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scJiIeswig - lokteinische
•Wattenmeer
mit SLea.
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DIE
AUSTER
UND DIE
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AUSTERN WIRTHSCHAFT
J
VON
KARL MOEBIUS
PROFESSOR DER ZOOLOGIE IN KIEU ^„ ,-.:>^
MIT EINER KARTE UND NEUN HOLZSCHNITTEN.
BERLIN.
VERLAG VON WIEGANDT, HEMPEL & PAREY.
1877.
U -
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten.
VORWORT.
LJ eher die Auster ist seit den ersten Versuchen
künstlicher Austernzucht in Frankreich, im Jahre 1858,
sehr viel geschrieben worden. Durch grosse Zahlen in
Erstaunen versetzt, wollten die Autoren auch bei ihren
Lesern Erstaunen erwecken und die Küstenbewohner
anregen, in allen ihren Gebieten das köstlichste aller
Weichthiere des Meeres massenhaft zu erzeugen. So
ging das Rühmen der künstlichen Austernzucht von
Zeitung zu Zeitung, von Buch zu Buch, und machte
einen solchen Eindruck der Zuverlässigkeit, dass selbst
geübte Austernwirthe und kundige Biologen glaubten,
es Hessen sich grosse Summen von Austern mit wenig
Mühe für die Tafel aufziehen.
Begreiflich ist das; denn die amtlichen Berichte über
die Austernwirthschaft in Frankreich, England und Nord-
amerika, aus denen die grossen Zahlen entnommen
wurden, enthalten entweder gar keine oder nur zerstreute
und für den Kenner verständliche Angaben über ihre
wahre Bedeutung. Um diese aber zu verstehen, muss
IV Vorwort.
man sich mit den Eigenschaften und Lebensbedingungen
der Auster bekannt machen.
Ueber beides werden Biologen, Austernzüchter und
Austernfreunde in der vorliegenden Schrift das Nöthige
finden, urn sich ein Urtheil über die Austernzuchtfrage
bilden zu können.
Ich glaube, deutlich gemacht zu haben, dass eine
gesunde Austernwirthschaft dieselben Regeln zu befolgen
hat, wie jede andere Massenkultur lebendiger Wesen.
Ist mir das gelungen, so habe ich etwas gethan, was
eigentlich gar nicht hätte nöthig sein sollen. Denn was
war von jeher natürlicher, als dass auch die Austern
und die Austernwirthschaft den allgemein herrschenden
biologischen Gesetzen unterworfen seien! Und doch
that eine solche Auseinandersetzung noth, da nicht blos
Laien in der Naturwissenschaft, sondern sogar Männer,
welche Biologie lehren und schreiben, bis in unsere
Zeit, von der künstlichen Austernzucht Unmögliches
erwarteten.
In Zeitaltern, welche schon Wissenschaften besitzen,
hat es der Forscher selten mit dem Suchen und Finden
neuer Thatsachen und Gedanken allein zu thun; ge-
wöhnlich muss er zuerst Irrthümer in dem überlieferten
Wissen erkennen, dann sie im eigenen Geiste bekämpfen
und erst, wenn er sie in sich selbst überwunden hat,
kann er daran gehen, sie aus dem Systeme der Wissen-
schaft auszumerzen und an ihre Stelle die gefundene
Wahrheit zu setzen.
Von der vollen Kenntniss der thatsächlichen Wahr-
heit in dem Gebiete der Austernbiologie und Austern-
Vorwort. V
wirthschaft enthält dieses Schriftchen freilich nur einen
sehr bescheidenen Theil.
Obwohl ich mir dessen deutlich bewusst bin, habe
ich es dennoch erscheinen lassen, weil es auch schon in
dieser Unvollkommenheit manchen Biologen, Auster n-
freunden und Austernzüchtern willkommene Auf-
klärungen geben wird und weil es den Regierungen,
welche über die natürlichen Austernbänke zu Gunsten
ihrer Staatsbevölkerung zu wachen haben, eine sichere
Basis für ihre Anordnungen darbietet.
Solchen freilich, welche sich dem schönen Glauben
hingeben, eine vollkommene künstliche Austernzucht
müsse überall, wo nur Seewasser sei, Austern massen-
haft erzeugen können, wird mein Buch schwerlich zu-
sagen, und es wird sie auch wohl nicht von ihrem Irr-
thum überzeugen.
Aber der reizendste Irrthum wird keine Wahrheit,
mag man auch noch so fest und noch so lange an ihn
glauben.
Kiel, den 8. Juli 1877.
Karl Möbius.
INHALT.
Seite
1. Das Wattenmeer i
2. Die Austembänke und der Austernfang • 7
3. Die Keimfruchtbarkeit der Austern 13
4. Warum bilden sich nicht in allen Theilen des Wattenmeeres
Austern? 21
*5. Die künstliche Austernzucht in Frankreich 26
6. Versuche, die französische künstliche Austemzucht in Gross-
britannien zu betreiben 33
7. Kann in den deutschen Küstenmeeren französische künstliche
Austemzucht betrieben werden? *♦ 37
8. Lassen sich natürliche Austembänke vergrössem und können
neue Austembänke angelegt werden, besonders an den
deutschen Küsten? 44
9. Die Altersstufen und die Reifefruchtbarkeit der Austern . . 56
10. Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde , 72
11. Zunahme der Austernesser und Austempreise und Abnahme
der Austern 88
12. Die chemischen Bestandtheile und der Geschmack der Austern 95
13. Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft 107
I. Das Wattenmeer.
Unter den Austern, welche die westeuropäischen
Küstenmeere erzeugen, hat die hoisteinische Auster seit
mehr als hundert Jahren einen wohlverdienten Ruf. Die
Bänke, welche sie liefern, liegen vor der Westküste
Schleswig- Holsteins in einem Gebiete, welches nur
74 Kilometer lang und 22 Kilometer breit ist. Die
meisten und die besten befinden sich an der Ostseite
der Insel Sylt und in der Nähe der Inseln Amrum
und Föhr. An der nördlichen Grenze des deutschen
Austerngebietes, bei der Insel Rom, und an der süd-
lichen Grenze desselben, bei den Inseln Pellworm und
Nordstrand, gegenüber der Stadt Husum, sind nur
wenige unbedeutende Bänke. Da ihre Eigenschaften von
den Eigenthümlichkeiten desjenigen Meergebietes ab-
hängen, in welchem sie sich befinden, so ist es nöthig,
Erkläning der Abbildung (Fig. i):
Das Wattenmeet mit drei Baken, welche das Fahrwasser angeben
1 Hintergrunde die Hallig Langeness über dem Meeresspiegel.
Das Wattenmeer.
zunächst einen Blick auf das Schleswig - holsteinische
Inselmeer zu werfen.
Im Vergleich mit der offenen Nordsee ist es ein
flacher Meerestheil. In dem ganzen südlichen Theile
der freien Nordsee zwischen Deutschland, Holland, Eng-
land und Schottland sind die gewöhnlichen Tiefen 35 bis
45 Meter. So tief ist das schleswig-holsteinische Insel-
meer an keiner Stelle. Die grössten Tiefen der Kanäle,
durch welche dasselbe mit der offenen See zusammen-
hängt, erreichen höchstens 15 bis 20 Meter. Der Boden
unseres Inselmeeres erhebt sich alfo gleichsam wie eine
Hochebene über den tieferen Grund der offenen Nordsee.
In diese Hochebene schneiden Thäler von verschiede-
ner Tiefe und Breite zwischen den Inseln und dem festen
Lande ein. Bei Hochwasser, dem höchsten Stande der
Fluth, ist der Boden ganz bedeckt, aber zur Zeit des
niedrigsten Wasserstandes, am Ende der Ebbe, liegen
weite Strecken desselben trocken. Die trocken laufenden
Stellen des Meeresbodens heissen Watten, und daher
wird dieses Inselmeer auch Wattenmeer genannt.
Das bei Ebbe von den Watten ablaufende Wasser
strömt in flacheren und tieferen Rinnen, welche die
Schiffer Leien und Tiefen nennen, zum Theil in süd-
licher, zum Theil in nördlicher Richtung dem freien Meere
zu, bis die von beiden Seiten täglich zweimal kommende
Fluth die Ebbeströmungen stauet und dann umkehrt. Das
Wasser steigt nun wieder. Die Tiefen und Leien können
es nicht mehr fassen; es ergiesst sich über ihre Ränder,
läuft rauschend über die Watten hin und überfluthet sie
endlich bis zu solcher Höhe, dass nun kleine Schiffe über
dieselben Stellen hinfahren können, wo wenig Stunden
zuvor Menschen gehen und Wagen fahren konnten.
Das Wattenmeer.
Bei einer Untersuchung der Austernbänke gerieth unser
kleines Dampfschiff zwischen der Insel Föhr und dem
Festlande in zu flaches Wasser und fuhr sich Vormittags
gegen 9 Uhr fest. Das Wasser war im Fallen; nach
mehreren Stunden war es ganz verlaufen. Wir stiegen
aus und gingen zu Fuss nach der Hallig Oland, die
ein Kilometer östlich von unserem Schiffe als grüne
Platte auf dem ebenen grauen Meeresboden lag. ^) Nach-
dem wir dort den künstlich aufgeworfenen Hügel besucht
hatten, wo eine kleine Gruppe von Wohnhäusern um einen
Süsswasserteich herumgebauet ist, und wo die Kirche,
von Gräbern umgeben, steht, erreichten wir unser Schiff
wieder, ehe das Wasser zurückkehrte. Erst gegen sieben
Uhr Abends war die Fluth so hoch gestiegen, dass
unser Schiff anfing zu schwanken, worauf es bald flott
wurde und nach Föhr dampfte, um für die Nacht in
dem Hafen von Wyk vor Anker zu gehen.
Eine ähnliche Beschaffenheit hat das Meer an der
ganzen deutschen Küste entlang, von Rom im Norden
an der dänischen Grenze bis Bork um im Westen neben
den holländischen Inseln. So wird vor der Eibmündung
zwischen Cuxhafen und der Insel Neuwerk bei jeder
Ebbe der Meeresboden in einer Breite von sieben bis
acht Kilometer entblösst. Man kann dann zu Fuss, zu
Pferde und zu Wagen die Insel erreichen. Auf dem
Wege befindet man sich in gleicher Höhe mit den Se-
geln, die draussen auf See vorübergehen, und an der
Grenze des zurückweichenden Wassers und des auf-
tauchenden Meeresbodens sieht man ausgedehnte Scha-
ren von Seevögeln, welche die entblössten Würmer,
Muscheln und Krebse zu erhaschen suchen, ehe sie sich
in den Boden zurückziehen.
I*
Das Wattenmeer.
Wenn die Watten bei der hohlen — der niedrigsten
— Ebbe noch in tiefer Stille trocken liegen, hört man
aus der Ferne von den Tiefen her schon das Brausen
der kommenden Fluth. Erst langsam, dann schneller
und schneller, und zuletzt wieder langsamer steigend,
steht das Wasser bei voller Fluth im Norden des Watten-
meeres beinahe zwei Meter und im Süden, vor der Mün-
dung der Elbe sogar gegen drei Meter höher, als bei
Ebbe? Drei Viertel ihrer ganzen Höhe erreicht die
Fluth in der Regel schon drei Stunden nach ihrem Be-
ginn. In dieser kurzen Zeit bewegen sich ungeheure
Wassermassen gegen die Küste; an vielen Stellen bilden
sie Strömungen von der Geschwindigkeit des Rhein-
stroms zwischen Coblenz und Bonn; denn sie laufen in
einer Secunde 1,5 bis 2 Meter weit. Noch stärker als
die Fluthströmungen sind fast überall die Ebbeströmun-
gen, weil sie nicht allein das angefluthete Meerwasser
wieder abführen, sondern mit diesem zugleich auch das
durch die Fluth aufgestauete Süsswasser des Landes.
Daher bringen die Ebbeströmungen am Grunde des
Wattenmeeres noch stärkere Veränderungen hervor, als
die Fluthströmungen, und am gewaltigsten verschieben
sie die Bodenbestandtheile da, wo grosse Süsswasser-
massen ins Meer gehen: vor den Mündungen der Eider,
Elbe, Weser und Ems. Hier müssen die schwimmenden
Tonnen und die in den Grund gesteckten Baken, welche
den Schiffern das tiefere Fahrwasser anzeigen sollen
(Fig. I S. i), fast jedes Jahr versetzt werden, weil sich
die Tiefen oft ändern.
Der Hauptbestandtheil des Grundes dieses unruhigen
Meeres ist feiner Quarzsand. An vielen Stellen lagert
sich Schlick ab, ein klebriger Schlamm, der viel or-
Das Wattenmeer. J
ganische Stoffe enthält. Dies geschieht besonders an
der Küste des festen Landes und an der Ostseite von
Sylt an solchen Punkten, wo nach dem Stromwechsel
das Wasser nicht schnell genug fliesst, um alle während
der Stauung zu Boden gesunkenen Schlicktheilchen
wieder wegzunehmen.
An den schrägen Abhängen zwischen den trocken-
laufenden Watten und dem Rinnsal der Tiefen kommen
längere Strecken vor, wo der Grund mit grobem Sand,
kleineren und grösseren Steinen und Muschelschalen be-
deckt ist. An solchen Stellen findet man zusammen
mit vielen anderen Seethieren auch Ansiedelungen von
Austern, sogenannte Austernbänke (Fig. 2).
Schema, des Querschnitts einer liefen Rinne des Wattenmeeres, auf
deren Abhang link? eine Auslernhank liegt. Zu beiden Seilen Watt-
grund, der bei Ebbe trocken läuft. (Die Breite der Rinne ist nach einem
vie! kleineren Massstabe dargestellt, als ihre Tiefe.)
Das Wattenmeer.
*) Halligen heissen die kleinen, niedrigen Inseln im
schleswig-holsteinischen Wattenmeere, welche aus Marschboden
bestehen und nicht durch Deiche (Dämme) gegen hohe Fluthen
geschützt sind. Es sind grüne Ebenen, von weidenden Schafen
und Rindern belebt, die nur einige Fuss über der gewöhn-
lichen Hochwasserlinie liegen und bei Sturmfluthen über-
schwemmt werden. Das Wort Hallig ist vielleicht aus
haf-lik (plattdeutsch) entstanden. Haf heisst derjenige Theil
des Küstenmeeres, der bei Ebbe trocken wird und bei Fluth
bedeckt ist; lik heisst gleich, ähnlich. Kein anderes Land
ist dem Haf boden so ähnlich, wie das Land der Halligen.
Die «rinseln» des Schleswig - holsteinischen Wattenmeeres
bestehen entweder aus eingedeichtem, niedrigem Marschland
oder aus höherem Geestland und Dünen. Nordstrand
und Pellworm sind Marschinseln; Föhr ist aus Marsch und
Geest zusammengesetzt, Sylt und Amrum haben Geestboden
und Dünen. Der Marschboden ist eine graue, gleichmässig
feine Masse ohne jeden Stein; bei Nässe wird er zähe und
klebrig. Er ist aus Schlamm entstanden, der sich vor den
Mündungen der Flüsse an ruhigeren Stellen des Küstenmeeres
absetzte. Das Geestland ist älterer, gehobener Meeresboden.
Es ist uneben und besteht hauptsächlich aus gröberem Sand,
der viel weniger fruchtbar ist, als der fette Marschboden, welcher
ohne Düngung reiche Ernten giebt.
Austembänke und Austernfang.
2. Die Austernbänke
und
der Austernfang.
Die meisten Austernbänke werden niemals sichtbar,
weil das Wasser des Wattenmeeres durch schwebende
Schlicktheilchen stets trübe ist. Nur wenn bei Spring-
ebben, den niedrigsten Ebben, die zur Zeit des Voll-
mondes und Neumondes eintreten, östliche Winde sehr
viel Wasser vom Lande abtreiben, werden die Ränder
einiger flachliegenden Bänke so seicht, dass man die
Austern liegen sehen und mit der Hand aufnehmen
kann. Von den Austernbänken, welche dicht an der
Ostküste von Föhr liegen, wurden in einem Herbst auf
diese Weise gegen 20,000 Austern aufgelesen und in
tiefere Stellen versetzt.
Gewöhnlich muss man Peilstöcke oder Schleppnetze
anwenden, um zu prüfen, ob man sich über einer ge-
suchten Austernbank befindet. Die Peilstöcke sind 5 bis
6 Meter lange Stangen, deren untere Hälfte durch ver-
schiedene Farben in Fusse abgetheilt ist. Sie werden
von den Schiffern an flachen Stellen des Wattenmeeres
gebraucht, um während der Fahrt zu untersuchen, ob
8 Austembänke und AusCemfang.
die Tiefe zu- oder abnimmt, damit sich das Fahrzeug
nicht festfährt Stösst man mit dem Peilstock auf den
Grund, so fühlt man, ob er nur aus weichem Schlick
oder aus reinem Sand besteht, oder ob er mit Muschel-
schalen bedeckt ist.
Die Schleppnetze der Austernfischer (Fig. 3} be-
stehen aus einem eisernen Rahmen, von welchem zwei zu-
sammenstossende Schenkel für die Befestigung des Taues
auslaufen, und aus einem Beutel, dessen obere Hälfte
aus grobem Garn geflochten ist; die untere, den Meeres-
boden bestreichende Hälfte ist der besseren Haltbarkeit
wegen aus eisernen Ringen gearbeitet, deren Durch-
messer 6 bis 7 Centimeter betragt. Das ganze Netz ist
50 bis 60 Pfund schwer.
Fig. 3.
Das Austeranelz. Die Schenkel und die Schneide bestehen ans Eisen.
Der Beutel besteht oben aus grobem Netzgarn, unlen ans eisernen Ringen
von 6 — 7 Centimeter Durchmesser, Die Form und Verbindung dieser
Ringe stellt b genauer dar.
Die Lage der Austernbänke ist den älteren Austern-
fischern genau bekannt und sie wissen dieselben dadurch
zu finden, dass sie sich beim Steuern ihres Fahrzeuges
nach hochliegenden Punkten des Küstenlandes und der
Inseln: nach Leuchtthürmen, Kirchen, Windmühlen und
Häusern richten. Die Fahrzeuge der Austernfischer sind
Austernbänke und Austern fang.
Jachten mit einer Tragfähigkeit von drei bis sechs
Lasten. Am Bord eines jeden sind ausser dem Eigner
in der Regel noch zwei Matrosen. Auf den schleswig-
holsteinischen Bänken fischen vierzehn Fahrzeuge Austern.
Bei günstigem Wind und rascher Brise werden vier
Schleppnetze zur Zeit ausgeworfen, bei schwachem
Winde nur zwei oder blos eins. Sie sind durch starke
Taue an der Luvseite des Fahrzeuges befestigt, d. h.
an derjenigen Seite, an welche der Wind stösst. Hält
man die Hand an das Tau eines ausgeworfenen Netzes,
so kann man fühlen, ob es über glatten Grund geht
oder über Austern streicht; denn das Tau wird in un-
regelmässige, stossende Bewegungen versetzt, wenn
Austern dem ruhigen Fortgleiten des Netzes Wider-
stand entgegensetzen. Gewöhnlich lässt man das Netz
fünf bis zehn Minuten lang schleppen; dann ziehen es
zwei oder drei Mann herauf und schütten den ganzen
Inhalt des Beutels auf dem Deck aus. Dieser besteht
aus alten Austernschalen, Schalen von Herz- und Mies-
muscheln, lebenden Austern, Schnecken, Krebsen, Wür-
mern, Seesternen, Seeigeln, Polypen, Schwämmen und
Seepflanzen, die gewöhnlich alle durch Sand und Schlick
verunreinigt sind. Aus diesem Haufen von wimmelnden
oder starr daliegenden Thieren werden nun alle aus-
gewachsenen Austern ausgelesen.
Während sie einzeln durch die Hände der Fischer
gehen, schneiden und schaben diese mit einem Messer
das Gröbste alles lebenden Besatzes von den Schalen
ab und werfen die Austern in Körbe. In diesen rüttelt
und schüttelt man sie dann, um noch denjenigen Ansatz
zu zerstören, den das Messer zurückliess. Darauf schlingt
man Taue um die Körbe und senkt und hebt diese im
10 Aiisternbänke und Austernfang.
Meerwasser auf und nieder, um alle Unreinigkeiten von
den Austern abzuspülen.
Jetzt erst befinden sie sich in demjenigen Zustande,
in welchem sie in den Handel kommen. Trotz dieser
mehrfachen Reinigung sind doch noch viele Austern,
wenn sie auf den Tisch kommen , mit todten und leben-
digen Thieren besetzt, und der eigenthümliche Geruch,
den sie im Binnenlande haben, geht hauptsächlich von
dem abgestorbenen Besatz der Schalen aus und nicht
von den frischen, lebendigen Austern selbst.
An keiner Stelle des Wattenmeeres liegen die Austern
auf Felsengrund. Ihre beste Unterlage sind alte Austern-
schalen und Schalen anderer Muscheln. Die meisten
liegen einzeln; in Klumpen zusammengewachsene kom-
men selten vor. Die verbreitete Vorstellung, dass sie
am Meeresboden festgewachsen seien und dicht neben-
und übereinandergeschichtet lägen, ist also falsch. Auf
den besseren schleswig-holsteinischen Bänken muss das
Schleppnetz eine Bankfläche von i bis 3 Quadratmeter,
ja oft eine noch grössere Fläche, bestreichen, um eine
einzige voUwüchsige Auster aufzunehmen.
Im Schleswig - holsteinischen Wattenmeere liegen
47 Austernbänke von sehr verschiedenem Umfange. Die
grösste ist über drei Kilometer lang; die meisten siad
kürzer. Ihre Breite ist in der Regel viel geringer als
die Länge, welche dieselbe Richtung hat, wie der Laut
der Tiefe, an deren Böschung sie liegt. Die meisten
Bänke haben wenigstens noch zwei Meter Wasser über
sich, wenn bei Ebbe die Watten in ihrer Nähe trocken
liegen. Tiefer als 6 bis 9 Meter kommen in unserem
Wattenmeer keine Bänke vor. Obgleich alle siebenund-
vierzig innerhalb eines Gebietes von 74 Kilometer Länge
Austernbänke und Austemfang. 1 1
und 22 Kilometer Breite liegen, so ist die Beschaffen-
heit der Austern, was Form und Festigkeit ihrer Schale
und besonders auch den Geschmack des Weichthiers
betriflft, sehr verschieden. Auf zwei Bänken innerhalb
der Südspitze von Sylt wachsen Austern, die an Fülle
und Feinheit des Geschmacks den besten englischen
Natives nicht nachstehen.
Keimfruchtbarkeit der Aus
Eine vollwüchsige schleswig-holsteinische Auster, ungefähr lo Jahre alt,
stark eierträchlig, ain 14. Juni 1871 von J. Wiltmaack nachdem Leben
gezeichnet.
Die flache Klappe der Schale, die rechte, ist abgelöst. Das Weich-
thier liegt in der hohlen linken Klappe an seiner natürlichen Stelle.
Oben treten die Verdickungsschichten der Schale hervor. In jedem
Jahre werden mehrere Schichten abgelagert. Die innere Flüche der Schale
ist weiss bis auf den Saum, der eine braunliche Farbe hat. Oben dicht
an dem Rücken des WeJchthiers, der etwas eingesenkt ist, liegt eine
sichelförmige braune Masse, das Schalenband. Es wurde beim Ab-
lösen der flachen Klappe mitten durchgebrochen. Die rechte Seite des
Weichthieres liegt frei vor dem Beschauer, die linke ruhet auf der inneren
Fläche der hohlen Klappe.
Keimfruchtbarkeit der Austern. 13
3. Die Keimfruchtbarkeit
der Austern.
Legt man die Flächengrössen aller Austernbänke zu-
sammen, so bedecken sie lange nicht den hundertsten
Theil desjenigen Wattenmeergrundes, der immer unter
Wasser bleibt. Woran liegt das? Fehlt es an junger
Austernbrut, um alle Stellen zwischen den Bänken auch
noch zu bevölkern? — Das kann ich aus folgenden Grün-
den nicht annehmen.
Die Gesammtzahl der vollwüchsigen Austern, welche
Die Hautplatte mit gefaltetem und umgelegtem Saume ist die
Mantelplatte der rechten Seite. Die weissen Linien darin sind Muskel-
fasern. Die linke Mantelplatte liegt dicht auf der Schale. Sie ist weiter
ausgedehnt, als die rechte. Unter dem umgelegten Saume des Mantels
erscheinen die Kiemen, deren die Auster vier besitzt. Am meisten ent-
blösst ist die äussere Kieme der rechten Seite. Von zwei andern sieht
man blos einen schmalen Rand. Alle vier sind von innen nach dem
Rande zu gerieft. Auf den Riefen stehen Flimmerwimpem (selbstbeweg-
liche Härchen), deren Schwingungen das Wasser zum Athmen über die
Kiemen hintreiben.
Oberhalb der Kiemen hängen zwei Paar gestreifte Platten; zwischen
ihnen ist der Eingang in den Mund der Auster. Der angeschwollene
obere Körpertheil enthält die Geschlechtsdrüse, die Leber, den Magen,
den Darm und das Herz. Das bohnenförmig umgrenzte Organ ist der
Schliessmuskel, der sogenannte Stuhl. Er besteht aus einer grauen
oberen Abtheilung und aus einer weissen unteren.
Keimfruchtbarteit der Austern.
B Band.
, Dh Dunslhöhle.
C Geschlechtsdrüse.
gS grauer SchliessmuslteithcU.
Ü Hera.
JCi Kieme.
Z Leber
IK linlte Klappe.
Mtt Magen.
Mt Mantel.
Afp Mundlappen,
rjf rechte Klappe.
wS weisser Schliessmuslteltheil.
Senkrechter Querschnitt einer sieben oder acht Jahr alten Auster.
Die gewölbte linke Klappe (IK) der Schale ist, wie gewöhnlich,
etwas dicker als die rechte {rK~). Beide sind durch das Band (Ä) ver-
bunden, welches durch seine ausdehnende, rückwirkende Federkraft beide
so lange auseinander hält, so lange sie der Schliessmuskel (gS
und wS) nicht zusammenzieht. Der Schliessmuskel besteht aus grauen,
feineren Muskelfasern (gS) und aus weissen gröberen Muskelfasern (viS),
In der gewölbten Schale sind oben in der Nähe des Bande» vier
Löcher, die ein Schwamm (Clione celata) ausgehöhlt hat, welcher
häutig in den Austemschalen des Wattenmeeres lebt. Zwei andere län-
gere Höhlungen (Dh) kommen in den Schalen aller Austern oft vor.
Sie sind mit Wasser angefüllt, welches nach Fäulnissgasen riecht, und
deissen deshalb Dunslhöhlen. Der dickste Theil der Schale liegt bei
hem Schliessmuskel. Er besteht hauptsachlich aus kreideweissem Kalk,
durch welchen sich aber glänzende festete Schichten hindurchziehen. Zu-
nächst über dem Schliessmuskel liegt das Heri (If). Die hellere, im
Keimfnichtbarkeit der Austern. IJ
auf den schleswig-holsteinischen Bänken liegen, schätze
ich auf ungefähr fünf Millionen. Nach meinen Unter-
suchungen bringen im Laufe des Sommers wenigstens
44 Procent der vorhandenen voUwüchsigen Austern Brut
hervor.^) Da nun eine ausgewachsene eierträchtige
Auster (Fig. 4 S. 12) über eine Million Eier legt, so ent-
stehen in einer Brutperiode * auf unsern Austernbänken
wenigstens 2,200,000,000,000 junge Austern, die sicherlich
ausreichen würden, den Boden des ganzen Wattenmeeres
in eine ununterbrochene Austernbank zu verwandeln.
Denn wenn sich eine solche Summe von Austernbrut
über eine Fläche von 74 Kilometer Länge und 22 Kilo-
meter Breite vertheilt, so fallen jedem Quadratmeter
1351 Stück zu.
Jene Summe von 2 Billionen und 200,000 Millionen
junger Austern ist aber unzweifelhaft niedriger, als in
Wirklichkeit entstehen, weil nicht blos die ausgewachse-
nen, über sechs Jahr alten Austern Eier legen, sondern
weil sie schon im zweiten oder dritten Lebensjahre an-
fangen, sich fortzupflanzen. Die jungen legen zwar weniger
Eier als alle voUwüchsigen. Aber alle drei- bis sechs-
Leben gelbliche Masse über der Herzhöhle besteht hauptsächlich aus der
Geschlechtsdrüse (G), Diese umgiebt den Magen (Ma) und die
Leber (L)^ welche im Leben eine braune Farbe hat. In dem Räume
über 'diesen Eingeweiden sieht man die Querschnitte der vier Mund-
platten (Mp). Unter dem Schliessmuskel hängen dicht an der
Schale die beiden Mantelplatten (Mt). Ihr Saum ist verdickt und
mit Fransen besetzt. Er enthält Muskel- und Nervenfasern. Im Leben
kann er über den Rand der Schale hervortreten. Der Mantel sondert
alle Schalenstoffe ab. Zwischen den beiden Mantelplatten ist ein weiter
Raum, unter welchem die vier Kiemen hängen (Kt). Jede Kieme besteht
aus zwei Platten, die oben und unten verwachsen sind. Die Mantelplatten
und die Kiemen zusammengenommen bilden den sogenannten Bart der
Auster. In den Zwischenräumen des Bartes geht die Entwicklung der
gelegten Eier vor sich. In die Bruträume sind einige Keime ein-
gezeichnet.
Keimfruchlbarkeit der Auslern.
Einige Entwicklungsstufen des Austemkeimes. a bis ^ I25tnal
vergrössert, f und g I50ina].
a. Das gelegte Ei. In der Dottermasse liegt der Eikem und in
diesem das Kernkorpercben.
*. Die Entwicklung hat angefangen. Der Eikern ist ausgetreten.
c. Theilung der Eimasse in 2wei ungleicligrosse Kugeln.
d. Ein späterer Theilungszustand.
e. Der Keim besteht aus vielen, durch weiter fortgesetzte Theilung
entstandenen Zellen. Diese bilden eine Blase mit einer Vertiefung, welche
der Anfang des Nahrungskanales ist.
f. Der Austemkeim ist zum Schwärmting ausgebildet, der eitie zwei-
klappige Schale hat. Diese ist durchsichtig; man sieht im Innern den
Verlauf des Nahningskanales. Ein Pfeil zeigt in den Mund hinein.
Hinter der Speiserühre der Magen mit zwei Erweiterungen. Die Pfeile
in diesen zeigen den Gang der Nahrung an. Das Ende des Darmes liegt
über dem Munde. Links von der ersten Magenabtheilung der Schliess-
muskel der Schale. Unten tritt das Wimperkissen hervor, das Fort-
bewegungsorgan des Schwärmlings. Es kann durch Muskelstränge in
die Schale hineingezogen werden.
g. Ein Schwäimling , von der schmalen Seite gesehen. Zu beiden
Seiten die Klappen der Schale; quer durch den Kärper geht von der
einen zur andern der Schliessmuskel. Unten ist das Wimperpolster, an
welches sich Muskeln ansetzen, die es in die Schale hineinziehen können.
Keimfruchtbarkeit der Austern. I7
jährigen Austern, welche bei 5 Millionen ausgewachsenen
Austern auf unseren Bänken liegen, legen nach einer
sehr massigen Abschätzung sicherlich doch wenigstens
300,000 Millionen Eier, so dass einem Quadratmeter
nicht blos 135 1 Stück junge Austern zufallen, sondern
wenigstens 1535 Stück.
Um zu bestimmen, wie viel Eier die Austern bilden,
muss man sie in der Fortpflanzungszeit fischen. Diese
beginnt auf den schleswig-holsteinischen Bänken in der
Mitte des Juni und dauert bis Ende August oder bis
Anfang September. Die eierträchtigen Austern entlassen
ihre reifen Eier nicht in das Wasser, wie viele andere
Muscheln, sondern behalten sie so lange in dem so-
genannten Barte (den Mantel- und Kiemenblättern), bis
sich schwimmfähige Thierchen daraus gebildet haben
(Fig. 5 S. 14 und Fig. 6 S. 16).
Die Eier sind weiss und bedecken wie eine dick-
flüssige, rahmartige Masse die Mantel- und Kiemen-
blätter. Sobald sie die Geschlechtsdrüse verlassen haben,
beginnt die Entwicklung der Austernkeime. Die ganze
Dottermasse des Eies theilt sich in Zellen; die Zellen
bilden eine Keimblase, in welcher durch die Einstülpung
eines Poles ein Nahrungskanal entsteht (Fig. 6). Sehr
bald erscheinen auf der linken und rechten Seite des
Keimes vom Rücken her die Anfange der Schale und
nachher bildet sich an der untern Seite ein Wimperkissen
aus, welches die jungen Thierchen willkürlich aus der geöff-
neten Schale hinausschieben können, um mit den schla-
genden Wimpern entweder Nahrung nach dem Munde
zu treiben oder sie beim Schwimmen als Ruder zu ge-
brauchen. .Während dieser Entwicklung geht die an-
fängliche rahmweisse Farbe der Austernkeime in ein
Möbius, Auster. 2
l8 Keimfruchtbarkeit der Austern.
bleiches Grau und zuletzt in ein sattes Graublau über.
Sie haben jetzt eine linsenförmige Gestalt und eine
Breite von 0,15 bis 0,18 Millimeter. Auf einem Quadrat-
centimeter finden also über 300,000 Stück Platz. Oeffnet
man eine Auster, in welcher die Keime diese Beschaffen-
heit erreicht haben, so findet man auf ihrem Barte einen
schleimigen Ueberzug, der dicht angefüllt ist von grau-
blauen Körnchen. Versetzt man einen Tropfen dieses
körnigen Schleimes in ein Gefäss mit reinem Seewasser,
so entfernen sich die jungen Thierchen von einander
und verbreiten sich schwimmend durch das ganze
Wasser.
Wenn . die Austernkeime bis zu diesem Grade aus-
gebildet sind, so lässt sich ihre Zahl auf folgende Weise
feststellen. Man streift sie mit einem Haarpinsel vom
Barte der geöffneten Mutterauster rein ab, wägt erst
die ganze Masse und dann einen abgesonderten Theil
derselben. Diesen verdünnt man mit Wasser oder Wein-
geist und bringt die Thierchen in kleinen Portionen auf
Glasplatten, wo sie dann unter dem Mikroskop gezählt
werden. Aus dem Gewicht der ganzen Masse und aus
der Zahl und dem Gewicht des abgesonderten Theiles
wird die Anzahl aller Keime berechnet.
Auf diese Weise, habe ich die Zahl der Keime von
fünf voUwüchsigen schleswig-holsteinischen Austern, die
im August 1869 gefangen wurden, bestimmt, und ge-
funden, dass eine jede im Durchschnitt 1,012,955 Stück
enthielt.
Keimfruchtbarkeit der Austern.
19
>) Dass wenigstens 44 Procent der vollwüchsigen
Austern in einer Fortpflanzungsperiode Eier legen, schliesse
ich aus folgenden Beobachtungen:
Ich öffnete am
Austern :
Es enthielten
weisse
Keime :
blaue
Keime :
Im
Ganzen
Procent
16. Juni 1873 . . . .
6. Juli 1873 • • . •
12. — 17. Aug. 1869
112
63
480
5
7
4
6
9
72
8
20,6
15.8
Summa: 44,4.
'Mir ist nicht genau bekannt, wie lange die Entwickelung
der Austemkeime von dem Beginn der Furchung des Eies bis
zur Ausbildung des Schwärmstadiums dauert; wahrscheinlich
weniger als vier Wochen. Denn während ich in den Jahren
187 1 und 1874 in der letzten Woche des Monates Mai, im
Jahre 1873 vom 4. — 6. Juni, und 1876 vom 6. — 9. Juni noch
keine Brut im Barte/von hunderten geöffneter Austern fand,
enthielten von 112 Austern, die am 16. Juni 1873 gefischt
wurden, 5 Stück weisse Keime, 4 Stück aber schon bläuliche,
also bereits mit Schalen und Wimperkissen versehene Keime.
Wenn bis zum Ende der ersten Juniwoche noch keine Eier
gelegt werden, aber am Anfang der dritten Woche schon bläu-
liche Keime ausgebildet sind, so kann die Umbildung der
weissen Keime in bläuliche nicht länger als eine Woche
dauern, und diese werden dann schwerlich noch länger als
zwei Wochen im Barte verweilen. Also werden die in jedem
folgenden Monat keimträchtig gefundenen Austern andere In-
dividuen sein, als diejenigen, die vorher keimträchtig waren,
und daher ist es richtig, die im Juni, Juli und August gefundenen
Procente der keim trächtigen Austern zusammenzuzählen, um zu
ermitteln, wie viel Procent im Laufe des ganzen Sommers
keimträchtig sind. Da aber schon oft noch im Anfang des
Septembers blaue Brut im Mantel schleswig-holsteinischer
Austern gefunden worden ist, so ist die Zahl 44,4 Procent
sicherlich nicht zu hoch.
Die Austern sind Zwitter. In einer grösseren Zahl Austern
20 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke?
fand ich in der ganzen Geschlechtsdrüse nur Eier, aber keine
Befruchtungskörper; in vielen anderen in der ganzen Ge-
schlechtsdrüse nur Befruchtungskörper, aber keine Eier.
Bei 7 Austern, die blaue Brut im Barte trugen, enthielt die
Geschlechtsdrüse Befruchtungskörper (Fig. 7).
Drei Austern mit jüngeren weissen Keimen im Barte hatten
keine Befruchtungskörper in der Geschlechtsdrüse. Bei den
meisten keimträchtigen Austern enthielten die Geschlechts-
drüsen weder Eier noch Befruchtungskörper. Von 309 Austern,
welche am 25. Mai auf vier verschiedenen Bänken im Osten
der Insel Sylt gefischt, und vom 26. Mai bis i. Juni untersucht
wurden, waren 18 Procent geschlechtlich unentschieden, die übri-
gen 82 Procent waren zur Hälfte eierträchtig, zur Hälfte sperma-
trächtig. Bei keiner waren die Geschlechtsprodukte ausgereift.
Aus diesen Befunden schliesse ich, dass in der Geschlechts-
drüse der Auster nicht gleichzeitig, sondern folgezeitig Eier
und Befruchtungskörper entstehen ; dass Befruchtungskörper sehr
bald nach dem Ausstossen der Eier entstehen können, und dass
wahrscheinlich die eine Hälfte der Austern eines Gebietes in einer
Brutperiode blos Eier, — die andere Hälfte blos Sperma bildet.
Fig. 7.
a. Ein Ballen Befruchtungskörper, die noch so zusammenhängen,
wie sie dicht neben einander in den Zellen der Geschlechtsdrüse ent-
standen. Sie sind 275 mal vergrössert.
3. Ein einzelnerBefruchtungskörper, 1000 mal vergrössert. DerFaden
macht wellenförmige Bewegungen; dadurch treibt er den Kopf vorwärts.
Die reifen Befruchtungefaden gehen aus der Geschlechtsdrüse ins Wasser,
mit diesem gelangen sie in den Brutraum eierträchtiger Austern und be-
fruchten die frisch gelegten Eier dadurch, dass sie sich in den Dotter
derselben einbohren und mit demselben vereinigen.
Keimfruchtbarkeit der Austern. 21
4. Warum bilden sich nicht
in allen Theilen des Wattenmeeres
Austernbänke ?
Es ist also klar, dass die Keimfruchtbarkeit der
Austern ausserordentlich gross ist und dass die Aus-
dehnung der Austernbänke über den Boden des ganzen
Wattenmeeres nicht deshalb unterbleibt, weil zu wenig
Austernbrut erzeugt wird, sondern aus andern Ursachen,
und es ist daher zu untersuchen, ob "etwa das Watten-
meer nicht überall für Austern geeignet ist; ob der
Salzgehalt, die Temperatur, die Bewegungen und der
Nahrungsgehalt des Wassers und die Bestandtheile des
Grundes auf den Austernbänken ganz anders beschaffen
sind, als an allen übrigen Stellen des Wattenmeeres.
Der Salzgehalt der oberen Wasserschichten der
freien Nordsee beträgt 3,47 bis 3,50 Procent. ^) Das
Wasser des Wattenmeeres ist etwas weniger salzig; es
enthält nur 3 bis 3,3 Prozent.^) Da in unserm Watten-
meere und in anderen etwas schwächer salzigen Küsten-
meeren Europas die Austern einen viel feineren Ge-
schmack annehmen, als am Grunde der freien Nord-
22 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke?
see,^) WO sie 35 Meter tief und tiefer in einem Wasser
leben, welches gegen 3,5 Procent Salz enthält, so ist ein
bis auf 3 Prozent verminderter Salzgehalt eine für die
Austernwirthschaft sehr willkommene Eigenschaft des
Küstenwassers. Und da unser ganzes Wattenmeer nicht
bloss bei den Austernbänken sondern überall diesen
Salzgehalt besitzt, so kann weder ein Mangel noch ein
Uebermass von Salzgehalt die Verbreitung der Austern
durch das ganze Wattenmeer hindern; und ebenso-
wenig die Temperatur des Wassers; denn sowohl auf
den Austernbänken wie auch an andern Punkten schwankt
diese im Laufe der Jahreszeiten zwischen 20^ C. Wärme
und — 2^ Kälte. Auch Mangel an Bewegung des
Wassers und an Nahrungsstoffen kann die Ursache
nicht sein, warum die Austernbänke seit Jahrhunderten
über gewisse Bezirke nicht hinausgewachsen sind ; denn
überall schweben in dem durch Ebbe und Fluth be-
wegten Wasser des ganzen Wattenmeeres mikroskopische
Pflanzen und Thiere und viel todte organische Stoffe,
welche zahlreichen Austern da ebenso gut zur Nahrung
dienen könnten, wo sie Schaaren von Sandmuscheln
(Mya arenaria), Miesmuscheln (Mytilus edulis) und Herz-
muscheln (Cardium edule) nähren. So bleibt denn als
einziges natürliches Hinderniss einer grösseren Ausdeh-
nung und Vermehrung der Austernbänke die ungün-
stige Beschaffenheit des Grundes in dem grössten
Theile des Wattenmeeres übrig.
Austern können da nicht gedeihen, wo der Grund aus
beweglichem Sande besteht oder wo sich Schlick ab-
lagert. Und das Eine oder das Andere findet in dem
grössten Theile des Wattenmeeres statt.
Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 23
Die Zahl und Grösse derjenigen Stellen, wo trotz
der täglichen Fluth- und Ebbeströmungen der Boden
unverändert fest und schlickfrei bleibt, ist sehr be-
schränkt. Nur an den Abhängen gewisser Tiefen im
Norden der Eidermündung treffen alle Umstände zur
Bildung solcher Stellen günstig zusammen, und nur
auf diesen beschränkten Bezirken können junge Austern
zu völliger Reife heranwachsen.
Wenn die jungen Austern im Barte ihrer Mutter eine
Grösse von 0,15 bis 0,18 Millimeter erreicht haben, wenn
ihr Nahrungskanal so weit ausgebildet ist, dass sie sich
selbstständig ernähren können; wenn ihr Wimperkissen
im Stande ist, sie fortzubewegen, so verlassen sie ihre
Entwicklungsstätte, schwärmen durch das Wasser, steigen
auf kurze Zeit an die Oberfläche und lassen sich dann
am Meeresboden nieder.
Geräth die kleine Schwärmauster an einen Ort, wo
reine Steine oder Muschelschalen liegen, an welchen
ihre Schale festwachsen kann, so hat sie Aussicht, gross
zu werden. Wird sie dagegen auf veränderliche Sand-
bänke oder auf Schlickboden verschlagen, so ist sie ver-
loren. Denn am Schlüsse ihrer Schwärmperiode ver-
schwindet das Wimperkissen, ihr Schwimmapparat, und
kein muskulöser Fuss tritt wie bei den meisten andern
Muscheln als Fortbewegungsorgan an dessen Stelle.
Die Auster ist also an den Ort festgebannt, den sie ein-
nahm, als sie ihr Schwimmleben abschloss. Wenn sie
Strömungen und Wellen mit Sand bedecken; wenn
zwischen Fluth- und Ebbewechsel das ruhende Wasser
Schlick auf sie niediersinken lässt, wenn Pflanzen sie über-
wuchern: so ist sie unfähig, sich in das freie Wasser empor-
zuarbeiten und an einen besseren Platz zu wandern; sie
24 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke?
muss an Ort und Stelle liegen bleiben und geht, weil
sie daselbst weder erhaltungsmässig athmen noch Nah-
rung aufnehmen kann, sehr bald zu Grunde.
^) Ueber den Salzgehalt, die Temperatur und die
Strömungen der'Nordsee lieferte Dr. H. A. Meyer eine
Arbeit in dem «Bericht der Commission zur Untersuchung der
deutschen Meere über die Expedition zur chemisch .-phys. und
biologischen Untersuchung der Nordsee 1872. Berlin 1875.»
(Specifisches Gewicht und Salzgehalt S. 18.)
*) Im Wattenmeer habe ich selbst Messungen des Salz-
gehaltes und der Temperatur bei wiederholten Untersuchungen
der Austernbänke angestellt. Seit 1872 lässt die Commission
zur Untersuchung der deutschen Meere in Kiel an verschiede-
nefi Stationen regelmässige Beobachtungen machen, welche
seit 1874 unter dem Titel: Ergebnisse der Beobachtungs-
Stationen an den deutschen Küsten über die physik. Eigen-
schaften der Ostsee und Nordsee, erscheinen. Berlin 1874,
1875, 1876.
3) Im Norden von Deutschland und Holland, im Osten
von England und im Kanal zwischen England und Frankreich
werden viele Austern gefangei^. Die deutschen Fischer von
Blankenese und Finkenwärder bei Hamburg, welche in der
deutschen (oder helgolander) Bucht der Nordsee Steinbutten,
Goldb'utten und Zungen mit grossen Schleppnetzen fischen,
fangen mit diesen zugleich oft auch Austern.
Die Austemgründe der freien Nordsee liegen meistens 33 bis
34 Meter tief; sie beginnen mit einem schmalen Streifen im Süd-
osten von Helgoland, ziehen sich von hier aus westnordwestlich
von Helgoland, und bilden dann einen 15 bis 2 2 Kilometer breiten
Streifen, der sich weit nach Westen ausdehnt. Holländische
und deutsche Fischer betreiben hier besonders in den Monaten
August, September und Oktober AustÄnfischerei und fangen
mit einem Schleppnetzzug manchmal an 1000 Stück. Bis-
weilen gerathen grosse Klumpen an eiiianderge wachsener Austern
in's Netz.
Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 25
Die Tiefsee- Austern werden viel grösser als die Küstenmeer-
Austem. Man findet Exemplare, deren Schalen 13 Centi-
meter breit sind. Ihr Fleisch ist zähe; dennoch werden
in England, Frankreich und Deutschland viel verzehrt; in
Frankreich und England dienen sie hauptsächlich zu Saucen
und Pasteten. In Deutschland werden viele auch frisch ge-
gessen, besonders im Hannoverschen und in Bremen. Für den
allmälichen Verbrauch im Winter legt man sie an geeigneten
Stellen in^ Wattenmeere nieder, z. B. bei der Insel Wangeroog.
(S. Metzger's Beiträge zu dem Jahresbericht d. Commiss. zur
Unt d. deutschen Meere 1873, S. 171 u. 1875, S. 252.)
26 Künstliche Austemzucht in Frankreich.
5. Die künstliche Austernzucht
in Frankreich.
Der Ertrag vieler einst reichen Austernbänke an der
Westküste von Frankreich hatte in den fünfziger Jahren
in einem solchen Grade abgenommen, dass Professor
P. Coste^) in Paris, der Gründer der berühmten Fisch-
zuchtanstalt bei Hüningen im Elsass dem Kaiser Na-
poleon III. einen Plan für künstliche Austernzucht vor-
legte. Er wollte damit der Vernichtung einer, grossen
Menge junger Austern im Anfang ihres selbstständigen
Lebens entgegentreten.
Der erste Versuch, die verarmten Austernbänke
wieder fruchtbar zu machen, wurde in der Bucht
von St. Brieux, im Norden der Bretagne, aus-
geführt. Hier, wo einst 1400 Mann jährlich für 300- bis
4CX),ooo Franken Austern gefischt hatten, war in den
fünfziger Jahren die Austernfischerei fast ganz erloschen.
Nach Coste's Anleitung wurden im März und April
des Jahres 1858 eine Menge Schalen von Austern und
andern Muscheln an den Grund geworfen und Reiss-
bündel durch Steine so niedergesenkt, dass sie nahe
über dem Grunde schwebten. Nachdem auf diese Weise
Künstliche Austemzucht in Frankreich.
27
1000 Hectar des Meeresbodens für den Ansatz junger
Schwärmaustem vorzüglich zubereitet waren, wurden drei
Millionen ausgewachsene Austern darüber ausgestreut.
Im Herbst fand man alle Schalen und Zweige der
Reissbündel so dicht mit jungen Austern bedeckt, dass
selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen waren.
(Fig. 8.) Dieser Reichthum an jungen Austern war jedoch
etwas ganz Natürliches. In seinem Bericht an den Kaiser
vom 12. Januar 1859 über den Versuch in der Bucht von
St. Brieux sagt Professor Coste, dass jede erwachsene
Auster 2 bis 3 Millionen Keime erzeuge. Wie er diess
gefunden, giebt er nicht an Angenommen, die bei
St. Brieux ausgestreuten Austern hatten nur die Keim-
fruchtbarkeit der schleswigholsteinischen, so brachten
sie zusammen doch schon die ungeheure Summe von
einer Billion und 320,000 Millionen ausschwärmender
Austern hervor, so dass jedem Quadratmeter des Meeres-
bodens 132,000 junge Austern zufielen, fiir welche um die
Mütter herum genug passende Ansatzkörper bereit lagen.
Fig. 8.
O
Umrisse junger Austern.
a. Ungefähr einen Monat alt.
b. Ungefähr zwei Monat ah.
c. Ungefähr vier Monat alt.
d. Zwölf bis fünfzehn Monat alt.
28 Künstliche Austernzuclit in Frankreich.
Dieser Versuch von St. Brieux wurde für einen voll-
ständigen Beweis gehalten, dass künstliche Austern-
zucht möglich sei. Man glaubte die ganze Küste Frank-
reichs mit Austerhbänken umsäumen zu können und be-
rechnete schon nach den damaligen Austernpreisen (das
Tausend zu 20 Franken), wie viele Millionen Franken
man jährlich aus dem Meere ernten würde. Capita-
listen beeilten sich, mit Fischern Compagnien zu bilden,
welche von der Regierung die Concession erwarben,
auf gewissen Küstenstrecken künstliche Austernbetten an-
zulegen. Aber überall blieben die vorausberechneten
reichen Ernten marktfähiger Austern aus, und die
Geldsummen, Welche man für die Zubereitung des
Grundes und den Ankauf fortpflanzungsfähiger Austern
von natürlichen Bänken ausgegeben hatte, brachten nicht
nur keinen Gewinn, sondern gingen grösstentheils ver-
loren. Die jungen Austern wurden fast alle durch Sand
oder Schlamm erstickt oder von andern Seethieren ge-
fressen. So war es erklärlich, dass ich im Jahre 1869 in der
Bucht von St. Brieux nichts mehr von der im Jahre 1858
künstlich angelegten Austernbank vorfand. Der Grund
der Bucht war durch Versandung für Austern untaug-
lich geworden.
Gegenwärtig wird nur noch an einigen durch ihre
eigenthümlichen Naturverhältnisse besonders begünstig-
ten Plätzen an der französischen Küste das Einfangen
von Austernbrut mit einigem Gewinn betrieben, in grosser
Ausdehnung besonders in der Bucht von Arcachon
südlich von Bordeaux. Diese Bucht ist, wie ich mich selbst
überzeugt habe, rücksichtlich ihres Bodens und Salz-
gehaltes unserm Wattenmeer sehr ähnlich. Ausgedehnte
seichte Sand- und Schlickbänke mit Muschelschalen laufen
Künstliche Austenizucht in Frankreich. 29
bei Ebbe trocken und in tieferen Rinnen strömt das
fluthende und ebbende Wasser ein und aus. An Stellen,
die stets unter Wasser bleiben, liegen natürliche Austern-
bänke, und längere Strecken an den sanft geneigten
Böschungen der Wasserläufe benutzt man zu Austern-
betten, indem man hierher Mutteraustern von natürlicher!
Bänken versetzt und darauf gegen Ende des Monats
Mai zwischen diesen Muschelschalen ausstreut und
Dachziegel aufstellt, welche mit einer leicht ablös-
baren Cementkruste überzogen sind, um auf ihnen die
ausschwärmende Austernbrut einzufangen. Von den
grösseren dieser Brut- Sammelkörper lösst man mit
Meissein die festsitzenden kleinen Austern im Oktober ab,
wobei im günstigsten Falle wenigstens der dritte Theil der-
selben zerbrochen wird, und bringt sie dann in viereckige
flache Kasten, welche 2 Meter lang, i Meter breit und 1 5 bis
30 Centimeter hoch sind. Diese Kasten haben einen
Boden von Drahtgewebe, durch welches Wasser ein-
und austreten kann. Die Seitenwände und der Deckel
bestehen aus dicken Brettern. An den Ecken sind die
Kasten durch Pfähle so hoch über dem Meeresboden
befestigt, dass unter dem Drahtboden eine Wasserschicht
von ungefähr 10 Centimeter Höhe steht. Der Zweck
dieser Behälter ist, die jungen Austern gegen Taschen-
krebse (Carcinus maenas), Schnecken (Murex erinaceus)
und andere Feinde zu schützen, die nach früheren
bittern Erfahrungen der Auzternzüchter von Arcachon
Massen von jungen Austern vertilgen, weil deren Schalen
noch zu dünn sind, um ihnen das Eindringen in den
weichen Leib der Auster abzuschneiden.
In diesen Zuchtkästen müssen die Austern stets unter
Wasser gehalten werden, damit sie weder durch Trock-
30 Künstliche Austernzucht in Frankreich.
niss noch durch Sommerhitze oder Winterkälte ver-
nichtet werden. Um dieses zu erreichen, gräbt man in
den höher liegenden Abtheilungen des Austernparks^
die bei jeder Ebbe trocken laufen, viereckige Vertie-
fungen aus von 30 bis 40 Meter Länge und 4 bis 5 Meter
Breite. Den Seitenwänden giebt man Festigkeit durch
Pfähle und Bretter, gegen welche man von aussen her
Thon legt, und den Boden bedeckt man mit Sand und
Kies, um ihn für Austern geeignet zu machen. An
einer der vier Seiten befindet sich ein verschliessbarer
Kanal, durch den man nach Belieben bei Fluth Wasser
ein- und bei Ebbe ausfliessen lassen kann. In diesen
künstlichen Teichen (Claires genannt) stehen die Kasten
für die jungen Austern, welchen das durch den Gitter-
boden eindringende Wasser Nahrung zufuhrt. So oft
es der Wasserstand möglich macht, öffnet der Züchter
den Deckel des Kastens, um der Luft und dem Lichte
freieren Zugang zu gestatten und um die Austern von
angesammelten Unreinigkeiten zu befreien. Zwei Monate
später nimmt er sie heraus und streut sie auf dem Grunde
der Zuchtteiche aus. In diesen dürfen sie nicht zu dicht
bei einander liegen, wenn sie sich gut entwickeln sollen.
Gegen die zahlreichen Feinde, die ihnen auch hier nach-
stellen, werden sie durch engmaschige Netze geschützt,,
welche man über ihnen ausspannt. Sehr vortheilhaft ist
es, die Austern im Laufe des Jahres ein- oder zweimal
in einen benachbarten gereinigten Teich zu versetzen,
nachdem derselbe zuvor einige Monate lang ganz trocken
gelegen hat. In den wärmsten und in den kältesten
Monaten muss man auch während der Ebbe eine Wasser-
schicht von wenigstens 20 Centimeter Höhe über den
Austern zurückhalten. Eine so mühevolle und sorg-
Künstliche Austemzucht in Frankreich. 31
fältige Behandlung erfordern die Zuchtaustern in Ar-
cachon wenigstens zwei Jahre hindurch, ehe sie auf
den Markt gebracht werden können.
Im Jahre 1874 — 75 lieferte die Bucht von Arcachon
112 Millionen verkäufliche Austern und 1875 — 'jS sogar
196 Millionen. Dieser bedeutende Ertrag der letzten
Jahre gegenüber den Missernten früherer ist hauptsäch-
lich auf zwei Ursachen zurückzuführen. Erstens hatte
man die natürlichen Austernbänke in der Bucht von
Arcachon unmittelbar vor diesen reichen Ernten zwei
Jahre hindurch geschont. Während diese 1870-71 nur
4,897,000 Austern geliefert hatten, sammelten nach dieser
Ruhezeit 8500 Personen im November 1874 binnen drei
Stunden, in denen der Austernfang freigegebea war,
40,360,000 Austern ein, von denen eine grosse Anzahl
als Zuchtaustern in die Austernbetten versetzt wurden,
welche gegenwärtig zusammen eine Bodenfläche von
2669 Hectaren einnehmen. Zweitens hat man die
früheren unvollkommenen Aufzuchtmethoden dadurch
wesentlich verbessert, dass man die jungen Austern vor
ihren Feinden schützt und Sorge trägt, sie in heissen
und kalten Tagen immer unter Wasser zu halten, während
bei den früheren Methoden sehr viele durch Feinde ver-
zehrt wurden und in wenigen ungünstigen Sommer- oder
Wintertagen oft alle jungen Austern, die bei niedrigen
Ebben trocken lagen, durch Hitze oder Kälte zu Grunde
gingen.
Der ausserordentliche Erfolg der verbesserten künst-
lichen Austernzucht in der Bucht von Arcachon und
an einigen Küstenpunkten der Bretagne hat trotz des
grossen Consums die Preise der Austern in Frank-
reich sehr ermässigt. Während man im Jahre 1873 für
3-2 Künstliche Austemzucht in Frankreich.
das Tausend 43 Franken bezahlen musste, kaufte man
es 1876 für 25 Franken. Daher behalten nach Abzug
der Betriebsunkosten nur noch solche Austernzüchter
einigen Gewinn übrig, welche persönlich und unterstützt
von ihren Angehörigen Hand ans Werk legen. Für
Unternehmer, welche die vielen bei der Austernzucht
nöthigen Arbeiten durch fremde Hände ausführen lassen,
kann von einem nennenswerthen Gewinn, wenigstens in
der Bucht von Arcachon (wie ich aus zuverlässigen
Quellen weiss) kaum die Rede sein. Kostet doch schon
die Umwandlung eines Hektar des dortigen Meeres-
bodens in ein Austernbett sammt allen dazu gehörigen
Apparaten und einem Fahrzeug für die unentbehrliche
Wache nach amtlichen Mittheilungen nicht weniger als
7- bis 8000 Franken. 2)
') Professor P. Coste starb 1873. Sein Hauptwerk über
künstliche Austern-, Miesmuschel- und Fischzucht erschien
unter dem Titel: Voyage d'Exploration sus le Littoral de la
France et de Tltalie. 2. fid. Paris 1861.
^) Ueber die Austernzucht in der Bucht von Arcachon
handeln ausser dem angeführten Werke von Coste npch fol-
gende Schriften:
K. Mob i US, lieber Austern- und Miesmuschelzucht und
die Hebung derselben an den norddeutschen Küsten. Bericht
an den Herrn Minister für die landwirthschaftlichen Angelegen-
heiten. Berlin 1870. S. 8.
A. Tolle, Die Austernzucht und Seefischerei in Frank-
reich und England. Bericht an den Herrn Minister für die
landwirthschaftlichen Angelegenheiten. Berlin 187 1. S. 8.
De Bon, Notice sur la Situation de TostTdiculture en 1875.
Paris 1875. (Extrait de la Revue maritime et coloniale.)
Versuche künstlicher Austemzucht in Grossbritannien. 33
6. Versuche,
die französische künstliche Austernzucht
in Grossbritannien zu betreiben.
In Grossbritannien beschäftigen der Austernfang
und der Austernhandel eine Menge Menschen. Nach
einer im Jajire 1870 veröflfentlichten amtlichen Schätzung
betrug der Werth der in einem Jahre daselbst verkauf-
ten Austern 4 Millionen Pfund Sterling. Nimmt man
den Durchschnittspreis des Stückes zu i Penny an, was
eher zu hoch als zu niedrig gerechnet ist, so erhält
man eine Summe von 960 Millionen Austern. Im Jahre
1864 kamen allein nach London mehr als 495 Millionen
Austern, welche über zwei Millionen Pfund Sterling
werth waren.
Bei einer solchen Bedeutung der Austernwirthschaft
für Grossbritannien war es sehr natürlich, dass man dort
die französischen Austernkulturversuche mit lebhafter
Theilnahme verfolgte und sie an verschiedenen Küsten-
punkten nachahmte. In grossartigster Weise geschah
dies an der Küste der kleinen Insel Hayling, östlich von
Portsmouth, durch eine Gesellschaft (die South of Eng-
Möbius, Auster. 3
34 Versuche künstlicher Austernzucht in Grossbritannien.
land Oyster Company), welche im Jahre 1865 mit einem
Kapital von 50,000 Pfund Sterling gegründet wurde.
An der Westseite der Insel wurden innerhalb eines
Deiches 5 Austernbetten ausgegraben, deren Grundfläche
zusammen 32 Hektar beträgt. Als ich am 11. und
12. Mai 1869 diese Anlagen besuchte, war in mehrere
Betten noch kein Wasser eingelassen. Der natürliche
Grund (eine schwarze Kleischicht) war mit Kies und
Muschelschalen bestreut. In dem grössten Bett waren
20,000 Hürden von Birkenzweigen wagerecht ein halbes
Meter über dem Grunde aufgestellt, jede 2,4 Meter lang
und 75 Gentimeter breit. Ausser diesen Hürden waren
noch Latten mit aufgenagelten Austernschalen und
Faschinenbündel über dem Grunde befestigt', alle um
der Austernbrut zum Ansatz zu dienen.
Das Wasser kann durch eine Schleusse ein- und aus-
gelassen werden. Die Mutteraustern bringt man kurz
vor der Fortpflanzungszeit hinein. Im Jahre 1869 sollten
50,000 Stück darin vertheilt werden. Das Wasser wird
gewöhnlich täglich gewechselt; nur nicht in der Schwärm-
zeit der Austernbrut, damit sie nicht ins Meer ent-
weichen kann, und auch im Winter nicht, wenn Frost-
wetter eintritt. 1867 wurden 600,000 ausgewachsene
Tiefseeaustern in ein Austernbett gebracht, welches
7,3 Hektaren gross war und 10,000 Hürden zum Ansatz
der Brut enthielt. Im Durchschnitt hatten auf jeder
Hürde über 12,000 junge Austern sich festgesetzt, zu-
sammen also eine Summe von mehr als 120 Millionen.
Bei diesen und andern Anlagen für künstliche
Austernzucht in England wurden alle Erfahrungen der
französischen Austernzüchter aufs beste benutzt; aber
trotzdem trat die erwartete massenhafte Aufzucht markt-
Versuche künstlicher Austernzucht in Grossbritannien. 3 5
fähiger Austern auf keiner einzigen Zuchtstätte ein. Der
Fischerei-Inspektor Mr. Blake gab vor der Commission
zur Untersuchung der Austernfischerei in London am
4. Mai 1876 die niederschlagende Erklärung ab, dass
eine jede in künstlichen Austernbetten aufgezogene
Auster bei Reculvers an der Themsemündung 50 Pfund
Sterling kostete, bei Herne Bay 100 Pfund, an einer
dritten Stelle sogar 500 Pfund, und dass er im Stande
sei, noch viele derartige Beispiele anzuführen. Mr. Blake,
der mit der französischen und englischen Austernwirth-
schaft aus eigenen Anschauungen sehr gut bekannt ist,
hält künstliche Austernzucht nach der französischen
Methode an den britischen Küsten für unmöglich, weil
hier das Klima nicht dafür geeignet sei.
Die wichtigste der Quellen, aus denen ich meine Mit-
theilungen über die englische Austernwirthschaft schöpfte, ist
der Report from the select Commitee on Oyster
Fischeries; together with the Proceedings of the
Commitee, minutes of evidence, Appendix and
Index. Ordered by The House of Commons, to be
printed. July 1876.
Dieser Bericht enthält 3941 Fragen und Antworten, die
Austernwirthschaft betreffend.
Was ich durch eigene Anschauungen von der englischen
Austernwirthschaft kennen lernte, beschrieb ich in der unter
dem Kapitel 4, S. 32 angeführten Schrift, zu welcher Herr
A. Tolle, der mich im Auftrage des Königl. preussischen
Landwirthschafts- Ministers als Wasserbautechniker begleitete,
Ergänzungen in seiner ebendaselbst genannten Schrift lieferte.
3*
36 Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren.
7. Kann in den deutschen Küstenmeeren
französische künstliche Austernzucht
betrieben werden?
Welcher deutsche Austernfreund hätte nicht den
Wunsch, die ganze deutsche Küste mit fruchtbaren
Austernbetten umsäumt zu sehen? Deshalb wollen wir
untersuchen, ob die nöthigen Bedingungen für künst-
liche Austernzucht in den deutschen Küstenmeeren vor-
handen sind.
Der Salzgehalt, die strömenden Bewegungen, die
Nahrungstoffe und auch die Bodenbestandtheile würden
unser Wattenmeer für das künstliche Auffangen von
Schwärmbrut und für die Aufzucht derselben ebenso
geeignet machen wie die Bucht von Arcachon; nicht
aber seine Temperatur- und Fluthverhältnisse. In der
Bucht von Arcachon beträgt der Unterschied zwischen
dem gewöhnlichen Hoch- und Niedrigwasser 4,5 Meter,
bei Sturmfluthen einen Meter mehr; an unsern Nordsee-
küsten kann aber bei Sturmfluthen das Wasser doppelt
so hoch, ja noch höher als bei gewöhnlichen Fluthen
steigen. Die Gewalt der Sturmfluthen ist also gegen-
Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren. 37
Über der Bewegungskraft der gewöhnlichen Fluthen an
unseren Küsten viel grösser als in der Bucht von Arcachon.
Und demgemäss würden wir unsern Austernbetten eine
viel grössere Festigkeit geben müssen als die fran-
zösischen Alisternzüchter den ihrigen. Wir müssten sie
so weit ins Meer hineinlegen, dass sie bei den niedrig-
sten gewöhnlichen Fluthen voll Wasser laufen könnten,
ihnen dabei aber eine solche Festigkeit geben, dass sie
einer um 2 bis 2,5 Meter höheren Sturmfluth, also einer
weit grösseren und zugleich mächtig bewegten Wasser-
masse Widerstand leisten könnten. Solche Anlagen
würden viel mehr kosten als die mit Holzbohlen um-
gebenen Austernbetten von Arcachon. Aber selbst dann,
wenn sie fest genug wären, um den stärksten Sturm-
fluthen Trotz zu bieten, würden sie doch schwerlich die
Zuchtaustern in allen Fällen vor Versandung oder Ver-
schlickung schützen; und so könnte eine Sturmfluth die
gesammten Austern mehrerer Generationen vernichten.
Wie verderblich die Natur unseres Wattenmeeres
Austernbetten werden kann, hat ein bei Norde rney
ausgeführter Versuch gezeigt. Auf der Binnenseite die-
ser Insel wurde im Frühjahr 1869 eine Fläche von
825 Quadratmeter ausgetieft und mit doppelten Bohl-
wänden bis auf halbe Fluthhöhe eingefasst. Der Raum
zwischen den beiden Schutzwänden wurde mit Sand
und Schlick ausgefüllt und der ausgetiefte Platz in zwei
Abtheilungen von verschiedener Grösse abgetheilt. In
der kleineren sollte das Wasser erst die gröberen Sink-
stoße absetzen, ehe es in den grösseren gelassen wurde.
In diese brachte man kurz vor der Brutzeit im An-
fang des Juni 20,000 erwachsene Austern, um einen
reichen Brutansatz von ihnen zu ernten; et blieb jedoch
38 Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren.
aus. Seesterne und Krebse fielen über die Austern her.
Im Anfang des August brachen Sturmfluthen die Schutz-
wände des Austernbettes ein und die Herbststürme voll-
endeten das Werk der Zerstörung, so dass von der
ganzen Anlage bald nichts mehr zu sehen war.
Wenn die Verhältnisse des freien Wattenmeeres
nicht für die Anlegung von Austernbetten geeignet sind,
so kann doch vielleicht innerhalb der hohen Deiche,
durch welche das fruchtbare Marschland der deutschen
Nordseeküste geschützt wird, künstliche Austernzucht
betrieben werden.
Zu diesem Zwecke müssten Bassins innerhalb der
Deiche ausgegraben und durch einen Kanal mit dem
Meere in Verbindung gesetzt werden.
Wo dieser Kanal den Deich durchschneidet, müsste
man eine Schleusse anlegen, um den Einbruch des
Meerwassers bei hohen Fluthen abzuhalten. Denn in
der Nähe der bereits vorhandenen Schleussen unserer
Marschdeiche könnten die Auternbetten nicht eingerichtet
werden, weil dieselben zum Ablassen des süssen Wassers
aus den Marschländereien dienen. Hier würde daher
statt des Seewassers Süsswasser in die Austernbetten
laufen.
Angenommen, es Hessen sich Austernbetten inner-
halb eines Deiches ohne Gefahr für das eingedeichte
Land mit besonderen Schleussen zum Einlassen des
Salzwassers anlegen, so ist noch zu fragen: Wie werden
in solchen Betten die Austern gedeihen? Werden sie
genug Nahrung erhalten, um fett zu werden? Wie wird
es ihnen bei anhaltendem Frostwetter gehen? Und
werden sie dort Brut erzeugen?
Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 39
So viiel Nahrung würden sie keinenfalls erhalten, wie
die Austern im freien Meere, weil man in den Austern-
betten einer jeden Auster lange nicht so viel Wasser
zuführen könnte, wie auf den Bänken über sie weg-
strömt. Und nach der Menge des vorbeiziehenden
Wassers richtet sich auch das Mass der schwebenden
organischen Nährstoffe. Wenn die Austern in dem Bett
nicht bald im niedersinkenden Schlick begraben werden
sollen, so muss man sie entweder öfter in ein reines
Bett versetzen oder man muss einen Abklärungsteich
neben dem Zuchtteich einrichten. Indem man das Wasser
aber durch Ruhigstehenlassen abklärt, entzieht man dem-
selben eine grosse Menge organischer Stoffe, welche
den Austern als Nahrung dienen.
Besonders gefahrlich würde aber Frostwetter unsern
Binnendeich -Austernbetten sein, weil an unsern Nord-
seeküsten die niedrigsten Wasserstände bei Ostwinden
eintreten, welche zugleich die grösste Kälte bringen.
Daher würde man gerade in solchen Zeiten, wo
höhere Wasserstände und häufiger Wasserwechsel die
besten Mittel sein würden, die Austern vor dem
Erfrierungstode zu schützen, auf ihre Anwendung
verzichten müssen; und so würden in jedem kalten
Winter in den Austernbetten sicherlich eine Menge
Austern sterben. Erfi:ieren doch schon auf den flach-
liegenden Austernbänken unseres Wattenmeeres in
strengen Wintern um so mehr Austern, je weniger
Wasser über dieselben läuft. So wurden nach dem
strengen Winter 1863 auf 1864, wo wegen Eis vom
21. December bis 17. Februar keine Austern gefischt
werden konnten, und nach dem Winter 1864 auf 1865
wo die Fischerei vom 24. Januar bis zum 26. März durch
40 Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren.
Frost unterbrochen wurde, auf vielen Bänken todte
Austern gefunden.
Die furchtbarsten Verwüstungen, deren sich die alten
Austernfischer erinnerten, richtete der harte Winter von
1829 auf 1830 an, in welchem Schleswig-Holstein von
Mitte November bis Anfang Februar von einer unge-
wöhnlich niedrigen Temperatur heimgesucht wurde.
Die meisten Bänke hatten stark gelitten und es ver-
gingen viele Jahre bis sie ihre frühere Fruchtbarkeit
wieder erlangten.
Bei Frostkälte sammelt sich Schlamm auf dem Mantel
und den Kiemen an, weil sie die Kraft der Flimmer-
wimpern und Muskeln abschwächt. Die Auster ist nun
nicht mehr im Stande, die schwebenden Schlamm-
theilchen, welche ihr der Wasserstrom zufuhrt, durch
kräftige Schwingungen der Wimpern und durch schnelles
Schliessen der Schale fortzutreiben. Diese Fähigkeit kann
sie aber, wenn die Kälte nicht zu lange dauert, durch Er-
wärmung des Wassers wieder erlangen. Alsdann werden
die Kiemen wieder rein und die durch Verschlammung
gestörte Athmung und Ernährung gehen wieder in ge-
wöhnlicher Weise von statten. Bei lange anhaltender
Frostkälte schliessen sich jedoch an die Verschlammung
des Mantels und der Kiemen noch weitere schädliche
Folgen an. Der Schliessmuskel, wird, so schlaff, dass
er die Schale nicht mehr zu schliessen vermag. Die
Flimmerwimpern schwingen immer langsamer und stehen,
wenn erst der abgestorbene Schliessmuskel die Schalen
weit auseinander klaffen lässt, endlich ganz still. Mantel
und Kiemen nehmen eine bleiche Farbe an. Infusorien
nisten sich in ihnen ein und beschleunigen ihre Zer-
störung. Der Wimperüberzug löst sich von dem
Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 41
Mantel und dem festeren Gerüste der Kiemen ab. Die
weicheren Theile des Rumpfes; die Geschlecjatsdrüse,
die Leber und der Darm verschwinden, wahrscheinlich
werden sie sehr bald von Schnecken, Krebsen, Würmern,
und Seesternen aufgezehrt, sobald diese ungehindert in
die offene Schale eindringen können. Der letzte Theil
des Weichthieres, den man noch in der Schale findet,
ist der Schliesmuskel. Er steht dann frei zwischen den
beiden Klappen oder sitzt nur noch an einer fest, bis
er endlich nur noch Spuren seiner Fasern an den Ansatz-
stellen, den sogenannten Muskeleindrücken, zurücklässt.
Diesen ganzen Verlauf der Frostkrankheit der Austern
habe ich Ende März 1870 auf den schleswig-holsteini-
schen Austernbänken selbst verfolgen können. Auf dem
Wattenmeere hatte über einen Monat hindurch dickes
Eis gelegen, denn andauernde östliche Winde hatten
das Wasser ausserordentlich niedrig gehalten. Vom
4. Februar bis zum 7. März hatten des Eises wegen
keine Austern gefischt werden können. Am 14. Februar
wurde das Wasser in der Nähe einer Austernbank am
nördlichen Ende der Insel Sylt von der Oberfläche bis
an den Grund, 3,5 Meter tief, — 2 Grad kalt gefunden.
Auf den flachen Banken waren 7 bis 8 Propent der
Austern, die in meiner Gegenwart gefischt wurden, er-
froren ; auf tieferen, der freien Nordsee näher liegenden
Bänken hatte die Kälte nur 2 bis 3 Procent getödtet.
Offenbar hatten diese Bänke deshalb weniger Schaden
gelitten, weil sie bei jeder Fluth etwas höher temperir-
tes Wasser aus der offenen See erhielten.
Ich habe Mantel- und Kiemenstücke von Austern im
Nordseewasser einfrieren und eine Stunde lang in dem
sie einschliessenden Eise bei — 4® C. bis 9® C. Kälte
42 Französ. künstliche Austernzucht in deutscKen Küsten meeren.
liegen lassen. Als das Eis wieder geschmolzen war,
machten- die Flimmerwimpern erst nur schwache Be-
wegungen; vier Stunden später, als die Temperatur all-
mählig auf 5^ C. gestiegen war, waren ihre Schwin-
gungen wieder stärker. Andere Kiemen- und Mantel-
s.tücke, welche drei Stunden in Wasser von — i° bis
2^ Kälte gewesen waren, flimmerten noch am folgenden
Tage ziemlich lebhaft.
Hierbei erinnere ich an einen oft übersehenen wich-
tigen Unterschied zwischen. Süsswasser und Salzwasser.
Es ist allgemein bekannt, dass Süsswasser am dichtesten
und also auch am schwersten ist bei 4® Wärme, woraus
sich erklärt, dass sich in tieferen süssen Gewässern wäh-
rend der Frostzeit Wasser von vier Grad Wärme am
Grunde ansammelt und dass alles noch kälter werdende
Wasser an der Oberfläche bleibt und dort zu Eis er-
starrt. Weniger bekannt ist die Thatsache, dass die
Dichte und Schwere des Meerwassers so lange zunimmt,
so lange es noch kälter wird. Daher sinkt es auch an
den Grund, bis es seine Eisbildungstemperatur erreicht
hat, welche bei 3 Procent Salzgehalt — 2,28^ C. beträgt.
So erklärt es sich, dass am Grunde des Wattenmeeres
bis 2 Grad Kälte beobachtet wurden, während man in
Seen und tieferen Flüssen Norddeutschlands bei der
strengsten Kälte stets Wasser von einigen Graden Wärme
am Grunde findet.
Wenn endlich das Seewasser von der Oberfläche bis
an den Grund seine Erstarrungskälte erreicht hat, so
verwandelt es sich doch nicht von oben bis unten gänz-
lich in Eis, sondern es entstehen dann in höheren und
tieferen Schichten desselben kleine Eisplatten; diese
steigen sofort an die Oberfläche, weil sie aus salz-
. Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 43
freiem Wasser bestehen und daher leichter sind, als
das Salzwasser, aus welchem sie herauskrystallisirten.
Somit bleiben die Thiere, welche am Grunde der tiefe-
ren Theile des Wattenmeeres leben, selbst dann noch
von flüssigem Seewasser umgeben, wenn dieses eine
Kälte von 2 Grad unter dem Gefrierpunkte des süssen
Wassers angenommen hat. An seichten Stellen, die
bei Ebbe trocken werden, tödtet jedoch die Frost-
kälte alle Thiere, welche sich nicht bis zu einer solchen
Tiefe in den Sand und Schlick eingraben können, wo
das Wasser nicht gefriert, sondern flüssig bleibt. Und
da dieses Vermögen nur wenige Arten von Muscheln,
Würmern und Krebsen besitzen, so gehören alle bei
Ebbe trocken laufenden Sand- und Schlickbänke des
Wattenmeeres zu den thier^ und pflanzenärmsten Wüsten
des Meeresgrundes, die es giebt.
Unsere letzte Untersuchung hat zu dem betrübenden
Ergebniss geführt, dass an unsern Nordseeküsten eine
einträgliche künstliche Austernzücht nach der französi-
schen Methode nicht möglich ist. Wer sie unseren un-
günstigen Fluth- und Temperaturverhältnissen zum Trotz
doch durchführen wollte, dem würden seine Zuchtaustern
gewiss noch theurer zu stehen kommen, als verschiede-
nen englischen Austernzüchtern die ihrigen, denn an den
englischen Küsten ist der Unterschied zwischen den
gewöhnlichen und den Sturmfluthen geringer als in un-
serem Wattenmeer; die niedrigsten Wasserstände treten
dort nicht bei den kältesten Winden ein, wie an den
südöstlichen Ufern der Nordsee, und das Klima ist da-
selbst milder, als an unseren Küsten.
8. Lassen sich natürliche Austembänke
vergrössem und ' können neue Austernbänke
angelegt werden, besonders an
den deutschen Küsten?
Die deutsche Austernwirthschaft bleibt also nach wie
vor lediglich auf die Austernbänke angewiesen. Auf
natürlichen Bänken lebt die Auster seit Jahrtausenden
in unsern Küstenmeeren, und da sie noch heute daselbst
fruchtbar ist und wohlschmeckend wird, so haben wir
uns die wichtige Frage vorzulegen, ob es nicht möglich
sei, die vorhandenen Austernbänke zu vergrössem und
neue Bänke anzulegen.
Das Wasser des Wattenmeeres hat in der Umgebung
der Austernbänke und auf allen Strecken zwischen den-
selben dieselben Eigenschaften, wie auf den Bänken
Erklärung der Abbildung (Fig. 9):
Im Vordergrunde das Wattenmeer mit zwei Tonnen, welche die
Richtung des tieferen Fahrwassers bezeichnen. Im Hintergrunde
Dünen auf Hömum, der Südspitze von Sylt.
Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austembänke. 45
— •-•'— ^ • ' , "' '' '" ' " ™ ™ ' ' ' ■■! ■■■■IM».!»»».»» IM 11^ .^ -■■■^-1.» ■■■-■■
selbst. Es braucht also nur der Meeresboden neben
den natürlichen Bänken für Austern bewohnbar gemacht
zu werden, wenn sie sich vergrössern sollen. Alte
Bänke nehmen von Natur eine grössere Ausdehnung an,
sobald sich der an ihren Grenzen liegende bewegliche
und schlickige Meeresboden in festen und reinen
Grund verwandelt, was geschehen kann, wenn Ver-
änderungen in der Stärke und Richtung der Fluth-
und Ebbeströmungen eintreten. In solchen Fällen lässt
sich die Ausdehnung künstlich beschleunigen, indem
man auf den festgewordenen Grund Schalen von Austern
und anderen Muscheln bringt, um der ausschwärmenden
Austernbrut die zweckmässigsten Ansatzkörper über di«
Grenzen der alten Bank hinaus darzubieten.
Für die Gründung neuer Austernbänke im Gebiete
des deutschen Wattenmeeres, wo jetzt keine Austern
leben, sind unveränderliche und schlickfreie Bodenstrecken
nothwendig, die bei Ebbe wenigstens i bis 2 Meter hoch
mit Wasser bedeckt bleiben. Fast alle solche Stellen
sind aber bereits von Austernbänken eingenommen. Im
Jahre 1876 suchten die besten Kenner des schleswig-
holsteinischen Wattenmeerbodens, die Tonnenleger, die-
jenigen Beamten, welche das Fahrwasser für Schiffe durch
Tonnen und Baken (Fig. 9 S. 44 und Fig. i S. i) zu be-
zeichnen haben, nach unveränderlichen Strecken, auf
denen noch keine Austernbänke liegen. Aber sie fanden
in ihrem ganzen Gebiete nicht mehr als acht feste Stellen^
auf denen vielleicht Austern gedeihen können.
Es würde gewagt sein, sofort alle diese Stellen mit
einer grossen Zahl Mutteraustern zu besetzen, weil es
noch zweifelhaft ist, ob sie daselbst den Stamm einer
neuen Bank bilden oder untergehen werden. Rathsamer
46 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke.
wäre es, zunächst nur auf einer dieser Stellen AüStern-
und andere Muschelschalen im Mai, also kurz vor der
Brutzeit auszustreuen und alsdann einige tausend aus-
gewachsene Austern über diesen zubereiteten Schalen-
grund zu verbreiten. Findet man im nächsten Herbst An-
satz junger Brut, so darf man das Experinient noch nicht
für gelungen ansehen, sondern erst dann, wenn nach
drei bis vier Jahren eine grössere Anzahl halbwüchsiger
Austern neben den alten Mutteraustern liegen und
wenn diese fortfahren, neue sich ansetzende Brut zu er-
zeugen.
In allen Theilen des deutschen Wattenmeeres, welche
südlich und südwestlich von Schleswig liegen, wird
schwerlich eine einzige Stelle zu finden sein, die zur
Bildung einer. einträglichen Austernbank geeignet wäre.
Denn vor den Mündungen der Eider, Elbe, Weser, Jahde
und Ems ist der Meeresboden so stark verschlickt oder
derartig veränderlich, dass sich Austern auf demselben
nicht erhalten und vermehren können.
Als ich im Herbst 1868 das deutsche Küstenmeer
von der Eider bis Borkum mit dem Schleppnetze unter-
sucht hatte, schien mir auf dieser ganzen Strecke nur
eine einzige Stelle vor der hannoverschen Küste zwischen
dem Festlande und der Insel Juist, westlich von Norder-
ney für einen Versuch einigermaassen geeignet zu sein.
Auf dieser Stelle in der »Juister Balje« wurden im Früh-
jahr 1869 fortpflanzungsfähige schleswig-holsteinische
Austern in grosser Zahl ausgestreut. Es hat sich
jedoch keine Bank daselbst gebildet. Bei einer im
Juni 1875 vorgenommenen Untersuchung wurden bei
Juist und Borkum nur sieben Austern gefangen, obgleich
man drei Tage lang mit dem Schleppnetz fischte. Die
Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 47
Juister Balje ist also nicht für Austern geeignet. Sie ist zu
schlickig und von Miesmuscheln in Beschlag genommen.
Im vorigen Jahrhundert und in der ersten Hälfte des
jetzigen verpachtete die hannoversche Regierung die
Austernfischerei an ihrer Küste und es wurden Austern
hauptsächlich bei Borkum und Juist gefangen; in den
Jahren 1841 bis 1846 zusammen 193,684 Stück, im Durch-
schnitt also jährlich 38,727. Bei einer Revision der
Bänke im Jahre 185 1 wurden nur sehr wenig Austern
gefunden, und 1855 waren die Bänke so verarmt, dass
sie niemand pachten wollte. Ihre Erschöpfung war die
Folge einer zu starken Befischung und der Verschlech-
terung des Grundes.
Wer durchaus an der deutschen Nordseeküste von
der Eider bis zur Emsmündung Austernbänke anlegen
wollte, der müsste sein schwieriges Werk mit einer Um-
änderung der Fluth- und Ebbeströmungen in dem süd-
lichen Theile der Nordsee anfangen, um seinen Austern
einen Boden zu bereiten, auf dem sie gedeihen könnten;
denn die Auster einem wandelbaren Sandgrunde und
einem schlickigen Boden anzupassen, ist weder der
Natur, noch einer Jahrhunderte lang betriebenen Austern-
zucht gelungen.
Seit Jahrtausenden hat die Natur unzählige junge
Austern von den Austernbänken aus über veränderliche
Sand- und Schlickbänke verbreitet; aber keine einzige,
hat ihre Organisation einem solchen Boden angemessen
umgewandelt und auf ihre Nachkommen vererbt; son-
dern sie sind alle zu Grunde gegangen.
Seit dem 16. Jahrhundert werden an der Westküste
von Frankreich an beiden Ufern der Seudre- Mündung
bei Marennes und La Tremblade einjährige Austern
48 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke.
von natürlichen Austernbänken in Teiche versetzt, um sie
zu mästen und ihren Geschmack zu verfeinern. Diese
Teiche, Claires genannt, sind flache Austiefungen von
sehr verschiedener Form und Grösse. Die meisten sind
viereckig und ungefähr 2 — 3000 Quadratmeter gross.
Sie liegen unregelmässig nebeneinander und sind durch
tiefe Gräben, in welchen das Seewasser in der Zeit der
Springfluthen zu- und abfliesst, in Gruppen abgesondert.
Der Boden der Teiche ist in der Mitte etwas höher als
am Rande. Die Wälle um die Teiche herum bestehen
aus der ausgegrabenen Marscherde und sind ungefähr
I Meter hoch. Durch Einschnitte oder durch hölzerne
Röhren in den Wällen stehen die nebeneinanderliegenden
Teiche in Verbindung. In den grösseren Abzugsgräben
sind Schütze angebracht, durch welche das Wasser von
einer Springfluthperiode bis zur andern zurückgehalten
werden kann. In diese Teiche versetzt man junge
Austern im Herbst, wenn das Fischen auf den Austern-
bänken im Meere erlaubt ist. Vom August an bis zur
Laichzeit des nächsten Jahres nehmen die eingesetzten
Austern eine düster dunkelgrüne Farbe an, welche ihren
Sitz in dem Zellgewebe des Mantels, der Kiemen, der
Leber und des Darmes hat. Den feinen Geschmack,
durch welchen die grünen Austern von Marennes in
Paris besonders berühmt sind, erlangen sie erst nach
3 bis 4 Jahren. Während dieser Zeit müssen sie oft
von dem aufgelagerten Schlick befreit und in andere
gereinigte Teiche versetzt werden, wenn sie gesund
bleiben sollen.
Die Austern laichen wohl in diesen Mästungsteichen
und bisweilen lassen sich auch ihre Schwärmlinge an
schlammfreien Gegenständen: an Steinen, Muschelschalen
Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 49
und Holzstücken nieder, allein sie reifen nicht zu einer
marktfähigen Nachkommenschaft heran. Einer dreihun-
dert Jahre hindurch in Schlickteichen geübten Aufzucht
junger Bankaustern ist es also nicht gelungen, die Auster
zu einer Muschel umzubilden, die sich im Schlick er-
halten und darin fortpflanzen kann. Die Farbe und den
Geschmack des Weichthieres können die Austernzüchter
von Marennes und La Tremblade umändern, aber ein
Ortsbewegungsorgan, einen Fuss, konnten sie der Auster
nicht verschaffen.
In der Ostsee ist vor der deutschen Küste der
Meeresboden an vielen ausgedehnten Strecken fest und
auch rein von Schlick. Sie besitzt also in dieser Hinsicht
eine der wichtigsten Eigenschaften für die Bildung von
Austernbänken. Poch sind mehrere Versuche, Austern
in das baltische Meer zu verpflanzen, fehlgeschlagen.
Vor der pommerschen Küste wurden 1753, 1830
und 1843 Austern ausgesetzt. Den letzten dieser drei
Versuche Hess eine Gesellschaft ausführen, zu deren Mit-
gliedern die Könige von Preussen und Ijannover und
der Fürst von Putbus gehörten. 50,000 Austern, im
nördlichen Kattegat bei Frederikshavn gefischt, wurden
im besten Zustande am 6. und 13. April 1843 bei der
Greifswalder Oie, südöstlich von der Insel Rügen,
ausgesetzt. Bei einer zwei Jahre später angestellten
Untersuchung stellte sich heraus, dass sie alle zu Grunde
gegangen waren, denn es wurde keine einzige mehr
lebend gefunden.
Die viel besprochenen Coste' sehen Austernzucht-
versuche gaben den Anstoss zu neuen Versuchen, Austern
in die Ostsee zu verpflanzen. In der Kieler Bucht,
an der Südküste der Insel Laaland, in der Nähe von
Möbius, Auster. 4
50 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austembänke.
Korsör und im Isefjord an der Küste der Insel See-
land wurden fortpflanzungsfähige Austern auf passend
erscheinende Gründe versetzt; aber überall ohne den
gewünschten Erfolg.
Das Wasser der Ostsee ist für die Fortpflanzung
der Austern nicht salzig genug. Oestlich von Rügen
enthält es am Grunde nur ein Procent Salze und in
höheren Wasserschichten noch weniger, weil die Flüsse
sehr viel- Süsswasser einführen. Westlich von Rügen
kommen am Grunde südlich von dem Grossen Belt bis
gegen die mecklenburgische Küste hin zwar bis 3 Pro-
cent Salz vor, aber auch hier ist in den oberen Schich-
ten das Wasser überall schwächer gesalzen. Da nun
die jungen Schwärmaustern, nachdem sie ihre Mutter
verlassen haben, zeitweilig an die Oberfläche steigen,
so kommen sie in der Ostsee und sogar noch im ganzen
südlichen Theil des Kattegats in Wasserschichten, die
weniger als 2 Procent Salz enthalten, während sie eines
Salzgehaltes von wenigstens 3 Procent bedürfen, was
ich daraus schliesse, dass ein solcher Salzgehalt überall,
wo an den europäischen Küsten natürliche Austernbänke
bestehen, vorhanden ist. Ausser dem verminderten
Salzgehalt hindern die Ausbildung der Austern in der
Ostsee sicherlich auch noch zwei andere Eigenschaften
dieses Meeres : eine länger andauernde niedrige Winter-
temperatur und der Mangel einer regelmässigen Wasser-
bewegung durch Ebbe und Fluth; denn durch die Ge-
zeitenströmungen werden einem festsitzenden Thiere,
wie die Auster ist, in der Nordsee täglich eine grössere
Masse Sauerstoff* und Nahrung enthaltendes Wasser zu-
geführt, als in einem weniger regelmässig bewegten
Binnenmeere.
Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 5 1
Diese chemischen und physikalischen Verschieden-
heiten der Ostsee von der Nordsee machen es nicht
blos der Auster unmöglich, in der Ostsee zu leben,
sondern noch vielen anderen Nordseethieren, von denen
ich als einige Beispiele nur den Hummer, den grossen
Taschenkrebs (Platycarcinus Pagarus) und den ess-
baren Seeigel (Echinus esculentus) nennen will.
Wenn zu einer dauernden Ansiedelung der Austern
in der Ostsee weiter nichts nöthig wäre, als einige Tau-
send foVtpflanzungsfähige Austern frisch und gesund in
sie zu versetzen, warum sollten sich dann nicht auch
Hummer, Taschenkrebsc, »Seeigel und alle anderen
Thiere, die neben den Austern in der Nordsee wohnen,
also die ganze Fauna der Nordsee-Austernbänke in die
Ostsee verpflanzen lassen? Liesse sich das ausführen,
so hätte ich längst eine grössere Anzahl Nordseethiere
in der Kieler Bucht eingebürgert, um sie zu meinen
Untersuchungen und zu Belehrungen der Studirenden
stets lebend in der Nähe zu haben.
Versuche, nicht blos Austern, sondern auch andere
Nordseethiere in die Ostsee zu verpflanzen, hat die Natur
schon sehr oft gemacht. Fast jedes Jahr erscheinen
Nordseefische und andere Nordseethiere in der Ostsee,
aber sie pflanzen sich hier nicht dauernd fort und ver-
schwinden daher wieder aus ihrer Fauna. Die grosse
Sturmfluth am 13. und 14. November 1872 führte die
Leuchtthierchen der Nordsee (Noctiluca scintillans) in
solchen Scharen in den Kieler Hafen, dass sie dessen
Wasser wochenlang leuchtend machten; aber bald waren
sie wieder gänzlich verschwunden.
Unter d eil jetzigen geognostischen und physikalischen
Verhältnissen kann die Auster nicht weiter gegen die
52 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke.
Ostsee vordringen, als bis in den südwestlichen Theil
des Kattegats; hier bildet die Grenze ihrer eben noch
ausreichenden Lebensbedingungen eine Linie, die von
Samsöe über die Insel Anholt nach Gothenburg
läuft. An dieser äussersten Grenze ihres Fortkommens
darf man keine solche Fruchtbarkeit und Ausbildung der
Austern erwarten, wie eine kostspielige künstliche Austern-
zucht, die Gewinn bringen soll, beansprucht. Jede
unter das gewöhnliche Mittel gehende Schwankung im
Salzgehalt und in der Temperatur des Seewassers würde
einer hier betriebenen künstlichen Austernzucht schweren
Schaden zufügen.
Dass sich die Austern selbst von ihren Wohnstätten
in der Nordsee überall hin verbreiten, wo sie alle äussern
Lebensbedingungen vorfinden, beweist ihre selbstständige
Einwanderung in den Limfjord im Norden Jütlands.
Dieses Gewässer bestand bis zum Jahre 1825 aus einer
Anzahl zusammenhängender Brackwasserseen mit einem
östlichen Ausflusse in das Kattegat. Im vorigen Jahr-
hundert machte man vergebliche Versuche, Austern in
demselben anzusiedeln. Nachdem aber eine furchtbare
Sturmfluth am 3. Februar 1825 den Damm durchbrochen
hatte, welcher den westlichen Theil des Limfjords von
der Nordsee trennte, wurde das Wasser desselben von
fahr zu Jahr salziger, die darin wohnenden Brackwasser-
Pflanzen und -Thiere verschwanden, an ihre Stelle traten
Nordseethiere, und unter diesen bemerkte man im
Jahre 185 1 auch Austern. Sie nahmen von Jahr zu Jahr
mehr Grundfläche ein. Um das Jahr 1860 fischte man
nur 150,000 Stück, gegenwärtig kennt man 98 Stellen,
wo sie sich angesiedelt haben, so dass 187 1 bis 1872
schon 7 Millionen ausgewachsene Limfjordaustern nach
Vergrössening natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 53
dem Auslande verkauft werden konnten. Ihre Verbrei-
tung g;ing sehr schnell. 185 1 wurden die ersten gefun-
den. Wären vorher schon viele da gewesen, so würden
sie bei der Grundfischerei gewiss bemerkt worden sein.
Das Wasser musste erst 3 Procent Salz aufnehmen, ehe
sie einwandern konnten. Angenommen, die ersten er-
schienen schon 1840, so verbreiteten sie sich in 30 Jah-
* ren über einen Grund von 1 5 Meilen Länge, rückten also
jährlich im Durchschnitt um ^^2 Meile oder um mehr
als 3700 Meter weiter. Die Bänke des Limfjords sind
I bis 8 Kilometer von einander entfernt; ihre Länge
beträgt i bis 7 Kilometer, ihre Breite weniger. Diese
Verhältnisse lehren, dass die Austernbrut im Stande ist,
sich über Strecken von acht Kilometer Länge fortzu-
bewegen.
Ebenso wie in den Limfjord würden die Austern
auch in die Ostsee einwandern, wenn ihr Wasser die
Eigenschaften des Nordseewassers annähme. Und dies
würde geschehen, wenn die Verbindungen zwischen der
Ost- und Nordsee breiter und tiefer würden, als sie
gegenwärtig sind. Einst hatten sie eine grössere Breite
und Tiefe und daher lebten einst Austern 4 Meilen öst-
lich von dem Punkte, wo jetzt die Stadt Kiel steht.
Das beweist die fossile Austernbank bei Waternevers-
dorf im östlichen Holstein, die mit dem gesammten
Boden der westlichen Ostsee mehr als 30 Meter ge-
hoben wurde; durch diese Hebung wurden das Katte-
gat, die Belte und der Sund flachere und schmälere
Strassen für das in die Ostsee einströmende Nordsee-
wasser, als sie in älteren Zeiten waren, in welchen
die Austernbank von Waterneversdorf noch Austern
erzeugte.
54 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austenibänke.
Durch diese Hebung des Meeresbodens vor vielen
Jahrtausenden ist der Salzgehalt nur sehr allmälich
schwächer geworden. Jahrtausende später, als die
Austernbank von Waterneversdorf schon lange Land
geworden war, lebten Austern noch in solcher Menge
an den Küsten der dänischen Inseln, dass sie den Men-
schen des Steinalters in diesen Gegenden als Nahrung
dienen konnten, denn in den Haufen von Küchen-
abfällen aus jener Zeit liegen Massen von Austern-
schalen.
Und da die Austernschalen von Waterneversdorf
und aus den Küchenabfällen der Steinzeit mit den
heutigen Wattenmeeraustern völlig übereinstimmen; da
sie ebenso wie diese von dem Austern- Bohrschwamm
(Clione celata) durchlöchert sind, und da mit ihnen Kink-
hornschnecken (Buccinum undatum) und andere Thiere
des heutigen Wattenmeeres zusammenlebten, so müssen
die äusseren Lebensverhältnisse im Meridian der heutigen
Ostküste der cimbrischen Halbinsel in jenen Zeiten die-
selben gewesen sein, wie jetzt im Westen von Schleswig-
Holstein. Die Auster hat im Laufe von wenigstens
zehntausend Jahren ihre Lebensthätigkeiten nicht ab-
geändert; sie hat sich den Veränderungen, welche ihre
Wohnstätten in einer so langen Zeit erfuhren, nicht an-
gepasst, sondern sie ist diesen Veränderungen gewichen,
obwohl dieselben ausserordentlich langsam vor sich
gingen. Und daher wird es auch keiner menschlichen
Kunst gelingen, in kurzer Zeit ihre Natur umzubilden
und sie an das Wasser der heutigen Ostsee zu ge-
wöhnen.
Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 5 5
Ueber die Austernbänke im Limfjord, die Verbreitung der
Austern bis in den südlichen Theil des Kattegats und über
misslungene Versuche, Austern in der Ostsee anzupflanzen,
handeln folgende dänische Schriften:
Jonas CoUin, Om Östersfiskeriet i Limfjorden. (Mit
einer Karte der Austernbänke. Kopenhagen 1872.)
G. Winther, Om vore Haves Naturforhold med Hensyn
til konstig Östersavl og om de i den Henseende anstillede
Forsög. Kopenhagen 1876.
F. Krogh, Den konstige Östersavl og dens Indförelse i
Danmark. Hadersleben 1870.
In den Archiven der königlichen Regierungen zu Stettin
und Stralsund befinden sich die Akten über die 1830 und 1843
angestellten Versuche, Austern an der pommerschen Küste
anzusiedeln.
5 6 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
g. Die Altersstufen
und die
Reifefruchtbarkeit der Austern.
Die schönen Hoffnungen, die deutschen Meeres-
küsten mit fruchtbaren Austernbänken umsäumt und
deutsche Austern als »Nahrungsmittel« auf allen Tischen
zu sehen, müssen wir also aufgeben. Sowohl die Natur
unserer Meere als auch die Natur der Austern zwingen
uns dazu. Dieses mit voller Ueberzeugung zu begreifen,
wird besonders denen schwer, welche die verbreitete
Ansicht theilen, alle Eier, welche die Austern erzeugen,
wären dazu bestimmt, reife Thiere zu werden.
Die meisten Thiere, deren Eier und Junge vielen
Angriffen und Zerstörungen ausgesetzt sind, legen sehr
viel Eier. Am wenigsten Eier und Junge bringen die
höchsten Thiere, die Vögel und Säugethiere und solche
niedere Thiere hervor, welche ihre Keime so lange
schützen und pflegen, bis diese selbst für ihre Erhaltung
sorgen können. Wo die Brutpflege ganz fehlt oder nicht
lange genug dauert, wird sie in vielen Fällen durch Er-
zeugung so grosser Mengen von Eiern ersetzt, dass die
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 57
feindlichen Angriffe, denen die Keime regelmässig aus-
gesetzt sind, nicht im Stande sind, alle zu vertilgen.
Ein gewisser Rest entgeht also der Vernichtung und
gelangt zur Reife.
Der Hakenbandwurm des Menschen (Taenia so-
lium) erzeugt nach und nach in seinen achthundert Glie-
dern gegen vierzig Millionen Bandwurmkeime, und der
Spulwurm des Menschen (Ascaris lumbricoides) bildet
in seinem Eierstock gegen 60 Millionen Eier. Unter den
für diese Würmer normalen Lebensverhältnissen ent-
wickeln sich von diesen ungeheuren Massen von Keimen
nur sehr wenige so weit, dass sie wiederum Eier hervor-
bringen. Und jedermann findet das begreiflich, weil
niemand wünscht, dass jene 40 Millionen Bandwurm-
keime und jene 60 Millionen Spulwurmkeime alle wieder
reife Parasiten werden möchten. Man würde es ent-
setzlich finden, wenn es geschähe. Dagegen wünscht
man lebhaft, es möchten alle Schwärmlinge, welche die
Austern aus ihrem Bart ins Meer entlassen, essbar grosse
Thiere werden, weil sie ausgewachsen zu den feinsten
Delikatessen gehören.
Bei Beobachtungen und Untersuchungen, durch
welche wir das Wirken der Natur so kennen lernen
wollen, wie es wirklich geschieht, dürfen wir derartigen
Wünschen keinen Einfluss auf unser Urtheil einräumen.
Wer die Natur gerade da, wo er sich mit ihr beschäf-
tigt, besonders anziehend, schön oder nützlich haben
möchte, wird sich von dem Wege der strengen Natur-
forschung leicht in das dunkle und grenzenlose Gebiet
der Naturdeutung verirren.
Die Natur bewirkt an jedem Punkte gerade das, was
ihre daselbst zusammentreffenden Kräfte dem Entwick-
jS Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
lungszustande der Welt gemäss bewirken müssen. In
ihrem grossen Ganzen giebt es keinen Nutzen und keinen
Schaden. Angenehm oder widerlich, schön oder hässlich,
nützlich oder schädlich erscheinen ihre Wirkungen nur
in der Auffassung fühlender und denkender Wesen.
Als die fossile Austembank, welche jetzt bei Blanke-
nese unterhalb Hamburg 80 Meter hoch über dem Spiegel
der Elbe liegt, noch aus lebenden Austern bestand,
schadete es nichts, wird man sagen, dass die meisten
ihrer Schwärmlinge nicht zur Reife gelangten, weil ja
noch keine Menschen da waren, die sie hätten geniessen
können. —
Die Austern gehören zu denjenigen Thieren, welche
sich nicht durch lange Brutpflege, sondern durch eine
bedeutende Keimfruchtbarkeit eine Nachkommenschaft
sichern. Sie besitzen die Fähigkeit, so viel Brut zu er-
zeugen, dass für die abgehenden Alten immer wieder
Nachkommen genug gross werden, um den Bestand der
Austernbänke zu erhalten, trotzdem Sand, Schlick und
ungünstige Temperaturen viele vernichten und andere
Mitbewohner des Meeresgrundes sehr viele Junge ver-
zehren, ehe ihre Schalen gross und dick genug sind, um
ihnen vor Feinden Schutz zu gewähren.
Die Menge der reifen Nachkommen einer Mutter-
auster, selbst auf den besten Bänken, wo seit mehr als
hundert Jahren die schönsten und fruchtbarsten holstei-
nischen Austern gefischt werden, ist so gering, dass ich
überzeugt bin, niemand würde meinen Worten Glauben
schenken, wenn ich ihre Richtigkeit nicht durch Zahlen
beweisen könnte.
■
Die schleswig-holsteinischen Austernbänke wurden im
Jahre 1587 von Friedrich IL, König von Dänemark und
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 59
Herzog von Holstein- Gottorp als Regal in Besitz ge-
nommen.^) Die Nutzung derselben wurde verpachtet, in
der Regel für eine längere Reihe von Jahren. Um einer
zu starken Befischung derselben vorzubeugen, Hess die
Regierung von Zeit zu Zeit die Beschaffenheit der Bänke
amtlich untersuchen. In Gegenwart von Abgeordneten
der Regierung werden gewöhnlich auf jeder Bank an
drei, auf grossen Bänken an sechs verschiedenen Stellen
von beeidigten Austernfischern die Austernnetze aus-
geworfen und alle gefangenen Austern nach Grösse und
Alter in drei Sorten geschieden:
i) in »Zahlbar Gut«,
2) in »Junggut«, lind
3) in »jungen Anwachs«.
Unter »Zahlbarem Gut« werden die vollwüc'h-
sigen Marktaustern verstanden. Ihre Schalen sind
wenigstens 7 bis 9 Centimeter lang und breit; wenn sie
geschlossen sind, beträgt ihr grösster Dickendurchmesser
mehr als 18 Millimeter. Die gewölbte Klappe ist an
dem Schliessmuskeleindruck und unter dem Bande
6 bis 9 Millimeter dick. Die meisten vollwüchsigen
Austern sind 7 bis 10 Jahr alt; doch kommen oft auch
ältere vor, welche sich von den jüngeren durch eine
bedeutendere Dicke der Schale unterscheiden. .Ueber
zwanzig Jahre alte sind selten. Die ältesten, welche in
meifle Hände gekommen sind, schätze ich auf 25 bis
30 Jahr. Ihre gewölbte Schalenklappe war unter dem
Bande und am Schliessmuskeleindruck 20 bis 25 Milli-
meter dick.
Das »Junggut« besteht aus halbwüchsigen
Austern, deren Schalen im geschlossenen Zustande
höchstens 16 bis 18 Millimeter Dicke haben. Die ein-
6o Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
zelnen Klappen sind unter dem Band und am Schliess-
muskeleindruck höchstens 5 Millimeter dick. Ihre Breite
beträgt meistens weniger als 9 Centimeter. Sie sind
aussen reiner als die älteren Austern, auf welchen ge-
wöhnlich Thiere und Pflanzen sitzen.
»Jungen An wachs« nennt man die kleinen und
dünnen Austern, die nicht älter sind, als ein bis zwei
Jahr (Fig. 8 S. 27).
In den Besichtigungsprotokollen wird verzeichnet,
wie viel Stück »zahlbar Gut« und wie viel Stück »Jung-
gut« in jedem Netzzug gefangen wurden. Der »Junge
Anwachs« wird nicht gezählt, sondern es wird in den
Protokollen nur angegeben, ob wenig oder viel bemerkt
worden sei. 2)
In der Zeit von 1730 bis 1852 wurden zehn Besich-
tigungen aller Austernbänke des schleswig-holsteinischen
Wattenmeeres ausgeführt. Stellt man die Summe alles
zahlbaren Gutes und alles Junggutes dieser Besich-
tigungen nebeneinander, so hat man eine Sammlung
sehr verschiedener Zahlengrössen vor sich, welche keine
herrschende Regel verrathen. Berechnet man aber aus
diesen Zahlen das Verhältniss des zahlbaren Gutes zu
dem Junggut für jede einzelne Besichtigung, so ergiebt
sich das überraschende Resultat, dass dieses Verhältniss
bei allen Besichtigungen nur geringen Schwankungen
unterliegt.
Die folgende Tabelle giebt eine Uebersicht der
Summen des zahlbaren Gutes und des Junggutes, welche
in jenen zehn Besichtigungen mit einander gefangen
wurden. Aus diesen Summen habe ich berechnet, wie
viel Stück Junggut auf 1000 Stück zahlbares Gut bei
jeder Besichtigung fallen.
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
6i
Summe des
Summe
Verhältniss
Besichtigungs-
jahr.
zahlbaren
des
des
zahlbaren Jung-
Gutes.
Junggutes.
Gutes "^^ gut.
1730
5394
2602
1000
486
1734
16770
5205
1000
310
1740
7185
3007
lOOO
418
1756
6793
3333
1000
490
1795
2078
1006
1000
484
1799
2705
831
1000
307
1819
2828
1087
1000
388
1830
1956
797
1000
417
1839
3272
1552
1000
440
1852
3534
1673
1000
473
.
Gesammtsumme :
Mittelzahl :
lOOOO
4213
ICXX)
421,3
Zwei der grössten und reichsten schleswig-holsteini-
schen Austernbänke ; die Bank Huntje und die Bank
Steenack lieferten in zehn Besichtigungen folgende
Mengen zahlbares Gut und Junggut:
Besichtigungs-
Huntje.
Steenack.
jahr.
Zahlbar Gut.
Junggut.
Zahlbar Gut.
Junggut.
1730
355
164
158
69
1734
1353
874
465
90
1740
323
158
26
HO'
1756
736
99
149
35
1771
931
66
607
197
1795
87
461
261
106
1799
183
119
236
56
1819
363
173
53
79
1830
40
3
II
4
1852
128
64
116
58
Summe :
4499
2181
2082
804
Verhältniss :
1000
484
1000
385
02 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
Es steht also auf einzelnen Bänken die Summe des
Junggutes zur Summe des zahlbaren Gutes in einem
ähnlichen Verhältniss, wie im Durchschnitt auf allen
Bänken zusammen.
Durch diese Aehnlichkeit der Zahlen -Verhältnisse
zwischen dem zahlbaren Gut und Junggut in verschiede-
nen Jahren und auf verschiedenen Bänken wird ein Natur-
gesetz offenbar, das ist unzweifelhaft.
Das Junggut einer Austernbank besteht aus den
Nachkommen des zahlbaren Gutes. Es ist die Zahl der-
jenigen Schwärmlinge, die sich trotz aller Angriffe auf
ihr Leben zu halbwüchsigen Austern ausbildeten. Das
Junggut ist die Gesammtheit der herangewachsenen
Keime der Bank.
Tausend ausgewachsene Austern erzeugen, wie ich
oben im 2. Kapitel gezeigt habe, in einer Brutperiode
wenigstens 440 Millionen Schwärmlinge ; aber neben
1000 ausgewachsenen Austern liegen- im Durchschnitt
nicht mehr als 421 halbwüchsige. Es gehen also in
der Regel für jede einzelne holsteinische Auster, die
auf den Tisch kommt, mehr als 1,045,000 junge
Schwärmaustern zu Grunde. Ja sicherlich noch mehr!
Denn nicht blos die vollwüchsigen, über 6 Jahre alten
Austern legen Eier, sondern schon zwei- und dreijährige
fangen an, sich fortzupflanzen. Erzeugen die jüngeren
Austern auch viel weniger Eier, als die vollwüchsigen,
so schätze ich doch die Zahl der Schwärmlinge auf
60 Millionen, welche in einer Brutperiode von den auf
1000 vollwüchsige Austern kommenden halbwüchsigen
entspringen, so dass also auf einer Austernbankfläche,
welche von 1000 vollwüchsigen und 421 halbwüchsigen
Austern bewohnt wird, im Laufe eines Sommers
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 63
wenigstens 500 Millionen junge Austern ausschwärmen.
Und von dieser ungeheuren Summe gelangen im Durch-
schnitt nur 42 1 Stück zur Reife 1 —
Die Opferung einer grossen Menge junger
Keime ist das Mittel der Natur, wenigen Keimen
die Reife zu sichern.
Um die Begriffe Keimfruchtbarkeit und Reife-
fruchtbarkeit verständlicher zu machen, will ich sie
zur Vergleichung auch auf die Menschen anwenden.
Nach Wappäus^) werden auf 1000 Menschen 34,7 ge-
boren. Von 1000 Menschen erreichen nach Böckh*) 554
das Alter der Reife, nämlich das zwanzigste Jahr oder
ein höheres Alter; also werden durchschnittlich 34,7 Kin-
der von 554 geschlechtsreifen Menschen erzeugt oder von
1000 geschlechtsreifen Menschen 62,6 Keime.
Da 1000 voUwüchsige Austern 440 Millionen Keime
hervorbringen, so verhält sich die Keimfruchtbarkeit
der Austern zur Keimfruchtbarkeit der Menschen wie
440,000,000 zu 62,6 oder wie 7,028,754 zu i. Dagegen
ist die Reife fr uchtbarkeit des Menschen 579,oo2mal
so stark als die Reifefruchtbarkeit der Austern; denn
von 1000 Menschenkeimen (Neugebornen) erreichen
554 das Reifealter, von 440 Millionen neugebornen Men-
schen also 243,760,000; während von 440 Millionen Austern
nur 421 voUwüchsig werden. 421 verhält sich aber zu
243,760,000 wie I zu 579,002.
Ich bin vollkommen überzeugt, dass diese Zahlen die
Reifefruchtbarkeit der Austern günstiger darstellen, als
sie wirklich ist, weil auf tausend ausgewachsene Austern
im Durchschnitt gewiss viel mehr als 440 Millionen
Schwärmlinge fallen.
64 Altersstufen und Reife fruchtbarkeit der Austern.
Die Richtigkeit meines Beweises einer sehr geringen
Reife fruchtbarkeit der Austern gegenüber ihrer er-
staunlich grossen Keimfruchtbarkeit wird durch
viele Erfahrungen der französischen und englischen
Austernwirthschaft bestätigt. Im Jahre 1870 wurde in
der Themsemündung nordöstlich von Whitstable eine
kleine Austernbank entdeckt. Sie war ungefähr 18 Meter
lang und 6 Meter breit. Achtundvierzig Stunden nach-
her gingen daselbst 75 Böte auf und nieder, eines dicht
neben dem andern, um die Austern wegzufischen. Auf
jede alte Auster die gefangen wurde, kamen nur neun
bis zehn junge Austern aller verschiedenen Alterstufen.
Diese Bank hatte noch kein Mensch berührt. Die
Austerngesellschaft befand sich also in ihrem natürlichen
Zustande.
Wer die geringe Reife fruchtbarkeit der Austern
nicht kennt, und nur an ihre ungeheure Keimfruchtbar-
keit denkt, wird die natürlichen Austernbänke für uner-
schöpflich halten. Man hat auch wirklich geglaubt, dass
dem Bestände einer Bank kein Schaden zugefügt werde,
wenn man Millionen auf Millionen Austern davon ent-
ferne ; denn man dachte, den Netzen der Fischer würden
überall so viel Mutteraustern entgehen, als nöthig seien,
um die weggefischten alten durch eine reichliche Zahl
von nachwachsenden Schwärmlingen wieder zu ersetzen.
Von diesem Standpunkt aus gab man in England
die Austernfischerei im Jahre 1866 völlig frei. Aber die
Folge der schonungslosen Befischung der Austernbänke
war überall eine schnelle Verarmung derselben, wofür
die amtlichen Berichte über Austernfischerei in Frank-
reich und England eine Menge Belege enthalten.
Bei Falmouth betrieben nach der Aussage des
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 65
Mr. Webber, Mayors von Falmouth, 700 Mann mit
300 Böten lohnende Austernfischerei, so lange die alten
Schongesetze befolgt wurden. Seitdem man diese ausser
Kraft gesetzt hat (im Jahre 1866) sind die Bänke so sehr
verarmt, dass jetzt (1876) nur noch 40 Mann mit weniger
als 40 Böten Austern fischen, und keines fängt täglich
mehr als 60 bis 100 Stück, während früher jedes Boot
in derselben Zeit 10,000 bis 12,000 Stück fischte.
Eine vor der englischen Küste bei Dudgeon Light
Hegende Austernbank, die eine ungeheure Menge Austern
enthielt, unter denen viele sehr alte waren, wurde nach
ihrer Entdeckung in den dreissiger Jahren im Laufe
von 3 bis 4 Jahren sehr stark befischt und hat nach-
her keine nennenswerthe .Zahl von Austern mehr ge-
liefert.
In dem Hafen von Emsworth waren in den vier-
ziger Jahren dieses Jahrhunderts so viel Austern, dass
ein Mann in einer Tide (in fünf Stunden) 1 5 bis 20 Tub
(jedes zu 1600 Stück) fischen konnte. Später kamen
70 bis 100 Fahrzeuge von Colchester dahin und fischten
zwei bis drei Wochen lang so viel alte und junge
Austern weg, dass im Jahr 1858 dort kaum noch zehn
Fahrzeuge ihren Lohn fanden; und 1868 waren die
Bänke derart verarmt, dass ein Fischer in 5 Stunden
nicht mehr als 20 Austern zusammenschrapen konnte.
So berichtete Mr. Messum, Austernhändler und Sekre-
. tär einer Austern-Compagnie in Emsworth vor der Com-
mission zur Untersuchung der britischen Austernfische-
reien am I. Mai 1876.
Auf den Bänken der Quartiere Roche fort, Ma-
rennes und Ile d'0 1 er on an der Westküste von Frank-
reich wurden 1853 — 54 10 Millionen Austern gefischt,
Möbius, Auster. 5
6S
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
1854—55 15 Millionen. Durch fortdauernde starke Be-
fischung wurden sie bald so arm, daSs sie 1863—64 nur
noch 400,000 Austern auf den Markt lieferten.
Die berühmten reichen Austernbänke in der Bai
von Cancale (an der Küste der Normandie) gaben
nach amtlichen Berichten folgende Summen Austern:
Jahr.
Zahl
der Austern.
Jahr.
Zahl
der Austern.
1800
1,200,000
1828
33,000,000
1801
1,500,000
1829
31,000,000
1802
1,300,000
1830
36,000,000
1803
900,000
183 1
42,000,000
1804
1,400,000
1832
38,000,000
1805
800,000
1833
41,000,000
1806
500,000
1834
46,000,000
1807
1 ,090,000
1835
43,000,000
1808
i,8qo,ooo
1836
40^000,000
1809
1,200,000
1837
36,000,000
1810
700,000
1838
44,000,000
181 1
1,130,000
1839
42,000,000
1812
1,100,000
1840
52,000,000
1813
600,000
1841
56,000,000
1814
400,000
1842
63,000,000
1815
800,000
1843
70,000,000
1816
2,400,000
1844
68,000,000
1817
5,600,000
1845
67,000,000
1818
5,300,000
1846
65,000,000
1819
6,800,000
1847
71,000,000
1820
6,700,000
1848
60,000,000
1821
6,000,000
1849
52,000,000
1822
11,800,000
1850
50,000,000
1823
18,000,000
1851
47,000,000
1824
20,000,000
1852
20,000,000
1825
20,000,000
1853
49,000,000
1826
25,000,000
1854
20,000,000
1827
28,000,000
1855
20,000,000
Altersstufen und Reifefruchtbarlceit der Austern.
Jahr.
Zahl
der Austern.
Jahr.
Zahl
der Austern.
1856
18,000,000
1863
2,090,000
1857
19,000,000
1864
2,200,000
1858
24,000,000
1865
1,100,000
1859
16,000,000
1866
1,960,000
1860
8,000,000
1867
2,000,000
1861
9,000,000
1868
1,079,000
1862
3,000,000
67
Die Besichtigungsprotokolle der schleswig-holsteini-
schen Austernbänke haben den Schlüssel zur Erklärung
einer solchen Verarmung dieser reichen Austernbänke
geliefert. Von 1800 bis 18 15 hatte man jährlich weniger
als 2 Millionen Austern auf den Bänken von Cancale
gefischt. So konnte sich ein grosser Vorrath markt-
fähiger und laichender Austern ansammeln, dessen stär-
kere Ausnutzung erst im Jahre 1822 anfing. Wenn die
französischen Austern eben so lange leben, wie die
schleswig-holsteinischen, so werden bis gegen das Ende
der zwanziger Jahre noch Vorräthe aus der Ruhezeit
der Napoleonischen Kriege auf den Bänken gelegen
haben. Von da an lieferten wahrscheinlich nur die Ge-
nerationen der zwanziger Jahre und dann der folgenden
Jahrzehnte die immer reicheren Ernten.
Von 1840 bis 1847 waren die Summen der gefange-
nen Austern ausserordentlich gross; offenbar zu gross
fiir die Reifefruchtbarkeit der Bänke, weil diese nachher
von Jahr zu Jahr immer weniger Austern lieferten. Die
Gesammtsumme der Austern, die 1840 bis 1847 ^^^
gefischt wurden, beträgt 512 Millionen; auf jedes dieser
Jahre kommen durchschnittlich also 64 Millionen. Stellt
5*
68 Altersstufen nnd Reifefnichtbarkeit der Austern.
diese Durchschnittszahl den natürlichen Vorrath markt-
fähiger, vollwüchsiger Austern auf den Bänken von Can-
cale dar, so hätte man jährlich nicht mehr als 26 bis
27 Millionen fischen dürfen, wenn man ihnen diesen
Grad von Ertragfähigkeit auf die Dauer erhalten wollte.
Dieses behaupte ich unter der Voraussetzung, dass die
Reifefruchtbarkeit der Austern in der Bucht von Can-
cale nicht grösser war, als auf den schleswig-holsteini-
schen Bänken. Stieg sie dort höher als in unserm
Wattenmeere, kamen bei Cancale auf 1000 vollwüchsige
Austern nicht 421, sondern z. B. 500 halbwüchsige, so
hätte man bei einer Anwesenheit von 64 Millionen markt-
fähiger Austern jährlich bis 32 Millionen entfernen dürfen,
aber nicht mehr, wenn die Bänke denjenigen Grad von
Keimfruchtbarkeit behalten sollten, welcher unentbehr-
lich war, um 32 Millionen Austernkeimen zum Ersatz
der jährlichen Ernte die Reife zu sichern.
Nach der Verarmung der Bänke von Cancale sorgten
die Aufsichtsbehörden für eine genaue Befolgung der
Schonungsgesetze; sie erlaubten nicht mehr, dass alle
marktfähigen Austern entfernt wurden; auf manchen ist
daher schon eine bedeutende Vermehrung der Austern
wieder eingetreten; denn
1872 — 73 wurden 7,300,000 gefischt,
1873—74 9,056,000,
1874 — 75 9,342,000 Stück.
Austernbänke schonen, heisst einen Vorrath von voll-
wüchsigen Austern zur Fortpflanzung auf ihnen liegen
lassen. Wie gross dieser Vorrath sein muss, ist nach
der Reifruchtbarkeit der Austern jedes Gebietes oder
noch besser jeder einzelnen Bank zu bestimmen.
Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 69
Nach den Erfahrungen der Austernfischer ist die
grösste der schleswig-holsteinischen Austernbänke, die
Bank Huntje, am fruchtbarsten. Ihre Reifefruchtbarkeit
beträgt 484 pro Mille, ist also grösser als die mittlere
Reifefruchtbarkeit der gesammten schleswig-holsteini-
schen Austernbänke.
Die Reifefruchtbarkeit kleinerer Bänke bleibt unter
dem Mittel von 421 pro Mille zurück. So beträgt z. B.
die Reifefruchtbarkeit der Bänke
Steenack 385 pro Mille
Hörnum » 3^9 >; »;
Westen Amrum . . 165 „ „
Diese Bänke sind nur 1000 bis 1050 Meter lang und
gegen 300 Meter breit, während die Huntje über 3 100 Me-
ter lang und gegen 1200 Meter breit ist.
Die schnelle Ausbreitung der Austern im Limfjord
hat gelehrt, dass die Schwärmlinge derselben 4 bis 8 Kilo-
meter weit wandern können, ehe sie sich niederlassen.
Hat eine Austernbank eine geringe Ausdehnung, so sind
die Schwärmlinge der Gefahr, über die Grenzen ihrer
Bank hinauszuschwimmen, und auf unpassenden Grund
zu gerathen, in einem höheren Grade ausgesetzt, als
auf einer grossen Bank.
Von gleichen Mengen ausschwärmender Keime werden
grösseren Bänken mehr erhalten als kleineren, und wenn
auf beiden alle sonstigen Lebensverhältnisse gleich sind,
so muss auf ausgedehnteren Bänken eine grössere Zahl
das Junggutalter erreichen, als auf kleineren Bänken.
70 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern.
') Den offenen Brief, durch welchen der König -Herzog
Friedrich IL die Austernbänke des Wattenmeeres vor der
schleswig-holsteinischen und jütischen Küste in Besitz nahm,
hat H. Kröyer in seiner Schrift: De danske Ostersbänker,
Kjöbenhavn 1837, S. iio abgedruckt. Ins Deutsche übersetzt,
lautet er also:
«Wir Friedrich u. s. w. thun Allen kund und zu wissen:
Nachdem wir in Erfahrung gebracht, dass in der Westsee im
Riber Lehn eine Art Fisch, Osterling genannt, gefunden
und gefangen werden soll, so haben wir unserm lieben Albert
Friis, Vor-Raths- und Amtmann auf unserm Schlosse zu
Ribe befohlen, dass er diese Art Fisch in unserem Namen
fangen lasse und uns zuschicke ; und auf dass nicht künftighin
Mangel derselben entstehe, so verbieten wir Allen und Jedem,
wer es auch sei," Osterlinge daselbst zu fangen oder fangen zu
lassen, mit Ausnahme Derjenigen, welche es in unserm Namen
auf Befehl unsers Lehnsmannes zu Ribe thun. Sobald Jemand
sich erdreistet, hiegegen zu handeln und er desselben recht-
lich überwiesen werden kann, so soll er gestraft werden, wie
es sich gebührt. Hiernach hat sich Jeder zu richten und vor
Schaden in Acht zu nehmen.
Geschehen zu Skanderborg, den 4. Februar 1587.»
2) Die angeführte Kröyer' sehe Schrift enthält eine tabella-
rische Uebersicht der Mengen zahlbaren Gutes und Junggutes
der amtlichen Besichtigungen, welche von 1709 bis 1830 statt
fanden. Diese Uebersicht und ausserdem Tabellen, die ich
der Königlichen Regierung zu Schleswig verdanke, lieferten
mir die Zahlen, aus welchen ich die Verhältnisse zwischen voll-
wüchsigen und halbwüchsigen Austern berechnete.
Die Besichtigungen vor dem Jahre 1730 habe ich unberück-
sichtigt gelassen, theils weil im Anfange des i8ten Jahrhunderts
eine Anzahl Bänke noch unbekannt waren, theils weil die Zahlen
über die ersten 5 Besichtigungen (1769— 1728) keinen zuver-
lässigen Eindruck machen.
In den Jahren 1869 bis 1876 habe ich selbst an sechs amt-
lichen Besichtigungen Theil genommen. Die Ergebnisse der-
selben werde ich später mittheilen.
Altersstufen und Reifefnichtbarkeit der Austern. 71
^) Wappäus, Handbuch der Geographie und Statistik.
Bd. I. 1855. Abth. I S. 197.
*) R.Böckh, Sterblichkeitstafel für den Preussischen Staat
im Umfange von 1865. Jena 1875.
*) Die statistischen Mittheilungen über englische und fran-
zösische Austemfischerei entnahm ich theils eigenen Aufzeich-
nungen bei meinem Besuch der französischen und englischen
Küsten, theils zwei amtlichen englischen Berichten: i) Re-
port on the Oyster and Mussei Fisheries of France
made to the Board of Trade by Cholmondeley
Pennel, Inspector of Oysterfisheries, London 1868;
2) Report from the select Commission on Oyster
Fisheries; 1876.
Diesen Berichten sind Uebersichten über die Erträge der
französischen Austemfischerei angefügt, welche den Bericht-
erstattern von den französischen Marine- und Fischereibehörden
eingehändigt wurden.
72 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
10. Eine Austernbank
ist eine
Biocönose oder Lebensgemeinde.
Die Verarmungsgeschichte der französischen Austern-
bänke ist sehr lehrreich. Als die Bänke von Cancale
durch schonungslose Ueberfischung von Austern fast ganz
entblösst waren, nahmen Herzmuscheln (Cardium edule)
ihre Stelle ein^ und auf den erschöpften Bänken bei
Rochefort, Marennes und Ile d'Oleron erschienen Scharen
von Miesmuscheln (Mytilus edulis).
Die Gebiete der Austernbänke sind nicht von Austern
allein bewohnt. Im schleswig-holsteinischen Watten-
meere und auch in den Mündungen englischer Flüsse,
wie ich selbst beobachtete, sind die Austernbänke die
thierreichsten Stellen des Meeresbodens. Wenn die
Austernfischer ein volles Netz auf dem Deck des Fahr-
zeuges ausschütten, so arbeiten sich aus dem Haufen
von Austernschalen und lebenden Austern behende
Taschenkrebse (Carcinus maenas) und langsame
Hörnerkrebse (Hyas aranea) hervor und suchen nach
Wasser. Abgeriebene Schneckenhäuser fangen an sich
Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 73
ZU regen, weil die Einsiedlerkrebse (Pagarus bern-
hardus), welche in ihnen Wohnung nahmen, Versuche
machen, mit ihrer Behausung davon zu kriechen. Well-
hornschnecken (Buccinum undatum) strecken ihren
Körper so weit sie nur können, aus der Schale her-
vor und drehen ihn mit allen Kräften bald nach der
einen, bald nach der andern Seite, um sich wieder ins
Wasser zu rollen. Rothe Seesterne mit fünf breiten
Armen (Asteracanthion rubens) liegen platt am Boden
und kommen nicht von der Stelle, obwohl sie Hunderte
von schlauchförmigen Füsschen in Bewegung setzen.
Seeigel von der Grösse kleiner Aepfel, starrend von
grünlichen Stacheln (Echinus miliaris) ruhen regungslos
in dem Haufen. Hier und da schlüpft ein bläulich schil-
lernder Ringelwurm (Nereis pelagica) unter der theils
todten, theils lebenden Masse hervor. Schwarze Mies-
muscheln (Mytilus edulis) und weisse Herzmuscheln
(Cardium edule) liegen fest geschlossen wie die Austern
da. Selbst die Schalen der lebenden Austern sind be-
wohnt. Austern pocken, (Baianus crenatus) mit zelt-
förmigen Kalkschalen und rankenförmigen Füssen, be-
decken manchmal die ganze Oberfläche einer ihrer
Klappen. Sehr oft sind sie mit spannenlangen gelblichen
Klunkern behängt, deren jede eine Gemeinschaft von
Tausenden kleiner Gallert-Moosthiere ist (Alcyoni-
dium gelatinosum), oder sie sind von einem gelblichen
Schwamm überzogen, (Halichondria panicea), dessen
weiches Gewebe feine Kieselnadeln enthält. Auf
manchen Bänken sind sie mit dicken Klumpen von
Sand beschwert, den kleine Röhrenwürmer, soge-
nannte Sandrollen (Sabellaria anglica) durch ihren
Hautschleim orgelpfeifenartig zusammenkitten, um auf
J4 ^ii^^ Austembank ist eine BiocÖnose oder Lebensgemeinde.
einer festen Unterlage gesellig neben einander zu
wohnen.
Auf einigen Bänken bei der Südspitze von Sylt, wo
sich die wohlschmeckendsten Austern unseres Watten-
meeres ausbilden, wachsen auf Austern-Schalen Röhren-
würmer (Pomatoceros triqueter), deren weisse, drei-
kantige Kalkröhre oft wie ein grosses lateinisches S
gekrümmt ist. Hier tragen die Schalen vieler Austern
auch sogenannte Seehände (Alcyonium digitatum), das
sind weisse oder gelbe Polypenstöcke von der Grösse
und Form eines plumpen Handschuhes.
Oft auch sind die 'Schalen der Austern mit braunem
Rasen überzogen, der aus baumförmigen Polypen
(Eudendrium rameum und Sertularia pumila) besteht,
oder mit Büscheln gelblicher, fast fingerlanger Röhrchen
bewachsen, an deren Enden röthliche Polypen sitzen.
(Tubularia indivisa). Ueber diese Polypen hinaus ragen
längere Bäumchen, welche licht- gelbliche oder bräun-
liche, glänzende Polypenkelche tragen (Sertularia argentea).
Sogar in der Kalkmasse der Schalen siedeln sich
Thiere an. Sehr oft sind sie von aussen bis zur inner-
sten Schicht hin, an welcher der Mantel der lebenden
Auster liegt, von einem Bohrschwamm (Clione celata)
durchlöchert; und in den Zwischenräumen der Schalen-
schichten alter Austern verkriecht sich ein grünlich-
braunes Borstenwürmchen (Dodecaceraea concharura),
das zwölf lange Fühlfäden im Nacken trägt. Ich habe
einmal alle Thiere, die auf zwei Austern sassen, einzeln
abgenommen und gezählt. Auf der einen wohnten 104
und auf der andern 221 Thiere dreier verschiedenen
Arten.
Auch Fische bringt das Austernnetz zuweilen mit
Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 7 5
herauf, obgleich es wenig geeignet ist, diese einzufangen.
■
Schollen (Platessa vulgaris), die sich durch Aufschnellen
aus dem Schiffe wieder ins Wasser zu retten suchen,
oder Steinpicker (Aspidophorus cataphractus) und
Nagelrochen (Raja clavata), die mit dem- Schwänze
um sich schlagen, sind auf den Austernbänken häufig.
Ausser den angeführten Thieren leben daselbst aber
noch viele Arten grösserer Thiere, die weniger massen-
haft in die Netze gerathen, und verborgen zwischen den
grösseren leben eine Menge kleiner Thierchen, die man
nur mit Vergrösserungsgläsern, mit Lupen und Mikro-
skopen, sehen kann.
Pflanzen wachsen wenig auf den Austernbänken.
Seegras (Zostera marina) hat sich nur auf einer ein-
zigen Bank des Wattenmeeres über die Lagerstätte der
Austern verbreitet. Auf einigen Bänken findet man
rothbraune Algen (Florideen). In dem Wasser, welches
über die Austernbänke läuft, schweben mikroskopische
Bandalgen (Desmidieen) und Spaltalgen (Diatoma-
ceen), welche den Austern als Nahrung dienen.
Wirft man das Schleppnetz im Wattenmeere an
Bodenstrecken aus, die zwischen den Austernbänken
liegen, so fängt man viel weniger Thiere, und man er-
hält auf schlickigem Grunde andere Arten, als auf
Sandgrund.
Jede Austernbank ist gewissermassen eine Gemeinde
lebender Wesen, eine Auswahl von Arten und eine
Summe von Individuen, welche gerade anf dieser Stelle
alle Bedingungen für ihre Entstehung und Erhaltung
finden, also den passenden Boden, hinreichende Nahrung,
gehörigen Salzgehalt und erträgliche und entwicklungs-
günstige Temperaturen.
76 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
Jede daselbst wohnende Art ist durch die grösste
Zahl von Individuen vertreten, die sich den vorhandenen
Umständen gemäss ausbilden konnten; denn bei allen
Arten ist die Zahl der ausgereiften Individuen jeder
Fortpflanzungsperiode kleiner, als die Summe der er-
zeugten Keime war.
Die Gesammtheit der herangewachsenen Individuen
aller in einem Gebiet zusammenwohnenden Arten ist der
übriggebliebene Rest aller Keime der vorhergegangenen
Brutperioden. Dieser Rest der ausgereiften Keime ist
ein gewisses Quantum Leben, welches in einer gewissen
Summe von Individuen auftritt und welches, wie alles
Leben, durch Fortpflanzung Dauer gewinnt.
Die Wissenschaft besitzt noch kein Wort für eine
solche Gemeinschaft von lebenden Wesen, für eine den
durchschnittlichen äusseren Lebensverhältnissen ent-
sprechende Auswahl und Zahl von Arten und Individuen,
welche sich gegenseitig bedingen und durch Fortpflan-
zung in einem abgemessenen Gebiete dauernd erhalten.
Ich nenne eine solche Gemeinschaft Biocoeriosis*) oder
Lebensgemeinde.
Jede Veränderung irgend eines mitbedingenden Fak-
tors einer Biocönose bewirkt Veränderungen anderer
Faktoren derselben. Wenn irgend eine der äussern
Lebensbedingungen längere Zeit von ihrem früheren
Mittel abweicht, so gestaltet sich die ganze Biocönose
um; sie wird aber auch anders, wenn die Zahl der
Individuen einer zugehörigen Art durch Einwirkungen
des Menschen sinkt oder steigt, oder wenn eine Art
^) Von ßloq, das Leben, und xoiyotiy^ (.twas gemeinschaftlich haben.
Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 'JJ
■ ■ .
ganz ausscheidet oder eine neue Art in die Lebens-
gemeinde eintritt.
Als grosse Mengen Austern von den reichen Bänken
bei Cancale, Rochefort, Marehnes und d'Oleron entfernt
waren, standen den Schwärmlingen der dort lebenden
Herzmuscheln und Miesmuscheln mehr Wohnplätze und
mehr Nahrung zur Verfügung als vorher, und so gelangten
sie in grösserer Anzahl zur Reife als in früheren Zeiten.
Die Biocönose jener französischen Austernbänke wurde
also durch Ueberfischung gänzlich verändert. Ehe nicht
die Zahl der Herzmuscheln und Miesmuscheln wieder
auf ihren früheren geringen Bestand zurück gebracht
worden ist, können sich daselbst Austern nicht wieder
in solchen Mengen wie ehemals ausbilden, weil der
Boden bereits besetzt ist und andere Muscheln die
Nahrung wegnehmen.
Die Biocönose lässt ^ich zu Gunsten der Austern
umgestalten durch Wegfischen der erwachsenen Herz-
und Miesmuscheln und durch gleichzeitige Schonung der
Austern, damit deren Schwärmlinge die freiwerdenden
Wohnplätze sofort wieder in Besitz nehmen.
Raum und Nahrung gehören zu den ersten Grund-
lagen jeder Lebensgemeinde, auch einer Lebensgemeinde
im grossen Meere. Austernbänke bilden sich nur auf
festem, schlickfreiem Grunde. Lassen sich hier die
Austernschwärmlinge dicht neben einander nieder, wie
auf den künstlichen Sammelkörpern in der Bucht von
St. Brieuc geschah, so stossen ihre wachsenden Schalen
bald zusammen und verkrüppeln, und ihr Wachsthum
schreitet sehr langsam fort, weil jeder einzelnen Auster
weniger Nährstoffe zufliessen, wenn sie in Haufen dicht
beisammensitzen, als wenn sie zerstreut liegen.
yS Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
In einem Austernzuchtteich auf der Insel Hayling
in Süd-England sah ich im Mai 1869 dreijährige Austern,
die sich als Schwärmlinge auf Hürden niedergelassen
hatten. Fast alle hatten verbogene Schalen, welche
nicht grösser waren als 2 bis 3 Centimeter, während
eine dreijährige holsteinische Auster 5 bis 6,5 Centimeter
breit ist. Offenbar waren sie deshalb so klein geblieben,
weil sie in dem Zuchtteichfe täglich weniger Nahrung
erhielten, als Austern im freien Meere.
In Arcachon müssen die Austernzüchter die Austern
von den Brutsammlern ablösen, um sie in Kasten und
dann in Teichen gross zu ziehen. In diesen dürfen sie
nicht zu eng bei einander liegen, wenn sie gut wachsen
sollen. Selbst auf den besten Austernbänken bleiben
die Austern mager, wenn sie zu dicht liegen. Fischt
man einen Theil solcher schlechtgenährten Austern weg,
so werden die zurückgelassenen, wie man auf der Huntje,
der grössten und fruchtbarsten der schleswig-holsteini-
schen Bänke erfahren hat, bald fetter, d. h. ihre Ge-
schlechtsdrüsen nehmen einen grösseren Umfang an,
weil in ihnen mehr Eier oder Befruchtungsfäden entstehen,
als in mageren Austern.
Ueberschreitet also einmal eine Austernbank ihre
mittlere Reifefruchtbarkeit, so erhält jede einzelne der
übermässigen Menge ihrer voll- und halbwüchsigen
Austern keine hinreichende Nahrung, um ein volles
Maass von Keimen zu erzeugen, wodurch die Keimfrucht-
barkeit und also auch die Reifefruchtbarkeit der ganzen
Bank bald wieder auf ihren gewöhnlichen Stand zurück-
gebracht wird.
Da diese Erscheinung auch auf der fruchtbarsten
jschleswig-holsteinischen Austernbank eintritt, deren Reife-
Eine Austembänk ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. ^9
fruchtbarkeit 484 auf 1000 erreicht, während sie im
Durchschnitt für alle Bänke nur 421 auf looo beträgt
(S. 62), so ist eine Reifefruchtbarkeit von 484 auf icxx)
wohl die höchste, welche Austern unter den biocöno-
tischen Verhältnissen unseres Wattenmeeres dauernd er-
reichen können.
Bei Auray in der Bretagne sammeln die Austern-
züchter viel mehr Austernbrut, als sie gross ziehen
können; dazu fehlt ihnen der Raum und die Nahrung.
Finden sie für ihre jungen Austern keine Abnehmer,
die sie in nahrungsreichem Wasser bis zur Marktgrösse
ausbilden können, so bleibt der Gewinn ihrer Austern-
zucht aus.
Es geht also mit den Austern gerade so, wie mit
andern Thieren. Die Zunahme ihrer Masse hängt von der
Menge der Nahrung ab, die sie erhalten und verarbeiten.
Die jütischen Bauern züchten viel junges Rindvieh,
aber um alle ihre Kälber aufzuziehen und fett zu machen,
fehlt ihnen das Futter, und sie verkaufen daher viel
Jungvieh an die Marschbauern der schleswig-holsteini-
schen Westküste, die es auf ihren Futterweiden gross
ziehen und mästen.
Zu dem adligen Gute Hagen bei Kiel gehört ein
über 80 Hektar grosser Karpfenteich, der je drei Jahre
trocken liegt und während dessen mit Hafer und Klee
bebaut wird. Dann staut man das Wasser und setzt
30,000 einjährige Karpfen hinein, welche nach drei Jahren
in der Regel 40,000 Pfund Speisefische liefern.
Um einen noch grösseren Ertrag zu erzielen, setzte
man einmal mehr als 30,000 junge Karpfen in den Teich.
Nach drei Jahren lieferte derselbe wohl eine grössere
Zahl Fische als früher, aber alle zusammengenommen
80 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
wogen doch nicht mehr als 40,000 Pfund. Das Quantum
Nahrung, welches der Teich in drei Jahren darbot, reichte
also bloss zur Ausbildung von 40,000 Pfund Karpfen aus.
Austern durch künstliche Fütterung zu nähren
und zu mästen, halte ich nicht für ausführbar, obgleich
in Nordamerika und auch in Europa Versuche gemacht
worden sein sollen, Parkaustern mit Maismehl zu füttern.
Die Austernnahrung besteht aus sehr kleinen organischen
Massen, welche im Wasser schweben. Wollte man den
Austern eines Bettes solche künstlich zufuhren, indem
man das Wasser mit breiartig zerriebenem Fleisch, mit
Knochenmehl, Fischguano oder Getreidemehl versetzte,
so dürfte man das Wasser nicht abfliessen lassen, ehe
diese Stoffe verzehrt wären. Dadurch würden aber
sicherlich eine Menge Fäulnissgase auf dem Lager der
Austern erzeugt und zurückgehalten werden. Anstatt
die Auster zu mästen, würde man sie krank machen
und tödten.
Unter den äussern Lebensbedingungen einer Biocö-
nose spielt die Temperatur eine wichtige Rolle.
In unsern wechselwarmen Meeren sind milde Winter
und eine höhere Temperatur in der darauf folgenden
Brut- und Schwärmzeit besonders günstig für die Aus-
bildung einer grossen Menge Keime.
Alle lebendigen Glieder einer Lebensgemeinde halten
mit ihrer Organisation den physikalischen Verhältnissen
ihrer Biocönose das Gleichgewicht, denn sie erhalten sich
und pflanzen sich fort gegenüber allen Einwirkungen
äusserer Reize und gegenüber allen Angriffen auf das
Fortbestehen ihrer Individualität. Obgleich jede Art
anders organisirt ist, in jeder also andere Kräfte zur
Bildung und Erhaltung der Individuen zusammenwirken;
Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 8 1
obgleich daher jede Art ihr eigenes organisches Aequi-
valent hat, so besitzen doch alle dieselbe Sättigungs-
kraft für die Gesammtheit der äusseren Lebens-
bedingungen ihrer Biocönose. Alle Arten müssen da-
her eine Abweichung der Lebensbedingungen von
dem gewöhnlichen Maasse mit entsprechenden Wir-
kungen ihrer Kräfte beantworten; daher steigern alle zu-
gleich ihre Lebensthätigkeiten oder mindern sie zugleich.
Macht günstige Witterung die eine Art fruchtbarer, so
erhöhet sie auch die Fruchtbarkeit der übrigen Arten.
Entstehen auf einer Austernbank mehr junge Austern,
weil die alten wärmer lagen und mehr Nahrung er-
hielten, als in gewöhnlichen Jahren, so bringen auch
die Schnecken, Krebse, Seeigel, Seesterne und die
übrigen Arten derselben Lebensgemeinde mehr Junge
hervor, wie wiederholt beobachtet worden ist. Da aber
für die Ausreifung aller im Uebermaass erzeugten Keime
weder Platz noch Nahrung genug vorhanden ist, so sinkt
die Gesammtzahl der Individuen der Lebensgemeinde
bald wieder auf ihr früheres Maass zurück. Das Ueber-
maass, welches die Natur durch Steigerung einer der
biocönotischen Kräfte erzeugte, wird also durch das
Zusammenwirken aller biocönotischen Kräfte wieder ver-
nichtet. Immer tritt bald wieder das biocönotische
Gleichgewicht ein.
Wo der Mensch im Stande ist, einem erzeugten
Uebermaass von Keimen passende Wohnplätze und Nah-
rung zu verschaffen, da kann eine grössere Zahl derselben
zur Reife gelangen, als in einer rein natürlichen Biocönose.
Die Austernzüchter von Arcachon und Auray
steigern die Reifefruchtbarkeit der Austern im hohen
Grade dadurch, dass sie Ziegel für die Schwärmlinge
MöbiuSj Auster. O
82 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
auslegen, dann den jungen von den Ziegeln abgelösten
Austern ein passendes Lager bereiten und ihnen nahrungs-
haltiges Wasser zutrömen lassen.
Wenn in einer Biocönose die Zahl der Individuen einer
Art künstlich gemindert wird, so steigt die Zahl der
ausreifenden Individuen anderer Arten. An der West-
küste von Frankreich nahmen Herz- und Miesmuscheln
die Stelle der weggefischten Austern ein. In den frucht-
baren Ebenen Nordamerikas nähren sich statt der ehe-
maligen grossen Herden wilder Büffel (Bos americanus)
jetzt zahme Rinder und Pferde.
Wird in einer Biocönose die Keimfruchtbarkeit einer
Art durch Vertilgung vieler fortpflanzungsfähigen Indi-
viduen künstlich erniedrigt, während alle anderen Kräfte
der Biocönose in früherer Stärke fortwirken, so muss
auch die Reifefruchtbarkeit dieser Art sinken. Durch
Ueberfischung hat man eine Menge der fruchtbarsten
westeuropäischen Austernbänke verödet. Der frühere
Fischreichthum vieler süssen Gewässer ist durch scho-
nungsloses Wegfangen der kaum geschlechtsreif gewor-
denen Fische verschwunden.
Es ist natürlich, dass auf solche Jahre, in welchen
auf einem Gebiete sehr viel Heringe, Lachse oder Störe
gefangen wurden, gewöhnlich Jahre folgen, in denen
weniger Fische derselben Art erscheinen, weil durch die
früheren reichen Fänge sehr viel keim erzeugende Indivi-
duen vernichtet wurden. Wird in einem Subtraktions-
exempel der Minuend verkleinert während der Subtrahend
sich gleich bleibt, so bleibt ein kleinerer Rest übrig.
Bei anhaltender künstlicher Vernichtung keim-
erzeugender Individuen kann die Keimfruchtbarkeit einer
Artgemeinde in einem solchen Maasse sinken, dass sie
Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 83
endlich gar nicht mehr im Stande ist, Keime genug her-
vorzubringen , um den gewöhnlichen natürlichen An-
griffen ihrer Biocönose gegenüber stets noch einem
gewissen Reste ihrer Keime die Reife zu sichern; sie
stirbt daher aus.
So ist der Dodo (Didus ineptus) auf der Insel
Mauritius im i/ten Jahrhundert ausgestorben, nachdem
die Portugiesen 1507 die Biocönose dieser Insel durch
Einführung von Schweinen und anderen Thieren gestört
und später die Holländer viele dieser Vögel schonungs-
los getödtet hatten. Auch lebt jetzt keine Schildkröte
mehr auf Mauritius, während daselbst nach schriftlichen
Zeugnissen wenigstens bis zum Jahre 1740 leicht Hun-
derte zur Verproviantirung von Schiffen gefangen werden
konnten. Sicherlich werden die Schweine viele junge
Dodos und Schildkröten gefressen haben.
Der Biber (Castor fiber) wird vielleicht bald gänz-
lich aus unserem biocönotisch umgestalteten Erdtheil
verschwinden. Der grönländische Walfisch (Balaena
mysticetus) ist nach den Verfolgungen, welchen er im
I7ten, i8ten und iQten Jahrhundert ausgesetzt war, bei
Spitzbergen und Grönland gegenwärtig eine seltene Er-
scheinung geworden.
Jedes biocönotische Gebiet hat in jeder Generations-
periode das höchste Maass von Leben, welches es zu
bilden und zu erhalten im Stande ist. Aller daselbst
vorhandene organisirbare Stoff wird von den dort er-
zeugten Wesen völlig in Anspruch genommen. Daher
sind wohl an keinem belebungsfähigen Orte der Erde
noch organisirbare Stoffe für Urzeugungen übrig. —
Soll in einer Biocönose die Reifefruchtbarkeit einer
Art ihre Höhe behalten, obwohl die Zahl der keim-
6*
r
I
\
84 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
erzeugenden Individuen künstlich vermindert wird, so
müssen zu gleicher Zeit die natürlichen keimzerstörenden
Ursachen künstlich verringert werden.
In der Bucht von Arcachon bringt man dadurch eine
ungewöhnlich grosse Zahl von jungen Austern zur Markt-
grösse, dass man sie durch künstliche Mittel vor ihren
Feinden schützt.
Der Rest eines Subtraktionsexempels kann sich
gleichbleiben oder er kann zunehmen, wenn mit dem
Minuenden zugleich auch der Subtrahend verkleinert wird.
Die Menge der Individuen einer Art kann auf die
Dauer steigen, wenn ihr biocönotisches Gebiet erweitert
wird. Als sich der Limfjord mit Nordseewasser ge-
füllt hatte, nahm die Zahl der reifen Austern im Gebiete
der dänischen Nordseeküsten um mehr als sieben Millio-
nen zu. (S. 52.)
Die Austernbetten in der Bucht von Arcachon, die
Claires an der Mündung der Seudre (S. 48) sind künst-
liche Erweiterungen der Austerngebiete.
Von Kulturpflanzen und Hausthieren werden unge-
heure Summen Individuen ausgebildet, weil der Mensch
ihre biocönotischen Gebiete künstlich vergrössert hat
Diese künstliche Vermehrung der Kulturpflanzen und
Hausthiere ist die Grundlage für die Steigerung der
Keim- und Reifefruchtbarkeit der Menschen, für die
Ausdehnung des biocönotischen Gebiets der Species
Homo sapiens. —
Der durchschnittliche Ertrag unserer Wälder, Aecker
und Gärten ist das Resultat natürlicher Kräfte und
menschlicher Arbeit. Neben den chemischen und phy-
sikalischen Kräften des Bodens und der Atmosphäre
und den organischen Kräften der wilden und kultivirten
Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 85
Pflanzen und Thiere spielen die körperlichen und geisti-
gen Kräfte der Menschen in der Wald- und Landwirth-
schaft eine wichtige Rolle; denn einen bedeutenden An-
theil an der Höhe der Ernten haben ausser den zahl-
reichen Wald-, und Feldarbeitern die Fabrikanten der
Wirthschaftsgeräthe, die Mechaniker und Optiker, welche
Instrumente zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen
liefern, so wie die Gedankenarbeiten der Land- und Forst-
leute und vieler Naturforscher.
Den durchschnittlich gleichförmig wirkenden Natur-
kräften gegenüber dürfen diese vielfältigen, in einander
greifenden menschlichen Arbeiten niemals ruhen, wenn
man von den künstlichen Biocönosen der kultivirten
Ländereien auf die Dauer Mittelerträge erzielen und
Avenn man verhindern will, dass die Natur sich in jedem
Gebiete ihre eigenen Biocönosen wieder einrichtet.
Dies alles Hess man bei der Nutzung der westeuro-
päischen Austernbänke in den. letzten Jahrzehnten un-
beachtet. Man fischte Millionen auf Millionen Austern
von den Bänken und war erstaunt, als man bemerkte,
dass ihre Produktivität abgenommen hatte. Obwohl man
die Zahl der keimerzeugenden Thiere ausserordentlich
verminderte, wollte man dennoch in jedem Jahre eine
gleich grosse Menge reifer Nachkommen ernten.
Man verlangte für die Austern eine Ausnahme von
den biocönotischen Gesetzen, nach denen sich eine er-
haltungsmässige Feld- und Waldwirthschaft zu richten hat.
In England giebt es Austernzüchter, welche zur
vollen Befriedigung ihrer alljährlichen hohen Forderungen
an die natürlichen Austernbänke und an die Austern-
betten wünschen, dass jedes Jahr gerade in der Brutzeit
ihres Austerngebiets die Temperatur auf 18 bis 20 Grad C.
86 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde.
stehen bleibe, dass kein Wind wehe und kein Gewitter
das gute Wetter plötzlich störe, damit kein Austern-
schwärmling zu Grunde gehe.
In Frankreich erwartete man, dass die Millionen
Keime, welche eine erwachsene Auster hervorbringt,
alle zu Marktaustern heranwachsen würden, wenn man
sie nur auf passenden Ansatzkörpern eingefangen hätte.
Man glaubte also, sie könnten durch ein Wunder gross
werden. Denn das Meer führte dem Lagerplatze der
vielen Millionen junger Austern nicht im geringsten
mehr Nahrungsstofife zu, als es früher dahin brachte, um
die kleinere Anzahl, die sonst dort aufwuchs, gross zu
ziehen.
In Deutschland verlangt man„ Austern sollen auf
wandelbaren Sandbänken und auf Schlickgrühden wohnen
und gedeihen und sich an das schwachsalzige Ostsee-
wasser gewöhnen; aber dabei sollen sie Wesen bleiben
von derselben Zartheit und Feinheit des Geschmackes
wie die Austern der guten schleswig-holsteinischen Bänke.
Nur durch Wunder, durch Ausnahmen von den noth-
wendigen Wirkungen der Naturgesetze für besondere
einzelne Fälle könnten solche Forderungen erfüllt werden.
Die Form unserer Küsten und der vor ihnen liegenden
Inseln, die Richtung der Flussmündungen, die Fluth-
und Ebbeströmungen müssten verändert werden, wenn
die Austern in unserm ganzen Wattenmeere gedeihen
sollten; an die Stelle der natürlichen Austern-Biocönosen
müssten also künstliche gesetzt werden, wie die Land-
leute und Gärtner für 'die Kultur der Acker- und Garten-
gewächse einrichten.
Und wenn die Auster in der heutigen Ostsee wohnen
sollte, müsste sie ihre physiologischen Thätigkeiten so
Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 8?
verändern, dass sie bei grösseren Schwankungen des
Salzgehaltes gedeihen könnte, als in der Nordsee, d. h.
sie müsste ein anderes Thier werden, dabei aber doch
den Geschmack der Auster bewahren. Man hat zwar
tausendmal erfahren, dass die meisten Schmeck- und
Riechstoffe in Pflanzen und Thieren nur unter ganz be-
stimmten äusseren Lebensbedingungen zur Ausbildung
kommen, aber zu Gunsten der Austern verlangt man
eine Ausnahme von diesem Naturgesetz. Man will, dass
Wunder geschehen, um sie den Vielen, welche jetzt mit
ihnen bekannt geworden sind, ebenso reichlich und billig
zuführen zu können, wie einst den wenigen Austern-
freunden, die in vergangenen Zeiten sie zu schätzen
verstanden.
88 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern.
II. Zunahme
der Austernesser und Austernpreise
und Abnahme der Austern.
Es giebt in England Austernzüchter und Austern-
kundige, welche behaupten: Nicht durch übermässige
Befischung, sondern durch eine lange Reihe ungünstiger
Brutjahre sind die Austernbänke verarmt. Nach ihren
Beobachtungen sollen seit 1857, 1858 und 1859 keine
reichen Brüten mehr gefallen sein.
Dies mag für eine Anzahl Austernstätten zutreffen,
hat aber für den Betrieb einer dauernd einträglichen
Austernwirthschaft keine Bedeutung, da diese nicht nach
aussergewöhnlichen günstigen Sommern, sondern nach
dem Durchschnittsklima einzurichten ist Und dass sich
dieses in Westeuropa in unserm Jahrhundert, also in
der Zeit der Verarmung und Erschöpfung vieler west-
europäischer Austernbänke nicht verändert hat, beweisen
die Temperaturbeobachtungen, welche seit 1806 auf der
Pariser Sternwarte angestellt wurden. Nach diesen ist
die mittlere Jahrestemperatur von Paris in unserm Jahr-
hundert bis jetzt auf 10,8® C. stehen geblieben, woraus
Zunahme der Austemesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. 89
folgt, dass im westlichen Europa die durchschnittliche
AVärme nicht gesunken ist.
In mehreren Austerngebieten an der Westküste von
Frankreich ist auch nach 1859 viel Austernbrut auf-
getreten. 1860 erschien viel Brut auf den Bänken bei der
Insel Re und bei Rocher d'Aire, während in der-
selben Brutperiode Arcachon wenig hatte. 1861 war
für alle drei Plätze ein gutes Brutjahr; 1862 für Ile Re
schlecht, für die beiden andern gut; 1865 trat in der
Bucht von Arcachon sehr viel Brut auf, aber bei Rocher
d'Aire und Ile Re wenig.
Diese Thatsachen zeigen, dass locale Verhältnisse
die Erzeugung von Austernbrut in einem und dem-
selben Jahre entweder begünstigen oder stören können.
Mr. F. Penneil theilte sie am 6. April 1876 der Com-
mission zur Untersuchung der britischen Austern-Fische-
reien mit und knüpfte daran die Bemerkung, dass nach
seinen Erfahrungen die Zahl der Austernschwärmlinge
in jeder Brutperiode von der Menge der Mutteraustern
abhängig sei, dass jedoch bisweilen aussergewöhnlich.viel
Brut erzeugt werde. ^)
Wer meinen Auseinandersetzungen bis hierher ge-
folgt ist, wird zugeben müssen, dass an der Verarmung
der westeuropäischen Austernbänke in den letzten Jahr-
zehnten die Natur keine Schuld hat, denn weder sind
die äussern Lebensverhältnisse der Austern schlechter
geworden, noch hat die Keimfruchtbarkeit der einzelnen
Thiere abgenommen. Nichts anderes als schonungslose
Befischung hat die Austernbänke entvölkert. Davon
waren auch die meisten Austernkundigen überzeugt,
welche der Commission zur Untersuchung der britischen
gO Zunahme der Austernesser u. Austempreise, Abnahme der Austern.
Austernfischerei im Jahre 1876 in. London ihre Erfah-
rungen und Gedanken vortrugen.
Man wird aber fragen: Warum wurden vor unseren
Zeiten die europäischen Austernbänke nicht übermässig
befischt?
Weil es vor dem Zeitalter der Dampfschiffe, Dampf-
wagen und Eisenbahnen viel weniger Austernesser gab,
als jetzt. Früher waren echte Austernesser fast nur in
den Küstengegenden zu finden. Sobald die Austern-
fischerei im Herbst wieder eröffnet wurde, bezahlte man
hier nur die Erstlinge ziemlich theuer, aber bei weiterer
Zufuhr sanken schnell die Preise.
Am 21. September 1740 bezahlte man in Hamburg
die ersten Hunderte einer frischen Sendung schleswig-
holsteinischer Austern mit je M. 1,42 nach heutigem Gelde;
darauf verkaufte man an demselben Tage 900 Stück, das
Hundert für M. 1,20; dann 3,400 Stück, das Hundert für
60 Pfennig und endlich 10,800 Stück, das Hundert für
30 Pfennig.
Am 15. October desselben Jahres bezahlte man eben-
daselbst für das erste Hundert frisch angekommener •
Austern M. 2,40; für das zweite Hundert M. 2,10; darauf
wurden 1025 Stück verkauft, das Hundert für M. 1,80;
dann 1000 Stück, das Hundert für M. 1,50; dann 2000 Stück,
das Hundert für M. 1,20; zuletzt 12,500 Stück, das Hun-
dert für 60 Pfennig. Diese aus den Akten der schleswig-
holsteinischen Austernbänke entnommenen Zahlen^) zei-
*
gen, dass die Preise der Austern bald nach der Ankunft
einer grösseren Sendung im Hamburger Hafen schnell
erniedrigt werden mussten, wenn man sie nicht verderben
lassen, sondern in einem geniessbaren Zustande los
werden wollte, weil keine bemerkenswerthe Abfuhr der-
Zunahme der Austemesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern, gi
selben nach dem Binnenlande stattfand. Ein solches
Fallen der Preise schützte die Bänke vor zu starker Be-
fischung.
Sobald die Austern durch Dampfschiffe und auf Eisen-
bahnen frisch, wie sie von den Bänken kommen, schnell
verbreitet und tief in das Binnenland geführt werden
konnten, wurden auch dort immer mehr Austernesser
gebildet, und so wuchs trotz der schnellen Steigerung
der Preise der Bedarf an Austern von Jahr zu Jahr.
Er nahm fast in gleichem Maasse zu, wie die Ausdeh-
nung der Eisenbahnnetze in Frankreich, England und
Deutschland.
Dass durch eine stärkere Befischung die Austern-
bänke erschöpft werden könnten, kam den Fischern
nicht in den Sinn. Hatten sie doch Jahr für Jahr auf den-
selben Bänken immer wieder Austern gefunden; warum
sollten sie nun unterlassen, wegzunehmen, was in ihre
Netze kam? Früher freilich fischten sie nur an solchen
Stellen, wo die Austern dicht lagen. Wo sie nur wenig
Austern fingen, machte sich das Fischen nicht bezahlt,
weil die Preise niedrig waren; daher Hessen sie solche
Bänke, die nur dünn mit ausgewachsenen Austern besäet
waren, so lange in Ruhe, bis sich auf ihnen wieder das
volle, die Arbeit des Fischens lohnende Maass von reifen
Thieren angesammelt hatte.
Als jedoch mit der Zahl der Austernesser die Preise
höher stiegen, lohnte es sich auch noch, auf weniger
ergiebigen Strecken zu fischen. Man warf die Netze so
lange immer wieder aus, bis endlich fast nichts mehr
auf den Bänken zu finden war. Während vor der Zeit
der Eisenbahnen die fallenden Marktpreise die Austern-
fischerei zu Gunsten eines guten Bestandes der Bänke
92 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern.
regulirten, reizten in dem Zeitalter der Eisenbahnen die
immer höher gehenden Austernpreise die Fischer dazu,
ihre Bänke zu erschöpfen. Dafür enthalten die amt-
lichen Berichte über französische und englische Austern-
zucht eine Menge thatsächlicher Beweise.
Die Austernfischer von Cancale waren glücklich,
von Jahr zu Jahr mehr Geld für ihre frisch nach Paris
gehenden Austern zu erhalten. An die Möglichkeit
einer Erschöpfung ihrer reichen Bänke dachten sie nicht.
Hatten doch die gelehrten Autoritäten gesagt, dass jede
ausgewachsene Auster zwei oder drei Millionen Junge
erzeuge. Wenn sie also nur hundert Mutteraustern liegen
liessen, so glaubten sie alles Nöthige gethan zu haben,
um nach kurzer Zeit 200 bis 300 Millionen Nachkoi'nmen
derselben auf den abgefischten Bänkeil wieder vorzu-
finden.
Bis 1854 waren die Austernbänke von Roche fort,
Marennes und der Insel d'Oleron in erhaltungs-
mässiger Weise befischt worden, weil ihre Austern nur
in den näher liegenden Küstenörtern Absatz fanden. 1854
wurde Roche fort mit dem binnenländischen Eisenbahn-
netz in Verbindung gebracht; sofort vergrösserte sich der
Markt für die Austern dieses Küstengebietes und die
Ausbeutung der Bänke wurde fast bis zur gänzlichen Er-
schöpfung derselben fortgesetzt. Von 15 Millionen, die
1854 — 55 gefischt wurden, war man im Jahr 1863 — 64
auf 400,000 herabgekommen. (Siehe oben S. 65.)
Der letzte Bericht über die englische Austernfischerei
im Jahre 1876 enthält viele lehrreiche Beispiele über
die starke Steigerung der Preise in Folge der Abnahme
der Austern.
Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. Qj
In Whitstable, dessen Bänke die feinste Sorte Na-
tives erzeugen, war in den Jahren 1852 bis 1862 der
Preis für ein Bushel (14CX) bis 1600 Stück) niemals höher
als 2 Pfd. Sterling und 2 Schilling; 1863 — 64 stieg er
auf 4 Pfd. 10 Seh., 1869 auf 8 Pfund und 1876 auf
12 Pfund Sterling. 1876 kostete dort also das Stück
über 16 Pfennig nach unterm Gelde.
In Colc bester, einem anderen berühmten Austern-
handelsplatze an der Ostküste Englands, kostete in den
Jahren 1856 bis 1863 das Bushel Austern gewöhnlich
66 Schilling, 1864—65 8oSch., 1865—66 95 Seh., 1866—67
100 Seh., 1867—68 130 englische Schilling.^)
In Palm out h kostete das Tub (1600 Stück) Austern
1830 I Schilling, 1860 2 bis 2V2 Schilling, 1863 4 bis
14 Seh., 1867 9 bis 37 Seh. und 1869 45 englische
Schilling.
Eine Tonne schleswig-holsteinischer Austern (700 bis
800 Stück) wurde 1875 bis 1876 an Austernhändler für
105 Mark verkauft. Fünfzehn Jahre früher betrug ihr
Preis nur den dritten Theil dieser Summe.
Durch die Einverleibung Schleswig -Holsteins in den
deutschen Zollverein im Jahre 1864 wurde das Gebiet
zollfreien Absatzes für die Schleswig - holsteinischen
Austern zu einer Zeit, wo die englischen Austern auf
deutschen Märkten immer seltener wurden, bedeutend
erweitert. Ausser der starken Zunahme des Austern-
konsums in Europa überhaupt, gab diese politische Ver-
änderung Deutschlands offenbar auch Veranlassung zu
einer stärkeren Befischung unserer Austernbänke, als in
früheren Zeiten, was aus der auffallenden Abnahme
ihrer Reifefruchtbarkeit in neuerer Zeit hervorgeht.
Denn bei der Hauptrevision derselben irn Jahre 1869
94 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern.
fielen auf looo vollwüchsige nur 282 halbwüchsige
Austern und bei fünf Revisionen in den Jahren 1872
bis 1876 im Durchschnitt sogar nur 107 Stück, während
bei früheren Revisionen im Durchschnitt 42 1 halbwüchsige
Austern bei 1000 vollwüchsigen gefunden wurden, wie
oben S. 62 gezeigt worden ist.
*) Report on 0} sterfisheries 1876. S. 116 No 2386 und 87.
2) H. Kröyer, De danske Oystersbanker. Hier werden
S. Q2 und 03 noch einige Beispiele von dem Sinken der Austern
preise in Hamburg an einem und demselben Tage aus den
Akten der Schleswig - holsteinischen Austemwirthschaft mit-
getheilt.
^) Report on Oysterfislieries 1876. S. 63.
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 95
12. Die chemischen Bestandtheile
und
der Geschmack der Austern.
Der schwerste Theil der Auster ist ihre Hülle.
^4 Prozent des Gesammtgewichtes der gewöhnlichen
holsteinischen Tafelaustern kommen im Durchschnitt
auf die Schalen. Inwendig ist die Auster Weichthier,
auswendig Steinthier. Die getrocknete Schale sehr alter
Austern wiegt 250 bis 320 Gramm. In solchen schweren,
dickschaligen Austern sind die Weichthiere gewöhnhch
sehr mager und ihr Umfang ist auch kleiner geworden,
als er im Alter der höchsten Reife war, was daraus
hervorgeht, dass der Rand der zuletzt gebildeten Schalen-
schichten nicht über die früher abgesetzten vorspringt,
sondern unter sie zurückgeht.
Der Hauptbestandtheil der Schale ist kohlensaurer
Kalk. Er macht 96 bis 97 Prozent derselben aus.
Ausserdem enthält sie noch 1,2 bis 1,3 Prozent schwefel-
sauren Kalk, o,C9 Phosphorsäure 0,03 Prozent Eisen-
oxyd und Spuren von Magnesia und Thonerde. Werden
diese unorganischen Bestandtheile der Schale in Säuren
96 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
aufgelöst, so bleiben bräunliche Häute und Flocken
einer organischen Substanz zurück, welche Conchyolin
genannt wird. Es ist eine Verbindung der Grundstoffe
Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff .und Sauerstoff. Die
gewölbten Klappen holsteinischer Austern enthalten 1,01
bis 1,025 Prozent Conchyolin, die flachen etwas mehr,
nämlich 1,10 bis 1,15 Prozent. Diese Vermehrung des
Conchyolingehaltes macht die flachen Klappen weniger
brüchig als die gewölbten.
Zuweilen findet man Perlen in Austern. Gewöhnlich
liegen sie in dem Mantel, zuweilen auch in dem Schliess-
muskel. Perlen sind isolirt abgelagerte Schalenstoffc.
Ihre chemischen Bestandtheile stimmen daher mit denen
der Schale überein. In einigen Perlen aus schleswig-
holsteinischen Austern wurde verhältnissmässig mehr
kohlensaurer Kalk gefunden, als in den Schalen. Glän-
zende, zum Schmuck verwendbare Perlen kommen in
Austern sehr selten vor; gewöhnlich sind sie weiss und
glanzlos. In Hamburg entdeckte einmal die Zunge eines
Austernessers eine Perle, fiir welche ihm der Juwelier
66 Mark bezahlte.
Fast alle Muscheln haben schönere Schalen als die
Auster; aber an Feinheit des Geshmacks übertrifft sie
jedes andere Weichthier.
Schmeckbar sind nur solche Stoffe, welche in Flüssig-
keiten gelöst, die Geschmacksorgane berühren. Der
Geschmack der Austern hängt daher von Stoffen ab,
welche entweder in ihren Säften schon gelöst sind, oder
welche sich erst im Munde auflösen.
P'rische lebendige Austern enthalten wie alle Seethiere
sehr viel Wasser. Um ihren Wassergehalt zu bestimmen
trennt man sie mit möglichster Schonung von der Schale,
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern, 57
indem man den Schliessmuskel da, wo er sich an die
Klappen ansetzt, durchschneidet; dann trocknet man
ihre Oberfläche mit Fliesspapier ab, wägt sie und ent-
zieht ihnen unter der Luftpumpe alles Wasser. Zwei
schleswig-holsteinische Austern, welche aus der Schale
genommen und abgetrocknet, zusammen 14,70. Gramm
schwer waren, wogen vollständig ausgetrocknet nur noch
3,05 Gramm. Sie enthielten* also 79,25 Prozent Wasser
und nur 20,75 Prozent feste Stoffe.
Von zwei anderen grösseren Austern wurden der
Mantel und die Kiemen abgeschnitten; sie wogen ab-
getrocknet zusammen 20,55 Gramm und hinterliessen
4,80 Gramm trockenen Rückstand. Ihre essbaren Theile
enthielten also 76,64 Prozent Wasser und 23,36 Prozent
feste Stoffe.
Aus der Untersuchung einer grösseren Anzahl schles-
wig-holsteinischer Austern ergab sich, dass die ganzen
Weichthiere 21,5 bis 23 Prozent feste Stoffe enthalten;
aber die von dem Bart befreiten Körpertheile 23 bis
24,5 Prozent.^)
Nach ihrem Gehalt an festen Stoffen übertreffen
die Austern das Fleisch der Fische etwas mehr, als das
Fleisch der Säugethiere und Vögel. Denn
Forellenfleisch enthält 19,5 Prozent feste Stoffe
Karpfenfleisch „ 20,2
Schweinefleisch ,, 21,7
Kalbfleisch „ 21,8
Ochsenfleisch „ 22,5
Huhnfleisch „ 22,7 „ „ „ ^)
Auf 100 Theile getrockneter Austernmasse kommen
7,69 bis 7,81 Theile Stickstoff oder 100 Theile frische
Möbius, Auster. 7
}* )f >f
f} f) n
)} )j j)
q8 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
wasserhaltige Austern enthalten 1,85 bis 1,87 Theile
Stickstoff.
Durch Verbrennen der trocknen Austernmasse lässt
sich ermitteln, wie viel unorganische Bestandtheile sie
enthält. So wurde gefunden, dass völlig getrocknete
schleswig-holsteinische Austern (ohn^ Bart) 7,45 Prozent
unorganische Bestandtheile enthalten, oder die nicht
getrockneten Weichthierkörper 1,79 Prozent.
Nach diesen Bestimmungen sind in 100 Gewichts-
theilen der frischen geniessbaren Weichthierkörper
schleswig-holsteinischer Austern enthalten:
77,00 Theile Wasser,
21,21 Theile organische Stoffe und
1,79 Theile unorganische Stoffe.
Die hauptsächlichsten unorganischen Stoffe sind
Kochsalz und Phosphorsäure. Das Kochsalz beträgt
0,58 Prozent der frischen Austern und die Phosphorsäure
0,38 Prozent.
Im frischen Rindfleisch sind 0,49 Prozent Kochsalz
und 0,22 Prozent Phosphorsäure enthalten.
Aus diesen Untersuchungen und Vergleichungen geht
hervor, dass die Austern ebensoviel oder noch etwas
mehr Nährstoffe enthalten, als die besseren Fleischsorten.
Ausserdem zeichnen sie sich noch dadurch aus, dass sie
leichter verdaulich sind, als die meisten andern thierischen
Nahrungsmittel. Vergleicht man aber den Preis gleicher
Gewichtstheile Austern mit den Preisen gleicher Gewichts-
theile der besten Fleischsorten, so zeigt sich, dass die
Austern bei uns ein sehr theures Nahrungsmittel sind.
Wenn die essbaren Weichtheile eines Dutzend hol-
steinischer Austern 125 Gramm oder 74 Pfund wiegen,
und wenn man dafür 2 Mark bezahlt, so sind die Austern
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 99
als Nahrungsmittel 6 Vattial so theuer als Beefsteakfleisch,
von welchem das Pfund 120 Pfennige kostet.
Allein die Werthschätzung der Austern beruht nicht
hauptsächlich auf ihrem Gehalt an Nährstoffen, sondern
vornehmlich auf ihrer Zartheit und ihrem eigenthüm-
lichen feinen Geschmack. Sie sind die feinsten, edelsten
Speisen aus dem Meere, die unverändert genossen werden
können, die keiner Kochkunst bedürfen, um ihre Vor-
züge zu entwickeln. Sie gleichen den edlen Perlen,
welche ihre grösste Vollkommenheit auch in ihrer natür-
lichen Bildungsstätte empfangen.
Welche besonderen Stoffe der Auster ihren Geschmack
verleihen, ist eben so wenig bekannt, wie die Ursache
des Geschmackes der verschiedenen Fleischarten. In
den Geschlechtsdrüsen und in der Leber der Austern
sind Glykogen und Traubenzucker enthalten. Das reine
Glykogen hat keinen Geschmack. Es besteht wie der
Traubenzucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauer-
stoff. Wahrscheinlich haben an dem Geschmack der
Austern die Fette derselben einen wichtigen Antheil.
Wiederholt habe ich die Erfahrung gemacht, dass
im Mai und in der ersten Hälfte des Juni, wenn die
Geschlechtsdrüsen stark entwickelt sind, die eierhal-
tigen Austern einen feiner nussartigen und volleren
Geschmack haben, als die spermahaltigen. Ich legte
frische Austern, deren Geschlechtsbeschaffenheit ich
vorher mikroskopisch untersucht hatte, verschiedenen
Personen zur Prüfung ihres Geschmackes vor. Sie
fanden die weiblichen ebenfalls vorzüglicher, als die
männHchen, ohne dass sie von dem Geschlechtsunter-
schied etwas wussten. Die gut entwickelten eierhaltigen
Austern sind gewöhnlich etwas dicker, als die männ-
lOO Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
liehen und mehr rahmfarbig als die spermahaltigen, deren
Rumpf mehr wässerig durchscheinend ist. Mitten im
Winter tritt dieser äussere Unterschied nicht so hervor,
wie kurz vor der Laichzeit.
Gleich nach der Entleerung der Geschlechtsdrüsen
sind die Austern am magersten und ihr Geschmack ist
wässeriger als zu jeder andern Zeit. Nach der Fort-
pflanzungsperiode nimmt ihre Masse von Monat zu Monat
wieder zu, falls ihre Ernährung nicht durch anhaltende
Kälte gestört wird und mit der fortschreitenden Ent-
wicklung der Geschlechtsdrüsen wird auch ihr Geschmack
immer voller. Hieraus folgt, dass der Winter und mehr
noch der Frühling die besten Jahreszeiten für den Genuss
der Austern sind.
„Austern darf man nicht zerbeissen, man muss sie
ganz verschlucken", habe ich wiederholt von Personen
sagen hören, die sich für echte Austernesser hielten.
Wenn das richtig wäre, so Hessen sich für die theuren
Austern billige Surrogate aus einem geschmacklosen
weichen Teige herstellen, dem man nur die Form von
Austern zu geben brauchte. Wie alle andern Speisen
wirken auch die Austern um so stärker auf die Ge-
schmacksorgane, je mehr ihre löslichen Stoffe mit der
Oberfläche derselben in Berührung gebracht werden.
Daher muss man Austern zerbeissen und kauen, wenn
man ihre wohlschmeckenden Stoffe frei legen und zur
Wirkung bringen will.
Die schleswig-holsteinischen Austernbänke erzeugen
Austern von verschiedenem Geschmack. Die feinsten
entstehen auf denjenigen Bänken, die nicht sehr fem
von den grösseren Tiefen liegen, durch welche das
fluthende und ebbende Wasser des Wattenmeeres ein-
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 10 1
und ausströmt. (Man werfe einen Blick auf die Karte
desselben vor dem Titelblatt.) So entstehen auf den
Bänken bei dem nördlichen und südlichen Ende von
Sylt und auf einer einzeln liegenden Bank im Norden
der Insel Rom vorzügliche Austehi; die allerfeinsten
bilden sich auf den Bänken bei Hörnum aus.
Die Hörnumaustern zeichnen sich aus durch eine
besonders starke Ausbildung ihrer Geschlechtsdrüsen.
Ihr Geschmack ist nussartig zart und niemals wässerig
und bitter wie der Geschmack der Austern mancher
anderen Bänke.
Diese vorzügliche Ausbildung der Austern muss das
Resultat der gerade auf diesen Bänken zusammen-
A\'irkenden äusseren Lebensbedingungen der Austern
sein. Auf den Hörnumbänken liegen die Austern tiefer
und dem offenen Meere näher, als im Innern des Watten-
meeres. Das über sie hinlaufende Wasser erfährt daher
im Laufe der Tages- und Jahreszeiten etwas geringere
Temperaturschwankungen, als auf den der Küste des
Festlandes näher liegenden Bänken, und es hat auch im
Ganzen einen etwas stärkeren Salzgehalt als das Wasser
der Bänke des flacheren Wattenmeergebietes. An diese
äussern physikalisch-chemischen Eigenthümlichkeiten der
Hörnumbänke schliessen sich auch faunistische an. Hier
Avohnen auf den Austern Dreikantwürmer (Pomato-
ceros triqueter) und Polypenstöcke, welche ihrer Form
wegen Seehände (Alcyonium digitatum) heissen. Beide
Thierformen kommen am Grunde der offenen Nordsee
häufig vor. Sie fehlen auf den übrigen Austernbänken
des Wattenmeeres; offenbar können sie auf den inneren
Bänken desselben nicht leben, weil hier nicht alle zu
ihrem Gedeihen nöthigen Bedingungen vorhanden sind.
I02 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
Also gerade an solchen Stellen des Wattenmeeres^
wo die äussersten Grenzen des Wohngebietes der See-
hand und des Dreikantwurmes unsere Austernbänke
durchschneiden, da entwickeln sich die günstigsten Be-
dingungen für die Ausbildung der wohlschmeckendsten
Austern. Ein Dreikantwurm auf der Schale einer schles-
wig-holsteinischen Auster ist daher ein Zeichen ihrer
Herkunft von einer der besten Bänke.
Einem Pastor auf Sylt, der gern gute Austern ass,.
war dieses äussere Merkmal sehr wohl bekannt; denn
er pflegte den aussegelnden Austernfischern zu sagen:
„Bringt mir frische Austern mit, aber nur von denen,,
die der liebe Gott gezeichnet hat!"
In Paris werden die grünen Austern von Marennes
und Tremblade wegen ihres feinen Geschmackes be-
sonders geschätzt. Dieser kann nicht von dem grünen
Stoff*e in ihren Weichtheilen herrühren; denn wenn man
alte Austern in den Wintermonaten in einen dortigen
Mästungsteich versetzt, so werden sie wohl grün, aber
durchaus nicht so wohlschmeckend, wie die Austern,
die jung hinein gesetzt wurden und mehrere Jahre darin
lebten. (Man vergleiche S. 48.)
Am besten schmecken die Austern auf den Bänken
selbst, wenn man sie hier sorgfältig öffnet und alles See-
wasser, welches sie in den geschlossenen Schalen zurück-
hielten, ablaufen lässt, was am zweckmässigsten so ge-
schieht, dass man den Weichkörper nach der Ablösung
des Schliessmuskels auf die flache, rechte Klappe legt.
Diese ist deshalb der vorzüglichere natürliche Teller
für die frische Auster, weil sie keine Dunsthöhlen wie
die gewölbte Klappe mit unangenehm riechendem
Wasser enthält, welches beim Oeffnen der Auster leicht
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 103
ausfliesst und dann den Geruch und Geschmack der-
selben verunreinigt. (Man vergleiche Fig. 5, Seite 14).
Die Auster kann Tage lang frei trocken liegen, ohne
zu sterben, aber sie verliert nach und nach an Saftig-
keit und wird bald riechend, weil die Thiere, welche
ihre Schale bewohnen, absterben. Da diese durch die
üblichen Reinigungsmittel (S. 9) selten völlig entfernt
werden, so wird der reine Geschmack der Austern auf
dem Lande stets durch Beigerüche gestört. T
Um die Austern ihren Freunden möglichst frisch
und wohlschmeckend zuzuführen, sollte man fiir jeden
Verzehrungsort zur Zeit nicht mehr fangen, als er in
wenigen Tagen verbi^aucht. Da jedoch Wind und Wetter
gerade in der Austernspeisezeit oft so ungünstig sind,
dass kein Fahrzeug hinausgehen und fischen kann, so
muss man bei gutem Wetter einen grösseren Vorrath
von Austern fischen und sie an einem Orte lebendig
aufbewahren, wo sie zu jeder Zeit erreichbar sind.
Für die gefischten Austern der schleswig-holsteinischen
Bänke sind bei Husum Reservoire eingerichtet. Es
sind 4 viereckige Teiche mit senkrechten Wänden, die
mit Holz bekleidet sind. Ihre Länge und Breite beträgt
12 bis 14 Meter und die Tiefe gegen 2 Meter. Der Boden
ist mit Ziegelsteinen gepflastert. Er kann durch senk-
recht einstellbare Bretter in Fächer getheilt werden; in
diese schüttet man die von den Bänken gebrachten
Austern und lässt Wasser über sie wegfliessen, das vor-
her in einem nebenanliegenden Teiche, dem Klärbassin,
einige Zeit ruhig gestanden hat, damit sich der Schlick
aus demselben absetzte.
Bei kühler Witterung können in den Husumer Vor-
rathsteichen 500 Tonnen oder 350,000 bis 400,000 Stück
/ö
104 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
Marktaustern gelagert werden, bei warmer Witterung
nur 200 Tonnen. Wenn es noth thut, bringt man ausser-
dem auch noch in dem Klärbassin und in den Zuleitungs-
gräben Austern unter.
Um die Austern gesund zu erhalten, dürfen sie in
den Vorrathsteichen nicht zu dicht liegen, besonders
nicht bei warmer Witterung; auch müssen sie sehr oft
aus einem Fach in ein anderes gereinigtes Fach ge-
schaufelt und mit schnell strömendem Wasser über-
rieselt werden, damit sich alle abgestorbenen Theile von
den gesunden Austern trennen.
Die meisten englischen Austern, welche in Deutsch-
land gegessen werden, kommen von Ost ende. Dort
lagern sie in Bassins hinter den alten Festungswällen,
welche ebenso eingerichtet sind wie die Husumer.
1869 fand ich dort neun Bassin- Anlagen, die gegen
2 Meter hoch durch Schleussen mit Seewasser gefüllt
werden konnten.
In den Bassins bei Ostende werden ebenso wenig
Austern gezogen oder gemästet, wie bei Husum. Die bis
zum Schluss der Austernsaison nicht verkauften schickt
man gewöhnlich nach den englischen Austernbetten
zurück, weil sie sich im Sommer schlecht halten lassen
und überhaupt bei längerem Liegen in den Vorraths-
teichen wegen Mangel an Nahrung stets mager werden. Im
Jahre 1875/76 soll England wöchentlich 500 Bushel oder
gegen 7 50,000 Stück Austern nach Ostende geliefert haben.
Der berühmteste Austernplatz in England ist Whit-
stable an der südlichen Seite der Themsemündung. Hier
bilden sich die feinsten Natives aus, deren Schale zwar
einen geringen Umfang hat, aber doch ein dickes und
fleischreiches Weichthier enthält, weil ihre linke Klappe
Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 105
stark vertieft ist. Die über Ostende nach Deutschland
kommenden Natives sind geringere, Sorten als die be-
rühmten Whitstabler, welche selten nach dem Continent
kommen, sondern fast alle nach London gehen, wo sie
theurer als jede andere Sorte bezahlt werden.
Austern, die verschickt werden sollen, verpackt man
in Tonnen. In diesen schichtet man sie, die gewölbte
Schale stets nach unten gekehrt, so dicht neben und über
einander, dass kein Raum zwischen ihnen frei bleibt, damit
sich keine öffnen kann, wenn das Fass geschlossen ist.
In manchen Austernbetten an der Westküste von
Frankreich lässt man die Austern, welche beinahe ihre
Marktgrösse erreicht haben, wiederholt längere Zeit
trocken liegen. So länge sie kein Wasser haben,
schliessen sie ihre Schale, und so gewöhnt man sie,
das mitgenommene Seewasser in der trocknen Tonne
so lange bei sich zu behalten, bis sie das Messer von
der Schale ablöst.
Wendet man Eis an, um Austern frisch zu erhalten,
so muss man verhindern, dass das Wasser des schmel-
zenden Eises die Weichthiere selbst berühre, weil da-
durch ihr Geschmack leidet. Bereits geöffnete Austern
dürfen also durchaus nicht mit Eis belegt werden, um
sie abzukühlen.^)
Von Nordamerika kommen in Blechbüchsen ein-
gemachte Austern auf den Markt. In diesen ist der eigen-
thümliche Geschmack, dessen wegen man die frischen
Austern hochschätzt, eben so zerstört, wie in tropischen
Früchten, die in Zucker eingekocht, zu uns kommen.
Wären es nicht eingemachte Austern, so würde man
schwerlich für sie Käufer finden. Sie können blos als
Erinnerungen an frische Austern dienen. —
Io6 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern.
^) Alles, was ich in dem zwölften Kapitel über die chemi-
schen Bestandtheile der schleswig-holsteinischen
Austern mittheile, verdanke ich Herrn Professor O. Jacobsen
in Rostock, der im Juni 1871, als er noch hier in Kiel war,,
eine Anzahl Austern, welche ich frisch von den schleswig-
holsteinischen Bänken erhalten hatte, auf meine Bitte unter-
suchte.
') Die zur Vergleichung angeführten Zahlen über die Mengen
fester Stoffe in verschiedenen Fleichsorten stützen sich auf
Analysen von Schlossberger und v. Bibra. Ich habe die-
selben aus Gorup-Besanez' Lehrbuch der Physiologischen
Chemie entnommen. 3. Aufl. 1874. S. 682.
^) Schon die Römer kühlten die Austern mit Eis von den
Gebirgen. ^,Addiditque luxuria frigus (ostreis) ohrutis nive, summa
monthim et maris ima miscens'-^ C. PI i n i i See. naturalis historia
hb. XXXIl. 6,21.
Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. lO/
13. Ziel und Leistungen
der
Austernwirthschaft.
Das Ziel einer guten Austernwirthschaft besteht
darin, in ihrem Gebiete einen möglichst hohen Ertrag
auf die Dauer zu gewinnen.
Von einem Lager lebloser Naturprodukte kann man^
ohne sich durch die Verminderung desselben zu schaden^
so viel Masse wegnehmen, so viel sich mit Gewinn ver-
werthen lässt; denn der zurückbleibende Theil thut nicht
das Geringste für denjenigen, welcher ihn ruhig liegen
lässt.
Anders ist es mit lebenden Naturprodukten. Sie
sind keine ruhig daliegenden Massen, sondern Vereini-
gungen von thätigen Stoffen und Kräften, welche durch
sich selbst in einer fortwährenden Erneuerung begriffen
sind. Wenn der Mensch von ihnen den grösstmöglichen
Nutzen ziehen will, so darf er ihre Masse nicht zuneh-
mend vermindern, wie die Mineralien in einem Berg-
werk, sondern er muss Sorge tragen, dass ihr Erneue-
rungsvermögen nicht geschwächt werde, weil dadurch
I08 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft.
eine Verminderung ihrer anwendbaren Stoffe und Kräfte
herbeigeführt wird.
Ein Viehzüchter, der seinem Viehstande einen ge-
wissen Grad von Produktivität erhalten will, muss sich
eine gewisse Summe zeugungsfähiger TKiere erhalten.
Wenn eine Waldfläche auf die Dauer eine gleich
grosse Masse Holz hergeben Soll, so darf in jedem Jahr
nicht mehr gehauen werden, als der jährliche Zuwachs
beträgt. Will man auf die Dauer mehr Holz aus einem
Walde ziehen, so muss man ihn vergrössern.
Von diesen Gesetzen ist auch eine dauernd einträg-
liche Austernwirthschaft abhängig. Ihre Grundlage ist
daher die Erhaltung eines Stockes fortpflanzungsfähiger
Austern.
Keiner künstlichen Austernzucht ist es bis jetzt ge-
lungen, Generationen auf Generationen Austern in ab-
geschlossenen Betten zur Ausbildung zu bringen. Immer
wieder mussten auch die gewandtesten Austernzüchter
zu den natürlichen Austernbänken ihre Zuflucht nehmen
um sich laichfähige Mutteraustern oder junge Brut für
ihre Züchtereien zu verschaffen. Daher ist die erste
Grundlage einer jeden Austernwirthschaft, sowohl der
natürlichen als auch der künstlichen, die Erhaltung
eines Stockes vollwüchsiger fortpflanzungs-
fähiger Austern auf den, natürlichen Austern-
bänken.
Erst seitdem die französische Regierung dafür sorgt,
dass die natürlichen Austernbänke ihres Küstengebietes
stets ein volles Maass fortpflanzungsfähiger Austern be-
halten, hat die künstliche Austernzucht in Frankreich
eine sichere Basis erhalten. Die französische Regierung
hat dies dadurch erreicht, dass sie durch die Fischerei-
Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 10^
beamten bestimmen lässt, zu welcher Zeit und an welchen
Stellen die Austernbänke befischt werden dürfen.
In den austernreichen Gebieten von Cancale und
St. Vaast de la Hogue an der Küste der Norm and ie
und in der Bucht von Arcachon giebt es grosse Bänke^
welche bei Springtiden (zur Zeit des Voll- und Neu-
mondes) trocken laufen oder nur mit so wenig Wasser
bedeckt bleiben, dass man sie zu Fuss besuchen und
die Austern mit den Händen aufnehmen kann. Bei Can-
cale gehen gleichzeitig Caravanen von 500 bis 1000 Men-
schen, meistens Frauen und Kinder, zum Austernfang auf
die freigegebenen Bänke.
Einer der besten trockenlaufenden Austerngründe in
der Bucht von Arcachon, Le Ces genannt, hat eine
Ausdehnung von 11 Hektar. Wenn hier der Austern-
fang gestattet ist, so gehen gewöhnlich Frauen, in Reihen
von je zehn aufgestellt und von zw^i Männern geführt,
über die Bank. Dabei sammeln sie die Austern in
Säcke, welche ihnen nachfolgende Frauen abnehmen,
sobald sie gefüllt sind, um sie in grössere Körbe zu
entleeren. Länger als 2 bis 2Y2 Stunden kann in einer
Springtide nicht gesammelt werden, weil die Bank nicht
länger entblösst bleibt. Doch können 40 bis 50 Per-
sonen in dieser Zeit gegen 60,000 Austern einsammeln.
Jede so befischte Stelle wird sofort mit vier Baken
abgesteckt, damit sie in demselben Jahre nicht noch
einmal abgesucht werde und damit man sie später wieder
auffinden könne, wenn sie mit Austern- und Herzmuschel-
schalen, als Sammelkörpern für die Brut, bestreuet wer-
den soll.
Durch diese strenge Schonung ist die Keimfruchtbar-
keit der 19 Austernbänke; welche die Bucht von Ar-
HO Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft.
cachon enthält, obwohl dieselben bis zum Anfang der sieb-
ziger Jahre fast ganz erschöpft waren, .wieder so hoch
gestiegen, dass das Wasser der Bucht vom Juni bis in den
August mit Austernschwärmlingen erfüllt ist. Daher ist
es auch kein Wunder, dass auf einzelnen Ziegeln, welche
an guten Plätzen niedergelegt sind, zuwieilen looo bis
1500 junge Austern gefunden werden.
Nach einem im Januar 1877 erschienenen amtlichen
Berichte über den Stand der französischen Austernzucht*)
waren im Jahre 1876 in den Mästungsteichen zu beiden
Seiten der Seudremündung 80 Millionen Austern,
bei Oleron 7 Millionen, bei Sables d'Olonne 10 Mil-
lionen, bei Lorient ebensoviel und bei Courseulles-
sur-Mer 20 bis 30 Millionen.
Diese ausserordentlichen Erträge der Austernbetten
an der Westküste von Frankreich beruhen auf der sorg-
fältigen Erhaltung eines reichen Bestandes tortpflanzungs-
fähiger Austern auf den natürlichen Bänken, beson-
ders in der Bucht von Arcachon und an der Küste
der Bretagne bei Auray und an der Küste der Nor-
man die bei Vaast de la Hogue, Cancale und Granville.
Tausende von Menschen sind beschäftigt, die ungeheuren
Scharen von Schwärmlingen, welche von diesen Bänken
ausgehen, künstlich einzufangen, sie vor Feinden zu
schützen und dann in die zahlreichen Mästungsteiche an
verschiedenen Küstenpunkten zu verpflanzen, wo sie
schliesslich durch sorgsame Pflege zur Marktgrösse heran-
gezogen werden.
Die französische Austernwirthschaft beschäftigt bei
Vaast de la Hogue täglich 300 Personen, bei Can-
cale 4000 Personen. In dem Distrikte von Auray be-
trug im Jahre 1876 die Zahl der gesammten Arbeitstage
Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. III
ilir alle bei der Austemwirthschaft beschäftigten Männer,
Frauen und Kinder 89,678.
Zum Einfangen der Schwärmlinge legte eine Austern-
zuchtgesellschaft in Arcachon i io,cxx) Ziegel aus. Bei
Vannes verwendete man dazu im Jahre 1876 300,000 Zie-
gel und bei Oleron ebensoviel. Bei Auray wurden
1874 sogar 2,580,000 Stück Ziegel zum Einfangen der
Brut ausgelegt.
Bei Lorient dienen zur Aufzucht und Mästung junger
Austern 60,000 Tröge von Cement, die 50 Centimeter
lang und 30 bis 40 Centimeter breit sind. In ihnen
bleiben auch bei niedrigen Ebben stets 10 bis 12 Centi-
meter Wasser über den Austern stehen.
Bei St. Vaast de la Hogue sind 185 Austernbetten,
■die 88 Hektar einnehmen, bei Cancale umfassen die
Icünstlich hergestellten Austernlager 172 Hektar. Bei
Auray ist der Austerngrund über 300 Hektar gross.
Hier sind 277 Lagerbetten und 20 Mästungsteiche ein-
gerichtet. In der Bucht von Arcachon befanden sich
1876 3317 Austernbetten. Bei Marennes und Trem-
blade an der Seudre waren 1876 13,526 künstliche
Austernanlagen auf einem Flächenraum von 4000 Hektar.
Hier sind die Mengen der ankommenden und abgehenden
Austern so gross, dass man Maschinen zum Sortiren
derselben erfunden hat. Mit Hülfe einer Maschine können
in einem Tage zwei Frauen 30 — 40,000 Stück sortiren.
Eisenbahnen verbinden die Mästungsteiche mit den Rei-
nigungsbassins und Verpackungshäusern und mit den
Anlegestellen der Böte, welche junge Austern von den
Bänken und Brutanstalten zur Mästung heranbringen.
Man sieht aus diesen Zahlen, wie grosse Flächen-
räume, was für Geldsummen und wie viel menschliche
112 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft.
Arbeitskraft erforderlich sind, um von den Austern-
schwärmlingen, welche im Meere unter natürlichen Ver-
hältnissen entstehen,, so grosse Menge Austern gross zu
ziehen, wie jetzt die französischen Austernzüchter auf
den Markt bringen. Das ursprüngliche Ziel Coste's,
die ganze Küste Frankreichs mit einer zusammenhängen-
den Kette von Austernbänken zu umgeben, ist nicht
erreicht worden; aber künstliche Austerngärten sind
jetzt in Folge seiner Bestrebungen und Experimente
an vielen geeigneten Stellen von der Normandie bis
südlich von der Mündung der Gironde eingerichtet. Be-
günstigt durch die zahlreichen Buchten und die milde
Temperatur ihres Küstenmeeres haben die Franzosen
durch Fleiss, Ausdauer und Erfindung neuer Methoden
die Austernwirthschaft in kyrzer Zeit zu einem so hohen
Grade der Entwicklung gebracht und ihr einen solchen
Umfang gegeben, dass dieselbe in ihrem gesegneten
Lande jetzt zu denjenigen Kultur -Industrien zu zählen
ist, durch welche sich der Mensch Pflanzen und Thiere
in grossen Massen dienstbar macht.
Schon oft sind die grossen Zahlen der französischen
Austernwirthschaft den deutschen Küstenbewohnern vor-
gehalten worden, um sie aufzufordern, auch in ihren
Meeren Anstalten für solche köstliche Ernten einzu-
richten.
Die Schriftsteller, welche das thaten, kannten weder
die Natur der Austern, noch die Eigenschaften unserer
Meere. Ebenso gut hätten sie den Bewohnern des Ge-
bietes der Unterelbe zurufen können: Legt doch Wein-
gärten an, denn 1874 sind im Departement Loire in-
ferieure 1,914,427 Hektoliter und im Departement Gironde
5,123,643 Hektoliter Wein erzeugt worden! —
Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 1 1 3
Wie den Egyptern weiter nichts fehlt als Wasser,
um in der Wüste zwischen Cairo und Suez Datteln
und Wein in Fülle zu ziehen, so fehlen uns blos
milde, eisfreie Winter und Sicherheit gegen die
Gewalt der Sturmfluthen, um auf den Schlick-
watten der Nordsee künstliche Austern-zucht zu treiben.
Nahrung würde dort für Milliarden Austern genug
vorhanden sein. —
Einfacher als die neue französische ist die alte eng-
lische Austernwirthschaft. Ihre Arbeiten bestehen
hauptsächlich in der Versetzung junger Austern von den
natürlichen Bänken des Küstengebietes auf Mästungs-
gründe in den Flussmündungen, um sie daselbst fetter
und wohlschmeckender zu machen; ferner in der Reini-
gung der Austernlagerstätten von Schlick und Pflanzen,
in der Vernichtung von Austernfeinden und in der Ver-
besserung des Grundes durch Ausstreuen von Austern-
und anderen Muschelschalen.
In vorzüglicher Weise werden diese Arbeiten in
Whitstable ausgeführt, wo eine Austerngilde besteht,
welche sich ein Alter von sechs- bis siebenhundert Jahren
zuschreibt. Sie zählt über vierhundert Mitglieder, welche
mit 120 Fahrzeugen arbeiten. Nur Söhne früherer Mit-
glieder werden in diese Gilde aufgenommen. 1793 wurde
derselben ein gegen 2 englische Meilen langer und eben
so breiter Austerngrund in der Themsemündung, den
sie bis dahin nur gewohnheitsmässig in Anspruch ge-
nommen hatte, durch Parlamentsbeschluss als Eigenthum
zugesprochen.
Er besteht theils aus natürlichen Bänken mit Natives,
theils aus Gründen, wo Austern aus der offenen See
niedergelegt werden, um Brut zu erzeugen; theils aus
Möbius, Auster. 8
114 ^^^^ ^^^ Leistungen der Austern wirthschaft.
Gründen, wohin -man Austern von Bänken des Küsten-
gebietes zum Fettwerden v.erpflanzt. Um diese Austern-
gründe immer mehr zu verbessern, versorgt man sie oft
mit leeren Austernschalen, die hauptsächlich London
zurückliefert. Die Whitstabler halten eine dicke Schicht
von Austernschalen für den vorzüglichsten Austerngrund,
und sind stolz darauf, dass sie den „besten der Welt"
besitzen, wie ich selbst aus ihrem Munde hörte. Auf
ihren Mästgründen ist die Reifefruchtbarkeit der Auster
sehr schwach.
Aehnlich wie in Whitstable wird die Austernwirth-
schaft auch in Colchester, Burnham und anderen
Oertern der Ostküste Englands betrieben, von wo aus
viele Austern nach Ostende gehen.
Versuche, nordamerikanische Austern lebend nach
England zu bringen und in den dortigen Betten nieder-
zulegen, sind nicht so ausgefallen, dass sie Nachahmung
verdienten. Wenn es aber gelingen sollte, den vortreff-
lichen englischen Mästungsgründen grosse Quantitäten
junger Austern aus den Zuchtanstalten der Normandie
und Bretagne zuzuführen, so würde die englische Austern-
zucht wahrscheinlich einen bedeutenden Aufschwung
nehmen.
Die nordamerikanische Austernwirthschaft
ist der englischen sehr ähnlich.
In geschützten, schlickhaltigen Buchten und Fluss-
mündungen legt man in der Nähe der Küste grosse
Mengen junger Austern, die auf frei liegenden Bänken
gefischt wurden, nieder, um sie zu mästen, also wie bei
Whitstable und anderen westeuropäischen Austernplätzen.
Man wählt auch in Nordamerika zu Austernbetten nur
solche Stellen, wo die Austern gegen Frost und Hitze
Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. 1 1 5
geschützt sind. Sie erlangen auf nahrungsreichen Plätzen
in zwei bis drei Jahren Marktgrösse.
Die nordamerikanische Auster ist eine andere Art
als die europäische. Ihr wissenschaftlicher Name ist
Ostrea virginiana. Sie hat in der Richtung von dem
Schalenband nach dem Schliessmuskel eine grössere
Ausdehnung als die westeuropäische Auster (Ostrea
edulis) und die eine Klappe ist gewöhnlich mehr ver-
tieft als bei unserer Auster.
Versuche, Austernbrut nach der französischen Methode
künstlich einzufangen und aufzuziehen, hat man in Nord-
amerika sehr wenige gemacht. Die natürlichen Bänke
bringen dort noch so viel Junge hervor, dass alle Austern-
bett^n reichlich und billig damit versorgt werden können.
In Nordamerika wurden in den letzten Jahren durch-
schnittlich gegen 30 Millionen Bushel Austern auf den
Markt gebracht; das sind 9 bis 12 Milliarden Austern,
da ein Bushel 300 bis 400 Stück enthält. 1859 betrug
die Menge der verkauften Austern 6 — 8 Milliaroen.
Die Hauptmärkte der nordamerikanischen Austern
sind Baltimore und New-York. 1867 fanden bei dem
Austernhandel in Baltimore über 10,000 Menschen Be-
schäftigung. Der New -Yorker Austernhandel setzte im
Anfang der siebziger Jahre jährlich über 8 Millionen
Dollar um.^)
Die Austern sind in Nordamerika so gut und so
billig, dass sie von allen Klassen täglich genossen werden.
Dort sind sie also seit langer Zeit ein wirkliches Volks-
nahrungsmittel.
Diese beneidenswerthe Thatsache ist durchaus kein
Beweis gegen die Schädlichkeit einer fortgesetzten, star-
ken Befischung der Austernbänke. Man darf die Grösse
8*
1 1 6 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft.
des nordamerikanischen Austerngebietes und die Zahl
der Einwohner von Nordamerika nicht ausser Acht lassen,
wenn man jene grossen Summen in der nordamerikani-
schen Austernstatistik richtig beurtheilen will.
Das Gebiet der nordamerikanischen Austern hat eine
sehr grosse Ausdehnung. Es zieht sich an dem grössten
Theile der Ostküste der Vereinigten Staaten entlang.
Austern werden gefangen von Cap Hatte ras in Nord-
karolina bis zur Mündung des Lorenzstromes. Beson-
ders reiche Austerngebiete sind die Chesapeake Bai
und die Delaware Bai.
In den Vereinigten Staaten wohnen jetzt 52 Millionen
Menschen. In Deutschland, Frankreich und England zu-
sammen über 109 Millionen. In Nordamerika stehen
also einer kleineren Summe Menschen grössere Austern-
vorräthe zur Verfügung als in Europa. Mit der Zahl
der Austernesser werden in Amerika sicherlich auch die
Austernpreise steigen; man wird dann auch dort in die
Versuchung kommen, die Bänke stärker als bisher zu
befischen; und wenn man sich nicht durch die traurigen
Erfahrungen der europäischen Austernwirthschaft zur
rechten Zeit warnen lässt, so wird auch dort nach den
biocönotischen Gesetzen, welche in dem zehnten Kapitel
dargestellt sind, eine Verarmung der Austernbänke ein-
treten müssen. Wie der Mensch die grössten Urwälder
ausgerottet hat, so kann er auch die reichsten Austern-
bänke erschöpfen.
In England hat man jetzt auch eingesehen, dass
eine regelmässige Schonung der natürlichen Austern-
bänke unerlässlich ist, wenn sie auf die Dauer, gleich-
massig produktiv bleiben sollen.
Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. II7
Eine im Frühjahr 1876 in London tagende Commission
-zur Untersuchung der englischen Austernfischerei hat
<lem Parlament empfohlen, das Fischen von Austern
vom I . Mai bis zum i . September gesetzlich zu verbieten
und bestimmte Austerngebiete für gewisse Zeiträume
gänzlich ruhen zu lassen. Während der gesetzlichen
Schonzeit soll der Handel mit Austern zum Zweck des
Essens bei Geldstrafe untersagt werden, doch soll es
rgestattet sein, auch in der Schonzeit Austern, welche
in gesetzlich zulässiger Weise auf öftentlichen Gründen
gefangen worden sind, zum Zwecke der Erhaltung und
Verbesserung zu verpflanzen.
Auf den Bänken des offenen Meeres soll die Schon-
:zeit nur vom 15. Juni bis Ende August dauern, weil sie
in den rauhen und stürmischen Jahreszeiten selten be-
fischt werden können. Die in den Handel kommenden
Seeäustern sollen aber wenigstens 2,5 bis 3 Zoll Durch-
messer haben. ^)
Auf den schleswig-holsteinischen Bänken ist seit langer
Zeit eine Schonung eingeführt, welche vom 9. Mai bis
zum I . September dauert. Auch dürfen hier die Fischer
keine Austern unter 2Y2 Zoll Durchmesser von den Bän-
ken entfernen. Alle Austern, welche dieses Maass nicht
haben, müssen sie wieder ins Meer zurückwerfen. Beide
Bestimmungen sind stets befolgt worden, aber trotzdem
hat im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte die Reife-
fruchtbarkeit der Bänke im Vergleich mit früheren Pacht-
zeiten bedeutend abgenommen. Der Zweck der Schon-
zeit und eines Minimalmaasses für die Marktaustern,
den Bänken ihre Verjüngungsfähigkeit ungeschwächt zu
erhalten, wurde also in der Zeit der hochsteigenden
Austernpreise nicht mehr erreicht. Es ist daher nicht
1 1 8 Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft.
genug, Schonzeiten und Minimalmaasse' anzuordnen und
darüber zu wachen, dass ihnen entsprechend gefischt
werde, wenn man nicht zugleich auch verhindert, dass
in der Fangzeit zu viel Austern von den Bänken weg-
genommen werden.
Welche Menge ist aber zu viel? Für die schleswig-
holsteinischen Bänke ist eine Grundlage zur Bestimmung^
der erhaltungsmässigen Menge Austern, welche von den-
selben weggenommen werden dürfen, ohne ihrer Pro-
duktivität zu schaden, durch die Ermittelung ihrer Reife-
fruchtbarkeit gewonnen. Da diese im Durchschnitt
421 pro Mille beträgt, so dürfen von 1000 anwesenden
vollwüchsigen Austern jährlich nicht mehr als 421 ge-
fischt werden; auf einer Anzahl Bänke, die eine ge-
ringere Reifefruchtbarkeit haben, darf man nicht einmal
so viel fangen. Aui der Bank Huntje, deren Reifefrucht-
barkeit stärker als 42 1 pro Mille ist, können jährlich 484
auf 1000 entfernt werden, ohne die Reifefruchtbarkeit
zu schwächen, da jährlich ebenso viel Junggutaustern
zu Marktaustern heranwachsen.
Da die Reifefruchtbarkeit aber durch eine Verhältniss-
zahl ausgedrückt wird, so ist aus derselben nicht ohne
Weiteres die absolute Zahl von vollwüchsigen Austern
abzuleiten, welche in einer Fangperiode von einer Bank
entfernt werden dürfen. Dazu gehört noch, dass man
weiss, wie dicht die vollwüchsigen Austern liegen, wenn
in der That ein genügendes Maass vorhanden ist, um der
Bank ihre durchschnittliche Reifefruchtbarkeit zu sichern.
Auf Bänken, welche bei Springtiden trocken laufen,
wie in der Bucht von Arcachon und bei Cancale, ist
CS nicht schwer, zu beobachten, wie viel vollwüchsige
Austern auf einem Quadratmeter sein müssen, .wenn
Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. II9
■
die Bank den höchsten Grad ihrer Reifefruchtbarkeit
entfalten soll; denn sie liegen dann alle so frei, dass
man sie zählen kann.
Viel ungünstiger gegenüber dieser Aufgabe sind die
immer unter Wasser bleibenden Bänke des deutschen
und englischen Küstenmeeres und der offenen Nordsee.
„Solche Bänke, werjden Taucher am besten untersuchen
können", ist mir schon wiederholt gesagt worden. Denn
bedeckt mit ihrem Taucherhelm, der vor den Augen
mit Gläsern versehen ist, können sie, wie man sich vor-
stellt, alles sehen, was am Grunde des Meeres liegt.
Das ist ein Irrthum; denn in flachen Küstenmeeren,
welche Ebbe und Fluth haben, ist das Wasser durch
schwebende Bodenstoffe so sehr getrübt, dass nur wenig
Licht bis an den Grund hinabdringt. Aber selbst in
klarem Wasser würde der Taucher nicht im Stande sein,
die Zahl der Austern durch das Gesicht zu ermitteln;
denn wohin er tritt, trübt er das Wasser, indem er die
leichteren Bodenbestandtheile aufwühlt. Und so wäre er
hauptsächlich auf das Betasten und Ergreifen der Austern
mit der Hand angewiesen, was sich durch Anwendung
des Schleppnetzes vollkommen ersetzen lässt. Denn
das Schleppnetz füllt sich, während es über den Grund
geht, nicht nur mit Bestandtheilen des Bodens an, son-
dern auch mit den Bewohnern desselben. Versetzt man
den Inhalt des gezogenen Netzes in grössere Gefässe
oder Aquarien mit Seewasser, so nehmen die Thiere
bald wieder ihre gewohnten Stellungen und Bewegungen
an ; man hat sie also nun im ruhigen und klaren Wasser
gerade so vor sich, wie sie am Meeresboden leben.
Ein Aquarium mit den lebendigen Thieren einer
Austernbank ist ein Ausschnitt aus der Bank selbst.
I20 Ziel und I^eistungen der Austemwirthschaft.
Indem ich viele solche Ausschnitte im Geiste vereinige,
schaffe ich mir ein Bild des belebten Meeresgrundes,
wie es ein Taucher niemals erblicken würde.
Ich sehe den Boden mit Austernschalen bedeckt.,
auf welchen hier und da eine geöffnete Auster liegt, die
den gefransten Saum ihres Mantels aus der Schale
heraustreten lässt. Auf ihrer oberen Schale wachsen
Polypen, deren Fühlfäden wie zarte, vielstrahlige Sterne
entfaltet sind. Einsiedlerkrebse klettern, ihr Schnecken-
haus mit sich tragend, über den höckerigen Boden hin
und tasten, mit ihren Fühlfäden trippelnd, nach Nah-
rung. Würmer stecken ihre Köpfe aus Röhren und
Spalten hervor. Seeigel strecken ihre Saugfüsse weit
über die Spitzen ihrer Stacheln hinaus und ziehen sich
langsam an einem Stein hinauf Ein Seestern hat mit
hochgehobenem Rücken eine Muschel umklammert, um
sie auszusaugen. Ein kleiner Fisch fährt unter einer
geöffneten Auster hervor und schnappt die Schwärm-
linge weg, die sie ausstösst.^)
Von diesem Leben auf der Austernbank würde der
Taucher sehr wenig oder gar nichts sehen, selbst wenn
er ein Zoologe wäre; denn sobald er sich, niedertauchend,
dem Grunde näherte, würden die Austern sich schliessen,
die Krebse und Würmer sich verkriechen und die Fische
wegschwimmen.
Dieses Bild von einem Stückchen des wirklichen
reichen Lebens auf einer Austernbahk entwarf ich des-
halb, um jedem begreiflich zu machen, dass man durch
das Schleppnetz die Austernbänke recht gut kennen
lernen kann. Es lässt sich daher auch anwenden, die
Lagerungsdichte der Austern auf denselben zu be-
stimmen. Man braucht nur die Länge des Weges zu
Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 121
messen, den es zurücklegt, während es Austern auf-
nimmt. Auf den schleswig-holsteinischen Bänken wurde
dies bei den Besichtigungen der letzten Jahre auf fol-
gende Weise ausgeführt.
An dem Punkte, wo das Schleppnetz an den Grund
gelassen wird, wirft man zü gleicher Zeit eine leere
Tonne über Bord, an der durch ein Tau ein schweres
Gewicht befestigt ist. Das Gewicht sinkt an den Grund
und hält die an der Oberfläche schwebende Tonne fest.
Mit dem Tau der Tonne ist eine Messleine verbunden,
welche von einer Rolle abläuft, so lange das Fahrzeug
vorwärts geht und das Netz über die Austernbank hin-
schleppt. Die Schneide und die Oeffnung unserer
grösseren Austernnetze sind ein Meter breit. Lassen
wir sie so lange über die Bank hingehen, bis lOO Meter
Leine abgelaufen sind und finden wir dann in dem Beutel
50 Austern, so kommt eine Auster auf 2 Quadratmeter
Bankfläche.
Befischt man in solchen abgemessenen Linien nach
verschiedenen Richtungen eine Austernbank, deren Länge
und Breite bekannt ist, so gewinnt man eine Grundlage,
die Zahl ihrer Austern gewiss eben so sicher wie ein
Taucher abzuschätzen, und dabei wie viel leichter und
schneller 1
Ist die Verhältnisszahl der Reifefruchtbarkeit einer
derart befischten Bank berechnet, so lässt sich nun be-
stimmen, wie viel Stück Austern von derselben entfernt
werden können, ohne ihrer Produktivität zu schaden.
Die Praktiker werden dieser Methode den Vorwurf
machen, dass sie zu umständlich sei und trotzdem nicht
dahin führe, die Zahl der Austern genau zu bestimmen.
Sie werden aber zugeben müssen, dass es kein besseres
122 Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft.
Mittel giebt, die Lagerungsdichte der Austern bedeckter
Bänke mit annähernder Genauigkeit ausfindig zu machen.
Ein geübter Austernfischer, der seine Bänke seit
vielen Jahren kennt, wird, ohne dass er mit der Mess-
leine fischt, bemerken, ob die Austern in der erhaltungs-
mässigen, mittleren Dichte auf einer Bank liegen, oder
ob sie verarmt ist. Er wird dies aus der Anzahl der
Austern schliessen, welche er bei einer gewissen Ge-
schwindigkeit seines Fahrzeuges und einer gewissen
Dauer des Netzzuges fängt. Daher werden Behörden,
welche die Austernfischerei beaufsichtigen, sich auch
kundiger Fischer bedienen können, um den Bestand der
Austernbänke erforschen zu lassen, ehe sie für jede Fang-
zeit bestimmen, an welchen Stellen und wie viel gefischt
werden darf.
Die Aufseher der Austernwirthschaft bei Arcachon
haben nach mehrjährigen Beobachtungen sicherlich ein
Urtheil über das nothwendige Maass von Zuchtaustern
erlangt, welches erforderlich ist, um den Bänken die-
jenige Fruchtbarkeit zu erhalten, welche zum ungestörten
und lohnenden Betrieb der dortigen Austernwirthschaft
nöthig ist.
In dem Berichte über die französische Austernwirth-
schaft vom Januar 1877 heisst es: „Obgleich die natür-
lichen Bänke in der Bucht von Arcachon als die Herde
der Reproduktion angesehen werden, so lässt die Re-
gierung dennoch in jedem Jahr einige Stunden daselbst
fischen, um das Uebermaass an Austern abzuführen.'*
Das ist ein Grundsatz, den eine verständige Austern-
wirthschaft überall befolgen muss, wo sie möglichst hohe
Erträge gewinnen will. Sie lässt daher auf keiner
Bank die Austern das Alter ihrer grössten Körper-
Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. 123
fülle und Keimfruchtbarkeit überschreiten oder gar
dieselben so lange liegen, bis sie vor Altersschwäche
sterben, sondern sie kommt der Natur zuvor, welcher
endlich ebenfalls der Tod der altersschwachen Austern
eine unentbehrliche Bedingung ist, auf jeder Bank immer
das höchste Maass von Jungen zu erzeugen und zur
Reife zu bringen.
Ich halte es daher auch nicht fiir richtig, bestimmte
Austernstätten auf längere Zeit gar nicht zu befischen.
So hat die französische Regierung den Austernfang auf
einem Striche, der an den Grenzen der Austerngebiete
von Cancale und Granville liegt, gänzlich verboten,
in der Absicht, dort einen unberührten Stock von Mutter-
auster-n zu erhalten, von deren Schwärmlingen sie die
Verjüngung der verarmten Bänke beider Gebiete erwar-
tet. Auf solchen unbefischten Bänken muss bald das
natürliche biocönotische Gleichgewicht eintreten, zu
welchem auch ein gewisses Durchschnittsmaass von
Keimfruchtbarkeit gehört. Dieses wird aber bei einem
gleichen Zufluss von Nahrungsstoffen etwas herunter-
sinken, wenn auf derselben Bodenfläche mehr über-
jährige, als vollkräftige Austern liegen. Man nutzt also
die volle Keimbildungskraft eines Austerngebietes weni-
ger aus, wenn man es gänzlich, unberührt lässt, als wenn
man es erhaltungsmässig befischt, und ausserdem ver-
hert man auch noch die Ernten von Speiseaustem, die
es liefern könnte.
Auf den schleswig-holsteinischen Bänken sind die
Austern ungefähr vom siebenten bis zum zehnten Jahre \
in ihrem besten Alter. In wärmeren Gegenden erlangen
sie ihre volle Ausbildung in kürzerer Zeit.
In den verschiedenen Gebieten des schleswig-holstei-
124 ^^^^ ^^^ Leistungen der Au sternwirth Schaft.
nischen Wattenmeeres erreichen die Schalen der Austern
in gleicher Zeit sehr ungleiche Flächengrössen, während
sie alle in ihren Dickendurchmessern mehr überein-
stimmen. Daher ist es richtiger, das Minimalmaass
der Marktaustern nach dem Dickendurchmesser der
Schale zu bestimmen, als nach dör Breite derselben.
Für die schleswig-holsteinischen Marktaustern würde ein
Minimalmaass von i8 Millimeter Schalendicke im ge-
schlossenen Zustande zweckmässig sein.
Die wichtigsten Regeln für die Erhaltung und
Verbesserung der natürlichen Austernbänke^
als Grundlage aller Austernwirthschaft, fasse
ich in folgenden Sätzen zusammen:
Eine Austernbank liefert auf die Dauer den meisten
Nutzen, wenn sie stets einen erhaltungsmässigen
Stock voUwüchsiger Austern behält, der ihren
biocönotischen Verhältnissen entspricht.
Wo es die Naturverhältnisse gestatten, kann die Er-
tragsfähigkeit einer Austernbank erhöhet werden durch
Verbesserung und Vergrösserung des Ansatz-
grundes für die Austernschwärmlinge.
Den natürlichen Grund suche man zu verbessern
durch Beseitigung von Schlick und Pflanzen mittelst
der Austernnetze und geeigneter Eggen, und durch
Ausstreuen von Austernschalen und Schalen anderer
Muscheln.
Wo es die Umstände gestatten, zerstöre man alle in
die Austernnetze gerathenden Thiere, welche Austern
vertilgen oder ihnen Nahrung wegnehmen.
Zu Gunsten der Austernesser ist es zweckmässig,
die Schonzeit bis zum 15. September oder bis
Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 125
zum i.October zu verlängern, damit die Austern nach
der Abgabe ihrer Fortpflanzungsstoffe noch einige Zeit
haben, sich wieder zu mästen, bevor sie auf den Tisch
gebracht werden.
Wenn die Austernbänke zum allgemeinen Nutzen
der Staatsbevölkerungen und zum besonderen
Vortheil der Küstenbewohner dauernd ertrag-
fähig bleiben sollen, so darf das jährliche Maass
ihrer Befischung nicht nach den Ansprüchen der
Consumenten und nach der Höhe der Austernpreise
bestimmt werden, sondern einzig und allein nach der
Menge des Zuwachses.
Die Erhaltung der Austernbänke gehört ebenso zu
den Aufgaben des Staates, wie die Erhaltung der
Waldungen.
') Rapport address^ au Ministre de la Marine et des Co-
lonies sur l'Ostrdicultur par M. G. Bouchon - Brandely.
(Publid dans le Journal Officiel de la Rdpublique frangaise
le 22. Janvier 1877.)
Auf eine Ordre des englischen Parlaments vom 17. Mai 1877
ist eine englische Uebersetzung erschienen, welche den Titel
führt :
Copy of Translation of a Report made to the Minister of
Marine in France, by M. G. Bouchon - Brandely, relative
to Oyster Culture on the shores of the Channel and of the
Ocean.
Aus diesem Bericht sind alle Mittheilungen entnommen,
welche ich in dem 13. Kapitel über den neuesten Zustand der
französischen Austernzucht gemacht habe.
^) Ueber die nordamerikanische Austernwirth-
schaft findet man ausführlichere Angaben in folgenden
Schriften :
126 Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft.
P. de Broca, fitudes sur rindustrie huitri^re des Etats-
Unis. Paris 1865.
Spencer F. Baird, Report on the condition of the sea
fisheries of the south coast of New-England in 187 1 and 1872.
Washington 1873. (Oyster-beds p. 472 by A, E. Verrill.)
^) Report on Oysterfisheries, 1876, p. III.
*) Der Austemzüchter Capitän Johnston sah in künst-
lichen Austemlagerstätten , wie kleine Fische der Gattungen
Gobius und Mullus Austemschwärmlinge verschlangen. Er
fing sie nachher, öftnete ihren Magen und fand darin verzehrte
Austernbrut. (Report on the Oyster Fisheries, p. 87, Nr. 1711.)
Berlin , Druck von W. Büxenstein.