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Full text of "Die Auster und die Austernwirthschaft"

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UND DIE 



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AUSTERN WIRTHSCHAFT 



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VON 



KARL MOEBIUS 

PROFESSOR DER ZOOLOGIE IN KIEU ^„ ,-.:>^ 








MIT EINER KARTE UND NEUN HOLZSCHNITTEN. 



BERLIN. 

VERLAG VON WIEGANDT, HEMPEL & PAREY. 

1877. 

U - 



Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten. 



VORWORT. 



LJ eher die Auster ist seit den ersten Versuchen 
künstlicher Austernzucht in Frankreich, im Jahre 1858, 
sehr viel geschrieben worden. Durch grosse Zahlen in 
Erstaunen versetzt, wollten die Autoren auch bei ihren 
Lesern Erstaunen erwecken und die Küstenbewohner 
anregen, in allen ihren Gebieten das köstlichste aller 
Weichthiere des Meeres massenhaft zu erzeugen. So 
ging das Rühmen der künstlichen Austernzucht von 
Zeitung zu Zeitung, von Buch zu Buch, und machte 
einen solchen Eindruck der Zuverlässigkeit, dass selbst 
geübte Austernwirthe und kundige Biologen glaubten, 
es Hessen sich grosse Summen von Austern mit wenig 
Mühe für die Tafel aufziehen. 

Begreiflich ist das; denn die amtlichen Berichte über 
die Austernwirthschaft in Frankreich, England und Nord- 
amerika, aus denen die grossen Zahlen entnommen 
wurden, enthalten entweder gar keine oder nur zerstreute 
und für den Kenner verständliche Angaben über ihre 
wahre Bedeutung. Um diese aber zu verstehen, muss 



IV Vorwort. 

man sich mit den Eigenschaften und Lebensbedingungen 
der Auster bekannt machen. 

Ueber beides werden Biologen, Austernzüchter und 
Austernfreunde in der vorliegenden Schrift das Nöthige 
finden, urn sich ein Urtheil über die Austernzuchtfrage 
bilden zu können. 

Ich glaube, deutlich gemacht zu haben, dass eine 
gesunde Austernwirthschaft dieselben Regeln zu befolgen 
hat, wie jede andere Massenkultur lebendiger Wesen. 
Ist mir das gelungen, so habe ich etwas gethan, was 
eigentlich gar nicht hätte nöthig sein sollen. Denn was 
war von jeher natürlicher, als dass auch die Austern 
und die Austernwirthschaft den allgemein herrschenden 
biologischen Gesetzen unterworfen seien! Und doch 
that eine solche Auseinandersetzung noth, da nicht blos 
Laien in der Naturwissenschaft, sondern sogar Männer, 
welche Biologie lehren und schreiben, bis in unsere 
Zeit, von der künstlichen Austernzucht Unmögliches 
erwarteten. 

In Zeitaltern, welche schon Wissenschaften besitzen, 
hat es der Forscher selten mit dem Suchen und Finden 
neuer Thatsachen und Gedanken allein zu thun; ge- 
wöhnlich muss er zuerst Irrthümer in dem überlieferten 
Wissen erkennen, dann sie im eigenen Geiste bekämpfen 
und erst, wenn er sie in sich selbst überwunden hat, 
kann er daran gehen, sie aus dem Systeme der Wissen- 
schaft auszumerzen und an ihre Stelle die gefundene 
Wahrheit zu setzen. 

Von der vollen Kenntniss der thatsächlichen Wahr- 
heit in dem Gebiete der Austernbiologie und Austern- 



Vorwort. V 



wirthschaft enthält dieses Schriftchen freilich nur einen 
sehr bescheidenen Theil. 

Obwohl ich mir dessen deutlich bewusst bin, habe 
ich es dennoch erscheinen lassen, weil es auch schon in 
dieser Unvollkommenheit manchen Biologen, Auster n- 
freunden und Austernzüchtern willkommene Auf- 
klärungen geben wird und weil es den Regierungen, 
welche über die natürlichen Austernbänke zu Gunsten 
ihrer Staatsbevölkerung zu wachen haben, eine sichere 
Basis für ihre Anordnungen darbietet. 

Solchen freilich, welche sich dem schönen Glauben 
hingeben, eine vollkommene künstliche Austernzucht 
müsse überall, wo nur Seewasser sei, Austern massen- 
haft erzeugen können, wird mein Buch schwerlich zu- 
sagen, und es wird sie auch wohl nicht von ihrem Irr- 
thum überzeugen. 

Aber der reizendste Irrthum wird keine Wahrheit, 
mag man auch noch so fest und noch so lange an ihn 
glauben. 



Kiel, den 8. Juli 1877. 



Karl Möbius. 



INHALT. 



Seite 

1. Das Wattenmeer i 

2. Die Austembänke und der Austernfang • 7 

3. Die Keimfruchtbarkeit der Austern 13 

4. Warum bilden sich nicht in allen Theilen des Wattenmeeres 

Austern? 21 

*5. Die künstliche Austernzucht in Frankreich 26 

6. Versuche, die französische künstliche Austemzucht in Gross- 

britannien zu betreiben 33 

7. Kann in den deutschen Küstenmeeren französische künstliche 

Austemzucht betrieben werden? *♦ 37 

8. Lassen sich natürliche Austembänke vergrössem und können 

neue Austembänke angelegt werden, besonders an den 

deutschen Küsten? 44 

9. Die Altersstufen und die Reifefruchtbarkeit der Austern . . 56 

10. Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde , 72 

11. Zunahme der Austernesser und Austempreise und Abnahme 

der Austern 88 

12. Die chemischen Bestandtheile und der Geschmack der Austern 95 

13. Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft 107 



I. Das Wattenmeer. 

Unter den Austern, welche die westeuropäischen 
Küstenmeere erzeugen, hat die hoisteinische Auster seit 
mehr als hundert Jahren einen wohlverdienten Ruf. Die 
Bänke, welche sie liefern, liegen vor der Westküste 
Schleswig- Holsteins in einem Gebiete, welches nur 
74 Kilometer lang und 22 Kilometer breit ist. Die 
meisten und die besten befinden sich an der Ostseite 
der Insel Sylt und in der Nähe der Inseln Amrum 
und Föhr. An der nördlichen Grenze des deutschen 
Austerngebietes, bei der Insel Rom, und an der süd- 
lichen Grenze desselben, bei den Inseln Pellworm und 
Nordstrand, gegenüber der Stadt Husum, sind nur 
wenige unbedeutende Bänke. Da ihre Eigenschaften von 
den Eigenthümlichkeiten desjenigen Meergebietes ab- 
hängen, in welchem sie sich befinden, so ist es nöthig, 



Erkläning der Abbildung (Fig. i): 
Das Wattenmeet mit drei Baken, welche das Fahrwasser angeben 
1 Hintergrunde die Hallig Langeness über dem Meeresspiegel. 



Das Wattenmeer. 



zunächst einen Blick auf das Schleswig - holsteinische 
Inselmeer zu werfen. 

Im Vergleich mit der offenen Nordsee ist es ein 
flacher Meerestheil. In dem ganzen südlichen Theile 
der freien Nordsee zwischen Deutschland, Holland, Eng- 
land und Schottland sind die gewöhnlichen Tiefen 35 bis 
45 Meter. So tief ist das schleswig-holsteinische Insel- 
meer an keiner Stelle. Die grössten Tiefen der Kanäle, 
durch welche dasselbe mit der offenen See zusammen- 
hängt, erreichen höchstens 15 bis 20 Meter. Der Boden 
unseres Inselmeeres erhebt sich alfo gleichsam wie eine 
Hochebene über den tieferen Grund der offenen Nordsee. 
In diese Hochebene schneiden Thäler von verschiede- 
ner Tiefe und Breite zwischen den Inseln und dem festen 
Lande ein. Bei Hochwasser, dem höchsten Stande der 
Fluth, ist der Boden ganz bedeckt, aber zur Zeit des 
niedrigsten Wasserstandes, am Ende der Ebbe, liegen 
weite Strecken desselben trocken. Die trocken laufenden 
Stellen des Meeresbodens heissen Watten, und daher 
wird dieses Inselmeer auch Wattenmeer genannt. 

Das bei Ebbe von den Watten ablaufende Wasser 
strömt in flacheren und tieferen Rinnen, welche die 
Schiffer Leien und Tiefen nennen, zum Theil in süd- 
licher, zum Theil in nördlicher Richtung dem freien Meere 
zu, bis die von beiden Seiten täglich zweimal kommende 
Fluth die Ebbeströmungen stauet und dann umkehrt. Das 
Wasser steigt nun wieder. Die Tiefen und Leien können 
es nicht mehr fassen; es ergiesst sich über ihre Ränder, 
läuft rauschend über die Watten hin und überfluthet sie 
endlich bis zu solcher Höhe, dass nun kleine Schiffe über 
dieselben Stellen hinfahren können, wo wenig Stunden 
zuvor Menschen gehen und Wagen fahren konnten. 



Das Wattenmeer. 



Bei einer Untersuchung der Austernbänke gerieth unser 
kleines Dampfschiff zwischen der Insel Föhr und dem 
Festlande in zu flaches Wasser und fuhr sich Vormittags 
gegen 9 Uhr fest. Das Wasser war im Fallen; nach 
mehreren Stunden war es ganz verlaufen. Wir stiegen 
aus und gingen zu Fuss nach der Hallig Oland, die 
ein Kilometer östlich von unserem Schiffe als grüne 
Platte auf dem ebenen grauen Meeresboden lag. ^) Nach- 
dem wir dort den künstlich aufgeworfenen Hügel besucht 
hatten, wo eine kleine Gruppe von Wohnhäusern um einen 
Süsswasserteich herumgebauet ist, und wo die Kirche, 
von Gräbern umgeben, steht, erreichten wir unser Schiff 
wieder, ehe das Wasser zurückkehrte. Erst gegen sieben 
Uhr Abends war die Fluth so hoch gestiegen, dass 
unser Schiff anfing zu schwanken, worauf es bald flott 
wurde und nach Föhr dampfte, um für die Nacht in 
dem Hafen von Wyk vor Anker zu gehen. 

Eine ähnliche Beschaffenheit hat das Meer an der 
ganzen deutschen Küste entlang, von Rom im Norden 
an der dänischen Grenze bis Bork um im Westen neben 
den holländischen Inseln. So wird vor der Eibmündung 
zwischen Cuxhafen und der Insel Neuwerk bei jeder 
Ebbe der Meeresboden in einer Breite von sieben bis 
acht Kilometer entblösst. Man kann dann zu Fuss, zu 
Pferde und zu Wagen die Insel erreichen. Auf dem 
Wege befindet man sich in gleicher Höhe mit den Se- 
geln, die draussen auf See vorübergehen, und an der 
Grenze des zurückweichenden Wassers und des auf- 
tauchenden Meeresbodens sieht man ausgedehnte Scha- 
ren von Seevögeln, welche die entblössten Würmer, 
Muscheln und Krebse zu erhaschen suchen, ehe sie sich 

in den Boden zurückziehen. 

I* 



Das Wattenmeer. 



Wenn die Watten bei der hohlen — der niedrigsten 
— Ebbe noch in tiefer Stille trocken liegen, hört man 
aus der Ferne von den Tiefen her schon das Brausen 
der kommenden Fluth. Erst langsam, dann schneller 
und schneller, und zuletzt wieder langsamer steigend, 
steht das Wasser bei voller Fluth im Norden des Watten- 
meeres beinahe zwei Meter und im Süden, vor der Mün- 
dung der Elbe sogar gegen drei Meter höher, als bei 
Ebbe? Drei Viertel ihrer ganzen Höhe erreicht die 
Fluth in der Regel schon drei Stunden nach ihrem Be- 
ginn. In dieser kurzen Zeit bewegen sich ungeheure 
Wassermassen gegen die Küste; an vielen Stellen bilden 
sie Strömungen von der Geschwindigkeit des Rhein- 
stroms zwischen Coblenz und Bonn; denn sie laufen in 
einer Secunde 1,5 bis 2 Meter weit. Noch stärker als 
die Fluthströmungen sind fast überall die Ebbeströmun- 
gen, weil sie nicht allein das angefluthete Meerwasser 
wieder abführen, sondern mit diesem zugleich auch das 
durch die Fluth aufgestauete Süsswasser des Landes. 
Daher bringen die Ebbeströmungen am Grunde des 
Wattenmeeres noch stärkere Veränderungen hervor, als 
die Fluthströmungen, und am gewaltigsten verschieben 
sie die Bodenbestandtheile da, wo grosse Süsswasser- 
massen ins Meer gehen: vor den Mündungen der Eider, 
Elbe, Weser und Ems. Hier müssen die schwimmenden 
Tonnen und die in den Grund gesteckten Baken, welche 
den Schiffern das tiefere Fahrwasser anzeigen sollen 
(Fig. I S. i), fast jedes Jahr versetzt werden, weil sich 
die Tiefen oft ändern. 

Der Hauptbestandtheil des Grundes dieses unruhigen 
Meeres ist feiner Quarzsand. An vielen Stellen lagert 
sich Schlick ab, ein klebriger Schlamm, der viel or- 



Das Wattenmeer. J 

ganische Stoffe enthält. Dies geschieht besonders an 
der Küste des festen Landes und an der Ostseite von 
Sylt an solchen Punkten, wo nach dem Stromwechsel 
das Wasser nicht schnell genug fliesst, um alle während 
der Stauung zu Boden gesunkenen Schlicktheilchen 
wieder wegzunehmen. 

An den schrägen Abhängen zwischen den trocken- 
laufenden Watten und dem Rinnsal der Tiefen kommen 
längere Strecken vor, wo der Grund mit grobem Sand, 
kleineren und grösseren Steinen und Muschelschalen be- 
deckt ist. An solchen Stellen findet man zusammen 
mit vielen anderen Seethieren auch Ansiedelungen von 
Austern, sogenannte Austernbänke (Fig. 2). 



Schema, des Querschnitts einer liefen Rinne des Wattenmeeres, auf 
deren Abhang link? eine Auslernhank liegt. Zu beiden Seilen Watt- 
grund, der bei Ebbe trocken läuft. (Die Breite der Rinne ist nach einem 
vie! kleineren Massstabe dargestellt, als ihre Tiefe.) 



Das Wattenmeer. 



*) Halligen heissen die kleinen, niedrigen Inseln im 
schleswig-holsteinischen Wattenmeere, welche aus Marschboden 
bestehen und nicht durch Deiche (Dämme) gegen hohe Fluthen 
geschützt sind. Es sind grüne Ebenen, von weidenden Schafen 
und Rindern belebt, die nur einige Fuss über der gewöhn- 
lichen Hochwasserlinie liegen und bei Sturmfluthen über- 
schwemmt werden. Das Wort Hallig ist vielleicht aus 
haf-lik (plattdeutsch) entstanden. Haf heisst derjenige Theil 
des Küstenmeeres, der bei Ebbe trocken wird und bei Fluth 
bedeckt ist; lik heisst gleich, ähnlich. Kein anderes Land 
ist dem Haf boden so ähnlich, wie das Land der Halligen. 

Die «rinseln» des Schleswig - holsteinischen Wattenmeeres 
bestehen entweder aus eingedeichtem, niedrigem Marschland 
oder aus höherem Geestland und Dünen. Nordstrand 
und Pellworm sind Marschinseln; Föhr ist aus Marsch und 
Geest zusammengesetzt, Sylt und Amrum haben Geestboden 
und Dünen. Der Marschboden ist eine graue, gleichmässig 
feine Masse ohne jeden Stein; bei Nässe wird er zähe und 
klebrig. Er ist aus Schlamm entstanden, der sich vor den 
Mündungen der Flüsse an ruhigeren Stellen des Küstenmeeres 
absetzte. Das Geestland ist älterer, gehobener Meeresboden. 
Es ist uneben und besteht hauptsächlich aus gröberem Sand, 
der viel weniger fruchtbar ist, als der fette Marschboden, welcher 
ohne Düngung reiche Ernten giebt. 



Austembänke und Austernfang. 



2. Die Austernbänke 

und 

der Austernfang. 

Die meisten Austernbänke werden niemals sichtbar, 
weil das Wasser des Wattenmeeres durch schwebende 
Schlicktheilchen stets trübe ist. Nur wenn bei Spring- 
ebben, den niedrigsten Ebben, die zur Zeit des Voll- 
mondes und Neumondes eintreten, östliche Winde sehr 
viel Wasser vom Lande abtreiben, werden die Ränder 
einiger flachliegenden Bänke so seicht, dass man die 
Austern liegen sehen und mit der Hand aufnehmen 
kann. Von den Austernbänken, welche dicht an der 
Ostküste von Föhr liegen, wurden in einem Herbst auf 
diese Weise gegen 20,000 Austern aufgelesen und in 
tiefere Stellen versetzt. 

Gewöhnlich muss man Peilstöcke oder Schleppnetze 
anwenden, um zu prüfen, ob man sich über einer ge- 
suchten Austernbank befindet. Die Peilstöcke sind 5 bis 
6 Meter lange Stangen, deren untere Hälfte durch ver- 
schiedene Farben in Fusse abgetheilt ist. Sie werden 
von den Schiffern an flachen Stellen des Wattenmeeres 
gebraucht, um während der Fahrt zu untersuchen, ob 



8 Austembänke und AusCemfang. 

die Tiefe zu- oder abnimmt, damit sich das Fahrzeug 
nicht festfährt Stösst man mit dem Peilstock auf den 
Grund, so fühlt man, ob er nur aus weichem Schlick 
oder aus reinem Sand besteht, oder ob er mit Muschel- 
schalen bedeckt ist. 

Die Schleppnetze der Austernfischer (Fig. 3} be- 
stehen aus einem eisernen Rahmen, von welchem zwei zu- 
sammenstossende Schenkel für die Befestigung des Taues 
auslaufen, und aus einem Beutel, dessen obere Hälfte 
aus grobem Garn geflochten ist; die untere, den Meeres- 
boden bestreichende Hälfte ist der besseren Haltbarkeit 
wegen aus eisernen Ringen gearbeitet, deren Durch- 
messer 6 bis 7 Centimeter betragt. Das ganze Netz ist 
50 bis 60 Pfund schwer. 

Fig. 3. 



Das Austeranelz. Die Schenkel und die Schneide bestehen ans Eisen. 

Der Beutel besteht oben aus grobem Netzgarn, unlen ans eisernen Ringen 

von 6 — 7 Centimeter Durchmesser, Die Form und Verbindung dieser 

Ringe stellt b genauer dar. 

Die Lage der Austernbänke ist den älteren Austern- 
fischern genau bekannt und sie wissen dieselben dadurch 
zu finden, dass sie sich beim Steuern ihres Fahrzeuges 
nach hochliegenden Punkten des Küstenlandes und der 
Inseln: nach Leuchtthürmen, Kirchen, Windmühlen und 
Häusern richten. Die Fahrzeuge der Austernfischer sind 



Austernbänke und Austern fang. 



Jachten mit einer Tragfähigkeit von drei bis sechs 
Lasten. Am Bord eines jeden sind ausser dem Eigner 
in der Regel noch zwei Matrosen. Auf den schleswig- 
holsteinischen Bänken fischen vierzehn Fahrzeuge Austern. 

Bei günstigem Wind und rascher Brise werden vier 
Schleppnetze zur Zeit ausgeworfen, bei schwachem 
Winde nur zwei oder blos eins. Sie sind durch starke 
Taue an der Luvseite des Fahrzeuges befestigt, d. h. 
an derjenigen Seite, an welche der Wind stösst. Hält 
man die Hand an das Tau eines ausgeworfenen Netzes, 
so kann man fühlen, ob es über glatten Grund geht 
oder über Austern streicht; denn das Tau wird in un- 
regelmässige, stossende Bewegungen versetzt, wenn 
Austern dem ruhigen Fortgleiten des Netzes Wider- 
stand entgegensetzen. Gewöhnlich lässt man das Netz 
fünf bis zehn Minuten lang schleppen; dann ziehen es 
zwei oder drei Mann herauf und schütten den ganzen 
Inhalt des Beutels auf dem Deck aus. Dieser besteht 
aus alten Austernschalen, Schalen von Herz- und Mies- 
muscheln, lebenden Austern, Schnecken, Krebsen, Wür- 
mern, Seesternen, Seeigeln, Polypen, Schwämmen und 
Seepflanzen, die gewöhnlich alle durch Sand und Schlick 
verunreinigt sind. Aus diesem Haufen von wimmelnden 
oder starr daliegenden Thieren werden nun alle aus- 
gewachsenen Austern ausgelesen. 

Während sie einzeln durch die Hände der Fischer 
gehen, schneiden und schaben diese mit einem Messer 
das Gröbste alles lebenden Besatzes von den Schalen 
ab und werfen die Austern in Körbe. In diesen rüttelt 
und schüttelt man sie dann, um noch denjenigen Ansatz 
zu zerstören, den das Messer zurückliess. Darauf schlingt 
man Taue um die Körbe und senkt und hebt diese im 



10 Aiisternbänke und Austernfang. 

Meerwasser auf und nieder, um alle Unreinigkeiten von 
den Austern abzuspülen. 

Jetzt erst befinden sie sich in demjenigen Zustande, 
in welchem sie in den Handel kommen. Trotz dieser 
mehrfachen Reinigung sind doch noch viele Austern, 
wenn sie auf den Tisch kommen , mit todten und leben- 
digen Thieren besetzt, und der eigenthümliche Geruch, 
den sie im Binnenlande haben, geht hauptsächlich von 
dem abgestorbenen Besatz der Schalen aus und nicht 
von den frischen, lebendigen Austern selbst. 

An keiner Stelle des Wattenmeeres liegen die Austern 
auf Felsengrund. Ihre beste Unterlage sind alte Austern- 
schalen und Schalen anderer Muscheln. Die meisten 
liegen einzeln; in Klumpen zusammengewachsene kom- 
men selten vor. Die verbreitete Vorstellung, dass sie 
am Meeresboden festgewachsen seien und dicht neben- 
und übereinandergeschichtet lägen, ist also falsch. Auf 
den besseren schleswig-holsteinischen Bänken muss das 
Schleppnetz eine Bankfläche von i bis 3 Quadratmeter, 
ja oft eine noch grössere Fläche, bestreichen, um eine 
einzige voUwüchsige Auster aufzunehmen. 

Im Schleswig - holsteinischen Wattenmeere liegen 
47 Austernbänke von sehr verschiedenem Umfange. Die 
grösste ist über drei Kilometer lang; die meisten siad 
kürzer. Ihre Breite ist in der Regel viel geringer als 
die Länge, welche dieselbe Richtung hat, wie der Laut 
der Tiefe, an deren Böschung sie liegt. Die meisten 
Bänke haben wenigstens noch zwei Meter Wasser über 
sich, wenn bei Ebbe die Watten in ihrer Nähe trocken 
liegen. Tiefer als 6 bis 9 Meter kommen in unserem 
Wattenmeer keine Bänke vor. Obgleich alle siebenund- 
vierzig innerhalb eines Gebietes von 74 Kilometer Länge 



Austernbänke und Austemfang. 1 1 

und 22 Kilometer Breite liegen, so ist die Beschaffen- 
heit der Austern, was Form und Festigkeit ihrer Schale 
und besonders auch den Geschmack des Weichthiers 
betriflft, sehr verschieden. Auf zwei Bänken innerhalb 
der Südspitze von Sylt wachsen Austern, die an Fülle 
und Feinheit des Geschmacks den besten englischen 
Natives nicht nachstehen. 



Keimfruchtbarkeit der Aus 



Eine vollwüchsige schleswig-holsteinische Auster, ungefähr lo Jahre alt, 
stark eierträchlig, ain 14. Juni 1871 von J. Wiltmaack nachdem Leben 
gezeichnet. 
Die flache Klappe der Schale, die rechte, ist abgelöst. Das Weich- 
thier liegt in der hohlen linken Klappe an seiner natürlichen Stelle. 
Oben treten die Verdickungsschichten der Schale hervor. In jedem 
Jahre werden mehrere Schichten abgelagert. Die innere Flüche der Schale 
ist weiss bis auf den Saum, der eine braunliche Farbe hat. Oben dicht 
an dem Rücken des WeJchthiers, der etwas eingesenkt ist, liegt eine 
sichelförmige braune Masse, das Schalenband. Es wurde beim Ab- 
lösen der flachen Klappe mitten durchgebrochen. Die rechte Seite des 
Weichthieres liegt frei vor dem Beschauer, die linke ruhet auf der inneren 
Fläche der hohlen Klappe. 



Keimfruchtbarkeit der Austern. 13 



3. Die Keimfruchtbarkeit 
der Austern. 

Legt man die Flächengrössen aller Austernbänke zu- 
sammen, so bedecken sie lange nicht den hundertsten 
Theil desjenigen Wattenmeergrundes, der immer unter 
Wasser bleibt. Woran liegt das? Fehlt es an junger 
Austernbrut, um alle Stellen zwischen den Bänken auch 
noch zu bevölkern? — Das kann ich aus folgenden Grün- 
den nicht annehmen. 

Die Gesammtzahl der vollwüchsigen Austern, welche 



Die Hautplatte mit gefaltetem und umgelegtem Saume ist die 
Mantelplatte der rechten Seite. Die weissen Linien darin sind Muskel- 
fasern. Die linke Mantelplatte liegt dicht auf der Schale. Sie ist weiter 
ausgedehnt, als die rechte. Unter dem umgelegten Saume des Mantels 
erscheinen die Kiemen, deren die Auster vier besitzt. Am meisten ent- 
blösst ist die äussere Kieme der rechten Seite. Von zwei andern sieht 
man blos einen schmalen Rand. Alle vier sind von innen nach dem 
Rande zu gerieft. Auf den Riefen stehen Flimmerwimpem (selbstbeweg- 
liche Härchen), deren Schwingungen das Wasser zum Athmen über die 
Kiemen hintreiben. 

Oberhalb der Kiemen hängen zwei Paar gestreifte Platten; zwischen 
ihnen ist der Eingang in den Mund der Auster. Der angeschwollene 
obere Körpertheil enthält die Geschlechtsdrüse, die Leber, den Magen, 
den Darm und das Herz. Das bohnenförmig umgrenzte Organ ist der 
Schliessmuskel, der sogenannte Stuhl. Er besteht aus einer grauen 
oberen Abtheilung und aus einer weissen unteren. 



Keimfruchtbarteit der Austern. 



B Band. 
, Dh Dunslhöhle. 
C Geschlechtsdrüse. 
gS grauer SchliessmuslteithcU. 
Ü Hera. 
JCi Kieme. 
Z Leber 
IK linlte Klappe. 
Mtt Magen. 
Mt Mantel. 
Afp Mundlappen, 
rjf rechte Klappe. 
wS weisser Schliessmuslteltheil. 



Senkrechter Querschnitt einer sieben oder acht Jahr alten Auster. 

Die gewölbte linke Klappe (IK) der Schale ist, wie gewöhnlich, 
etwas dicker als die rechte {rK~). Beide sind durch das Band (Ä) ver- 
bunden, welches durch seine ausdehnende, rückwirkende Federkraft beide 
so lange auseinander hält, so lange sie der Schliessmuskel (gS 
und wS) nicht zusammenzieht. Der Schliessmuskel besteht aus grauen, 
feineren Muskelfasern (gS) und aus weissen gröberen Muskelfasern (viS), 

In der gewölbten Schale sind oben in der Nähe des Bande» vier 
Löcher, die ein Schwamm (Clione celata) ausgehöhlt hat, welcher 
häutig in den Austemschalen des Wattenmeeres lebt. Zwei andere län- 
gere Höhlungen (Dh) kommen in den Schalen aller Austern oft vor. 
Sie sind mit Wasser angefüllt, welches nach Fäulnissgasen riecht, und 
deissen deshalb Dunslhöhlen. Der dickste Theil der Schale liegt bei 
hem Schliessmuskel. Er besteht hauptsachlich aus kreideweissem Kalk, 
durch welchen sich aber glänzende festete Schichten hindurchziehen. Zu- 
nächst über dem Schliessmuskel liegt das Heri (If). Die hellere, im 



Keimfnichtbarkeit der Austern. IJ 

auf den schleswig-holsteinischen Bänken liegen, schätze 
ich auf ungefähr fünf Millionen. Nach meinen Unter- 
suchungen bringen im Laufe des Sommers wenigstens 
44 Procent der vorhandenen voUwüchsigen Austern Brut 
hervor.^) Da nun eine ausgewachsene eierträchtige 
Auster (Fig. 4 S. 12) über eine Million Eier legt, so ent- 
stehen in einer Brutperiode * auf unsern Austernbänken 
wenigstens 2,200,000,000,000 junge Austern, die sicherlich 
ausreichen würden, den Boden des ganzen Wattenmeeres 
in eine ununterbrochene Austernbank zu verwandeln. 
Denn wenn sich eine solche Summe von Austernbrut 
über eine Fläche von 74 Kilometer Länge und 22 Kilo- 
meter Breite vertheilt, so fallen jedem Quadratmeter 
1351 Stück zu. 

Jene Summe von 2 Billionen und 200,000 Millionen 
junger Austern ist aber unzweifelhaft niedriger, als in 
Wirklichkeit entstehen, weil nicht blos die ausgewachse- 
nen, über sechs Jahr alten Austern Eier legen, sondern 
weil sie schon im zweiten oder dritten Lebensjahre an- 
fangen, sich fortzupflanzen. Die jungen legen zwar weniger 
Eier als alle voUwüchsigen. Aber alle drei- bis sechs- 



Leben gelbliche Masse über der Herzhöhle besteht hauptsächlich aus der 
Geschlechtsdrüse (G), Diese umgiebt den Magen (Ma) und die 
Leber (L)^ welche im Leben eine braune Farbe hat. In dem Räume 
über 'diesen Eingeweiden sieht man die Querschnitte der vier Mund- 
platten (Mp). Unter dem Schliessmuskel hängen dicht an der 
Schale die beiden Mantelplatten (Mt). Ihr Saum ist verdickt und 
mit Fransen besetzt. Er enthält Muskel- und Nervenfasern. Im Leben 
kann er über den Rand der Schale hervortreten. Der Mantel sondert 
alle Schalenstoffe ab. Zwischen den beiden Mantelplatten ist ein weiter 
Raum, unter welchem die vier Kiemen hängen (Kt). Jede Kieme besteht 
aus zwei Platten, die oben und unten verwachsen sind. Die Mantelplatten 
und die Kiemen zusammengenommen bilden den sogenannten Bart der 
Auster. In den Zwischenräumen des Bartes geht die Entwicklung der 
gelegten Eier vor sich. In die Bruträume sind einige Keime ein- 
gezeichnet. 



Keimfruchlbarkeit der Auslern. 




Einige Entwicklungsstufen des Austemkeimes. a bis ^ I25tnal 
vergrössert, f und g I50ina]. 
a. Das gelegte Ei. In der Dottermasse liegt der Eikem und in 
diesem das Kernkorpercben. 

*. Die Entwicklung hat angefangen. Der Eikern ist ausgetreten. 

c. Theilung der Eimasse in 2wei ungleicligrosse Kugeln. 

d. Ein späterer Theilungszustand. 

e. Der Keim besteht aus vielen, durch weiter fortgesetzte Theilung 
entstandenen Zellen. Diese bilden eine Blase mit einer Vertiefung, welche 
der Anfang des Nahrungskanales ist. 

f. Der Austemkeim ist zum Schwärmting ausgebildet, der eitie zwei- 
klappige Schale hat. Diese ist durchsichtig; man sieht im Innern den 
Verlauf des Nahningskanales. Ein Pfeil zeigt in den Mund hinein. 
Hinter der Speiserühre der Magen mit zwei Erweiterungen. Die Pfeile 
in diesen zeigen den Gang der Nahrung an. Das Ende des Darmes liegt 
über dem Munde. Links von der ersten Magenabtheilung der Schliess- 
muskel der Schale. Unten tritt das Wimperkissen hervor, das Fort- 
bewegungsorgan des Schwärmlings. Es kann durch Muskelstränge in 
die Schale hineingezogen werden. 

g. Ein Schwäimling , von der schmalen Seite gesehen. Zu beiden 
Seiten die Klappen der Schale; quer durch den Kärper geht von der 
einen zur andern der Schliessmuskel. Unten ist das Wimperpolster, an 
welches sich Muskeln ansetzen, die es in die Schale hineinziehen können. 



Keimfruchtbarkeit der Austern. I7 

jährigen Austern, welche bei 5 Millionen ausgewachsenen 
Austern auf unseren Bänken liegen, legen nach einer 
sehr massigen Abschätzung sicherlich doch wenigstens 
300,000 Millionen Eier, so dass einem Quadratmeter 
nicht blos 135 1 Stück junge Austern zufallen, sondern 
wenigstens 1535 Stück. 

Um zu bestimmen, wie viel Eier die Austern bilden, 
muss man sie in der Fortpflanzungszeit fischen. Diese 
beginnt auf den schleswig-holsteinischen Bänken in der 
Mitte des Juni und dauert bis Ende August oder bis 
Anfang September. Die eierträchtigen Austern entlassen 
ihre reifen Eier nicht in das Wasser, wie viele andere 
Muscheln, sondern behalten sie so lange in dem so- 
genannten Barte (den Mantel- und Kiemenblättern), bis 
sich schwimmfähige Thierchen daraus gebildet haben 
(Fig. 5 S. 14 und Fig. 6 S. 16). 

Die Eier sind weiss und bedecken wie eine dick- 
flüssige, rahmartige Masse die Mantel- und Kiemen- 
blätter. Sobald sie die Geschlechtsdrüse verlassen haben, 
beginnt die Entwicklung der Austernkeime. Die ganze 
Dottermasse des Eies theilt sich in Zellen; die Zellen 
bilden eine Keimblase, in welcher durch die Einstülpung 
eines Poles ein Nahrungskanal entsteht (Fig. 6). Sehr 
bald erscheinen auf der linken und rechten Seite des 
Keimes vom Rücken her die Anfange der Schale und 
nachher bildet sich an der untern Seite ein Wimperkissen 
aus, welches die jungen Thierchen willkürlich aus der geöff- 
neten Schale hinausschieben können, um mit den schla- 
genden Wimpern entweder Nahrung nach dem Munde 
zu treiben oder sie beim Schwimmen als Ruder zu ge- 
brauchen. .Während dieser Entwicklung geht die an- 
fängliche rahmweisse Farbe der Austernkeime in ein 

Möbius, Auster. 2 



l8 Keimfruchtbarkeit der Austern. 

bleiches Grau und zuletzt in ein sattes Graublau über. 
Sie haben jetzt eine linsenförmige Gestalt und eine 
Breite von 0,15 bis 0,18 Millimeter. Auf einem Quadrat- 
centimeter finden also über 300,000 Stück Platz. Oeffnet 
man eine Auster, in welcher die Keime diese Beschaffen- 
heit erreicht haben, so findet man auf ihrem Barte einen 
schleimigen Ueberzug, der dicht angefüllt ist von grau- 
blauen Körnchen. Versetzt man einen Tropfen dieses 
körnigen Schleimes in ein Gefäss mit reinem Seewasser, 
so entfernen sich die jungen Thierchen von einander 
und verbreiten sich schwimmend durch das ganze 
Wasser. 

Wenn . die Austernkeime bis zu diesem Grade aus- 
gebildet sind, so lässt sich ihre Zahl auf folgende Weise 
feststellen. Man streift sie mit einem Haarpinsel vom 
Barte der geöffneten Mutterauster rein ab, wägt erst 
die ganze Masse und dann einen abgesonderten Theil 
derselben. Diesen verdünnt man mit Wasser oder Wein- 
geist und bringt die Thierchen in kleinen Portionen auf 
Glasplatten, wo sie dann unter dem Mikroskop gezählt 
werden. Aus dem Gewicht der ganzen Masse und aus 
der Zahl und dem Gewicht des abgesonderten Theiles 
wird die Anzahl aller Keime berechnet. 

Auf diese Weise, habe ich die Zahl der Keime von 
fünf voUwüchsigen schleswig-holsteinischen Austern, die 
im August 1869 gefangen wurden, bestimmt, und ge- 
funden, dass eine jede im Durchschnitt 1,012,955 Stück 
enthielt. 



Keimfruchtbarkeit der Austern. 



19 



>) Dass wenigstens 44 Procent der vollwüchsigen 
Austern in einer Fortpflanzungsperiode Eier legen, schliesse 
ich aus folgenden Beobachtungen: 



Ich öffnete am 



Austern : 



Es enthielten 



weisse 
Keime : 



blaue 
Keime : 



Im 
Ganzen 



Procent 



16. Juni 1873 . . . . 

6. Juli 1873 • • . • 

12. — 17. Aug. 1869 



112 

63 
480 



5 

7 



4 
6 



9 
72 



8 
20,6 
15.8 



Summa: 44,4. 

'Mir ist nicht genau bekannt, wie lange die Entwickelung 
der Austemkeime von dem Beginn der Furchung des Eies bis 
zur Ausbildung des Schwärmstadiums dauert; wahrscheinlich 
weniger als vier Wochen. Denn während ich in den Jahren 
187 1 und 1874 in der letzten Woche des Monates Mai, im 
Jahre 1873 vom 4. — 6. Juni, und 1876 vom 6. — 9. Juni noch 
keine Brut im Barte/von hunderten geöffneter Austern fand, 
enthielten von 112 Austern, die am 16. Juni 1873 gefischt 
wurden, 5 Stück weisse Keime, 4 Stück aber schon bläuliche, 
also bereits mit Schalen und Wimperkissen versehene Keime. 
Wenn bis zum Ende der ersten Juniwoche noch keine Eier 
gelegt werden, aber am Anfang der dritten Woche schon bläu- 
liche Keime ausgebildet sind, so kann die Umbildung der 
weissen Keime in bläuliche nicht länger als eine Woche 
dauern, und diese werden dann schwerlich noch länger als 
zwei Wochen im Barte verweilen. Also werden die in jedem 
folgenden Monat keimträchtig gefundenen Austern andere In- 
dividuen sein, als diejenigen, die vorher keimträchtig waren, 
und daher ist es richtig, die im Juni, Juli und August gefundenen 
Procente der keim trächtigen Austern zusammenzuzählen, um zu 
ermitteln, wie viel Procent im Laufe des ganzen Sommers 
keimträchtig sind. Da aber schon oft noch im Anfang des 
Septembers blaue Brut im Mantel schleswig-holsteinischer 
Austern gefunden worden ist, so ist die Zahl 44,4 Procent 
sicherlich nicht zu hoch. 

Die Austern sind Zwitter. In einer grösseren Zahl Austern 



20 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 

fand ich in der ganzen Geschlechtsdrüse nur Eier, aber keine 
Befruchtungskörper; in vielen anderen in der ganzen Ge- 
schlechtsdrüse nur Befruchtungskörper, aber keine Eier. 
Bei 7 Austern, die blaue Brut im Barte trugen, enthielt die 
Geschlechtsdrüse Befruchtungskörper (Fig. 7). 

Drei Austern mit jüngeren weissen Keimen im Barte hatten 
keine Befruchtungskörper in der Geschlechtsdrüse. Bei den 
meisten keimträchtigen Austern enthielten die Geschlechts- 
drüsen weder Eier noch Befruchtungskörper. Von 309 Austern, 
welche am 25. Mai auf vier verschiedenen Bänken im Osten 
der Insel Sylt gefischt, und vom 26. Mai bis i. Juni untersucht 
wurden, waren 18 Procent geschlechtlich unentschieden, die übri- 
gen 82 Procent waren zur Hälfte eierträchtig, zur Hälfte sperma- 
trächtig. Bei keiner waren die Geschlechtsprodukte ausgereift. 

Aus diesen Befunden schliesse ich, dass in der Geschlechts- 
drüse der Auster nicht gleichzeitig, sondern folgezeitig Eier 
und Befruchtungskörper entstehen ; dass Befruchtungskörper sehr 
bald nach dem Ausstossen der Eier entstehen können, und dass 
wahrscheinlich die eine Hälfte der Austern eines Gebietes in einer 
Brutperiode blos Eier, — die andere Hälfte blos Sperma bildet. 

Fig. 7. 




a. Ein Ballen Befruchtungskörper, die noch so zusammenhängen, 
wie sie dicht neben einander in den Zellen der Geschlechtsdrüse ent- 
standen. Sie sind 275 mal vergrössert. 

3. Ein einzelnerBefruchtungskörper, 1000 mal vergrössert. DerFaden 
macht wellenförmige Bewegungen; dadurch treibt er den Kopf vorwärts. 
Die reifen Befruchtungefaden gehen aus der Geschlechtsdrüse ins Wasser, 
mit diesem gelangen sie in den Brutraum eierträchtiger Austern und be- 
fruchten die frisch gelegten Eier dadurch, dass sie sich in den Dotter 
derselben einbohren und mit demselben vereinigen. 



Keimfruchtbarkeit der Austern. 21 



4. Warum bilden sich nicht 
in allen Theilen des Wattenmeeres 

Austernbänke ? 

Es ist also klar, dass die Keimfruchtbarkeit der 
Austern ausserordentlich gross ist und dass die Aus- 
dehnung der Austernbänke über den Boden des ganzen 
Wattenmeeres nicht deshalb unterbleibt, weil zu wenig 
Austernbrut erzeugt wird, sondern aus andern Ursachen, 
und es ist daher zu untersuchen, ob "etwa das Watten- 
meer nicht überall für Austern geeignet ist; ob der 
Salzgehalt, die Temperatur, die Bewegungen und der 
Nahrungsgehalt des Wassers und die Bestandtheile des 
Grundes auf den Austernbänken ganz anders beschaffen 
sind, als an allen übrigen Stellen des Wattenmeeres. 

Der Salzgehalt der oberen Wasserschichten der 
freien Nordsee beträgt 3,47 bis 3,50 Procent. ^) Das 
Wasser des Wattenmeeres ist etwas weniger salzig; es 
enthält nur 3 bis 3,3 Prozent.^) Da in unserm Watten- 
meere und in anderen etwas schwächer salzigen Küsten- 
meeren Europas die Austern einen viel feineren Ge- 
schmack annehmen, als am Grunde der freien Nord- 



22 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 

see,^) WO sie 35 Meter tief und tiefer in einem Wasser 
leben, welches gegen 3,5 Procent Salz enthält, so ist ein 
bis auf 3 Prozent verminderter Salzgehalt eine für die 
Austernwirthschaft sehr willkommene Eigenschaft des 
Küstenwassers. Und da unser ganzes Wattenmeer nicht 
bloss bei den Austernbänken sondern überall diesen 
Salzgehalt besitzt, so kann weder ein Mangel noch ein 
Uebermass von Salzgehalt die Verbreitung der Austern 
durch das ganze Wattenmeer hindern; und ebenso- 
wenig die Temperatur des Wassers; denn sowohl auf 
den Austernbänken wie auch an andern Punkten schwankt 
diese im Laufe der Jahreszeiten zwischen 20^ C. Wärme 
und — 2^ Kälte. Auch Mangel an Bewegung des 
Wassers und an Nahrungsstoffen kann die Ursache 
nicht sein, warum die Austernbänke seit Jahrhunderten 
über gewisse Bezirke nicht hinausgewachsen sind ; denn 
überall schweben in dem durch Ebbe und Fluth be- 
wegten Wasser des ganzen Wattenmeeres mikroskopische 
Pflanzen und Thiere und viel todte organische Stoffe, 
welche zahlreichen Austern da ebenso gut zur Nahrung 
dienen könnten, wo sie Schaaren von Sandmuscheln 
(Mya arenaria), Miesmuscheln (Mytilus edulis) und Herz- 
muscheln (Cardium edule) nähren. So bleibt denn als 
einziges natürliches Hinderniss einer grösseren Ausdeh- 
nung und Vermehrung der Austernbänke die ungün- 
stige Beschaffenheit des Grundes in dem grössten 
Theile des Wattenmeeres übrig. 

Austern können da nicht gedeihen, wo der Grund aus 
beweglichem Sande besteht oder wo sich Schlick ab- 
lagert. Und das Eine oder das Andere findet in dem 
grössten Theile des Wattenmeeres statt. 



Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 23 

Die Zahl und Grösse derjenigen Stellen, wo trotz 
der täglichen Fluth- und Ebbeströmungen der Boden 
unverändert fest und schlickfrei bleibt, ist sehr be- 
schränkt. Nur an den Abhängen gewisser Tiefen im 
Norden der Eidermündung treffen alle Umstände zur 
Bildung solcher Stellen günstig zusammen, und nur 
auf diesen beschränkten Bezirken können junge Austern 
zu völliger Reife heranwachsen. 

Wenn die jungen Austern im Barte ihrer Mutter eine 
Grösse von 0,15 bis 0,18 Millimeter erreicht haben, wenn 
ihr Nahrungskanal so weit ausgebildet ist, dass sie sich 
selbstständig ernähren können; wenn ihr Wimperkissen 
im Stande ist, sie fortzubewegen, so verlassen sie ihre 
Entwicklungsstätte, schwärmen durch das Wasser, steigen 
auf kurze Zeit an die Oberfläche und lassen sich dann 
am Meeresboden nieder. 

Geräth die kleine Schwärmauster an einen Ort, wo 
reine Steine oder Muschelschalen liegen, an welchen 
ihre Schale festwachsen kann, so hat sie Aussicht, gross 
zu werden. Wird sie dagegen auf veränderliche Sand- 
bänke oder auf Schlickboden verschlagen, so ist sie ver- 
loren. Denn am Schlüsse ihrer Schwärmperiode ver- 
schwindet das Wimperkissen, ihr Schwimmapparat, und 
kein muskulöser Fuss tritt wie bei den meisten andern 
Muscheln als Fortbewegungsorgan an dessen Stelle. 

Die Auster ist also an den Ort festgebannt, den sie ein- 
nahm, als sie ihr Schwimmleben abschloss. Wenn sie 
Strömungen und Wellen mit Sand bedecken; wenn 
zwischen Fluth- und Ebbewechsel das ruhende Wasser 
Schlick auf sie niediersinken lässt, wenn Pflanzen sie über- 
wuchern: so ist sie unfähig, sich in das freie Wasser empor- 
zuarbeiten und an einen besseren Platz zu wandern; sie 



24 Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 

muss an Ort und Stelle liegen bleiben und geht, weil 
sie daselbst weder erhaltungsmässig athmen noch Nah- 
rung aufnehmen kann, sehr bald zu Grunde. 

^) Ueber den Salzgehalt, die Temperatur und die 
Strömungen der'Nordsee lieferte Dr. H. A. Meyer eine 
Arbeit in dem «Bericht der Commission zur Untersuchung der 
deutschen Meere über die Expedition zur chemisch .-phys. und 
biologischen Untersuchung der Nordsee 1872. Berlin 1875.» 
(Specifisches Gewicht und Salzgehalt S. 18.) 

*) Im Wattenmeer habe ich selbst Messungen des Salz- 
gehaltes und der Temperatur bei wiederholten Untersuchungen 
der Austernbänke angestellt. Seit 1872 lässt die Commission 
zur Untersuchung der deutschen Meere in Kiel an verschiede- 
nefi Stationen regelmässige Beobachtungen machen, welche 
seit 1874 unter dem Titel: Ergebnisse der Beobachtungs- 
Stationen an den deutschen Küsten über die physik. Eigen- 
schaften der Ostsee und Nordsee, erscheinen. Berlin 1874, 
1875, 1876. 

3) Im Norden von Deutschland und Holland, im Osten 
von England und im Kanal zwischen England und Frankreich 
werden viele Austern gefangei^. Die deutschen Fischer von 
Blankenese und Finkenwärder bei Hamburg, welche in der 
deutschen (oder helgolander) Bucht der Nordsee Steinbutten, 
Goldb'utten und Zungen mit grossen Schleppnetzen fischen, 
fangen mit diesen zugleich oft auch Austern. 

Die Austemgründe der freien Nordsee liegen meistens 33 bis 
34 Meter tief; sie beginnen mit einem schmalen Streifen im Süd- 
osten von Helgoland, ziehen sich von hier aus westnordwestlich 
von Helgoland, und bilden dann einen 15 bis 2 2 Kilometer breiten 
Streifen, der sich weit nach Westen ausdehnt. Holländische 
und deutsche Fischer betreiben hier besonders in den Monaten 
August, September und Oktober AustÄnfischerei und fangen 
mit einem Schleppnetzzug manchmal an 1000 Stück. Bis- 
weilen gerathen grosse Klumpen an eiiianderge wachsener Austern 
in's Netz. 



Warum bilden sich nicht überall im Wattenmeere Austembänke? 25 

Die Tiefsee- Austern werden viel grösser als die Küstenmeer- 
Austem. Man findet Exemplare, deren Schalen 13 Centi- 
meter breit sind. Ihr Fleisch ist zähe; dennoch werden 
in England, Frankreich und Deutschland viel verzehrt; in 
Frankreich und England dienen sie hauptsächlich zu Saucen 
und Pasteten. In Deutschland werden viele auch frisch ge- 
gessen, besonders im Hannoverschen und in Bremen. Für den 
allmälichen Verbrauch im Winter legt man sie an geeigneten 
Stellen in^ Wattenmeere nieder, z. B. bei der Insel Wangeroog. 
(S. Metzger's Beiträge zu dem Jahresbericht d. Commiss. zur 
Unt d. deutschen Meere 1873, S. 171 u. 1875, S. 252.) 



26 Künstliche Austemzucht in Frankreich. 



5. Die künstliche Austernzucht 
in Frankreich. 

Der Ertrag vieler einst reichen Austernbänke an der 
Westküste von Frankreich hatte in den fünfziger Jahren 
in einem solchen Grade abgenommen, dass Professor 
P. Coste^) in Paris, der Gründer der berühmten Fisch- 
zuchtanstalt bei Hüningen im Elsass dem Kaiser Na- 
poleon III. einen Plan für künstliche Austernzucht vor- 
legte. Er wollte damit der Vernichtung einer, grossen 
Menge junger Austern im Anfang ihres selbstständigen 
Lebens entgegentreten. 

Der erste Versuch, die verarmten Austernbänke 
wieder fruchtbar zu machen, wurde in der Bucht 
von St. Brieux, im Norden der Bretagne, aus- 
geführt. Hier, wo einst 1400 Mann jährlich für 300- bis 
4CX),ooo Franken Austern gefischt hatten, war in den 
fünfziger Jahren die Austernfischerei fast ganz erloschen. 
Nach Coste's Anleitung wurden im März und April 
des Jahres 1858 eine Menge Schalen von Austern und 
andern Muscheln an den Grund geworfen und Reiss- 
bündel durch Steine so niedergesenkt, dass sie nahe 
über dem Grunde schwebten. Nachdem auf diese Weise 



Künstliche Austemzucht in Frankreich. 



27 



1000 Hectar des Meeresbodens für den Ansatz junger 
Schwärmaustem vorzüglich zubereitet waren, wurden drei 
Millionen ausgewachsene Austern darüber ausgestreut. 
Im Herbst fand man alle Schalen und Zweige der 
Reissbündel so dicht mit jungen Austern bedeckt, dass 
selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen waren. 
(Fig. 8.) Dieser Reichthum an jungen Austern war jedoch 
etwas ganz Natürliches. In seinem Bericht an den Kaiser 
vom 12. Januar 1859 über den Versuch in der Bucht von 
St. Brieux sagt Professor Coste, dass jede erwachsene 
Auster 2 bis 3 Millionen Keime erzeuge. Wie er diess 
gefunden, giebt er nicht an Angenommen, die bei 
St. Brieux ausgestreuten Austern hatten nur die Keim- 
fruchtbarkeit der schleswigholsteinischen, so brachten 
sie zusammen doch schon die ungeheure Summe von 
einer Billion und 320,000 Millionen ausschwärmender 
Austern hervor, so dass jedem Quadratmeter des Meeres- 
bodens 132,000 junge Austern zufielen, fiir welche um die 
Mütter herum genug passende Ansatzkörper bereit lagen. 



Fig. 8. 



O 





Umrisse junger Austern. 

a. Ungefähr einen Monat alt. 

b. Ungefähr zwei Monat ah. 

c. Ungefähr vier Monat alt. 

d. Zwölf bis fünfzehn Monat alt. 



28 Künstliche Austernzuclit in Frankreich. 

Dieser Versuch von St. Brieux wurde für einen voll- 
ständigen Beweis gehalten, dass künstliche Austern- 
zucht möglich sei. Man glaubte die ganze Küste Frank- 
reichs mit Austerhbänken umsäumen zu können und be- 
rechnete schon nach den damaligen Austernpreisen (das 
Tausend zu 20 Franken), wie viele Millionen Franken 
man jährlich aus dem Meere ernten würde. Capita- 
listen beeilten sich, mit Fischern Compagnien zu bilden, 
welche von der Regierung die Concession erwarben, 
auf gewissen Küstenstrecken künstliche Austernbetten an- 
zulegen. Aber überall blieben die vorausberechneten 
reichen Ernten marktfähiger Austern aus, und die 
Geldsummen, Welche man für die Zubereitung des 
Grundes und den Ankauf fortpflanzungsfähiger Austern 
von natürlichen Bänken ausgegeben hatte, brachten nicht 
nur keinen Gewinn, sondern gingen grösstentheils ver- 
loren. Die jungen Austern wurden fast alle durch Sand 
oder Schlamm erstickt oder von andern Seethieren ge- 
fressen. So war es erklärlich, dass ich im Jahre 1869 in der 
Bucht von St. Brieux nichts mehr von der im Jahre 1858 
künstlich angelegten Austernbank vorfand. Der Grund 
der Bucht war durch Versandung für Austern untaug- 
lich geworden. 

Gegenwärtig wird nur noch an einigen durch ihre 
eigenthümlichen Naturverhältnisse besonders begünstig- 
ten Plätzen an der französischen Küste das Einfangen 
von Austernbrut mit einigem Gewinn betrieben, in grosser 
Ausdehnung besonders in der Bucht von Arcachon 
südlich von Bordeaux. Diese Bucht ist, wie ich mich selbst 
überzeugt habe, rücksichtlich ihres Bodens und Salz- 
gehaltes unserm Wattenmeer sehr ähnlich. Ausgedehnte 
seichte Sand- und Schlickbänke mit Muschelschalen laufen 



Künstliche Austenizucht in Frankreich. 29 

bei Ebbe trocken und in tieferen Rinnen strömt das 
fluthende und ebbende Wasser ein und aus. An Stellen, 
die stets unter Wasser bleiben, liegen natürliche Austern- 
bänke, und längere Strecken an den sanft geneigten 
Böschungen der Wasserläufe benutzt man zu Austern- 
betten, indem man hierher Mutteraustern von natürlicher! 
Bänken versetzt und darauf gegen Ende des Monats 
Mai zwischen diesen Muschelschalen ausstreut und 
Dachziegel aufstellt, welche mit einer leicht ablös- 
baren Cementkruste überzogen sind, um auf ihnen die 
ausschwärmende Austernbrut einzufangen. Von den 
grösseren dieser Brut- Sammelkörper lösst man mit 
Meissein die festsitzenden kleinen Austern im Oktober ab, 
wobei im günstigsten Falle wenigstens der dritte Theil der- 
selben zerbrochen wird, und bringt sie dann in viereckige 
flache Kasten, welche 2 Meter lang, i Meter breit und 1 5 bis 
30 Centimeter hoch sind. Diese Kasten haben einen 
Boden von Drahtgewebe, durch welches Wasser ein- 
und austreten kann. Die Seitenwände und der Deckel 
bestehen aus dicken Brettern. An den Ecken sind die 
Kasten durch Pfähle so hoch über dem Meeresboden 
befestigt, dass unter dem Drahtboden eine Wasserschicht 
von ungefähr 10 Centimeter Höhe steht. Der Zweck 
dieser Behälter ist, die jungen Austern gegen Taschen- 
krebse (Carcinus maenas), Schnecken (Murex erinaceus) 
und andere Feinde zu schützen, die nach früheren 
bittern Erfahrungen der Auzternzüchter von Arcachon 
Massen von jungen Austern vertilgen, weil deren Schalen 
noch zu dünn sind, um ihnen das Eindringen in den 
weichen Leib der Auster abzuschneiden. 

In diesen Zuchtkästen müssen die Austern stets unter 
Wasser gehalten werden, damit sie weder durch Trock- 



30 Künstliche Austernzucht in Frankreich. 

niss noch durch Sommerhitze oder Winterkälte ver- 
nichtet werden. Um dieses zu erreichen, gräbt man in 
den höher liegenden Abtheilungen des Austernparks^ 
die bei jeder Ebbe trocken laufen, viereckige Vertie- 
fungen aus von 30 bis 40 Meter Länge und 4 bis 5 Meter 
Breite. Den Seitenwänden giebt man Festigkeit durch 
Pfähle und Bretter, gegen welche man von aussen her 
Thon legt, und den Boden bedeckt man mit Sand und 
Kies, um ihn für Austern geeignet zu machen. An 
einer der vier Seiten befindet sich ein verschliessbarer 
Kanal, durch den man nach Belieben bei Fluth Wasser 
ein- und bei Ebbe ausfliessen lassen kann. In diesen 
künstlichen Teichen (Claires genannt) stehen die Kasten 
für die jungen Austern, welchen das durch den Gitter- 
boden eindringende Wasser Nahrung zufuhrt. So oft 
es der Wasserstand möglich macht, öffnet der Züchter 
den Deckel des Kastens, um der Luft und dem Lichte 
freieren Zugang zu gestatten und um die Austern von 
angesammelten Unreinigkeiten zu befreien. Zwei Monate 
später nimmt er sie heraus und streut sie auf dem Grunde 
der Zuchtteiche aus. In diesen dürfen sie nicht zu dicht 
bei einander liegen, wenn sie sich gut entwickeln sollen. 
Gegen die zahlreichen Feinde, die ihnen auch hier nach- 
stellen, werden sie durch engmaschige Netze geschützt,, 
welche man über ihnen ausspannt. Sehr vortheilhaft ist 
es, die Austern im Laufe des Jahres ein- oder zweimal 
in einen benachbarten gereinigten Teich zu versetzen, 
nachdem derselbe zuvor einige Monate lang ganz trocken 
gelegen hat. In den wärmsten und in den kältesten 
Monaten muss man auch während der Ebbe eine Wasser- 
schicht von wenigstens 20 Centimeter Höhe über den 
Austern zurückhalten. Eine so mühevolle und sorg- 



Künstliche Austemzucht in Frankreich. 31 



fältige Behandlung erfordern die Zuchtaustern in Ar- 
cachon wenigstens zwei Jahre hindurch, ehe sie auf 
den Markt gebracht werden können. 

Im Jahre 1874 — 75 lieferte die Bucht von Arcachon 
112 Millionen verkäufliche Austern und 1875 — 'jS sogar 
196 Millionen. Dieser bedeutende Ertrag der letzten 
Jahre gegenüber den Missernten früherer ist hauptsäch- 
lich auf zwei Ursachen zurückzuführen. Erstens hatte 
man die natürlichen Austernbänke in der Bucht von 
Arcachon unmittelbar vor diesen reichen Ernten zwei 
Jahre hindurch geschont. Während diese 1870-71 nur 
4,897,000 Austern geliefert hatten, sammelten nach dieser 
Ruhezeit 8500 Personen im November 1874 binnen drei 
Stunden, in denen der Austernfang freigegebea war, 
40,360,000 Austern ein, von denen eine grosse Anzahl 
als Zuchtaustern in die Austernbetten versetzt wurden, 
welche gegenwärtig zusammen eine Bodenfläche von 
2669 Hectaren einnehmen. Zweitens hat man die 
früheren unvollkommenen Aufzuchtmethoden dadurch 
wesentlich verbessert, dass man die jungen Austern vor 
ihren Feinden schützt und Sorge trägt, sie in heissen 
und kalten Tagen immer unter Wasser zu halten, während 
bei den früheren Methoden sehr viele durch Feinde ver- 
zehrt wurden und in wenigen ungünstigen Sommer- oder 
Wintertagen oft alle jungen Austern, die bei niedrigen 
Ebben trocken lagen, durch Hitze oder Kälte zu Grunde 
gingen. 

Der ausserordentliche Erfolg der verbesserten künst- 
lichen Austernzucht in der Bucht von Arcachon und 
an einigen Küstenpunkten der Bretagne hat trotz des 
grossen Consums die Preise der Austern in Frank- 
reich sehr ermässigt. Während man im Jahre 1873 für 



3-2 Künstliche Austemzucht in Frankreich. 

das Tausend 43 Franken bezahlen musste, kaufte man 
es 1876 für 25 Franken. Daher behalten nach Abzug 
der Betriebsunkosten nur noch solche Austernzüchter 
einigen Gewinn übrig, welche persönlich und unterstützt 
von ihren Angehörigen Hand ans Werk legen. Für 
Unternehmer, welche die vielen bei der Austernzucht 
nöthigen Arbeiten durch fremde Hände ausführen lassen, 
kann von einem nennenswerthen Gewinn, wenigstens in 
der Bucht von Arcachon (wie ich aus zuverlässigen 
Quellen weiss) kaum die Rede sein. Kostet doch schon 
die Umwandlung eines Hektar des dortigen Meeres- 
bodens in ein Austernbett sammt allen dazu gehörigen 
Apparaten und einem Fahrzeug für die unentbehrliche 
Wache nach amtlichen Mittheilungen nicht weniger als 
7- bis 8000 Franken. 2) 

') Professor P. Coste starb 1873. Sein Hauptwerk über 
künstliche Austern-, Miesmuschel- und Fischzucht erschien 
unter dem Titel: Voyage d'Exploration sus le Littoral de la 
France et de Tltalie. 2. fid. Paris 1861. 

^) Ueber die Austernzucht in der Bucht von Arcachon 
handeln ausser dem angeführten Werke von Coste npch fol- 
gende Schriften: 

K. Mob i US, lieber Austern- und Miesmuschelzucht und 
die Hebung derselben an den norddeutschen Küsten. Bericht 
an den Herrn Minister für die landwirthschaftlichen Angelegen- 
heiten. Berlin 1870. S. 8. 

A. Tolle, Die Austernzucht und Seefischerei in Frank- 
reich und England. Bericht an den Herrn Minister für die 
landwirthschaftlichen Angelegenheiten. Berlin 187 1. S. 8. 

De Bon, Notice sur la Situation de TostTdiculture en 1875. 
Paris 1875. (Extrait de la Revue maritime et coloniale.) 



Versuche künstlicher Austemzucht in Grossbritannien. 33 



6. Versuche, 

die französische künstliche Austernzucht 

in Grossbritannien zu betreiben. 

In Grossbritannien beschäftigen der Austernfang 
und der Austernhandel eine Menge Menschen. Nach 
einer im Jajire 1870 veröflfentlichten amtlichen Schätzung 
betrug der Werth der in einem Jahre daselbst verkauf- 
ten Austern 4 Millionen Pfund Sterling. Nimmt man 
den Durchschnittspreis des Stückes zu i Penny an, was 
eher zu hoch als zu niedrig gerechnet ist, so erhält 
man eine Summe von 960 Millionen Austern. Im Jahre 
1864 kamen allein nach London mehr als 495 Millionen 
Austern, welche über zwei Millionen Pfund Sterling 
werth waren. 

Bei einer solchen Bedeutung der Austernwirthschaft 
für Grossbritannien war es sehr natürlich, dass man dort 
die französischen Austernkulturversuche mit lebhafter 
Theilnahme verfolgte und sie an verschiedenen Küsten- 
punkten nachahmte. In grossartigster Weise geschah 
dies an der Küste der kleinen Insel Hayling, östlich von 
Portsmouth, durch eine Gesellschaft (die South of Eng- 

Möbius, Auster. 3 



34 Versuche künstlicher Austernzucht in Grossbritannien. 

land Oyster Company), welche im Jahre 1865 mit einem 
Kapital von 50,000 Pfund Sterling gegründet wurde. 

An der Westseite der Insel wurden innerhalb eines 
Deiches 5 Austernbetten ausgegraben, deren Grundfläche 
zusammen 32 Hektar beträgt. Als ich am 11. und 
12. Mai 1869 diese Anlagen besuchte, war in mehrere 
Betten noch kein Wasser eingelassen. Der natürliche 
Grund (eine schwarze Kleischicht) war mit Kies und 
Muschelschalen bestreut. In dem grössten Bett waren 
20,000 Hürden von Birkenzweigen wagerecht ein halbes 
Meter über dem Grunde aufgestellt, jede 2,4 Meter lang 
und 75 Gentimeter breit. Ausser diesen Hürden waren 
noch Latten mit aufgenagelten Austernschalen und 
Faschinenbündel über dem Grunde befestigt', alle um 
der Austernbrut zum Ansatz zu dienen. 

Das Wasser kann durch eine Schleusse ein- und aus- 
gelassen werden. Die Mutteraustern bringt man kurz 
vor der Fortpflanzungszeit hinein. Im Jahre 1869 sollten 
50,000 Stück darin vertheilt werden. Das Wasser wird 
gewöhnlich täglich gewechselt; nur nicht in der Schwärm- 
zeit der Austernbrut, damit sie nicht ins Meer ent- 
weichen kann, und auch im Winter nicht, wenn Frost- 
wetter eintritt. 1867 wurden 600,000 ausgewachsene 
Tiefseeaustern in ein Austernbett gebracht, welches 
7,3 Hektaren gross war und 10,000 Hürden zum Ansatz 
der Brut enthielt. Im Durchschnitt hatten auf jeder 
Hürde über 12,000 junge Austern sich festgesetzt, zu- 
sammen also eine Summe von mehr als 120 Millionen. 

Bei diesen und andern Anlagen für künstliche 
Austernzucht in England wurden alle Erfahrungen der 
französischen Austernzüchter aufs beste benutzt; aber 
trotzdem trat die erwartete massenhafte Aufzucht markt- 



Versuche künstlicher Austernzucht in Grossbritannien. 3 5 

fähiger Austern auf keiner einzigen Zuchtstätte ein. Der 
Fischerei-Inspektor Mr. Blake gab vor der Commission 
zur Untersuchung der Austernfischerei in London am 
4. Mai 1876 die niederschlagende Erklärung ab, dass 
eine jede in künstlichen Austernbetten aufgezogene 
Auster bei Reculvers an der Themsemündung 50 Pfund 
Sterling kostete, bei Herne Bay 100 Pfund, an einer 
dritten Stelle sogar 500 Pfund, und dass er im Stande 
sei, noch viele derartige Beispiele anzuführen. Mr. Blake, 
der mit der französischen und englischen Austernwirth- 
schaft aus eigenen Anschauungen sehr gut bekannt ist, 
hält künstliche Austernzucht nach der französischen 
Methode an den britischen Küsten für unmöglich, weil 
hier das Klima nicht dafür geeignet sei. 

Die wichtigste der Quellen, aus denen ich meine Mit- 
theilungen über die englische Austernwirthschaft schöpfte, ist 
der Report from the select Commitee on Oyster 
Fischeries; together with the Proceedings of the 
Commitee, minutes of evidence, Appendix and 
Index. Ordered by The House of Commons, to be 
printed. July 1876. 

Dieser Bericht enthält 3941 Fragen und Antworten, die 
Austernwirthschaft betreffend. 

Was ich durch eigene Anschauungen von der englischen 
Austernwirthschaft kennen lernte, beschrieb ich in der unter 
dem Kapitel 4, S. 32 angeführten Schrift, zu welcher Herr 
A. Tolle, der mich im Auftrage des Königl. preussischen 
Landwirthschafts- Ministers als Wasserbautechniker begleitete, 
Ergänzungen in seiner ebendaselbst genannten Schrift lieferte. 



3* 



36 Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 



7. Kann in den deutschen Küstenmeeren 

französische künstliche Austernzucht 

betrieben werden? 

Welcher deutsche Austernfreund hätte nicht den 
Wunsch, die ganze deutsche Küste mit fruchtbaren 
Austernbetten umsäumt zu sehen? Deshalb wollen wir 
untersuchen, ob die nöthigen Bedingungen für künst- 
liche Austernzucht in den deutschen Küstenmeeren vor- 
handen sind. 

Der Salzgehalt, die strömenden Bewegungen, die 
Nahrungstoffe und auch die Bodenbestandtheile würden 
unser Wattenmeer für das künstliche Auffangen von 
Schwärmbrut und für die Aufzucht derselben ebenso 
geeignet machen wie die Bucht von Arcachon; nicht 
aber seine Temperatur- und Fluthverhältnisse. In der 
Bucht von Arcachon beträgt der Unterschied zwischen 
dem gewöhnlichen Hoch- und Niedrigwasser 4,5 Meter, 
bei Sturmfluthen einen Meter mehr; an unsern Nordsee- 
küsten kann aber bei Sturmfluthen das Wasser doppelt 
so hoch, ja noch höher als bei gewöhnlichen Fluthen 
steigen. Die Gewalt der Sturmfluthen ist also gegen- 



Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren. 37 



Über der Bewegungskraft der gewöhnlichen Fluthen an 
unseren Küsten viel grösser als in der Bucht von Arcachon. 
Und demgemäss würden wir unsern Austernbetten eine 
viel grössere Festigkeit geben müssen als die fran- 
zösischen Alisternzüchter den ihrigen. Wir müssten sie 
so weit ins Meer hineinlegen, dass sie bei den niedrig- 
sten gewöhnlichen Fluthen voll Wasser laufen könnten, 
ihnen dabei aber eine solche Festigkeit geben, dass sie 
einer um 2 bis 2,5 Meter höheren Sturmfluth, also einer 
weit grösseren und zugleich mächtig bewegten Wasser- 
masse Widerstand leisten könnten. Solche Anlagen 
würden viel mehr kosten als die mit Holzbohlen um- 
gebenen Austernbetten von Arcachon. Aber selbst dann, 
wenn sie fest genug wären, um den stärksten Sturm- 
fluthen Trotz zu bieten, würden sie doch schwerlich die 
Zuchtaustern in allen Fällen vor Versandung oder Ver- 
schlickung schützen; und so könnte eine Sturmfluth die 
gesammten Austern mehrerer Generationen vernichten. 

Wie verderblich die Natur unseres Wattenmeeres 
Austernbetten werden kann, hat ein bei Norde rney 
ausgeführter Versuch gezeigt. Auf der Binnenseite die- 
ser Insel wurde im Frühjahr 1869 eine Fläche von 
825 Quadratmeter ausgetieft und mit doppelten Bohl- 
wänden bis auf halbe Fluthhöhe eingefasst. Der Raum 
zwischen den beiden Schutzwänden wurde mit Sand 
und Schlick ausgefüllt und der ausgetiefte Platz in zwei 
Abtheilungen von verschiedener Grösse abgetheilt. In 
der kleineren sollte das Wasser erst die gröberen Sink- 
stoße absetzen, ehe es in den grösseren gelassen wurde. 

In diese brachte man kurz vor der Brutzeit im An- 
fang des Juni 20,000 erwachsene Austern, um einen 
reichen Brutansatz von ihnen zu ernten; et blieb jedoch 



38 Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren. 

aus. Seesterne und Krebse fielen über die Austern her. 
Im Anfang des August brachen Sturmfluthen die Schutz- 
wände des Austernbettes ein und die Herbststürme voll- 
endeten das Werk der Zerstörung, so dass von der 
ganzen Anlage bald nichts mehr zu sehen war. 

Wenn die Verhältnisse des freien Wattenmeeres 
nicht für die Anlegung von Austernbetten geeignet sind, 
so kann doch vielleicht innerhalb der hohen Deiche, 
durch welche das fruchtbare Marschland der deutschen 
Nordseeküste geschützt wird, künstliche Austernzucht 
betrieben werden. 

Zu diesem Zwecke müssten Bassins innerhalb der 
Deiche ausgegraben und durch einen Kanal mit dem 
Meere in Verbindung gesetzt werden. 

Wo dieser Kanal den Deich durchschneidet, müsste 
man eine Schleusse anlegen, um den Einbruch des 
Meerwassers bei hohen Fluthen abzuhalten. Denn in 
der Nähe der bereits vorhandenen Schleussen unserer 
Marschdeiche könnten die Auternbetten nicht eingerichtet 
werden, weil dieselben zum Ablassen des süssen Wassers 
aus den Marschländereien dienen. Hier würde daher 
statt des Seewassers Süsswasser in die Austernbetten 
laufen. 

Angenommen, es Hessen sich Austernbetten inner- 
halb eines Deiches ohne Gefahr für das eingedeichte 
Land mit besonderen Schleussen zum Einlassen des 
Salzwassers anlegen, so ist noch zu fragen: Wie werden 
in solchen Betten die Austern gedeihen? Werden sie 
genug Nahrung erhalten, um fett zu werden? Wie wird 
es ihnen bei anhaltendem Frostwetter gehen? Und 
werden sie dort Brut erzeugen? 



Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 39 

So viiel Nahrung würden sie keinenfalls erhalten, wie 
die Austern im freien Meere, weil man in den Austern- 
betten einer jeden Auster lange nicht so viel Wasser 
zuführen könnte, wie auf den Bänken über sie weg- 
strömt. Und nach der Menge des vorbeiziehenden 
Wassers richtet sich auch das Mass der schwebenden 
organischen Nährstoffe. Wenn die Austern in dem Bett 
nicht bald im niedersinkenden Schlick begraben werden 
sollen, so muss man sie entweder öfter in ein reines 
Bett versetzen oder man muss einen Abklärungsteich 
neben dem Zuchtteich einrichten. Indem man das Wasser 
aber durch Ruhigstehenlassen abklärt, entzieht man dem- 
selben eine grosse Menge organischer Stoffe, welche 
den Austern als Nahrung dienen. 

Besonders gefahrlich würde aber Frostwetter unsern 
Binnendeich -Austernbetten sein, weil an unsern Nord- 
seeküsten die niedrigsten Wasserstände bei Ostwinden 
eintreten, welche zugleich die grösste Kälte bringen. 
Daher würde man gerade in solchen Zeiten, wo 
höhere Wasserstände und häufiger Wasserwechsel die 
besten Mittel sein würden, die Austern vor dem 
Erfrierungstode zu schützen, auf ihre Anwendung 
verzichten müssen; und so würden in jedem kalten 
Winter in den Austernbetten sicherlich eine Menge 
Austern sterben. Erfi:ieren doch schon auf den flach- 
liegenden Austernbänken unseres Wattenmeeres in 
strengen Wintern um so mehr Austern, je weniger 
Wasser über dieselben läuft. So wurden nach dem 
strengen Winter 1863 auf 1864, wo wegen Eis vom 
21. December bis 17. Februar keine Austern gefischt 
werden konnten, und nach dem Winter 1864 auf 1865 
wo die Fischerei vom 24. Januar bis zum 26. März durch 



40 Französ. künstliche Austemzucht in deutschen Küstenmeeren. 

Frost unterbrochen wurde, auf vielen Bänken todte 
Austern gefunden. 

Die furchtbarsten Verwüstungen, deren sich die alten 
Austernfischer erinnerten, richtete der harte Winter von 
1829 auf 1830 an, in welchem Schleswig-Holstein von 
Mitte November bis Anfang Februar von einer unge- 
wöhnlich niedrigen Temperatur heimgesucht wurde. 
Die meisten Bänke hatten stark gelitten und es ver- 
gingen viele Jahre bis sie ihre frühere Fruchtbarkeit 
wieder erlangten. 

Bei Frostkälte sammelt sich Schlamm auf dem Mantel 
und den Kiemen an, weil sie die Kraft der Flimmer- 
wimpern und Muskeln abschwächt. Die Auster ist nun 
nicht mehr im Stande, die schwebenden Schlamm- 
theilchen, welche ihr der Wasserstrom zufuhrt, durch 
kräftige Schwingungen der Wimpern und durch schnelles 
Schliessen der Schale fortzutreiben. Diese Fähigkeit kann 
sie aber, wenn die Kälte nicht zu lange dauert, durch Er- 
wärmung des Wassers wieder erlangen. Alsdann werden 
die Kiemen wieder rein und die durch Verschlammung 
gestörte Athmung und Ernährung gehen wieder in ge- 
wöhnlicher Weise von statten. Bei lange anhaltender 
Frostkälte schliessen sich jedoch an die Verschlammung 
des Mantels und der Kiemen noch weitere schädliche 
Folgen an. Der Schliessmuskel, wird, so schlaff, dass 
er die Schale nicht mehr zu schliessen vermag. Die 
Flimmerwimpern schwingen immer langsamer und stehen, 
wenn erst der abgestorbene Schliessmuskel die Schalen 
weit auseinander klaffen lässt, endlich ganz still. Mantel 
und Kiemen nehmen eine bleiche Farbe an. Infusorien 
nisten sich in ihnen ein und beschleunigen ihre Zer- 
störung. Der Wimperüberzug löst sich von dem 



Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 41 

Mantel und dem festeren Gerüste der Kiemen ab. Die 
weicheren Theile des Rumpfes; die Geschlecjatsdrüse, 
die Leber und der Darm verschwinden, wahrscheinlich 
werden sie sehr bald von Schnecken, Krebsen, Würmern, 
und Seesternen aufgezehrt, sobald diese ungehindert in 
die offene Schale eindringen können. Der letzte Theil 
des Weichthieres, den man noch in der Schale findet, 
ist der Schliesmuskel. Er steht dann frei zwischen den 
beiden Klappen oder sitzt nur noch an einer fest, bis 
er endlich nur noch Spuren seiner Fasern an den Ansatz- 
stellen, den sogenannten Muskeleindrücken, zurücklässt. 

Diesen ganzen Verlauf der Frostkrankheit der Austern 
habe ich Ende März 1870 auf den schleswig-holsteini- 
schen Austernbänken selbst verfolgen können. Auf dem 
Wattenmeere hatte über einen Monat hindurch dickes 
Eis gelegen, denn andauernde östliche Winde hatten 
das Wasser ausserordentlich niedrig gehalten. Vom 
4. Februar bis zum 7. März hatten des Eises wegen 
keine Austern gefischt werden können. Am 14. Februar 
wurde das Wasser in der Nähe einer Austernbank am 
nördlichen Ende der Insel Sylt von der Oberfläche bis 
an den Grund, 3,5 Meter tief, — 2 Grad kalt gefunden. 
Auf den flachen Banken waren 7 bis 8 Propent der 
Austern, die in meiner Gegenwart gefischt wurden, er- 
froren ; auf tieferen, der freien Nordsee näher liegenden 
Bänken hatte die Kälte nur 2 bis 3 Procent getödtet. 
Offenbar hatten diese Bänke deshalb weniger Schaden 
gelitten, weil sie bei jeder Fluth etwas höher temperir- 
tes Wasser aus der offenen See erhielten. 

Ich habe Mantel- und Kiemenstücke von Austern im 
Nordseewasser einfrieren und eine Stunde lang in dem 
sie einschliessenden Eise bei — 4® C. bis 9® C. Kälte 



42 Französ. künstliche Austernzucht in deutscKen Küsten meeren. 



liegen lassen. Als das Eis wieder geschmolzen war, 
machten- die Flimmerwimpern erst nur schwache Be- 
wegungen; vier Stunden später, als die Temperatur all- 
mählig auf 5^ C. gestiegen war, waren ihre Schwin- 
gungen wieder stärker. Andere Kiemen- und Mantel- 
s.tücke, welche drei Stunden in Wasser von — i° bis 
2^ Kälte gewesen waren, flimmerten noch am folgenden 
Tage ziemlich lebhaft. 

Hierbei erinnere ich an einen oft übersehenen wich- 
tigen Unterschied zwischen. Süsswasser und Salzwasser. 
Es ist allgemein bekannt, dass Süsswasser am dichtesten 
und also auch am schwersten ist bei 4® Wärme, woraus 
sich erklärt, dass sich in tieferen süssen Gewässern wäh- 
rend der Frostzeit Wasser von vier Grad Wärme am 
Grunde ansammelt und dass alles noch kälter werdende 
Wasser an der Oberfläche bleibt und dort zu Eis er- 
starrt. Weniger bekannt ist die Thatsache, dass die 
Dichte und Schwere des Meerwassers so lange zunimmt, 
so lange es noch kälter wird. Daher sinkt es auch an 
den Grund, bis es seine Eisbildungstemperatur erreicht 
hat, welche bei 3 Procent Salzgehalt — 2,28^ C. beträgt. 
So erklärt es sich, dass am Grunde des Wattenmeeres 
bis 2 Grad Kälte beobachtet wurden, während man in 
Seen und tieferen Flüssen Norddeutschlands bei der 
strengsten Kälte stets Wasser von einigen Graden Wärme 
am Grunde findet. 

Wenn endlich das Seewasser von der Oberfläche bis 
an den Grund seine Erstarrungskälte erreicht hat, so 
verwandelt es sich doch nicht von oben bis unten gänz- 
lich in Eis, sondern es entstehen dann in höheren und 
tieferen Schichten desselben kleine Eisplatten; diese 
steigen sofort an die Oberfläche, weil sie aus salz- 



. Französ. künstliche Austernzucht in deutschen Küstenmeeren. 43 

freiem Wasser bestehen und daher leichter sind, als 
das Salzwasser, aus welchem sie herauskrystallisirten. 
Somit bleiben die Thiere, welche am Grunde der tiefe- 
ren Theile des Wattenmeeres leben, selbst dann noch 
von flüssigem Seewasser umgeben, wenn dieses eine 
Kälte von 2 Grad unter dem Gefrierpunkte des süssen 
Wassers angenommen hat. An seichten Stellen, die 
bei Ebbe trocken werden, tödtet jedoch die Frost- 
kälte alle Thiere, welche sich nicht bis zu einer solchen 
Tiefe in den Sand und Schlick eingraben können, wo 
das Wasser nicht gefriert, sondern flüssig bleibt. Und 
da dieses Vermögen nur wenige Arten von Muscheln, 
Würmern und Krebsen besitzen, so gehören alle bei 
Ebbe trocken laufenden Sand- und Schlickbänke des 
Wattenmeeres zu den thier^ und pflanzenärmsten Wüsten 
des Meeresgrundes, die es giebt. 

Unsere letzte Untersuchung hat zu dem betrübenden 
Ergebniss geführt, dass an unsern Nordseeküsten eine 
einträgliche künstliche Austernzücht nach der französi- 
schen Methode nicht möglich ist. Wer sie unseren un- 
günstigen Fluth- und Temperaturverhältnissen zum Trotz 
doch durchführen wollte, dem würden seine Zuchtaustern 
gewiss noch theurer zu stehen kommen, als verschiede- 
nen englischen Austernzüchtern die ihrigen, denn an den 
englischen Küsten ist der Unterschied zwischen den 
gewöhnlichen und den Sturmfluthen geringer als in un- 
serem Wattenmeer; die niedrigsten Wasserstände treten 
dort nicht bei den kältesten Winden ein, wie an den 
südöstlichen Ufern der Nordsee, und das Klima ist da- 
selbst milder, als an unseren Küsten. 




8. Lassen sich natürliche Austembänke 

vergrössem und ' können neue Austernbänke 

angelegt werden, besonders an 

den deutschen Küsten? 

Die deutsche Austernwirthschaft bleibt also nach wie 
vor lediglich auf die Austernbänke angewiesen. Auf 
natürlichen Bänken lebt die Auster seit Jahrtausenden 
in unsern Küstenmeeren, und da sie noch heute daselbst 
fruchtbar ist und wohlschmeckend wird, so haben wir 
uns die wichtige Frage vorzulegen, ob es nicht möglich 
sei, die vorhandenen Austernbänke zu vergrössem und 
neue Bänke anzulegen. 

Das Wasser des Wattenmeeres hat in der Umgebung 
der Austernbänke und auf allen Strecken zwischen den- 
selben dieselben Eigenschaften, wie auf den Bänken 



Erklärung der Abbildung (Fig. 9): 

Im Vordergrunde das Wattenmeer mit zwei Tonnen, welche die 

Richtung des tieferen Fahrwassers bezeichnen. Im Hintergrunde 

Dünen auf Hömum, der Südspitze von Sylt. 



Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austembänke. 45 

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selbst. Es braucht also nur der Meeresboden neben 
den natürlichen Bänken für Austern bewohnbar gemacht 
zu werden, wenn sie sich vergrössern sollen. Alte 
Bänke nehmen von Natur eine grössere Ausdehnung an, 
sobald sich der an ihren Grenzen liegende bewegliche 
und schlickige Meeresboden in festen und reinen 
Grund verwandelt, was geschehen kann, wenn Ver- 
änderungen in der Stärke und Richtung der Fluth- 
und Ebbeströmungen eintreten. In solchen Fällen lässt 
sich die Ausdehnung künstlich beschleunigen, indem 
man auf den festgewordenen Grund Schalen von Austern 
und anderen Muscheln bringt, um der ausschwärmenden 
Austernbrut die zweckmässigsten Ansatzkörper über di« 
Grenzen der alten Bank hinaus darzubieten. 

Für die Gründung neuer Austernbänke im Gebiete 
des deutschen Wattenmeeres, wo jetzt keine Austern 
leben, sind unveränderliche und schlickfreie Bodenstrecken 
nothwendig, die bei Ebbe wenigstens i bis 2 Meter hoch 
mit Wasser bedeckt bleiben. Fast alle solche Stellen 
sind aber bereits von Austernbänken eingenommen. Im 
Jahre 1876 suchten die besten Kenner des schleswig- 
holsteinischen Wattenmeerbodens, die Tonnenleger, die- 
jenigen Beamten, welche das Fahrwasser für Schiffe durch 
Tonnen und Baken (Fig. 9 S. 44 und Fig. i S. i) zu be- 
zeichnen haben, nach unveränderlichen Strecken, auf 
denen noch keine Austernbänke liegen. Aber sie fanden 
in ihrem ganzen Gebiete nicht mehr als acht feste Stellen^ 
auf denen vielleicht Austern gedeihen können. 

Es würde gewagt sein, sofort alle diese Stellen mit 
einer grossen Zahl Mutteraustern zu besetzen, weil es 
noch zweifelhaft ist, ob sie daselbst den Stamm einer 
neuen Bank bilden oder untergehen werden. Rathsamer 



46 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 

wäre es, zunächst nur auf einer dieser Stellen AüStern- 
und andere Muschelschalen im Mai, also kurz vor der 
Brutzeit auszustreuen und alsdann einige tausend aus- 
gewachsene Austern über diesen zubereiteten Schalen- 
grund zu verbreiten. Findet man im nächsten Herbst An- 
satz junger Brut, so darf man das Experinient noch nicht 
für gelungen ansehen, sondern erst dann, wenn nach 
drei bis vier Jahren eine grössere Anzahl halbwüchsiger 
Austern neben den alten Mutteraustern liegen und 
wenn diese fortfahren, neue sich ansetzende Brut zu er- 
zeugen. 

In allen Theilen des deutschen Wattenmeeres, welche 
südlich und südwestlich von Schleswig liegen, wird 
schwerlich eine einzige Stelle zu finden sein, die zur 
Bildung einer. einträglichen Austernbank geeignet wäre. 
Denn vor den Mündungen der Eider, Elbe, Weser, Jahde 
und Ems ist der Meeresboden so stark verschlickt oder 
derartig veränderlich, dass sich Austern auf demselben 
nicht erhalten und vermehren können. 

Als ich im Herbst 1868 das deutsche Küstenmeer 
von der Eider bis Borkum mit dem Schleppnetze unter- 
sucht hatte, schien mir auf dieser ganzen Strecke nur 
eine einzige Stelle vor der hannoverschen Küste zwischen 
dem Festlande und der Insel Juist, westlich von Norder- 
ney für einen Versuch einigermaassen geeignet zu sein. 
Auf dieser Stelle in der »Juister Balje« wurden im Früh- 
jahr 1869 fortpflanzungsfähige schleswig-holsteinische 
Austern in grosser Zahl ausgestreut. Es hat sich 
jedoch keine Bank daselbst gebildet. Bei einer im 
Juni 1875 vorgenommenen Untersuchung wurden bei 
Juist und Borkum nur sieben Austern gefangen, obgleich 
man drei Tage lang mit dem Schleppnetz fischte. Die 



Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 47 

Juister Balje ist also nicht für Austern geeignet. Sie ist zu 
schlickig und von Miesmuscheln in Beschlag genommen. 

Im vorigen Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 
jetzigen verpachtete die hannoversche Regierung die 
Austernfischerei an ihrer Küste und es wurden Austern 
hauptsächlich bei Borkum und Juist gefangen; in den 
Jahren 1841 bis 1846 zusammen 193,684 Stück, im Durch- 
schnitt also jährlich 38,727. Bei einer Revision der 
Bänke im Jahre 185 1 wurden nur sehr wenig Austern 
gefunden, und 1855 waren die Bänke so verarmt, dass 
sie niemand pachten wollte. Ihre Erschöpfung war die 
Folge einer zu starken Befischung und der Verschlech- 
terung des Grundes. 

Wer durchaus an der deutschen Nordseeküste von 
der Eider bis zur Emsmündung Austernbänke anlegen 
wollte, der müsste sein schwieriges Werk mit einer Um- 
änderung der Fluth- und Ebbeströmungen in dem süd- 
lichen Theile der Nordsee anfangen, um seinen Austern 
einen Boden zu bereiten, auf dem sie gedeihen könnten; 
denn die Auster einem wandelbaren Sandgrunde und 
einem schlickigen Boden anzupassen, ist weder der 
Natur, noch einer Jahrhunderte lang betriebenen Austern- 
zucht gelungen. 

Seit Jahrtausenden hat die Natur unzählige junge 
Austern von den Austernbänken aus über veränderliche 
Sand- und Schlickbänke verbreitet; aber keine einzige, 
hat ihre Organisation einem solchen Boden angemessen 
umgewandelt und auf ihre Nachkommen vererbt; son- 
dern sie sind alle zu Grunde gegangen. 

Seit dem 16. Jahrhundert werden an der Westküste 
von Frankreich an beiden Ufern der Seudre- Mündung 
bei Marennes und La Tremblade einjährige Austern 



48 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 

von natürlichen Austernbänken in Teiche versetzt, um sie 
zu mästen und ihren Geschmack zu verfeinern. Diese 
Teiche, Claires genannt, sind flache Austiefungen von 
sehr verschiedener Form und Grösse. Die meisten sind 
viereckig und ungefähr 2 — 3000 Quadratmeter gross. 
Sie liegen unregelmässig nebeneinander und sind durch 
tiefe Gräben, in welchen das Seewasser in der Zeit der 
Springfluthen zu- und abfliesst, in Gruppen abgesondert. 
Der Boden der Teiche ist in der Mitte etwas höher als 
am Rande. Die Wälle um die Teiche herum bestehen 
aus der ausgegrabenen Marscherde und sind ungefähr 
I Meter hoch. Durch Einschnitte oder durch hölzerne 
Röhren in den Wällen stehen die nebeneinanderliegenden 
Teiche in Verbindung. In den grösseren Abzugsgräben 
sind Schütze angebracht, durch welche das Wasser von 
einer Springfluthperiode bis zur andern zurückgehalten 
werden kann. In diese Teiche versetzt man junge 
Austern im Herbst, wenn das Fischen auf den Austern- 
bänken im Meere erlaubt ist. Vom August an bis zur 
Laichzeit des nächsten Jahres nehmen die eingesetzten 
Austern eine düster dunkelgrüne Farbe an, welche ihren 
Sitz in dem Zellgewebe des Mantels, der Kiemen, der 
Leber und des Darmes hat. Den feinen Geschmack, 
durch welchen die grünen Austern von Marennes in 
Paris besonders berühmt sind, erlangen sie erst nach 
3 bis 4 Jahren. Während dieser Zeit müssen sie oft 
von dem aufgelagerten Schlick befreit und in andere 
gereinigte Teiche versetzt werden, wenn sie gesund 
bleiben sollen. 

Die Austern laichen wohl in diesen Mästungsteichen 
und bisweilen lassen sich auch ihre Schwärmlinge an 
schlammfreien Gegenständen: an Steinen, Muschelschalen 



Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 49 



und Holzstücken nieder, allein sie reifen nicht zu einer 
marktfähigen Nachkommenschaft heran. Einer dreihun- 
dert Jahre hindurch in Schlickteichen geübten Aufzucht 
junger Bankaustern ist es also nicht gelungen, die Auster 
zu einer Muschel umzubilden, die sich im Schlick er- 
halten und darin fortpflanzen kann. Die Farbe und den 
Geschmack des Weichthieres können die Austernzüchter 
von Marennes und La Tremblade umändern, aber ein 
Ortsbewegungsorgan, einen Fuss, konnten sie der Auster 
nicht verschaffen. 

In der Ostsee ist vor der deutschen Küste der 
Meeresboden an vielen ausgedehnten Strecken fest und 
auch rein von Schlick. Sie besitzt also in dieser Hinsicht 
eine der wichtigsten Eigenschaften für die Bildung von 
Austernbänken. Poch sind mehrere Versuche, Austern 
in das baltische Meer zu verpflanzen, fehlgeschlagen. 

Vor der pommerschen Küste wurden 1753, 1830 
und 1843 Austern ausgesetzt. Den letzten dieser drei 
Versuche Hess eine Gesellschaft ausführen, zu deren Mit- 
gliedern die Könige von Preussen und Ijannover und 
der Fürst von Putbus gehörten. 50,000 Austern, im 
nördlichen Kattegat bei Frederikshavn gefischt, wurden 
im besten Zustande am 6. und 13. April 1843 bei der 
Greifswalder Oie, südöstlich von der Insel Rügen, 
ausgesetzt. Bei einer zwei Jahre später angestellten 
Untersuchung stellte sich heraus, dass sie alle zu Grunde 
gegangen waren, denn es wurde keine einzige mehr 
lebend gefunden. 

Die viel besprochenen Coste' sehen Austernzucht- 
versuche gaben den Anstoss zu neuen Versuchen, Austern 
in die Ostsee zu verpflanzen. In der Kieler Bucht, 
an der Südküste der Insel Laaland, in der Nähe von 

Möbius, Auster. 4 



50 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austembänke. 

Korsör und im Isefjord an der Küste der Insel See- 
land wurden fortpflanzungsfähige Austern auf passend 
erscheinende Gründe versetzt; aber überall ohne den 
gewünschten Erfolg. 

Das Wasser der Ostsee ist für die Fortpflanzung 
der Austern nicht salzig genug. Oestlich von Rügen 
enthält es am Grunde nur ein Procent Salze und in 
höheren Wasserschichten noch weniger, weil die Flüsse 
sehr viel- Süsswasser einführen. Westlich von Rügen 
kommen am Grunde südlich von dem Grossen Belt bis 
gegen die mecklenburgische Küste hin zwar bis 3 Pro- 
cent Salz vor, aber auch hier ist in den oberen Schich- 
ten das Wasser überall schwächer gesalzen. Da nun 
die jungen Schwärmaustern, nachdem sie ihre Mutter 
verlassen haben, zeitweilig an die Oberfläche steigen, 
so kommen sie in der Ostsee und sogar noch im ganzen 
südlichen Theil des Kattegats in Wasserschichten, die 
weniger als 2 Procent Salz enthalten, während sie eines 
Salzgehaltes von wenigstens 3 Procent bedürfen, was 
ich daraus schliesse, dass ein solcher Salzgehalt überall, 
wo an den europäischen Küsten natürliche Austernbänke 
bestehen, vorhanden ist. Ausser dem verminderten 
Salzgehalt hindern die Ausbildung der Austern in der 
Ostsee sicherlich auch noch zwei andere Eigenschaften 
dieses Meeres : eine länger andauernde niedrige Winter- 
temperatur und der Mangel einer regelmässigen Wasser- 
bewegung durch Ebbe und Fluth; denn durch die Ge- 
zeitenströmungen werden einem festsitzenden Thiere, 
wie die Auster ist, in der Nordsee täglich eine grössere 
Masse Sauerstoff* und Nahrung enthaltendes Wasser zu- 
geführt, als in einem weniger regelmässig bewegten 
Binnenmeere. 



Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 5 1 

Diese chemischen und physikalischen Verschieden- 
heiten der Ostsee von der Nordsee machen es nicht 
blos der Auster unmöglich, in der Ostsee zu leben, 
sondern noch vielen anderen Nordseethieren, von denen 
ich als einige Beispiele nur den Hummer, den grossen 
Taschenkrebs (Platycarcinus Pagarus) und den ess- 
baren Seeigel (Echinus esculentus) nennen will. 

Wenn zu einer dauernden Ansiedelung der Austern 
in der Ostsee weiter nichts nöthig wäre, als einige Tau- 
send foVtpflanzungsfähige Austern frisch und gesund in 
sie zu versetzen, warum sollten sich dann nicht auch 
Hummer, Taschenkrebsc, »Seeigel und alle anderen 
Thiere, die neben den Austern in der Nordsee wohnen, 
also die ganze Fauna der Nordsee-Austernbänke in die 
Ostsee verpflanzen lassen? Liesse sich das ausführen, 
so hätte ich längst eine grössere Anzahl Nordseethiere 
in der Kieler Bucht eingebürgert, um sie zu meinen 
Untersuchungen und zu Belehrungen der Studirenden 
stets lebend in der Nähe zu haben. 

Versuche, nicht blos Austern, sondern auch andere 
Nordseethiere in die Ostsee zu verpflanzen, hat die Natur 
schon sehr oft gemacht. Fast jedes Jahr erscheinen 
Nordseefische und andere Nordseethiere in der Ostsee, 
aber sie pflanzen sich hier nicht dauernd fort und ver- 
schwinden daher wieder aus ihrer Fauna. Die grosse 
Sturmfluth am 13. und 14. November 1872 führte die 
Leuchtthierchen der Nordsee (Noctiluca scintillans) in 
solchen Scharen in den Kieler Hafen, dass sie dessen 
Wasser wochenlang leuchtend machten; aber bald waren 
sie wieder gänzlich verschwunden. 

Unter d eil jetzigen geognostischen und physikalischen 
Verhältnissen kann die Auster nicht weiter gegen die 



52 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 

Ostsee vordringen, als bis in den südwestlichen Theil 
des Kattegats; hier bildet die Grenze ihrer eben noch 
ausreichenden Lebensbedingungen eine Linie, die von 
Samsöe über die Insel Anholt nach Gothenburg 
läuft. An dieser äussersten Grenze ihres Fortkommens 
darf man keine solche Fruchtbarkeit und Ausbildung der 
Austern erwarten, wie eine kostspielige künstliche Austern- 
zucht, die Gewinn bringen soll, beansprucht. Jede 
unter das gewöhnliche Mittel gehende Schwankung im 
Salzgehalt und in der Temperatur des Seewassers würde 
einer hier betriebenen künstlichen Austernzucht schweren 
Schaden zufügen. 

Dass sich die Austern selbst von ihren Wohnstätten 
in der Nordsee überall hin verbreiten, wo sie alle äussern 
Lebensbedingungen vorfinden, beweist ihre selbstständige 
Einwanderung in den Limfjord im Norden Jütlands. 
Dieses Gewässer bestand bis zum Jahre 1825 aus einer 
Anzahl zusammenhängender Brackwasserseen mit einem 
östlichen Ausflusse in das Kattegat. Im vorigen Jahr- 
hundert machte man vergebliche Versuche, Austern in 
demselben anzusiedeln. Nachdem aber eine furchtbare 
Sturmfluth am 3. Februar 1825 den Damm durchbrochen 
hatte, welcher den westlichen Theil des Limfjords von 
der Nordsee trennte, wurde das Wasser desselben von 
fahr zu Jahr salziger, die darin wohnenden Brackwasser- 
Pflanzen und -Thiere verschwanden, an ihre Stelle traten 
Nordseethiere, und unter diesen bemerkte man im 
Jahre 185 1 auch Austern. Sie nahmen von Jahr zu Jahr 
mehr Grundfläche ein. Um das Jahr 1860 fischte man 
nur 150,000 Stück, gegenwärtig kennt man 98 Stellen, 
wo sie sich angesiedelt haben, so dass 187 1 bis 1872 
schon 7 Millionen ausgewachsene Limfjordaustern nach 



Vergrössening natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 53 

dem Auslande verkauft werden konnten. Ihre Verbrei- 
tung g;ing sehr schnell. 185 1 wurden die ersten gefun- 
den. Wären vorher schon viele da gewesen, so würden 
sie bei der Grundfischerei gewiss bemerkt worden sein. 
Das Wasser musste erst 3 Procent Salz aufnehmen, ehe 
sie einwandern konnten. Angenommen, die ersten er- 
schienen schon 1840, so verbreiteten sie sich in 30 Jah- 
* ren über einen Grund von 1 5 Meilen Länge, rückten also 
jährlich im Durchschnitt um ^^2 Meile oder um mehr 
als 3700 Meter weiter. Die Bänke des Limfjords sind 
I bis 8 Kilometer von einander entfernt; ihre Länge 
beträgt i bis 7 Kilometer, ihre Breite weniger. Diese 
Verhältnisse lehren, dass die Austernbrut im Stande ist, 
sich über Strecken von acht Kilometer Länge fortzu- 
bewegen. 

Ebenso wie in den Limfjord würden die Austern 
auch in die Ostsee einwandern, wenn ihr Wasser die 
Eigenschaften des Nordseewassers annähme. Und dies 
würde geschehen, wenn die Verbindungen zwischen der 
Ost- und Nordsee breiter und tiefer würden, als sie 
gegenwärtig sind. Einst hatten sie eine grössere Breite 
und Tiefe und daher lebten einst Austern 4 Meilen öst- 
lich von dem Punkte, wo jetzt die Stadt Kiel steht. 
Das beweist die fossile Austernbank bei Waternevers- 
dorf im östlichen Holstein, die mit dem gesammten 
Boden der westlichen Ostsee mehr als 30 Meter ge- 
hoben wurde; durch diese Hebung wurden das Katte- 
gat, die Belte und der Sund flachere und schmälere 
Strassen für das in die Ostsee einströmende Nordsee- 
wasser, als sie in älteren Zeiten waren, in welchen 
die Austernbank von Waterneversdorf noch Austern 
erzeugte. 



54 Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austenibänke. 

Durch diese Hebung des Meeresbodens vor vielen 
Jahrtausenden ist der Salzgehalt nur sehr allmälich 
schwächer geworden. Jahrtausende später, als die 
Austernbank von Waterneversdorf schon lange Land 
geworden war, lebten Austern noch in solcher Menge 
an den Küsten der dänischen Inseln, dass sie den Men- 
schen des Steinalters in diesen Gegenden als Nahrung 
dienen konnten, denn in den Haufen von Küchen- 
abfällen aus jener Zeit liegen Massen von Austern- 
schalen. 

Und da die Austernschalen von Waterneversdorf 
und aus den Küchenabfällen der Steinzeit mit den 
heutigen Wattenmeeraustern völlig übereinstimmen; da 
sie ebenso wie diese von dem Austern- Bohrschwamm 
(Clione celata) durchlöchert sind, und da mit ihnen Kink- 
hornschnecken (Buccinum undatum) und andere Thiere 
des heutigen Wattenmeeres zusammenlebten, so müssen 
die äusseren Lebensverhältnisse im Meridian der heutigen 
Ostküste der cimbrischen Halbinsel in jenen Zeiten die- 
selben gewesen sein, wie jetzt im Westen von Schleswig- 
Holstein. Die Auster hat im Laufe von wenigstens 
zehntausend Jahren ihre Lebensthätigkeiten nicht ab- 
geändert; sie hat sich den Veränderungen, welche ihre 
Wohnstätten in einer so langen Zeit erfuhren, nicht an- 
gepasst, sondern sie ist diesen Veränderungen gewichen, 
obwohl dieselben ausserordentlich langsam vor sich 
gingen. Und daher wird es auch keiner menschlichen 
Kunst gelingen, in kurzer Zeit ihre Natur umzubilden 
und sie an das Wasser der heutigen Ostsee zu ge- 
wöhnen. 



Vergrösserung natürlicher u. Anlegung neuer Austernbänke. 5 5 



Ueber die Austernbänke im Limfjord, die Verbreitung der 
Austern bis in den südlichen Theil des Kattegats und über 
misslungene Versuche, Austern in der Ostsee anzupflanzen, 
handeln folgende dänische Schriften: 

Jonas CoUin, Om Östersfiskeriet i Limfjorden. (Mit 
einer Karte der Austernbänke. Kopenhagen 1872.) 

G. Winther, Om vore Haves Naturforhold med Hensyn 
til konstig Östersavl og om de i den Henseende anstillede 
Forsög. Kopenhagen 1876. 

F. Krogh, Den konstige Östersavl og dens Indförelse i 
Danmark. Hadersleben 1870. 

In den Archiven der königlichen Regierungen zu Stettin 
und Stralsund befinden sich die Akten über die 1830 und 1843 
angestellten Versuche, Austern an der pommerschen Küste 
anzusiedeln. 



5 6 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 



g. Die Altersstufen 

und die 

Reifefruchtbarkeit der Austern. 



Die schönen Hoffnungen, die deutschen Meeres- 
küsten mit fruchtbaren Austernbänken umsäumt und 
deutsche Austern als »Nahrungsmittel« auf allen Tischen 
zu sehen, müssen wir also aufgeben. Sowohl die Natur 
unserer Meere als auch die Natur der Austern zwingen 
uns dazu. Dieses mit voller Ueberzeugung zu begreifen, 
wird besonders denen schwer, welche die verbreitete 
Ansicht theilen, alle Eier, welche die Austern erzeugen, 
wären dazu bestimmt, reife Thiere zu werden. 

Die meisten Thiere, deren Eier und Junge vielen 
Angriffen und Zerstörungen ausgesetzt sind, legen sehr 
viel Eier. Am wenigsten Eier und Junge bringen die 
höchsten Thiere, die Vögel und Säugethiere und solche 
niedere Thiere hervor, welche ihre Keime so lange 
schützen und pflegen, bis diese selbst für ihre Erhaltung 
sorgen können. Wo die Brutpflege ganz fehlt oder nicht 
lange genug dauert, wird sie in vielen Fällen durch Er- 
zeugung so grosser Mengen von Eiern ersetzt, dass die 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 57 

feindlichen Angriffe, denen die Keime regelmässig aus- 
gesetzt sind, nicht im Stande sind, alle zu vertilgen. 
Ein gewisser Rest entgeht also der Vernichtung und 
gelangt zur Reife. 

Der Hakenbandwurm des Menschen (Taenia so- 
lium) erzeugt nach und nach in seinen achthundert Glie- 
dern gegen vierzig Millionen Bandwurmkeime, und der 
Spulwurm des Menschen (Ascaris lumbricoides) bildet 
in seinem Eierstock gegen 60 Millionen Eier. Unter den 
für diese Würmer normalen Lebensverhältnissen ent- 
wickeln sich von diesen ungeheuren Massen von Keimen 
nur sehr wenige so weit, dass sie wiederum Eier hervor- 
bringen. Und jedermann findet das begreiflich, weil 
niemand wünscht, dass jene 40 Millionen Bandwurm- 
keime und jene 60 Millionen Spulwurmkeime alle wieder 
reife Parasiten werden möchten. Man würde es ent- 
setzlich finden, wenn es geschähe. Dagegen wünscht 
man lebhaft, es möchten alle Schwärmlinge, welche die 
Austern aus ihrem Bart ins Meer entlassen, essbar grosse 
Thiere werden, weil sie ausgewachsen zu den feinsten 
Delikatessen gehören. 

Bei Beobachtungen und Untersuchungen, durch 
welche wir das Wirken der Natur so kennen lernen 
wollen, wie es wirklich geschieht, dürfen wir derartigen 
Wünschen keinen Einfluss auf unser Urtheil einräumen. 
Wer die Natur gerade da, wo er sich mit ihr beschäf- 
tigt, besonders anziehend, schön oder nützlich haben 
möchte, wird sich von dem Wege der strengen Natur- 
forschung leicht in das dunkle und grenzenlose Gebiet 
der Naturdeutung verirren. 

Die Natur bewirkt an jedem Punkte gerade das, was 
ihre daselbst zusammentreffenden Kräfte dem Entwick- 



jS Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 

lungszustande der Welt gemäss bewirken müssen. In 
ihrem grossen Ganzen giebt es keinen Nutzen und keinen 
Schaden. Angenehm oder widerlich, schön oder hässlich, 
nützlich oder schädlich erscheinen ihre Wirkungen nur 
in der Auffassung fühlender und denkender Wesen. 

Als die fossile Austembank, welche jetzt bei Blanke- 
nese unterhalb Hamburg 80 Meter hoch über dem Spiegel 
der Elbe liegt, noch aus lebenden Austern bestand, 
schadete es nichts, wird man sagen, dass die meisten 
ihrer Schwärmlinge nicht zur Reife gelangten, weil ja 
noch keine Menschen da waren, die sie hätten geniessen 
können. — 

Die Austern gehören zu denjenigen Thieren, welche 
sich nicht durch lange Brutpflege, sondern durch eine 
bedeutende Keimfruchtbarkeit eine Nachkommenschaft 
sichern. Sie besitzen die Fähigkeit, so viel Brut zu er- 
zeugen, dass für die abgehenden Alten immer wieder 
Nachkommen genug gross werden, um den Bestand der 
Austernbänke zu erhalten, trotzdem Sand, Schlick und 
ungünstige Temperaturen viele vernichten und andere 
Mitbewohner des Meeresgrundes sehr viele Junge ver- 
zehren, ehe ihre Schalen gross und dick genug sind, um 
ihnen vor Feinden Schutz zu gewähren. 

Die Menge der reifen Nachkommen einer Mutter- 
auster, selbst auf den besten Bänken, wo seit mehr als 
hundert Jahren die schönsten und fruchtbarsten holstei- 
nischen Austern gefischt werden, ist so gering, dass ich 
überzeugt bin, niemand würde meinen Worten Glauben 
schenken, wenn ich ihre Richtigkeit nicht durch Zahlen 
beweisen könnte. 

■ 

Die schleswig-holsteinischen Austernbänke wurden im 
Jahre 1587 von Friedrich IL, König von Dänemark und 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 59 

Herzog von Holstein- Gottorp als Regal in Besitz ge- 
nommen.^) Die Nutzung derselben wurde verpachtet, in 
der Regel für eine längere Reihe von Jahren. Um einer 
zu starken Befischung derselben vorzubeugen, Hess die 
Regierung von Zeit zu Zeit die Beschaffenheit der Bänke 
amtlich untersuchen. In Gegenwart von Abgeordneten 
der Regierung werden gewöhnlich auf jeder Bank an 
drei, auf grossen Bänken an sechs verschiedenen Stellen 
von beeidigten Austernfischern die Austernnetze aus- 
geworfen und alle gefangenen Austern nach Grösse und 
Alter in drei Sorten geschieden: 
i) in »Zahlbar Gut«, 

2) in »Junggut«, lind 

3) in »jungen Anwachs«. 

Unter »Zahlbarem Gut« werden die vollwüc'h- 
sigen Marktaustern verstanden. Ihre Schalen sind 
wenigstens 7 bis 9 Centimeter lang und breit; wenn sie 
geschlossen sind, beträgt ihr grösster Dickendurchmesser 
mehr als 18 Millimeter. Die gewölbte Klappe ist an 
dem Schliessmuskeleindruck und unter dem Bande 
6 bis 9 Millimeter dick. Die meisten vollwüchsigen 
Austern sind 7 bis 10 Jahr alt; doch kommen oft auch 
ältere vor, welche sich von den jüngeren durch eine 
bedeutendere Dicke der Schale unterscheiden. .Ueber 
zwanzig Jahre alte sind selten. Die ältesten, welche in 
meifle Hände gekommen sind, schätze ich auf 25 bis 
30 Jahr. Ihre gewölbte Schalenklappe war unter dem 
Bande und am Schliessmuskeleindruck 20 bis 25 Milli- 
meter dick. 

Das »Junggut« besteht aus halbwüchsigen 
Austern, deren Schalen im geschlossenen Zustande 
höchstens 16 bis 18 Millimeter Dicke haben. Die ein- 



6o Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 

zelnen Klappen sind unter dem Band und am Schliess- 
muskeleindruck höchstens 5 Millimeter dick. Ihre Breite 
beträgt meistens weniger als 9 Centimeter. Sie sind 
aussen reiner als die älteren Austern, auf welchen ge- 
wöhnlich Thiere und Pflanzen sitzen. 

»Jungen An wachs« nennt man die kleinen und 
dünnen Austern, die nicht älter sind, als ein bis zwei 
Jahr (Fig. 8 S. 27). 

In den Besichtigungsprotokollen wird verzeichnet, 
wie viel Stück »zahlbar Gut« und wie viel Stück »Jung- 
gut« in jedem Netzzug gefangen wurden. Der »Junge 
Anwachs« wird nicht gezählt, sondern es wird in den 
Protokollen nur angegeben, ob wenig oder viel bemerkt 
worden sei. 2) 

In der Zeit von 1730 bis 1852 wurden zehn Besich- 
tigungen aller Austernbänke des schleswig-holsteinischen 
Wattenmeeres ausgeführt. Stellt man die Summe alles 
zahlbaren Gutes und alles Junggutes dieser Besich- 
tigungen nebeneinander, so hat man eine Sammlung 
sehr verschiedener Zahlengrössen vor sich, welche keine 
herrschende Regel verrathen. Berechnet man aber aus 
diesen Zahlen das Verhältniss des zahlbaren Gutes zu 
dem Junggut für jede einzelne Besichtigung, so ergiebt 
sich das überraschende Resultat, dass dieses Verhältniss 
bei allen Besichtigungen nur geringen Schwankungen 
unterliegt. 

Die folgende Tabelle giebt eine Uebersicht der 
Summen des zahlbaren Gutes und des Junggutes, welche 
in jenen zehn Besichtigungen mit einander gefangen 
wurden. Aus diesen Summen habe ich berechnet, wie 
viel Stück Junggut auf 1000 Stück zahlbares Gut bei 
jeder Besichtigung fallen. 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 



6i 





Summe des 


Summe 


Verhältniss 


Besichtigungs- 
jahr. 


zahlbaren 


des 


des 
zahlbaren Jung- 


Gutes. 


Junggutes. 


Gutes "^^ gut. 


1730 


5394 


2602 


1000 


486 


1734 


16770 


5205 


1000 


310 


1740 


7185 


3007 


lOOO 


418 


1756 


6793 


3333 


1000 


490 


1795 


2078 


1006 


1000 


484 


1799 


2705 


831 


1000 


307 


1819 


2828 


1087 


1000 


388 


1830 


1956 


797 


1000 


417 


1839 


3272 


1552 


1000 


440 


1852 


3534 


1673 


1000 


473 


. 


Gesammtsumme : 
Mittelzahl : 


lOOOO 


4213 




ICXX) 


421,3 



Zwei der grössten und reichsten schleswig-holsteini- 
schen Austernbänke ; die Bank Huntje und die Bank 
Steenack lieferten in zehn Besichtigungen folgende 
Mengen zahlbares Gut und Junggut: 



Besichtigungs- 


Huntje. 


Steenack. 


jahr. 


Zahlbar Gut. 


Junggut. 


Zahlbar Gut. 


Junggut. 


1730 


355 


164 


158 


69 


1734 


1353 


874 


465 


90 


1740 


323 


158 


26 


HO' 


1756 


736 


99 


149 


35 


1771 


931 


66 


607 


197 


1795 


87 


461 


261 


106 


1799 


183 


119 


236 


56 


1819 


363 


173 


53 


79 


1830 


40 


3 


II 


4 


1852 


128 


64 


116 


58 


Summe : 


4499 


2181 


2082 


804 


Verhältniss : 


1000 


484 


1000 


385 



02 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 

Es steht also auf einzelnen Bänken die Summe des 
Junggutes zur Summe des zahlbaren Gutes in einem 
ähnlichen Verhältniss, wie im Durchschnitt auf allen 
Bänken zusammen. 

Durch diese Aehnlichkeit der Zahlen -Verhältnisse 
zwischen dem zahlbaren Gut und Junggut in verschiede- 
nen Jahren und auf verschiedenen Bänken wird ein Natur- 
gesetz offenbar, das ist unzweifelhaft. 

Das Junggut einer Austernbank besteht aus den 
Nachkommen des zahlbaren Gutes. Es ist die Zahl der- 
jenigen Schwärmlinge, die sich trotz aller Angriffe auf 
ihr Leben zu halbwüchsigen Austern ausbildeten. Das 
Junggut ist die Gesammtheit der herangewachsenen 
Keime der Bank. 

Tausend ausgewachsene Austern erzeugen, wie ich 
oben im 2. Kapitel gezeigt habe, in einer Brutperiode 
wenigstens 440 Millionen Schwärmlinge ; aber neben 
1000 ausgewachsenen Austern liegen- im Durchschnitt 
nicht mehr als 421 halbwüchsige. Es gehen also in 
der Regel für jede einzelne holsteinische Auster, die 
auf den Tisch kommt, mehr als 1,045,000 junge 
Schwärmaustern zu Grunde. Ja sicherlich noch mehr! 
Denn nicht blos die vollwüchsigen, über 6 Jahre alten 
Austern legen Eier, sondern schon zwei- und dreijährige 
fangen an, sich fortzupflanzen. Erzeugen die jüngeren 
Austern auch viel weniger Eier, als die vollwüchsigen, 
so schätze ich doch die Zahl der Schwärmlinge auf 
60 Millionen, welche in einer Brutperiode von den auf 
1000 vollwüchsige Austern kommenden halbwüchsigen 
entspringen, so dass also auf einer Austernbankfläche, 
welche von 1000 vollwüchsigen und 421 halbwüchsigen 
Austern bewohnt wird, im Laufe eines Sommers 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 63 

wenigstens 500 Millionen junge Austern ausschwärmen. 
Und von dieser ungeheuren Summe gelangen im Durch- 
schnitt nur 42 1 Stück zur Reife 1 — 

Die Opferung einer grossen Menge junger 
Keime ist das Mittel der Natur, wenigen Keimen 
die Reife zu sichern. 

Um die Begriffe Keimfruchtbarkeit und Reife- 
fruchtbarkeit verständlicher zu machen, will ich sie 
zur Vergleichung auch auf die Menschen anwenden. 

Nach Wappäus^) werden auf 1000 Menschen 34,7 ge- 
boren. Von 1000 Menschen erreichen nach Böckh*) 554 
das Alter der Reife, nämlich das zwanzigste Jahr oder 
ein höheres Alter; also werden durchschnittlich 34,7 Kin- 
der von 554 geschlechtsreifen Menschen erzeugt oder von 
1000 geschlechtsreifen Menschen 62,6 Keime. 

Da 1000 voUwüchsige Austern 440 Millionen Keime 
hervorbringen, so verhält sich die Keimfruchtbarkeit 
der Austern zur Keimfruchtbarkeit der Menschen wie 
440,000,000 zu 62,6 oder wie 7,028,754 zu i. Dagegen 
ist die Reife fr uchtbarkeit des Menschen 579,oo2mal 
so stark als die Reifefruchtbarkeit der Austern; denn 
von 1000 Menschenkeimen (Neugebornen) erreichen 
554 das Reifealter, von 440 Millionen neugebornen Men- 
schen also 243,760,000; während von 440 Millionen Austern 
nur 421 voUwüchsig werden. 421 verhält sich aber zu 
243,760,000 wie I zu 579,002. 

Ich bin vollkommen überzeugt, dass diese Zahlen die 
Reifefruchtbarkeit der Austern günstiger darstellen, als 
sie wirklich ist, weil auf tausend ausgewachsene Austern 
im Durchschnitt gewiss viel mehr als 440 Millionen 
Schwärmlinge fallen. 



64 Altersstufen und Reife fruchtbarkeit der Austern. 



Die Richtigkeit meines Beweises einer sehr geringen 
Reife fruchtbarkeit der Austern gegenüber ihrer er- 
staunlich grossen Keimfruchtbarkeit wird durch 
viele Erfahrungen der französischen und englischen 
Austernwirthschaft bestätigt. Im Jahre 1870 wurde in 
der Themsemündung nordöstlich von Whitstable eine 
kleine Austernbank entdeckt. Sie war ungefähr 18 Meter 
lang und 6 Meter breit. Achtundvierzig Stunden nach- 
her gingen daselbst 75 Böte auf und nieder, eines dicht 
neben dem andern, um die Austern wegzufischen. Auf 
jede alte Auster die gefangen wurde, kamen nur neun 
bis zehn junge Austern aller verschiedenen Alterstufen. 
Diese Bank hatte noch kein Mensch berührt. Die 
Austerngesellschaft befand sich also in ihrem natürlichen 
Zustande. 

Wer die geringe Reife fruchtbarkeit der Austern 
nicht kennt, und nur an ihre ungeheure Keimfruchtbar- 
keit denkt, wird die natürlichen Austernbänke für uner- 
schöpflich halten. Man hat auch wirklich geglaubt, dass 
dem Bestände einer Bank kein Schaden zugefügt werde, 
wenn man Millionen auf Millionen Austern davon ent- 
ferne ; denn man dachte, den Netzen der Fischer würden 
überall so viel Mutteraustern entgehen, als nöthig seien, 
um die weggefischten alten durch eine reichliche Zahl 
von nachwachsenden Schwärmlingen wieder zu ersetzen. 

Von diesem Standpunkt aus gab man in England 
die Austernfischerei im Jahre 1866 völlig frei. Aber die 
Folge der schonungslosen Befischung der Austernbänke 
war überall eine schnelle Verarmung derselben, wofür 
die amtlichen Berichte über Austernfischerei in Frank- 
reich und England eine Menge Belege enthalten. 

Bei Falmouth betrieben nach der Aussage des 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 65 

Mr. Webber, Mayors von Falmouth, 700 Mann mit 
300 Böten lohnende Austernfischerei, so lange die alten 
Schongesetze befolgt wurden. Seitdem man diese ausser 
Kraft gesetzt hat (im Jahre 1866) sind die Bänke so sehr 
verarmt, dass jetzt (1876) nur noch 40 Mann mit weniger 
als 40 Böten Austern fischen, und keines fängt täglich 
mehr als 60 bis 100 Stück, während früher jedes Boot 
in derselben Zeit 10,000 bis 12,000 Stück fischte. 

Eine vor der englischen Küste bei Dudgeon Light 
Hegende Austernbank, die eine ungeheure Menge Austern 
enthielt, unter denen viele sehr alte waren, wurde nach 
ihrer Entdeckung in den dreissiger Jahren im Laufe 
von 3 bis 4 Jahren sehr stark befischt und hat nach- 
her keine nennenswerthe .Zahl von Austern mehr ge- 
liefert. 

In dem Hafen von Emsworth waren in den vier- 
ziger Jahren dieses Jahrhunderts so viel Austern, dass 
ein Mann in einer Tide (in fünf Stunden) 1 5 bis 20 Tub 
(jedes zu 1600 Stück) fischen konnte. Später kamen 
70 bis 100 Fahrzeuge von Colchester dahin und fischten 
zwei bis drei Wochen lang so viel alte und junge 
Austern weg, dass im Jahr 1858 dort kaum noch zehn 
Fahrzeuge ihren Lohn fanden; und 1868 waren die 
Bänke derart verarmt, dass ein Fischer in 5 Stunden 
nicht mehr als 20 Austern zusammenschrapen konnte. 
So berichtete Mr. Messum, Austernhändler und Sekre- 
. tär einer Austern-Compagnie in Emsworth vor der Com- 
mission zur Untersuchung der britischen Austernfische- 
reien am I. Mai 1876. 

Auf den Bänken der Quartiere Roche fort, Ma- 
rennes und Ile d'0 1 er on an der Westküste von Frank- 
reich wurden 1853 — 54 10 Millionen Austern gefischt, 

Möbius, Auster. 5 



6S 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 



1854—55 15 Millionen. Durch fortdauernde starke Be- 
fischung wurden sie bald so arm, daSs sie 1863—64 nur 
noch 400,000 Austern auf den Markt lieferten. 

Die berühmten reichen Austernbänke in der Bai 
von Cancale (an der Küste der Normandie) gaben 
nach amtlichen Berichten folgende Summen Austern: 



Jahr. 


Zahl 
der Austern. 


Jahr. 


Zahl 
der Austern. 


1800 


1,200,000 


1828 


33,000,000 


1801 


1,500,000 


1829 


31,000,000 


1802 


1,300,000 


1830 


36,000,000 


1803 


900,000 


183 1 


42,000,000 


1804 


1,400,000 


1832 


38,000,000 


1805 


800,000 


1833 


41,000,000 


1806 


500,000 


1834 


46,000,000 


1807 


1 ,090,000 


1835 


43,000,000 


1808 


i,8qo,ooo 


1836 


40^000,000 


1809 


1,200,000 


1837 


36,000,000 


1810 


700,000 


1838 


44,000,000 


181 1 


1,130,000 


1839 


42,000,000 


1812 


1,100,000 


1840 


52,000,000 


1813 


600,000 


1841 


56,000,000 


1814 


400,000 


1842 


63,000,000 


1815 


800,000 


1843 


70,000,000 


1816 


2,400,000 


1844 


68,000,000 


1817 


5,600,000 


1845 


67,000,000 


1818 


5,300,000 


1846 


65,000,000 


1819 


6,800,000 


1847 


71,000,000 


1820 


6,700,000 


1848 


60,000,000 


1821 


6,000,000 


1849 


52,000,000 


1822 


11,800,000 


1850 


50,000,000 


1823 


18,000,000 


1851 


47,000,000 


1824 


20,000,000 


1852 


20,000,000 


1825 


20,000,000 


1853 


49,000,000 


1826 


25,000,000 


1854 


20,000,000 


1827 


28,000,000 


1855 


20,000,000 



Altersstufen und Reifefruchtbarlceit der Austern. 



Jahr. 


Zahl 
der Austern. 


Jahr. 


Zahl 
der Austern. 


1856 


18,000,000 


1863 


2,090,000 


1857 


19,000,000 


1864 


2,200,000 


1858 


24,000,000 


1865 


1,100,000 


1859 


16,000,000 


1866 


1,960,000 


1860 


8,000,000 


1867 


2,000,000 


1861 


9,000,000 


1868 


1,079,000 


1862 


3,000,000 







67 



Die Besichtigungsprotokolle der schleswig-holsteini- 
schen Austernbänke haben den Schlüssel zur Erklärung 
einer solchen Verarmung dieser reichen Austernbänke 
geliefert. Von 1800 bis 18 15 hatte man jährlich weniger 
als 2 Millionen Austern auf den Bänken von Cancale 
gefischt. So konnte sich ein grosser Vorrath markt- 
fähiger und laichender Austern ansammeln, dessen stär- 
kere Ausnutzung erst im Jahre 1822 anfing. Wenn die 
französischen Austern eben so lange leben, wie die 
schleswig-holsteinischen, so werden bis gegen das Ende 
der zwanziger Jahre noch Vorräthe aus der Ruhezeit 
der Napoleonischen Kriege auf den Bänken gelegen 
haben. Von da an lieferten wahrscheinlich nur die Ge- 
nerationen der zwanziger Jahre und dann der folgenden 
Jahrzehnte die immer reicheren Ernten. 

Von 1840 bis 1847 waren die Summen der gefange- 
nen Austern ausserordentlich gross; offenbar zu gross 
fiir die Reifefruchtbarkeit der Bänke, weil diese nachher 
von Jahr zu Jahr immer weniger Austern lieferten. Die 
Gesammtsumme der Austern, die 1840 bis 1847 ^^^ 
gefischt wurden, beträgt 512 Millionen; auf jedes dieser 
Jahre kommen durchschnittlich also 64 Millionen. Stellt 

5* 



68 Altersstufen nnd Reifefnichtbarkeit der Austern. 

diese Durchschnittszahl den natürlichen Vorrath markt- 
fähiger, vollwüchsiger Austern auf den Bänken von Can- 
cale dar, so hätte man jährlich nicht mehr als 26 bis 
27 Millionen fischen dürfen, wenn man ihnen diesen 
Grad von Ertragfähigkeit auf die Dauer erhalten wollte. 
Dieses behaupte ich unter der Voraussetzung, dass die 
Reifefruchtbarkeit der Austern in der Bucht von Can- 
cale nicht grösser war, als auf den schleswig-holsteini- 
schen Bänken. Stieg sie dort höher als in unserm 
Wattenmeere, kamen bei Cancale auf 1000 vollwüchsige 
Austern nicht 421, sondern z. B. 500 halbwüchsige, so 
hätte man bei einer Anwesenheit von 64 Millionen markt- 
fähiger Austern jährlich bis 32 Millionen entfernen dürfen, 
aber nicht mehr, wenn die Bänke denjenigen Grad von 
Keimfruchtbarkeit behalten sollten, welcher unentbehr- 
lich war, um 32 Millionen Austernkeimen zum Ersatz 
der jährlichen Ernte die Reife zu sichern. 

Nach der Verarmung der Bänke von Cancale sorgten 
die Aufsichtsbehörden für eine genaue Befolgung der 
Schonungsgesetze; sie erlaubten nicht mehr, dass alle 
marktfähigen Austern entfernt wurden; auf manchen ist 
daher schon eine bedeutende Vermehrung der Austern 
wieder eingetreten; denn 

1872 — 73 wurden 7,300,000 gefischt, 

1873—74 9,056,000, 

1874 — 75 9,342,000 Stück. 

Austernbänke schonen, heisst einen Vorrath von voll- 
wüchsigen Austern zur Fortpflanzung auf ihnen liegen 
lassen. Wie gross dieser Vorrath sein muss, ist nach 
der Reifruchtbarkeit der Austern jedes Gebietes oder 
noch besser jeder einzelnen Bank zu bestimmen. 



Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 69 

Nach den Erfahrungen der Austernfischer ist die 
grösste der schleswig-holsteinischen Austernbänke, die 
Bank Huntje, am fruchtbarsten. Ihre Reifefruchtbarkeit 
beträgt 484 pro Mille, ist also grösser als die mittlere 
Reifefruchtbarkeit der gesammten schleswig-holsteini- 
schen Austernbänke. 

Die Reifefruchtbarkeit kleinerer Bänke bleibt unter 
dem Mittel von 421 pro Mille zurück. So beträgt z. B. 
die Reifefruchtbarkeit der Bänke 

Steenack 385 pro Mille 

Hörnum » 3^9 >; »; 

Westen Amrum . . 165 „ „ 

Diese Bänke sind nur 1000 bis 1050 Meter lang und 
gegen 300 Meter breit, während die Huntje über 3 100 Me- 
ter lang und gegen 1200 Meter breit ist. 

Die schnelle Ausbreitung der Austern im Limfjord 
hat gelehrt, dass die Schwärmlinge derselben 4 bis 8 Kilo- 
meter weit wandern können, ehe sie sich niederlassen. 
Hat eine Austernbank eine geringe Ausdehnung, so sind 
die Schwärmlinge der Gefahr, über die Grenzen ihrer 
Bank hinauszuschwimmen, und auf unpassenden Grund 
zu gerathen, in einem höheren Grade ausgesetzt, als 
auf einer grossen Bank. 

Von gleichen Mengen ausschwärmender Keime werden 
grösseren Bänken mehr erhalten als kleineren, und wenn 
auf beiden alle sonstigen Lebensverhältnisse gleich sind, 
so muss auf ausgedehnteren Bänken eine grössere Zahl 
das Junggutalter erreichen, als auf kleineren Bänken. 



70 Altersstufen und Reifefruchtbarkeit der Austern. 

') Den offenen Brief, durch welchen der König -Herzog 
Friedrich IL die Austernbänke des Wattenmeeres vor der 
schleswig-holsteinischen und jütischen Küste in Besitz nahm, 
hat H. Kröyer in seiner Schrift: De danske Ostersbänker, 
Kjöbenhavn 1837, S. iio abgedruckt. Ins Deutsche übersetzt, 
lautet er also: 

«Wir Friedrich u. s. w. thun Allen kund und zu wissen: 
Nachdem wir in Erfahrung gebracht, dass in der Westsee im 
Riber Lehn eine Art Fisch, Osterling genannt, gefunden 
und gefangen werden soll, so haben wir unserm lieben Albert 
Friis, Vor-Raths- und Amtmann auf unserm Schlosse zu 
Ribe befohlen, dass er diese Art Fisch in unserem Namen 
fangen lasse und uns zuschicke ; und auf dass nicht künftighin 
Mangel derselben entstehe, so verbieten wir Allen und Jedem, 
wer es auch sei," Osterlinge daselbst zu fangen oder fangen zu 
lassen, mit Ausnahme Derjenigen, welche es in unserm Namen 
auf Befehl unsers Lehnsmannes zu Ribe thun. Sobald Jemand 
sich erdreistet, hiegegen zu handeln und er desselben recht- 
lich überwiesen werden kann, so soll er gestraft werden, wie 
es sich gebührt. Hiernach hat sich Jeder zu richten und vor 
Schaden in Acht zu nehmen. 

Geschehen zu Skanderborg, den 4. Februar 1587.» 

2) Die angeführte Kröyer' sehe Schrift enthält eine tabella- 
rische Uebersicht der Mengen zahlbaren Gutes und Junggutes 
der amtlichen Besichtigungen, welche von 1709 bis 1830 statt 
fanden. Diese Uebersicht und ausserdem Tabellen, die ich 
der Königlichen Regierung zu Schleswig verdanke, lieferten 
mir die Zahlen, aus welchen ich die Verhältnisse zwischen voll- 
wüchsigen und halbwüchsigen Austern berechnete. 

Die Besichtigungen vor dem Jahre 1730 habe ich unberück- 
sichtigt gelassen, theils weil im Anfange des i8ten Jahrhunderts 
eine Anzahl Bänke noch unbekannt waren, theils weil die Zahlen 
über die ersten 5 Besichtigungen (1769— 1728) keinen zuver- 
lässigen Eindruck machen. 

In den Jahren 1869 bis 1876 habe ich selbst an sechs amt- 
lichen Besichtigungen Theil genommen. Die Ergebnisse der- 
selben werde ich später mittheilen. 



Altersstufen und Reifefnichtbarkeit der Austern. 71 

^) Wappäus, Handbuch der Geographie und Statistik. 
Bd. I. 1855. Abth. I S. 197. 

*) R.Böckh, Sterblichkeitstafel für den Preussischen Staat 
im Umfange von 1865. Jena 1875. 

*) Die statistischen Mittheilungen über englische und fran- 
zösische Austemfischerei entnahm ich theils eigenen Aufzeich- 
nungen bei meinem Besuch der französischen und englischen 
Küsten, theils zwei amtlichen englischen Berichten: i) Re- 
port on the Oyster and Mussei Fisheries of France 
made to the Board of Trade by Cholmondeley 
Pennel, Inspector of Oysterfisheries, London 1868; 
2) Report from the select Commission on Oyster 
Fisheries; 1876. 

Diesen Berichten sind Uebersichten über die Erträge der 
französischen Austemfischerei angefügt, welche den Bericht- 
erstattern von den französischen Marine- und Fischereibehörden 
eingehändigt wurden. 



72 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 



10. Eine Austernbank 

ist eine 

Biocönose oder Lebensgemeinde. 

Die Verarmungsgeschichte der französischen Austern- 
bänke ist sehr lehrreich. Als die Bänke von Cancale 
durch schonungslose Ueberfischung von Austern fast ganz 
entblösst waren, nahmen Herzmuscheln (Cardium edule) 
ihre Stelle ein^ und auf den erschöpften Bänken bei 
Rochefort, Marennes und Ile d'Oleron erschienen Scharen 
von Miesmuscheln (Mytilus edulis). 

Die Gebiete der Austernbänke sind nicht von Austern 
allein bewohnt. Im schleswig-holsteinischen Watten- 
meere und auch in den Mündungen englischer Flüsse, 
wie ich selbst beobachtete, sind die Austernbänke die 
thierreichsten Stellen des Meeresbodens. Wenn die 
Austernfischer ein volles Netz auf dem Deck des Fahr- 
zeuges ausschütten, so arbeiten sich aus dem Haufen 
von Austernschalen und lebenden Austern behende 
Taschenkrebse (Carcinus maenas) und langsame 
Hörnerkrebse (Hyas aranea) hervor und suchen nach 
Wasser. Abgeriebene Schneckenhäuser fangen an sich 



Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 73 

ZU regen, weil die Einsiedlerkrebse (Pagarus bern- 
hardus), welche in ihnen Wohnung nahmen, Versuche 
machen, mit ihrer Behausung davon zu kriechen. Well- 
hornschnecken (Buccinum undatum) strecken ihren 
Körper so weit sie nur können, aus der Schale her- 
vor und drehen ihn mit allen Kräften bald nach der 
einen, bald nach der andern Seite, um sich wieder ins 
Wasser zu rollen. Rothe Seesterne mit fünf breiten 
Armen (Asteracanthion rubens) liegen platt am Boden 
und kommen nicht von der Stelle, obwohl sie Hunderte 
von schlauchförmigen Füsschen in Bewegung setzen. 
Seeigel von der Grösse kleiner Aepfel, starrend von 
grünlichen Stacheln (Echinus miliaris) ruhen regungslos 
in dem Haufen. Hier und da schlüpft ein bläulich schil- 
lernder Ringelwurm (Nereis pelagica) unter der theils 
todten, theils lebenden Masse hervor. Schwarze Mies- 
muscheln (Mytilus edulis) und weisse Herzmuscheln 
(Cardium edule) liegen fest geschlossen wie die Austern 
da. Selbst die Schalen der lebenden Austern sind be- 
wohnt. Austern pocken, (Baianus crenatus) mit zelt- 
förmigen Kalkschalen und rankenförmigen Füssen, be- 
decken manchmal die ganze Oberfläche einer ihrer 
Klappen. Sehr oft sind sie mit spannenlangen gelblichen 
Klunkern behängt, deren jede eine Gemeinschaft von 
Tausenden kleiner Gallert-Moosthiere ist (Alcyoni- 
dium gelatinosum), oder sie sind von einem gelblichen 
Schwamm überzogen, (Halichondria panicea), dessen 
weiches Gewebe feine Kieselnadeln enthält. Auf 
manchen Bänken sind sie mit dicken Klumpen von 
Sand beschwert, den kleine Röhrenwürmer, soge- 
nannte Sandrollen (Sabellaria anglica) durch ihren 
Hautschleim orgelpfeifenartig zusammenkitten, um auf 



J4 ^ii^^ Austembank ist eine BiocÖnose oder Lebensgemeinde. 



einer festen Unterlage gesellig neben einander zu 
wohnen. 

Auf einigen Bänken bei der Südspitze von Sylt, wo 
sich die wohlschmeckendsten Austern unseres Watten- 
meeres ausbilden, wachsen auf Austern-Schalen Röhren- 
würmer (Pomatoceros triqueter), deren weisse, drei- 
kantige Kalkröhre oft wie ein grosses lateinisches S 
gekrümmt ist. Hier tragen die Schalen vieler Austern 
auch sogenannte Seehände (Alcyonium digitatum), das 
sind weisse oder gelbe Polypenstöcke von der Grösse 
und Form eines plumpen Handschuhes. 

Oft auch sind die 'Schalen der Austern mit braunem 
Rasen überzogen, der aus baumförmigen Polypen 
(Eudendrium rameum und Sertularia pumila) besteht, 
oder mit Büscheln gelblicher, fast fingerlanger Röhrchen 
bewachsen, an deren Enden röthliche Polypen sitzen. 
(Tubularia indivisa). Ueber diese Polypen hinaus ragen 
längere Bäumchen, welche licht- gelbliche oder bräun- 
liche, glänzende Polypenkelche tragen (Sertularia argentea). 

Sogar in der Kalkmasse der Schalen siedeln sich 
Thiere an. Sehr oft sind sie von aussen bis zur inner- 
sten Schicht hin, an welcher der Mantel der lebenden 
Auster liegt, von einem Bohrschwamm (Clione celata) 
durchlöchert; und in den Zwischenräumen der Schalen- 
schichten alter Austern verkriecht sich ein grünlich- 
braunes Borstenwürmchen (Dodecaceraea concharura), 
das zwölf lange Fühlfäden im Nacken trägt. Ich habe 
einmal alle Thiere, die auf zwei Austern sassen, einzeln 
abgenommen und gezählt. Auf der einen wohnten 104 
und auf der andern 221 Thiere dreier verschiedenen 
Arten. 

Auch Fische bringt das Austernnetz zuweilen mit 



Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 7 5 

herauf, obgleich es wenig geeignet ist, diese einzufangen. 

■ 

Schollen (Platessa vulgaris), die sich durch Aufschnellen 
aus dem Schiffe wieder ins Wasser zu retten suchen, 
oder Steinpicker (Aspidophorus cataphractus) und 
Nagelrochen (Raja clavata), die mit dem- Schwänze 
um sich schlagen, sind auf den Austernbänken häufig. 

Ausser den angeführten Thieren leben daselbst aber 
noch viele Arten grösserer Thiere, die weniger massen- 
haft in die Netze gerathen, und verborgen zwischen den 
grösseren leben eine Menge kleiner Thierchen, die man 
nur mit Vergrösserungsgläsern, mit Lupen und Mikro- 
skopen, sehen kann. 

Pflanzen wachsen wenig auf den Austernbänken. 
Seegras (Zostera marina) hat sich nur auf einer ein- 
zigen Bank des Wattenmeeres über die Lagerstätte der 
Austern verbreitet. Auf einigen Bänken findet man 
rothbraune Algen (Florideen). In dem Wasser, welches 
über die Austernbänke läuft, schweben mikroskopische 
Bandalgen (Desmidieen) und Spaltalgen (Diatoma- 
ceen), welche den Austern als Nahrung dienen. 

Wirft man das Schleppnetz im Wattenmeere an 
Bodenstrecken aus, die zwischen den Austernbänken 
liegen, so fängt man viel weniger Thiere, und man er- 
hält auf schlickigem Grunde andere Arten, als auf 
Sandgrund. 

Jede Austernbank ist gewissermassen eine Gemeinde 
lebender Wesen, eine Auswahl von Arten und eine 
Summe von Individuen, welche gerade anf dieser Stelle 
alle Bedingungen für ihre Entstehung und Erhaltung 
finden, also den passenden Boden, hinreichende Nahrung, 
gehörigen Salzgehalt und erträgliche und entwicklungs- 
günstige Temperaturen. 



76 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 



Jede daselbst wohnende Art ist durch die grösste 
Zahl von Individuen vertreten, die sich den vorhandenen 
Umständen gemäss ausbilden konnten; denn bei allen 
Arten ist die Zahl der ausgereiften Individuen jeder 
Fortpflanzungsperiode kleiner, als die Summe der er- 
zeugten Keime war. 

Die Gesammtheit der herangewachsenen Individuen 
aller in einem Gebiet zusammenwohnenden Arten ist der 
übriggebliebene Rest aller Keime der vorhergegangenen 
Brutperioden. Dieser Rest der ausgereiften Keime ist 
ein gewisses Quantum Leben, welches in einer gewissen 
Summe von Individuen auftritt und welches, wie alles 
Leben, durch Fortpflanzung Dauer gewinnt. 

Die Wissenschaft besitzt noch kein Wort für eine 
solche Gemeinschaft von lebenden Wesen, für eine den 
durchschnittlichen äusseren Lebensverhältnissen ent- 
sprechende Auswahl und Zahl von Arten und Individuen, 
welche sich gegenseitig bedingen und durch Fortpflan- 
zung in einem abgemessenen Gebiete dauernd erhalten. 
Ich nenne eine solche Gemeinschaft Biocoeriosis*) oder 
Lebensgemeinde. 

Jede Veränderung irgend eines mitbedingenden Fak- 
tors einer Biocönose bewirkt Veränderungen anderer 
Faktoren derselben. Wenn irgend eine der äussern 
Lebensbedingungen längere Zeit von ihrem früheren 
Mittel abweicht, so gestaltet sich die ganze Biocönose 
um; sie wird aber auch anders, wenn die Zahl der 
Individuen einer zugehörigen Art durch Einwirkungen 
des Menschen sinkt oder steigt, oder wenn eine Art 



^) Von ßloq, das Leben, und xoiyotiy^ (.twas gemeinschaftlich haben. 



Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 'JJ 

■ ■ . 

ganz ausscheidet oder eine neue Art in die Lebens- 
gemeinde eintritt. 

Als grosse Mengen Austern von den reichen Bänken 
bei Cancale, Rochefort, Marehnes und d'Oleron entfernt 
waren, standen den Schwärmlingen der dort lebenden 
Herzmuscheln und Miesmuscheln mehr Wohnplätze und 
mehr Nahrung zur Verfügung als vorher, und so gelangten 
sie in grösserer Anzahl zur Reife als in früheren Zeiten. 
Die Biocönose jener französischen Austernbänke wurde 
also durch Ueberfischung gänzlich verändert. Ehe nicht 
die Zahl der Herzmuscheln und Miesmuscheln wieder 
auf ihren früheren geringen Bestand zurück gebracht 
worden ist, können sich daselbst Austern nicht wieder 
in solchen Mengen wie ehemals ausbilden, weil der 
Boden bereits besetzt ist und andere Muscheln die 
Nahrung wegnehmen. 

Die Biocönose lässt ^ich zu Gunsten der Austern 
umgestalten durch Wegfischen der erwachsenen Herz- 
und Miesmuscheln und durch gleichzeitige Schonung der 
Austern, damit deren Schwärmlinge die freiwerdenden 
Wohnplätze sofort wieder in Besitz nehmen. 

Raum und Nahrung gehören zu den ersten Grund- 
lagen jeder Lebensgemeinde, auch einer Lebensgemeinde 
im grossen Meere. Austernbänke bilden sich nur auf 
festem, schlickfreiem Grunde. Lassen sich hier die 
Austernschwärmlinge dicht neben einander nieder, wie 
auf den künstlichen Sammelkörpern in der Bucht von 
St. Brieuc geschah, so stossen ihre wachsenden Schalen 
bald zusammen und verkrüppeln, und ihr Wachsthum 
schreitet sehr langsam fort, weil jeder einzelnen Auster 
weniger Nährstoffe zufliessen, wenn sie in Haufen dicht 
beisammensitzen, als wenn sie zerstreut liegen. 



yS Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 

In einem Austernzuchtteich auf der Insel Hayling 
in Süd-England sah ich im Mai 1869 dreijährige Austern, 
die sich als Schwärmlinge auf Hürden niedergelassen 
hatten. Fast alle hatten verbogene Schalen, welche 
nicht grösser waren als 2 bis 3 Centimeter, während 
eine dreijährige holsteinische Auster 5 bis 6,5 Centimeter 
breit ist. Offenbar waren sie deshalb so klein geblieben, 
weil sie in dem Zuchtteichfe täglich weniger Nahrung 
erhielten, als Austern im freien Meere. 

In Arcachon müssen die Austernzüchter die Austern 
von den Brutsammlern ablösen, um sie in Kasten und 
dann in Teichen gross zu ziehen. In diesen dürfen sie 
nicht zu eng bei einander liegen, wenn sie gut wachsen 
sollen. Selbst auf den besten Austernbänken bleiben 
die Austern mager, wenn sie zu dicht liegen. Fischt 
man einen Theil solcher schlechtgenährten Austern weg, 
so werden die zurückgelassenen, wie man auf der Huntje, 
der grössten und fruchtbarsten der schleswig-holsteini- 
schen Bänke erfahren hat, bald fetter, d. h. ihre Ge- 
schlechtsdrüsen nehmen einen grösseren Umfang an, 
weil in ihnen mehr Eier oder Befruchtungsfäden entstehen, 
als in mageren Austern. 

Ueberschreitet also einmal eine Austernbank ihre 
mittlere Reifefruchtbarkeit, so erhält jede einzelne der 
übermässigen Menge ihrer voll- und halbwüchsigen 
Austern keine hinreichende Nahrung, um ein volles 
Maass von Keimen zu erzeugen, wodurch die Keimfrucht- 
barkeit und also auch die Reifefruchtbarkeit der ganzen 
Bank bald wieder auf ihren gewöhnlichen Stand zurück- 
gebracht wird. 

Da diese Erscheinung auch auf der fruchtbarsten 
jschleswig-holsteinischen Austernbank eintritt, deren Reife- 



Eine Austembänk ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. ^9 

fruchtbarkeit 484 auf 1000 erreicht, während sie im 
Durchschnitt für alle Bänke nur 421 auf looo beträgt 
(S. 62), so ist eine Reifefruchtbarkeit von 484 auf icxx) 
wohl die höchste, welche Austern unter den biocöno- 
tischen Verhältnissen unseres Wattenmeeres dauernd er- 
reichen können. 

Bei Auray in der Bretagne sammeln die Austern- 
züchter viel mehr Austernbrut, als sie gross ziehen 
können; dazu fehlt ihnen der Raum und die Nahrung. 
Finden sie für ihre jungen Austern keine Abnehmer, 
die sie in nahrungsreichem Wasser bis zur Marktgrösse 
ausbilden können, so bleibt der Gewinn ihrer Austern- 
zucht aus. 

Es geht also mit den Austern gerade so, wie mit 
andern Thieren. Die Zunahme ihrer Masse hängt von der 
Menge der Nahrung ab, die sie erhalten und verarbeiten. 

Die jütischen Bauern züchten viel junges Rindvieh, 
aber um alle ihre Kälber aufzuziehen und fett zu machen, 
fehlt ihnen das Futter, und sie verkaufen daher viel 
Jungvieh an die Marschbauern der schleswig-holsteini- 
schen Westküste, die es auf ihren Futterweiden gross 
ziehen und mästen. 

Zu dem adligen Gute Hagen bei Kiel gehört ein 
über 80 Hektar grosser Karpfenteich, der je drei Jahre 
trocken liegt und während dessen mit Hafer und Klee 
bebaut wird. Dann staut man das Wasser und setzt 
30,000 einjährige Karpfen hinein, welche nach drei Jahren 
in der Regel 40,000 Pfund Speisefische liefern. 

Um einen noch grösseren Ertrag zu erzielen, setzte 
man einmal mehr als 30,000 junge Karpfen in den Teich. 
Nach drei Jahren lieferte derselbe wohl eine grössere 
Zahl Fische als früher, aber alle zusammengenommen 



80 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 

wogen doch nicht mehr als 40,000 Pfund. Das Quantum 
Nahrung, welches der Teich in drei Jahren darbot, reichte 
also bloss zur Ausbildung von 40,000 Pfund Karpfen aus. 

Austern durch künstliche Fütterung zu nähren 
und zu mästen, halte ich nicht für ausführbar, obgleich 
in Nordamerika und auch in Europa Versuche gemacht 
worden sein sollen, Parkaustern mit Maismehl zu füttern. 
Die Austernnahrung besteht aus sehr kleinen organischen 
Massen, welche im Wasser schweben. Wollte man den 
Austern eines Bettes solche künstlich zufuhren, indem 
man das Wasser mit breiartig zerriebenem Fleisch, mit 
Knochenmehl, Fischguano oder Getreidemehl versetzte, 
so dürfte man das Wasser nicht abfliessen lassen, ehe 
diese Stoffe verzehrt wären. Dadurch würden aber 
sicherlich eine Menge Fäulnissgase auf dem Lager der 
Austern erzeugt und zurückgehalten werden. Anstatt 
die Auster zu mästen, würde man sie krank machen 
und tödten. 

Unter den äussern Lebensbedingungen einer Biocö- 
nose spielt die Temperatur eine wichtige Rolle. 

In unsern wechselwarmen Meeren sind milde Winter 
und eine höhere Temperatur in der darauf folgenden 
Brut- und Schwärmzeit besonders günstig für die Aus- 
bildung einer grossen Menge Keime. 

Alle lebendigen Glieder einer Lebensgemeinde halten 
mit ihrer Organisation den physikalischen Verhältnissen 
ihrer Biocönose das Gleichgewicht, denn sie erhalten sich 
und pflanzen sich fort gegenüber allen Einwirkungen 
äusserer Reize und gegenüber allen Angriffen auf das 
Fortbestehen ihrer Individualität. Obgleich jede Art 
anders organisirt ist, in jeder also andere Kräfte zur 
Bildung und Erhaltung der Individuen zusammenwirken; 



Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 8 1 



obgleich daher jede Art ihr eigenes organisches Aequi- 
valent hat, so besitzen doch alle dieselbe Sättigungs- 
kraft für die Gesammtheit der äusseren Lebens- 
bedingungen ihrer Biocönose. Alle Arten müssen da- 
her eine Abweichung der Lebensbedingungen von 
dem gewöhnlichen Maasse mit entsprechenden Wir- 
kungen ihrer Kräfte beantworten; daher steigern alle zu- 
gleich ihre Lebensthätigkeiten oder mindern sie zugleich. 
Macht günstige Witterung die eine Art fruchtbarer, so 
erhöhet sie auch die Fruchtbarkeit der übrigen Arten. 
Entstehen auf einer Austernbank mehr junge Austern, 
weil die alten wärmer lagen und mehr Nahrung er- 
hielten, als in gewöhnlichen Jahren, so bringen auch 
die Schnecken, Krebse, Seeigel, Seesterne und die 
übrigen Arten derselben Lebensgemeinde mehr Junge 
hervor, wie wiederholt beobachtet worden ist. Da aber 
für die Ausreifung aller im Uebermaass erzeugten Keime 
weder Platz noch Nahrung genug vorhanden ist, so sinkt 
die Gesammtzahl der Individuen der Lebensgemeinde 
bald wieder auf ihr früheres Maass zurück. Das Ueber- 
maass, welches die Natur durch Steigerung einer der 
biocönotischen Kräfte erzeugte, wird also durch das 
Zusammenwirken aller biocönotischen Kräfte wieder ver- 
nichtet. Immer tritt bald wieder das biocönotische 
Gleichgewicht ein. 

Wo der Mensch im Stande ist, einem erzeugten 
Uebermaass von Keimen passende Wohnplätze und Nah- 
rung zu verschaffen, da kann eine grössere Zahl derselben 
zur Reife gelangen, als in einer rein natürlichen Biocönose. 

Die Austernzüchter von Arcachon und Auray 
steigern die Reifefruchtbarkeit der Austern im hohen 
Grade dadurch, dass sie Ziegel für die Schwärmlinge 

MöbiuSj Auster. O 



82 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 



auslegen, dann den jungen von den Ziegeln abgelösten 
Austern ein passendes Lager bereiten und ihnen nahrungs- 
haltiges Wasser zutrömen lassen. 

Wenn in einer Biocönose die Zahl der Individuen einer 
Art künstlich gemindert wird, so steigt die Zahl der 
ausreifenden Individuen anderer Arten. An der West- 
küste von Frankreich nahmen Herz- und Miesmuscheln 
die Stelle der weggefischten Austern ein. In den frucht- 
baren Ebenen Nordamerikas nähren sich statt der ehe- 
maligen grossen Herden wilder Büffel (Bos americanus) 
jetzt zahme Rinder und Pferde. 

Wird in einer Biocönose die Keimfruchtbarkeit einer 
Art durch Vertilgung vieler fortpflanzungsfähigen Indi- 
viduen künstlich erniedrigt, während alle anderen Kräfte 
der Biocönose in früherer Stärke fortwirken, so muss 
auch die Reifefruchtbarkeit dieser Art sinken. Durch 
Ueberfischung hat man eine Menge der fruchtbarsten 
westeuropäischen Austernbänke verödet. Der frühere 
Fischreichthum vieler süssen Gewässer ist durch scho- 
nungsloses Wegfangen der kaum geschlechtsreif gewor- 
denen Fische verschwunden. 

Es ist natürlich, dass auf solche Jahre, in welchen 
auf einem Gebiete sehr viel Heringe, Lachse oder Störe 
gefangen wurden, gewöhnlich Jahre folgen, in denen 
weniger Fische derselben Art erscheinen, weil durch die 
früheren reichen Fänge sehr viel keim erzeugende Indivi- 
duen vernichtet wurden. Wird in einem Subtraktions- 
exempel der Minuend verkleinert während der Subtrahend 
sich gleich bleibt, so bleibt ein kleinerer Rest übrig. 

Bei anhaltender künstlicher Vernichtung keim- 
erzeugender Individuen kann die Keimfruchtbarkeit einer 
Artgemeinde in einem solchen Maasse sinken, dass sie 



Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 83 



endlich gar nicht mehr im Stande ist, Keime genug her- 
vorzubringen , um den gewöhnlichen natürlichen An- 
griffen ihrer Biocönose gegenüber stets noch einem 
gewissen Reste ihrer Keime die Reife zu sichern; sie 
stirbt daher aus. 

So ist der Dodo (Didus ineptus) auf der Insel 
Mauritius im i/ten Jahrhundert ausgestorben, nachdem 
die Portugiesen 1507 die Biocönose dieser Insel durch 
Einführung von Schweinen und anderen Thieren gestört 
und später die Holländer viele dieser Vögel schonungs- 
los getödtet hatten. Auch lebt jetzt keine Schildkröte 
mehr auf Mauritius, während daselbst nach schriftlichen 
Zeugnissen wenigstens bis zum Jahre 1740 leicht Hun- 
derte zur Verproviantirung von Schiffen gefangen werden 
konnten. Sicherlich werden die Schweine viele junge 
Dodos und Schildkröten gefressen haben. 

Der Biber (Castor fiber) wird vielleicht bald gänz- 
lich aus unserem biocönotisch umgestalteten Erdtheil 
verschwinden. Der grönländische Walfisch (Balaena 
mysticetus) ist nach den Verfolgungen, welchen er im 
I7ten, i8ten und iQten Jahrhundert ausgesetzt war, bei 
Spitzbergen und Grönland gegenwärtig eine seltene Er- 
scheinung geworden. 

Jedes biocönotische Gebiet hat in jeder Generations- 
periode das höchste Maass von Leben, welches es zu 
bilden und zu erhalten im Stande ist. Aller daselbst 
vorhandene organisirbare Stoff wird von den dort er- 
zeugten Wesen völlig in Anspruch genommen. Daher 
sind wohl an keinem belebungsfähigen Orte der Erde 
noch organisirbare Stoffe für Urzeugungen übrig. — 

Soll in einer Biocönose die Reifefruchtbarkeit einer 
Art ihre Höhe behalten, obwohl die Zahl der keim- 

6* 



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I 



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84 Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 

erzeugenden Individuen künstlich vermindert wird, so 
müssen zu gleicher Zeit die natürlichen keimzerstörenden 
Ursachen künstlich verringert werden. 

In der Bucht von Arcachon bringt man dadurch eine 
ungewöhnlich grosse Zahl von jungen Austern zur Markt- 
grösse, dass man sie durch künstliche Mittel vor ihren 
Feinden schützt. 

Der Rest eines Subtraktionsexempels kann sich 
gleichbleiben oder er kann zunehmen, wenn mit dem 
Minuenden zugleich auch der Subtrahend verkleinert wird. 

Die Menge der Individuen einer Art kann auf die 
Dauer steigen, wenn ihr biocönotisches Gebiet erweitert 
wird. Als sich der Limfjord mit Nordseewasser ge- 
füllt hatte, nahm die Zahl der reifen Austern im Gebiete 
der dänischen Nordseeküsten um mehr als sieben Millio- 
nen zu. (S. 52.) 

Die Austernbetten in der Bucht von Arcachon, die 
Claires an der Mündung der Seudre (S. 48) sind künst- 
liche Erweiterungen der Austerngebiete. 

Von Kulturpflanzen und Hausthieren werden unge- 
heure Summen Individuen ausgebildet, weil der Mensch 
ihre biocönotischen Gebiete künstlich vergrössert hat 
Diese künstliche Vermehrung der Kulturpflanzen und 
Hausthiere ist die Grundlage für die Steigerung der 
Keim- und Reifefruchtbarkeit der Menschen, für die 
Ausdehnung des biocönotischen Gebiets der Species 
Homo sapiens. — 

Der durchschnittliche Ertrag unserer Wälder, Aecker 
und Gärten ist das Resultat natürlicher Kräfte und 
menschlicher Arbeit. Neben den chemischen und phy- 
sikalischen Kräften des Bodens und der Atmosphäre 
und den organischen Kräften der wilden und kultivirten 



Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 85 

Pflanzen und Thiere spielen die körperlichen und geisti- 
gen Kräfte der Menschen in der Wald- und Landwirth- 
schaft eine wichtige Rolle; denn einen bedeutenden An- 
theil an der Höhe der Ernten haben ausser den zahl- 
reichen Wald-, und Feldarbeitern die Fabrikanten der 
Wirthschaftsgeräthe, die Mechaniker und Optiker, welche 
Instrumente zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen 
liefern, so wie die Gedankenarbeiten der Land- und Forst- 
leute und vieler Naturforscher. 

Den durchschnittlich gleichförmig wirkenden Natur- 
kräften gegenüber dürfen diese vielfältigen, in einander 
greifenden menschlichen Arbeiten niemals ruhen, wenn 
man von den künstlichen Biocönosen der kultivirten 
Ländereien auf die Dauer Mittelerträge erzielen und 
Avenn man verhindern will, dass die Natur sich in jedem 
Gebiete ihre eigenen Biocönosen wieder einrichtet. 

Dies alles Hess man bei der Nutzung der westeuro- 
päischen Austernbänke in den. letzten Jahrzehnten un- 
beachtet. Man fischte Millionen auf Millionen Austern 
von den Bänken und war erstaunt, als man bemerkte, 
dass ihre Produktivität abgenommen hatte. Obwohl man 
die Zahl der keimerzeugenden Thiere ausserordentlich 
verminderte, wollte man dennoch in jedem Jahre eine 
gleich grosse Menge reifer Nachkommen ernten. 

Man verlangte für die Austern eine Ausnahme von 
den biocönotischen Gesetzen, nach denen sich eine er- 
haltungsmässige Feld- und Waldwirthschaft zu richten hat. 

In England giebt es Austernzüchter, welche zur 
vollen Befriedigung ihrer alljährlichen hohen Forderungen 
an die natürlichen Austernbänke und an die Austern- 
betten wünschen, dass jedes Jahr gerade in der Brutzeit 
ihres Austerngebiets die Temperatur auf 18 bis 20 Grad C. 



86 Eine Austernbank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 

stehen bleibe, dass kein Wind wehe und kein Gewitter 
das gute Wetter plötzlich störe, damit kein Austern- 
schwärmling zu Grunde gehe. 

In Frankreich erwartete man, dass die Millionen 
Keime, welche eine erwachsene Auster hervorbringt, 
alle zu Marktaustern heranwachsen würden, wenn man 
sie nur auf passenden Ansatzkörpern eingefangen hätte. 
Man glaubte also, sie könnten durch ein Wunder gross 
werden. Denn das Meer führte dem Lagerplatze der 
vielen Millionen junger Austern nicht im geringsten 
mehr Nahrungsstofife zu, als es früher dahin brachte, um 
die kleinere Anzahl, die sonst dort aufwuchs, gross zu 
ziehen. 

In Deutschland verlangt man„ Austern sollen auf 
wandelbaren Sandbänken und auf Schlickgrühden wohnen 
und gedeihen und sich an das schwachsalzige Ostsee- 
wasser gewöhnen; aber dabei sollen sie Wesen bleiben 
von derselben Zartheit und Feinheit des Geschmackes 
wie die Austern der guten schleswig-holsteinischen Bänke. 

Nur durch Wunder, durch Ausnahmen von den noth- 
wendigen Wirkungen der Naturgesetze für besondere 
einzelne Fälle könnten solche Forderungen erfüllt werden. 
Die Form unserer Küsten und der vor ihnen liegenden 
Inseln, die Richtung der Flussmündungen, die Fluth- 
und Ebbeströmungen müssten verändert werden, wenn 
die Austern in unserm ganzen Wattenmeere gedeihen 
sollten; an die Stelle der natürlichen Austern-Biocönosen 
müssten also künstliche gesetzt werden, wie die Land- 
leute und Gärtner für 'die Kultur der Acker- und Garten- 
gewächse einrichten. 

Und wenn die Auster in der heutigen Ostsee wohnen 
sollte, müsste sie ihre physiologischen Thätigkeiten so 



Eine Austembank ist eine Biocönose oder Lebensgemeinde. 8? 



verändern, dass sie bei grösseren Schwankungen des 
Salzgehaltes gedeihen könnte, als in der Nordsee, d. h. 
sie müsste ein anderes Thier werden, dabei aber doch 
den Geschmack der Auster bewahren. Man hat zwar 
tausendmal erfahren, dass die meisten Schmeck- und 
Riechstoffe in Pflanzen und Thieren nur unter ganz be- 
stimmten äusseren Lebensbedingungen zur Ausbildung 
kommen, aber zu Gunsten der Austern verlangt man 
eine Ausnahme von diesem Naturgesetz. Man will, dass 
Wunder geschehen, um sie den Vielen, welche jetzt mit 
ihnen bekannt geworden sind, ebenso reichlich und billig 
zuführen zu können, wie einst den wenigen Austern- 
freunden, die in vergangenen Zeiten sie zu schätzen 
verstanden. 



88 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. 



II. Zunahme 

der Austernesser und Austernpreise 

und Abnahme der Austern. 

Es giebt in England Austernzüchter und Austern- 
kundige, welche behaupten: Nicht durch übermässige 
Befischung, sondern durch eine lange Reihe ungünstiger 
Brutjahre sind die Austernbänke verarmt. Nach ihren 
Beobachtungen sollen seit 1857, 1858 und 1859 keine 
reichen Brüten mehr gefallen sein. 

Dies mag für eine Anzahl Austernstätten zutreffen, 
hat aber für den Betrieb einer dauernd einträglichen 
Austernwirthschaft keine Bedeutung, da diese nicht nach 
aussergewöhnlichen günstigen Sommern, sondern nach 
dem Durchschnittsklima einzurichten ist Und dass sich 
dieses in Westeuropa in unserm Jahrhundert, also in 
der Zeit der Verarmung und Erschöpfung vieler west- 
europäischer Austernbänke nicht verändert hat, beweisen 
die Temperaturbeobachtungen, welche seit 1806 auf der 
Pariser Sternwarte angestellt wurden. Nach diesen ist 
die mittlere Jahrestemperatur von Paris in unserm Jahr- 
hundert bis jetzt auf 10,8® C. stehen geblieben, woraus 



Zunahme der Austemesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. 89 

folgt, dass im westlichen Europa die durchschnittliche 
AVärme nicht gesunken ist. 

In mehreren Austerngebieten an der Westküste von 
Frankreich ist auch nach 1859 viel Austernbrut auf- 
getreten. 1860 erschien viel Brut auf den Bänken bei der 
Insel Re und bei Rocher d'Aire, während in der- 
selben Brutperiode Arcachon wenig hatte. 1861 war 
für alle drei Plätze ein gutes Brutjahr; 1862 für Ile Re 
schlecht, für die beiden andern gut; 1865 trat in der 
Bucht von Arcachon sehr viel Brut auf, aber bei Rocher 
d'Aire und Ile Re wenig. 

Diese Thatsachen zeigen, dass locale Verhältnisse 
die Erzeugung von Austernbrut in einem und dem- 
selben Jahre entweder begünstigen oder stören können. 
Mr. F. Penneil theilte sie am 6. April 1876 der Com- 
mission zur Untersuchung der britischen Austern-Fische- 
reien mit und knüpfte daran die Bemerkung, dass nach 
seinen Erfahrungen die Zahl der Austernschwärmlinge 
in jeder Brutperiode von der Menge der Mutteraustern 
abhängig sei, dass jedoch bisweilen aussergewöhnlich.viel 
Brut erzeugt werde. ^) 

Wer meinen Auseinandersetzungen bis hierher ge- 
folgt ist, wird zugeben müssen, dass an der Verarmung 
der westeuropäischen Austernbänke in den letzten Jahr- 
zehnten die Natur keine Schuld hat, denn weder sind 
die äussern Lebensverhältnisse der Austern schlechter 
geworden, noch hat die Keimfruchtbarkeit der einzelnen 
Thiere abgenommen. Nichts anderes als schonungslose 
Befischung hat die Austernbänke entvölkert. Davon 
waren auch die meisten Austernkundigen überzeugt, 
welche der Commission zur Untersuchung der britischen 



gO Zunahme der Austernesser u. Austempreise, Abnahme der Austern. 



Austernfischerei im Jahre 1876 in. London ihre Erfah- 
rungen und Gedanken vortrugen. 

Man wird aber fragen: Warum wurden vor unseren 
Zeiten die europäischen Austernbänke nicht übermässig 
befischt? 

Weil es vor dem Zeitalter der Dampfschiffe, Dampf- 
wagen und Eisenbahnen viel weniger Austernesser gab, 
als jetzt. Früher waren echte Austernesser fast nur in 
den Küstengegenden zu finden. Sobald die Austern- 
fischerei im Herbst wieder eröffnet wurde, bezahlte man 
hier nur die Erstlinge ziemlich theuer, aber bei weiterer 
Zufuhr sanken schnell die Preise. 

Am 21. September 1740 bezahlte man in Hamburg 
die ersten Hunderte einer frischen Sendung schleswig- 
holsteinischer Austern mit je M. 1,42 nach heutigem Gelde; 
darauf verkaufte man an demselben Tage 900 Stück, das 
Hundert für M. 1,20; dann 3,400 Stück, das Hundert für 
60 Pfennig und endlich 10,800 Stück, das Hundert für 
30 Pfennig. 

Am 15. October desselben Jahres bezahlte man eben- 
daselbst für das erste Hundert frisch angekommener • 
Austern M. 2,40; für das zweite Hundert M. 2,10; darauf 
wurden 1025 Stück verkauft, das Hundert für M. 1,80; 
dann 1000 Stück, das Hundert für M. 1,50; dann 2000 Stück, 
das Hundert für M. 1,20; zuletzt 12,500 Stück, das Hun- 
dert für 60 Pfennig. Diese aus den Akten der schleswig- 
holsteinischen Austernbänke entnommenen Zahlen^) zei- 

* 

gen, dass die Preise der Austern bald nach der Ankunft 
einer grösseren Sendung im Hamburger Hafen schnell 
erniedrigt werden mussten, wenn man sie nicht verderben 
lassen, sondern in einem geniessbaren Zustande los 
werden wollte, weil keine bemerkenswerthe Abfuhr der- 



Zunahme der Austemesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern, gi 

selben nach dem Binnenlande stattfand. Ein solches 
Fallen der Preise schützte die Bänke vor zu starker Be- 
fischung. 

Sobald die Austern durch Dampfschiffe und auf Eisen- 
bahnen frisch, wie sie von den Bänken kommen, schnell 
verbreitet und tief in das Binnenland geführt werden 
konnten, wurden auch dort immer mehr Austernesser 
gebildet, und so wuchs trotz der schnellen Steigerung 
der Preise der Bedarf an Austern von Jahr zu Jahr. 
Er nahm fast in gleichem Maasse zu, wie die Ausdeh- 
nung der Eisenbahnnetze in Frankreich, England und 
Deutschland. 

Dass durch eine stärkere Befischung die Austern- 
bänke erschöpft werden könnten, kam den Fischern 
nicht in den Sinn. Hatten sie doch Jahr für Jahr auf den- 
selben Bänken immer wieder Austern gefunden; warum 
sollten sie nun unterlassen, wegzunehmen, was in ihre 
Netze kam? Früher freilich fischten sie nur an solchen 
Stellen, wo die Austern dicht lagen. Wo sie nur wenig 
Austern fingen, machte sich das Fischen nicht bezahlt, 
weil die Preise niedrig waren; daher Hessen sie solche 
Bänke, die nur dünn mit ausgewachsenen Austern besäet 
waren, so lange in Ruhe, bis sich auf ihnen wieder das 
volle, die Arbeit des Fischens lohnende Maass von reifen 
Thieren angesammelt hatte. 

Als jedoch mit der Zahl der Austernesser die Preise 
höher stiegen, lohnte es sich auch noch, auf weniger 
ergiebigen Strecken zu fischen. Man warf die Netze so 
lange immer wieder aus, bis endlich fast nichts mehr 
auf den Bänken zu finden war. Während vor der Zeit 
der Eisenbahnen die fallenden Marktpreise die Austern- 
fischerei zu Gunsten eines guten Bestandes der Bänke 



92 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. 

regulirten, reizten in dem Zeitalter der Eisenbahnen die 
immer höher gehenden Austernpreise die Fischer dazu, 
ihre Bänke zu erschöpfen. Dafür enthalten die amt- 
lichen Berichte über französische und englische Austern- 
zucht eine Menge thatsächlicher Beweise. 

Die Austernfischer von Cancale waren glücklich, 
von Jahr zu Jahr mehr Geld für ihre frisch nach Paris 
gehenden Austern zu erhalten. An die Möglichkeit 
einer Erschöpfung ihrer reichen Bänke dachten sie nicht. 
Hatten doch die gelehrten Autoritäten gesagt, dass jede 
ausgewachsene Auster zwei oder drei Millionen Junge 
erzeuge. Wenn sie also nur hundert Mutteraustern liegen 
liessen, so glaubten sie alles Nöthige gethan zu haben, 
um nach kurzer Zeit 200 bis 300 Millionen Nachkoi'nmen 
derselben auf den abgefischten Bänkeil wieder vorzu- 
finden. 

Bis 1854 waren die Austernbänke von Roche fort, 
Marennes und der Insel d'Oleron in erhaltungs- 
mässiger Weise befischt worden, weil ihre Austern nur 
in den näher liegenden Küstenörtern Absatz fanden. 1854 
wurde Roche fort mit dem binnenländischen Eisenbahn- 
netz in Verbindung gebracht; sofort vergrösserte sich der 
Markt für die Austern dieses Küstengebietes und die 
Ausbeutung der Bänke wurde fast bis zur gänzlichen Er- 
schöpfung derselben fortgesetzt. Von 15 Millionen, die 
1854 — 55 gefischt wurden, war man im Jahr 1863 — 64 
auf 400,000 herabgekommen. (Siehe oben S. 65.) 

Der letzte Bericht über die englische Austernfischerei 
im Jahre 1876 enthält viele lehrreiche Beispiele über 
die starke Steigerung der Preise in Folge der Abnahme 
der Austern. 



Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. Qj 



In Whitstable, dessen Bänke die feinste Sorte Na- 
tives erzeugen, war in den Jahren 1852 bis 1862 der 
Preis für ein Bushel (14CX) bis 1600 Stück) niemals höher 
als 2 Pfd. Sterling und 2 Schilling; 1863 — 64 stieg er 
auf 4 Pfd. 10 Seh., 1869 auf 8 Pfund und 1876 auf 
12 Pfund Sterling. 1876 kostete dort also das Stück 
über 16 Pfennig nach unterm Gelde. 

In Colc bester, einem anderen berühmten Austern- 
handelsplatze an der Ostküste Englands, kostete in den 
Jahren 1856 bis 1863 das Bushel Austern gewöhnlich 
66 Schilling, 1864—65 8oSch., 1865—66 95 Seh., 1866—67 
100 Seh., 1867—68 130 englische Schilling.^) 

In Palm out h kostete das Tub (1600 Stück) Austern 
1830 I Schilling, 1860 2 bis 2V2 Schilling, 1863 4 bis 
14 Seh., 1867 9 bis 37 Seh. und 1869 45 englische 
Schilling. 

Eine Tonne schleswig-holsteinischer Austern (700 bis 
800 Stück) wurde 1875 bis 1876 an Austernhändler für 
105 Mark verkauft. Fünfzehn Jahre früher betrug ihr 
Preis nur den dritten Theil dieser Summe. 

Durch die Einverleibung Schleswig -Holsteins in den 
deutschen Zollverein im Jahre 1864 wurde das Gebiet 
zollfreien Absatzes für die Schleswig - holsteinischen 
Austern zu einer Zeit, wo die englischen Austern auf 
deutschen Märkten immer seltener wurden, bedeutend 
erweitert. Ausser der starken Zunahme des Austern- 
konsums in Europa überhaupt, gab diese politische Ver- 
änderung Deutschlands offenbar auch Veranlassung zu 
einer stärkeren Befischung unserer Austernbänke, als in 
früheren Zeiten, was aus der auffallenden Abnahme 
ihrer Reifefruchtbarkeit in neuerer Zeit hervorgeht. 
Denn bei der Hauptrevision derselben irn Jahre 1869 



94 Zunahme der Austernesser u. Austernpreise, Abnahme der Austern. 

fielen auf looo vollwüchsige nur 282 halbwüchsige 
Austern und bei fünf Revisionen in den Jahren 1872 
bis 1876 im Durchschnitt sogar nur 107 Stück, während 
bei früheren Revisionen im Durchschnitt 42 1 halbwüchsige 
Austern bei 1000 vollwüchsigen gefunden wurden, wie 
oben S. 62 gezeigt worden ist. 



*) Report on 0} sterfisheries 1876. S. 116 No 2386 und 87. 

2) H. Kröyer, De danske Oystersbanker. Hier werden 
S. Q2 und 03 noch einige Beispiele von dem Sinken der Austern 
preise in Hamburg an einem und demselben Tage aus den 
Akten der Schleswig - holsteinischen Austemwirthschaft mit- 
getheilt. 

^) Report on Oysterfislieries 1876. S. 63. 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 95 



12. Die chemischen Bestandtheile 

und 

der Geschmack der Austern. 

Der schwerste Theil der Auster ist ihre Hülle. 
^4 Prozent des Gesammtgewichtes der gewöhnlichen 
holsteinischen Tafelaustern kommen im Durchschnitt 
auf die Schalen. Inwendig ist die Auster Weichthier, 
auswendig Steinthier. Die getrocknete Schale sehr alter 
Austern wiegt 250 bis 320 Gramm. In solchen schweren, 
dickschaligen Austern sind die Weichthiere gewöhnhch 
sehr mager und ihr Umfang ist auch kleiner geworden, 
als er im Alter der höchsten Reife war, was daraus 
hervorgeht, dass der Rand der zuletzt gebildeten Schalen- 
schichten nicht über die früher abgesetzten vorspringt, 
sondern unter sie zurückgeht. 

Der Hauptbestandtheil der Schale ist kohlensaurer 
Kalk. Er macht 96 bis 97 Prozent derselben aus. 
Ausserdem enthält sie noch 1,2 bis 1,3 Prozent schwefel- 
sauren Kalk, o,C9 Phosphorsäure 0,03 Prozent Eisen- 
oxyd und Spuren von Magnesia und Thonerde. Werden 
diese unorganischen Bestandtheile der Schale in Säuren 



96 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 

aufgelöst, so bleiben bräunliche Häute und Flocken 
einer organischen Substanz zurück, welche Conchyolin 
genannt wird. Es ist eine Verbindung der Grundstoffe 
Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff .und Sauerstoff. Die 
gewölbten Klappen holsteinischer Austern enthalten 1,01 
bis 1,025 Prozent Conchyolin, die flachen etwas mehr, 
nämlich 1,10 bis 1,15 Prozent. Diese Vermehrung des 
Conchyolingehaltes macht die flachen Klappen weniger 
brüchig als die gewölbten. 

Zuweilen findet man Perlen in Austern. Gewöhnlich 
liegen sie in dem Mantel, zuweilen auch in dem Schliess- 
muskel. Perlen sind isolirt abgelagerte Schalenstoffc. 
Ihre chemischen Bestandtheile stimmen daher mit denen 
der Schale überein. In einigen Perlen aus schleswig- 
holsteinischen Austern wurde verhältnissmässig mehr 
kohlensaurer Kalk gefunden, als in den Schalen. Glän- 
zende, zum Schmuck verwendbare Perlen kommen in 
Austern sehr selten vor; gewöhnlich sind sie weiss und 
glanzlos. In Hamburg entdeckte einmal die Zunge eines 
Austernessers eine Perle, fiir welche ihm der Juwelier 
66 Mark bezahlte. 

Fast alle Muscheln haben schönere Schalen als die 
Auster; aber an Feinheit des Geshmacks übertrifft sie 
jedes andere Weichthier. 

Schmeckbar sind nur solche Stoffe, welche in Flüssig- 
keiten gelöst, die Geschmacksorgane berühren. Der 
Geschmack der Austern hängt daher von Stoffen ab, 
welche entweder in ihren Säften schon gelöst sind, oder 
welche sich erst im Munde auflösen. 

P'rische lebendige Austern enthalten wie alle Seethiere 
sehr viel Wasser. Um ihren Wassergehalt zu bestimmen 
trennt man sie mit möglichster Schonung von der Schale, 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern, 57 



indem man den Schliessmuskel da, wo er sich an die 
Klappen ansetzt, durchschneidet; dann trocknet man 
ihre Oberfläche mit Fliesspapier ab, wägt sie und ent- 
zieht ihnen unter der Luftpumpe alles Wasser. Zwei 
schleswig-holsteinische Austern, welche aus der Schale 
genommen und abgetrocknet, zusammen 14,70. Gramm 
schwer waren, wogen vollständig ausgetrocknet nur noch 
3,05 Gramm. Sie enthielten* also 79,25 Prozent Wasser 
und nur 20,75 Prozent feste Stoffe. 

Von zwei anderen grösseren Austern wurden der 
Mantel und die Kiemen abgeschnitten; sie wogen ab- 
getrocknet zusammen 20,55 Gramm und hinterliessen 
4,80 Gramm trockenen Rückstand. Ihre essbaren Theile 
enthielten also 76,64 Prozent Wasser und 23,36 Prozent 
feste Stoffe. 

Aus der Untersuchung einer grösseren Anzahl schles- 
wig-holsteinischer Austern ergab sich, dass die ganzen 
Weichthiere 21,5 bis 23 Prozent feste Stoffe enthalten; 
aber die von dem Bart befreiten Körpertheile 23 bis 
24,5 Prozent.^) 

Nach ihrem Gehalt an festen Stoffen übertreffen 
die Austern das Fleisch der Fische etwas mehr, als das 
Fleisch der Säugethiere und Vögel. Denn 

Forellenfleisch enthält 19,5 Prozent feste Stoffe 

Karpfenfleisch „ 20,2 

Schweinefleisch ,, 21,7 

Kalbfleisch „ 21,8 

Ochsenfleisch „ 22,5 

Huhnfleisch „ 22,7 „ „ „ ^) 

Auf 100 Theile getrockneter Austernmasse kommen 
7,69 bis 7,81 Theile Stickstoff oder 100 Theile frische 

Möbius, Auster. 7 



}* )f >f 

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q8 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 

wasserhaltige Austern enthalten 1,85 bis 1,87 Theile 
Stickstoff. 

Durch Verbrennen der trocknen Austernmasse lässt 
sich ermitteln, wie viel unorganische Bestandtheile sie 
enthält. So wurde gefunden, dass völlig getrocknete 
schleswig-holsteinische Austern (ohn^ Bart) 7,45 Prozent 
unorganische Bestandtheile enthalten, oder die nicht 
getrockneten Weichthierkörper 1,79 Prozent. 

Nach diesen Bestimmungen sind in 100 Gewichts- 
theilen der frischen geniessbaren Weichthierkörper 
schleswig-holsteinischer Austern enthalten: 
77,00 Theile Wasser, 
21,21 Theile organische Stoffe und 
1,79 Theile unorganische Stoffe. 

Die hauptsächlichsten unorganischen Stoffe sind 
Kochsalz und Phosphorsäure. Das Kochsalz beträgt 
0,58 Prozent der frischen Austern und die Phosphorsäure 
0,38 Prozent. 

Im frischen Rindfleisch sind 0,49 Prozent Kochsalz 
und 0,22 Prozent Phosphorsäure enthalten. 

Aus diesen Untersuchungen und Vergleichungen geht 
hervor, dass die Austern ebensoviel oder noch etwas 
mehr Nährstoffe enthalten, als die besseren Fleischsorten. 
Ausserdem zeichnen sie sich noch dadurch aus, dass sie 
leichter verdaulich sind, als die meisten andern thierischen 
Nahrungsmittel. Vergleicht man aber den Preis gleicher 
Gewichtstheile Austern mit den Preisen gleicher Gewichts- 
theile der besten Fleischsorten, so zeigt sich, dass die 
Austern bei uns ein sehr theures Nahrungsmittel sind. 

Wenn die essbaren Weichtheile eines Dutzend hol- 
steinischer Austern 125 Gramm oder 74 Pfund wiegen, 
und wenn man dafür 2 Mark bezahlt, so sind die Austern 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 99 

als Nahrungsmittel 6 Vattial so theuer als Beefsteakfleisch, 
von welchem das Pfund 120 Pfennige kostet. 

Allein die Werthschätzung der Austern beruht nicht 
hauptsächlich auf ihrem Gehalt an Nährstoffen, sondern 
vornehmlich auf ihrer Zartheit und ihrem eigenthüm- 
lichen feinen Geschmack. Sie sind die feinsten, edelsten 
Speisen aus dem Meere, die unverändert genossen werden 
können, die keiner Kochkunst bedürfen, um ihre Vor- 
züge zu entwickeln. Sie gleichen den edlen Perlen, 
welche ihre grösste Vollkommenheit auch in ihrer natür- 
lichen Bildungsstätte empfangen. 

Welche besonderen Stoffe der Auster ihren Geschmack 
verleihen, ist eben so wenig bekannt, wie die Ursache 
des Geschmackes der verschiedenen Fleischarten. In 
den Geschlechtsdrüsen und in der Leber der Austern 
sind Glykogen und Traubenzucker enthalten. Das reine 
Glykogen hat keinen Geschmack. Es besteht wie der 
Traubenzucker aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauer- 
stoff. Wahrscheinlich haben an dem Geschmack der 
Austern die Fette derselben einen wichtigen Antheil. 

Wiederholt habe ich die Erfahrung gemacht, dass 
im Mai und in der ersten Hälfte des Juni, wenn die 
Geschlechtsdrüsen stark entwickelt sind, die eierhal- 
tigen Austern einen feiner nussartigen und volleren 
Geschmack haben, als die spermahaltigen. Ich legte 
frische Austern, deren Geschlechtsbeschaffenheit ich 
vorher mikroskopisch untersucht hatte, verschiedenen 
Personen zur Prüfung ihres Geschmackes vor. Sie 
fanden die weiblichen ebenfalls vorzüglicher, als die 
männHchen, ohne dass sie von dem Geschlechtsunter- 
schied etwas wussten. Die gut entwickelten eierhaltigen 
Austern sind gewöhnlich etwas dicker, als die männ- 



lOO Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 

liehen und mehr rahmfarbig als die spermahaltigen, deren 
Rumpf mehr wässerig durchscheinend ist. Mitten im 
Winter tritt dieser äussere Unterschied nicht so hervor, 
wie kurz vor der Laichzeit. 

Gleich nach der Entleerung der Geschlechtsdrüsen 
sind die Austern am magersten und ihr Geschmack ist 
wässeriger als zu jeder andern Zeit. Nach der Fort- 
pflanzungsperiode nimmt ihre Masse von Monat zu Monat 
wieder zu, falls ihre Ernährung nicht durch anhaltende 
Kälte gestört wird und mit der fortschreitenden Ent- 
wicklung der Geschlechtsdrüsen wird auch ihr Geschmack 
immer voller. Hieraus folgt, dass der Winter und mehr 
noch der Frühling die besten Jahreszeiten für den Genuss 
der Austern sind. 

„Austern darf man nicht zerbeissen, man muss sie 
ganz verschlucken", habe ich wiederholt von Personen 
sagen hören, die sich für echte Austernesser hielten. 
Wenn das richtig wäre, so Hessen sich für die theuren 
Austern billige Surrogate aus einem geschmacklosen 
weichen Teige herstellen, dem man nur die Form von 
Austern zu geben brauchte. Wie alle andern Speisen 
wirken auch die Austern um so stärker auf die Ge- 
schmacksorgane, je mehr ihre löslichen Stoffe mit der 
Oberfläche derselben in Berührung gebracht werden. 
Daher muss man Austern zerbeissen und kauen, wenn 
man ihre wohlschmeckenden Stoffe frei legen und zur 
Wirkung bringen will. 

Die schleswig-holsteinischen Austernbänke erzeugen 
Austern von verschiedenem Geschmack. Die feinsten 
entstehen auf denjenigen Bänken, die nicht sehr fem 
von den grösseren Tiefen liegen, durch welche das 
fluthende und ebbende Wasser des Wattenmeeres ein- 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 10 1 



und ausströmt. (Man werfe einen Blick auf die Karte 
desselben vor dem Titelblatt.) So entstehen auf den 
Bänken bei dem nördlichen und südlichen Ende von 
Sylt und auf einer einzeln liegenden Bank im Norden 
der Insel Rom vorzügliche Austehi; die allerfeinsten 
bilden sich auf den Bänken bei Hörnum aus. 

Die Hörnumaustern zeichnen sich aus durch eine 
besonders starke Ausbildung ihrer Geschlechtsdrüsen. 
Ihr Geschmack ist nussartig zart und niemals wässerig 
und bitter wie der Geschmack der Austern mancher 
anderen Bänke. 

Diese vorzügliche Ausbildung der Austern muss das 
Resultat der gerade auf diesen Bänken zusammen- 
A\'irkenden äusseren Lebensbedingungen der Austern 
sein. Auf den Hörnumbänken liegen die Austern tiefer 
und dem offenen Meere näher, als im Innern des Watten- 
meeres. Das über sie hinlaufende Wasser erfährt daher 
im Laufe der Tages- und Jahreszeiten etwas geringere 
Temperaturschwankungen, als auf den der Küste des 
Festlandes näher liegenden Bänken, und es hat auch im 
Ganzen einen etwas stärkeren Salzgehalt als das Wasser 
der Bänke des flacheren Wattenmeergebietes. An diese 
äussern physikalisch-chemischen Eigenthümlichkeiten der 
Hörnumbänke schliessen sich auch faunistische an. Hier 
Avohnen auf den Austern Dreikantwürmer (Pomato- 
ceros triqueter) und Polypenstöcke, welche ihrer Form 
wegen Seehände (Alcyonium digitatum) heissen. Beide 
Thierformen kommen am Grunde der offenen Nordsee 
häufig vor. Sie fehlen auf den übrigen Austernbänken 
des Wattenmeeres; offenbar können sie auf den inneren 
Bänken desselben nicht leben, weil hier nicht alle zu 
ihrem Gedeihen nöthigen Bedingungen vorhanden sind. 



I02 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 

Also gerade an solchen Stellen des Wattenmeeres^ 
wo die äussersten Grenzen des Wohngebietes der See- 
hand und des Dreikantwurmes unsere Austernbänke 
durchschneiden, da entwickeln sich die günstigsten Be- 
dingungen für die Ausbildung der wohlschmeckendsten 
Austern. Ein Dreikantwurm auf der Schale einer schles- 
wig-holsteinischen Auster ist daher ein Zeichen ihrer 
Herkunft von einer der besten Bänke. 

Einem Pastor auf Sylt, der gern gute Austern ass,. 
war dieses äussere Merkmal sehr wohl bekannt; denn 
er pflegte den aussegelnden Austernfischern zu sagen: 
„Bringt mir frische Austern mit, aber nur von denen,, 
die der liebe Gott gezeichnet hat!" 

In Paris werden die grünen Austern von Marennes 
und Tremblade wegen ihres feinen Geschmackes be- 
sonders geschätzt. Dieser kann nicht von dem grünen 
Stoff*e in ihren Weichtheilen herrühren; denn wenn man 
alte Austern in den Wintermonaten in einen dortigen 
Mästungsteich versetzt, so werden sie wohl grün, aber 
durchaus nicht so wohlschmeckend, wie die Austern, 
die jung hinein gesetzt wurden und mehrere Jahre darin 
lebten. (Man vergleiche S. 48.) 

Am besten schmecken die Austern auf den Bänken 
selbst, wenn man sie hier sorgfältig öffnet und alles See- 
wasser, welches sie in den geschlossenen Schalen zurück- 
hielten, ablaufen lässt, was am zweckmässigsten so ge- 
schieht, dass man den Weichkörper nach der Ablösung 
des Schliessmuskels auf die flache, rechte Klappe legt. 
Diese ist deshalb der vorzüglichere natürliche Teller 
für die frische Auster, weil sie keine Dunsthöhlen wie 
die gewölbte Klappe mit unangenehm riechendem 
Wasser enthält, welches beim Oeffnen der Auster leicht 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 103 

ausfliesst und dann den Geruch und Geschmack der- 
selben verunreinigt. (Man vergleiche Fig. 5, Seite 14). 

Die Auster kann Tage lang frei trocken liegen, ohne 
zu sterben, aber sie verliert nach und nach an Saftig- 
keit und wird bald riechend, weil die Thiere, welche 
ihre Schale bewohnen, absterben. Da diese durch die 
üblichen Reinigungsmittel (S. 9) selten völlig entfernt 
werden, so wird der reine Geschmack der Austern auf 
dem Lande stets durch Beigerüche gestört. T 

Um die Austern ihren Freunden möglichst frisch 
und wohlschmeckend zuzuführen, sollte man fiir jeden 
Verzehrungsort zur Zeit nicht mehr fangen, als er in 
wenigen Tagen verbi^aucht. Da jedoch Wind und Wetter 
gerade in der Austernspeisezeit oft so ungünstig sind, 
dass kein Fahrzeug hinausgehen und fischen kann, so 
muss man bei gutem Wetter einen grösseren Vorrath 
von Austern fischen und sie an einem Orte lebendig 
aufbewahren, wo sie zu jeder Zeit erreichbar sind. 

Für die gefischten Austern der schleswig-holsteinischen 
Bänke sind bei Husum Reservoire eingerichtet. Es 
sind 4 viereckige Teiche mit senkrechten Wänden, die 
mit Holz bekleidet sind. Ihre Länge und Breite beträgt 
12 bis 14 Meter und die Tiefe gegen 2 Meter. Der Boden 
ist mit Ziegelsteinen gepflastert. Er kann durch senk- 
recht einstellbare Bretter in Fächer getheilt werden; in 
diese schüttet man die von den Bänken gebrachten 
Austern und lässt Wasser über sie wegfliessen, das vor- 
her in einem nebenanliegenden Teiche, dem Klärbassin, 
einige Zeit ruhig gestanden hat, damit sich der Schlick 
aus demselben absetzte. 

Bei kühler Witterung können in den Husumer Vor- 
rathsteichen 500 Tonnen oder 350,000 bis 400,000 Stück 



/ö 



104 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 

Marktaustern gelagert werden, bei warmer Witterung 
nur 200 Tonnen. Wenn es noth thut, bringt man ausser- 
dem auch noch in dem Klärbassin und in den Zuleitungs- 
gräben Austern unter. 

Um die Austern gesund zu erhalten, dürfen sie in 
den Vorrathsteichen nicht zu dicht liegen, besonders 
nicht bei warmer Witterung; auch müssen sie sehr oft 
aus einem Fach in ein anderes gereinigtes Fach ge- 
schaufelt und mit schnell strömendem Wasser über- 
rieselt werden, damit sich alle abgestorbenen Theile von 
den gesunden Austern trennen. 

Die meisten englischen Austern, welche in Deutsch- 
land gegessen werden, kommen von Ost ende. Dort 
lagern sie in Bassins hinter den alten Festungswällen, 
welche ebenso eingerichtet sind wie die Husumer. 
1869 fand ich dort neun Bassin- Anlagen, die gegen 
2 Meter hoch durch Schleussen mit Seewasser gefüllt 
werden konnten. 

In den Bassins bei Ostende werden ebenso wenig 
Austern gezogen oder gemästet, wie bei Husum. Die bis 
zum Schluss der Austernsaison nicht verkauften schickt 
man gewöhnlich nach den englischen Austernbetten 
zurück, weil sie sich im Sommer schlecht halten lassen 
und überhaupt bei längerem Liegen in den Vorraths- 
teichen wegen Mangel an Nahrung stets mager werden. Im 
Jahre 1875/76 soll England wöchentlich 500 Bushel oder 
gegen 7 50,000 Stück Austern nach Ostende geliefert haben. 

Der berühmteste Austernplatz in England ist Whit- 
stable an der südlichen Seite der Themsemündung. Hier 
bilden sich die feinsten Natives aus, deren Schale zwar 
einen geringen Umfang hat, aber doch ein dickes und 
fleischreiches Weichthier enthält, weil ihre linke Klappe 



Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 105 



stark vertieft ist. Die über Ostende nach Deutschland 
kommenden Natives sind geringere, Sorten als die be- 
rühmten Whitstabler, welche selten nach dem Continent 
kommen, sondern fast alle nach London gehen, wo sie 
theurer als jede andere Sorte bezahlt werden. 

Austern, die verschickt werden sollen, verpackt man 
in Tonnen. In diesen schichtet man sie, die gewölbte 
Schale stets nach unten gekehrt, so dicht neben und über 
einander, dass kein Raum zwischen ihnen frei bleibt, damit 
sich keine öffnen kann, wenn das Fass geschlossen ist. 

In manchen Austernbetten an der Westküste von 
Frankreich lässt man die Austern, welche beinahe ihre 
Marktgrösse erreicht haben, wiederholt längere Zeit 
trocken liegen. So länge sie kein Wasser haben, 
schliessen sie ihre Schale, und so gewöhnt man sie, 
das mitgenommene Seewasser in der trocknen Tonne 
so lange bei sich zu behalten, bis sie das Messer von 
der Schale ablöst. 

Wendet man Eis an, um Austern frisch zu erhalten, 
so muss man verhindern, dass das Wasser des schmel- 
zenden Eises die Weichthiere selbst berühre, weil da- 
durch ihr Geschmack leidet. Bereits geöffnete Austern 
dürfen also durchaus nicht mit Eis belegt werden, um 
sie abzukühlen.^) 

Von Nordamerika kommen in Blechbüchsen ein- 
gemachte Austern auf den Markt. In diesen ist der eigen- 
thümliche Geschmack, dessen wegen man die frischen 
Austern hochschätzt, eben so zerstört, wie in tropischen 
Früchten, die in Zucker eingekocht, zu uns kommen. 

Wären es nicht eingemachte Austern, so würde man 
schwerlich für sie Käufer finden. Sie können blos als 
Erinnerungen an frische Austern dienen. — 



Io6 Chemische Bestandtheile und Geschmack der Austern. 



^) Alles, was ich in dem zwölften Kapitel über die chemi- 
schen Bestandtheile der schleswig-holsteinischen 
Austern mittheile, verdanke ich Herrn Professor O. Jacobsen 
in Rostock, der im Juni 1871, als er noch hier in Kiel war,, 
eine Anzahl Austern, welche ich frisch von den schleswig- 
holsteinischen Bänken erhalten hatte, auf meine Bitte unter- 
suchte. 

') Die zur Vergleichung angeführten Zahlen über die Mengen 
fester Stoffe in verschiedenen Fleichsorten stützen sich auf 
Analysen von Schlossberger und v. Bibra. Ich habe die- 
selben aus Gorup-Besanez' Lehrbuch der Physiologischen 
Chemie entnommen. 3. Aufl. 1874. S. 682. 

^) Schon die Römer kühlten die Austern mit Eis von den 
Gebirgen. ^,Addiditque luxuria frigus (ostreis) ohrutis nive, summa 
monthim et maris ima miscens'-^ C. PI i n i i See. naturalis historia 
hb. XXXIl. 6,21. 



Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. lO/ 



13. Ziel und Leistungen 

der 

Austernwirthschaft. 



Das Ziel einer guten Austernwirthschaft besteht 
darin, in ihrem Gebiete einen möglichst hohen Ertrag 
auf die Dauer zu gewinnen. 

Von einem Lager lebloser Naturprodukte kann man^ 
ohne sich durch die Verminderung desselben zu schaden^ 
so viel Masse wegnehmen, so viel sich mit Gewinn ver- 
werthen lässt; denn der zurückbleibende Theil thut nicht 
das Geringste für denjenigen, welcher ihn ruhig liegen 
lässt. 

Anders ist es mit lebenden Naturprodukten. Sie 
sind keine ruhig daliegenden Massen, sondern Vereini- 
gungen von thätigen Stoffen und Kräften, welche durch 
sich selbst in einer fortwährenden Erneuerung begriffen 
sind. Wenn der Mensch von ihnen den grösstmöglichen 
Nutzen ziehen will, so darf er ihre Masse nicht zuneh- 
mend vermindern, wie die Mineralien in einem Berg- 
werk, sondern er muss Sorge tragen, dass ihr Erneue- 
rungsvermögen nicht geschwächt werde, weil dadurch 



I08 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 

eine Verminderung ihrer anwendbaren Stoffe und Kräfte 
herbeigeführt wird. 

Ein Viehzüchter, der seinem Viehstande einen ge- 
wissen Grad von Produktivität erhalten will, muss sich 
eine gewisse Summe zeugungsfähiger TKiere erhalten. 

Wenn eine Waldfläche auf die Dauer eine gleich 
grosse Masse Holz hergeben Soll, so darf in jedem Jahr 
nicht mehr gehauen werden, als der jährliche Zuwachs 
beträgt. Will man auf die Dauer mehr Holz aus einem 
Walde ziehen, so muss man ihn vergrössern. 

Von diesen Gesetzen ist auch eine dauernd einträg- 
liche Austernwirthschaft abhängig. Ihre Grundlage ist 
daher die Erhaltung eines Stockes fortpflanzungsfähiger 
Austern. 

Keiner künstlichen Austernzucht ist es bis jetzt ge- 
lungen, Generationen auf Generationen Austern in ab- 
geschlossenen Betten zur Ausbildung zu bringen. Immer 
wieder mussten auch die gewandtesten Austernzüchter 
zu den natürlichen Austernbänken ihre Zuflucht nehmen 
um sich laichfähige Mutteraustern oder junge Brut für 
ihre Züchtereien zu verschaffen. Daher ist die erste 
Grundlage einer jeden Austernwirthschaft, sowohl der 
natürlichen als auch der künstlichen, die Erhaltung 
eines Stockes vollwüchsiger fortpflanzungs- 
fähiger Austern auf den, natürlichen Austern- 
bänken. 

Erst seitdem die französische Regierung dafür sorgt, 
dass die natürlichen Austernbänke ihres Küstengebietes 
stets ein volles Maass fortpflanzungsfähiger Austern be- 
halten, hat die künstliche Austernzucht in Frankreich 
eine sichere Basis erhalten. Die französische Regierung 
hat dies dadurch erreicht, dass sie durch die Fischerei- 



Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 10^ 



beamten bestimmen lässt, zu welcher Zeit und an welchen 
Stellen die Austernbänke befischt werden dürfen. 

In den austernreichen Gebieten von Cancale und 
St. Vaast de la Hogue an der Küste der Norm and ie 
und in der Bucht von Arcachon giebt es grosse Bänke^ 
welche bei Springtiden (zur Zeit des Voll- und Neu- 
mondes) trocken laufen oder nur mit so wenig Wasser 
bedeckt bleiben, dass man sie zu Fuss besuchen und 
die Austern mit den Händen aufnehmen kann. Bei Can- 
cale gehen gleichzeitig Caravanen von 500 bis 1000 Men- 
schen, meistens Frauen und Kinder, zum Austernfang auf 
die freigegebenen Bänke. 

Einer der besten trockenlaufenden Austerngründe in 
der Bucht von Arcachon, Le Ces genannt, hat eine 
Ausdehnung von 11 Hektar. Wenn hier der Austern- 
fang gestattet ist, so gehen gewöhnlich Frauen, in Reihen 
von je zehn aufgestellt und von zw^i Männern geführt, 
über die Bank. Dabei sammeln sie die Austern in 
Säcke, welche ihnen nachfolgende Frauen abnehmen, 
sobald sie gefüllt sind, um sie in grössere Körbe zu 
entleeren. Länger als 2 bis 2Y2 Stunden kann in einer 
Springtide nicht gesammelt werden, weil die Bank nicht 
länger entblösst bleibt. Doch können 40 bis 50 Per- 
sonen in dieser Zeit gegen 60,000 Austern einsammeln. 

Jede so befischte Stelle wird sofort mit vier Baken 
abgesteckt, damit sie in demselben Jahre nicht noch 
einmal abgesucht werde und damit man sie später wieder 
auffinden könne, wenn sie mit Austern- und Herzmuschel- 
schalen, als Sammelkörpern für die Brut, bestreuet wer- 
den soll. 

Durch diese strenge Schonung ist die Keimfruchtbar- 
keit der 19 Austernbänke; welche die Bucht von Ar- 



HO Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. 

cachon enthält, obwohl dieselben bis zum Anfang der sieb- 
ziger Jahre fast ganz erschöpft waren, .wieder so hoch 
gestiegen, dass das Wasser der Bucht vom Juni bis in den 
August mit Austernschwärmlingen erfüllt ist. Daher ist 
es auch kein Wunder, dass auf einzelnen Ziegeln, welche 
an guten Plätzen niedergelegt sind, zuwieilen looo bis 
1500 junge Austern gefunden werden. 

Nach einem im Januar 1877 erschienenen amtlichen 
Berichte über den Stand der französischen Austernzucht*) 
waren im Jahre 1876 in den Mästungsteichen zu beiden 
Seiten der Seudremündung 80 Millionen Austern, 
bei Oleron 7 Millionen, bei Sables d'Olonne 10 Mil- 
lionen, bei Lorient ebensoviel und bei Courseulles- 
sur-Mer 20 bis 30 Millionen. 

Diese ausserordentlichen Erträge der Austernbetten 
an der Westküste von Frankreich beruhen auf der sorg- 
fältigen Erhaltung eines reichen Bestandes tortpflanzungs- 
fähiger Austern auf den natürlichen Bänken, beson- 
ders in der Bucht von Arcachon und an der Küste 
der Bretagne bei Auray und an der Küste der Nor- 
man die bei Vaast de la Hogue, Cancale und Granville. 
Tausende von Menschen sind beschäftigt, die ungeheuren 
Scharen von Schwärmlingen, welche von diesen Bänken 
ausgehen, künstlich einzufangen, sie vor Feinden zu 
schützen und dann in die zahlreichen Mästungsteiche an 
verschiedenen Küstenpunkten zu verpflanzen, wo sie 
schliesslich durch sorgsame Pflege zur Marktgrösse heran- 
gezogen werden. 

Die französische Austernwirthschaft beschäftigt bei 
Vaast de la Hogue täglich 300 Personen, bei Can- 
cale 4000 Personen. In dem Distrikte von Auray be- 
trug im Jahre 1876 die Zahl der gesammten Arbeitstage 



Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. III 

ilir alle bei der Austemwirthschaft beschäftigten Männer, 
Frauen und Kinder 89,678. 

Zum Einfangen der Schwärmlinge legte eine Austern- 
zuchtgesellschaft in Arcachon i io,cxx) Ziegel aus. Bei 
Vannes verwendete man dazu im Jahre 1876 300,000 Zie- 
gel und bei Oleron ebensoviel. Bei Auray wurden 
1874 sogar 2,580,000 Stück Ziegel zum Einfangen der 
Brut ausgelegt. 

Bei Lorient dienen zur Aufzucht und Mästung junger 
Austern 60,000 Tröge von Cement, die 50 Centimeter 
lang und 30 bis 40 Centimeter breit sind. In ihnen 
bleiben auch bei niedrigen Ebben stets 10 bis 12 Centi- 
meter Wasser über den Austern stehen. 

Bei St. Vaast de la Hogue sind 185 Austernbetten, 
■die 88 Hektar einnehmen, bei Cancale umfassen die 
Icünstlich hergestellten Austernlager 172 Hektar. Bei 
Auray ist der Austerngrund über 300 Hektar gross. 
Hier sind 277 Lagerbetten und 20 Mästungsteiche ein- 
gerichtet. In der Bucht von Arcachon befanden sich 
1876 3317 Austernbetten. Bei Marennes und Trem- 
blade an der Seudre waren 1876 13,526 künstliche 
Austernanlagen auf einem Flächenraum von 4000 Hektar. 
Hier sind die Mengen der ankommenden und abgehenden 
Austern so gross, dass man Maschinen zum Sortiren 
derselben erfunden hat. Mit Hülfe einer Maschine können 
in einem Tage zwei Frauen 30 — 40,000 Stück sortiren. 
Eisenbahnen verbinden die Mästungsteiche mit den Rei- 
nigungsbassins und Verpackungshäusern und mit den 
Anlegestellen der Böte, welche junge Austern von den 
Bänken und Brutanstalten zur Mästung heranbringen. 

Man sieht aus diesen Zahlen, wie grosse Flächen- 
räume, was für Geldsummen und wie viel menschliche 



112 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 

Arbeitskraft erforderlich sind, um von den Austern- 
schwärmlingen, welche im Meere unter natürlichen Ver- 
hältnissen entstehen,, so grosse Menge Austern gross zu 
ziehen, wie jetzt die französischen Austernzüchter auf 
den Markt bringen. Das ursprüngliche Ziel Coste's, 
die ganze Küste Frankreichs mit einer zusammenhängen- 
den Kette von Austernbänken zu umgeben, ist nicht 
erreicht worden; aber künstliche Austerngärten sind 
jetzt in Folge seiner Bestrebungen und Experimente 
an vielen geeigneten Stellen von der Normandie bis 
südlich von der Mündung der Gironde eingerichtet. Be- 
günstigt durch die zahlreichen Buchten und die milde 
Temperatur ihres Küstenmeeres haben die Franzosen 
durch Fleiss, Ausdauer und Erfindung neuer Methoden 
die Austernwirthschaft in kyrzer Zeit zu einem so hohen 
Grade der Entwicklung gebracht und ihr einen solchen 
Umfang gegeben, dass dieselbe in ihrem gesegneten 
Lande jetzt zu denjenigen Kultur -Industrien zu zählen 
ist, durch welche sich der Mensch Pflanzen und Thiere 
in grossen Massen dienstbar macht. 

Schon oft sind die grossen Zahlen der französischen 
Austernwirthschaft den deutschen Küstenbewohnern vor- 
gehalten worden, um sie aufzufordern, auch in ihren 
Meeren Anstalten für solche köstliche Ernten einzu- 
richten. 

Die Schriftsteller, welche das thaten, kannten weder 
die Natur der Austern, noch die Eigenschaften unserer 
Meere. Ebenso gut hätten sie den Bewohnern des Ge- 
bietes der Unterelbe zurufen können: Legt doch Wein- 
gärten an, denn 1874 sind im Departement Loire in- 
ferieure 1,914,427 Hektoliter und im Departement Gironde 
5,123,643 Hektoliter Wein erzeugt worden! — 



Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 1 1 3 



Wie den Egyptern weiter nichts fehlt als Wasser, 
um in der Wüste zwischen Cairo und Suez Datteln 
und Wein in Fülle zu ziehen, so fehlen uns blos 
milde, eisfreie Winter und Sicherheit gegen die 
Gewalt der Sturmfluthen, um auf den Schlick- 
watten der Nordsee künstliche Austern-zucht zu treiben. 
Nahrung würde dort für Milliarden Austern genug 
vorhanden sein. — 

Einfacher als die neue französische ist die alte eng- 
lische Austernwirthschaft. Ihre Arbeiten bestehen 
hauptsächlich in der Versetzung junger Austern von den 
natürlichen Bänken des Küstengebietes auf Mästungs- 
gründe in den Flussmündungen, um sie daselbst fetter 
und wohlschmeckender zu machen; ferner in der Reini- 
gung der Austernlagerstätten von Schlick und Pflanzen, 
in der Vernichtung von Austernfeinden und in der Ver- 
besserung des Grundes durch Ausstreuen von Austern- 
und anderen Muschelschalen. 

In vorzüglicher Weise werden diese Arbeiten in 
Whitstable ausgeführt, wo eine Austerngilde besteht, 
welche sich ein Alter von sechs- bis siebenhundert Jahren 
zuschreibt. Sie zählt über vierhundert Mitglieder, welche 
mit 120 Fahrzeugen arbeiten. Nur Söhne früherer Mit- 
glieder werden in diese Gilde aufgenommen. 1793 wurde 
derselben ein gegen 2 englische Meilen langer und eben 
so breiter Austerngrund in der Themsemündung, den 
sie bis dahin nur gewohnheitsmässig in Anspruch ge- 
nommen hatte, durch Parlamentsbeschluss als Eigenthum 
zugesprochen. 

Er besteht theils aus natürlichen Bänken mit Natives, 
theils aus Gründen, wo Austern aus der offenen See 
niedergelegt werden, um Brut zu erzeugen; theils aus 

Möbius, Auster. 8 



114 ^^^^ ^^^ Leistungen der Austern wirthschaft. 

Gründen, wohin -man Austern von Bänken des Küsten- 
gebietes zum Fettwerden v.erpflanzt. Um diese Austern- 
gründe immer mehr zu verbessern, versorgt man sie oft 
mit leeren Austernschalen, die hauptsächlich London 
zurückliefert. Die Whitstabler halten eine dicke Schicht 
von Austernschalen für den vorzüglichsten Austerngrund, 
und sind stolz darauf, dass sie den „besten der Welt" 
besitzen, wie ich selbst aus ihrem Munde hörte. Auf 
ihren Mästgründen ist die Reifefruchtbarkeit der Auster 
sehr schwach. 

Aehnlich wie in Whitstable wird die Austernwirth- 
schaft auch in Colchester, Burnham und anderen 
Oertern der Ostküste Englands betrieben, von wo aus 
viele Austern nach Ostende gehen. 

Versuche, nordamerikanische Austern lebend nach 
England zu bringen und in den dortigen Betten nieder- 
zulegen, sind nicht so ausgefallen, dass sie Nachahmung 
verdienten. Wenn es aber gelingen sollte, den vortreff- 
lichen englischen Mästungsgründen grosse Quantitäten 
junger Austern aus den Zuchtanstalten der Normandie 
und Bretagne zuzuführen, so würde die englische Austern- 
zucht wahrscheinlich einen bedeutenden Aufschwung 
nehmen. 

Die nordamerikanische Austernwirthschaft 
ist der englischen sehr ähnlich. 

In geschützten, schlickhaltigen Buchten und Fluss- 
mündungen legt man in der Nähe der Küste grosse 
Mengen junger Austern, die auf frei liegenden Bänken 
gefischt wurden, nieder, um sie zu mästen, also wie bei 
Whitstable und anderen westeuropäischen Austernplätzen. 
Man wählt auch in Nordamerika zu Austernbetten nur 
solche Stellen, wo die Austern gegen Frost und Hitze 



Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. 1 1 5 

geschützt sind. Sie erlangen auf nahrungsreichen Plätzen 
in zwei bis drei Jahren Marktgrösse. 

Die nordamerikanische Auster ist eine andere Art 
als die europäische. Ihr wissenschaftlicher Name ist 
Ostrea virginiana. Sie hat in der Richtung von dem 
Schalenband nach dem Schliessmuskel eine grössere 
Ausdehnung als die westeuropäische Auster (Ostrea 
edulis) und die eine Klappe ist gewöhnlich mehr ver- 
tieft als bei unserer Auster. 

Versuche, Austernbrut nach der französischen Methode 
künstlich einzufangen und aufzuziehen, hat man in Nord- 
amerika sehr wenige gemacht. Die natürlichen Bänke 
bringen dort noch so viel Junge hervor, dass alle Austern- 
bett^n reichlich und billig damit versorgt werden können. 

In Nordamerika wurden in den letzten Jahren durch- 
schnittlich gegen 30 Millionen Bushel Austern auf den 
Markt gebracht; das sind 9 bis 12 Milliarden Austern, 
da ein Bushel 300 bis 400 Stück enthält. 1859 betrug 
die Menge der verkauften Austern 6 — 8 Milliaroen. 

Die Hauptmärkte der nordamerikanischen Austern 
sind Baltimore und New-York. 1867 fanden bei dem 
Austernhandel in Baltimore über 10,000 Menschen Be- 
schäftigung. Der New -Yorker Austernhandel setzte im 
Anfang der siebziger Jahre jährlich über 8 Millionen 
Dollar um.^) 

Die Austern sind in Nordamerika so gut und so 
billig, dass sie von allen Klassen täglich genossen werden. 
Dort sind sie also seit langer Zeit ein wirkliches Volks- 
nahrungsmittel. 

Diese beneidenswerthe Thatsache ist durchaus kein 
Beweis gegen die Schädlichkeit einer fortgesetzten, star- 
ken Befischung der Austernbänke. Man darf die Grösse 

8* 



1 1 6 Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 

des nordamerikanischen Austerngebietes und die Zahl 
der Einwohner von Nordamerika nicht ausser Acht lassen, 
wenn man jene grossen Summen in der nordamerikani- 
schen Austernstatistik richtig beurtheilen will. 

Das Gebiet der nordamerikanischen Austern hat eine 
sehr grosse Ausdehnung. Es zieht sich an dem grössten 
Theile der Ostküste der Vereinigten Staaten entlang. 
Austern werden gefangen von Cap Hatte ras in Nord- 
karolina bis zur Mündung des Lorenzstromes. Beson- 
ders reiche Austerngebiete sind die Chesapeake Bai 
und die Delaware Bai. 

In den Vereinigten Staaten wohnen jetzt 52 Millionen 
Menschen. In Deutschland, Frankreich und England zu- 
sammen über 109 Millionen. In Nordamerika stehen 
also einer kleineren Summe Menschen grössere Austern- 
vorräthe zur Verfügung als in Europa. Mit der Zahl 
der Austernesser werden in Amerika sicherlich auch die 
Austernpreise steigen; man wird dann auch dort in die 
Versuchung kommen, die Bänke stärker als bisher zu 
befischen; und wenn man sich nicht durch die traurigen 
Erfahrungen der europäischen Austernwirthschaft zur 
rechten Zeit warnen lässt, so wird auch dort nach den 
biocönotischen Gesetzen, welche in dem zehnten Kapitel 
dargestellt sind, eine Verarmung der Austernbänke ein- 
treten müssen. Wie der Mensch die grössten Urwälder 
ausgerottet hat, so kann er auch die reichsten Austern- 
bänke erschöpfen. 

In England hat man jetzt auch eingesehen, dass 
eine regelmässige Schonung der natürlichen Austern- 
bänke unerlässlich ist, wenn sie auf die Dauer, gleich- 
massig produktiv bleiben sollen. 



Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. II7 

Eine im Frühjahr 1876 in London tagende Commission 
-zur Untersuchung der englischen Austernfischerei hat 
<lem Parlament empfohlen, das Fischen von Austern 
vom I . Mai bis zum i . September gesetzlich zu verbieten 
und bestimmte Austerngebiete für gewisse Zeiträume 
gänzlich ruhen zu lassen. Während der gesetzlichen 
Schonzeit soll der Handel mit Austern zum Zweck des 
Essens bei Geldstrafe untersagt werden, doch soll es 
rgestattet sein, auch in der Schonzeit Austern, welche 
in gesetzlich zulässiger Weise auf öftentlichen Gründen 
gefangen worden sind, zum Zwecke der Erhaltung und 
Verbesserung zu verpflanzen. 

Auf den Bänken des offenen Meeres soll die Schon- 
:zeit nur vom 15. Juni bis Ende August dauern, weil sie 
in den rauhen und stürmischen Jahreszeiten selten be- 
fischt werden können. Die in den Handel kommenden 
Seeäustern sollen aber wenigstens 2,5 bis 3 Zoll Durch- 
messer haben. ^) 

Auf den schleswig-holsteinischen Bänken ist seit langer 
Zeit eine Schonung eingeführt, welche vom 9. Mai bis 
zum I . September dauert. Auch dürfen hier die Fischer 
keine Austern unter 2Y2 Zoll Durchmesser von den Bän- 
ken entfernen. Alle Austern, welche dieses Maass nicht 
haben, müssen sie wieder ins Meer zurückwerfen. Beide 
Bestimmungen sind stets befolgt worden, aber trotzdem 
hat im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte die Reife- 
fruchtbarkeit der Bänke im Vergleich mit früheren Pacht- 
zeiten bedeutend abgenommen. Der Zweck der Schon- 
zeit und eines Minimalmaasses für die Marktaustern, 
den Bänken ihre Verjüngungsfähigkeit ungeschwächt zu 
erhalten, wurde also in der Zeit der hochsteigenden 
Austernpreise nicht mehr erreicht. Es ist daher nicht 



1 1 8 Ziel und Leistungen der Austemwirthschaft. 



genug, Schonzeiten und Minimalmaasse' anzuordnen und 
darüber zu wachen, dass ihnen entsprechend gefischt 
werde, wenn man nicht zugleich auch verhindert, dass 
in der Fangzeit zu viel Austern von den Bänken weg- 
genommen werden. 

Welche Menge ist aber zu viel? Für die schleswig- 
holsteinischen Bänke ist eine Grundlage zur Bestimmung^ 
der erhaltungsmässigen Menge Austern, welche von den- 
selben weggenommen werden dürfen, ohne ihrer Pro- 
duktivität zu schaden, durch die Ermittelung ihrer Reife- 
fruchtbarkeit gewonnen. Da diese im Durchschnitt 
421 pro Mille beträgt, so dürfen von 1000 anwesenden 
vollwüchsigen Austern jährlich nicht mehr als 421 ge- 
fischt werden; auf einer Anzahl Bänke, die eine ge- 
ringere Reifefruchtbarkeit haben, darf man nicht einmal 
so viel fangen. Aui der Bank Huntje, deren Reifefrucht- 
barkeit stärker als 42 1 pro Mille ist, können jährlich 484 
auf 1000 entfernt werden, ohne die Reifefruchtbarkeit 
zu schwächen, da jährlich ebenso viel Junggutaustern 
zu Marktaustern heranwachsen. 

Da die Reifefruchtbarkeit aber durch eine Verhältniss- 
zahl ausgedrückt wird, so ist aus derselben nicht ohne 
Weiteres die absolute Zahl von vollwüchsigen Austern 
abzuleiten, welche in einer Fangperiode von einer Bank 
entfernt werden dürfen. Dazu gehört noch, dass man 
weiss, wie dicht die vollwüchsigen Austern liegen, wenn 
in der That ein genügendes Maass vorhanden ist, um der 
Bank ihre durchschnittliche Reifefruchtbarkeit zu sichern. 

Auf Bänken, welche bei Springtiden trocken laufen, 
wie in der Bucht von Arcachon und bei Cancale, ist 
CS nicht schwer, zu beobachten, wie viel vollwüchsige 
Austern auf einem Quadratmeter sein müssen, .wenn 



Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. II9 

■ 

die Bank den höchsten Grad ihrer Reifefruchtbarkeit 
entfalten soll; denn sie liegen dann alle so frei, dass 
man sie zählen kann. 

Viel ungünstiger gegenüber dieser Aufgabe sind die 
immer unter Wasser bleibenden Bänke des deutschen 
und englischen Küstenmeeres und der offenen Nordsee. 
„Solche Bänke, werjden Taucher am besten untersuchen 
können", ist mir schon wiederholt gesagt worden. Denn 
bedeckt mit ihrem Taucherhelm, der vor den Augen 
mit Gläsern versehen ist, können sie, wie man sich vor- 
stellt, alles sehen, was am Grunde des Meeres liegt. 
Das ist ein Irrthum; denn in flachen Küstenmeeren, 
welche Ebbe und Fluth haben, ist das Wasser durch 
schwebende Bodenstoffe so sehr getrübt, dass nur wenig 
Licht bis an den Grund hinabdringt. Aber selbst in 
klarem Wasser würde der Taucher nicht im Stande sein, 
die Zahl der Austern durch das Gesicht zu ermitteln; 
denn wohin er tritt, trübt er das Wasser, indem er die 
leichteren Bodenbestandtheile aufwühlt. Und so wäre er 
hauptsächlich auf das Betasten und Ergreifen der Austern 
mit der Hand angewiesen, was sich durch Anwendung 
des Schleppnetzes vollkommen ersetzen lässt. Denn 
das Schleppnetz füllt sich, während es über den Grund 
geht, nicht nur mit Bestandtheilen des Bodens an, son- 
dern auch mit den Bewohnern desselben. Versetzt man 
den Inhalt des gezogenen Netzes in grössere Gefässe 
oder Aquarien mit Seewasser, so nehmen die Thiere 
bald wieder ihre gewohnten Stellungen und Bewegungen 
an ; man hat sie also nun im ruhigen und klaren Wasser 
gerade so vor sich, wie sie am Meeresboden leben. 

Ein Aquarium mit den lebendigen Thieren einer 
Austernbank ist ein Ausschnitt aus der Bank selbst. 



I20 Ziel und I^eistungen der Austemwirthschaft. 



Indem ich viele solche Ausschnitte im Geiste vereinige, 
schaffe ich mir ein Bild des belebten Meeresgrundes, 
wie es ein Taucher niemals erblicken würde. 

Ich sehe den Boden mit Austernschalen bedeckt., 
auf welchen hier und da eine geöffnete Auster liegt, die 
den gefransten Saum ihres Mantels aus der Schale 
heraustreten lässt. Auf ihrer oberen Schale wachsen 
Polypen, deren Fühlfäden wie zarte, vielstrahlige Sterne 
entfaltet sind. Einsiedlerkrebse klettern, ihr Schnecken- 
haus mit sich tragend, über den höckerigen Boden hin 
und tasten, mit ihren Fühlfäden trippelnd, nach Nah- 
rung. Würmer stecken ihre Köpfe aus Röhren und 
Spalten hervor. Seeigel strecken ihre Saugfüsse weit 
über die Spitzen ihrer Stacheln hinaus und ziehen sich 
langsam an einem Stein hinauf Ein Seestern hat mit 
hochgehobenem Rücken eine Muschel umklammert, um 
sie auszusaugen. Ein kleiner Fisch fährt unter einer 
geöffneten Auster hervor und schnappt die Schwärm- 
linge weg, die sie ausstösst.^) 

Von diesem Leben auf der Austernbank würde der 
Taucher sehr wenig oder gar nichts sehen, selbst wenn 
er ein Zoologe wäre; denn sobald er sich, niedertauchend, 
dem Grunde näherte, würden die Austern sich schliessen, 
die Krebse und Würmer sich verkriechen und die Fische 
wegschwimmen. 

Dieses Bild von einem Stückchen des wirklichen 
reichen Lebens auf einer Austernbahk entwarf ich des- 
halb, um jedem begreiflich zu machen, dass man durch 
das Schleppnetz die Austernbänke recht gut kennen 
lernen kann. Es lässt sich daher auch anwenden, die 
Lagerungsdichte der Austern auf denselben zu be- 
stimmen. Man braucht nur die Länge des Weges zu 



Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 121 



messen, den es zurücklegt, während es Austern auf- 
nimmt. Auf den schleswig-holsteinischen Bänken wurde 
dies bei den Besichtigungen der letzten Jahre auf fol- 
gende Weise ausgeführt. 

An dem Punkte, wo das Schleppnetz an den Grund 
gelassen wird, wirft man zü gleicher Zeit eine leere 
Tonne über Bord, an der durch ein Tau ein schweres 
Gewicht befestigt ist. Das Gewicht sinkt an den Grund 
und hält die an der Oberfläche schwebende Tonne fest. 
Mit dem Tau der Tonne ist eine Messleine verbunden, 
welche von einer Rolle abläuft, so lange das Fahrzeug 
vorwärts geht und das Netz über die Austernbank hin- 
schleppt. Die Schneide und die Oeffnung unserer 
grösseren Austernnetze sind ein Meter breit. Lassen 
wir sie so lange über die Bank hingehen, bis lOO Meter 
Leine abgelaufen sind und finden wir dann in dem Beutel 
50 Austern, so kommt eine Auster auf 2 Quadratmeter 
Bankfläche. 

Befischt man in solchen abgemessenen Linien nach 
verschiedenen Richtungen eine Austernbank, deren Länge 
und Breite bekannt ist, so gewinnt man eine Grundlage, 
die Zahl ihrer Austern gewiss eben so sicher wie ein 
Taucher abzuschätzen, und dabei wie viel leichter und 
schneller 1 

Ist die Verhältnisszahl der Reifefruchtbarkeit einer 
derart befischten Bank berechnet, so lässt sich nun be- 
stimmen, wie viel Stück Austern von derselben entfernt 
werden können, ohne ihrer Produktivität zu schaden. 

Die Praktiker werden dieser Methode den Vorwurf 
machen, dass sie zu umständlich sei und trotzdem nicht 
dahin führe, die Zahl der Austern genau zu bestimmen. 
Sie werden aber zugeben müssen, dass es kein besseres 



122 Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. 

Mittel giebt, die Lagerungsdichte der Austern bedeckter 
Bänke mit annähernder Genauigkeit ausfindig zu machen. 

Ein geübter Austernfischer, der seine Bänke seit 
vielen Jahren kennt, wird, ohne dass er mit der Mess- 
leine fischt, bemerken, ob die Austern in der erhaltungs- 
mässigen, mittleren Dichte auf einer Bank liegen, oder 
ob sie verarmt ist. Er wird dies aus der Anzahl der 
Austern schliessen, welche er bei einer gewissen Ge- 
schwindigkeit seines Fahrzeuges und einer gewissen 
Dauer des Netzzuges fängt. Daher werden Behörden, 
welche die Austernfischerei beaufsichtigen, sich auch 
kundiger Fischer bedienen können, um den Bestand der 
Austernbänke erforschen zu lassen, ehe sie für jede Fang- 
zeit bestimmen, an welchen Stellen und wie viel gefischt 
werden darf. 

Die Aufseher der Austernwirthschaft bei Arcachon 
haben nach mehrjährigen Beobachtungen sicherlich ein 
Urtheil über das nothwendige Maass von Zuchtaustern 
erlangt, welches erforderlich ist, um den Bänken die- 
jenige Fruchtbarkeit zu erhalten, welche zum ungestörten 
und lohnenden Betrieb der dortigen Austernwirthschaft 
nöthig ist. 

In dem Berichte über die französische Austernwirth- 
schaft vom Januar 1877 heisst es: „Obgleich die natür- 
lichen Bänke in der Bucht von Arcachon als die Herde 
der Reproduktion angesehen werden, so lässt die Re- 
gierung dennoch in jedem Jahr einige Stunden daselbst 
fischen, um das Uebermaass an Austern abzuführen.'* 

Das ist ein Grundsatz, den eine verständige Austern- 
wirthschaft überall befolgen muss, wo sie möglichst hohe 
Erträge gewinnen will. Sie lässt daher auf keiner 
Bank die Austern das Alter ihrer grössten Körper- 



Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. 123 

fülle und Keimfruchtbarkeit überschreiten oder gar 
dieselben so lange liegen, bis sie vor Altersschwäche 
sterben, sondern sie kommt der Natur zuvor, welcher 
endlich ebenfalls der Tod der altersschwachen Austern 
eine unentbehrliche Bedingung ist, auf jeder Bank immer 
das höchste Maass von Jungen zu erzeugen und zur 
Reife zu bringen. 

Ich halte es daher auch nicht fiir richtig, bestimmte 
Austernstätten auf längere Zeit gar nicht zu befischen. 
So hat die französische Regierung den Austernfang auf 
einem Striche, der an den Grenzen der Austerngebiete 
von Cancale und Granville liegt, gänzlich verboten, 
in der Absicht, dort einen unberührten Stock von Mutter- 
auster-n zu erhalten, von deren Schwärmlingen sie die 
Verjüngung der verarmten Bänke beider Gebiete erwar- 
tet. Auf solchen unbefischten Bänken muss bald das 
natürliche biocönotische Gleichgewicht eintreten, zu 
welchem auch ein gewisses Durchschnittsmaass von 
Keimfruchtbarkeit gehört. Dieses wird aber bei einem 
gleichen Zufluss von Nahrungsstoffen etwas herunter- 
sinken, wenn auf derselben Bodenfläche mehr über- 
jährige, als vollkräftige Austern liegen. Man nutzt also 
die volle Keimbildungskraft eines Austerngebietes weni- 
ger aus, wenn man es gänzlich, unberührt lässt, als wenn 
man es erhaltungsmässig befischt, und ausserdem ver- 
hert man auch noch die Ernten von Speiseaustem, die 
es liefern könnte. 

Auf den schleswig-holsteinischen Bänken sind die 
Austern ungefähr vom siebenten bis zum zehnten Jahre \ 
in ihrem besten Alter. In wärmeren Gegenden erlangen 
sie ihre volle Ausbildung in kürzerer Zeit. 

In den verschiedenen Gebieten des schleswig-holstei- 



124 ^^^^ ^^^ Leistungen der Au sternwirth Schaft. 



nischen Wattenmeeres erreichen die Schalen der Austern 
in gleicher Zeit sehr ungleiche Flächengrössen, während 
sie alle in ihren Dickendurchmessern mehr überein- 
stimmen. Daher ist es richtiger, das Minimalmaass 
der Marktaustern nach dem Dickendurchmesser der 
Schale zu bestimmen, als nach dör Breite derselben. 
Für die schleswig-holsteinischen Marktaustern würde ein 
Minimalmaass von i8 Millimeter Schalendicke im ge- 
schlossenen Zustande zweckmässig sein. 

Die wichtigsten Regeln für die Erhaltung und 
Verbesserung der natürlichen Austernbänke^ 
als Grundlage aller Austernwirthschaft, fasse 
ich in folgenden Sätzen zusammen: 

Eine Austernbank liefert auf die Dauer den meisten 
Nutzen, wenn sie stets einen erhaltungsmässigen 
Stock voUwüchsiger Austern behält, der ihren 
biocönotischen Verhältnissen entspricht. 

Wo es die Naturverhältnisse gestatten, kann die Er- 
tragsfähigkeit einer Austernbank erhöhet werden durch 
Verbesserung und Vergrösserung des Ansatz- 
grundes für die Austernschwärmlinge. 

Den natürlichen Grund suche man zu verbessern 
durch Beseitigung von Schlick und Pflanzen mittelst 
der Austernnetze und geeigneter Eggen, und durch 
Ausstreuen von Austernschalen und Schalen anderer 
Muscheln. 

Wo es die Umstände gestatten, zerstöre man alle in 
die Austernnetze gerathenden Thiere, welche Austern 
vertilgen oder ihnen Nahrung wegnehmen. 

Zu Gunsten der Austernesser ist es zweckmässig, 
die Schonzeit bis zum 15. September oder bis 



Ziel und Leistungen der Austernwirthschaft. 125 

zum i.October zu verlängern, damit die Austern nach 
der Abgabe ihrer Fortpflanzungsstoffe noch einige Zeit 
haben, sich wieder zu mästen, bevor sie auf den Tisch 
gebracht werden. 

Wenn die Austernbänke zum allgemeinen Nutzen 
der Staatsbevölkerungen und zum besonderen 
Vortheil der Küstenbewohner dauernd ertrag- 
fähig bleiben sollen, so darf das jährliche Maass 
ihrer Befischung nicht nach den Ansprüchen der 
Consumenten und nach der Höhe der Austernpreise 
bestimmt werden, sondern einzig und allein nach der 
Menge des Zuwachses. 

Die Erhaltung der Austernbänke gehört ebenso zu 
den Aufgaben des Staates, wie die Erhaltung der 
Waldungen. 



') Rapport address^ au Ministre de la Marine et des Co- 
lonies sur l'Ostrdicultur par M. G. Bouchon - Brandely. 
(Publid dans le Journal Officiel de la Rdpublique frangaise 
le 22. Janvier 1877.) 

Auf eine Ordre des englischen Parlaments vom 17. Mai 1877 
ist eine englische Uebersetzung erschienen, welche den Titel 
führt : 

Copy of Translation of a Report made to the Minister of 
Marine in France, by M. G. Bouchon - Brandely, relative 
to Oyster Culture on the shores of the Channel and of the 
Ocean. 

Aus diesem Bericht sind alle Mittheilungen entnommen, 
welche ich in dem 13. Kapitel über den neuesten Zustand der 
französischen Austernzucht gemacht habe. 

^) Ueber die nordamerikanische Austernwirth- 
schaft findet man ausführlichere Angaben in folgenden 
Schriften : 



126 Ziel und Leistungen der Austern wirthschaft. 

P. de Broca, fitudes sur rindustrie huitri^re des Etats- 
Unis. Paris 1865. 

Spencer F. Baird, Report on the condition of the sea 
fisheries of the south coast of New-England in 187 1 and 1872. 
Washington 1873. (Oyster-beds p. 472 by A, E. Verrill.) 

^) Report on Oysterfisheries, 1876, p. III. 

*) Der Austemzüchter Capitän Johnston sah in künst- 
lichen Austemlagerstätten , wie kleine Fische der Gattungen 
Gobius und Mullus Austemschwärmlinge verschlangen. Er 
fing sie nachher, öftnete ihren Magen und fand darin verzehrte 
Austernbrut. (Report on the Oyster Fisheries, p. 87, Nr. 1711.) 



Berlin , Druck von W. Büxenstein.