten es also für durchaus wahrscheinlich, dass die
Worte eine ältere Konzeption sind, und betrachten sie nunmehr
unter dieser Voraussetzung.
Dürfen wir annehmen, dass der Autor den vaog τοῦ ϑεοῦ
auf die christliche Kirche umdeuten konnte? Diese Meinung
ıst wieder sofort abzuweisen. Man könnte sich zwar auf 1. Clem.
235 als Parallele berufen. Wenn da die Stelle Mal. 3ı ἐξαίφνης
ἥξει ὃ κύριος εἰς τὸν ναὸν αὐτοῦ καὶ ὁ ἅγιος, ὃν ὑμεῖς προσδο-
zarte mit Bezug auf die Wiederkunft Christi zitiert wird, so kann
an den Tempel von Jerusalem kaum gedacht sein, es scheint also
stillschweigends das εἰς τὸν ναὸν αὐτοῦ umgedeutet zu sein.
Allein viel wahrscheinlicher ist, dass es überhaupt nicht bestimmt
ausgedeutet ist; alles Gewicht liegt ja nur auf dem Gedanken
des Kommens. Aber selbst die Annahme einer Umdeutung hätte
durchaus nicht die Schwierigkeit wie an unserer Stelle, schon
weil es sich um ein im Wortlaut festes Schriftzitat handeln
würde. Wollte der Verfasser 2. Thess. 24 trotz des χαϑέσαι unter
dem χαὸς τοῦ ϑεοῦ die Christenheit. verstanden wissen, so hätte
er durch einen Zusatz oder eine Andeutung seine Meinung be-
merklich machen müssen. Überdies bleibt es auch hier dabei, dass
der (iedanke an die Kirche nicht in den Zusammenhang passt’?.
Denkbarer wäre sicher eine andere Art von Umdeutung. Ist
der Einzelbegriff ναὸς τοῦ ϑεοῦ nicht allegorisiert worden, so
könnte doch das χαϑίσαι εἰς τὸν ναὸν τοῦ ϑεοῦ als Ganzes zum
Bilde geworden sein. Die Wendung bedeutete dann nur, dass
der Antichrist sich Gottes Platz anmasse, oder dass er für die
Menschen Gott zu sein beanspruche. Diese Erklärung hat von
Hofmann vertreten, obwohl er ja durch Bedenken über die Ab-
fassungszeit oder den paulinischen Ursprung des Briefes nicht
bedrängt war. Da der paulinische Ausdruck sich an Jes. 14 ısf
und Ezech. 282 anschliesse, sei „die Frage, ob unter dem Tempel
Gottes der steinerne Tempel zu Jerusalem, der jetzige oder ein
künftiger, oder ob die christliche Kirche zu verstehen sei“, über-
11 So auch Zahn. Begründet ist die Auffassung von Grotius.
2) Vgl. oben S. 97.
104 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
haupt „zunächst unveranlasst“!. Handle es sich doch nur
darum, wofür der Antichrist sich erklären werde, nicht aber
darum, worin die Handlung seiner Erklärung bestehe. Hienach
müssten denn die Worte ἀποδειχνύοντα ἑαυτὸν ὅτι ἐστὶν ϑεὸς
angeben, worin das εἰς τὸν ναὸν τοῦ ϑεοῦ χαϑίσαι besteht,
816 müssten also dem bildlichen Ausdrucke den eigentlichen hin-
zufügen ? Schon das entspricht nun dem unmittelbaren Eindruck
der Worte wenig. Vielmehr scheint gerade umgekehrt mit εἰς
τὸν ναὸν τοῦ ϑεοῦ χαϑίσαι die konkrete Handlung angegeben
zu sein, die entweder die Voraussetzung für das ἀποδεικνύναι
bildet oder es selbst schon enthält, sodass die Worte ἀποδειχ-
νύοντα ἑαυτόν χτὰ nur noch etwas hervorheben, was bereits in
der vorbergehenden Hauptaussage liegt. Dazu kommt, dass die
Wendung „sich in den Tempel Gottes setzen“ keineswegs nach
einem blossen Bilde aussieht und ebensowenig nach einer sprich-
wörtlichen Redensart im Sinn von „sich an Gottes Stelle setzen“.
Von unserer Voraussetzung aus, dass eine ältere Vorstellung vom
Verfasser reproduziert wird, möchte sich die Sache nun vielleicht
etwas leichter darstellen. Allein wir brauchen das nicht zu ver-
folgen. Der Autor müsste doch geradezu bewusst die Wendung
ihres eigentlichen und ursprünglichen Sinnes entkleidet haben,
und dann fragt man wieder: warum giebt er das nicht zu ver-
stehen?
Die Beziehung auf den wirklichen Tempel kann also aus der
Stelle nicht entfernt werden. Dann bleiben nur noch zwei Mög-
lichkeiten. Entweder müsste der Verfasser die stille Voraus-
setzung machen, der zerstörte Tempel werde in der letzten Zeit
1) Von Hofmann ὃ. 315. Einen Vorgänger hat von Hofmann in
Schott, Epistolae Pauli ad Thessalonicenses et Galatas 1834. Vgl. auch
Baumgarten-Crusius bei Bornemann S. 669. Dagegen schon Kern
N. 158.
2) Das ἀποδεικνύίοντα ξαιτόν mit ὅτι braucht in der That nicht mehr
zu besagen, als dass der Antichrist „mit der That erklärt und kund thut,
er, nämlich er im Gegensatze zum wahrhaftigen Gotte, sei selber Gott“
ivon Hofmann). Die Bedeutung „sich zur Schau stellen“ ist nicht ge-
fordert.
3) An den Tempel von Leontopolis zu denken und den Verfasser nach
Egypten zu versetzen, würde nichts helfen, da dieser 'Tempel bereits 73 n
Chr. von den Römern geschlossen wurde. S. Schürer 5 1 Κὶ 640 (=?
S.537), ΠῚ S.99 ( -2 IT 5406).
Das Wort vom "Tempel Gottes 24. 105
von Neuem auferbaut werden; oder aber er müsste den Zug,
dass der Antichrist sich in den Tempel Gottes setzen werde, ohne
weitere Gedanken übernommen haben, blos weil er nun einmal
überliefert war.
Im ersten Falle hätten wir eine glatte Lösung der Schwierig-
keit. Allein lässt sich dem Verfasser die Erwartung der Wieder-
herstellung des Tempels zuschreiben?
Hätte er sie bei der Abfassung seines Briefes gehegt, hätte
er also mit der klaren Erinnerung, dass der Tempel zur Zeit zer-
stört sei, geschrieben, so hätte er das vermutlich durch eine An-
deutung oder Erläuterung verraten: das bleibt auch hier sogleich
ein gewichtiger Einwand. Denn dass er absichtlich den Eindruck
habe wecken wollen, dass der Tempel noch stehe, um nicht über
die Zeit des Paulus hinauszugehen, wird niemand glauben. Aber
es spricht noch Anderes gegen eine solche Erwartung des Ver-
fassers.
Man kann gewiss nicht behaupten, dass ein Christ um das
Jahr 100 nicht die Erneuerung des irdischen Jerusalems hätte
erwarten können. Dass er dabei auch auf eine Herstellung des
Tempels rechnete, wäre schon darum möglich, weil das Judentum
nach 70 sicher darauf gerechnet hat. Denn es ist wohl nicht an-
zunehmen, dass man eine solche Erwartung wegen der Antithese
gegen den jüdischen Kultus verwerfen musste. Allein was hat
der Antichrist mit solcher chiliastischen Erwartung zu thun? Die
Erneuerung Jerusalems wäre doch beim Kommen des Antichrists
noch nicht vollzogen.
Bei den Kirchenvätern seit Hippolyt begegnet uns nun frei-
lich sebr häufig der Glaube, dass der Tempel von Jerusalem wieder-
hergestellt werden und dann der Antichrist: in ihm sich niederlassen:
werde !. Die Meinung ist dabei aber, wenigstens in der Regel,
dass der Antichrist den Tempel selbst erbauen ? und damit seinen
Eifer für jüdisches Wesen bekunden werde. Parallel ist der
Gedanke, dass er den Juden zu Gefallen das jüdische Reich auf-
richten, oder dass er die jüdischen Zeremonien herstellen werde.
So sagt z. B. Primasius?: Nam templum Hierosolymis restituet
1) Malvenda p. 61sq, Bousset NS. 105, Bornemann ὃ. 405.
2) Eine Variante ist, dass die Juden ihn für den Antichrist erbauen
werden.
3) Bei Malvenda.c.
106 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
et omnia legis caeremonialia restaurabit. Denselben antijüdischen
Sinn haben die betreffenden Stellen bei Hippolyt!. Es bedarf
wohl keines Beweises, dass diese Erwartung der Wiederher-
stellung des Tempels mit der gleichen jüdischen Erwartung dem
Ursprunge nach nichts zu tbun hat, vielmehr lediglich im Zu-
sammenhange der Antichristerwartung gebildet worden ist, und
zwar aus keinem andern Grunde, als um der Stelle 2. Thess. 2:
zu genügen. Diese paulinische Weissagung, dieses unantastbare
Apostelwort konnte ja nicht unerfüllt bleiben. Sollte der Antıi-
christ also im Tempel Gottes sitzen, so musste er neu erbaut
werden. War dieser Gedanke einmal den christlichen Theologen
geläufig, so brauchte er nicht notwendig jedesmal ausgesprochen
zu werden, wenn von dem Frevel des ἄνομος die Rede war.
Deshalb ist es zwar auffallend, aber nicht unverständlich, wenn
etwa Irenaeus? mehrfach davon spricht, der Antichrist werde im
Tempel und zwar im jerusalemischen Tempel sitzen, ohne im
/usammenhange ein Wort von seinem Wiederaufbau zu sagen *.
Das Postulat, das sich aus 2. Thess. 2+ ergab, kann er deshalb
doch gekannt haben.
Für unsern Verfasser liegt die Sache völlig anders als für
diese Kirchenväter, und so können wir auch deshalb nicht an-
nehmen, dass er beim Schreiben an einen Wiederaufbau des
Tempels gedacht habe.
Prüfen wir die andere Möglichkeit, dass der Verfasser die
Vorstellung von dem im Tempel sich niederlassenden Antichrist
fortpflanzte, ohne an die Zerstörung Jerusalems und des Tempels
zu denken oder ohne «doch den Widerspruch der überlieferten
Weissagung mit diesem T’aktum klar zu empfinden.
Die Zähigkeit apokalyptischer Überlieferungen ist gerade in
letzter Zeit vielfach hervorgehoben werden. Dass Züge älterer
Erwartung sich erhalten, obgleich sie nicht mehr verstanden
werden, dass apokalyptische Bilder unberührt bleiben, obwohl die
veränderten Verhältnisse, auf die sie angewendet werden, eine
Modifikation veranlassen sollten, ist keine unmögliche Erschei-
1) Vgl. De Antichristo c.6, 54, auch 25, In Danielem IV 49.
2) Adv. haer. V25, vgl. auch 283, 304.
3) In späterem Zusammenhange V 34,35 ist von der reaedificatio Jeru-
salems die Rede. Diere Hierusalem reaedificata ist aber nicht das Jeru-
salem, das der Antichrist betritt.
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 107
nung!. Aber die Stelle 2. Thess. 2+ sagt ja weder etwas Unver-
ständliches noch bringt sie einen Bildstoff, der erst ausgedeutet
oıler angewendet werden müsste. Hier wäre vielmehr eine in sich
klare Vorstellung in ihrem alten Sinne konserviert worden, wie-
wohl sie in diesem Sinne durch ein bekanntes Ereignis unmög-
lich geworden wäre. Was man erwartet, ist daher zunächst ohne
Zweifel, dass der Verfasser sie entweder ganz abgestreift oder
aber umgedeutet hätte.
Diese Erwartung scheint noch unabweisbarer zu werden,
wenn man den Kontext erwägt. V.s schreibt der Verfasser: xai
cv τὸ κατέχον οἴδατε. stellt also dies κατέχον als eine seinen
Lesern wohl bekannte, deutliche Grösse hin. Hienach entsteht
der Eindruck, dass es sich im ganzen Zusammenhange um eine
recht lebendige und verständliche Tradition handelt. Innerhalb
einer solchen aber erwarten wir nicht gerade einen Zug, der sich
wie ein Petrefakt aus älterer Überlieferung ausnehmen würde.
Dieser Erwägung lassen sich jedoch andere entgegenstellen.
Redet hier ein Pseudopaulus, so wird man aus dem οἴδατε sicher
keinerlei Kapital schlagen können. Hat er soeben, die Fiktion
festhaltend und durchführend 2, gesagt: „erinnert ihr euch nicht,
dass ich euch das alles bei meiner Anwesenheit gesagt habe?“ so
kann er leicht auch die weitere Mitteilung über das χατέχον 3
als eine den Lesern bekannte Sache hinstellen. Unbegreiflich
freilich wäre es, wenn er sagte, die Leser hätten das Wissen um
das χατέχον erst neuerdings erlangt (νῦν — οἴδατε). Wie käme der
Verfasser dazu, einen Gegensatz zwischen früherem und jetzigem
Wissen zu fingieren? Eine solche Aussage müsste notwendig
einen realen Anlass haben. Allein das νῦν hat mit dem οἴδατε
var nichts zu schaffen, es gehört mindestens logisch mit χατέχον
zusammen, d. h. es kann nicht eine erst jetzt gewonnene Kennt-
nis von einem früheren Nicht-Wissen unterscheiden, es kann nur
das „Aufhalten“ als eine Sache der Gegenwart im Gegensatze
1) Vgl. 2. B. Gunkel S. 282, 335, 344 u. s., Bousset N. 40,
2) Oben S. 65.
3) Auf den Sinn der Ausdrücke τὸ χατέχον und ὁ χατέχων gehe ich
hier nicht ein. Die gewöhnliche, durch die älteste exegetische Tradition
gestützte Auslegung, wonach der Wechsel von Neutrum und Masculinum
sich aus dem Gedanken an das römische Reich und seinen persönlichen
Träger erklären soll, ist m. E. wenig wahrscheinlich.
108 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
zur Zukunft charakterisieren sollen. Zur Zeit wird der Anfichrist
noch gehemmt, später (ἐν τῷ αὐτοῦ χαιρῷ) wird er sich oflen-
baren. Bei dieser Auslegung! ist dann das xal οἴδατε als die
einfache Fortsetzung des οὐ μνημονεύετε; unmittelbar wie dieses
aus der Fiktion verständlich, und besondere Schlüsse über die
Lebendigkeit und Verständlichkeit der mitgeteilten eschatologi-
schen Tradition lassen sich ans der Wendung nicht gewinnen.
Jedenfalls ist aber die Darstellung des Verfassers in sich
zusammenhängend und frei von Verworrenheit, und das begün-
stigt ja freilich die Annahme nicht, der Verfasser habe in der
Erwähnung des Tempels einen Zug älterer Überlieferung beibe-
halten, ohne sich den nächstliegenden Einwand zu machen.
Man sieht sich nach Analogien um, die den vorliegenden
Fall beleuchten könnten. Die Aussicht, solche nachzuweisen, kann
freilich nicht sehr gross sein. Denn kaum wird in einem andern
Falle eine eschatologische Erwartung ähnlich mit der Chronologie
verknüpft sein, d. h. kaum wird sie so durch ein in der Christen-
heit allgemein bekanntes, epochemachendes Zeitereignis berührt
werden, wie die Erwartung, der Antichrist werde sich im jerusa-
lemischen Tempel niederlassen, durch den Untergang dieses
Tempels. Indessen könnte es vergleichbare Fälle geben, in denen
es sich gerade auch um den Tempel handelte.
Vielleicht erinnert man hier an jene Stellen der altchrıst-
lichen und jüdischen Literatur, in denen nach dem Jahre 70 vom
Opferdienste und damit vom Tempel wie von etwas Bestebendem
1) Sie wird, allerdings in etwas verschiedener Weise, vertreten von
von Hofmann, Bornemann, Zahn 1 8.168. Ich halte mit Zahn die
wirkliche Verbindung von νῦν mit κατέχον für erlaubt. Vgl. die Parallele
V.7: ὁ χατέχων ἄρτι. Die Kritik hat meist die andere Auffassung ver-
treten, wonach riv oldate im Gegensatze zu ἔτι ὧν πρὸς ὑμᾶς V.5 von
einem jüngst erlangten Wissen reden soll. Sie hat dabei aber die sach-
lichen Schwierigkeiten nicht beachtet, welche gerade ihr diese Auffassung
verbieten. Die neuerdings erlangte Kenntnis könnte nicht Fiktion, eie
könnte nur eine wirkliche 'T'hatsache sein. Der Gegensatz ἔτε ὧν χτλ aber
sollte etwas Fiktives betreffen? Das wäre mehr als seltsam! Ferner: wenn
der Pseudopaulus voraussetzt, dass seine Leser vom χατέχων Bescheid
wissen, so liegt darin doch ohne Weiteres. dass ihnen die Lehre vom Antı-
christ auch frisch im Gedächtnis ist. Denn der χατέχων setzt eben den
Antichrist voraus. Die ganze Belehrung hätte dann entweder gar keinen
Zweck, oder sie müsste wesentlich anders zugespitzt sein.
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 109
ım Präsens gesprochen wird.! Die ältere Gelehrsamkeit fand in
igeu von ihnen einen Beweis für die Abfassung der betreffen-
ı Schrift vor der Zerstörung Jerusalems.” Namentlich 1. Clem.
41 klingt ja auch ganz danach, als ob der Tempelkult noch
‚endig wäre’, und wer weiss, wie man die Worte heute ver-
rten würde, wenn sie statt im ersten Clemensbriefe im Epheser-
er Kolosserbriefe ständen. Aber von einer Parallele zu unserm
lle kann hier doch gar keine Rede sein. Allerdings ist es
rade bei dieser Stelle des Clemensbriefes nicht ohne Interesse,
35 dem Verfasser der Gedanke an Jerusalems Schicksal, der uns
nahe zu liegen scheint, gar nicht kommt. Allein das Präsens
det eine leichte — und heute wohl allgemein anerkannte —
klärung: nicht die historischen Verhältnisse schweben dem
ırfasser vor, sondern die als dauernd gedachten gesetzlichen
yrschriften des Alten Testaments.
Dagegen bietet die Apokalypse Johannis einige Worte, die
ın hier mit besserem Rechte zum Vergleiche heranziehen darf.
»ok. 111.2 wird der Seher aufgefordert „den Tempel Gottes und
n Altar und die Beter darin“ zu messen, den äussern Vorhof
er beim Messen zu übergehen; „denn er ward den Heiden ge-
‚ben, und sie werden die heilige Stadt zertreten zweiundvierzig
onate lang“.
Es verdient jedenfalls bemerkt zu werden, dass hier ungefähr
1) 1. Clem. c. 41, Epist. ad Diogn. c. 3, Justin, Dial. 117. Dazu Jo-
phus, Antiquitt. III 6—12 und besonders Contra Apionem 17, 26fin., 223 (wo
ben dem Präsens auch das Futurum erscheint. Vgl. Harnack zu
Clem. 41, Schürer?. I S. 652. (=? S. 6456}, von älterer Literatur
sonders Friedmann und Graetz, Die angebliche Fortdauer des jüd.
ferkultus nach der Zerstörung des 2. Tempels. Theol. Jahrbb. 1848,
338ff. Auch rabbinische Stellen kommen in Betracht.
2) 2. B. meint Hefele, Patr. apost. opp.? 1847 p. XXXVI, ohne die
tistenz des Tempels wäre die Argumentation des Clemens in c. 41 hin-
Ilig. Josephus entscheide nicht für Clemens. Ähnlich Uhlhorn in Nied-
rs Zeitschr. f. hist. Tbeol. 1551 δ. 322. Auch der Brief an Diognet wurde
gen der Stelle c.3 vor τὺ ἢ. Chr. angesetzt, 2. Β. von Tillemont (vgl.
‚to, De epistola ad Diognetum. Jena 1344, p. 14). An den Hebraeerbriet
aucht nur erinnert zu werden.
3) 1. Clem. 412: Οὐ πανταχοῦ, ἀδελφοί. προσφέρονται ϑυσίαι
δελεχισμοῦ ἢ εὐχῶν ἢ περὶ πλημμελείας, ἀλλ᾽ 7) ἐν Ἱεροισαλὴμ μόνχ'
ἰκεῖ δὲ οὐκ ἐν παντὶ τύπῳ προσφέρεται, ἀλλ᾽ ἔμπροσϑεν τοῦ ναοῖ
ρὸς τὸ ϑυσιαστήριον χτλ.
γ͵
Ἂ
/
110 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
dieselben Schwierigkeiten, dieselben Deutungsversuche und Er-
wägungen aufgetaucht sind, wie wir sie bei den Worten des
zweiten Thessalonicherbriefs verfolgen. Oft genug ist auch diese
Stelle als ein deutlicher und zwingender Beweis für die Abfas-
sung der Apokalypse vor dem Jahre 70 betrachtet worden.'!
Auch hier hat sich andrerseits der ναὸς τοῦ ϑεοῦ zu Gunsten
einer späteren Datierung des Buches bis in neuere Zeit eine
allegorische Deutung gefallen lassen müssen. ? Ferner hat sich
die Hypothese eingestellt, dass die Weissagung auf den wieder-
erbauten Tempel gehe.? Die Meisten aber werden heute urteilen,
es müsse hier eine ältere, von den Ereignissen bereits überholte
Weissagung aufgenommen sein. Denn konzipiert ist der Gedanke,
dass der Tempel sich in einer Zeit der Not - wie ein Asyl —
erhalten werde, zweifellos in einem Momente, wo der Tempel
noch bestand.! Andrerseits kann die Apokalypse als Ganzes nach
sicheren Indizien erst in einer späteren Zeit entstanden sein.
Gehen wır hiervon aus, so wird man freilich mit Bousset>
fragen müssen, wie der Apokalyptiker die ältere Weissagung
aufnehmen konnte, und was er sich bei der Aufnahme gedacht
hat. Bousset hat vermutet, er habe das Messen als Zeichen
nicht der Erhaltung, sondern der Vernichtung aufgefasst 6, dem-
1) Vgl. z. B. Düsterdiecks Kommentar und Bleek, Einleitung in
das N. T. 3. Aufl. (ed. Mangold) δ. 722.
2) Hengstenberg z. B. τινα]. oben S. 88} deutete den Tempel auf
die Kirche, B. Weiss auf die gläubige Judengemeinde (so noch Einleitung
in das N. T.3 S. 367), ähnlich Beyschlag. Vel. darüber Bousset z. δἰ.
(Komm. zur Offenbarung Joh.).
3) Wabnitz in den Jahrbh. f. protest. Theol. 1884, S. 512. 1985,
S. 134f£ — Zahn nimmt an, dass 111.2 die geschehene Zerstörung Jeru-
salems hinter sich hat, und dass die Errettung des Tempels in der „Zeit
des Antichrists“ liegt. Er äussert sich nicht darüber, wie der Verfasser
nach τὸ den Tempel als bestehend denken kann. Es scheint, dass er ihm
ebenfalls, wenn auch in andrer Art als Wabnitz, den Gedanken an eine
künftige Herstellung des Tempels zuschreiben muss. Vgl. Zahn 11 S. 618f.,
591, 5979 ı -2 5218, 5194, 6009.
4) Dass er gerade der Zeit der beginnenden Belagerung Jerusalems
durch die Römer entstammt 'z. B. Bousset, Komm. S. 373). bezweifle ich
mit Gunkel S. 219f. Schon die 42 Monate sprechen dagegen, ἃ. h. die
Zahl 321.
5) A. ἃ. 0. N. 374f.
ο Nach Jes. 34 10f.
Das Wort vom Tempel Gottes 24. 111
ach in den Versen eine — für ihn bereits erfüllte — Weis-
ıgung auf die Zerstörung des Tempels gefunden. Die Verse ı
nd » mit ihrem der Vergangenheit angehörigen Inhalte seien
ur wie eine Art Einleitung zum Folgenden gedacht, sie führten
af den Boden Jerusalems hin, auf dem dann (V. 38.) das Anti-
ırist-Drama der Zukunft sich abspielen solle Bousset macht
8061 übrigens die (freilich notwendige) Annahmel, dass nicht erst
ar Verfasser der Apokalypse V. ı und 9 dem Folgenden vorgesetzt
abe. Die Hypothese hat manches Schwierige; 2. B. kann man
nwenden. dass 11s Jerusalem als bestehend gedacht wird, ob-
obl hier der Apokalyptiker sicher von dem redet, was für ıhn
lbst zukünftig ist. Immerhin kann man die Möglichkeit kaum
streiten. Gerade was im Praeteritum vom „äussern Vorhofe
ss Tempels“ gesagt wird: ἐδόϑη τοῖς ἔϑνεσιν (V. 2), könnte
e Deutung der Worte auf das Vergangene nahe gelegt haben.
ine sichere Analogie zu der in Frage stehenden Deutung von
Thess. 2+ lässt sich jedenfalls aus dieser Stelle nicht gewinnen.
Etwas anders steht es nun freilich, wie soeben angedeutet,
it der Erwähnung von Jerusalem 11» und ebenso, wie wir hin-
ıfügen dürfen, mit 11.182; denn hier kann die Stadt, von der ein
»hntel vernichtet werden soll, und in der 7000 Bewohner durch
n Erdbeben getötet werden sollen, nach dem Zusammenhange
ıch nur Jerusalem bedeuten. Der christliche Apokalyptiker hat
er also sicher nach dem ‚Jahre 70 n. Chr. Weissagungen auf-
zeichnet, in denen Jerusalem eine Rolle spielt, wiewohl es da-
als zerstört war. Daran wird selbst dann nichts geändert, wenn
‚8 das ὅπου καὶ ὁ κύριος αὐτῶν ἐσταυρώϑη eine Glosse
ıd die „grosse Stadt“ ursprünglich Rom sein sollte.? Gerade
f die Auffassung des letzten Schriftstellers kommt es uns an;
ἃ er hat unter allen Umständen an Jerusalem gedacht, mag
nun die ganze Weissagung in der zweifellos christlichen Ge-
ılt, wie wir sie jetzt bei ihm lesen, übernommen, oder mag er
Ibst erst die Worte ὅπου zei ὁ κύριος αὐτῶν ἐσταυρώϑη
1) A. a. O. S. 386.
2) Ähnlich wäre auch 209 zu beurteilen. Vgl. dazu Bousset 8. 505.
eek S. 723f. fand in 209 auch einen Beweis für den Bestand des irdi-
ıen Jerusalems zur Zeit der Niederschrift dieser Worte.
3) Spitta, Die Offenbarung des Johannes S. 112%.
112 Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
hinzugesetzt und vielleicht noch andere Änderungen mit seiner
Vorlage vorgenommen haben.! Aber hat er nun an ein wieder-
erbautes Jerusalem gedacht oder nicht” Eine erläuternde Be-
merkung wird auch hier nicht gemacht. Das wird aber hier
allerdings nicht so viel besagen, als wenn 2. Thess. 2 eine An-
deutung über die Wiederherstellung des Tempels fehlt. Schon
deshalb, weil der Apokalyptiker sich vermutlich in diesem Stücke
so eng an den Wortlaut älterer Weissagungen angeschlossen hat,
wie es vom Verfasser des zweiten Thessalonicherbriefs selbst dann
nicht zu glauben ist, wenn er eine schriftliche Quelle benutzt hat.
So wäre es immerhin denkbar, dass er bei der Wiedergabe
dieser Weissagungen stillschweigends an eine Wiederherstellung
Jerusalems gedacht hätte, zumal wenn er 112 wirklich vom Falle
des Tempels verstand. Woher er jenen Gedanken genommen,
wäre freilich schwer zu sagen, da es sich um das erneuerte Je-
rusalem ja auch hier nicht handelt. Eben deshalb scheinen wır
hier eine Analogie zu haben, wie wir sie suchen. Dennoch wage
ich das nicht zu behaupten. Der Verfasser kann sich die Dinge
doch auf seine Art zurechtgelegt haben, wenn auch vielleicht
mit Vorstellungen, die uns verworren erscheinen. Jedenfalls lässt
sich aus einer so wenig durchsichtigen Sache schwer ein Licht
holen für eine andere Dunkelheit.
Gleichwohl scheint mir für den zweiten Thessalonicherbrief,
wenn er nach 70 geschrieben ist, die wahrscheinlichste Annahme,
dass der Verfasser das Wort vom Tempel niederschrieb, einfach
weil seine Überlieferung es enthielt, d. ἢ. ohne an die Zerstörung
des Tempels überhaupt zu denken. Die psychologische Möglich-
keit 156 im Allgemeinen doch nicht zu bestreiten. Besonders ist .
aber zu betonen, dass der „Tempel Gottes“ zu den Elementen
der allgemeinen christlichen Sprache gehörte und als eine Rea-
lität der biblischen Geschichte jedem Christen vor Augen stand.
Je geläufiger es jedermann schon durch den Einfluss des Alten
Testamentes war, von ıhm zu hören oder zu reden, desto eher
war es möglich, dass die Erinnerung an das historische Fak-
tum der Zerstörung dem Verfasser gar nicht kam, zumal in
einer Zeit, wo dies Faktum kein ganz frisches Ereignis mehr
war, sondern bereits Jahrzehnte zurücklag. Doch ist hinzuzufügen,
1) Bousset N. 386.
Abschluss, 113
dass diese Annahme wesentlich leichter ist, wenn der Verfasser
von einer schriftlich fixierten, als wenn er von einer mündlich
weitergegebenen Überlieferung abhängig war. Schriftlich Fixiertes
pflegt dem Fortpflanzer überhaupt mit grösserer Autorität gegen-
über zu treten; es wird leichter ohne Nachdenken übernommen.
Bei nur mündlicher Überlieferung wäre besonders die Frage
schwierig, wie sich der Zug von der Zerstörung des Tempels an
bei seiner Wanderung durch allerlei Zwischenglieder bis in die
Zeit des Verfassers intakt erhalten konnte. So werden wir hier
darauf geführt, eine wie immer beschaffene schriftliche Grund-
lage zu vermuten; die Möglichkeit dieser Annahme wurde bereits
oben behauptet.
Wenn der Brief nach 70 geschrieben ist, wird man so ur-
teilen müssen. Aber die Frage ist ja eben, ob er nach 70 ge-
schrieben sein kann.
Ich hoffe, die vorstehende umständliche Ausführung, die ich
der Sache schuldig zu sein glaubte, obwohl die vielen Erwägungen
blosser Möglichkeiten dem Leser ebensowenig (Genuss bereiten
konnten wie mir selbst, zeigt besser als die blosse Versicherung,
dass ich die Schwierigkeit, die 2+ einer späteren Datierung des
Briefes bereitet, nicht gering veranschlage. Es ergiebt sich, dass
die Untersuchung hier in eine Hypothese ausläuft, die an der
fraglichen Stelle nicht ohne Hilfsannahmen und daher nicht ohne
Bedenken durchgeführt werden kann, geschweige, dass sie durch
die Stelle selbst nahegelegt würde. Hiermit ist zugestanden, dass
ein Punkt zurückbleibt, der durch unsere Untersuchung nicht
schlagend aufgeklärt wird, und der daher immer leicht den
Zweifel auf sich ziehen wird.
Dennoch glaube ich, dass die oben geführte Untersuchung
hier nicht umgestossen ‚wird.
Zunächst kann uns die Aussicht, bei der einen Stelle 24 einer
unleugbaren Schwierigkeit zu entgehen, nicht bestimmen, unser
Urteil über die Echtheit des Briefes zu ändern. Denn mit der
Annahme der Echtheit geraten wir in Schwierigkeiten hinein,
die ebenso unleugbar und in Wahrheit von ganz anderer Be-
deutung sind, da sie das ganze Schriftstück zum Rätsel machen.
Ich kann den Beweis nicht von Neuem führen, aber ich muss
den Leser bitten, die früher beigebrachten Argumente hier noch- ἢ
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX. 2. S
114 Wrede, Die Eichtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
mals voll auf sich wirken zu lassen. Das literarische Verhältnis
des Briefes zum ersten Thessalonicherbriefe bleibt ohne die An-
nahme der Fälschung völlig unverständlich. Es handelt sich
hierbei aber zum guten Teile um Thatsachen, die als solche ob-
jektiv und unabhängig von jeder subjektiven Auffassung zu Tage
liegen. Es handelt sich zudem nicht um ein paar einzelne Data,
sondern um eine Fülle von auffallenden Erscheinungen — im Wort-
laut, in der Komposition, im Inhalt und in der Haltung des
Briefes. Die Echtheit zugeben heisst den Schlüssel für alle diese
Erscheinungen aufgeben, denn bei Paulus ist nun eben eine der-
artige Abhängigkeit von seinem eigenen Briefe nicht vorzustellen.
Es heisst ferner sowohl auf eine befriedigende Erklärung der
Stelle 22 wie der Schlussbemerkung 817 verzichten. Unter diesen
Umständen wird der Zweifel an der chronologischen Verwert-
barkeit der Stelle 2: geradezu aufgenötigt, und da es für möglich
gelten darf, dass jemand auch nach dem Jahre 70 unter gewissen
Bedingungen so vom Tempel Gottes reden konnte, so wirkt das
Schwergewicht der Gründe gegen den paulinischen Ursprung des
Briefes dahin, diese Annahme zur Wahrscheinlichkeit zu machen.
Nun kommt freilich noch die dritte Ansicht in Frage, wo
nach der Brief nicht von Paulus, aber vor der Zerstörung ἰδ
rusalems geschrieben wäre. Sie würde nach beiden Seiten alle
Schwierigkeiten vermeiden, und kann so als der beste Ausweg
erscheinen. Dennoch glaube ich, dass auch sie in Wahrheit stär-
keren Bedenken ausgesetzt ist als unsere Hypothese über 2:
Die historischen Gründe, die gegen eine so frühe Fälschung
geltend gemacht wurden !, lassen sich in ihrem Gewichte nicht
abschwächen. War das Schriftstück wirklich für die Gemeinde
in Thessalonich bestimmt, so versteht man weder, wie es kurz
nach dem Tode des Paulus dort Eingang finden, noch wie 68
vom Verfasser gewagt werden konnte. War die Bestimmung
nach Thessalonich nur Form, so versteht man nicht, wie ein®
solche Einkleidung in so früher Zeit gewählt werden konnte, d®
sie eine Verbreitung und ein Ansehen der Paulusbriefe voraus“
setzt, wie sie vor dem Jahre 70 schwerlich anzunehmen sind-
Wir werden hiernach dabei bleiben dürfen, dass der unecht*
Brief am Ausgang des ersten oder am ersten Anfange des zweite 7?
Jahrhunderts verfasst worden ist.
1) Vgl. S. 308:
Stellenregister.')
> ὃ. 5 τ. δ, 42. 8 27f. 29. 80.
᾿ Thess. 44. 45. 65. 84
15. 35 66. 82f. 108 9 12. 80
4. 27. %6f. 5 | 10 7.23. 52. 60.
ς 6 65. 1011.
δά 20,7 43 30. 93
3, 0. τι A ΕΗ 42 10—12 19. 23
85. 95 0 3 11 11. 16. 30.
15 58. 77. 81
4. 19. 74 ΔΕ 2 12 11. 77. 81
6. 15. 53. 77 an: 12-15 17
85. 91. 9af. 13 19. 201. 27.| 8 90
15 30. 74. 75. 84 ısf. 81
27. 53. 77 13. 14 τ. 20. 78 14 66. 76. 80 —
(10) 6. 17. τά 14 8. 20. 30. 78 82. 84. 94
‘9 15 29. 60. 63: Ὁ 11. 12. 81.
30 66. 76. 78. 81 84. 032
2 4 15{18)— 05 8. 19.28.78 16 211. 30. 74.
b. 30. 75 16 21. 30 81. 82. 89
‘7 168 78 16 —18 111
41. 46.60. 98 ἡ 28. 63 17 36. 49, 40.
23.28. 30.31. ἢ 29 30.78.79 54—57. 60.
7. 68 ᾿ 9: 61f. 64}. 82.
16. 65 we 859 86. 87-90.
97.31. 4.--. |" u 91
46. 47. 48 1-8 5) 19. 78 17. 18 35—54
70 2 n 8 18 80
-2? 7.17.2%0.20. 8 . ἵ _
40.49.74.77 1 id. 78. 90
16, 1r ὃς. 5 9. 22. 30. 74. | 1. Thess.
— . . ί !
91] 6 11.12.17.23. 1! 4. 15.27.76 8.
4] 30. 66. 81 2 74. 85
13 6.7 19 , 2-4 8
41. δύ. 56. s#. 15. 18. 29. 2-8s110) 4.6. 19
64. 65. 9 40. 51—53. stl. 15
64. 70. 93 76 4 19. 74. 78.
74 6-12 115) 10. 19. 80 84
37. 605. 05. 7 11. 12 6 12. 15. 17
96. 118 1-τ 9 80 6. 7 11
) Abgesehen von 2. 'Ihess. und 1. Thess. ist nur eine Auswahl Jer
3n Stelleu in das Register aufgenommen. Stellen, die nicht irgendwie
chen werden, sind meistens ausgeschlossen. Den 2. Thessalonicher-
telle ich voran.
83
1-—12(16j
1-10
uff.
ι1..9)-1 0
Wrede, Die Echtheit des zweiten Thessalonicherbriefs.
6. 12 ‚1-12 15.18.19.23 Act. 18 19 ΤΠ τ
b. 85 u 11. 38. 65:1. Kor. 725 32
85. 94 | 80 836 45
2.76.7585. 1.2 δ1. 81. 84, 1621 8:. 89
N 19 51 2. Kor. 119 28
4 ı 188} 46. sl Gal. 5.0 %
14 . di >98
11. 20. 34, 14—17 ἢ 11 39. Su.
34. τὸ. τ 23. 13. 47.|Kol. 418 39. 89
1. 10. 278.1 61. 65 Jak. 21. τ28.
29. δ), 84 _5 17 8188. τῶ
2] ἣν “> δ᾽ 4-0 [10
3. 85 - |1. Petr. δδ-- 1
5.7. 508 τ „7 | A
τ. 8 ) ὃ 8150 Τ11
ἢ. 20., τά. 1 11. 48 9.15.17 72
18.79.81 174 43-47. 57.) Anok. 111.2 109-112
20 DD 8.18 111
15 Σ 1. 65 13.6.15 102
5.17.53.91 3. 8 4 | Sg 111
18 3 4. 48 !
‘ Sg
3 9 <
‘ 12 ‘ .
16. 20. 8 18 12 :1. Clem. 235 46. 47
δὲ st. a 11. 81 ! 96. 103
2 14 11. 12.15. 81; 384 75. 93
31 23 11. 518 74. 412 109
ὃ δῚ. 82 Ep. Barn. ὅ8,11 v5. 93
10 24 IE Ya, Ignat,, Eph. 81 93
15 94, 95 9.19 Ρῃ. .
τ. 11. 65 7 36. 81. &2.| Magn. 9 33
35. 58. 82 SS |Ep. Polyc. 113 94
18 28 1. 114 93
ῳ, 0, 78 Ep. adDiogn. 3 109
N. 21f.31. τὸ Did. 123 33
20, 22, τῷ Irenaeun, adr.
x . Ἢ τ 25 2,
80 Sonstige Stellen. | ne ug
δὸς }9. 31 Jes. 14 131. 101.103 | Tertullian, de
au Ezech. δ. 101. 103 resurr. carnis
" Dan. ὁ 101 | 509
δ). ] 1186, 101 | Hippolytus, In
τ. 12.22. Ss: 2. Makk. 3911. 102 ı Dänielem
10. 19.51. 65 3. Makk. 18224107 1V.18.10.21 49
5] Judith 38 4ı. 262 40 16
14 δ3ι 02 102 De Antichr.
12 vb. 25. 54 106
10, 52 a 33 101
() Capita δᾶν.
62 Matth. 2415 10 Caium 43
S Mark. 1314 0 . Vietorin. Pict..
1.1: lauk. 161 52 in Apoe. 1315 00 ff,
Druich von August Pries in Leipzie
Verlag der J. ©. HINRICHS’schen Buchhandlung in Leipzig.
DIE GRIECHISCHEN
CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
DER ERSTEN DREI JAHRHUNDERTE
Herausgegeben von der Kirchenväter-Commission
der Königl. Preussischen Akademie der \Vissenschaften.
Bisher erschienen:
Hippolyt’s Kommentar zum Buche Daniel und die Fragmente des Kommentars
zum Hohenliede. Herausgegeben von Gt. N. BoxwFTtsch. — Hs Kleine exegetische
und homiletische Schriften. Herausgegeben von H. Acueuais,
X, XXVII, 374 u. X, 309 S. 1597. [Hippolytus, Band I) ἘΜ. 18 —
Origenes, Schrift von Martyrium (exhortatio). — Die acht Bücher gegen Celsus
— Die Schrift vom Gebet (de oratione). Herausgegeben von P. KoETScHAU
XCH, 374 u. ἼΗΙ, 546 8. 1599. [OÖrigenes, Band I/II) «M. 95 —
Adamantius, Der Dialog des, περὶ τῆς εἰς ϑεὸν ὀνθῆς πίστεως. Herausgereben von
W. IH. va pe Sanpe BaKkuryzex. LVIll, 25305 S. 1901. *M. 10 —
Das Buch Henoch. Herausgegeben von J. Fremsisg und L. RADERMACHER,
VIL 1728. 1901. M. 5.50
Origenes, Jeremiahomilien, Klageliederkommentar, Erklärung der Samuel- und
Königsbücher. Herausgegeben von E. K1.osTERMANR.
Ι,, 352 S. 1901. [Origenes, Band III ἘΜ 12.50
Eusebius, Über das Leben Constantins. — Constantins Rede an die heilige Ver-
sammlung. — Trieennatsrede an Constantin. Herausgegeben von J. A. HEIKEL.
ΟΥ̓ΤΠ, 353 8. 1902. [Eusebius, Band 1] ἘΜ, 14.50
Die Oracula Sibyllina bearbeitet von J. Gerreken. LVI, 2410 8. 1902. *M. 9.50
*tGehnnden in geschmackvolle Halbfrauzbände ja M. 2.50 für den Banı mehr.
Januar 1908 erscheint:
Eusebius, Kirchengeschichte von E. Schwartz. Dazu:
Rufinus, Lateinische Übersetzung v. Eusebius’ ders«-Iben bearb. von Tu. MoMmMsEnx.
I. Hälfte, enthaltend Buch I bis V. [Eusebius, Band II, ı] M. 16 —
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Der Umfang dieser neuen monnmentalen Ausgabe lässt sich im Voraus nur
annähernd berechnen. Ins Auge gefasst sind etwa 50 Bände. Jeder Band ist
einzeln käuflich; möglichst sollen jährlich drei Bände erscheinen, im τας
schnittlicheu Preise von je ca. 15 Mark.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
JUR GESCHICHTE DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
DEIN Kuül.. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTELNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR von GEBHARDT vsdo ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE — NEUNTER BAND, HEFT II
DER GANZEN REIIE XXIV, 2
LEIPZIG
τ HINRICHS’scne BUCHHANDLUNG
1903
DER PSEUDOCYPRIANISCHE TRAKTAT
DE SINGULARITATE CLERICORUM
EIN WERK DES DONATISTISCHEN BISCHOFS MACROBIUS
IN ROM
DIE
HYPOTYPOSEN DES THEOGNOST.
DER GEFÄLSCHTE BRIEF DES BISCHOFS
THEONAS AN DEN OBERKAMMERHERRN LUCIAN
an
ADOLF HARNACK
- m.
f Σ τ...
᾿
LEIPZIG Ν =
J. C. HINRICHS'sCHE BUCHHAN ἈΝ βαδὺν
19053
Verlaz der J. ΟΝ THINRICHS’sehen Buchhansitung in Leipzir.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ALTUCHRISTLICIHEN
ZUR GESCHICHTE DER
LITERATUR
ΒΟΥ FÜR DIE GRIECHISCHEN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
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Achelis, H., Hippulvtstiulien. VL, 2358. 1847,
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2. Danie] u. Hohenlielte, IV, “8 NS, 1807,
ıNF. 1.2: WM. ...
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V.N. MıkES Aus. dl. zrisin Textes heransır,
us S, 12, ıs. αι Harnaokı
Bratke, E, Das sogenannte Wel: ZiyuSgespr ul
am Hof ler Sans. mit: ἋἹ Ἰδού θα δ, Inu, Mit
Harnack, !'ypriun. ΟΠ ΠΤ ΝΤΓ ΜῸ 10.30
Dobschütz, E. von, ἰ Iaistusbiller. I ntersuchun-
zen zur cebristlichn Legende, XIL , 3 "ἡ
und 3578. 1m, ΚἈΚ 11] Ἷ,
Erbes, C., bir Το ἀρὸ (er Δ ΡΟΝ 9] ΟΝ
απ Petrus und ihre romischen Denhmäler.
IV, 135 δι Int. ‚Mit Harnack, Ketzeikataloıc
une Goetz, Uyprian NF. IV, ἢ ΜΝ. 2.50
Flemming, 1 ‚ Das Tuch Henoch. Athinpi=. hei
Text mit Einleitung und e ammentar,
XVL, 172 8. ἀμ, YI,n M.ıı -
Gebhardt, O.v., "ἀνε Ss, ἮΝ ΜΕ ὙΠ ας Die
latein. Übersetzen. ıJle:r Acta Panli er Pheclan
nebst Fran... Anszugen . Beil, tuen ΟΝ
OXVHT 1888. ἀῶ ΝΙΝ ΔΉ, MW. on.rı
Geffoken, J., Kon weition τι. Kniste ΓΝ unze, " εἶ,
Orur. Sibul. BSR. N ΒΝ ΤΙ. DM. A)
Goltz. E. v. d., Kite tenthrit. ΑἸ ἢν 10, ἮΝ
ὃ. .Jahıl., hersg. nach einem tollen τς Δα μον.
klostersg Lawra. Mit 1 Lichtdraen- Tabl.
VL, 188. 18, NP. II, GM on
Goetz, Κι G.. Der alte Anl. ie end elie rss: ımı-
liche Ὁ ὍΛ Vor Cyplans>chrift 401 Dept
IHN, [πη 5, u. Erbes:
Gressmann, H., Sende n ZN Pi ihn Demi one
xt. 1. Ἵ1 u. (PH =, τι] \ ΠῚ. u γ. Ν᾿ .
Haller. W., Jevinianus, lie N Ἢ m.s.Sehtitien '
NEIL, ΤΡ ἐν ἐμοῖς NE 11,2). Δ), σι
Harnack, A., U ber verlor. Brit \etepstahr,
de ΚΕ ΠῚ αὐ ἢν ΔΗ, ΜΉΝ put
Ιλ ἦι, 8. Τῆς, Mit Klostermann, ''u-: -
lie" Schritt ı. Bonwetsch. Hine-lvt- Ken,
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li» ΕΑ ἰ κε ben henans-Frasm. als Falsch
Past nach wesen. Patyint,. Miseellen.
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Div Kiste δορί Bond 1 - XV: der
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Arch in orte ΠΤ χη]! ἢ) ἢ ἢ.
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Texte und Untersuehunren ete.
ἐν Ν Il erftstenidig , M.
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Prlerifseerzete "min
(τ und A. MARNacK.
Neuen Fulıp: : Ν᾽
Harnack, A., Der Ketzer-Katalog des Bischwi-
Maruta von Maipherkat. 178. ı8ttı νας co. Erbes
— Diador v. Taraus. IV, 2:51 8 τις
'NF. VL, NM. Ss
Drei wenig beachtete οὐ yinianische Schriften
πὰ die „Acta Pauli“. 518. 180%, ὑπ. ὁ. Bratke
Holl, Κι, Fragmente vornicänischer Kirchsr-
väter ang den Saera jarullela.
RNNIN, 2418, 180, .NF.V, 2) M. ἡ --
- Die Saera parallela des „uhannes Danıas-
cenus. XV, 528. 1847. (NF.L DO M1—
Janssen, R., Das Johannes-Ev.nucle. P. raphr. ἊΣ
les Nonmus P.mopelitanns, IV, δ S, τα ἡ
ΧΕ ΚΠ 41. Ἦν ὁ.
Jeep. L., Zu I berlieferung des Philostargio«.
ΩΣ . Wobbermin.
Klostermann, E., bie ΝΣ der Τογρτ ας
Homillen des Origenes.
VI, 118 8. 1887. NF,TI, mM 2
Has: un Sehrät Harn ΝΞ ΞΟ ΕΣ
προνο νἀ. BSS, 1002, /8. ας Harnack
Knopf, R.. ‚ Der erste Clemensbriet. |'Dtersucht
u. berausg. IV, 1018. 189. ıNF.V, ἢ. ΝΜ 6 -
Nastle, E., Kirchengeschichted. Eusebius a.l. δα -
rise hen. N, 206 8, 1001. .\NF. VI, 2) M. 8
Preuschen, Ε., Kumebius" Kirchengeschielr-
Βα VI. Vlb aus εἶν Arınenischen The ysetzt.
NN. nos, 10m2, iNF.VIT.» MM. ι-
Schmidt, C., Plutin'» Stellung z. Önostirisinus u.
kirchl. Christentum. N,30 8. — Fragm. einer
Schrift ol. Mart.-Bisch. Tetzun v. Alrxandrien.
SO Sen, Mit Stahlin NF.\. HM. 5--
Sickenberger. J., Die Lukaskatene dea3 Nikertis
von MHerakleıa untersucht.
Δ 7ΠΠ 118 8. ἀμ Ν ὙΠ. ὁ M ,-.-
its von Bostre, Studien zu dessen L.uhas-
honnilien. VIII PERS. ΤΠ UNE.VL, 1) M. 850
Stählin, O., Zın handschrittl, Uberlief. ἃ. Clem.
Alexan-trinn». SS. een, 8. 0. Schmidt:
Steindorff, @., Iir Apokalypse ἄν Elias, οὶ unbek.
Ayrun.u. "Ὁ anchst. ıl Sophonias-Apok. Ἃς 100 ἃς
ΜΠῚ1 1,6 αι Τα μας sen. ıNF. ΤΙ, 3.) N. 65:
Stülcken, A., Atlanasiana. Litterar- und dog-
mengesIiehtliche | ntruchungen.
VILL, 1b. isn, NF.IV, ΔΜ. ἢ -
Urbain. A., Hin Martyroleiun d. ehristl. (νος
meinde zu Bon an Anfang des V. Jahrh.
aehenteolien 2. Guseh. d, röm. Märtyrer.
Δ], 205 8. 13, ıNF.VILS M 80
Weiss, B., Day (lex Di in 1. A\postelgeschicht:..
T xtlaitise be Untersuchung.
IV, iz 8. 1807, ἈΝ ΕΝ ΤΠ, 12 M. Sie
Pytkritik der τὰ Εν an elien.
Δ]. nn, NE. IV ΝΜ, 8 —
Wobbermin, G., Altchristl. tung, Klicke aus der
Kitehe λον ptens nebst einem dogıinatiachen
riet les Tischofs Serapion von Thmai«.
5. δας Ὁ Mit Jeep NF. II, 4.) W. 2 -
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DER PSEUDOCYPRIANISCHE TRAKTAT
DE SINGULARITATE CLERICORUM
EIN WERK DES DONATISTISCHEN BISCHOFS MACROBIUS IN ROM
DIE
HYPOTYPOSEN DES THEOGNOST
DER
GEFÄLSCHTE BRIEF DES BISCHOFS THRONAS
AN DEN OBERKAMMERHERRN LUCIAN
VON
ADOLF HARNACK
Ἐν
LEIPZIG
J. C. HINRICHS’scae BUCHHANDLUNG
1903
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE VON DER KIRCHENVÄTER-COMMISSION
DER KGL. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTERNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR v. GEBHARDT un ADOLF HARNAOK
NEUE FOLGE. IX. BAND, 3. HEFT.
x --
“us 1. 1906
ΦἘΕΠῸ.
1.
Der pseudocyprianische Traktat
De singularitate elericorum
ein Werk des donatistischen Bischofs Macrobius in Rom.
Der unter Cyprians, aber auch Augustins und Origenes’
Namen überlieferte Traktat „De singularitate elericorum“ giebt
in Bezug auf seine Ursprungsverhältnisse Rätsel auf, die
bisher noch niemand befriedigend gelöst hat. Ich selbst habe
ihn bei meinen Studien über die pseudocyprianischen Schriften
wiederholt ins Auge gefasst und Material zu seiner Aufhellung
gesammelt; aber ich habe dann immer wieder die Feder nieder-
gelegt und die Schrift in ihr Dunkel zurückgestossen, weil ich
zu einer Lösung der Probleme nicht kam. Doch, der übrig ge-
bliebene schwarze Fleck in der Reihe der sich lichtenden pseudo-
eyprianischen Schriften liess mir keine Ruhe. Da wurde ich aufs
Neue, und zwar von zwei Seiten her, veranlasst, die Studien über
die Abfassungsverhältnisse des Traktats wieder aufzunehmen —
eigene Forschungen über den Ursprung des Begriffs „ius ecele-
siasticum“! führten mich zu ihnen zurück sowie eine Unter-
suchung von Achelis in seiner Schrift „Virgines subintro-
ductae“ über die Zeit des Traktats?. Diesmal gelobte ich mir
die Arbeit nicht wieder halb zu lassen, sondern sie abzuschliessen,
auch wenn ein befriedigendes Ergebnis ausbliebe. Auf den
folgenden Blättern teile ich mit, was ich gefunden habe. Zuvor
aber habe ich die Pflicht, anzugeben, was man bisher über den
Traktat gemutmasst hat. Ich kann mich kurz fassen; denn seit
Tillemont haben sich, soviel ich weiss, nur Morin und Achelis
ernstlich mit ihm beschäftigt.
Baronius hat unsere Schrift für cyprianisch gehalten und
dafür einige Argumente beibringen zu können gemeint, aber
bereits Erasmus hatte sie dem karthaginiensischen Bischof ab-
1) 8. Sitzungsber. der K. Preuss. Akad. der Wissensch. 1903, 26. Febr.
2) Leipzig, 1902, 8. 35 Ε΄. ᾿
Texte u. Untersuchungen. Ν. Ε. ΙΧ, 8. 1
y) Harnack.
gesprochen!, und ihm folgten Bellarmin, Pamelius, Rivet.
Dupin constatirte, dass das Werk von einem Lateiner sei, aber
weder von Cyprian noch von Hieronymus herrühren könne; er
meinte, dass sich weder über den Verfasser noch über die Zeit
der Abfassung etwas Positives sagen lasse; doch fügte er die
Bemerkung hinzu, dass der Traktat, den Stil betreffend, den
Werken des Gaudentius von Brescia nahe komme. Ein Muster
von Ratlosigkeit sind die Äusserungen Fells in der Oxforder
Ausgabe der Werke Cyprians: Die Schrift kann nicht von Origenes
oder von Gaudentius sein, da sie den Gebrauch der Vulgata
voraussetzt; vielleicht ist sie erst um das J. 1000 geschrieben
z. 2. der Streitigkeiten um den Priestercölibat, vielleicht z.Z. des
Beda, in der diese Controverse auch schon vorhanden war. Für
die Zeit des Beda passt die Berufung auf eine besondere OÖffen-
barung (??), die sich am Anfang des Traktates findet. Tillemont
(Mem. IV p. 195) enthielt sich jeden Urteils. In Bezug auf
(raudentius bemerkte er: „On ne trouve ni manuscrits ni imprimez
qui Yattribuent ἃ ce Saint.“ Cave tritt dem Urteil Fells, der
Traktat stamme aus Bedas Zeit. entgegen und meint, er sei „non
contemnendae vetustatis, Hieronymi saltem aevo non inferiorem.“
Galeardi (in der Praefatio zu den Werken des Gaudentius, bei
Migne S. L. T. XX Col. 810) erklärt: „Quae in hoc opere de
martyrio disputantur, nullo modo Bedae temporibus, immo nec
Gaudentii nec Augustini aevo convenire possunt, quando nempe
pace ecclesiae data iam non amplius frequens suberat martyrii
occeasio. itaque mea quidem sententia libellus iste vel ad Origenis
vel ad Cypriani tempora referendus. Ceterum libellus ille nihil
omnino continet quod controversiae de coelibatu clericorum aptarı
possit, quamvis eorundem cum feminis contubernium ac familiari-
tatem redarguat, cui profecto argumento congruum auctorem
quaerere saeculo decimo minime oportebat. sane Cyprianus ipse
aliique ea aetate patres saepius in eodem argumento versati sunt.“
Hartel (Praef. ad Opp. Cypr. p. LXIV) glaubte, dass der Traktat
nicht viel älter sei als die älteste Handschrift, d. ἢ. also dem
8. oder 9. Jahrhundert angehöre. Überraschend war es, als
Morin (Rev. Benediet., T. VlII. 1891, p. 236 f.) erklärte: „II ne
ἢ Dass ein Bischof der Verfasser sei, hat er mit Recht aus den
Worten des Verfassers an die Adressaten (Kleriker) C. 37 geschlossen: „Vos,
filii carissimi, non tantum persuasione, sed etiam potestate convenio.‘“
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 3
serait difficile de prouver que ce singulier opuscule est l’ouvrage
de Macrobe dont parle Gennade au ch. 5 de son livre „De
seriptoribus ecclesiastieis* .... Ce Macrobe vivait au milieu du
4. siecle. D’abord prötre catholique en Afrique, il passa ensuite
au schisme des Donatistes, et fut choisi par eux pour succeder
aux trois premiers &veques entretenus secretement ἃ Rome par
leur parti.“ Leider hat er sich über diese Worte hinaus näher
nicht geäussert. Endlich hat Achelis (a. a. Ὁ. S. 35—43) die
Ansicht vertheidigt, der Traktat sei vor dem Nicänum um die
Zeit Diokletians geschrieben; er stellt aber dann, ganz unver-
mittelt, als gleichmögliches Datum die Mitte des 4. Jahrhunderts
(wie Morin) neben das zuerst gewonnene.
Man sieht, in welchem Masse die Forscher auseinandergehen.
Prüfen wir zunächst die Überlieferung‘.
ξ 1.
Dreizehn Handschriften dieses Traktats sind mir 2. 2. bekannt:
(1) Paris. 13331 ol. Sangerman. 839 (olim 114) saec. IX. („ou
au plus du debut du Xesiecle*: Omont),—={C?, cf. Hartel,
Praefat. p. LXIV. In dieser ältesten Handschrift steht
der Traktat als anonymes Stück. Erst eine Hand des
17. Jahrhunderts hat den Namen „Cyprian“ hinzugefügt
(Omont). Die Handschrift stammt aus Corbie. Unser
Traktat eröffnet sie („Incipit de singularitate clericorum*“ —
„Explicit liber de singularitate clericorum*). Sodann
fol. 847: Ineipiunt capitula. 1. Primus in Exodum nocte
.. XVlIll. Item responsio ad Paulum diaconum ...
(fol. 35) Explieiunt capitula. Incipit tractatus primus
(Gaudentii episcopi ist übergeschrieben) in exodu nocte
vigiliarum de paschae observatione. Öportuno tempore
dominus Ihesus ... — ... ab ipso dei filio sempiterno,
cnius regni non erit finis.“ (fol. 120) „Dilectissimis fratribus
Aurelio, Alippio, Augustino, ‚Evodio et Possidonio Inno-
1) Für wertvolle Mitteilungen hier bin ich Frhrn. von Soden iun.,
der sich mit der Überlieferungsgeschichte der cyprianischen Werke be-
schäftigt, zu Dank verpflichtet, für die genauere Kenntnis des Cod.C Herrn
Omont.
2) Nicht zu verwechseln mit dem Cod. C der echten Cyprian-Hanıl-
schriften.
1*
4 Harnack.
centius, fraternitatis catholice vigore firmatus a duobus
missas conciliis per fratrem et coepiscopum nostrum
Julium pergrato suscepimus animo. Quod earum tenor
omnisque contextio ...... Data pridie Kl. febr. gloriosissimi
Theodosi qui et Juni quarti etc.“ (fol. 122) „Incipit trac-
tatus sancti Hilarii. Vobis enim, fratres, dico, vobis qui
iam non lacte alımini... —... in die revelationis
reservet, opto, fratres karıssimi. Finit tractatus sancti
Hilarıi“ (Nota von einer Hand des 17. Jahrh.: „Est
fragmentum de synodis eiusdem Hilarii, sub finem; vide
editionem ann. 1605, pag. 359“).
(2) Paris. 1659 saec. XII/XII = eo, ef. Hartel, l.c.p. LVII
(es ist der Codex, aus welchem die cyprianische Vulgata
geflossen ist); er enthält unseren Traktat als Cyprian-
Schrift nach „Quod idola dii non sint* und vor „De
duobus montibus“, gegen Ende der Sammlung.
(3) Paris. 1654 saec. XII/XHI = oe, cf. Hartel, .c.p. LVI];
er enthält das Corpus der Cyprian-Schriften in derselben
Reihenfolge wie g und gehört aufs engste mit ihm zu-
sammen.
(4) Paris. 14460 ol. Vietoricus 77 saec.? = ρ3, bei Hartel = i;
cf. Hartel, 1. c. p. LVII; von ihm gilt dasselbe wie von
den Codd. go und g%.
(5) Vindob. 763 saec. XV = og? (v. Soden hat auf ihn auf-
merksam gemacht); auch er gehört zur Gruppe e ρ3 ρ3.
(6) Sienensis F. v. 13 saec. XV = 5, cf. Sanday-Turner p. 325.
Auch hier steht unser Traktat zwischen „Quod idola“ und
„De duobus montibus“. „Es ist aus der Reihenfolge der
Stücke ganz deutlich, dass s in diesem Teil seiner Samm-
lung den Typus o zur Vorlage gehabt hat (v. Soden).“
(7) Florent. Laurent. Pal. XXIV saec. XV = 582 (v. Soden bat
auf ihn aufmerksam gemacht). „Auch in s? dürfte der
Typus e zu Grunde liegen; die Schrift steht hier zwischen
ep. 7 und ep. 48, zwei Stücken, die in eg nicht zu fern
von „De singularitate“ stehen“.
(8) Chartres 36 saec. XII = t, cf. Catal. des döpartements, Vol. XI
p. 18 or. 36 (111). Hier steht unser Traktat wie in o
zwischen „Quod idola“ und „De duobus montibus“; „die
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 5
Umgebung zeigt allerdings nur vereinzelte Berührungen
mit og“ (v. Soden).
(9) Chartres 205 saec. XIII = 9, cf. 1. c. p. 104 nr. 205 (230).
Hier steht unsere Schrift als eyprianische (es ist eine Mis-
cellanhandschrift) zwischen „De habitu virginum“ und
„De dominica oratione“. Vor jener Schrift stehen Traktate
meist des h. Bernhard und Anselm, nach jener solche
meist des Hugo von St. Viktor.
(10) Vindob. 1064 (Salısb. 225) saec. XIIL/XIV = o; hier steht
die Schrift fol. 42*— 50° als origenistisch. „Der Codex
enthält sonst meist kurze lateinische Traktate und Sen-
tenzen, in der Mehrzahl anonyme, doch auch Eugippius,
Petrus de Vinea etc.“
(11) Venetus Marc. III 42—48 = Augustin - Handschrift in
7 Bänden saec. XV; im 4. Bande fol. 192—200 steht
unser Traktat (= a) nach „De patientia* und vor dem
Traktat „De fide“, der ein Teil der „ep. ad Pascentium‘“ ist.
(12) Paris. Mazarin. 641 saec. XV; hier steht unser Traktat
(= a?) als augustinisch an vorletzter Stelle fol. 81
zwischen der „ep. ad. Letum“ (ep. 243) und dem „liber
de videndo deo ad Paulinam“ (ep. 14).
(13) In dem jüngst als Manuscript gedruckten Katalog der Goerres-
Handschriften ist sub Nr. 30 eine Pergamentbandschrift
saec. XIII'’XIV verzeichnet, die an erster Stelle „Origenes
de sing. clericorum“, sodann Miscellanea enthält. Eine
Eintragung in den Katalog zeigt, dass diese Handschrift
bereits verkauft ist. Wer sie gekauft hat, weiss ich nicht.
Der handschriftliche Befund ist deutlich. Um d. J. 900
taucht die Schrift zuerst für unsauf und zwar als anonyme (C).
Erst seit dem 12. Jahrhundert treffen wir die Schrift als
cyprianisch; sie steht zwischen „Quod idola* und „De duobus
montibus“, so in t 0 0? 0? o* s (die etwas andere Stellung in s?
ist eine willkürliche Variante; $ kommt als Miscellanbandschrift
nicht ın Betracht; hier ist unser Traktat als sinnverwandt zu
„De habitu virginum“ gestellt. Aber die Prädicirung als eine
Schrift des Cyprian hat sich nicht überall durchgesetzt — der
Traktat lief augenscheinlich noch immer auch als anonymer
um —; so ist er denn in einer Handschrift vom J. ὁ. 1300 (ὦ)
und in der Görres-Handschrift 5. X1II/XIV, die aus Trier oder
6 Harnack.
aus einem rheinischen Kloster stammt, als origenistisch, in zwei
Handschriften des 15. Jahrhunderts (a a?) als augustinisch be-
zeichnet worden. Beide Bezeichnungen sind natürlich ganz wert-
los und scheiden aus.
In Bezug auf die Prädicirung als ein Traktat Cyprians lässt
sich aber noch etwas mehr sagen. Hartel schreibt (p. LVII):
„Tres codices (g, ρ΄, 05 = 1) interpolatissimi operum longe maxi-
mam partem inde ab ep. 37 usque ad ep. 40 exceptis libellis
„De singularitate“ et „De duobus montibus* immutato ordine
ex codice Oratoriano (0)! receperunt, reliqua unde nacti sint;
nescio.“ In dem Teile, der uns interessirt, ist die Ordnung nicht
geändert, und auf Irrtum beruht es, wenn Hartel die Schrift
„De duobus montibus“ hier ausschliesst. Dies zeigt sich, sobald
man die Reihenfolge in 0?) und in 0, 0?, 05 nebeneinander stellt:
o: Ep. 46. 54. 32. 20. 12. 78. 67. 64. 2. 3. 14. 49. 50. 68. 75
(nur das initium). 53. 16. 15. 17. 18. 19. 26. 25. 9. 29. 56.
7. 76. Quod idola. Ep. 4. De duobus montibus. Ep. 6. 55.
28. 39. 58. 69 (inde a verbis p. 760, 14). 48. 66. 40.
o, 03 0? : Ep. 46. 54. 32. 20. 12. 78. 64. 3. 14. 49. 50. 68. 53.
16. 15. 17. 18. 19. 26. 25. 9. 29. 56. 7. 76. Quod idola. De
singularitate.. De duobus montibus. Ep. 6. 55. 28. 11. 39.
58. 69 (inde a verbis p. 760, 14). 48. 66. 40.
Es ergiebt sich bier das überraschende Resultat, dass 0,
03, 0? die zwischen „Quod idola* und „De duobus montibus“ in
„0“ stehende Ep. 4 weggelassen — sie hatten sie schon an einer
früheren Stelle gebracht —, dagegen die neue Schrift „De singu-
laritate“ als eyprianisch eingeschmuggelt haben. „De singu-
laritate* ist aber sachlich mit Ep. 4 identisch, d. ἢ.
beide Schriftstücke verbieten die Aufnahme von Wei-
bern in die Häuser der Continentes.
Man wird also sagen dürfen: Der Traktat „De singu-
larıtate* ist als Parallele zu ep. 4 an einem Punkt in
die Cyprian-Überlieferung eingetreten, und zwar nicht
früher und nicht später als im 12. Jahrhundert”.
——
1) 8. über ihn (Paris. 17350 olim Orat. 9 saec. X11.) Hartel l. c. p.
XXXVIIL
2) Der Cod. o gelıt in diesem Teil seiner Sammlung durch Vermitt-
lung von E auf MQ zurück.
3) Dies ist auch die Meinung v. Sodens, die er mir vorgetragen hat.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 7
Schwerlich ist der Schreiber von g oder g* oder g3 selbst der
Urheber; denn der Schreiber von t scheint etwas älter zu sein,
er ist aber im Verhältnis zu o bereits secundär, da er die Reihen-
folge stärker geändert hat als ρ. Unmittelbar vor t, g, 03, ρ᾽
— denn o gehört selbst erst dem 12. Jahrhundert an — hat ein
Abschreiber von o an die Stelle der dort stehenden echten Epistel
Cyprians „De singularitate“ unseren Traktat eingeschoben, der
sehr viel ausführlicher den Gegenstand behandelte. Eine solche
ausführliche Behandlung musste in den ersten Decennien des
12. Jahrhunderts noch immer sehr zeitgemäss erscheinen: der
Kampf gegen den „Nikolaitismus“, der sich im 11. Jahrhundert
erhoben hatte, war ja noch nicht beendigt. Augenscheinlich aus
diesem Interesse ist unser Traktat — obgleich er, wie sich zeigen
wird, mit der Frage des Priestereölibats nichts zu thun hat —
in die Opera Cypriani eingeschoben worden. Dass dies übrigens
in gutem Glauben geschehen konnte, werden wir unten noch
sehen.
Das Ergebnis des handschriftlichen Befundes ist negativ
wertvoll: bis zum 12. Jahrhundert findet sich keine Spur davon,
dass unser Traktat als cyprianisch bezeichnet worden ist; ja es
lässt sich bei der grossen Fülle der uns überlieferten Cyprian-
Handschriften mit ausreichender Wahrscheinlichkeit behaupten:
unsre Schrift ist erst im 12. Jahrhundert nach Entstehung der
Handschrift o — und zwar in Frankreich — als cyprianisch
prädieirt worden. Demnach ist die Überlieferungsgeschichte der
Annahme des Baronius, die Schrift stamme wirklich von
Cyprian, ungünstig, ja tötlich. Andererseits widerlegt die Über-
lieferung aber auclı die Hypothese, der Traktat sei vielleicht eine
Fälschung aus der Zeit um das Jahr 1000. Er ist schon um
ἃ. J. 900 vorhanden gewesen. Ohne einen Verfassernamen stand
er damals in einer Handschrift unmittelbar vor den Werken des
Gaudentius von Brescia.
82
Eine ausführliche Analyse des Traktats, der gründlich
niemals untersucht worden ist, ist notwendig. Die ersten
sechs Capitel seien in vollständiger Übersetzung mitgeteilt, um
8 Harnack.
einen Eindruck von der Art und dem Stile des Verfassers zu
geben. ! |
1. Zwar habe ich euch, teure Brüder, schon früher einen Brief
geschickt, ? der alle Sittengebote aus dem Gesetz? begründen und
zusammenfassend alles enthalten sollte, was alle Kleriker in Be-
zug auf die rechte Fassung der Sittenregel insgemein angeht,
aber weil zur Zeit einige unter euch in gemeiner Weise durch
Zusammenwohnen mit Weibern in Schande geraten sind*, so bin
ich durch eine Weisung des Herrn veranlasst worden, auch über
diese Sache speciell an euch zu schreiben. Er hat mich Armen
eures Leichtsinns wegen mit Strenge gefasst® und mich geheissen
zu befehlen, dass die Kleriker nicht mit Weibern zusammen-
wobnen. Obgleich nun diese (göttliche) Ermahnung allein aus-
reichen würde, um meinem Brief Autorität zu verleihen$,
so füge ich doch, damit niemand mich als einen Träumer
verspotte — wie Josephs Brüder gethan haben —’, die Sicherheit
der h. Schriften hinzu, auf dass alle erkennen, dass der Herr
das, was er vormals schriftlich, wie bekannt, anbefohlen hat,
auch in der Gegenwart durch Offenbarung anbefehle, und damit
sie sehen, dass wir nicht Fälscher des Wortes des Herrn sind
noch uns anmassend der Offenbarungen rühmen wollen, sondern
dass wir im Angesichte des Herrn auf Grund seiner Offenbarung
das Wort nehmen und wahrhaftige Rede führen®. Wir haben
1) Die Bibelcitate habe ich sämtlich angemerkt. Es ist bekannt,
wie sorglos dieselben in der Hartelschen Ausgabe bebandelt sind, aber
die Fehler, Flüchtigkeiten und Auslassungen in unsrem Traktat übersteigen
alles Mass. Ich habe etwa 30 Citat-Nachweisungen hinzugefügt und
25 falsche oder unvollständige Angaben corrigiert
2) „Emiseram‘ ist mit C und den anderen Codd. zu lesen. Irrtüm-
lich giebt Hartel an, in C stehe „promiseram“, und bat dies Wort in den
Text aufgenommen. Es ist auch durch das Folgende verboten.
3) „Lex“ == heilige Schrift, s. c. 8.
4) „(de) feminarum commoratione vulgariter ignominiae devoluti
sunt“, lautet der überlieferte Text. Der Dativ ist auffallend: „ad igno-
miniam“?
5) „Me convenit“ — späterer Gebrauch von conveniro, 5. Oehlers
Wort-Index zu Tertullian =. h. v.
5) Statt „auctoritate sufficeret“ lies „auctoritati suff.“
‘) Genes. 37, 19.
8) Die Berufung auf eine besondere Offenbarung des Herrn ist unsrem
Verfasser augenscheinlich keine blosse Floskel.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 9
auch das feste Zutrauen, dass es nicht Lüge war, was der Herr
uns gesagt hat, und berufen uns auf die Verwahrung des Apostels
Paulus, der da sagt!: „Denn wir sind nicht wie viele, die das
Wort Gottes verfälschen, sondern aus Lauterkeit als aus Gott
reden wir von ihm in Christus.“ In tiefsten Schmerz nun sind
wir versetzt in Bezug auf gewisse erstorbene Glieder unserer
Gemeinschaft?, und unter Seufzen glauben wir dem Verlust der
wehklagenden Kirche, die durch unsre Trägheit von Tag zu Tag
zu äusserster Kleinheit zusammenschrumpft?, von einer Seite zu
Hilfe kommen zu können, da ja der Leichtsinn einiger unsre
Gewissenhaftigkeit nicht zu hemmen vermag‘; denn niemals
haben ihnen unsre Briefe gefehlt, die in unsrer Abwesenheit
allen reichlich zuteil geworden sind. Die Verächter alle mögen
sich selbst ihrer Vernachlässigung schuldig bekennen; wir aber
rufen freimütig diesen Verächtern den Vorwurf zu, den ihnen
Salomo zuversichtlich zugeschleudert hat [Folgt Proverb. 1,24—31).
2. An euch nun richtet sich unsre Ermahnung; denn wir
wollen nicht, dass ihr solch einen Sturz in den Abgrund an euch
erfahrt. Fürchtet euch, so viel ibr könnt, vor solchem Fall und
Ende; die Beispiele, wie jene gestürzt sind, mögen euch schrecken.
Allzu waghalsig ist, wer eine Brücke betritt, auf der er einen
anderen fallen sieht, und sträflich sicher ist, wem der Uhter-
gang eines anderen nicht Furcht einjagt. Der aber ist auf sein
Heil bedacht, der dem Anlauf des Todes, wenn er einen andern
sterben sieht, entflieht, und der ist vorausschauend, der durch
die Niederlage anderer sich warnen lässt, wie das Salomo gut-
heisst in den Worten$: „Der Kluge schöpft, wenn er das Böse
bestraft sieht, sichere Belehrung“ und „der Fall der Gottlosen
flösst den Gerechten grossen Schrecken ein.“ Übel ist die Zu-
versicht, die das eigene Leben den Gefahren sicher anvertrauen
zu können meint, und schlüpfrig ist die Hoffnung, die da unter
den Anreizungen der Sünde das Heil zu behalten hofft. Der
1) 11. Cor. 2, 17.
2) „Corpus“.
3) Über diese wichtige Stelle siehe später.
4) Die Sätze sind nicht klar geordnet, aber der Text schwerlich zu
ändern.
5) „Dissimulatio“ wird von Späteren so gebraucht.
6) Prov. 22,3 u. 29, 10.
10 Harnuck.
Sieg ist unsicher, wenn man im Lager des Feindes kämpft, und
Befreiung ist unmöglich, wenn man rings von Flammen umgeben
auf Unversehrtheit hofit!. Salomo verbietet das, indem er spricht*:
„Kann auch Jemand Feuer im Busen behalten, dass seine Kleider
nicht brennen? Wie sollte Jemand auf Kohlen gehen, dass seine
Füsse nicht verbrannt würden? Also gehet es, wer zu seines
Nächsten Weibe gehet: er bleibt nicht rein und Keiner, der sie
berührt.“ Vertrauet, ich bitte euch, vertrauet der Zuverlässigkeit
Gottes mehr als eurer eignen?; denn alles, was er verspricht, ist
untrüglich, da der Herr βαρὺ: „Leichter ist es, dass Himmel
und Erde untergehen, als dass ein Titelchen vom Gesetz dahin-
fällt“, und wiederum: „Himmel und Erde werden vergehen,
aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Somit täuschen
wir uns selbst, wenn wir wider Itecht und Ordnung wähnen,
wir könnten durch unsern Glauben die Gebote des Gesetzes
abändern®, so dass wır hoffen dürften, mitten im unbeschränkten
Verkehr zwischen Mann und Weib die Keuschheit unversehrt
bewahren zu können.
3. Wer Gift trinkt, wird schwerlich am Leben bleiben. Wer
am Ufer schläft, muss zu fallen fürchten, wie der Apostel sagt’:
„Wer zu stehen glaubt, der sehe zu, dass er nicht falle“ Hier
frommt rechtschaffene Furcht mehr als böse Zuversicht, und nütz-
licher ıst es, dass sich der Mensch als schwach erkennt, damit
er stark sei, als dass er stark erscheinen will und sich 818 schwach
1) „Impossibilis liberatio est flammis circumdari nec ardere.“ Das
„nec ardere“ ist überflüssig und störend, aber doch nicht zu tilgen.
2) Prov. 6, 27—29.
3) „Credite divinae fidei quin immo quam vestrae‘“: Dieser Gebrauch
von „quin immo“, dazu noch mit „quam‘“ verbunden, ist höchst auffallend.
Erasmus schlug „plus quam“ vor, eine sehr einfache Lösung, der ich aber
doch nicht folgen möchte. C.9 liest man: „Quid quod ille quin immo
consummatus adscribitur, qui se omni parte femineis affectibus ostentat
abscısum?“ C.26: „Missus venerat pasci, pastus quin immo conferens
miseris miserias egestatis fecit exceludi.“ C. 16: „Quantum lex oboedientibus
suggerit adiutorium, tantum inoebedientibus incitat quin immo peccatum.“
C. 43: „spiritus non protegit eum, quin immo sed deserit.“ -
4) Luc. 16, 17.
5) Matth. 24, 35.
6) „Credimus aestimantes per fidem nostram legis praecepta posse
ınutari‘“: das „aestimantes“ ist pleonastisch.
τ) 1. Cor. 10, 12.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 11
erweist. In dieser Beziehung beschwört der Apostel die, welche
sich selbst vertrauen, und spricht': „Wenn einer glaubt, er sei
etwas, während er doch nichts ist, so verführt er sich selbst.“
Gewiss betrügt, wer sich selbst verführt?, seine eigene Seele, in-
dem er das Feindliche nicht scheut und sich in schädliche Dinge
hineinbegiebt. Der aber sorgt sicherer für sich selbst, der, stets
argwöhnisch in Bezug auf die Schlimmen, das Schädliche in allen
seinen Erscheinungsformen flieht. Salomo hat diesen Unterschied
zum Ausdruck gebracht in den Worten?: „Der Weise fürchtet
sich und meidet alles Schlimme; der Thor aber vertraut auf sich
selbst und begiebt sich ins Unrecht hinein.“ Da erweist sich
der Rath der göttlichen Weisheit herrlich, wo wir durch die
Hälfe der Furcht befreit werden, und herrlich ist der Erfolg der
Vorsehung, dass wir einst durch die Furcht Kraft und Sieg ge-
winnen. Grosse Mittel hat der Herr in Bezug auf das Heil zu-
gänglich gemacht; auch der Furchtsame gewinnt Anerkennung,
wie Salomo wiederum sagt*: „Selig der Mann, der Alles in Furcht
scheut.“ Unschätzbar ist die Barmherzigkeit des Herrn, die
seinem Menschen von allen Seiten her Ruhm bereitet hat, und
unbegreiflich ist seine Güte, die jenach den Kämpfen 5 auch Palmen
gegeben hat, dass wir den Grimm der Männer durch Zuversicht
überwinden und die Verlockungen der Weiber durch Furcht be-
siegen; indem der Herr sowohl durch die Kraft als auch durch
die Schwäche über uns Ruhm bewirkt, auf dass er sich in Allem
und durch Alles als Allmächtigen beweise und die Arten des
Triumphes differenzire, damit sowohl durch weise List wie durch
Kraft von uns Schlachten gewonnen würden und nicht die Werke
der Weisheit im Widerspruch zu Salomo erfolglos wären, wenn
wir nur durch die Tapferkeit der Zuversicht siegen könnten.
Jetzt aber gilt es die Waffen der Weisheit zu führen, wo der
Kampf zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht an-
1) Gal. 6,3.
2) Das Wort „inplanare“ fand der Verfasser in der Bibelstelle; er
oder ein Vorgänger bildete das Wort „inplanator“, das sich m. W. sonst
nicht findet.
3) Prov. 14, 16.
4) Prov. 28, 14.
5) „Secandum pugnas.“
6) Nämlich im rechten Moment zu fliehen.
12 Harnack.
gesagt ist. Für ihn giebt Salomo die Belehrung': „Nimm die
Klugheit dir zu Herzen, dass sie dich bewahre vor einem fremden
und schlechten Weibe‘‘ Sehet also, die Klugheit, nicht die Zu-
versicht ist uns in diesem Kampf als Siegerin gegeben, die uns
durch das Mittel der Furcht retten will, und erwägt, welche
Waffen jetzt zu ergreifen sind, wenn ihr die Hülfe des Gesetzes®
haben wollt. Seid furchtsam, auf dass ıhr unerschrocken seid,
und wenngleich die Furcht in dem Kampfe Schwäche zu sein
scheint. so gilt doch das Apostelwort?: „Die Kraft setzt sich ın
der Schwäche durch.“ Trennt euch, ich fiehe euch an, trennt
euch von der pestbringenden Ansteckung.
4. Je weiter Einer von üblen Dingen ist, um so weniger
empfindet er sie. Weniger wird von Lüsten aufgestachelt, wer
dort nicht weilt, wo die Lüste zahlreich sind, und weniger leidet
unter den Beschwerden der Habsucht, wer sich vom Reichthum
abwendet, folgend dem Apostel, der da voraussagt!: „Die da
reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke und in
viele und unnütze und schädliche Lüste, die den Menschen in
Verderben und Untergang stürzen.“ Ebenso unterliegt den Ver-
suchungen, wer an ein Weib gebunden ist; Alles an ihr ist ge
eignet, den, der sich ihr nähert, zu verwunden. Zum Stachel der
Sünde ist die Gestalt des Weibes gemacht, und allein aus dem
Wesen des Weibes ist das Todesverhängniss entstanden.®° Salomo
bezeugt dies, um uns zu warnen, und spricht6: „Vom Weibe
hat die Sünde ihren Anfang genommen, und ihretwegen sterben
wir alle.“ Seitdem sind wir Sterbliche, und dennoch fürchten
wir uns nicht, wie wenn‘ wir schon unsterblich wären. Durch
ein Weib hat uns zwar Christus befreit, aber da wir noch sterben,
ziemt uns das Fürchten; erst dann wird die durch das Weib
greschehene Befreiung wirklich sein, wenn von uns der Tod über-
wunden wird, der durch das Weib gekommen ist. Wenn da-
1) Prov. ὦ, 4. Ὁ.
2) d.h. der h. Schrift, s. o. c. 1.
3) 1I. Cor. 12,9.
4) 1. Tim. 6,9.
5) Genes. 3.
6) Sırach 25, 24.
τὴ Das „quidsi“ der Codd. scheint mir unerträglich; ich habe es mit
Hartel in „quasi“ verwandelt.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 13
gegen die Aergernisse, die vom Weibe kommen, unter uns noch
herrschen, so gehen wir sicherlich der Befreiung durch Christus
verlustig. Jene Hoffnung auf Freiheit, die uns nach unsrem
Glauben Christus gebracht hat, gilt ja für die Zukunft, dass uns
nämlich dann das Weib überhaupt nicht mehr schaden kann,
wenn der Tod selbst vernichtet sein wird. Wenn wir glauben,
schon jetzt gegen die Pfeile des Weibes geschützt zu sein, so
würde ja für das himmlische Reich nichts übrig bleiben. Mit
Recht schilt der Apostel solche Gedanken und sagt!: „Ihr seid
schon satt geworden, ihr seid schon reich geworden; ihr herrscht
ohne uns; o dass ihr doch herrschtet!“ Somit ist jetzt noch die
Zeit des Kampfes und der vom Weibe herbeigeführte Tod wüthet
bis jetzt noch. Wahrlich, wir sehen, dass sehr Viele an ihm zu
Grunde gehen! Wie viele und wie treffliche Bischöfe zusammen
mit Klerikern und Laien treten ihre eigenen Sieges- und Kampf-
preise in den Staub, nachdenı sie Herrliches geleistet und Zeichen
und Wunder bis zuletzt noch gethan haben, und erleiden vor
unseren Augen Schiffbruch, indem sie auf einem so gebrech-
lichen Schiff segeln wollen! Wieviele Löwen hat schon eine
wollüstige Schwäche bezwungen; sie, die geringe und elende, hat
die Starken zur Beute! Das bezeugt Salomo in den Worten?:
„Pretium meretricis quantum est panis unius?, das Weib aber
fängt wertvolle Seelen.“
5. Vor uns spielt sich das ab, und wir lassen uns durch
keine Schrecken zügeln!' Wie würden wir uns erst benehmen,
wenn wir diese Dinge nur als erzählte Geschichten hören würden!
Aber die Ungläubigkeit der menschlichen Verhärtung ist stets
dieselbe: nicht einmal wenn sie es sieht, geschweige wenn sie
es nur hört, glaubt sie an den Untergang anderer; sie muss sich
erst selbst untergehen sehen. Der Tod der Genossen erschüttert
sie nicht; für schuldige oder für schwache Leute hält sie sie;
sich selbst aber schreibt sie hohe Verdienste oder eine starke
Kraft zuversichtlich zu und will nicht wissen, dass die Strafen,
die Einzelnen auferlegt werden, Allen zum Beispiel dienen sollen,
wie der Herr im Evangelium darthut und spricht [Folgt Luc.13,2—5).
1) 1. Cor. 4, 8.
2) Prov. 6, 26.
3) Wie der Lateiner diese Worte gedeutet haben mag, ist dunkel.
14 Hamack.
6. Wir wundern uns, wie sich Adam durch Eva hat ver-
führen lassen!; aber er hat doch noch keine Beispiele anderer,
die gestorben waren. vor sich gehabt und war nur durch ein
(iebot gebunden; uns aber halten jetzt weder die unzähligen
Todesbeispiele im Zaum noch die zahllosen Gebote! Nach der
obigen Scheltrede des Herrn müsste man euch sagen: Wenn
Adam die Todesbeispiele gesehen hätte, die sich unter euch
ereignet haben, bätte er vor Zeiten in Sack und Asche Busse
gethan; ich sage euch aber, dass es Adam am Gerichtstage er-
träglicher gehen wird als euch?. Fern, hinreichend fern bleibe
diese Pest und Seuche und heimliche Zerstörung?! Nicht ist in
der Gemeinschaft mit dem Weibe beifallswerte Reinheit zu
finden; sie führt zu Zusammenstössen wie auf stürmischen
Wogen. In diesem Hausverbande wohnt freundschaftliche Ein-
tracht nicht; denn er schafft nur böse Feindschaften. Wohl hat
der Herr das Weib dem Manne zur Helferin geschaffen, aber
durch die Bosheit der Schlange nahm sie eine feindliche Haltung
an. Wenn aber die, die aus ihrem Manne geboren 1513, bis
auf (len heutigen Tag den, mit dem sie verbunden ist, versucht,
wie viel mehr die, welche sich, ahne durch ein Gesetz mit ihm
verbunden zu sein. ihm zugesellt! Und wenn die, die als zwei ın
einem Fleische vereinigt sind, sich durch wechselseitige Ver-
suchungen gegenseitig verwunden, wie muss es denen gehen, die
ın einem Fleisch weder geboren noch verbunden sind? Zumal
da es dem. der durch die Liebesleidenschaft für einen anderen
abgezogen wird, bereits nicht möglich ist. Gott anzurufen, noch
ıler Göttliches bedenken kann, der sich jemanden erwählt hat
dem er seine Sorge im Hause widmet. Deshalb giebt der Apostel
diesen Rat’: „Ich will, dass ihr ohne Sorgen sein möget. Wer
ohne ein Eheweib ist. ist besorgt, wie er Gott gefalle; wer aber
ein Ebeweib hat, der denkt Weltliches, wie er dem Eheweibe
1) Genes. 3.
2 Ὁ Luc. 10, 12.13.
3. Der folgende Satz (.O quam inordinali» feminae propinquitas
jaculatur cujus vicina est delictorum latrocinium“) scheint mir verdorben.
Erasmus bezieht „iaculatur‘ zu ‚„propinquitas“, Hartel interpungiert
stark nach diesem Wort. Eraxmus will „vicinia“. Grabe „lenocinium“
für „latrocinium‘“.
4, Gene. Ὁ.
5 1. Cor. 7,32.
Der pseudocyprianische 'Traktat De singularitate elericorum. 15
efalle.“ Was ists nun, was in solcher Verbindung gefallen
ann, in der nur Kämpfe herrschen? oder welcher Nutzen
ınkt, wo kein eheliches Verhältnis besteht, während doch
ehon dieses notwendig gefährdet ist? Verhängnisvoll ist alles,
as zum Weibe gehört!, und die Verbindung mit ihr bringt
nmer Schaden. Das Bündnis mit ihr bringt grosse Widrig-
eiten, und wer sich wider das Gesetz an sie gehängt hat, dem
chlägt sie eine unheilbare Wunde. Von Kohlen springen Funken,
om Eisen nährt sich der Rost, Schlangen zischen Krankheiten,
nd das Weib erzeugt die Pest der bösen Lust. Salomo hat
afür diesen Vergleich gebraucht?: „Aus den Kleidern geht die
Motte hervor und aus dem Weibe die Schlechtigkeit des Weibes.“ 3
Auch noch in Cap.7 setzt sich die allgemeine Warnung vor
lem Zusammenleben mit Weibern fort. Welcher Widerspruch
nd welches Schwanken zeigt sich darin, auf die Ehe zu ver-
ichten, aber doch mit einem Weibe zusammenzuleben! Wer
ein Fleisch essen will, wird doch nicht sein Haus mit Fleisch-
orräten füllen; wer keinen Wein trinken will, warum will er
ich am Weine ergötzen? Oder will er sich am Anblick und
reruch laben? Heuchler sind es: öffentlich tbun sie so, als ob
ie auf die Weiber verzichten und tragen Heiligkeit zur Schau,
ber heimlich, auch wenn sie den Beischlaf vermeiden, wollen
ie vom Weibe nicht lassen. Lust und Heiligkeit suchen diese
ıgeniösen Eunuchen zu verbinden, aber es wird mit Beidem
ıchts. Schlimmer als Ehebruch ist es, die Enthaltsamkeit ver-
recherisch und die Heiligkeit infam zu machen. Der bringt
ber seine eigene Religion die Blasphemie, wer nicht, was er
okennt, allen voranleuchtend auch thut, damit das Christentum
icht für eine Täuschung gehalten werde und ehebrecherisches
1: „Causale est omne quod feminae est‘ — versuchsweise habe ich
ausalis“ mit „verhängnisvoll“ übersetzt; die Bedeutung ist freilich sonst
.W. nicht zu belegen. Erasmus wollte „casuale“ lesen, schwerlich
it Recht.
2) Sirach. 42, 13.
3) „et a muliere iniquitas mulieris‘, so nach dem Grundtext, und
ese Fassung ist auch durch den Zusammenhang nicht verboten. In Cod. C
‚, secunda manu über „mulieris“ geschrieben „viri“, und Hartel hat diese
\ bevorzugt.
16 Harnack.
Treiben nicht durch die Hülle der Heiligkeit verdeckt er-
scheine!.
Mit Cap. $ beginnt der Verfasser die Widerlegung des
Schriftbeweises der Gegner für das angebliche Recht ihrer
Praxis’. Sie berufen sich — vielleicht aber supponirt der Verf.
das bloss — (1) auf Galat. 1, 10: „Wenn ich den Menschen ge
fallen wollte, wäre ich Christi Knecht nicht.“ Der Verf. zerstört
liese Berufung, indem er darauf hinweist, dass dieser Satz nur
dort gilt, wo die Menschen den göttlichen Willen nicht an-
nehmen. Wo sie das thun, da gilt der Spruch Röm. 15, 2, dass
Jeder seinem Nächsten gefallen solle. Jene Leute aber geben
das schlimmste Beispiel, während doch Junge wie Alte, wenn
sie als die professionellen Keuschen gelten wollen, umgekehrt
die Schwäche der Brüderschaft stärken müssen?.
Die Gegner berufen sich vielleicht (2) darauf, dass sie sich
ım sittlichen Heroismus üben wollen (Cap.9): „habere volo quod
vincam, et duplex triumphus est sub feminae praesentia probari
vietorem.“ Der Verfasser bestreitet das: wie der Herr im
Evangelium den vollkommen genannt hat, der sich seines
ganzen Vermögens entäussert hat, so ist auch nur der voll-
kommen. der schlechterdings nichts mehr mit Weibern zu thun
hat. Täglicher Kampf und tägliche Triumphe fehlen auch ihm
nicht: «denn er muss sein Fleisch, aus dem die Lüste kommen,
bekämpfen. Du hast schon einen Gegner, warum willst du noch
einen zweiten mieten? Wer ist so thöricht, zu einem Fieber
noch ein zweites. schlimmeres, sich zu verschaffen und zu einer
last noch eine zweite!?
Die (iegner mögen etwa auch (3) Gal. 6, 2 anführen: „Einer
trage des Anderen Last, und so werdet ihr das Gesetz Christi
erfüllen.“ Solche Lasten, erwidert der Verfasser (Cap. 10), meint
I: Citirt sind in dem τι, Capitel 1. Cor. 7, 27, I. Cor. 10, 29. 30
Mutth. 5,16, δια. 14, 16, 11. Cor. S, 21, I. Cor. 10, 31—33.
2: Welche Argumente sie wirklich gebraucht haben und welche ihnen
der Verfasser supponirt. ist schwer zu entscheiden. Das erste ist wie
eine Supposition eingeführt.
> In dem ὃ. Capitel sind eitirt Gal. 1.10, Röm. 15, 2, 1. Cor, 8, 11. 12,
ll. Mace. 6, 23—28, Tit. ἡ, 7. 8, Tit. 2, 10, I. Tim. 4, 12, I. Pet. ὃ, 12,
1. Pet. 2. 15.
4) In dem 9. Capitel sind eitirt Matth. 19,21, 6]. 5, 17, Thren. 3, 27. 28.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 17
der Apostel nicht; wir sollen uns nicht Versuchungen selbst be-
sorgen, sondern die Lasten der Versuchungen einander erleichtern;
denn Paulus kannte die Last der Heiligkeit und dass selbst der
Abgesonderte sie nur schwer zu tragen vermag. Ferner, wenn
selbst Eheleute (desideria coniugalia cotidie gerentes) an einander
nicht genug haben, wie wird es denen gehen, die sich zur Ver-
mehrung der Anläufe noch Weiber zulegen? In einer drastischen
Schilderung zeigt der Verfasser, wie aus dem täglichen Verkehr
im Hause die Versuchungen entstehen müssen: das Weib ent-
blösst bei der Hausarbeit oder in der Hitze unwillkürlich ihren
Körper, streckt sich ermüdet hin, lässt sich in Scherz und Lachen
gehen, schmeichelt oder — was das Gefährlichste ist — fängt
zu singen an. Erträglicher als soleh ein Gesang ist das Fauchen
des Basilisken! Schon der Anblick eines in Schmerz oder Zorn
gebrochenen Weibes erregt süsses Verlangen, wieviel mehr der
eines scherzenden und schmeichelnden!! Aber wenn wir uns
auch selbst in solcher Gemeinschaft bewahren zu können glauben
(Cap. 11), so werden wir leicht die Weiber sinnlich erregen, sei
es in Bezug auf uns selbst, sei es in Bezug auf andere, und
werden so Veranlassung zur Hurerei geben; wir werden Kuppler
für die Unkeuschen werden. Können wir selbst für unsre Person
nicht sicher sein, wieviel weniger als Bürgen für andere! ?
Aber — ein 4. Argument — Paulus sagt: „Ein jeder von
uns wird für sich Gott Rechenschaft geben und jeder wird seine
Last tragen“ (Cap. 12. Nun gut, dann soll er auch nichts
Fremdes ın sein Haus nehmen; nehmen wir Fremdes auf, schützen
es aber nicht ausreichend, so sind wir schuldig und müssen
Rechenschaft dafür geben.’
Die Gegner wenden ferner vielleicht ein (5): „Also dürfen
wir auch nicht mit Weibern zusammen ins Bethaus gehen, da-
mit niemand einem anderen ein Ärgernis gebe.“ Der Verfasser
behandelt diesen Einwurf sehr ausführlich in den Capp. 13—16.
Er nennt ihn zunächst „häretisch“, weil er „de sanctitate
1) In dem 10. Capitel sind citirt Gal. 6, 2, Matth. 19, 11. 12,
Sirach 9, 4, Sirach 9, 9.
2‘ In dem 11. Capitel sind citirt Röm. 14, 15, Röm. 14, 21, Röm. 14, 13,
1. Cor. 8, 13, Philipp. 3, 12—15, I. Cor. 4, 3. 4, Röm. 14, 22, Matth. 18, 7,
Philipp. 2,4, I. Cor. 10, 24.
3) In dem 12. Capitel sind Röm. 14, 12 u. Gal. 6,5 eitirt.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 3. 2
18 Harnack.
praeiudicat ut immunditiam subtiliter introducat (et) de licito
calumnias faeit ut obtinere inlieitum possit“. Weder sind die
Weiber überall zu verbannen noch überall zuzulassen; sie haben
ihre bestimmten Plätze in der Familie und im Bethause
(„tantummodo iuxta cunctos clericos*).! Liebe die Weiber im
Gottesdienst und hasse sie im Privatverkehr!? Im Hause, wo es
sich um die körperlichen Angelegenheiten handelt (Cap. 14), sind
die Weiber höchst gefährlich; denn hier regiert das Fleisch.
Im Gottesdienst aber, wo der Geist regiert, verliert die Magd
das Gefährliche. Die Fleischessubstanz wird gleichsam begraben.
wo Ehrfurcht, Furcht und Schrecken allen Gemütern eingeflösst
wird. Schon bei militärischen Übungen, im öffentlichen Rechts-
streit, im Auditorium, beim Kaufen und Verkaufen sowie bei
den Kunstübungen vergessen viele die körperlichen Lüste —
wieviel mehr im Gottesdienst, wo die Engel wirksam sind, die
Dämonen fliehen, die geschlechtliche Differenzierung aufhört,
keine Alters- oder Rangunterschiede existieren, ja selbst die Ehe-
leute nicht Eheleute sind, wo nur Christus spricht und gehört
wird! Hier kann man unbedenklich mit Weibern zusammen
feiern. Verletzt doch auch bei der Taufe niemanden die Nackt-
heit („ubi Adae et Evae renovatur infantia, nec exponit sed
potius aceipittunicam“).” Findet sich aber hier jemand, schlimmer
als der Teufel, der sich durch den Anblick der Weiber aufregen
lässt, so ist daran nicht unsre Versammlung Schuld (Cap. 15),
die um des Himmlischen, nicht um des Irdischen willen zusammen-
kommt. Übrigens lässt sich hier der Spiess umdrehen: Wenn
sogar Gottesdienste Anlass zur Sünde werden, wo doch der
Teufel selbst zittert, wie vermag dort jemand zu beharren, wo
der Versucher ıhn verwegen überfällt? Wenn wir dort in Ver-
wirrung geraten, wo uns der Wille Gottes schützt, wie wird es
uns in einer Situation ergeben, wo wir Gott gegen uns haben?!
1) Der Sinn des folgenden Satzes (‚in wmansione autem una sine
cognatione conpetenter non habent socios“) kann nur sein: mit männlichen
Verwandten dürfen sie zusammenwohnen.
2) In dem 13. Capitel sind ceitirt I. Cor. 11, 11, V. Mos. 5, 32
(Proverb. 4, 271, Matth. 5, 37, Prediger Salom. 3, 8.
3) In dem 14. Capitel sind citirt Sap. Sal. 9, 15 und Coloss. 3, 11
(verbunden mit Gal. 3, 28).
4) In dem 15. Capitel ist citirt Jesaj. 8, 20.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorun. 19
Weiter aber (Cap.16) — Gott hat uns befohlen, mit den Weibern
zusammen Gottesdienst zu halten, und das genügt; denn sein
Gebot ist die Gerechtigkeit. Auch wenn er etwas befiehlt, was
menschlich betrachtet ungerecht ist, muss man es für gerecht
halten und es thun. Gott ist mächtig, die Ungerechtigkeit durch
Justification für Gerechtigkeit zn erklären und die Gerechtigkeit
durch Verwerfung als Ungerechtigkeit zu erweisen. Denn sein
Wille ist die alleinige und wahre Gerechtigkeit. Wir sind Gott
gegenüber Sklaven und haben nur die einzige Pflicht, ihm zu
gefallen; Sklaven können den Willen ihres Herrn an sich nicht
wissen; nur durch Gehorsam lernen sie ihn kennen. Des un-
sterblichen Gottes Gerechtigkeit kann der sterbliche Mensch nur
erfassen, wenn Gott sie ihm zeigt; er wandelt ohne Licht in
Finsternis, so lange ihm Gott nicht sein Licht leuchten lässt und
ibm die Leuchte seines Gesetzes nicht zeigt. Was von Gott ein-
geschärft wird, das ist Licht, und was Gott als seinem Willen
genehnı erklärt, das ist seiner würdig, auf dass er in Allem seine
Souveränetät offenbare; denn andernfalls wäre er nicht der Herr
und wir nicht die Sklaven. Also sollen wir zuversichtlich mit
den Weibern zusammen Gottesdienst feiern; denn, da Gott es so
will, handeln wir dabei gerecht. Im Privatleben dagegen sind
die Wohnungen der enthaltsamen Kleriker und der Jungfrauen
zu trennen; denn was Gott als unrecht beurteilt, kann nicht
gerecht sein, auch wenn bei dem Zusammenleben nichts Schlimmes
vorgenommen wird. Eine Reinheit, die wider Gottes Gebote
streitet, kann unmöglich zum Siege gelangen. Er, der uns be-
fohlen hat, dass wir im Gottesdienst zusammen mit den Weibern
triumpbieren, befiehlt uns auch, dass wir im Privatleben die An-
läufe der Weiber fliehen. !
Seelsorgerische Besuche bei Frauen (Cap. 17) müssen die
Kleriker auch abstatten, und Schlimmes kann sich dabei nicht
ereignen, wenn alles ehrbar und heilig zugeht.2 Der Verfasser
kehrt (Cap. 18) zu dem Gedanken c. 9 zurück, indem er vor ver-
wegener Zuversicht warnt. Wer den Feind in sein Haus auf-
nimmt, indem er spricht: „Ich halte meinen Gegner gefangen
1) In dem 16. Capitel sind citirt Sap. Sal. 9, 13—19, Ps. 118, 106,
Ps. 18, 9, Röm. 10, 3, 1. Cor. 15, 56.
2) In dem 17. Capitel sind eitirt I. Cor. 14, 40, I. These. 4, 12,
Sap. Sal. 6, 11, II. Tim. 2, 5, 1. Cor. 9, 24. 2.
Pr
0 Harnack.
und trete ihn so stets nieder“, der gleicht einem Manne, der
einen Schatz besitzt und den Räuber ıns Haus aufnımmt. Nein,
den kleinsten Spalt unsres Hauses müssen wir zustopfen und so
unsern Schatz schützen.! Wie pervers ist es (Cap. 19), dass die
Kleriker statt eines gleichfalls entbaltsamen Mannes oder eines
Sklaven ein Weib in die Hausgemeinschaft aufnehmen. Ist das
Weib denn nützlicher, oder wird das ein ehrbarer Nutzen sein,
was aus einer unehrbaren Gemeinschaft entspringt? Gleiches und
Gleiches gehört zusammen. Aber selbst wenn das Weib wirk-
lich nützlicher wäre, müsste der Vorteil des Fleisches hinter dem,
was dem Geiste nützlich ist, zurückstehen. Der Verfasser
schildert nun sehr drastisch die List des Satans, wie er in den
Gemeinschaften der Enthaltsamen nmıit Weibern erst alles ehrbar
und ordentlich zugehen lässt, sie dann einander unentbehrlich
macht, sie immer enger zusammenführt, zuletzt aber einen Sturm
erregt, in welchem die nebeneinander fahrenden Schiffe zusammen-
stossen und untergehen. Auch wie ein Jäger handelt er, der
vorsichtig seine Schlingen legt, bevor er mordet.?
Nun aber (6) erfolgt der Haupteinwurf der Gegner: „Sind
die Kleriker des Zusammenlebens mit Weibern wegen zu tadeln,
so sind auch viele Heilige zu tadeln, die mit Weibern gelebt
haben, Elias, der bei der Wittwe blieb, die Apostel, die Weiber
als Begleiterinnen mit sich führten, Johannes, der auf Geheiss
des Herrn die Mutter des Herrn zu sich nahm, der Herr selbst,
dem einige fromme Frauen aus ihrem Vermögen Nahrung
spendeten, dem Martha diente, der am Brunnen allein mit dem
fremden samaritanischen Weibe sprach, und dem ein Weib mit
ihren Thränen die Füsse wusch und mit ihren Haaren trocknete.
Ausführlich (Cap. 20—27) geht der Verfasser auf diesen Ein-
wand ein. Zunächst nennt er die, welche so argumentiren,
Rechtsverdreher, welche die Richter durch unpassende Beispiele
verwirren (Cap. 20). Sodann deckt er die „imitatio in per-
versum“ auf, die hier geübt wird (Cap. 21): in gewissen Stücken =
bekennen wir uns den Alten gegenüber als zu schwach, um sie =
1) In dem 18. Capitel sind citirt Eph. 4,27, Proverb. 11,31, Sir. 19,1.— .1
2) In dem 19. Capitel sind citirt Sirach 13, 15, Sirach 27,9, Sirache-ä
42, 14, II. Cor. 2, 11, Prov. 14, 12.
3) In dem 20. Capitel sind citirt Sırach 32 (35), 17 und Proverb- =
26, 4. 5 (ausser den von den Gegnern angeführten Beispielen).
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 21
nachzuahmen, aber in andern behaupten wir ihnen gleich zu sein.
Das, was sie in der Übung der Tugend geleistet, im Ertragen
von Hunger, Durst, Blösse, vollkommenem Verzicht oder in
40tägigem Fasten, wie der Herr, das lassen wir bei Seite — wir
sind ja zu schwach! —, aber Weiber wollen wir bei uns haben
wie sie' In Wahrheit steht es aber so, dass wir, wenn wir auch
alles leisten würden, was die Apostel in der Tugendübung ge-
leistet haben, doch keine Apostel wären; denn „nicht alle sind
Apostel“. Wenn Christus gewagt hätte, sich mit Gott zu ver-
gleichen, er, der gesagt hat: „der Vater ist grösser als ich“,
oder wenn die Apostel gewagt hätten, sich mit Christus zu ver-
gleichen, dann würde auch uns dieselbe Tugendleistung den
Aposteln gleichstellen. Armselige, ihr wagt es euch ohne Furcht
jenen gleichzustellen und zur Beschönigung eurer Sünden angeb-
liche Analogien von dem Sohne Gottes und den Donnersöhnen
zu entlehnen!! Gering müssen wir von uns selbst denken (Cap. 22
und uns nicht den Aposteln vergleichen wollen; übrigens hat
der Apostel Paulus, der doch sagen durfte, dass er am meisten
gearbeitet habe, das Beispiel der anderen Apostel nachzuahmen
sich gescheut und kein Weib mit sich geführt. Ihn ahme nach,
der du dich als Apostel aufwirfst. Er unterschied die ver-
schiedenen Charismen sehr wohl; wir aber schmeicheln uns, als
seien wir den Aposteln gleich, und ohne Einsicht, was die
Apostel und Heiligen alle geleistet, wollen wir es ihnen nach-
thun, statt den leichteren Weg zu gehen. Wir bedenken nicht,
dass auf einem schwierigen und schlüpfrigen Pfade einer wohl
zu gehen vermag, aber der andre fällt; einer besteht den Sturm,
der andre geht unter.? Wollen sie aber auf Beispiele sich be-
rufen (Cap. 23), warum denken sie nicht lieber an die ehe-
brecherischen Presbyter bei Daniel? Doch will ich nicht abraten,
die Apostel nachzuahmen, nur der Gleichstellung mit den Heiligen
will ich widersprechen. Den Aposteln sollen wir als den Lehrern
folgen, nicht aber sollen wir die von ihnen erzählten Geschichten
1) In dem 21. Capitel sind ceitirt TII. Reg. 19. 4 (Matth. 19, 27),
II. Cor. 6, 4—7, 1. Cor. 12, 29, Joh. 14, 28 (Mare. 3, 17), Philipp. 2, 3,
Philipp. 2, 5—7.
2) In dem 22. Capitel sind eitirt II. Cor. 10, 12. 13, I. Cor. 15, 10,
I. Cor. 9, 5, I. Cor. 9, 26. 27, 1. Cor. 4, 16, I. Cor. 15, 41, (I. Cor. 12),
Sirach 32, 20 (2), 1. Cor. 7, 7.
99 Harnack.
verdrehen und, das Vorbild der Heiligen vorschützend, unsre
Schmach verdecken. Lieber sollten wir bekennen, dass wir jene
Geschichten nicht verstehen, als dass wir etwas Unehrbares in
der h. Schrift annehmen. Denen, die gut sind, ist alles, was da
geschrieben ist, gut, und sie nehmen, was gut geschrieben ist,
gut auf.! Doch wir wollen die Gegner, nachdem wir sie wider-
legt, auch belehren (Cap. 24), um die Heiligen zu rechtfertigen
und jene zur Busse zu führen. So werden wir der Anweisung
des Paulus gerecht.” Zunächst — der Herr hat sich von Weibern
bedienen lassen (Cap. 25), um im voraus jene Häresie zu wider-
legen, welche die Ehe verbietet und die, welche der Herr zu-
sammengefügt hat, wider das Naturprinzip und das Evangelium
scheiden will. Er wollte zeigen, dass auch verheiratete Frauen
zu ihm kommen dürfen. Aber die nötige Vorsicht fehlte nicht:
nur kurze Zeit sprach er mit der Samariterin und belehrte sie,
nur kurze Zeit liess er sich von Martha bedienen, und um was
handelte es sich dabei? um geistlichen Trank und Speise; denn
seine Speise war, den Willen des Vaters zu thun. Auch die
Apostel haben Weiber nicht, um sie zu verderben, mit sich ge-
führt; sondern damit sie Ehrfurcht lernten.” Ausserdem ging
nicht einer mit einer, noch bestand eine zuchtlose Gemeinschaft
wie jetzt (Cap. 26). Da war kein Lachen und kein Scherzen,
noch berückten psallierende Jungfrauen das Ohr mit vergifteten
Gesängen. Wie streng die Apostel in der Beurteilung jeder
Vertraulichkeit waren, zeigt sich an ihrem Befremden, als sie
den Herrn mit der Samariterin sprechen sahen. Vollständige
Verblendung aber ist es. wenn sie das in Thränen aufgelöste
Weib zur Beschönigung ihrer Ungebundenheit anzuführen wagen.
Wohl hat Johannes die Mutter des Herrn zu sich genommen,
aber schon der Name „Mutter“ genügt, um sie zu charakterisieren,
dazu: es giebt nur eine Mutter Christi; ıhr, die die „Majestät’
gehoren hat, darf sich keine andre vergleichen. Auf Befehl des
Herrn ging Elias zur Wittwe; diese gab ihm Gelegenheit, zur
Zeit der Hungersnot dort das Wunder zu thun, dass er und sie
1) In dem 23. Capitel sind eitirt (Daniel in Susann.), II. Cor. 11,
12. 13, I. Tim. 1, τ, 1. Cor. S, 2, I. Tim. 1, 8.
2) In dem 24. Capitel ist IT. Tim. 2, 24—26 eitirt.
3) In dem 25. Capitel sind eitirt Matth. 10,6, Joh.4, Luc. 10, 38 ff.,
Joh. 4,34. T. Cor. 9,5. Tue. 8, 1—3.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 23
und ihre Kinder erhalten blieben. Das war keine Situation der
Üppigkeit, wo alles ärmlich und gering in der Behausung war.
Willst du dich auf Elias berufen, so nimm zuvor die Ent-
behrungen, die er geleistet, auf dich, die Einsamkeit und das
4utägige Fasten! Für uns aber hat nach dem Herrnwort nur
noch einer den Geist und die Kraft des Elias, Johannes.! Wie
weit ist es gekommen (Cap. 27), dass wir über die erstaunlichen
Tugendleistungen der Heiligen im Vergleich zu dem, was die
Leichtsinnigen thun, disputiren müssen! Die Heiligen haben
nur Keusches und Erhabenes gethan und stimmen dir nicht bei.
Wir wollen auch fürder nicht anders von diesen Freunden Gottes
sprechen als in Ehrfurcht, magst du sie auch weiter für dich
anzuführen die Frechheit haben. Du bist bereits durch die
apostolische Mahnung aus dem Verkehr mit der Kirche aus-
geschlossen. Diese Räuber der Keuschheit mögen gehen und
ihren Weibsbildern ihre widerwärtigen Anklagen gegen die
Heiligen darlegen! ?
Berufen sich die Gegner aber (7) auf die Engel (Cap. 28),
so wissen wir, dass auch Engel mit Weibern gefallen sind. Eine
heftige Anklage der Gegner schliesst sich hier an;? II. Petr. 2,
13. 14 wird auf sie bezogen.” Ganz besonders verschlagen aber
ist es (8), wenn man (Cap. 29) das Gebot der „Liebe“ ausspielt,
um die Gemeinschaft mit Weibern zu rechtfertigen. Der Ver-
fasser lässt solcher Verkehrung gegenüber die Liebe selbst
sprechen und sich verteidigen. Die Liebe aus reinem Herzen
ist gefordert; das aber ist eine mörderische Liebe, die die Töchter
1) In dem 26. Capitel sind citirt Joh. 4, 27, Sap. Salom. 2, 21. 22,
Matth. 90, f£., Joh. 19, 27, III. Reg. 17 (auch 19,8), Luc. 1,17, Matth. 11, 14.
2; In dem 27. Capitel sind eitirt Ps. 138, 17 und II. Tim. 3, 5.6.
3) „Insaniunt prorsus et calent incendio feminarum, quotquot huic
interdictioni [seil. Pauli apostoli] non cedunt, et obscoenitatibus inhiantes
malunt mori quam contenti sint a lateribus mulierum aliqua disiunctione
divelli, ut ad explendam suae aviditatis inluviem etiam in puncto tempo-
ris non sint sine feminae voluptate, et hunc habent in mulieribus fructum,
ut in illas semper defixa intentione desideria satient oculorum, ne vel
monumentum aliquod transeat, quando indiguerunt quod affectant. sic inter
eos integritas emoritur, ubi omnis Commoratio seu Convivendo seu Commo-
rando corruptis adfectionibus inquinatur.“
4. In dem 28. Capitel sind citirt Genes. 6, Galat. 1,8, TI. Pet. 2,
13. 14, Sirach 14, 8, Hiob 31, 7, Prov. 27, 20, Pred. Sal. 1, 8. Sirach 31, 15.
24 Harnack
der Mutter-Kirche zu Fall bringt und zu Huren macht. Da ist
selbst Hass und Feindschaft besser.’ Auf der ganzen Welt ıst
fast das ganze Menschengeschlecht verbunden (Cap. 30). und
überall giebt es eine Blutsverwandtschaft, die sich ron den Zu-
gewanderten unterscheidet. (Dennoch) können Eltern, können
Brüder, können Söhne, können, was mehr ist, sogar Gatten die
ihnen von Gott gewährten Bande der Natur durchbrechen, aber
die Kleriker vermögen — obgleich hier Gott nichts gewährt,
sondern vielmehr verboten hat — nicht die durch die Weiber-
umschlingungen verknechtete Liebe fahren zu lassen. Verwandte
trennen sich, aber Kleriker weigern sich, von fremden Weibern
fortzugehen. Hätte Gott etwas Ungewöhnliches anbefohlen,
so müssten sie es thun, da Gott ihnen zur Ausführung des Un-
möglichen den heiligen Geist gegeben hat, den die Weltmenschen
nicht haben. Nun aber wird etwas, was auch den Heiden, ge-
schweige den Christen, möglich und leicht ist, vorgesehen, aber
bei den Klerikern wird es entkräftet.? Weiter, ich sehe, dass
viele christliche Eheleute sich trennen und gesonderte Wohnungen
beziehen (Cap. 31), aber unsre Eunuchen halten es nicht aus.
ohne ein Weib zu schlafen. Jene überwinden die eheliche Liebe
durch die Liebe zur Enthaltsamkeit, diese kommen nicht zum
Widerwillen gegen das Zusammenleben mit Weibern. Wie
pervers ist diese „Liebe“: Die, welche Weiber haben, sollen sich
bestreben, solche zu sein, die nicht haben, und die, welche nicht
haben, sollen sich rühmen, wie wenn sie hätten!? Aber sie sagen
(Cap. 32): „Es ist Liebe.“ Nein, es ist eine sich selbst feind-
liche Liebe. Das ıst vielmehr die wahre Liebe, die innerhalb
der Ehe trennt, um ın der Keuschheit zu verbinden; das ist die
heilige Liebe, die über die Ehelichen zu gemeinsamem Lobe die
Enthaltsamkeit bringt. Die lieben sich in Wahrheit unzertrenn-
lich, die, um über sich zu triumpbhiren, auseinander gehen, ob-
gleich das weder das Strafgesetz noch die Natur, weder die
Schrift noch der Herr noch (er Apostel fordert. Jene aber, die
da weder dem Strafgesetz noch der Natur noch der Schrift
noch dem Herrn noch dem Apostel noch dem Wesen der Ehe
1) In dem 29. Cap. sind ceitirt I. Tim. 1,5 und Röm. 31, 10.
2: „Sine ullis eflectibus evacuatur“ sagt der Verf. — In diesem
30. Cap. sind eitirt 1. Joh. 4, 4 u. Ezech. 5, τ.
3) In dem 31. Cap. sind citirt 1. Cor. τ, 29 und Philipp. 3, 19.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 95
gehorchen, mögen zusehen, was ihre Liebe wert ist. Ihre schimpf-
liche Jungfräulichkeit verurteilt sie eben in dem Grade, in
welchem der Verzicht auf die ehelichen Rechte jene glorificirt.
Die Eheleute, ja die Israeliten beschämen sie, die da, wie Esra
erzählt, ihre Frauen und Kinder wegschickten, die sie wider
Gottes Gebot gehabt hatten. Sie, die da jetzt, statt die Weiber
zu entlassen, sich an fremde Weiber hängen,! was würden sie
thun, wenn ihnen befohlen würde, Kinder und Ehefrauen fahren
zu lassen? Oder wann werden sie im Stande sein, für Christus
ihren Blutsverwandten abzusagen, da sie Weibsbilder, die nicht
ihre eigenen sind, den Geboten Christi vorziehen? Ich meine,
sie werden leichter für die Weibsbilder ihren eigenen Verwandten
absagen als um Christus willen jene aufgeben.? Sind aber die,
welche ihre Verwandten nicht aufgeben wollen, Christi nicht wert
(Cap. 33), was können sich die versprechen, welche sich durch
ihre — nicht Verwandte betreffende — Liebe als Verächter
Christi darstellen? Sie werden durch die Verdienste jener zu
Schanden gemacht, die in ihrer Christus-Contemplation auch
keinen Verwandten ausnehmen. Aber auch jene beschämen sie,
welche den Kampf mit dem eigenen Fleisch scheuen und sich
selbst entmannen. Wie diese, die sich selbst verstüämmeln, zu
beurteilen sind, überlasse ich einer Untersuchung an einem
andern Ort. Aber den geistlichen Eunuchen gegenüber, mit
denen ich es hier zu thun habe, erscheinen sie als die Besseren,
denn sie schonen sich selbst nicht, geschweige dass sie den
Weibern zur Versuchung werden. Sie schneiden sich ihre Glieder
entschlossen ab, jene werden zu ihrem eigenen Verderben
fremden Gliedern gefährlich.” Doch ich will hier keine weiteren
Vergleiche ziehen, damit die sich selbst Verstümmelnden, die
kein christliches Gericht straffrei lässt, nicht Oberwasser be-
kommen. Sie haben Unrecht, und ich habe sie nur erwähnt,
weil die Strafe besonders empfindlich ist, von Verurteilten ver-
urteilt zu werden. Die geistlichen Eunughen mögen doch auf
die Juden blicken, die sich bis heute nach dem Gesetz be-
schneiden lassen, und sich dann fragen, was sie verdienen, da
1) So glaube ich den Satz: „Qui nunc pro demittendis feminis alienis
adiunguntur‘ verstehen zu sollen.
2) In dem 32. Cap. sind citirt Esra 10, 1 ff. u. Luc. 14, 20,
3) Der Verfasser führt dies noch breiter aus.
26 Harnack.
doch der Herr gesagt hat: „Es sei denn dass eure Gerechtigkeit
besser sei als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr
nicht in das Reich Gottes kommen.“ Auch die Götzendiener
können uns um ihrer Gallen willen verhöhnen, die sich frei-
willig verschneiden; aber unsre Kleriker ertragen lieber den
Schaden der Gemeinschaft mit Weibern, während sie sie doch
selbst dann abthun sollten, wenn sie mit ihnen geboren wären,
um nicht vor den Götzendienern erröten zu müssen. Die Kleriker
wollen schlechterdings kein Opfer bringen, geschweige dass sie
sich Leiden unterziehen; nur an der Weiberliebe, meinen sie,
können die reinen Mysterien ihrer Liebe sich zeigen.!
Doch, wenden sie ein (9): „Einige von unseren Verächtern?
hatten in gleicher Weise Weiber in ihren Häusern und haben
das Martyrium erlitten; dadurch haben sie ihr gutes Gewissen
bewährt“ (Cap. 34). Das beweist nichts; denn öfters sind auch
Ehebrecher und Verbrecher aller Art Märtyrer geworden, nach-
dem sie sich bekehrt hatten. Die Bekehrung muss vorangehen,
zumal wenn es sich um das schlimmste Verbrechen, das Ver-
brechen gegen die Kirche, handelt. Das ist eine schuldige Un-
schuld, welche das Ansehen der Braut Christi schädigt. Christus,
das unbefleckte Lamm oder vielmehr die himmlische Unschuld,
hat sich für die Kirche ganz und gar in Schmach gesetzt, um
sie ohne Makel noch Runzel unverletzt darzustellen — wie
handelt da der Kleriker, dem die Braut Christi zu demselben
Zweck anvertraut wird und der um der Liebe zu einem Weibe
willen die ganze Kirche schuldig erscheinen lässt? Ich darf
sagen: Von Gott dem Vater ist der Sohn aus dem Schoss des
Vaters gesandt und hat auf lange Zeit sein Reich verlassen, da-
mit er die Kirche rein und unschuldig mache, der Kleriker aber
kann sich von der Seite des Weibes nicht trennen, damit er die
Kirche nicht infam mache.” Aber, sagen sie, „Im Martyrium
wird uns verziehen, wie unseren Vorfahren“ (Cap. 35). Dann
könnten wir uns ja im Vertrauen auf das Martyriun den gröbsten
Sünden lıingeben! Lasset uns Böses thun, gilt dann, damit Gutes
1) In dem 33, Cap. sind citirt Matth. 5, 20, Luc. 16, 8 u. I. Tim. 5,
24. 25.
2; S. darüber $ 3.
3) In dem 34. Capitel sind citirt 1. Pet. 1, 19, Eph. 5, 25. 27,
(Joh. 1, 18).
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 27
komme. Solches Vertrauen auf das Martyrium ziemt den Schülern
der Mathematiker und Astrologen, welche die Zeiten vorher-
wissen, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat. Doch auch
dann gilt es, dass man vor dem Martyrium Gutes gethan haben
müsse. Lasst uns vielmehr glauben, dass das Martyrium schon
über ihnen schwebe; bevor sie Märtyrer werden, unterliegen sie
den Geboten Gottes, und es ist eine Frechheit, sich wider seine
Autorität auf Menschen, auf die Vorfahren, zu berufen. Auch
hat ihnen der Herr diese Widerrede selbst abgeschnitten durch
die Worte: „Nach den Geboten eurer Väter sollt ihr nicht
leben“. !
Ist ihnen. nun diese Ausrede und jede andre, die sie ge-
schäftig aufsuchen, abgeschnitten, so führen sie endlich (10) noch
das Wort des Paulus an: „Wer bist du, der du einen fremden
Knecht richtest?“ (Cap. 36). Das Wort steht in Kraft, aber sie
führen es gegen die Meinung des Paulus an; es bezieht sich auf
solche, die keinen Teil des Gesetzes befehden, und denen gewährt
es Schutz, die in Folge eines Gelübdes etwas thun und dabei
gegen keine Bestimmung des kirchlichen Rechts verstossen. Es
handelt sich an der Stelle um Speiseauswahl: da soll man
Niemanden richten, aber die Übertreter des Gesetzes übergiebt
der Apostel den kirchlichen Gerichten und verbietet den Umgang
wit solchen Brüdern, die unordentlich leben.?
Damit hat der Verfasser die Widerlegung beendigt; aber er
fügt noch einen sehr langen Schluss seinen Ausführungen bei,
der nicht weniger als zehn Capitel umfasst: Alle Bibelstellen, auf
die sich die Gegner berufen und die sie verdrehen, sind ihnen
genommen (Cap. 37). Ihr, haltet euch an die unzweideutigen
Gebote der h. Schrift; auch kraft meines Amts sage ich euch
das. Rottet aus eurem Acker alles Unkraut aus; auch den
kleinsten Funken, der zur wilden Flamme werden kaon, erstickt!
Zieht euch auf eine „singularitas laboriosa“ zurück!? Bedenkt,
was es heisst, dem heiligen Volke vorzustehen, und beachtet
1) In dem 86. Capitel sind eitirt Röm, 3, 8, Marc. 13, 32, Act. 1, 7,
1. Thess. δ, 2, Ezech. 20, 18. 19.
2) In dem 86. Capitel sind citirt Röm. 14, 4, (1. Cor. δ, 4), II. Thess. 3, 6.
3) In dem 37. Capitel sind citirt II. Tim 4, 4, (Esra 10, 1 8) Röm-
16, 17, II. Tim. 2, 14-17, Tit. 2, 1. 2, Matth. 13. 22, Jerem. 4, 3. 4,
Sirach 11, 32.
38 Harnack.
was es heisst, die göttlichen Sakramente zu vollziehen (Cap. 38);
die, welche von den Altären leben, müssen den Altären gefallen,
und eine solche Sorge um Reinheit ziemt den Geheiligten, wie
sie die h. Handlungen selbst besitzen, denen sie dienen. Darum
ziemt euch, einsam zu leben, nicht aber jene Gemeinschaft
(„parilitas“),!
„quae non nisi corruptionem seminat, pullulat vitia,
cupiditatem concipit, ignominiam parit,
rabiem coneitat, porrigit furiam,
lasciviam paseit, petulantiam nutrit,
casus exaltat, ruinas aedificat, .
ripas eripit, praecipitia instruit,
periculis navigat, naufragiis velificat,
perditione gaudet, interitum fovet,
confusionem mercatur, thesaurizat opprobrium,
criminationem exaggerat, accusationes inflammat,
et catervatim semel in fascem glomerans numerosas indagines
captionum per infinita dedecorum multiplices mortes invehit in
perniciem perditorum".?
„Tot itaque et tantas strages (Cap. 39) calamitatis et pessimae
conversationis nemo prosternit, nemo calcat, nemo funestat, nisi
sıingularis castitas sola,
yuae munimen invietum est sanctimoniae et expugnatio
fortis infamiae,
fortitudinis firmitas et lasciviae petulantis infirmitas,
probitatis praesidium et inprobitatis exeidium,
anımae victoria et corporis praeda,
ubertas gloriarun et captivitas eriminum,
pronuba sanetitatis et repudium turpitudinis,
sinceritatis indieium et abolıtio scandalorum,
exercitium continentiae et evacuatio tota luxuriae,
pax secura virtutum et debellatio quieta bellorum,
puritatis eulmen et libidinis carcer,
honestatis portus et ignominiae naufragalis locus,
virginitatis mater et hostis inmunditiae,
1) Ich drucke hier und im Folgenden die wichtigsten Proben der
rhytmischen und z. T. gereimten Prosa des Verfassers ab.
2; In dem 85. Capitel sind eitirt I. Cor. 9, 13), I. Cor. 9, 12
Il. Cor. ὑ, 3.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 29
loriea pudoris et spolium probrositatis,
corruptionis exitium, murus rigoris et destructio vulgaritatis,
severitatis gladius, triumphator et oceisor dissolutionis,
armatura virium et exarmatio fluxurarum,
integritatis dignitas et fornicationis addictio,
elaritatis fastigium et dedecoris praeeipitium,
voluntss bonorum operum et afflietio vitiorum,
refrigerium pudicitiae et poena petulantiae,
adquisitio triumphorum et facinorum detrimentum,
requies salutis et perditionis exilium,
vita spiritus et carnis interitus,
status qualitatis angelicae, funus humanae substantiae.
huius retinaculis omnis obseoenitas frenatur et conpedibus
eius calces furentis libidinis statuuntur. in hac velut in scopulo
franguntur inpetus qualescumque sanguinis inundantis et in illa
sedatur spumans tumoris insania corporalis. quae dum sibi
subtrahit adminicula concupiscentiae, mortua membra sua cognos-
eitur baiulare“.!
Nur durch das glänzende Messer der „singularitas“ wird die
mengchliche Natur von den Fleischeslüsten befreit (Cap. 40); sie
Fr die „Eunuchen“ zum Gastmabl der Heiligkeit und ihr
schenkt die Heiligkeit den Hochzeitsring. Sie macht den Unter-
schied von Mann und Weib zu einem bloss scheinbaren, indem
sie die Functionen beider Geschlechter tilgt, oder sie schafft viel-
mehr aus beiden eine dritte Form, so dass sie schon vor der
Auferstehung wie die Engel sind. Die Klarheit der Engel wird
bereits an ihnen erkannt.? Nur die „singularitas“ ist, wie Salomo
sagt, ohne Kinder in Glorie (Cap. 41); sie hat nicht nur ein
&utes Gewissen, sondern bleibt auch frei von bösem Verdacht;
so ist sie die Vollendung der Keuschheit, die ohne sie den Vor-
würfen ausgesetzt bleibt, und der Heiligkeit, die nun auch die
Feinde loben müssen. Sie liebt, an ihr haltet fest; denn sie
allein vermag die Weiber zu bekämpfen! Wenn auch noch keine
‘böse Lust die Brust bestürmt, so begebt euch doch schnell zum
verborgenen Schutz der „singularitas“, damit ihr später der Lust
1) Es folgt am Schluss dieses 39. Capitels Col. 3, 5. 6.
2) In dem 40. Capitel sind eitirt Luc. 20, 35. 36 u. Sap. Sal. 4,1. 2.
30 Harnack.
entgeht.! Allem Übelen muss man stets zuvorkommen (Cap. 43).
nicht aber sich von ihm überraschen lassen — wieviel mehr gilt
das von der Weiber-Gefahr, denn wenn die Begierde hier ein-
mal anfängt, hört sie nicht mehr auf. Wer also noch nicht
versucht ist, soll auf seiner Hut sein. Wır sind Menschen und
tragen unsre Gebrechlichkeit am Fleische; daher müssen wir uns
wappnen nach allen Seiten. Die geistliche Tapferkeit, die wir
empfangen haben, ist den Vorausschauenden, nicht den Toll-
kühnen gegeben, und der heilige Geist schützt nicht die, welche
sich in Gefahr begeben, sondern die sie vermeiden.” Rechnen
wir auf ihn, so müssen wir seine Ordnung festhalten. Das toll-
kühn sich überstürzende Heer fällt (Cap. 43), wenn es die An-
ordnungen des Feldherrn durchbricht; sicherer noch geht unter,
wer ohne die Waffen der Lehre des Geistes triumphieren will.’
Vertraut ihr also darauf, etwas von geistlichen Kräften zu
besitzen (Cap. 44), so gedenkt, was den Geistlichen geziemend
ist. Das, was ich euch schreibe, ist nicht fleischlich, wie auch
Paulus sagt: „Wenn Einer glaubt, er sei ein Prophet oder geist-
lich, der erkenne, was ich euch schreibe.“ Täuscht euch nicht
damit, ihr könntet als geistliche unter den Watlen der Laster-
haften weilen und wäret nicht: ungeeignet für die Würd® des
Klerikats, da ja die höher Stehenden auch grössere Anfechtungen
erleiden müssen. So ist es, aber um so grösser muss eure Furcht
sein, dass ihr nicht erniedriget werdet. Mit allen Kräften bitte
ich euch, euch in strenger Absonderung zu halten, damit ihr
nicht durch die Weiber oder die Weiber durch euch in Schande
kommen. Hat Einer eine Mutter oder Tochter oder Schwester
oder Gattin oder Verwandte, so möge er sie ohne eine Magd
oder sonst eine Fremde im Hause haben, damit das Verweilen
Jener in seinem Hause nicht als Vorwand erscheine. Können
diese Verwandten aber selbst nicht ohne weibliche Bedienung
oder Freundinnen sein, so mögen sie die Wohnung verlassen:
der Kleriker soll sie ihrer gewohnten Hülfe nicht berauben, sie
1) In dem 41. Capitel sind citirt Eph. 5, 9. 10, Philipp. 2, 14. 19,
I. Tim. 3, 7.
2) In dem ..2, Capitel sind citirt Proverb. 30, 16 u. Sirach 3, 26.
3) In dem 43. Capitel ist die Stelle citirt: „Vae qui per prae-
sumptionem suam aliquid faciunt, non per deum“; sie ist nicht nach-
gewiesen (Jerem. 17, 5°).
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 31
aber sollen ihn durch diese Weiber nicht beflecken. Sie können
ja mit frommen Frauen zusammen leben. Auch eine geringe oder
alte Person, wenn sie ihm nicht verwandt ist, soll der Kleriker
nicht zu seiner Bedienung aufnehmen; grade solche Fälle sind
besonders gefährlich, weil sie keinen Verdacht erregen und weil
der bösen Lust schliesslich auch das Hässliche und Verachtete
durch Teufels Wirken als schön und begehrenswert erscheint.!
Muss aber der Kleriker als Gast auf Reisen in einem Hause
weilen, in dem Weiber sind, so halte er sich aufs ängstlichste
zurück (Cap. 45). Alle Berührungen mit Weibern seien so kurz
wie möglich und sollen sich nur auf ihr Seelenheil beziehen. So
wandelt, so benehmt euch, dass die Kirche stets in den Klerikern
ihren fleckenlosen Senat besitzt. Strenge, Autorität, Kraft und
Gravität regiere bei euch im Verhältnis zu den Weibern.? Um
Alles zusammenzufassen (Cap. 46), verweisen wir euch auf die
Worte des Apostels, die Alles in Kürze enthalten: „Was wahr-
haftig ist, was ehrbar usw.“
8 3.
Unser Traktat ist ein Lehrbrief, den, wie es bei flüchtiger
Betrachtung scheint, ein Bischof? an den gesamten Klerus seiner
Diöcese gerichtet hat?, Er selbst ist seit geraumer Zeit ab-
wesend, hat aber durch Briefe den Zusammenhang mit seinen
Klerikern aufrechterhalten, unter denen namentlich ein Brief
„omnium morum instituta de lege commendans summatim omnia
continuit quaecumque universis clerieis generaliter ad dirigendam
tegulam conpetunt disciplinae“.® Andere Schreiben waren an
Einzelne gerichtet.” Der ausführliche Brief, den er nun sendet,
ist lediglich durch die Erfahrung veranlasst, dass einige — wie
es scheint viele — Kleriker mit Weibern in engster Haus-
1) In dem 44. Capitel ist Sirach 10, 34
2) In dem 45. Capitel ist Sirach 42, 12 eitü
3) Philipp. 4, 8.9.
4) „Vos non tantum persuasione sed etiam potestate convenio“ (0.37),
=. auch c. 1.
5) Nur an den Klerus, nicht auch an die Laien; das geht aus vielen
Stellen, namentlich aber aus c. 38, deutlich hervor.
6) Cap. 1.
7) Cap.1: „Litterae, quae per absentiam meam frequentiam omnibus
ensaverunt, (negligentibus quibusdam) numquam defaerunt“.
32 Harnack.
gemeinschaft zusammenleben, und hält sich streng an dies Thema.
Eine „alia disputatio* über die Selbstentmannung wird (C. 33:
angekündigt.
Es fehlt indessen viel daran, dass uns ein klarer Einblick
in die Situation gewährt wäre. (1) Dass der Verfasser Diöcesan-
bischof ist (die Leser, d. ἢ. die Kleriker, werden als „filii carissimi‘
angeredet) und die Kleriker Priester einer einzelnen Diöcese, ist
bei näherer Betrachtung unwahrscheinlich. Der Schreibende
erscheint vielmehr als Haupt und Führer bez. als angesehener
Lehrer (Bischof oder Priester) einer Gruppe (Partei), und die
Kleriker sind nicht Kleriker einer Einzeldiöcese. Die Bezeichnung
des Inhalts des früheren Briefs als eine Darlegung der all-
gemeinen klerischen regula disciplinae (also auch allen Klerikem
geltend) ist anderenfalls auffallend, auffallend auch die Behaup-
tung (c. 1), dass „die Kirche“ durch unsre Trägheit „redigitur
per dies singulos ad nimiam paucitatem“. Er scheint hier von
der Gesamtkirche zu sprechen und nicht von einer Diöcesan-
kirche.’ Wie aber kann durch die Trägheit seiner Kleriker die
Gesamtkirche im 4. oder 5. oder 6. Jahrhundert immer mehr zusam-
menschwinden? Da muss doch wohl an eine Sekte, die sich selbst für
die Kirche hält, gedacht werden?. (2) Undurchsichtig ist auch die Ab-
wesenheit des Verfassers; man erkennt nicht auf den ersten Blick, ob
sie eine freiwillige oder unfreiwillige ist; ersteres erscheint aber als
das näher liegende (von Exil oder Gefängnis ist nicht die Rede),
jedenfalls ist sie eine schon seit längerer Zeit bestehende. Von
Rückkehr des Verfassers ist nicht die Rede; wäre er aber der
Bischof der Kleriker, an die er schreibt, so erwartet man eine
Mitteilung über die Rückkehr. (3) Dass der Verfasser es für
nötig gehalten hat, in einem früheren Brief, wenn auch „summa-
tim“, eine vollständige Ethik für Kleriker niederzuschreiben und
abzusenden, ist auch befremdlich und erweckt den Verdacht. die
1) Man vgl. auch C. 4: „mentior, si non videmus exinde interitus
plurimorum. quanti et quales episcopi et clerici siımul et laici post con-
fessionum victoriarumque calcata certamina . . . noscuntur cum his
omnibus naufragasse, cum volunt in navi fragili navigare‘“. Der Verfasser
hat die (esamtkirche im Auge oder eine Gruppe, die für ihn die Gesamt-
kirche war.
2) „Corpus nostrum“, sagt der Verfasser (c. 1); c. 8 spricht er von
„fraternitas“, c. 15 von „congregatio nostra“.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 33
ganze Situation sei erkünstelt. Oder soll man in diesem Unter-
nehmen ein Argument für die Annahme erkennen, dass es sich
um eine verhältnismässig junge Sekte handelt, die sich ihre
Ordnungen neu aufbaut, weil sie die gemeinkirchlichen nicht
ohne Weiteres anerkennt? Aber in den Ausführungen des Ver-
fassers findet sich nichts, was dem Gemeinchristlichen wider-
spräche. (4) Auffallend ist auch, dass der Verfasser das Zu-
sammenleben der Kleriker mit Weibern im ersten Capitel als
eine eben erst eingerissene Unsitte zu bezeichnen scheint — in
seiner vollständigen Ethik für Kleriker hat er von ihr geschwiegen,
„sed quia nunc feminarum commoratione vulgariter inter vos
quidam ignominiae devoluti sunt“, greift er aufs neue zur Feder.
Hier kommt uns eine zweite Stelle zu Hülfe. In c. 34 lesen
wir: „At contra et ipsi dieunt: ‚Nonnulli de contemptoribus
nostris similiter feminas habentes in domibus martyrium consecuti
sunt, ut innocens inter illos conscientia probaretur‘“. Die in
Gemeinschaft mit Weibern lebenden Kleriker berufen sich für
das Recht ihrer Praxis nicht auf ältere Vorbilder in ihrer eigenen
Mitte, sondern — merkwürdig genug — auf die Praxis von
Leuten, die sie als ihre „contemptores“ bezeichnen und die, ob-
gleich sie mit Weibern gelebt, das Martyrium erlitten hätten.
Diese Beziehung, die leider im Folgenden nicht erläutert wird,
bleibt dunkel, aber am nächsten liegt doch wieder die Annahme,
dass es sich um eine junge Sekte handelt, die von der grossen
Kirche verachtet wird, ihr aber nahe genug steht, um sich unter
Umständen auf sie zu berufen. Man könnte bei der Undurch-
sichtigkeit der Verhältnisse an eine Fälschung denken: Es war
bekannt, dass Cyprian aus dem Versteck an seine Gemeinde
Briefe gerichtet hat, die bald ein allgemein-kirchliches Ansehen
erhielten — hat der Verfasser für Cyprian gelten wollen und
deshalb so eigentümlich geschrieben? Wenige Erwägungen ge-
nügen, um diese Hypothese zu beseitigen. (1) Das Schriftstück
ist erst lange nach seiner Entstehung d. h. erst im Mittelalter
den cyprianischen Schriften eingereiht worden; die älteste Hand-
schrift weiss noch nichts davon, dass es cyprianisch sein will
(5. ο. $ 1); (2) hätte der Verfasser für Cyprian gelten wollen, so
hätte er das doch wohl deutlicher ausgedrückt. Er hätte von
<ler Verfolgung, von seinem Versteck gesprochen, wohl auch von
baldiger Rückkehr, er hätte Cyprian-Schriften benutzt, ihn nach-
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 3.
34 Harnack.
geahmt oder wenigstens seine Absicht irgendwie deutlich ge
macht, usw. Alles 'das ist nicht geschehen!. Es ist also eine
ganz gewaltsame Annahme, das Schriftstück wolle von Cyprian
herrühren.
151 unser Stück aber keine Fälschung, weder unter Cyprian’s
Namen noch unter dem irgend eines Anderen (denn es hat
nirgendwo die Merkmale einer Fälschung), so treten die Züge
in ihre Rechte ein, die freilich keineswegs ganz deutlich sind.
aber doch die einzigen fassbaren. Unser Lehrbrief ist von einem
Haupte einer christlichen Gruppe geschrieben, die neben der
grossen Kirche steht, aber nicht einer häretischen, sondern einer
schismatischen; denn der Brief enthält schlechterdings nichts
Heterodoxes. Der Verfasser, von seiner Gruppe räumlich getrennt,
schreibt Lehrbriefe an ihren Klerus, beklagt, dass die Kirche zu-
sammenschmelze, und bezeichnet die Anhänger der grossen Kirche
als „nostri contemptores“. Die früheren Martyrien in dieser
Kirche erkennt er und seine Freunde als wirkliche Martyrien an.
Die nächstliegende Annahme, dass hier ein grosskirchlicher
Bischof an den Klerus seiner Diöcese schreibt, scheitert daran.
dass er augenscheinlich nicht Diöcesanbischof ist, obgleich er
eine „potestas” besitzt und auf Gehorsam Anspruch macht (0. 37),
und dass er überhaupt keine einzelne Gemeinde im Auge hat.
sondern die „Kirche“, die aber nicht die grosse Kirche sein kann.
Letzteres verbietet sich ebensosehr durch den Satz: „ecclesia per
dies singulos ad nimiam paucitatem redigitur“, wie durch den
Hinweis auf „nostri contemptores“, die nur in der Grosskirche
gesucht werden können.
Bemerkenswert ist noch, dass der Verfasser gleich im Ein-
sang mit Emphase bemerkt, dass er auf Grund einer Special-
offenbarung Jesu schreibe te. 1: „De hac re specialiter vobis
domini eorreptione seribere compulsus sum, qui miserum me pro
vestra neglegentia cum severitate conveniens mandare praecepit,
ne clerici cum feminis commorentur. et licet haec admonitio sola
litterarum mearum auctoritati sufficeret, tamen ne me somniatorem
inrideat quisquam, sicut Joseph fratres inriserunt, scripturarum
addimus firmitatem, ut omnes sceiant boc etiam modo per
. rerelationem dominum inbere, quod litteris cognoseitur ante
1) Über eine Ausnahme 8. unten.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 35
iussisse, nec nos esse adulterantes verbum domini aut volentes
iactanter de revelationibus gloriari, sed sicante conspectum domini
referendo non mentiri quod loquimur‘), Da sich bekanntlich
auch Cyprian nicht selten auf Offenbarungen berufen hat!, ja
ep. 66, 10 bemerkt, er werde von Einigen wie Joseph von seinen
Brüdern als Träumer verspottet, so könnte man hier eine Nach-
ahmung Cyprians vermuten. Allein diese eine Stelle ist zu
schwach, um die Annabme zu begründen, da sonst, wie bemerkt,
jede Beziehung auf den grossen Bischof fehlt: Die Art der
Berufung lässt sie auch keineswegs als bloss gemacht erscheinen:
der Verfasser markirt die Thatsache im Eingang, führt aber nur
den impulsus ad scribendum auf den Herrn zurück. Was er
schreibt, stellt er durchaus nicht unter den Schutz der Offen-
barung, sondern giebt es als sein geistiges Eigentum. Nicht
was er schreibt, ist inspirirt, sondern dass er schreiben soll, hat
ihm der Herr befohlen.
„Dominus mandare praecepit, ne celerici cum feminis commo-
rentur” — die Ausführung zeigt, dass dem Verfasser mit der
Thatsache der Unsitte auch Argumente bekannt geworden sind,
auf die sich die Verwegenen zu berufen versuchten. In welcher
Form sie ihm zugänglich geworden sind, erfahren wir nicht.
Auch lässt sich nicht überall entscheiden, wo der Verfasser
Beweise der Gegner und wo er Einwürfe, die er sich selbst
macht, behandelt.
Die Unsitte, gegen welche der Verfasser streitet, ist von
Achelis? verkannt worden. Er meint, es handle sich um die
uralte Sitte des Zusammenlebens mit gelobten Jungfrauen,
Bräuten Christi, deren Motive und Verbreitung er so licht-
voll dargestellt hat. Aber die beiden Stellen, auf die er sich
für diese Annahme beruft, sind von ihm missverstanden, die zahl-
reichen anderen, die dagegen sprechen, nicht beachtet worden.
In ce. 34 ist überhaupt nicht von Bräuten Christi die Rede,
sondern von der Braut Christi, der Kirche, und in ὁ. 16 kommen
zwar virgines continentes vor, aber diese Stelle ist fast singulär,
und entscheidet nicht darüber, wer die so oft in der Schrift ge-
nannten feminae, bez. feminae extraneae (alienae) sind. Dass die
1) 8. meine Abhandlung „Cyprian als Enthusiast“ in der Ztschr. f.
NTliche Wissensch. III (1902) 8. 177 £.
2) A. ἃ. 0. 8, 86.
85
36 Harnack.
virgines continentes, ebenso wie die clerici continentes ihre
besonderen hospitia haben sollen, ist eine beiläufige Bemerkung,
ebenso wie die Bemerkung in c. 44 beiläufig ist, dass Frauen,
die an anderen Frauen eine Stütze brauchen, zu den „mulieres
sanctae“ ziehen sollen. Die feminae aber, gegen welche der
Verfasser zu Felde zieht, sind, wie unzweideutig cc. 18, 38 und
44 beweisen, nicht gelobte Jungfrauen oder Bräute Christi,
sondern einfach dienende Frauen, welche sich der Kleriker zu
seiner persönlichen Pflege ins Haus nimmt. Der Verfasser be-
handelt sie durchweg als ein genus vile, und wie die Kleriker
selbst nicht daran denken, sie als geistliche Ehefrauen zu be-
trachten, so fällt es auch dem Verfasser nirgendwo ein, es könnte
sich um die alte Sitte der geistlichen Brautschaft handeln. Nein,
die ganze simple. aber social tief einschneidende Praxis, die sich
einzubürgern anfing, stand zur Frage, dass Kleriker, welche Ent-
haltsamkeit gelobt hatten, dienende Frauen in ihre Hausgemein-
schaft aufnahmen. Augenscheinlich ist die Frage selbst noch
neu: die Kleriker meinten im Rechte zu sein, und der Verfasser
verweist nicht auf alte Bestimmungen gegen die Praxis (z. B. auf
Cyprian ep. 4), sondern auf einen Specialbefehl des Herrn gegen
dieselbe und auf einen Schriftbeweis, den er von nirgendwoher
entlehnen konnte, sondern selbst zum ersten Mal führen musste.
Dass die mit Weibern zusammenlebenden Kleriker u. a. ihre
Praxis auch damit verteidigten, dass das Zusammenleben eine
heroische Tugendübung bedeute, entscheidet nicht über die Natur
dieser Hausgemeinschaft als einer geistlichen Ehe. Wäre sie eine
solche, so hätte sich der Verf. in Bezug auf die Weiber, um die es sich
handelt, anders aussprechen müssen. Er fürchtet nur, sie könnten in
Hurerei verfallen (mit ihren Herren oder mit Anderen) dass sie
aber ein abgelegtes Gelübde brechen würden, sagt er nicht.
Unser Lehrbrief richtet sich also an die clerici continentes,
ἃ, ἢ. an solche Kleriker, die Enthaltsamkeit gelobt hatten! — dass
nicht alle clerici Enthaltsame zu sein brauchten, wird sich noch
zeigen —, um ihnen zu verbieten, eine femina extranea zu ihrer
Pflege und Bequemlichkeit ins Haus zu nehmen; die Aufnahme
der Mutter, Tochter, Schwester oder einer Verwandten wird
(c. 44) ausdrücklich zugestanden.
1) Die Erwähnung von Laien in c. 4 ist ganz beiläufig und bezieht
sich ausserdem auf eine frühere Zeit.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 37
An Strenge hat es der Verfasser in der Bekämpfung der
Unsitte nicht fehlen lasssen, und das Weib ist ihm der Gegen-
stand der Versuchung xar’ ἐξοχήν. Man glaubt einen mittel-
alterlichen Polterer zu hören. Die Ehe gilt ihm grade noch als
erlaubt; günstig ist er ihr nicht, doch bekämpft er die Forderung
der prinzipiellen Ehelosigkeit als Häresie.
8 4.
Der Verfasser ist ein geschulter Stilist und ein gelernter
Rhetor!: das zeigt jedes Capitel seiner nicht glänzend, aber gut
disponirten Schrift.?2 Der Stil wird dem damaligen Geschmack
der Gebildeten zugesagt haben, uns erscheint er höchst schwülstig
und wenig anmutend. Eine ausführliche Probe ist aus cc. 38 u. 39
gegeben worden; man nehme etwa noch den Satz (c. 37) hinzu:
„Amputanda sunt vobis universa quaecumque igniferi fomitis
sulphurantibus flammis scatens fornax ebullientis carnis exaestuat,
ne vel tenuis quidem secintilla servata maiora conflet incendia“,
Der Verfasser schwelgt förmlich — als Parallele vgl. man die
Confessionen Augustin’s — in antithetischen Zusammenstellungen
(ce. 1 nimia paucitas, c. 8 pudicus impudicissime castitatis
praebet magisterium, c. 3 estote timidi, ut sitis intrepidi, c. 7
infamis sanctimonia, c. 7 continentia eriminosa, c. 19 vulnifici
amplexus, c. 19 inimica amicitia, c. 6 copulatio infesta, ὁ. 29
infanda familiaritas, ὁ. 29 parricidalis dilectio, c. 29 noxia
germanitas, c. 30 ancillata caritas, ce. 31 eunuchorum caritas,
c. 31 perversitas dilectionis, c. 32 virginitas probrosa, c. 32
coniugalitas castrata, c. 32 vituperatione laudari, c. 33 a damnato
damnari, c. 33 spiritales eunuchi, 6. 37 eunuchi amatores, ὁ. 34
noxia innocentia, 6. 42 circumspecta vivacitas). Er liebt die
rhetorische Wiederholung desselben Worts, namentlich im
Imperativ (c. 2 credite credite, c. 3 separamini separamini, c. 6
longe satis longe, c. 13 absit absit, c. 27 parce iam parce, c. 29
succurre succurre, c. 23 ad perditionis cumulum cumulandum);
er liebt überhaupt die rhetorischen Häufungen (c. 7 morbi
dissensio ambigua, c. 2 praecipitia ruinarum, c. 7 pudieitia
castitatis, c. 6 inimicitiae discordantes, c. 6 amica concordia).
1) Daher schimmert auch die Abhängigkeit von den Dichtern (Vergil
und Ovid) durch.
2) Wiederholungen fehlen nicht.
38 Harnack.
Das rhetorische Spiel mit einem und demselben Wort findet sich
auch; die abschreckendste Probe bietet c. 17: „Sancetum non
est quod geritur sanctum, nisi sancte quod sanctum est
peragatur, sicut Salomon adserit dicens: ‚Qui enim custodierint
iuste iusta iustificabuntur‘. sinceriter ergo sinceritas
ipsa servanda est“; cf. ce. 23: „bene agentibus vero bona sunt
omnia quaecumque scripta sunt, qui bene dicta bene suscipiunt“,
Die asyndetische Nebeneinanderstellung mehrerer Worte und
Sätze ist ihm geläufig sowie die parallele Anordnung gleich-
gebauter Sätze mit demselben Anfangswort (8. c.19: sic explicat
quod ante praestare videtur, sic de simplici caritate amorem
conflat illicitum, sic per sanctitatem subindueit interitum, sic
valet fortius occupare ....., sic plenius devincere gloriatur“ vgl.
das dreimalige „si“ in c. 15 oder c. 42: „ante famem certamus,
ante inopiam laborando satagimus‘).
Der Wortgebrauch und die Syntax zeigen manche Eigentüm-
lichkeiten auf, manches auch, was an Tertullian oder an die
vulgäre Latinität erinnert; die meisten Parallelen aber finden
sich in den Urkunden des Theodosianus Codex. Mir liegt eine
nähere Untersuchung dieses Thatbestandes ferner; ich beschränke
mich daher auf einige Beispiele. Der Verfasser braucht „con-
venire® und „mentior sı“ wie Tertullian; „dissimulatio* ıst ihm
e. 1 (u. sonst) = Vernachlässigung; „peregrinatio“ scheint
c. 30 = peregrinitas zu sein. „Satiare* ist 6. 9 — erschöpfend
ausdrücken, wie bei Cyprian ep. 69, 6. „Evacuare“ wird im
juristischen Sinne (= entkräften) gebraucht (c. 30 u. sonst), und
auch „evacuatio“ findet sich ὁ. 89 (vgl. Tertull., adv. Marc. IV, 24).
„Domini fabrica“ (ec. 25) ist τ der Mensch, wie bei Prudentius.
„Ancillatus“ ist ὁ. 30 passivisch gebraucht; c. 38 liest man
„velificat“. „Moderamen“ ist c. 45 Mässigungsmittel wie Im
T'heodos. Codex: „coartare“ —= zwingen (c. 42), wie im Theod_
Cod. und in den Digesten (das Wort auch c. 22); „particpium””—-
— Teilnahme (c. 14) wie im Codex Justin.; 65. 10 „glutera
delictorum“; c. 9 „artarı ad laborem“; ὁ. 39 „mortua sus
membra cognoseitur baiulare“. Der Verfasser schreibt c. 2
„considerare quoniam“. c.32 liest man: „facile quam“ (= faciliu= --
quam)!, c. 9 „duplex triumphus est sub feminae praesentis=-
1) In Cap. 33 ist „peiores“ schwerlich = mali, sondern bedeute»
eine Abschwächung des Gedankens.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 39
probare victorem quam in singularitate servare sponsionem
integram, c. 3 „expedit quam* (= nmielius expedit quam), ὁ. 2
„quin immo quam“ (= plus quam), Sehr merkwürdig ist über-
haupt der Gebrauch von „quin immo“ (9. c. 9. 16. 26. 42, die
Stellen sind oben zu c. 9 mitgeteilt).
An seltenen Worten seien angemerkt „toxicatus* (c. 10:
viscum toxicatum), die zahlreichen Zusammensetzungen mit
„.ficare“, z. B. „clarificare*, 5. Lactant. (c. 41), „mortificare“
(ὁ. 19), 5. Tertull. u. Prosper, „castificare“ (c. 40), 5. Rönsch,
Itala u. Vulgata S. 175, „vanificare (c. 16), fehlt bei Rönsch,
„tabefacere* (c. 1), „evacuatio“ (8. o.), „iuvamen“ (6. 42), 8.
Rönsch 5. 27, „frequentativus* (c. 45), „convivationes“ (c. 26),
„egestosus“ (c. 26), 5. Aurel. Victor, Ambros., Salvian., Rönsch
S.127, „absentare“ (c.30), s. Thheodos. Cod. u. Claudian, Rönsch
S. 169, „perperire“ (ce. 43: „multo magis perperituram erogat
fortitudinem“), „fluxura“ (ὁ, 26. 39), 5. Rönsch S. 45, „fluxus“
6. 8 = die Verweichlichungen [dieser Gebrauch ist sonst nicht
zu belegen], „fluxi* (c. 27. 29) die Verweichlichten, „inaccusabilis“
(e. 44), 8. Gloss. Philox., „transgressor“ (c. 36), s. Arnob,,
Tertull, „repugnator“ (c. 11), „fideiussor (ce. 11), s. Digesten,
„contradictorius“ (c. 36), s. Cassiod., „constitutionarius® (c. 36
subst.), fehlt bei Rönsch, „prolator“ (c. 36), fehlt bei Rönsch,
„inplanator“ (c. 3), fehlt bei Rönsch, „christianitas* (c. 7),
s. Donatisten, Augustin, Philast., das Wort fehlt bei Tertullian
und Cyprian, findet sich aber in dem falschen Brief Cyprian’s
an Turasius und beim Verf. der Quaest. Vet. und Nov. Test.
(Pseudo-Augustin), „causalis“ (c.6: „causale est omne quod feminae
est“), „imordinalis“ und „inordinaliter“ (e. 6.2), fehlt bei Rönsch,
„passibilitas“ (c. 45) s. Arnobius, fehlt bei Rönsch, doch 8.
„passibilis® und „passibiliter“ (letzteres bei Tertullian), „parilitas“
(c. 38. 41), s. Apulejus, Rönsch, S. 54, „contubernalitas“ (c. 34),
„coniugales‘‘ = Eheleute (c. 32) und „coniugalitas“ (c. 14. 32),
letzteres weiss ich nicht zu belegen, zu ersterem s. Cod. Justin.,
Rönsch S. 106, „coaequatio“ (c. 22), „deceptorius“ (c. 44), 8.
August., „probrositates* (c. 41), s. Salvian, „exercitamentum“
(c. 16). Stil, Rhetorik und Vocabular unserer Schrift machen
es sehr unwahrscheinlich, dass sie vor der Mitte des 4. Jahr-
hunderts geschrieben ist.
1) Dieser hat auch schon das Wort „paganitas“.
40 Harnack.
8 5.
Achelis hat (a. a. Ὁ. 5. 36 fl.) mehrere Beobachtungen
geltend gemacht, die erweisen sollen, dass die Schrift vor-
nicänisch ist.
(1) Der Verfasser eitirt noch nicht den Beschluss von Nicäs
(canon 3) zu seinen Gunsten.
(2) Er setzt noch keine Strafe fest für den Kleriker, der
der weiblichen Bedienung nicht entraten zu können meint. „Eine
derartige Haltung ist am besten verständlich vor 325; canon 27
von Elvira (306) und canon 19 von Ancyra (314) beschränken
sich darauf, die Syneisakten zu verbieten; seit Nicäa steht eine
Strafe auf dem Verhältnis, das trotz bischöflicher Ermahnung
nicht aufgelöst wird.“
(3) Der Verfasser kennt noch keine Mönche. „Seit dem
4. Jahrh. blüht das Syneisaktentum speciell in den Kreisen der
Mönche, und wer eine ausführliche Abhandlung gegen die Un-
sitte schrieb, konnte unmöglich das Mönchtum als die eigent-
liche Brutstätte unerwähnt lassen. Das thut aber der Verfasser.“
(4) Das vierzigtägige Fasten war in der Kirche damals
noch nicht üblich (c. 21. 26); um d. J. 325 oder bald nachher
wurde es aber im Abendland Sitte!.
(5) Der Verfasser hat die Zeiten der Verfolgung mitdurch-
lebt und das Fragwürdige vieler Martyrien kennen gelernt. „Je
weiter man von der Zeit Diokletians sich entfernt und hineir-
geht in das 4. oder gar die folgenden Jahrhunderte, um so un
möglicher wird die Haltung des Verfassers.“
(6) Der Verfasser setzt verheiratete Kleriker voraus und
tadelt die Sitte nicht (c. 44: „Si quis (clericus) habet matrem
vel filiam vel sororem vel coniugem vel cognatam etc.“)
Zu diesen Beobachtungen könnte man noch einige andre
stellen:
(7) Der Verfasser behandelt die Frage, ob Männer und
Frauen gemeinsam den Gottesdienst feiern können (ec. 13 fl);
ε-.............-..-.---.--ς-ς.ς.
1) Unverständlich ist mir die Behauptung von Achelis (8. 39), auf
die Zeit vor 325 passe auch vorzüglich die Bemerkung (c. 1), dass sich
die Kirche fortwährend vermindre. Diese Bemerkung passt vor dem Zeit
punkt 325 ebenso schlecht wie nach demselben; sie ist, wie Achelis
selbst — freilich nur bypothetisch — annimmt, nur in Bezug auf eine
kleinere Gemeinschaft verständlich, in Bezug auf die Gesamtkirche sinnlos.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 41
das scheint in jene Zeit zu führen, als Lieinius die Gemeinsam-
keit verbot.
(8) Er blickt nicht nur auf eine vergangene Märtyrerzeit
(ec. 4. 34) zurück, sondern er und seine Adressaten setzen voraus,
dass noch jetzt Martyrien vorkommen, ja dass sie selbst Märtyrer
werden können (ec. 35).
(9) „Infideles“, „extranei“ (c. 8), „gentes“ (c. 30), „idolo-
latrae“ (c. 33) umgeben noch die Kirche; die Gallen üben noch
die Selbstverstümmelung (c. 33); Astrologen und Mathematiei
treiben ihr Wesen (ec. 35).
(10) Die Christologie des Verfassers erscheint vornicänisch,
schreibt er doch sogar (c. 21): „Christus comparare se ipsum
ausus est deo, qui ait: ‚Pater maior me egt‘*.
(11) Der Verfasser spricht von der Häresie, die Ehe zu
verbieten (c. 13. 25), ohne dabei die Manichüer zu nennen, wie
das in ähnlichem Fall die Väter des 4. Jahrhunderts, z. B.
Philastrius, Augustin, Gaudentius, zu thun pflegten.
Dies dürften die Beobachtungen sein, die dafür sprechen,
dass unsre Schrift der Zeit um d. J. 300 angehört, oder die doch
einen solchen Ansatz begünstigen. Allein die entgegenstehenden
Beobachtungen, welche die Schrift der Mitte des 4. Jahr-
hunderts bez. den JJ. 350—375 zuweisen, sind stärker, ja
sie sind durchschlagend. Jene elf Argumente aber sind sämtlich
nicht so beschaffen, dass sie das 3. Viertel des 4. Jahrhunderts
ausschliessen, vielmehr lassen sie sich bei näherer Prüfung mit
diesem Ansatz vereinigen. Ich teile zunächst die neuen Beob-
achtungen mit und werde dann die oben aufgeführten Argumente
ınit ihnen vereinigen:
(A) Dass Stil, Rhetorik und Vocabular der Schrift es wahr-
sscheinlich machen, dass sie nicht vor der Mitte des 4. Jahr-
Xhunderts geschrieben ist, ist bereits oben bemerkt worden.
(B) Die klerikale und sakrale Terminologie ist die der
=weiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, nicht aber die aus der Zeit
es Lactantius:
«a) Episcopi und cleriei sind unterschieden.
40) Der Verfasser kennt den term. techn. „ius ecelesiasticum“
(e. 36), eine Bezeichnung, die sonst zuerst in den pseudo-
augustinischen Quaestiones in Vetus et Novum Testamentum
42 Harnack.
vorkommt (c. 370), aber auch dort noch nicht in dem um-
fassenden Sinn wie bei unserem Verfasser.'
(c) Der Verfasser spricht von „ecclesiastica tribunalia“ (c. 36)
und in demselben Sınne von „iudicia Christiana“ (c. 33). So
sprach man nicht in vorkonstantinischer Zeit. Auch das „crimen
ecelesiae“ als höchstes Verbrechen (c. 34: „quibus contemptum
legis et conversationis illicitae foeditatem et quod gravius
super omnia crimen ecclesiae cernitur ignovisse“) gehört dem
4. Jahrhundert an.
(d) Dass ihm das Christentum als Ganzes „lex“ ist und ebenso
die ἢ. Schrift, beweist nichts; aber dass er von einem „edictum
Pauli“ (ς. 28) und von „interdieta divina“ (c. 29) spricht, führt
m. E. ebenfalls auf das 4. Jahrbundert, ebenso die Bezeich-
nung „decreta legalia“ (c. 37) für Stellen der h. Schrift.
(e) Die Formel „apostoli et sancti omnes“ (c. 22) und die „sancti*
als fester Stand, der der Vergangenheit angehört und dem
man sich nicht vergleichen darf (c. 23f. 27), führen in die
2. Hälfte des 4. Jahrhunderts (dass die Ehelosen „sancti“
heissen, ist etwas anderes, 5. ὁ. 7. 10).?
(f) Der Klerus scheint so stark von den Laien getrennt und so
erhaben, dass man m. Εἰ. frühestensan die Mitte des 4. Jahrhunderts
denken kann. In c.30 sind] aller Wahrscheinlichkeit nach
unter „mundani homines“ nicht Heiden, sondern christliche
Laien zu verstehen; sie werden den „clerici“, „qui ad expli-
canda inpossibilia habent spiritum sanctum, quem mundani
homines non habent“, entgegengesetzt. Die Kleriker als die
„spiritales“ (c. 44), als „sacrati“ c. 38, ihr „sacerdotium cae- -
leste“ c. 33.
(g) Die Terminologie für den Gottesdienst (Gottesdienst abhalten), —
1) 8. meine Abhandlung über den Ursprung des Begriffs in dene
Sitzungsberichten der K. Preuss. Akad. der Wissensch. 1903, 26. Febr.
2) Nicht vor der Mitte des 4. Jahrhunderts kann der Satz (c.27) ge —
schrieben sein: „Pro nefas dolere cogimur quod docemus, qui usque ad hie»
venimus ut in comparatione fluxorum de sanctorum tremendis virtutibuss
disputemus. parce iam parce, protervitas! nunquam tibi sancti consen— -
tiunt qui religiosa modesta veneranda pudica pudorata cum feminis nego— “
tia peregerunt. aut si adhuc per sanctos cayillationis amfractus contendi=>
exquirere, nos tamen amicos dei non novimus nisi ad venerationen—
tantummodo memorari“ (man beachte „novimus memorari“).
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 43
ist so reichhaltig, dass sie beträchtlich über das 3. Jahrhun-
dert hinausweist: „sacra dei“ (c. 16), „festa sacra* (c. 15),
„talis convenit cura sacratis qualia sunt sacra ipsa quibus
exhibent officia servitutis“ (c. 38), „divinis sacramentis
insistere“ (c. 38), „sacra solemnia“ (c. 13), „sancta mysteria
celebrare“ (c. 14), „conventus sacrorum“ (6. 14), „conventum
celebrare“ (c. 14), „communis conventio“ (c. 15). Auch die
Ausdrücke „spiritales actus“ (c. 16) und „contemplatio Christi“
(c. 33) sind nicht alt.
(l) Der Verfasser, obgleich Abendländer, citirt, augenscheinlich aus
seiner Bibel, den 2. Petrusbrief! (nach einem Citat aus Paulus
und vor einem Citat aus Sirach): „Quos sanctus Petrus de-
signaverat dicens: ‚In conviviis suis Juxuriantes ete.“ (IJ.Pet.2,13.
14). Dieser Brief hat vor der Mitte des 4. Jahrhun-
derts nicht in der lateinischen Bibel gestanden.
Diese Gründe genügen, um den Versuch zu verbieten, unsre
Schrift über die Mitte des 4. Jahrhunderts hinaufzuschieben. Wie
aber steht es mit den sechs Beobachtungen, die Achelis an-
geführt hat, und den fünf anderen, die wir hinzugefügt haben?
Nun, sie lehren, dass man mit der Schrift nicht weit über die
Mitte des 4. Jahrhunderts heruntergehen darf, d.b. nur bis zur
Zeit des Gratian und Theodosius — in diesem Sinne sind sie
von hoher Bedeutung —, aber sie lehren nicht, dass man bei
der Zeit + 310 stehen bleiben muss.
(Ad 1) Die Nichtanführung des Beschlusses von Nicäa (canon 3)
gegen die Syneisakten braucht nicht zu befremden, wenn unsre
Schrift in den JJ. 350—375 abgefasst ist. Die Beschlüsse der
grossen orientalischen Synoden sind im Occident überhaupt nicht
sofort beachtet worden (bez. nur allmählich eingedrungen). Weiter,
unser Verfasser will nichts mehr als einen ausführlichen
Schriftbeweis gegen die Syniesakten bringen, nur ihn hat er
angeküindigt. Man kann von ihm also nicht verlangen, dass er
sich um andre Argumente kümmere. Gehörte er aber der donati-
stischen Kirche an (8. darüber S. 46f.), so mochte er — diesen Ein-
wurf hat sich Achelis selbst gemacht — Grund haben, vom
Nicänum abzuseben.
1) Achelis ist dieses starke Gegenargument gegen seine Aufstellungen
leider entgangen.
44 Harnack.
(Ad2) Mit dem zu (1) Bemerkten ist auch die 2. Beobachtung
erledigt. Strafen festzusetzen, kam dem Verfasser nicht zu: das
ist Sache der Synoden.
(Ad 3) Der Verfasser kennt noch keine Mönche: diese Be-
obachtung macht esratsam, unsre Schrift nicht bis + 400 herunter-
zuschieben, aber gegen den Ansatz + 365 spricht sie nicht; denn
damals war das Mönchtum im Abendland nicht oder kaum noch
vorhanden.
(Ad 4) An das allgemeine kirchliche Quadragesimalfasten ist,
wie auch Achelis sich selbst einwirft, nicht notwendig zu denken.
Doch wird man ihm darin beistimmen, dass, wenn dasselbe in
Kraft gewesen wäre, der Verf. seinen Satz wahrscheinlich anders
formuliert hätte. Aber es giebt keine Stelle, die da bezeugt,
dass im Abendland bereits in der ersten Hälfte des 4. Jahrhun-
derts das (Quadragesimalfasten sich eingebürgert hat. Wieder
steht es also so, dass wir nicht gehindert werden, unsre Schrift
bald nach der Mitte des 4. Jahrhunderts verfasst zu denken,
während die Datierung + 400 Bedenken erregt.
(Ad5) und (Ad 8.9) Die hier von Achelis erhobene Be-
obachtung ist richtig; der Verfasser hängt noch geschichtlich mit
der grossen Märtyrerzeit zusammen, ἃ. h. diese fällt in eine nicht
allzu ferne Vergangenheit, ja noch mehr: er hält die Möglichkeit
von Martyrien auch für die Gegenwart offen und er fällt über
eine grosse Anzahl der Märtyrer aus der grossen Verfolgungs-
zeit ein herbes Urteil. Die letztere Beobachtung wird uns unten
noch beschäftigen. Gewiss ist, dass man den Verfasser nicht in
die Zeit Gratian’s und Theodosius’ versetzen darf: damals hätte
er nicht mehr von den sich entmannenden Gallen wie von etwas
Gegenwärtigem gesprochen, auch nicht auf die Märtyrerzeit so
ohne weiteres zurückblicken und an sie anknüpfen können. Schrieb
er aber + 365, so ist das wohl verständlich. Was die noch
jetzt möglichen Martyrien betrifft, so ist — vorausgesetzt, der
Verfasser gehört der grossen Kirche an — die Zeit um 365 nicht
geradezu ausgeschlossen; denn unter Valentinian I. gab es noch
immer einzelne heidnische Statthalter, die unter allerlei Vor-
wänden die Christen verfolgten. Allein auffallend bleibt es
doch, dass er an diese Möglichkeit denkt, und man muss dem
Kritiker Recht geben, der angesichts dieser Stelle eine bedeutend
frühere Zeit empfiehlt (etwa die Zeit um das J. 310 oder gar
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate elericorum. 45
vor dem J. 303). Allein dann haben wir den vollkommenen
Widerspruch, da unwiderlegliche Beobachtungen ein so frühes
Datum nicht zulassen. Also wird unsre Schrift nicht aus der
grossen Kirche stammen, sondern aus einer kleineren Gemein-
schaft, die noch um die Zeit + 365 Martyrien vor Augen sah.
(Ad 6) Verheiratete Kleriker hat es im Abendland noch im
4. Jahrhundert gegeben und sie wurden gebilligt; aber eben nur
bis gegen Ende des 4. Jahrhunderts darf man auch bier mit
unserer Schrift herabgehen: ein Verfasser, der so weiberfeindlich
ist, dabei aber doch die Priesterehe nicht antastet, wäre nach
+ 400 ein Unicum.
(Ad 7) Licinius regierte im Osten; dass sein Verbot im
Westen auch nur bekannt geworden ist, wissen wir nicht; dazu,
die Verteidiger der Hausgemeinschaft mit Weibern haben sich
auf das Argument berufen: Wenn man mit den Weibern im
Gottesdienst zusammen sein darf und soll, warum nicht auch im
Hause? Diese Erwägung hat augenscheinlich mit dem Verbot
des Lieinius schlechterdings nichts zu thun,
(Ad 8) 8. oben ad 5.
(Ad 9) 5. oben ad 5.
(Ad 10) Dass der Verfasser geschrieben hat: „Christus com-
Pparare se ipsum ausus est deo, qui ait: ‚Pater maior me est“,
ist vielleicht auffallend, aber es scheint nur eine momentane Ent-
gleisung zu sein, und man darf dahinter nicht eine rückständige
Christologie suchen. Die ganze Schrift ist rein moralisch gehalten
und absolut undogmatisch; da konnte eine dogmatisch bedenk-
liche Wendung sich leicht einstellen. C. 34 schreibt der Ver-
fasser ganz correct: „A deo patre missus est filius de sinu patris*
und c.26: „(Maria) genuit maiestatem“.! Weder hat man Grund,
in dem Verfasser einen Arianer zu sehen, noch darf man aus
der incorrecten Wendung schliessen, dass er in vorarianischer
Zeit geschrieben haben müsse.
(Ad 11) Es ist richtig, dass man die Erwähnung der Mani-
<häer vermisst, aber wirklich auffallend ist das Fehlen nur in
1) Aus dem, was der Verf. über Maria sagt, lässt sich keine Zeit-
bestimmung gewinnen. L. c. schreibt er: „Non possum et alias Christi
inatres admittere, nec aequanda est mulieribus cunctis quae genuit maies-
tatem, und c.4: „Per mulierem liberarit nos Christus, sed unde adhuc
morimur formidare dobemus“.
46 Harnack.
einer Schrift, die + 400 geschrieben ist; um das Jahr + 36
waren die Manichäer im Abendlande noch nicht so verbreitet,
dass ihre Nichterwähnung wirklich auffallend ist.
Somit ergiebt sich, dass die Abfassungszeit unserer Schrift
in wünschenswert engen Grenzen festgelegt werden kann: sie ist
nicht in die Zeit des Gratiaun und Theodosius zu rücken, aber
sie ist auch nicht — der Wortschatz und Sprachgebrauch sowie
das förmliche Citat des 2. Petrusbriefs verbieten das — über die
Mitte des 4. Jahrhunderts hinaufzusetzen. Man wird daher nicht
irren, wenn man sie auf das 3. Viertel des 4. Jabrhunderts datiert.
Mit diesem Ansatz ist schliesslich auch Achelis einverstanden,
sofern er sich bereit erklärt hat, seine Datierung auf eine frühere
Zeit zurückz uziehen.
S 6.
Man muss zugesteben, dass die Kennzeichen, dass der Ver-
fasser einer schismatischen Sekte angehört, nicht absolut dent-
lich sind, aber sie sind m. E. doch hinreichend sicher. Die Klage
(c. 1), dass die Kirche „per dies singulos ad nimiam paucitatem
redigitur“, ist bei einem kirchlichen Schriftsteller im 3. Viertel
des 4. Jahrhunderts nicht nur befremdlich, sondern unerbört.'
„Nostri contemptores“ (c. 34) können nicht Häretiker sein (noch
weniger Heiden), sondern nur katholische Christen. Die Voraus-
setzung, dass das Martyrium noch jetzt über den Häuptern schwebe
(ec. 25), ist bei einem Katholiken in der angegebenen Zeit eben
noch möglich, aber sehr auffallend. Diese drei Beobachtungen
entscheiden.
Zu welcher Sekte unser Verfasser gehört, wenn er der
grossen Kirche abzusprechen ist, kann nicht zweifelhaft sein.
Nichts erinnert an den Novatianismus, und die Behandlung der
Martyriums-Frage (c. 34. 35) schliesst ihn sicher aus. Also
kommt nur der Donatismus in Betracht. Donatistisch ist die
Stellung zu den Martyrien. Wenn der Verfasser auf den Ein-
wurf: „Nonnulli de contemptoribus nostris . . . martyrium
consecuti sunt”, sofort repliciert: „Nolo mihi de martyrio quis
quam moveat actionem, quia saepius et moechi et sanguinarii et
ebriosi et omnium scelerum rei reperta pugnationis occasione
1) Um eine rhetorische Kluge handelt es sich nicht, auch nicht um
das Schwinden wahrer Christen.
Der psendocyprianische Tractat De singularitate clericorum. 47
conversi meruerunt ad martyrii veniam pervenire“, so hört man
die donatistische Kritik. Ein Katholik hätte im 4. Jahrhundert
schwerlich so geantwortet, gewiss nicht seine Antwort so be-
gonnen. Auch der Enthusiasmus, wie er in c. 1 hervortritt
(Speeialoffenbarung des Herrn), die keineswegs runde Ablehnung
der Selbstverstümmelung (c. 33), das Absehen von der kirch-
lichen Tradition und das deeidirte Bekenntnis (c. 16), dass über
„Gerecht“ und „Ungerecht“ ausschliesslich der unerforschliche
Wille Gottes entscheide, „qui potens est iniustitiam iustificando
vocare iustitiam“, sind der Annahme, dass wir in unsrem Ver-
fasser einen hervorragenden donatistischen Lehrer zu erkennen
haben, günstig. Das Citat (c. 8) von II. Makkab. 6, 23—28 fällt
schwer ins Gewicht; denn diese Stelle — m. W. von den Kirchen-
vätern sonst nicht häufig eitirt — ist eine donatistische Hauptstelle
gewesen, auf die sich schon Sekundus v. Tigisis berufen hat (8.
Bonwetsch, Protest. R.Encykl.? IV S. 790). Endlich — das ist
das wichtigste — c. 34 wird das crimen ecclesiae als das schlimmste
bezeichnet. Gewiss wären nochdeutlichere donatistische Kennzeichen
erwünscht; allein man darf nicht vergessen, wie schmal die Grenze
war, welche Katholiken und Donatisten trennte, auch nicht über-
sehen, dass unsre Schrift ein Lehrbrief intra parietes ist, dessen
‘Thema eine Polemik gegen Auswärtige nicht nahelegte.e Daher
wird man sich keiner Kühnheit schuldig machen, wenn man be-
hauptet, unsre Schrift stammt von einem angesehenen donatistischen
Priester aus dem 3. Viertel des 4. Jahrhunderts.
8 1.
Wir gehen zur Frage nach dem Verfasser über!.
Gennadius schreibt (de vir. inl. 5):
„Maerobius presbyter, et ipse, ut ex scriptis Optati cognovi,
Donatianorum postea in urbe Roma occultus episcopus fuit.
1) Es ist merkwürdig, dass Dupin auf Stilverwandtschaft zwischen
unserem Verfasser und Gaudentius von Brescia hingewiesen hat und dass
in der ältesten Handschrift auf unseren Traktat Werke des Gaudentius
folgen. Kannte Dupin diese Handschrift? Wie dem auch sein mag —
von Gaudentius kann die Schrift nicht stammen; denn (1) gehört G. der
katholischen Kirche an, (2) schreibt er später, wenn auch nicht erheblich
später, als unser Verfasser, (3) ist er in seiner Schriftstellerei aufs stärkste
von griechischen Vorbildern abhängig und ein systematischer Allegorist,
während unser Verfasser schlechterdings keinen griechischen Kinfluss verrät,
48 Harnack.
scripsit, cum adhuc in ecclesia dei presbyter esset, ad confessores
et virgines librum moralis quidem sed valde necessariae doctrinae
et praecipue ad custodiendum castitatem aptissimis valde sententis
communitum. claruit inter nostros primum Africae et inter suos,
id est, Donatianos sive Montenses, postea Romae.“
In diesem Macrobius hat Morin — ohne seine Gründe an-
zugeben — den Verfasser unseres Traktats gesehen. Dass er
Recht hat, werden wir im Folgenden beweisen.
(1) Die Zeit des Macrobius stimmt mit dem für unsre
Schrift geforderten Datum: aus Optatus Il, 4 ergiebt sich, dass
er noch am Leben war, als Optatus die erste Ausgabe seines
Werks gegen die Donatisten veröffentlichte Macrobius mus
zwischen 340 und 370 gewirkt haben (Näheres s. u.).
(2) Macrobius war Priester und Donatist.
(3) Der Inhalt der Schrift, wie Gennadius ihn angiebt, passt
genau auf unser Buch: man kann es in der That nicht besser
kurz charakterisieren als „liber moralis quidem sed valde -
necessariae doctrinae et praecipue ad custodiendum castitatem
aptissimis valde sententiis communitus“. Das Buch ist durch-
weg moralischen Inhalts, der Schriftbeweis (das sind die „sen-
tentiae“) ist die Hauptsache, und die c. 170 Bibelstellen, die
nicht aus Cyprian entnommen sind, sondern welche die Gelehr-
samkeit des Verfassers selbst gesammelt hat, mussten höchst
(4) ist G. ein eifriger Orthodoxer und Antiarianer und aufs lebhafteste für
die Christologie interessiert (den Spruch „der Vater ist grösser als ich“
behandelt er ausführlich im antiarianischen Sinn, 8. Migne XX Col. 981)
ein Interesse, welches unserem Verfasser vollständig fehlt, (5) endlich be-
zeugt G. staunend die rasche Ausbreitung des Christentums zu seiner Zeit
(Wie ein Rad, das ins Rollen gekommen ist“, Migne XX Col. 892), giebt
zu den Schlussversen des 7. Capitels des I. Korintherbriefs eine ganz sonder-
bare Erklärung (Col. 888f.: Die „Jungfrau“ ist der eigene Leib), bekämpft,
wo er von Häretikern spricht, ausdrücklich die Manichäer (Col. 887f.) —
alles Punkte, in denen er von unserem Verfasser abweicht. — Diesen capi-
talen Differenzen gegenüber fallen Beobachtungen, wie die, dass auch er
beiläufig vor der Schamlosigkeit der singenden und tanzenden Frauen
warnt (Col. 890), sowie gewisse Stibübereinstimmungen nicht ins Gewicht.
Die letzteren (s. besonders in Sermo V Col. 873 die mit einem wiederholten
„si“ construierte Satzgruppe und in Sermo VIII Col. 890 die Aufeinander-
folge der mit „sit“ gebildeten Sätze) sind nicht engere, als wir sie bei
Schülern derselben rhetorischen Kunst finden.
Der pseudocypriunische Traktat De singularitate clericorum. 49
willkommen sein und imponieren. Dazu kommt, dass — wie
man auch den Titel, wie ihn Gennadius angegeben, interpretieren
mag — das Buch vor einem Zusammenleben von männlichen
und weiblichen Ehelosen gewarnt haben muss.
Hiernach wäre alles in Ordnung und die Identifieirung der
beiden Männer unterläge keinem Zweifel, enthielte nicht der
Bericht des Gennadius zwei Mitteilungen, die Bedenken erregen.
Erstlich behauptet er, Macrobius habe unsre Schrift geschrieben,
als er noch Katholik war, und zweitens scheint er der Schrift
den Titel „Ad confessores et virgines“ zu geben. Beides passt
nicht; denn unser Traktat ist, wie wir gesehen haben, von einem
donatistischen Kleriker verfasst und hat, wie es scheint, mit
„Confessoren“ nichts zu thun. „Diese Bedenken“, sagt Achelis
(S. 42), „sind mir zuschwerwiegend, um sie ignorieren zu können,
und ich halte es für überwiegend wahrscheinlich, dass die Schrift
des Presbyters Macrobius für uns verloren ist. Wir dürfen also -
wohl feststellen, dass um dieselbe Zeit, als sich Pseudo-Cyprian
an den Klerus seiner Gemeinde wandte mit der dringenden
Aufforderung, allein zu leben, in gleicher Angelegenheit der
Presbyter Macrobius in Afrika die Confessoren und Jungfrauen
interpellierte.“
Ich bin gewiss, dass Achelis hier die Flinte zu früh ins
Korn geworfen hat, und bin in der glücklichen Lage, mich dabei
auf Erwägungen älterer Gelehrten stützen zu können, die ledig-
lich den Bericht des Gennadius vor sich hatten und an die Mög-
lichkeit der Identificirung des Macrobius mit dem Verfasser der
Schrift De singularitate elericorum noch gar nicht gedacht haben.
Tillemont (VI p. 710, ef. 115f. 87) erhob den Zweifel:
Wie kann Macrobius als katholischer Presbyter ein Buch ad con-
fessores geschrieben haben? Die Confessoren gehören der dio-
kletianischen Zeit an. Tillemont meinte daher, Gennadius habe
entweder zwei Macrobii verwechselt oder sich darin geirrt,
dass er Macrobius als katholischen Presbyter sein Buch
schreiben lässt; vielleieht habe er es als Donatist geschrieben
und unter den Bekennern die Donatisten verstanden, die unter
Macarius von den Katholiken verfolgt worden selen.
Noris (Ballerini IV p. 347) hat sich diesen Zweifeln an-
geschlossen, Walch (Vollst. Hist. d. Kezereien 1V S. 246 f.)
ebenfalls; er fügt aber hinzu: „Sollen wir unsre Gedanken sagen,
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 8. 4
50 Harnack.
so würden wir freilich die letztere Meinung (Macrobius hat das
Buch als Donatist geschrieben) der erstern weit vorziehen. Allein
aufrichtig zu sagen, so sehen wir hier die Schwierigkeit nicht,
welche bloss deswegen gemacht wird, weil Tillemont annimmt,
durch „confessores“ müsse man solche Personen verstehen, welche
zur Zeit der Verfolgung Leibesstrafen ausgestanden. Wie kommen
aber doch diese „Bekenner“ mit den Jungfern in eine Ver-
bindung? und was haben doch diese so nötig (valde necessaria)
gehabt, aptissimis argumentis zur Keuschheit aufgemuntert zu
werden, wie Gennadius den Inhalt des Buchs angiebt? Aus dieser
Ursache sollten wir fast lieber vermuten, dass in Gennadii Text
ein Fehler sei und vielleicht „continentes“ zu lesen, oder dass
das Wort „confessor“ eine ähnliche Bedeutung gehabt“.
Czapla in seinem sorgfältigen Werk „Gennadius als Litterar-
historiker“ (1898 5. 15 f.) referiert über die Bedenken Tille-
mont’s, Noris und Walchs, dann fährt er fort: „Diese An-
sichten vertragen sich nicht mit der Angabe des Gennadius, und
verdanken ihre Entstehung der nicht entsprechenden Auffassung
des Begriffs „confessores“, der losgelöst von der Gesamtheit der
Angaben des Gennadius bestimmt worden ist. Nach Gennadius
war dieses Werk nicht allein an die Bekenner, sondern auch an
die Jungfrauen gerichtet und hatte zum Inhalte eine Vermahnung,
die Keuschheit zu bewahren. Gegen beide von Tillemont vor-
gebrachten Ansichten lässt sich diese Inhaltsangabe geltend
machen, da es doch gewiss eigentümlich wäre, wenn sich der
Verf. an die christlichen Bekenner nicht mit der Ermahnung
wendete, ım Glauben auszuharren, sondern die Keuschheit zu
bewahren. Ferner spricht gegen Tillemont die Nebeneinander-
stellung der zwei Termini .confessores” und „virgines“, und dass
beide, obwohl sie nichts mit einander zu thun haben, Gegen-
stand derselben Erörterung gewesen sein sollten. In dem vor-
liegenden Fall wird man daher von der gewöhnlichen Deutung
des „confessores“ absehen müssen und diesem Begriff einen Sinn
beilegen, der sich sowohl mit dem Inhalte wie mit der Neben-
einanderstellung mit .„virgines*“ in Einklang bringen lässt.“
Czapla lehnt sodann die Conjectur „continentes* ab und hält
es für möglich, dass z. Z. des Gennadius „confessores® einen
weiteren Sinn hatte, nämlich = männliche Heilige, die sich
durch hobe Frömmigkeit und hohe sittliche Vollendung aus-
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 51
gezeichnet hatten; er sieht also in den Worten „ad con-
fessores et virgines“ nicht den wirklichen Titel der
Schrift, sondern eine freie Wiedergabe des Gennadius.
Was die von Tillemont ferner erwogene Möglichkeit betrifft,
so hat Czapla Folgendes zu bedenken gegeben: „Gennadius
schöpfte seine Angaben aus zwei Quellen, dem Werke des
Optatus und der Schrift selbst. Aus letzterer nimmt er alle auf
das Werk des Macrobius bezüglichen Angaben, aus jenem alle
anderen. Das Bindeglied für die Identität des Verfassers war
daher für Gennadius nur der gemeinsanıe Name Macrobius, denn
dass er Donatist gewesen, hat Gen., wie er selbst an-
giebt, nur dem Optatus entnommen. Die Möglichkeit
eines solchen Irrtums, wie ihn Tillemont angiebt, wäre demnach
wohl möglich [an diesem Stil bin ich unschuldig], doch wird es
vorzuziehen sein, von dieser Ansicht abzusehen, da doch aus
dem nicht erhaltenen Werke des Macrobius Gründe für die
Identität sprechen könnten, die wir nunmehr unmöglich fest-
stellen können.“ ! |
Mit diesen sehr verständigen Erwägungen ist die Unter-
suchung so weit geführt, als man sie führen konnte, bevor das
Problem zur Frage stand, ob nicht die pseudocyprianische Schrift
de singularitate die Schrift des Macrobius sei. Wir können ein-
fach nun an die Vorgänger anknüpfen. Mit gutem Grund hat
Czapla darauf hingewiesen, dass Gennadius für Macrobius? zwei
Quellen besass, die er combinirte, erstlich ein Buch, welches
den Macrobius als Verfasser bezeichnete, und zweitens die Stelle
1) Vgl. auch den Artikel „Macrobius“ im Dict. of Christian Biogr.
Vol. 11I p. 781: „Tbere was no general persecution of Christians later than
ann. 362, and thus, if Gennadius be correct, the Christians in question may
have been such as suffered, or were in danger of suffering, during the
period of Arian ascendency under Constantius ann. 355—361, or during the
Donatist revival under Julian ann. 362,3. lfso, Macrobius must have changed
sides later than this latter date, and accepted the episcopate among his
new allies. But Gennadius may bave been mistaken, and theso-
called Catholics have been really Donatists. In this case the
author of the exhortation may have been the writer of the piece called
„the Passion of Isaac and Maximian‘“ ann. 349.
2) Der Name „Macrobius ist nicht häufig. Ausser unserem kenne ich
nur zwei Personen dieses Namens, beide am Anfang des 5. Jahrhunderts,
den bekannten römischen Schriftsteller, und einen Bischof von Hippo Regius. rn
4*
52 Harnack.
Optat. II, 4. Der letzteren Stelle entnahm er die Thatsache,
dass ein Macrobius z. Z. des Optatus Bischof der donatistischen
Gemeinde in Rom war; mehr war bei Optatus nicht zu lesen.!
Das Buch unter dem Autornamen „Macrobius“ aber
schien ihn katholisch, wie es von allen Forschern vor
Morin für katholisch gehalten worden ist, zugleich aber
gab es sich deutlich als von einem Kleriker geschrieben. Der
Schluss war also unvermeidlich: dieses Buch ist von Macrobius
in Afrika geschrieben; also muss derselbe, bevor er Donatist
wurde, katholischer Presbyter gewesen sein.
Es steht somit die Angabe des Gennadius, die Schrift des
Macrobius sei von ihm als Katholiken geschrieben, der ldentifi-
cierung dieser Schrift mit dem Traktat „De singularitate clerico-
rum“ nicht im Wege; denn Gennadius kann die Katholizität des
Verfassers lediglich aus dem Inhalt der Schrift bez. auch aus
ihrem Ansehen und Gebrauch bei den Katholiken seiner
Zeit erschlossen haben, ja diese Annahme erscheint fast als ge-
boten, da er ausser der Schrift selbst nur die kurze Notiz des
ÖOptatus über Macrobius besass.
Was aber den zweiten Anstoss betrifft, so lässt sich nicht
mit Sicherheit ermitteln, wie er zu beseitigen ist; aber ein wirk-
liches Hindernis inbezug auf die Identificierung der van Genna-
dius erwähnten Schrift mit unserem Traktat bietet er nicht, weil,
wie wir gesehen haben, der Anstoss kein bloss relativer
ist, sondern ein absoluter, d. ἢ. auch abgesehen von
jeder Beziehung auf unsere Schrift besteht. Um ihn zu
heben, bieten sich drei Möglichkeiten: entweder ist der Text des
Gennadius verdorben, und es muss statt „confessores“ etwa „Ccon-
tinentes* gelesen werden (so Walch), oder man kann annehmen,
dass der Ausdruck gar nicht den Titel der Schrift bezeichnen
sollte, sondern von Gennadius geprägt ist, der unter „confessores“
1) „Sed et habere vos in urbe Roma partem aliquam dicitis: ramus
est vestri erroris, protentus de mendacio, non de radice veritatis. denique
si Macrobio dicatur, ubi illic sedeat, numquid potest dicere, in cathedra
Petri? quam nescio si vel oculis novit..... ergo restat ut fateatur socius
vester Macrobius se ibi sedere, ubi aliquando sedit Encolpius; si et ipse
Encolpius interrogari posset, diceret se ibi sedere, ubi ante sedit Bonifatius
Ballitanus; deinde si et ipse interrogari posset, diceret, ubi sedit Victor
Giarbensis ἃ vestris iam dudum de Africa ad paucos erraticos missus.“
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 53
Männer verstand, welche Heiligkeit gelobt hatten, oder man kann
endlich mutmassen, dass der Ausdruck von Macrobius selbst
stammt, sei es dass er die donatistischen Kleriker generell als
„confessores“ bezeichnete (weil sie unter dem Druck standen),
sei es weil schon er „confessores“ — „sancti" fasste. Jede dieser
Möglichkeiten räumt, indem sie den Text des Gennadius erst
verständlich macht, zugleich auch das Hemmnis weg, welches
der Identificierung mit dem Traktat „De singularitate clericorum“
im Wege steht. Mir will es aber scheinen, als biete sich die
einfachste Lösung des Problems durch Streichung des „et“ zwischen
„confessores“ und „virgines“. Das Buch enthält nämlich gar
keine Ermahnungen an die Jungfrauen (nur einmal werden
sie gestreift, s. oben S. 854), sondern nur an die Kleriker.
Daher ist der Titel „Ad confessores et virgines“ — wie man auch
die „confessores“ fassen mag — unpassend. Schreibt man da-
gegen „Ad confessores virgines“, so ist alles in Ordnung und der
Begriff „confessor“ erscheint zugleich in wünschenswerter Weise
determiniert. Dass das „et“ später eingeschaltet wurde, weil
man den Ausdruck „confessores virgines* nicht verstand, ist
leicht erklärlich.! Aber wenn auch diese Auskunft nicht befrie-
digen sollte? und eine andere vorzuziehen wäre — gegenüber
den starken Gründen, die für die Identität sprechen, kann die
inbezug auf den Titel übrigbleibende Schwierigkeit nicht ins
Gewicht fallen. Wer die Identität leugnet, muss die Unwahr-
1} Die Frage, ob erst Gennadius den Terminus „confessores virgines“
abstrahiert oder schon Macrobius selbst ihn gebildet hat, lasse ich offen.
Für jene Annahme spricht, dass „confessores“ erst in späterer Zeit in der
Kirche eine weitere Bedeutung erhalten, für diese, dass der Donatismus
seine Kleriker in der That zeitweilig generell als ‚„Confessoren‘ betrachtet
hat. „De singularitate clericorum“ lautet der Titel in allen Handschriften,
und „singularitas“ ist wirklich das Hauptstichwort im Buche. Aber ob
der Verfasser selbst seinem Werk einen Titel vorgesehen hat, ist sehr
fraglich. Es ist ja ein wirklicher Brief, wenn auch ein Lehrbrief. Somit
wird der Titel erst gegeben worden sein, als der Brief in die „Litteratuı“
überging. Diese Erwägung verstärkt die Annahme, dass die Worte bei
Gennadius nicht vom Verfasser selbst herrühren, sondern von Gennadius
oder einem Vorgänger, dass sie also nicht schwer zu nehmen sind.
2) Sie scheint die Thatsache gegen sich zu haben, dass der Verfasser
auch verheiratete Kleriker voraussetzt, allein diese mussten sich wohl der
Ehe enthalten.
54 Harnack.
scheinlichkeit bestehen lassen, dass der Donatist Macrobius ein
Buch geschrieben hat mit dem unklaren Titel „Ad confessores
et virgines“, „moralis quidem sed valde necessariae doctrinae et
praecipue ad custodiendum castitatem aptissimis valde sententiis
communitus“, und dass genau um dieselbe Zeit ein anonymer
Donatist ein Werk gleichen Inhalts an die Kleriker gerichtet
hat, ferner dass beide Schriften in Ansehen bei der katholi-
schen Kirche gekommen sind. Wer wird das glauben!
Die Identität erscheint somit als gesichert. Was die nähere
Zeitbestimmung betrifft, so steht nur fest, dass Macrobius, als
Optatus die erste Ausgabe seines Werkes gegen die Donatisten
veröffentlichte, d.h. im J. + 3681, donatistischer Bischof in Rom
war und zwar der 4. Bischof daselbst. Als Optatus sein Werk
zum zweitenmal veröffentlichte (im .]. 6. 384), war Macrobius
bereits gestorben, und es regierte in Rom der 6. donastische
Bischof.? In dem Moment aber, wo wır in diesem Macrobius
den Verfasser unseres Lehrbriefes erkennen, fällt auf die in c.1
gegebene Situation ein neues Licht, welches die Zuversicht in-
bezug auf die Identificierung erhöht. Macrobius ist aus Afrika
nach Rom als donatistischer Bischof gekommen; gewiss hat man
dorthin besonders tüchtige Männer geschickt, die sich in dem
Heimatlande ausgezeichnet hatten. Der Verfasser unseres Lehr-
briefes giebt sich (6. 1) als ein Mann, der dem früheren Kreise
seiner Thätigkeit entrückt ist, auch nicht gedenkt, zu ihm zurück-
zukehren, aber mit ihm in Zusammenhang steht, ihm Lehr- und
Ermahnungsbriefe schreibt u. s.w. Wir hatten diese Situation
(oben 8. 31f.) undurehsichtig gefunden. Ist der Verfasser Bischof?
ist er Presbyter? schreibt er an seinen Klerus oder nicht viel-
ruehr an Rleriker aus verschiedenen Diöcesen? ist er im Exil?
im Gefängnis? nein! er scheint freiwillig aus seinem früheren
Kreise geschieden zu sein! Alle diese Fragen sind nun mit
einem Schlage beantwortet: Macrobius, der in Rom amtierende
donatistische Bischof, schreibt an eine grosse Gruppe donatisti-
scher Kleriker in Numidien und Afrika. Dort hat er früher in
1) S. meinen Artikel „Optatus“ in der Protest. REncykl.2 XI 8. 68.
2) Optat. Il, 4 fin.: „Igitur quia Claudianus Luciano, Lucianus Ma-
erobio, Macrobius Encolpio, Eneolpius Bonifatio, Bonifatius Vietori succes-
sisse videntur etc.“
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 55
hohem Ansehen gestanden, und er braucht dieses Ansehen auch
in der Ferne, um den donatistischen Klerus des Heimatlandes
zu erziehen, zu ermahnen und zu beraten („numquam nostrae
litterae defuerunt, quae per absentiam meam frequentiam omnibus
pensaverunt“.... „emiseram quidem vobis ante tempus epistolam,
quae omnium morum instituta de lege commendans summatim
omnia contineret quaecumque universis clericis generaliter ad
dirigendam regulam competunt disciplinae“). In der donatisti-
schen Kirche haben ja zur Zeit ihrer Blüte stets Einzelne (bez.
ein Einzelner) eine Art von Patriarchenstellung (Stellung des
obersten Lehrers) eingenommen; erinnert sei an Donatus, Parme-
nıan, Primian, Petilian.
Ist Macrobius der 4. donatistische Bischof in Rom gewesen,
so ist er schwerlich vor dem J. 363 dorthin gekommen; regierte
aber ım J. 384 bereits sein zweiter Nachfolger in Rom als dona-
tistischer Bischof, so hat Macrobius schwerlich länger als bis
gegen das J. 375 das Amt geführt. In die JJ. 363—375 fällt
also aller Wahrscheinlichkeit nach unser Lehrbrief, wenn wir
von der Zeit des Macrobius ausgehen; aus inneren Gründen haben
wir oben die JJ. 350—375 festgestellt. Man sieht — die Be-
obachtungen stimmen zusammen.
Die Geschichte unseres Traktats in der Kirche ist nun nicht
schwer zu durchschauen: der Lehrbrief, der keine donatistischen
Sonderlehren und nur einen versteckten Angriff auf die Katho-
liken enthält, wurde auch von Katholiken seines ausgezeichneten
Inhalts und seiner reichen Bibelcitate wegen gern gelesen. Dies
bezeugt uns Gennadius für die Zeit um das J. 485; damals
trug die Schrift noch den Namen des Macrobius.! Dann
aber ging dieser Name verloren (schwerlich durch Zufall), und
die Schrift circulierte als anonyme. So finden wir es in der
ältesten Handschrift um das J. 900. Im 12. Jahrhundert wurde
sie hierauf den Cyprianschriften eingereiht und zwar an die Stelle
der ep. 4 (de syneisactis). Aber diese Einreihung setzte sich
nicht überall durch, und somit entging unsere Schrift auch dem
1) Aber Gennadius erzählt, der Donatist Macrobius habe sie verfasst,
ala er noch Katholik war! Eine sehr gewöhnliche Auskunft, um
Schriften von Häretikern und Schismatikern, die man auch weiter noch
lesen wollte, zu legitimieren, dazu eine Auskunft, die sich in diesem Falle
angesichts des Inhaltes der Schrift zwanglos darbot.
56 Harnack.
Geschick nicht, dem Augustin bez. dem Origenes beigelegt zu
werden. Die Werke dieser beiden Männer wurden bekanntlich
überhaupt durch herrenlose Schriften stark bereichert.
δ 8.
Dem Gennadius ist nicht alles zu Gesicht gekommen, was
Macrobius geschrieben hat. Die Briefe, die M. selbst (c. 1 unserer
Schrift) erwähnt, hat er nicht gesehen; auch zu uns ist kein
Exemplar derselben gekommen. Aber Mabillon konnte im
4. Bande der Analecta aus einer Handschrift von Corbie eine
„Passio Maximianı et Isaac Donatistarum“ veröffentlichen, welche
die Unterschrift trägt: „Epistola beatissimi Martyris Macrobi ad
plebem Carthaginis de passione MM Isaac et Maximiani“. In
diesem Macrobius haben alle Gelehrten, soviel ich weiss, den
römischen donatistischen Bischof gesehen, und eine Einwendung
dagegen lässt sich nicht erheben. Wir besitzen somit in dieser
Epistel noch eine zweite Schrift des Macrobius.. Die Passio
wird auf das Jahr 318 oder 349 datiert, der Brief ist schwerlich
viel später geschrieben und mag daher 15—20 Jahre älter sein
als der Lehrbrief de singularitate clericorum. Macrobius war
damals noch nicht in Rom, sondern nur zeitweilig von den
Adressaten entfernt; s. den Schluss: „Inveniat apud vos reditus
noster, unde glorietur, sieut et de his secessio nostra sortita est
gaudia gloriarum“.
Vergleicht man nun die beiden Briefe, so sind bei der Kürze
der Passio und den so verschiedenen Thematen der beiden
Schriften frappierende Übereinstimmungen nicht zu erwarten;
aber gewisse Ähnlichkeiten sind unverkennbar. Tillemont
(Mem. VI p. 116) nannte die Passio „ecrite d’un style extreme-
ment enfl&“, und wir bezeichneten den Stil des Traktats de singu-
laritate als höchst schwülstig. Dort und hier haben wir aber
dieselbe Art der Rhetorik, an einigen Stellen sogar in den
Formen identisch. An „de singularit.“ wird man lebhaft erinnert,
wenn man in der „Passio“ liest!: „In devotione constantia, in
passione tolerantia, in morte vietoria, miraculum in sepultura
(p. 248)°. Ferner vergleiche man
1) Ich citiere nach der Oberthür’schen Ausgabe des Optatus (Würz-
burg 1789).
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 57
Passio p. 243:
Sic lumen imperatori eru-
1556, 516 eum habebat vincendo
caecasse, 816 praemia coronae
sortitus est, sic et publice co-
ronatus est, sic coronae radiis
plurimos inhaerere viderat vul-
tus, sic passioni eius universus
populus fuerat excubaturus, sic
De singularit. 19:
Sic explicat quod ante
praestare videtur, sic de sim-
plici caritate amorem conflat
inlicitum, sic per sanctitatem
subinducit interitum, dum con-
tentus est cedere, sıc valet for-
tius occupare et dum submissus
patitur semetipsum praebere
volavit ad coelum.! devietum, sic plenius devincere
gloriatur.
Beide Schriftsteller brauchen „quoniam* — aber noch selten —
in unklassischer Weise; die „Passio“ schreibt (p. 237): „laetus
seribendi ad vos gloriosae exhortationis ardor accendit et illustris
occasio, quoniam testium Christi testis indignus has litteras feci“.
Auch das Vocabular zeigt manche, wenn auch nicht viele Über-
einstimmungen. Mit „revelationes“ hat die „Passio* viel zu thun,
und der Traktat beginnt mit der Berufung auf eine „revelatio“.
Ich bin weit davon entfernt, diesen Beobachtungen an sich eine
Beweiskraft für die Identificierung beizulegen. Wäre sie nicht
schon gewiss, so würde man von hier aus sichere Argumente
nicht gewinnen können. Jedenfalls aber liegt kein Grund vor,
die Urheberschaft des Macrobius inbezug auf „De singularitate“
desshalb zu bezweifeln, weil Macrobius die „Passio Maximiani
et Isaac“ verfasst hat.
mann m
Der geschichtliche Wert unseres Traktats, nachdem er als
ein donatistischer Lehrbrief aus dem 3. Viertel des 4. Jahrhunderts
nachgewiesen ist, ist doch nicht gering; denn erstlich steht er
an dem Anfang eines disciplinaren Kampfes, der die Kirche viele
Jahrhunderte hindurch beschäftigt hat, und zweitens gewährt er
einen Einblick in das Innere der donatistischen Gemeinschaft,
die wir hier von einer Seite kennen lernen, nach der sie mit der
katholischen Kirche identisch erscheint.
1) Man vgl. auch p.238: „unde... unde .... unde“, p. 240 das fünf-
malige „inter“, p. 247 das doppelte „quid agit“.
58 Harnack,
Beilage.
Zur Bibel des Macrobius.
Unsere Kenntnis der lateinischen Bibel in der Zeit um die
Mitte des 4. Jahrhunderts ist bekanntlich gering. Mit Freude
wird. daher der Bibelforscher eine Schrift begrüssen, die so reich
an Bibeleitaten ist und aus dem 3. Viertel des 4. Jahrhunderts
stammt. Eine erschöpfende Untersuchung inbezug auf die Texte,
die eine einzelne Schrift bietet, ist freilich zur Zeit noch ver-
lorene Mühe, da das zur Vergleichung nötige Material noch so
unvollkommen gesammelt ist. Ich werde mich daher mit einigen
Beobachtungen begnügen, zuerst aber die Citate zusammenstellen.!
Genesis 3 c.4 u. 6.
Genesis 6 c. 28.
Proverh.
Proverb.
22,3 6. 2.
20, 4.5 α. 20.
Genesis 37,19 c. 1. Proverb. 27, 20 c. 28.
Deuteron. 5, 32 c. 13. Proverb. 28, 14 c. 3.
III Reg. 17 (auch 19, 8) c. 26. Proverb. 29, 16 c. 2.
Ill Reg. 19, 4 c. 21. Proverb. 30, 16 c. 42.
Esra 10, 1ff. c. 32.
‚Jesajas 8,20 c. 15.
Jerem. 4,3.4 c. 37.
Klagelieder 3, 27. 28 c. 9.
Ezech. 5, 7 ce. 30.
Ezech. 20, 18. 19 c. 35 u. 37.
Daniel in Susann. 6. 23.
Psalm. 18.9 ce. 16.
Psalm. 118, 105 ec. 16.
Psalm. 138, 17 c. 27.
Proverb. 1, 24—31 ς, 1.
Proverb. 4,27 ce. 13.
Proverb. 6. 26 c. 4.
Proverb. 6, 27—29 ce. 2.
Proverb. 7,4.5 c. 3.
Pred. Sal. 1,8 c. 28.
Pred. Sal. 3,8 c. 13.
Hiob 31,7 c. 28.
Sap. 2, 21.22 c. 26.
Sap. 4,1.2 c. 40.
Sap. 6, 11 c. 17.
Sap. 9, 13—19 c. 16.
Sap. 9,15 c. 14.
Sırach 3, 26 c. 42.
Sirach 9, 4 c. 10.
Sirach 9, 9 c. 10.
Sırach 10, 34 c. 44.
Sirach 11, 32 c. 37.
Sirach 13, 15 c. 19.
Sirach 14,8 c. 28.
Proverb. 11,31 e. 18. Sırach 19,1 c. 18.
Proverb. 14, 12 c. 19. Sirach 25, 24 c. 4.
Proverb. 1-4, 16 c. 3. Sirach 27,9 c. 19.
1) Für ein paar Identificierungen bin ich Herrn Prof. Nestle τῷ
Dank verpflichtet.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum.
ı 31,15 c. 35.
ı 32 (35), 17 ec. 20.
ı 32, 20? c. 22.
ı 42,12 c. 40.
1
42,13 c. 6.
ı 42,14 c. 19.
cc. 6, 23—23 c.8.
kannt c. 43 (vielleicht nach
em. 17,5).
. 5,16 c.7.
. 5, 20 c. 33.
. 9,37 ec. 13.
|
|
|
|
. 11,14 c. 26.
. 13,22 ce. 37.
. 18,7 e. 11.
. 19,6 c. 25.
. 19, 11.12 e. 10.
. 19.21 c.9.
. 24,35 c. 2.
. 19,27 ς. 21.
. 26, 7ff. c. 26.
3,17 ο. 21.
13, 32 c. 35.
17 26
1,
81-3 «2
10, 12. 13 ὁ "6.
10, 25 Ε΄. c. 25.
>.
13, 2—0 c.
14,26 c. 32.
16,8 ce. 33.
16,17 c. 2.
20, 35. 36 c. 40.
1,18 c. 34.
4 c.25.
1,27 c. 26.
4,34 c. 25.
14, 28 c. 21.
19, 27 c. 26.
1,7 c. 35.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Röm.
Rön.
Röm.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor. 5
1 Cor.
1 Cor.
1 Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
1 Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
1 Cor.
I Cor.
I Cor.
I Cor.
] Cor.
3, 8 c. 35.
10, 3 c. 16.
13,10 c. 29.
14, 4 c. 36.
14, 12 c. 12.
14,13 c. 11.
14,15 ec. 11.
11,16 ©. 7.
14,21 ec. 11.
14, 22 c. 11.
15,2 c. 8.
16, 17 c. 37.
4,3.4 c. 11.
4,8 c.4.
1
” 6. 11.
2.13 6. 38.
4.25 c. 17.
6.27 c. 22.
10, 12 c. 3.
10,24 c. 11.
10, 29. 30 c. 7.
10, 31 —33 c.T.
11, 11 c. 13.
12 c. 22.
12,29 c. 21.
14,40 c. 17.
15,10 c. 22.
15, 41 c. 22.
15, 56 c. 16.
11 Cor. 2,11 c. 19.
59
60 Harnack.
11 Cor. 2,17 c.1 Col. 3, 11 c. 14.
II Cor. 6, 3 α 38. I Thess. 4, 12 e. 17.
II Cor. 6, 4—7 ce. 21. I Thess. 5, 2 c. 35.
11 Cor. 8, 21 e. 7. II Thess. 3, 6 c. 36.
1 Cor. 10, 12. 13 c. 22. I Tim. 1,5 c. 29
1 Cor. 11, 12.13 c. 23. I Tım. 1,7 c. 23
11 Cor. 12,9 c. ὃ. I Tim. 1,8 ec. 23.
Gal. 1,8 c. 28. I Tim. 3,7 ὁ. 41.
Gal. 1,10 6. 8. I Tim. 4,12 α. 8.
Gal. 3, 28 c. 14. I Tim. 5, 24.25 c. 33
Gal. 5,17 c.9. I Tım, 6,9 «4.
Gal. 6,2 c. 10. II Tim. 2,5 c. 17.
Gal. 6,3 c. 3. 11 Tim. 2, 14—17 ce. 37.
Gal. 6,5 ce. 12. II Tim. 2, 24—26 c. 24.
Eph. 4, 27 c. 18. II Tim. 3,5.6 c. 27.
Eph. 5, 9.10 c. 41. II Tim. 4, 4 c. 37.
Eph. 5, 25. 27 c. 34.
Tit. 2, 1.2 c. 37.
Philipp. 2,3 e. 21. Tit. 2, 7.8 c. 8.
Philipp. 2,4 c. 11. Tit. 2,10 c. 8.
Philipp. 2, 5—7 c. 21. I Pet. 1,19 e. 34.
Philipp. 2, 14. 15 c. 41. I Pet. 2,12 c. 8.
Philipp. 3, 12—15 6. 11. I Pet. 2,15 α. 8.
Philipp. 3, 19 c. 31. 1 Pet. 2, 13.14 c. 28.
Philipp. 4, 8.9 c. 46. I Joh. 4,4 c. 30.
Col. 3, 5.6 ce. 39.
Wer noch zweifeln sollte, dass unsere Schrift dem 3. Viertel
‚des 4. Jahrhunderts, bez. der Zeit 363—375 angehört, muss durch
einen Blick auf das N. T. des Verfassers überzeugt werden.
Dasselbe umfasst II Petrus, also auch 11 und 11] Johannes (denn
diese Briefe gehen im Abendland stets zusammen), dagegen nicht
Jakobus- und Hebräerbrief. Der Verfasser wäre an diesen so
vielen moralischen Stoff enthaltenden Schreiben nicht vorüber-
gegangen, wenn sie in seinem N. T. gestanden hätten. Über
den Judasbrief lässt sich bei seiner Kürze nicht sicher urteilen;
doch geht er seit der Mitte des 3. Jahrhunderts und im 4. im
Abendland stets mit Jakobus zusammen;! er hat also höchst
wahrscheinlich gefehlt. Auffallend ist das Schweigen über die
1) 5. Zahn, Grundriss der Gesch. des NTlichen Kanons 8. 67.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 61
Apokalypse; doch war der Verfasser nicht genötigt, aus ihr zu
citieren. Sieht man von der an diesem Punkte übrigbleibenden
Unsicherheit ab, so deckt sich dieses N. T. mit dem N. T.
des bekannten Mommsenschen Verzeichnisses; das N.T.
des Mommsenschen Verzeichnisses aber ist ein abend-
ländischer, afrıkanisch-römischer Kanon aus der Zeit
um das J. 360. Es ist die erste Etappe auf dem Wege der
Erweiterung des alten abendländischen N. T.s von 21 (22) Schrif-
ten zu der Sammlung der 27 Schriften. Diese erste Etappe
(Aufnahme von II Pet., II und III Joh.) fällt in Rom in die Mitte
des 4. Jahrhunderts! und dauert bis zur Zeit des Damasus, der
die zweite und abschliessende Erweiterung des N. T.s vollzieht.
Somit bestätigt die Untersuchung des Umfanges des Neuen Testa-
ments in unserer Schrift ihre Abfassungszeit aufs glänzendste
und verbürgt auch den Ort ihres Ursprungs. Man wird fortan
neben dem Mommsenschen Verzeichnis unseren Traktat nennen
müssen als Zeugen für den Zustand des N. T.s in Rom und
Afrika in den sechziger Jahren des 4. Jahrhunderts.
Die Auswahl der Bibelstellen in unserer Schrift ist durch
den Zweck derselben bestimmt; der Verfasser sammelte Citate
moralischen Inhalts. Dennoch ist die Auswahl frappant. Unter
den c. 50 Citaten aus dem A. T. (c. 6 oben aufgeführte sind
Anspielungen) gehören nicht weniger als 37 den salomonischen
Schriften an,? und unter den c. 103 Citaten aus dem N. T. (c. 15
oben aufgeführte sind Anspielungen) 83 den paulinischen Briefen.
Aus der „salomonischen“ Spruchweisheit und den Paulus-Briefen
bat der Verfasser sich seine Moral zusammengestellt, nicht aus
den Psalmen und den Evangelien. Jene Schriften hat er sorg-
fältig für seinen Zweck durchgearbeitet; aus allen übrigen hat
er nur c. 30 Citate zusammengetragen. Besonders fällt die starke
Benutzung des I Corimtherbriefes und der Pastoralbriefe auf:
41 Citate sind ihnen entnommen (also die Hälfte aller Paulus-
Citate). Ehrwürdig ist das Citat aus dem 2. Petrusbrief; denn
1) 5. Zahn, a. a. O. 8. 65ff.
2) Der Verfasser rechnet nicht nur die „Weisheit“, sondern auch
„Jesus Sirach“ zu den salomonischen Schriften. Das war im Abendland
üblich; schon der Verfaser des Muratorischen Fragments bezeugt es und
viele abendländische Schriftsteller nach ihm.
6?2 Harnack,
es ist das älteste lateinische Citat, welches wir aus diesem Briefe
besitzen (c. 2, 13. 14):
In conviviis suis luxurian-
tes ...., oculos habentes plenos
wmoechationibus et incessabili-
bus delictis, vapientes animas
infirmas.
ἘἘντρυφῶντες ἐν ταῖς ἀπά-
ταις [ἀγάπαις] αὐτῶν ouvero-
χούμενοε ὑμῖν, ὀφϑαλμοὶς
ἔχοντες μεστοὺς μοιχαλίδος
χαὶ ἀχαταπαύστους ἁμαρτίας,
δελεάζοντες ψυχὰς ἀστηρία-
τους.
Die Worte συνευωχούμενοι ὑμῖν sind in der Übersetzung aus-
gelassen; die Vulg. schreibt „luxuriantes vobis“ und lässt συνεῦα).
auch unübersetzt. „Incessabilis“ (s. Cypr. ep. 73, 19) findet sich
auch in lateinischen Mss. des II Petrusbriefs an dieser Stelle.
Fell behauptete, dass unsere Schrift die Vulgata voraussetzt.
Das ist eine Unmöglichkeit, da sie älter als die Vulgata ist, aber
natürlich kommt ihr Text als ein Text aus der Zeit um das J. 370
dem Vulgata-Text nahe. Es ist nicht meine Aufgabe, die Bibel
des Verfassers genau zu untersuchen; einige Beobachtungen ge
nügen für unsere Zwecke.
I. Unter den 29 evangelischen Citaten sind 14 Anspielungen,
die für die Frage nach der Textgestalt nicht in Betracht kommen;
ich untersuche die anderen 15 Stellen.
(a) 6. 7: „Sie luceat lumen vestrum coram hominibus,
ut videntes opera vestra bona magnificent patrem
vestrum qui in caelis est“ (Matth. 5, 16).
Vulg.: „lux vestra ... ut videant vestra bona opera et glori-
fiient“. Die LA „lumen vestram“ führt Wordsworth
nicht an, ebenso nicht die LA „videntes“; „opera vestra
bona“ bieten viele Codd., „magnificent“ ER u. der Vercell. (a).
(0) e. 33: „Nisi abundaverit iustitia vestra plus quam
seribarum et Pharisaeorum non intrabitis in regnum
caelorum“ (Matth. 5, 20).
Ebenso die Vulg., aber auch Vercell. (a).
(0) e.13: „Quod amplius est ἃ malo est“ (Matth. 5, 37).
Vulg: „Quod autem his abundantius est a malo est“; dagegen
lesen Racdh „amplius“.
(d) c. 11: „Vae huic mundo ab scandalis; verumtamen
vaehomini illiperquem scandalum venit“ (Matth. 18,7).
Vulg: „Vae mundo ab scandalis; verumtamen vae homini per
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 63
quem scandalum venit“. „huic“ fügen hinzu aLQR, „illi“
fügen hinzu a und viele andere Itala-Mss, auch HLQRT.
(e) e.10: „Non omnes capiunt verbum istud, sed quibus
datum est... qui potest capere capiat“ (Matth. 19, 11.12).
Ebenso die Vulgata, aber auch a.
(ἢ e.2: „Caelum et terra transibunt, verba autem men
non praeteribunt“ (Matth. 24, 35).
Vulg. „vero“. BDER, auch a, bieten „autem*.
(8) ο. 25: „Et factum est post haec et ipse iter faciebat
per eivitates et castella evangelizans regnum dei, et
duodeecim cum illo et mulieres quae erant curatae
ab [a] spiritibus immundis et infirmitatibus, Maria
quae vocatur Magdalene, de qua daemonia septem
exierant, et Johanna uxor Ozi [Chuzae] procuratoris
Herodis et Susanna et aliae multae quae et ministra-
bant illi [61] de facultatibus suis“ (Luc. 8, 1—3).
„Post haec“] Vulg. „deinceps“; jenes ist unserem Text eigen-
tümlich. — Vulg.: „eivitatem et castellum“, unseren Text
haben beeffl,lgaur und einige Vulg.-MSS, a liest „eivi-
tates et vicos“. — Vulg. „praedicans et evangelizans*. —
Vulg.: „mulieres aliquae“, om. „aliquae“ bff,Iq, „quaedam“
8. — „immundis“] so auch Eabcdfaur, „malignis“ Vulg. —
„et ministrabant“] so auch a und die meisten Itala-MSS.,
om. „et“ Vulg. — „illi“] so auch alq, „eis“ Vulg.
Ch) e. 5: „Putatis quod bi Galilaei prae omnibus Galilaeis
fuerunt [fuerint] peccatores qui talia passi sunt? non.
dico vobis: nisi paenitentiam habueritis, similiter
perietis sieut illi supra quos cecidit turris in silva,
et oceidit eos. putatis quoniam et ipsi debitores
fuerunt prae omnibus hominibus habitantibus in
Hierusalem? non. dico vobis: si non paenitueritis,
similiter perietis* (Luc. 13, 2—5).
„fuerunt peceatores“ auch Wadeffyilg, „pece. fu.“ Vulg. —
„nisi* abedeff,ilg, „sed nisi“ Vulg. — „omnes similiter“
Vulg. u. alle bekannten Zeugen. — „peribitis“ (nicht perietis“)
Vulg. u. alle bekannten Zeugen. — „illi decem et octo“
Vulg. u. alle bekannten Zeugen. — „quia“ (nicht quoniam*)
Vulg. u. alle bekannten Zeugen. — „prae“] ebenso Eadf
„praeter“ Vulg. — „si“] ebenso ὁ 6 δὴ 1] ᾳ, „sed si“ Vulg. —
64 Harnack.
„paenitueritis“] ebenso cdfl, (i), „paenitentiam egeritis“
Vulg. — „omnes similiter“ Vulg.und alle bekannten Zeugen. —
„peribitis“ (nicht „perietis“) Vulg. und alle bekannten Zeugen.
(1) c. 32: „Si quis venit ad me et non odit patrem suum
aut matrem aut uxorem et filios et fratres et sorores
et animam suam, non potest meus esse discipulus“
(Luc. 14, 26).
„aut... aut“] so auch al, „et... οὐ" Vulg. — „adhuc autem
et“ Vulg., „insuper et“ a, „adhuc et“ er, „adhuc etiam et‘
bg, om. R u. unser Text. — „meus esse“ u. „esse meus”
schwanken die MSS.
(k) 6. 38: „Prudentioressuntfiliisseculi huius filiis lueis“
(Luc. 16, 8).
Wie die Vulgata. Die Umstellung in unserer Schrift ist wohl
durch den Zusammenhang bestimmt.
() c.2: „Facilius est caelum et terram praeterire quam
de lege unum apicem cadere“ (Luc. 16, 17).
Ebenso die Vulg., a bietet „transire* und „excedere“.
(m)c. 40: Qui digni habentur saeculi illius et resurrec-
tionis ἃ mortuis, neque nubent neque nubentur, neque
enim morientur. nam sunt similes angelis dei, quia
resurrectionis filii sunt“ (Luc. 20, 35. 36).
Sehr anders Vulg: „Qui digni habebuntur saeculo illo et
resurrectione ex mortuis negque nubunt neque ducunt uxores
neque enim ultra mori poterunt, aequales enim angelıs
sunt et filii sunt dei, cum sint 811} resurrectionis“. „haben-
tur“ wie mehrere Vulg.-MSS, cf, ilqdaur — „saeculi illius
et resurrectionis“ bietet nur unsere Schrift. — „a mortuis“
wie a u. andere Codd. — „nubent... nubentur“] die Futura
in mehreren Codd. — „nubentur“ wie ed — „morientur“]
so auch f,ilqg — „nam sunt [sunt autem] similes angelis
dei“) Egat.cfl,ilq — et filii sunt dei] om., wie unsere
Schrift, Egat.acdefl, ilCypr. — „quia resurr. filii sunt“]
Egat.cff, ilg.
(n) c.26: „Inter haec renerunt discipulieius et miraban-
tur quod cum muliere loqueretur. nemo tamen dixit
illi: quid quaeris aut loqueris cum ea?“ (Joh. 4, 27).
„Inter haec“] bietet nur unsere Schrift, „interim“ a, „in hoc“
d, „eontinuo* Vulg.— „quod“] „eo quod“ lo, „quia* Vulg. —
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 65
„loqueretur“] so auch Rablr, „loquebatur“ Vulg. — „ilh“]
so auch ad, „ei“ EQR(b)fl,r, om. Vulg. — Alle Zeugen
bieten „quid loqueris“, R om. „aut quid loqueris“.
(0) ©. 25: „Meus eibus est ut faciam voluntatem eius qui
me misit“ (Joh. 4, 34).
„Me misit“) Einige Vulg.-Mss. u. abdefff,mg, „misit me“
Vulg.
(p) e. 21: „Pater maior me est“ (Joh. 14, 28).
Ebenso Vulg.
Hiernach ist es evident, dass unsere Schrift nicht die Vul-
gata in den Evangelien benutzt hat, sondern eine vorhierony-
mianische Handschrift, die ailg nahe steht. Der Bibeltext ist so
beschaffen, wie wir das inbezug auf eine Handschrift des 4. Jahr-
hunderts erwarten. Dies ergiebt sich auch aus einer Vergleichung
mit den Citaten Cyprians.
11. Im folgenden sind 33 NTliche Bibeleitate bei Cyprian
mit den entsprechenden in unserer Schrift verglichen (Sing. —
unsere Schrift).
(1) Matth. 5, 16 = Sing. 7 = Testim. 11, 26 u. Ep. 13,3. Cyprian
schreibt „lumen“ mit Sing. (> Vulg.), „ut videant“ mit Vulg.
(> Sing.), „bona opera vestra* mit Vulg. (> Sing.), „clari-
ficent* (> Vulg .„glorificent“ und > Sing. „magnificent*). —
Der Cod. A der testim. bietet „lux“ mit Vulg.
(2) Matth. 19, 11 = Sing. 10 = Testim. III, 32. Bei Cyprian fehlt
„istud“ (> Sing. Vulg.), aber der Cod. A der Testini. bietet
es; Cyprian schiebt „illi* ein (> Sing. Vulg.).
(3) Luc. 16, 8 = Sing. 33 = Ep. 73, 19; identisch; über die Um-
stellung s. oben sub „k“.
(4) Luc. 20, 35. 36 — Sing. 40 = Testim. Ill, 32. Cyprian: „qui
habuerint dignationem“ (> Sing. „qui digni habentur“);
Cyprian bietet das „nubuntur“ („nubentur“), welches der
Vulg. fehlt. Cyprian: „incipient mori* (> Sing. „morientur“).
Cyprian: „aequales enim sunt* (> Sing. „nam sunt similes“).
Cyprian: „cum sint filii resurr.* (> Sing. „quia resurr. filii
sunt“).
(5) Joh. 4, 34 = Sing. 25 — Testim. II, 60.
Identisch es sind nur wenige
(6) Joh. 14,28 = Sing. 21 = Testim. Ill, 58. Worte.
Identisch
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 8. 5
66 Hamack.
(7) Röm. 3,8 = Sing. 35 — Testim. III, 98. Identisch, doch LMB
(Test.) bieten „condemnatio“ (nicht „damnatio*), und so ist
vielleicht zu lesen.
(8) Röm. 14, 4 = Sing. 36 -Ξ Testim. II, 21 u. Ep. 55, 18. Sing:
„Tu qui es, ut de servo alieno iudices?* Cypr. „Tu quis es,
qui iudicas alienum servum“. Also verschieden.
(9) Röm. 14, 12= Sing. 12=Ep.69,17. Cypr.: „dabit“ (> „reddet“
Sing.).
(12) I Cor. 7, 32 = Sing. 6 = Testim. III, 32 und De habitu 5.
Sing.: „Qui sine uxore est, sollicitus est, quomodo placeat
deo; qui autem habet uxorem, cogitat quae sunt hulius mundi,
quomodo placeat uxori“. Cypr.: „Caelebs cogitat [ea] quae
sunt domini, quomodo placeat deo; qui autem matrimonium
contraxit, cogitat ea quae sunt mundi huius, quomodo pla-
ceat uxori“. Der Unterschied ist nicht gering.
(10) I Cor. 7, 7 = Sing. 22 = Testim. III, 32. Cypr.: „habet cha-
risma [al. donum] a deo, alius sie, alius autem sic“. Sing.
„donum habet ex deo, unus quidem sic, alius vero sic“.
(11) I Cor. 7, 29 = Sing. 31 = Testim. Ill, 11. Cypr.: „tempus
collectum est; superest [A reliquum est] ergo ut et qui habent
uxores quasi non habentes sint“. Sing.: „tempus quod restat
breve est; reliquum est ut et qui habent uxores sic sint
quasi non habentes“.
(13) I Cor. 8, 2 = Sing. 24 = Testim. II, 21. Cypr.: „nondum
scit, quemadmodum oporteat [A add. eum] scire“; Sing.:
„necdum cognovit, quemadmodum eum oporteat scire“.
(14) ICor.9, 24.25 = Sing. 17 = Testim.Ill, 26, Fortun. 8, Ep. 10, 1.
Cypr.: „nescitis quoniam“, Sing.: „neseitis quia“. Cypr.: „unus
tamen“, Sing.: „sed unus“. Cypr.: „palmam“, Sing.: „bra-
vıum“. Cypr.: „occupetis“ (A „comprehendatis“), Sing. „com-
prehendatis“.
(15) I Cor. 8, 13 = Sing. 11 = Ep.4,2. Cypr.: „non manducabo...
in saeculo“ (W „aeternum“), Sing.: „iam non manducabo...
in aeternum“.
(16) I Cor. 10, 12 = Sing. 3 — Testim. 111,21 u. Ep.55,18. Iden-
tisch (es sind nur wenige Worte).
(15) Gal. 1, 10 = Sing. 8= De hab. 5; Ep. 4,5; 59, 8; 63, 15.
Cypr.: „placerem“, Sing.: „placere vellem“.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 67
(17) Gal. 1, 8 = Sing. 28 = Ep. 27, 3 u. 63, 10. Cypr.: „licet...
aliter adnuntiet [S „evangelizaverit“].... adnuntiavimus“,
Sing.: „etsi.... evangelizaverit vobis ..... evangelizavimus“.
(19) Gal. 5, 17 = Sing. 9 = Testim. Ill, 64. Identisch.
(20) Gal. 6, 2 = Sing. 10 = Testim. III, 9 u. Ep. 55, 18: „alteru-
trum onera [W add. „vestra“] sustinete, et sic adinplebitis
[Β „inplebitis“]; Sing.: „onera vestra sustinete invicem, et sic
implebitis“.
(21) Ephes. 4, 27 = Sing. 18 = Ep. 4,2. Identisch (es sind nur
wenige Worte).
(22) Coloss. 3, 5. 6 = Sing. 39 —= Ep. 55, 27. Cypr.: „itaque...
quae in terra sunt exponentes.... et concupiscentiam malam
et cupiditatem quae sunt“. Sing.: „ergo.... quae sunt super
terram..... libidinem concupiscentiam malam et avaritiam
quae est“ (Augustin eitiert bei seinem Citat aus Ep.55 den
Bibeltext genau so, wie er in Sing. steht, de bapt. c.Donat.IV,7).
(24) Philipp. 2, 14. 15 = Sing. 41 = Testim. III, 14 (III, 26 u.
Ep. 13, 3). Cypr.: „Omnia autem pro delectatione [dilectione]
facite sine murmurationibus et reputationibus, ut sitis sine
querella et inmaculatı filii dei“. Sing.: „Facite omnia sine
murmuratione et haesitatione, ut sitis inreprehensibiles et
simplices sicut filii dei immaculati“. Im folgenden hat Cypr.
„lucete*, Sing. „lucetis“.
(25) Philipp. 3, 19 = Sing. 31 = Testim. III, 11. Cypr.: „confu-
sione eorum“, Sing.: „turpitudine ipsorum*.
(23) Philipp. 2, 6 = Sing. 21 = Testim. II, 13 u. 11, 39. Cypr.:
„Qui in figura dei constitutus“. Sing.: „qui cum in forma
dei esset constitutus“. Im folgenden bieten die Mehrzahl
der Cyprian-MSS „se“, einige (wie Sing.) „semet ipsum“.
(26) II Thess. 3, 6 = Sing. 36 — Testim. II, 68 u. De unit. 23.
Sing. bietet „fratres“ (fehlt bei Cypr.), „separetis vos“ („rece-
datis* bez. „discedatis“ bei Cypr.), „a fratribus“ („ab omni-
bus fratribus* Cypr.), „accepistis a nobis“ („acceperunt a
nobis“ Cypr.).
(27) 1 Tim. 6,9 = Sing. 4 = Testim. Ill, 61 u. De opere 10. Cypr.:
„nocentia“, Sing.: „inutilia et noxia“.
(28) II Tim. 2, 5 = Sing. 17 —= Testim. III, 11 und Ad Fortun. 8.
Cypr.: „sed etsi certaverit quis... nisi legitime pugnaverit“;
Sing.: „sed et qui in agone certat... nisi legitime certaverit“.
5%
68 Harnack.
(29) II Tim. 2, 24 = Sing. 24 = Testim. Ill, 53. Identisch.
(30) II Tim. 3, 5 = Sing. 27 —= De unitate 16. Cypr.: „praedan-
tur“, Sing.: „captivas ducunt“; sonst identisch.
(31) II Tim. 4, 4 = Sing. 37 — Testim. IIl,67. Bis auf eine Um-
stellung identisch.
(32) I Pet. 2, 12 = Sing. 8 = Testim. Ill, 11 u. Ep. 13, 3. Cypr.:
„conversationem habentes inter gentiles bonam, ut dum
retractant de vobis quasi de malignis, bona opera vestra
aspicientes magnificent dominum“. Sing. „conversatio vestra
in gentibus bona sit, ut in eo in quo detrahunt de vobis
quasi de malefacientibus, de bonis operibus vestris glorifi-
cent dominum“. Diese Übersetzungen sind ganz verschieden.
(33) 1 Joh. 4,4 = Sing. 30 = Testim. III, 10 u. Fortun. 10. Cypr.:
„qui in isto [806] mundo“; Sing: „in hoc mundo“ (ohne
„qui*).
Diese Vergleichung lehrt, dass die Bibeltexte des Cyprian
und des Macrobius zwar verwandt sind, aber doch recht ver-
schieden, und zwar liegen die Abweichungen dieses Textes in
der Richtung auf die Vulgata. Es bestätigt sich also auch von
hier aus die geschichtliche Stellung, welche wir unserer Schrift
angewiesen haben.
li In den Texten u. Unters. (XIII, 4 S. 48ff.) habe ich eine
Reihe von Bibelstellen zusammengestellt aus Schriften und Briefen
römischer Schriftsteller aus der Mitte des 3. Jahrhunderts.
Zwölf von diesen Stellen lassen eine Vergleichung mit Citaten
in der Schrift De singularitate zu. Auch diese Texte weisen
neben unverkennbarer Verwandtschaft bedeutende Verschieden-
heiten auf:
(111 Tim. 4, 12 = Sing. 8 = Adr. aleat. 4. Sing. bietet „forma“,
adv. aleat.: „exemplum“.
(2) Luc. 13, 2—5 = Sing. 5 = Sixtus ad Novat. 15:
Sing.: Sixtus:
putatis quod hi Galilaei prae putatis quia illi Galilaei
omnibus Galilaeis fuerunt super ceteros Galilaeos pecca-
peccatores «mi talia passı tores fuerant, quia passi sunt
sunt? non. dico vobis: nisi talia? non, dico enım vobis:
s paenitentiam habueritis, simi- 5 quia nisi paenitentiam ege-
liter perietis. sieut 1111 supra ritis, omnes similiter perietis.
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate clericorum. 69
quos ceeidit turris in Siloa aut illi XVII super quos
et oceidit eos, putatis quo- cecidit turris in Siloa, pu-
niam etipsi debitores fuerunt tatis quia debitores fuerunt
ıprae omnibus hominibus 10 morti super omnes homines
habitantibus in Hierusalem? qui habitabant in Hierusa-
non. dico vobis: si non paeni- lem? non. dico vobis: quia
tueritis, similiter perietis. nisi paenitentiam egeritis,
omnes similiter perietis.
Vergleicht man diese ziemlich verschiedenen Texte mit der
Vulgate, so ergiebt sich, dass sie sich beide von ihr unter-
scheiden, aber Sing. steht ihr etwas näher.!
δι »quod hi’) Sing. et Vulg., „quia illi* Sixt,
„prae omnibus Galilaeis‘] Sing. et Vulg., „super ceteros
Galilaeos* Sixt.
2.3 „fuerunt peccatores“) Sing. et Wadefl,ilg, „peccatores
fuerunt“ Sixt. et Vulg. — „qui“] Sing. et BVW big, „quia“
Sixt, et Vulg. — „talia passi sunt“) Sing. et. Vulg, „passi
sunt talia“ Sixt. et ae.
2.4 „dico“) Sing. et Vulg., „dico enim* Sixt. et 6. — „nisi“]
Sing. et abedefiyil*q, „sed“ Vulg, „quia“ Sixt.
2.5 „habueritis“] Sing. et Vulg, „egeritis“ Sixt. et adeflr. —
„similiter“) Sing. et adeflr, „omnes similiter“ Sixt. et Vulg.
2.6 „perietis“) Sing. et Sixt, „peribitis“ Vulg. — „sieut“] Sing.
et Vulg, „aut“ Sixt. et def. — „illi“] Sing, „illi XVII“
Sixt. et Vulg.; Sing. hat die Zahl wohl nur aus Versehen
ausgelassen. — „supra“] Sing. et Vulg., „super“ Sixt. et
E6MTabdeq.
72.8 „et oceidit eos“) aus Versehen in Sixt. weggelassen. —
„quoniam“] Sing., „quia* Sixt et Vulg.
2.9 „et ipsi“] Sing. et Vulg, om. Sixt. et der.
Z.10 „prae omnibus hominibus“] Sing. et Eadf, „praeter omnes
homines“ Vulg., „super omn. hom.“ Sixt.
2.11 „babitantibus‘) Sing. et Vulg. („habitantes“), „qui habitabant“
Sixt. [et e („qui habitant“), d („qui inhabitant‘)].
2.12 „vobis“] Sing. et ceffyilq, „vobis sed“ Vulg,, „vobis quia*
1) Vulg. und Sing. ist bereits oben 8, 63f. verglichen worden; ich
wiederhole aber hier die Vergleichung und ziehe Sixt. hinzu um der Wich-
tigkeit der Stelle willen.
70 Harnack.
Sixt. [„vobis quod“ ἃ, „vobis quoniam“ 1]. — „si non‘)
Sing. et Vulg., „nisi“ Sixt. et Eaefq. — „paenitueritis“]
Sing. et cdff, (i), „paenritentiam egeritis* Vulg. et Sixt.
2.13 „similiter“] Sing. et QRfl, il, „omnes similiter“] Vulg. et
Sixt. — „perietis“] Sing. et Sixt., „peribitis“ Vulg.
Sing. und Sixt. gehen nur in der Form „perietis* zusammen
> Vulg.; zehnmal stehen Sing. und Vulg. — Sixt., siebenmal
(sechsmal) stehen Sixt. und Vulg. > Sing. An drei Stellen gehen
die Texte sämtlich auseinander. Das Stück ist sehr lehrreich;
es zeigt in einem kleinen Spiegel das Verhältnis eines römischen
Textes aus der Mitte des 3. Jahrbunderts und eines Textes aus
der Mitte des 4. Jahrhunderts zur Vulgata. Beide Texte sind
unter sich verschiedener als jeder von ihnen von der
Vulgata. Darf man daraus schliessen, dass Macrobius seinen
Text aus Afrika mitgebracht hat?
(3) Röm. 14, 4 = Sing. 36 — Sixt. 12. Sing. „tu qui es, ut de
servo alieno iudices“, Sixt.: „tu quis es, qui iudicas servum
alienum“. Sixtus stimmt genau mit dem Cyprian-Text über-
ein (8. oben S. 66), Sing. weicht stark ab.
(5) Gal. 6, 2 = Sing. 10 = Sixt. 13. lIdentisch, aber nur zwei
Worte.
(6) I Cor. 9, 24 = Sing. 17 = De laude 28. Beide bieten „nes-
citis quoniam qui“ (> Cypr.); Sing. „in stadio“ (mit Cypr.),
Laud.: „in agone“; Sing.: „omnes quidem currunt“ (mit Cypr.),
Laud.: „multi certantur“; Sing.: „sed unus“, Laud.: „et unus“
(Cypr.: „unus tamen“); Sing.: „bravium“, Laud.: „palmam“
(mit Cypr.).
(4) 1 Cor. 10, 12 = Sing. ὃ = Sixt. 13. Sing.: „qui se putat stare
videat ne cadat“; Sixt.: „tu qui stas vide ne cadas“.
(7) II Cor. 11, 13 = Sing. 23 — Stephan. bei Cypr. ep. 75, 25.
Identisch, aber nur zwei (3) Worte.
(8) Joh. 14, 28 = Sing. 21 — Novat. de trinit. 26. Sing.: „pater
maior me est“, Novat.: „quoniam qui me misit maior me est.“
(9) Gal. 5, 17 = Sing. 9 = de trinit. 29. Sing.: „spiritus adver-
sus carnem concupiscit“, Novat.: „spiritus c. c. desiderat“;
dann Sing. „adversarı“ und Novat. „repugnare“.
(10) Philipp. 2, 6. 7 = Sing. 21 — de trinit. 22. Identisch bis auf
den Zusatz „constitutus* in Sing. und eine Umstellung.
(11) Philipp. 3, 14 = Sing. 11 = Novat. de eibis 1. Sing.: „pal-
Der pseudocyprianische Traktat De singularitate olericorum. 71
ımam supernse vocationis“, Novat.: „brabium sursum voca-
tionis“.
(12) Job. 4, 34 = Sing. 25 = de cibis 5. Sing.: „meus cibus“,
Novat.: „mea esca“,
Man darf im ganzen sagen, dass der Bibeltext unseres Ver-
fassers den römischen Bibeltexten aus der Zeit um das J. 250
ferner steht als der Vulgata. Dieses Ergebnis war zu erwarten;
zusammengehalten mit der Beobachtung, dass der Bibeltext
unserer Schrift aufs deutlichste sich als ein vorhieronymianischer
bekundet, bestätigt es die Annahme, dass unser Traktat der Mitte
des 4. Jahrhunderts angehört.
IV. Zum Schluss wird eine Vergleichung der Bibeltexte des
‘Verfassers mit dem Bibeltexte seines Zeitgenossen Lucifer an-
gezeigt sein.! Die Vergleichung des Bibeltextes des Ambrosiaster
«(er ist auch der Verfasser der Quaest. Vet. et Novi Test.) unter-
lasse ich, weil wir noch keine kritische Ausgabe besitzen.
«1) Prov. 1, 24—31 = Sing. 1 = Lueifer (Edit. Vindob.) p. 110.
Die Übereinstimmung ist — abgesehen von einer kleinen
Verwirrung bei Lucifer — ausserordentlich gross. In dem
langen Abschnitt von 94 Worten finden sich nur 14, und
zwar unbedeutende, Varianten.
2) Proverb. 26, 4 = Sing. 20 = Lucifer p. 284. Hier hat Lueifer
„inprudens“ und „inprudentia eius“, Sing. „insipiens“ und
„ipsius insipientia“,
«3) Matth. 18, 7 = Sing. 11 = Lucifer p. 179. Wörtlich identisch
(auch „huic mundo“ bei beiden).
(4) U Cor. 11, 13 = Sing. 23 — Lucifer p. 267. Wörtlich iden-
tisch (auch „eiusmodi“).
(5) Gal. 1, 8 = Sing. 28 — Lucifer p. 279. Identisch, doch Lucifer
hat „licet“ (Sing. „etsi“), lässt das erste „vobis“ fort und das
„quod“ nach „praeterquam“.
(6) Epb. 5, 9. 10 = Sing. 41 = Lucifer p. 31. Identisch (auch der
Wechsel von „lux“ und „lumen“ bei beiden), nur Sing.:
„beneplacitum sit“, Lucif.: „sit acceptum“.
(ἢ Philipp. 2, 6. 7 = Sing. 21 = Lueifer p. 311 (125. 304). Iden-
tisch, doch fehlt bei Lucif. „constitutus“ und „est“ ist umgestellt.
1) Optetus und Sing. haben nur ein Citat gemeinsam (II Tim. 2, 17);
daraus lässt sich nichts erschliessen.
72 Harnack.
(8) Philipp. 3, 19 = Sing. 31 = Lucifer 199 (305). Sing. bietet
„turpitudine“, Lucif.: „confusione*.
(9) 11 Thess. 3, 6 = Sing. 36 = Lucifer 18. Hier findet sich ein
beträchtlicher Unterschied (Sing.: „separetis vos a fratribus
ambulantibus inordinate.... accepistis“, Lucif.: „subtrahatis
vos ab omni fratre inquiete ambulante... acceperunt“).
(10) I Tim. 1, 8 = Sing. 23 = Lucifer p. 171 (207). Identisch.
(11) II Tim. 3, 5 = Sing. 27 = Lucifer p. 305. Identisch.
(12) II Tim. 4, 4 = Sing. 37 — Lucifer p. 306. Identisch (bis auf
eine kleine Umstellung und ein in Sing. fehlendes „autem‘).
(13) Tit. 2, 7. 8 = Sing. 8 = Lucifer p. 197. Hier sind Verschie-
denheiten; Sing.: „bonorum factorum praebens exemplum‘,
Lucifer: „formam praebens bonorum operum“; Sing: „in
verbo sano atque“, Lucif.: „in sermone sanum“; Sing.: de
nobis dicere mali*, Lucif.: „quod dicere malum de nobis“.
Das Material ist nicht gross, immerhin aber nicht unbeträcht-
lich. Soviel darf man sagen, dass von allen verglichenen
Texten der des Lucifer dem unserer Schrift am nächsten
steht.
II.
Die Hypotyposen des Theognost.
Aus Zanettis Catalog der Marciana (1741) p. 264 wusste
man, dass in dem Cod. gr. 502 saec. XIV ein Theognost- Fragment
enthalten se. Routh (Relig. Sacrae III? f. 422) erinnerte daran;
ıch wiederholte diese Erinnerung (Gesch. der altchristl. Litt. I
SS. 439) und sprach dabei die Vermutung aus, dass es sich um
einen anderen Theognost handele; denn weder war es wahrschein-
Xich, dass sich in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts ein
Bruchstück des Werkes des vornicänischen Lehrers erhalten,
noch war es glaublich, dass im Laufe von 150 Jahren niemand
Zanettis Angabe geprüft habe. Meine Vermutung ist dennoch
winrichtig gewesen. Diekamp hat als erster Zanettis Angabe
w.ıntersucht, und ein unzweifelbaft dem alten Alexandriner gebühren-
ies Fragment war der Lohn seiner Bemühungen (Fol. 254 des
Codex). Er hat dasselbe in der Theolog. Quartalschrift (1902
#.4 5. 481---494) publiciert und mit einem gelehrten Commen-
%are versehen. Leider lässt sich aus der Handschrift für die
"Überlieferungsgeschichte des Stückes nichts entnehmen. „Mit
«lem sonstigen Inhalte des Codex steht das Stück in keinem Zu-
ssammenhange. Die bedeutend kleinere und engere Schrift dieses
wnd des unmittelbar folgenden Basilius-Fragments macht es wahr-
sscheinlich, dass der Schreiber diese Texte zur Ausfüllung eines
Xeeren Raumes von fast anderthalb Seiten nachträglich eingeschoben
bat, Ähnliches zeigt sich noch an anderen Stellen der Hand-
schrift.“ Ob dem Schreiber noch die Hypotyposen Theognosts
m ganzen Umfang vorgelegen haben, lässt sich also nicht sicher
entscheiden. Wahrscheinlich ist es nicht; vielmehr liegt die
Annahme näher, dass das Stück längst aus dem Text des Ganzen
ausgegliedert war und für sich (in einer dogmatischen Catene)
or
714 Harnack.
existierte! Dagegen spricht auch nicht die Vorbemerkung des
Schreibers: Σημειωτέον ὅτι ἐν ἄλλοις πολλοῖς οὗτος βλασφη-
μίας λέγεε περὶ τοῦ υἱοῦ τοῦ ϑεοῦ, ὡσαύτως καὶ περὶ τοῦ
ἁγίου πνεύματος, denn diese ist, wie Diekamp mit Recht be-
merkt, aus Photius (Cod. 106 Bibl.) geflossen. Der nicht ganz
richtig wiedergegebene Titel aber (7 τῶν δογμάτων ὑποτύχο-
σις statt Ῥποτυπώσεις, wie Athanasius und Photius überliefern),
der die unbestimmte Aufschrift, welche der Autor selbst gegeben
hat, verdeutlicht, spricht gegen die Annahme eines direkten
Excerptes.
Fragmente der alexandrinischen Lehrer aus der Zeit zwischen
Dionysius und Athanasius gehören bekanntlich zu den Selten-
heiten. Das spärliche Material ist inbezug auf Pierius und Petrus
in den letzten Jahren durch de Boor und Karl Schmidt etwas
vermehrt worden. Diesen Entdeckungen reiht sich die Gabe
Diekamps in erfreulicher Weise an. Dogmenhistorisch be-
trachtet ist sie wichtiger als jene Entdeckungen. Ich möchte
den Dank für sie dadurch bezeugen, dass ich das, was wir jetzt
über die Theologie des Theognost wissen, zusammenstelle und
dogmengeschichtlich zu würdigen versuche.?
Der Bericht des Photius.
Photius (Cod. 106 Biblioth.): Ἀνεγνώσθησαν Θεογνώστον Mit-
ξανδρέως λόγοι ἑἕπτά' οὗ ἡ ἐπιγραφή: Τοῦ uaxagplov Θεογνώ-
στου Ἀλεξανδρέως καὶ ἐξηγητοῦ Ὑποτυπώσεις.
Ἐν μὲν οὖν τῷ πρώτῳ λόγῳ διαλαμβάνει περὶ τοῦ πατρὸς καὶ ὅτι
ἐστὶ δημιουργὸς ἐπιχειρῶν δεικνύναι, χαὶ χατὰ τῶν ὑποτιϑέντων συναΐδιον
ὕλην τῷ ϑεῷ.
Ev δὲ τῷ δειτέρῳ τίϑησι μὲν ἐπιχειρήματα, di ὧν δεῖν φησὶ τὸν
πατέρα ἔχειν υἱόν... υἱὸν δὲ λέγων χτίσμα αὐτὸν ἀποφαίνει χαὶ τῶν λογι-
κῶν μόνον ἐπιστατεῖν, καὶ ἄλλ᾽ ἄττα ὥσπερ Ὡριγένης ἐπιφέρει τῷ vis,
εἴτε ὁμοίως ἐχείνῳ δυσσεβείᾳ ἑαλωκὼς εἴτε, ὡς ἄν τις εἴποι, ἐχβιασάμενος
τὴν ὑπὲρ αὐτοῦ ἀπολογίαν», ἐν γυμνασίας λόγῳ χαὶ οὐ δόξης ταῦτα προ-
τιϑείς, 7 καὶ πρὸς τὴν τοῦ ἀκροατοῦ ἕξιν χαὶ ἀσϑένειαν, ἀμυήτου παντε-
λῶς, εἰ τύχοι, ὄντος τοῦ τῶν χριστιανῶν ϑειασμοῦ χαὶ μὴ δυναμένου
δέξασθαι τὴν τῆς ϑρησχείας ἀχρίβειαν, ὑποχατασπώμενος τῆς ἀληϑείας
1) Ein Fragment des Theognost in einer Bibelcatene durch Ver-
mittelung des Athanasius s. u.
2) Die früher bekannten Fragmente habe ich in meinem Lehrbuch der
Dogmengeschichte (3. Aufl.) I S. 733f. kurz behandelt.
Die Hypotyposen des Theognost. 75
καὶ τὴν ὁπωσδήποτε γνῶσιν υἱοῦ τῆς παντελοῦς ἀνηχοΐας χαὶ ἀγνωσίας
λυσιτελεστέραν νομίζων εἶναι ἀκροατῇ. ἀλλὰ διαλέξει μὲν ἡ τοιαύτη
καταφυγὴ τοῦ μὴ λέγειν ὀρϑῶς καὶ ἀναχώρησις οὐκ ἂν ἀπίθανος οὐδὲ
ψόγου ἐχομένη δόξῃ (τὰ πολλὰ γὰρ τῷ τοῦ προσδιαλεγομένου γνώμῃ καὶ
δόξῃ καὶ ἰσχύϊ διαπράττεται), ἐγγράφου δὲ λόγου καὶ κοινοῦ προκεῖσϑαι
μέλλοντος νόμου τοῖς πᾶσιν εἴ τις τῆς ἐν αὐτῷ βλασφημίας τὴν προειρη-
μένην εἰς ἀϑώωσιν ἐπιφέρει ἀπολογίαν, εἰς ἀσϑενῆ χατέδραμε συνηγορίαν.
“Ὥσπερ δὲ ἐν τῷ δευτέρῳ οὕτω xal ἐν τῷ τρίτῳ λόγῳ περὶ τοῦ äylov
πνεύματος διαλαμβάνων τίθησι μὲν ἐπιχειρήματα, τὴν τοῦ παναγίου πνεύ-
ματος δεικνύειν ὕπαρξιν ἀποπειρώμενος, τὰ δ᾽ ἄλλα ὥσπερ Ὠριγένης ἐν
τῷ Περὶ ἀρχῶν οὕτω καὶ αὐτὸς ἐνταῦθα παραληρεῖ.
Ἔν δὲ τῷ τετάρτῳ περὶ ἀγγέλων καὶ δαιμόνων ὁμοίως ἐκείνῳ χενο-
λογεῖ καὶ σώματα αὐτοῖς λεπτὰ ἀμφιέννυσιν.
Ἔν δὲ τῷ πέμπτῳ καὶ ἕχτῳ περὶ τῆς ἐνανθρωπήσεως τοῦ σωτῆρος
διαλαμβάνων ἐπιχειρεῖ μέν, ὡς ἔϑος αὐτῷ, τὴν ἐνανθρώπησιν τοῦ υἱοῦ
«δυνατὴν εἶναι δεικνύναι, πολλὰ δὲ ἐν αὐτοῖς χενοφωνεῖ' καὶ μάλιστα ὅταν
«ἀποτολμᾷ λέγειν, ὅτι τὸν υἱὸν φανταζόμεϑα ἄλλοτε ἐν ἄλλοις τόποις περι-
»eapöuevov, μόνῃ δὲ τῷ ἐνεργείᾳ μὴ περιγραφόμενον.
Ἐν δὲ τῷ ἑβδόμῳ, ὃν καὶ, Περὶ ϑεοῦ δημιουργίας“ ἐπιγράφει, εὐσε-
ἐβέστερόν πως περί τε τῶν ἄλλων διαλαμβάνει καὶ μάλιστα πρὸς τῷ τέλει
ποῦ λόγου περὶ τοῦ υἱοῦ.
Ἔστι δὲ τὴν φράσιν ἀπέριττος καὶ βαϑύς, καλλιλεξίᾳ τε ὡσεὶ [ὡς ἐν
od] Artızö καὶ συνήϑει χρώμενος λόγῳ καὶ τοῦ συνήϑους οὐδ᾽ ἐν ταῖς
«πυντάξεσιν ἀναχεχωρηχώς, τοῦ μέν τοι μεγέϑους δι᾽ ἐνάργειαν καὶ ἀχρί-
Beıav τῶν ῥημάτων οὐ καταφέρεται. ἤχμασε δὲ...
Cetera desunt.
Fragment I.
Athanas., Epist. 4 ad Serap. c. 11: Σὺ ἐζήτεις, τί δήποτε ἡ μὲν εἰς
πεὸν υἱὸν βλασφημία ἀφίεται, ἡ δὲ εἰς τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον οὐκ ἔχει ἄφε-
Gw;... παλαιοὶ μὲν οὖν ἄνδρες, Ὠριγένης, ὁ πολυμαϑὴς καὶ φιλόπονος,
καὶ Θεόγνωστος, ὁ ϑαυμάσιος καὶ σπουδαῖος - τούτων yagroic
περὶ τούτων συνταγματίοις ἐνέτυχον, ὕτε τὴν ἐπιστολὴν ἔγρα-
ψας -- ἀμφότεροί γε [οοὰ. γὰρ] περὶ τούτου γράφουσι, ταύτην εἶναι τὴν
εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα βλασφημίαν λέγοντες, ὅταν οἱ χκαταξιωϑέντες ἐν τῷ
βαπτίσματι τῆς δωρεᾶς τοῦ ἁγίου πνεύματος παλινδρομήσωσιν εἰς τὸ
ἁμαρτάνειν᾽ διὰ τοῦτο γὰρ μηδὲ ἄφεσιν αὐτοὺς λήψεσϑαί φασι, χαϑὰ χαὶ
ὁ Παῦλος ἐν τῇ πρὸς Ἑβραίους λέγει" ἀδύνατον γὰρ τοὺς ἅπαξ φωτισϑέν-
τας χτλ. ταῦτα δὲ κοινῇ μὲν λέγουσι, καὶ ἰδίαν δὲ ἕχαστος προστίϑησι
διάνοιαν. 6 μὲν γὰρ Ὠριγένης χτλ., ὁ δὲ Θεύόγνωστος καὶ αὐτὸς
προστιϑείς φησι ταῦτα"
Ὁ πρῶτον παραβεβηκὼς ὅρον καὶ δεύτερον ἐλάττονος ἂν
ἀξιοῖτο τιμωρίας" ὃ δὲ καὶ τὸν τρίτον ὑπεριδὼν οὐχέτι ἂν
συγγνώμης τυγχάνοι.
-
0
20
176 Harnack.
Πρῶτον δὲ ὅρον χαὶ δείϊτερόν φῆσι τὴν περὶ πατρὸς χαὶ εἷοῦ χατή:
5 χησιν᾽ τὸν δὲ τρίτον, τὸν ἐπὶ τῇ τελεώσει χαὶ τῇ τοῦ πνεύματος μετοχῇ
παραδιδόμενον λόγον, χαὶ τοῦτο βεβαιῶσαι ϑέλων ἐπάγει τὸ παρὰ τοῦ
σωτῆρος εἰρημένον τοῖς μαϑηταῖς" Ἔτι πολλὰ ἔχω ὑμῖν λέγειν, ἀλλ᾽
οὔπω δύνασϑε χωρεῖν ὅταν δὲ ἔλϑῃ τὸ ἅγιον πνεῦμα, διδάξει
ὑμᾶς. Εἶτά φησιν"
10 “Ὥσπερ τοῖς μηδέπω χωρεῖν δυναμένοις τὰ τέλεια duale
γεταε ὁ σωτὴρ συγχαταβαίνων αὐτῶν τῇ σμιχρότητε, τοῖς δὲ
τελειουμένοις συγγίνεται τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον, καὶ οὐδήκπου τις
ἐκ τούτων ἂν φαίη τὴν τοῦ πνεύματος διδασχαλίαν ὑπερβάλ-
λειν τῆς τοῦ υἱοῦ διδαχῆς, ἀλλ᾽ ὅτι ὁ μὲν υἱὸς συγκαταβαίνει
15 τοῖς ἀτελέσι, τὸ δὲ πνεῦμα σφραγίς ἐστι τῶν τελειουμένων --
οὕτως οὐ διὰ τὴν ὑπερβολὴν τοῦ πνεύματος πρὸς τὸν υἱὸν
ἄφυχτός ἐστε χαὶ ἀσύγγνωστος ἢ εἰς τὸ πνεῦμα βλαύ-
φημία, ἀλλ᾽ ὅτι ἐπὶ μὲν τοῖς ἀτελέσιν ἐστὶ συγγνώμη, ἐπὶ
δὲ τοῖς γευσαμένοις τῆς οὐρανίου [al. codd. ἐπουρανίου)
20 δωρεᾶς καὶ τελειωϑεῖσιν οὐδεμία περιλείπεται συγγνώμης
ἀπολογία καὶ παραίτησις.
<f. Joh. 10, 12.13. — 17f. Matth. 12, 81. 32. — 19f. Hebr. 6, 4.
Fragment Il.
Athanas. Epist. de decret. Nie. Synod. 25: Οἱ μὲν οὖν ἐν τῷ Nızcic
συνελϑόντες ταύτην ἔχοντες τὴν διάνοιαν, τοιαΐτας χαὶ τὰς λέξεις ἔγραφαν.
ὕτι δὲ οὐχ ἑαυτοῖς πλάσαντες ἐπενόησαν ταύτας — ἐπειδὴ χαὶ τοῦτο πρυ-
φασίζονται ---, CAR ἄνωϑεν παρὰ τῶν πρὸ αὐτῶν παραλαβόντες εἰρήκασι,
φέρε χαὶ τοῦτο διαλέγξωμεν, ἵνρα μηδὲ αὕτη αὐτοῖς ἡ πρόφασις περιλεί-
πηται" μάϑετε τοίνεν, ὦ χφιστόμαχοι Ἀρειανοί, ὅτι Θεόγνωστος μὲν,
ἀνὴρ λόγιος, οὐ παρῃτήσατο τὸ Ex τῆς οὐσίας εἰπεῖν" γράφων
γὰρ περὶ υἱοῦ ἐν τῷ δευτέρῳ τῶν Ὑποτιπώσεων οὕτως εἴρηχεν.
Οὐχ ἔξωϑέν τίς ἐστιν ἐφευρεϑεῖσα ἢ τοῦ υἱοῦ οὐσία οὐδὲ
ἐκ μὴ ὄντων ἐπεισήχϑη᾽ ἀλλὰ ἐκ τῆς τοῦ πατρὸς οὐσίας ἔφυ,
ὡς τοῦ φωτὸς τὸ ἀπαύγασμα, ὡς ὕδατος ἀτμίς" οὔτε γὰρ τὸ
ἀπαύγασμα οὔτε ἡ ἀτμὶς. αὐτὸ τὸ ὕδωρ ἐστὶν ἢ ῆ αὐτὸς ὁ ἥλιος οὔτε
ὅ ἀλλότριον. xal οὔτε τοῦ υἱοῦ οὐσία) αὐτός ἐστιν ὁ πατὴρ
οὔτε ἀλλότριος ἀλλὰ ἀπόρροια τῆς τοῦ πατρὸς οὐσίας, οὐ
μερισμὸν ὑπομεινάσης τῆς τοῦ πατρὸς οὐσίας" ὡς γὰρ μένων
ὁ ἥλιος ὁ αὐτὸς οὐ μειοῦται ταῖς ἐχχεομέναις ὑπ᾽ αὐτοῦ αὐγαῖς,
οὕτως οὐδὲ 7 οὐσία τοῦ πατρὸς ἀλλοίωσιν ὑπέμεινεν, εἰκόνα
10 ἑαυτῆς ἔχουσα τὸν vior.
Das Stück findet sich auch in der Catene zum Hebräerbrief (Cod.
Paris. 235, Cramer T. VIII p. 361), jedoch nicht ganz vollständig; es
Die Hyypotyposen des Theognost. ri
tehlen die Worte Z. ἢ ὡς udeto, bis οὔτε ὀλλότωιον und 2.6 οὐ περι μὸν
bis οὐσίας. Dagegen bietet die Catene die Worte Z.öf. zei οὔτε αὐτὸς ἐστιν
ὁ πατὴρ οὔτε ἀλλότριος, welche in den Ausgaben des Athanasius fehlen,
aber unentbehrlich sind. Aber auch so ist die Stelle noch lückenhaft; es
muss notwendig vor αὐτός ἐστιν 2.5 ἡ τοῦ υἱοῦ οὐσία eingeschoben werden.
Dass das Catenen-Fragment den Werken des Atbanasius entnommen und
nicht etwa selbständig excerpiert ist, beweist die Einführung: Asysı δέ που
καὶ Θεόγνωστος, ἀνὴρ λόγιος.
Fragment Ill.
Gregorius Nyss., Lib. III c. Eunom,, orat. 1II: Kal οὐ μόνος ἐν τοὐτῳ
πεπλάνηται χατὰ τὴν ἀτοπίαν τοῦ δόγματος ὁ Εὐνόμιος, ἀλλ᾽ ἔστι καὶ
ἐν τοῖς Θεογνώστῳ πεπονημένοις τὸ ἶσον εὑρεῖν, ὅς φησι"
Τὸν ϑεὸν βουλόμενον τόδε τὸ πᾶν κατασχευάσαι πρῶτον
τὸν υἱὸν οἷόν τινα κανόνα τῆς δημιουργίας προῦποστήσασϑαι.
Fragment IV.
Codex Marc. gr. 502 saec. XIV. fol. 254.
Θεογνώστου ᾿Α4λεξανδρέως dx τῆς τῶν δογμάτων
Ὑποτυπώσεος.
-Ξοημειωτέον ὅτι ἐν ἄλλοις πολλοῖς οὗτος βλασφημίας λέγει περὶ toi υἱοῦ
. τοῦ ϑεοῦ, ὡσαύτως χαὶ περὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος.
Aoyov καὶ σοφίαν τὸν υἱὸν ὀνομάζουσιν al γραφαί" λ6-
τὸς Γ ον μὲν οἷα δὴ (ἐκ τοῦ νοῦ τοῦ πατρὸς τῶν ὅλων ἐξιόντα"
-αὸ γὰρ κάλλιστον γέννημα τοῦ νοῦ τὸν λόγον εἶναι σαφές).
ἔστι δὲ ὁ λόγος καὶ εἰκών μόνος γὰρ οὗτος τῶν ἐν τῷ νῷ
-πυγχανόντων νοημάτων τὴν ἔξω φορὰν ἐγχειρίζεται. ἀλλ᾽ οἱ δ
“«ἰὲν ἐν ἡμῖν λόγοι ἐν μέρει καὶ τὰ δυνατὰ ἐξαγγέλλουσι, τινὰ
«δὲ χαὶ ἀπόρρητα ἀπολείπουσιν ἐν τῷ νῷ μόνῳ ἀποχείμενα"
πτὸν δὲ οὐσιώδη τοῦ ϑεοῦ λόγον ἁπάντων........ διὸ xal σο-
«(αν αὐτὸν εἶπον, ὡς μᾶλλον τούτου τοῦ ὀνόματος τὸ πλῆ-
ϑος τῶν ἐν αὐτῷ ϑεωρημάτων ἐνδείχνυσϑαι δυναμένου.
Καὶ ἐν αὐτῷ οἰχεῖν φασι τὸ πλήρωματῆς ϑεότητος
“πάσης, οὐχ ὡς ἑτέρου μὲν Ovrog αὐτοῦ, ἑτέρας δὲ ἐπεισιούσης
10
1 Joh. 1,1; Prov. 8, 22; 1 Kor. 1,24. — 4 Coloss. 1, 15; II Kor. 4,4. —
11 Koloss. 2, 9.
2 2x τοῦ + Harnack. — 8 σαφές + Diekamp. — 8 Im Ms. ist Raum
für 7—8 Worte freigelassen; Diekamp ergänzt τῶν τοῦ ϑεοῦ. ϑεωρημάτων
ἑρμηνέα λέγειν εἰχός.
18 Harnack.
ἐν αὐτῷ τῆς ϑεότητος, ἀλλ᾽ Ταὐτῷ δὴ Tovrot τῆς οὐσίας
αὐτοῦ συμπεπληρωμένης τῆς ϑεότητος. ἔχων τὴν ὁμοιότητα
τοῦ πατρὸς κατὰ τὴν οὐσίαν Eyoı ἂν καὶ κατὰ τὸν ἀριϑμόν.
διὸ καὶ εἷς λόγος καὶ μία σοφία: ἄλλης γὰρ οὐχ ἐδεῖτο ὃ πατήρ,
οὐδὲ ἄλλο τε ἐχμαγεῖον αὐτῷ ἔσεσϑαι τῆς οὐσίας ἔμελλεν
ὥσπερ ἐνδεῶς ἔχοντος τοῦ πρώτου. οὕτω γὰρ ἔμελλε πλήρη
τὴν ὁμοιότητα ἔχειν, εἰ μηδὲ τοῦ ἀριϑμοῦ ἀπολείποιτο. εἷς
δὲ ὧν καὶ τὴν τοῦ ἑνὸς ὁμοιότητα σώζων ἀχριβῆ ἀναλλοίωτος
ἂν εἴη ἀναλλοιώτου πατρὸς μίμημα ὦν: ἀδύνατον γὰρ μετα-
10 βολῆς ἐν πείρᾳ γενέσϑαι τό γε ἀχριβῶς πρὸς τὴν τοῦ ἑνὸςξΣ
ὁμοιότητα νενευχός.
Δέγεται δὲ καὶ ἀπαύγασμα τῆς δόξης τοῦ ϑεοῦ χα---
κάτοπτρον ἀκηλίδωτον, ἅπερ ἐν κύχλῳ περιιόντα πολλοῖ. ΞΞ
ὀνόμασι τὸν τῆς εἰχόνος λόγον διατηρεῖ.
oa
Testimonia.
1. Philippus Sidetes, wie ein anonymer Kompilator im Coco» «
Bodl. Boroce. 142 fol. 216 mitteilt, hat in seiner „Christliche =
Geschichte“ behauptet, Theognost sei der Nachfolger des Pierius
in der Leitung der alexandrinischen Katechetenschule gewese=
(cf. Dodwell, Dissert. in Iren., App. p. 458 fl.).
2. Stephanus Gobarus (bei Photius, Bibl. Cod. 282) hebt es her =
vor, dass Athanasius den Origenes und Theognost lobend οὐ ΣΝ
habe [das bezieht sich wohl auf die Fragmente I und II].
3. Georgius v. Coreyra (saec. XII fin, 8. über ihn Krunm -
bacher, Gesch. d. byzant. Litt.?2 S. 91. 770) rechnet den Theo-
gnost zu den kirchlichen Lehrern in folgender Reihenfolge: der
alex. Dionysius, Methodius von Patara, Clemens Stromateus,
Pierins, Pamphilus, Theognost, Irenäus und Hippolyt, der
Schüler des Irenäus (s. Allatius, Diatrib. p. 320f. und meine
Litt.-Gesch. I S. 476).
$ 1. Allgemeines über das Werk des Theognost.
Die Zeit des Theognost darf nicht aus dem Excerpt aus der
confusen „Christlichen Geschichte“ des Philippus Sidetes (s. oben
12 Hebr. 1, 3; Sap. Sal. 7, 26.
2 αὐτῷ δὴ Toirw Weyman (Cod. αὐτὸ δὴ τοῦτο), αὐτὸ δὴ τοῦτό
ζέστιν, ὃ χαὶ ὁ πατήρ, za9 ὁμοιότητα τούτου) τῆς οὐσίας Diekamp.
Die Hypotyposen des Theognost. 10
S. 78) festgestellt werden: denn dort ist die Reihenfols«
der alexandrinischen Lehrer falsch wiedergegeben; sie ıst viel-
mehr nach der Zeit des Dionysius Alex. und des Pierius zu be-
stimmen. Jener legte im J. 247/8 das Amt des Vorstehers der
Katechetenschule nieder und wurde Bischof; dieser ist Lehrer,
wahrscheinlich auch Vorsteber, der Katechetenschule in Alexan-
drien unter Diokletian gewesen. Da Eusebius über Theognost
ganz schweigt, über Pierius’ Amtsstellung sich nicht klar aus-
drückt, so ist eine genauere Zeitbestimmung inbezug auf Theo-
g&nost nicht möglich, zumal da nicht sicher ist, dass die Reihenfolge
Dionysius, Theognost, Pierius vollständig ist. Die Feststellung
muss genügen, dass Theognost zwischen 247/8 und dem Anfang
der achtziger Jahre gewirkt hat. Vielleicht ist er die ganze Zeit
Aindurch Vorsteher der Schule gewesen, vielleicht nur während
eines Teils dieses Zeitraumes.
Zur Zeit des Athanasıus war Theognost ein von den Ortho-
«loxen Alexandriens noch nicht preisgegebener Lehrer, dessen
Xetzereien man also übersah: „o ϑαυμάσιος καὶ σπουδαῖος" wird
«er von Athanasius (s. oben S. 751) genannt (ἀ88., ἀνὴρ λόγιος" —
553. oben S. 76 II — besagt freilich wenig). Dagegen rückte Gregor
won Nyssa bereits von ihm ab. In der Folgezeit schwankt das
"Wrteil über „den Alexandriner und Exegeten“. Sehr merkwürdig
ast das völlige Schweigen des Eusebius (Hieronymus) über ihn.
Seine Theologie kann unmöglich dem Eusebius zum Anstoss
zwereicht haben. Ist lediglich die Unfertigkeit der letzten Bücher
«ler Kirchengeschichte an der Auslassung Schuld?
Photius verdanken wir eine kurze Inhaltsangabe des Werkes.
“Wir erfahren, dass es sieben Bücher umfasste, und wir lernen
«las Thema jedes Buches kennen. Die Schlüsse aber, die Diekamp
Inbezug auf das 7. Buch aus der Regeste des Photius gezogen
"und die er dann für die geschichtliche Würdigung des von ihm
entdeckten Stückes verwertet hat, vermag ich nicht für zutreffend
zu balten. Er legt den Finger darauf, dass das 7. Buch einen
Sondertitel getragen habe, dass es auf bereits erörterte Probleme
zurückkomme und dass es „frömmer“ laute als die früheren. Er
glaubt daraus schliessen zu dürfen, dass dieses Buch bedeutend
später als die früheren verfasst sei und dass sich Theognost in
ihm selbst corrigiert habe. „Während die ersten sechs Bücher
den dogmatischen Stoff in streng systematischer Entwickelung
80 Harnack.
vorlegen, weicht das siebente Buch von dieser Methode ab u
charakterisiert sich durch die erneute Behandlung schon erörter
Probleme als späteren Nachtrag. Da eine durchgängige Corn
tur früherer Ansichten stattgefunden zu baben scheint, so w.
man wohl auf eine längere Zwischenzeit schliessen dürfen. Vi
leicht ist die Vermutung nicht zu gewagt, dass das Lehrschreit
des römischen Dionysius (261,2) Anlass gab. (Wie Dionys
von Alexandrien selbst), so mag auch Theognost eine Gelegenh
benutzt haben, der römischen Doctrin entsprechend, die Lel
von dem Logos und seinem Verhältnis zur Schöpfung zu v
bessern und namentlich das am meisten anstössige Wort xrio
zu vermeiden.“ !
Die drei Beobachtungen, auf welche Diekamp diese kü
ausgebaute Hypothese gründet, sind m. E. sämtlich hinfäll
denn (1) dass die vorangehenden sechs Bücher keinen Sonderti
getragen haben, lässt sich aus der Thatsache, dass Photius ı
für das siebente einen solchen angiebt, mit irgend welcher Sich
heit nicht erschliessen. Es besteht nicht einmal eine gewi:
Wahrscheinlichkeit für diese Annahme; denn die Angaben „Il
τοῦ πατρός“ (Buch 1), „ITeoi τοῦ ἁγίου πνεύματος" (Buch I
»Περὶ ἀγγέλων καὶ δαιμόνων“ (Buch IV), Περὶ τῆς ἐνανϑι
πήσεως τοῦ σωτῆρος“ (Buch V und VI)? sind der Titelang
»Περὶ ϑεοῦ δημιουργίας“ (Buch Vll) ganz parallel. Nur
dem zweiten Buche hat Photius in seiner Regeste den Titel ı
angegeben; aber die Parallele zu Buch I und 11] macht es ge
dass er gelautet hat: „Dleol τοῦ υἱοῦ“. Dass Photius nur
Titel des 7. Buches in einem Nebensatz ausdrückt (0» xal ,
ϑεοῦ δημιουργίας" ἐπιγράφει), ist einfach eine stilistische
dung, die sich daraus erklärt, dass er im Hauptsatz sofort
zur Charakteristik des Buches bringen will (ähnlich w
Buch U). Mehr daraus zu schliessen ıst unerlaubt ode
nur dann erlaubt, wenn Diekamp mit der Annahme im
wäre (ad 2), das 7. Buch kehre zu bereits erörterten Prc
zurück und stelle sich deshalb als ein Nachtrag dar, deı
1) Diekamp setzt demgemäss und aus Gründen, auf die
eingehen werden, die sechs ersten Bücher „mit einiger Wahrschei
vor das J. 261, das siebente Buch nach 261, ja erst in die siebzi
2) Ob diese beiden Bücher noch durch Untertitel abgegreı
lässt sich nicht ermitteln.
Die Hypotyposen des Theognost. 81
Gesagtes corrigieren sollte. Allein auch diese Annahme ist sehr
preeär, ja unrichtig: allerdings ist bereits im 1. Buch bei der
Gotteslehre Gott als Schöpfer behandelt und sind die widerlegt
worden, welche ihm eine gleich-ewige Materie zuordnen; von
der Schöpfung selbst war jedoch noch nicht gebandelt. Das
geschieht erst im 7. Buche. Es ist aber die Unterscheidung
der Capitel „Gott als Schöpfer“ und „die geschaffene Welt“
keineswegs auffallend, vielmehr zu allen Zeiten etwas ganz ge-
läufiges; dazu: eine vollständige Dogmatik konnte unmöglich ein
Capitel über „die Welt“ entbehren. Nur das könnte man noch
einwenden, dass das 7. Buch, wenn es kein späterer Nachtrag
wäre, an der 5. Stelle stehen müsse (nach den Engeln und
Dämonen und vor der Menschwerdung).! Allein auch dieser Ein-
wurf ist nicht stichhaltig; denn es entspricht der religionsphilo-
sophischen Conception, dass zuerst alles abgehandelt wird, was
sich auf die Gottheit und die himmlische Welt bezieht. Die für
die Alexandriner charakteristische Spekulation, die selbst die
Menschwerdung vor der Schöpfungswelt zu behandeln vermag,
tritt hier zwar frappierend, aber nicht befremdend hervor. Was
aber endlich die Beobachtung betrifft, dass das 7. Buch frömmer
laute wie die früheren (ad 3), so darf man auch daraus nicht auf
eine veränderte Haltung des Verfassers und deshalb auf eine
spätere Zeit und einen Nachtrag schliessen; denn es ergab sich
ganz von selbst, dass in einem Buche über die Schöpfung und
die Welt die Ketzereien — wie überhaupt, so speziell inbezug
auf den Sohn — zurücktraten, die in der Ausführung über den
Sohn an sich und in seinem Verhältnis zum Vater hervorgetreten
waren.? Dass aber Photius dies ausdrücklich anmerkt, ist wiederum
nicht auffallend; denn er ist hier? und anderswo bestrebt, bei
vorkonstantinischen Vätern, so gut er es vermag, alles zum besten
zu kehren und „Ungenauigkeiten“ in der Lehre, die er anmerken
1) An der zweiten Stelle konnte es nicht stehen; denn dort hätte es
den Zusammenhang „Vater, Sohn und h. Geist“ zerrissen.
2) Man darf annehmen, dass unter dem Titel , Περὶ ϑεοῦ δημιουργίας“
der Sohn und der Geist nicht inbegriffen waren. Schon dieser Umstand
musste seinen Inhalt der späteren Zeit annehmbarer machen als den Inhalt
des 2. (u. 3) Buches.
3) 8. die Bemerkungen zum 2. Buch.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 3. 6
82 Harnack,
muss, zu beschönigen, zu erklären und durch Hervorhebung von
Vorzügen zu verdunkeln.
Das methodisch an sich schon fragwürdige Unternehmen,
aus dem kurzen Bericht des Photius auf eine innere Entwickelung
des Theognost zu schliessen und das einheitliche Werk zu zer-
spalten, ist somit abzulehnen. Auf die kühne Hypothese aber,
ein römisches Lehrschreiben habe die Veränderung des Theognost
bewirkt, dürfen wir uns überhaupt nicht einlassen, da sie völlig
in der Luft schwebt und eben deshalb geradezu peinlich wirkt.
Fragen lässt sich, ob das Werk in den sieben Büchern ab-
geschlossen war. Man vermisst ein Buch „Über den Menschen“,
auch ein Buch „Über die Erlösung“ und ein weiteres „Über die
heilige Schrift“, Allein vom Menschen kann im 7., von der Er-
lösung im 5. und 6. Buch gehandelt worden sein, und notwendig
war ein Buch über die heilige Schrift nicht, wenn ihr auch
Örigenes ein solches in seinem dogmatischen Hauptwerk gewid-
met hat. Da Photius nicht sagt, dass das Werk unvollendet sei,
so liegt es näher, es in den sieben Büchern für abgeschlossen zu
halten; ja man kann sagen, dass eben die Ausführung des Stoffes
in sieben Büchern, von denen nur eines über die Schöpfung
handelt, den Charakter und die Weise der alexandrinischen Reli-
gionsphilosophie besonders deutlich zum Ausdruck bringt.!
Der Titel „Hypotyposen“, den Theognost seinem Werk ge-
geben hat, lässt ein Urteil über die Art der Behandlung so wenig
zu wie das Beiwort „Exeget“ zu Theognost, welches Photius in
der erweiterten Aufschrift des konstantinopolitaner Manuscripts
des Werkes gefunden hat. „Exegeten“ waren alle christlichen
Religionsphilosophen Alexandriens, und das Skizzenhafte, Unvoll-
ständige, welches dem Begriff „Hypotyposen“ anhaftet, braucht
nicht eine skizzenhafte Methode der Darstellung anzudeuten,
sondern kann von dem Verfasser hervorgehoben sein, weil die
(irösse und Würde des Gegenstandes eine andere Zeichnung nicht
1) Worauf Zahn (Forschungen III S. 130) die Annahme gründet, das
7. Buch scheine eine Recapitulation der ganzen Dogmatik gewesen zu sein,
weiss ich nicht. Auch die Meinung Krügers (Gesch. der altchristl. Litt.
15495 δ, 133), das 7. Buch babe von „Gottes Weltregiment‘ gehandelt, ist
nicht richtig; denn dywiovoyi« heisst nicht Weltregiment.
Die Hypotyposen des Theognost. 83
gestattet. Die straffe Einteilung des Stoffes lässt vielmehr ver-
muten, dass derselbe wirklich systematisch behandelt war.
Die Einteilung ist eine besondere Eigentümlichkeit des
Werkes. Sie unterscheidet sich von der des Origenes vollkommen
und ist in ihrer Einfachheit und dem Fortschritt der Ge-
danken vorbildlich geworden.
Inhaltlich muss das Werk wesentlich mit dem des Origenes
übereingestimmt haben. Bei dem 2. und 3. Buch hebt Photius
das auch ausdrücklich hervor. Was er aus dem Werke erwähnt,
ist alles im Sinne des Origenes — die Ablehnung der Gleich-
ewigkeit der Materie, die Betrachtung des Sohnes als χτίσμα,
die Einschränkung desselben auf die „Aoyıxa“, die parallel zur
Lehre vom Sohne entwickelte Lehre vom Geiste, die besonderen
Lehren von den Geistern und Dämonen und ihrer feinen Leiblich-
keit, die Umschriebenheit des (incarnierten) Sohnes, der nur durch
seine Energie allgegenwärtig zu sein vermöge.
Eine besondere Eigentümlichkeit des Werkes ergiebt sich
noch aus der von Photius beim 5. und 6. Buch gebrauchten
Wendung: ἐπιχειρεῖ, ες ἔϑος αὐτῷ, τὴν ἐνανϑρώπησιν τοῦ
υἱοῦ δυνατὴν εἶναι δεικνύναι (τα. auch die Regeste zum 2. Buch:
ἐπιχειρήματα, δὲ ὧν δεῖν φησὶ τὸν πατέρα ἔχειν υἱόν). Hier-
aach haben wir anzunehmen, dass Theognost seinen biblisch-
spekulativen Ausführungen stets eine deduktiv-dialektische Unter-
suchung über die Möglichkeit der betreffenden Thesen voraus-
®eschickt hat. Es könnte das auf aristotelischen Einfluss deuten,
&allein eine andere Annahme, auf die ich schon in meiner
» Dogmengeschichte“ 13 S. 733 not.4 hingedeutet habe, liegt näher.
Mheognost muss nach der Regeste des Photius auf die Wider-
Legung zweier (dreier) Ansichten besonderes Gewicht gelegt haben,
waämlich dass die Materie ewig sei, dass Gott keinen „Sohn“ habe
sand dass die Menschwerdung eine Unmöglichkeit sei. Das sind
@aber die Thesen, welche die neuplatonischen Theologen der
<hristlichen Wissenschaft entgegengehalten haben und in deren
Behauptung im Grunde der ganze Unterschied zwischen Neu-
xplatonismus und kirchlich-alexandrinischer Dogmatik besteht. Es
&st sehr lehrreich zu sehen, dass schon am Ende des 3. Jahr-
‘Ihunderts der so fixierte Gegensatz deutlich hervorgetreten ist,
6*
84 Harnack.
& 2. Die Fragmente.
1. In dem Brief an Serapion lehnt Athanasius seine Dar-
legung über die Sünde wider den h. Geist an Ausführungen des
Origenes und Theognost an. Er sagt dabei, dass sie in συνταγ-
μάτια“ dieser Gelehrten enthalten seien. Es ist nicht leicht, unter
diesen „ovprayuarıa“ etwas anderes zu verstehen als eigene
kleine Abhandlungen über den Gegenstand.! Dafür spricht auch
die Mitteilung des Athanasius, dass er eben jetzt erst auf diese
Schriftehen gestossen sei; die grossen Werke des Origenes und
Theognost kannte er natürlich schon seit längerer Zeit. Origenes
und Theognost gehen auch bei diesem Lehrpunkt zusammen
beide beziehen die Sünde wider den h. Geist auf alle Getauften,
die wieder in das Sündigen zurückfallen, und berufen sich auf
die bekannte Stelle im Hebräerbrief. Aber Athanasius bemerkt,
dass jeder von ihnen doch etwas eigentümliches habe. Theognost
zieht die Lehre von den drei ,.opor«“ herbei?, die auch Photius
in seiner Regeste bei ihm bemerkt μαι. Wer den Horos des
Vaters und des Sohnes, die im Geschaffenen bez. im Logischen
walten, überschreitet, wird geringer gestraft, wer aber den Horos
des h. Geistes verachtet, erhält keine Vergebung. Der h. Geist
waltet in dem Geheiligten. Wer zu diesem Kreise gehört, der
hat nicht nur die natürlichen und moralischen Lehren empfangen,
sondern ist in die vollkommene Erkenntnis eingeweiht, hat An-
teil am h. Geist und alles das empfangen, was nach dem Worte
Christi erst der ἢ. Geist bringen sollte. Wird er rückfällig, so
1) Anders Krüger, a. a. Ο. 8.134: „(An dieser Stelle) eine Abhand-
lung über die Sünde wider den h. Geist zu finden — so Harnack — liegt
kein Grund vor“,
2) Sie stammt auch von Origenes.
3) S. die Bemerkung zum 2. Buch: υἱὸν» ἀποφαίνει τῶν λόγων μόνον
ἐπιστατεῖν.
4) Ob Athanasius die Verse Joh. 16, 12.13 genau in der Fassung, die
ihnen Theogno-t gegeben, citiert hat, ist nicht ganz sicher, da Ath. an
dieser Stelle nur ein Referat mitteilt (doch vgl. wie Theognost im 4. Frag-
ment Koloss. 2, 11 auch sehr eigentümlich citiert bat). Weder das „otnw“
noch das „zwoeir“ ist sonst in v. 12 bezeugt („xwoeiv“ erklärt sich durch
die Einwirkung verwandter Stellen); doch „«orı“ am Schluss des Verses
fehlt auch im Sinaiticus (pr. man.). Im 13. Vers steht „zo Ayıor πνεῦμα“
statt „exeivos, τὸ πνεῖμα τ. ἀληϑείας und statt , ὁδηγήσει“ steht ,,διδώ-
Sei“ — eine lateinische, durch cl und codd. ap. August. bezeugte („docebit‘‘),
Die Hypotyposen des Theognost. 85
ist eine Vergebung nicht mehr möglich. Theognost hat selbst
gefühlt, dass hier der falsche Schluss gezogen werden könnte,
der h. Geist stehe höher als der Sohn; er bemerkt daher wört-
lich: „Wie sich der Heiland mit seiner Rede an die wendet, die
das Vollkommene noch nicht fassen können, zu ihrer Niedrigkeit
herabsteigend, zu den Vollkommenen aber der h. Geist kommt,
und niemand deshalb sagen wird, die Lehre des h. Geistes über-
treffe die Lehre des Sohnes, vielmehr (dabei stehen bleiben wird),
dass der Sohn zu den Unvollkommenen herabsteigt, der Geist
aber das Siegel der Vollkommenen ist — so ist auch die Läste-
rung inbezug auf den Geist nicht um der erhabenen Würde des
Geistes über den Sohn willen unverzeiblich' und unvergebbar,
sondern weil inbezug auf die Unvollkommenen eine Vergebung
noch offen steht, es aber inbezug auf die, welche das himmlische
Geschenk geschmeckt haben und vollendet worden sind, keine
zur Vergebung führende Entschuldigung noch ein Abbitten mehr
giebt.“ Theognost verbietet also, aus der auf die Sünde wider
den h. Geist (und nur auf sie) gesetzten Strafe Schlüsse auf die
höhere Würde des Geistes dem Sohn gegenüber zu ziehen; er
verbietet es lediglich vermittels des Hinweises, dass doch auch
die Lehre des Geistes nicht höher sei, obgleich sie sich an die
Vollkommenen richte, die Lehre des Sohnes aber an die Unvoll-
kommenen. Befriedigend ist diese Beweisführung nicht (sie schiebt
nur den Streitpunkt zurück); denn mindestens der Schein bleibt
bestehen, dass eine Lehre an die Vollkommenen höher sei als
eine Lehre an Unvollkommene und dass darum auch jener Lehrer
diesen übertreffe. Theognost selbst ist, wie Origenes, weit davon
entfernt gewesen, den h. Geist dem Sohne überzuordnen; aber
ibre Conception von den drei Kreisen weist an dieser Stelle eine
Schwäche auf, die die Dogmatiker der Folgezeit mit Recht ver-
anlasst hat, sie abzulehnen. Wohl wurde auch später noch die
Lehre eingeteilt in χατήχησις περὶ πατρός, κατήχ. περὶ υἱοῦ
und κατήχ. περὶ &y. πνεύματος, aber es wurde nicht mehr be-
hauptet, dass der Vater ausschliesslich die φυσικά, der Sohn die
Aoyızd, der Geist die ἡγιασμένα beherrsche.
im Griechischen aber sonst gänzlich unbezeugte LA. Doch findet sich bei
Eusebius und Cyrillus Hieros. διηγήσεται“.
1) Ἄφυκτος ist hier eigentümlich gebraucht: nicht die blasphemia
spiritus ist ἄφυχτος, sondern die poena blaspbemiae.
86 Harnack
2. Aus dem 2. Buch der Hypotyposen hat Athanasius gegen
die Arianer eine Stelle über den Ursprung des Sohnes hervor-
gehoben. Es ist ein ziemlich triviales Stück; denn es enthält
kaum mehr, als was allgemein von den christlichen Theologen
seit der Zeit der Apologeten über dieses Problem gesagt worden
ist.! Indessen ist zu beachten — und das giebt der Ausführung,
eine gewisse Bedeutung —, dass Theognost nicht von dem Sohne,
sondern von der Usie des Sohnes spricht. Augenscheinlich hat
er dem Sohne eine besondere Usie beigelegt. In diesem Zu—
sammenhang ist das Bild vom Wasser und vom Dampf charak—
teristisch: denn Wasser und Dampf haben in der That für den
Augenschein (und der erschöpft hier das gewählte Bild) eine
ganz verschiedene Usie, obgleich diese aus jener stammt. Umsm
beides aber ist es dem Theognost zu thun gewesen: sowohl die==
volle Unterscheidung des Wesens des Sohnes von dem des Vaterss
zum Ausdruck zu bringen, 8418 auch den Ursprung des ersterem
aus dem letzteren. Dazu kommt aber noch das Interesse, welches
am Schluss stark hervorgehoben ist, den Vater keine Veränderung
noch eine Abschwächung oder Teilung erleiden zu lassen. In
diesem Zusammenhang nennt er den Sohn „das Bild“ des Vaters,
ein Ausdruck, der bekanntlich bei Origenes (mit dem Zusatz
„unveränderlich“) eine grosse Rolle spielt. Eine tiefere Erkennt-
nis der tbeognostischen Lehre vom Sohne ermöglicht das Stück
leider nicht. Der Hinweis, den Photius gegeben hat, dass Theo-
gnost den Sohn ein ,χτίσμα“ nennt und ihn lediglich mit den
Logica als Herrscher in Beziehung gesetzt habe, ist wichtiger
als dieses ganze Fragment.
3. Gewiss haben auch die Kappadocier Theognost gekannt,
aber nur Gregor von Nyssa hat ihn citiert, und auch er nur
einmal. Das Citat, welches nach dem Stichwort ὡδημιουργέα“
dem 7. Buch angehört zu haben scheint, umfasst nur sechzehn
Worte. Doch ist über sie hinaus die Zusammenstellung Theo-
gnosts mit Eunomius lehrreich; sie beweist an sich, dass seine
Lehre vom Sohn der des Arius verwandter gewesen sein muss,
als man nach der freundlichen Erwähnung bei Athanasius (sowie
nach dem 4. Fragment, 5. unten) vermutet. Tbheognost bekundet
1) Bemerkenswert ist die ausdrückliche Ablehnung ,οὐδὲ &x μὴ ὄντων“
und die Constatierung „Ex τῆς τοῦ πατρὸς οὐσίας“.
Die Hypotyposen des Theognost. 87
sich aufs neue als der Schüler des Origenes: Arianer und Ortho-
doxe vermochten sich auf ihn zu berufen. Die uns bei Gregor
aufbehaltenen Worte („Als Gott dieses All bereiten wollte, bat
er zuerst den Sohn als eine Art von Richtschnur für die Schöpfung
zu Grunde gelegt“) beweisen nicht, dass er die Lehre von der
Ewigkeit der Welt und der ewigen Zeugung des Sohnes, wie sie
Origenes vorgetragen, verworfen hat. Denn es handelt sich in
den Worten des Theognost nicht um das Geschaffene überhaupt,
sondern um unsere Welt („zöde τὸ πᾶν“); auch sagt Theognost
nicht, dass der Sohn damals erst, als unsere Welt geschaffen
werden sollte, entstanden ist, sondern dass er „olov χανών τις
τῆς δημιουργίας“ ihr zu Grunde gelegt worden ist. Dieser alt-
apologetische Gedanke setzt freilich Sohn und Welt in eine
Beziehung, die bei der Orthodoxie des 4. Jahrhunderts so nicht
mehr anerkannt wurde; aber Theognost hat die Meinung der
Apologeten, der Sohn sei erst zum Zweck der Verwirklichung
dieser Welt aus Gott hervorgegangen, gewiss nicht geteilt.
4. Das uns von Diekamp geschenkte Fragment ist lehr-
reicher und wichtiger als die, welche wir bisher besassen, Es
stammt — so ist nach dem Inhalt zu schliessen — aus dem
2. Buch und hat sich wohl deshalb erhalten, weil es die ortho-
doxeste Ausführung enthält, die in dem ganzen Werk zu finden
"war. Eben deshalb darf es nicht als typisch angesehen werden.
Diekamp hat das Fragment mit einem gelehrten und auf-
®lärenden Commentar begleitet; da ich aber über einige nicht
"unwichtige Punkte anders urteile, so gebe ich eine kurze Er-
Mäuterung, in welcher ich auf die von meinem Vorgänger er-
Wedigten Punkte nicht näher eingehen werde.
Mit den Worten: „Aöyov καὶ σοφίαν τὸν υἱὸν ὀνομάζου-
πριν αἱ γραφαί“ beginnt das Fragment. „Der Sohn“ ist also —
swrie auch nach der Regeste des Photius (Buch II) zu erwarten
war — die eigentliche Bezeichnung für das zweite Wesen neben
Gott; „Logos“ und „Sophia“ sind nur Namen. Diese verhäng-
=misvolle, hauptsächlich durch Origenes herbeigeführte Wendung
in der altkirchlichen Theologie (bei den Apologeten ist der Logos
<iie Wesensbezeichnung) ist nur scheinbar eine Rückkehr zu einer
ilteren Stufe; denn der ursprünglich für das Verhältnis des ge-
sschichtlichen Erlösers zu Gott geltende Sohnesbegriff ist auf ein
"Vorzeitliches Verhältnis übertragen. Die Eliminierung des Logos-
88 Harnack.
begrifies als Wesensbezeichnung hat freilich erst ermöglicht,
dass die nicänisch-athanasianische Christologie überhaupt auf-
kommen konnte und mit ihr die volle Neutralisierung der alten
Logoslehre; aber dieser Gewinn war teuer genug erkauft, sofern
durch die Schöpfung der Vorstellung des ewigen Sohnes Gottes
das ganze Problem nun in die sublimste Metaphysik gerückt war.
Theognost rechtfertigt nun die Bezeichnung „A0yog“ und
„0ogie“ für den Sohn. Es ist lehrreich, dass er die Nötigung
dazu empfunden hat: so stark stand der Sohnesbegriff im Vorder-
grunde. Dass die beiden Bezeichnungen gleichwertig behandelt
werden, war in jener Zeit ganz geläufig; auch der Antipode
Theognosts, Paul von Samosata, thut das. Die Rechtfertigung
für den Namen „Aoyog‘‘ wird doppelt gegeben: der Logos ist
die vornehmste Hervorbringung des Nus, und der Logos ist die
einzige Darstellung des Nus nach aussen und deshalb das Bild
Gottes. Aus dem ersten Satze folgt, wie Diekamp richtig ge-
sehen hat, dass Theognost Πατήρ = ΔΛιοῦς gesetzt hat!; er hat
also die beiden anderen Möglichkeiten (Νοῦς = Aoyos oder
Horyo, Νοῦς. .ioyog drei verschiedene Grössen) abgelehnt,
während die Mehrzahl der alten Apologeten den Nus und den
Logos identificiert hatten, im Neuplatonismus aber das letzte Prinzip
vom Nus unterschieden wurde.
Dass der Logos die vornehmste Hervorbringung des Nus sei,
bedurfte keiner weiteren Erörterung; wohl aber war eine kurze
Ausführung darüber nötig, dass der Logos die einzige Darstellung
des Nus nach aussen ist; denn es sollte durch sie der Begriff
des Logos in den des Bildes übergeführt werden („der Logos
ist auch Abbild“). Augenscheinlich war dem Theognost die
Bezeichnung des Sohnes als des Bildes Gottes dogmatisch
wichtiger als die des Logos. Das ist wiederum ganz im Sinne
des Origenes; auch begegnete uns schon am Schlusse des 2. Frag-
ments die Bezeichnung des Bildes für den Sohn bei Theognost.
Warum erschien aber dem ÖOrigenes und seiner Schule die
Bezeichnung des Bildes für den Sohn dogmatisch wertvoller
als die des Logos? Aus zwei Gründen: erstlich weil die Be-
zeichnung „Bild“ das Missverständnis, dass Gott eine Veränderung,
1) Der sicherste Beweis dafür ist, dass Th. einige Zeilen später den
Menschen und den Nus des Menschen identificiert hat.
Die Iypotyposen des Theognost. ng
Abschwächung, Zerteilung erleide, nicht oder nieht leicht anf-
kommen liess,! während die Bezeichnung „Logos" stets zu einer
solchen Annahme verführen musste; zweitens weil die Bezeich-
nung „Bild“ (Abbild) am sichersten den Inhalt und Ursprung
ausdrückte, die man dem Sohne vindicierte.
Das Abbild stellt das Urbild nach aussen dar. Insofern fällt,
meint Theognost, Logos und Bild zusammen. Aber während sich
bei uns Menschen der Nus und der Logos nicht decken, weil
wir nicht imstande sind, durch unseren Logos den ganzen Inhalt
unseres Nus zur Darstellung zu bringen, deckt sich der göttliche
Logos mit dem göttlichen Nus und bringt ihn zur vollkommenen
Äusserung.? Bewiesen wird das freilich nicht, sondern nur be-
lhauptet; es müsste denn sein, dass der an dieser Stelle gewählte
Ausdruck ,ὁ οὐσιώδης τοῦ ϑεοῦ λόγος“ für den Beweis ein-
treten sollte. Οὐσιώδης wird der Logos genannt, weil er eine
Usie hat und ist (8. den Anfang des 2. Fragments) im Gegensatz
zu solchen Logoi, die nur Schall und Rede sind.
In einer kurzen Bemerkung wird nach dieser Ausführung
wber den Namen „Logos“ der Name „Sophia“ gerechtfertigt:
der Sohn umfasst die Fülle der Theoreme, darum ist „Sopbia“
die zweckentsprechende Bezeichnung.’
Wie sein Lehrer Origenes ist Theognost streng biblischer
Theologe: es gilt die Namen, welche die Schrift dem Sohne
giebt, festzustellen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Neben
den Namen Logos, Bild, Weisheit findet sich aber in der Schrift
die Aussage inbezug auf den Sohn, dass in ihm die Fülle der
ganzen Gottheit wohne.? Natürlich wird dieses Wort ohne weiteres
von Theognost auf den präexistenten Sohn bezogen. Sofort aber
sucht er es als Missverständnis abzuweisen, dass der Sohn und
1) Man vgl. den Schluss des 2. Fragments: „die Usie des Vaters er-
leidet (durch das Hervorgehen des Sohnes) keine Veränderung, indem sie
js den Sohn als ihr Abbild hat“.
2) Diesen Schluss muss man ergänzen; das Ms. ist an dieser Stelle
lückenbhaft.
3) Vgl. dazu die Stelle aus Origenes in der Apol. Pamphili bei Routh,
Rolig. Sacrae IV? p. 354.
4) Das Citat Koloss. 2, 9 ist bei Theognost ebenso eigentümlich wieder-
gegeben wie das Citat Joh. 16, 12. 13 in Fragment I. Er schreibt „olxen“
(alle Zeugen χατοικεῖν) und „to πλήρωμα τῆς ϑεότητος πάσης" (alle Zeugen
πᾶν τὸ πλήρωμα τ. ϑεότητος..
90 Harnack.
die in ihm wohnende Gottheit als zwei Elemente unterschieden
werden, vielmehr ist das Wesen des Sohnes als solches mit der
Gottheit ganz erfüllt.! Dieses Erfülltsein mit der Gottheit bringt
Theognost auf die Formel, der Sohn habe „77» ὁμοιότητα τοῦ
πατρὸς κατὰ τὴν οὐσίαν“. Es ist wichtig, dass uns diese nach-
mals so viel umstrittene Formel schon hier begegnet; aber auf-
fallend ist es nicht. Sie ist echt origenistisch und wohl auch
schon von Örigenes geprägt worden.
Dagegen ist, wie Diekamp gesehen hat, ein anderes auf-
fallend, nämlich der Nachdruck, den Theognost darauf legt, dass
der Sohn „ouororng“ mit dem Vater auch „xara τὸν ἀριϑμόν“
besitze und dass man daher bekennen müsse: „eis λόγος καὶ μία
σοφία“: «(ἄλλης γὰρ οὐχ ἐδεῖτο ὁ πατήρ, οὐδὲ ἄλλο τε ἐχμα-
γεῖον αὐτῷ ἔσεσϑαι τῆς οὐσίας ἔμελλεν ὥσπερ ἐνδεῶς ἔχοντος
τοῦ πρώτου. οὕτω γὰρ ἔμελλε πλήρη τὴν ὁμοιότητα ἔχειν, εἰ
μηδὲ τοῦ ἀριϑμοῦ ἀπολείποιτο. εἷς δὲ ὧν καὶ τὴν τοῦ ἑνὸς
ὁμοιότητα σώζων ἀχριβῆ κτλ. Im 4. Jahrhundert ist die Pole-
mik gegen zwei Logoi den Arianern gegenüber etwas ganz ge
läufiges, aber für das 3. Jahrhundert kannten wir sie bisher nur
an versteckten Stellen. Dem Origenes ist vorgeworfen worden,
dass er zwei „Christus“ lehre,? und Paul von Samosata nabm
neben Christus, dem er auch den Namen „Logos“ gab, noch
einen ewigen und unpersönlichen Logos an. In dieser Annahme
folgte ihm Lucian: der zweite Logos (Christus) war ihm ein un-
vollkommenes Bild des Vaters, weil er der Veränderung unter-
liegt und seine Vollendung durch ein Fortschreiten erreichen
muss. Diekamp glaubt nun annehmen zu dürfen, dass Theo-
gnosts starke Betonung der Einheit des Sohnes sich gegen Lucian
richte; er erinnert sich dabei, dass der alexandrinische Dionysius
an den römischen einen Brief über einen Lucian geschrieben hat
(Euseb., h. e. VII, 9, 6) — der Brief muss zwischen 259 und 263;4
geschrieben sein — und indem er diesen Lucian mit dem berühmten
1) Der Text ist auch hier verdorben; über den Sinn kann jedoch kein
Zweifel sein. Diekamps Ergänzung giebt ihn τὰ. E. nicht ganz richtig
wieder; doch ist es wohl möglich, dass eine grössere Lücke anzunehmen
ist, in der bereits der Ausdruck „za® ὁμοιότητα τοῦ πατρός“ gestanden hat.
2) Vgl: uuch bereits im ersten Teil des Fragments den Satz: μόνος
οὗτος τῶν ἐν τῷ νῷ τιγχανόντων νοημάτων τὴν ἔξω φορὰν ἐγχειρίζεται.
3) S. Apol. Pamphili bei Routh a. ἃ. Ὁ. p. 367. 371.
Die Hypotyposen des Theognost. 9
identificiert, schliesst er, dass der berühmte schon um das J. 260
bekannt war. Unmöglich ist diese Annahme nicht, aber uner-
weislich. Indessen, mag der Lucian des Dionysius der Antiochener
sein (obgleich man ihn zunächst in Rom oder Alexandrien suchen
wird), so ist es doch sehr kühn, die Ausführungen Theognosts
als gegen ihn gemünzt zu bezeichnen. Die complicierte Christo-
logie des Origenes legte das Missverständnis, wenn es ein solches
war, dass es zwei Logoi gebe, nahe; man bedarf daher nicht der
Annahme, dass Theognost gegen den antiochenischen Theologen
geschrieben hat. Von hier aus erledigen sich dann alle die
weiteren geschichtlichen Spekulationen, die Diekamp an diese
Hypothese geknüpft hat und die wir zum Teil schon oben (δ. 79 ff.)
beseitigt haben.
Aus der vollkommenen ὁμοιότης des Sohnes mit dem Vater
schliesst Theognost endlich auf die Unveränderlichkeit desselben.
Auch hier zeigt er dasselbe Interesse wie Origenes; benutzt dieser
mit Vorliebe die Bezeichnung „unveränderliches Ebenbild“, so
schreibt Theognost „avariolotos ἂν εἴη ἀναλλοιώτου πατρὸς
μίμημα ὦν“. Hier unterscheidet er sich mithin aufs bestimmteste
von dem Arianismus, der auf die „Veränderlichkeit“ des Sohnes
den grössten Nachdruck legte. Da die Zahl der Stellen sehr
gering ist, in welchen in der vornicänischen Zeit die Unveränder-
lichkeit des Sohnes betont wird, so ist unsere Stelle nicht wertlos.
Schliesslich geht Theognost noch auf die beiden Bezeich-
nungen des Sohnes ein, welche der Hebräerbrief! und die Weis-
heit Salomos bieten, nämlich „Abstrahlung der Herrlichkeit
Gottes“ und „Fleckenloser Spiegel“. Er hält sich aber nicht
lange bei ihnen auf, weil er sie als Ausgestaltungen des Begriffes
des „Abbildes“ deutet, das er schon behandelt hatte. —
Aus den Testimonien für Theognost lässt sich nichts lernen;
sie sind so spärlich, weil Eusebius über ihn geschwiegen hat.
Das Zeugnis des Philippus Sidetes beruht auf einer confusen oder
später verwirrten Liste der Vorsteher der Katechetenschule —
Schriften des Theognost hat er nicht gesehen. Auch Stephanus
Gobarus hat keine gesehen; seine Kenntnis verdankt er der
Lektüre des Athanasius; er erklärt es für ein Skandalon, dass
Athanasius den Ketzer gelobt hat. Merkwürdig ist, dass ein so
1) Er ist auch im 1. Fragment citiert.
92 Harnack.
später Schriftsteller wie Georgius Coreyr. den Theognost über-
haupt noch genannt hat. Er wollte mit vielen Namen prunken:
seine Quellen waren wahrscheinlich auch nur die beiden Frag-
mente, die Athanasius überliefert hat.
Der Wert des neuen Fragments liegt darin, dass wir in
Theognost nun einen Origenesschüler striktester Observanz =
kennen, gelernt haben. Man konnte das freilich schon ahnen,
sobald man die Regeste des Photius mit den Fragmenten bei ı#:i
Athanasius zusammenhielt; aber nun liegt uns die Thatsache ur- ——.
kundlich vor. Stünde über dem neuen Stück der Name des Ori- — a-
genes, so würde sich niemand wundern. Ist aber in Theognost, „ -#t
also zwischen 250 und 280, Origenes in Alexandrien noch oderar =ı
wieder so korrekt repräsentiert gewesen, so versteht man die=» rn
starke Reaktion, die um das J. 300 dort eintrat. In formellemur =e!
Hinsicht war das Werk des Theognost dem dogmatischen Haupt-# οἱ
werk des Origenes überlegen, und durch die stärker ausgesprochene= ac
Polemik gegen die Thesen des Neuplatonismus muss es besonder=— r:
zeitgemäss erschienen sein. Aber diese Vorzüge schützten e= mes
nicht vor dem Untergang, sobald die Ära der dogmatischen Stich— c#-
worte hereinbrach.
II.
Der gefälschte Brief des Bischofs Theonas
an den Oberkammerherrn Lucian.
Im J. 1675 veröffentlichte d’Achery (1609—1685) im Spici-
zium (Bd. 12 p. 545, Neue Ausgabe 1723 Bd. 3 p. 297) einen
jef des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. Er
merkte. dass er eine Abschrift des bisher völlig unbekannten
'hreibens von dem Oratorianer Paschasius Quesnel (1634—
19, Jansenist, musste 1675 in die Niederlande fliehen) erhalten
be. Das Schriftstück selbst bezeichnete er als „interpretatio
tina vetus“, setzte also ein griechisches Original voraus. Ausser-
m gab er an, dass am Rande der Abschrift inbezug auf den
eht genannten Kaiser das Wort „Aurelian“ stehe. Weiteres
t er nicht hinzugefügt, sich auch um das Original der Abschrift
‚d den Ursprung des Briefes nicht bemüht, sondern ihn als
versetzung einer echten Urkunde abgedruckt.
Der Brief wurde mit Freude begrüsst und hat mehr als
reihundert Jahre lang als eine vorzügliche (Juelle für die alte
rchengeschichte gegolten; er ist auch von den Kirchenhisto-
tern viel benutzt worden. Freilich darüber, welcher Kaiser
meint sei und ob man unter dem Bischof Theonas den Bischof
n Alexandrien dieses Namens (281/2—300, 5. meine Chrono-
gie S. 205) zu verstehen habe, konnte ein vollkommenes Ein-
rnehmen nicht hergestellt werden. Dass an Aurelian nicht
dacht werden dürfe, darüber wurde man ziemlich einig; Con-
antius Chlorus’ Name wurde schnell fallen gelassen, weitaus
e meisten entschieden sich für Diocletian und trugen, nament-
ἢ nachdem Tillemont gesprochen hatte, kein Bedenken, den
rief dem alexandrinischen Bischof Theonas beizulegen. So steht
auch heute noch.
94 Harnack.
Unter denen, die sich eingehender mit dem Brief beschäftigt
haben, seien Tillemont (Mem. T. IV p. 771, V p. 7), Gallandi
(Biblioth. Vet. Patr. T. IV p. VIID, De la Barre (in der neuen
Ausgabe des Spicilegiums d’Achery’s), Routh (Relig. Sacr.? 1.
IH p. 439 ff.), Cave (Hist. Lit. Vol. 1 p. 172), die Bollandisten
(Acta SS. 23. Aug), sodann Neander, Duruy, Mason (The
persec. of Dioclet. 1876, hier eine englische Übersetzung) genanıt.
Da erschien im J. 1886 eine Abhandlung von Batiffol
„L’epitre de Theonas ἃ Lucien“ (Extrait du Bulletin critique T-
VII p. 155—160), welche die ganze Urkunde zerstörte. „Der
Brief ist das elegante Exercitium eines modernen Humanisten“ ;
auch über seine Provenienz lässt sich eine begründete Mutmassum Ὁ
aufstellen: er ist wohl eine weitere Fälschung jenes Priesters d*
Oratoriums Hieronymus Vignier (1606-1661), den Havet 38
glänzenden Untersuchungen als Fälscher von 9 Aktenstücken es
larvt hat, die bisher als die Zierden des Spicilegiums d’Acheryas#!
galten (Havet, „Les decouvertes de Jeröme Vignier“ in der ΒΞ,
de l’Ecole des Chartes, T. 46 [1885] p. 205—271 --α Oeuvres σρ
J. Havet 1 [1896] p. 19—90).
Die kritischen Bedenken Batiffols habe ich in der The
Lit.-Ztg. 1886 Col. 319—326 nachgeprüft: ich fand sie nicht αἱ" J
gleich schlagend, einzelne auch wenig beweisend; aber ich schloss *
meine Revision mit den Worten: „Batiffol hat jedenfalls in seine
kurzen Abhandlung die Echtheit des Briefes so stark erschütter>#
dass man gespannt darauf sein darf, ob sich noch ein Rettew=
finden wird. Man muss indes zugeben, dass die Acten ποὺ“
nicht geschlossen sind... Wenn aber die Unechtheit über jede=-
Zweifel sicher gestellt ist, dann erhebt sich die Frage, auf welche 2
(Quellen das Schriftstück fusst und wie es zur Fälschung eines
solchen Schriftstückes gekommen ist.“ Ich fügte dazu noch
folgende Bemerkung: „Ich will eine Vermutung nicht unter-
drücken: Diese frommen und klugen Christen am Hofe des
Princeps, dieser ebenso fromme, wie klassisch gebildete und
bildungseifrige Bischof Theonas, diese Ratschläge, den Prir-
ceps für die christliche Sache und für gute klassische Lectäre
zugleich zu gewinnen, diese genauen Anweisungen, Serenissimum
nicht zu verstimmen, sondern bei heiterer Laune zu erhalten,
diese Mahnungen zur täglichen, privaten Lectüre der h. Schrift
und zur Contemplation, diese besondere Hervorhebung des Paulus —
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 95
darf man hier nicht an den Hof Ludwigs XIV. und an die
Jansenisten denken und führt nicht die Provenienz des Briefes
auf diese Spur?“
In den folgenden Jahren, in denen ich mich immer wieder
mit dem Briefe beschäftigt habe, schwand auch der letzte Rest
von Zweifel an der Fälschung. Ich gab dem in der Tbeol. Lit.-
Ztg. 1895 Col. 107 Ausdruck, nachdem ich schon in meiner
Altchristl. Litt.-Gesch. Bd. 1 (1893) S. 790 den Brief unter die
Spnria gestellt hatte. Ähnlich urteilen — um nur diese zu
‚nennen — Bardenhewer (Patrologie? 1901 S.139: „es kann
kaum noch einem Zweifel unterliegen, dass der Brief eine späte
Fälschung ist, vielleicht aus der Feder des Oratorianers H. Vignier“)
und Wendland (Aristeae ad Philocratem epistula, 1900, p. 165:
„a recentissimo falsario profecta“).
Allein andere erklärten sich nicht für überzeugt. Nicht nur
Zahn fuhr fort, den Brief als echt zu citieren, sondern auch
Krüger (Gesch. der altchristl. Litt, 1895 5. 139) äusserte sich
so: „Die inneren Gründe für die Verdächtigung Batiffols lassen
sich teils zurückweisen (z. B. Fehler in den Titulaturen), teils
(Latinität, Bibelcitate) erledigen sie sich bei der Annahme, dass
man es nicht mit einer alten, sondern mit der Übersetzung eines
. humanistischen Gelehrten zu thun hat. Der Mangel jeder Über-
lieferung ist nicht beispiellos (vgl. Diognet). Sehr gravierend ist
die Behauptung Havets, dass Vignier auch andere (9) Akten-
stücke des Spicilegiums gefälscht habe; doch ist noch nicht unter-
sucht, ob sie über allen Zweifel erhaben ist.“
Bei dieser Sachlage wird es nicht überflüssig sein, den Brief
noch einmal einer genauen Prüfung zu unterziehen, um das Ge-
spenst, das noch immer umgeht, ins Grab zu bannen. Batiffol,
dem das Verdienst bleibt, es als Gespenst erwiesen zu haben,
hat in seiner inhaltreichen, aber zu kurzen Abhandlung zwar
vieles erwogen, aber den Beweis nicht genügend straff und voll-
ständig geführt. Die Bemerkungen, die ich in der Theol. Litt.-
Ztg. a. a. Ο. vor 17 Jahren gemacht habe, genügen mir auch
nicht mehr. Vor allem fehlt noch eine genaue Erwägung des
einzelnen: sie wird die stärksten Argumente gegen die Echtheit
liefern.
96 Harnack.
Epistola Theonae episcopi
ad Lucianum cubiculariorum praepositum.
Theonas episcopus Luciano praeposito
eubiculariorum invictissimi principis nostri.
5 1. Gratias ago omnipotenti deo et domino nostro Jesu
Christo, qui fidem suam per universum orbem in salutis nostrae
unicum remedium ımanifestare ac etiam in tyrannorum persecu-
tionibus ampliare non destitit; immo persecutionum procellis velut
aurum in fornace expurgatum enituit, et eius veritas ac
10 celsitudo magis semper ac magis splenduit, ut iam pace per
bonum principem ecclesiis concessa Christianorum opera etiam
coram infidelibus luceant, et glorificetur inde pater-
vester qui in caelis est deus, quod velut praecipuum a nobi=
pro salute nostra, si Christiani re potius quam verbis esse
15 cupimus, quaerendum atque exoptandum est. nam si gloriamma
nostram quaerimus, rem variıam caducamque appetimus el
quae nos ipsos ad mortem perducit, at gloria patris et fili, qu_—
pro salute nostra cruci affıxus fuit, nos salvos facit in redem-
ptionem aeternam, quae maxima Christianorum est exspectatiomm
20 Non ergo, mi Luciane, te iactari aut puto aut volo, quoc=
multi ex palatio principis per te ad agnitionem veritatiss
pervenerunt, sed magis gratias deo nostro referre decek
qui te bonum instrumentum in rem bonam confecit teque apud
3f. Praeposito cubiculariorum] 8. die Untersuchung. — 6 Die Formel
„fdem suam in sal. n. unic. remed.“ ist um das 7. 300 und im Orient ganz
ungewöhnlich; zu „fides sua“, das auch befremdet, s. am Schluss des
Capitels „fides illius“. — % tyranni) nach kusebius und Lactantius. —
0 aurum etc.) S. IPet.1,7. — 10f. pace ... concessa] Man kann hier
nur an Konstantin denken, zumal da die Verfolgungen der Tyrannen als
verflossen bezeichnet sind. — 11 ff. 8. Matth. δ, 16. — 14 Vgl. I Joh. 3, 18. —
15f. Vgl. Joh. 8,50 (7, 18). — 18f. Zum drittenmal braucht der Verfasser
das Wort „salus“; die Wendung „salvos facit in redempt. set.“ ist ὁ
ungewöhnlich; die Wendung „gloria patr. et fil. nos salv. facit“ ist eine
abendländische P’hrase, der ganze Satz völlig ungriechisch; zu „redempt.
aet.“ s. Hebr. 9,12. — 20 „iactitare“ ist vermutet worden. — 21f. I Tim. 2,4
(ll Tim. 3, 7). — 22 „deo nostro“ ist zwar biblisch, aber im griechischen
Sprachgebrauch ungewöhnlich.
Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 97
Ὁ sublimavit, ut Christiani nominis odorem in suam
et multorum salutem diffunderes. nam quanto magis
ipse'nondum christianae religioni adseriptus ipsis Chri-
elut fidelioribus vitam et corpus suum curandum credidit,
cet vos sollicitiores ac in illis salutem et curam diligen- 5
se et prospectiores, ut per id plurimum Christinomen
etur et illius fides per vos, qui principem fovetis,
e augesatur; nam quia nos maleficos olim et omnibus
refertos nonnulli priores principes putaverunt, sed iam
s vestra bona opera non possint nisi ipsum Chri- 10
lorificare.
[taque summa ope vobis adnitendum est, ne vos aliquid
ıt inhonestum, ne flagitiosum nominem, sentiatis, ne
nomen per vos ipsos blasphemetur. absit a vobis,
m alicui ad prineipem pretio vendatis, ut inhonesta aut 15
aut pretio victi aliquo pacto prineipi suggeratis. omnis
se ardor a vobis abscedat, quae idololatriam potius
ıristi religionem operatur. nullum turpe lucrum Christiano,
ıplieitas convenire potest, qui Christum simplicem et
ımplectitur. nulla scurrilitas aut turpiloquium inter 20
‚atur; omnia cum modestia, comitate, affabilitate et iusti-
antur, ut in omnibus nomen dei et domini nostri
bristi glorificetur.
οἷα vestra, ad quae singuli constituti estis, omni cum
dorem} Vgl. Eph. 5,2 (II Cor. 2, 14. 16). — „suam“ ist ein Schnitzer;
daher „diiunderet“ vermutet, was aber nicht zu billigen ist. —
tantin scheint gemeint zu sein, aber Euseb. h. c. VIII,1 ist benutzt,
Ὁ Stelle bezieht sich auf Diokletian. — ΘΓ, nomen glorif‘] Vgl.
7 ilius des] Ungewöhnlich, zumal da dem Verfasser II Thess. 1,3
iche Stellen vorschweben. — 8 quia) Unmöglich, auch bleibt das
„possint“ dunkel. — 10. Vgl. Matth. 5, 16. — 10 possint] Auf-
— 12 vos) Ungewöhnlich. — 14 Christi nomen etc.] 8. Rüm. 2,24,
7 etc. — 16 precibus aut pretio] Wortspiel. — 17 idolol.] Vgl.
5. — 18 Christi religionem] Ganz ungewöhnlicher Ausdruck, s.
— 19f. Cbristum simplicem et nudum amplecti] Eine abendlän-
etistinche Phrase, die dem alten griechischen Christen an sich und
audus“ willen anstössig sein musste. — 20 scurrilitas] 8. Eph.d,4. —
Hitate] die Sache und das Wort ganz ungewöhnlich; es findet sich
hluss des Capitels noch einmal; französisch! — 22 ut in omni-
INT.
u. Untersuchungen. N. F. IX, 3. 7
ot
10
98 Harnack. ᾿ \
timore dei et amore prineipis atque exacta diligentia exequamini.
mandatum prineipis, qucd deum non offendit, ab ipso deo pro-
cessisse putetis, amore pariter ac timore atque omni cum iocun-
ditate perfieite; nihil est enim quod hominem magnis agitationi-
bus fatigatum ita recreet sicut intimi servitoris conveniens iocun-
ditas et benigna patientia, nec ulla iterum res e contrario illum pP
perturbatione ita afficit et contristat sicut tristitia impatientiagquue —,
et ipsius servitoris submurmuratio. absint haec a vobis Christ ___
anis, qui zelo fidei inceditis, sed ut in vobis ipsis honorfi- — ,.
cetur deus, omnia vitia mentis et corporis supprimite et calcate. _—.
induimini patientia et affabilitate, virtutibus et spe Christie —g-+;
repleamini. omnia propter ipsum creatorem vestrum sufferte. =...
omnia patimini, omnia vincite et supplantate, ut Christum do- «-ς-Ὁ-
minum acquiratis. magna sunt haec et laboribus plena, sea= ed
qui in agone contendit, ab omnibus se abstinet, etillM ıli
quidem, ut corruptibilem coronam accipiant, no os
autem incorruptam.
3. Sed quia, ut sentio, diversis ofhiciis estis adscripti, ὦ» et
omnium tu, Luciane, praepositus diceris, quos omnes gratia Chris ansti
tibi concessa potens es et regulare et instruere, certus sum, ΠΏ» 4208
tibi displicebit me etiam de officiis illis aliqua particulatim οὗ
summarie tibi referre, quae sensero. nam aliquem ex vobis 5653» ᾿Ξβετ'
vare privatas principis pecunias audio, alium vestes et ornamenser —ntt
imperialia, alium vasa pretiosa, alium libros, quem non hu: ὅτ ΧΦ sun
5 adhuc ex credentibus intelligo, alium aliam supellectilem. qua gyus
sane quemadmodum tractanda mihi videantur, paucis indicaW see :ab-
1 Die Zusammenstellung „timor dei et amor prineipis“ ist unerhö5 «hört
ähnlich aber c. 8 fin. — 2 mandatum .... putetis.] Früher als zur & Zei
Constantins konnte so nicht geschrieben werden, aber so ist selbst damen smals
nicht geschrieben worden; französischh Ludwig XIV. — 3f. omni > cum
iocunditate] Sehr ungewöhnlich, dazu beachte man das folgende! — 41. E Der
freudige Sinn wird nicht aus der christlichen Gesinnung, sondern um _ des
Herrschers willen verlangt. — 5 βουνοῦ) Ganz ungewöhnlich, wenn 8. «ἀϑεξϑβυοὴ
nicht unerhört: serviteur! — 8 submurmuratio] Sonst nicht belegt —— —
10 vitia corporis] Etikettenfehler! — 11 Coloss. 3,12 liegt zu Grunde, ee==ber
die grosse Mahnung des Apostels ist zu einer Mahnung, ein vollkomme=——ner
Höfling zu sein, herabgesetzt. — virtut. et spes Christi] eine halb gedanken.
lose Phrase! — 12 propter creat. vestr.] Ganz ungewöhnliche Phr&»2e:
votre cereateur. — 137, Vgl. Philipp. 3,8. — 15f. ICor.9,25, abe in
welcher Anwendung! — 18 ut sentio! Ungewöhnlich. — 22 quae sen >=]
Ungewöhnlich. — 24 quem ... hunc!! ist der Text etwa verdorben? nu = -:
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oherkammerherrn Lucian. 99
4. Qui privatas prineipis pecunias detinet, omnia sub certo
calculo conservet: paratus sit semper omnium certam reddere
rationem; omnia scribat, etiam, si possibile est antequam alteri
pecunias porrigat; nunquam memoriae confidat, quae ad diverss
quotidie distracta facile labitur, ita ut sine seriptura etiam quae 5
nullo pacto fuerunt ex corde nonnunquam affirmemus; nec vul-
garis sit huiuscemodi scriptura, sed quae facile et clare omnia
pandat et mentem requirentis sine scrupulo aut dubitatione relin-
quat, quod facile fiet, si distinete quae reeipiuntur, et per se
scribantur, et quo tempore, et per quem recepta fuerint, et quo 10
in loco; similiter et quod aliis erogatur vel principis mandato
impenditur, per se suo ordine digeratur; fidelis sit ille servus et
prudens, ut gaudeat dominus eum super bona sua con-
stituisse, et Christum in illo glorificet.
5. Nec minor erit illi diligentia et cura, qui vestes et impe- 15
rialia detinet ornamenta, quae omnia sub certissimo indice habeat
et adnotet quae illa sint, qualia, quibus in locis recondita, quando
ea acceperit et a quibus, an maculata sint vel sine macula, illa
omnia sua diligentia conservet, saepe revideat, saepe pertractet,
ut facilius recognoscantur; omnia illi sint in promptu, omnia 20
parata; petentis semper prineipis aut praepositi sui mentem in
omni re petita clarissimam reddat, ita tamen ut omnia cum
humilitate et iocunda patientia fiant et Christi nomen etiam
in re parva laudetar.
6. Simili modo ille agat, cuius fidei credita sunt vasa argen- 25
tea, aurea, chrystallina vel murrhina, escaria vel potoria; omnia
disponat, omnia notet, et quot qualesve sint in illis lapides pre-
tiosi, sua diligentia connumeret; omnia magna cum prudentia
eonsideret, omnia suis locis et temporibus prodat; cui dat et
quando et a quibus ea recipit, diligentissime inspieiat, ne error 30
et suspicio mala etiam cum maiori damno in rebus pretiosis
Occurrat.
7. Ile tamen praecipuus inter vos erit et diligentissimus, cui
_ 6 ex corde] Sehr auffallend, par coeur! — 12f. Matth. 24,45. 47, aber
ἄχη welcher Anwendung! — 22. clarissimam reddat] Der Sinn ist dunkel,
RR outh meint „den Dienern“, näher liegt dem Princeps und dem Präpo-
stm: er soll ihre unsicheren Wünsche klären. — 23 iocunda patientia]
Ξε .ο
100 Harnack.
libros servandos princeps mandaverit; bunc ipse ex probata
scientia eliget virum gravem et magnis rebus aptum ac omnibus
quaesitis respondere paratum, qualem Philadelphus Aristeum ir-
timum cubicularium in re hac sibi delegit ac nobilissimae biblio-
5 tbecae proposuit, quem ad Eleazarum maximis cum muneribus
pro traducenda scriptura sacra Jegatum misit; hic idem historianı
LXX interpretum plene scripsit. si igitur ex eredentibus in Chri-
stum ad hoc ipsum officium advocari contingat, non spernat et
ipse litteras saeculares et gentilium ingenia, quae principem
10 oblectant. laudandi sunt poetae in magnitudine ingenii, in in-
ventorum acumine, in expressionis proprietate et eloquentia summa,
laudandi oratores, laudandi philosophi in genere suo, laudandi
historici, qui gestarum rerum seriem, maiorum mores et instituta
nobis explicant, qui vivendi normam ex antiquorum gestis oster-
15 dunt. Interdum et divinas scripturas laudari conabitur, quas mira
diligentia et largissimo impendio Ptolemaeus Philadelphus in
linguam nostram traduci curavit; laudabitur et interim evangelium
apostolusque (Paulus) pro divinis oraculis. insurgere poteri
Christi mentio, explicabitur paulatim eius sola divinitas: omnis
20 haec cum Christi adıutorio provenire possent. sciat ergo 116
libros omnes, quos princeps habuerit, saepe illos revolvat et suo
ordine per indicem pulchre disponat; si vero novos vel veteres
transcribi curabit, studeat emendatissimos habere librarios; quod
si fieri non potest, viros doctos ad emendandum disponat illisque
25 pro laboribus iuste satısfaciat, veteres item codices pro indigentis
if. hunc.... virum) Auffallend. — 3ff. S. Wendland, Aristese ad
Philocratem epistula (1900). — 4 in re hac] Die Wortstellung ist auf-
fallend. — Nach dem Aristeas-Brief ist nicht Aristeas Bibliothekar, sondern
Demetrius. — 6 traducenda; „traduire“ (8. auch unten in demselben Cap:
„traduci curavit“). — 14 qui vivendi normam etc.] Dieser alte Christ
müsste ein sehr liberaler Christ gewesen sein. — 15 „laudare“] wird zu
lesen sein. — 16f. in linguam nostram) Der Brief will also griechisch ge-
schrieben sein. — 17 traduci] S. oben. — 18 oraculis] Auffallend, aber
nicht unerträglich; die Unterscheidung „divinae scripturae‘“ einerseits,
„evangelium apostolusque (Y’aulusi“ (‚pro divinis oraculis“) andererseits ist
auffallend und könnte für hohes Altertum sprechen; indessen die Unter-
scheidung könnte auch einen anderen sehr modernen Grund haben. —
insurgere] Auffallend. -— 19 eius sola divinitas] Auffallend. — 19f. omnia
haec] Die Wortstellung ist auffallend, x. oben „in re hac“. — 20 possent)
Auffallend. — 21 habuerit] Befremdlich. — 25 pro indigentia] „au besoin“.
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 101
resarciri procuret ornetque non tantum ad superstitiosos sumptus
quantum ad utile ornamentum. itaque scribi in purpureis mem-
branis et litteris aureis totos codices, nisi specialiter princeps
demandaverit, non affectet; omnia tamen Caesari grata maxima
cum obedientia prosequetur. suggeret pro posse et omni cum 5
modestia prineipi, ut eos legat vel legi audiat libros, qui et statui
et honori illius ac utilitati magis quam tantummodo voluptati
conveniant; noscat ipse prius optime illos, saepius deinde coram
prineipe laudet ac eorum qui approbant testimonium et auctori-
tates commode explicet, ne suo sensui tantum videatur inniti 10
8. Qui vero corpus principis curare habent, sint in omnibus
quam promptissimi, hilari semper, ut diximus, vultu, faceti non-
nunqguam, sed summa semper cum modestia, quam in vobis omni-
bus prae ceteris rebus laudet illamque ex ipsa religione Christi
provenire cognoscat. sitis et vos omnes etiam corpore et indu- 15
mentis mundi et nitidi, nulla tamen superfluitate aut affectatione
notandi, ne Christians modestia deturpetur. omnia suis tempo-
ribus sint parata et suo ordine quam optime gesta. sit ordo
inter vos et diligentia, ne confusio in opere aut rerum amissio
aliquo pacto proveniat; disponantur ornenturque opportuna loca 20
pro capta et dignitate locorum. sint insuper et servi vestri
honestissimi, sint compositi et modesti et vobis quam conveni-
entissimi, quos in vera doctrina omni cum patientia et caritate
Christi instruite et docete; quod si instructiones vestras negligant
et parvi pendant, a vobis abicite, ne illorum nequitia aliquo pacto 25
in vos redundet; nam diffamatos dominos ex servorum malignitate
quandoque vidimus et saepe audivimus.
1 ad superstitiosos sumptus] Was ist damit gemeint? — 4 „Caesari‘)
Auffallend. — 5 suggeret] s. c. 2 init. — „pro posse“] „selon son pouyoir“. —
11 corare habent] „qui ont A soigner“. — 12 hilari] Vgl. „aflabilitas“ in
©. 2, „conveniens iocunditas“ in c. 2, „iocunda patientia“ in c.5. — faceti]
Also auch diese Forderung. — 13 modestin] Auch zur „Bescheidenheit“
Wird in dem Brief immer wieder ermahnt (das Wort findet sich sechsmal),
\owie zur Geduld (fünfmal), — 14 religio Christi] Ein moderner Ausdruck,
᾿ς schon c.2 init. und vgl. auch den Ausdruck „religione velut sale“ gegen
Schluss von c. 8. — 16. superfluitas und deturpare findet sich je einmal bei
>linius, auch das gleichfolgende amissio („foliorum amissio“) im eigent-
ächen Sinn. — 21 pro captu locorum] Ungewöhnlich. — 24 quod] viel-
=eicht „quos“. — 25 abicite] Es scheinen also Diener, nicht eigentliche
Sklaven zu sein.
102 Harnack.
Si ad Augustam accesserit Princeps vel ipsa ad illum, sitis
tunce vos quoque et oculis et gestu et verbis omnibus quam
compositissimi. videat ılla vestram continentiam et modestiam;
videant illius comites et; pedissequae, videant et admirentur, atque —
5 ınde Jesum Christum dominum nostrum in vobis ipsis collaudent. _ .
Loquela vestra semper sit parca et modesta atque religione —se
velut sale condita. nulla prorsus inter vos sit invidia aut con- — .4-
tentio, quae in omnem confusionem et divisionem vos deduceret_ —Bt,
et sic quoque in odium Christi et principis atque summamssrn
10 abominationem perduceret, nec lapis structurae vestrae suprases ἃ
lapidem stare posset. et tu, Luciane carissime, cum sis 5
sapiens, libenter supporta insipientes, ut et ipsi sapien— 4:
tes fiant.
9. Nulli unguam molestiam inferte, nullum ad iram concitate_ —:
15 si vobis iniuria irrogatur, in Jesum Christum respicite, et τ
quemadmodum optatis ut vobis ipse remittat, sic et vos
illis dimittite, et tunc quoque omnem invidiam supplantabitis_— »
et caput antiqui serpentis conteretis, qui vestris bonis=
operibus et successibus omni cum astutia insidiatur. non prae-——
20 tereat dies, ἢ oppurtuno tempore dato aliquid sacrarum lec-
tionum legatis, aliquid contemplimini (!), nec sacrae scripturae-
litteraturam prorsus abiciatis; nihil adeo animam paseit et menten
impinguat sicut sacrae faciunt lectiones; sed ex illis hunc maxime
capite fructum, ut patientia vestra iuste et pie, hoc est, in cari-
25 tate Christi, vestra officia exequamini et transitoria omnia ob
eius promissiones aeternas contemnatis, quae sane sensum
omnem et intellectum humanum exsuperant et vos ipsos
1
. Δ
8 compositissimi] 8. nben „compositi“ — 6 S. Οο]οββ. 4, 6. — reli-
gione] Moderner Gebrauch des Worts, 8. ο. — 9 Christi et principis] 8. o. ΄
c.2: „timor dei et amor principis“, modern. — 10 nec lapis etc.] Die Ver-
bindung mit dem vorigen ist unsicher. — lapis structuraeetc.] 8. Matth.24,2.—
lif. cum sis sapiens οἷο.) Eine merkwürdige Anwendung oder vielmehr
Verkehrung von 11 Cor. 11,19. — 12 supporta)] „supporter‘“! unlateinisch. —
15 S. Hebr. 12,2. — 16f. S. Marc. 11, 25 etc. — 17 supplantabitis] S. Pli-
nius. — 18 caput etc.] S. Röm. 16, 20. — 21 contemplimini] Modern. —
21f. s. s. litteraturam] Darunter können doch wohl nur erbauliche Er-
klärungen der Bibel verstanden sein. — 23 impinguat] Sehr seltenes Wort.
8. Tertull. de ieiun. 6. — 24 patientia vestra] Auffallend. — 25 transitoria
omnia) Modern. — 26f. S. Philipp. 4, 7; I Cor. 2,9.
Der Brief des Bischof» Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 103
in felicitatem perpetnam conducent. Vale felieiter in Christo,
mi domine Luciane.
1f. Sowohl „felicitas“ als das folgende „feliciter‘‘ ist auffallend.
8 1. Die Schriftbenutzung.
Die Schriftbenutzung ist eine andere, als wir sie von den
antiken christlichen Schriftwerken her — wenige Ausnahmen ab-
gerechnet — kennen: Direkte Schrifteitate fehlen zwar nicht
gänzlich, aber sie treten völlig zurück hinter der Methode, die
ganze Ausführung auf Reminiscenzen aus der h. Schrift zu grün-
den, bez. als ein Gewebe von Schrifterklärungen darzustellen.
Dies gilt von dem Anfang (c. 1 u. 2) und dem Schluss des
Schreibens; im eigentlichen Briefkörper war keine Gelegenheit,
an die h. Schrift anzuknüpfen. Die Methode erinnert an die
moderne Weise, u. a. auch an die Fälschungen Pfaffs.!
Anstössiger aber noch als diese Art ist die Schriftanwen-
dung mit Umformung des Schriftwortes; sie ist m. W. aus
Schriftwerken der alten Zeit überhaupt nicht zu belegen. C. 2
ΝΞ. 98, 11 hat der Verf. das Schriftwort im Sion (Coloss. 3, 12):
ἐνδύσασϑε σπλάγχνα οἰχτιρμοῦ, χρηστότητα, ταπεινοφροσύνην,
“σεραὕτητα, μαχροϑυμίαν, ἀνεχόμενοι ἀλλήλων καὶ χαριζόμενοι
Σαυτοῖς. Er macht daraus: „induimini patientia et affabili-
& ate, virtutibus et spe Christi repleamini“. Das „Christliche“
Ast hier nur wie ein Firnis: ermahnt wird, ein vollkommener,
zeduldiger und liebenswürdiger Hofmenn zu werden. Aus dem-
>elben Brief schwebt ihm die Stelle vor (Coloss. 4, 6): ὁ λόγος
αὐμῶν πάντοτε ἐν χάριτι, aları ἠρτυμένος. Er formt sie c. 8
S. 102, 6 zu der Mahnung um: „Loquela vestra semper sit parca
et modesta atque religione velut sale condita“. Diese Um-
#ormung atmet denselben Geist wie die vorige: der schweigsame,
znodeste, dazu die Sprache Zions führende Hofmann soll die Er-
füllung der apostolischen Anweisung sein? Womöglich noch
anstössiger ist die Benutzung der Parabel von dem treuen Knecht,
den der Herr über seine Güter gesetzt hat (Matth. 24,45f.) in
1) Texte u. Unters. N. F. Bd. V H.3.
2) Über den auffallenden Gebrauch von „religio“ s. u.
104 Harnack.
c.4 S. 99, 12. Der Verfasser scheut sicb nicht, die Parabel so
anzuwenden, dass der Herr der Kaiser ist und der Knecht der
kaiserliche Rechnungsbeamte! Das hinzugefügte: „et Christum
in illo glorificet“ ist lediglich ein zur Verdeckung der Profana-
tion gebrauchter Mantel. Aus demselben Capitel des Matthäus
(v. 2) ist in c.8 5. 102 das grandiose Bild οὐ un ἀφεϑῇ Altos
ἐπὶ λίϑον ὃς οὐ xataAvdnoeraı“ verwendet, aber wofür? Die
christliche Hofgesellschaft wird, sagt der Verfasser, ihre Stellung
bei Christus und dem Kaiser (!) völlig verlieren, wenn sie sich
nicht von Zank und Neid fernhält! Unmittelbar daran knüpft
der Verfasser die Mahnung an den Oberkammerherrn, „cum sis
sapiens, libenter supporta insipientes“, d. h. er soll die christ-
lichen Hofbeamten, die noch unweise sind, mit seiner Weisheit
unterstützen. Die furchtbare Ironie des Paulus (11 Cor. 11, 19):
ἡδέως ἀνέχεσϑε τῶν ἀφρόνων φρόνιμοι ὄντες (ἀνέχεσθε ist hier
bekanntlich nicht Imperativ) hat hier ihre Worte hergeben
müssen zu einer trivialen Ermahnung! Wo ist das sonst erhört?
So schrieb kein Christ der alten Zeit, so schreibt ein abgebrühter
geistlicher Wortemacher, dessen Gedächtnis voll ist von biblischen
Reminiscenzen und der durch fortgesetzte Übung den inneren
Respekt vor dem Bibelwort verloren hat. Ausgeartetes Christen-
tum unter dem Scheine der Gesundheit hat es um das Jahr 300
reichlich gegeben; aber in dieser Richtung hat sich die Ausartung
nicht entwickelt.
Aber noch kommt eine Stelle in Betracht, die uns völlig
ins moderne führt. C.9 heisst es: „non praetereat dies, quin
opportuno tempore dato aliquid sacrarum lectionum legatis,
aliquid contemplimini, nec sacrae scripturae litteraturam prorsus
abiciatis; nihil adeo animam pascit et mentem impinguat sicut
sacrae faciunt lectiones“. Zu privater Schriftlektüre konnte auch
um das J. 300 ermahnt werden (wenn auch die Zeugnisse für sie
spärlich sind); aber offenbar handelt es sich hier nicht nur um
diese allein, sondern von ihr wird noch unterschieden (1) die
Contemplation, (2) die Lektüre von Erbauungsbüchern,
die sich an die h. Schrift anlehnen — denn der Ausdruck „sacrae
scripturae litteratura“ kann neben „sacrae lectiones* schwerlich
anders verstanden werden.! Diese Hervorhebung von Erbauungs-
1) Möglich wäre es, unter den ‚„sacrae lectiones“ an bestimmte
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherm Lucian. 105
büchern unter dem Titel „sacrae scripturae litteratura“ und diese
dreifache Ermabnung zu privater Andacht führen uns — darüber
kann kein Zweifel bestehen — aus der alten Kirche heraus, und,
da unser Schriftstück in Frankreich und zwar im J. 1675 auf-
getaucht ist, in die religiös-angeregten, dem Pietismus verwandten
Kreise Frankreichs hinein. Zu diesen Kreisen aber gehörten
Oratorianer und Jansenisten, d. b. eben die, in deren
Mitte unser Brief ans Licht getreten ist. Man darf noch
mehr sagen: diese Kombination von Bibellektüre, Contemplation
(als etwas besonderes) und Lekttire von biblisch gehaltenen Er-
bauungsbüchern ist im Unterschied von der jesuitischen Art der
Frömmigkeits-Ermahnungen für jene Kreise charakteristisch. Von
häufiger Communion und häufigem Beichten ist nicht die Rede,
auch nicht von dem öffentlichen Gottesdienst, sondern lediglich
von Bibellektüre, Contemplation und frommer Lektüre überhaupt.
Die Art, wie sich unser Brief mit der h. Schrift befasst,
erregt also bereits an allen Punkten den stärksten Verdacht,
dass wir es nicht mit einer echten Urkunde, sondern mit einer
gefälschten, und zwar mit einer ganz modernen französischen
Fälschung aus pietistischen Kreisen zu thun haben.
$ 2. Der Ausdruck der Frömmigkeit und die ethischen
Anweisungen.
Der Brief ist keine theologische Epistel, doch enthält er
"ine ziemliche Anzahl theologischer Wendungen. Soweit sie
xicht direkt biblisch sind, befremden sie alle. (1) Zwei-
al fällt das sinnlos-formelhafte auf: man hat den Eindruck,
Aass der Verfasser sich niehts dabei gedacht hat, sondern wie
Ȋn schlechter Homilet fromme Begriffe gedankenlos zusammen-
t&ellt, nämlich c. 1 5. 96: „gloria patris et filii nos salvos facit
ἄχ redemptionem aeternam“, c.2 9.98: „virtutes et spes Christi“.
2) Befremdend ist der Gebrauch von „fides“ und „religio“; der
Verf. schreibt c.1 8.96: „Christus fidem suam ... manifestare ...
aon destitit“, 6. 1 5. 96: „(Christi) fides per vos quotidie auge-
Atar“, c.2 8, 97: „Christi religio“, 6. 8 S. 101: „ex ipsa religione
Berikopen der b. Schrift, unter den „saerae seripturae litteratura“ an die
&anze h. Schrift zu denken; doch scheint mir diese Erklärung minder
empfehlenswert.
106 Harnack.
Christi“, c.8S. 102: „Loquela vestra... religione velut sale con-
dita sit“. Jener Gebrauch von „fides Christi* ist ın der alten
Zeit sehr ungewöhnlich, die Wendung „religio Christi“ m. W.
beispiellos, und auch der absolute Gebrauch von „religio“ muss
die stärksten Bedenken erregen. (3) Die Zusammenstellung von
Gott (Christus) und dem Kaiser ist in der Form, wie der Ver-
fasser sie giebt, in einem Schriftstück, das um das J. 300 ge-
schrieben sein soll, unerträglich; c. 2 S. 97f.: „officia vestra omni
cum timore dei et amore principis exequamini“, c.8 S. 102: „in
odium Christi et principis“.! Das ist moderner Byzantinismus.
(4) Ganz deutlich weist in dieselbe Zeit, in welche die Contem-
plation und die Erbauungsbücher führen, c. 2 5. 97: „nulla dupli-
citas (Christiano) convenire potest, qui Christum simplicem
et nudum amplectitur*. Das ist moderne Pietistensprache,
welche der alten Christenheit frenıd ist; sie weist auf die Mystiker
und Quietisten hin. Hätte ein Grieche vom ψελὸς Χριστός ge-
sprochen? Ist man durch diese Wendungen schon stutzig ge-
worden oder vielmehr zu entschiedener Verwerfung geneigt, so
fällt noch manches andere auf (z.B. c. 2 5. 98: „omnia propter
ipsum creatorem vestrum sufferte“), was ich indessen als
nicht so schlagend beiseite lasse. Die hier zusammengestellten
Beobachtungen genügen, um das Urteil festzustellen, dass der
Ausdruck der Frömmigkeit in diesem Schriftstück dem kirchlichen
Altertum fremd ist.
Dasselbe gilt von der Ethik. Wozu ermahnt der Verfasser
unaufhörlich? Zur Bescheidenheit, Heiterkeit, Geduld und einem
affabeln Verhalten. Bescheidenheit, Freude und Geduld sind
gewiss christliche Tugenden, aber so wie sie hier zusammen-
stehen samt der „affabilitas“ (zweimal in c. 2, vgl. auch „con-
veniens iocunditas et benigna patientia“ c. 2, „iocunda patientia”
c.5), muss man sie in das Französische übersetzen, um
zu verstehen, was der Verfasser gemeint hat. Es sind die wohl-
bekannten Tugenden des Hofmannes mit der immer heiteren
Miene, dem modesten Betragen und der unerschütterlichen Patience.
Wollte man daran noch zweifeln, so beachte man die Mahnung
1) Man vgl. auch c.2 8.98: „mandatum principis, quod deum non
offendit, ab ipso deo processisse putetis“, und beachte dabei, dass es
sich um kaiserliche Befehle an Hofbeamte handelt.
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 107
des Verfassers (c.8 S. 101): „faceti nonnunquam“; also auch witzig
sollen diese alten Christen sein, natürlich aber mit Zurückhaltung:
nur hie und da sollen sie eine witzige Bemerkung einflechten!
Und von diesem Verhalten, das 6. 8 ziemlich vollständig be-
schrieben wird („quam promptissimi,! hilari semper vultu, faceti
nonnunquam, sed summa semper cum modestia“), wird gesagt,
der Kaiser solle merken, dass es „ex 1088 religione Christi“ fliesse!
Umgekehrt aber, der Zweck dieser „conveniens iocunditas et
benigna patientia“ soll sein, den von grossen Geschäften erınüde-
ten Sernenissimus stets bei guter Laune zu halten. Von einem
Hofe und einem Herrscher wissen wir ganz genau, dass es dort
so zuging, nämlich — vom Hofe Ludwigs XIV. Es .mag an
anderen Höfen, auch in der alten Zeit, ebenfalls so zugegangen
Sein, aber dass die Beschreibungen und Mahnungen
dieser Art von dort in die Litteratur übergegangen sind,
wissen wir nicht, und das ist uns auch nur für moderne Höfe
k>ekannt, dass solche Etikettenmahnungen für christliche
za. usgegeben und mit pietistischen Phrasen durchfloch-
& en werden. ΝΣ
Die Untersuchung der „Christlichkeit“ unseres Schreibens
ΓΗΒ eutet also mit Sicherheit eben dorthin, wohin die Schriftrer-
w=wöndung deutet, nämlich genau in die Epoche und das Land, in
wawvelchem der Brief zuerst aufgetaucht ist, nach Frankreich zur
=#eit Ludwigs XIV.
ὃ 3. Die vom Verfasser angedeuteten Zeitspuren.
Welcher Kaiser gemeint sei, darüber hat man (s. 0.) eine
—=eit lang gestritten, und zwar mit Grund. Die Beruhigung, die
=>: iletzt eingetreten ist, ist ein fauler Friede. Das Schriftstück
=>nthält Zeitspuren, die schlechterdings nicht mitein-
==ander verträglich sind. Theonas ist von 281/2—300 alexan-
<Srinischer Bischof gewesen, und die Stelle c. 1 p.97 („Nam quanto
=magis princeps ipse nondum Christianae religioni adscrip-
%us ipsis Christianis velut fidelioribus vitam et corpus suum
<urandum credidit“, etc.) bezieht sich augenscheinlich auf Dio-
kletian; denn sie berührt sich fast wörtlich mit Euseb. h. e. VII, 1,
—
1) Man vgl. auch c.2 S.98: omnia vitia mentis et corporis suppri-
wite“!
108 Harnack.
wo zu lesen steht, dass einige Kaiser — aber in erster Linie, ja
eigentlich ausschliesslich ist Diokletian gemeint — ihren christ-
lichen Hofbeamten mehr vertraut haben als den heidnischen.
Also ist der Kaiser in unserem Briefe Diokletian und kein anderer.
Allein dazu passen zwei Wendungen in dem Schreiben nicht!:
(1) heisst es (c.1 S. 96), dass Gott nicht aufgehört habe, „etiam
in tyrannorum persecutionibus“ den Glauben zu verbreiten.
So sprach man unmittelbar nach der Verfolgung Diokletians und
seiner Mitkaiser. (2) liest man gleich darauf: „ut iam pace
per bonum principem ecclesiis concessa Christianorum
opera etiam coram infidelibus luceant“. Der Ausdruck „pax con-
cessa* kann nicht von faktischer Duldung, sondern muss von
ausdrücklicher Anerkennung verstanden werden; dazu weist eben
die Zusammenstellung „tyrannorum persecutiones.... 181 pax
concessa“? sicher auf die Zeit Constantins.? Wır haben also
einen vollkommenen Widerspruch: der Kaiser soll Diokletian sein,
und er kann es doch nicht sein. Dass er Diokletian sein soll,
geht schliesslich auch daraus hervor — freilich ist dadurch die
Fälschung als solche sofort declariert —, dass sich in Eusebs
Kirchengeschichte dieErwähnungdesobscuren Bischofs
Theonas nur einmal findet und zwar wenige Zeilen vor
der Erwähnung der christlichen Hofbeamten Diokle-
tians, die der Kaiser für zuverlässiger als die heidni-
schen erachtet habe (ἢ. 6. VII, 33 fin. VIII, 1 init... Der Ver-
fasser unseres Schreibens, der Züge aus der Zeit Constantins in
die Zeit Diokletians trägt, hat aller Wahrscheinlichkeit nach
Eusebius’ Kirchengeschichte benutzt und durch sorglose Benutzung
seine Fälschung bereits an dem Hauptpunkte (der Person des
Kaisers) offenbar gemacht.
Gar nichts zu geben ist auf die Randbemerkung, die sich
1} Man kann vielleicht auch noch eine dritte dazu rechnen: die Kaiserin
scheint nach ce. 8 S. 102 ebenso wie der Kaiser noch Heidin zu sein, Dio-
kletians Frau aber war Christin. Indessen ist der Eindruck nicht sicher,
und ich lasse daher dieses Argument beiseite.
9) Man vgl. zu diesem Ausdruck die Überschrift des 1. Capitels des
10. Buchs der Kirchengeschichte und die Eintragung des Hieron. ad ann, 2329:
„Pax nostris a Constantino reddita“.
3) Konnte auch irgend ein Christ von Diokletian schreiben: „Prin-
ceps nondum Christianae religioni adscriptus?“
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 109
in der Abschrift findet: „Aurelianus“. Sie ist augenscheinlich
nur ein Einfall, dessen Ursprung sich nicht weiter bestimmen lässt.
8 4. Die wirklichen Zeitspuren.
Indem wir uns den wirklichen Zeitspuren zuwenden, kommen
wir zu dem Complex von Wahrnehmungen, die Batiffol be-
sonders betont und auf die er in erster Linie sein verwerfendes
Urteil gegründet hat, Er hat Recht gehabt. Wenn noch etwas
evidenter sein könnte als die Beobachtungen, die wir bisher
gegen die Echtheit vorgetragen haben, so ist es die Schilderung,
welche von der Einrichtung des Hofes gegeben wird. Schon die
allgemeinen Bezeichnungen für den Kaiser („Princeps“ — welches
griechische Wort soll da gestanden haben? — und c. 7 gar
„Caesar“) und für die Diener („servitores* „intimi servitores“!
c. 2; „comites et pedissequae“ ὁ. 8 — aber „comites“ war zur Zeit
Diokletians technisch und hier nicht zu verwenden) sind anstössig;
aber sie bieten nur geringe Anstösse gegenüber der Schilderung
der Hofhierarchie. Selbst nicht genügend mit ihrer Einrichtung
vertraut, wandte ich mich an Herrn Monımsen und erhielt von
ihm brieflich (30. April 1894) folgende Aufklärung:
„Die Organisation des Hofes wird ziemlich deutlich [in dem
Briefe] dargelegt. An der Spitze steht der praepositus cubicu-
larıorum (c. 3: „diversis officiis estis adscripti, et omnium tu,
Luciane, praepositus diceris, quos omnes ... potens es et regu-
lare et instruere“; cf. c. 5: „principis aut praepositi sul“ von dem
(iarderobenverwalter), der die Bittsteller zur Audienz zulässt
(e. 2 init.). Unter diesem stehen
(1) der Kassierer der privatae pecuniae principis (c. 4),
(2) der Garderobenmeister („qui vestes et imperialia detinet orna-
menta“, ὁ. 5),
(3) der Verwalter des kaiserlichen Tafelgeschirrs (c. 6),
(4) der Hausverwalter („alia supellex“, c. 3),
(5) die Leibdiener („qui corpus principis curare habent“, c. 8),
(6) der Bibliothekar (c. 7).
Diese Hausordnung ist in schroffem Widerspruch mit der-
jenigen der späteren römischen Kaiserzeit. Dass der praepositus
110 Harnack.
9. 6. die Audienzen vermittelt, stimmt, und ebenso die Unterord-
nung der Leibdiener, alles übrige ist geradezu pervers.
Der praepositus sacri cubiculi — so lautet der Titel — steht
allerdings schon unter Constantius 1]., vielleicht auch schon früher
unter den Beamten der ersten Rangklasse; aber nach der be-
stimmten Angabe der Notitia dignitatum ist ausser dem cubicu-
lum ihm nur das kaiserliche Gestüt in Cappadocien unterstellt,
und ist es schlechthin unzulässig, ihn als das Haupt der Hof-
haltung zu bezeichnen, welche Stellung eher dem magister offi-
ciorum zukommen würde.
Die kaiserliche Kasse steht unter den beiden Hofbeamten
für die Finanzen, dem comes sacrarum largitionum und dem comes
rerum privatarum, welche niemals dem praepositus 8. 6. unter-
stellt gewesen sind, ja noch unter Gratian (Cod. Theod. 7, 8, 3)
ihm vorangingen. Eine kaiserliche Privatschatulle, wie sie hier
vorausgesetzt wird, kennt die römische Verwaltung nicht.
Die kaiserliche Garderobe steht unter einem dem comes sacra-
rum largitionum unterstellten Bureau (scrinium vestiarli sacri).
Die vasa argenten, aurea, chrystallina, vel murrhina, escaria
το] potoria werden in derselben Folge in den Digesten (33, 10, 3)
aufgezählt; in der Hausverwaltung sind sie nicht in dieser Weise
combiniert. Wir kennen nur ein officium ab auro potorio (C.L
L. ΥἹ, 8733, 8969) aus besserer Kaiserzeit, späterhin verschiedene
Bureaus für das Gold und andere für das Silber.
Die Hausverwaltung wird im 4. Jahrhundert der castrensis
sacri palatii gehabt haben, ein Beamter der zweiten Rangklasse,
aber dem praepositus s. cub. nicht unterstellt.
Am längsten verweilt der Briefschreiber bei dem kaiserlichen
Privatbibliothekar, und in dieser Beziehung ist auch neuerdings
las Schreiben von Birt (das antike Buchwesen 5. 113), allerdings
nicht ohne Bedenken, benutzt worden. Es wird nicht überflässig
sein, den Gegenstand etwas eingehender zu erörtern.
Hinsichtlich der öffentlichen Bibliotheken, deren es in Rom
im Anfang des 4. Jahrhunderts 28 gab, kann ich auf Hirsch-
feld (Verwaltungsgesch. I S. 186ff.) verweisen. Nach diesem
Muster richtete Constantius 11. in Konstantinopel eine öffentliche
Bibliothek ein (Themistius, Orat. 4 p. 71 Dind.), welcher Julian
seine sämtlichen Bücher schenkte (Zosim. 3, 11). Auf sie be-
zieht sich die Verorinung des Kaisers Valens vom Jahre 372
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 111
(Cod. Theod. 14, 9, 2), wonach dabei vier griechische und drei
lateinische Abschreiber (antiquarii), sowie ausserdem das nötige
Hilfspersonal angestellt werden sollten. Einen zunächst wohl
nur finanziellen Oberbeamten der kaiserlichen Bibliotheken in
Rom kennen wir in der Mitte des 3. Jahrhunderts (C.].L. ΥἹ, 2.32,
5. Hirschfeld S. 190). In der nachdiokletianischen Zeit wird
ein entsprechendes Amt nicht genannt; indes kann es nicht zweifel-
haft sein, dass das Bibliothekswesen der beiden Hauptstädte in
letzter Stelle unter deren praefecti urbi gestanden hat, wie denn
auch die Verordnung vom J. 372 an einen solchen gerichtet ist.
Privatbibliotheken werden in keinem grösseren Haushalt gefehlt
haben; aber unter den privaten Offizialen, welche namentlich die
Inschriften in reicher Fülle uns nennen, finden sich Privatbiblio-
thekare m. W. nicht. Es kann dies wohl nicht anders erklärt
werden, als durch die Annahme, dass diese Thätigkeit in der
römischen Hausordnung der Regel nach nicht gesondert auftrat.
Die librarii, die Schreiber, wie z. B. Nica servus librarius des
bekannten Grammatikers aus hadrianischer Zeit L. Julius Vestinus
(C. 1.1. VI, 9520), dürften diese Geschäfte mit besorgt haben
und das Bibliothekariat daher nicht nominell hervortreten. Bei
der Entwickelung des Episkopats haben die dazu gehörigen
Bibliotheken grössere Bedeutung und späterhin auch eigene Vor-
stände erhalten, wie denn aus Rom und Konstantinopel von den
bischöflichen Bibliotheken später öfter die Rede ist, indes gehört
dies einer späteren Zeit an.
Das unter dem kaiserlichen Personal auftretende Bibliotheks-
personal bezieht sich, soweit die Stellung näher determiniert wird,
auf die Verwaltung der öffentlichen Bibliotheken, und, wo die
Determinierung fehlt, wird im allgemeinen dasselbe gelten (der
oft angeführte magister a bybliotheca Latina Apollinis. C. ]. L.
VI, 963, ist gefälscht). Die einzige mir bekannte sichere Aus-
nahme macht das Verzeichnis des kaiserlichen Gesindes von Antium
iC. LL. X,66381 aus elaudischer Zeit, welches zwei Freigelassene
und zwei Unfreie mit dem Prädikat a bybliotheca anführt. Das
auffallende Versagen gleichartiger Zeugnisse aus späterer Zeit
hängt wahrscheinlich zusammen mit dem seit Claudius nachweis-
baren und vielleicht von ihm eingerichteten Hofamt a studiis.
Die Verwaltung der kaiserlichen Privatbibliothek, welche materiell
nicht gefehlt haben kann. lässt sich von diesem nicht wohl trennen,
112 Harnack.
und es ist wiederum wohl möglich, dass in diesem Bureau die
Bibliothekar- und die übrigen Geschäfte nicht scharf genug ge-
schieden waren, um Sonderbenennungen anzunehmen. Allerdings
sind auch kaiserliche librarii nur sparsam zu finden, und wo sie
begegnen, meistens verschieden bezogen, wie z. B. der kaiserliche
Freigelassene a libris sacerdotalibus (C. L L. VI, 8578: sicher
nicht hierher gehört. — Das Hofamt a studiis hat nachweislich
noch unten Constantin bestanden (]. c. VI, 1704); späterhin wird
es nicht mehr erwähnt, ist aber schwerlich untergegangen, sondern
kehrt wieder als das Hofamt a memoria. Allerdings tritt das
letztere in Grabschriften und bei Schriftstellern schon seit dem
Anfang des 3. Jahrhunderts auf; aber es ist nichts im Wege,
entweder darin die usuelle Bezeichnung neben der legitimen a
studiis zu erkennen, oder auch anzunehmen, dass beide Officien
ursprünglich analog gewesen und späterhin zusammengeflossen
sind. Die Annahme Friedländers (Sittengesch. 1° S. 190) und
Hirschfelds, dass das Amt a studiis einfach verschwunden sei.
ist wenig wahrscheinlich, da das Bedürfnis mindestens in gleichem
Masse fortbestand.. Auch die magistri studiorum, welche eine
Verordnung von 338 (Cod. Theod. 12,1,26) nennt, dürften nicht
durch gewaltsame Emendation zu beseitigen, sondern von den drei
Serinien „epistularum“, „libellorum“* und „a memoria* zu ver-
stehen sein, welche füglich unter dieser Bezeichnung zusammen-
gefasst werden konnten. Bestätigend tritt hinzu die Anordnung
Leos (Cod. Just. 12, 19, 10), dass in dem Bureau a memoria vier
antıquarii sein sollten; denn obwohl diese Bezeichnungen auch
nicht allgemein von den Schönschreibern gebraucht wurden, so
bezeichnet antiquarius technisch, wie bekannt, den für die Biblio-
thek thätigen Kopisten älterer Schriften, und so dürfte es auch
bier auf die kaiserliche Privatbibliothek sich beziehen. Geradezu
aber geschieht dieser in zuverlässigen Quellen nirgends Erwähnung.
emnach scheint mir das Urteil über das fragliche Schrift-
stück festgestellt zu sein. Es wird darin alles, was wir vom
kaiserlichen Haushalt wissen, auf den Kopf gestellt. Dagegen
passt alles recht wohl, wenn man für den Kaiser Constantin
Franz Il. oder Ludwig XIV. an die Stelle setzt. Der grand
chambellan ist der richtige Vorgesetzte der Garderobe, des Silber-
zeugs, der Bibliothek u. 5. w. im kaiserlichen Hofhalt. Ob das
noch genauer sich durchführen lässt, videant rerum periti! Römisch
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerberrn Lucian. 113
oder römisch-griechisch ist es nicht. Die Albernheit der
Instruktionen selbst, der Anweisung an den Kassierer, über Aus-
gabe und Einnahme getrennt Buch zu führen, an den Garderobier,
die Kleider ohne und mit Flecken sorgfältig aufzuzeichnen, an
den Bibliothekar, teure Schrift nur auf besonderen Befehl des
Herrschers anzuwenden, ist vielleicht an sich kein Grund, an der
Echtheit zu zweifeln, passt aber doch sehr übel für die hohe
Stellung der betreffenden Beamten.“
Was ich also, Batiffol folgend, seit Jahren angenommen
und auf Grund einer genauen Erwägung der Christlichkeit
des Verfassers hier genauer begründet habe, das bestätigt Herr
Mommsen durch seine Kritik der Hofschilderung, welche der
Verfasser gegeben hat: dieses Schriftstück gehört nach Frank-
reich, an den französischen Hof, wie er sich seit der Renaissance
entwickelt hatte. Mag aber in Hinsicht auf die Hofordnung das
16. und 17. Jahrhundert offen stehen — in Hinsicht auf die eigen-
tümliche Christlichkeit wird man schwerlich an das 16. Jahr-
hundert denken dürfen. Sie trug damals noch nicht die Züge,
welche unser Brief aufweist. Bevor ich aber die Untersuchung
zusammenfasse, ist noch ein Blick auf die Sprache zu werfen.
δ 5. Die Sprache.
Das Schriftstück will aus dem Griechischen übersetzt sein
(c. 7 S. 100: „divinas seripturas, quas Ptolemaeus Philadelphus in
linguam nostram traduci curavit“); aber diese Behauptung kann
durch keine einzige Beobachtung am Schriftstück selbst erhärtet
werden!, vielmehr fehlt jede Spur eines Übersetzungscharakters.?
Dass ferner an eine alte Übersetzung nicht gedacht werden kann,
wie Paschasius Quesnel, der erste Herausgeber, behauptet
hat, liegt angesichts des Vokabulars und des Stils auf der Hand;
nur die Möglichkeit bliebe übrig, dass ein Humanist der Renais-
sancezeit das griechische Original in Händen gehabt hat, es aber
1) Gallandi hat allerdings behauptet: „neque sane dubitare nos
sinit epistolae dictio, quin eam 6 Graeco Latine redditam existimemus“,
aber er hat auch nicht eine Beobachtung angeführt, die dafür spricht.
2) Dass c.2 8. 97 „aut precibus aut pretio victi“ ein beabsichtigtes
Wortspiel zu sein scheint, sei nebenbei angemerkt.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 3. 8
114 Harnack.
nicht veröffentlichte, sondern dafür seine Übersetzung publizierte.
Das ist freilich eine unwahrscheinliche Möglichkeit; denn damals
wusste man, was ein griechisches Original bedeutete. Dieser
Humanist schrieb einen flüssigen, aber nicht korrekten Stil und
mischte Verschiedenartiges durcheinander. Manche Inkorrekt-
heiten, ja Fehler! mag man als Schreib- oder Druckfehler weg-
räumen, und so mögen sie beiseite bleiben; aber evident ist, dass
nur ein moderner Humanist der Schreiber gewesen sein kann;
denn (1) schreibt er im allgemeinen den Humanistenstil des 15.
und 16. Jahrhunderts,? (2) braucht er zahlreiche Worte, die er —
namentlich bei Plinius und aus Schriften des 4. und 5. Jahrhun-
derts — aufgelesen hat, während doch sonst nichts an den Stil
dieser Zeit erinnert, so „affabilitas“, „submurmuratio“, „superflui-
tas“, „deturpare“, „amissio“, „pro captu locorum“, „supplantare“,
„impinguare“, (3) braucht er höchst auffallende Wendungen, die
ganz modern anmuten und wohl als Gallieismen zu beurteilen
sind.? Man darf fragen, wann im Altertum oder auch nur im
frühen Mittelalter kaiserliche Hofbeamte „servitores“, ja -.intimi
servitores“ genannt worden sind (c. 2)? Hat man damals „über-
setzen“ mit „traducere“ (c. 7) wiedergegeben? Sagte man „ex
corde“ im Sinne von „par coeur“ „aus dem Gedächtnis“ (Gegen-
satz „e scriptura*, so 6. 4)? Sagte man „pro indigentia* — „nach
Bedürfnis“ und „pro posse“ = „nach Vermögen“ (c. 7)? Brauchte
1) 8. das „quia“ c.1 8.96, „iactari“ c.1 8.96, „possint“ c.1 8. 97,
„quem .... hunc“ c.3 8.98, „bunc.... viram“ c.7 8.100, „in re hac“
c.7 8. 100, „laudari“ c.7 S. 100, „omnia haec“ c.7 S.100, „possent‘“ ὁ 7
8.100, „habuerit‘“ c.7 S. 100, „quod“ c.8 8. 101.
2) Vgl. z.B. c.‘: „Laudandi sunt poetae in magnitudine ingenii, in
inventorum acumine, in expressionis proprietate et eloquentia summa;
laudandi historici, qui gestarum rerum seriem, maiorum mores et instituta
nobis explicant, qui vivendi normam ex antiquorum gestis ostendunt‘“.
3) Batiffol meinte, in dem Explicit: „Vale feliciter in Christo, mi
domine Luciane‘“ einen „pur gallicisme‘ erkennen zu müssen. ,„ÜCes sortes
d’„Explicit“, en effet, sont tres rares chez les Peres grecs; l’expression que
lui donne Theonas est inusitee aussi bien chez les Grecs que chez les
latins; plus encore, !’expression „mi domine Luciane“, absolument singu-
liere dans la litterature, inadmissible dans la bouche d’un 6v@que s’adres-
sant ἃ un fidele, a toutes les apparences d’un pur gallicisme.“ Das scheint
mir zuviel behauptet; ich habe bereits in der Theol. Lit.-Ztg. 1886 Col. 322.
dieses Argument reduciert.
Der Brief des Bischofs Theonas an den Oberkammerherrn Lucian. 115
man supportare wie „supporter“ (c. 5)? Schrieb man „affıxus fuit“
statt „est“ (c. 1)? Sagte man statt „recognoscere“ damals „revi-
dere“ (c. 5) und „demandare“ (c. 7) statt „jubere”? Sagte man
.corpus curare habent* (c.8)? Es mag sein, dass man eine
oder die andere dieser Wendungen ins 5. oder 6. Jahrhundert hinauf-
führen kann — in ihrem Ensemble bestätigen sie einfach die
bereits festgestellte Thatsache, dass wir es mit einem modernen
französischen Schriftstück zu thun haben. Auch Herr Mommsen
ist inbezug auf die Sprache dieser Meinung. Den Beweis der Un-
echtheit kann man freilich auf den Stilcharakter nicht gründen;
denn Hartnäckige können sich an die oben berührte abstrakte
Möglichkeit klammern, dass der Brief erst im 17. Jahrhundert
aus dem Griechischen übersetzt sei.! Allein die Unechtheit des
Briefes ist bereits bewiesen, und die Feststellung des Stilcharak-
ters sollte nur zeigen, dass von hier aus keine Erschütterung
des Beweises droht.?
8 6. Schluss.
Der Fälscher hat folgende Quellen benutzt: (1) Eusebs Kir-
chengeschichte (ihr entnahm er den Rahmen für seine Fälschung),
(2) die h. Schrift, (3) die Digesten (ihnen entnahm er die Auf-
zählung des Tafelgeschirrs), (4) die bekannte Stelle des Hierony-
mus über Purpurcodices?, (5) eine Kunde vom Aristeasbrief,
(6) lässt sich bei dem Verfasser Kenntnis des Plinius vermuten.
Das sind die alten Quellen. Was moderne Quellen betrifft, so
1) Eben deshalb ist auch kein Gewicht darauf zu legen, dass die
Schrifteitate mit der Vulgata übereinstimmen.
2) Die einzige Spur eines Altertümlichen kann in der Wendung ge-
funden werden, dass der Verfasser die alttestamentlichen Schriften als
„divinae scripturae‘‘ bezeichnet, dann aber fortfährt (c. 7): „laudabitur et
interim evangelium apostolusque (Paulus) pro divinis oraculis“. Nicht das
„pro divinis oraculis“ mutet „alt“ an — es kann auch umgekehrt sehr
jung sen (Humanismus) —, wohl aber die Unterscheidung von „evan-
gelium‘ und „apostolus“. Indessen diese Unterscheidung war doch auch
in späteren und spätesten Zeiten ganz geläufig. Man denke an die kirch-
lichen Perikopen.
3) Praef. zur Übersetzung des Hiob: „Habeant qui volunt veteres
lipros vel in membranis purpureis auro argentoque descriptos ... . onera
magis exarata quam codices“ (Batiffol hat auf die Stelle hingewiesen‘.
8*
116 Harnack.
brauchen es keine schriftlichen gewesen zu sein: die Beschreibung
des Hofes kann auf Anschauung oder auf Hörensagen beruhen,
und die „Christlichkeit“ ist die des Verfassers selbst; hier also
waren Quellen nicht nötig.
ı Der Brief müsste für eine Fälschung erklärt werden, auch
wenn seine Überlieferung (durch künstliche Mache) ihn in die
alte Zeit zurückführte: die Schriftbenutzung, die Christlichkeit,
die widersprechenden Zeitspuren inbezug auf den angeblichen
Kaiser, die Schilderung des Hofes, zuletzt auch die Sprache ent-
scheiden. Nun aber kommt noch die vollständige Blösse der
Überlieferung hinzu: in einer Abschrift taucht das Schreiben im
Jahre 1675 auf als angeblich alte Übersetzung einer alten Ur-
kunde. Aber damit noch nicht genug: das Schreiben taucht
eben in der Zeit auf, in die es aus inneren Gründen ge-
hört, nämlich in jener Epoche Ludwigs XIV., in welcher
die jansenistischen Kämpfe die Köpfe .und Herzen be-
wegten. Es ist somit nicht einmal die Annahme erlaubt, dass
die Fälschung, als sie in die Hände Quesnels und d’Acherys
gespielt wurde, ein bis zwei Jahrhunderte alt war; sie ist viel-
mehr nicht früher als um die Mitte des 17. Jahrhunderts ent-
standen. |
Steht das aber fest oder haben mindestens die, welche dem
Brief einen älteren Ursprung vindicieren wollen, den Beweis zu
liefern, so fällt auf die pietistisch bez. jansenistisch gerichteten
Kreise im Oratorium der Verdacht der Fälschung: das Schrift-
stück atmet den Geist eines an die Welt und den Hof sich
drängenden Pietismus. Einen solchen Geist gab es sowohl unter
Jansenisten wie unter jansenistisch gerichteten Oratorianern. Von
dem Oratorianer P. Quesnel hat d’Achery den Brief erhalten,
und von dem ÖOratorianer Vignier hat er neun gefälschte
Aktenstücke bekommen, die er in demselben Sammelwerk hat ab-
drucken lassen.
P. Quesnels Ehrlichkeit ın Zweifel zu ziehen, haben wir
nach allem, was wir von dem Manne wissen, keinen Grund.!
Daher ist Batffols Versuch, Vignier für die Fälschung ver-
antwortlich zu machen, durchaus gerechtfertigt. Dass Vignier
1) Dass er und d’Achery so kritiklos die Fälschung hingenommen und
der Öffentlichkeit übergeben haben, bleibt allerdings auffallend.
Der Brief des Bischofs T'heonas an den Oberkammerherrn Lucien. 117
schon im Jahre 1661 (14. Nov.) gestorben ist, ist kein Gegen-
grund; denn 15—20 Jahre vor dem Jahre 1675 kann die Fälschung
sehr wohl entstanden sein: schon damals lagen die inneren Ver-
hältnisse Frankreichs so wie im Jahre 1675. Batiffol hat auch
gezeigt, dass der Stil des Briefes im allgemeinen dieselben Züge
trägt.wie die Fälschungen Vigniers, aber schlagende Überein-
stimmungen im einzelnen hat er nicht nachzuweisen vermocht.
Dazu kommt, dass die Absichten jener Gruppe von Fälschungen
und unserer Fälschung nicht dieselben zu sein scheinen. Jene
sind genügend erklärt durch das Selbstzeugnis Vigniers: „...
quo pio lectori ὀρεξεές moveatur nobisque gratuletur, qui thesau-
rum istum illi minime invidemus“; diese hat offenbar noch einen
speziellen Zweck: sie will in dem Hofe des antiken Kaisers und
in der Art, wie die Christen den Kaiser selbst behandelt haben,
ein Muster für die Beamten Ludwigs XIV. aufstellen. Eine blosse
humanistische Stilübung ist unser Brief gewiss nicht; dazu ist er
zu sehr auf die augenblickliche Lage berechnet. Entweder ist
Vignier der Fälscher — die Gelehrsamkeit, die zur Fälschung
notwendig war, kann auch dafür sprechen — oder ein zweiter
ÖOratorianer neben ihm muss als Fälscher postuliert werden.
INHALT.
——
1. Der pseudocyprianische Traktat De sigularitste eleri-
corum, ein Werk des denatistischen Bischofs Maere-
bius in Bom
Einleitung: Die bisherige Bearbeitung des Traktate .
81, Überlieferung
8. 2. Analyse des Traktate
ξ 8. Zweck . ον
8 4. Stil und Wortechatz.
Ss δ, Abfassungszeit .
ἃ 6. Der Verfasser ein Donatist
δ 7. Macrobius, donatistischer Bischof in Rom, der Ver.
fasser ne
$ 8. Macrobius’ Brief de passione Isaac et Maximiani .
Beilage: Zur Bibel des Macrobius .
II. Die Hypotyposen des Theognost
Einleitung: Diekamp’s Entdeckung .
Der Bericht des Photius und die Fragmente
$ 1. Allgemeines über das Werk des Theognost .
$ 2. Die Fragmente .
III. Der gefälschte Brief des Bischofs Theonas. an den Ober-
kammerherrn Lucian
Einleitung .
Abdruck des Briefs .
IT.
1. Die Schriftbenutzung .
2. Der Ausdruck der Frömmigkeit und die ethischen
Anweisungen .
Die vom Verfasser angedeuteten Zeitspuren .
. Die wirklichen Zeitspuren
SL
Die Sprache .
. Schluss
a ur nu ">
7 7 Aue? 7 Fa 7 Fa) 7 2
Druck von August Pries in Leipzig.
Seite
107
113
115
Verlag der J. © HINRICH®’schen Buchhandlung in Leipzig.
DIE GRIECHISCHEN
CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
DER ERSTEN DREI JAURHUNDERTE
Herausgegeben von der Kirchenväter-Commission
‚der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften.
Bisher erschienen:
Hippolyt’s Kommentar zuni Buche Daniel und ı
zum Hohen!
und homiletische
N NXNVII, 37 u
- Fragmente des Kominentar:
‚geben von ΟΝ, Boswirsen. — Hs Kleine exegetischt
Herausgegeben von 11. Avukr.s.
“8, 1807, [Hippolytus, Band I} M. 18-
jo). — Die acht Bücher gegen Celsn
usgezehen von P. KoetscHAt
nd III; M3-
"φ. Herausgexeben vor
Adamantius, Der Dialog der. περὲ τῆς εἰς ϑεὸν ὀρϑῆ,
VW. H. vas pr λχνε BarnıYy: LVIN. 101. M. 10-
Das Buch Henoch. Herausgesehen von J. Freuuise und L. RADERMACITER.
. *M. 55
lerkonmentar.
eben von E. Kr.os
IL, Origenen, Band Il M. 12.5
ung der Sunnel- une
Eusebius, Über las Leben Constantin. — Constantin Rele an die heilige Ver
sanımlung. -— Trieennatsrede un Constantin. Heransgegchen von I. A. HEIKEL
VI. 358 5. 1902. Eusehius, Band T; » 145
Die Oracula Sibyllina Yearbeiter von J. ΚΑῚ, M. 95
Eusebius, Die Kirchengeschichte mit «ler lateinischen Übersetzung des Rurisus
Herausge; T. Hältte, enthalten
Buch T bin V Bogen: i Il. "M. απ τ
1 mehr.
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Im Druck befinden sich:
Origenes. Bruch-tücke des Johannes-Unmmentar- Twarbeitet von Εν Prevsca
"Origenes, Ban IV,
Die koptisch-gnostischen Schriften 1.
beiten von U, Semi,
est nt olmın Ferne ei nten:
Eusebius, Topographie
Julius Africanus 1.
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beitet von E.Kro-1ermass En
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‚nnähernd berechnen. [πὸ Auge zefas«t »ind δ, Bände. Jeder Band i
einzeln käuflich jlichst sollen jährlich drei inde erscheinen, im dure
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TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER
wi 1 ς 17’ \ ”Yr ΓΛ r τ
\LTCHRISTLICHEN LITERATUR
& 4. . \ b 4 u ii 4 4 λ & " Ρ
ΔΗΓΉΙΝ FIR DIE VON DEBK KL HENVÄTER-OMMISSION
Pill Kiel. PREUSSISCHEN AKADEMIE DEI WISSENSCHAFTEN UNTERNOMMEN
AFSHABL. DER \LTEREN CHEISTLE NEN SCHRIFTSTELLER
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OSCAR von GEBHARDT ıx: ADOLF HARNACK
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DER
SOGENANNTE PRAEDESTINATUS
EIN BEITRAG
ZUR GESCHICHTE DES PELAGIANISMUS
ΤῸΝ
D. HANS von SCHUBERT
PROFESSOR DER IHEOLOGIE IN KIEL.
5 LEIPZIG
J. C. HINRICHS'sene BUCHHANDLUNG
1903
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Für die regelmüssigen Ahnehmer der „Texte unıl Untersuchungen“ \egen \
Titel und Inhalt zu N. F. IX diesem Hefte bei. 1
Verlag der J. ©. HINRICHS®’schen Buchhandlung in Leipzig.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
HMerauszereben von OÖ. voS GERBNARDT und A, HaRNacK.
Inhalt der
Neueste Hefte:
Schubert. H. v.. Per sog. P’rach arınatas. Hin
seitras Zur {τὰ κι ἴα des Pelaziun’smus
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Harnaok, A., Die Pfatfschen Irenans-Frässın. 2's
Falsch. Piaf’s nachgewiesen. -τ Parrist.
Miseellen. TIL, 1188. tun, :NF.V,3 WM -
Der Ketzer-Kataloz des Birchois Maru°a
von Maipherkat. 17 =. τς is. o. Erbes
-- Dindor v. Tarsus. IV, Fr S. tel,
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Drei wenig beachtete εὐ ἣν rianise h.- -chriften
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Holl, K., Krasınente vornnie inischer ἴτε. Ἵν
Vater aus den Savra parallela.
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Die πα Τὰ parallela des Johannes Din:as-
venusn NVL 3028, 1847 INF, Ϊ, 1: M..2-
Janssen, R., Dax ἢ πε νι πε A αι σὰ πὰ κ
des Nonnuas Panopolitanus. TS, τὸν τανε,
NF.VUTL. GM. 20:
Jeep. L., Zur 1 lwrliefernng des Pullostorzmion,
358 Put, 1m Wobbermin:
Klostermann, E., Die ἢ herlieferung des εἰ ΤΠ 145
Homilien des Orizenen,
vl, NS. 1>47, iNF. l,s WW.
aus sun ἈΠ au: rer νι αν σὺ
en Nr μ Εῖν ἘΝ, tn. s..». Harnack
Knopf, R., Der erste ı']e: ‚nenshriet, Untersichr
n.he AUsıE, IV, 018 1SBU.NF.V, 1 Μ᾿ καὶ --
Nestle, E., Kirchengese hichtel. αὶ usehins a.d.>s-
Yiselon. X, 2068, 1001, (NF NV, 2. Mo ouns
Preuschen, E., ἐπ πο ἡ τ» Kirelenztes: {0 τὰ
ἢ ΔΤ, ΝῊ eis ἢν Armeniscehen er» 27.
XXIII, τον, 1m, INF, VI. "ΝΜ 4--
Schmidt. C., Platin's Stellung 2. unostieisinas τὸς
kırchl. ı uistentum, N, 8. — Frasm. im
Sehritt d. Mart.-Biseh. Petrus v. Alexorn bien.
an. den, Mit Stahlin NF NV, αι MW. 5--
Sickenberger, J., Die Iunnaykatene (bs Nikerıs
ver Hırakleia untersucht.
VIll, Ss 8. 1002 ıNF. VIE. I W ı1--
Tıtas von Bostra, Studien zu dessen Lukus-
honnilien. STIL. zes ΝΥ ΟῚ ἈΝΕ Ια M. 0
Stählin, O., Zur l.an:schriftl. \ ον 4. ı Tem.
Atexandrinus. δ S. 19m, a. Schmidt
Steindorft, B., Dre Apokalypse Νὴ "Elias, ον unbuh
Apelin, ΤΠ τι ἢ Sophonias-Apos N, ΤῊ δὶ
ἜΣ 6 Πρ 1 ἀα. (NF. TI, 35-2 M. 6.
Stülcken, A., Athanasiana, Litterar- und ἴον.
me nreschichtliche Luersuchungen.
HT, 159 8, ἴδηις NF.IV, τ M. 5). -
Urbain, A., Hin Martyrolozinm ıl. ehristl. οτος
meinte zu Bom am Antıng des V. Tel,
Vallerstwlien 2. Gesch. d, rom Märtyrer.
\ı ἰ. 2008, 10nL, ἮΝ VL sı ὟΝ]. sn
Weiss, B „Ne Δ ΤῸΝ Din d. Apostelgeschichte.
Yet pr ische Ü ntersie hun 7,
Ivy, 1128 1897, (NE. IL, M 3m
“- ὙΠ stkıitik der vier Evangelien.
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Wotibermin, 8.. Altchristl. ΠΥ Stücke aus ıler
ἈΠ ἢ Ar ἘΝ ptens nebst einem dozmatischen
rt des Bischofs NSerapion_ von Thmmnis
zus ine, (Mit Jeep ΝΕ. IL, 33 M. ἢ -
ie Zeile με ὦ Dur der lexte und Untersuchungen vte. M. 380 .--
vr be Mt Bei rs a Fr! εἶς M. ΠΣ δα
Alter ig zute Duadhiiabzcbiliietio
x-bande D. ikeihe in 17 ως
zu je Μ 2.50 gebunden vorrätig.
esfuhrtienes Inüu'tseerzeichnis steht zu Diensten.
DER
OGENANNIE PRABDESTINATUS
EIN BEITRAG
ZUR GESCHICHTE DES PELAGIANISMUS
VON
D. HANS von SCHUBERT
—
PROFESSOR DER THEOLOGIE IN ΚΙΕΙ,
LEIPZIG
J. C. HINRICHS’scuhe BUCHHANDLUNG
1903
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
ARCHIV FÜR DIE VON DER KIRCHENVÄTER-COMMISSION
DER KGL} PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. UNTERNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR v. GEBHARDT un ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE. IX. BAND, A. HEFT.
Inhalt.
Seite
Einleitung . . . . Es |
I. Die Komposition des Ganzen ον νὸν νιν
1. Das II. und 11. Buch (nebst 1, 850). νων εν 10
Die vorausgesetzte Situation S. 10 — Das II. Buch 3% 11 — Das
11. Buch 8. 22.
I. DasI.Bukch . .: 2 2 m on nenn. 89
Die Quellenfrage 8. 39 — Die Veränderungen der Vorlage 8.47 —
Die Erweiterungen S. 50 — Eigenes 8. 56.
IV. Die Entstehung der Schrift . . . 76
Ort 8. 77 — Zeit 8. τῇ — Verfasser 8. 95 (über. Arnobius ἃ.
Jüngeren. — S. 114).
V. Die Bedeutung der Schrift im Fusammenhang der er polagianischen
Bewegung . 118
Die Aktion Julians Ss 118 -- Die Zusätze zur ep. Caelestini
΄ 121 — Weitere Entwicklung der pelagian. Frage und das
Schicksal des Praedestinatus S. 128.
Anbang: Über den Codex Augiensie CIX. . . 2.222002 02.0.J13
Register . . . nennen. 144
Berichtigungen und Ergänzungen.
7 v. u. lies Gottes Wille und Wirksamkeit ist statt Gott ist Wille
und Wirksamkeit.
4 „ » », Hieronymus statt Heronymus.
15 „ ,„ ist vor in Marius Mercators comm. ein und ausgefallen.
1 „ „ füge hinter Tertullian hinzu: direkt in de pudicitia und
indirekt.
3 „ „ lies Heraclian statt Heraclion.
5f.,, „ vgl. auch Marius Mercat. comm. II Migne 8.1. 48, 111.
„11 „ ,„ lies Thessalonich statt Thessalonien.
6 „ „ füge Turbantius hinzu.
10 v. o. füge hinter seine hinzu: mit Hilarius zusammen unter-
nommene.
6 „ .„ lies das Interesse dafür statt die Neigung dazu.
14 v. u. ist das Komma hinter denn zu streichen.
16 v. o. ist hinter also zu setzen: wohl.
19 v. u. lies echten statt ersten.
Obschon das seltsame Buch, das unter dem Titel Praede-
stinatus in jeder Dogmengeschichte behandelt wird, natürliches
Interesse genug erregt und sofort nach seinem ersten Erscheinen
1643 Gegenstand eines lebhaften Streites und dadurch vollends
zum klassischen Denkmal des Anti-Augustinismus innerhalb der
katholischen Kirche wurde, so wird doch eine zusammen-
hängende kritische Untersuchung vermisste Soweit man sich
damit in früherer Zeit beschäftigte, geschah es im Zusammen-
hange mit der Kontroverse, ob es eine alte „Sekte“ extremer
Augustiner oder Prädestinatianer gegeben habe, entsprechend
den Umständen, unter denen es vom Jesuiten Sirmond ans
Licht gezogen und wie eine Antwort auf Jansen’s Augustinus
verwertet war. Die schneidende censura des Auvraeus d. ı.
wohl de Barcos, die schon 2 Jahre darauf, 1645, zusammen mit
dem Sirmond’schen Text erschien, die ausführlichste Behandlung
des Stoffes, und die confutatio, die G. Mauguin in seiner vindi-
ciarım praedestinationis et gratiae dissertatio altera cap. IV,
1650, dieser Stütze der praedestinatiana fabula zu teil werden
liess, selbst Stücke des damals neuentbrannten Kampfes zwischen
den Geistern des Augustin und Pelagius, stehen ganz unter
diesem Gesichtspunkte. Er ist aber auch noch der leitende für
Chr. W. F. Walch, der in seiner Ketzergeschichte V, 218 ff. („von
den Praedestinatianern“) sich wieder das volle Lob einer um-
fassenden Gelehrsamkeit und zugleich besonnenen und eindringen-
den Kritik verdient hat. An neueren Arbeiten über den Gegen-
stand ist völliger Mangel. Nur soweit das 1. Buch Licht wirft
auf die früheren, ersten Jahrhunderte der Kirche, denen noch
immer die Hauptarbeit unserer Fachgenossen gehört, sind
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4.
S
SEF 21 1903
Fr «δ
νὼ» AN
ω H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
wenigstens über dieses Buch einige allgemeinere Betrachtungen
angestellt worden, die aber näherer Prüfung noch unterliegen.
Wie weit man ihnen historisches Beweismaterial entnehmen
kann, wird sich doch erst auf Grund einer das Ganze umfassen-
den und dem Einzelnen genau nachgehenden Untersuchung fest-
stellen lassen. So muss noch immer von einem „Rätsel, welches
über dem Praedestinatus schwebt“ (Harnack, Dogmengesch. III},
231) geredet werden.!
Wie bei so vielen Quellen dieser Zeit wird der Mut und die
Lust zu historischer Durchforschung auch hier gelähmt durch
die Einsicht, dass die Grundlage einer ausreichenden modernen
Ausgabe fehlt. Da die Handschriftenverhältnisse aber augen-
scheinlich einfache sind, der eine der beiden ältesten Codices
mir freundlicher Weise von Karlsruhe aus zur Verfügung gestellt
wurde und endlich wiederum eine neue Textausgabe, wie sie
durch H. Scharnagl für das Wiener Corpus (zusammen mit
Arnobius ἃ. J.) vorbereitet wird, mancherlei historische Vorarbeit
wünschenswert erscheinen lässt, wird Zurückhaltung in diesem
Falle nicht so am Platze sein wie in anderen.
Die beste bisherige Ausgabe ist die zweite Sirmond’sche in
dessen opera varia ed. La Baune, Par. 1696 I], 449 ff. (— Venet.
1728, 1,269 ff). Danach ist der Abdruck in Gallandi’s bibl. vet.
patr. X, 358 ff, 1774 gemacht, nur mit Weglassung der Vorrede
Sirmond’s und des für die Handschriftengeschichte wichtigen
Antwortschreibens Sirmond’s an Lucas Holstenius, danach
wieder der Druck bei Migne, ser. lat. t. 53, 583—672, nur, wie
so oft, durch sinnwidrige Druckfehler entstellt (lies z. B. 584 B,
2. 1 sacerdotes statt sacerdotum, 585 B, Z. 27 legisse statt legis).
Dagegen ist die Verwirrung in den einleitenden Stücken bereits
durch La Baune (nicht Sirmond, wo noch die richtige Ordnung)
verschuldet, der nach Sirmond’s eigentlicher Vorrede und dem
genannten Brief an Holsten richtig die Überschrift des Werkes
1) Wenn ich mich trotz anderer dringender Arbeiten veranlasst ge-
sehen habe, das Meinige zur Lösung dieses Rätsels beizutragen, so ge-
schah es, weil ich die Verpflichtung empfand, nachdem ich in dem Lehr-
buch f. Kirchengesch. 1, 8. 640 A. 1 u. 2 einiges zur Frage, wenn auch
nur ganz vermutungsweise, geäussert hatte, nachzutragen, wozu mich eine
eindringendere Beschäftigung, zuerst auf Grund von Seminarübungen, ge-
führt hat.
Einleitung. Ausgaben, Handschriften. 3
selbst und danach die richtige praefatio desselben bringt, aber in
einer Druckform, die sie wie eine 2. Vorrede Sirmond's erscheinen
lässt, in welchen Irrtum ein flüchtiger Benutzer um so leichter
geraten konnte, als erst hierauf die Sirmond’sche Zusammen-
stellung der testimonia veterum de praedestinatorum haeresi
folgt, die im 1. Druck gleich hinter der Vorrede des Heraus-
gebers steht. So hat dann — nach Gallandi’s Vorgang —
Migne die Einleitung des Werkes zur Sirmondi praefatio in
Praedestinatum gemacht, S. 583 ff, und auch den elenchus hae-
reseum, die Häresientafel, - die wahrscheinlich auch schon der
Handschrift Sirmond’s angehört, mit den Zeugnissen zu den
Prolegomena des Herausgebers gezogen, so dass er erst S. 587
unten den eigentlichen Text mit der Überschrift des Werkes be-
ginnen lässt.
Die Handschrift, die Sirmond und seine Nachdrucker geben,
ist ein sehr alter Rheimser Codex, der nach Hinkmar’s zweiter
Dissertation de praedest. dei et lib. arbitrio c. 1. (Migne 125, 70 D)
wohl schon diesem 857 vorlag. Noch ein wenig älter als dieses
Jahr, darum aber nicht älter als der mir unzugänglich gebliebene
Remensis Bibliothecae S. Mariae ist der Augiensis, den nach den
vorhandenen Registern der Mönch Reginbert zw. 820 und 842 ab-
schrieb (Neugart, .ep. Constant. I. 1, 549. vgl. 152 2) und der
Bibliothek seines Klosters Reichenau einverleibte (jetzt in Karls-
ruhe als Augiensis CIX!s.IX). Ein zweiter Augiensis oder gar
noch mehrere Augienses, wie zuerst La Baune vermutete (vgl..
Migne ]. c. 621, Note a), existieren heute nach freundlicher
Mitteilung der Bibliotheksverwaltung nicht und haben wahrschein-
lich nie existiert. Auf Grund einer Eintragung auf der ersten
Seite des Codex Augiensis CIX, des Briefes von Sirmond an
Holsten und den Bemerkungen La Baune’s zu diesem Brief
wie an der angeführten Stelle bei Migne kann man folgenden
Vorgang feststellen. 2 Jahre nach Sirmond’s Edition, aber nicht
in dessen, sondern des Kardinals Fr: Barberini Auftrag und für
dessen Bibliothek wurde unser Augiensis von Pater Eusebius
Manzius abgeschrieben.” Diese Abschrift fand Holsten in Rom,
--
1) Die Pergament-Handschriften sind seit dem 18. Jh. dureh rö-
mische Ziffern bezeichnet, die Papierhandschriften durch ‚arabisehe. -
2) Anno 1645 sequentes tres Libri Primasii de heresibus, qui
1*
4 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
machte Sirmond davon Mitteilung und schickte ihm eine Collation.!
Dieses Material kam in La Baune’s Hand mit Sirmond’s Nach-
lass ([ 1651), und er beschloss, diese Varianten unter dem Texte
mitzuteilen, non omnes tamen, quaedam enim deteriores erant
haud dubie, quaedam momenti levioris. Die sich bei Migne
findenden zahlreichen Varianten, die mit MS Augiense bezeichnet
sind, sind also aus der Barberinischen Abschrift geflossen und
neben unserem Codex, als dem Original, ohne jeden selbstän-
digen Wert. Gegen Ende des Jahrhunderts, 1683, sah Mabillon
auf seiner deutschen Handschriftenreise das Reichenauer Original
(Iter germ. p. 93, auch Vet. Anal. t. IV, 1685) und liess dasselbe
abermals abschreiben von den Patres Anselmus Knobloch und
Alphons Bendell.?2 Auch diese Abschrift kam La Baune bei
seiner Edition von Sirmond’s gesammelten Werken zu Gesicht
(alius apographus ms. cod. Aug. quod clarissimus Mabillonius
mecum humanissime communicavit, Migne 1. c.), ohne dass ihm
der Zusammenhang beider Abschriften ganz deutlich wurde.
Vielmehr missleitete ihn die Notiz, die er beim Übergang zum
2. Buch in diesem Apographus Mabillons und nur hier fand:
Subsequitur jam ex ordine nonagesima eaque ultima haeresis
jam pridem ab ipsis admodum reverendissimis et clarissimis
patribus nostris in Augia divite descripta, zusammen mit der
Beobachtung, dass sich die in der Barberinischen Kopie ver-
zeichnete Überschrift zum 2. und 3. Buch: Lib. IL Primasii ad
pridem credebantur interiisse a R: P: Eusebio Manzio Emminentissino
Cardinali Francisco Barbarino descripti sunt ex antiquo manuscripto Augi-
ensis Bibliothecae.
1) Dass dieses Manuskript thatsächlich eine Kopie unseres Augiensis
ist, geht nicht nur aus dieser Eintragung und besonders dem sequentes=
hervor, sondern auch aus der Bemerkung Holstens, dass das Original
vor 800 Jahren vom Benedictinermönch Reginbald (= Reginbert) auf
der Reichenau geschrieben sei. Freilich vermisst man zu den letzten
Worten ein hoc, würde aber im anderen Falle ein altero noch schwerer
vermissen. Auch in Reginberts Registern ist kein 2. Exemplar erwähnt.
2) Laut der Fortsetzung jener Eintragung im Codex: Iidem libri
denuo anno 1683 a RR: PP: Anselmo Knobloch et Alphonso Bendell de-
scripti sunt RR : PP: Ioanni Mabillonio et Michaeli Germano, Congregationis
8: Mauri, Parisiis in Regali S: Germani Monasterio tunc temporis degen-
tibus.
Einleitung. Die Reichenauer Handschrift. 5
Fortunatum de haeresibus wieder in der für Mabillon gemachten
nicht fand, und zwar die Worte ad Fortunatum an keiner
Stelle. Man wird aber die erstere Notiz auf die frühere für
Barberini gemachte Kopie beziehen müssen (vgl. die obige Be-
merkung auf dem 1. Blatt unseres Codex) und sich die Differenz
in der Überschrift des 2. Buches so zu erklären haben, dass der
von Barberivi engagierte Kopist die Etiquette des Primasius, die
auch im Original in der Überschrift des Ganzen (opus Primasii
discipuli Augustini), übrigens m. Εἰ, nicht von späterer, sondern
von Reginbert’s Hand steht, vor dem 2. augustinisch gefärbten
Buche passender angebracht fand oder hier nachtrug und eigen-
mächtig ad Fortunatum hinzufügte aus derselben Quelle, aus der
jene falsche Etiquette überhaupt stammte, Isidor v. Sevilla.
Auch sonst hat Manzius, wie es scheint, selbständig gebessert
(vgl. z.B. 1. I haer. 21 Remensis: Syrinum, Augiensis: Syrenum,
im Barberinus aber nach Note d: Synerum, d. h. gemäss Euseb
h. e. V 13, korrigiert) und ungenau kopiert, z. B. haer. 10, bzw. 9
über die Nazarener wird im Augiensis wirklich der Satz, der im
Remensis ausgefallen ist, im Allgemeinen so gelesen, wie er in
Note e angegeben ist, aber hinter confiteantur ist esse Christum
weggelassen und statt observent steht im Original observare. So
konnte, da bei Übereinstimmung des Meisten! doch Differenzen
genug übrig blieben, La Baune allerdings auf die Meinung
kommen, die beiden Kopien gingen auf verschiedene codices
Augienses zurück.
Das zuletzt genannte Beispiel zeigt, dass die Reichenauer
Handschrift neben der Rheimser doch nicht zu entbehren ist,?
wenn sie auch im ganzen sicher weit unter jener steht. Gleich
—
1) Von den 79 Varianten, die bei Migne zu B. I u. II angeführt sind,
erwiesen sich beim Vergleich 53 als identisch mit dem Original, 8 gehen
sicher auf Verlesung zurück, und die 18 übrigen nichtidentischen lassen
sich, soweit ich sehe, ebenfalls aus Verlesung oder aus eigener Verbesserung
des Abschreibers erklären. Besonders wichtig sind Übereinstimmungen wie
zu 6198 Thessalonicam statt Ephesum, 620c Delatrantes statt tela trac-
tantes, 623 c idem, nunquam utique corrues. Utique de deo statt nunquam
corrues. Uterque de deo —, 625b der gleichmässige Wegfall des Satzes
quia non omnis qui vult ipse salvatur.
2) Auch zu haer. 52 ist im Remensis ein Satz ausgefallen: egit contra
eos synodus Nicaena.
6 HB. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus,
der Anfang des Prologs ist so verwirrt,! dass dadurch wohl
Holsten bzw. La Baune abgeschreckt ist, die Varianten für den
Prolog überhaupt anzugeben, wodurch dann der Irrtum, als sei
es ein Prolog Sirmond’s, noch näher gelegt war. Fr. Oehler
1) Sirmond: Quotiescumque ad te, | Augiensis: Quotiens-
o amator dei, verbs doctorum attingunt, _ cumque ad te, o amator
illico sunt domini praecepta memoranda, , dei, verba doctorum attin-
quibus jubere dignatur ut attendamus ab his | gunt, illico sunt tibi praelia
qui veniunt ad nos in vestitu ovium, ne sub | demicanda, a quibus nos
hoc tegmine luporum rabies occultata ovilem | jubere dignatur, ut absci-
simplicitatem invadat. Utinam mihi verbis : damur ab his qui veniunt
ista dixisse sufficeret, et non, quod est cum ; ad nosin vestimentis ovium,
suspirio memorandum, manifestum sit mis- | ne sub tegmine luporum
cuisse belluas gregi dominico: qui tanta | totum ovile gregi dominico
subtilitate clandestino hiatu sese catholicis | devorent: qui tanta sub-
immerserunt, ut ipsi magis cives sanctorum | tilitate blandestino iatu ca-
et domestici fidei aestimentur qui inimici | tholici inmerserunt, ut ma-
ecclesiae et hostes dolosissimi comprobantur. | gis etc.
583, 15 orent } si orent. — 18. Econtra, hi quos ] Trahi quos.
— 19. dispunxit 1] dispenset. — 20. volentes trahuntur | traduntur. — 21_
expelluntur 1 sternuntur. — 27. Quis hanc ] Quis enim hanc. — 30. uni-
versa monitorum 1 universa ad monitorum. — 584, 4 om. ut. — 14.
si) dum. — 16. tacendi et tempus loquendi J loquendi et tempus tacendi.
— 2]. veniret 1 venerint. — 23. istud J ista. — 28. judicio J indicio. —
30. allophylus | philistaeus. — 585, 5 scaturit | excaturrit. — 7. ex-
secrationi 1 exsecrationis. — 11. vetabatur | petebatur. — asserebatur |
superebatur. — 19. praescribentes 1 perscribentes. — 23. versuum 1 versum.
— 26. alogiis ] a legis. — 586, 1f. dimicantia | dimicantium. — 6. con-
sensu 1 consensum. — Am Schluss des Prologs: Explicit prologus subse-
quentis operis. — Voran geht im Augiensis eine sehr flüchtig geschriebene
Übersicht über die 90 Häresien, mit ganz kurzer Charakterisierung, ent-
sprechend der Häresientafel bei Sirmond, und dann über die 32 capitula,
quae heretici in libro praedestinatorum defendunt, eine Einteilung des
2. Buches in 32 Kapitel, die sich im 3. Buch wieder findet, sich mit der
Sirmond’schen nicht völlig deckt (c. 1. z. B. in 3 Teile zerlegt), aber sinn-
gemässer ist, da sie den Zitaten des bekämpften Buches genauer folgt.
Die fortlaufenden Bezeichnungen haereticus — catholicus vor den Zitaten
und ihren Entgegnungen machen diese Einteilung, die übrigens bei La
Baune, bezw. Migne unter dem Text angegeben ist, noch deutlicher.
Dagegen sind bei Migne fehlerhafterweise die Worte weggelassen, die
sich im Remensis wie im Augiensis finden: Explicit liber categoricus sive
ecdicus sive (Aug. egdis id est) accusator haereticorum et catholicorum
defensor. Der Übergang zum 2. Buch lautet dann hier: Incipit liber, qui
adserit dei praedestinatione peccata committi, id est haeresis nonagesima.
Einleitung. Handschriften. 7
hat dann für seine Ausgabe des 1. Buches im Corpus haereseo|.
I, 227 ff, 1856 auch noch eine ursprünglich Dünkirchner Hand-
schrift (Dunensis) benutzt, von der schon Sirmond, Hist. Praed.
6. 4, flüchtige Kenntnis hatte und die Oehler in der Bibliothek
zu Brügge wiederfand (praef. IX ff). Sie wird dem 13. Jahrh.
zugeschrieben und scheint aus dem Remensis geflossen zu sein,
wie die gleichen Auslassungen bei haer. 9 u. 52 vermuten lassen
und es auch das Nächstliegende ist. Dagegen werden möglicher-
weise zwei bisher nicht beachtete italienische Codices von
grösserer Bedeutung sein, obgleich auch sie jünger sind als Re-
mensis und Augiensis. Mabillon notiert im Iter ital. p. 178
(Mus. Ital. I. 1687) zum Kloster San Marco in Florenz: In biblio-
. theca eiusdem loci habentur Gaudentii Brixiensis ep. conciones,
Praedestinatus a Sirmundo editus absque titulo in codice anno-
rum trecentorum, Tertulliani opera etc. Dazu hat endlich
Reifferscheid eine Handschrift von Monte Cassino aus dem 10.
Jahrh. beschrieben (Sitzungsber. ἃ. Wien. Ak., Phil.-hist. KL 71. Bd.
1872. S. 155 ff, S.-A. II, 423).! Aus den mitgeteilten Sätzen er-
giebt sich, neben ihrer Minderwertigkeit, eine gewisse Verwandt-
schaft mit dem Augiensis: während im Remensis die Überschrift
des I. B. schliesst: — pertexuerunt. Prima haeresis — lesen wir
Der „Prolog zum 3. Buch‘ ist hier, ohne Überschrift, nur mit Absatz,
als Epilog zum 9. Buch gegeben, darauf folgen die Worte: Finit liber
haereticorum sub nomine sancti Augustini confictus. Incipit liber catho-
licorum episcoporum contra eundem librum hereticorum defendendo catho-
lice et orthodoxe refutando errores eorum. Qui ipsum librum legit usque-
dum catholicum incipiat caute legat propter venena serpentis. Den letzten
Satz hat die römische Abschrift an den Schluss der Einleitung zum 3. Buch
vor das 1. Kap. gesetzt, da wo der Haereticus zum 1. Mal zitiert wird und
unser Codex vielmehr die Worte hat: Hinc incipiunt verba libri haereti-
corum de praedestinatione. Diese verba waren ursprünglich, im Autographon,
auf Querlinien neben ihre Entgegnung geschrieben, denn so ist der Satz
des Prologs zu verstehen: Ubicunque autem ejusdem libri sunt dicta,
lineis a tergo versuum jacentibus (auf dem Rücken der Zeilen gezogene
Linien = lineis transversis) deteguntur, also „Wenn gleich sich diese durch
ihre eigene Verkehrtheit von selbst den Lesern verraten, haben wir es
doch so eingerichtet, dass die Wahrheit von der Lüge nicht nur durch ver-
nünftige Worte geschieden wird, sondern auch durch höhnende Unvernunft
(alogiis increpantibus)“, Migne 585 B, vgl. auch Sirmond’s Brief an Holsten.
1) Den Hinweis auf diesen verdanke ich Herrn Prof. Scharnagl.
8 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
hier wie dort: — detexerunt. Incipit epitoma categoricorum.
Prima haeresis. — Ebenso entspricht im Casinensis der Schluss
des I. und der Übergang zum II. Buch dem Augiensis genauer
als dem Remensis (id est statt des 2. sive u, a), Aber hat Sır-
mond diese Übergänge genau wiedergegeben?
Dieser handschriftliche Thatbestand zeigt, dass man sich
immerhin, ohne zu grosse Beschwer zu empfinden, an den bei
Migne gegebenen Abdruck halten kann, nach welchem denn auch
in der folgenden Untersuchung zitiert wird.
1.
Auszugehen ist von der Komposition des Ganzen, die
höchst eigentümlich, in der alten häreseologischen Literatur ohne
Analogie ist. Das 3. und letzte Buch, das eigentliche Haupt-
stück, bedarf an sich der beiden vorangehenden Bücher nicht.
Es bekämpft ein ketzerisches Werk, von dem gesagt wird, dass
es unter dem Namen Augustin’s gehe, in der Weise, wie Origenes
den Celsus, Cyrill Julian Apostata, namentlich aber im Abend-
land Augustin Julian von Eclanum bekämpften, indem es die
Vorlage, den Gegner, voll zu Worte kommen lässt, um Absatz
für Absatz der fremden Meinung die eigene gegenüberzustellen
— so dass jeder Leser, auch ohne bisher die Vorlage zu kennen,
mit Rede und Gegenrede das Material zur Beurteilung vor sich
hatte. Ungewöhnlich aber ist nun, dass der Polemiker ausserdem
im 2. Buch das ganze bekämpfte Libell, obgleich es nachher, nur
in Stücke zerschlagen, fast ganz wörtlich wiederkehrt, totum per
ordinem, im Zusammenhange vorführt. Als Motiv giebt er in
Prolog des 3. Buches an, dass er den Gegnern den Vorwurf habe
entziehen wollen, als ob er für seine Polemik nur das leicht
Widerlegbare exzerpiert, dafür aber das fortgelassen habe, was
das Buch vor der Anklage der Ketzerei zu schützen geeignet
sei: nihil ergo praetermisimus.1 Dass dieser Satz eine gewisse
Einschränkung erleidet, werden wir noch sehen. Als weitere
1) Vgl. den Vorwurf, den Julian dem Augustin — wie dieser nachher,
ep. 207 zugiebt, mit einigem Recht — machte, dass er in de πυρί. et conc.,
ll. auf Grund unzureichender Exzerpte gegen ihn polemisiert habe, op.
imp. I, 16—19.
Die Komposition des Ganzen. Polemischer Charakter. 9
Motive könnten das besondere Ansehen, welches das Buch im Kreise
der Anhänger geniessen soll, und die Gefahr, die gerade in der bis-
herigen Gebeimhaltung des mysteriösen Buches lag, geltend ge-
macht werden. Der Polemiker nennt keinen Vertreter dieser
neuesten, von ihm bekämpften Häresie der „praedestinati“. Soli
duo aut tres homunciones egrediuntur cum his libris apostaticis,
sagt er allgemein III, 3, Migne 635 B. Wer ist der Sektenstifter oder
-führer? Das Buch selbst, das III, 9 fin. vom Verfasser als
liber Praedestinatus bezeichnet wird — daher der von Sir-
mond gewählte Titel der ganzen Schrift — vertritt die Stelle
des Haeresiarchen.
Damit nicht genug, ist nun wieder dem 2. und 3. Buche
eine Grundlage gegeben durch die Voranstellung einer Häreseo-
logie von Simon Magus an, die überhaupt und vollends in dieser
Vollständigkeit durchaus entbehrlich erscheint. Was wird da-
durch bewiesen, dass dieser „Wald“ von 89 Ketzereien der 90.
der Praedestinati vorangestellt wird? Und doch soll etwas damit
bewiesen werden. Das 1. Buch ist vom Verfasser im engsten
Zusammenhang mit der übrigen Komposition gedacht,
vgl. Prolog und Epilog des 1. Buches und wieder Prolog und
Einleitung des 3. Buches. Von Hippolyt bis Epiphanius war es
geläufig, die historische Aufzählung der Ketzereien abzuschliessen
mit einer ἔχϑεσις des eigenen orthodoxen Glaubensbesitzes. Sind
nach der Meinung Caspari’s doch auch noch des Gennadius
dogmata ecclesiastica nur der Abschluss der verlorenen
Bücher über die Häresien. Die Darstellung der rechten Lehre
sollte das gesunde Gegenbild und zugleich den Masstab zeigen, nach
dem die Häresie gemessen wurde; so wenig also die allgemeine
apologetische Tendenz irgendwo zu verkennen ist, der dugmatische
Abschluss diente sonst doch nur zur Krönung des geschichtlichen
Ganges. Hier aber ist es gerade umgekehrt: die Häreseologie
des 1. Buches dient lediglich dem dogmatischen und
zwar einem ganz konkreten polemischen, bezw. apologetischen
Zweck, und nur deshalb steht sie da.
Und zwar lässt der Verfasser auch hier in seine Motive
blicken. Aus den angeführten Stellen ergiebt sich mit Sicherheit,
dass er sich von dem Verdacht, selbst einer Ketzerei anzugehören,
zu reinigen wünscht, indem er zu allen denkbaren vorhandenen
seinen Gegensatz ausspricht (586A, 620D, 627B, 628D), aber
10 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
dass er auch allen Grund hat, sich davon zu reinigen, vgl. auch
II, Anf. Wenn die katholische Ortbodoxie als bereits hart
bedrängt geschildert wird und zwar dadurch, dass die Lüge ım
Gewand der Wahrheit unter der Fahne eines orthodoxen Vaters
einherschreitet, ohne dass sich jemand zum Widerspruch den Mut
genommen hat, so lässt sich auch das dahin deuten, dass es dem
Verfasser selbst schwül ist und er gut thut, seine allseitige Ortho-
doxie festzustellen, ehe er zum Angriff übergeht (namentlich 620 D).
Daneben bringt es ihm den Vorteil, als kompetenter Ketzerrichter
zu erscheinen, der III, 3 (638B) entrüstet ausrufen darf: 89 Hä-
resien haben wir beschrieben, keine war so arg wie diese!
Die Annahme liegt nahe, dass er seine konkrete Polemik auch
noch direkter in die Darstellung der früheren Häresien und ihre
Bestreitung hineinträgt und so noch eine engere innere Ver-
bindung des 1. Buches mit den übrigen herstellt. Ob sie be-
gründet ist, kann erst die Einzelbetrachtung zeigen.
Hier ist nur vorläufig festzustellen, dass der organische Zu-
sammenhang mit einer Streitschrift, in dem sich diese letzte
altchristliche „Häreseologie“ befindet, den etwaigen historischen
Angaben gegenüber mit starkem Misstrauen erfüllen muss.
11.
Wir betrachten zuvörderst die Streitschrift, abgesehen von
der Ketzergeschichte, also namentlich Buch 11 und 11].
Die darin vorausgesetzte Situation, mag sie nun fingiert oder
wirklich sein, ist diese.
Unter dem Namen Augustin’s, des „immer orthodox ge-
wesenen Lehrers“ (584D), werden eine Menge gefälschter Bücher
umgetragen, die mit ihren Irrlehren über die Prädestination
bereits „fast die ganze Welt verwundet haben“, indem sie sitt-
lichen Leichtsinn und Verachtung der priesterlichen Heilsanstalt
verkündigen. Die Gefahr ist um so drohender, als diese Leute,
die „den Mathematikern (d. ἢ. Astrologen) die Hände reichen“
(627D), sich wie echte Christen gerieren, wie Bürger und Haus-
genossen, da sie doch Wölfe in Schafskleidern sind (583B), durch
einen geheimen Spalt eingedrungen, und mit den anderen die
Kirche betreten (655C). Trotzdem hat noch niemand mit ihnen
Die vorausgesetzte Situation. Buch II. 1]
gekämpft, aber stetes Schweigen scheint Uebereinstimmung oder
gar Schuldbewusstsein (584B, 627B). Endlich ist die Gelegen-
heit gekommen, diesem Goliath mit eigenem Schwert den Kopf
abzuschlagen. Denn es gelang durch eine Frau, die es voll
Schrecken einlieferte, in den Besitz eines solchen pseudo-augusti-
nischen, streng geheim gehaltenen, nur unter Eid überlieferten
Buches zu kommen. Schon vom summus pontifex Caelestinus
(422—32) einst (aliıquando) verurteilt und unterdrückt, geniesst es,
heimlich von Haus zu Haus wandernd, nur um so mehr symbolisches
Ansehen, Gegenstand schon des Glaubens, nicht mehr der Dis-
kussion (665C, 584).
Dieser Traktat wird uns nun also in Buch 1] vorgeführt. Er
hat folgenden Inhalt: | |
Der Verfasser beginnt mit einer kurzen Einleitung über Ver-
anlassung, Art und Zweck seiner Abhandlung: er schreibt auf
Aufforderung derer hin, die die Wahrheit verteidigen, und will
die Gedanken, die ein weites Kampffeld suchen, kurz zusammen-
ziehen, um eine brauchbare Waffe an die Hand zu geben gegen
die Knechte, welche gegen den Willen ihres Herrn streiten. Die
Gegner werden charakterisiert: nach ihnen wird der Wille der
Menschen ohne, ja gegen Gottes Willen bewegt, des unsterblichen
Gottes Macht durch die der Sterblichen also gebrochen; durch
ihren eigenen Willen werden die Menschen heilig und gelangen
zu Gottes Freundschaft, menschliches Sorgen erhält das bessere
und erste Teil — nicht auf Gottes Anordnung, sondern mit Aus-
schluss Gottes kann sich der Mensch retten.
Das heisst, die Gegner sind Pelagianer, wie es weiter unten
tatsächlich heisst: „Ihr erneuert wiederum die pelagianische .
Häresie“ (625D). Der Verfasser sieht sich ihnen mit grosser
Lebhaftigkeit gegenüber, redet sie fortlaufend in direkter Rede
an, nimmt auf ihre Vorwürfe und Einwände, die sich z. T. auf
die Exegese bestimmter Schriftstellen stützen, bezug (miror, quod:
testimonia veteris Test. contra auctoritatem novi proferantur.
Solent enim Ezechielis testimonia usurpare, 622C, miror quomodo
„omnes“ intelligatis — miror quod clausis oculis transitis hostis
insidias, vos qui dieitis οἷο. 625C, asserite nos contra regulam.
Christi fixisse sententiam 624B, ut dieitis — nos culpatis —
624CD etc). Man hat fast den Eindruck, als ob punktweise eine.
gegnerische Schrift widerlegt werden solle. ® di
12 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
In der folgenden Auseinandersetzung lassen sich 3 Abschnitte
unterscheiden.
1. wird über das Zusammenfallen von Präscienz und Prä-
destination und die daraus für das sittliche Leben
folgenden Konsequenzen (621—624 Z. 6 v. 0.) gesprochen,
an der Spitze die Mahnung an die „Söhne der Liebe“, sicher zu
sein über Gottes Ordnung, die Röm. 9 bezeugt ist. Der Aus-
gang wird von der Präscienz genommen, die alles künftige Reden
und Tun, damit alles Verdienst als bereits geschehen sieht,
gleichsam offenbar in der Hand hat, und die darum (idcirco) zu-
gleich Vorherbestimmung ist: welche er vorhergesehen, hat er
auch vorherbestimmt, nach Röm. 8, 29f. Das ist das unvergleich-
liche Zeichen seiner Majestät. Wäre Gerechtigkeit und Sünde
nicht vorherbestimmt, täten die Menschen also etwas anderes
als Gott wollte, so müsste man auch annehmen, dass er ohne
Voraussicht Menschen geschaffen habe (621 C, 623 A). Nur so, wenn
man von Prädestination durch Präscienz redet, schliesst man
ganz aus, dass Gott ein acceptor personarum sei. Nur so bleibt
Gott der Unbesiegte, der Mensch der immer Besiegte. Daraus
folgt auch, dass es eine bestimmte unüberschreitbare Zahl von
Gerechten und Sündern giebt (622 B, 623 A). Mit Unrecht wird
von den Gegnern aus dem Alten Testament die Stelle Ezech. 18,
bezw. 33 angeführt, die ihre zeitgeschichtliche Bedeutung hat,
aufs ganze Volk geht, das in der Gefangenschaft lernen soll, wie
es für seine Sünde Strafe leidet, und wenn die Gerechten mit-
leiden, so deutet das darauf, dass unsere Schwachheit die Geheim-
nisse Gottes nicht erkennt. Aber im Neuen Testament sind die
Stellen Röm. 9, 22. 13 (von Jakob und Esau) und 11 ganz klar.
„Daraus schliessen wir“ (unde colligimus apud animum) bei der
Betrachtung des menschlich-sittlichen Lebens, dass bei den ein-
mal zum Leben Bestimniten sich der Wille Gottes auch trotz
aller inneren Widerstände durchsetzen wird, während bei den
zum Tode Bestimmten alles Laufen umsonst ist (quos deus semel
praedestinavit ad vitam, etiam si negligant, etiam si peccent, etiam
81 nolint, ad vitamı perducentur inviti, quos autem praedestinavit
ad mortem, etiam si currant, etiam si festinent, sine causa labo-
rant, 623 B) — dies der Satz, der wie schon vom Bekämpfer
(639 C) als typisch für die hier dargestellte Gesamtanschauung ge-
nommen zu werden pflegt. Möller RE? XIV, 95, Harnack, DG?
Inhalt des 2. Buches. 13
II, 231 £. Beispiele dafür sind Judas, der Herrenjünger, der uno
ictu plötzlich unterging, weil er zum Tode bestimmt war, Paulus,
der Christenverfolger, der uno ictu zum Gefäss der Erwählung
wurde, weil er zum Leben prädestiniert war. — Nun erst folgt
die Wendung von der Theorie zur Praxis in direkter Anrede:
Darum „seid über Gott sicher“ beide, du, der du in Sünden ver-
harrest (qui in peccatis permanes), erbleiche nicht, der du in vergeb-
licher Verzweiflung geschüttelt wirst (qui in peccato desperatione
vana concuteris), lerne an Paulus, dass es einen plötzlichen Auf-
stieg aus der tiefsten Tiefe in die höchste Höhe giebt — du
aber, der du in deinem heiligen Leben dich absorgst, nicht zu
fallen, mit Gebeten bei Tag und Nacht, mit Fasten und heiliger
Lektüre, mit Predigthören und allen möglichen sanctis studiis —
lerne an Judas, lass ab von der Sorge um dich und deine Tugend,
vertraue allein auf Gottes Willen (cessa de te, o homo, inguam,
de virtute tua esse sollicitus et de dei tantum confide voluntate
securus 623f.).
2. Der zweite Absatz (624, 6—626, 10) handelt über das
Verhältnis von Gnade und freiem Willen, speziell darüber,
dass die Gnade dem Willen vorangehe. Nicht von sich,
durch das Gute, das man tut, kommt man zu Christus nach
Joh. 6, 44, erbaut man das Haus nach Ps. 126, 1ff., sonst entferne
man diese Verse aus dem Psalter und psalliere sie nicht, wenn
sie, „wie ihr sagt“, nicht zu erbauen vermögen! Da doch der
Apostel selbst Röm. 7, 19 gesteht, dass er das Gute, das er will,
nicht erfüllen kann, und Röm. 9, 16, dass es nicht am Wollen
und Laufen, sondern am barmherzigen Gotte liegt! (624, A—D).
Denn vorausgeht die Gottesgnade dem Menschenwillen, der erste
ist Gott bei dem Guten, das der Mensch tut, und auch der
beste Mensch ist in jedem Guten immer „kaum der letzte“ (vix
novissimus invenitur). Nicht erst auf die Erinnerung der Menschen
hin tut Gott das Gute, sondern ohne alles Bitten und Gebet
schenkt er allen — da wir Feinde waren, wurden wir mit Gott
versöhnt durch den Tod seines Sohnes, Röm. 5, 10: wenn man
übrigens betont, dass dieser Tod pro omnibus erfolgt sei, so stehe
ommes hier wie oft für einen Teil. Machte es der Wille, so er-
hielte wohl jeder das Heil, denn gerettet werden will doch jeder-
mann; und weiter, läge es am Willen, so würde ein Mensch, der
gut sein soll und es nicht ist, — und faktisch ist die Welt doch
14 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
‚voll Laster — Gott besiegen. Die Freiheit des Willens ist eben
‚durch Adams Fall gebrochen, ja untergegangen bei allen Menschen.
Zu behaupten, dass sie noch imstande sei, der Sünde ein Ziel zu
setzen, ist pelagianische Häresie. Es handelt sich um ein aut-aut,
entweder die Freiheit des Willens oder die Gnade. Ist jene aus-
geschlossen, so will Gott vielmehr diese voll und ungebrochen
offenbaren, Nur so erklärt sich auch die Tatsache, dass sich
in dem einen der Wille zum Guten stärker und reicher, in-dem
‚andern schwächer äussert — je nachdem nämlich die Gnade in
ihm wirkt.
3. Vollends führt uns der 3. Absatz über Taufe und Sünde
ıns Ethische. So sehr sind wir durch Adams Fall von der ur-
sprünglichen Schöpfungsordnung gewichen und ist die Menschen-
natur verderbt, dass auch die Erneuerung durch Christus non
in re, sed in spe erfolgt ist — durch Hoffnung sind wir selig ge-
worden, nach Röm. 8, 24 — und durch die Taufe wohl alle Sünden ge-
tilgt werden, nicht aber ihre Wurzel, die radıx illius plagae, so wenig
wie durch das Scheermesser die Haarwurzel, non peccati possibilitas
nec voluntas. Das aber ist die Fleischeslust, die sich in der unwill-
kürlichen Regung der pudenda zeigt und von hier aus auch
den Getauften wieder ganz in Besitz nehmen wird. Tilgte die
Taufe auch die Wurzeln der Sünde, so müssten ja alle Getauften
jeder Sündenregung bar sein. Also nicht auf das Sichtbare
in anmasslicher Vorwegnahme (praesumendo), was zum Fall
führt, sondern auf das Unsichtbare und Zukünftige in Hoffnung
und Geduld den Sinn gerichtet! Es kommt die Zeit, da man
nicht freit noch gefreit wird, sondern wie die Engel im Himmel
lebt, denn „das Vergängliche wird anziehen das Unvergängliche“
(1. Kor. 15, 53 3), und dann werden wir sagen: Gott sei Dank,
der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesum
Christum. —
Dass dieser Traktat nicht von Augustin herrühren kann,
macht Sprache und Inhalt zweifellos. Er behauptet diesen Ur-
sprung auch selbst nicht, es wird nur von ihm behauptet, aber
vom Verfasser des Ganzen bestritten. Allein kann es deshalb
nicht von einem Augustiner sein? Hat nicht das Urteil Neander's!
viel für sich, wonach sich in dieser knappen, allzu knappen.
1) Kirchengeschichte? 1, 2, 777.
Inbalt und Charakter des 2. Buches. 15
innerlich bewegten Schrift „ein so bestimmter, lebendiger und
persönlicher Charakter“ zu erkennen giebt, dass man „schon des-
halb“, — sieht man nur auf sie allein — den Gedanken der
Unechtheit überhaupt, einer freien Erfindung, nicht wahrschein-
lich finden könne? Man muss noch mehr sagen. Es ist unleug-
bar. dass das Buch sich „von Augustin’s dialektisch gewandter
und sittlich schonender Ausdrucksweise entfernt“ und die Spitzen
der augustinischen Auffassung schroff, ja äusserst gefährlich aus-
spricht (namentlich die praedestinatio sive ad justitiam sivead pec-
catum, 623 A), aber doch hätte vieles noch schroffer ausgedrückt
werden können (ganz augustinisch vorher 622 B: quem voluerit
deus sanctum esse, sanctus est, quem praescierit esse iniquum,
iniquus erit).. Ich kann weder zugeben, dass der Verfasser „wahr-
scheinlich ein Vorgänger der nachher sogen. Supralapsarier“ sei,
angesichts von Stellen wie 626 A., noch dass er „recht absicht-
lich alles aussucht, was das sittliche Gefühl beleidigen kann“
(Neander ἃ. 8. Ο.). Es ist nicht wenig darin, was ein tieferes
sittliches Empfinden auch wieder anspricht. .Die praktischen,
mit andringender Kraft vorgetragenen Sätze im 1. Teil scheinen
nicht geschrieben zu sein, um sittlicher Laxheit das Wort zu
reden, sondern um die filii caritatis, an die sie gerichtet sind,
zu warnen vor falscher Unruhe und sie auf einen Fels zu stellen.
Die subjektive Seite des Heilsprozesses wird wohl zurückgedrängt,
aber doch anerkennt der Verfasser, dass das Heil vom Menschen
aus gesehen in Bekehrung sich vollzieht und sittliche Würdig-
keit voraussetzt: „von denen er vorausgesehen hat, dass sie sich
auf keine Weise bekehren, die hat er zum Tode bestimmt“
(622 B), „die er aber würdig des Heils seiner Erlösung weiss,
die hat er zum Heile prädestiniert“ (624 A, vgl. auch 621 C
merita disponendo bzw. dispungens quasi facta conspexit). Wird
die Gnade im Folgenden auch objektiv als reine Allmachtswillkür
gefasst, subjektiv ist sie zugleich immer Füllung mit sittlichem
Geist: Gott ist Wille und Wirksamkeit im Guten des Menschen,
voluntas et effectus in bono hominis (625 B). Und wieder nimmt
das Motiv, Gott die unbedingte Ehre zu geben, eine praktisch-
sittliche Wendung: „Gebet den ersten Platz Gott, damit Ihr den
menschlichen Stolz austreibt, denn diesen zu nähren ist das Ver-
derben des Menschengeschlechts“ (625 A), und es ist.nicht nur
gegen die Schrift, sondern auch gegen sein sittliches Bewusst-
16 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
sein, sein Gewissen, wenn einer ΒΟΗ͂Ι, auf jenem Wege einen
sicheren Bau zu errichten (624 C).
Gewiss, ein Augustiner strengster Observanz könnte das
Schriftstück wohl verfasst haben.
Dennoch erheben sich die lebhaftesten Zweifel Sie be
ziehen sich zunächst auf die umrahmende Erzählung, mit der das
Buch eingeführt wird. Ohne schon hier auf die Momente einzu-
gehen, die sich aus den historischen Angaben herleiten lassen —
das kann erst im Zusammenhange mit der Verhandlung über die
Entstehung des Ganzen geschehen — die Sache an sich lautet
gemacht und wird von allen möglichen Schwierigkeiten gedrückt.
1. Das Buch ist nicht von Augustin, gilt aber noch zu seinen
Lebzeiten oder doch sofort nach seinem Tode bei seinen An-
hängern als Werk des Meisters und geniesst sogar symbolisches
Ansehen. 2. Es bleibt, obgleich es selbst dem Papste zu Händen
gekommen war, völlig verborgen und muss zum 2. Male infolge
eines Zufalls, durch die nicht ganz ungewöhnliche fromme Frau,
entdeckt werden. Freilich pflegt 3. der römische Bischof sonst
mit der Verurteilung eines häretischen Werkes seine Vernichtung,
nicht nur Bedeckung mit perpetuum silentium zu meinen. 4. Trotz
seiner zweimaligen Entdeckung und seines symbolischen An-
sehens ist dies Buch nur in dem Zusammenhang dieses drei-
teiligen Werkes überliefert, ohne sonst eine Spur zu hinterlassen.
5. Der Eindruck, den die Schrift selbst macht, als ob Punkt für
Punkt, Argument für Argument eine gegnerische Position wider-
legt werde, widerspricht der im Prolog vorausgesetzten Situation,
dass noch niemand von dieser anti-augustinischen Seite gesprochen
habe.
Aber eben deshalb könnte ja das Buch echt und nur der
Rahmen unecht sein. Der Polemiker könnte das echte Pampblet
eines Ultra-Augustiners in diese Rolle geschoben haben, um da-
mit die ganze Richtung zu diskreditieren. Dass man in diesem
Pamphlet dann die Argumente Augustin’s und seiner Gegner, also
namentlich etwa Julian’s, beide in verschärfter Form, wiederfinden
würde, wäre nur natürlich. Tatsächlich lehnt sich Gang und
Auswahl der Gedanken und Zitate des kurzen Schriftstücks viel-
fach an echtes augustinisches Material, namentlich aus den
Schriften des letzten Jahrzehnts, an, ohne wörtlich von da über-
nommen zu sein. Geht man dem aber im einzelnen nach, so
Das 2. Buch. Gründe gegen die Echtheit. 17
macht man einige weitere Beobachtungen, die allerdings zu den
höchsten Bedenken Anlass geben.
1. Die Bezugnahme auf die bei den Gegnern geläufige (solent)
Verwendung von Ezech. 18, bew. 33, 622C, lässt sich belegen
durch Aug. c. Julian. Vl, 2582 u. op. imp. c. Jul. Ill, 3841, 47 ff.
Wir erfahren aus diesen Stellen, dass Julian auf dieses pro-
pheticum testimonium als sein postremum et quasi fortissimum
firmamentum trotzte. Schwerlich hat der Verfasser unserer
Schrift diese Stellen nicht gekannt, vgl. op. imp. 11], 39: loquitur
ad Judaeos, qui captivitatem sceleribus exigentes— mit Praed. 6220:
scriptum est — pro persona populi — ut disceret in captivitate
positus pro peccatis suis —. Julian aber hatte diese Waffe nicht von
sich, sondern aus dem grundlegenden Denkmal aller pelagian. Exe-
gese, dem Römerbriefkommentar des Pelagius, wo es zu Röm. 9, 12
(non ex operibus, sed ex vocatione dietum est ei) heisst: Prae-
scientia dei non praejudicat peccatores, si converti voluerint.
Dieit enim per Ezechielem: Si dixero peccatori, morte morieris,
et ille conversus justitiam fecerit, vita vivet et non morietur.
(Ps.-Hieron. comm. in ep. Pauli, Migne 30, 688). Hier steht also
das Wort als Grund für die Nichtidentität der Prädestination
mit der Präscienz; dieser Zusammenhang aber fehlt bei Julian,
bezw. Augustin, zwischen diesen beiden wurde über das Kapitel 18
nach Seiten der Verwendbarkeit für die Erbsündenlehre diskutiert.
Genau aber so wie bei Pelagius, nur ins Gegenteil verkehrt
ist die Verknüpfung in unserem Schriftstück: Per praescientiam
deus praedestinationem suam fixit atque constitut. lam quos
praescit nullo modo converti,! hos praedestinavit ad mortem:
quos praesciit omni modo converti, hos praedestinavit ad vitam.
Miror autem, quod testimonia veteris testamenti contra auctori-
tatem novi proferantur. Solent enim 8. Ezechielis prophetae
testimonia usurpare dicentis: haec dieit dominus: cum dixero
impio: morte morieris et conversus fuerit ab impietate sua, vivo
ego, dicit dominus, vita vivet (Migne 622C.). Der Verfasser
hat also augenscheinlich Pelagius vor sich. Dies bestätigt sich
durch die Beobachtung, dass er über Röm. 9, 22 sofort zu
en a an
1) Zugleich zeigt diese Stelle, wie einem Fälscher das oben hervor-
gehobene Anschlagen ethischer Töne durch die Vorlage mitgegeben sein
konnte.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4. ")
18 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Röm. 9, 11 u. 9, 13 schreitet, d. ἢ. den Stellen, die jene Aus-
führung bei Pelagius zu Röm. 9, 12 umrahmen. Lässt sich hier
ein selbst pelagianisierender Verfasser aus Pelagius die zu be-
kämpfenden Gedanken darreichen und konstruiert er danach seinen
Gegner oder polemisiert ein Augustiner nach Augustin’s Tod unter
Kenntnis von Pelagius gegen diese ursprüngliche Quelle alles
Übels? Diese zweite Möglichkeit wird durch eine weitere Be-
obachtung noch ferner gerückt.
2. Im letzten Abschnitt verwirft der Praedestinatianer das
Verständnis der Sündenwegnahme durch die Taufe (tolli per
baptismum peccata), als ob auch die radices der Sünden. aus-
gerissen seien, wie wir sahen: denn der motus pollutionis, der
durch den Fall in die Natur eingegangen, bleibt im Getauften
so, wie die Haarwurzel, wenn einer mit dem Scheermesser auf
der Oberfläche gereinigt und rasiert ist (sieut radix capilli, cum
fuerit novacula in superficie emundatus et rasus.. Denn — mit
einem für uns nicht wiederzugebenden Wortspiel — rasus
est, ut emundaretur locus, non est eradicatus, ne ulterius
nasceretur. Diesen Punkt unter diesem Bild und mit Worten,
die genau an diese hier anklingen, haben die Pelagianer in dem
Rundschreiben an die italischen Genossen v. 419, das zwar nicht
Julian v. Eclanum selbst zum Verfasser hat, aber aus seinem
Kreise stammt,! allerdings Augustin zugeschrieben, vgl. Aug. c.
duas epist. Pelag. I, 13 26 (Migne 44, 562): dicunt etiam, bap-
tisma non dare omnem indulgentiam peccatorum nec auferre
crimina, sed radere, ut omnium peccatorum radices in mala
carne teneantur, quasi rasorum in capite capillorum,
unde crescant iterum resecanda peccata. Die Stelle also, wo
Augustin das sagt, wird den Worten des Praedestinatianers zu-
grunde liegen — so muss man zunächst schliessen. Aber fak-
tisch ist es eine Verleumdung der Gegner, Augustin führt a. a. Ὁ.
die Stelle aus der gegnerischen Schrift nur an, um sie scharf
zurückzuweisen und speciell zu leugnen, dass dieser Vergleich
von seiner Seite gebraucht worden sei. „Wer ausser einem Un-
gläubigen sollte so etwas gegenüber den Pelagianern behaupten?
Wir sagen also, dass die Taufe Vergebung aller Sünden verleihe
1) A. Bruckner, Julian v. Eclanum, 8. 36 u. A.1 (Texte u. Unters.
XV, 3. 1897).
Das 2. Buch. Gründe gegen die Echtheit. 19
und die Verbrechen wegnehme, nicht abkratze (dieimus ergo
baptisma dare omnium indulgentiam peccatorum et auferre cri-
mins, non radere) und nicht, dass >die Wurzeln aller Sünden im
bösen Fleische blieben, wie die Wurzeln der auf dem Haupte
rasierten Haare — — (der oben lateinisch angeführte Satz der
Gegner). Denn ich habe in Erfahrung gebracht, dass sie auch
diesen Vergleich bei ihrer Verleumdung ‚anwenden, als ob
wir das meinten und sagten (nam et istam similitudinem
comperi suae illos adhibere calumniae tamquam hoc nos sentia-
mus atque dicamus).“ Sollte also der praedestinatianische Ver-
fasser unseres 2. Buches sich gerade die Wendungen ausgesucht
haben, die die Pelagianer gebrauchten, um Augustin zu. dis-
creditieren und die Augustin als calumnia behandelte? Oder ist
hier vielmehr ein verwandter Geist der Verleumdung an der
Arbeit, der nur darin weiter und sicherer geht, dass er die von
Augustin abgestrittenen Äusserungen einem selbst fingierten
Augustin oder Pseudo-Augustin direkt in den Mund legt?
Liegt das letztere näher, wie ich nicht zweifle, so wird man
in der Tat gut tun, sich diese calumniae überhaupt näher an-
zusehen, wie sie vornehmlich in jenen von Augustin bekämpften
Flugschriften der Pelagianer um 419 gegen Augustin verbreitet
wurden.
Der ganze letzte Absatz unserer Schrift, in dem die zuletzt
besprochene Stelle von der unzureichenden Kraft der Taufe, der
7. Verleumdung der Pelagianer in jenem Schreiben, steht, vertritt
zugleich die ‚Anschauung, dass der motus genitalis oder pollu-
tionis der eigentliche bleibende Sitz der Sünde sei: erst im
Himmel, wo man weder freit noch gefreit wird, fällt der Stachel
der Lust, damit der Stachel des Todes, der Sieg der Hölle weg,
den die Taufe nicht wegnimmt — das aber ist die (2. u.) 3. ca-
lumnia: motum genitalium et commixtionem conjugum a diabolo
esse repertum (l. c. I, 51 15 »ff). Ebenso entspricht im
zweiten Absatz 624D die Anschauung, dass der Apostel Paulus
von sich selbst das Tun des Schlechten trotz alles Willens zum
Guten bekannt habe, der 5. calumnia (apostolum etiam Paulum
vel omnes apostolos semper immoderata libidine fuisse pollutos,
le. 1, 8 15, 556), und die erste in der Reihe, quia primi ho-
minis peccato id est Adae liberum arbitrium perierit (1,2 «, 552),
kehrt hier 625D in derselben scharfen und runden Fassung
9:
90 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
wieder: per praevaricationem primi hominis periit ab hominibus
libertas arbitri. Es fehlt nur die allzu starke Verleumdung,
dass Augustin die Sündlosigkeit Christi bestritten, und die andere,
dass auch die Heiligen des alten Bundes nach ihm nicht sünden-
frei gewesen seien, die sich mit dem Satz betr. Paulus berührt.
Aber in den wesentlichsten Stücken inbezug auf freien Willen,
Adams Fall, Pauli Sündhaftigkeit (ἃ. i. Auslegung von Röm. 7),
Taufe, Konkupiscenz und Ehe stimmt dieser „Augustin“ mit
dem überein, den die Gegner von 419 gemalt, bezw. karrikiert
haben.
Beruht so aber die Verwandtschaft beider Schriften mit
grösserer Wahrscheinlichkeit darauf, dass ein späterer Gegner,
der Wunsch und Mut hatte, einen Popanz mit Augustin’s Maske
aufzurichten, um dann auf ihn bequemer losschlagen zu können,
ın jener früheren Material und Vorarbeit fand, so wird man auch
Stellen, in denen diese jüngere Schrift sich mit Augustin’s Ent-
gegnung auf jene Flugschriften (c. Il ep. Pel. 11.IV) mehr oder
weniger eng berührt, nicht als einen Beweis der Herkunft aus
augustinischem Lager anzusehen vermögen, sondern nur als die
Spuren der Kompositionsarbeit des anti-augustinischen Fälschers,
der seine unechten Töne geschickt mit echten mischte. Solche
Stellen finde ich August., c. lI ep. Pel I, 16 852 (565): wer ist so
verworfen, dass er miscendus uxori, si quis eum videat, non de
his motibus erubescat quaeratque secretum, ubi non solum
alienorum, verum etiam suorum omnium possit vitare conspec-
tum zu Praed. 626B: illa membra quae in baptismatis hora con-
fusione carent, postea confusionem recipiunt, qua evıtant
ubique conspectum et quaerunt pudendo secretum;
1, 19 s? (567) zu Praed. 623B (die Plötzlichkeit von Pauli Be-
kehrung, vgl. auch Aug. de praed. sanct. 2 4); ebenda 568 zu
Praed. 624A (die Verwendung von Joh. 6 «4 im Zusammenhang
mit Paulus einer-, der gratia praeveniens andererseits); II, ὃ 5
vgl. de pecc. mer. 11, 7f£., c. Jul. VI, 154 zu Praed. 625 (die
Anwendung von Röm. 8 af. spe salvı facti sumus auf den ef-
fectus der Taufe), vgl. auch das eligite I, 17» u. s. zu Praed.
626 A.
Die Praedestinationsfrage stand 419 noch nicht im Vorder-
grund. Aber doch vergleiche zu diesem ersten Abschnitt die
Darlegung Augustin’s c. II ep. Pel. II, 5ff. gegen die weitere Ver-
Kompilation des 2. Buches. 31
leumdung in dem Briefe an Rufus v. Thessalonich, dass er unter
dem Namen gratia das Fatum einführe und behaupte, nisi deus
invito et reluetanti homini inspiraverit boni et ipsius imperfecti
cupiditatem nec a malo declinare nec bonum possit arripere — —
quia personarum acceptio non est apud deum, dazu besonders
Praed. 625C: quos deus semel praedestinavit ad vitam, etiam si
negligant, etiam si peccent, etiam si nolint, ad vitam perducentur
inviti εἰς, und 622B: hoc autem non quasi personarum acceptor
constituit ete. Mehr noch fand der Kompilator natürlich in der
späteren augustinischen Literatur selbst brauchbare Töne und
Farben: vgl. z. B. Aug. de praedest. sanct. 10 ı» (Migne 44, 9741.)
zu Praed. 621C, 165: (983) zu Praed. 621D und 622A, 17%
(985 f.) zu Praed. 622A, 712 (970) zu Praed. 624C, 2s (963) zu
Praed. 6252ff. vgl. auch die Anrede an Prosper und Hilarius
fratres dilecti a deo ebenda mit den fratres caritatis Praed. 621 B.
Zu dem Gedanken, dass der Mensch Gott besiege Praed. 625B vgl.
ferner Augustin’s enchir. ad Laur. 27 2, zu der Erklärung von omnes
6250 ebenda 297, zu der Auslegung von Röm. 9 auch ebenda
28 25, weiter zu dem praedestinierten numerus justorum et pecca-
toram 622B ebenda 119, aber auch Prosp. ep. ad Ruf. 111s
und schon Prosp. ep. ad Aug. 6 (Migne 51, 84A. 72A). Besonders
instraktiv ist wieder, wie den scharfen Vorwürfen der Gegner
in dem letztgenannten Briefe Kap. 3 über die sittlichen Folgen
der Lehre hier die gleiche scharfe Formulierung entspricht, so
dass jene ihr Recht erhalten; Prosper: cum si aliud habeat prae-
destinantis electio, cassa sit annitentis intentio, Praed. 624B:
quantumcumgne studii sui vires ad aedificandum moveat humana
voluntas, casso certamine nititur. Ebendort wird auch der Vor-
wurf der Unmöglichkeit, die Gemeinde damit zu erbauen, er-
hoben, 70A, der hier bekämpft und zurückgegeben wird,
624C, wie auch der andere Vorwurf, dass die Lehre zur Ver-
zweiflung führe, 69B, hier vielmehr gerade im umgekehrten
Sinne verwandt wird, 623D.
Im allgemeinen aber verdient es noch einmal hervorgehoben
zu werden, dass es sich durchaus nicht nur um den Praedesti-
natianismus dieser „Praedestinatianer“ handelt, sondern um ein,
wenn auch entstelltes Bild der ganzen augustinischen Position,
wie sie bereits 419 bekämpft wurde, einschliesslich der Ehefrage,
nur dass noch einiges hinzugetreten war.
29 H. τ. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Alles dies erscheint auf wenige Seiten (3 bei Migne) zusammen-
gedrängt. Das „Symbol“ sollte möglichst alles berühren. Die
mangelhafte innere Verbindung mancher Gedankengruppen, die
trotz vielfacher ergo, quia, ideirco, quid, enim u. ähnl. zu kon-
statieren ist und dem Verständnis Schwierigkeiten bereitet, wird
hierauf zurückzuführen sein, vgl. z. B. 625B, besonders auffallend
625C: et hoc miror, quod — —. Man wird dann schliesslich
auch geneigt sein, in mancher tiefsinnig klingenden Wendung,
die faktisch nur eine Tautologie ist („wenn Gott will, dass einer
gut ist und er ist nicht gut, so besiegt der Mensch Gott, denn
er besiegt Gott, wenn Gott will, dass er gut sei und er ist nicht
gut“, 625B) oder eine Oberflächlichkeit (daraus, dass nicht jeder
gerettet wird, da es doch alle wollen, folgt die Alleinwirksamkeit
der Gnade 625B), oder in einer Exegese, wie sie 622C zu
Ezech. 18 gegeben ist, Verständnislosigkeit und Verlegenheit,
vielleicht auch persiflierende Bosheit des Fälschers zu erblicken.
Man wird das Resultat der Analyse dahin zusammenfassen
können, dass sehr starke Gründe für die Annahme sprechen, es
liege im 2. Buche eine Fälschung vor, und dass es sich bei
solcher Annahme wohl erklären lässt, wie ein Werk gerade von
diesem Charakter entstehen konnte. Dabei wurden wir vorzugs-
weise in die Richtung der Anti-Augustiner gewiesen, die sich
um Julian von Eclanum scharten. —
Grössere Klarheit muss das 3. Buch bringen, in welchem
nun der Anti-Augustiner unter Bekämpfung dieses 2. Buches
seine eigene Position vertritt. Der unmittelbare Eindruck ist
allerdings der, dass jetzt ein anderer das Wort nımmt. Es ist
gewandter geschrieben, aber auch breiter, ebenso, ja noch heftiger
bewegt infolge der Überzeugung, dass hohe sittliche und kirchliche
Güter in Gefahr stehen.
Ehe der Verfasser an das Einzelne geht, giebt er in der
Einleitung noch eine allgemeine positive Erklärung darüber ab,
was er unter (iottes ewigem ÜGnadenratschluss verstehe — den
Vorsatz Gottes, das Gute zu lohnen und zu unterstützen und
mit den Sündern Geduld zu haben, sie zur Busse zu erziehen
durchs Gesetz und so der Sünde Abbruch zu thun, während nach
der falschen J’rädestination die Sünde ihr festes Gebiet habe,
Das 3. Buch. Inhalt. Prädestination. 33
so dass es also heisse: entweder das Gesetz oder jene Prädesti-
nation fahren lassen.
Diese Gedanken führen bereits in die Einzelentgegnung
hinein, die dann c. 1—7 auf den ersten Abschnitt der Vor-
lage über Prädestination und Präscienz antwortet. Wer
auch die Prädestination zur Sünde lehrt, der macht entweder
den Sünder straflos oder, wenn er ihn von Gott gestraft sein
lässt, Gott zum Ungerechten und bösen Gott. Unser Gott aber
ist gütig, trägt uns, freut sich nach Ezech. 18, wenn der Sünder
sich bekehrt. Dabei wird die unbequeme Stelle Röm. 9, 22 (vasa
irae aptata in interitum) ausgelegt durch 11, Tim. 2, 20ff. (si
quis mundaverit semetipsum ab his, erit vas in honore sanctifica-
tum), die Stelle über Jakob und Esau geht, recht verstanden, nicht
auf die Einzelnen, sondern auf die Völker, die Juden und die
Heiden, und gegen die in Röm. 8, 30 scheinbar gelehrte Par-
tikularität der Gnadenwahl sprechen unzählige Stellen, die von
dem Heil für alle reden. Nur scheinbar fällt Röm. 8, 29 Prä-
scienz und Prädestination zusammen; auch diese Stelle geht nicht
auf einzelne Menschen, sondern die Heiden gegenüber den Juden
und nicht von ewigem Ratschluss ist die Rede, sondern vom
Segen Abrahams: Gott wusste, dass die Juden seinen Sohn ver-
leugnen und die Heiden ihn annehmen würden und bestimmte
sie, indem er omnes gentes in Abrahams Samen segnete, zur
Gleichförmigkeit des Bildes seines Sohnes. Vielmehr kann und
will. Gott alle Menschen berufen, obgleich sie es nicht verdienen,
denn sonst wäre Gnade nicht Gnade. Und nun wird (5 u. 6) auf
die verderblichen Folgen für das kirchliche Leben mit Energie
hingewiesen: sie lästern Gott, indem sie ihn zum ungerechten
Richter machen, sie geben die Sünde frei, indem sie ihr die
Schuld abnehmen — die summa consilii vestri aber, mit der sie
die Welt betrügen, in die Häuser dringen und die Weiblein ge-
fangen nehmen, ist die an Judas und Paulus illustrierte Lehre
von der Gleichgültigkeit der Stellung zur Kirche: „wenn dem
so ist, dass jeder das ist, wozu er prädestiniert wurde, cessat lex,
cessat sacerdos, cessat devotio populi, elauditur aula confugii,
evacuatur sinus ecclesiae, nullus genu curvat deo, nullus bene-
dietionibus inclinat caput; clauduntur apices dei atque universa
simul virtutum studia evanescunt. Aber dem ist eben nicht so,
Judas fiel durch eigene Schuld und Paulus war schon als Christen-
)4 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
verfolger ein Eiferer um Gott, Elias vergleichbar, seine Unwissen-
heit macht ihn unschuldig (641 BC). Unsere Zustimmung, der
consensus, ist das Entscheidende.
Das führt schon zum Hauptteil, zu der Frage über das
Verhältnis von Gnade und freiem Willen hinüber, c. 7—24.
Der Verfasser findet hier Wahres und Falsches beim Gegner
gemischt. Die folgenden Auseinandersetzungen sind entscheidend
für seine eigene Stellung. Er beginnt c.7 f. mit einer prinzipiellen
Darlegung, die er ce. 15ff, namentlich c. 17 wieder aufnimmt,
über die Frage, ob die Gnade oder die menschliche Freiheit vorher-
geht. Genau dem Gange der Vorlage folgend behandelt er dann
6. 21 ff. das Verhältnis von Gnade und freiem Willen unter Auf-
nahme der Bedeutung, die der Sündenfall dafür gehabt habe,
und seine Stellung zu Pelagius, mit feierlichen Anathematismen
diesen Teil schliessend. Dazwischen werden die verschiedenen
vom Gegner angeführten Schriftstellen behandelt und seiner Exe-
gese eine andere entgegengestellt.
Danach ist der Standpunkt folgender: Der freie Wille
geht der Gnade voraus, heisst es zuerst klipp und klar —
das zeigt Ihr selbst, wenn Ihr mit Euren Katechumenen und Poeni-
tenten zum Bischof kommt, der die gratia baptismatis nur denen,
die die Taufe begehren, nach Erforschung ihres aufrichtigen
Willens,, nach Ablegung ihres Gelübdes abrenuntio pompis etc.
(659D), überliefert und die gratia indulgentiae nur dem freiwillig
bekennenden Poenitenten durch Handauflegung erweist. Major
quidem est gratia dei quam voluntas hominis; sed prior est
voluntas hoc loco quam gratia. [116 merito praecedit, haec
ordine. Däs Lachen der Gegner beirrt ihn nicht. Nos in his
duobus locis diecimus priorem voluntatem quam gratiam in bap-
tismatis consecutione et in poenitentiae conversione. Aber giebt
es denn keine andere (inade als diese Sakramentsgnade? Wohl,
und in dieser Beziehung praecedit gratia dei voluntatem hominis.
Aber durchaus nicht wird diese nun als die innerlich wirkende
Gnade beschrieben, die den Menschen zum Sakrament zieht, die
„vorausgehen muss, damit der Mensch das Gute zu wollen an-
fange“. Er weiss, dass die Gegner so sagen, aber sie sagen es
nur als Vorwand aus sittlicher Faulheit, damit der Mensch warte,
bis er gezogen und wider Willen ein guter Mensch wird und
wenn er schlecht ist, sich entschuldigen könne: Gott will das,
Das 3. Buch. Inhalt. Gnade und freier Wille. 35
weil seine Gnade noch nicht zu mir gekommen ist (645BC.).
Für ihn ist die vorausgehende Gnade nur, dass Gott durch
Christus, der vom Himmel gekommen, für alle, da sie noch
Sünder waren und ihn nicht begehrten, gelitten hat, allen die
officina suae gratiae aufgeschlossen hat (645C), Hier stehen
schöne Worte über den objektiven Gnadenwert des Werkes
Christi, aber es ıst dann doch wieder nur die Kirche. Die Gnaden-
geschenke Gottes sind jetzt für alle ohne Ansehen der Person
im Schosse der Kirche aufgestellt (in gremio ecclesiae collocata),
hier findet sie jeder, der sie sucht. Durch seine Propheten, durch
sich, durch seine Apostel lädt er Dich täglich ein „zu wollen“
(646 C) — Du würdest nichts davon wissen, nichts begehren,
riefe und belehrte Dich Gott nicht — das ist Gottes zuvor-
kommende Gnade. Auch in den späteren Partieen kommt man
im Grunde nicht weiter; am meisten noch c. 18, wo nach Röm. 5, 8
(commendat itaque caritatem suam deus in nobis etc.) als die
Wirkung der Einladung Gottes in Christo an die Sünder die
dankbare Gegenliebe und die Hoffnung auf unsere Rettung be-
zeichnet wird. So zeigt ein Vater seiner Tochter den Freier
aus Gnaden: jam tu incipe velle! (c. 17). Jeder Liebhaber
läuft, rennt, redet, verspricht, treibt alle Leute um, kurz zeigt seine
Liebe. Schliesslich ist doch die Gnade nur, dass uns das ewige
Leben angeboten und uns das ewige Feuer angedroht wird (658 B).
Und schliesslich ist dann auch c. 17 wieder die Gnade, die dem
Willen folgt, die Sakramentsgnade, Taufe und Busse, sicut ergo
tecum dixi in superiori loco quia antecedit gratia dei voluntatem
bominis, ita nunc mecum dic in isto loco, antecedit voluntas ho-
minis gratiam dei — — nisi enim ex fide voluerit, nullus ei
baptismatis donum gratiae divinae impertit, nisi inquam ex fide
voluerit credere, non erit particeps indulgentiae (657C). Beide
sacerdotalis censura examinat, ob die integerrima voluntas da ist.
„Sagen wir etwas Grösseres' Wenn der Mensch so schwach
ist, dass er nicht reden kann, kann der Stumme mit der Fülle
der Gottesgnade nicht bedient werden: wenn das Geheimnis des
Herzens nicht durch den Boten der Zunge verkündigt ist, wird
er die Gnade nicht erlangen können“, nach Röm. 10, 10. Die
Auffassung bleibt äusserlich, hölzern.' Erst die Gnade des
—
1) Wie äusserlich, zeigt z. B. die rationalistische Auslegung von
"u. -ἀμ!.
6 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Angebots von Evangelium und Gesetz, dann der freie Wille, dann
die Gnade des Sakraments.
Dazu tritt im Folgenden auf Seite der vorausgehenden Gnade
noch die Ausrüstung mit dem freien Willen, die durch
den Sündenfall nicht nur nicht verloren, sondern gerade
zu tage getreten ist (per praevaricationem primi hominis mani-
festata est libertas arbitrii quae potuit hominem facere velle
quod deus non vult (c. 21). Das ist, ohne dass das Wort ge-
braucht wäre, das unverlorene bonum naturae. Woher wären
sonst die Menschen Sünder? Was hätte das Gesetz für einen
Sinn? So „stark“ ist unser freier Wille, dass er Gott gehorchen,
so „schwach“, dass er ihn, den Schenker der Freiheit, verachten
kann (663 A). Weil die vormosaischen Erzväter dem „natürlichen
Gesetz“ aus freiem Willen folgten, erlangten sie Gottes Wohl-
gefallen (c. 22). So ist die Alternative der Gegner falsch: ent-
weder freier Wille oder Gnade. Vielmehr aus Gnaden der freie
Wille, Gutes und Böses zu tun mehr als genug in innerer
Selbstentscheidung — aus Gnaden Fürsorge (Aktionsfreiheit), Be-
lehrung, Erhöhung, Vergebung für die Entscheidungen dieses
freien Willens (c. 23) — das Ziel ‚aber ist, wie Christus aus freien
Stücken der Freiheit sich entäussern, um Gottes Diener zu
werden (c. 24), denn das allein ist unsere Praedestination, dass
der Mensch nach Gottes Willen leben kann (c. 1, 632 ΑἹ.
Je „kirchlicher“ die Auffassung ist, je mehr Gewicht auf die
Gnade der Taufe gelegt ist, desto empfindlicher musste sie für
die Anwendung von Röm. 8, 24 (spe salvi facti sumus) auf die
Taufe sein. Der kürzere Schlussteil e. 25—31, der sich mit dem
Verhältnis von Taufe und Sünde beschäftigt, leugnet zwar die
Möglichkeit des Sündigens nach der Taufe nicht — nur kann
der Verfasser darin keinen Schaden sehen, denn nur so gewinnt
der Nichtsündigende Verdienst — aber dennoch empfängt der
Täufling nicht nur in spe, sondern in re etwas: die remissio
peccatorum, die promissio der zukünftigen Auferstehung, die
reale Übertragung des Heils. Das ist durch die Taufe dem
Menschen gegeben: er wird aus einem Menschensohne Gottes-
Joh. 6, 44: nemo venit ad me, nisi quem pater attraxerit, natürlich, denn
Christus sitzt im Himmel zur Rechten des Vaters, niemand hat genug
vires ascendendi in caelos, kann also „zu ihm kommen“ (647 C). Bei
Augustin immer „zu ihm kommen“ --- glauben an ihn.
Das 3. Buch. Inhalt. Taufe und Sünde. 97
sohn, adoptione filius, consors regni, civis ex advena etc. Dagegen
die Häretiker mit ihrer Behauptung, dass man nur durch Hoff-
nung selig werde, alle Mysterien, alle Sakramente entleeren und
zu nichte machen (666D, 6670). Was aber endlich die concu- ᾿
piscentia, d. i. den Geschlechtstrieb als die auch nach der
Taufe bleibende Wurzel der Sünde anbetrifft, so ist sie vielmehr
eine res naturalis certaminis, zur Vermehrung der Menschheit
Adam vor dem Fall, Gen. 1, 28, gegeben. Von Gott geschaffen,
gesegnet, verbunden war schon das erste Menschenpaar. Wäre
der Geschlechtstrieb nicht gut, so wären die Ehen verflucht:
wählet! aut bona est generatio hominis et bona est concupiscentia
aut malae sunt nuptiae et iniqua concupiscentia. Korrigiert also
die Satzung der Kirche, verurteilt, dass in der ganzen Welt die
Priester den Anfang der Ehen segnen, weihen, in Gottes Myste-
rien zusammenschliessen (sociantes, 670 A). Der dem Samen die
Kraft, senkte der Konkupiscenz die Liebe ein, die über die
Eilternliebe geht. Der gerechte Richter verurteilt nicht das natür-
liche Bedürfnis, die concupiscentia maritalis, die conjunctio, die
von der commixtio nicht zu scheiden ist. Wäre es kein Gut,
so gäbe es ja auch keine praemia castitatis. Hier steht eine
merkwürdige Parallelisierung der „Trauung“ mit der Taufe: qui
enim fontem aquae perennis nunc benedixit ut renasceremur
spiritualiter, ipse tunc benedixit conjuges ut carnaliter nasce-
remur (671B). Der Missbrauch des Ehebruchs hebt die Gott-
gewolltheit des ehelichen Triebes nicht auf. Zuletzt sehen wir
noch einmal in die Auffassung vom Sakrament: „warum schliessen
die Gegner nicht umgekehrt, dass, weil die concupiscentia bei
den Getauften nicht getilgt wird, diese keine Sünde sei —
denn wäre sie Sünde, so würde sie wie das übrige weg-
genommen sein“ (672B). Die Taufe ist restauratio, eine ma-
gische Erneuerung und Wiedergeburt, vgl. c. 14, 654AB: sie
macht den Fleischlichen zum Geistlichen, befreit den unter die
Sünde Verkauften von der Sünde, er weiss nun, dass das Gute,
der h. Geist, in seinem Fleische (!) wohnt, durch den er wollen
und vollbringen kann pro sua bona voluntate, und kein anderes
Gesetz sieht er mehr in seinen Gliedern als das Gesetz Christi.
Dem widerspricht dann freilich, dass, wo der Geist des Herrn —
man sollte also denken, vornehmlich beim Getauften —, Freiheit
ist, nämlich Freiheit des Willens, mehr Gutes zu tun als ver-
28 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
langt ist (ἢ), aber auch mehr Böses, quam prohibet Deus (!!),
c. 23, 663BC, vgl. auch c. 27. So begreift sich, dass in den
Schlusssätzen c. 31 als Inhalt der Taufgnade doch wieder nur
“ „pünktlicher Nachlass aller Sünden? angegeben wird. —
Man pflegt, was hier vorgetragen wird, als Semipelagianis-
mus zu bezeichnen. Ich glaube, dass sich selbst der alte treff-
liche Walch durch den kirchlichen Anstrich hat täuschen lassen
und die ältesten, jansenistischen Beurteiler (Auvraeus p. 10 ff.
Mauguin 11, 506 ff.) und Alexander Natalis (bist. ecel. V, 238)
richtiger gesehen haben, wenn sie Pelagianismus darin fanden.
Auch über Faustus von Reji hinaus, der doch eigentlich auch
kaum noch Semipelagianer genannt werden kann, und mit dem
den Verfasser die starke kirchliche Haltung verbindet.
Entscheidend dafür ist, dass 1. nicht nur die Praedestination
und Unwiderstehlichkeit der Gnade bekämpft, sondern auch ihre
innerliche Wirksamkeit, sowohl als praeveniens wie als operans
und cooperans, vollkommen zurückgestellt wir. Am inner-
lichsten erscheint noch die Stelle 648f., wo ausgeführt wird,
dass die Gabe immer das Verdienst überschreite, aber auch hier
ist 648 D unsichtbar nicht mit innerlich zu verwechseln.
Nirgends geht die „Gnade“ über das hinaus, was Julian v. Ec-
lanum bei Aug. op. imp. I, 94 darüber zusammenfassend sagt,
auch was die dankbare Gegenliebe des Christen zu Christo be-
trifft (vgl. auch Bruckner, Julian S. 153). 2. ist entscheidend,
dass von sittlichen Folgen des Sündenfalls keine Rede ist, nicht
einmal von einer Schwächung des Willens — mit den Begrifien
stark und schwach wird 663 A nur gespielt. Nur, dass „wir
alle in Adam Leben und Paradies verloren haben“ wird p. 646 A
kurz behauptet und 665 B die Ansicht verworfen, wonach durch
Adam der Tod nicht gekommen sei. Der freie Wille — Wahl-
freiheit wie bei Julian — hat die possibilitas utriusque, dieselbe
Hand kann den Nackenden bekleiden und den Bekleideten be-
rauben, frei entscheidet der Mensch sich für dies oder jenes,
vitium oder virtus, culpa oder laus, und der justus judex sieht
diese inneren Entscheidungen (c. 23.27). 3. Die Konkupiscenz ist
ihres sündlichen Charakters völlig entkleidet.
Nur die sehr starke Betonung der Sakramentsgnade, die sich
dann auch auf die offenbar noch nicht die Regel bildende Kinder-
taufe erstreckt, neben der Gnade der unverlierbaren Naturaus-
Das 3. Buch. Pelagianischer Standpunkt. 29
stattung mit freiem Willen und der Gnade der Lockung und Be-
lehrung durch Evangelium und Gesetz führt über das einfache
Schema des Pelagianismus hinaus. Als die Frucht des Werkes
Christi erscheint geradezu die officina der Kirche mit ihren bei-
den Sakramenten von Taufe und Busse: dass man sich hier die
dona gratiae holen darf, ist die gratia praeveniens Gottes.
Stimmt schon dies starke kirchlich-bischöfliche Interesse — die
Bischöfe sind für ihn einfach die Bauleute aus Ps. 126 — besser
zu einem Kleriker als zu einem Mönch, so stellt vollends der
dritte Punkt, die Stellung zur Konkupiscenz und zur Ehe, den
Verfasser entschieden an die Seite des weltoffenen Bischofs
Julian v. Eclanum, zu dessen Hochzeit mit einer Bischofstochter
einst Paulinus v. Nola christliche Epithalamien gedichtet, und
der gerade auf diesem Gebiet dem „Manichäer“ Augustin gegen-
über weit über den Asketen Pelagius hinaus das Recht der Natur
vertreten hatte, des Beifalls namentlich der Laien gewiss, vgl. be-
sonders Aug. de nuptüs et conc,, c. Jul. V, op. imp. V,15—25.1 Und
auch die in Zusammenhang damit vorgetragene Auffassung von der
"Taufe deckt sich mit seinen Aussagen, Aug. op. imp. I, 53 u. s.
(Bruckner 9, 158 ἢ). | |
Aber hat nicht der Verfasser den Pelagianismus III, 24 feier-
lich in 4 Sätzen mit dem Anathema belegt und dementsprechend
1,88 Pelagius und Caelestius unter die Häretiker eingestellt?
Wie wenig aber jene 4 Anathematismen für einen Antipelagia-
'nismus beweisen, zeigt aufs bündigste ein weiteres Schriftstück
aus dem J. 419, der libellus fidei der Aquilejenser (Migne 48,
508 2), auf den später zurückzukommen sein wird. Hier genügt
es festzustellen, dass dieser libellus unzweifelhaft pelagianisch ist,
von Männern geschrieben, die gerade der verlangten Verurteilung
des Pelagius und Caelestius ihre Unterschrift zu geben ver-
weigerten, und dass er seine Orthodoxie mit genau denselben Sätzen
belegt, wie die folgende frappante Gegenüberstellung beweist:
Aquilejenser Praedestinatus
III. 18. (Qui etiam nec cum Anathemamus omnes qui
gratis dei dicunt peccata posse dicunt adjutorio dei sublato
vitar. Sed et) si quis dicit ho- posse hominem sine peccato
mines sine dei gratia vel adju- esse si velit;
1) Harnack? III, 181 ἢ, Bruckner S. 136.
30
torio posse peccata vitare, gra-
viter detestamur;
21. vel quicumque asserit
quod neque per Adam omne
genus hominum moriatur neque
per Christum omne genus resur-
gat;
20. Si quis etiam dicit de
duobus baptizatis natum vel de
muliere baptizata pronatum
baptismatis gratia non egere;
19. vel qui negat parvulos
baptismo indigere aut aliis sacra-
menti verbis asserit quam in
majoribus debere celebrari;
22. vel si quae sunt alia
H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
anathemamus qui dicunt
nec per Adam mors nec per
Christum vita;
anathemamus qui dicunt de
duobus baptizatis qui nascitur
baptismum indigere non posse;
anathemamus qui dicunt
infantes non debere in remissio-
nem peccatorum baptismatis
sanctificatione censeri;
anathemamus omnia quae
ın omnibus haereticis damnat
ecclesia.
quae vel contra fidem catholi-
cam veniant vel ad indiscipli-
natas pertineant quaestiones
. simili execratione damnamus.
Man kann also diese Sätze zum mindesten pelagianisch ver-
stehen.! Wenn aber jetzt im Praedestinatus auf Grund solchen
Glaubens Pelagius, bezw. das Dogma Pelagii abgewiesen wird,
während früher auf Grund desselben Standpunkts Pelagius zu
verdammen geweigert wurde, so ist damit der schlagende Beweis
geliefert, dass man inzwischen sich einen Pelagius zurecht
gemacht hatte, den man ruhig unter die Häretiker
stellen konnte, ohne darum den Pelagianismus in Wahr-
heit fahren zu lassen. Daran aber hatten durchaus nicht nur
die Anhänger des Pelagius, nach dem Vorgang des Meisters
Pelagius, der sich in Diospolis eigentlich selbst gespalten und
die von Caelestius vertretene unverhüllte Fassung preisgegeben
hatte, mit ihren Akkommodationen und verschleiernden For-
meln gearbeitet, sondern vor allem die offiziellen Vertreter der
Orthodoxie, Papst Innocenz I. und der grosse Lehrer Heronymus.
Nach Innocenz’ Briefen an die Afrikaner (181 u. 182), auf deren
- ---ἡ ο (..--...Ψβ..-. -»-:-.-.ς
1) Wie sich Julian selbst bezüglich des 2. Punktes half, ist aus dem
1. Schreiben an Zosimus zu ersehen, s. bei Bruckner S. 10, A. 3.
Das 3. Buch. Pelagianischer Standpunkt. 41
Aussagen sich übrigens der Papst beruft, scheint die hier ver-
urteilte Ketzerei des Pelagius und Caelestius darin zu bestehen,
dass diese behaupten, der Mensch bedürfe Gottes Gnadenhülfe
(und das Kind der Taufe) nicht,! und nach Hieronymus
(ep. ad Ctesiph. und Dialog) wesentlich darin, dass sie
die Möglichkeit, sündlos zu sein, vertreten. Indem Hieronymus
den so charakterisierten Pelagianismus dem Fluche preisgiebt,
bleibt er der Verteidiger des freien Willens (damnetur ille qui
damnat — velle et currere meum est, ep. ad Ctes. 10.6), der
er vorher war, vgl. comm. ad Jes. 57,6: et hoc fecerunt impii
Israelitae propria voluntate, quia in nostro consistit arbitrio bo-
num malumve eligere, ep. 130 ı2: et tamen velle et nolle nostrum
est, ipsumque quod nostrum est, sine dei miseratione nostrum
non est”? Da aber nicht nur Hieronymus wiederum als
das allgemeine Orakel des Abendlandes galt, sondern auch
Augustin selbst diese die Sache verschiebende und innerlich un-
wahre Polemik unbegreiflicherweise aufs Höchste lobte, so dass
sie zum klassischen Zeugnis der Pelagiusbekämpfung wurde, war
einem späteren Pelagianer das Handwerk aufs äusserste er-
leichter. Unser Autor macht sich nur diese Situation zu Nutze,
wenn er 11], 21. 24, I, 88 sagt, dass Pelagius deshalb verurteilt
sei, weil er gesagt habe, der Mensch könne allein ohne adjuto-
rıum dei sündlos sein, selbst voll Abscheu von solcher
-Ketzerei abrückend.? Allein sowohl Pelagius wie Julian haben
sogar „sehr starke Äusserungen über die Notwendigkeit der
Gnade Gottes (adjutorium) zu jedem guten Werk“ gethan.*
Ausser dem bekannten Ausspruch des Pelagius in Diospolis:
„Man muss zuın bonum naturae und liberum arbitrium das adju-
torium gratiae bekennen, wer das verwirft, ist natürlich ein
--..-.-.-ς-.-------..--Ἐ-“-ςἨς. -.
1) Vgl. auch Wiggers, August. und Pelag. I, 266; Harnack, Dog-
mengesch. >11I, 169; Seeberg, Dogmengesch. I, 283.
2) Harnack a. a. Ο. S. 165; Zöckler, Hieronymus S. 422,
3) Dabei behandelt er kluger Weise in den Spuren des Hieronymus
(dial. I, 25) die Behauptung, dass der Mensch ohne Sünde sein könne, als
identisch mit der anderen, dass er keine Gotteshülfe brauche, 1, 88 (618 Ὁ):
de hoc itaque quod dictum est, posse hominem sine peccato esse, objectum
est illis ita: aut potest et adjutorium non quaerit, aut non potest et adju-
torium quaerit.
4) Harnack a. ἃ. O. S. 185 u. A. 2—4.
32 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Ketzer“ vgl. etwa de gratia 2: anathemo qui vel sentit vel diceit,
gratiam dei — — non solum per singulas horas aut per singula
momenta, sed etiam per singulos actus nostros non esse necessa-
rium, dazu de gratia 34, de gest. Pel. 16 ff. und Julian, op. imp. 11].
106: quod ais, ad colendum recte deum sine ipsius adjutorio
diei a nobis sufficere unicuique libertatem arbitrii, omnino men-
tiris. Aber es ist Akkommodation und kann im Schema entbehrt
werden — ganz wie hier — oder besagte etwas anderes als die
Gegner darunter verstanden. Denn auch hier führt der so häufige
Lobpreis des freien Willens, dass der Mensch Gott ge-
horchen kann, ja mehr tun kann als er verlangt und Gottes
Wohlgefallen kraft des „natürlichen Gesetzes“ erringen kann, auf
die Entbehrlichkeit der Gnadenhülfe.
Wenn aber die Anerkennung des adjutorium den Pelagianis
mus des Autors keineswegs ausschliesst, so noch weniger der
andere Punkt, in dem er I, 88 gegen Pelagius polemisiert und der
sich auf die Taufe, aber nach einer ganz nebensächlichen Seite
hin, bezieht. Die Pelagianer hatten den Gegnern nämlich die
Konsequenz gezogen, dass, wenn die Taufe die Erbsünde weg-
nähme, wie man behaupte, die Kinder von Getauften nicht ge-
tauft zu werden brauchten, denn justi gignunt justum. Da-
gegen hat dann Augustin sich öfters gewehrt, de mer. pecc. 1],
9. 25 ff, III, S£, c. Jul. ΥἹ, 14, serm. 294, indem er darauf hin-
wies, dass, wenn auch der Geist der Eltern erneuert sei, sie den
in der Lust des Fleisches erzeugten Kindern die Erbsünde doch
mitgäben u. a. mehr. Unter deutlicher, aber äusserlicher An-
lehnung an solche Gedankengänge, unter Scheidung in zwei
generationes aus dem Fleische und aus dem Geist, aber ohne
von Konkupiscenz, Sünde, Erbsünde, Vergebung überhaupt zu
reden, behauptet auch unser Verfasser die Notwendigkeit der
Taufe für solche Kinder und begründet sie damit, dass die aus
dem Fleische fleischlich Entstandenen doch geistlich neugeschaffen
werden müssten, weil Fleisch und Blut das Himmelreich nicht
ererben und das Verwesliche die Unverweslichkeit nicht anziehen
könne, d. h. das Ethische wird zu Gunsten des Physisch-Magischen
ausgeschaltet. In derselben Verbindung mit der Kindertaufe, wie
hier ΠῚ, 24 wird der Satz nicht nur in jenem libellus fidei der
Aquilejenser III, 19f. (s. oben), sondern auch in dem pelagianischen
Brief v. 419 vertreten, dessen Spuren uns in Praed. 1. II be-
34
Pelagius
Jesu Christi in
plures habunda-
vit*. Plus preva-
luit justitia vivi-
ficando quam pec-
catum in occiden-
do, quia Adam
tantum se et
suos posteros in-
terfecit, . Christus
autem et qui erant
tunc in corpore
et posteros libera-
vit. Hi autem qui
contra traducem
peccati sunt, ita
illum inpugnari
nituntur: si Adae
inquiunt pecca-
tum etiam non
peccantibus no-
cuit, ergo et Chri-
sti Justitia etiam
non credentibus
prodest, quia simi-
liter immo et ma-
gis dieit per unum
salvari quam per
unum ante perie-
runt, Deinde ai-
unt, si baptismum
mundat antiquum
illud delictum, qui
de duobus babti-
zatıs natı fuerint,
debent hoc carere
peccato. Nonenim
potuerunt ad filios
transmittere quod
ipsi minime habu-
erunt. Πα quo-
que accidit, quia
8: anima non est
ex traduce sed
sola caro, ipsa tan-
H. v. Schubert, Der
Praedestinatus
stolus: „Quoni-
am per unum ho-
minem in hunc
mundum pecca-
tum intravit, etper
peccatum mors,
et ita in omnes
homines pertran-
siit, in quo omnes
peccaverunt“ tan-
gens Üaelestium,
qui contra tradu-
cem peccatiprimus
scripsit, his verbis
ait. Hi, inquit,
qui contra tradu-
cem veniunt, ita
illam impugnare
nituntur: si Adae
peccatum etiam
non peccantibus
obfuit, ergo et
Christi gratia eti-
am non credenti-
bus prodest.
Addunt etiam
hoc: si baptismus
tollit originale
illud peccatum,
de duobus bapti-
zatis nati debent
hoc carere pecca-
to: quomodo enim
mittunt ad poste-
ros quod ipsi in
se minime habhu-
erunt? Haec si-
cut ab ipso Pela-
gio sunt scripta
posuimus.
sog. Praedestinatus.
Augustin
brevissimas conti-
nerent, atque ibi
comperi, cum ad
illım venisset lo-
cum, ubi dicit apo-
stolus, „per unum
hominem pecca-
tum intrasse in
mundum et per
peccatum mortem
atque ita in omnes
homines pertrans-
isse, quandam
eorum argumen-
tationem, qui ne-
gant parvulos
peccatum origi-
nale gestare. — Sic
ergo argumentatio
posita est: Hi au-
tem, inquit, qui
contra traducem
peccati sunt, ita
ıllam impugnare
nituntur: si Adae,
inquiunt, pecca-
tum etiam non
peccantibus no-
cuit, ergo et Chri-
sti justitia etiam
non credentibus
prodest: quia si-
militer, immo et
magis dieit per
unum salvari,
quam per unum
ante perierunt. De-
inde aiunt, si bap-
tismus mundatetc.
(wörtlich = Pela-
gius): non enim
potuerunt ad pos-
teros transmittere,
quod ipsi minime
habuerunt. Illud
Marius Merca-
tor
Hi autem. wui
contra traducem
peccati sentiunt,
acriter eos qui de-
fendunt traducem.
impugnare conan-
tur. Si peccatum,
inquiunt, Adaeeti-
am non peccantıi-
busnocuit ‚ergo et
Christi justitianon
credentibus pro-
dest, quoniam si-
militer, immo plus
dicitapostolus, per
unum liberari,
quam per unum
ante perierat.
Deinde dicunt, in-
quit: si baptismus
mundat antiquum
illud veternosum-
que peccatum, qui
de duobus bapti-
zatis nati fuerint,
debent hoc carere
peccato. Non
enim poterunt
ad posteros trans-
mittere, quod ipei
minime habue-
rint, In hoc ad-
dunt, inquit, quo-
Das 3. Buch. Benutzung pelagianischer Literatur.
Pelagius
tum habet tradu-
cem peccati etipsa
sola poenam mere-
tur, injustum esse
dicentes ut hodie
nata aniıma non
ex massa Adae
tam antiquum pec-
catum portetquam
alienum. Dicunt
etium nulla ratio-
ne concedi,utdeus,
qui propria pec-
cata remittit, im-
putet aliena.
Praedestinatus
Augustin
quoque saccedit,
inquit, etc. (wört-
lich = Pel.)
Dicunt etiam, in-
quit, nulla ratione
etc. (= Pel.)
90
Marius Merca-
tor
niam si anima
non est ex tra-
duce, sicut nec
est, sed sola caro
habet traducem
peccati, sola et
poenam meretur.
Injustum est enim,
ut hodie nata ani-
ma non ex mass&
Adae ἰδ anti-
quum peccatum
portet alienum:
quin et rationa-
bile est, ut deus,
qui propria pec-
cata dimittit, non
imputet alienum.
Man beachte, dass der Praedestinatus allein die Angabe hat,
Pelagius habe mit denen, die diese Sätze gebraucht hätten, den
Caelestius gemeint, der zuerst „contra traducem“ geschrieben
habe. Er scheint also auch den Caelestius gelesen zu haben.
Bleibt hier immerhin noch ein gewisser Zweifel, ob der Ver-
fasser des Praedestinatus nicht vielleicht nur Augustin vor sich
gehabt hat, mit dem er Einiges gemein hat (z. B. das ungenaue
Zitat Röm. 5, 12 statt 5, 15), so tilgt diesen ein Vergleich des
3. Buches mit dem Pelagiuskommentar. Ich führe nur folgende
Stellen zum Beweise dafür an, dass für die Auslegung des Ver-
fassers hier die Quelle zu suchen ist. Man vergleiche zu Röm. 7
Praed. III, 14, Migne 53, 653 mit Pseudo-Hieron. = Pelagius,
Migne 30, 678.
Praedestinatus:
Constat ergo quod non suam
apostolus, sed alterius, id est
carnalis viri, voluit hoc loco de-
clarare personam. [116 est ve-
numdatus sub peccato — —
Vgl. dazu Migne 30, 675 unten, 677 Mitte und Aug. c. 11. ep.
PeL I, 8 ἢ, op. imp. ], 67.
Pelagius:
Item hoc ex persona ejus
dieitur, qui peccandi consuetu-
dinem habet et carnis vitüs
tenetur obnoxius.
3%
36
„Condelector tamen legi
Dei secundum interiorem homi-
nem“, ıd est interior homo meus,
in quo est intellectus meus,
condelectatur legi dei, quae di-
cit unum et invisibilem deum
debere adorari.
Zu Röm. 9, 10 ff. Praedest.
Praedestinatus:
In Geneseos libro de Re-
becca dietum est: duae gentes
— — (Gen. 25, 23). Prophetia
ergo non de his est qui secun-
dum carnem nascebuntur, sed
de duobus populis Judaeorum
et gentium.
H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
„Condelector etc“. Consen-
tio legi secundum mentem. Item
interior homo noster rationabilis
et intelligibilis est aniıma quae
consentit legi dei.
633 f. mit Ps.-Hier. 688.
Pelagius:
In Geneseos libro dietum
est: Duae gentes etc. Ergo pro-
phetia non de his est, qui se-
cundum carnem sunt Jacobi et
Esau, sed de his qui futuri
erant, ex operibus boni et mali
(vorher aus Juden und Heiden‘.
Im Zusammenhang damit steht bei Pelagius der Hinweis auf
die Stelle Ezech. 33: Praescientia dei non praejudicat peccatores,
si converti voluerint. Dicit enim per Ezechielem: Si dixero
peccatori, morte morieris: et ille conversus justitiam fecerit, vita
vivet et non morietur. Vgl. den Gedankengang Praedest. 632 f.
und dasselbe Zitat zusammen mit l. 11, 622 BC; an der letzteren
Stelle waren wir bereits auf den Pelagiuskommentar gestossen.
Gerade aber bei der Auslegung von Röm. 9, 633f., 635f.
wird man über Pelagius wieder zu Julian weitergeführt,
dessen exegetische Behandlung op. imperf. I, 131 ff. dem Verfasser
offenbar bekannt ist, speziell findet sich hier 1, 134f. die Vorlage
für die Entwertung der unbequemen Stelle Röm. 9, 22 von den
„Gefässen des Zorns“ durch 2. Tim. 2, 20—22, wonach es eines
jeden Sache ist, sich zu einem Gefäss der Ehre zu reinigen.
Und sollte der Verfasser die Schlusskapitel 29—31, die so sehr
aus der Julian’schen Auffassung über Ehe und Konkupiscenz
heraus geschrieben sind, dass schon Auvraeus meinte, man höre
Julian selbst reden, geschrieben haben, ohne dessen Ausführungen
selbst gelesen zu haben — einen Satz wie den nec enim esse
potuit ‘aut sine conjunctione (nuptiarum) commixtio aut absque
commixtione conjunctio ohne Kenntnis des Julian’schen nihil
aliud esse nuptias quam corporum commixtionem (Aug. c. Jul.) V,
Das 3. Buch. Pelagianische Quellen. Stellung zu B. Il. 37
1662)? Ist dem aber so, so dürfte auch das Zusammentreffen
der Anathematismen im Praed. Ill, 24 und im libellus fidei der
Aquilejenser nach Auswahl und Formulierung nicht zufällig sein.
Mit alledem, speziell auch mit dem zuletzt Genannten, be-
wegen wir uns in einer Richtung, die mit unseren Erhebungen
über Buch 11 durchaus im Einklang ist. Der julianistisch ge-
richtete Anti-Augustiner, der als der Verfasser des 3. Buches
festgestellt ist, könnte sehr wohl der Kompilator auch des 2.
sein. Abgesehen von der Differenz im sprachlichen Gewand, die
man zum grossen Teil ja darauf schieben könnte, dass dort der
Autor sich frei gehen lassen kann, während er hier fremde Ge-
danken unter fremder Etikette zusammenschweisst, erhebt sich
aber doch noch eine andere, innerlichere Schwierigkeit. Sprach
oben für die Echtheit von Buch 11 das negative Moment, dass
für einen Fälscher der Augustinismus noch zu wenig nach seinen
gefährlichen Konsequenzen dargestellt und zu wenig karrikiert
zu sein schien, so nun das positive, dass erst die Widerlegung
diese kompromittierende Arbeit vollkommen durchführt, indem
sie das Ungünstige noch übertreibt, das Günstige aber unter-
drückt. So leistet sie namentlich in der Entstellung und Unter-
schiebung von Motiven das Äusserste; z. B. über Röm. 9, 16,
648 A zu 624B: Vultis enim ut nemo velit bonum, nemo currat
ad bonum — 658 B: Ipsum autem quod dieitis quia (gratia)
praecedit, ideirco diecitis, ut bomo in criminibus positus velle
suum faciat quiescere et exspectet ut veniat ad eum prior
gratia — —. Zu dem Satze: Non enim cum rogaremus
neque cum peteremus, sed cum inimici essemus, reconciliati
sumus deo, non per nostram voluntatem, sed per mortem 811]
ejus, heisst es (660 A): Jubetis ergo ut non rogent homines deum
ut reconcilientur ei, sed efficiantur inimici ejus, ut possit stare
apostoli Pauli sententia etc. Dafür: lässt der Polemiker die
Stellen, die uns oben als besonders innerliche und ethische er-
schienen, weg, das desperatione tua concuteris 639C sogar in
der Wiedergabe der Vorlage, wie er denn diese überhaupt am
Anfang freier eitiert. Auch der Satz dei ergo voluntas et effec-
tus est in bono hominis ist c. 16 Anfang ins Zitat nicht auf-
genommen, und mit dem dignos 624A weiss er p. 644A nichts
anzufangen.
Aber eben diese letzte Stelle zeigt wieder, dass es voreilig
38 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
wäre, aus solcher Nichtberäcksichtigung weitgehende Schlüsse
zu ziehen. Denn wie wir schon oben an einer anderen Stelle
anmerkten — S. 17 zu 6220 —., steht man nicht etwa vor der
Notwendigkeit der Annahme, dass sich der Fälscher mutwillig
Schwierigkeiten in den Weg legt, mit denen er dann nicht fertig
wird — was ja freilich sehr unwahrscheinlich wäre —, sondern
dies Vorkommen sympathischer Züge, die dann in der Bekämpfung
wieder unterschlagen werden, erklärt sich einfach daraus, dass
sie aus der augustinischen Vorlage in die Kompilation des Fäl-
schers eingedrungen sind: selbst in dieser Maske wirken diese
Gedanken noch so echt und ernst. Bei unserer Stelle mag z. B.
das Wort Prospers in der ep. ad Ruf.9 Anf. eingewirkt haben:
hoc ergo tanto et tam ineffabili bono nemo inventus est dignus.
sed quicunque electus est a deo, factus est dignus, oder das den
„Semipelagianern“ in den Mund gelegte Wort im Briefe Prospers
an Aug., Migne 51, 69B. Beide Stellen stehen in einer Umgebung,
die auch sonst im Praed. II anklingt, in der Nähe der letz-
teren kommt speziell auch das Motiv der desperatio vor (ob. S. 13).
Im übrigen aber sind Erwägungen und Urteile dieser Art recht
subjektiv. Wer will dem Fälscher zumessen, wie weit er in
seiner Arbeit, die doch den Eindruck des Echten machen sollte,
echtes Gut hineinarbeiten und wie leicht er es dann in seiner
Widerlegung sich wiederum machen durfte! Und schliesslich
mag es für diese Differenzen noch eine andere Erklärung geben,
die erst später zu berühren ist.
Weit konkreter als diese Räsonnements ist die bisher noch
nicht berührte Tatsache, dass 111], 1314, 652 eine so dreiste
literarische Fälschung steht, dass man dem Verfasser auch mehr
und Grösseres zutraut. Hier schreibt er nämlich dem Arius und
zwar „seinem 3. Buch“ einen Spruch freilich allerallgemeinsten
Charakters zu (in tertio libro suo epigramma hujusmodi posuit)
mit diesem Wortlaut: nos verba filii dei accepimus et vera credimus,
vera etiam confitemur, um daran die Bemerkung zu knüpfen,
dass jener sich mit Unrecht auf die Worte Christi berufe, da er
es nicht verstanden habe, den einen Spruch (Joh. 14,28) durch
den anderen (Joh. 10,30) auszulegen und so zu seiner grossen
Häresie gekommen sei; wie aber „der fluchwürdige Arius“ „an
der Spitze (in capite) seines 3. Buches“ gethan habe, woran er
soeben erinnert habe, genau so thäten auch die Praedestinatı,
Verhältnis des 3. zum 2. Buch. Das 1. Buch. 39
wenn sie sich auf Paulus beriefen — apostoli verba sunt, nostrunı
nihil addıdimus — und doch nicht Röm. 7, 19 durch andere Worte
desselben Apostels wie Gal. 2, 20 auslegten. Wir wissen schlechter-
dings nichts von einem wenigstens 3 Bücher umfassenden schein-
bar dogmatischen Werke des Arius, und, was der Verfasser
Buch 1, haer. 49 an eigener Kenntnis über den arianischen Streit
verrät, lädt wahrlich nicht zu einer ernsthaften Untersuchung
darüber ein, ob nicht er allein uns eine unschätzbare Nachricht
über die Schriftstellerei des meist umstrittenen Ketzers möchte
hinterlassen haben. Wir können nur urteilen, dass hier eine
reine Erfindung vorliegt, gemacht, um unter Bezeugung eigener
Orthodoxie die Gegner durch die Parallele mit Arius zu dis-
kreditieren. Damit ist man aufs beste auf die Erscheinungen
vorbereitet, die uns die Analyse von Buch I zeigt.
111.
Dass das 1. Buch, die Häreseologie, ein organischer Be-
standteil des Ganzen, unter dem polemischen Gesichtspunkt ge-
schrieben und also auch zu verstehen ist, erhellt aus dem Bis-
herigen. In welchem Masse das historische Interesse zurücktritt,
zeigt allerdings erst die genaue Betrachtung des Einzelnen.
1. Möller nennt esl.c. ein Buch „in der Weise der alten Häre-
seologen und mit Anschluss an Augustin’s de haeresibus“; schon
die flüchtige Vergleichung lehre, dass diese Schrift sehr stark
benutzt sei. Von der Weise anderer Häreseologen und auch
Augustin’s unterscheidet es sich dadurch, dass es zu jeder Häresie
einige Sätze über ihre Widerlegung, eventuell auch eigene Wider-
legung zufügt — darüber nachher. Soweit aber die Dar-
stellung der Ketzereien in Betracht kommt, so zeigt ein
Wort für Wort vorgenommener Vergleich eine so starke Be-
nutzung von Augustins de haeresibus, dass für eine
zweite Quelle überhaupt kein Raum bleibt. Es ist durchweg,
bis auf die 3 letzten Häresien der Pelagianer, Nestorianer und
Prädestinatianer, vielmehr ein Auszug, ja in den allermeisten
Fällen eine einfache, ganz oder fast wörtliche Abschrift
Augustins. Abweichungen in der Reihenfolge sind ver-
schwindend. Bei Augustin folgt auf Sımon und Menander
bi.
40 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
richtiger gleich Saturnin, der als des letzteren Schüler galt, dann
erst Basilides und Nicolaus, hier ist Saturnin nachgestellt. Die
Häresien 68, 71, 73—80 sind bei Augustin ohne Sektennamen,
meist nur mit einem Satze charakterisiert. Daraus macht der
Anonymus hier (mit Ausnahme von 80) griechische Sektennamen,
z. B. Augustin 73: Alia est haeresis quae dicit in Christo divini-
tatem doluisse cum figeretur caro ejus in cruce, vgl. Praedest. 73:
Septuagesima et tertia haeresis est Theoponitarum. Hi dieunt
in Christo, dum pateretur, divinitatem sic doluisse, sicut potest
dolere anima, dum corpus suppliciis agitur. Oder Aug. haer. 76:
Alia dieit corpus hominis, non animam esse imaginem dei, vgl
Praed. 76: Septuagesimam et sextam haeresim fecerunt Homun-
cionitae, qui dieunt in corpore hominis esse imaginem dei, non
in anima. Analog kommen Gymnopodae, Adelofagi, Triscilidae,
Hydrotheitae, Ametritae, Psychopneumones, Adercerditae zustande.
Immerhin ist der Verfasser nicht ohne Kenntnis des Griechischen.
Interessant ist, wie der Verfasser den Mangel haer. 67 auszu-
gleichen versteht. Augustin: Haeresin quandam sine auctore et
sine nomine Philaster commemorat, quae dieit hune mundum
etiam post resurrectionem mortuorum in eodem statu, in quo
nunc est, esse mansurum, neque ita esse mutandum, ut sit caelum
novum et terra nova, sicut sancta scriptura promittit. Daraus
wird beim Praedestin. 67: Sexagesima et septima haeresis est
Satanniorum, a Satannio. Hi dicunt, post resurrectionem mor-
tuorum, in eodem statu, in quo nunc sumus, ΠΟ8 esse Mansuros,
neque ita esse mutandos, ut sit caelum novum et terra nova,
sicut sancta scriptura promittit. Dass hier der augustinische
Text vorliegt, ist unleugbar, aber aus mundus wird nos, wodurch
nicht nur eine andere Lehre, sondern infolge des Nachsatzes ut
sit etc. ein vollendeter Unsinn wird, und der Unkenntnis Phi-
lasters wird durch einen Aug. 57 bei den Euchiten genannten,
aber nicht weiter verwendeten Ketzernamen aufgeholfen und
wiederum aus .diesem ein Sektenstifter Satannios entnommen.
Das führt schon von den Überschriften zum Text. Der Autor
scheint neben Augustin noch Philaster zu benutzen. Haer. 52 fügt
er hinzu: Philaster scribit Macedonium spiritum sanctum dei-
tatem patris et filii dicere, quo dietu videtur proprietatem suam
sancto spiritui denegare. Aber sieht man genauer zu, so hilft
er nur wieder phantasievoll einem Mangel bei Augustin ab:
Das 1. Buch. Verhältnis zu Augustin. 41
(Juamvis a nonnullis perhibeantur non deum, sed deitatem
patris et filii dicere spiritum sanctum, et nullam propriam
habere substantiam. Leider kommen aber bei Philaster die Mace-
donianer gar nicht vor. Dagegen stammt die Angabe haer. 72
vom Sektenstifter Rhetorius wirklich aus Philaster — nach
Augustin, aus dem der Verfasser die Angabe entnimmt. Indessen
haer. 57 zeigt er doch seine breite Quellenbasıs! Nach Behand-
lung der Messalianer und Euchiten heisst es: „Bis zu diesen
kam Epiphanius und schwieg. — — Aber weil auch Philaster
selbst in seinen Büchern, in denen er Geschichten verschiedenen
Inhalts behandelt hat, auch die Ketzereien, die zu allen übrigen
Zeiten entstanden sind, [behandelt], ziehen wir aus seinen Büchern
nun allein die Häresien und führen sie vor“. Leider ist aber
auch das lediglich Augustin: Usque ad istos ergo de haeresibus
opus suum perduxit supradietus episcopus Cyprius — — Nunc
ergo addo quas Philaster posuit, nec posuit Epiphanius. Nur
dass er statt des für ihn unbrauchbaren Exkurses Augustins über
die Grundsätze seiner Benutzung des Epiphanius die geistreiche
Zwischenbemerkung einschiebt: „Ich glaube, dass er bis zu dieser
Zeit gelebt hat, denn (!) Vergangenheit und Gegenwart kann
die menschliche Wissbegier anzeigen, Gott aber allein die Zu-
kunft voraussagen* — und dass sein scheinbar gelehrtes Gerede
über Philaster’s Geschichtenbücher verrät, dass er ihn überhaupt
gar nicht kennt.
Aber vielleicht Epiphanius! Er wird in acht Häresien als
Quelle des Verfassers angeführt, überall haben wir in Wahrheit
nur Augustin vor uns, ganz wörtlich oder etwas gekürzt, etwas
ausgesponnen, paraphrasiert, mit naheliegenden kleinen Zusätzen
versehen — für welche Arbeitsweise die Stellen zugleich Bei-
spiele sein mögen.
Augustin: Praedestinatus:
haer. 27:
Pepuziani a loco yuodam Vicesima septima Pepuzia-
nominati sunt, quam civitatem norum, qui a loco quodam nu-
desertam dicit Epiphanius. minati sunt. Quamı desertam
Hanc autem isti divinum ali- civitatem diecit Epiphanius:
quid esse arbitrantes Hierusalem hanc autem isti divinum ali-
vocant; tantum dantes mulieri- quid esse arbitrantes, Hierusa-
42 H. v. Schubert, Der
bus principatum, ut sacerdotio
yuoque apud eos honorentur.
Dieunt enim Quintillae et
Priscillae in eadem civitate Pe-
puza Christum specie feminae
revelatum; unde ab hac Quin-
tilliani etiam runcupantur. Faci-
unt et 1081 de sanguine infantis
quod Cataphrygas facere supra
diximus.! Nam οὖ δὴ eis perbi-
bentur exorti. Denique alii
hanc Pepuzam non esse civita-
tem, sed villam dicunt fuisse
Montani et prophetissarum ejus
Priscae et Maximillae, et quia
101 vixerunt, ideo locum meruisse
appellari Hierusalem.
haer.
Artotyritae sunt quibus
oblatio eorum hoc nomen de-
dit. Offerunt enim panem et
caseum, dicentes a primis homi-
sog. Praedestinatus.
lem vocant. Tantum dantes
mulieribus prineipatum, ut sa-
cerdotio quoque apud eos hono-
rentur. Dicunt enim duas eccle-
sias, Quintillae et Priscillae, in
eadem civitate Pepuza.. Unum
sunt cum Cataphrygis. Con-
temptui autem eos habent, quod
se isti Pepuziani caeteris aesti-
ment meliores. Dicunt enim
hanc Pepuzam villam fuisse
Montani, Priscae et Maximillae
et quia ibi coeperunt praedicare
et 101 vixerunt, ideo locum ap-
pellarunt Hierusalem. Et quia
habitatores loci sunt, ıdeo cae-
teris se esse meliores ascribunt.
28:
Vicesima octava haeresis Ar-
totyritas suos vocat quibus hoc
nomen oblatio dedit. Offerunt
enim panem et caseum, dicen-
nıbus oblationes de fructibus
terrae et ovium fuisse celebra-
tes a primis hominibus oblatio-
nes deo de fructibus terrae et =
tas. Hos Pepuzianis jungit ovium fuisse celebratos. Hos=
Epiphanius. Pepuzianis jungit Epiphanius
[contra quos nullus dignatursz
est nec loqui!.
haer. 32:
Elcesaeos et Sampsaeos Tricesima et secunda hae=
hie tanguam ordine suo com- resis Helceseorum. Hos qua
memorat Epiphanius, quos dam Helchi nomine pseudopra=—
1) Dagegen hatte sich Praedest. haer. 26 ausgesprochen, musste ea
also auch hier weglassen. Er hat dafür die nach dem Zusammenhanems
selbstverständliche Notiz eingesetzt, dass die Pepuzianer sich besser alsd =
anderen vorkamen (zum Schluss wiederholt), aber den Satz von den E =”
scheinungen Christi in Frauengestalt, den Augustin aus Epiph. 49, 1 hab,
zerstört.
Das 1. Buch. Verhältnis zu Augustin.
dicit a quodam pseudopropheta
esse deceptos qui vocabatur
Elci, ex cujus genere duas muli-
eres tanquam deas ab eis per-
hibet adoratas. Caetera Hebio-
naeis tenera similia.
43
pheta decepit; ex cujus genere
duas mulieres tanquam .deas ab
eis perhibetur adoratas. Caetera
Hebioneis similia tenere ab
Epiphanio asseruntur.
haer. 39:
Angelici, in angelorum cultu
inclinati, quos Epiphanius jam
omnino defecisse testatur.
haer.
Örigeniani a quodam Ori-
gene dicti sunt, non ab illo qui
fere omnibus notus est, sed ab
alio nescio quo, de quo vel sec-
tatoribus ejus Epiphanius lo-
quens, Origeniani inquit, cuius-
dam ÖOrigenis, turpis autem sunt
operationis isti; sunt nefanda
facientes, sua Ccorpora’ corrup-
tioni tradentes.
haer.
Origeniani, inquit, alii, qui
et Adamantii tractatoris, qui et
mortuorum resurrectionem re-
pellunt, Christum autem crea-
turam et spiritum sanctum in-
troducentes, paradisum autem
Tricesima et nona haeresis
Angelicorum est. Hi Angelicos
se vocari voluerunt. Dicunt
enim angelos debere adorari et
excoli animo et ipsis preces
effundi, ut ipsi quem sciunt
posse plus a se ipsi faciant vo-
tis hominum et petitionibus sub-
venire. Hos Epiphanius jam
omnino defecisse testatur [vietos
a Theophilo Apameo episcopo].
42:
Quadragesimam et secun-
dam haeresim ÖOrigeniani
inchoaverunt, a quodam Origene,
non illo qui fere omnibus notus
est, sed alio Syro quodam
sceleratissimo; de quo dieit
Epiphanius quod tam turpia
docuerit, ut nec debeant per
scripturam ad nostros posteros
destinari.
43: |
Quadragesimam et tertiam
haeresim alii Örigeniani con-
tinuo subsecuti sunt, ut dieit
Epiphanius, qui et mortuo-
rum resurrectionem negant:
Christi autem creaturam esse
44
H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
et caelos et alia omnia allego- sanctum spiritum dicunt, para-
rizantes. Haec quidem de Ori-
gene Epiphanius. — —
disum autem et caelos allegorice
dicta firmantes,. — —
haer. 50:
Vadianos, «quos appellat,
Epiphanius schismaticos, non
haereticos vult videri. Alii vo-
cant Anthropomorphitas, quo-
niam deum sibi fingunt cogita-
tione carnali in similitudinem
hominis corruptibilis,
quod rustieitati eorum tribuit
Epiphanius, parcens eis ne
dicantur haeretici. Eos autem
separasse se dieit a communione
nostra culpando episcopos divites
et pascha cum Judaeis cele-
brando. (Quamvis sint, qui eos
in Aegypto ecclesiae catholicae
communicare asseverent. De
Quinquagesimos Audianos
memorat Epiphanius, non
quidem haereticos, sed schisma-
ticos: quos alii Anthropomor-
phitas vocant, quoniam deum
sibi fingunt cogitatione carnalı,
in similitudine imaginis corrup-
tibilis bominis dicentes: (folgen
4 Psalmstellen, die von den
Augen und Fingern, dem Sitzen
und Stehen Gottes handeln).
Quia ergo in nullo alio errant,
mitius eos agens Epiphanius
noluit haereticos nominare, dans
veniam rusticitati. Quod autem
nobis non communicant, divitias
habere nostros episcopos cla-
mant, quas Christus etiam lai-
cos contemnere jubet. Pascha
cum Judaeis celebrant.
Photinianis autem, quos isto
loco Epiphanius commemorat,
jam superius satis locutus sum.
Endlich kommt der Verfasser haer. 84 bei Helvidius und
seinen Anhängern auf Epiphanius zu sprechen. Ebenso Augustin,
der den Satz zufügt: sed mirum ni ıstos praetermisso
Helvidii nomine Antidicomaritas Epiphanius appellavit, bekannt-
lich ım Panarion haer. 78. Daraus hat der Verfasser, der nach
Augustin 57 die grosse Epiphaniusquelle für abgeschlossen halten
musste (vgl. bei ihm selbst: et siluit), eine eigene Schrift ge-
macht: Epiph. autem noster, serutator haereticorum, scribens
eontra hos libellum, qui in illo tempore hanc blasphemiis plenam
assertionem proferebant, Antidiecomaritas eos censuit appellari.
Er kennt Epiphanius so wenig selbst wie Philaster. So
Das 1. Buch. Verhältnis zu Augustin. 45
kann er auch haer. 25 (Tatiani et Encratitae), die sonst sichtlich
aus Augustin übernommen ist, aus dem Schlusssatz Augustin’s
(Epiph. Tatianos et Encratitas ita discernit etc) den Namen des
Epiphanius herausnehmen, ihn zum besonderen Bestreiter machen
und zum Bischof von Ancyra in Galatien erheben.
So ist denn auch eitel Blendwerk, wenn er an einigen Stellen
behauptet, neben Epiphanius noch Einsicht in mehrere andere
Quellen genommen zu haben.
Augustin
Praedestinatus
haer. 37:
Valesii et seipsos castrant
et hospites suos, hoc modo exi-
stimantes deo se debere servire.
Alia quoque haeretica do-
cere dieuntur et turpia; sed
quae illa sint nec ipse com-
memoravit Epiphanius nec
uspiam potui reperire.
In tricesimam et septimam
haeresim Valesii incurrunt, qui
infelices et seipsos castrant et
hospitessuos. Hoc modo dicunt
illud impleri: qui se castraverunt
propter regnum caelorum (Mtth.
19, 12. Alia quoque hae-
retica docere dicuntur et
turpia, sed quae illa sint
nec ipse Epiphanius com-
memorat nec uspiam potui
reperire,
Zu noch stärkerer Täuschung regte die kritische Bemerkung
Augustins zu haer. 83, dass er ausser den erwähnten bei Euse-
bius-Rufin nur noch eine Härese gefunden habe, den Verfasser an.
Augustin.
Cum Eusebii historiam
perscrutatus essem, cui Rufinus
a se in Latinam linguam trans-
latae subsequentium etiam tem-
porum duos libros addidit, non
inveni aliquam haeresim, quam
non legerim apud istos, nisi quam
in sexto libro ponit Eusebius,
narrans eam extitisse in Arabia.
Itaque hos haereticos, yuoniam
nullum eorum ponit auctorem,
Praedestinatus.
Öctogesimam et tertiam
haeresim in sexto libro historio-
graphus noster ponit Eusebius,
quam nec Epipbanius alicubi
memoravit nec Polycrates nec
Africanus nec Hesiodus, qui
Giraeco sermone universas haere-
ses describentes volumina mul-
torum condidere librorum. In
sexto itaque, ut dixi, libro nar-
rat Eusebius esse in Arabia
46
Arabicos possumus nuncupare,
qui dixerunt, animas cum cor-
poribus mori atque dissolvi et
in fine saeculi utrumque resur-
gere. Sed hos disputatione Ori-
genis praesentis et eos alloquen-
tis celerrime dieit fuisse correc-
H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
haereticos, quorum quia aucto-
rem non memorat, nos POssumus
eos nuncupare Arabicos. Hi,
inguit, dicunt, animas cum cor-
poribus mori atque dissolvi et
in fine saeculi utrumque repa-
rar. Sed hos disputatione On-
tos. genis magna memorat ex parte
revocatos.
Aus dieser Stelle ersieht man zugleich, dass die Über-
schrift des 1. Buches, die Hinkmar verführte, dasselbe dem
Hygin zuzuschreiben und die auch, wenngleich arg entstellt, dem
Codex Augiensis nicht feblt,! ursprünglich ist: Epitome Ecedi-
ceseos Hygini contra haeresiarchas et Categoricorum Epiphaniü
contra sectas et Expositionum Philastri, qui hos transferens in
Latinum sermonem de Graeco, cum Ariani damnarentur, edidit.
Prior Hyginus, post hunc Polycrates, Africanus, Hesiodus, Epi-
phanius, Philaster; hi diversis temporıbus diversas haereses per-
texuerunt. Zunächst bestätigt uns der Satz, dass der Verfasser,
der des Epiphanius Werk „Beschuldigungen“ und des Philasters
Buch „Auslegungen“ betitelt, beide nicht gekannt hat. Dabei
sind die letzteren hier zu einer lateinischen Übersetzung der
ersteren (bzw. des Epiph. und Hygin.) geworden, im Gegensatz zu
der schon besprochenen späteren Stelle im Text, wo von ver-
schiedenen Geschichtenbüchern des Philaster, in denen auch
Häresien berührt werden, die Rede ist. Der chronologische Zu-
satz „Als die Arianer verdammt wurden“. der so ziemlich fürs
ganze 4. Jahrhundert passt. lautet übrigens im Augiensis?: „damit
die Arianer aus den Schriftwerken der Griechen verurteilt würden
(ut de grecorum syntasmatibus [lies syntagmatibus] Ariani dam-
narentur). Von den Ketzerbestreitern Hygin, Polycrates, Afri-
canus und Hesiod, die uns chronologisch als Vorläufer jener
beiden aufgereiht werden, weiss die Geschichte sonst nichts. Man
wird nicht umhin können, sie für freie Erfindung zu halten.
Dafür fehlen die Justin, Irenaeus, Hippolyt etc., ja auch Augustin.
1) Er hat aus den ersten zwei griechischen Worten, die der Schreiber
nicht verstand, gemacht: incipit omegdiscyas.
2) Aber nicht im Casinensis saec. X, 5, Reifferscheid 8. a. O.
Das 1. Buch. Veränderungen der Vorlage. 47
Der codex Augiensis lässt den Text beginnen: Incipit epitoma
cathegoricorum, den Epiphanius damit zur Hauptquelle machend.
Während der Verfasser die angeführten Quellenschrif-
ten teils erdichtet teils nicht selbst kennt, verschweigt
er das Werk, von dem sein Buch nichts weiter als ein
Plagiat ist, Augustin's de haeresibus. Bedenkt man, dass
es gerade der von ihm im Grunde bekämpfte Gegner ist, den er
kahl rupft — selbst die lange Darstellung des Manichäismus,
4 Spalten bei Migne, ist bis auf Kleinigkeiten wörtlich abge-
schrieben — nicht nur um sich mit den Federn des Feindes zu
schmücken, sondern um in diesem Aufputz ihn anzugreifen, so
weiss man schon hier nicht, ob man mehr seine Unbildung oder
seine Frechheit bewundern soll.
2. Jedenfalls sind wir dadurch wieder nachdrücklich er-
innert worden, dass wir es mit einem dogmatisch-polemischen
Pamphlet zu thun haben. Eben hieraus schreiben sich eine Reihe
Veränderungen her, die er mitseiner Vorlage vornimmt.
Dass er den Pelagianismus, mit dem Augustin schloss, so nicht
brauchen konnte, sondern ganz neu bearbeiten musste, und dass
er als 89. und 90. Häresie die nestorianische und die vorliegende
prädestinatianische hinzufügte, ist erwähnt. Tritt hier zuletzt der
konkrete polemische Zweck, dem das ganze Werk seinen Ur-
sprung verdankt, unverhüllt zu tage, so beeinflusst er doch auch
in den früheren Partien die geschichtliche Darstellung nicht un-
erheblich.
Schon die Gnosis (—25) bot ihm Gelegenheit. So wird
haer. 16 bei Heracleon gegen sittliche Indifferenz polemisiert und
eine Lehre von Sünde und Taufe hinzugefügt, wonach dieser
Ketzer behauptet habe, der einmal Getaufte könne so wenig
Sündenschuld annehmen wie das Feuer den Schnee, möchten
seine Handlungen noch so sehr mit Sünde gemischt sein; so
schiebt er haer. 19 bei den Sethianern zwischen die augustinischen
Worte ein: ex quo semine sibi deus justos eligeret, um so die
Lehre von der Gnadenwahl als gnostische Ketzerei hinzustellen
(8. u.). So unternimmt er namentlich haer.65f. eine kluge Ver-
schiebung. Die hier genannten Coluthiani und Floriani ergänzten
sich nach Augustin in der Art, dass die ersteren sagten, Gott mache
nicht die Übel (non facere mala), entgegen Jes. 45, 7 (Ego deus
creans mala), die letzteren, Gott habe die Übel geschaffen (creasse
48 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
mala), entgegen Gen. 1, 31 — die ersteren irrten, sofera Gott
allerdings die gerechtesten Strafen, also mala auferlege, die letz-
teren, sofern Gott freilich böse Naturen und Substanzen nicht
schaffe (malas creando naturas atque substantias). Daraus
macht der Pelagianer folgendes: Die Coluthianer sagen, Gott habe
Böses und Gutes geschaffen gemäss Jes. 45, 7 (Ego deus creans
mala et faciens bona), d.h. er verheisse Heil und Unheil seinem
Volke, sie wendeten aber das Wort a specie ad substantiam und
machten Gott zum Schöpfer des Bösen, so dass Gottes Wort
Lev. 26, 23f. verkehrt werde: wenn Ihr recht wandelt, so werde
auch ich mit Euch recht wandeln etc. Die Florianer aber lässt
der Verfasser sagen, Gott habe die bösen und guten Seelen un-
abänderlich böse und gut geschaffen, was dem Verfasser dann
wieder zu einer Kritik vom pelagianischen Standpunkt Ver-
anlassung giebt (s. gleich).
In dasselbe Kapitel schlägt, wenn er unter dem Bilde der
Proklinianisten (60), Doketen, über die allerlei zu behaupten seine
Quelle ihm freie Hand liess, die Methode der augustinischen
Gegner geisselt als die Art und Weise von Häretikern: „Sie
mischen sich unter die Gemeinde Gottes, damit sie nicht erkannt
werden, ja sie kommunizieren mit den Unsrigen und täuschen
die Einfältigen“, vgl. den Prolog.
Damit verwandt ist die haer. 22. 43 angewandte Polemik,
bei der allerdings noch ein zweites Moment in Betracht zu
kommen scheint. An beiden Stellen wird an Origenes gezeigt,
wie die Ketzer sich mit der Autorität eines Kirchenvaters decken,
indem sie dessen Bücher fälschen und seinen orthodoxen Ruf
dadurch zugleich gefährden. So haben die Anhänger des Apelles,
die Origenes ebenso überwunden hat wie die Marcioniten (haer. 21),
so dass er um ihretwillen „Periodeut“, geistlicher Inspektor (vgl.
syn. Laod. ce. 57, Möller-v. Schubert, Kirchengesch. 1, 700) und
Wanderprediger in den Städten des Orients wurde, sich dadurch
zugleich gerächt und gerettet, dass sie dessen Bücher callidissima
argumentatione fälschten und sich auf ihn beriefen. Jeder ver-
ständige Leser des Origenes kann noch heute die von den Häre-
tikern befleckten Stellen erkennen, und Pamphilus hat diesen
Sachverhalt obendrein in seinem Apologeticus enthüllt. Man
setze für Apelliten, Origenes und Pamphilus die Namen der
Praedestinatianer, des Augustin und des Verfassers ein, und man
Das erste Buch. Veränderungen der Vorlage. 49
hat die damalige Situation. Mit einem anderen Ketzernamen
kehrt die Sache an der zweitgenannten Stelle wieder. Bei Au-
gustin war die zweite Sekte der ÖOrigeniani qui et Adamantii
tractatoris gemäss seiner Quelle Epiphanius von dem grossen
Kirchenlehrer abgeleitet, aber er hatte nach Epiphanius den Ver-
teidigern des Origenes das Wort gegeben, um dann selbst von
ihm abzurücken und unter Verweis auf de eivitate dei die
offenbaren Irrtümer, namentlich die Wiederbringung Aller zurück-
zuweisen. Bei Benutzung dieser Gedanken bietet unser Ver-
fasser doch ein ganz anderes Bild. Nach dem wörtlich gleich-
lautenden Anfang aus Augustin, bezw. Epiphanius (ob. S.43, nur
mit Weglassung der Worte qui et Adamantii tractatoris) unter-
scheidet er auch diesen 2. Origenes von „unserem katholischen
Schriftsteller Origenes“. Die haeretici et perversi doctores haben
Unkraut unter den Weizen gesät, nach Mtth. 13, 28. So
erklärt sich der zwiespältige Eindruck, den der Leser des Origenes
empfängt. Speziell für die Irrlehre der Apokatastasis wird ein
eigener Haeresiarch, der Bithynier Ampullianus, namhaft und
haftbar gemacht. Der habe. als er von der ganzen Kirche ver-
urteilt worden war, die Bücher des Origenes in diesem Sinne
gefälscht, namentlich die 4 Bücher περὶ ἀρχῶν. Aber der Klar-
sichtige erkennt die weissen Lappen auf der Purpurdecke. Wieder
hat diesen Tatbestand „der heilige Märtyrer Pamphilus gezeigt, der
tadellos das Bistum (!) verwaltete und die Gemeinde mit der
gesunden Lehre bediente“! Der hat in seinem Apologeticus
alles, was die Katholiken über Origenes aus Unkenntnis lügen,
zunichte gemacht, indem er alles Anstössige als von den über-
wundenen Gegnern, das ganz Perverse aber als von jenen zwei
Häretikern, die mit Origenes nur den Namen gemein hatten,
herrübrend nachwies. Wir haben von Pamphilus’ Apologie des
Örigenes nur noch das 1. Buch, aber dass diese Mär von den
fälschenden Apelliten und dem bösen Ampullianus nicht darin
gestanden, ergiebt sich aus der Sache, Denn zur Zeit des Pam-
philus brauchte man zu solchen Gewaltmitteln noch nicht zu
greifen, und ein Pamphilus verteidigte nicht sowohl den von
seinen „Irrtümern“ gereinigten Origenes als vielmehr den echten,
seinen über alles teuren Meister. Das gehört vielmehr erst in
die durch die „origenistischen Streitigkeiten” geschaffene Situa-
tion um ca. 400, und es ist die Methode dieser späteren Retter
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4. 4
50 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
der origenistischen Orthodoxie gewesen, speziell des Rufin, die
hier beschrieben wird. Jene Mären kommen auf den erfindungs-
reichen Verfasser, der unter fremdem Titel wieder die augen-
blickliche Lage geisselt und über Augustin hinaus nur weiss,
dass Origenes 4 Bücher περὲ ἀρχῶν und Pamphilus eine Apo-
logie für Origenes geschrieben habe — was z.B. in Hieronymus’
Katalog 75 zu lesen war — und Origenes’ angefochtene Recht-
gläubigkeit durch die Annahme von Textverfälschungen gereinigt
worden war — was von Rufin allgemein bekannt war. Man
wird sich hier aber erinnern dürfen, dass Rufin der Lehrer des
Pelagius gewesen, Pelagius von den Bischöfen unter des Or-
genisten Johannes Vorsitz in Jerusalem freigesprochen war und
zwischen dem Intellektualismus und der Freiheitslehre des Ori-
genes und der Pelagianer ein innerliches Band bestand. Denn
immerhin ist es bemerkenswert, dass es der Verfasser unter-
nimmt, auch wenn er noch andere persönlichere Zwecke damit
verfolgt, an dem von massgebender Stelle fallengelassenen Ori-
genes zum Ritter zu werden.
3. Bei weitem die bedeutendste Veränderung aber, die der
Verfasser an seiner Quelle Augustin vornimmt, ist eine grund-
sätzlich durchgeführte Erweiterung, indem er an jede Dar-
stellung einer Häresie ein Wort über ihre Bekämpfung zu-
fügt. Dass auch diese Veränderung, die unsere Häreseologie vor
allen anderen auszeichnet, dem dogmatischen Charakter des
ganzen Werkes entspricht, erhellt ohne weiteres — was im 2. und
3. Buche im Grossen geschieht, Vorführung der Ketzerei und
ihre Widerlegung, geschieht hier im Kleinen. Um so näher
liegt die Vermutung, dass dabei die geschichtliche Wahrheit
vollends Schiffbruch leidet, als hier eben seine Quelle fast durch-
weg versagte und er andere häreseologische Werke offenbar
nicht kennt.
Nun hat freilich Harnack (Literaturgesch. 1, 151. 792, A 1.
und Texte und Untersuch. Xlll, 1, 44f.) die Vermutung aus-
gesprochen, (dass „das System, jeder Häresie einen Hauptpolemiker,
der sie widerlegt hat, entgegenzusetzen“, nicht vom Verfasser
des Prädestinatus herrühre, da dasselbe „bei der 58. Häresie auf-
höre“, d.h. soweit als das Panarion des Epiphanius reiche. Er
lässt also die Möglichkeit: durchblicken, dass man vielleicht noch
eine Bearbeitung des Epiphanius als Zwischeninstanz einschieben
Das 1. Buch. Erweiterungen der Vorlage. Die Ketzerbekämpfer. 51
müsse, der er jenes „System“ entnommen habe. Aber abgesehen
davon, dass sich dann diese andere Quelle doch auch bei den
Darstellungen der Häresien in den jeweils ersten Hälften der
einzelnen Abschnitte geltend machen müsste, wo vielmehr nur
Augustin abgeschrieben ist, liegen auch die Tatsachen etwas
anders, als dort angenommen ist. Denn erstlich reicht das Pa-
narion des Epiphanius nicht bis zur 58., sondern bis zur 57. Hä-
rese (s. oben die Stelle) und mit dem haer. 58 als Bekämpfer
der Metangismonitae genannten Bischof Diodor von Nikomedien
reicht das genannte System bereits über Epiphanius hinaus. Aber
es trifft auch nicht zu, dass im weiteren dies System aufhöre,
wie es endlich auch für die Häresien vor der 57. mit den obigen
Worten nicht ganz richtig charakterisiert ist. Das System oder
besser die Methode des Autors bleibt sich im Wesentlichen
gleich. Um sich das Relief eines ebenso gelehrten wie recht-
gläubigen Ketzerhbestreiters zu geben, zugleich aber, um unter
fremder Fahne und gegen andere Etikette seine eigene Position
zu vertreten und zu stärken, fixiert er regelmässig die Ver-
urteilung der betreffenden Ketzerei, ganz kurz nur durch An-
führung des hauptsächlichen Bestreiters, aber auch durch aus-
führlichere Darstellung des Verurteilungsprozesses, meist durch
Anführung der orthodoxen Gründe und Grundsätze. So nennt
er bei 58 von 89 Häresien bestimmte Namen, und zwar bei 43
von den ersten 57, aber auch noch bei 15 der letzten 31.
Zuweilen ist hier zu Augustin nichts weiter als der Name ein-
gefügt, besonders drastisch am Schlusse der oben ausgeschriebenen
Häresie 39, ganz selten liefert Augustin selbst den Namen, so
83, manche kehren mehrmals wieder: Paulus (6. S. 9), Zachaeus
von Caesarea (11. 13), Tertullian (21. 60), Origenes (21. 22. 83.),
Gregorius (73. 74. 76) u. a. Meist heisst es nur suscepit con-
tra eos oder egit cum eis, und man weiss nicht, ob die Aus-
fährungen der betreffenden Kirchenmänner als schriftliche oder
mündliche zu denken sind. Von einem gewissen Theodor wird
die Deduktion gegen die Florianer so wörtlich angeführt, dass
der Schein einer schriftlichen Vorlage mit Notwendigkeit ent-
steht (66), dagegen Origenes besiegt, obgleich er innumerabilia
volumina geschrieben hat, die Apelliten durch Predigtreisen (22).
Zuweilen sind es mehrere Kämpen (16. 17. 21. 26. 82. 88) oder
ein Bischof und eine Synode, wie 23 Apollonius von Korinth
4*
52 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
mit einer orientalischen Synode, oder der ganze Instanzenzug
eines Prozesses, wie erim 5. Jahrhundert stattfand, wird vorgeführt:
erst zwei Bischöfe, dann eine Provinzialsynode, die den Bischof von
Rom angeht, der schriftlich und durch Absendung eines nament-
lich genannten Presbyters die Ketzerei erledigt (16). Das bildet
schon den Übergang zu der Gruppe, bei der zwar ein spezieller
. Name fehlt oder doch nicht in erster Linie steht, aber die Ver-
urteilung allgemeineren Instanzen zugesprochen wird: haer. 18
klagen die Bischöfe von Mesopotamien über die Ophiten, die
darauf eine antiochenische Synode von 32 Bischöfen unter Bischof
Theodor von Antiochien verurteilt, wobei zum Schluss scheinbar
ein Stück des Synodalschreibens (constat ergo vos a vobis ipsis etc.)
mitgeteilt wird; haer. 57 werden die Messalianer durch eine
sancta synodus (Nicaea?) zurückgewiesen, während Ephrem
presbyter Syrorum merkwürdig nachklappt; haer. 89 verurteilt
die Synode von Ephesus den Nestorius, Caelestin von Rom stimmt
dem Votum zu. Zuweilen tritt eine unbestimmte Synode allein
auf, von Achaia (37. 54), von Antiochien (55 — das einzige über
die Verurteilung des Apollinaris!), episcopi de Epheso (71),
wiederum noch blasser die „ecclesia“ im allgemeinen (3. 40. 44)
oder die fides, bezw. auctoritas catholica (75. 86, hier neben Au-
gustin), die disciplina fidei (59), endlich gar nur die utriusque
testamenti scripta (67). Diese Form verläuft sich in Jdie andere,
wo der Autor selbst zu freier Widerlegung das Wort ergreift —
das geschieht allerdings nur im letzten Drittel an 6 Stellen
(63—65. 77. 80. 81). Dagegen finden wir solche, an denen er
überhaupt auf jede Widerlegung verzichtet, über das ganze Buch
verteilt, zuerst 28, wo er seiner Abschrift aus Augustin hinzu-
fügt: contra quos nullus dignatus est nec loqui, offenbar ratlos.
Sie fehlt ferner 42. 43. 45. 46. 52. 53. — 62. 68. 69. (aber 14
schon vorausgegeben) 70. 72. 78. 79. 87.
Was nun die Glaubwürdigkeit dieser Angaben betrifft, so
hat Harnack schon ausgesprochen, dass sie „fast sämtlich er-
schwindelt“ sind (Lit.-Gesch. 1, 151), nur dass er diesen Schwindel
lieber einem „unbekannten Gewährsmann“ aufbürden möchte.
Ich glaube, dass der vorliegende genug Talent zum „Schwindeln“
gezeigt hat, um ıhm mit der Annahme, er sei es selbst, kein
Unrecht zu tun — und zwar nicht nur inbezug auf die Namen,
sondern auch das Übrige. Es ist auch abgesehen von den Namen
Das 1. Buch. Unglaubwürdigkeit der zugefügten Polemik. 53
dieselbe souveräne Unbekümmertheit um die historische Wahr-
heit bei einer wahrhaft verblüffenden Unkenntnis. Bei Apollinaris
weiss er nur zu sagen, dass irgend eine antiochenische Synode
ihn verdammt habe, ja bei Arius fabelt er: Als erster schrieb
gegen die Arianer „der heilige Hesiod, Bischof von Korinth“.
Da dieser heilige Mann sogar Tote aufzuerwecken vermochte,
geschah es, dass die Menschen, die mehr von Heiligkeit als
Disputen halten, Arıus verurteilten, sintemal ja in seinen (Hesiod’s)
Reden von Arius selbst versichert wird, dass Arıus auf dem
Abtritt sitzend alle Eingeweide mit den Exkrementen von sich
gegeben habe. Dazu die allgemeine Phrase: dann hätten sowohl
morgen- als abendländische Bischöfe gegen ihn geschrieben unIl
ihn nach den einzelnen Punkten seiner Lehrsätze als Lästerer
erwiesen. Kein Wort von Athanasius, von dem wir auch jene Ge-
schichte über Arius’ Ende wissen (Loofs, RE? ]I,2222r.). Über-
haupt fehlen bis auf wenige die grossen kirchlichen Namen:
Hegesipp, Justin, Irenaeus, Dionys von Korinth, Polykarp von
Smyrna, Hippolyt, Clemens von Alexandrien, Dionys der Grosse,
Firmilian von Caesarea und wie sie alle heissen. Nicht selten
hat man den Eindruck, dass der Verfasser wohl einen berühmten
Namen im Ohr hat, ibn aber beliebig mit einem geographischen
Namen und einer Häresie in Verbindung bringt, so wie er den
historischen Epiphanius zum Bischof von Ancyra machte
(ob. 8. 45): er kennt einen Papias als Presbyter von Achaia (83),
einen Dionys als Bischof von Jerusalem (34), einen Theophilus
als Bischof von Apamea (39), einen Diodor als Bischof von Niko-
medien und einen anderen in Kreta (58. 12), einen Bischof Philo
(30), einen Presbyter Polykarp (31). Die Namen Theodor und
B. Gregor (ohne weiteren Zusatz) werden gegen obskure Ketzereien
verwendet (66. 73. 74. 76), Basilius erscheint als Bischof von
Kappadozien, aber als Bekämpfer der (ägyptischen) Meletianer
(47). Die geographische Verwilderung ist überhaupt gross: die
Ophiten verwirren Bithynien (17), gegen den Syrer Kerdon,
Justin’s Gegner in Rom, schreibt der Bischof von Korinth (23),
die theodotianischen Monarchianer werden in Syrien, die Elkesaiten
vom Bischof zu Achaia, die Bardesaniten in Kappadozien über-
wunden (32. 33. 35) u. s. f£ Nicht weniger wild ist die Chrono-
logie: Der Apostel 'Thomas verflucht Saturnin (5), Barnabas Karpo-
krates (7), Clemens die Marcosianer /14), Alexander von Rom,
54 HB. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
den die Liste ca. 120 setzt, Valentin’s Schüler Heracleon (16).
Die Quartodezimaner, die 325 verurteilt waren, werden von Chry-
sostomus dadurch gewonnen, dass er mit ihnen Ostern feiert
(29), vgl. dagegen Sokrates, hist. 6001. VI, 1113 197; die
Messalianer oder Euchiten weist die Synode zu Nicaea (? 57)
zurück. Die von Origenes überwundenen Marcioniten werden nach
einiger Zeit von Tertullian bekämpft (21). Kein Wunder, dass
es bereits am Anfang des 2. Jahrhunderts Synoden, zur Zeit der
Apostel Priester (4) gab und die Jünger unverheiratet waren (4).
Die römischen Bischöfe Linus etc. darf man ihm natürlich
nicht zur Last legen. Er bält sich an die römische Bischofsliste.
Aber es ist bemerkenswert, dass er sich mit Vorliebe auf das
Verdikt der römischen Autorität beruft (Petrus 1, Linus 2, Cle-
mens 14, Alexander 16, Soter 26, Sixtus 38, Anastasius 852, Da-
masus 85, Innocenz 88, Caelestin 89), wie er sich selbst mit
Caelestin’s Verurteilung des Buches Praedestinatus gedeckt hatte.
Das führt auf den polemischen Zweck zurück. Wenn
auch in sehr vielen Fällen der Erwiderung der Verfasser ohne
direkte Polemik nur seine dogmatische und biblische Bildung
leuchten lässt oder seine Orthodoxie in bezug auf Trinität und
Christologie unterstreicht (36. 41. 80), so treten doch auch an
einigen Stellen die schon oben aufgewiesenen direkten Motive
persönlicher Polemik wieder klar zu tage. Schon gleich in der
2. Häresie des Menander lässt er Petri Nachfolger Linus den
Hauptgrundsatz, von dem das ganze Räsonnement der Prädesti-
nationslehre gegenüber ausging, beurkunden: nichts sei in aller
Kreatur Gottes, was nach seiner Natur tadelnswert sein könne,
denn alle Schuld werde zur Schuld durch die Tat, nicht die
Beschaffenheit (omnia quae culpabilia judicantur actu, non
conditione culpantur). Die 19. Häresie der Sethianer gab Ge-
legenheit, das näher auszuführen. Dass er der wörtlich Augustin
entnommenen Darstellung der Ketzerei die Wendung durch den
kleinen Einschub gegeben hat, so habe sich Gott aus Seth’s
Samen „Gerechte erwählt“, war angeführt. Gegen sie lässt der
Verfasser Perigenes, Bischof von Argos — denn dass die Sethianer
in Griechenland zu Hause seien. war ebenfalls noch zugefügt —
nıit dem ın den augustinisch-pelagianischen Kämpfen so wichtig
gewordenen Beispiel von Isaak’s ungleichen Söhnen argumen-
tieren, s. oben bei Buch III, S.23: von Einem heiligen und ge-
Das 1. Buch, Motive der zugefügten Polemik. 55
rechten Vater, aus Einem Mutterschoss, Zwillinge, seien sie doch
der eine zur Höhe der göttlichen Gnade, der andere zur Tiefe
der Hölle gelangt. „Eines von beiden gilt, sagte er, entweder
die Söhne sind von böser Natur, dann waren sie beide nach
dieser natürlichen Abstammung verdammenswert, oder sie sind
guter Natur, so krönte nach der Beschaffenheit seiner Taten
(pro facti sui qualitate) den einen in gerechter Weise der Segen,
verurteilte den anderen der Fluch“. Wer aber dem heiligen
Perigenes nicht glaubte und sich von diesem pessimus error nicht
bekehrte, der wurde durch das Schwert des Bannfluchs ent-
hauptet. Ähnlich giebt haer. 66 Florian, dessen Lehre, wie wir
oben sahen, 5. 471, dahin gewendet war, dass, wer einmal gut
oder schlecht sei, sich nicht verändern könne, Gelegenheit, durch
den Mund des „Theodor“ auf das Beispiel des Judas (9. Buch II],
ob. S. 23) zu kommen und die Selbstverantwortlichkeit desgut und
frei geschaffenen Menschen einzuprägen: „Judas war gut und
ist ein Verräter geworden, zur selben Zeit, da die schlimmste
Buhlerin seine Füsse netzte, Erbarmung heischend — hätte das
Weib eine schlechte Seele gehabt, warum hätte sie nicht zur
selben Zeit im Verbrechen der Unzucht verharrt? Fest steht
also. dass die Seelen gut von Gott geschaffen sind, und von
Natur ihnen Gott aus Gnaden dies einpflanzte, dass sie, obwohl
sie gut sind, nicht nur durch ihr Handeln (actu suo) noch besser
werden, sondern auch selbst in Bosheit sich verkehren können,
jenes durch Fleiss, dies durch Nachlässigkeit“. Das ist die Ge-
rechtigkeit Gottes, die nach haer. 65 die Coluthianer lästern mit
ihrer Behauptung, dass Gott creator malorum sei, da doch Gott
zur Gemeinde sagt: „Wenn Ihr recht wandeln werdet, werde
auch ich mit Euch recht wandeln, wenn Ihr aber verkehrt wan-
deln werdet, so werde auch ich mit Euch verkehrt einhergehen“
(Lev. 26, 23). Auch die Prädestinatianer mochten sich das
Wort der antiochenischen Synode gegen die Kainiten aus haer. 18
gesagt sein lassen: „Wehe Euch, die Ihr von Guten Böses und
von Bösen Gutes sagt, die Ihr Finsternis zum Licht und anstelle
des Lichtes Finsternis setzt (Jes. 5, 20), die Ihr wollt, dass die
für Grosse und Gerechte angeschrieben werden, die nach Mass-
gabe ihres sittlichen Verhaltens (pro facti sui qualitate) Gott zum
ewigen Höllenfeuer bestimmt hat“. Vielleicht darf uns auch die
starke Abwehr des den Proclinianisten zugeschriebenen Doketis-
56 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
mus (haer. 60; pro viventibus sie vixit sicut nos qui vivimus,
nihil aliud distans, nisi hoc quod immaculatam vitam exercnit,
habens intra se deum etc, die forma servi) erinnern an die
überaus starke Betonung der Menschheit Christi im Gedankern-
kreis Julian’s (Bruckner S. 155), und jedenfalls gemahnt der
weltoffene, unmönchische Grundsatz, mit dem haer. 64 gegen die
Aquarier der Grundsatz verfochten wird, dass nur der Excess
des berechtigten Genusses das Laster mache, an die lib. Ill, 24 ἢ
vertretene Auffassung von Recht und Schranken des Geschlechts-
genusses. |
4. Überblickt man diesen Tatbestand, so fragt man sich
allerdings, ob ein solcher „Historiker“ überhaupt an irgend
einer Stelle ernst zu nehmen ist. Sicher ist bei den kleinen
Abweichungen von Augustin in den darstellenden Hälften — als
Beispiele können wieder die oben ausgeschriebenen Häresien
gelten — ebensowenig die Frage der Historizität überhaupt nur
ernsthaft aufzuwerfen, wie bei dem zum Teil überaus flachen
Gerede, das in den bestreitenden Hälften erdichteten Grössen in
den Mund gelegt ist. Dennoch bleibt ein kleiner Rest, da
der Verfasser eigene Kenntnis verrät. Aber auch hier wird
höchste Skepsis oberster kritischer Grundsatz sein müssen und
die Annahme erlaubt, ja psychologisch gefordert sein, dass der
Verfasser ein Bedürfnis nicht empfindet, nur das zu schreiben,
was er sicher und was er genau weiss. Es wird sodann, wie
bei allen Schriftstellern, die Wahrscheinlichkeit eigener Kenntnis
mit der Gleichzeitigkeit steigen — wie sollte er über das aus-
gehende 4. und beginnende 5. Jahrhundert nicht wenigstens etwas
auch ohne Bücherweisheit wissen und auch ohne wissenschaft-
lichen Ernst richtig sagen können —, falls sein Leben noch
einigermassen in die Nähe dieser Zeit fiel? Aber eben wieder
für diese Frage der Zeitbestimmung wird umgekehrt der Befund
in dieser Richtung von grösster Bedeutung sein.
Auch scheint es mir zu äusserlich, mit Harnack auf eine
gute Nachricht zu schliessen, wenn „der Verfasser sich aus-
drücklich auf schriftliche Widerlegungen beruft oder zu dem
erstgenannten Bestreiter einen zweiten hinzufügt“. Denn warum
sollte ein Mann von dieser Art nicht gelegentlich eine schrift-
liche Quelle fingieren — haer. 18 „schreiben“ die ostsyrischen
Bischöfe an die anderen — und warum sollte er nicht, wenn
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. 57
ihm ein Bestreiter zu wenig vorkommt, einen zweiten hinzu-
dichten? Die obige Übersicht zeigt, dass es sich tatsächlich
durchaus nicht immer nur um einen „Hauptpolemiker“ in dem
„System“ seiner Widerlegungen handelt. Wenn haer. 16 erzählt
wird, dass Eustachius von Lilybaeum und Theodor von Panormus
und die anderen sizilischen Bischöfe in den ersten Jahren des
2. Jahrhunderts den heiligen Alexander, den Bischof der Stadt,
um eine Synode und eine Widerlegung Heracleons baten, Alexander
ein Buch gegen ihn ausgehen liess und den ferventissimus presbyter
Sabinian gegen ihn abordnete, der scriptis episcopi et asser-
tione sua den Ketzer widerlegte, bis dieser media nocte aufs
Schiff flüchtete und auf Nimmerwiedersehen verschwand, so wird
man aus dieser von notorischen Unrichtigkeiten erfüllten Ge-
schichte eher den Schluss ziehen dürfen, dass weder die Berufung
auf libri und scripta noch die auf mehrere Bekämpfer ausreicht, als
dass nach einem historischen Kern dieser Geschichte zu forschen
ist. Denn auch, wenn darin, wie Harnack meint, eine Reminiscenz
an das Schisma des Heraclius unter Eusebius, der vielmehr seiner-
seits im Exil auf Sizilien starb, aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts
vorliegen sollte, so wäre die Verwirrung heillos und vernichtete
jede Zuversicht zu einzelnen Angaben.
Man wird vielmehr von jedem solchen äusserlichen Kanon
absehend jede Stelle für sich betrachten müssen und immer zuerst
fragen: wo ist eine Kenntnis über Augustin hinaus zu konsta-
tieren, und dann weiter, redet der Verfasser nur aus der münd-
lichen Überlieferung heraus oder hat er eigene literarische Kennt-
nis, inbezug auf das letztere, ist es Wiedergabe nach dem
Gedächtnis oder hat der Verfasser noch andere Quellen vor sich?
Für die Zeit bis ins 4. Jh. hinein werden wir, nach allem
Vorausgehenden, nur die bescheidensten Erwartungen hegen
dürfen.
Wir sahen bisher nur, dass der Verfasser über Augustin
hinaus etwas über Origenes und Pamphilus weiss, das ihm
wie dem ganzen Abendland durch Rufin (oder Hieronymus) zu-
geflossen sein mochte. Was haer. 83 über Eusebius gesagt ist,
stammt wie die Notiz über Origenes aus Augustin. In den ersten
zwei Dritteln des Buches treten weitere Spuren nur bei den Mon-
tanisten und Novatianern zu tage.
Zwar ist auch hier die Grundlage Augustin’s nicht zu ver-
58 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
kennen, der die Kataphryger und Pepuzianer wie Praedestinatus
als 26. und 27. Häresie behandelt. Die 27. ruht sogar ganz auf
Augustin, denn die Abweichungen sind, wie der Vergleich der
beiden oben ausgeschriebenen Parallelstellen zeigt, teils offen-
sichtlich auf Flüchtigkeit und Missverstand teils auf eigene Re-
flexion zurückzuführen. Das muss auch inbezug auf 26 von
neuem zur Vorsicht mahnen. Hinzugefügt ist dann nur noch
als Bekämpfer der Pepuzianer der Bischof von Ephesus, Apollonius,
der sich natürlich einstellte, da er als Bekämpfer der Kata-
phryger überhaupt schon haer. 26 eingeführt war. Aber eben
dieser Name beruht hier auf einer rechten Tradition, die nicht
aus Augustin zu gewinnen war, von der wir aber aus Eusebius
ἢ. 6. V, 18 und Hieronymus de vir. ill. 53 wissen. Ein ἐχχλη-
σιαστιχὸς συγγραφεύς heisst er bei Eusebius; dass er den Sitz der
Metropole von Asia eingenommen, ist sonst nicht bezeugt,
aber Eusebius V, 18,9... spricht er so, als ob er in Ephesus
bekannt wäre. Es kann Erfindung oder Kombination des Ver-
fassers sein, ein Asiat war er aber gewiss. Dass Tertullian gegen
ihn das 7. Buch seines für uns verlorenen Werkes über die
Ekstase geschrieben hat, steht bei Hieronymus, de vir. ill. 53, zu
lesen. Praedestinatus bringt also wieder etwas über Augustin hin-
aus, wenn auch er von einer Bekämpfung des Apollonius durch
Tertullian, vielleicht eben aus Hieronymus, weiss. Er redet dann im
Rest dieses Abschnitts abweichend von Augustin, der an dieser Stelle
Tertullian. überhaupt noch nicht erwähnt, von der Schriftstellerei
und den Lehraufstellungen des Tertullian und wiederholt unter
Rückverweisung diese Angaben haer. 86, wo er gemäss seiner
Vorlage Augustin auf die Tertullianisten zu sprechen kommt.
Dabeı wird dann deutlich, wie sehr er doch auch hier von
Augustin abhängt. Ein Urteil über die Schriftstellerei Tertullian’s
leitet bei Augustin ein: — a Tertulliano, cuius multa leguntur
opuscula eloquentissime scripta — ebenso hier, haer. 26: qui cum
omnia bene et prima et incomparabiliter scripserit und haer. 86
opuscula eloquentissima et ferventia in defensione edidit veritatis.
Darauf folgt bei Augustin und Praedestinatus 86 die Mitteilung,
dass erst zur Zeit Augustin’s durch dessen Bemühungen die Reste
in Karthago absorbiert wären und ihre Kirche den Katholiken
übergeben worden wäre. Darauf dort und hier, was die Katho-
liken an Tertullian anstössig finden, wobei die Autoren gleicher-
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Montanisten. 59
massen als das Entscheidende den Übergang zu den Montanisten
und die schroffe Verwerfung der zweiten Ehe hervorheben, um
endlich zu erwähnen, dass er auch von den Montanisten wieder
getrennt eigene Gemeinden gegründet habe (Aug.: et post-
modum etiam ab ipsis divisus sua conventicula propa-
gavit,danach wortreicher und mit Reflexion durchsetzt Praed. 86:
a quibus postea divisus, ne plebs Montani nomen Tertulliani
videretur excludere, fundit a se omnem Phrygiae vanitatem et
Tertullianistarum conventicula propagavit, nihil tamen
in fide mutavit). Weggelassen von Praedestinatus sind die Be-
trachtungen Augustin’s über Tertullian’s Ansicht von der Körper-
lichkeit der Seele, ja Gottes, die ihn noch nicht zum Häretiker
gemacht habe, und die am Schluss nachklappende Notiz, dass
Tertullian die ganz schlechten Menschenseelen sich nach dem
Tode in Dämonen hätte verwandeln lassen. In dieser Schluss-
notiz hatten die ältesten Drucke den Satz, den erst die Mauriner
„auctoritate Mss“ wieder hinauswarfen: statum autem animae cre-
dit per traducem propagari. Eben diesen für den pelagianischen
Standpunkt des Verfassers besonders wichtigen Punkt, der ihn
von Tertullian wie von Augustin scheidet, bringt Praedestinatus
haer. 26 und 86 nicht weniger als dreimal, ohne sich soweit von
seiner Quelle freimachen zu können, dass er ihn in den Mittel-
punkt schöbe: haer. 26 sind es nur „wenige, die es ihm vor-
werfen“ — er glaubt es also eigentlich nicht recht. Wie eigenes
Studium sieht das nicht aus, aber er weiss etwas mehr von Ter-
tullian, auch über das hinaus, was er aus Hieronymus’ Katalog
entnehmen konnte. Dass Tertullian ceivis et presbyter Carthagi-
niensis war, konnte er Hieronymus zwar noch entnehmen, aber der
Schlusssatz von haer. 86, der auch von Zahn (Forsch. 2. Gesch. d. nt.
Kanons V, 1895, Chronol. d. Montan. S. 53 u. A. 1) nicht verstanden
zu sein scheint, zeigt, dass er jedenfalls die Schrift de jejunio
adversus Psychicos kennt: Nos catholicos Psychicos titulat.
UÜbicumgue autem legeris Tertulliani adversum Psychicos,
scias eum contra catholicos agere.. Es wird kaum Zufall sein,
dass der haer. 26 angeführte Satz, der sich als Zitat giebt, an
c. 1 dieser Schrift, wie schon Zahn bemerkte, stark anklingt:
Praedestinatus: Tertullian:
Hoc solum discrepamus, Quinam isti sint, semel no-
inquit, quod secundas nuptias minabo: exteriores et interiores
60 - . v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
non recipimus, et prophetiam botuli psychicorum. Hi para-
Montani de futuro judicio non cleto controversiam faciunt,
recusamus. propter hoc novae prophetiae
recusantur, non quod aliun
praedicent Montanus et Pris-
6116 et Maximilla — — De
modo quidem nubendi iam
edidimuss monogamiae de-
fensionem etc.
Es klingt wie eine frei aus dem Gedächtnis wiedergegebene
Reminiscenz aus diesem Buchanfang, eine Art, die zu dem Cha-
rakter unseres Autors besonders gut passen würde Auf ähn-
liche allgemeine Reminiscenzen mag dann auch gedeutet werden
können, wenn er haer. 26 sagt, dass Tertullian trinitatem in
unitate deitatis, poenitentiam lapsis, mysteriis eisdem unum
pascha nobiscum gelehrt habe, und dass er haer. 60 gegen die
Proclinianisten Tertullian als orthodoxem (!) Verteidiger eine
lange Darlegung der Menschheit Jesu in den Mund legt, die
maninunseren Werken Tertullian’s vergeblich sucht, die aber durch
die allgemeine Haltung wie die Wendung forma servi wohl an
Tertullian erinnert. Allein eben diese Stelle mahnt uns, nichts für
sicher zu nehmen, was unsicher bleibt. Und das gilt dann letz-
lich auch von der Angabe, dass unter den Bekämpfern des Mon-
tanismus, die Tertullian aufs Korn genommen habe, neben Apol-
lonius auch der heilige Soter von Rom gestanden habe, Mög-
lich, dass der Verfasser die verlorenen Bücher de ecstasi wirk-
lich in der Hand gehabt hat, dass in den ersten 6 Büchern
wirklich Soter ebenso bekämpft wurde, wie im 7. Apollonius,
möglich, dass eben hier Tertullian die Verleumdung über den
Kindesmord beim Abendmahl der Montanisten zurückgewiesen
hat und eben darauf fussend der Verfasser diese Angabe bei
Augustin zurückweist, weil er es bei seinen Kritikern oder rich-
tiger beim Antikritiker nicht gefunden habe (so Zahn und danach
Harnack 11. ce.) — ebenso möglich aber auch, dass der Verfasser,
wie oben haer. 1. 2. 14. 16 nur den Wunsch hat, einen Papst mit
unter den orthodoxen Zeugen zu haben, namentlich einem Tertullian
gegenüber, oder, dass der Verfasser Soter mit Calixt verwechselt,
der den Montanismus endgültig aus Rom vertrieb, und den Ter-
tullian in seiner berühmtesten Schrift unter dem Titel des Anti-
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Montanisten, Novatianer. 61
miontanisten Praxeas bekämpfte — oder endlich auch, dass der
Leichtsinn des Autors durch den Antimontanisten Sotas von An-
chialos, der neben Apollonius Eus. V, 19, s genannt ist, auf den
Namen Soter von Rom geführt worden ist.
Jedenfalls chronologisch unmöglich ist die Angabe haer. 86,
dass Soter, der ca. 175 starb, die Tertullianisten verurteilt habe.
Sie dient dem Verfasser nur zur Überleitung zu einem Exkurs
über die Tertullianisten späterer Zeit in Rom, der allerdings zum
Sichersten gehört (8. u.).
Ähnlich wie mit dem, was zu den Montanisten, steht es
mit dem, was haer. 38 zu den Katharern, bezw. Novatianern
hinzugefügt ist. Die erste Hälfte ist wörtlich Augustin, ein-
schliesslich der Vertauschung von Novatus und Novatian. Dann
fäbrt der Anonymus fort: „Gegen diesen (trat auf, suscepit, agit)
der selige Xystus (Sixtus), der Märtyrer und Bischof, und der
verehrungswürdige Cyprian, Christi Biutzeuge, damals Bischof
von Karthago, schrieb gegen Novatus ein Buch «über die Ge-
fallenen>-, dass diese die Gnade, die sie durch ihren Fall verloren
hatten, wiedergewinnen könnten, was Novatus durchaus geleugnet
hatte“. Aus der Stelle geht mit Sicherheit nur hervor: der Ver-
fasser weiss im Allgemeinen, dass Cyprian über die Gefallenen
geschrieben und dabei im Unterschied von Novatian eine freund-
liche Haltung gegenüber den Gefallenen eingenommen hat. Da-
bei hat man die Wahl, ob man an die berühmte Schrift, die
unter diesem Titel de lapsıs geht, denken soll, obgleich sie den
Accent auf die Ermahnung an die Gefallenen legt und nicht an
Novatian gerichtet ist, wie mir das Nächste scheint, oder ob man
lieber mit Harnack an das grosse Schreiben Cyprian's an den numi-
dischen Bischof Antonian, das freilich direkt vor Novatian warnt,
aber eben unter dem Titel ad Antonianum (de Cornelio et Nova-
tiano —= ep. 55) ging. Man bewegt sich wieder auf unsicherem
Boden. Und deshalb ist es meines Erachtens auch nicht mög-
lich, die Worte contra hunc beatus Xystus martyr et episcopus
so scharf zu bewerten, wie es Harnack a. a. O. S. 49 tut, dem
durch dieses „äussere Zeugnis“ die durch innere Argumente ge-
wonnene Hypothese von der Abfassung des pseudo-cyprianischen
Traktats ad Noyatianum über die Gefallenenfrage durch Sixtus 1].
„auf die Höhe einer sicheren geschichtlichen Erkenntnis“ gehoben
wird. Zumal mir der Wortlaut der Stelle, was auch ὦ no _
62 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
in seiner Ablehnung Theol. Literaturzeitung 1896, Sp. 19 nicht
notiert, gar nicht notwendig von einer Schrift des Sixtus zu
handeln scheint. Die Wiederaufnahme des Objekts contra Νοτα-
tum bei Cyprian muss zunächst so gedeutet werden, dass die
Worte contra hunc Xystus einen Satz für sich bedeuten, in dem
wie gewöhnlich agit oder suscepit (so z. B. 47. 51. 54. 55. 56.
57. 58 u. a.) zu ergänzen ist. Aber selbst wenn hier von einer
Schrift des Sixtus die Rede wäre, müsste man doch äusserstes
Bedenken tragen, zu glauben, dass dieser Anonymus frühestens
des 5. Jahrhunderts uns allein die Kenntnis dieser päpstlichen
Autorschaft aus der Mitte des 3. erhalten habe, und sich jeden-
falls dessen erinnern, dass derselbe Mann z. B. haer. 14 einen
anderen Bischof von Rom, den heiligen Märtyrer Clemens. vor
der ganzen Gemeinde in der Kirche mit festen und tadellosen
Darlegungen die Marcosianer wiederlegen lässt. Wäre die Tat-
sache der Sixtusschrift anderweit gesichert, so würde man hier
eine Bestätigung finden dürfen, als eine in sich starke Stütze für
eine Hypothese kann man die Stelle meines Erachtens nicht be-
nutzen.
Damit ist erschöpft, was über die Zeit vor ca. 350 zu sagen
ist. Etwas Tertullian — etwas Cyprian — aber alles doch vage
und ungenau.
Durch das 4. Jahrhundert hindurch bis in das 5. läuft die
donatistische Häresie, von der 69 eigens die Rede ist.
Damit berührt sich auch einiges in 61, und auf sie kommt er
auch 44, wieder in anderem Zusammenhang, zu sprechen. Schon
das ist ein Beweis, dass er hier von sich aus etwas zu sagen
hat. Zuuächst bot ihm gerade hier Augustin eine ausführliche
Vorlage, und bei einem genauen Vergleich ist man doch über-
rascht, wie wenig für den Rekurs auf eine andere Quelle übrig
bleibt. Es sind nur kleine eingeschobene Nebenzüge. Selbst
das exstant hodie sceripta Donati (611A) stamımt, nur durch das
hodie verstärkt, aus Augustin. Nicht aus dieser Quelle hat der
Verfasser die Zeitbestimmung temporibus Heracliani comitis für
die Wahl des Maximian, Parmenians Nachfolger, und die darauf-
folgende Spaltung der Donatisten 392/3, haer. 69, 611C, aber
sie ist höchst ungenau, da Heraclion erst 20 Jahre später comes
Africae wurde, vgl. 1.51 cod. Theod. XV], 5. Eine Reihe anderer
Angaben scheint genauere Lokalkenntnis vorauszusetzen. Er
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse, Donatisten. 63
kennt drei verschiedene Namen, neben Donatisten Parmeniani
und Monteses, die ebenso das gleiche besagten wie Artemoniani,
Pauliani und Photiniani (haer. 44 bei Paulus von Samosata): und
zwar hiessen die Häretiker in Karthago Donatisten, im inneren
Afrika Parmenianer, in partibus Italiae Monteses. Dazu fügt er
die Bemerkung, dass die Donatisten in beiden Numidien veluti
monachos hätten, „die wir Circumcelliones nennen“ (haer. 69).
Ihren selbstmörderischen Wahnsinn identifiziert er von sich aus
(haer. 61) mit der anderen Häresie der Patriciani, die er aus
Augustin und dieser aus Philaster (haer. 62) hat, und lässt diesen
Wahnsinn in partibus Numidiae superioris et Mauritaniae ent-
standen sein. Endlich gehört hierhin die Bezeichnung: „der einzige
Donatus mit einigen Byzacenischen Eselchen“, wobei schon Sirmond
darauf hinwies, dass nach Plinius, ἢ. n. XVII, 5 die Byzacener mit
Eseln pflügten. So sehr allerdings geographische Kenntnis
Afrikas aus diesen Angaben spricht, so sind die historischen doch
wieder durchaus nicht zweifelsfrei. Dass die Donatisten in Inner-
afrıka nach Parmenian, in Karthago Donatisten genannt worden
seien, ist uns trotz unserer ausgezeichneten und reichen Quellen
unbekannt, und da Parmenian der Nachfolger des Donatus und
Bischof in Karthago war, auch nicht eigentlich wahrscheinlich.
In Optatus’ durchweg gegen Parmenian gerichtetem Buch heissen
die Gegner immer Donatisten. Fast hat es den Anschein, als
ob dem Verfasser jener Sachverhalt nicht gegenwärtig sei, da
Augustin Parmenian ganz übergeht. Sollte er ferner allein in
der Lage gewesen sein, uns die Kunde vom Ursprung der Cir-
cumcellionen im oberen Numidien und Mauretanien aufbewahren
zu können, wofür er nachher beide Numidien einsetzt? Dass
der Donatismus in Numidien seinen Hauptherd hatte, ist eine
bekannte Tatsache (Aug. serm. 46, ep. 58, Hier. cat. 93). Die Donatus
von Casä Nigrä und Bagai waren Numidier. Aber eben deshalb ist
es für einen so genauen Kenner der donatistischen Bewegung
wunderbar, dass er den Donatus von Karthago mit den Eselchen
von Byzacene, d. h. der südöstlichsten Gegend der Provinz um
Hadrumetum, zusammenspannt. Hatte er für diesen Hieb auf
Byzacene persönliche Gründe? Oder stehen die Byzacener hier
nur für Afrikaner überhaupt, pars pro toto? In der Notiz über
die römischen Donatisten scheint sich gute Kunde zu verraten.
Dass diese Montenses (Monteses) geheissen hätten, konnte er freilich
64 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
in seiner Vorlage lesen: er weiss aber, dass sie a montis latebra
so bezeichnet worden waren. An anderer Stelle, Hier. Chron. ad
a. 358, 1. 43 cod. Theod. XV], 5 ist nur von der hohen Lage
ihres Versammlungsortes die Rede, Optatus aber spricht von
einer umzäunten Höhle ausserhalb der Stadt, spelunca, in der
die römischen Donatisten ihre conventicula abgehalten hätten.
Auf eine solche versteckte Bergkirche passt der Ausdruck des
Verfassers sehr gut. Liegt eigene Lokalkengtnis oder Kenntnis
des Optatus vor?
Dass der Verfasser überhaupt von Parmenian weiss, ver-
dankt er jedenfalls dem ÖOptatus, den er haer. 44 und 61
nennt. Ihn scheint er wirklich gelesen zu haben. Der Satz an
letzterer Stelle: hos miseri Donatistae postea secuti coeperunt se
montis praecipitio quasi futuri martyres tradere[: ut qui vitam
aeternam catholicae fidei derelinquunt, viothanati (== bio-
thanatı!) aeternam mortem inveniant] erinnert stark an Opt. LI, 4,
ed. Ziwsa 83 7ff.: Ex ipso genere fuerant, qui sibi percussores sub
cupiditate falsi martyrii in suam perniciem conducebant. Inde
etiam ılli, qui ex altorum montium cacuminibus viles animas
projicientes se praecipites dabant. Der Vergleich mit den Mönchen
haer. 69 konnte sich dem Autor selbst nahelegen, die Analogie
stand aber auch Augustin enarr. in ps. 132, 3 zu lesen. Immerhin
weiss er, dass das Buch des Optatus gegen Parmenian gerichtet
ist und Parmenian literarisch tätig war. Dass er per totam
Africam libros conficiens gewesen sei, erinnert an Hieronymus’ Aus-
spruch (cat. 93) über Donatus, dass er totam paene Africam decepit.
Von neuen Psalmen Parmenian’3 weiss Optatus und die Geschichte
sonst nichts. Aber Augustin hat in der Form eines Psalms die
Donatisten bekämpft.
1) Daraus, das Philaster haer. 85 bei den afrikanischen Circuitores
denselben Ausdruck biothanati gebraucht und eine ähnliche allgemeine
bemerkung zufügt, nämlich, dass diese sich eines ehrenhaften Todes be-
rauben und dem göttlichen Gerichte vielmehr verfallen statt ihm zu ent-
rinnen, wird man nicht Bekanntschaft des Praed. mit Phil. folgern dürfen,
entgegen allen oben angeführten Beobachtungen. Denn eine derartige
allgemeine Bemerkung stellte sich sehr leicht ein und der Ausdruck
bio- oder bineothanati ist nicht selten und findet sich z. B. bei Lam-
pritius, Tertullian, Arnobius. Übrigens scheint auch Philaster Optatus zu
benutzen.
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Donatisten, Jovinianer. 65
Auch über die Donatisten ist die Ausbeute schliesslich
sehr gering.
Mit Jovinianisten und Helvidianern (haer. 82 und 84)
treten wir in die Gruppe der Erscheinungen, die bereits Hiero-
nymus’ Schriftstellerei beschäftigten. Der Verfasser kennt dessen
Pamphlete: die gegen Jovinian belehren über den Nutzen der
Leibeszucht und das Übel der Schlemmerei. Auch sonst scheinen
konkrete Angaben einen genauen Kenner zu verraten. „Gegen
Jovinian ging der heilige Ambrosius, Bischof von Mailand, vor,
der auch ein Buch herausgab zur Zerstörung aller Lügen seiner
Erfindung. Nachdem dies in Roms Mitte, nämlich der Latera-
nensischen Kirche, vorgelesen war, riefen das römische Volk wie
die Priester mit einem Munde über diese Jovinianisten und Jo-
vinian selbst das Anathema, bei Beginn der Quadragesima, unter
dem heiligen Bischof Anastasius. Endlich wurden sie in der
eigentlichen Osterwoche angetroffen (in ipsa authentica hebdo-
mada Paschae), als sie schmausten und mit Schweinefleisch
Gastereien hielten: so dass der Pöbel den Schweinebraten, den
sie auf ihrer Tafel angetroffen hatten, um seinen Hals hängte
und ibn so einen Umgang durch die ganze Stadt machen liess.“ !
Allein der scheinbar so genaue Bericht ist höchst fehlerhaft.
Zwar wurde Jovinian in Rom verurteilt, Ambrosius hatte mit
ihm etwas zu tun, und Hieronymus gebraucht von seinem Tode
adv. Vig. 1 die geschmackvolle Wendung: „Nachdem ihn die
römische Kirche verurteilt hatte, rülpste er über Fasanen- und
Schweinebraten seinen Geist aus“. Aber nicht auf Grund einer
ambrosianischen Schrift erfolgte die römische Verurteilung, son-
dern nach der römischen Verurteilung wurde Ambrosius von
dort aus gewarnt, verdamnite sie ebenfalls, worüber er wieder
nach Rom berichtete, und warnte seinerseits wieder die Ver-
cellenser (Haller, S. 1258, Möller-v. Schubert, S. 580), der
1) Inventi sunt epulantes et porcorum carnibus trahentes convivia:
ita ut assum porcum, quem in mensa eorum invenerant populi, collo ejus
suspenderent et ita eum per totam civitatem facerent circuire. Das Komma
steht richtiger hinter populi. Haller, Jovinian, Texte u. Unt. NF.II,2 1897,
versteht diese Stelle sicher ganz falsch, wenn er übersetzt (S. 109, A. 1.): „So
frech sollen die Jovinianer gewesen sein, dass sie am Sonntag nach Ostern
ein wüstes Gastmahl feierten und ein gehratenes Schwein in lustiger Pro-
zession durch die Strassen führten“.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4. 5
f
66 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
römische Bischof hiess nicht Anastasius, zu dessen kurzer Re-
gierungszeit 399—401 Ambrosius bereits das Zeitliche gesegnet
hatte, sondern Siricius, und Synoden in der Laterankirche kennen
wir jedenfalls erst aus späterer Ze:t (8. darüber unten). Von
dem tragikomischen Umzug weiss weder Hieronymus noch ein
anderer etwas. Aber es hat fast den Anschein, als ob der Ver-
fasser eine auf Grund jener Hieronymusstelle entstandene Legende
über das klägliche Ende des „Asketen“ Jovinian, wie sie in Rom
in Umlauf sein mochte, ohne eigene genauere Kenntnis weiter
erzählt, wenn er sie nicht gar selbst konstruiert oder doch aus-
spinnt (ähnlich auch Haller a.a. O.). Und da eine Darstellung
der starken dogmatischen Abweichungen Jovinian’s, wie sie Hiero-
nymus’ Streitschrift zu entnehmen war, ganz vermisst wird, so
bleibt fraglich, wie weit sich die persönliche Kenntnis des Hiero-
nymus vonseiten des Verfassers erstreckt.
Ähnlich steht es mit den Helvidianern. Dass er nicht
nur in Augustins Spuren, diesen breiter ausführend, unbedenklich
behauptet, Epiphanius habe die Helvidianer, die zu seiner Zeit
aufgetreten seien, Antidikomariten genannt, sondern diesem
auch einen eigenen libellus gegen jene andichtet, ergab sich
schon aus einer früheren Stelle (S.44). Ersetztaber auch wiederin _
Zweifel, ob er die kurze Flugschrift des doctor egregius Hiero- -
nymus wirklich gelesen hat, wenn er ihn zwei Bücher gegen _
die Helvidianer schreiben lässt, die diese sogleich verflucht—
hätten.! Jedenfalls entnimmt er ihr nichts, und seine Angabe
dass die Ketzerei zur Zeit des Siricius entstanden sei, ist falsch
da Helvidius zu der des Damasus auftrat. Immerhin könnte ım_
dieser wie in der anderen Angabe, dass die Helvidianer ihre=
Jünger über Italien und Gallien gesandt hätten, eine Ver-
wechslung mit der verwandten Sekte der Bonosianer vorliegen,
die unter Siricius ihren Anfang nahm und sich noch lange,
namentlich in Gallien nachweisen lässt, vgl. F.Loofs, RE® ]ll,
314ff. Es genügt auch hier, auf oberflächliche Kenntnis durch
mündliche Tradition zu rekurrieren.
Von einer Härese, die unter Siricius’ Vorgänger, Damasus
(366—384), aufgetreten, handelt der folgende Abschnitt.
1) So wenigstens glaube ich die gewiss verderbte Stelle verstehen zu
müssen, die ebenso auch im Augiensis steht.
Das 1. Buch. Eigenes. Helvidianer, Paternianer. 67
Die Paterniani werden nach Augustin beschrieben mit Weg-
lassung der Bemerkung: hos etiam Venustianos quidam vocant.
Doch erscheint dieser andere Name auch im Praedestinatus in
den Angaben über ihre Bekämpfung, die wieder ganz den Ein-
druck der genauesten Information erwecken. Damasus entdeckte
sie, verdammte sie und schrieb einen Bericht an Valentinian 1,
in dem der Satz stand: Scire volumus pietatem vestram V enustianos
in scelere turpissimo detectos ab apostolica sede esse damnatos.
Zugleich sandte er ihm Bekenntnisse ein. Gegen sie erging dann
ein Spezialedikt, das sie mit dem Tode durch das Schwert bedrohte.
Allerdings waren Damasus und Valentinian I. (364—375) Zeit-
genossen, und von einem Verkehr zwischen ihnen ist in Ver-
fassungssachen die Rede: der letztere bestätigte dem ersteren die
Metropolitangerichtsbarkeit auch gegen seinen Widersacher Ur-
sinus (Ambros. ep. 212, Möller-v. Schubert I, 720). Von
den hier erwähnten Beziehungen zwischen beiden und zu den
Paterniani ist sonst nichts bekannt. In der Ketzergesetzgebung
des codex Theodosianus findet sich das genannte Spezialgesetz
nicht. Die Verurteilung durch Damasus könnte, wie Baluze
annnahm, etwa auf dem römischen Konzil von 367 geschehen sein.
Indessen hat es mit den Paterniani noch eine eigene Be-
wandtnis. Sie glaubten, dass die unteren Partien des Menschen-
leibes vom Teufel seien und entnahmen diesem Wahn die Er-
laubnis, aufs unzüchtigste zu leben. Julian von Eclanum hatte
diese Tatsache zum Anlass genommen, Augustin, bei dem die
Geschlechtslust ebenfalls nach eigenem Recht lebe, dem Willen
nicht untertan, mit diesen Ketzern, Seitenverwandten der Ma-
nichäer, zusammenzubringen, Aug. c. Jul. V,726. Mit Energie und
Heftigkeit bekämpft Augustin a. a. Ὁ. diese „Verleumdung“ seines
Gegners. Diese Sachlage verdächtigt die nur hier bezeugten
Tatsachen erheblich, um so mehr, als wir den Verfasser auch
sonst gerade in Abhängigkeit von Julian sahen. Die Annahme
liegt nahe, dass der Verfasser von hier Veranlassung genommen
habe, jene Ketzerei als von Papst und Kaiser besonders ver-
urteilt darzustellen, und dieser Verdacht wird dadurch bestärkt,
dass er nur an dieser Stelle von der kaiserlichen Ketzergesetz-
gebung genaue Kenntnis verrät, auch sonst aber solche bischöf-
liche Schreiben aus dem Sinn heraus konstruiert, vgl. 18 Schluss,
und der angeführte Satz des angeblichen Damasusbriefes, der in
n*#
68 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
seiner Allgemeinheit die ganze Sache erschöpft, sich liest, wie
eine solche freie Erfindung. Demnach haben denn weder Da-
masus-Biographen wie Rade oder Langen noch Darsteller der
Konziliengeschichte wie Hefele von den Notizen Gebrauch
gemacht.
Immerhin könnte eine richtige Überlieferung zu grunde
liegen, die nur ausgeschmückt ist. Sie würde dann wieder auf
Italien und speziell Rom deuten, Damasus entdeckt und ver-
dammt sie, der Süditaliener Julian kennt sie.
Weist schon im Vorhergehenden vieles auf römische Lokal-
traditionen, so noch mehr und in speziellerem Sinne die wichtige
86. Häresiee Wir haben über die hier behandelten Tertullia-
nisten und ihren Heros eponymos Tertullian schon oben im
Zusammenhang mit den Montanisten gehandelt und dort ein
gewisses, wenn auch geringes Mass von Selbständigkeit gegen-
über Augustin, der im ganzen auch hier durchaus die Grundlage
ist, auf Grund eigener Kenntnis Tertullian’s festgestellt. Zu den
Einfügungen des Verfassers gehörte die Hereinziehung des
Bischofs Soter von Rom. Während beim Afrikaner Augustin
die Sache sich ausschliesslich als innerafrikanische Angelegenbeit
abspielt, giebt der Verfasser nun durch einen langen Zusatz, der
die ganze erste Hälfte des Abschnitts einnimmt, unter Aufnahme
der ursprünglichen Beziehung bereits zu Soter von Rom der
Sache eine ausgesprochen römische Wendung. „Der Grund,
warum wir die Tertullianisten als Vertreter der 86. Häresie be-
zeichnen, ist der, dass eine gewisse Octaviana, deren Mann
Hesperius dem beim Tyrannen Maximus vielvermögenden Dux
Arbogast sehr verbunden war, aus Afrika kommend einen ge-
wissen Ränkeschmied und verschlagenen Dämon mit sich führte,
dem kaum hundert widerstehen mögen, so wortreich und voll
Selbstvertrauens war er. Da dieser sich einen tertullianistischen
Presbyter nannte, erwarb er sich durch ein kaiserliches Schreiben
(per sacrum scriptum) das Recht, ausserhalb der Mauern der
Stadt sich ein collegium zu errichten. Als er das vom Tyrannen
Maximus erlangt hatte, trennte er den Platz unserer Hei-
ligen ab, nämlich der zwei Brüder Processus und Mar-
tinianus, indem er behauptete, sie seien Phrygier gewesen und
hätten dieselbe Regel befolgt wie Tertullian: und auf diesem
Wege, indem die Märtyrer die Gelegenheit boten, verführte er
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Tertullianisten. 69
das Volk Gottes. Als aber Gott dem frommen Kaiser Theodosius
den Sieg gab und der Trabant des Maximus, mit dessen Macht
sich der Tertullianist brüstete, bestraft war, flüchtete er sofort
mit der fremden Matrone, und weder vom Lebenden noch vom
Toten hörte man weiter etwas. Die Vigilien seiner Märtyrer
gab Gott der katholischen Festfeier zurück. Tertullian aber “--
heisst es dann weiter — war ein karthagischer Bürger und Pres-
byter“, vgl. zum Folgenden Aug. de haer. 86.
Diese in sich geschlossene kleine Erzählung, die mit dem
Übrigen nur lose zusammenhängt und durch die dogmatische
Absicht des Ganzen nicht verdächtigt wird, von dem Versuch,
das Heiligtum des Processus und Martinian dem rechtgläubigen
Kultus zu entziehen, und von seiner Rückgabe an denselben trägt
den Stempel der Wahrheit, so wenig sie uns sonst bezeugt ist.
Die allgemeinen Daten sind richtig. Im Jahre 387/8 nahm Maxi-
mus, dessen Hauptstütze der Franke Arbogast war, Italien und
Rom in Besitz, liess aber gegen Theodosius im folgenden Jahre
Leben und Herrschaft.! Die Geschichte bildet eine interessante
Parallele zu der bekannten Priscillianistenaffäre bei dem Über-
tritt desselben Usurpators nach Gallien in Trier: wie sich dort
im Norden die Ithacius und Hydatius sofort an den Gegner
Gratian’s, den neuen Usurpator, hängen, um im Trüben zu fischen,
so hier im Süden und in weit kleinerem Masstabe der unbekannte
ketzerische Presbyter an die Trabanten des Maximus. Man sieht,
wie überall in die Thronwirren schon damals sofort die kirch-
lichen Dinge hineingezerrt wurden.
Das Martyrium der beiden von Petrus im römischen Ge-
fängnis Bekehrten, Processus und Martinianus, lag 11... Meilen
vom Forum der Stadt an der via Aurelia, wo sie enthauptet
sein sollen, ihr Gedächtnis wurde am 2. Juli gefeiert, eine Basi-
lıka schmückte wenigstens später den Ort, de Rossi, Bullet. arch.
erist. 1881, p. 104. Die Legende Act. Sanct. I. Jul. 2, 270 ist
jüngeren Datums, vgl. Grisar, Geschichte Roms 1, 200; nach
-.- - .-ὔ.-..--ὔ.Ὀ.ὕβὕ..-.-.--ο-ς.-ς-.
1) Ob unter Hesperius der Solın des Ausonius zu verstehen sei, der
3:6 Prokonsul von Afrika, 377—80 praet. praetorio war und dann nach
Ausonius, gratiar. act. Ὁ, Gallien mit dem Vater zusammen verwaltete,
steht dahin, ist aber wahrscheinlich. Der vun Symmachus, relat. 23, anno 385
erwähnte comes Hesperius, vir clarissimus et illustris, ist wohl wieder mit
jenem identisch.
70 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Dufourcg, Etude sur les gesta martyram Romains (Bibl. des
ecoles france. d’Athönes et de Rome, fasc. 83) 1900, S. 303, stammt
ihre Redaktion aus der gotischen Zeit (Grisar, 6. Jahrhundert).
Aber es liegt auf der Hand, dass sie älter sein kann. Unsere
Stelle nimmt an, dass man schon 387 hier beliebte Märtyrer-
feste feierte Nun lässt schon die erzählte Episode an sich
darauf schliessen, dass die feierliche Restitution der Märtyrer
Veranlassung zur Fixierung der Legende wurde. Das Martyro-
logium des römischen Chronographen von 354 nennt die Namen
noch nicht. Möglicherweise hat also der Kultus damals über-
haupt erst seinen Anfang genommen, indem man die phrygischen
montanistischen Heiligen des betriebsamen Afrikaners übernahm
und zu katholischen umstempelte. Dazu stimmt trefflich, dass -
eine der ältesten Handschriften des Martyrol. Hieronymianum 4
die auswärtige Abkunft dieser Heiligen andeutet: „Dass sie über—
haupt römische Heilige sind, bleibt unwahrscheinlich“ (Urbain, —
Texte u. Unters. Neue Folge VI, 3. S. 151f... Dass der Verfassers
aber jene Tradition nicht nur kennt, sondern auch für wert hält, :
sie uns ausführlich in diesem Werke zu erzählen, für dessensr
polemisch-dogmatischen Zweck sie schlechterdings nichts aus—
trägt, und zwar mit erkennbarer persönlicher Anteilnahme, er—
klärt sich doch nur, wenn man den Verfasser selbst mit diesem
Orte in Beziehung bringt. Man wird bei der näheren Bestimmung=
des Autors von dieser sicheren Beobachtung auszugehen haben —
Bei Augustin trug die 87. Häresie der Abeloiten ganze
lokales Gepräge: es war eine speziell in Hippo, seinem Bischofs-
sitze, ansässige Sekte. Hier streift der Verfasser, der sich im
übrigen vollkommen an seine Vorlage anschliesst, vielmehr das
Kolorit ganz ab.
Über die Behandlung des Pelagianismus (h. 88) habe
ich ob. S. 31 ff. schon gesprochen, sofern sie Material zur Beurteilung
des dogmatischen Standpunktes abwirft. Eben dieser lässt er-
warten, dass der Verfasser über die Geschichte dieser „Häre-
sie“, der er in Wirklichkeit so nahe steht, besonders gut orientiert
ist. Er giebt doch nicht viel Tatsächliches. Die grössere (2.)
Hälfte wird in Anspruch genommen durch die in dem früheren
Zusammenhang besprochene eigene Auseinandersetzung, die unter
Anknüpfung an Pelagius’ Römerbriefkommentar gegen den
Satz des Caelestins von der Möglichkeit sündlos zu bleiben,
Das 1. Buch. Eigenes. Tertullianisten, Pelagianer. 71
polemisiert und die Notwendigkeit der Taufe auch für Christen-
kinder feststellt. Aus der Geschichte des Streits erzählt der
Verfasser ausführlich nur den Ausbruch, das Auftreten des Pau-
linus gegen Caelestius in Karthago 412, schliesst daran sofort
die „auf den Bericht fast aller afrikanischen Bischöfe“ erfolgte
Verurteilung des Pelagius und Caelestius durch Innocenz 1. (ep. 81 6),
417, weist ebenso kurz auf den literarischen Kampf vor und nach
der Verurteilung hin, wobei er auf katholischer Seite neben und
vor Augustin und Hieronymus einen Constantius nennt, und
schildert das Verhältnis der Pelagianer zu den Katholiken in
seiner Zeit, unter die sie sich zum Teil mischen unter dem Vor-
geben: de quaestione, non de communione discernimur, während
sie andererseits doch ihre eigenen Bischöfe und Presbyter haben.
Als Inhalt der im Schriftenstreit vertretenen pelagianischen Po-
sition werden sodann im wesentlichen nur die Sätze repetiert,
die als Vorbalte des Paulinus zu Karthago bereits erwähnt
waren. Ganz fehlen also nicht nur die im Orient spielenden
Ereignisse des Jahres 415, sondern auch von den abendländischen
alle, die nach 417 fallen, von dem wechselvollen Verhalten des
Zosimus von Rom an bis zur ökumenischen Verwerfung zu
Ephesus 431, d. h. der Verfasser verschweigt die ganze
Zeit, die das Auftreten Julian’s als Führers der Be-
wegung umspannt, von der epistula tractoria am Anfang, die
ihn zuerst zum Ketzer machte, bis zur Verurteilung in Ephesus
am Ende. Dieser auffallende Befund passt ausgezeichnet zu
dem, was uns Buch II und Ill über den Ursprung des Ganzen
lehrten.
Wertvoll, dem Verfasser eigentümlich, ist nur sehr weniges.
1. Aus dem Beginn des Streits die Bezeichnung des Diakonen
Paulinus als defensor et procurator ecelesiae Mediolanensis. Das
kann auf guter Kunde beruhen und stimmt zu der juristischen
Funktion, die Paulinus hier in Karthago übernahm. Es ist
kirchenrechtlich nicht unwichtig, dass die Rechtsbeistände der
grossen Kirchen aus der Zahl der Diakonen, dem ordo major,
genommen werden konnten. Über die beiden Ämter, zu deren
frühester Bezeugung unsere Stelle gehört, vgl. Hinschius,
Kirchenrecht 1, 377 u. 495. Die Notiz von der anfänglichen
Ausrede des Caelestius, die Vorwürfe gingen ihn nichts an, es
sei nur sein Name, aber ein Verbrechen anderer, ist eine freie
72 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Wiedergabe des aus den Akten uns bekannten Vorgangs (bei
Aug. de pecc. or. 3), er berief sich auf andere und nannte be-
sonders den Rufin. Ob er zum Schluss wörtlich gesagt hat,
wegen dessen, was er in dem Vorgeworfenen als seinem Glauben
entsprechend ansehen müsse, könne er auch das Übrige nicht
verurteilen, vermögen wir nicht zu kontrollieren, es entspricht
aber der uns sonst bezeugten allgemeinen Tatsache, dass er der
Synode widerstanden und die Verdammung verweigert habe,
worauf die Absetzung erfolgte, Marius Merc. comm.1. Über die
Sätze selbst s. gleich. 2. Die Angabe, dass noch vor Augustin
(und Hieronymus) quidam (oder quidem?) Constantius tractator
d. 1. Schriftsteller oder Schriftgelehrter und zwar sine scriptura
gegen die Pelagianer aufgetreten sei (contra hos suscepit).
Während bei Augustin (Hipponensis) wie bei Hieronymus
(Bethleites) der Ort angegeben ist, fehlt er hier. Und womit
polemisierte der „Schriftsteller“ Constantius, wenn nicht mit
scriptura? War er ein so einflussreicher Mann? Man ist ver-
sucht, an den Feldherrn und späteren Kaiser Constantius zu
denken, der 421 gegen die Pelagianer ein verschärftes Edikt
gab. Doch wird die Angabe des Verfassers durch Prosper be—
stätigt und erläutert, der im chron. zu 418 bemerkt: Hoc tempore Con-—
stantius servus Christi ex vicario Romae habitans et Pelagianis-
pro gratia dei devotissime renitens factione eorundem multa per—
tulit, quae illum sanctis confessoribus sociaverunt, 5. Mommsen,„
Mon. Germ. auct. antiq. IX, p. 468. Die detaillierte Nachricht
Prosper’s, von der man merkwürdigerweise in der Geschichte
des Pelagianismus fast keinen Gebrauch gemacht sieht, ruht
sicher auf guter Kunde: Prosper war genau vertraut mit dem
Gange der pelagianischen Bewegung, zuerst um 432 und später
wohl dauernd in Rom (s. u.). Der gewesene hohe Staatsbeamte
(Exvikar) und jetzige römische Mönch (so ist gewiss servus Christi
zu verstehen, vgl. Prosp. ep. ad. August. 1) Constantius war den
Pelagianern öffentlich, also wohl durch Disputation oder Anklage,
entgegengetreten und daran zum Märtyrer geworden, und zwar
waren diese tumultuösen Auftritte in denselben Monaten erfolgt,
da der Übergang der Bischofswürde von Innocenz I. auf den
‘Griechen Zosimus erfolgt war und die Haltung des letzteren
den Pelagianern, deren Häupter persönlich in Rom anwesend
} waren und ihre Orthodoxie nachgewiesen hatten, Luft machte.
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Pelagianer. 13
Umgekehrt sind diese Vorgänge ein Beitrag zur Erklärung der
schwankenden Stellung, die die Päpste in diesen Jahren 416—418
einnahmen: man hatte es mit einer starken und entschlossenen
Partei zu tun, die wie ın Palästina gegen Hieronymus so in
Rom gegen Constantius vor persönlichen Angriffen nicht zurück-
schreckte. Aber gerade das Schicksal des Constantius mochte
Zosimus wie Kaiser Honorius, durch dessen Edikt die Führer aus
der Stadt getrieben wurden, darüber belehrt haben, dass man
der Sache Einhalt tun müsse.
Auch hier also bietet der Verfasser wieder eine spezifisch
römische Nachricht ungenau, wie es zu seiner Zeit erzählt
werden mochte, — Constantius ein „Schriftgelehrter“ geworden
und sein Auftreten vor die Schriftstellerei der beiden Kirchen-
väter gestellt — und mit Verschweigung des die Pelagianer so
stark kompromittierenden Martyriums. Neues über Prosper hinaus
bietet er also auch hier eigentlich nicht, aber es ist eine seltene
und wertvolle Notiz, die verdiente beachtet zu werden.
3. Bedeutsam, wenn auch unklar, sind endlich noch die Be-
merkungen über die Pelagianer seiner Zeit und ihr Verhalten.
Einerseit3 haben sie keine eigene Kirche und müssen deshalb
mit den Katholiken kommunizieren; wenn sie sich dabei mit
dem Satze trösten, dass es sich nur „um eine Schulfrage“ handele,
die die Gemeinschaft des Opfers nicht aufhebe, so entspricht
das ganz dem Standpunkt, den Caelestius schon in Karthago und
Pelagius schon in Jerusalem eingenommen und sogar der rö-
mische Stuhl zeitweilig geteilt hatte: quaestionis res, non haeresis.
Andererseits verfallen solche, wenn es von den Ihrigen entdeckt
wird, der Exkommunikation ihres eigenen Klerus, dessen Be-
stehen ausdrücklich bezeugt wird. Wenn vielleicht auch noch
nicht von einer organisierten Sekte, von einer schismatischen
Partei, die zur Zeit des Verfassers auf dem besten Wege zur
Organisation war, wird man demgegenüber doch reden müssen
(gegen Harnack, DG 1118, 174, Möller, RE? XI, 416 unten).
Ein Wort erfordert noch die Wiedergabe der pelagianischen
Position. Der Autor giebt sich nicht die Mühe, die ein-
zelnen Stadien, Führer und Äusserungen auseinanderzuhalten,
sondern verfährt summarisch, indem er sich in der Hauptsache
an die Sätze hält, die man dem Caelestius schon in Karthago
vorhiel. Von den sechs Punkten, die sich nach den Akten
74 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
gleichmässig bei Augustin und Marius Mercator finden, sind
drei aufgenommen: dass der sterblich geschaffene Adam gestorben
wäre, mochte er gesündigt haben oder nicht, dass das Gesetz
ebenso zum Reiche (Gottes) befördere wie das Evangelium (bier
evangelia), dass dem Menschengeschlechte die Sünde Adams
nichts geschadet habe. Diese dann zu Schlagsätzen gewordenen
Punkte kehren hier in derselben wörtlichen Formulierung wieder,
ohne dass erhellt, aus welcher Quelle sie stammen. Anders steht
es mit den zwei anderen Punkten, die er anführt. Wir wissen,
dass man schon in Karthago aus dem Satze, jedes Kind ist ım
selben Status wie Adam vor dem Fall, dem Caelestius die Kon-
sequenz auf den Wert bezw. Unwert der Kindertaufe zog, dass
Caelestius aber doch an der Notwendigkeit der Taufe zur Sünden-
vergebung, freilich mit anderer Begründung, festhielt. Dieses
abgenötigte Bekenntnis zur Kindertaufe ist hier sinnloserweise
unter die Sätze geraten, die man ihm in Karthago zum Vorwurf
machte, infantes in remissionem peccatorum baptizandos esse
ideo confitemur, propter regulam universalis eccelesiae. Dies Be-
kenntnis findet sich in gleicher Formulierung in dem Libellus,
den Caelestius später in Rom herausgab und aus dem Augustin
de pecc. orig. 5f. gerade diese Stelle mitteilt: infantes autem,
inquit, debere baptizari in remissionem peccatorum, secundum
(oben propter) regulam universalis ecclesiae et secundum evan—
gelii sententiam, confitemur. Dass der Verfasser hier dieses
römische Libell des Caelestins — wie vermutlich desselben Cae—
lestius frühere Schrift contra traducem peccati, oben S. 35 —
wirklich vor Augen gehabt hat, wird noch wahrscheinlicher ge-
macht durch die Fortsetzung, die er weiter unten giebt: infantes
non ideo baptizandos, quia habere possint originale peccatum,
vgl. Caelestins bei Augustin |. 6. c. 6: in remissionem autem
peccatorum baptizandos infantes, non ideirco diximus, ut peccatum
ex traduce firmare videanıur.
Dass endlich der Satz homo sine peccato esse potest, si
velit, schon „in Karthago bei Caelestius“ verurteilt sei, berichtet
auch Orosius in seinem apologet. ὁ. Pel. 4 und Marius Mercator
mischt in seinem 2. commonitorium von 431 diesen Punkt mit
den anderen 6 bezw. 7. Doch ist er erst in den „Definitionen“,
die Augustin bald nach Karthago aus Sizilien zugestellt wurden,
nachweislich klar ausgesprochen. Dann spielt er freilich schon
Das 1. Buch. Eigene Kenntnisse. Pelagianer, Nestorianer. 75
in Palästina die Hauptrolle Der Verfasser stellt ihn an die
Spitze der Vorwürfe in Karthago und zwar giebt er ihm wie
weiter unten die scharfe Wendung, die Pelagius in Palästina
selbst ablehnte, die hier aber, wie schon früher hervorgehoben
wurde (S. 30f.), als der eigentliche Obergedanke des ganzen Pela-
gianismus erscheint: dass die gottgeschaffene Natur allein und
an sich zur Vollkommenheit und sündlosen Gerechtigkeit genügen
könne. Indem der Verfasser sein Bild vom Pelagianismus von
den schärfsten Sätzen des Caelestius abnahm, gewann er, wie
ausgeführt, die Möglichkeit, sich von ihm zu scheiden. Er hatte
das Vorbild des Hieronymus für sich (ob. S. 31).
Der Ketzerkatalog schliesst, abgesehen von den Prädesti-
natianern, mit der Häresie (89) des Nestorius. Auch dafür
konnte Augustin’s de haeresibus nicht mehr Vorlage sein. Die
zeitliche Nähe lässt aber gute Kenntnis erwarten. Allein auch
hier ist es wieder eine allgemeine und ungenaue Kunde von den
Divgen. Es soll angeblich Gewohnheit gewesen sein, dass der
Alexandriner eine Abhandlung nach Konstantinopel zur Vor-
lesung am Osterfest schickte und umgekehrt der Konstantino-
politaner nach Alexandrien. In der seinigen nun habe Nestorius
von Konstantinopel die Maria nicht Theotocon, sondern Christo-
tocon genannt, das heisst, dass sie nicht Gott, sondern einen
Menschen geboren habe. Der gute Cyrill bat ihn darauf, nur
den Ausdruck zu verbessern, wenn er sich vielleicht getäuscht
hätte: der böse Nestorius aber schalt ihn erbost über diesen
Tadel sogleich einen Ketzer. Auf der Synode zu Ephesus!
wollte Nestorius sich nicht korrigieren, um die Maria nicht zum
Gotte zu machen wie die Heiden, und erhielt einen Waffenstillstand,
damit er sich besänne und den Ausspruch verurteile, dann könne
er auf seinen Sitz zurückkehren, sonst nicht. Da er beharrte,
verurteilte ihn die Synode: dieser Verurteilung stimmte der Ro-
manus papa Caelestinus zu, und alle Bischöfe des Morgen- und
Abendlandes unterschrieben mit ihm. So wte hier mochte die
1) Der Augiensis hat deutlich 'Thessalonich, So sicher dies die
schwierigere Lesart ist, die aus Ephesus kaum erklärt werden kann,
während sich umgekehrt wohl denken lässt, dass der Schreiber des Re-
mensis hier die weltbekannte Synode in den Text korrigiert haben könnte,
so wenig wird man doch geneigt sein, auch dieses horrendun dem Autor
aufzubürden,
“6 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Legende von dem argen Nestorius, dem gerechten Cyrill, der
glorreichen Synode und dem in Übereinstimmung mit der ganzen
Christenheit die Orthodoxie bestätigenden Papste dem gut-
gläubigen Volke des Westens und speziell Roms vorgetragen
worden und ins Blut übergegangen sein. Wie weit ab von der
geschichtlichen Wahrheit sich dieses Bild in fast allen seinen
Zügen hält, ist in jeder Kirchengeschichte von heute nachzu-
lesen. — —
So anspruchsvoll der Verfasser im 1. Buch als Historiker
auftritt, so niedrig ist doch schliesslich auch in den Partien, da
er eigene Kenntnisse verrät, das Gesamtresultat einzuschätzen.
Seine literarischen Kenntnisse sind sehr gering: abgesehen von
der pelagianischen Literatur, auf die wir auch hier stossen, etwas
Lektüre von Tertullian und Cyprian, ÖOptatus und Augustin,
Rufin (Origenes) und Hieronymus, das mag vorangegangen sein,
aber alles erscheint hier mehr wie Anklänge und Reminiscenzen.
Ausser Augustin’s de haeresibus braucht er bei der Abfassung
auch der historischen Teile in seinem dogmatischen Pamphlet
in der Tat kein Buch aufgeschlagen zu haben. Mehr giebt er
aus, wo er aus mündlichen Quellen oder eigener Wissenschaft
schöpft, in den letzten Abschnitten, aber auch hier ist sein Be-
dürfnis nach Zuverlässigkeit abnorm gering, wie sein Gesichts-
—
ἴον.
—
—
DU u’
———
——
kreis beschränkt: er scheint zumeist aus trüben und unkontrollier——
baren Lokaltraditionen zu schöpfen. Als Historiker ist der
Verfasser nicht ernst zu nehmen. —
IV.
Über die Entstehung der Schrift kann nach der voraus-
gegangenen genauen Analyse einiges mit recht grosser Wahr-
scheinlichkeit ausgesagt werden. Und zwar können wir nun
doch die Schrift als ein Ganzes ins Auge fassen, indem wir die
Frage nach der Echtheit des 2. Buches als in negativem Sinne
entschieden ansehen. Der Schwindelgeist, der durch das ganze
I. Buch geht, die Dreistigkeit, mit der hier schlankweg gelogen
wird, die Ausschlachtung des Augustin, um ihn im Grunde doch
zu bekämpfen, die im kleinen hier öfters geübte Methode, sich
den Häretiker erst zu präparieren, um ihn dann totzuschlagen,
Entstehung der Schrift in Italien. Zeit. 77
macht es vollends in höchstem Grade wahrscheinlich, dass hier
im 2. Buche nur in grösserem Masstabe dasselbe getrieben wird.
Der Ausgang ist zu nehmen von der Frage nach dem Ort
der Entstehung als dem Sichersten. So sehr man sich gewöhnt
hat, die Schrift nach Gallien zu setzen, als dem klassischen Lande
des Semipelagianismus, so gewiss führt ein tieferes Eindringen
in den Stoff vielmehr von selbst auf Italien und speziell auf
Rom. Daneben könnte man höchstens noch an Afrika denken.
Die afrikanischen Väter sind dem Verfasser bekannt und die
grossen afrikanischen Bewegungen nicht fremd, aber auch hier
bringt er das Afrikanische fast immer in seiner Verbindung mit
Römischem, und in der Tat waren ja die Beziehungen nament-
lich Süditaliens (incl. Siziliens), wo man um der griechischen
Brocken willen den Verfasser geboren sein lassen möchte, mit
Afrika ganz enge. Der Tertullianismus, Donatismus und nun
vollends der Augustinismus schlagen von dort herüber. Für Rom
aber entscheidend ist die Verwertung römischer Lokaltradition
von haer. 82, ja vielleicht 61 an, auf die genugsam hingewiesen
ist. Ja, fasst man haer. 86 ins Auge, so liegt die Vermutung
nahe, dass sein nächstes kirchliches Interesse etwas mit dem Mär-
tyrerkulte des Processus und Martinianus vor den Thoren der
Stadt zu tun hat, er vielleicht den Dienst am Martyrium selbst
versah. Für Gallien, etwa für Zusammenhang mit den unter
Hilarius von Arles abgehaltenen Synoden (Möller - v. Schu-
bert I, 640 A. 2), spricht in der Schrift selbst schlechterdings
nichts. Dass aber die von Pelagius und Caelestius ausgehende
Bewegung nur in Gallien Wurzel geschlagen, ist eine völlig irrige
Voraussetzung. Wenigstens für die Zeit, in die die Abfassung
zu setzen ist, trıfft das durchaus nicht zu.
Denn auch über die Zeit der Entstehung können wir doch
zu einer bestimmteren Aussage kommen. Dass die Schrift selbst
als nicht lange nach 431 geschrieben gelten will, ist längst be-
merkt. Die eutychianische Ketzerei folgt noch nicht auf die nesto-
rianische, wie in anderen Fortsetzungen von Augustin’s Katalog.
Dazu stimmt die Einleitung, die offenbar die Situation nach dem
Tode (beatissimae memoriae) des Papstes Caelestin ( 432) ım
Auge hat, und die Angabe in haer. 88 über die eigenen episcopi
und presbyteri der Pelagianer. Indessen ein gewandter Fälscher
könnte ja seiner Schrift diesen Anschein früherer Entstehung
18 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
gegeben haben, um die augustinische Prädestinationslehre als
gleich nach ihrem Entstehen erkannte und von höchster Stelle
verurteilte Häresie darzustellen. Ich habe an der oben zitierten
Stelle meines Lehrbuchs der alten Kirchengeschichte sogar die
Möglichkeit offen gelassen, dass man die Schrift ins 9. Jh. setzen
und in Verbindung mit dem Gottschalck’schen Streit bringen
könne. Damals verfügte man über Fälscherlust und Fälscherkunst,
und die Annahme einer Analogie auf dogmatischem Gebiet der
grossen aufkeimenden Häresie gegenüber zu den pseudo-isido-
rischen Fälschungen auf kanonistischem hat etwas Verlockendes.
Der Beginn des durch Noting v. Brescia, bezw. Rabanus Maurus
eröffneten Kampfes kann auch früher als die Reichenauer Hand-
schrift fallen und fällt jedenfalls früher als die erste Bezeugung
der Rheimser.
Wenn auch offenbar der Ausbruch des Gottschalck’schen
Streites zuerst Interesse an der mysteriösen Schrift erregte, ihre
Entstehung verdankt sie demselben doch nicht. Abgesehen da-
von, dass der Autor sich in historischen Fragen nicht als ge-
schickter, sondern als plumper Fälscher erwiesen hat, mehrere
Beobachtungen sprechen entscheidend dagegen. 1. Haer. 41 u. 74
fehlt bei dem spiritus sanctus procedens ex patre noch das filio-
que, das seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrbunderts im Abend-
land allgemein angenommen war. 2. Die Bibelzitate sind noch
nach der Itala, nicht nach der Übersetzung. des Hieronymus ge-
geben. Ist die letztere nun auch im Abendland zu sehr ver-
schiedener Zeit recipiert worden, so war das doch zur Zeit des
Rabanus Maurus allgemein der Fall, vgl. Nestle in RE ΠῚ,
40:2. 3. Das altkirchliche Katechumenat und Busswesen ist noch
in Kraft, die Erwachsenentaufe das Typische, z. B. II, 8,
644 C. 4. Eine Stellung zu Origenes, wie sie I, 43 einge-
nommen wird, wäre nach dem Decr. Gelasianum schwer denkbar.
Ferner die Kenntnis der römischen Lokaltraditionen, die Benutzung
der ältesten verurteilten pelagianischen Literatur u. a. m.
Man wird gut tun, bei dem gewöhnlichen Ansatz ca. 440
zu bleiben und auch nicht an das Ende des 5. Jahrhunderts
hinunterzusteigen. Dazu könnte nicht nur der Hieb auf die
« „byzacenischen Eselchen“, haer. 69, verführen — Fulgentius von
Ruspe, der Wiedererneuerer des scharfen Augustinismus, war aus
der afrikanischen Provinz Byzacene — sondern auch die Be-
Entstehung im 5. Jhdt. 79
hauptung, dass die Synode gegen die Jovinianisten in der ecclesia
Lateranensi abgehalten sei. Haller, Jovinian 8. 108, A. 5 meint:
„Die erste römische Synode, die in der Laterankirche stattfand, ist
nachweislich die vom Jahre 487, wo über Aufnahme der unter
Hunerich’s Verfolgung Gefallenen verhandelt wurde. Entweder
ist demnach hier ein späterer Zusatz anzunehmen oder ist der
ganze liber Praedestinatus noch später zu setzen als in die Mitte
des 5. Jahrhunderts“. Da man zu dem Ausweg, eine Glosse an-
zunehmen, gewiss nur ungern greift, würde man in der Tat ge-
neigt sein, als terminus a quo 487 anzusehen. Man könnte dann
die Schrift mit der antipelagianischen Aktion des Papstes Gelasius
so gut wie mit der des Fulgentius in Beziehung bringen. In-
dessen ist im ersten Satz Haller's das „nachweislich“ falsch gestellt:
die erste römische Synode, die nachweislich in der Laterankirche
stattfand, ist die vom Jahre 487, aber von vielen römischen Sy-
noden des 4. und 5. Jahrhunderts können wir leider nicht nach-
weisen, wo sie stattgefunden haben. Man wechselte damals noch
mit dem Lokal, 485 tagte man in St. Peter, 465 in S. Maria
Maggiore u.s.w. Es ist demnach wohl möglich, dass ein Autor
ca. 440 eine Synode aus dem Ende des 4. Jahrhunderts in die
Laterankirche verlegen konnte, ohne sogleich unglaubwürdig zu
erscheinen. Man wird dann vielmehr umgekehrt die Stelle, die
einem in Rom vertrauten Manne angehört, zum Beweis nehmen
können, dass die von Constantin erbaute Basilika zu seiner Zeit
schon zu dem genannten Zweck benutzt worden war.
Wir wissen nicht, wie lange sich namentlich in den heim-
lich pelagianisch gerichteten Kreisen die pelagianische Literatur
erhielt. Vom echten Pelagius-Kommentar zu den paulinischen
Briefen wissen wir, dass er für Cassiodor schon verschollen war:
in seinem Überblick über die Paulus-Kommentare, de inst. div.
liter. 8 erwähnt er ihn nicht mehr (vgl. Zimmer, Pelagius in
Irland S. 13£.); in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts ver-
drängte ihn die Bearbeitung, die unter dem Namen des Prima-
sius geht und dem P. Gelasius zugeschrieben wurde. Ausserdem
war er nur in jener verstümmelten, aber nicht antipelagianisch ge-
reinigten (ebend. 164 ff.) Form noch vorhanden, die unter den
Werkendes Hieronymussteht,des halbehrlichen Pelagiusbekämpfers,
der überhaupt nach einer Ironie des Schicksals oder vielleicht
kann man sagen nach höherer Gerechtigkeit einen Teil der pela-
80 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
gianischen Literatur unter seinem Namen hat retten müssen, (die
epistula ad Demetriadem, den libellus fidei des Pelagius ad In-
nocentium). Hier aber finden sich Spuren nicht nur dieses Kom-
mentars, sondern auch der anderen pelagianischen Literatur aus
der klassischen Zeit der Bewegung.
Alle Erwägungen führen doch darauf zurück, dass die ein-
fachste Lösung hier auch die richtigste ist und das Werk iu der
Zeit geschrieben ist, in der es geschrieben sein will, zwischen
432 und 449. Dann aber wird man noch genauer die Regier-
ung Sixtus’ III, Caelestin’s Nachfolger, 432—40 ins Auge fassen
müssen. Unter Leo I., dessen gewaltige Hand sich schwer auf
alle Häresien legte und der sofort nach Regierungsantritt gegen
die Pelagianer vorging (ep. 1 und 2 und Ps.-Prosper de promiss.
et praed. dei IV, 6 12), wird sich ein Werk wie dieses kaum ans
Licht gewagt haben. Aber gerade die Lage in Italien und Rom
unter Sixtus giebt einen vortrefflichen Hintergrund.
Es ist eine Täuschung, wenn man annimmt, dass mit der
kaiserlichen und päpstlichen Erklärung des Jahres 418 die pe
lagianische Sache sofort abgetan gewesen sei. Sie hatte nament-
lich in Italien zu starke Wurzeln geschlagen. „Die eigentüm-
liche Erscheinung, dass so viele Italiker Anhänger des Pelagius
waren, hängt wohl nicht bloss damit zusammen, dass dieser lange
in Rom gelebt und gewirkt hatte, sondern auch damit, dass in
Italien die antike heidnische (und speziell die stoische) Philo-
sophie, auf die der Pelagianismus obne Zweifel wesentlich zurück-
zuführen ist, sich in Italien stärker, als anderswo im ÖOcecident
geltend machte“ (Caspari, Briefe, Abhandlungen und Predig-
ten aus den zwei letzten Jahrhunderten des kirchlichen Alter-
tums und dem Anfang des Mittelalters, Progr. von Christiania,
1890, S. 351, A.). Genuesische Priester erholten sich Rat von
Prosper von Aquitanien. Die Gegend um Aquileja und das süd-
liche Italien waren besonders stark infiziert, und diese Zusammen-
stellung führt abermals darauf, dass die Sache mit Rufin, auf den
sich Caelestius berief, und den Hieronymus für den Vater des Pela-
gianismus ansah (comm. in Jer. praef. 1. IV), mit dem Einfluss der
griechischen Freiheitslehre und des ägyptischen Mönchtums (wie
später bei Cassian; s. auch bei Makarius, Lehrb. d. KG. I, 792)
zu tun hat. Auf dem Metropolitansitz von Aquileja sass bis 408
der Freund Rufin’s Chromatius. An dessen Nachfolger Augustin
Zeit der Entstehung. Der Pelagianiemus in Italien nach 418. δῖ
(408—26) richteten Bischöfe und Kleriker der Diözese jenen
libellus fidei, den man nach Garnier’s Vorgang meist, aber wohl
irrtümlich dem Julian und seinen Genossen zuschrieb, indem man
die Adresse veränderte und statt Augustin Zosimus einsetzte, und
weigerten sich darin Pelagius und Caelestius zu verurteilen
(Bruckner, Julian S. 31ff, Caspari 5. 346, A. unten. Wie
dann die Schreiben Leo’s wieder an Augustin’s Nachfolger, Nice-
tas von Aquileja, und an den Bischof Septimus von Altinum von
442 beweisen, waren in der Provinz Venetien noch immer pela-
gianische Kleriker in Menge im Amt, ohne dass man ihnen bis
dahin ein Anathbema zugemutet hatte, und betrieben, indem sie
Agitationsreisen machten, eine lebhafte Propaganda und Gemein-
schaftspflege. In Picenum und Dalmatien aber seben wir noch
viel später die Bewegung wieder ausschlagen, s. u. Man hat
den Eindruck, dass der Pelagianismus vor Leo hier so dastand,
wie ihn unsere Schrift haer. 88 beschreibt. Und nicht anders
in Süditalien, inel. Sizilien. Von der letzteren Insel meldet Hila-
rius das Wachstum der Häresie, von hier wurden dem Augustin
413 die „Definitiones Caelestii“ zugestellt (Aug. de perf. just. 1),
hier wurde der Autor der von Caspari edierten pelagianischen
Traktate, also vielleicht der Brite Agricola zum Pelagianismus
bekehrt, und hier fanden Prosper (de ingratis v. 70) und Hiero-
nymus (a. a. O.) die Seuche besonders verbreitet. Über die Ver-
breitung in Süditalien aber siehe Augustin ep. 156. 1572. 186 au.
6. Jul. Ν, 14. Caelestius selbst war vermutlich ein Campaner(Prosper,
epigr. 2 in obtrect. Aug. Caspari S. 351), Julian sicher ein
Apuler (Aug., op. imp. VI, 18), die 17 Mitbischöfe, die lieber das
Amt verliessen, als die tractorıa des Zosimus 418 zu unterzeichnen,
und das Schreiben an B. Rufus von Thessalonien richteten, waren
jedenfalls auch Italiker. Zu ihnen und ihrem italischem Anhang
gehörten gewiss zum grossen Teil die mit Julian in Ephesus
verurteilten Pelagianer und die sonst aus der Geschichte des Pe-
lagianismus bekannten Männer, wie Florus, Orontius, Evangelus,
Anianus, Valerianus, Persidius, Marcellinus, Fabius. In Italien
muss damals eine erhebliche pelagianische Literatur, auch ab-
gesehen von Julian, entstanden sein, von der wir nur Trümmer
haben. Die von Caspari herausgegebenen, mönchisch überaus
ernsten Abhandlungen und Predigten sind, wie es scheint, auch
in Italien verfasst, 417—26, nach Caspari a. a. Ὁ. 5. 387. End-
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4. 6
52 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
lich erwäge man, dass hier im campanischen Nola bis 431
B. Paulinus, der Stern des kirchlichen und asketischen Italiens,
sass, dessen freundschaftliche Beziehungen erst zu Rufin, dann
zu Pelagius (Aug. ep. 186) und endlich zu Julian und Familie
ganz, zweifellose sind.!
In Rom selbst, wo der persönliche Einfluss des Pelagius
und dann wieder des Üaelestius lange und nachhaltig eingewirkt
hatte, war die Haltung des heiligen Stuhles eine durchaus un-
sichere gewesen. Eben das gibt die Erklärung für das Fort-
wuchern und die immer wiederholten Erhebungen der Bewegung
in ganz Italien. Als Zosimus sich die epistula tractoria abnötigen
liess, wurde er von Julian direkt des „Abfalls“ bezichtigt (Aug.
ὁ. Jul. VI, 1237): er hatte an Pelagius’ und Caelestius’ Ortho—
doxie vorher in der Tat nichts auszusetzen gefunden und ihr
Gegner für Betrüger und Betrogene erklärt. Dieser praevaricatiu=
machte sich die Majorität des römischen Klerus mitschuldie=
(Aug. c. duas ep. Pel. Il, 35): in seiner Mitte hatte das frühere
freisprechende Urteil begeisterte Zustimmung gefunden. „Hätte
doch Einer von Euch dabei sein können“, schrieb damals Zosi—
mus an die Afrikaner über die Auftritte bei der Verlesung des
pelagianischen libellus fidei. Eine hervorragende Rolle muss der
Presbyter Sixtus, ein geborener Römer, gespielt haben. Viel-
leicht war er der Archipresbyter?, und es entsprach dann nur
1) In diesem Zusammenhange gewinnt doch auch die Nachricht des
Gennadius (de vir. ill. 19), dass Sulpicius Severus, Paulinus’ Freund,
gegen Schluss seines Lebens für die Pelagianer das Wort genommen hatte
ipeccatum quod loquendo contraxerat), hohes Gewicht. Die Einsicht in die
culpa loquacitatis und der Entschluss, künftig zu schweigen, mochte ihm
wie vielen dann erst 418 bei der Schwenkung der römischen Politik ge-
kommen sein.
2) Kranzfelder macht ihn in seiner Übersetzung der Augustinbriefe
fälschlich zum Archidiakon (S.215). Das wardamals möglicherweise Caelestin,
der spätere Papst, der gleichzeitig an Augustin schrieb. Will man aus der
uns erhaltenen Antwort Augustin's „an seinen Condiaconus“ auf den Inhalt
schliessen, so wird es kaum mehr als ein kurzer Gruss gewesen sein: die
Antwort berührt mit keinem Wort die Zeitfragen. Auf Grund dieses kurzen
inhaltsleeren mit Begriffen spielenden Briefs Caelestin zu einem Freund
Augustin’s zu stempeln, geht ebensowenig an, wie es aus den zwei Briefen
Augustin’s an Sixtus inbezug auf diesen erschlossen werden kann. Vollends
geht nicht an, sie mit Marius Mercator so zusammen zu bringen, dass der
Zeit der Entstehung. Stellung Roms zum Pelagianismus nach 418. $3
dieser seiner Stellung, dass er, nachdem unter dem Drucke der
durch den Kaiser unterstützten afrikanischen Kirche der Front-
wechsel vollzogen war, nun „als der Erste vor zahlreichstem
Volke” sich von den Pelagianern lossagte und darauf den
Häuptern der afrikanischen Kirche das anzeigte, dem B. Aurelius von
Karthago in einem Schreiben, das allerdings „nur kurz, doch
ausreichend“ war, Augustin mit einer längeren und deutlicheren
Darlegung seiner Rechtgläubigkeit, in der dieser zugleich „den
Glauben der römischen Kirche selbst“ (ep. 1941) erblicken zu
dürfen meinte, zumal der Überbringer, der Presbyter Firmus, ihm
auch noch mündlich die veränderte Lage in Rom schilderte (ep.
1942). Aber vorher hatte Sixtus als inimicorum magni momenti
patronus gegolten (Aug. ep. 191. 194 1), und Augustin sah in ihm
wohl die Hauptgefahr in Rom, woraus sich dann auch erklärt, dass
die guten Nachrichten ihn „aus der Traurigkeit in ein helles
Freudenlicht“ versetzten. Der Vorkämpfer der Gnadenlehre war
aber weit entfernt, die römischen Dinge nun ohne Sorge zu be-
trachten, wie beide Briefe, 191 und 194, beweisen: viele reden
noch frech die Irrlehre, andere verbreiten sie heimlich, noch
andere schweigen eingeschüchtert, ohne die Überzeugung geändert
zu haben, darum ist Strenge, Vorsicht, namentlich Belehrung
nötig, wie er sie selbst ihm nun zu weiterer Verwertung in dem
grossen Lehrschreiben über die Gnade (ep. 194) zukommen lässt.
Damit, dass man Sixtus’ Haltung in der damals wichtigsten
Lehrfrage doch nicht traute, mag sein zweimaliges Übergehen
bei den folgenden Papstwahlen zusammenhängen.
Bischof Bonifaz (—422) stand noch ganz unter der Ein-
wirkung der Afrikaner — Alypius, Augustin’s Freund, wurde der
persönliche Träger dieser Verbindung —, und die Regierung be-
wahrte die frühere Haltung an der Seite der Afrikaner, ja ver-
schärfte sie: der Befehl erging 420,21, Caelestius und Caelestianer
aus der Stadt zu vertreiben, das Ausführungsedikt des Stadtprä-
fekten Volusianus zeigt, dass es dem Ruhestörer Caelestius bis
dahin gelungen war, sich dem Urteil zu entziehen, denn amica
reis secreta!
Unter Caelestin war die Haltung des heiligen Stuhles zu-
Schein eines aus diesen drei Männern bestehenden Freundeskreises erweckt
wird (Wagenmann-Krüger RE? XII, 343 ff.).
(+
84 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
nächst noch eine feste. Als Caelestius einen neuen Versuch
machte, sich beim römischen Stuhl Audienz und Rebabilitation
zu verschaffen — er konnte es also doch! — verwies ihn der
Papst abermals aus Italien. Ebenso unterstützte er die Be-
mühungen, den Pelagianismus in Britanien zu ersticken. Un-
gefähr zur selben Zeit erging ein Edikt des neuen Kaisers Valen-
tinian Ill. von Aquileja aus an den Praefectus praetorio von Gal-
lien, B. Patroclus von Arles in der anbefoblenen Unterdrückung
der Häresie die Hand zu reichen: auch bier sind diversi episcopi
als Pelagianer bekannt, wie denn auch in dem berühmten Klage-
brief Prosper’s an Augustin über die Verhältnisse in Massilia die
Gefahr des Abgleitens zum vollen Pelagianismus mit Recht auf-
gewiesen wird.
Aber eben der Schriftenwechsel zwischen den Massiliensern
und Augustin führte am Ende der Regierung Caelestin’s eine
neue Phase der Entwicklung herbei. Die rücksichtslose
Schärfe, mit der der grosse Afrikaner bier seine Erwählungslehre
enthüllte, musste nicht nur in Gallien, sondern auch in Rom
Anstoss erregen und neue Zweifel erwecken, ob man ihm voll-
kommen folgen dürfe! Und nun starb er selbst, und ein Prosper
vertrat seine Position. Die Entscheidung, die dieser sich 431 od. 32
bei P. Caelestin persönlich holte, verriet nichts weniger als
unbedingte Gefolgschaft in Augustin’s Fahrwasser. Der Papst
schiebt, indem er das Hauptgewicht auf die Dreistigkeit gewisser
Presbyter legt, sich in ihren Predigten eigenmächtig das den
Bischöfen zustehende Lehramt anzumassen, die ganze Frage vom
dogmatischen auf das kirchenrechtliche Gebiet über (c. 1). In dieses
Licht rückt auch die Verteidigung, die dem Andenken Augustin's
zu teil wird (c. 2): es ist unerhört, wenn solche unberechtigte
Stimmen sich gegen anerkannte, mit dem römischen Stuhl in
Gremeinschaft verstorbene Lehrmeister erheben. Die Bischöfe
Galliens, an die der Brief gerichtet ist, sollen den Frevlern
Schweigen gebieten. Auf die Sache wird schlechterdings nicht
eingegangen, lediglich als Bericht des Prosper und Hilarius an-
gegeben, dass die Presbyter — „ich weiss nur nicht, welche“ —
indisciplinatas quaestiones in medium vocantes pertinaciter adver-
santia veritati predigten. Fasst man die im Verlauf des Streites
1) Vgl. Prosper, ep. ad Ruf. c. 4 (Migne öl, 79 AB).
Zeit der Entstehung. Die Lage unter Caelestin und Sixtus III. 85
häufig angewendete Phrase von den quaestiones indisciplinatae mit
dem katholischen Übersetzer Wenzlowsky als „nicht zur Lehre
gehörige Fragen“ auf, so befinden wir uns geradezu wieder auf
dem Standpunkt der Päpste vor 418 (und des Caelestius): non
est dogma. Nicht einmal die in der epistula tractoria des Zosi-
mus von Rom angeeigneten Stücke der augustinischen Gnaden-
lehre konnte man in diesem Schriftstücke wiederfinden, ohne
Widerspruch gewärtigen zu müssen. Diese lahme Erklärung des
heiligen Stuhles würde um so beachtenswerter erscheinen, wenn,
wie doch sehr wahrscheinlich, die Verurteilung des Caelestius
und der Seinen auf dem ephesinischen Konzil bereits vorange-
gangen war. Jedenfalls die Thätigkeit des päpstlichen Agenten
in Konstantinopel, Marius Mercator, gegen die Pelagianer liegt
schon vorher.
Man wünschte also offenbar in Rom damals schon wieder
einen Mittelweg zu gehen. Es darf nie vergessen werden, dass
der gänze Streit von Afrika aus in die Kirche getragen war, die
Gnadenlehre als das afrikanische Dogma galt, der römischen
Kirche geradezu oktroyiert und auch 418 keineswegs der ganze
Augustinismus, vor allem nicht die Prädestinationslehre, accep-
tiert worden war. Die um dieses Problem gelagerten Fragen
waren in der Tat zum grössten Teil noch indisciplinatae. Die
Neigung, sich von Afrika die Belehrung über die Wahrheit zu
holen, wie Sixtus sich das einst als Führer des römischen Klerus
hatte gefallen lassen müssen, war sicherlich nach dem grossen
Zwist über die Appellationen 418/9, der ebenfalls mit einer
Demütigung Roms endete, nicht gewachsen. Wie Konstantinopel
von Alexandrien in der gleichen Zeit, so und noch mehr musste
sich Rom suchen von Afrika freizumachen. Diese Neigung
konnte sich aber ungehemmt betätigen, nachdem 430 der grosse
Lehrer heimgegangen war und sein Land in der Vandalennot sass.
Ob diese Erwägungen nicht bei der Wahl jenes Sixtus
(III.) zum Nachfolger Caelestin’s schon mitgespielt haben? Dass
die Kunde seiner früheren pelagianisierenden Haltung nicht er-
loschen war, schliesst Caspari (a. a. Ὁ. 5. 334) daraus, dass man
den Namen Sixtus’ III. (nur versehentlich 11) damals der
obengenannten Sammlung vorsetzte, die nach der Meinung dieses
Forschers vielmehr dem Pelagianer Agricola angehört und den
Standpunkt unverhüllt darbietet. Freilich war, nachdem nich’
86 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
nur Zosimus, sondern auch das Konzil zu Ephesus gesprochen,
für eine einfache Rehabilitierung des Pelagius und Caelestius wie
eine direkte Verwerfung Augustin’s die Zeit definitiv vorbei.
Aber ein ort- und zeitgemäss maskierter Pelagianismus mochte
unter Sixtus sich wohl wieder mit Aussicht auf Erfolg und auf
nicht wenig Bundesgenossen im römischen und italischen Klerus
hervorwagen.
Diese Sachlage muss der Mann erkannt haben, der, während
Pelagius und Caelestius immer mehr zurücktreten und‘ schliess-
lich verschwinden, seit 418 rastlos, rücksichtslos und sehr ein-
drucksvoll die Fehde gegen den neuen afrikanischen Manichaeis-
mus fortgeführt hatte und auf einen grossen Anhang in Rom, — ;
nicht nur im Klerus, sondern auch unter dem Adel und den Mön- —
chen (Gennad. 45) rechnen konnte, der vertriebene Julian v. Ec- —
lanum. Es ist keine vage,! sondern eine höchst bestimmte An-—
gabe des ebenso stark interessierten wie gut unterrichteten Prosper=mx
im Chronicon zu 439, dass „in dieser Zeit Julian von Eclanum_
;
der dreisteste Verfechter des pelagianischen Irrtums, den ein
masslose Lust nach dem längst verlorenen Bistum stachelte, in—
dem er mit mannigfacher Kunst der Täuschung dem
Schein der Besserung vor sich her trug. es ins Werk
setzte, sich in die Gemeinschaft der Kirche eınzu-
schleichen; aber Papst Sixtus — nach einigen Hss:.:
auf die Ermahnung des Diakons Leo — diesem Hinter-
halt mit Wachsamkeit begegnend gestattete nicht, dass
den pestbringenden Versuchen ein Zugang offen stand,
und versetzte alle Katholiken über die Entlarvung der
trügerischen Bestie in solche Freude, als ob damals
zum ersten Male das apostolische Schwert die stolzeste
Häresie enthauptet hätte (hac tempestate Julianus Eclanensis,
jactantissimus Pelagianı erroris assertor, quem dudum amissi
episcopatus intemperans cupido exagitabat, multimoda arte
fallendi correctionis speciem praeferens molitus est
in communionem ecclesiae irrepere; sed his insidiis Sixtus
papa Idiaconi Leonis hortatu] vigilanter occeurrens nullum aditum
pestiferis eonatibus patere permisit et ıta omnes catholicos de
1) Bonwetsch in RES IX, 60357: Unter Sixtus soll J. sein Bistum
vergeblich wieder zu erlangen gesucht haben.
Zeit der Entstehung. Julian’s Vorstoss unter Sixtus. 57
detectione fallacis bestiae gaudere fecit, quasi tune primum super-
bissimam haeresim apostolicus gladius detruncasset).
Der Berichterstatter war, als er diesen zweiten Teil seiner
Chronik (—445) schrieb, nach allgemeiner Auffassung in Rom,
vielleicht sogar schon, als diese Dinge hier vorgingen, wenigstens
spricht für die Vermutung Hauck’s (RE? XII, 304), dass er be-
reits ca. 434 von Gallien nach Rom übergesiedelt sei, ebensoviel
wie für den Ansatz Bardenhewer’s (Patrologie 2 5. 452), der
ihn erst 440 Leo aus Gallien dorthin begleiten lässt.! Jedenfalls
aber war er es, der schon durch seine Reise zu Caelestin den
Streit wieder nach Rom gezogen und den päpstlichen Stuhl zu-
erst vor eine neue Entscheidung gegenüber den neuen Formu-
lierungen der Gnadenlehre gestellt hatte. Bedenkt man endlich,
dass er in diesen Jahren nach allen Seiten und in verschiedensten
Formen literarisch den Augustinismus verfocht, wobei er immer
die Tendenz verfolgte, einem halben Pelagianismus die Konse-
quenzen zu ziehen (vgl. z. B. de ingratis II—IV), so wird man
zur Annahme geführt, dass er ein Stück seiner eigenen persön-
liehen Geschichte berührt, wenn er von solchem Vorstoss der
Pelagianer in den dreissiger Jahren berichtet — daher sich dann
der leidenschaftliche Ton dieses Berichts erklärt.
Ihm sind folgende 8 Punkte zu entnehmen:
1. Julian von Eclanum versteckte seinen Pelagianismus mög-
lichst, er rückte ab von Caelestius und Pelagius, indem er sich
dem Anathema anschloss. Er muss dementsprechend Augustin,
den Caelestin den magistri optimi zugezählt hatte, auch für einen
orthodoxen doctor ecelesiae anerkannt und seine Charakterisierung
als Manichäer aufgegeben haben. Er wird sich weiter durch starkes
Auftragen der eigenen Orthodoxie in der übrigen Lehre und
Hervorhebung derjenigen Töne, die Rom angenehm zu hören
waren, kirchlich-klerikale und speziell römische, empfohlen haben.
Hatte er doch schon einmal nach dem ersten Stadium der Sache
vor seiner Absetzung für sich und die Genossen „sehr geschickte
1) Für beides wie das „Sekretariat“ Prosper’s bei Leo bildet freilich
ausser dem „römischen Gesichtskreis“ der Fintragungen nur die wenig
deutliche Notiz des 50 Jahre später, aber auch in Massilia schreibenden
Gennadius die Unterlage: dass die Briefe Leo’s gegen Eutyches über die In-
karnation ab isto dietatae creduntur (!), vgl. auch Mommsen, auct. auf.
IX, 344. AM
38 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Formulierungen ihrer Rechtgläubigkeit“ an den Papst abge-
geben. Vgl. Bruckner 8. 10 und A. 3.
2. Die Worte Prosper's lassen aber darauf schliessen, dass
er besondere Kunstgriffe gebraucht hat und die Feder, die ihm
und den Seinen so geläufig war, der List in eigentümlicher Weise
untertan sein liess. Schon seine und seiner Freunde bisherige
Schriftstellerei ist agitatorisch äusserst geschickt; die übrigens in
der Natur der Sache liegende Methode, die kirchlichen Gegner zu
möglichst schlimmen Häretikern zu machen und sich selbst auf
diesem Hintergrund als eigentliche Vertreter der katholischen
Wahrheit erscheinen zu lassen, wird hervorragend wirkungsvoll
geübt.
Das gilt von allen Pronunciamentos der julianistischen Gruppe.
den Kollectiv- und Rundschreiben, die von Julian verfasst
oder inspiriert sind, von dem ersten Briefe an, in dem Julian
schon im Namen seiner 17 Genossen mit Zosimus über die Unter-
zeichnung der tractoria unterhandelt (Brucknera.a. Ὁ. 85. 10f.),
bis zu dem obengenannten der aquilejensischen Pelagianer, hinter
dem vermutlich Julian auch stand, wenn er nicht selbst der
Verfasser ist. Knappe, aber völlig übertriebene Formulierung
der gegnerischen Sätze, die die Verwandtschaft mit dem ver-
fehmten Manichaeismus an der Stirn tragen; ebenso schlagkräftige
Gegenüberstellung der eigenen Position, dazu Versicherung, bezw.
Darlegung der eigenen Rechtgläubigkeit in allen übrigen Stücken.
Das zuletzt erwähnte Schreiben geht über die beiden julianisti-
schen an Rufus von Thessalonich und an die Pelagianer in
Italien, gegen deren calumniae sich Augustin in der Schrift
c. duas ep. Pelag. wehrt, darin noch hinaus, dass es im dritten
Teil einen kleinen Ketzerkatalog aufstellt, in dem es unter
kurzer Charakterisierung „alle Häretiker und vorzüglich die,
welche bei den Lateinern als mit eigenem Namen und Irrtum
behaftet bekannt sind“, verdammt, als da sind Arianer und Sa-
bellianer, Eunomianer und Macedonianer, Apollinaristen, Nova-
tianer und Jovinianisten, zuletzt Manichäer und eorum quoque
similes ἃ. ἢ. die Augustiner, die somit als die Spitze der Häresi«
erscheinen; auf der anderen Seite wird auch von denen abgerück
die behaupten, dass der Mensch ohne Gottes Gnadenhilfe ἃ
Sünde meiden könne und das Kind der Taufe nicht bedür
Das eine von diesen Schreiben — an die italischen Pelagianer
Mn.
|
Zeit der Entstehung. Julian’s Vorstoss unter Sixtus. 89
war jedenfalls nur für den eigenen Kreis berechnet, zirkulierte
hier heimlich, gelangte auch nach Rom, geriet hier aber ebenso
wie das an Rufus in einem Exemplar durch die Wachsamkeit
römischer Kleriker in des Papstes Hände und dadurch auch in
die Augustin’s.
Welchen besonderen Trug die „Bestie Julian“ jetzt an-
wendete, sagt Prosper nicht, aber die Sache ergiebt sich
von selbst. Konnte man den ganzen Augustin nicht mehr ab-
schütteln und als Manichäer unmöglich machen wie bisher,
wollte aber doch seine Gnadenlehre ablehnen, so musste man zu
einem Mittel greifen, wie es ähnlich Rufin, dessen Geist über dem
Pelagianismus schwebt, dem Origenes gegenüber angewendet hatte,
nur in der umgekehrten Tendenz, diesen zu entlasten: man musste
zur Behauptung greifen, dass die bekämpften Schriften gar nicht
von dem Kirchenvater seien, sondern hbäretischen Fälschern ihren
Ursprung verdankten, und so den Nachlass Augustin’s teilen.
Dazu aber waren einige Umstände besonders günstig. Die letzten
scharfen Schriften Augustin’s waren in Form von Briefen an
Prosper und Hilarius nach Massilia gegangen, von hier aus waren
sie verbreitet, der tote Meister konnte sich nicht mehr zu ihnen
bekennen, wenn man ihre Authentie bestritt. Wir wissen aus
anderen Stellen Prosper's, dass Ähnliches tatsächlich unternommen
wurde: er hatte sich ca. 433 gegen den Vorwurf zu wehren, dass
es sich bier um neue Dinge handele, z. B. contra coll. 1,
Migne 51, 216B, namentlich 213, Migne 51, 272, wo er sich
gemüssigt sieht, alle älteren Aussagen zusammenzustellen, um
die Identität der Anschauungen zweifellos zu machen. Wenn
man ihm, dem Schüler, nun die ganze Sache aufbürdete und
wie eine lediglich durch einige Häretiker in die Kirche ein-
geschleppte Ketzerei behandelte — wie sie Prosper persönlich
ja in Rom eingeschleppt hatte! Vielleicht, dass unter den Au-
gustinern noch weitere Schriftstücke zirkulierten, die, darauf
berechnet, sie zusammenzuhalten, wie jenes geheime Rund-
schreiben die italischen Pelagianer, den Julianisten neues Agi-
1) Hatte Julian doch schon Augustin selbst vorgehalten, dass er
früher anders gedacht habe, Aug. c. Jul. VI, 12 39, Augustin seinerseits di
Kontinuität seiner Überzeugungen nur in beschränktem Masse behaup
können, de praed. sanct. 37.
90 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
tationsmaterial an die Hand gaben, oder, hatte man derartiges
nicht, so konnte man es konstruieren, um demgegenüber den
wahren katholischen Standpunkt zu zeigen! Aus der Stelle
Prosper’s 6. coll. 213, Migne 51, 272B geht weiter aufs klarste
hervor, dass die Pelagianer sich auf Caelestin’s Brief für ihre
Verwerfung der Gnadenlehre beriefen, weil darin die Titel der
letzten Schriften nicht genannt wären. Und auch Vincentius
Lerinensis, comm. c. 32, deutete den Brief Caelestin’s in seinem
anti-augustinischen Sinne um. Der blasse Inhalt des Briefes
gab zum mindesten die Möglichkeit, die Meinung des Papstes
auch nach dieser Seite hin zu interpretieren und die Autorität
des verstorbenen Bischofs zu benutzen, um den gegenwärtigen
zu gewinnen, bezw. zu entlasten. Das erstere war um so nötiger,
als Prosper a. a. O. nach der anderen Seite nachhilft und dem
Schreiben Caelestin’s die fehlende sachliche Interpretation leiht:
„Wagt jemand gegen dieses allerklarste Lobgetöne, gegen die
Würde dieses allerheiligsten Zeugnisses das Gemurmel böswilliger
Auslegung zu entsenden und der durchsichtigen und völlig
klaren Meinung den Nebel zweifelhafter Zweideutigkeit umzu-
hängen?“ Es war also geschehen. Die Sentenz Caelestin’s spielte
eine erhebliche Rolle in der Diskussion und wurde von beiden
Seiten in Anspruch genommen. Man musste sie zweifellos
machen.
3. Die Aussage Prosper's lässt darauf schliessen, dass die
Gefahr nicht gering und der Sieg Julian’s nicht ganz fern war.
Der Zusatz, dass die Vereitelung das Verdienst des Diakons Leo
gewesen sei, findet sich in den beiden besten Handschriften aller-
dings nicht, mag aber doch den Tatsachen entsprechen. Ich
koınme darauf zurück. Als Prosper seine Schrift contra colla-
torem. d. ἢ. gegen Cassian, schrieb, richtete er am Schluss seine
Blicke anf Rom in Hoffnung, aber nicht ohne grosse Sorge,
ὁ. 214, Migne 51. 273f: „Die Schlechtigkeit dieser Menschen ist
so gross, dass man ihnen weniger mit Disputation, als mit Auto-
rität begegnen muss; damit aus dem Körper der niedergeschla-
genen Lehre sich auch kein Glied mehr erheben könne. Denn
die List ihrer Falschheit ist notorisch so arg, dass wenn man
ihnen auf den Schein ihrer zur Schau getragenen Besserung
einige Gunst erweist, sie sich sofort aus dem kleinsten Teil
heraus wieder vollkommen erneuert (dies jedenfalls der Sinn der
ἰλή μιν.
Zeit der Entstehung. Julian’s Vorstoss unter Sixtus. 91
verderbten Stelle). Wenn das Ganze nichts anderes ist als der
Teil, so ist es kein Zeichen von Frömmigkeit, beinahe das
Ganze aufgegeben zu haben, sondern ein Zeichen von List, einen
wenn auch ganz kleinen Teil zurückgehalten zu haben. Dass
dies der Hinterlist der Menschen nicht gelinge, vertrauen wir
mit Gottes Hilfe, damit, was unter Innocenz, Zosimus, Bonifaz
und Caelestin geschehen ist, auch unter Sixtus geschehe: und
diesem Hirten in der Behütung der christlichen Herde der Teil
des Ruhmes aufbewahrt sei, dass er wie jene die offenen Wölfe
so dieser die heimlichen zurücktreibe und ihm in den Ohren
klinge das Wort des gelehrtesten Greises, mit dem er einst
den Mitarbeiter ermahnte, die nur zurückgedrängte Ketzerei scharf
zu beobachten“: es folgen die Worte aus dem Briefe Augustin’s
(ep. 194) an Sixtus, da er noch Presbyter war, die oben (S. 83)
angeführt sind. Prosper sah also die ihm bekannte Situation
in Rom nicht viel anders an, als sie 418 gewesen war. Sollte
sich der Wunsch nur darauf beziehen, dass der neue Papst in Gallien
und speziell gegen Cassian vorgehen möge — was übrigens auch
keineswegs geschah? Viel wahrscheinlicher ist, dass in Rom
selbst, im römischen Klerus die pelagianische Richtung noch
immer Anhänger besass und Julian, wenn er nach Italien kam,
hier auf offene und geheime Bundesgenossenschaft rechnen konnte.
Sicher kam er auch nicht allein, sondern, wie er seit 418 fast
immer erscheint, auch 429 in Konstantinopel noch, in Gemein-
schaft mit den anderen vom Amte verjagten italischen Bischöfen
und Klerikern. In ibrem Namen hat er schon früher immer
geschrieben, es waren Kollektivschreiben. Jetzt, da sein Name
der eines verurteilten Ketzers geworden war, hatte er noch weit
mehr Grund, sich in der Menge zu verstecken. Man wird also
annehmen müssen, dass die Aktion, die seine Rehabilitation zum
letzten Ziele hatte, damit nicht offen vorging, sondern sich als
eine Bewegung der orthodoxi et catholici episcopi überhaupt
gab, die ihr gutes Recht gegen eingedrungene Ketzer behaupteten,
der vera ecclesia, römische und italische Kleriker und die julia-
nistischen Exulierten im Bunde mit einander. Alles dies zu-
saınmen bildete die besondere Gefahr, von der Prosper uns die
Kunde hinterlassen hat.!
1) Interessanterweise gibt hier der neueste ultramontane Greschichts-
92 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Aus der Analyse des Praedestinatus ergab sich, dass
dies rätselhafte Schriftstück nach Rom gehört, den julianistischen
Gedankenkreis, nur kirchlich-klerikal gefärbt, verrät, die pelagia-
nische Literatur, insbesondere Julian, benutzt und in die Regie-
rungszeit Sixtus’IIIL. fällt. In dem Vorhergehenden ist die Situation
gezeichnet, in die es demnach hineingehören würde Man wird
nicht leugnen können, dass nicht viel Rätselhaftes übrig bleibt.
Auch das meiste Einzelne erklärt sich nun ungesucht. Die Rede
von den vitiati libri et variae epistulae, quas Hipponensis epi-
scopi — cujus dieta in multis locis leguntur istis libris valde
contraria — esse haeretici confingunt, findet ihre unmittelbare
Auslegung durch jene Stelle bei Prosper c. coll. 21, die soli duo
aut tres homunciones, caecum habentes cor, egrediuntur cum his
libris apostaticis, quos viri catholici esse confingentes, totum
vulnerant mundum (Ill, 3, Migne 635 B) darf man auf Prosper
und Hilarius deuten!; dem von Prosper ὁ. coll. 214 begehrten
Verfahren >non tam disputationum studio quam auctoritatum pri-
vilegio< setzt der Verfasser 1. III. Einl. 628 Ὁ deutlich sein
edleres entgegen: non de potestate, sed de ratione vera damna-
vimus; mannigfache Berührung mit Prosper’s Briefen war zu
konstatieren; die Darstellung vom Verhalten Caelestin’s giebt
sich als die von Prosper verabscheute Interpretation seines wirk-
lichen Verhaltens, als die für die Pelagianer notwendige, aber
auch mögliche und glaubliche Ergänzung zu seiner gallischen
schreiber des römischen Papsttums, der Jesuit Grisar, mehr zu, als die
meisten protestantischen Darsteller Wort haben wollen: „Von Xystus III.
erfahren wir jedoch, dass er durch den heuchlerischen Julian v. Eclanum
anfänglich in Gefahr kam überlistet zu werden. Schon vor seinem Ponti-
fikate hatte er sich vielleicht in der Personenfrage zu milde gegen die
Partei gezeigt. Der künftige grosse Papst Leo, damals noch Diakon der
Kirche Roms, stand Xystus Ill. zur Seite. Durch Leo wurde das Ein-
dringen des scheinbekehrten Ketzerbischofs in die Kirchengemeinschaft ver-
hindert. Xystus hielt stand und machte dadurch sein anfängliches
Schwanken wieder gut, ein Entgegenkommen vermochte die Partei doch
nicht zu bekehren‘“, S. 290, vgl. S.296: Der Papst neigte auch in der nesto-
rianischen Frage „auf die Seite zu grosser Milde“.
1) Vgl. dazu die ähnliche Wendung in Hieronymus’ ep. ad Ctesiph.
inbezug auf die pelagianischen Führer: commoneo, ne per unum aut ad-
multum tres homunculos suscipiat tantarum foeces haereseon aut, ut parum
dicam, infamiam.
Die Entstehung der Schrift unter Sixtus III. 93
Bulle. Wenn Prosper darauf hinwies, dass man aus dem Fehlen
der Büchertitel in Caelestins Brief nicht auf ihre Verwerfung
schliessen dürfe, so wird hier ein Buch mit dem Titel Praedesti-
'natus dem Papste vorgelegt, und er verurteilt es zu ewigem
Stillschweigen. In jenem Brief werden die vorlaut redenden
Gegner Prosper’s zum Schweigen verurteilt, hier bricht die Ortho-
doxie, d. h. der Pelagianismus, endlich ihr Schweigen, und die
falschen Augustiner sollen verstummen.
Nicht eigentlich rätselhaft, aber staunenswert bleibt die Kühn-
heit, mit der unter den Augen des Papstes dieser Täuschungs-
versuch unternommen wurde. Sie ist bei unserer Annahme der
Fälschung des 2. Buches so gross, dass man sich unter Berück-
sichtigung der Zeitumstände zu einem letzten Versuch, dies Buch
und die Geschichte seiner Auffindung doch für echt zu erklären,
gedrungen fühlen möchte. Konnte man nicht gerade in der Nähe
des Nachfolgers von der völligen Unterdrückung des dem Cae-
lestin überlieferten Buches am ehesten etwas wissen, und war
nicht Caelestin’s laues Verhalten gegenüber Prosper wirklich
zurückzuführen auf einen solchen plötzlich ihm eröffneten Ein-
blıck in die Gefahren des Augustinismus? Aber freilich diese
selben Punkte erleichterten es auch, die Geschichte zu erfinden
und glaubhaft zu machen: die Rolle liess sich eben einem Cae-
lestin zuschieben, und die Fiction von der Verurteilung des
Bnches zum perpetuum silentium liess es nicht unmöglich er-
scheinen, dass die Kunde nur zu wenigen gedrungen sei. Und
wenn es auch nicht strikte zu erweisen ist, dass in der zeit-
lichen Umgebung, die wir nun festgestellt haben, derartiges nicht
entstanden sein könnte, so ist doch umgekehrt auch nichts
dafür zu entnehmen. Von einer Sekte der Prädestinatianer er-
fahren wir sonst rein nichts, und Prosper und seine Leute würde
man für ein solches Buch trotz aller Berührung nicht in An-
spruch nehmen dürfen. Ist das Buch aber julianistisches Produkt,
konnte man sich in diesen Kreisen nicht mit einem Schein des
Rechtes darauf berufen, dass Augustin sein 2. Buch de nuptüis
et concupiscentia auf Grund von ihm zugetragenen Zettel-Ex-
cerpten verfasst hatte, deren Richtigkeit Julian heftig bestritt,
und eine Darstellung auf Grund dieser gegeben hatte, die Julian
für eine Entstellung erklärte? Und wiederum, dass hier das ganze
Buch vorausgeschickt war, sucht einem Vorwurf zu begegnen,
94 - Ἢ, v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
wie ihn eben Julian gegen Augustin erhoben hatte (s. oben S. 8
u. A. 1). Die Einkleidung aber, die Geschichte vom abgefassten
(eheimbuch, sieht sie nicht aus wie eine Verwertung der eigenen
Erfahrung gegen den Feind? Wie das Schreiben der Julianisten
einst dem Papst in die Hände gespielt wurde, so nun jetzt jenes.
Was endlich die Dreistigkeit anbetrifft, so ist sie freilich am
, grössten, wenn diese ganze Vorlage, von der man doch behauptete,
dass sie dem heiligen Stuhle vorgelegen habe, frei komponiert
ist, aber abgesehen von den berührten erleichternden Momenten,
abgesehen auch von der ungeheuern Weitherzigkeit inbezug
auf literarische pia fraus zu jenen Zeiten im allgemeinen und
von der notorisch kecken Draufgängerart Julian’s im besonderen —
grosse Zwecke verlangen starke Mittel, und in einem solchen
ungewöhnlichen Griff hätten wir die beste Illustration für die
multimoda ars fallendi, die Prosper dem Julian zuschrieb.
Das ganze Werk, das heute unter dem Titel Praedestinatus geht,
ist als ein umfassender und grossangelegter Versuch
des Pelagianismus auf seiner letzten Station zu ver-
stehen, den Augustinismus, das verhasste und „dumme“
afrikanische Dogma aus seiner römischen Hauptposi-
tion wieder hinauszuwerfen, vermutlich als das literarische
Hauptstück in diesem Kampfe. Dieser Schlüssel schliesst
in der Tat. In dem ausführlichen Glaubensmanifest der Aqui-
lejenser haben wir den nächststehenden Vorgänger: mit seinem
kleinen Ketzerkatalog, seiner kurzen Summa der feindlichen An-
sicht, der genauen eigenen Darlegung unter besonderer Berück-
sichtigung der Ehefrage (28-10. 3 11.17), der Heranziehung bibli-
scher Gründe und gelehrter Autoritäten (Chrysostomus-Stelle
411 über die Taufe). Daraus ist nun eine ganze gelehrte Häreseo-
logie geworden — wobei die eigene Rechtgläubigkeit, statt wie dort
in einem Bekenntnis (pars 1) zusammengefasst, vielmehr jeder
einzelnen Häresie gegenüber konstatiert wird —, ein richtiges
Ketzersymbol, an seiner Hand eine vollständige Zerschmetterung
dieser 90., letzten und schrecklichsten Häresie, alles unter den
Segen Caelestin’s gestellt, dessen erhabene Vorgänger schon von
Petrus, Linus und Clemens an durch Soter und Sixtus bis zu
Damasus, Siriceius und Anastasius die Wahrheit verteidigten,
während sich schon der Afrikaner Tertullian von Soter weisen
lassen musste, seine Anhänger wie die des Donatus Rom und
Entstehung unter Sixtus. Verfasser. Arnobius d. J.? 95
Italien verseuchten, und Donatus „nebst seinen paar byzacenischen
Eseln“ mit der Einheit der katholischen Kirche den Erfolg des
Opfers Christi bedrohte (haer. 69). Wie wenig sich aber der
Geist dieses Pamphlets von dem jenes früheren Manifestes tat-
sächlich unterschied, hat die Zusammenstellung der vier Ana-
thematismen, mit denen dort (3 18-22) und hier (III, 24 Ende) die
Hauptdarlegung abschliesst, oben S. 29 f. gezeigt. —
Ist somit das Schriftstück zu Rom zwischen 432 und 439
in dem Julian nahestehenden klerikalen Kreise entstanden, so
würde sich fragen, ob man den Verfasser nicht noch genauer
bestimmen kann.'
Damit komme ich zu dem Verhältnis des Praedestinatus- zu
dem Arnobius, der in der Adresse eines Psalmenkommentars
auftritt, zum Unterschied von dem älteren Apologeten als der
Jüngere bezeichnet zu werden pflegt und schon von Sirmond
zum Verfasser auch des Praedestinatus gemacht wird. Ich habe
ıliese Frage bis hierhin verschoben, da sie in zu unsichere Ver-
hältnisse führt, um sich zum Ausgangspunkt zu eignen. Dadurch,
dass man Arnobius für einen Gallier erklärte, die beiden Schriften
eng zusammenbrachte und den Praedestinatus nach Arnobius be-
stimmte, hat man nicht wenig dazu beigetragen, die Forschung
auf falsche Geleise zu bringen. Unsere von dieser Frage un-
abhängig gewonnenen Resultate sind meines Erachtens so wohl
begründet, dass selbst, wenn sich ein um 400 in Gallien lebender
Arnobius als Verfasser des Praedestinatus herausstellen sollte,
man versuchen müsste, die Tatsache mit unserem Befunde, der
Entstehung im julian’schen Kreise zu Rom um 435, auszugleichen.
Das würde durchaus kein unmögliches Unternehmen sein. Dass
Julian schliesslich in Südgallien bei den Gesinnungsgenossen eine
Zuflucht suchte nnd fand, wird behauptet und hat nichts Un-
wahrscheinliches (s. unten). In seiner Gesellschaft könnte der
Verfasser denselben Weg genommen und hier 10 bis 15 Jahre
darauf die Psalmen kommentiert haben.
1) Dass die im codex Augiensis sich findende Überschrift opus Pri-
masii Augustini discipuli nur Zusatz des Schreibers ist, der die von Isi-
dorus Hisp. erwähnten, uns verlorenen 3 Bücher des Primasius v. Hadru-
met (ὑ. Jhdt.) de haeresibus in unseren 3 BB wiederfand, ist schon von
Sirmond bemerkt.
| 96 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Indessen hat mich eine genauere Lektüre dieses Psalmen-
kommentars zunächst darüber belehrt, dass seine gallische .
Abkunft keineswegs sicher steht. Zuvor ist zu sagen, dass
man für die Bestimmung des Autornamens lediglich auf diese
eine Schrift angewiesen ist, da weder die adnotationes ad quaedam
evangeliorunı loca noch der ganz augustinisch gefärbte conflictus
de trino et uno cum Serapione Aegypto, die beide unter dem-
selben Namen gehen, ihm zugehören, vgl. z. B. Bardenhewer,
Patrologie?, S. 533. Wiederum in dieser einen Schrift ist man
lediglich an den einen kurzen Satz der Adresse gewiesen: Caris-
simis patribus Leontio et Rustico episcopis Arnobius. Ist das
schon an sich misslich, so wird es vollends dadurch, dass die
Namen der Adressaten schwanken !: Baraeus (1639) setzte noch
Laurentio statt Leontio und wusste von einer Beziehung der
beiden Namen auf zwei afrikanische Bischöfe Laurentius und
Rusticus, die zusammen mit Augustin auf einem Konzil zu Kar-
thago gewesen waren, vgl. bei Migne 53, 323, während er selbst
noch wie Erasmus in seiner Ausgabe von 1532 den Verfasser
mit dem älteren Arnobius, dem afrikanischen Apologeten der
Diocletianischen Zeit, identifiziert — eine vollkommene Unmög-
lichkeit, da der ausgebildete Augustinismus vorausgesetzt wird.
Für die Lesart Laurentius könnte geltend gemacht werden, dass
allein von allen Heiligen nur der heilige Laurentius Ps. 111.
498f.2 erwähnt wird — doch kann das auch anders, freilich
nicht zu gunsten gallischer Abkunft, erklärt werden, s. gleich.
Unter der Annahme, dass es sich um einen Leontjus und Rusticus
handelt, und weiter sicher ın dem allgemeinen Vorurteil, dass
1) Scharnagl wird auch den Arnobius mit dem Praedestinatus zu-
sammen im Wiener Corpus edieren. Dann wird man auch über den Text
dieses ersten Satzes hoffentlich klarer sehen. Wie wenig man sich auf
diese Etiketten verlassen kann, wie sehr sie in den Hss schwanken, kann
man z.B. an den unter Hieronymus’ Namen gehenden Schriften sehen, vgl.
- Ps.-Hier. ep. 12. 13. 19. 32 u. s., wie gross das Bedürfnis war, anonyme
Ware mit bekannten Namen zu schmücken, vermag gerade unser codex
Aug. zu lehren, siehe oben und im Anhang, und berühmte Namen sind
auch diese drei hier genannten. Erwühnt mag noch werden, dass Pe.-Hier.
ep. 12 bald Damasus bald Rusticus als Adressat steht, hier aber der letztere
der richtige ist, 8. Engelbrecht, Patrist. Anal. 1892, S. 6.
2) Ich zitiere im Folgenden wieder nach der Ausgabe bei Migne,
patr. lut. 53, 327—570.
Verfasser. Arnobius des Jüngeren Herkunft. 97
man zumal nachcassianische Literatur pelagianischen Gepräges
nur in Gallien zu suchen habe, fand man in den beiden den Erz-
bischof Leontius von Arles, der mit Papst Hilarus (461—468) in
lebhafter Correspondenz stand, und Bischof Rusticus von Narbonne
(427—461). Die Annahme hat eine Stütze darin, dass Leontius
ein Hauptveranlasser der pelagianisierenden Schrift Faustus’ von
Reji de gratia um 474 war, also selbst dieser Richtung trotz
seiner Freundschaft mit Papst Leo’s Nachfolger offenbar nicht
fern stand. Das Todesjahr des Rusticus ergäbe dann den terminus
ad quem 461, die Thronbesteigung des Leontius (c. 450) den
terminus a quo, so dass die Schrift unter Leo I]. geschrieben
wäre. Allenfalls könnte man auch an Leontius Forojuliensis
(Frejus, 405—446) denken und käme dann etwas weiter hinauf.
Bedenklich aber könnte bereits der Ausdruck in der Wid-
mung an zwei der höchststehenden Bischöfe Galliens machen:
„Frieden mögen also mit uns alle Leser haben, die Euch, wenn
Ihr auch vom Lande seid, für Katholiken ansehen (qui vos licet
rusticos catholicos comprobent). Doch wird statt vos gewiss
nos gelesen werden müssen.
Von grösserem Gewicht scheint mir, dass dieser „Gallier“ im
übrigen schlechterdings keine Beziehung zu Gallien verrät. Das
Jahrzehnt, in dem er geschrieben haben würde, war eines der
schwersten, die Gallien erlebte: Attila, Schlacht bei Chälons,
definitiver Verlust der Rheingrenze, neue Überflutung durch Bar-
baren — das wurde erlebt, und in dieser Auslegung der Psalmen,
die so viel von Feinden, Gefahren und höchster Not reden, kaum
eine Spur von alledem — man denke an den zeitgenössischen Gallier
Salvian. „Drei Arten von Feinden bedrängen den Christen“, heisst es
Ps. 43 (44), „die eine das Geschlecht des Teufels und der Dämonen,
die andere das der Verfolger, die dritte das allen gemeinsame der
barbarischen Wildheit“, oder Ps. 105 (106), 485D „es gehen
die Städte und Provinzen unter, weil die Zucht vergeht“, oder
Ps. 146 (147), 562C, wo gelegentlich im Bilde von dem Schiffe
geredet ist, mit dem man ein Gestade verlässt, sich vor den Bar-
baren zu retten. Aber selbst so abgeblasste Stellen sind ganz
selten.
Sodann weiss Gennadius, der ein jüngerer Zeitgenosse und
Landsmann des Verfassers sein müsste, über die südgallischen
Literaten am besten orientiert ist und diesen Gesinnungsgenossen
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 1.
98 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
besonders gut hätte gebrauchen können, in seinem Schriftsteller-
katalog nichts über diesen Arnobius und seinen Kommentar.
Ferner zeigt dieser Kommentar keine Bekanntschaft mit
Prosper’s wiederum auf Augustin zurückgehenden Kommentar
der Psalmen 100-150, obgleich bei der polemischen und speziell
anti-augustinischen Haltung die Neigung dazu besonders gross
sein musste.
Endlich deutet, während der Beziehungen zu Gallien
keine sind, manches auf solche zu Italien und spe-
ziell Rom.
a. Psalm 104 (105) giebt der keineswegs ungelehrte Verfasser
eine Sprachentabelle: die semitischen reichen von Persien und
Baktrien bis Indien und Rhinocorurae, mit 27 barbarischen
Sprachen in 406 Ländern. Das Verhältnis von Sprache und Land,
hingua und patria, erläutert er so: „Während es Eine lateinische
Sprache ist, sind unter dieser Einen lingua verschiedene patriae,
nämlich die der Bruttier, Lucaner, Apuler, Calabrer, Picenter
und Tusker. Cham hat dann alles Land von Rhinocorurae
bis Gadira, d. s. Sprachen punischer Zunge in Afrika a parte
Garamantum, lateinischer nördlich davon, barbarischer südlich,
nämlich Äthiopien und Ägypten und die verschiedenen Sprachen
der inneren Barbaren, 22 Sprachen in 394 Ländern. Japhet wird
noch summarischer behandelt: er hat das Land um den Tigris,
der Medien und Babylonien teilt, 200 patriae, 23 linguae. In
Summa also 72 linguae, 1000 generationes, in eine Dreiheit geteilt,
der die Trinität in Christo erschien, er allein allen 1000 durch die
Sprache seines Leidens verständlich, eingedenk des Wortes, das
er zu Abraham von den 1000 Geschlechtern gesagt hatte: in
semiine tuo haereditabo omnes gentes. An dieser auch sonst
sehr eigentümlichen Stelle, die zugleich die Art des Mannes
zeigen mag, interessiert uns hier einmal, dass dieser Arnobius den
Standpunkt bei Nordafrika nehmend, nördlich davon nur latei-
nische Sprache kennt, Barbaren aber nur im Süden — sollte das
in (iallier, der zwischen Westgoten und Burgunden sass, getan
haben? Aber mag er auch diese Angabe seiner mir wenigstens
unbekannten Quelle! entnommen haben — denn aus seinem
I) Zu Grunde liegt das Schema des liber generationis aus dem rö-
mischen Chronogr. v. 354 und zwar nach der 1. Version und hier wieder
Verfasser. Arnobius’ Beziehungen zu Italien. 99
Kopfe ist die Tabelle kaum entsprungen — auf sein eigenes
Konto kommt unbedingt die Illustrierung des Verhältnisses von
lingua und patria an süd- und mittelitalischen Beispielen
(verbi gratia).
b. Die besondere Erhebung des heiligen Petrus und Roms
hat in einer Zeit, da sich gerade Südgallien unter Arles’ Führung
zu grosser Selbstständigkeit herausarbeitete, immerhin etwas Auf-
fallendes, zumal in einer den Vertretern zweier leitenden Sitze
gewidmeten Schrift. Wird Petrus schon Ps. 128 (129) aus der
Reihe der anderen Apostel herausgehoben, so wird an ihm Psalm
106 (107), 28 ff. ausgelegt, unter Heranziehung von Mtth. 26, 35 und
Luk. 22, 31 f.: seit er nach Rom kam, verkündend die Taufe Christi,
wandelte sich die Einöde, in ihm werden gesegnet alle Flüsse
bis heute, wer ausserhalb der Kirche Petri ist, verschmachtet,
durch ihn erhielt Rom Früchte echter Wissenschaft, die Wüste,
die vor Petri Ankunft trocken und dürr war, sprudelt von den
Wassern der Taufe, der Martyrien, der Busse, der Almosen.
Noch weiter geht der Verfasser, indem er ihm die ganze lange
Auslegung des 138. (139.) Psalms widmet. Er stand unter der
besonderen Präscienz Gottes, auch seinen Fall wusste Gott
voraus und wandte ihn zur Erhöhung des reuigen Apostels, qui
est episcopus episcoporum. Keiner der Apostel hat den Namen
des Hirten erhalten, er gehörte Christo allein, aber eben hoc
nomen sanctum et ipsius nominis potestatem räumte er nach
seiner Auferstehung Petrus ein, der Verleugnete dem Verleugner,
die Macht, die er allein besass, so dass jener nicht nur wieder-
erlangte, was er besass, sondern noch weit mehr erlangte durch
die Busse, als er durch die Leugnung verloren hatte. In Petro
dem Erwählten, dessen Herz und Nieren Gott kannte, ist die
ewige Wahrheit für alle Menschen kund geworden: „dies sagt
Petrus in der Kirche und die Kirche verkündigt es in Petro“
(548 A). Fast geht dem Verfasser an Petrus die Scheu vor der
—
in der Form der Handschriftengruppe O, deren älteste Hs nach La Cava
bei Neapel gehört, wie die Zufügung der Worte pars facta est zu c. 49
beweist, 8. Mommsen, Mon. Germ. auct. antiquiss. IX, 95. Die Angaben
über die Wohnsitze der drei Söhne Noah’s entsprechen wörtlich den cc. 12.
49. 50. 52-54, dagegen ist eigentümlich die Zählung der linguse und
patriae und die ganz merkwürdige Zurechnung der europäischen Völker
lateinischer Zunge zu Cham.
τ a
>
100 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
praedestinatio specialis et personalis in die Brüche! Wer er-
innert sich nicht bei jenen Sätzen an die bekannten Ausführ-
ungen Leo’s über die päpstliche Monarchie im Anschluss an
Joh. 21 und Luk. 22 (serm. 3. 4. 60)? Dass die Aneignung
solcher Gedanken sich leichter bei einem Manne begreift, der in
Roms unmittelbarer Machtsphäre lebte, als bei einem Gallier jener
Tage, der die Bischöfe von Arles (oder Frejus) und Narbonne als
seine Väter verehrte, ist nicht wohl zu bestreiten.
c. Wie schon oben erwähnt, ist der heilige Laurentius der
einzige Heilige, der namentlich erwähnt wird: seine Barmherzig-
keit wird als Typus für alle genommen, „seine justitia ist nicht
zeitlich, sondern bleibt in Ewigkeit“ (499 A). Der Teufel sah’s
und knirschte, aber sein Begehren verging, das des gerechten
Märtyrers bleibt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Laurentius aber
war der gefeierte Märtyrer Roms aus der Zeit des Valerian.
Aus dem Satz Ps. 140 (141), 552C, man solle nicht unter
dem Schein der Freundschaft mit den Haeretikern kämpfen, son-
dern mit offener Front, „wie wir Römer gegen die Barbaren
kämpfen“, lässt sich ebensowenig schliessen, wie aus der Kennt-
nis des Griechischen, der Septuaginta und namentlich der grie-
chischen Psalmen, die den Verfasser auszeichnet, vgl. z.B. 418 Β,
518 A, 5520, 553 A, 562B.? Aber beides würde auch einem
wirklichen Italiker, speziell aus der südlichen grossgriechischen
Nachharschaft Roms, besonders gut anstehen.
Und hier sahen wir den Pelagianismus besonders stark ver-
treten. 17 Bischöfe allein opferten mit Julian lieber das Amt
als die Überzeugung, nur zum Teil kennen wir ihre Namen.
Konnten sich unter diesen oder ihren Nachfolgern nicht Ver-
treter so gewöhnlicher Namen wie Laurentius oder Leontius und
1) Die Verleugnung Petri spielte überhaupt in der Diskussion eine
Rolle. Auch Prosper hatte in der ep. ad Ruf. c. 10 (Migne 51, 83) daran
die Gnade Gottes illustriert, aber vielmehr mit der für Petrus wenig
schmeichelhaften Wendung, dass Gott an diesem Beispiel habe zeigen
wollen, wie unzureichend der freie Wille selbst bei Petrus gewesen sei:
um die Notwendigkeit des donum perseverantiae zu zeigen, liess Gott ihn
fallen.
2) Die Wendung sanctus et nonnus vocari 486 C, erinnert auffällig
an Hier. ep. 117, bei dem allein das Wort nonnus nachweisbar ist, ausser
in einigen lateinischen Inschriften, und dann Benedict v. Nursia.
Verfasser. Arnobius’ Beziehungen zu Italien. 101
Rusticus finden? Dass gerade in Campanien und Lucanien noch
Leo den Pelagianismus zertreten musste, erfahren wir aus Prosper
zu 442 und Ps.-Prosper de prom. et praed. dei IV, 6, ıs, hier
konnte etwa um 441 ein Mann mit dem Namen oder dem Pseu-
donym des bekannten Afrikaners, vielleicht selbst geborener Afri-
kaner, diese Schrift wohl schreiben, und wie weit nicht auch
noch später, steht mit dem wirklichen Erfolge Leo’s sehr in
Frage. Oder sind die 7 Worte der Adresse nur willkürlich später
vorgesetzt? Oder soll es statt Le-ontius Or-ontius heissen und der
Parteigänger Julian’s gemeint sein?
Jedenfalls glaube ich Bedenken genug gegen die gallische
Abkunft des „Arnobius junior“ geltend gemacht und gezeigt zu
haben, dass wenigstens ebensoviel für eine italische spricht. Ist
jene These aber mit nichten gesichert, dann wird umgekehrt
unser Resultat inbezug auf den Praedestinatus selbst auch letz-
lich als Material heranzuziehen sein. Denn die Verwandtschaft
mit dieser nach Italien zu setzenden Schrift ist zweifellos ja noch
leichter zu erklären, wenn jene wie zeitlich so auch räumlich in
ihre Nähe gesetzt werden darf, wie sich auch die weitere Tat-
sache so am besten erklären lässt, dass nur eben im Psalmen-
kommentar des Arnobius eine solche Bekanntschaft und sogar
Verwandtschaft mit dem Praedestinatus zu tage tritt.
Die nahen Beziehungen des Arnobius zum Praede-
stinatus und zwar zum ganzen Praedestinatus sind nämlich
vollkommen unleugbar.
Sie sind zunächst sachliche, in der ganzen Tendenz beider
Schriftstücke begründete. Die mindestens „semipelagianisch“ ge-
färbte Gnadenlehre des Arnobius tritt besonders in den Er-
läuterungen zu den Psalmen 50. 77. 90. 91. 108. 117. 126. 139.
146. 148 zu tage. Das bonum creatoris oder creaturae ist ihm ein
unantastbares Gut, 396 D, 436: darum findet er Ps. 50 (51) in
den Worten in iniquitatibus conceptus etc. statt cum iniquita-
tibus ete. ausgedrückt, dass die Mutter wohl, als sie empfing und
gebar, sündig war, aber das Kind hat nur die sententia (Urteils-
spruch) Adae, peccatum suum non habet. Ist selbst der Teufel
nicht schlecht per naturam, quanto magis homo malus agendo,
non nascendo probabitur, 548f. Den Willen verdammt Gott
beim Verdammlichen,. 436B, 508B, -562 u. 0. Wir müssen
erst unsererseits bitten und begehren, ehe Gottes auxilium
102 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
kommt. Wenn wir glauben, werden wir die Gnade er-
erreichen, aber es steht in unserem Willen, dass wir zuvor
glauben, 453B. Zwar Gottes allgemeine Gnade ist ausgegossen
über das ganze Menschengeschlecht und kommt allen dadurch
zuvor, dass Gott vom Himmel stieg homine non volente — do-
cuit exemplo et verbo homine non rogante. Signa multa et vir-
tutes ad se manifestandum exercuit, homine etiam prohibente.
Mortalitatem nostram suscepit, homine ignorante; irrisus, ceruci-
fixus, inter homicidas mortuus, sepultus, resurrexit et in caelos
ascendit. Wenn also Christus für alle geboren ist und gelitten
hat, kommt Christi Gnade dem guten Willen aller insgemein
zuvor, 563 A B. Auch hier wird sodann die Sakramentsgnade,
namentlich die Taufe, stark gewertet: wie keiner der Israeliten,
die durchs rote Meer gingen, infirmus war, so wird keiner unter
den vielen Tausend gefunden, der in hora baptismatis Sünde ge-
habt habe: omnes firmi sunt, omnes enim confirmatı sunt, 482 BC.
Besser ist immer noch ein christlicher Hurer als der keuscheste
Götzendiener, 538 B.
Auch dieser Verfasser wendet sich gegen die Vertreter der
Prädestinationslehre: Nunc forte audiat me praedestinationem
hominum docens et arbitrium hominum infringens, Ps. 117 (118),
505B. — Das ist auch ihm eine bekannte Ketzerei: Nota ex
arbitrio evenisse ut nollet (synagoga), propter haeresim, quae dicit
deum alios praedestinasse ad benedictionem, alios ad maledic-
tionem, Ps. 108 (109), 495 A. Diese Leugnung des freien
Willens ist auch in seinen Augen gefährlich: denn, sagt man,
wenn Gott will, bin ich gut, wenn er nicht will, bin ich nicht
gut, so lockert man allen die Zügel, Ps. 90 (91), 457D.
Das sind die Leute, die Psalm 126 (127) >Nisi dominus aedifica-
verit domum etc. falsch auslegen, das Nichtstun predigen statt
der Arbeit und behaupten, dass das Ringen der: Heiligen umsonst
sei, 528B. Er weiss auch, welche Vorwürfe man eben von
dieser Seite gegen Leute seiner Auffassung erhebt, aber es ist
eine Verleumdung, wenn man sagt, sie kännten keine gratia
antecedens: Nota tibi, praedestinate, quod loquor, nämlich
dass die allgemeine Gnade Christi in dem oben aufgewiesenen
Sinn der einzelnen guten Willensäusserung des Menschen vor-
angehe, Ps. 146 (147), 562f., nam. 563 B.
Die letztgenannte Wendung >nota tibi, praedestinate<, die ebenso
Verfasser. Arnobius’ Beziehungen zum Praedestinatus, 103
Praedest. III, 3, 636C vorkommt, würde allein noch nicht aus-
reichen, um zu begründen, dass beide Schriften nicht unabhängig
von einander sein können, denn der Ausdruck nota oder nota tibi
ist wie ähnliche eine Lieblingswendung des stets eindringlich
ad hominem redenden Arnobius, so kurz vorher nota tibi ca
lumniose oder 493C ποία, tibi gratis non vitio tuo 510, 505 A
nota, Christiane, 517C nota tibi, eruditissime, 518C nota tibi
quomodo serutatum legis, 488 B audi, Novatiane, audi, 533 B
trahe, Christiane, hoc u. s. w. Aber allerdings deutet der Anruf
praedestinate zusammen mit dem erwähnten Hinweis auf eine
haeresis der Prädestinatianer darauf, dass dem Verfasser das
2. Buch unseres Anonymus, das speziell unter dem Titel Prae-
destinatus eingeführt war und gleichsam den Ketzertypus reprä-
sentierte, bekannt war. Der genauere Vergleich namentlich der
Psalmen 90, 126, 146 und 148 zeigt weiter, dass Arnobius jeden-
falls auch das 3. Buch, also das Werk in seinem ganzen Um-
fange vor sich gehabt haben wird. Im Praedestinatus III, 20 heisst
es: Deus nobis et dominus et creator et pater esse dignatur.
Corpus suum victoriosissimum nostro corpori sociavit, ut corporis
nostri fragilitatem excluderet. Sanguinem suum nostro san-
guini miscuit, ut fervor genuini caloris quiesceret divino sanguine
temperatus. Chrismatis sui virtute nos unxit, ut luctantem
contra nos diabolum vinceremus. Scuto bonae voluntatis
(Ps. 5, 13) suae nos sese protegere repromittit: qui sperat,
inquit, in me, ego liberabo eum, protegam eum, quia cog-
novit nomen meum (Ps. 90, 14. Unde et superius ait propheta
de eo: qui habitat in adjutorio altissimi (ib. 1), quod non
eunı possit invadere, nec sagitta quae volat per diem nec
negotium quod perambulat in tenebris nec ruina aut dae-
monium meridianum et caetera (ib. 5f.). Die charakteristische
Verbindung der dreifachen Gnade Gottes in Leib, Blut und
Salbung mit dem scutum bonae voluntatis aus Ps. 5 und wiederum
dieser Stelle mit den Versen des 90. (91.) Psahms kehrt in der-
selben Reihe bei Arnobius’ Auslegung des letzteren Psalms
wieder: Scuto eircumdabit te veritas ejus (ib. 4). Scuto cor-
poris, sanguinis, chrismatis, quo scuto et defendimur
et coronamur. Sic enim psalmus alius asserit, quod scuto
bonae voluntatis coronet nos. Hoc etiam in isto psalmo,
ut non timeamus a timore nocturno. Libidinosae scilicet
104 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
voluptatis, cujus sagitta volat per diem. Quod enim in
aspectu luminis concupiscitur, hujus negotium in tenebris
perpetratur aut in ruina aut in daemonio meridiano perfi-
citur. Sed si babitaveris in adjutorio altissimi οἷο. —
— — Ita ut si super aspidem et basiliscum ambulemus, id est
super diabolum et regnum ejus, conculcare possimus et leonem
et draconem. Haec enim, dieit dominus, quoniam in me
speravit, liberabo eum, protegam eum, quoniam cogno-
vit nomen meum. DBedenkt man dabei, dass Arnobius diesen
Psalm, der an sich gar nicht besonders darauf hinleitet, aus-
schliesslich zu einer Behandlung der Frage nach der Willens-
freiheit benutzt, so wird man den Schluss ziehen müssen, dass die
Lektüre der obigen Stelle ihn dazu geführt und ihm ausserdem
die Gedankenfolge eine Strecke lang an die Hand gegeben hat.
Ähnlich ist es mit dem Psalm 126 (127), der in der Diskussion
eine grosse Rolle spielt. In dem bekämpften Pseudo-Augustin
heisst es: quantumcumque studii sui vires ad aedificandum
moveat humana voluntas, casso certamine nititur, aut quid
vigilantiam suam putat hominis fragilitas aeternis desideriis pro-
futuram, cum propheta evidentibus exclamet documentis, dicens:
Nisi dominus aedificaverit etc. (Praedest. III, 11, bezw.
II, 624 A). Dass diese Stelle Arnobius vorschwebte, als er seinen
Kommentar begann: Multi istius psalmi male explanantes prin-
cipia, otium praedicant pro labore. Aiunt namque casso cer-
tamine sanctos homines studiis occupari. sed et vana spe,
suis aliquid hominem nisibus impetrare, et ex medicamento
vulnus faciunt, hoc modo dicentes: Nisi dominus aedifi-
caverit etc. — wer wollte daran zweifeln? Aber er kennt und
benutzt auch die Widerlegung, wenn er ausführt: Ab initio
saeculi quiecumque sancti vixerunt civitatem domino con-
struxerunt. Denn die Heiligen waren die Mauern der zukünftigen
Stadt: es bauten Abel. Enoch. Noe, Abraham, Isaac,
Jacob, Joseph. Moryses, Jesu Nave und alle Heiligen.
Aber wenn nicht der Herr gekommen, wäre es umsonst gewesen:
Sed nisi dominus id est dei filius veniens aedificasset
omnia quae illi aedificarerant — — — illı in vanum
laboraverant aedificantes domum. Und weiter unten
(529 A) unter Wiederaufnahme der letzten Worte: Vana ergo
esset aedifivatio. sı dominus non custodiret; dominus custodit
Verfasser. Beziehungen zu Arnobius. 105
et vanae non sunt. In vanum est vobis ante lucem surgere, id
est, lux Christus est etc. Er giebt das Brod der Freude, pa-
nem gaudii. Dazu vergleiche man Praed. III, 11f., 650B: Ab
initio omnes sancti aedificationem mentibus contulerunt.
Verbi causa, primus Abel aedificavit justitiam, Noe innocentiam,
Abraham fidem, Isaac sacrificium, Jacob ambitionem rerum
sanctarum, Joseph castimoniam, Moyses sacerdotium, Jesus
filius Nave constantiam animi, David defensionem populi dei,
Salomon sapientiam, Joannes poenitentiam. Hos carptim de
multis memoravimus — — Und weiter unten (cap. 12, 650 ἢ):
Ab initio, ut diximus, a sancto Abele justo usque ad Zacha-
rıam et Joannem omnes aedificaverunt domum, non caementis,
ut diximus, sed sanctis exemplis. Verumtamen nisi dominus
Jesus Christus venisset, et ipse aedificasset domum hanc
in qua illi laboraverunt, in vanum laboraverant qui aedifi-
caverant eam. Nam et vigilanter institerunt gregi: sed nisi
dominus Jesus Christus suam custodiam exhibuisset, in
vanum laboraverunt custodientes eum. Unde etiam se-
quitur: in vanum est vobis ante lucem surgere Lux
enim Christus esse etc. Weiter unten (651B): Et quia panis
laetitiae de caelo descendit etc.
Ebenso liegen in den Psalmen 146 und 147 (147 und 148)
sicher Anklänge an die Ausführungen der anderen Quelle über
die gratia antecedens et subsequens vor: Gottes Gnade geht dem
Willen zuvor, weil der Mensch auch nicht das velle haben könnte,
nisi unigenitus nobis de caelo veniens omnibus officinam suae
gratiae reserasset, heisst es Praedest. III, 8, 645B. Die zuvor-
kommende Gnade Gottes zeigt sich darin, dass descendit de
caelo deus — vade ergo ad officinam medici, sagt Arnobius
563 AB. Aber wie die Gnade so dem Willen vorhergeht, so
heisst es andererseits antecedit voluntas hominis gratiam dei hier
wie dort, das incipere velle ist an beiden Stellen verlangt, 645 C
zu 563C, vgl. auch die Darstellung des Werkes Christi 563 A
und 645D. An Taufe und Busse wird die Probe gemacht,
Praedest. 644CD: Sin vero nec baptismatis gratiam ausi sunt
tradere nisi veram et integram exploraverint voluntatem nec
manum imponere poenitenti nisi confessionem voluntariam osten-
denti, wie könnt Ihr denn sagen, dass die Gnade dem Willen
voraufgehe, dazu 657C, vgl. Arnobius 563C: Non enim prius
106 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
baptizaris et sic velle incipis credere, sed prius voluntatem
tuam perfectam exhibes sacerdoti et confessionem tuam tuis
labiis pandis, et ita demum ad dei gratiam ut consequaris at-
tingis. Ebenso wird das Wort von der gratia quae antecedit et
quae sequitur an Mtth. 7,8ff. dort wie hier illustriert, vgl. 567
mit 657 u. 8. ἢ
Dass dem Arnobius ein anderes Werk vorliegt, in dessen
Gedankengänge es ihn verlockt, weiter einzugehen, so dass er
sich selbst zu seiner eigenen Aufgabe zurückrufen muss, verrät
er selbst deutlich an einer Stelle: Ps. 91 (92) spricht er darüber,
dass bei Gott kein Ansehen der Person sei (acceptio personarum),
wogegen Röm. 9, 13 fälschlich eingewendet werde, da doch nie-
mals zu beweisen sei, dass Gott per electionem personae den
einen wolle, den anderen zurückweise So nämlich wird argu-
mentiert Praedest. Il, 622B. 623 A, dagegen aber auch pole-
misiert Praed. III, 1ff. Der Versuchung, in diese obscuriora loca
scripturarum (ib. Ill, 1 Ende) einzugehen, tritt Arnobius ent-
gegen, indem er sich unterbricht: Sed rumpamus moras
alieni (!) operis et in decem chordarum psalterio delectet nos
dominus etc. Ähnlich ist sicher die Stelle in der Auslegung
von Ps. 126 (127), 528C zu deuten. Über Art und Weise des
Baues hatte der Verfasser des Praedestinatus 649 f. allerlei
gesagt, ehe er zu den oben angeführten Äusserungen über die
sancti der Vorzeit schritt, denen Arnobius dann folgt. Arnobius
ist sichtlich versucht, schon bier den Spuren der Vorlage zu
folgen, zumal es zu allegorisieren gab: „Ich könnte in unständ-
licher Rede den Grund, die Wände, das Dach, die Mauern dieses
Gebäudes erklären — sed alio proposito res agitur. Denn
ich wollte von Anfang an kurz und bündig reden, doch mache
ich einen kurzen Umweg, tamen parumper circumeo, und
schnell werde ich zu Dir, der Du den Psalm erwartest, zurück-
kehren“. Dieser Umweg sind eben die Gedanken, die er dem
Praedestinatus folgend im weiteren ausführt.
Dann aber wird man auch einzelne Formulierungen, die in
anderem Zusammenhang vorkommen, als durch den Praedestinatus
inspiriert sich denken dürfen: vielleicht schon die häufige Zu-
sammenstellung von lignum crucis mit dem lignum concupiscen-
tiae, Praedest. Ill, 8, 646 A (in cruce suspensus est, ut nos a
ceruciatibus aeternae mortis auferret. Damnans de ligno crucis
Verfasser. Beziehungen zu Arnobius. 107
lignum concupiscentiae pandit immaculatas manus — —) mit
Arn. Ps. 67 (68), 418C (ascendit in altum id est in crucem —
— et de peccato damnavit peccatum. De ligno, inguam crucis
lignum concupiscentise cepit — —) vgl. Ps. 95 (96), 464 C,
auch Ps. 119 (120) Ende — viel zweifelsfreier der Satz Praed. II], 16,
656 B: si potest homo velle quod deus non vult, quanto magis
potest homo quod deus vult, verglichen mit Arnobius zu Ps. 138,
545C: Si illud potuit (homo) fieri quod deus non vult, quanto
magis hoc poterit fieri quod Deus vult. Besonders auffallend
war mir endlich die verwandte Art, wie auch der Verfasser des
Praedestinatus sich gelegentlich unterbricht und von einer Ab-
schweifung zurückbringt, III, 14, 652C: haec quasi in alio
opere dicta sint vgl. den obigen Satz des Arnobius: rumpamus
moras alieni operis.
Sollte nicht doch derselbe Mann beide Schriften verfasst
haben? Sirmond’s Identifizierung, die die Mauriner in der
Hist. literaire de la France 1], 342 ΕἾ, spez. 349ff. (1735) be-
kräftigt haben, ist neuerdings von Bardenhewer, Patrol.?
S. 533, aufgenommen worden. Die Protestanten sind in diesem
Stück vorsichtiger. Neander findet, dass Arnobius wohl den
Praedestinatus vor sich gehabt habe, ihn aber für dessen Verfasser
zu halten, habe man weniger Grund; Wiggers, August. u.
Pelag. IL, 348, findet die Übereinstimmung wohl unverkennbar,
aber „lange so gross nicht, als man sie wohl dargestellt hat“,
und macht auf einiges aufmerksam; W.Möller meint RE? XIV, 95,
dass man über Vermutungen nicht hinauskomme, und Krüger
schweigt bei Arnobius d.J. in RE3 vom Praedestinatus. Ich glaube
mit voller Sicherheit sagen zu können, dass trotz der von mir
noch verstärkten Nähe beider Schriften sie nicht demselben
Verfasser zuzuweisen sind.
Das Durchschlagende an die Spitze zu stellen: es weht doch
ein anderer Geist in dem Psalmenkommentar, eine andere
Stimmung nicht nur, eine andere religiöse Individualität
tritt uns entgegen. Anstelle des stolzen Hochgefühls, das das
3. Buch des Praedestinatus durchzieht, wie so herrlich das Ganze
ist, der Mensch mit seinen guten Anlagen und seiner unverlorenen
Freiheit, die Kirche mit ihren Gnadenschätzen, die Taufe mit
ihrer adoptio, das Gesetz mit seiner Klarheit, Christus mit seiner
Liebeslockung, Gott mit seiner Billigkeit und Güte, die Ewigkeit
108 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
mit ihrer Vergeltung nach Verdienst — gebt hier eine viel
schwerere Melodie, die doch nicht einfach darauf zurückzuführen
ist, dass die Psalmen soviel von innerer Not reden und die Ab-
zweckung beider Schriften eine verschiedene ist. Über der Seele
des Verfassers liegt der spürbare Druck der Sünde, der sich
allein löst in dem Aufblick zu der rettenden Gnadenhülfe Gottes.
Dort redet ein Optimist, bier ein Pessimist. Die ganze Stimmung
geht auf die Befreiung der gottgeschaffenen, aber tief gefallenen,
völlig umstrickten, stets von Feinden umringten Seele, von der
Sünde und dem peccator xat' ἐξοχήν, zur Gemeinschaft Gottes,
zu reinem Wandel und ewigem Lobpreis Christi, qui regnat in
saecula saeculorum. |
Darum sind zweitens auch Sünde und Gnade hier doch
ganz andere Werte, auch da, wo die Formeln sich ähneln.
Wiggers meint mit Recht, dass sich ein so klarer Ausdruck
gegen die Erbsündenlehre wie der zu Ps. 50 (51) „bie qui nascitur
sententiam Adae habet, peccatum vero suum non habet“ beim
Praedestinatus nicht finde — dazu war der Autor dieser Tendenz-
schrift eben zu klug. Aber in Wahrheit macht Arnobius einen
unvergleichlich viel grösseren Ernst mit der Tatsache der all-
gemeinen menschlichen Sündhaftigkeit, dem Gefallensein. Der
Urteilsspruch über Adam, der durch Gehorsam zur Unsterblich-
keit zu gelangen bestimmt war, aber durch Ungehorsam sterblich
ward (379C), ist auf die Menschheit übergegangen, auf jedem
Neugeborenen lastet er. Seitdem ist die Welt gefangen und im
Tode Adams verflucht (362B, 464A); zerschmettert, zerstört
und gefesselt sind die Menschen durch Adam (496 C, 560 B).
Die Belastung geht fortwährend vom natürlichen ins sittliche
Gebiet über. Durch das Holz der Lust ist das Reich Gottes von
den Menschen gewichen, untergegangen ist das ganze Menschen-
geschlecht in Adams Übertretung, in der Sünde Adams sind die
Menschen zu hilflos Verzweifelnden geworden, wie ein Schlauch
im Winter, innen leer, aussen zusammengezogen (464 A, 512B,
373B, 516C). In Adams und seines Weibes Verstörtheit sitzen
wir noch immer und weinen, wie die Juden an den Woassern
Babylons, bis der kommt, der uns aus der Gefangenschaft des
Teufels und seiner Diener erlöst (541 A), denn dieser hat durch
Adams Fall die Herrschaft über das Menschengeschlecht (339 ἢ).
Von der Geburt an, schon mit den Halblauten stammelnder Kind-
Verfasser. Verschiedenheit von Arnobius. 109
heit (ab ortu meo semisonis balbutientis infantiae verbis, 547A),
rührt sich die Sünde — Gott weiss es — im Herzen wird sie
empfangen und mit dem Munde vollendet (Ps. 50), So sind wir
denn „in der Knechtschaft der Sünde, harrend der Befreiung
durch unseren Herrn Jesus Christus“ (378B). Wie mit ehernen
Pforten umschliessen uns die lasterhaften Gewohnheiten so, dass
sie „beinahe auch die Freiheit unseres Willens einschliessen* —
wir wollen herauschreiten, aber die ehernen Pforten umschliessen
uns, wir können nicht, 489B. Wie schwerer, so wird das
Verderben auch viel innerlicher geiasst: selbst was ın mir
für heilig gehalten wird, unterliegt der Schuld, darum „reinige
mich von meinen verborgenen Sünden“ (350A), es sind die
malae cogitationes, die Regungen des Herzens, die suggestiones
des Teufels und der spiritus immundi, die uns betören, unsere
Seele suchen sie zu verderben, den Hass einzuflössen statt der
Liebe (494A), Die Dämonologie des Arnobius ist viel
stärker. Auch im Praedestinatus ist nicht wenig vom Teufel die
Rede, hier aber ist die Seele gleichsam immer umringt von den
geheimen Anläufen der Dämonen und fast kein Psalm, in dem
nicht von ihnen gesprochen wird: vergleiche z. B. Ps. 58. 101.
123 und viele andere. Es ist Erfahrung des Schreckens der
Sünde und ein volles Nachempfinden des Busstons, der in so
vielen Psalmen klingt. „Wenn das ganze Menschengeschlecht
in Sünden tot ist, was ist übrig, als dass die ganze Welt Dir
in tränenvoller Rede ihre Bitten ergiesst? Denn niemand wird
gerettet werden, wenn nicht Du, Herr, Dich erhebst und Zions
erbarmst* (471 ΑἹ.
Dem entspricht natürlich, dassauch dieinade weit stärker
betont, weit innerlicher und weit voller gefasst wird. Das Ver-
trauen auf sich selbst ist geradezu die Grundsünde, das Vertrauen
auf Gottes Hilfe die Rettung schlechthin. Trotz der Leugnung
der gratia praevenieng specialis, von der wir oben sprachen,
heisst es dann doch zu Ps. 58 (59), 11: „Meine Stärke, von Dir
möge ich behütet werden, weil Du mein Hort bist, damit Dich
aufnehme der Mensch. Du hast aufgenommen den Menschen,
dass Deine Barmherzigkeit mir zuvorkomme (ut misericordia
tua praeveniret me) und mir den Sieg gebe über meine Feinde“
(406 C) — und weiter im selben Psalm: „Nicht ich ergreife aus
eigener Kraft die Waffe gegen Euch (meine Feinde), sondern auf
110 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
die Kräfte meines Gottes traue ich, jauchzend frühe über seine
Barmherzigkeit — — denn er hat die Finsternis der Sünden
von ung gezogen und sein Licht in unsere Herzen gegeben — —
Mein Helfer, Dir will ich singen“ (407A). Nur eben die erste
innerliche Hinwendung zu Gott credendo et desiderando ist nötig,
dann hilft er mit seinem Erbarmen — denn misericordia ist
seine Gnade ın erster Linie — überreich, innerlich, kraftvoll,
vgl. namentlich Ps. 93. 117. 137, er ists, der auch dem
tapfersten Kämpfer die guten Gedanken ins Herz giebt,
sodass er bekennen muss: Hättest Du, Herr, mir nicht ge-
holfen, so wäre um ein Kleines meine Seele in die Hölle
gefahren (462B). Christus nämlich, der seine Hände ausstreckt
am Kreuz, wendet unsere Seele um, bekehrt sie durch sein Leiden
(354D). Gott muss uns aber auch die perseverantia geben:
„Gott gab meinen Schenkeln die Ausdauer, dass ich stand“ etc.
(562C); „wendet er sein Angesicht, so sehr wir den Herm
lieben, wir werden ihn nicht mehr als Petrus lieben, und wenn
wir mit Petrus ihm sagen >Wenn ich mit Dir sterben sollte, so
werde ich Dich nicht verleugnen«, die Treulosigkeit, ihn zu ver-
leugnen, könnte auch von uns geschehen, wenn er sich von uns
wendet“ (362C), denn „niemand wird eine von der Niedrigkeit
des Staubes freie Seele haben, wenn nicht Du es der Seele schenkst,
niemand fasten und beten und den Bauch verachten, nisi tu con-
cesseris (386C). „Auch wenn Du ein Gigant bist in Deiner Kraft,
du wirst nicht gerettet werden: denn die Augen des Herrn sehen
nicht auf die, die auf ihre Kraft vertrauen, sondern auf sein Er-
barmen hoffen“ (367D). So wird von meritum wenig geredet
(am meisten 561 A), vielmehr durch Demut „verdient“ man sich
die Befreiung und Erhöhung, Ps. 114 (115), vgl. 117. 142 (118.
143) — ja er hat ausgeschlossen unsere Verdienste, Ps. 116 (117),
indem er in Christo allen misericordia und auxilium anbietet.
Das Verhältnis zu Christo wird dementsprechend mit grosser
Innigkeit erfasst, „durch Christi Hilfe werden alle virtutes, quae
contra vıtia Iuctantur quotidie, ut vincere valeant, eingegossen,
infunduntur“, und ihn müssen wir bitten, „dass er selbst uns
festigt, damit wir in der Furcht Gottes stehen können“ (373C).
In dem Spruch 2. Kor. 5,19, dass „Gott die Welt in Christo
mit sich selbst versöhnt habe“, fasst sich ihm das Heil zusammen,
er kommt am häufigsten, wenigstens 7 mal, vor, während er im
Verfasser. Verschiedenheit von Arnobius. 111
Praedestinatus ganz fehlt. Um die Tiefe und andringende Gebets-
stimmung zu erkennen, die sich aus dieser reichen und inner-
lichen Religiosität ergiebt, lese man etwa den schönen Kommentar
zum 118. (119.) Psalm.
Es kann danach nicht Wunder nehmen, dass die innere
Stellung zu Pelagianismus und Augustinismus in Wirk-
lichkeit doch eine andere ist als beim Praedestinatus. Der Ver-
fasser ist überhaupt nicht einseitig anti-augustinisch interessiert.
Er wendet sich gegen allerlei Ketzer, im allgemeinen Ps. 124. 139
u. 8. gegen Arianer Ps. 89 (456), Ebioniten Ps. 94 (463), Gnostiker
und Manichäer Ps. 103. 110. 135. 138. 143 (478. 558), Pho-
tinus Ps. 109 (496), mit grossem Nachdruck zweimal gegen
die Novatianer Ps. 106 und 138 (488. 545) und so denn auch
gegen die Pelagianer und Prädestinatianer, aber gegen die ersteren,
ohne übrigens ihren Namen zu nennen, mit nicht weniger Schärfe,
als gegen die letzteren. An den Hauptstellen Ps. 90, 117
und 146 behandelt er beide zusammen als die zwei Verkehrungen
einer und derselben Wahrheit, stets hier zuerst vor dem falschen
Verständnis des liberum arbitrium mit tiefem Ernst warnend.
Es ist eine Gefahr, periculum, die Willensfreiheit zu leugnen,
aber eine Sünde, peccatum, sie zu entblössen, nämlich des
göttlichen adjutorium. Wenn es heisst, an Deiner Seite werden
1000, und zu Deiner Rechten 10000 fallen, so bedeutet jene
„Seite“, bei der die Bezeichnung „linke“ fehlt, den freien Willen,
gegen den der geringere Kampf entfesselt ist, die Rechte aber
die Gotteshilfe. Ist auch jene zuerst genannt, weil es in unserem
Willen steht, dass Du zuvor glaubst, damit Du, wenn Du ge-
glaubt hast, die Gnade erlangst, so wirst Du doch zur Rechten
den vielfachen Heerhaufen der Hilfskräfte finden. — — Werden
wir besiegt, so schreiben wir's der Schwäche der Linken zu,
denn auxilium non vincitur dei, sed nostri libertas arbitrii supe-
ratur, er gebietet seinen Engeln, dass sie uns behüten auf allen
unseren Wegen etc. (Ps. 90, bezw. 91, 452). Darum, da wir
unsere eigenen Feinde durch unsere Konkupiscenz sind und ausser
uns sichtbare und unsichtbare Feinde haben, trotze nicht auf
Deinen freien Willen, auf Gott trotze (praesume), denn er ist
unbesieglich. Wer anders spricht, lügt, und von Anbeginn der Welt
wars nicht anders. Wer kann sagen wie von Gott: meine Stärke
und mein Lob ist meine Willensfreiheit, und sie ist mir zum
112 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Heil gemacht: die Gotteshilfe aber macht, dass wir leben und
nicht sterben (Ps. 117). Wer aber auf die Kraft seines geist-
lichen Laufs vertraut, dass er auf seinen Schenkeln unbeweglich
bleibe, der bleibt nicht. Nicht trägt uns das Schiff an das er-
sehnte Land, wenn Gott nicht mit günstigem Wind die Segel
schwellt und die Schiffe richtig leitet: Dank sei Gott, nicht
Schiff und Schiffer (Ps. 146; 502. Der Verfasser fürchtet
geradezu von den Prädestinatianern fälschlich als einer der Ihrigen
angesehen zu werden (Ps. 117; 505B), er muss das Missver-
ständnis abwehren (Ps. 146; 562D). Aber er fühlt sich um
so mehr den Vorwürfen dieser gegenüber im Rechte, als ob er
die Gnade verkürze — er redet z. B. 562D weniger agressiv
gegen diese augustinische Sekte, als im Tone eines Mannes, der
sich vor üblich gewordenen Missdeutungen schützen will. Selbst
dass er die voluntas hominis in gewissem Sinne doch voraus-
gehen lasse, will er nicht recht gelten lassen: „wir scheinen so“,
ibid. Die Gnade und der Wille sind möglichst zusammengerückt:
Gottes Gnade geht voraus, indem er zu bitten befiehlt, indem
er will, dass der Wille des Menschen der Gnade vorausgehe,
sofern er dann bittet, Ps. 148, 566f. Selbst wo wie hier die
Formel des Praedestinatus genau wiederkehrt, ich sehe doch eine
andere Haltung. Was er bekämpft bei den Prädestinatianern
ist der Irrglaube, dass auf Gottes Verwerfung die Sünde zurück-
gehe und nicht auf die eigene Schuld, unsere Sache ist die Ver-
achtung der Gnade, Ps. 117, und in der Folge die sittliche Lax-
beit, Ps. 126.
Aber da, wo der Praedestinatus mit dialektischer und ratio-
nalistischer Widerlegung der augustinischen Argumente komnit,
hilft sich Arnobius vielmehr mit seinem allgemeinen christlichen
Urteil: Petrus, Paulus und alle Evangelisten sagen, dass bei
Gott kein Ansehen der Person ist, dagegen können die dunklen
Worte Rönı. 9, 13 nichts ausrichten, man muss sie stehen lassen.
Der andere Autor, wusste mit überlegener Miene hier das Licht
anzuzünden, 633D. Wie hier, so tritt auch sonst ein anderes,
bezw. ein dem Kampfe gegenüber indifferentes Verhältnis zu den
als Hauptwaffen gebräuchlichsten Schriftstellen zu tage. Aus
I. Tim. 2,4 „Gott will, dass alle Menschen gerettet würden“ folgert
Arnobius Ps. 116 vielmehr, dass Gott alle unsere Verdienste
ausgeschlossen hat, aus der Stelle Mtth. 11,2 „Kommt zu mir alle,
Verfasser. Verschiedenheit von Arnobius. 113
die ihr mübselig seid“ wird Ps. 99 nichts gemacht. Von der
Praedest. IIl, 14 dem Wort voluntarie sacrificabo tibi (Ps. 53)
gegebenen Deutung ist bei Arnobius nichts zu finden. Das Wort
Röm. 8 spe salvi facti sumus, das im letzten Teil des Praedesti-
natus im Vordergrund steht, kommt mehrfach ohne irgend eine
Andeutung darauf Ps. 36. 37 vor. Überhaupt berührt sich der
reiche Zitatenschatz beider Autoren wenig. Von den 139 Stellen
ım Praedestinatus werden nur 15 bei Arnobius verwertet, die
meisten in anderem Zusammenhange.
* Im Praedestinatus sprach ein kirchlich-klerikaler Geist zu uns;
hier ist es vielmehr der des Mönchtums, mag der Verfasser auch
selbst die Priesterwürde besessen haben, was sich zwar nicht
durch Stellen wie 539 D, 549 C, 561 D, wohl aber durch 485 D be-
gründen lässt. Auch die ethische Stimmung ist daher eine
andere. Der um concupiscentia und nuptiae sich gruppierende
Gedankenkreis des Praedestinatus fehlt hier, obgleich der Ver-
fasser sich 549 BC mit den Schlussausfübrungen Praed. 671f be-
rührt; soweit von Konkupiscenz die Rede ist, steht der Verfasser
anders, asketisch-pessimistisch, dazu: „alle Werke der Konkupis-
cenz sind böse“ (494 A), die castitas, pudieitia, continentia, der
Kampf gegen venter et libido, überhaupt der contemptus mundi
spielen eine viel grössere Rolle, vgl. z.B. Ps. 45. 62. 83.118 (510 A)
1491. An Stelle der Weltoffenheit, die uns dort entgegentrat, haben
wir hier einen Mann vor uns, der seine Seele in seinen Händen
3hat, in ihrer Tiefe den Kampf der bösen und guten Triebe und
@edanken durchkämpft — von dem uns die Mönchsliteratur so viel
berichtet — ihn wie diese zugleich zu einem steten Kampf mit den
Dämonen verdichtet und durch die Sakramentsgnade der Taufe
nicht beendet weiss — auch der ganze um die Taufe gelagerte
XKreis von Fragen und Vorstellungen taucht hier nicht auf.
Wiederum zu dieser Atmosphäre und Geistesrichtung passt
die mystisch-allegorische Art der Kommentierung, die
„och jedem Leser des Arnobius aufgefallen ist. Alles geschicht-
liche und äussere Leben ist schliesslich nur ein Gleichnis der
innerlichen Vorgänge und deutet auf die grossen Entscheidungen,
die im Innersten des Menschen, der eigentlichen civitas domini,
zwischen Gott, Teufel und Mensch ausgefochten werden.
So kann ich denn endlich auch die sprachliche Ver-
wandtschaft durchaus nicht für so gross halten. Wie schwer
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4, Ω
114 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
ohne ganz genaue Untersuchung Stilfragen dieser Art über-
haupt zu entscheiden sind, zeigt die Verschiedenheit der Schätzung,
der Arnobius bei zwei so gewichtigen Autoritäten wie Erasmus
und den Maurinern unterlegen ist; während diese den Stil durch-
aus nicht niedrig einschätzen, hält sich jener über seine Barbarei
auf (hist. liter. ]. c. p. 346). Die Wahrheit scheint mir zu sein,
dass er zwar von „Soloecismen“ und namentlich harten Abstrakt-
bildungen nicht frei, sonst aber gewandt und glatt ist. Kann
man dies auch vom 3. Buch des Praedestinatus vielleicht noch
sagen, so sicher nicht von dem Manne, der die Vorrede und
ersten Teile des Praedestinatus geschrieben hat. Aber auch wenn
man hintereinander Praedestinatus DI und Arnobius liest, wird
man durchaus nicht von dem Eindruck überwältigt werden, dass
man denselben Autor vor sich hat, und die etwaige Verwandtschaft
würde sich ausreichend durch die oben wahrscheinlich gemachte
landschaftliche und sachliche Berührung erklären lassen. —
Ich halte also dafür, dass Arnobius nicht den Praedestinatus
verfasst hat. Wer es dann gewesen ist?! Unser Material reicht zu
bestimmteren Behauptungen nicht aus. Dass es in dem in betracht
kommenden Kreise nicht an Männern gefehlt hat, die federfertig,
in Listen geübt und des Griechischen mächtig waren wie der
Anonymus, beweist die Figur des Anianus von Celeda, über
den am ausführlichsten Garnier, Diss. I, cap. 7, Migne 5. ]. 48,
298—305 gehandelt hat.? Die StelleHier. ep. 1432 zusammen mit Oro-
sius apol. 29 spricht stark dafür, dass dieser Anianus mit Pelagius
die berühmte epistola ad Demetriadem verfasst hat, indem er ihr
vermöge seiner besseren Bildung das sprachliche Gewand gab
1) Auf die Vermutung Cas. Oudin’s (comm. de script. eccl. I, 1245 ff.,
Frankf. 1722), dass es Vincentius v. Lerins gewesen sei, braucht nicht
näher eingegangen zu werden. Der ganze schriftstellerische Charakter
spricht entscheidend dagegen. Vgl. schon die Mauriner in der hist. liter.
de la Fr. Il, 3138, Noch weniger Wert hat Piccinardi’s Hypothese (in
den ausführlichen Prolegom. zu seiner Ausgabe des Praedest., Padua 1686),
dass Vincentius Victor, der seinen Pelagianismus gerade aufgab, oder der
Genn. 80 als Psalmenkommentator genannte gallische Presbyter Vincentius
der Autor sei.
2) Vgl. auch Schoenemann, Bibl. hist.-lit. Patr. lat. II, 473—80,
der über Garnier ungünstig urteilt, ohne ernsthaft in die Sache einzu-
gehen; er behandelt Anianus nur als Chrysostomus-Übersetzer.
Verfasser. Amianus von Celeda. 115
(so auch Garnier und Vallarsı vor seiner Ausgabe des Briefes)
und dass dieser Brief unter seinem Namen als Decke ging. Ob
man davon noch besondere libri gegen die epistula Hieronymi
ad Ctesiphontem unterscheiden muss, ist mir zweifelhaft. Dann
ist jedenfalls auch wahrscheinlich, dass Garnier mit seiner Ver-
mutung, er sei der armiger des Pelagius auf der Synode zu Dios-
polis gewesen, der bei seinem Dolmetschen sich Fälschungen
erlaubt habe (Orosius 1. c. 2), in der Tat Recht hat. Dies stimmt
zum Folgenden. Er hat nämlich auch nach 418 treu zur Fahne
&zehalten und der Sache besonders durch Dolmetschen aus dem
Griechischen geholfen. Denn dass der Anianus, der die Homilien
des Chrysostomusin Matthaeum und weiter de laudibus Pauli über-
setzte und ihnen deutlich anti-augustinische Vorreden an die
beiden Genossen Julian’s Orontius und Evangelus vorausschickte,
amit jenem identisch ist, kann nicht wohl bezweifelt werden. Den
berühmten griechischen Meister der kirchlichen Praxis nahm er in
seiner Sorge um die aedificatio morum und die disciplina ececle-
sıastica für die eigene pelagianische Position in Anspruch. Er
äst aber auch aller Wahrscheinlichkeit der Übersetzer der bomilia
es beatus Joannes ad neophytas de baptismate gewesen, die
wıns im Griechischen verloren ist. Aus seiner Übersetzung
stammte dann also die Stelle, die von Julian am Ende seines
ersten vierbändigen Werkes gegen Augustin angezogen, von
Augustin aber c. Jul. I, 6 als zu gunsten des pelagianischen Sinnes
falsch übertragen bezeichnet und zurechtgesetzt wurde, Diese
selbe Stelle ist auch am Schluss des oftgenannten Glaubenslibells
der aquilejensischen Pelagianer, bzw. Julian’s zitiert und verwertet.
Anianus war also nach 418, wohl auch seines Amtes beraubt,
ganz in den Kreis derer getreten, die sich um Julian sammelten,
vermutlich gleichfalls ein Süditaliener, wenn schon ein Celeda nicht
mehr nachweisbar ist, und wir sehen seine Arbeit verwertet in
dem Schriftstück, das dem Praedestinatus in Inhalt und Form
am nächsten steht. Man wird nicht leugnen können, dass
manches für die Annahme spricht, er habe, falls er so lange
lebte, der Abfassung des grossen Lügenbuches nicht ganz fern
gestanden. Die Sprache würde kein Hindernis sein, und jeden-
falls lag diese Aufgabe seinem Talent besonders. Indessen, wie
gesagt, das Material langt nicht, um mehr zu sagen, als dass es
ein Anianus getan haben könnte. Aber haben der Bischof
8%
116 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Orontius und der Presbyter Evangelus, denen Anianus seine Über-
setzungen darbrachte, haben B. Florus, dem Julian sein grösstes
Werk widmete (»beatissime pater«), und Valerian, dem man die
Gewinnung Cyrill's von Alexandrien zutraute, nicht mit der Feder
ihre Position vertreten, für die sie ihre Existenz geopfert hatten?
Zogen doch auch sie mit Julian im Exil umher und hatten
Musse und Anlass gleich diesem.
Hier aber ist nun noch eine Bemerkung zu machen. Alle
vorhergehenden Schriftstücke sind Äusserungen einer Gruppe.
Julian selbst wusste sich nur als Vertreter seiner Partei, wenn
er gegen Augustin schrieb, vgl. op. imp. 1, 51: quoniam mihi
potissimum hoc a sanctis viris, nostri temporis confessoribus,
munus impositum est, ut dieta tua quid habeant ponderis
rationisque discutiam, opportunum fuit ostendere prius, non a
te credi ei deo, qui in catholicorum semper ecclesia praedicatus
est et usque ad finem ubi illa fuerit praedicabitur. Wenn die
Notiz selbst auch der Abschrift und nicht dem Original ange-
hören wird, die sich im Codex Augiensis zwischen dem 2. und
3. Buch findet >Incipit liber catholicorum episcoporum contra
eundem librum haereticorum defendendo catholice et orthodoxe
refutando errores eorum«, so hat der Kopist hier doch die
Meinung des Originals richtig herausgelesen. Der Praedestinatus
ist im Namen der pelagianisch-julianistischen Bischöfe geschrieben,
die sich als die Repräsentation der katholischen Orthodoxie
fühlten. Die Möglichkeit ist dann nicht abzuweisen, dass auch
verschiedene Köpfe und Hände an der Abfassung sich beteiligt
haben.
Dafür aber lässt sich einiges in der Tat geltend machen.
Schon bei der ersten Lektüre fällt der Unterschied des Stils im
ersten und dritten Teile so auf, dass es Mühe macht, beide Stücke
derselben Quelle zuzuweisen; dort holprige, ungeschickte, schwer-
verständliche, hier klare, gewandte Sprache Ich hebe nur die
eine Lieblingskonstruktion hervor, die mit Varianten allein in
der kurzen Vorrede 9 mal vorkommt: ita — ut, sie — ut, ideirco —
ut, id — ut, in id — ut, ad hoc — ut, vgl. auch 4 mal tam —
quam. Von diesem mühevollen Gerede ist nichts im 3. Teile zu
spüren. Dem entspricht der Geist. Der Verfasser des 1. Teils
ist ausgezeichnet durch Dreistigkeit, aber seine eigenen Gedanken
sind dürftig und schlecht geordnet, dagegen der des grossen
Verfasser. Kollektivarbeit. Anteil Julian’s. 117
3. Teils, incl. der Vorrede dazu, ein dialektisch scharfer und ge-
übter Kopf ist. Diese 2. Vorrede, die vollkommen entbehrt
werden könnte, macht fast den Eindruck einer Dublette, als ob
der Verfasser noch einmal und zwar deutlicher sich über das
Unternehmen äussern wollte; dabei wird erst hier und dann
III, 3 (635) die Anspielung auf Prosper-Hilarius und Augustin’s
Briefe an diese gegeben, und noch später wird bei Gelegenheit
III, 25 nachgetragen, wie man in den Besitz des bekämpften
Buches gekommen ist. Während wir den Verfasser der Häre-
seologie, wie wir sahen, sicher in Rom unter dem Klerus —
„was wird aus den benedictiones, preces, sacrificia, kurz omnia
studia sacerdotum bei solcher Lehre!“ ist seine Hauptsorge, praef.,
583 CD — zu suchen und nach haer. 86 vielleicht mit dem
Märtyrerkult der ἢ. Processus und Martinian an der Via Aurelia
ın Verbindung zu bringen haben, dürfen wir den des polemisch-
«dugmatischen Teils mehr in Julian’s Nähe setzen, wenn nicht gar
der grosse Dialektiker selbst dabinter steht.!
Unter Annahme dieser Hypothese würde sich auch der letzte
Rest des Rätsels, das im besonderen das 2. Buch aufgibt, be-
friedigend lösen. Sein eigenartiger Charakter und die kleinen
Inkonsequenzen seiner Bekämpfung im 3. Buch, die allein der
Annahme einer Fälschung noch entgegenstanden, würden sich
am leichtesten erklären, wenn man dasselbe einem anderen Autor
zuschreiben dürfte. Der Polemiker des 3. Buches hatte dann
doch ein fremdes Werk zu bekämpfen. Ob man diese immerhin
recht geschickte Arbeit, die eine genaue Kenntnis der augusti-
nischen Literatur voraussetzt, dem plumpen Fälscher der Ketzer-
tafel zuweisen soll, bleibt mir dabei fraglich, wenn ich es auch
-..-. - “-
1) Leider fehlt bis jetzt eine Arbeit über Julian’s Sprache. Auch
Bruckner ignoriert diese Seite fast ganz. — Sollte die eigentümlich ein-
geführte Notiz bei Gennadius 45: est et liber altercationis ambarum par-
tium defendentium, die Tillemont, Czapla u. a. durch eine Verwechs»-
lung mit Augustin s opus imperfectum c. Jul. erklären, auf das 3. Buch des
Praedestinatus gehen, das den haereticus und catholicus sich gegenüber-
stellt und zu Worte kommen lässt? Wurde vielleicht dieses auch allein
tradiert, da das erste zu plump und das zweite unnötig war? Zum min-
desten beweist die Stelle, dass ein Buch von ähnlichem Charakter unter
Julian’s Namen ging (unter dem freilich auch zum Teil die ep. ad Demetr.
&ing) und dem (iennadius bekannt war.
118 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
sprachlich für möglich halte. Ich würde vorziehen, auch dafür
einen eigenen Autor zu suchen. Der eigentümlich scharf drei-
geteilte Charakter des ganzen Werkes, das nur durch Vorreden,
Nachworte und Bindesätze zusammengehalten wird, die besondere
in sich geschlossene Art jeder der drei Stücke erklärt sich meines
Erachtens am besten, wenn wir sie auf verschiedene Mitarbeiter
verteilen und das Ganze nur einer Redaktion unterstellen, die in
der Hand Julian’s zusammenlief. In der Tat eine multimoda ars
fallendi!
V.
Die Bedeutung des Schriftstüäcks und also seine Ver-
wertung ist nach diesem Befund in anderer Richtung zu suchen
als bisher.
Während man sich bis jetzt fast ausschliesslich mit dem
1. Buch beschäftigte, hat dieses als Geschichtsquelle geradezu
auszuscheiden. Es gilt davon allerdings als Kanon der Benutzung,
was Jülicher inbezug auf den einen Punkt, die Sixtus-Hypothese
Harnack’s!, sagt (Theol. Litztg. 1896, Sp. 20), dass sein Zeug-
nis erst unter der Voraussetzung dessen, was zu beweisen ist,
Wahrscheinlichkeit gewinnt, Sicherheit bei dem schwindelhaften
Charakter nie. Aber das Werk als Ganzes ist als eines der wert-
vollsten Dokumente einzureihen in die Geschichte des späteren
Pelagianismus, die eigentliche Urkunde eines wichtigen Momentes
römischer und abendländischer Geschichte.
Man muss sich die ganze Aktion Julians auch kirchen-
politisch von Anfang an unter grossen Gesichtspunkten denken.
Er hat die Niederlage von 418 nur als eine vorübergehende an-
gesehen: Zosimus war gefallen, düpiert! Die Vertreter der recht-
1) Unsere Ansicht, dass der Autor jedenfalls dieses 1. Buches in Rom
zu suchen sei, könnte freilich zu gunsten der Angaben über (Soter und)
Sixtus ins Gewicht fallen. Aber dem hält wieder der andere neugefundene
Gesichtspunkt die Wage, dass dieser Autor doppelten Grund hatte, seine
Autoritüten unter früheren Päpsten zu suchen und seine eigene Recht-
gläubigkeit mit ihrem Namen zu schmücken.
Historischer Zusammenhang. Die Aktion Julian’s. 119
gläubigen Kirche unterwarfen sich nicht, sie wichen — in den
Orient, wie einst der arianische Streit die Alexandriner in den
Westen geworfen hatte. Der Orient, der sich 415 in Palästina
so verständnisvoll für Pelagius gezeigt hatte, in dem Origenis-
mus und alle Weisheit zu Hause war, musste mobilisiert werden.
Es ist doch offenbar ein ganzer Feldzugsplan entworfen worden,
wenn sich Valerian nach Alexandrien begiebt, Cyrill zu ge-
winnen,! er selbst mit anderen in Konstantinopel erst unter
Atticus, dann unter Nestorius Patriarch und Hof bestürmt und
er mit den Seinen sich an Rufus, den Metropoliten von Illyrien,
wendet, der wieder mit den Antiochenern in Verbindung stand,
vgl. Mansi IV, 1411. So hatten schon vorher Pelagius Palästina,
Caelestius Sizilien und Afrika heimgesucht. Mit den Antiochenern,
speziell ihrem Haupte Theodor v. Mopsveste, Fühlung zu suchen,
war nicht nur durch Julian’s Theologie indiziert, sondern auch
kirckenpolitisch klug, denn kein Gelehrter stand so ruhmvoll da,
wie Theodor, und keine Schule herrschte so unbedingt, wie die
antiochenische, deren Haupt er war. Als der bei erster Gelegen-
heit, Caelestin’s Thronbesteigung, unternommene Vorstoss gegen
den Westen, der erste Versuch der Restitution missglückt war,
424, ging Julian unverdrossen doch wieder an die Leute, die er
für die wichtigsten hielt. Aber Theodor’s Tod konnte durch
Nestorius’ Thronbesteigung in der östlichen Residenz nicht wett-
gemacht werden, Cyrill’s Stern stieg, es wurde zur falschen Seite,
wohin er sich gehängt, und er fiel mit den östlichen Bundes-
&enossen zugleich.
Allein während so im Osten alles trüäbe wurde, ward es in
denselben Jahren im Westen heller. Augustin’s Tod, Afrikas
Fall, Sixtus’ Thronbesteigung, die Wendung der römischen Politik
zu gunsten der Antiochener, die Schwankungen, denen die
Geltung der ephesinischen Synode überhaupt noch unterlag, vor
allem die prädestinatianische Überspannung der Gnadenlehre
Augustin’s und die darüber offenbar allenthalben ausgebrochene
Unruhe mussten einer Reaktion im Sinne Julian’s günstig sein.
---
1) Vielleicht schon 417, aber unter Zosimus --- vgl. das Schreiben des
Eusebius Cremonensis (?) an Cyrill bei Baronius ad a. 417, οἱ 15 (VII, 94),
dessen Echtheit allerdings Bedenken unterliegt, Tillemont, Me&m, XIII,
Wl2f, Caspari a. a. O. S. 346.
120 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus,.
Die Gewaltmittel, welche man in steigendem Masse während
der zwanziger Jahre gegen die Pelagianer im Westen angewendet
hatte — vgl. Alypius als Exekutor mit seinen 80 Reitern, Aug.
op. imp. 1, 41. 42 Ill, 35 — werden das böseste Blut gemacht
haben. Auch die Gegenmittel, Mittel der List und der Ver-
stellung, waren starke und gewaltsame. Wenn Grisar von einem
„anfänglichen“ Schwanken des Papstes redet, so kann er sich
dafür auf die Gunst der Situation berufen, die in diesen Jahren
besonders gross war. Die Angabe Prosper’s ad 439 deutet doch
darauf, dass die Gefahr der pelagianischen Restauration bis zu
Sixtus Tode hin anhielt und erst gegen Ende seiner Regierung
der Umschlag erfolgte. Wie weit diesen die Entdeckung des
Truges, den man in dem Praedestinatus gespielt, herbeigeführt
hat, wissen wir nicht.
Der Regierungswechsel bedeutete unter diesen Umständen
auch einen Wechsel in der dogmatischen Haltung. Der Archi-
diakon Leo, dessen überwiegendem Einfluss und feinem Ketzer-
spürsinn alte Kunde das Hauptverdienst daran zuschrieb, dass
Rom sich nicht zum zweiten Male grenzenlos blossstellte, wurde
auf den Stuhl gerufen, obwohl man ihn erst aus Gallien holen
musste. Hatte Prosper nicht schon seinen Wohnsitz nach Rom
verlegt, so wird er ihn jetzt begleitet haben (Bardenhewer).
Seine Stellung in Leo’s Umgebung — wenn sie feststeht — ist so
charakteristisch für diese Regierung wie die des Hieronymus für
die des Damasus. Mit Energie muss der neue Papst vorgegangen
sein: er zertrat die Häresie in Campanien, sagt Pseudo-Prosper, !
in Oberitalien suchte er ihre Nester auszukehren, ihre Verbände
zu zertrümmern (ep. 1 und 2), und im Kampf gegen Hilarius
von Arles, den „Semipelagianer“, mag auch das Dogmatische
ein Nebenmotiv abgegeben haben. Die Literatur wird er vor
allem zu vernichten gesucht haben, an der Spitze gewiss das
Lügenbuch, das seitdem in der Tat fast ganz verschwindet. Dass
sich unter ihm Julian noch einmal um sein Bistum bemüht haben
sollte, wie der als Schwindler vielfach entlarvte? Oratorianer
Vignerius aus alten Quellen zu wissen behauptete, ist an sich wenig
1) De promiss. et praed. dei IV, 612, Migne 51, 843.
2) Vgl. darüber namentlich J. Havet, Questions Merovingiennes
II. Les decouvertes de Jerome Vignier. 1885.
Leo I. und der Pelagianismus. Caelestin’s Brief. 121
laublich.! Der italische Pelagianismus, den wir in diesem letzten
Stadium (nach 431) weniger Semi- als Kryptopelagianismus
mennen können, war definitiv besiegt, wenn auch nicht er-
loschen.
Ich habe diese Entwicklung zu Ende geführt, um nun noch ein
Schriftstück von sehr erheblicher und bisher nicht ausreichend
gewürdigter Bedeutung zu besprechen, dessen Eingliederung in
den historischen Zusammenhang jetzt erst gelingen wird. Man
wird sich der Rolle erinnern, die der sehr verschiedener Aus-
legung fähige Brief Papst Caelestin’s an die gallischen
Bischöfe in der ganzen Diskussion spielte, man wird sich der
einseitigen Interpretation dieses Schreibens durch Prosper zu
gunsten seiner Position erinnern und der Auffassung, die denı-
gegenüber Vincentius Lerin. von diesem Briefe und die praefatio
des Praedestinatus von Caelestin’s eigentlicher Meinung vertreten
hatte. Die ganze Unsicherheit der Stellung Roms zur Frage
Augustin kam darin zum Ausdruck. Ein Buch wie der Prae-
destinatus, der durch Innocenz von Rom lediglich Pelagius und
Caelestius in der oben geschilderten Weise nach gewissen Spitzen
ihres Systems verurteilt sein lässt, von allem weiteren schweigt, über
die Episode Zosimus hinweggeht wie über Ephesus, und sich als
privilegierter Vertreter römisch-katholischer Orthodoxie aufspielt,
tat alles, um den Sachverhalt vollends zu verdunkeln. Die
Rettung aus diesem Wirrnis konnte nur darin gefunden werden,
dass Rom selbst wieder eine klarere Sprache redete, bestimmte
Äusserungen seiner eigenen Vergangenheit als normativ bezeichnete
und so die fehlende Interpretation der Bulle Caelestin’s selbst
gab. Nun ist eine solche Interpretation tatsächlich vorhanden
und seit dem Anfang des 6. Jahrhunderts untrennbar mit dem
1) Die Angabe hat allerdings einen Anhalt daran, dass der oben
zitierten Stelle Ps.-Prospers, d. h. eines Afrikaners, der das in Campanien selbst
erlebt hatte (nobis apud Campaniam constitutis), P. Leo bei seiner Zer-
tretung der Pelagianer „maxime Julianum“ traf. Der Florus, der in diesem
Zusammenhang als Volksverführer (bei Neapel) charakterisiert wird, ist
ον δ der (Genosse Julian’s. Er liess die Gebeine des ἢ. Sossius, die
nach Act. Sanct. Sept. Il, 762#f. 875. 879 in der Kirche zu Misenum, wo
Sossius Diakon gewesen war, aufbewahrt wurden, für sich zeugen (virtu-
tem et meritum 3. Sossii martyris sibi assignans) und musste mit Gewalt
vom Bruder des B. Nostrianus und dem Klerus von Neapel entfernt werden!
Das ist das Letzte, was wir aus dieser Gegend erfahren.
122 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Briefe selbst verbunden.! Dionysius Exiguus und die skythischen
Mönche fanden sie bereits vor, Petrus Diaconus bezeichnet sie
520 direkt als caelestinisch, durch die Einfügung in die Dekre-
taliensammlung kam das Ganze — die 3 Kapitel des wirklichen
Caelestinbriefes in 2 zusammengezogen mit den 9 Kapiteln
der „dogmatischen Denkschrift“ (compendiosus indiculus) —
am Schluss des 28. Dekretale zu kirchenrechtlicher Geltung.
Tatsächlich enthalten diese Kapitel, was die Überschrift in den
Rechtssammlungen besagt: auctoritates praeteritorum sedisapostoli-
cae episcoporum de gratia dei et libero voluntatis arbitrio, nämlich
in 6. 5—8 (4—7) vier Aussprüche Innocenz ]., drei an das kartha-
gische Konzil aus dem Jahre 417, einen an das Konzil von Mileve
aus dem gleichen Jahre, dazu zwei Stellen aus der epistula tractoria
des Zosimus von 418 (c. 9 und 10, bezw. 8 und 9). Dazu aber
werden dann cap. 11 (10) drei Dekrete der grossen Generalsynode
von 418, der 4., 5. und 6. (3., 4. und 5.) Kanon, gefügt, und endlich
cap. 12 und 13 (11 und 12) aus der kirchlichen Praxis der Li-
turgie, nämlich dem Kirchengebet und dem Taufexorcismus, ent-
scheidende Gründe gewonnen, die dann alle in cap. 19 (12b) zu
einem eigenen Schlussurteil über Gnade und freien Willen
zusammengefasst werden. In einer Einleitung (c. 6, bezw. 5)
wird Veranlassung und Zweck angegeben, in einem kurzen Schluss
(ec. 15, bezw. 13) das Eingehen auf die schwierigen Fragen ab-
gelehnt. Dass dieses Schriftstück unter Papst Symmachus (498
—514) als das für die Gnadenlehre entscheidende, die
Kämpfe abschliessende Dokument aus der Zeit Caelestin’s
im römischen Archiv lag, wenn es Dionysius in seine Samm-
lung aufnahm, ist geradezu selbstverständlich — darum es wenig
verschlägt, ob in dem Briefe des Papstes Hormisdas an Bischof
Possessor von 520 (Mansi VIII, 500) unter den expressa capi-
tula, die in seriniis ecclesiastieis aufbewahrt wurden und zeigten,
was die Romana hoc est catholica ecclesia de arbitrio libero et
gratia dei verfolgte und festhielt, diese unsere Kapitel zu ver-
stehen sind oder vielmehr jene, die der Synode von Oranges von
529 zur Unterschrift vorgelegt wurden. Darf man, wie ich
glaube, mit Arnold, Caesarius S. 335, A. 1104 u.a. der ersteren
Meinung sein, so würde aus dem Weiteren noch hervorgehen,
1) Coustant, epist. pontif. Rom. 1177ff.
Der dormatische Anhang zu Caelestin’s Brief. 123
dass der Papst eigentlich annimmt, der vertriebene Afrikaner
Possessor, der sich damals in Konstantinopel aufhielt, besitze
sie: „fehlen sie Dir und hältst Du sie für notwendig, will ich
sie Dir übermitteln“.
Dass diese Ergänzung zu Caelestin’s Brief in die zeitliche
Nähe desselben und in den Zusammenhang der sich damals ab-
‚spielenden Entwicklung gehört, ist ebenso allgemein anerkannt,
wie dass Caelestin selbst ihr Verfasser nicht sein kann. Hier
spricht einer wohl aus, was römische Wahrheit sei, aber ohne
selbst Papst zu sein, und dementsprechend vermag sich denn
auch Prosper in jenem Schlusskapitel seines Buches c. collatorem,
das nach Caelestin’s Tode geschrieben ist (s. oben S. 90f.), nicht
darauf zu berufen. Das Letztere verbietet auch die Annahme,
dass Prosper, den man in der Regel zum Verfasser, bezw.
Sammler macht, bei seinem ersten Aufenthalt in Rom 431 diese
Materialien gesammelt und mit dem Briefe zusammen nach
Gallien zurückgebracht habe — daraus sich dann das Zusammen-
wachsen der beiden Stücke erkläre. Wogegen schon die einfache
Tatsache spricht, dass dies Zusammenwachsen in Rom geschah
und sich hier im Archiv die Denkschrift fand. Auch weiss Vin-
@entius Lerin. comm. c. 32 (43) im Jahre 434 wohl vom ersten
Brief Caelestin’s, aber von dieser Denkschrift nichts. Prosper
müsste also diese wertvollen Materialien nur mitgenommen haben,
um kein Kapital aus ihnen zu schlagen. Darum meint Langen,
Gesch. d. röm. Kirche I, 829, dass die Denkschrift vielmehr
-später von Prosper gerade als Antwort auf jene Stelle in Vincenz
<ommonitorium abgefasst sei, da dieser aus dem Brief vielmehr
hherausgelesen habe, dass man sich mit der vetustas der katho-
lIischen Wahrheit gegen die novitates Augustins und seiner
Schüler zu wehren habe. So richtig der Gedanke ist, dass das
Schriftstück als Antwort auf pelagianisierende Interpretation des
Briefes aufzufassen ist, so wenig kann doch Prosper überhaupt
der Verfasser sein. Wenn auch kein Papst hier spricht, so liegt
darin doch ein offizielles Schriftstück der römischen Kurie von
autoritativer Sprache vor — es ist offenbar eine Denkschrift, die
für den Papst auf Grund des römischen Archivmaterials aus-
gearbeitet ist und, von jenem angenommen, zur Höhe einer nor-
mativen Äusserung gelangte. Es ist vollkommen unmöglich, dass
ein Prosper, wenigstens solange er noch nicht selbst am päpst-
124 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
lichen Hofe ein Amt bekleidete, wie vielleicht unter Leo, über den
Kreis der päpstlichen Äusserungen, die augenscheinlich nicht ge-
nügten, selbstständig hinausgreifen und die Entscheidungen der kar-
thagischen Synode von 418 kanonisieren konnte mit solchen Worten:
illud etiam quod intra Carthaginiensis synodi decreta constitutum
est, quasi proprium apostolicae sedis amplectimur — —,
c. 11 (10), vgl. 12 (11) Anfang: „Mit diesen unverletzbaren Ent-
scheidungen des heiligsten apostolischen Stuhles — —*. Aber
auch in seiner späteren Stellung könnte Prosper diese Kapitel
nicht zusammengestellt haben, in denen von der ganzen Prä-
destinationslehre gerade geschwiegen, ja am Schluss offenbar ein
Eingehen auf die damit zusammenhängenden Fragen abgelehnt
wird, als profundiores difficilioresque partes incurrentium quaestio-
num, nicht aus Verachtung, sondern weil es ad confitendam gra-
tiam dei nicht notwendig sei, womit zugleich die „Gegner der
Häretiker, die diese Fragen breiter, bzw. allzubreit, behandeln
(quas latius pertractarunt, qui haereticis restiterunt)“, eine Zurück-
weisung erfahren, also gerade Prosper und seine Leute. Es ist
der über oder zwischen. den Parteien stehende spezifisch rö-
mische Standpunkt, der sich auch hier kund tut und in der
Tat in der Linie der bisherigen Entscheidungen liegt, nämlich
Annahme der augustinisch-afrikanischen Position, soweit es die
Erbsündenlehre, die innerliche Wirksamkeit der Gnade, die gratia
praeveniens und cooperans anbetrifft, unter möglichster Abweisung
des Missverständnisses, als ob liberum arbitrium und meritum
damit hinfielen und wir ın sittlicher Trägheit aufhörten, „Mit-
wirker“ der Gnade zu sein, und unter Zurückstellung der
ganzen Prädestinationslehre wie der heikeln Fragen über concu-
piscentia und nuptiae, die die Laien erregten.! Das war ein Stand-
————.. . —
1) Ich sehe in den zusammenfassenden Sützen des Cap. 14 ein Meister-
stück diplomatischer. Dogmatik: His ergo ecclesiasticis regulis et ex divina
sumtis auctoritate documentis ita adjuvante domino confirmati sumus, ut
omnium bonorum affectuum atque operum et omnium studiorum omnium-
que virtutum, quibus ab initio fidei ad deum tenditur, deum profiteamur
auctorem: et non dubitemus, ab ipsius gratia omnia hominis merita prae-
veniri, per quem fit ut aliquid boni et velle incipiamus et facere. Quo
utique auxilio et munere dei non aufertur liberum arbitrium, sed liberatur,
ut de tenebroso lucidum — — —. Tanta enim est erga omnes homines bo-
nitas dei, ut nostra velit esse merita, quae sunt ipsius dona, et pro his
Der Anhang zu Caelestin’s Brief von Leo. 125
punkt, dessen Kontinuität sich von Innocenz L bis Hormisdas
allerdings nachweisen lässt, der sich mit „den heiligsten Über-
lieferungen des Stuhles Petri“ am ehesten deckte, den Brief
Caelestin’s mit seiner Zurückweisung der indisciplinatae quaestiones
nicht desavouierte und — die starke pelagianisierende Partei
schonte. ΄
Ist dieses kluge Schriftstück ! weder von Caelestin noch von
Prosper, aber unter Caelestin’s Nachfolger Sixtus verfasst, von.
einer autoritativen Persönlichkeit an der Kurie, aber nicht vom
Papste selbst, so kann der Verfasser in der Tat kaum ein an-
derer als der Archidiakon Leo sein, den schon Arnold 8. 338
als den intellektuellen Urheber und Inspirator Prosper’s ansah.?
Der hier vorgetragene Standpunkt stimmt mit dem, was wir
sonst über Leo’s „Augustinismus* wissen? Während sich in
seinen Schriften die Prädestinationslehre nie erwähnt findet, war
er inbezug auf das Verhältnis von Verdienst und Gnade, be-
sonders inbezug auf die gratia praeveniens, sehr empfindlich,
"wie der Brief an den Metropoliten von Aquileja vom Jahre 442
‘beweist. Hier 88} er pelagianische Häresie und verlangte un-
zweideutiges Bekenntnis. Man vergleiche die beiden Stellen im
Wortlaut:
ep. Ps.-Caelest. c. 14 (12b): Leon. ep. 153
— omnium bonorum affeetuum ÜOmnis itaque bonorum operum
atlque operum etomnium studio- donatio divina praeparatio est:
rum omniumque virtutum, qui- quia non prius quisquam justi-
bus ab imitio fidei ad deum ficatur virtute quam gratia, quae
tenditur, deum profiteamur auc- unicuique principium justitiae et
quae largitus est, aeterna praemia sit donaturus. Agit quippe in nobis,
ut quod vult et velimus et agamus: nec otiosa in nobis esse patitur, quae
exercenda, non negligenda donarvit, ut et nos cooperatores simus gratiae
dei. Ac si quid in nobis ex nostra viderimus remirsione languescere, ad
Allum sollicite recurramus, qui sanat omnes languores nostros et redimit
de interitu vitam nostram, et cui quotidie dicimus, ne inducas nos in ten-
tationem, sed libera nos a malo.
1) „Wir nehmen in ihr eine Umsicht, Mässigung und Vorsicht wahr,
@lie wir bei ihm (Prosper) nicht häufig antreffen“. Arnold 8. 337.
2) Übrigens nach dem Vorgang Paschasius Quesnel’s und Arendt's,
eo d. Gr., 1835, S. 200.
3) Ebenso Arnold a. a. O. S. 320.
126 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
torem: et non dubitemus ab bonorum fons atque origo meri-
ipsius gratia omnia hominis torum est. Sed ab istis ideo
merita praeveniri, per quem fit per naturalem industriam dici-
ut aliquid boni et velle inci- tur praeveniri — —
piamus et facere.
So erklärt sich auch aufs Leichteste, wie dieses Schriftstück zu
seiner späteren hohen Geltung gelangen konnte: es war von dem
‘Manne, der kurze Zeit darauf Papst wurde und zugleich den
Kampf gegen den Pelagianismus auf dieser Grundlage zu Ende
führte. Es ist mir nach dem angeführten Briefe wahrscheinlich,
dass Leo diese seine frühere Denkschrift wie eine neue epistula
tractoria an die Bischöfe als Massgabe für ihr Verhalten schickte
(vgl. die Erwartung des Hormisdas, dass Possessor sie besitze)
und von den verdächtigen Klerikern wie einst Zosimus Unter-
zeichnung derselben forderte, c. 2: „sie sollen plenis et apertis
ac propria manu subscriptis protestationibus aussprechen,
dass sie omnia decreta synodalia, quae ad excisionem hujus hae-
reseos apostolicae sedis confirmavit auctoritas, annehmen und in
allem billigen“.
Unsere Untersuchung gestattet uns aber, dem Schriftstück
noch eine genauere Beziehung auf den Versuch des Julian unter
Sixtus Ill. und den Praedestinatus zu geben. Das wird der An-
teil oder ein Stück des Anteils sein, den Leo an der Enthüllung
des Truges nahm, nach jener alten Nachricht bei Prosper. Nicht
nur, dass wir hier die authentische Interpretation speziell zu
Caelestin haben, die der Fiktion im Prolog des Praedestinatus
sich entgegenstellte, die Einleitung der Denkschrift versteht sich
auch am besten, wenn man dabei nicht nur an Cassian’s 13. Col-
latıon und das Commonitorium des Vincenz denkt, sondern
die ganze Lage, speziell den viel wichtigeren und gefährlicheren
römisch-italischen Vorstoss, wie wir ihn kennen gelernt haben,
im Auge hat: quia nonnulli qui catholico nomine gloriantur, in
damnatis haereticorum sensibus seu pravitate sive imperitia de-
morantes, piissimis disputatoribus obviare praesumunt et, cum
Pelagium atque Caelestium anathematisare non dubitant, magistris
tamen nostris, tanquam necessarıum modum excesserint, oblo-
quuntur eaque tantummodo sequi et probare profitentur, quae
sacratissima beati apostoli sedes Petri contra inimicos gratiae
Die dogmatiısche Denkschrift Leo’s und der P’racdestinatus. 127
«lei per ministerium praesulum suorum sanxit et docnit: neces-
sarium fuit diligenter inquirere etc.
Hier wird also den Leuten der Weg verlegt, die, wie der Ver-
fasser des Praedestinatus, Pelagius und Caelestius mit dem Anathem
zu belegen keinen Anstand nahmen, aber in der Gesinnung der Hä-
retiker verharrrten, anerkannte Lehrer, wie Augustin, zwar nicht
verwarfen, aber einen Teil ihrer Ansichten als Übertreibungen
beiseite schoben und sich für das alles mit dem katholischen
Namen, der römischen Tradition und den Kundgebungen der
früheren Päpste deckten. Auch die in den darauffolgenden
Kapiteln gegebene Auswahl, namentlich aber das Kapitel 14 (12b),
in dem der Verfasser seine eigene Meinung zusammenfasst und
das oben S. 124, A.1 seinem wesentlichen Inhalt nach wörtlich mit-
geteilt war, lässt sich wohl verstehen als im besonderen Hinblick
auf die Ansichten geschrieben, die in dem grossen Hauptteil des
Praedestinatus IIl, 8—24 zutage getreten waren, während sich die
Nichtberücksichtigung des Anfangs- und Schlussteils aus der
eigenen Stellung zu diesen quaestiones indisciplinatae erklärt. Ich
weise dabei noch besonders darauf hin, dass dem steten Hinweis
des Praedestinatus auf das liturgische Tun des Priesters bei der
Taufe und der Busse für das Vorangehen der voluntas hominis _
hier der einigermassen überraschende Hinweis Leo’s (dessen litur-
gische Interessen auch sonst bekannt sind) auf das allgemeine
Kirchengebet und die Taufexoreismen für das Vorangehen der
Gnade (nach August. de praed. sanct. 8ı und de pece. orig. 1],
40 45) entspricht.
Zugleich gewinnen wir, da keinenfalls diese Konstitutionen
dem Praedestinatus vorangegangen sein können, jene aber 434
dem besonders interessierten Vincentius Lerinensis noch nicht
bekannt waren, für den Praedestinatus und den damit zusammen-
hängenden Putsch Julian’s einen Termin nach 434, also in der
=. Hälfte der Regierung Sixtus’ Ill, was mit der Angabe Prosper’s
=usammenstimmt. Endlich belehrt uns das Dokument des Sieges,
Qass dieser selbst nicht durch jähen Umschlag und Herauskehren
es anderen Extrems erworben wurde, sondern durch kluge
Mässigung, fast können wir mit Rücksicht auf den Schluss
sagen, durch Kompromiss, gewiss auch ein neuer Beweis für die
Stärke der gegnerischen Position. Die Niederlage Julian’s ist
wnit der Geltung Prosper’s durchaus nicht identisch. —
128 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus. »
Diese Sachlage allein erklärt es, dass trotz des gewaltigen
Eindrucks, den die Regierung Leo’s namentlich im Abendland
hinterliess, der kirchliche Kryptopelagianismus nicht ausstarb.
Er verlegte nur sein Hauptquartier nach Gallien, wo er ın
Faustus von Reji, dem britischen Landsmann des Pelagius,
ein neues Schulhaupt erhielt. Unter den fabelhaften Nachrichten
des Vignerius über Julian’s Endschicksale hat diejenige, dass er
aus Italien abermals vertrieben! und im Osten verflucht, sich
nach Lerins unter den Schutz des damaligen Abtes Faustus ge-
stellt habe, am meisten innere Wahrscheinlichkeit. Dann wäre
eine direkte Beeinflussung des Faustus durch den unermüdlichen
Verteidiger des freien Willens sehr wahrscheinlich. Denn in
der Tat ist die Theologie des Mannes, der in der Zeit Bischof
wurde, als Leo von der Bühne dieses Lebens abtrat, von der-
jenigen, die im Praedestinatus vertreten ist, also, wenn wir so
sagen dürfen, von der Julian’s in seinem letzten Stadium nur
wenig verschieden.
Mir scheint, dass man, wie man die äussere und innere
"Weiterentwicklung des italischen Pelagianismus über 418 hinaus
bisher kaum verfolgt hat,? so auch inbezug auf die uns in
Gallien entgegentretenden Formen und Phasen einiges schärfer
fixieren und zwischen den verschiedenen Arten des sogenannten
Semipelagianismus unterscheiden müsse. Wir haften meines Er-
achtens hier noch zu sehr an der. literarischen Oberfläche der
Erscheinungen, und es ist üblich — wobei ich die eigene Be-
handlung des Stoffes, Lehrbuch I, 637 ff., leider nicht ausnehmen
kann — an die Verurteilung des Pelagianismus zu Ephesus das
Stadium der „semipelagianischen Streitigkeiten“ mit Cassian von
Massilia als Haupturheber anzuknüpfen, ihm Prosper gegenüber-
zustellen und dann die Lücke bis zu Faustus mit den drei gleich-
mässig nach Gallien gesetzten Schriften des Vincenz von Lerins,
des Anonymus de vocatione gentinm und des Praedestinatus
1) Möglicherweise erst Anfang der 40er Jahre, s. ob. 8. 121, A.1.
2) Kann man angesichts dieser Entwicklung es noch ohne Einschrän-
kung als das besonders Denkwürdige an diesem Streit bezeichnen, dass die
abendländische Kirche den Pelagianismus so rasch und so bestimmt ab-
gelehnt habe (Harnack DG?3 III, 157)? Und bedarf nicht auch der vorher-
gehende Satz Harnack’s von dem wesentlich literarischen Charakter des
Kampfes und seinem Mangel an Hauptaktionen wenigstens einer Limitierung Ὁ
Weiterentwicklung. Faustus von Reji und der Praedestinatus. 129
auszufüllen. Es liegen aber gewisse innere Entwicklungen und
Nuancen vor, auf die es in Italien wie Gallien zu achten gilt.
Schon beim reinen Pelagianismus ist zwischen dem ursprüng-
lichen mönchisch-asketischen Stadium, das Pelagius selbst reprä-
sentiert, und dem weltlich-klerikalen des Julian zu unterscheiden. !
Dieser offene Pelagianismus oder Anti-Augustinismus war ja nun
überall unmöglich geworden. Insofern ist alles fortan „Semipela-
gianismus“, mochte man mehr mönchisch wie Cassian und Arnobius
oder mehr klerikal, wie die Verfasser des Praedestinatus emp-
finden. Aber den Namen eines halben Pelagianismus trägt
doch eigentlich nur die Form zu Recht, in der er bei den ersteren
erscheint. Es mag mit dem Wesen des mönchischen Lebens
zusammenhängen. Wie das Mönchtum überhaupt trotz seines
Moralismus eine Tendenz in sich trägt, über diesen und damit
sich selbst binauszuwachsen, so Öffnen die Erfahrungen, die der
einsame Ringer in der Zelle macht, das Herz offenbar leichter
für die Anerkennung angeerbten Sündenhanges und für das Be-
dürfnis innerlicher, persönlicher, unmittelbarer Gnadenwirkung
als die Erfahrungen, die der berufsmässige Verkünder und Ver-
walter der objektiven kirchlichen Gnadengüter bei ihrer Appli-
kation in der Ausübung seiner priesterlichen Herrlichkeit macht.
Auch der Bischof Julian war zweifellos „pelagianischer“ als der
Mönch Pelagius selbst gewesen. Die mönchisch-asketische Denk-
art, die im Psalmenkommentar des Arnobius uns entgegentrat,
stand, wie wir sahen, trotz einzelner krasser Äusserungen der
augustinischen Gnadenlehre innerlich viel näher als die des Prae-
destinatus, dessen dogmengeschichtliche Bedeutung ich
vor allem darin sehe, dass er zuerst das Kunststück ge-
zeigt hat, wie man scheinbar kirchlich-augustinisch
lehren und im Grunde doch ganz pelagianisch bleiben
kann, wenn man nämlich das Klerikale und Sakramen-
tale in den Vordergrund schiebt. In Gallien liegen wenig-
stens für unsere Augen die Nuancen hintereinander.
Das Stadium des Mönchsvaters Cassian wird abgelöst durch
das des Faustus, der seine Gnadenlehre ausführte, nachdem er
15 Jahre auf dem Bischofsstuhl 5495. Harnack hat (8. 233 f.)
mit Recht das Mönchische hervorgehoben, das der frühere Abt
1) Val. auch Harnack, DG3 III, 105 A.5.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4. 9
130 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
von Lerins in sein späteres Leben, auch in seine Gnadenlehre
mitgenommen hat. Dennoch, ist es nicht andererseits auf den
Einfluss seines Amtes zurückzuführen, wenn er die innerliche und
unmittelbare Gnade zur mittelbaren d. h. in Predigt, Zucht und
Sakrament durch die Kirche vermittelten veräusserlicht? In
diesem Sinne als allgemeine Gnade bleibt sie dann praeveniens
— wie ım Praedestinatus. Hat dieser zwar nicht Leo, auch nicht
die Jansenisten des 17. Jahrhunderts, aber doch viele Katholiken
und Protestanten zu täuschen gewusst, so hat auch der kirch-
liche oder Kryptopelagianismus des Faustus Rejensis damals und
vielfach auch heute noch viele über seine eigentliche Stellung
getäuscht. Es ist sehr seltsam anzusehen, dass 50 Jahre, nach-
dem der Angriff Julian’s abgeschlagen war, eine Anschauung, die
sich auf dem direkten Wege zu ihm befindet, von den gallischen
Synoden als die orthodoxe betrachtet wird und ein gelehrter
Presbyter in Massilia unter Hieben auf Augustin und Prosper
und Lobsprüchen auf Faustus den Satz unter die dogmata eccle-
siastica aufnimmt: manet itaque ad quaerendam salutem arbitrii
libertas id est rationalis voluntas, sed admonente prius deo
et invitante deo, ut γε] eligat vel sequatur vel agat occasione
salutis, hoc est inspiratione dei!
Und wenigstens in Oberitalien ist die gleiche Anschauung
keineswegs erloschen.?2 B. Ennodius v. Ticinum stand ihr nicht
fern, in Dalmatien ist pelagianische Häresie Ende des 5. Jahr-
hunderts zu konstatieren (Gelasii ep. 5), in Picenum hat sogar
ein greiser Bischof Seneca — denn dass er trotz der masslosen
Ausdrücke, mit denen ihn Gelasius bedenkt, Bischof war, folgt aus
der Ausschliessung eines Presbyters durch ihn und der Beschul-
digung, er habe die klerikale Zucht lockernde Gesetze gegeben —
mit rein pelagianischen Sätzen über die Seligkeit ungetauft ver-
storbener Kinder und die Sufficienz des freien Willens und der
natürlichen Kräfte zur Erlangung des Heils, die er auf einer
Synode unter scharfen Worten auf Augustin und Hieronymus
1) Gennadius, dogm. 666]. 21. — Vgl. Möller-v. Schubert 1, 641f.
2) Auffallend ist doch auch, dass Leo’s Nachfolger, Hilarus (461—68),
ein intimer Freund des Leontius v. Arles war, der als eine der stärksten
Stützen des Semipelagianismus in Gallien gelten muss (s. ob.). War nach
Leeo’s Tode wieder ein Schwanken eingetreten?
Weiterentwicklung im 5. Jh. Gelasius. 131
vortrug, grossen Eindruck gemacht und lebhafte Zustimmung
gefunden, so dass der Papst die ganze Provinz für verseucht
erklärt (Gel. ep. 6, nam. 6»). In dieser Zeit ist vermutlich auch
der Zusatz zu Augustin’s de haeresibus gemacht, den Hinkmar
von Rheims de praed. 1 und nach Sirmond’s Zeugnis (hist.
Praed. 5) gleichfalls eine alte Handschrift von St. Victor in Paris
wohl mit Unrecht dem Gennadius! zuschreibt, und der, wenigstens
in diesen Quellen, ausser den Nestorianern, Eutychianern und
Monophysiten (Timotheanern) die Praedestinati oder Praedesti-
nmatiani bespricht. Hier taucht also auch der aus dem liber Prae-
destinatus bekannte Ketzername auf, doch ist bei aller sachlichen
Berührung in der übrigens kurzen Charakteristik der Häresie
Bekanntschaft mit unserem Buche anzunehmen nicht notwendig:
der Verfasser kann neben Prosper an die neuere Erschei-
nung des schroffen Praedestinatianers Lucidus in Gallien ge-
dacht haben.
In diesem Lucidus kündigt sich die grosse augustinische
Reaktion, die gegen Faustus und seine Richtung nicht aus-
bleiben konnte, an. Er wurde noch leicht zum Verstummen ge-
bracht. Aber der erste wuchtige und erfolgreiche Angriff erfolgte
vonseiten des PapstesGelasius (492—96), eines Afrikaners, in dreier-
lei Weise: 1. er ging mit grösster Schärfe gegen die picenischen und
dalmatinischen Bischöfe vor (ep. 4—6), 2. er griff zur Feder und
klärte durch einen heftigen Traktat über den Pelagianismus
(Migne 59, 116ff.) auf, 3. er überarbeitete — vielleicht — den
grossen Pauluskommentar des Pelagius, in dem man mit Recht
mE
1) Die eigene Angabe des Gennadius am Schluss seines Katalogs, dass
er 8 BB contra omnes haereses "geschrieben habe, mag die Veranlassung
Zegeben haben, ihm diesen kleinen Anhang zuzuschreiben. Übrigens ist
eg müssig über die Entstehung dieser allmählich wachsenden Zusätze viel
zu sagen, so lange das handschriftliche Material nicht vorliegt. Es sei
aur darauf hingewiesen, 1. dass der Indiculus Pseudo-Hieronymi de haere-
8ibus, den H. Menard, Paris 1617 (= Oebler I, 280ff.), aus einer alten Hs.
&dierte, zu diesen 4 Häresien, deren Zusammenstellung vielleicht demselben
Pariser Codex entstammte, aus Isidor Hisp. de haeresibus die Häresien
83. 67—69 und den Anfang des Schlusses fügte; 2. dass in anderen Hand-
schriften des Augustin-Anhangs gerade die Praedestinati fehlen; 3. sie da-
gzegen auch wieder in anderen Hss, z.B. dem Florentinus, welcher den Prosper
enthält, sich finden, 5. Mommsen, Mon. Germ. auct. ant. IX, 359. Das
Beste immer noch bei Walch V, 2361}
9*
132 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
eine Wurzel alles Übels und ein Arsenal für die Gegner sah, in
‚antipelagianischem Sinne, s. Zimmer, Pelagius in Irland, S. 136.
205.208. Dagegen sind die Namen des Cassian und Faustus gewiss
erst von Hormisdas auf den Index gesetzt, im Dekret de libris reci-
piendis. Es bedurfte erst eines Anstosses aus dem Osten, vonseiten
der skythischen Mönche, die auf den alten Zusammenhang zwischen
ketzerischer Soteriologie und Christologie hinwiesen, einer Aufer-
stehung augustinischer Theologie in Afrika, in Fulgentius von
Ruspe, einer Reaktion in Gallien, ja in Lörins selbst, in Caesa-
rıus von Arles, dem früheren Lerinenser Mönch, um in dem Jahr-
zehnt 519—529 die augustinische Reaktion zu vullenden, Ihr
Sieg hängt gewiss mit der fortschreitenden Vermönchung zu-
sammen, deren Typus Fulgentius selbst ist. Zu den obenge-
nannten Motiven, die den ernsten Mönch für die Innerlichkeit
der augustinischen Gnadenlehre empfänglich machen, tritt das
vernichtende Urteil über die Geschlechtslust!, das besonders die
Position des grössten Pelagianers, Julian, traf. Damit waren
auch Gedanken, wie sie im Praedestinatus vertreten waren, defi-
nitiv gerichtet.
Wieder aber war der Sieg Augustin’s kein Sieg seiner Prä-
destinationslehre. Für diese gilt immer noch das alte: quaestionis
res est, non haeresis. Wie der Indiculus Leo’s im Anhang zum
Caelestinbrief und unter Zurückbeziehung auf diesen scheidet
Hormisdas diese Fragen aus: quid ergo calumniantibus opus erat
extra constitutos ecclesiae terminos porrigere quaestiones et de
his quae habentur dicta quasi dicta non sint movere certamina,
cnm christiana fides canonicis libris et synodalibus praeceptis et
patrum regularibus constitutis stabili et inconcusso termino limi-
tetur (Mansı Υ11|, 499 £)? Das Glaubensbekenntnis der gallischen
Bischöfe zu Oranges, das von der Praedestination schweigt, vor
allem die Aufnahme jenes Indieulus, der nur die römische Posi-
tion von 418 vertritt, incl. seiner Ablehnung der weiteren quae-
stiones am Schluss, in die päpstlichen Dekretalien, diese beiden
Fakta der Dogmengeschichte, von denen das zweite immer
übersehen wird, sind entscheidend für die Umgrenzung dessen.
1) Siehe den Brief P. Anastasius’ II. an die gallischen Bischöfe von
495, auf den Arnold ]. c. S. 322 mit Recht aufmerksam macht. Zum
Ganzen vgl. Harnack, Dogmengesch. 8 III, 234 ff.
Abschluss im 6. Jhd. Gottschalk und der Praedestinatus. 133
was vom Augustinismus als Kirchenlehre in das Mittelalter
überging. Damit ist an dem einzig möglichen Massstabe die
alte Streitfrage, ob es schon am Ausgang der alten Kirche eine
„Sekte der Praedestinatianer“ gegeben habe, zu Ungunsten
Hinkmar’s, Sirmond’s und aller ihrer Nachfolger entschieden: die
augustinische Praedestination wurde, namentlich wenn sie in ihren
Konsequenzen vorgetragen wurde, von den pelagianisierenden
Kreisen zwar als Häresie empfunden, die Weisheit des römischen
Stuhles aber behandelte beharrlich diese Fragen als offene, nicht
unter die Zucht genommene und leicht zur Zuchtlosigkeit
führende indisciplinatas quaestiones.
Aber sie mussten ja wiederkommen. Ist es Zufall, dass der
deutsche Mönch Gottschalck in den dreissiger Jahren des 9, Jahr-
hunderts zuerst in Italien sich zur Verkündigung seines Evan-
geliums von der Prädestination veranlasst sah, und zwar in
der Ecke, da um Aquileja der „Vater des Pelagianismus“ Rufin
zu Hause war und sich die Häresie besonders heimisch gezeigt
hatte? DB. Noting von Verona (Brescia) und Graf Eberhard von
Friaul sind die ersten Namen, die uns in diesem Streit begegnen !.
Damals tauchte zuerst der liber Praedestinatus wieder auf:
der gelehrte Mönch Reginbert von Reichenau schrieb vor 842 ihn
recht schlecht aus einem Codex ab, der vielleicht aus Monte-
Cassino stammte (s. Anhang). In dem mit Fulda so nahe ver-
bundenen Kloster mochte durch Gottschalck’s Sache das Inter-
esse für diese Fragen schon geweckt sein: eben 842 wurde Gott-
schalck’s Freund Walafrid Strabo Abt von Reichenau. Der Mönch
Reginbert sah, so wenig er davon verstand, doch mehr das Gift
auf der Seite der Prädestinatianer als der des Pelagianismus, er
fügte beim Übergang zum 3. Buch die im Remensis fehlenden
Worte hinzu: qui ipsum librum legit usque dum catholicum in-
eipiat, caute legat propter venena serpentis (8. ob. S. 6A 1.).
Kurze Zeit darauf hat der grosse Erzbischof von Rheims, der
als Gottschalck’s Gegner sich so klein erwies, am Anfang seines
1) 8. Rabanı Mauri ep. 5 und 6 bei Migne 112, 1530—1562; Godescalci
carmina 4—6 in Mon. Germ. poet. lat. aev. Carol. III, 11ff.; vgl. Frey-
stedt, Studien zu Gottsch.’s Leben und Lehre, Zeitschr. f. Kirchengesch.
1398, 8, 1608..; Hauck, Kirchengesch. Deutschlands II2, 653; Dümmler
in Mon. Germ. ]. c. p. 712.
134 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Werkes über die Prädestination auf unser Buch verwiesen und
verraten, dass er einen alten Codex in Rheims besitze, darin
es stehe.
Doch hat er es nur flüchtig angesehen, den Hygin nach
der Überschrift des 1. Buches für den Verfasser gehalten und
kaum benutzt — wie wir auch bei Rabanus Maurus, dem
anderen Todfeind Gottschalck’s, so oft er sich über den Gegen-
stand äussert, Benutzung des Buches nicht nachweisen können.
Die ganze Sache mochte doch zu plump sein. Das Buch ver-
schwindet wieder.
Erst den Jesuiten des 17. Jahrhunderts war es vorbehalten,
dies Schriftstück, das eine Düpierung des heiligen Stuhls be-
zweckte, zu entdecken, und als eine Waffe im Kampfe gegen den
neuen „Augustinus“, Cornelius Jansen, sein Buch und die an
ihn sich knüpfende Bewegung, zu schwingen. So hat die Mühe
Julian’s und seiner Freunde einen späten Lohn getragen: sie
fanden schliesslich ihre Leute,
Anhang. Codex Augiensis. Reginbert. 135
Anhang
über den Codex Augiensis CIX s. IX.
Der jetzt in der Karlsruher Hof- und Landes-Bibliothek be-
findliche Codex, der mir freundlicherweise eine Zeitlang über-
lassen wurde, verdient noch ein kurzes Wort.
Vorangeschickt mag die Bemerkung werden, dass er von
Reginbert!, der übrigens offenbar kein Griechisch konnte und
dessen Latein starke Mängel zeigt, selbst abgeschrieben ist, laut
der Eintragung auf der Vorderseite des 1. Blattes:
In nomine dei patris et filii et spiritus sancti. A et ὦ.
Hune codicem ego reginbertus scriptor
seruorum dei seruus . cum permissu et uolun
tate seniorum . ad seruitium dei et sanctae mariae
ceterorumque sanctorum quibus in auua seruiunt
meo studio et labore confeci .
Es folgt darauf unter der Überschrift Metrum hiroicum
exametrum die hübsche poetische Mahnung an etwaige Entleiher
des Buches, die sich auch in anderen Codices seiner Hand findet
1) Reginbert’s Bedeutung als Lehrer und Bibliothekar des Klosters
Reichenau muss recht erheblich gewesen sein. Grimald, Tatto, Wala-
frid Strabo, seine Nachfolger im Lehramt, waren seine Schüler, die ersteren
besingen ihren praestantissimus et ineffabili dilectione nominandus prae-
ceptor als flos juvenum, forma speciosus amoena, der letztere bekennt sein
Werk de rebus eccles. seiner Anregung zu verdanken (Mon. Germ. poet.
lat. aevi Car. II, 417. 425). Die grössten Verdienste hatte er um die Ver-
mehrung der Bibliothek, 8. Neugart, ep. Const. 1, 1, 152£., Wattenbach,
Gesch.-Q.6 I, 276; Hauck, Kirchengesch. Deutschlands 2 II, 615f. Da
er die Reihe der Äbte, unter denen er Bücher abgeschrieben, mit Ruadhelm
schliesst, habe ich 842 oben als terminus ad quem für unseren Codex an-
gegeben. Reginbert starb 846.
136 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
und bei Neugart, ep. Const., I, 1, 152f. und Dümmler, Mon.
Germ. poet. lat. aevi Car. Il, 424 abgedruckt ist.
Die Abschrift des Praedestinatus, der den Anfang macht
(— fol. 39a Mitte), ist oben besprochen.’ Darauf folgt ein Stück
(— fol. 43b) das die Überschrift trägt:
Incipit libellus de anima (sic) ratione Horosii (in Horosio
korrigiert) inter Hieronymum et Augustinum conpilante
(sic).
Dies Stück hat direkt garnichts mit der Schrift des Rabanus
Maurus de anima, die ganz auf Cassiodor's gleichnamigem Traktat
ruht, zu tun — wie ich in der Anmerkung meines Lehrbuches
S. 640 zur Frage stellte. Indirekt nur insofern, als beide auch
augustinische Anschauungen verarbeiten. Vielmehr ist unser
Libell identisch mit dem unter den Werken des Hieronymus
tradıerten 37. Brief. dem anonymen dialogus sub nomine Hiero-
noymi et Augustini de origine animarum, Vallarsı X], 2, 337 ff..
Migne 30. 261 ff. Die Version ist wesentlich schlechter als die
dem Texte bei Vallarsi zugrunde liegt, wie folgender Anfang
einer Kollation zeigen mag:
337,E, 3 miror ; f. 395 miro — 3. cur! ut — nnuli! ri-
voli — 4. haurire aurire — nitores' nittores — 5. medentes'
medentis. — F, 1. Örigenes ; Origenis — proprie ; propropriae —
2. anima , animae — 6. ipsis corporis ' ipsius corporibus — 8. et
hoc ipsum : om. — 338, A, 3. praedicatione_ praedicationem etc.
Die Behauptung, dass die Schrift von Orosius sei, ist eine
Parallele zu den oben erwähnten von der Autorschaft des Pri-
masius für den Praedestinatus und des Gennadius für die Fort-
setzung des augustinischen Ketzerkatalogs. Man hat entfernt
——
1 Ich trage hier noch nach, dass die Überschrift opus Primasii dis-
cip. Aug. zwar sicher von Reginbert's Hand stammt. aber da sie in seinem
Register (bei Neugart 220.549 sich noch nicht findet und wie später
vorgesetzt auxieht. wohl später von ihm eingetragen ist. — Ferner möchte
ich noch erwähnen. dass sich unter dem ältesten Besitztum der Reichenauer
Bibliothek als Hauytstück eines praegrandis liber jetzt cod. Aug. ΧΧΧΙΙ,
zwischen S35 und 4? geschrieben‘ auch Akten des PFrocessur und Martini-
anus befanden. Neugart l.c. M7, Becker. catal. bibl. antiq. S. 19, 1585.
Nach einer gütiren Mitteilung von Dr. & Ho!ier sind se identüsch mit
A Sanet I. ΔῸΣ ἃ οὐ Ὁ Über Eueliuas ἌΓΩΣΙ a noch Mone.Q.-S. 1, δῖ.
Anhang. Codex Augiensis. Anonymus de origine animarım. 137
läuten hören und meint nun zu wissen, wo die Glocken hängen.
Es wäre an sich gar keine Unmöglichkeit, dass Orosius de ori-
gine oder ratione animarum geschrieben haben würde und zwar
gerade als Vermittler zwischen den Ansichten der beiden grossen
abendländischen Kirchenlehrer. Kurz nach 410 wandte sich der
Tribun Marcellinus an Hieronymus mit der Bitte, ihn über diese
Fragen aufzuklären: dieser verwies ihn auf seine Darlegung in
der Schrift gegen Rufin, die im Besitz des Oceanus sein müsse,
und auf die mündlichen Belehrungen Augustin’s (inter Aug. ep. 165).
Marcellin wandte sich schriftlich an den letzteren, die Antwort
ist Augustin’s 143. Brief vom Jahre 412. Unterdessen hatte der
pelagianische Streit mit seiner Frage der Verdammlichkeit unge-
taufter Kinder dem Problem eine neue Wendung und neue Nahrung
gegeben, der zwischen Traducianismus und Creatianismus schwan-
kende Augustin, der sich mit Hieronymus nicht ganz eins wusste,
benutzte 415 den Orosius, ihm einen langen Brief de origine
animarum an Hieronymus mitzugeben (ep. 166), doch entschuldigte
sich dieser, dass er zur Zeit nicht antworten könne (inter Aug.
ep. 172). Der zurückgekehrte Orosius hat Augustin mündlich be-
richtet. Unter Beziehung auf die ihm bekannten Meinungen des
Hieronymus schrieb Augustin 416 seinen (180.) Brief an Oceanus.
Nachdem Augustin 418 ‚noch den Lehrbrief an Bischof Optatus
(ep. 190) über den Gegenstand geschrieben, fasste er in dem
vwierbändigen Werk de anima et ejus origine 419 seine Ansicht
zusammen. Dass ÖOrosius der gegebene Mann gewesen wäre,
um etwa in Form eines Wechselgesprächs die Meinungen der
beiden Kirchenlehrer vorzuführen und so die Lücke zu ergänzen.
die das Ausbleiben der hieronymianischen Antwort auf Augustin’s
ausführliche Anfrage von 415 veranlasste, wer wollte es leugnen!
Freilich konnte eben dieser Sachverhalt auch einen anderen Autor
veranlassen, die Lücke in seiner Weise auszufüllen, und wiederum
einen späteren Abschreiber verführen, dann doch den Namen des
Orosius als des mutmasslichen Autors darüberzusetzen. So ist
es tatsächlich geschehen. Das Wechselgespräch zwischen Au-
gustin und Hieronymus, das im zweiten grösseren Teil unserer
Schrift vorgeführt wird, verrät nichts von persönlicher Berührung
mit jenen beiden, ist vielmehr mosaikartig zusammengesetzt, was
Augustin anbetrifft, wesentlich aus ep. 166, in zweiter Linie 180,
was Hieronymus, wesentlich aus den beiden obengenannten
138 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Briefen, dazu einiges Flickwerk — welche Methode denn auch
zum Schluss der Autor unbefangen zugibt. Konnte schon Oro-
sius über die Beiden so nicht sprechen, wie er es hier zum
Schluss tut, verfügte er auch über die Kenntnis des Griechischen
nicht, die im einleitenden Teil behauptet wird (quae de Grae-
corum mutuavi fontibus), so schliesst die Stelle, wo er in dieser
Einleitung zuerst auf Augustin zu sprechen kommt (bei Migne
30, 263CD), die Autorschaft vollends aus. Nicht nur, dass er
Augustin 8 statt 4 Bücher über die Seele schreiben lässt, er be-
kundet auch, dass seine persönliche Kenntnis über Augustin’s
Meinung ihm durch einen Bischof Gaudiosus geworden sei.
Augustin habe zwar mit Worten in dem genannten Werke die
creatianische Ansicht des Hieronymus geteilt, sei aber doch um
der Erbsündenlehre willen dem Traducianismus in seinen Argu-
menten geneigt erfunden worden: hujus assertionibus beatus
Gaudiosus episcopus, animarum et corporum promptissimus me-
dicus, nostrisque temporibus vivus (so unsere Handschrift, sicher
richtiger als Vallarsi >unus<) martyr, cum nobiscum collogquium
familiariter habuisset, per totam orationis suae seriem eviden-
tissimis approbationibus usus est.
Diese bisher überhaupt nie verwertete Stelle verdient genauere
Beachtung, weil sie die einzige ist, die uns über den wirklichen
Autor einiges Licht geben kann. Über einen Bischof Gaudiosus
enthält sie die älteste Nachricht. Der Heiligenkalender kennt
zwei heilige Gaudiosus, die uns beide nach Süditalien in die
Gegend von Neapel führen. Von diesen beiden kann der S. Gau-
diosus Salernitanus, dessen Gedächtnis am 26. Oktober gefeiert
wird, nicht in Betracht kommen, er war kein Märtyrer, die beiden
Legenden, die wir von ihm haben, tragen ganz typischen, jedes
konkreten Inhalts entbehrenden Charakter. Dagegen dürfte der
andere uns die rechte Spur zeigen. Die Quelle der späteren
Legende ist der Satz des Martyrologium Romanum: Neapoli
S. Gaudiosi, episcopi Africani, qui ob persecutionem Vandalorum
in Campaniam veniens in monasterio apud eandem urbem sancto
fine quievit. In diesem Kloster war später Agnellus Abt; in
dem Fragment der vita Agnelli, das Baronius mitteilt, heisst
es: Agnellus abbas electus in monasterio quod beatus Gaudiosus
cognomento Septimus Caelius, sanctae Bitinensis (wohl = Abi-
tinensis in der Proconsularis) ecclesiae pontifex in Africa, condere
Anhang. Codex Augiensis. Gaudiosus,. 139
studuit in hac Parthenopea civitate eo tempore quo ex Africae
partibus advenit cum sancto Quodvultdeo (dem B. von Kar-
thago) et caeteris praesulibus fugiens persecutionem Vanda-
lorum, also 439£., vgl. L. Schmidt, Gesch. der Vandalen, Leipzig
1901, S. 68f. und Ruinart, Comm. hist. in hist. Vand. comnı.
(bei Migne 58, 405 1), der das Ausführlichste über Gaudiosus
bringt, doch auch ohne Kenntnis unserer Stelle (ebenso wie
Forcellini im Onomasticon). Die Legende (Act. Sanct. Oct. XI,
906 fl.) weiss dann von ihm namentlich zu erzählen, dass der in
jener Verfolgung vertriebene Africanus confessor in das Kloster,
das er in Neapel baute, das wunderwirkende Blut des Stephanus
gerettet habe. Seinen Tod setzte man nach 450. Auf ihn be-
zieht sich vielleicht die verstüämmelte Grabschrift, die Baronius
im ältesten coemeterium Neapels las, Ruinart ]. c. p. 407. Mit
diesem „zu seinen Zeiten noch lebenden Märtyrer“, der ein Lands-
mann und Kollege von Augustin gewesen war, hatte der Ver-
fasser vertrauten Verkehr gepflogen. Die Angabe, dass Gaudiosus
auch ein Arzt des Leibes gewesen sei, hängt möglicherweise mit
dem Besitze des heilsamen Blutes Stepbani zusammen. Später
war an der Stelle des Klosters des heiligen Gaudiosus eine
Kirche zu Ehren der Maria de sanitate vulgo nuncupata! vgl.
Act. sanct. ord. 5. Ben. ad a. 596, 1, 335, A.a (1733), Ruinartl.c. p. 406.
Auch die übrigen Spuren führen auf die gleiche Zeit und Gegend.
Keiner der angeführten Schriftsteller geht über Augustin herunter,
während doch in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts der
Gegenstand eine Menge neue Bearbeiter fand und das Problem
durch Faustus’ Behauptung und Claudianus Mamertus’ Bekämp-
fung der Körperlichkeit der Seele neue Fragestellungen fand.!
Dazu schreibt der Mann an eine Gemeinschaft von Leuten, pol-
lentes Latiali eloquio, (s. Schluss, Migne 30, 271 C) vielleicht, wenn
man den Schwulst des ersten Absatzes so wörtlich verstehen darf,
von einer Insel aus (insulanis rivuli stillicidium haurire digne-
mini) — also etwa von Sizilien aus an einen italischen Mönchs-
konvent von bedeutendem Ansehen, selbst wohl ein im Griechi-
schen bewanderter Süditaliener. Der Name des Orosius wurde
1) Die Schrift ist charakteristisch für den Sieg des Creatianismus.
Auch hier siegte Hieronymus, nicht Augustin. Kann die Dogmengeschichte
wirklich an Hieronymus vorübergehen ?
140 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
dann hier oder — weniger wahrscheinlich — erst von Reginbert
zugefügt. —
Das 3. Stück, das unsere Handschrift, gleichfalls von Regin-
bert’s Hand, enthält, fol. 43b—-49a, sind des Gennadius dog-
mata ecclesiastica unter der Überschrift: Incipit dogma ececlesia-
stica Gennadii episcopi (!) Massiliensis contra haereticos in 52
Kapiteln, d. h. ohne die von Oehler als spätere Erweiterungen ge-
kennzeichneten Partien von c. 22—51. Die Schrift ist cap. 21, wo von
der Gnade und dem freien Willen gehandelt wird, orthodox über-
arbeitet in der Weise, wie nach dem Zeugnis der Benedictiner
auch in anderen alten Codicea', und um die letzten beiden Kapitel ge-
kürzt. Auf die Heimat des Originals vermag ich aus diesen Zügen
keinen Schluss zu ziehen. Auch wenn die Schrift des Massili-
ensers nicht, wie Wiggers und andere meinen, das dem Papste
Gelasius eingelieferte Glaubensbekenntnis ist, von dem er selbst
berichtet, so wissen wir, dass die Schrift sich einer weiten Ver-
breitung erfreute, auch in Italien. Die Rechtgläubigkeit des
semipelagianischen Presbyters, der bier zum Heiligen und Bischof
gemacht ist, war auch einem Rabanus Maurus zunächst nicht
zweifelhaft (vgl. ep. 5 ad Notingum, Migne 112, 1546). In die
Nähe des Praedestinatus passt er gut.
Während die ersten drei Stücke wohl zu gleicher Zeit sicher
von Reginbert geschrieben und demnach auch in dem von ihm
angefertigten Register aufgeführt sind (bei Neugart und
Becker 1]. cc.), ist das 4. Stück, fol. 47b—52a, mindestens
30 Jahre später, 871, von anderer Hand eingetragen, wie die
Datierung am Schluss zeigt. Merkwürdigerweise aber führt auch
1) Da in den bisherigen Ausgaben (Bened., Elmenhorst, Oehler) Klar-
heit darüber nicht gewonnen werden kann, wie in der orthodoxen Über-
arbeitung die Sätze nun eigentlich aneinanderschliessen, sei die Stelle hier
nach unserer Handschrift im Zusammenhang ausgeschrieben: Sie setzt ein
nach >Manet itaque ad quaerendam salutem arbitrii libertas< und fährt statt
>id est rationalis voluntas etc.‘ fort: non tamen ad optinendam sine illo
qui quaerentes facit invenire, qui pulsantibus aperit, qui petentibus donat.
Sieut ergo initium salutis nostrae deo miserante et inspirante habere
nos eredimus, ita arbitrium naturae nostrae sequax esse divinae inspira-
tionis libere confitemur. Igitur ut non labamur a bono vel naturae vel
meriti sollicitudinis nostrae est et caelestis pariter adjutorii, ut labamur,
postestatis nostrae et ignaviae.
Anhang. Codex Augiensis. Gennadius und passio Januarii. 141
dieses Stück, das übrigens für Reichenau selbst von grosser Be-
deutung war, nach Süditalien und in dieselbe lokale Sphäre, der
sicher das 2. und höchstwahrscheinlich das 1. angebört. Es ist
die passio des h. Januarius, Bischofs von Benevent (und seiner
Genossen Sossius,! Proculus, Festus, Desiderius etc.), also des
hochberühmten Schutzheiligen von Neapel, der 305 zu Puteoli
den Märtyrertod erlitten haben soll und dessen Reliquien ca. 400
in eine vor den Toren Neapels in derselben Richtung wie die
ecclesia beati Gaudiosi liegende Kirche überführt wurden.?
Von diesen hochheiligen Resten behaupteten die Reichenauer,
dass sie im 9. Jahrhundert in ihren Besitz gekommen seien, zu-
erst in einer Form, wonach es das Verdienst Kaiser Lothar's 1.
gewesen war,’ sodann in einer anderen, wonach es vielmehr
durch Vermittlung eines unter König Ludwig Il. von Italien
gegen die Sarazenen kämpfenden alamannischen Vasallen 871 ge-
schehen war. Einer Version der passio, die im Allgemeinen mit
der Act. Sanct. VI, 8668 übereinstimmt und auch den ebenda
Ρ. 869 abgedruckten Anhang über die Translation der Gebeine
des Festus und Desiderius nach Benevent? schon enthielt, fügten
die Reichenauer die Geschichte dieser Erwerbung hinzu und
schrieben das Ganze in den Codex Reginbert’s hinein. 1748 hat
Stilting daraus ]l. c. 787f. den Reichenauer Anhang in seinem
1) Den Kult dieses Sossius, der schon ca. 450 in Campanien üblich
war, machte sich jener Pelagianer und Freund Julian’s Florus zu nutze,
ıım für sich und seine Ideen Propaganda zu machen (ob. 8. 121, A. 1, Ps.-
WProsper, de prom. et praedict. IV, 612, Migne δὶ, 843 Β), eine merkwür-
Jige, aber gewiss rein zufällige Beziehung zwischen dem 1. und 4. Stück
Jes Codex. j
2) Ruinart ]. c. 406, Stilting in Act. Sanct. Sept. VI — nicht VII,
wie bei Wetzer und Welte und danach RE? — p. 70] ff.
3) Vgl. E. Dümmler, Anzeiger f. d. germ. Mus. 1876, 5. 177 ff,
"Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen® I, 281. Die das Ereignis
&#eiernde Sapphische Ode Walafrid’s auch Mon. Germ. poet. lat. II, 415f.
4) Von einer Überführung des Januarius selbst durch Herzog Sico
„nach Benevent ca. 820 finde ich wohl im Chron. Salernit. (Ende des 10.
Jahrhunderts) Mon. Germ. Ser. III, 497, aber noch nicht in Erchenpert’s
histor. Langob. (Einde des9. Jahrbunderts) ibid.p.245, vgl.Script. rer. Langob.
8866. VI—IX, γν. 239. erzählt. In Reichenau trat dann die h. Fortunata an
die Stelle 468 Januarius, dann haben beide ihre Altäre. Von der Heiligen-
verwirrung in jener Zeit gibt Reichenau ein besonders lehrreiches Bild,
vgl. Dümmler ]. c, Wattenbach S. 2S4f.
142 H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Kommentar über die Akten abgedruckt, 100 Jahre später
Fr.Mone in seiner Quellensammlung zur bad. Landesgesch. I, 232 ἢ,
Nach 4 Jahrhunderten erst hat man die letzten drei leeren
Seiten benutzt, um die Beschlüsse der Mainzer Synode von 1268
daraufzuschreiben.
War das leere Pergament auch für den Schreiber der acta
Januarii das einzige Motiv, gerade diesen Codex zu wählen?
Man hat den Eindruck, dass Reginbert von Reichenau einen
süditalischen Sammelband abgeschrieben hat, der aus der Gegend
von Neapel, also wohl aus Monte Cassino stammte, und dass
nicht lange darauf und nicht zufällig die passio der berühmten
süditalischen Heiligen, deren Reste nun das Reichenauer Gottes-
haus schmückten, dazu gefügt wurde.
Die Beziehungen zwischen Italien und dem auf der Strasse
dahin liegenden alamannischen Kloster waren äusserst lebhafte.
Wie sehr man Reliquien und Passionen von dort bezog, wird
eben durch unser 4. Stück erhärtet, vgl. auch Wattenbach ,
284f. Zu den allgemeinen Beziehungen vergleiche man. Adler,
Baugeschichtl. Forschungen in Deutschland I. Die Kloster- und
Stiftskirchen von Reichenau, 1870 (auch Zeitschr. für Bauwesen
19. Jahrh., Berl. 1869, Sp. 527ff... Persönliche Träger dieser
Beziehungen lernen wir aus Gallus Oheim’s Chronik von
Reichenau (ed. Barack 1866) genug kennen: Abt Waldo selbst
war eine Zeitlang Bischof von Pavia, unter ihm wurde ein ita-
lienischer Bischof Lampert Mönch im Kloster (l. c. S. 48). Viel-
leicht war Bruder Theotast ein Grieche. Alle diese brachten
Bücher mit, nach dem Zeugnis der verlorenen Quelle Gallus
ÖOheim’s, die man auf Reginbert selbst zurückführen möchte. Es
ist die Blütezeit der Reichenauer Klosterschule. Aus Tours’ be-
rühmter Schule verschaffte sich Waldo durch den Mönch Wadilcoz
viele Handschriften, andere wurden nach Kornelimünster ausge-
sandt, die erste Regel Benedict’s abzuschreiben, Abt Erlebald liess
in St. Denis Bücher abschreiben, vgl. auch Hauck 1. c. 5. 615, A. 7.
Auch wenn wir Ähnliches von einem Austausch mit Monte
Cassino nicht wissen, so spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür,
dass er stattgefunden hat. Bei der Annahme, dass unserem
Codex ein Casinensischer Muttercodex zu Grunde liegt, würden
sich auch die S. 7f. erwähnten Berührungen des Casinensis 322
saec. X, der eine in Monte Cassino selbst angefertigte spätere
Anhang. Ursprung des Codex Augiensia. 143
Abschrift des gleichen Originals sein könnte, mit dem Augiensis
im Praedestinatus leicht erklären. Endlich will ich nicht uner-
wähnt lassen, dass Mone, der eine Neuausgabe des Praedestinatus
nach dem Augiensis vollständig vorbereitet hatte,! aus der Art
der zahlreichen Verlesungen mit Sicherheit glaubte die „lango-
bardische“ Schrift des Muttercodex feststellen zu können, d. h.
die Schrift, deren Ausbildung vorzüglich an den beiden Klöstern
Monte Cassino und La Cava bei Neapel haftet.
Wenigstens in der südlichen Heimat des Praedestinatus, die
zugleich die des Julian und die feste Burg des Pelagianismus war,
wurde das verdächtige Stück bewahrt, abgeschrieben, durch den
Namen des Primasius gedeckt und der Nachbarschaft eines Oro-
sius und Gennadius nicht unwert gefunden.
1) Diese Abschrift, mit wenigen und abgerissenen Notizen zur Ein-
leitung versehen, entdeckte ich nach Abschluss dieser Arbeit in einem anti-
quarischen Katalog von Carlebach in Heidelberg unter dem Namen des
Primasius und brachte sie in meinen Besitz.
2) Abgesehen von der räumlichen Unsicherheit dieses Begriffs, auf
die jüngst Traube in dem wertvollen Aufsatz Peronna Scottorum in den
Sitzungsber. d. Münchner Akad. Phil.-hist. Kl. 1900, S. 472ff. wieder ener-
gisch aufmerksam gemacht hat, scheint mir eine grosse Schwierigkeit für
diese Feststellung darin zu bestehen, dass die langob. Schrift erst vom
9. Jahrhundert an ihre Ausbildung erfuhr, der Muttercodex des Augiensis
aber ins 5.—8. Jahrhundert (Mone 6. Jahrhundert) gehören muss,
während welcher Zeit aus der verwilderten römischen Cursive unter Auf-
nahme von Elementen der Unciale die später in Monte Cassino zur
Meisterschaft gebrachte Schriftart erst entstand. Freilich würden sich aus
dem Charakter dieser obendrein fremden Übergangsschrift die massenhaften
Verlesungen des vielgeübten Reginbert sehr gut erklären.
Register.
Abeloiten 70.
Africanus, Haereseolog 4äf.
Agnellus 138.
Agricola, Pelagianer 81. 85.
Alexander von Rom 53. 54. 57.
Alypius 83. 120.
Ambrosius v. Mailand 65f.
Ampullianus 49.
Anastasius I. von Rom 34. 65f. 94.
Anastasius II. von Rom 132.
Anianus v. Celeda 81. 114f.
Antidikomariten 44. 66.
Antonianus, B. in Numidien 61.
Apelliten 48f. 51.
Apollinaris, —isten 52. 53. 88.
Apollonius, Antimontanist 58. 60f.
Aquarier ὅθ.
Aquilejenser, Libell der 29. 32. 81].
88. 115.
Arbogast 6Sf.
Arianer 46. 53. 88. 111.
Arius 38f. 53.
Arnobius d. Jüngere 95 ff. 129.
Athanasius 53.
Atticus v. Konstantinopel 119.
Attila 97.
Augustin v. Aquileja 81.
Augustin, Augustinismus passim.
Aurelius v. Karthago 83.
Ausonius 60.
Benedict v. Nursia 100.
Bonifaz v. Rom 83. 91.
|
Bonosianer 66.
Byzacene 63. 78. 95.
Caelestinus v. Rom 11. 16. 52. 54.
75. 77. 82. 92f. 119.
— Brief an die gall. Bischöfe S4f.
87. 90f. 1218. 132,
Caelestius 29. 30f. Of. 73. 77. SOf.
Ss2f. 868. 119. 121. 127.
‚ — contra traducem 35. 74.
Ϊ
— definitiones 74. 81.
' Caesarius v. Arles 132.
Calıxt v. Rom 60.
Cassian 80. 90f. 126. 128f. 132.
Cassiodor 79. 136.
Chromatius v. Aquileja 80.
ı Chrysostomus 54. 94. 115.
Circumcellionen 63£.
Claudianus Mamertus 139.
. Clemens v. Rom 54. 62. 94.
Coluthianer und Florianer 47 f. 51.55.
Constantius tractator, Exvikar 71ff.
Constantius, Kaiser 72,
_Cyrill v. Alexandrien 75f. 110. 119.
Cyprian v. Karthago 61ff. 76.
Damasus v. Rom δά. 66ff. 94. 1%.
Dionysius Exiguus 122,
Diospolis, Synode von 30. 31. 115.
Donatus der Grosse 62. 94f.
Donatisten 62. 77.
Eberhard, (iraf v. Friaul 133.
Register.
Ennodius v. Tieinum 130.
kEphesus, Synode zu 52. 71. 7b. 85f. ᾿
119. 121. Ä
Epiphanius 9. 41ff. 50f. 53.
Erlebald, Abt v. Reichenau 142.
Eusebius v. Caesarea 45. 57f.
Eusebius (v. Cremona?) 119.
Eusebius v. Rom 57.
Eutychianer 77. 131.
Evangelus, Pelagianer 81. 115f.
Fabius, Pelagianer 81.
Faustus v. Reji 28. 97. 1286 132. :
139. |
Festus und Desiderius, Märtyrer 141.
Firmus presbyter 83.
Florus, Pelagianer 81. 116. 121. 141.
Fortunata, d. hl. 141.
Fulgentius v. Ruspe τοῦ, 132.
145
“ Innocenz 1. v. Rom 30. 54. if. 91.
121f. 125.
. Isaak’s Söhne 12. 23. 54.
Isidor v. Sevilla 5. 131.
: Jacob und Esau 12. 23. 54.
Jansen, Cornelius 1. 134.
Jansenisten 28. 130.
Januarius, d. hl. 141f.
Johannes v. Jerusalem 50.
Jovinianisten 65. 79. 88.
Judas 13, 23. 55.
Julian v. Eclanum 8. 16. 17. 22. 28f.
31. 33. 36f. 56. 67f. 71. 811., 501
9. 1151. 1188. 126fE. 129. 134.
143.
Kainiten δῆ.
Lampert, Mönch in Reichenau 142.
Laurentius, d. hl. 96. 100.
Gaudiosus confessor 138f.
Gaudiosus v. Salerno 138.
(ielasius I. v. Rom 79. 1301 140.
— Decretum Gelasianum 78. 132.
Giennadius 87. 97. 1301. 136. 140. 143.
Cinostiker 47. 111.
Gottschalck, Mönch 78. 133f.
Girimald, Mönch in Reichenau 1:3.
Helvidius, —aner 44. 60.
Heracleon, Ginostiker 47. 54. 57.
Heraclianus comes 62.
Herachius v. Rom 57.
Hesiod, Haereseolor 40 1.
Hespenius 68f.
Hieronymus 30f. 33. 50. δ ἢ 64fl.
τ, 75. τὸ. τ8 8 100. 120. 1301}
Hilanıus v. Arles 77. 120.
Hilarius v. Massilia 21.81.84.89.117.
Hilarus v. tom 97. 130.
Hinkmar v. Rheins 3. 131. 132.
Hippolyt v. Rom 9. 53.
Honorius, Kuiser 73.
Hormisdas v. Rom 122. 125. 132.
Hygin, Haereseolog 46. 134.
Texte u. Untersuchungen. N. F. IX, 4.
Laurentius, afrik. Bischof 96.
Leo I. von Rom 80. 81. 86f. 90.
92. 97. 100. 120f. 124. 128. 130.
132.
T,eontius v. Arles 96f. 100. 130.
Leontius v. Frejus 97. 100.
Linus v. Rom 54. 9%.
Lothar 1., Kaiser 141.
Lucidus 131.
Ludwig 11., Kaiser, König v. Italien
141.
Makarius 80.
‘ Manichaeer 47. 87. 88f. 111.
Marcellinus, Pelagianer 81.
Marcellinus, Tribun 137.
Marcosianer 62.
Marins Mercator 33fl. 74. 82, S5.
Martinianus et. Processus mart. 681F.
τῇ. 117.
Maximian v. Karthago 62.
Maximus tyrannus d8f.
Montanisten 57 ff. 68.
Montenses, — esea 63.
Monte Cassino 7. 133. 142f.
10
146
Nestorius v. Konstantinopel 52. 70 7.
119. 131.
Nicetas v. Aquileja 81. 125.
Noah’s Söhne 98f.
Noting v. Verona (Brescia) 78. 133. !
Novatian, —tus 6lf.
Novatianer 57. ΟἹ ἢ 88. 111.
Oceanus 137.
Octaviana 68f.
Optatus, Bischof 137.
Optatus v. Mileve 63f. 76.
Oranges, Synode zu 122. 132.
Origenes, —nianı 43f. 46. 481
DT. 76. 78.
Orontius, Pelagianer 81. 115f. 101.
Orosius 74. 136ff. 143.
Ὁ].
Pamphilus 48f. 57.
Parmenian v. Karthago 6? ff.
Paternianer 67.
Patricianer 63.
Patroclus v. Arles 84.
Paulinus v. Mailand 71.
Paulinus v. Nola 29. 82,
Paulus 13. 20. 23.
Pelagianer 11. 32. Of. 77. 80. 114 f.
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}
: Prosper v. Aquitanien 21. 38.
H. v. Schubert, Der sog. Praedestinatus.
Primasius v. Hadrumetum 5. 79. 05.
136. 143.
Priscillianisten 69.
Processus et Martinianus mart. ΟΝ fl.
17. 117.
Proklinianisten 48. 55.
T2f.
S0.84.86 ff. 92. 98. 117. 120f. 123 δ΄
128. 130f.
Pseudo-Orosius, de orig. anim. 136 ff.
Pseudo-Prosper 101. 120f. 141.
Quartodezimaner 54.
Quodvultdeus v. Karthago 139.
Rabanus Maurus 78. 133f. 140.
Reginbert, Mönch in Reichenau 3f.
133. 135. 140. 141. 142.
Ruadhelm, Abt v. Reichenau 135.
Rufinus 45. 50. 57. 72. 76. 80. 82. 80.
133. 137.
Rufus v. Thessalonich 21. 8]. 85
119.
Rusticus von Narbonne 96f. 100.
| Sabinian, Presbyter 57.
— Rundschreiben v. 419 18f. 32. 88.
Pelagianismus 28f. 30. 32. 47. TO#.
80f. 861. 94. 1004F. 111. 118. 198 FF.
Salvian 97.
Semipelagianismus 12Sff. ὑὖ
Seneca, Bischof in Picenum 130
Septimus v. Altinum 81.
- Sethianer 47. 54.
Pelagius 17f. 24. 20f. 31. 32, 33#. 50,
13. τὸ. τί. 80. S6f. 119. 121. 127.
129.
— Pauluskommentar 33#. 70.
131£.
— Libellus fidei 80. 82.
— Ep. ed Demetriadem 80. 114.
P’epuzianer (Montanisten) 42f. 58.
Persidius, Pelagianer 81.
Petrus 54. 94. 99f. 110.
Petrus Dinconus 122,
V’hilaster 40f. 46. 63. 64.
Volykrates, Haereseolog 4ὖ ἢ,
Possessor 122f. 126.
Praxeas 61.
Siricius v. Rom 66. 9.
Sixtus II. v. Rom 54. 61f. 94. 118.
Sixtus IIL v. Rom 80. s2f. 85 Β΄. 91.
19. ᾿
1107. 1954
Sossius, d. hl. 121. 141.
' Sotas v. Anchialos 61.
_ Soter v. Rom 54. 60. 68. 94. 112.
Sulpicius Severus 82.
Symmachus v. Rom 122.
Tatto, Mönch in Reichenau 135.
_ Tertullian 558, 62. 68f. 76. 94.
Tertullianisten 58f. 61. 68 #.' 77.
Theodor v. Mopsveste 119.
Theodosius I. 69.
Register. 147
Theotast, Mönch in Reichenau 142. Vincentius presbyter 114.
Timotheaner (Monophysiten 131. Vincentius Victor 114.
Valentinian 1. 6..
Volusianus, praef. urbi 3.
Valentinian III. 54. Wadilcoz, Mönch in Reichenau 142.
Valerian, Pelagianer 81. 116. 110. Walafrid Strabo 133. 135. 141.
Venustianer 61.
Waldo, Abt v. Reichenau 142.
Vignerius 190. 128.
Vincentius v. Lerins ΘΟ. 114. 121. Zosımus v. Rom τῶ. SIf. 80. S8, 91.
123. 126. 128.
118. 121f. 126.
Druck von August Pries in Leipzig.
Verlag der J. C. HINRICHS’schen Buchhandlung in Leipzig.
DIE GRIECHISCHEN
CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
DER ERSTEN DREI JAHRHUNDERTE
Herausgegeben von der Kirchenväter-Commission
der Königl. Preussischen Akademie der \Vissenschaften.
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Hippolyt’s Kommentar zum Buche Daniel und die Fragmente des Kommentars
zum Hoheniiede. Herausgegeben von G.N. Boxwetsen. — Hs Kleine exegetische
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— Die Schrift vom Gebet ide oratione) Herausgereben von P. KoETSCHAU
XCH, 374 0. VITO, 546 8. 1599. [Origenes, Band Tl] M. 25 —
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annähernd berechnen. Ins Auge gefasst sind etwa 50 Bände. Jeder Band ist
einzeln käuflich; möglichst sollen jährlich drei Bände erscheinen, im durch-
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ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
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DER KGL. PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UNTERNOMMENE
AUSGABE DER ÄLTEREN CHRISTLICHEN SCHRIFTSTELLER
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR von GEBHARDT uso ADOLF HARNACK
NEUE FOLGE — NEUNTER BAND, HEFT IV
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SCHMIDT, Carl BR
Die alten Petrusakten 45
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