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Full text of "Die Buchrolle in der Kunst. archäologisch-antiquarische Untersuchungen zum antiken Buchwesen"

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DIE  BUCHROLLE  IN  DER  KUNST 

ARCHÄOLOGISCH-ANTIQUARISCHE  UNTERSUCHUNGEN 
ZUM  ANTIKEN  BUCHWESEN  •  •  VON  THEODOR  BIRT 


DIE 

BUCHROLLE  IN  DER  KUNST 

ARCHÄOLOGISCH-ANTIQUARISCHE 
UNTERSUCHUNGEN  ZUM  ANTIKEN  BUCHWESEN 

VON 

THEODOR  BIRT 

MIT  190  ABBILDUNGEN 


LEIPZIG  1907 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER 


ALLE  RECHTE,  EINSCHLIESSLICH  DES  ÜBERSETZUNGSRECHTS,  VORBEHALTEN. 


AUGUST  MAU 

IN  ROM 

ZUGEEIGNET 


Vorwort. 


Die  Studien,  die  ich  hier  vorlege,  sind,  wie  schon  ihr  Titel  zeigt, 
keine  Wiederholung  oder  Neubearbeitung  meines  früheren  Buchs  „Das 
antike  Buchwesen"  (Berlin  1882),  sondern  bezwecken  vielmehr  es  zu  er- 
gänzen. Besprach  ich  dereinst  die  Buchrolle  in  ihrem  Verhältnis  zur 
Literatur,  so  soll  hier  die  Darstellung  der  Buchrolle  in  der  alten  Kunst 
zusammenhängend  erörtert  werden. 

Dies  gab  zunächst  Anlaß  in  möglichster  Kürze  allerlei  antiquarische 
Fragen  aufzunehmen,  insbesondere  solche,  die  das  Aufbewahren  der  Bücher, 
also  das  Bibliothekswesen  angehen.  Denn  dafür  bieten  eben  die  Monu- 
mente ein  Material,  das  noch  immer  nicht  erschöpft  ist.  Aber  auch  auf 
die  Frage  nach  dem  ersten  Aufkommen  der  Papyrusrolle  in  der  Antike 
sowie  nach  ihrem  schließlichen  Eingehen  antworten  uns  die  Bildwerke  der 
alten  Kunst  mit  Deutlichkeit.  Die  Untersuchung  über  das  allmähliche  Vor- 
dringen des  Pergaments,  die  schon  im  zweiten  Abschnitt  meines  älteren 
Werkes  gegeben  ist,  mußte  dabei  erneut  werden.  Ich  bemerke,  daß  ich 
hier  meine  früheren  Ausführungen  als  bekannt  vorausgesetzt  und  sie  er- 
gänzt und  korrigiert  habe,  ohne  mich  auf  das  früher  Gesagte  jedesmal 
zurückzubeziehen. 

Der  Hauptzweck  der  vorliegenden  Arbeit  ist  indes  ein  anderer,  und 
ich  habe  ihn  auf  S.  2  u.  37  f.  näher  dargelegt.1)  Es  handelt  sich  darum, 
den  Umgang  des  antiken  Menschen  mit  dem  Buch,  die  Bücherliebe  des 
Altertums  zur  Anschauung  zu  bringen.  Ich  hoffe,  der  Archäologe,  aber 
auch  der  Kulturhistoriker  wird  sich  überzeugen,  daß  es  an  der  Zeit  war, 
diese  Dinge  einmal  zusammenhängend  zu  betrachten;  denn  es  trifft  wohl 
auch  hier  zu,  daß  erst  die  sorgliche  Vergleichung  des  Details  uns  eine 
sichere  Interpretation  der  Denkmäler  ermöglicht,  daß  sie  aber  gelegentlich 
auch  zu  umfassenderen  Aufschlüssen  Anlaß  gibt. 

Das  Suchen  nach  dem  Buch  in  der  alten  Kunst  führte  endlich  zur 
Betrachtung  der  Trajans-  und  Marcussäule  und  diese  wieder  zur  Besprechung 
des  Bilderbuchs  innerhalb  des  Rollenbuchwesens.  Ich  möchte  wünschen, 
daß  es  mir  gelungen  wäre,  auf  diesem  Gebiet  seit  langem  obwaltende 
Unklarheiten  zu  beseitigen. 

1)  Vgl.  auch  die  Teubnerschen  Mitteilungen  39  (1906)  Nr.  2  S.  29. 


VIII 


Vorwort. 


Das  Material,  das  ich  vorlege,  beansprucht  keine  Vollständigkeit.  Durch 
Reisepläne,  die  nach  dem  Süden  gingen,  wurde  ich  zu  diesen  Studien  an- 
geregt und  habe  mir  besonders  im  Winter  1900/01  in  Ravenna,  Rom, 
Neapel  und  Umgegend,  Athen,  Florenz,  auf  späteren  Reisen  auch  in  Turin, 
Marseille,  Arles  usf.,  endlich  in  Wien,  Berlin,  Dresden  im  Angesicht  der 
Monumente  die  Grundanschauungen  gebildet  und  die  Notizen  gesammelt, 
die  den  Grundstock  dessen,  was  ich  vortrage,  ausmachen.  Die  Beschrei- 
bungen sind  von  mir  an  den  angegebenen  Plätzen  vor  den  Originalen 
selbst  gemacht. 

Von  der  altchristlichen  Kunst  abzusehen,  lag  mir  fern.  Vielmehr  habe 
ich  sie  von  Anfang  an  ausgiebig  mit  herangezogen.  War  doch  das  Christen- 
tum in  so  mancher  Beziehung  nur  die  Vollendung  oder  der  Gipfel  des 
Heidentums.  Das  stellt  sich  auch  im  Bücherwesen,  im  Buch  selbst  und  im 
Umgang  mit  ihm  dar.  Man  wird  bemerken,  daß  fast  jeder  Abschnitt  in  Be- 
obachtungen ausläuft,  die  dem  Gebiet  der  christlichen  Archäologie  an- 
gehören. 

Ein  Überblick  über  Rollendarstellungen  in  der  ägyptischen  Kunst  schien 
für  das  historische  Verständnis  unentbehrlich,  und  ich  habe  ihn  dem  Ganzen 
voraufgeschickt.  Ein  Schlußkapitel  handelt  in  leider  nur  allzu  dürftiger 
Skizze  über  die  freiphantastische  Verwendung  des  Rollenbuchs  in  den  Bild- 
werken des  Mittelalters.  Für  beide  Abschnitte  muß  ich  um  besondere 
Nachsicht  bitten. 

Die  beigegebenen  Illustrationen  haben  nur  den  Zweck  der  Verdeut- 
lichung. Viele  sind  dürftige  Zeichnungen  nach  den  Originalen.  Photo- 
graphien schienen  für  die  Fälle,  um  die  es  sich  hier  handelte,  meist  nicht 
imstande,  das  Detail  genügend  erkennen  zu  lassen.  Die  Zeichnungen  aber 
wollen  nur  immer  das  Wichtigste,  das  Verhältnis  der  Hand  oder  des 
menschlichen  Körpers  zum  Buch  geben.  Bei  manchen  hat  eine  junge 
Künstlerin,  Frida  Barth  in  Hamburg,  unter  meiner  Aufsicht  mit  geschickterer 
Feder  nachgeholfen.1) 

Das  Manuskript  der  vorliegenden  Arbeit  war  schon  im  Herbst  1905 
abgeschlossen.  Widrige  Umstände  haben  seine  Drucklegung  bis  heute 
hinausgeschoben,  und  ohne  das  tatkräftige  Interesse  der  Teubnerschen  Ver- 
lagshandlung wäre  sie  wohl  auch  jetzt  nicht  erfolgt.  Aus  der  Literatur  des 
Jahres  1906  habe  ich  inzwischen  hie  und  da  Nachträge  eingeschaltet. 

Einzelne  Hinweise  und  Nachweise  danke  ich  den  Gesprächen  mit  meinen 
Kollegen  und  Freunden  Joh.  Bauer,  Jülicher,  Weiss,  Maass,  Niese,  von  Sybel. 
Dank  sage  ich  insbesondere  auch  den  Herren,  die  auf  meine  Bitte  und  An- 
frage mir  über  einzelne  Monumente  brieflich  Auskunft  gegeben  haben: 
A.  Mau,  W.  Amelung,  Ch.  Hülsen  in  Rom,  E.  Michon  und  H.  Lebeque  in 


1)  So  in  Abb.  17;  22;  56;  58;  111;  115;  134;  135;  142;  143;  160;  184;  185;  190. 


Vorwort. 


IX 


Paris,  A.  Conze  in  Berlin.  Notizen  über  einige  Stücke  in  Kopenhagen 
sandte  mir  W.  Kohlmann  (Bremen).  Bei  der  z.  T.  unbequemen  Aufgabe, 
meine  Aufzeichnungen  über  christliche  Sarkophage  und  Katakombenmalereien 
mit  den  Publikationen  und  Beschreibungen  bei  Wilpert,  Garrucci  u.  a.  zu 
identifizieren1),  hat  mir  Joh.  Bauer  auf  das  liebenswürdigste  Hilfe  geleistet. 

Endlich  haben  eben  derselbe  sowie  W.  Amelunq  auch  die  Korrektur- 
bogen mit  durchgelesen  und  mir  sowohl  vorhandene  Versehen  berichtigt, 
wie  gelegentlich  auch  Ergänzendes  notiert,  das  freilich  z.  T.  nur  in  den 
Zusätzen  von  mir  erwähnt  werden  konnte.  Die  gleiche  Mühewaltung  hat 
R.  Pietschmann  für  die  einleitenden  Bemerkungen  über  Ägypten  auf  sich 
genommen.  Ich  sage  den  genannten  Gelehrten  für  diese  willkommene 
Hilfe  auch  an  dieser  Stelle  meinen  wärmsten  Dank. 

Marburg  a.  L.,  den  20.  Februar  1907.  Th.  Birt. 

1)  Im  christlichen  Museum  des  Lateran  fand  ich  im  Winter  1900  1901  mehrere 
Stücke  ohne  Nummer,  die  sich  darum  mit  den  Katalognummern  bei  FiCKER,  Die  alt- 
christl.  Bildwerke  des  Laterans,  nicht  haben  identifizieren  lassen.  Ich  habe  in 
solchem  Fall  „Apostelsarkophag  unterhalb  der  Nr.  170"  (s.  S.  190)  und  ähnlich  zitiert. 


Einige  häufiger  zitierte  Werke: 

Wo  kurzweg  Le  Blant,  Wilpert  oder  Garrucci  zitiert  ist,  sind  die  Werke 
gemeint: 

E.  LE  Blant,  Les  sarcophages  chretiens  de  la  Gaule,  Paris  1886. 
Joseph  Wilpert,  Die  Malereien  der  Katakomben  Roms.  Freiburg  im  Breis- 
gau 1903. 

R.  Garrucci,  Storia  della  arte  cristiana,  Prato  1881  f. 
Im  übrigen  sind  u.  a.  folgende  Werke  in  abgekürzter  Form  angeführt: 
Beschreibung  der  antiken  Skulpturen,  Berlin  1891. 

W.  HELBIG,  Führer  durch  die  öffentlichen  Sammlungen  klassischer  Alter- 
tümer in  Rom,  2.  Aufl.  Leipzig  1899. 
W.  Helbig,  Wandgemälde  Campaniens,  Leipzig  1868. 

F.  Matz  u.  F.  von  Duhn,  Antike  Bildwerke  in  Rom,  Leipzig  1881  f. 
H.  DÜTSCHKE,  Antike  Bildwerke  in  Oberitalien,  Leipzig  1874  f. 

O.  Benndorf  u.  R.  Schöne,  Die  antiken  Bildwerke  des  Lateranischen 
Museums,  Leipzig  1867. 

A.  Michaelis,  Ancient  marbles  in  Great  Britain,  Cambridge  1882. 

P.  Arndt  u.  W.  Amelung,  Photographische  Einzelaufnahmen  antiker  Skulp- 
turen nach  Auswahl  und  mit  Text,  München  1893  f. 

S.  Reinach,  Repertoire  de  la  statuaire  grecque  et  romaine,  Paris  1887  f. 

Ch.  Daremberg  et  Edm.  Saglio,  Dictionnaire  des  antiquites  grecques  et 
romaines,  Paris  1877  ff. 

JOH.  FiCKER,  Die  altchristlichen  Bildwerke  im  christlichen  Museum  des 
Laterans,  Leipzig  1890. 


Inhalt. 

Seite 

Einleitung  Seite  1 

1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter   4 

2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern  20 

I.  Die  geschlossene  Rolle   40 

A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I  43 

B.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Rechten,  Motiv  I  80 

1.  Etruskisches    ....   Seite  80  I  6.  Der  stehende  lecturus    .   .  92 


2.  Rollen  in  beiden  Händen  .   81     7.  Einfluß  der  Symmetrie  .  .  93 

3.  Das  Überreichen  des  Buchs   82     8.  Einwirkung  äußerlicher  Um- 

4.  Sitzbilder  85         stände  96 


5.  Liegende  Figuren  .  .  .  .^JU— j— 9i-^rablematische  Fälle  ...  96 

C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  II .  T^\.  99 

D.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  III   .  .  /V  110 

E.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Wandmalerei,  Motiv  IV  trad  V   .  .113 

II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen   >^  ....  124 

A.  Das  Schlußblatt  steht  offen  \  .  128 

B.  Das  Schlußblatt  wird  gelesen  ^^^Tl30 

C.  Das  erste  Blatt  wird  gelesen  /T  .  .  N134 

D.  Das  Lesen  bei  entrolltem  Buche,  Motiv  VI  /.'...  135 

1.  Das  Lesen  in  Gruppen  Seite  138         beim     Gottesdienst  144. 

a)  Unterrichtsszenen    138.  f)  Das  Lesen  in  Gesellig- 

b)  Souffleur  141.    c)  Sän-  keit  146. 

gerinnen  mit  Text  stehend  2.  Der  isoliert  Lesende  .  .  .  155 

141.      d)    Sänger     oder  3.  Das  Lesen  mit  Hilfe  des 

Sängerin  mit  Text  sitzend  Sklaven  171 

143.     e)   das    Rezitieren  4.  Lesepulte  175 

E.  Unterbrechung  der  Lektüre,  Motiv  VII  182 

III.  Das  Schreiben   197 

IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung  210 

1.  Das  Entstehen  eines  eigent-  Seite     11.  Der  Rollenstab  228 

liehen  Buchwesens  bei  den  12.  Cornua  235 

Griechen   210  13.  Zettel  mit  Buchtitel   ...  237 

2.  Umfang  der  Rollen     ...     215     14.  Pänula  239 

3.  Schreibzeug  219  15.  Zubinden  der  Rolle      .  241 

4.  Zugespitzte  Rollen                 220  16.  Siegeln  des  Buchs    ...  243 

5.  Einzelblätter    220     17.  Bibliotheken  244 

6.  Das  aus   der  Hand  gelegte  18.  Rollenkasten  248 

Buch                                   222  19.  Rollenbündel  ohne  Kasten  255 

7.  Weihung  von  Büchern   .  .  .222  20.  Rollenbündel  mit  Kasten  259 

8.  Rollung  in  S-Form                 226  21.  Der  Bücherschrank  ...  261 

9.  Nachahmung    der    Papyrus-  22.  Anordnung  vielbücheriger 
fasern  in  Marmor                  227  Werke  ........  264 

10.  Anordnung  der  Schrift  .  227 

V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch   267 

VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter   316 

Zusätze   334 

Inhaltsverzeichnisse   343 


Einleitung. 


Zum  Verständnis  einer  Literatur  und  der  Art,  wie  sie  auf  ihre  Zeit- 
genossen wirkt,  dient  nicht  nur  die  Aneignung  ihres  Inhalts,  sondern  auch 
die  Kenntnis  des  Buches  selbst,  in  dem  sie  auftrat.  Wir  haben  Verlangen 
Originaldrucke  von  Schillers  Hören,  von  Jean  Pauls  Titan  zu  besitzen,  weil 
wir  erst  dann,  wenn  wir  sie  still  durchblättern,  den  Eindruck  recht  empfinden, 
den  man  hatte,  als  diese  zeitbewegenden  Sachen  erschienen.  Dante  muß 
man  so  lesen,  daß  man  ihn  sich  im  leichten  handlichen  Codex  aus  zartgeglätte- 
tem Schaf-  oder  Ziegenfell  denkt:  seine  Lektüre  war  ein  Studium,  aber  der 
Leser  muß  das  Werk  bequem  mit  sich  herumtragen  können,  um  es  immer 
wieder  aufzuschlagen,  nachzusinnen  über  das  Zeitliche  im  Ewigen,  davon  er 
gelesen,  und  dann  zu  einer  neuen  Kanzone  sich  zurückzuwenden.  Die  Last 
selbst  muß  zur  Lust  werden:  das  (pop-riov  muß  Tepipi?  sein,  wie  Libanius  es 
ausdrückt.1)  Ganz  anders,  wer  einen  Vincentius  Bellovacensis  benutzt;  der 
Koloß  gehört  da  zur  Sache.  Unmittelbar  in  die  Zeit  erregter  Kampfeslust 
versetzen  uns  die  Originaldrucke  der  Epistulae  obscurorum  virorum  oder 
der  Satiren  des  Erasmus.  Satz,  Papiersorte,  Format,  Holzschnitt,  alles  trägt 
eben  den  Stempel  der  Zeit.  Monumental,  wie  aufgerichtete  Denkmäler, 
müssen  die  Monumenta  Germaniae  vor  uns  stehen;  vor  allem  gleicht  dem 
Monument  ein  modernes  Inschriftenkorpus:  jeder  Band  hat  selbst  das  Ge- 
wicht eines  Cippus  oder  Votivsteines. 

So  war  nun  auch  der  Eindruck  der  Lektüre  der  Aeneis  oder  der 
Horazischen  Oden  im  Altertum  durch  die  Art  bedingt,  wie  der  Leser  sich 
körperlich  sinnlich  zu  dem  Buch  verhielt.  Zum  Wesen  des  antiken  Buches 
aber  gehört  die  Winzigkeit  und  das  Leichte.  Es  handelt  sich  um  die 
schmächtige  Papyrusrolle,  den  ausschließlichen  Träger  der  griechisch-römi- 
schen Literatur. 

Unsere  betriebsame  Gegenwart  ist  in  dem  einen  und  andern  Fall  tat- 
sächlich schon  bemüht,  das  Anempfinden,  von  dem  ich  rede,  zu  erleichtern. 
Wer  heute  z.  B.  japanische  Gedichte  oder  Märchen  lesen  will,  erhält  vom 
Buchhändler  Exemplare,  die  „stilvoll"  japanisch  ausgestattet  sind.  Das 
macht  Stimmung,  der  Inhalt  wirkt  doppelt,  und  wir  meinen,  es  geht  gar 

1)  I  S.  100  R;  I  S.  154  F. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  1 


2 


Einleitung. 


nicht  anders.  So  müßte  man  auch  die  alte  Literatur  der  Griechen  und 
Römer  einmal  wieder  auf  Rollen  drucken.  Warum  findet  sich  kein  Unter- 
nehmer, der  dies  Experiment  machte?  Es  wäre  ein  Luxus,  aber  die  schönste 
Vergegenwärtigung  und  Versinnlichung  des  antiken  Geisteslebens.  Was  die 
Toilette  für  die  Frau,  ist  das  Buch  für  die  Literatur:  es  ist  charakteristisch. 

Allerdings  hat  das  Judentum  die  Buchrolle  der  vorchristlichen  Zeit  bis 
heute  im  Gebrauch  behalten,  aber  nur  in  der  Synagoge  und  nur  zu  ritualen 
Zwecken:  das  ist  nur  ein  Fossil  der  Frömmigkeit.  Hier  handelt  es  sich  um 
die  Rolle  im  profanen  Leben. 

Wenn  der  Grieche  oder  Römer  sich  die  Texte  nicht  von  seinem  Lese- 
sklaven vorlesen  ließ  —  eine  Gepflogenheit,  die  doch  wohl  nur  in  recht 
beschränktem  Maß  Anwendung  fand  und  in  den  Bildwerken  gar  nicht  zur 
Darstellung  gebracht  ist  -,  so  mußte  er  eben  selbst  sich  bemühen,  mußte 
eigenhändig  aufrollen  und  wieder  zusammenrollen  und  beim  Lesen  das 
Buch  andauernd  ausgespannt  mit  beiden  Händen  halten.  Ob  man  saß  oder 
stand,  in  allen  Fällen  war  es  ratsam,  die  Arme  weit  vorzustrecken,  damit 
sich  das  zarte  Papier  nicht  am  Kleide  schabte.  Auch  ein  Lesen  in  liegen- 
der Stellung  kam  vor,  und  vielleicht  kannte  also  das  Altertum  ähnliche 
Stimmungen,  wie  wenn  wir  Heysesche  Novellen  \nach  dem  Diner  auf  dem 
Sofa  lesen.  Aber  irgendwelche  Nebenbeschäftigung  war  ausgeschlossen, 
wie  wenn  wir  beim  Schreiben  rauchen,  bei  der  Zeitung  den  Tee  trinken  oder 
wenn  gar  der  einsame  philosophische  Junggeselle  sein  Mittagessen  verschlingt, 
ohne  von  seinem  Kant  zu  lassen.  Immerwährende  Achtsamkeit  war  Pflicht;  sie 
war  schon  durch  die  angespanntere  Körperhaltung  und  Armhaltung  er- 
zwungen. Es  fehlte,  mit  einem  Wort,  der  Tisch  als  Unterlage  beim  Lesen 
und  beim  Schreiben:  die  Rollenform  des  Buches  brachte  das  mit  sich,  und 
daraus  erklärt  sich  alles.  Der  Tisch  des  Altertums  diente  nur  zum  Speisen, 
zum  Aufstellen  von  Gefäßen  und  zum  Geldzählen.  Er  wird  uns  im  folgen- 
den nirgends  begegnen. 

Da  wir  heute  mit  gerollten  Büchern  umzugehen  schlechterdings  nicht 
mehr  gewohnt  sind,  so  gelingt  es  nicht  vielen,  sich  das  Lesen  der  Alten 
richtig  zu  vergegenwärtigen,  und  unsere  Künstler  begehen,  wenn  sie  einmal 
gezwungen  sind,  derartiges  abzubilden,  leicht  die  unseligsten  Mißgriffe. 
Wir,  die  wir  mit  den  Alten  verkehren,  wüßten  auch  gern  genau,  wie  man 
ein  Buch  anfaßte,  in  welcher  Weise  man  zu  ihm  griff,  wie  man  es  machte, 
wenn  man  das  Lesen  abbrach,  wie  man  sich  in  einer  Bibliothek  verhielt, 
wie  man  gar  den  Text  in  die  Rolle  eintrug  usf. 

Dies  ist  nicht  nur  ein  antiquarisches  Interesse,  und  es  betrifft  nicht 
nur  Fragen,  die  die  Neugier  stellt.  Die  Kunst  selbst  ist  in  Frage,  und  wir 
gelangen  erstlich,  indem  wir  die  Bildwerke  der  antiken  Plastik  und  Malerei 
aufsuchen,  die  uns  derartiges  vorführen,  je  mehr  Darstellungen  wir  ver- 
gleichen, zu  um  so  richtigerem  Verständnis  der  Motive,  Stellungen,  Arm- 


Einleitung. 


3 


haltungen  und  Handbewegungen,  die  da  die  Kunst  des  Altertums  der  Ver- 
ewigung in  Marmor  und  Farbe  für  wert  gehalten  hat.  Wir  gelangen  aber 
auch  zweitens  zur  Belebung  unserer  Anschauung  vom  antiken  Literatur- 
betrieb selber. 

Denn  so  wie  heutzutage  der  Gebildete  und  auch  besonders  gerade 
derjenige,  der  als  gebildet  gelten  möchte,  sich  mit  einem  Buch  in  der 
Hand  photographieren  läßt,  so  wurde  die  alte  Kunst  zu  gleichem  Zweck 
oft  genug  in  Anspruch  genommen.  Nicht  nur  für  literarische  Größen  und 
höhere  Beamte  ist  die  Beigabe  der  Rolle  und  des  Bücherkastens  typisch, 
sondern  auch  der  wohlhabende  Durchschnittsmensch  liebte  es  auf  seinem 
Marmorsarg  mit  dem  Buch  zu  erscheinen,  auch  der  lerneifrige,  frühreife 
Ephebe  wird  so  dargestellt,  und  in  Pompeji  sehen  wir  so  die  Porträts  der 
schreib-  und  leselustigen  Frauen  und  Jünglinge  von  den  Wänden  herab  ins 
Zimmer  schauen.  Und  das  war  nicht  immer  nur  Wichtigtuerei  und  flache 
Ostentation;  sondern  auf  den  Särgen  war  das  Buch  oft  Allegorie,  und  es 
wird  uns  in  manchen  Fällen  gelingen,  den  tieferen  Sinn  zu  erraten,  den  es 
anzudeuten  bestimmt  war. 

Der  moderne  Künstler  weiß,  wie  gesagt,  mit  gerollten  Papierstreifen 
nicht  mehr  umzugehen.   Da  seine  Darstellungen  nicht  der  Praxis  entnommen 

sind,  hat  seine  Phantasie  um     ■  . 

so   freieren   Spielraum,  und 


es  entstehen  solche  Unmög- 
lichkeiten wie  der  Moses  und 
der  Ezechiel  an  der  Marien- 
säule der  Piazza  Spagna  zu 
Rom,  wovon  ich  den  ersteren 
hier  wiedergebe.  Die  Figuren 
sehen  zwar  ganz  hübsch  aus, 
aber  der  Ezechiel  gibt  seinem 
geschwungenen  Blatt  keinen 
Halt,  und  Moses  rollt  das 
obere  Ende  falsch,  nach  außen 
statt  nach  innen  (s.  Abb.  1). 
Das  sei  hier  voraufgeschickt, 
um  klar  zu  machen,  wie 
groß  der  Abstand  der  antiken 
Kunst  von  solchen  Delirien 
der  Modernen  ist.  Aber  schon 
das  Mittelalter,  das  aus  der 
alten  kirchlichen  Tradition  die 
Aufgabe  erbte,  Christus,  Apo- 


stel und  Propheten  gelegent-  Abb. , :  Moses  auf  Piazza  sPag 

1* 


4 


Einleitung. 


lieh  mit  Rollenbüchern  zu  versehen,  hat  sich  Motive  erlaubt,  die  unecht 
und  unsachgemäß  sind  und  den  Mangel  an  Praxis  deutlich  verraten.  Ein 
Reichtum  kühner  Aspekte  wurde  dadurch  geschaffen,  die  Mannigfaltigkeit 
dadurch  gesteigert.  Ganz  anders  die  echte  griechisch-römische  Kunst:  sie 
beschränkt  sich  auf  verhältnismäßig  wenige,  mit  Vorsicht  ausgesuchte 
Motive,  und  der  Reichtum  und  die  Freiheit  in  der  Behandlung  steigert 
sich  erst  seit  dem  4.  Jahrh.  n.  Chr.,  und  zwar  desto  mehr,  je  mehr  seitdem 
die  Rolle  durch  den  Kodex  im  wirklichen  Leben  verdrängt  wurde. 

Über  die  Beschaffenheit  der  Papyrusrolle  ist  an  dieser  Stelle  wenig 
vorauszuschicken.  Nur  sei  betont,  daß  sie  von  geringem  Gewicht,  leicht  in 
der  Hand  und  nie  lastend,  andererseits  aber  zerbrechlich,  zum  Zerfasern 
und  Zersplittern  geneigt  und  zerreißbar  war  und  darum  mit  Vorsicht  an- 
gefaßt und  getragen  sein  wollte.  Dies  muß  in  den  Bildwerken  zum  Aus- 
druck kommen.  Ihre  Höhe,  resp.  die  Länge  des  geschlossenen  Konvoluts, 
betrug  zu  gewissen  Zeiten  nur  15  cm,  meistens  doch  aber  zwischen 
25  —  40  cm.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Enden  des  Konvoluts,  wenn  das- 
selbe geschlossen  in  der  Hand  liegt,  mehr  oder  minder  weit  aus  der  Hand 
hervorragen  müssen,  da  seine  Länge  die  Breite  einer  menschlichen  Hand 
übertrifft.  Andererseits  ist  die  Rolle  meist  nicht  dick  und  bei  einem  durch- 
schnittlichen Durchmesser  von  5  cm  bequem  zu  umspannen.  In  dieser  Be- 
ziehung gibt  es  indes  Unterschiede,  je  nach  ihrem  Zweck;  und  neben  dem 
umfangreicheren  Lesebuch  in  der  Hand  des  Gelehrten  und  Literaturfreundes 
steht  der  Ehekontrakt,  die  Rolle  in  der  Hand  des  Herrschers  und  des 
Opfernden  und  endlich  der  noch  kürzere  Brief,  der  nur  ein  eingefaltetes 
Blatt  zu  sein  braucht. 

Bevor  ich  indes  zu  meiner  Aufgabe  mich  wende,  erscheint  es  not- 
wendig, von  der  Darstellung  des  Buches  bei  den  Ägyptern  hinreichende 
Proben  vorzulegen.  Denn  die  ägyptischen  Monumente  sind  älter,  und  sie 
stellen  uns  das  Buch  gleichfalls  dar,  das  die  Griechen  nur  übernahmen. 
Es  wird  sich  dadurch  bestätigen,  daß  eben  das  griechische  Buch  mit  dem 
ägyptischen  identisch  ist.  Zugleich  aber  wird  der  Unterschied  der  Kunst 
und  Kultur  dieser  beiden  Völker  aus  ihrem  Verhältnis  zum  Buch  auf 
das  klarste  uns  entgegentreten.  Als  grundlegend  für  das  Verständnis  der 
ägyptischen  Buchdarstellungen  benutze  ich  die  Ausführungen  Richard  Pietsch- 
manns  in  den  Beiträgen  des  Schrift-,  Buch-  und  Bibliothekswesens,  heraus- 
gegeben von  K.  Dziatzko,  Heft  4  S.  65  ff. 

1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 

Papyrus  hieß  das  schöne  Schilfgewächs,  das  da,  wo  der  Nil  um  das 
Delta  seinen  Lauf  verzweigt  und  ins  Meer  fällt,  nicht  ohne  menschliche 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


5 


Pflege  in  stagnierenden  Seitenarmen  des  Stromes  wuchs1),  und  Wälder 
bildend,  auf  mächtig  starken  Schäften  seine  anmutig  feinen  Laubfächer, 
seinen  grünen  Blütenschmuck  und  roßschweifartigen  Fruchtwedel  wiegte. 
Diesem  Schilf  entnahm  der  kluge  Ägypter  sein  Buch;  es  war  das  Buch, 
das  einst  die  leichten  Lieder  Anakreons,  das  schwere  Evangelium  Christi 
durch  die  Länder  tragen  sollte.  Aber  dies  Buch  war  zu  teuer,  und  das 
eigentliche  Volk  im  Ägypterland,  bei  dem  die  Schreibkunst  bis  zum  Sklaven- 
stand hinab  recht  verbreitet  war,  griff  daher  viel  mehr  zur  Scherbe,  die 
am  Wege  lag.  Beschriebene  Ostraka  waren  in  tausend  Fällen  das  Hilfs- 
mittel für  den  Austausch  im  Kleinverkehr  und  Handel.  Das  hat  sich  sogar 
im  alten  Athen  noch  fortgesetzt. 

Anders  die  Beamtenaristokratie  des  Landes.  Für  vorläufige  Aufzeich- 
nungen geringen  Textumfanges  besaß  sie  eine  handliche  Holztafel  mit  ge- 
weißter  Fläche  (XeuKUJua),  auf  die  man  die  Schrift  malte.  Man  kannte  im 
Verkehr  nur  malende,  nicht  ritzende  Schrift.  Diese  Tafel  war  oft  einfach; 
man  findet  aber  auch  zwei  verbunden,  nach  Art  des  griechischen  Diptychon. 
Dazu  kommt  aber  noch  das  Schreibgerät  selbst,  das  dazu  diente,  Farbstoff 
und  Calamus  aufzubewahren;  nennen  wir  es  Pennal;  dieses  war  ein  hölzer- 
nes schmales  Brett,  etwa  von  der  Höhe  des  Zylinders  einer  Papyrusrolle; 
an  seinem  oberen  Ende  befinden  sich  zwei  runde  Vertiefungen  für  die  zwei 
Farben,  schwarz  und  rot;  in  einem  Spalt  oder  Einschnitt  desselben  wurden 
die  Calami,  dünne,  doch  feste  Binsenstäbchen  aufbewahrt,  deren  man  sich 
nach  Art  eines  Pinsels  bediente.  Die  erwähnten  Farben  mußten  erst  be- 
feuchtet werden,  bevor  der  Calamus  sie  zu  seiner  Malarbeii  verwenden 
konnte;  dazu  diente  ein  Napf  mit  Wasser.2)  Auf  diesem  Pennal  selbst  finden 
sich  nun  aber  sowohl  unten  wie  auf  der  Rückseite  nicht  selten  schriftliche 
Notizen,  Zeugenaussagen  u.  ä.  notiert.3) 

Für  eigentliche  Buchzwecke  und  größere  Archivalien  mußten  jedoch 
größere  Schreibflächen  hergestellt  werden.  Solche  Schreibflächen  aber 
wußte  man  nicht  anders  aufzuheben  und  für  den  Transport  handlich  zu 
machen,  als  indem  man  sie  rollte.  Man  schuf  also  Rollen  aus  Leder,  oft 
recht  roh,  mitunter  auch  schon  in  verfeinerter  Bearbeitung.4)  Doch  be- 
währten sie  sich  nicht,  sie  waren  zu  schwer  in  der  Hand,  und  man  schritt  früh 
zur  Herstellung  eines  feineren  rollbaren  Materials,  der  Charta. 

Charta,  ö  x&pjr\c„  ist  der  griechische  Ausdruck  für  das  aus  dem  Papyrus- 
schilf gewonnene,  zunächst  noch  unbeschriebene  Schreibmaterial  von  der 

1)  Palus  limosa  et  papyris  referta  et  alta,  Serv.  z.  Aen.  VI  154;  papyrus  palu- 
digena,  Anthol.  lat.  94,  1  R. 

2)  Siehe  R.  PlETSCHMANN  in  Aegyptiaca  f.  G.  Ebers,  1897,  S.  83  f. 

3)  Siehe  Ausführliches  Verzeichnis  der  ägypt.  Altertümer,  Berlin  1894,  S.  94  f. 
Vgl.  übrigens  ebenda  S.  106  Nr.  6763. 

4)  Siehe  R.  PlETSCHMANN,  Leder  und  Holz  als  Schreibmaterialien  bei  den 
Ägyptern,  in  den  erwähnten  „Beiträgen"  Heft  2  S.  105  ff. 


6 


Einleitung. 


Ausdehnung  eines  im  Querformat  langgestreckten  Bogens,  auf  welchem  sich 
zwanzig  Schriftseiten  stellen  ließen.  Die  Erfindung  gehört  den  Ägyptern  und 
geht  bis  ins  dritte  Jahrtausend  zurück.1)    Aber  sie  war  kompliziert  und  teuer. 

Das  Wachstum  des  Schilfes  mußte  gehütet,  mußte  gesteigert  werden. 
Man  pflanzte  es  reihenweise  in  gewissen  Abständen,  so  daß  ein  Mann  hindurch- 
gehen konnte.2)  Zur  Papiergewinnung  selbst  aber  galt  es  zunächst  die  ge- 
eigneten Schäfte  auszusuchen  und  einzuernten.  Gelegentlich  ist  dann  direkt 
auf  solchen  Schaft,  wie  er  aus  dem  Wasser  kam,  geschrieben  worden. :!)  Doch 
kam  das  gewiß  selten  vor.  Vielmehr  begann  nun  die  Handarbeit,  und  mit  der 
Nadel  wurden  aus  dem  Mark  des  Schaftes  von  oben  nach  unten  Streifen, 
inae,  scissurae  oder^fissurae1),  herausgeschnitten,  die  nicht  nur  möglichst 
lang,  sondern  auch  möglichst  dünn  und  zugleich  doch  auch  fest  und  halt- 
bar sein  mußten.  Dann  wurden  aus  ihnen  Blätter  von  der  Größe  von 
etwa  15  zu  40  cm  hergestellt,  indem  man  auf  einer  Tafel  eine  Anzahl 
von  Streifen  parallel  legte,  darüber  eine  zweite  Lage  in  entgegengesetzter 
Richtung.  Diese  Lagen  wurden  durch  starke  Befeuchtung  und  Klebung  eng 
und  unlösbar  verbunden0),  dann  unter  die  Presse  getan,  dann  wieder  be- 
feuchtet und  nochmals  gepreßt.    Um  ebenmäßige  Dünnheit  und  Glätte  der 


Hammer  beklopft.'1)  Die  so  entstandenen  Blätter  kamen  einzeln  zum  Ver- 
kauf. Für  umfangreichere  Schrifttexte  aber  wurden  in  der  Fabrik  jedesmal 
etwa  zehn  bis  zwanzig  Blätter  zusammengeklebt  (compaginantur,  Servius 
z.  Aen.  XI  554),  und  es  entstand  auf  diese  Weise  der  große  Bogen  Charta, 
der  noch  leer  und  unbeschrieben  auf  seinen  Text  harrte.7)  Die  besten 
Sorten  dieser  Charta  hießen  bei  den  Griechen  die  Königscharta  und  die 
hieratische.  Bei  Griechen  und  Römern  war  der  „Kleber"  (glutinator,  koX- 
XnTr)c;)  ein  besonderer  Beruf. s)    Beim  Aneinanderkleben  der  Blätter  oder 

1)  Der  älteste  erhaltene  Papyrus  gehört  etwa  in  die  Zeit  der  5.  Dynastie; 
s.  L.  Borchardt  in  Aegyptiaca  f.  G.  Ebers  S.  14. 

2)  vgl.  die  schöne  Schilderung  bei  Achilles  Tatius  p.  121  Hercher. 

3)  Ausführl.  Beschreibung  S.  307:  „Kerbholz  zum  Rechnen:  ein  Papyrusstengel, 
auf  der  einen  Seite  die  Kerbe,  auf  der  anderen  griechisch  aufgeschrieben  eine 
Summierung,  Arbeitsleistung  und  Korn  betreffend;  aus  später,  christlicher  Zeit." 

4)  fissuras  habe  ich  bei  Plinius  nat.  hist.  13,  74  für  das  überlieferte  philyras 
konjiziert  (Centralblatt  f.  BW.  XVII  S.  555);  auch  17,  267  braucht  Plinius  den  Aus- 
druck harundinum  fissurae. 

5)  Bei  Plinius  nat.  hist.  13,  74  ist  die  Lesung  der  besten  Handschrift  M  un- 
antastbar: texitur  omnis  (sc.  Charta)  madente  tabula.  Nili  aqua  turbidum  liquorum 
glutinis  praebet,  in  welchem  Satz  glutinis  nur  Dativ  sein  kann,  turbidum  liquorum 
aber  „das  Trübe  seiner  Flüssigkeit"  bedeutet.    S.  Centralblatt  a.  a.  0.  S.  556. 

6)  Siehe  Buchwesen  S.  229  —  237.  Betreffs  der  dort  umgestellten  Pliniusworte 
postea  malleo  tenuatur  eqs.  vgl.  Centralblatt  a.  a.  0.  S.  558. 

7)  Ein  Beispiel  ist  der  Leidener  Papyrus  X  (Papyri  graeci  Mus.  Lugdun.  Bat. 
ed.  Leemanns  Bd.  II  1885),  in  dem  breite  Blattflächen  am  Anfang  sowohl  wie  am 
Schluß  unbeschrieben  sind. 

8)  Siehe  Corpus  gloss.  lat.  III  367,  27;  Cic.  ad  Att.  IV  4b. 


Oberfläche  zu  gewinnen 


dann  noch  mit  einem 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


7 


auch  beim  Eintragen  der  Schrift  wurde  die  Charta  jedoch  leicht  wieder 
uneben  und  zerknittert,  und  es  wurde  danach  noch  ein  neues  Ebenen  des 
Papiers  durch  Beklopfen  nötig.1) 

So  mühsam  war  das  Verfahren!  Die  besten  Papyri  haben  uns  die, 
ägyptischen  Gräber  erhalten;  sie  zeigen  in  der  Tat  die  feinste  Komposition 
und  Glätte;  der  Farbenton  ist  blaßgelb  oder  mattbraun.  Auch  die  Tinte 
mit  der  sie  beschrieben  sind,  erweist  sich  als  vortrefflich.  Leider  war  das 
Begräbniswesen  der  klassischen  Völker  nicht  danach  angetan,  Bücher  zu 
konservieren;  denn  man  verbrannte  zumeist  die  Leichen;  und  wenn  auch 
sonst  der  Römer  seinem  Toten  Papyrusrollen  mit  in  den  Sarkophag  legte2), 
die  römischen  Sarkophage  verbargen  sich  nicht  unzugänglich  in  der  Wüste 
oder  in  Totenstädten,  sie  sind  vielmehr  allesamt  früh  geöffnet  worden.  Die 
besten  Buchexemplare  danken  wir  daher  dem  Totenkult  der  Ägypter.3) 

Daß  diese  Charta  teuer  war,  beweist  schon  der  mitgeteilte  Fabrikations- 
bericht, den  wir  im  wesentlichen  dem  Plinius  verdanken.  Denn  viel  Zeit- 
und  Mühaufwand  und  viel  Personal  war  für  ihre  Herstellung  nötig.  Das- 
selbe ist  für  jene  alten  Zeiten,  als  Ägypten  noch  von  den  Griechen  nichts 
wußte  und  nur  für  den  eignen  Bedarf  produzierte,  von  den  Kennern  des 
ägyptischen  Altertums  mit  anderen  Argumenten  erwiesen  worden.4)  Wie 
sparsam  man  damals  mit  dem  Material  umging,  ist  offenkundig.  Man  be- 
nutzte, selbst  für  Prunkbücher,  Vorder-  und  Rückseite.  Sogar  Rechnungs- 
bücher des  königlichen  Hofes  sind  auf  beiden  Seiten  beschrieben/')  Man 
wusch  die  Schrift  ab,  um  die  Charta  noch  einmal  wieder  zu  verwenden; 


1)  Dies  ist  das  TrepiKÖTrreiv  an  den  fertigen  Büchern  bei  Lucian  Adv.  indoctum  16, 
und  so  erklären  sich  auch  die  libri  perscripti  nondum  malleati  bei  Ulpian,  Digest. 
32,  52,  5,  die  als  Ausnahme  hingestellt  werden  und  libros  perscriptos  malleatos, 
„beschriebene  und  dann  geklopfte  Bücher"  als  das  Regelmäßige  voraussetzen; 
vgl.  Centraiblatt  a.a.O.  S.  559  f.,  wo  ich  bei  meiner  Schilderung  des  Schreibens 
nur  nicht  vom  Tisch  hätte  reden  sollen!  -  So  gab  es  nach  Ulpian  a.  a.  0.  auch 
libri  perscripti  nondum  conglutinati;  dies  setzt  voraus,  daß  man  erst  die  Einzel- 
blätter oder  doch  Gruppen  derselben  mit  Schrift  ausfüllte  und  sie  erst  danach  zu 
einem  Rollenbuch  zusammenklebte.  Ich  werde  dabei  an  das  non  bene  siccus  bei 
Martial  IV  10  erinnert;  das  ist  von  einem  in  dieser  Weise  frisch  hergestellten  Buche 
zu  verstehen.  —  Endlich  konnte  man  auch  aus  einem  Uber  perscriptus  Blätter  heraus- 
schneiden und  ihn  dann  wieder  zusammenkleben,  intercidere  librum;  vgl.  Plin.  ep. 
VI  22,  4. 

2)  Bekannt  ist  die  Geschichte  von  den  Büchern  im  Sarg  des  Numa.  Hier  sei 
nur  angeführt,  daß  sich  in  Gräbern  bei  Cumae  wirklich  Papyrusrollen  fanden;  sie 
waren  aber  so  schlecht  erhalten,  daß  sie  sich  nicht  aufbewahren  ließen;  s.  JORIO, 
Methodo  di  rinvenire  .  .  .  i  sepolcri,  Napoli  1824,  S.  134. 

3)  In  einem  Sarkophage  sind  allerdings  die  2.  u.  3.  Rede  des  Hyperides  ge- 
funden worden;  aber  es  war  ein  ägyptischer  Sarkophag:  HÄBERLIN,  Griech. 
Papyri  N.  94. 

4)  Z.  B.  Erman  an  mehreren  Stellen;  dazu  Maspero,  Aegyptische  Kunst- 
geschichte S.  160. 

5)  Turiner  Papyrus,  Aegypt.  Zeitschr.  Bd.  28  S.  66  ff. 


8 


Einleitung. 


oder  man  ließ  den  Text  zwar  stehen,  aber  schrieb  auf  die  Rückseite  Rech- 
nungen u.  a.x)  Ein  Beamter  notiert  im  Tor  einer  Festung  alle  Ein-  und 
Ausgehenden,  um  sie  der  Behörde  anzuzeigen,  und  zu  dieser  amtlichen 
Leistung  benutzt  er  die  Rückseite  seines  Schulschreibheftes.2)  Man  knauserte 
sichtlich.  Bezeichnend  ist,  daß  unter  den  Abgaben,  die  von  einem  Bürger 
des  Landes  gefordert  werden,  sich  neben  2%  Scheffel  Korn,  4  Stück  Haut, 
1  Hacke  u.  a.  m.  auch  erst  „ein  Streifen  Papier",  dann  „1  Rolle  Papier" 
und  am  Schluß  nochmals  „eine  Rolle  Papier"  verzeichnet  findet.  Der  Be- 
steuerte erhebt  dagegen  Reklamation  und  fertigt  ein  Verzeichnis  dieser 
Forderungen  an.;i)  Die  Chartarolle  muß  also  etwa  mit  4  Stück  Haut  ziem- 
lich gleichwertig  gewesen  sein,  ja,  es  ist  klar,  daß  sich  das  Begehren  be- 
sonders-_auf  sie  richtete,  da  sie  doppelt,  ja  dreifach  gefordert  wurde.  Sie 
war  denn  auch  Gegenstand  des  Tauschhandels.4) 

Wieviel  in  Ägypten  geschrieben  wurde,  ist  erstaunlich.  Das  eigentlich 
Literarische  tritt  dabei  zurück.  Es  handelt  sich  um  die  Staatsverwaltung 
mit  ihren  Kanzleien,  die  Domänenverwaltungen,  die  Rechenschaftsablage  der 
Beamten,  Protokolle,  gerichtliche  Verhandlungen.  Der  Stand  der  „Schreiber" 
oder  Kanzlisten  gab  dem  Lande  seine  Signatur.  Er  war  sich  dessen  be- 
wußt und  gebärdete  sich  stolz  genug,  j  Wer  Schreiber  geworden,  kann  zu 
den  höchsten  Chargen  aufrücken,  und  der  Lernende  wird  daher  in  der 
Schreibschule  ermahnt:  Durch  das  Schreiben  bekommst  du  das  Übergewicht 
über  die  Masse  des  Volks.  Schreibgerät  (Pennal)  und  Buchrolle  bringen 
Annehmlichkeit  und  Reichtum.  Es  frohlockt,  wer  als  Schreiber  im  Amt  ist. 
Der  Ungelehrte  ist  der  Esel,  der  Gelehrte  der  Eseltreiber.  Liebe  die 
Wissenschaft  wie  deine  Mutter.0)  In  einem  Schülerbrief  wird  heftig  ge- 
tadelt und  als  Tor  gebrandmarkt,  wer  seine  Bücher  wegwirft. <;)  Jeder 
Richter  ist  zugleich  Oberschreiber,  jeder  Oberrichter  nennt  sich  Vorsteher 
des  Schreibwesens  des  Königs  usf.7)  Schreiben  und  Ehre  war  also  das- 
selbe. Daraus  folgt,  daß  man  auf  das  „propria  manu"  selbstverständlich 
alles  Gewicht  legte.  Die  stolzen  Leute  übten  sich  eigenhändig  an  Märchen- 
texten und  ähnlichem.  Eigenhändig  wurde  alles  hergestellt,  und  an  einen 
Buchhandel  war  deshalb  nicht  zu  denken. 

Endlich  gibt  es  denn  auch  Götter,  die  Schreiber  sind,  eine  Vorstellung, 
die  sich  aus  der  eigenartigen  Hochschätzung  dieser  Tätigkeit  erklärt  und 
nur  mit  Vorsicht  auf  griechische  Götter  übertragen  werden  darf.  Der  Gott 
Dhoute  ist  Erfinder  der  Schrift,  derselbe  zudem  der  Briefschreiber  der 
Götter*),  und  er  wird  abgebildet,  das  Pennal  in  der  Linken,  denn  er  will, 
während  Gott  Horus  das  Herz  des  Toten  auf  der  Wage  wiegt,  das  Ge- 

1)  Vgl.  Aus  den  Papyrus  der  Kgl.  Museen,  Berlin  1899,  S.  5. 

2)  Erman,  Aegypten,  S.  708.  3)  Ebenda  S.  179.  4)  Ebenda  S.  657. 
5)  Ebenda  S.  443  f.  6)  Aus  den  Papyrus  S.  95.  7)  Erman  S.  165. 
8)  Ebenda  S.  444;  PlETSCHMANN  in  Aegyptiaca  S.  82  ff. 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


9 


wicht  notieren.1)  Eine  zweite  Figur  der  Art  ist  Chons;  während  Thoth  in 
der  Unterwelt  Gericht  hält,  funktioniert  vor  ihm  als  Verteidiger  der  Seelen 
Chons,  der  Schreiber.2)  Vor  allem  wird  Imhotep,  der  Gott  der  Kranken- 
heilung, den  die  Griechen  alsbald  mit  ihrem  Asklepios  gleichsetzten,  als 
„königlicher  Schreiber"  bezeichnet  und  hält  oftmals  entweder  die  Rolle  in 
der  L.,  den  Calamus  in  der  R.,  oder  vielmehr  die  ausgebreitete  Rolle  auf 
seinem  Schöße/')    Aber  auch  Horos  galt  als  Verfasser  eines  Traumbuches.4) 

So  ist  es  nun  kein  Wunder,  daß  die  geschlossene  Papyrusrolle  in  der 
Bilderschrift  der  alten  Ägypter  sogleich  selbständig  abgebildet,  daß  sie  als 
Hieroglyphe  verwendet  wird.  Und  zwar  als  ein  Zylinder,  der  mit  reichem 
Bänderwerk  umwickelt  und  versiegelt  ist;  s.  Beni  Hassan  Part  III  (by 
F.  Griffith)  S.  21  u.  Tfl.  IV  Nr.  61;  unsere  Abb.  2  a.  In  der  älteren  Schrift 
liegt  sie  stets  horizontal;  sie  dient  als  Deter- 
minativzeichen für  Abstrakta.  Gewöhnlich 
aber  erscheint  sie  nicht  in  so  sorglich  de- 
taillierter Ausführung,  sondern  in  der  Weise  Abb.  2a.  Abb.  2b. 
vereinfacht,  wie  es  unsere  Abb.  2  b  zeigt. 

Eine  Umschnürung  des  Konvoluts  mit  Bändern  findet  sich  auch  noch 
sonst  '),  wennschon  keineswegs  regelmäßig,  so  z.  B.  Beni  Hassan  Bd.  I  (by 
Percy  Newberry)  Tfl.  35,  unsere  Abb.  3.  Wo  aber  geschnürt 
wird,  fehlt  auch  nicht  leicht  das  Siegel.6)  In  der  Tat  ist 
gelegentlich  auch  vom  „Siegeln  der  Schrift  und  Schließen 
der  Rolle"  die  Rede.7) 

Aber  auch  der  Mensch  mit  dem  Buch,  auch  das  Buch 
im  Dienst  des  Menschen  wird  in  zahlreichen  typisch  sich 
wiederholenden  Darstellungen  angetroffen.     Ich   rede   zunächst   von  den 
Reliefbildern  an  Tempeln  und  Gräberwänden  und  auf  Grabstelen. 

Ob  nun  Ware  überbracht,  Vieh  gezählt,  ein  Transport  abgeliefert  wird 
oder  über  den  Fleiß  einer  Arbeitertruppe  der  Aufseher  Buch  führt,  der 
Schreiber  ist  immer  dabei,  registriert,  notiert,  überreicht  oder  verliest  das 
Geschriebene  dem  Oberbeamten.  Nicht  selten  sehen  wir  mehrere  gleich- 
zeitig nach  Diktat  schreiben. 

Selten  erscheint  dabei  die  Schreibtafel;  auf  einer  solchen  notiert  der 
Schatzmeister,  wieviel  Stücke  am  heutigen  Tag  aus  dem  Schatzhaus  veraus- 


1)  Erman  S.  201.  2)  Siehe  Aus  den  Papyrus  S.  55. 

3)  Siehe  Drexler  bei  Roscher,  Mythol.  Lex.  II  S.  123.  Schreiber  pflegen  dem 
Imhotep  Wasser  zu  opfern  und  er  selbst  hält  Bücher,  die  eine  diesbezügliche  Auf- 
schrift tragen,  s.  Zeitschr.  f.  äg.  Spr.  36,  147  u.  40,  146  (H.  SCHÄFER). 

4)  Dio  Chrysost.  or.  XI  129  nach  Scaliqers  Lesung;  öpw  st.  "ßpw  gibt  die 
Überlieferung.  5)  Genaueres  bei  PlETSCHMANN  Heft  4  S.  78. 

6)  Ebenda.    Auch  das  Hieroglyphenzeichen  läßt  das  Siegel  erkennen. 

7)  PlETSCHMANN  in  Aegyptiaca  S.  87. 


10 


Einleitung. 


gabt  worden  sind,  auf  dem 
Bild  bei  Lepsius,  Denkm. 
III  Bl.  108,  danach  Erman, 
Ägypten  S.  175. 

Um  so  häufiger  da- 
gegen Pennal   und  Rolle, 
mitunter  nur  das 

Abb.  4:  Schreiber  des  alten  Reichs.  Pennal,  mitunter 

nur  die  Rolle,  überall  da 
aber  beide  zusammen,  wo  der  Schreiber  berufsmäßig  tätig  ist.  Die  Rolle 
ist  meist  geschlossen  und  das  Schreibgerät  von  ihr  wesentlich  nur  durch 
die  zwei,  mitunter  auch  drei  dunklen  Punkte  verschieden,  die  sich  an 
seinem  oberen  Teil  befinden  und  die  die  Farben  anzeigerTv  die  man  beim 
Schreiben  und  Malen  brauchte. 

Besonders  deutlich  ist  das  letztere,  wo  ein  Bildhauer  eine  Statue  bemalt, 
Lepsius,  Denkm.  III  100»  =  Erman,  Ägypten  S.  553.   Ebenso  auf  dem  Bilde  bei  Prisse 

d'Avennes,  Histoire  de  l'art  eg.  Bd.  II  TflJ  54.  Be- 
malung eines  Schrankes  in  Life  of  Rekhmara1) 
Taf.  17. 

Ebenda  Life  of  Rekhmafa^Tfl.  12  werden  die 
Schreiber,  die  mit  im  Zuge  gehen,  durch  das 
Pennal  kenntlich  gemacht.  Eine  Reihe  von  ihnen 
tritt  auch  ebenda  Tfl.  16  auf;  alle  halten  das  Schreib- 
gerät in  der  gesenkten  Rechten  und  legen  die 
linke  Hand  auf  ihre  r.  Schulter. 

Dazu  nehme  man  weiter  die  folgende 
Auswahl  von  21  Bildern,  denn  das  Selbst- 
sehen ist  lehrreicher  als  das  Beschreiben;  leider  ließ  sich  jedoch  meine 
Absicht,  sie  sämtlich  hier  vorzuführen,  nicht  verwirklichen: 

1)  Aus  Erman,  Ägypten  S.  165  (nach  LEPSIUS):  Schreiber  des  alten  Reichs; 
vgl.  Pietschmann  a.  a.  0.  Heft  4  S.  70;  unsere  Abb.  4. 

2)  Ebenda  S.  575  (nach  WiLKlNSON):  zwei  Schreiber  bei  der  Ernte;  unsere  Abb.  5. 

3)  Ebenda  S.  662  (nach  WiLKlNSON):  gefangene 
Neger  registriert;  unsere  Abb.  6. 

4)  Perrot  u.  Chipiez  I  S.  30  Fig.  19:  Drei 
Schreiber,  hockend,  in  Tätigkeit;  hinterm  Ohr 
zwei  Calami.    Aus  Sakkarah;  unsere  Abb.  7. 

5)  Ebenda  Fig.  21.  Ein  Schreiber  registriert 
Waaren;  ähnlich  dem  vorigen.    Aus  Sakkarah. 

6)  Ebenda  S.  744  Fig.  501:  Schreiber  vor  der 
Wage.  Aus  Sakkarah.  Besonders  deutlich;  Abb.  8. 

7)  Ebenda  S.  746  Fig.  503:  vier  Hirten,  die 
Vieh  führen;  jeder  hält  eine  Rolle  in  die  Höhe. 
Die  Rolle  mit  Band  umbunden:  tombe  de  Cham- 
hati;  unsere  Abb.  9. 

8)  Prisse  d'Avennes,  Bd.  II  Tfl.  15:  Feldarbeiter; 
dazu  Schreiber;  die  einen  schreiben  auf  dem 
Pennal,  die  andern  auf  Charta.    18.  Dynastie. 


Abb.  5 :  Ernte. 


Abb.  6:  Neger  registriert. 


1)  Ed.  Percy  E.  Newberry  1900. 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


11 


9)  Prisse  d'Avennes 
II  Tfl.  6:  Fütterung  von  Vö- 
geln; 5.  Dynastie:  Aufseher 
mit  Rolle,  Motiv  Ia.  Unter 
dem  linken  Arm  Kasten  (?). 
Memphis. 

10)  Ägyptische  Zeit- 
schrift Bd.  34  (1896)  S.  64, 
Grabstele:  alter  Schreiber,  Abb.  7:  Gruppe  von  Schreibern, 
die  Rolle  in  der  L.,  Motiv  Ia;  die  Rechte  im 

Redegestus  erhoben.  Im  unteren  Teile  ein  Schreiber,  der  einen  Stier  führt.  Zeit 
Amenophis'  IV. 

11)  Beni  Hassan  Bd.  I  Tfl.  18:  zwei  schreitende  Männer,  Rolle  in  der  L. 

12)  Prisse  D'Avennes  II  Tfl.  13:  Huldigung  vor  Amenophis  III  (18.  Dynastie): 
Rolle  in  der  Rechten,  Motiv  Ia;  die  Linke  macht  Gestus. 

13)  Ebenda  Tfl.  14:  Feldmessung  unter  einem  Domänenaufseher;  hier  auch  Per- 
sonen, die  zwei  Rollen  halten.    18.  Dynastie. 

14)  Ebenda  Tfl.  16,  18.  Dynastie,  besonders  herrlich:  Zählung  von  Rindern; 
drei  Reihen  junger  Männer,  die  die  geschl. 
Rolle  hochhalten.    Die  Rolle  mit  Band. 

15)  Beni  Hassan  II  Tfl.  6:  Transport 
von  Waren;  ein  Schreiber  hält  Blatt  und 
Pennal. 

16)  Ebenda  II  Tfl.  7:  Schreiben  nach 
Diktat;  2.  und  3.  Reihe;  s.  unsere  Abb. 
10  u.  11;  auf  der  letzteren  Abb.  ist  1.  ein 
hockender  Schreiber  weggelassen. 

17)  Ebenda  I  Tfl.  13  und  dazu  S.  32: 
ein  Schreiber  streckt  dem  Amenemhat  eine 
offene  Rolle  entgegen,  die  beschrieben  ist 
(Rechnungsablage);  übrigens  7  hockende 
Schreiber  in  Tätigkeit;  auch  ein  stehender. 

18)  Ebenda  I  Tfl.  29:  drei  hockende  Schreiber  in  Tätigkeit.  Diejenigen,  die 
im  Profil  nach  r.  sitzen,  schreiben  mit  der  1.  Hand;  einer  sitzt  im  Profil  nach  1.; 
dieser  schreibt  mit  der  r.  Hand.    Vor  ihm 

wird  etwas  auf  der  Wage  gewogen.  '^s»^;^ 

19)  Ebenda  II  Tfl.  44:  Ankunft  von 
Asiaten;  eine  Figur  hält  in  der  gesenkten  L. 
eine  Rolle,  Motiv  Ia,  in  der  R.  aber  ein  in 
der  Luft  stehendes  großes  weißes  Blatt 
mit  Schrift;  vgl.  LEPSIUS,  Denkm.  II  Bl.  133. 

20)  Wilkinson,  Manners  and  Customs 
2.  Serie  Bd.  I  (1841)  S.  128,  Figur  439: 
zwei  Schreiber,  die  eine  Abrechnung  nach 
Diktat  aufschreiben;  unsere  Abb.  12. 

21)  Relief  in  Florenz,  ägypt.  Museum, 
Saal  II  Nr.  1587;  s.  Museo  archeologico  di 
Firenze,  antichitä  egizie,  ed.  SCHIAPARELLI, 

Teil  I,  Rom  1887,  S.  313:  Zeit  Amenophis' IV;        »" .'  -■■////■;    i'jij  "{'  " 

unsere  Abb.  13.  )  M  ' ;;   ~.ß  \  -'<A'    ■  ■  . :  7 '  7" 

Oft  wird  also,  wie  ein  Überblick 
über    diese    Bilder    ergibt,    wo  ein 

Transport  begleitet  oder  ein  Vortrag  * -^^^MSSrnSS^ Im 
gehalten  wird,  das  Pennal  oder  die  Abb.  9 :  Hirten. 


Abb.  8:  Vor  der  Wage. 


'I-  Vi 


m 


12 


Einleitung-. 


Abb.  10:  Schreiben  nach  Diktal. 


Rolle  nur  in  der  Hand  ge- 
tragen. Dabei  wird  die  Rolle 
in  der  Mitte  von  den  Fingern 
fest  umfaßt  und  erscheint  bald 

  in  der  linken  Hand 

(Nr.  10  u.  13),  bald 
in  der  Rechten  (Nr.  7;  12;  13;  14). 
Viele  Schreiber  ziehen  im  Zuge  einher,  alle  halten  die  Rolle  in  der  Linken, 
Life  of  Rekhmara  Tfl.  4.  Ein  Bild  wie  Nr.  10  des  obigen  Verzeichnisses, 
wo  dazu  die  rechte  Hand  den  Gestus  des  Redens  ausführt,  ist  eine  voll- 
kommene Antizipation  dessen,  was  wir-^uf  griechisch-römischen  Bild- 
werken oftmals  sehen;  nur  freilich  ist  die  Kleidung  nach  klassischen  Be- 
griffen ungenügend! 

Aber  es  gibt  noch  einige  Varianten,  und  auch  unterm  Arm  wird  Pennal 
oder  Buch  eingeklemmt  getragen;  das  ist  das  sub  ald,\ das  Horaz  später 
tadelnd  erwähnt,  epist.  I  13,  13;  man  sieht  dies  z. IB.  in 'dem  Werke  Beni 

Hassan  Bd.  I  TfV  20  u.  II  Tfl.  28.  Das 

f  / 

Spätgriechisch  prägte  für  den  Gegen- 
stand, den  man  so  unter  der  Achsel  trug, 
den  Ausdruck  tö  üiTO^do~xa^ov.  Ferner 
treten  auch  Personen  mit  zwei  Rollen 
auf;  in  jeder  Hand  halten  sie  eine;  siehe 
Nr.  13  u.  Beni  Hassan  I  Tfl.  35. 

Mit  einem  einfachen  Band  wird  die 
Rolle  in  der  Mitte  umschlossen  auf  Nr.  7; 
ebenso  die  große  Rolle,  die  an  der  Wand  zu  hängen  scheint,  im  Life  of 
Rekhmara  Tfl.  5  (unterster  Streif). 

Sodann  aber  das  Schreiben.  Da  ist  nun  unzweifelhaft  und  unverkenn- 
bar, daß  man  häufig  auch  auf  dem  Pennal  selbst  schrieb  oder  die  Buch- 
staben der  Bilderschrift  malte.  Ich  verweise 
dafür  auf  Nr.  4  u.  8  des  Verzeichnisses;  aber 
auch  das  Florentiner  Relief  Nr.  21  kann  ich 
nicht  anders  verstehen.1)  Für  eilige  und  vor- 
läufige Notizen  war  das  auch  in  der  Tat  aus- 
reichend. Aber  auch  auf  der  Außenseite  eines 
geschlossenen  Rollenzylinders  wird  geschrieben 
in  Nr.  2  u.  3  u.  13;  das  Buch  wird  außen  mit 
einem  Vermerk  versehen.  Das  ist  unzweifel- 
haft. Es  wird  mir  bestätigt  durch  die  Grab- 
stele in  Turin,  daselbst  Nr.  49  (11.  Dynastie), 


Abb.  11:  Schreiben  nach  Diktat. 


Abb.  12:  Schreiben  nach  Diktat. 


1)  Auch  Schiaparelli  a.  a.  O.  redet  von 
Tafeln,  „tavolozza". 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter.  13 

auf  der  im  untersten  Streifen  die  vierte  Figur  von  l.  zugleich  ein  Pennal 
unter  dem  l.  Arm  und  auf  der  1.  Hand  eine  geschlossene  aufrechtstehende 
Rolle  trägt;  die  r.  Hand  aber  hat  den  Calamus  und  berührt  mit  dessen 
Spitze  den  oberen  Teil  dieser  Rolle.  Ebenso  evident  ist  dies  auf  dem 
Thebanischen  Relief  zu  sehen  in  dem  Foliowerk  Descr.  de  l'Egypte  II  p.  46 
Nr.  13. 

Man  hält  beim  Schreiben  alsdann  die  schmale  hölzerne  Fläche,  resp. 
den  Rollenzylinder  am  untern  Ende  frei  in  der  Luft  (so  Nr.  21),  oder  man 
läßt  sie  auch  auf  dem  Unterarm  ruhen  (Nr.  2). 


Abb.  13:  Relief  in  Florenz. 


Für  größere  Texte  nun  aber  und  für  die  Reinschrift  dienen  als  Schreib- 
fläche größere  Blätter,  die  nur  als  Chartablatt  verstanden  werden  können; 
so  schon  im  alten  Reich,  s.  Verzeichnis  Nr.  1,  wo  der  Blattstreif  schmal  und 
hoch  erscheint;  sonst  herrscht  das  Querformat  vor,  und  das  ausgespannte 
Blatt  hat  mitunter  die  Länge  etwa  einer  Armspanne.  Es  hält  sich  dabei  selbst 
ohne  Stützung  aufrecht;  s.  Nr.  8  u.  17,  sowie  Nr.  16  zweite  Reihe;  bisweilen 
aber  ruht  es  auch  auf  dem  Unterarm;  s.  Nr.  18  u.  Nr.  16  dritte  Reihe. 
Deutlich  wird  solch  Blatt  mit  dem  Pennal  zusammen  in  der  1.  Hand  ge- 
tragen von  dem  Schreiber  auf  dem  Bild  Nr.  15.  Ein  fertig  beschriebenes 
Papyrusblatt  wird  endlich  gehalten  in  Nr.  19  u.  17. 

Meist  schreibt  die  r.  Hand,  doch  mitunter  auch  die  Linke;  s.  Nr.  18  u.  16 
(zweite  Reihe).    Man  bedenke,  daß  die  Schrift  von  rechts  nach  links  lief. 


14 


Einleitung. 


Am  bemerkenswertesten  jedoch  ist,  daß  wir  wiederholt  auch  mehrere 
Personen  gleichzeitig  schreiben  sehen,  bald  vier  (Nr.  21),  bald  sieben 
(Nr.  17);  die  Szenen  in  Nr.  16  u.  20  aber  zeigen  deutlich,  daß  man  in 
solchem  Fall  nach  Diktat  schrieb.  Im  oberen  Streifen  von  Nr.  16  kniet  der 
Diktierende  den  Schreibern  gegenüber,  hält  eine  geschlossene  Rolle  in  seiner 
Rechten  und  wendet  sich  eben  zu  einem  Manne  um,  der  hinter  ihm  steht 
und  ihm  Instruktionen  gibt;  im  unteren  Streifen  ist  der  Diktierende  da- 
gegen aufgesprungen  und  streckt  sein  Schreibzeug  den  beiden  Schreibern 
lebhaft  entgegen:  s.  Abb.  10  u.  11.  Doppelte  Exemplare  einer  Urkunde, 
Vervielfältigung  war  natürlich  in  hundert  Fällen  nötig.  Daß  diese  Verviel- 
fältigung durch  Diktat  geschah,  haben  wir  lange  vermutet1);  hier  sehen  wir 
es  endlich  im  Bilde  als  Wirklichkeit. 

Es  kommt  vor,  daß  man  stehend  schreibt  (Nr.  3);  gewöhnlich  aber 
hockt  man  dabei  —  echt  orientalisch  —  an  der  Erde;  bisweilen  sind  dem 
Pennal  einige  Calami  auf  Vorrat  entnommen  und  stecken  hinterm  Ohre 
(Nr.  4).  Auf  der  Unterlage  eines  Tisches  hat  der  Grieche  und  Römer 
soviel  ich  weiß,  nie  geschrieben,  !  und  auch  bei  den  Ägyptern  fehlt ^jde 
Tisch  so  gut  wie  durchgängig.2)  \Wohl  aber  steht  in  dem  Zimmer,  wo 
nach  Diktat  geschrieben  wird,  ein  Scrinium,  ein  würfelförmiger  Kasten  ohne 
Füße,  der  in  der  Seitenansicht  mehr  breit  als  hbch  ist,  zwischen  dem,  der 
den  Text  vorspricht,  und  den  Schreibern.  Auf  dem  Deckel  zeigt  er  rechts 
eine  hochstehende  Leiste,  Griff  oder  Wange  (auf  unserer  Abb.  10  u.  11  ist 
dies  zweimal  zu  sehen);  der  eine  der  Männer  stützt  sich  darauf;  er  hat 
sich  mutmaßlich  soeben,  als  er  sich  vom  Boden  erhob,  daran  festgehalten. 
Vielleicht  darf  ich  hiermit  den  Kanopenkasten  in  Leiden  vergleichen  (Ägypt. 
Ztschr.  Bd.  32  S.  23),  der  gleichfalls  Würfelform,  auf  seinem  Deckel  r.  und 
1.  aber  gleichfalls  Erhöhungen,  „rechteckige  Backen"  zeigt.  Überdies  sieht 
man  nun  noch  auf  den  Kästen  unserer  Abb.  10  u.  11  je  eine  Rolle  oder 
Pennal  liegen,  zum  sicheren  Anzeichen,  daß  diese  Schachtel  für  Schreib- 
zwecke dient. 

In  anderen  Fällen  sind  die  Kästen,  die  dem  Schreiber  beigegeben 
werden,  vielmehr  hochfüßig,  sie  sind  flacher  und  fein  modelliert;  so  z.  B. 
auf  den  Bildern  bei  Champollion,  Monum.  de  l'Egypte  I  Tfl.  164,  3  und  bei 

1)  Buchwesen  S.  349  f. 

2)  Wenn  ein  tischartiges  Gestell  vorkommt  (Pietschmann  in  Aegyptiaca  S.  82; 
derselbe  in  den  Beiträgen  Heft  4  S.  76),  so  dient  der  Tisch  regelmäßig  nur  als 
Repositorium  für  geschlossene  Rollen  u.  a.  Gegenstände,  der  Schreibende  aber  hockt 
daneben  und  hält  die  Schreibfläche  hoch  auf  der  Hand  oder  auf  dem  Unterarm  und 
benutzt  den  Tisch  nicht  als  Unterlage  (s.  z.  B.  Lepsius  11  Bl.  96  unten;  Bl.  lila  und 
sonst).  Eine  Ausnahme  Erman  S.  148;  ebenso  das  Grabrelief  Lepsius  III  Bl.  26 
Nr.  1  a,  wo  sich  drei  Schreiber  an  einem  Tisch  befinden;  zwei  sitzen  aber  auf  ihm 
und  schreiben  so  auf  dem  Pennal,  und  nur  der  dritte  legt  das  Buch  (oder  Pennal) 
wirklich  auf  die  Tischplatte  und  schreibt  so,  wobei  er  nicht  sitzt,  sondern  vor- 
gebeugt steht. 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


15 


Abb.  1-1. 


II  ■  I 


Abb.  15. 


Wilkinson  Ser.  II  vol.  1  S.  129  u.  132;  letzteres  auch  bei  Erman,  Ägypten 
Beiblatt  zu  S.  586.  Vgl.  auch  Life  of  Rekhmara  Tfl.  20  unten.  Es  ist  nütz- 
lich, sich  auch  diese  Kästen  in  Abbildung  zu  vergegenwärtigen,  unsere 
Abb.  14;  denn  sie  sind  es,  die  von  den  Griechen  zunächst  übernommen 
wurden.1) 

Dazu  kommt  nun  noch  der  Bücherbeutel,  den  man  auf  denselben 
Bildern  bei  Wilkinson  den  Schreibern  beigegeben  sieht.  Der  Gegenstand 
erscheint  auch  auf  Nr.  20  unseres  Ver- 
zeichnisses und  schon  auf  Nr.  1 :  ein 
zylinderförmiges  Futteral  mit  fester 
Wandung,  das  oben  in  einen  Beutel 
ausläuft;  vgl.  unsere  Abb.  15.  Diese 
Schachtel  eignete  sich  augenscheinlich 
vortrefflich  zum  Transport  der  Rollen 
selbst  und  verrät  ihren  Zweck  durch 
ihre  Form  sehr  deutlich.  Auf  dem  Re- 
lief des  Berliner  Mus.  Nr.  2088  werden 

dem  Toten  im  Leichenzug  drei  Kästen  und  zwei  Bücherbeutel  nachgetragen. 

Auch  in  Tonkrügen  —  z.  B.  je  neun  in  einem  Krug")  —  wurden  die 

Rollen  aufbewahrt.    Ob  es  dafür  Abbildungen  gibt,  weiß  ich  nicht.  Vgl. 

auch  Jeremias  32,  14. 

Noch  ein  Wort  endlich  zu  unserer  Abb.  12.  Dies  Bild,  das  zwei  nach  Diktat 
arbeitende  Schreiber  zeigt,  könnte  den  flüchtigen  Betrachter  zu  dem  Glauben  ver- 
führen, daß  man  doch  häufiger  auf  Tischen  oder  doch  auf  kastenartigen  Ge- 
stellen schrieb.  Wäre  dies  indes  richtig,  so  würde  auf  dem  Bilde  die  Schreibfläche 
fehlen,  die  für  einen  Schreiber  denn  doch  erstes  Erfordernis  war,  und  die  rechte 
Hand  mit  dem  Calamus  stünde  überdies,  wie  jeder  sieht,  viel  zu  tief.  In  Wirklichkeit 
halten  die  beiden  Schreiber  hier  also  das  Pennal  in  ihrer  Linken,  die  großen  Recht- 
ecke aber,  die  man  vor  ihnen  sieht,  sind  die  ungeschickt  wiedergegebenen  Blatt- 
flächen, auf  die  sie  den  Calamus  aufsetzen.") 

Eine  wirkliche  Aufstützung  der  Schreibfläche  sieht  man  dagegen  tat- 
sächlich bei  Erman  S.  148;  doch  ist  hier  nicht  auszumachen,  ob  auf  Blättern 
oder  Tafeln  geschrieben  wird.  Dasselbe  Bild  zeigt  wiederum  die  Bücher- 
lade sowie  auch  Rollenbündel  auf  der  Lade.  Ebensolche  Rollenbündel, 
doch  ohne  Schnürung,  glaube  ich  auch  im  Life  of  Rekhmara  Tfl.  20  (unten) 
zu  erkennen;  Pietschmann  a.  a.  0.  S.  78  beobachtet,  daß  diese  Bündel  aus 
je  fünf  oder  auch  etwas  mehr  Rollen  zu  bestehen  pflegen.  Mutmaßlich 
sind  es  unbeschriebene.4) 


1)  Über  die  runde  Erhebung  auf  dem  Deckel  s.  Maspero,  Äg.  Kunstgeschichte 
S.  273.  2)  Buchwesen  S.  49. 

3)  Vgl.  Pietschmann  in  Beiträge  usf.  Heft  4  (1898)  S.  66. 

4)  Solche  Rollen  oder  Rollenbündel  pflegen  stehend  dargestellt  zu  werden, 
während  sie  liegend  zu  denken  sind  (Pietschmann  a.  a.  O.).  Vgl.  noch  Lepsius  III 
Tfl.  77:  das  Bündel  erscheint  hier  ungeschnürt  und  besteht  aus  10  Rollen. 


10 


Einleitung. 


So  häufig  der  Schreibende,  so  selten  begegnet  der  Lesende  in  szeni- 
schen Bildern.  Wo  er  aber  auftritt,  zeigt  er  die  Beschaffenheit  der  Buch- 
rolle am  klarsten.  Man  betrachte  in  dem  Werk  Beni  Hassan  I  Tfl.  30  die 
vier  ganz  unten  hockenden  Schreiber.  Zwei  dieser  Schreiber  schreiben, 
die  zwei  hinteren  dagegen  lesen  oder  diktieren;  der  eine  von  ihnen  hat 
außerdem  Rolle  oder  Pennal  unter  der  Achsel,  der  letzte  aber  hält  ein 
breit  aufgerolltes  Blatt  zwischen  den  Händen. 

Dazu  das  Bild  aus  einem  Grab  bei  Theben,  Erman  a.  a.  0.  Beiblatt  zu 
S.  586;  unsere  Abb.  16  gibt  daraus  die  Hauptfigur.    Eine  Gänseherde  wird 

vorgeführt.  Die  kleine  Rolle  in  der  Hand  des 
Schreibers  enthält  das  Verzeichnis  der  Tiere.  Er 
hat  das  Schreibzeug  unter  der  1.  Achsel  und  ist 
von  dem  ihm  zukommenden  Büchersack  und  zwei 
Kästen  umgeben.  Mit  Unrecht  wird  aber  be- 
hauptet, daß  der  Schreiber  die  Liste  einem  Be- 
amten „überreiche".  Die  Überreichung  einer 
offnen  Rolle  ist  unmöglich,  denn  sie  würde 
dabei  kläglich  auseinanderfallen.  Wie  Rollen 
überreicht  wurden,  soll  später  gezeigt  werden. 
Tier— Ma-rm [  liest  also  vielmehr  seinen  Text  vor1); 
dabei  hält  er  in  jeder  Hand  eine  Rollung;  das 
offene  Blatt  steht  in  richtiger  Augennähe,  und 
wir  sehen  schon  hier,  daß  dies  Blatt  steil  ge- 
halten wird,  damit  der  Betrachter  des  Reliefs 
deutlich  erkenne,  daß  dies  ein  offenes  Buch  sei, 
ein  naives  Verfahren,  dem  wir  bei  Griechen  und  Römern  oft  wieder  be- 
gegnen werden,  da,  wo  sie  Lesende  darzustellen  haben. 

Auch  bei  Champollion,  Mon.  de  l'Egypte  II  Tfl.  150,  scheint  ein  Lesender  dar- 
gestellt, der  aber  einherschreitend  und  in  bewegtester  Haltung  liest.  Er  hält  zwischen 
den  Händen  ein  Blatt  ohne  Rollungen. 

So  weit  diese  Reliefszenen,  die  in  ihrer  Häufigkeit  uns  die  papierene 
Landesverwaltung  Ägyptens  lebhaft  veranschaulichen,  jene  emsige  Zettel- 
wirtschaft, aus  deren  Trümmern  jetzt  eine  ganze  tausendjährige  Kultur- 
geschichte Ägyptens  rekonstruiert  wird.  Der  dürftige  Abriß,  den  ich  hier 
gebe,  würde  aber  allzu  unvollständig  sein,  wenn  ich  nicht  noch  in  Kürze 
der  statuarischen  Bildnerei  gedächte. 

Auch  die  Standbilder  der  Könige  und  vornehmen  Schreiber  halten,  wie 
mir  scheint2),  oft  die  geschlossene  Rolle  im  festen  Griff,  bisweilen  in  jeder 
Hand  eine.   Als  Beispiele  führe  ich  an: 

1)  Zur  Veranschaulichung  diene  beispielshalber,  was  wir  im  Buch  Henoch 
S.  117  ed.  Radermacher  lesen:  Viele  Schafe  von  der  Herde  sind  vernichtet  worden. 
Ein  Schreiber  schreibt  sie  auf,  geht  zum  Herrn  der  Schafe  und  liest  ihm  das 
Buch  vor.   Danach  wird  das  Buch  versiegelt.         2)  Vgl.  Zusätze. 


Abb.  16:  Vorlesender. 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


17 


Prisse  d'Avennes  II  Tfl.  32:  farbiges  Standbild  eines  Schreibers,  im  Schurz; 
er  hält  kleine  weiße  Rollen  fest  umfassend  in  jeder  Hand.  Vgl.  dazu  die  Abbil- 
dungen bei  ERMAN  S.  284  f. 

Prisse  d'Avennes  II  Tfl.  37:  Grand  Speos  d'Abochek  in  Nubien:  Felsenwand 
mit  6  Nischen,  darin  6  königliche  Standbilder  im  freien  Relief.  Die  vier  männlichen 
Figuren  halten  je  2  Rollen  wie  oben,  die  zwei  weiblichen  keine. 

Erman,  Ägypten,  Beiblatt  zu  S.  78  (nach  Perrot- Chipiez):  Ramses  II.  in  Turin, 
Sitzbild,  eine  Rolle  in  der  L.  auf  dem  Schenkel. 

Erman,  Ägypten  S.  64:  König  Cha  fre',  Sitzbild,  in  Bulaq  (nach  PERROT-CHIP1EZ); 
Rolle  in  der  R.  auf  dem  Knie. 

CHAMPOLLION,  Mon.  de  l'Eg.  II  Tfl.  161:  unfertige  Königsstatue  in  Arbeit;  Stand- 
figur; in  der  gesenkten  Rechten  die  geschlossene  Rolle. 

Ähnlich  die  Statuen  oder  Statuetten  im  Berliner  Museum  Nr.  7335;  10123; 
12547  (Tenti  nebst  Frau)  usf. 

An  diesen  Buchdarstellungen,  und  gerade  auch  an  den  älteren  von 
ihnen,  fällt  auf,  daß  die  Buchzylinder  sehr  kurz  sind  und  mit  den  Enden 
aus  der  Hand  nur  wenig  hervorragen.  Hierfür  kommt  uns  eine  Beobach- 
tung Borchardts,  Ägypt.  Zeitschrift  1889  S.  1  zu  Hilfe,  wonach  die  Blatt- 
höhe im  Buch  im  mittleren  Reich  besonders  niedrig  war  und  nur  15  bis 
17  cm  betrug,  während  sie  im  neuen  Reich  bis  zu  40  cm  anstieg;  eine 
geballte  Hand  aber  ist  etwa  1 1  cm  breit.  Solche  Rollen  geringerer  Blatt- 
höhe liegen  also  in  den  erwähnten  Bildwerken  vor. 

Gern  hätte  ich  hier  noch  das  Kolossalbild  Ramses'  II.  vorgeführt,  nach 
Prisse  d'Avennes  II  Tfl.  56  (19.  Dynastie);  denn  hier  ist  von  Interesse,  daß 
der  Kopf  der  Rolle  noch  einen  kleinen  Zettel  mit  Aufschrift  trägt.  Dieser 
Zettel  scheint  der  „Sittybos"  der  Griechen  zu  sein.  Auch  für  die  An- 
bringung des  Titels  am  Buch  hat  also  Ägypten  vielleicht  den  Griechen  das 
Vorbild  gegeben. 

Mit  Recht  bewundert  man  an  der  Kunst  des  Pharaonenreiches  den 
unbeirrten  Realismus  und  die  treffende  Wiedergabe  des  feinen  Details. 
Der  Gipfel  des  Trefflichen  aber,  das  sie  unseren  Zwecken  entgegenbringt, 
sind  doch  die  Porträtstatuen  der  hockenden  Schreiber,  der  Schreiber,  die 
sich  als  solche  in  ihrer  Tätigkeit  haben  in  möglichster  Treue  aushauen 
lassen.  Dem  vornehmeren  Griechen  und  Römer  hätte  es  auf  das  Tiefste 
widerstrebt,  sich  so  wie  ein  Handwerker  im  negotium  zu  zeigen.  Der 
ägyptische  Beamte  war  stolz  darauf. 

Solche  Werke,  oft  auch  von  hoher  Belebung  im  Ausdruck,  sind: 

Der  Schreiber  des  Louvre:  PERROT-CHIPIEZ  I  S.  646  Tfl.  X;  danach  ERMAN  S.  57; 
er  schreibt  auf  einem  Blatt  von  geringer  Länge,  das  er  mit  der  linken  Hand  sorg- 
lich anfaßt;  das  Blatt  liegt  auf  den  4  gestreckten  Fingern  der  Hand  auf  und  dann 
weiter  auf  dem  stramm  gezogenen  Schurze,  hat  also  Stützung.  Der  Blick  des 
Schreibers  ruht  nicht  auf  dem  Papier,  sondern  schaut  scharf  gerade  aus,  als 
horchte  er.    Er  harrt  auf  Diktat.1) 

Berlin,  Ägypt.  Altertümer  Nr.  7334,  ausführliches  Verz.  S.  51;  Altes  Reich: 
Henka,  Großer  des  Südens  u.  s.  f.,  sitzt  mit  untergeschlagenen  Beinen  am  Boden 


1)  So  richtig  MASPERO  a.  a.  0.  S.  204. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


2 


18 


Einleitung. 


und  schreibt;  das  Blatt  liegt  glatt  auf  dem  Schoß,  die  1.  Hand  hält  etwas  Rollung, 
das  r.  Ende  des  Papiers  zieht  sich  um  das  r.  Bein  unter  den  Schenkel;  die  r.  Hand 
setzt  den  Calamus  nicht  senkrecht,  sondern  ganz  gesenkt  aufs  Papier.   Nur  41  cm  hoch. 

Ebenda  Nr.  15701:  Hockender  Schreiber;   IV.  Dynastie;  ähnlich  dem  Vorigen. 

Wien,  K.  K.  Kunstmuseum,  ägypt.  Abteilung  Nr.  2:  ein  sitzender  Schreiber  hat 
eine  Rolle  weit  aufgerollt  auf  dem  Schoß;  einen  Calamus  in  der  Rechten,  den  er 
auf  das  Papier  aufsetzt. 

Den  Vorlesenden  lernten  wir  oben  S.  16  kennen.  Als  Beispiel  des 
einsam  Lesenden  aber  gebe  ich  die  Statuette  eine^  Hockenden  in  Turin 
(im  Glasschrank  ohne  Nummer);  unsere  Abb.  17.  tNur  der  Unterkörper 
ist  erhalten.  Das  Buch  liegt  weit  offen  auf  dem  Schoß;  die  linke  Hand 
hat  aus  dem  Gelesenen  ein  Konvolut  hergestellt;— es— siwLjilso  die  Schluß- 
seiten des  Buchs,  die  offen  liegen  und  den  rechten  Schenkel  bis  unten 
zudecken.  Die  rechte  Hand  endlich  liegt  auf  der  Blattfläche  flach  auf.  So 
las  der  Ägypter,  ganz  anders  der  Grieche. 

Sehr  ähnlich  das  Sitzbild  Berl.  Mus.  Nr.  11635,  wo  das  Konvolut  in  denL. 
ziemlich   dick   erscheint;  man  sieht  vier  Rollungen;  ein  Rollenstab  fehlt.  Auch 

ebenda  Nr.  2294  wfrU^4m_AiisJüh^^ 
S.  107  mit  Unrecht  als  Schreibender  be- 
zeichnet; der  Calamus  fehlt. 

Blicken  wir  zurück,  so  lehren  uns 
die  Bilder,  daß  der  Ägypter  ungern 
auf  einer  lang  aufgerollten  Rolle  von 
5  oder  gar  10  oder  20  Meter  Länge 
schrieb.  Er  schrieb  zumeist  auf  Ein- 
zelblättern, hin  und  wieder  hat  er  wohl 
auch  zwei  oder  drei  oder  noch  meh- 
rere zusammengeklebt,  um  eine  grö- 
ßere Fläche  zu  gewinnen.  Für  viele 
Fälle  muß  jedenfalls  angesetzt  werden, 
daß  die  Blätter  erst  zusammengeklebt 
wurden,  nachdem  sie  mit  Text  beschrieben  waren,  falls  sie  nämlich  zu 
einem  größeren  zusammenhängenden  Texte,  zu  einem  Buch,  vereinigt  wer- 
den sollten. 

Erwünscht  wäre  es  nun  auch,  dies  Kleben  selbst  in  Bildern  vorführen 
zu  können.    Doch  habe  ich  vergebens  danach  mich  umgesehen. 

Alle  bisherigen  Belehrungen  haben  wir  der  Steinhauerkunst  der  Ägypter 
zu  verdanken.  Aber  auch  die  Mumiendeckel  können  uns  nützlich  werden. 
Im  Ägyptischen  Museum  des  Vatikan  fand  ich  einen  solchen  im  Glas- 
schrank Nr.  141,  dessen  Deckelfigur  die  Hände  über  Kreuz  vor  der  Brust 
und  in  jeder  eine  geschlossene  Rolle  hält:  unsere  Abb.  18.  Diese  Rollen 
aber  sind  dunkelgrün  gefärbt  und  haben  oben  und  unten  goldgelben  Rand. 

Sehr  ähnlich  in  Florenz,  Archäologisches  Museum  Saal  IV  Nr.  45  (?1 
stehender  großer  Mumiendeckel:  auch  hier  halten  die  beiden  Hände  je 


Abb.  17 :  Lesender. 


1.  Die  Buchrolle  der  Ägypter. 


19 


eine  dünne  gebogene  dunkelgrüne  Rolle.  Festes  Greifmotiv;  starker  Daumen. 
Die  grünen  Rollen  sind,  wie  ich  mir  notierte,  mit  goldenem  Strich  und 
Flecken  geschmückt.  Auch  der  Mumiendeckel  im  Berliner  Mus.  Nr.  47 
unterscheidet  sich  hiervon  nur  dadurch,  daß  den  dunkelgrünen  Rollen  der 
goldene  Rand  fehlt. 

Die  Annahme  liegt  nahe,  daß  das  Buch  hier  in  einem  Mantel  steckt, 
der  gefärbt  wurde,  und  daß  dieser  Mantel  für  die  Paenula  des  Buchs  der 
Römer  wenn  nicht  ein  Vorbild,  so  doch  ein  Vorgänger  war. 

Endlich  noch  eins.  Bekannt  ist,  daß  das  griechisch-römische  Buch- 
wesen anfangs  Rollen  sehr  großen  Umfangs  duldete  und  daß  es  erst 
später  zur  durchgängigen  Herabsetzung  ihres 
Umfangs  weiterging.  Das  alte  Ägypten  aber 
hat  uns  Papyrusrouleaus  von  riesenhaften  Um- 
fangen geliefert.  Es  ist  daher  von  Interesse, 
festzustellen,  daß  schon  bei  den  Ägyptern  der 
Begriff  des  „großen  Buchs"  existierte,  daß 
man  also  große  und  kleine  Umfänge  schon 
damals  unterschied.  So  finde  ich,  daß  in  den 
Akten  über  den  Gräberdieb  Paneb'e  zur  Zeit 
des  Königs  Sety  II.  u.  a.  erzählt  wird,  er  habe 
einem  gewissen  Paherbeku  seine  beiden  „gro- 
ßen" Bücher  gestohlen.1)  Dies  ist  termino- 
logisch anmerkenswert. 

Sehr  umfangreiche  Rollen  zerfallen  daher 
in  Abschnitte;  der  große  Papyrus  Harris  von 
133  F.  Länge  gibt  seinen  Text  nicht  einheitlich, 
sondern  er  ist  in  5  Abschnitten  auf  71  Seiten 
verteilt.2) 

Das  Totenbuch  aber  ist  in  seiner  umfang- 
reichsten Gestalt  gleichfalls  keine  Einheit,  son- 
dern aus  verschiedenen  Kapiteln  und  Schriften, 
die  zum  Teil  ursprünglich  selbständig  waren, 
zusammengesetzt:  also  eine  ßißXoc  cuuuiYrjC. 
Solcher  Sachteil  in  der  Rolle  heißt  nun  wieder  „Rolle",  eine  Bezeich- 
nung, mit  der  eben  auf  seine  ursprüngliche  Selbständigkeit  hingewiesen 
wird.8)  Dies  ist  für  uns  wichtig;  denn  damit  ist  zu  vergleichen,  daß  auch 
später  bei  den  Griechen  oftmals  verschiedene  bibloi  in  eine  große  biblos 
zusammengesetzt  wurden.  Man  denke  an  die  Tomoi  des  Antisthenes:  tomos 
hieß  Rolle;  trotzdem  enthielt  jeder  von  ihnen  verschiedene  selbständige 

1)  Erman  S.  185.  2)  A.  a.  0.  S.  405. 

3)  R.  LEPSIUS,  Das  Totenbuch  der  Ägypter  nach  dem  hierogl.  Papyrus  in 
Turin  (1842)  S.  6  f. 


20 


Einleitung. 


Traktate,  die  als  biblia  gelten.  Die  Vorstellung,  daß  tomos  oder  biblion 
Rolle  ist,  braucht  darum,  wie  man  sieht,  durchaus  nicht  geschwunden 
zu  sein. 

2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  den  Griechen  und  Römern,  zur  Buchrolle 

)  ' 

als  Träger  der  beiden  sogenannten  klassischen  Literaturen. 

Der  Grieche  hat  vom  Ägypter  weder  das  hölzerne  Pennal,  das  sich 
zugleich  auch  als  Träger  der  Schrift  benutzen  ließ,  noch  den  Wassernapf 
übernommen.  Statt  dessen  wurde  das  Tintenfaß  beliebt,  das  die  Farbe 
im  flüssigen  Zustand  enthielt;  bisweilen  war  es  zweiteilig,  für  schwarze 
und  rote  Farbe.  Die  Calami,  mit  denen  der  Ägypter  die  Schrift  malte, 
blieben  dieselben;  man  bewahrte  sie  bündelweise.1)/  Im  übrigen  diente 
als  Buch  auch  bei  den  Griechen  die  Rolle,  und  wir  zweifeln  nicht,  daß 
dies  die  ägyptische  Papyrusrolle  war.  Daneben  kam  es  auf,  auch  auf 
Pergament  zu  schreiben,  doch  anfangs  nur  in  engen  Grenzen.  Vor  allem 
hatte  der  Grieche  vor  dem  Ägypter  die  Wachstafel  voraus2),  in  die  man 
die  Schrift  nicht  malte,  sondern  mit  dem  metallenen  Stilus  ritzte,  und  die, 
zweiflügelig,  sich  wie  ein  Kästchen  zusammenklappen  ließ.  Sie  diente  zu 
Brouillons,  Rechnungen,  Quittungen  u.  a. 

Das  Pergament  heißt  (oft  pluralisch)  membranae,  biqp6epai.  Wo  die 
Ausdrücke  in  älterer  Zeit  vorkommen,  ist  es  das  Nächstliegende,  ja  das 
Gebotene,  an  Pergamentrollen  zu  denken,  wie  sie  bei  den  Juden  üblich 
waren  und  blieben.  Der  Ausdruck  codex  (caudex)  hat  mit  Pergament 
zunächst  nichts  zu  tun  und  bedeutete  bis  ins  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  die 
mit  Wachs  bedeckte  Holztafel  resp.  mehrere  unter  sich  verbundene  solche 
Tafeln.  Erst  seit  dem  Ausgang  des  2.  Jahrhunderts  ist  das  Wort  für  den 
Pergamentkodex  nachweisbar.3)     Es  war  inzwischen  immer  häufiger  ge- 

1)  Es  gab  auch  eine  Vorrichtung,  das  Bund  der  Calami  und  das  Tintenfaß 
aneinander  zu  befestigen  und  zusammen  transportabel  zu  machen;  s.  Qarrucci 
Storia  dell'  arte  Christ.  Tfl.  488,  20;  unsere  Abbildung  145  unten. 

2)  Ägyptische  Wachstafeln  scheint  es  nur  aus  der  griechischen  Zeit  zu  geben; 
s.  Pietschmann  in  „Beiträgen"  Heft  4  S.  61. 

3)  Gerhard  und  Gradenwitz  führen  in  dem  inhaltreichen  Aufsatz  „Ein  neuer 
juristischer  Papyrus",  Neue  Heidelb.  Jahrbb.  XII  (1903)  S.  143,  um  auf  frühen 
Gebrauch  von  „Codices"  zu  schließen,  den  Juristen  Gaius  Cassius  an,  von  dem  es 
heißt:  et  Gaius  Cassius  scribit  deberi  et  membranas  libris  legatis.  Doch  genügt 
es  vollständig,  hier  unter  membranae  an  die  Brouillons  der  Schriftsteller  zu 
denken;  denn  die  Autoren  entwarfen  ihre  Werke  in  der  Tat  oft  auf  Membrane. 
Das  Pergament  diente  zu  solchen  Schreibzwecken,  diente  aber  nicht  zum  Lesen. 
Die  Entscheidung  des  Cassius,  daß,  wenn  „Bücher"  vermacht  wurden,  darunter  auch 
eventuell  die  vorhandenen  Entwürfe  auf  Membrane  mit  einbegriffen  sein  sollten, 
entsprach  der  Billigkeit;  denn  solche  Entwürfe  der  Autoren,  die  ibiÖTpacpa,  hatten 
oft  für  den  Erben  besonderen  Wert.  So  hat  der  Redner  Aristides,  p.  292  Jebb., 
seine  Wundergeschichten  zunächst  auf  btqpOepai  geschrieben  und  verweist  auf  diese; 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


21 


worden,  die  Wachstafeln  in  Membrane  nachzuahmen,  und  man  übertrug 
nun  hierauf  den  Ausdruck  codex.  Martial  aber  wagte  dies  noch  nicht, 
und  das  ist  wohl  zu  beachten.  Es  wäre  dasselbe  gewesen,  wie  wenn 
wir  etwa  von  einem  Filz  aus  Porzellan  sprechen  wollten.  Er  sieht  sich 
also  zu  der  mühsamen  Umschreibung  in  pugillaribus  membraneis  ge- 
zwungen. Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Sache  in  Martials  Zeit,  d.  i.  im 
Jahre  84  —  85,  noch  neu  war;  erst  zur  Zeit  des  Ulpian,  ca.  a.  200  —  228, 
war  sie  allen  geläufig  geworden. 

Die  Papyrusrolle  hieß  bei  den  Griechen  ganz  vorzugsweise  nach  dem 
Schilf,  aus  dem  sie  gemacht  wurde,  byblos,  biblion.  Dabei  wurde  aber 
meistenteils  zugleich  auch  an  den  Buchinhalt,  an  das  Schriftwerk  mit 
gedacht.  Für  die  Rolle  als  solche  gab  es  die  Ausdrücke  Charta  (6  xapTric)1) 
und  tomos.  Endlich  hieß  auch  teuchos  in  der  klassischen  Zeit  die  Rolle 
und  darf  nicht  etwa  mit  Codex  übersetzt  werden.2) 

im  Buchverkehr  kennt  er  dagegen  nur  ßißXia.  Die  Membranae  konnten  dann  aber, 
wie  gesagt,  auch  gerollt  sein,  und  diese  Lederrollen  wurden  zusammengenäht;  für 
letzteren  Umstand  sei  auf  L.  Blau,  Studien  zum  althebräischen  Buchwesen  (1902) 
S.  33 f.  verwiesen.  Noch  die  illustrierte  Exsultetrolle  im  Vatikan,  Vatic.  lat.  3784b, 
des  12.  Jahrhunderts  ist  so  zusammengenäht.  Somit  weisen  auch  die  membranae 
consutae  oder  nondum  consutae  bei  Ulpian  Dig.  XXXII  52,  5  (GERHARD  S.  166)  auf 
Rollen  und  nicht  auf  Codices.  Den  Ausdruck  codex  aber  kennt  jener  Cassius  noch 
nicht,  und  das  ist  wichtig.  —  Denselben  Dienst  als  Träger  von  Brouillons  leisteten  die 
ueußpävai  wohl  auch  dem  Paulus  ad  Timotheum  4,  13,  wenn  hier  nicht  etwa  Lederrollen 
des  Alten  Testaments  gemeint  sind.  Richtig  urteilt  hierüber  W.  WEINBERGER,  Berl.  Phil. 
W.  S.,  Bd.  24  S.  1107.  Die  späte  Stelle  aber  in  den  Acta  apost.  apocr.  ed.  LiPSlUS  und 
BONNET  II  2  S.  294, 14,  die  die  u-eußpävai  desselben  Paulus  erwähnt,  ist  offensichtlich 
aus  ad  Timotheum  1. 1.  zurechtgedichtet;  übrigens  kann  auch  da  an  ein  Buch  des  Alten 
Testaments  gedacht  sein.  —  Wenn  endlich  GERHARD  S.  169  des  Neratius  „Mem- 
branae" als  Codices  zu  deuten  wagt,  so  kann  ich  nur  wiederholen,  daß  es  m.  E. 
sinnlos  wäre,  wenn  jemand  sein  Werk  als  „sieben  Bücher  Leder"  betitelt  hätte.  Auch 
kenne  ich  keine  Analogie  dafür.  Vor  allem  aber  ist  darauf  zu  achten,  daß  das 
Einzelbuch  des  Neratius  doch  Uber  (primus,  secundus)  membranarum  betitelt  war; 
Uber  membranarum  aber  kann  niemals  „ein  Buch  aus  Membrane"  auf  deutsch 
heißen.  Die  lateinische  Sprache  verbietet  solche  Auslegung.  Oder  sagt  man 
etwa  statua  aeris,  vestis  lanae  für  eine  Statue  aus  Erz,  für  ein  Kleid  aus  Wolle? 
Es  bleibt  nichts  übrig,  als  anzusetzen,  was  auch  sachlich  vollauf  verständlich  ist, 
daß  wir  „ein  Buch  Entwürfe,  ein  Buch  Brouillons"  zu  verstehen  haben.  Das  Un- 
gezwungene der  Abfassung  sollte  durch  den  Titel  entschuldigt  werden.  Der  Form 
und  der  Sache  nach  entspricht  sein  Wortlaut  dem  Titel  Uber  epishilarumaut  das  beste. 

1)  Daher  x«Ptiov  ßißXiou  das  noch  unbeschriebene  Buch,  Jeremias  36,  2; 
vgl.  36,  28.  Über  die  schwierige  Galenstelle,  die  ßißXia  von  xapxai  als  Textträger 
unterscheidet,  s.  Weinberger  a.  a.  O.  S.  1108.  Vielleicht  ist  bei  Galen  XVIII  2 
S.  630  K.  mit  Umstellung  zu  lesen:  to  \xiv  exovTec  ^v  tciTc  cpiXupouc,  Tä  be  ev  xcnc 
Xdpraic,  Tä  bi  ev  6iaqp6poic  ßißXtoic  wcnep  xä  rrap'  r|utv  ev  TTepYäuuj.  Bücher 
aus  philyra  nennt  noch  Martianus  Capella  II  136  als  ebenbürtig  neben  den  übrigen. 
Zu  xä  irap'  r|utv  ist  keinesfalls  ßtßXia,  sondern  Y£TPauM£va  zu  ergänzen.  (Da  von 
bicpOepai  hier  nichts  überliefert  wird,  sind  die  Schlüsse,  die  E.  Rohde,  Kl.  Schriften  II 
S.  436  zog,  durchaus  willkürlich.) 

2)  Daß  xeuxoc  in  klassischen  Zeiten  Rolle  bedeutet,  wußte  ich  im  J.  1882  noch 
nicht.  Aber  auch  niemand  sonst  scheint  dies  bemerkt  zu  haben.  Wir  wissen  das  aber 


22 


Einleitung. 


Der  Römer  setzte,  noch  anschaulicher,  das  Wort  volwnen  dafür  ein, 
das  das  Gerollte  oder  Rollbare  bedeutet,  sowie  stramen  das,  was  sich 
ausbreiten  läßt.  Identisch  damit  ist  Uber,  welches  Wort  gleichfalls  nur 
„Rolle"  heißt.1)    Daneben  oft  auch  libellus.    Der  Römer  dachte  bei  dem 

erstlich  durch  die  Glossare:  Corp.  gloss.  lat.  III  375,8  steht  volumen  Teüxoc,  ebenso 
II  455,  43  xeöxoc  volumen;  vgl.  noch  III  25,4;  198,32;  327,25.  Auch  Isidor,  Origg. 
VI  2,2:  Teüxoc  volumen  vocatur.  Diese  Hermeneumata  setzen  das  Rollenbuchwesen 
noch  als  herrschend  voraus;  codex  tritt  ganz  zurück  oder  fehlt;  folia  fehlt  gänzlich; 
wohl  aber  erscheinen  III  375,  66  f.  die  ceÄibec,  sodann  Charta  und  umbilicus;  mem- 
branae  oicpOepou  sind  rollbares  Pergament.  Nie  übersetzen  diese  Glossare  Teüxoc 
mit  codex;  teüxoc  war  also  nicht  Codex. 

Dies  erhärtet  weiter  der  Aristeasbrief  (ed.  Wendland  1900)  des  2.  Jahrh.  v.Chr. 
Wenn  dort  §  310  steht  dveYvuucOn  rä  re6%y\,  so  benutzte  man  dies  bisher  als  Be- 
leg für  den  Gebrauch  der  Codices,  nicht  bedenkend,  daß  die  jüdischen  heiligen 
Schriften  nur  als  Lederrollen  umgehen.  Es  verlohnte  aber,  den  Brief  einmal 
durchzulesen,  denn  §  176  ff.  heißt  es  dort  ausdrücklich:  tcuc  biacpöpoic  btcpßepaic 
ev  cuc  v)  vopoOecia  Y€TpaW-ievn  xPuc°TPa(pi« •  weiter:  dTreKd\uv)jav  rä  tüjv  eveiXnM«- 
tuuv  Kai  toüc  üuevac  dvetXiEav,  woran  sich  schließt:  KeXeücac  6'  eic  xdEiv  diroooüvat 
Tä  Teüxn  ••-  enre.  Hier  ist  auf  das  klarste  bezeugt,  daß  Teüxn  und  eveiXnP-orra  das- 
selbe sind.  Daher  las  auch  Symmachus  im  Isaias  8,  1  und  Psalm  39,  8  Teüxoc  im 
gleichen  Sinne.  Ebenso  ist  also  auch  zu  verstehen  Patrokles  Thurius:  rä  noXXä  S-rrn 
eic  f.uKpöv  Teüxoc  dOpoiZeiv  (s.  Nauck,  Frag,  trag.-  S.  830).  Liest  man  im  Sanctus 
Hieronymus  et  Moyses  de  Graecia  (Pitra,  Analecta  Sol.  V  S.  128  A):  theucos  graece 
Uber  vel  modus,  so  braucht  tcüxoc  noch  nicht  anders  verstanden  zu  werden.  Penta- 
teuchos  heißt  „Fünfrollenwerk":  im  3.  und  4.  Jahrh.  wurde  vom  Pentateuch  jede  Rolle 
zunächst  in  je  einen  Codex  übertragen;  auch  aus  den  vier  Evangelienrollen  wurden 
vier  Codices,  und  die  Bedeutung  des  Teüxoc  veränderte  sich  dann  allmählich  mit 
der  Buchform.  Wenn  nun  in  Augustus'  Zeit  des  Anakreon  fünf  ßüßXoi  in  einem 
Teüxoc  überreicht  werden  (Anthol.  Pal.  9,  239),  so  sind  zwei  Möglichkeiten:  entweder 
waren  sie  in  eine  große  Rolle  zusammengeschrieben,  oder  aber  tcüxoc  hat  hier  eine 
zweite  Bedeutung,  die  die  ursprünglichere  war,  nämlich  „Gefäß".  Diese  Bedeutung 
ist  im  Griechischen  so  allgemein,  daß  ich  nicht  sehe,  was  uns  hindern  soll  sie  anzu- 
erkennen; und  Xenophon  gibt  nun  (wennschon  E.  ROHDE,  Kl.  Schriften  II  S.437  dagegen 
eiferte)  die  klarste  Bestätigung,  Anab.  VII  6,  14,  wo  wir  lesen,  daß  die  Schiffer  sowohl 
andere  Waren  als  auch  Buchrollen  in  EuXivd  Teüxn  beförderten.  Hiermit  ist  bezeugt,  daß 
Teüx>i  hölzerne  Kästen  waren,  in  denen  man  sowohl  andere  Gegenstände,  die  gleichen 
Schutzes  bedurften,  als  auch  Buchrollen  zu  transportieren  pflegte.  Das  Teüxoc  war  also 
mit  einer  Büchercapsa  klärlich  identisch;  die  Capsa  war  eine  Spezies  der  reüxn,  und 
auch  die  Capsa  wurde,  wie  ein  späterer  Abschnitt  zeigen  wird,  gerade  vorzugsweise 
zu  Transportzwecken  bestimmt.  ROHDE  dachte  sich,  wie  es  scheint,  in  den  eigent- 
lichen Capsae  oder  Scrinien  seien  nur  Bücher  aufgehoben  worden,  während  in  den 
Teüxn  bei  Xenophon  auch  andere  Waren  Unterkunft  finden.  Auch  darin  aber  irrte 
er,  denn  dieselben  Capsae  wurden  nachweislich  ebenso  auch  für  beliebige  andere 
Gegenstände  verwendet;  auch  dafür  werde  ich  späterhin  Beispiele  bringen.  Aber 
es  versteht  sich  von  selbst,  daß  es  in  dem  Belieben  der  Menschen  stand,  in  die 
Schachteln  hineinzutun,  was  hineinpaßte,  sowie  man  in  das  Armarium,  den  Schrank, 
Bücher  oder  Imagines  oder  auch  Stiefel  stellte.  In  Gerät  (cKeün)  wird  ein  Buch 
versteckt  bei  Aeneas  Takt.  Poliorket.  31,  1.  Somit  hat  Teüxoc  im  Buchwesen  zwei 
Bedeutungen:  1)  Rollenschachtel,  2)  die  Einzelrolle  selbst,  ähnlich  wie  cüvtüSic  so- 
wohl ein  mehrrolliges  Werk  als  auch  ein  Einzelbuch  bedeutete  (s.  unten).  —  Wer 
jetzt  noch  angesichts  der  Bildwerke  für  des  Augustus  Zeit  an  einen  Anakreonkodex 
zu  5  Büchern  (!)  und  überhaupt  an  einen  „Codex"  denken  kann,  mit  dem  kann  ich 
nicht  disputieren. 

1)  Die  Ausführungen  H.  Landwehrs  über  Uber  und  volumen  im  Archiv  f.  Lex, 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


23 


Worte  Uber  an  den  Baumbast,  dem  das  Material  der  Papyruscharta  sehr 
ähnlich  sah.  Dafür  ist  uns  z.  B.  Martial  14,  209  Zeuge,  der  diese  Charta 
geradezu  cortex  Mareotica,  also  Baumrinde  vom  See  Marea,  nannte.1) 
Auch  das  Wort  Uber  ist  somit  durchaus  nicht  abstrakt,  sondern  voll- 
anschaulich verstanden  worden  und  entsprach  so  dem  griechischen  byblos. 
Zuerst  verlor  sich  beim  Deminutiv  libellus,  erst  später  bei  Uber  die  kon- 
krete Anschauung.  Denn  daß  Uber  eigentlich  „Bast"  bedeutete,  blieb  doch 
dem  Römer  noch  lange  bewußt.2)  Noch  Ambrosius  versteht  die  Rolle,  wenn 
er  sagt,  der  Himmel  dehne  sich  wie  ein  Uber.3) 

Die  deutsche  Übersetzung  „Buch"  ist  durchaus  mißverständlich,  da 
unser  „Buch"  vieldeutig  sowohl  als  Buchkörper  wie  als  Schriftwerk  wie  als 
Kapitel  und  Sachteil  eines  Schriftwerkes  verstanden  wird.  Uber  dagegen 
ist  überall  Rollenbuch  und  steht  für  den  Sachteil  eines  Werkes  nur  als- 
dann, wenn  dieser  Sachteil  eben  selbständig  eine  Rolle  füllt.4) 

VI  S.  223  ff.  sind  unbrauchbar.  Auf  sie  näher  einzugehen  ist  mir  hier  unmöglich, 
aber  auch  hoffentlich  unnötig.  Sie  wirtschaften  dabei  übrigens  zu  großen  Teilen 
mit  dem  Stellenmaterial,  das  ich  zusammengetragen  hatte;  neues  war  nötig.  Sogar 
mein  irriges  Zitat  aus  Apulejus  De  aspir.  ist  da  übernommen  worden.  Für  den 
Begriffsunterschied  zwischen  Uber  und  libellus  in  Statius'  Silven  beruft  sich  VOLLMER 
Silv.  S.  209  auf  LANDWEHR  S.  247;  LANDWEHR  hat  ihn  aber  von  mir  (S.  24). 

1)  Ganz  ebenso  nannten  in  späteren  Zeiten  die  Benediktiner  die  Codices  char- 
tacei  Codices  corticei:  s.  z.  B.  MlQNE,  Patrolog.  lat.  Bd.  38  S.  31.  Auch  mit  Taback 
hat  man  die  Charta  verglichen;  s.  DE  Iorio,  Officina  de'  papiri  S.  5. 

2)  z.  B.  Servius  z.  Aen.  XI  554. 

3)  Ambros.  Hexaemer.  I  6,  21:  extenditur  enim  (caelum)  .  .  .  quasi  Uber  ut 
plurimorum  scribantur  nomina. 

4)  Die  scheinbaren  Ausnahmen  zu  diesem  Satz  zerfallen  in  drei  Klassen.  Erst- 
lich konnte  man  in  dichterischer  Sprache  durch  Synekdoche  Uber  für  libri  sagen, 
wie  miles  für  milites,  Romanus  für  Romani;  danach  ist  z.  B.  die  ßißAoc  'Ouipou 
des  Iulian,  Anthol.  Pal.  IV  88,  zu  erklären,  und  ähnlich  würde  ich  auch  Ovid  Trist. 
I  7,  33  beurteilen,  wenn  diese  Stelle  nicht  aus  anderen  Gründen  eine  Emendation 
forderte  (s.  unten  Abschnitt  IV  §  13).  -  Zweitens  kann  Uber  nicht  nur  „das  Buch", 
sondern  auch  „ein  Buch"  bedeuten.  Dafür  ist  wegweisend  Fronto  p.  48  Nab.:  ut 
poni  in  libro  Sallustii  possit,  d.  h.  „daß  es  in  einem  der  Bücher  des  Sallust  stehen 
könnte."  Uber  ist  sonach  =  aliquis  librorum.  Ebenso  Plin.  epist.  VI  20,  5:  posco 
librum  Titi  Livi.  Wenn  also  z.  B.  bei  Seneca  epist.  108,  30  richtig  emendiert  wird 
cum  Ciceronis  librum  de  re  p.prendit  hinc  philologus  aliquis  eqs.,  während  Ciceros 
Werk  De  re  publica  6  Bücher  umfaßte,  so  ist  zu  übersetzen  „eins  der  Bücher  Ciceros 
über  den  Staat".  Wer  behaupten  wollte,  Uber  stünde  hier  für  opus,  käme  zu  Albern- 
heiten. Denn  prendere  heißt  „ergreifen,  mit  der  Hand  nehmen".  Sechs  Rollenbücher 
aber  lassen  sich  nicht  gleichzeitig  anfassen.  Es  liegt  in  der  Sache  und  tausend 
Monumente  bestätigen  es,  daß  man  nur  immer  je  eine  Rolle  halten  konnte.  Seneca 
hätte  also  an  dieser  Stelle  weder  opus  noch  libros  schreiben  können.  Ähnlich  ist 
Gellius'  Überschrift  XVI  19:  sumpta  ex  Herodoti  libro  super  fidicine  Arione  zu  ver- 
stehen: „genommen  aus  einem  Buch  Herodots,  worin  die  Geschichte  vom  Arion 
vorkommt."  —  Der  dritte  Erklärungsgrund  endlich  ist  nachlässige  Zitierweise,  die 
um  so  zweifelloser  als  solche  anzuerkennen  ist,  da  sie  uns  nur  in  späteren 
Autoren  entgegentritt.  In  der  Zeit,  als  das  Codexbuchwesen  siegte,  konnte  Sido- 
nius Apollinaris  epist.  V  2  reden  von  einem  Uber  tribus  voluminibus  illustris; 
vgl.  den  Uber  Favorini  bei  Iul.  Valerius  I  7.    So  ignoriert  nun  also  auch  Chari- 


24 


Einleitung. 


Vom  5.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  zum  4.  Jahrhundert  nach  Chr.,  d.  h. 
durch  ein  Jahrtausend  ist  nun  diese  Buchrolle  ganz  vorwiegend,  man  kann 
sagen,  ausschließlich  der  Träger  nicht  des  gesamten  Schriftwesens,  aber 
der  gesamten  eigentlichen  Literatur  der  Alten  gewesen.  Das  lehren  über- 
einstimmend Schriftwerke  und  Bildwerke.  Diptycha,  d.  h.  zusammengefügte 
Wachstafeln,  waren  zu  klein,  um  mehr  als  Notizen,  Entwürfe  oder  Briefe 
aufzunehmen.  Lederrollen  waren  zum  Halten  zu  schwer  und  zum  Biegen 
zu  ungefüge;  wer  unsere  Abbildung  172  sieht,  wo  sie  dargestellt  sind, 
wird  das  begreifen.  Die  Heftung  von  Charta  oder  Pergament  in  Blattlagen 
nach  Art  unserer  Bücherbände,  die  Idee  des  Heftes  und  des  Bandes,  wurde 
erst  verhältnismäßig  spät  entdeckt,  ihre  Verwirklichung  wieder  und  wieder 
versucht;  zu  den  Vorteilen,  die  sie  bot,  gehörte  unter  anderem,  daß  sie 
über  den  Gesamtinhalt  eines  Werkes  einen  rascheren  Überblick,  daß  sie 
das  Blättern  und  Aufsuchen  von  Zitaten  ermöglichte.  Gleichwohl  genügte 
dies  nicht,  um  eine  alte  Gewöhnung  sogleich  aufzuheben,  und  verschiedene 
Umstände  mußten  erst  zusammenwirken,  bis  die  Buchrolle  einging.  Ein 
Lesen  im  Diptychon  wird  selten,  ein  Lesen  im  umfangreicheren  Codex- 
buch wird  bis  zum  4.  Jahrh.  n.  Chr.  nie  dargestellt;  zum  Lesen  dient  nur 
die  Rolle. 

Die  Papyrusrolle  war  rasch  zerstörbar,  und  es  war  schon  viel,  wenn 
sie  ein  Alter  von  hundert  Jahren  erreichte,  denn  selbst  das  Liegen  schadete 
ihr1),  während  das  Pergament  der  Zeit  und  den  Schäden,  die  die  häufige 
Benutzung  mit  sich  brachte,  besser  Widerstand  leistet.  Die  Codices  aus 
dem  4.  und  5.  Jahrh.,  die  wir  besitzen,  sind  zwar  in  deutlichem  Verfall  und 
vielleicht  nicht  lange  mehr  lesbar;  aber  sie  existieren  doch  noch  heute. 
So  war  es  eine  Rettung  für  die  antike  Literatur,  als  sie  aus  den  feder- 

sius  im  4.  Jahrh.  gelegentlich  die  Buchzahl,  wenn  er  Varro's  Uber  de  poematis 
zitiert;  oder  Zenobios,  der  III  42  in  dem  Zitat  "Ittttuc  ev  tw  Trepi  xP°VU)v  gleichfalls 
die  Buchzahl  vermissen  läßt.  Leicht  kann  sie  aber  hier  auch  ausgefallen  sein,  und 
als  Maxime  muß  gelten:  man  konstatiere  zuvor,  wie  oft  ein  Grammatiker  -  z.  B. 
Gellius  —  seine  Autoren  korrekt  mit  Buchzahlen  zitiert,  um  dann  erst  zu  schließen, 
ob  die  Ausnahmen  bei  ihm  auf  Irrtum  resp.  auf  Verderbnis  des  Textes  beruhen 
müssen  oder  nicht.  M.  Hertz  verwies  mich  für  Gellius  dereinst  auf  die  Stelle  Gell. 
X  1,  3,  wo  er  für  Coelius  im  Anschluß  an  MELTZER  eine  Buchzahl  richtig  in  den 
Text  eingesetzt  hat;  schon  der  Claudius  mit  Buchzahl,  der  dort  folgt,  erzwingt  das. 

Eine  Spezialarbeit  über  derartige  ungenaue  Zitate  wird,  wie  ich  hoffe,  dem- 
nächst ans  Licht  treten. 

Den  Scriptores  historiae  Augustae  kann  in  ihrer  vorliegenden  Fassung  wohl 
schon  eine  nachlässige  Ausdrucksweise  zugetraut  werden;  wird  aber  dort  im  Leben 
des  Tacitus  c.  10  gelesen:  librum  per  annos  singulos  decies  scribi  publicitus  .  .  . 
iussit,  so  liegt  die  Vermutung  äußerst  nahe,  daß  hier  nur,  wie  es  so  oft  geschieht, 
die  Endungen  vom  Schreiber  vertauscht  worden  sind,  und  ich  lese  jetzt:  libros  per 
annum  singulos  usf.  Anders  habe  ich  die  Stelle  im  Buchwesen  S.  352  behandelt. 
Der  Kaiser  Tacitus  ließ  sonach  jedes  Einzelbuch  des  gleichnamigen  Historikers 
zehnmal  im  Jahr  abschreiben,  um  dem  Untergang  seiner  Werke  vorzubeugen. 

1)  Siehe  Buchwesen  S.  365  f. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


25 


leichten  Rollen  in  die  lastenden  Codices  übertragen  wurde,  und  jeder  Lieb- 
haber des  Altertums  muß  sich  dieser  Tatsache  freuen.  Aber  die  Handlich- 
keit, das  Maß,  die  Anmut  und  Grazie  ging  verloren.  Das  Buch  hat  den 
Menschen  nie  so  geschmückt,  als  in  den  Zeiten,  da  es  Rolle  war. 

Der  Hauptgrund,  weshalb  man  sich  im  Altertum  immer  wieder  gegen 
das  Fell  als  Beschreibstoff  sträubte  —  denn  an  der  Versuchung,  die 
Membrane  zu  bevorzugen,  fehlte  es  nicht  zu  den  verschiedensten  Zeiten  — , 
lag  erstlich  und  vor  allem,  um  dies  nochmals  zu  betonen,  in  der  großen 
Leichtigkeit  der  Charta,  die  eben,  wie  wir  von  unserem  Papier  her  wissen, 
schon  allein  ein  ganz  durchschlagender  Vorzug  ist.  Hierzu  kam,  nebenbei 
bemerkt,  auch  die  weit  größere  Annehmlichkeit  beim  Lesen,  da  die  Mem- 
brane blank  ist  und  Lichter  reflektiert,  die  Charta  dagegen  mattfarben,  duff 
und  lichtlos.  Das  war  bei  der  Helligkeit  der  Beleuchtung  im  Süden  und 
der  Gewohnheit,  im  freien  Licht  zu  leben,  wichtiger,  als  wir  denken.  Die 
Charta  schonte  das  Auge  des  Lesenden.  Dies  leuchtet  an  sich  ein,  und 
Galen  bestätigt  es,  indem  er  hervorhebt,  daß  es  für  Schreiber  am  an- 
greifendsten  für  das  Auge  ist,  wenn  sie  auf  weißem  Pergament  schreiben 
müssen;  sie  legen  alsdann  eine  dunkle  Farbenfläche  daneben,  um  daran 
das  Auge  zu  erholen.1) 

Wie  kam  es,  daß  die  Rolle  ihre  tausendjährige  Herrschaft  verlor? 
Ehe  wir  ihr  Leben  durch  Hunderte  von  Bildern  verfolgen,  wollen  wir  uns 
in  Kürze  über  ihr  Ableben  klar  werden.  Nicht  die  bewußte  Absicht  der 
menschlichen  Gesellschaft  oder  der  gebildeten  Kreise,  die  Literatur  zu 
retten,  war  daran  schuld.  Allerdings  aber  fing  man  in  Domitians  Zeit  an, 
gerade  nur  die  geläufigsten  Schriftsteller,  d.  h.  nur  diejenigen,  die  man 
im  Schulunterricht  der  Knaben  brauchte,  auf  das  solidere  Material 
zu  übertragen.  Dies  und  nur  dies  bezeugt  uns  Martial  14,  184—  192. 
Bei  der  häufigen  Benutzung  in  den  Schulen  litten  eben  die  Exemplare 
(man  weiß,  wie  es  heute  den  Schulbüchern  ergeht)  und  die  Papyrusrollen 
wurden  zu  rasch  vernutzt. 3)  Besonders  unter  den  Antoninen  steigerte 
sich  dann  der  Schulbetrieb;  das  Unterrichtswesen  wurde  vom  Staat  und 
zwar  für  alle  Provinzen  organisiert.  Daß  seit  dem  3.  Jahrh.  Codices  häufiger 
erwähnt  werden,  dürfte  damit  zusammenhängen.  Das  Christentum  war 
ferner  die  Religion  des  Buchs;  das  Buch  trat  durch  sie  in  den  Mittelpunkt 
des  Glaubenslebens  und  des  gottesdienstlichen  Rituals;   darum  mußte  es 

1)  Galen.  III  p.  776  KÜHN;  so  stellen  auch  die  Geldwechsler  ihre  Münzen  auf 
grünes  Zeug  u.  a.,  Isidor,  Origg.  VI  11,  3. 

2)  Zur  Verdeutlichung  diene  aus  späterer  Zeit  die  Stelle  der  Epistulae  ad 
Ruricium  (Ruricius  ed.  ENGELBRECHT  p.  446,  7):  admiremini  Studium  meum,  quod 
quae  opuscula  contineret,  hucusque  (quiy  nescivi,  sane  capifulatim  iam  librum 
traditurus  inspexi.  Chartaceus  Uber  est  et  ad  ferendam  iniuriam  parum 
fortis,  quia  citius  Charta,  sicut  nostis,  vetustate  consumitur.  Legite,  si 
iubetis,  et  transcribite  (diese  Stelle  ist  schon  einst  von  Marini  benutzt). 


26 


Einleitung. 


wiederum  dauerhafter,  fester,  widerstandsfähiger  sein.  Und  so  hat  gerade 
das  Christentum  sich  des  Codexbuchwesens  ziemlich  früh  bedient;  es  hat 
ihm  wesentlich  zur  Herrschaft  verholfen.  Aber  solche  Exemplare  auf  Per- 
gament stellte  jeder  sich  selbst  her,  und  die  Privatabschrift  war  mit  dem 
Codex  eng  verknüpft1),  während  der  antike  Buchhandel,  der  fertige  Exem- 
plare verkaufte,  vom  Codex  nichts  weiß.  Dies  bestätigt  sich  auch  darin, 
daß  die  Rechtsbücher  des  3.  und  4.  Jahrh.,  die  von  vornherein  die  Codex- 
form annahmen,  der  codex  Gregorianus,  Hermogenianus  und  Theodosianus, 
für  Vervielfältigung  und  Verkauf  nicht  bestimmt  waren.2) 

Dazu  kam  nun  weiter  der  entscheidende  Umstand,  daß  die  Papyrus- 
rolle in  den  Zeiten  des  sinkenden  Reichs  immer  teurer  und  schließlich 
unerschwinglich  wurde. 

Vergleichende  Preisangaben  fehlen.  Wohl  aber  ordnet  Martial  in 
seinem  14.  Buch,  das  eine  Aufzählung  und  Beschreibung  von  Saturnalien- 
geschenken gibt,  die  Gegenstände  paarweis  nach  dem  Wert,  indem  immer 
auf  ein  besseres  Geschenk  ein  geringeres  folgt,  und  es  ist  eine  nicht  weg- 
zuräumende Tatsache,  daß  dort,  wo  er  Bücher  vorführt,  die  Schriftsteller 
in  membranis  regelmäßig  an  der  Stelle  des  geringeren,  die  auf  Charta  an 
der  Stelle  des  höheren  Wertes  erscheinen.  Daß  die  letzteren  teurer  waren, 
ist  also  keine  paradoxe  Behauptung  von  mir,  wie  man  es  genannt  hat, 
sondern  Martial  bezeugt  es,  und  wer  das  Bezeugte  nicht  glauben  will,  muß 
sich  mit  Martials  Überlieferung  auseinandersetzen,  er  muß  die  Textfolge,  wie 
sie  bei  ihm  vorliegt,  durch  Umstellung  abändern,  und  das  einzige  Zeugnis, 
das  wir  haben,  wird  so  vergewaltigt.  Mit  einer  Umstellung  kommt  man 
dann  aber  nicht  aus.  Das  zeigt  schon  Friedländers  Martialausgabe,  und 
zu  den  Umstellungen  kommt  noch  die  Ansetzung  von  Ausfällen  hinzu,  so 
daß  alle  Wahrscheinlichkeit  aufhört.  Mit  solchem  Verfahren  läßt  sich  eben 
alles,  d.  h.  nichts  beweisen.  Vielmehr  spricht  alles  dafür,  daß  die  über- 
lieferte Ordnung  der  betreffenden  Epigramme  183  —  196  richtig  ist;  denn 
weder  vor  ihnen  noch  hinter  ihnen  ist  eine  Spur  von  Unordnung  in  der 
überlieferten  Reihenfolge  wahrzunehmen.  Alles  ist  hier  festgefügt.  Nur  die 
mangelnde  Einsicht  unserer  Gelehrten  hat  die  Unordnung  hineingetragen. 

Man  mag  die  Überlieferung  paradox  nennen.  Doch  wird,  wer  sich 
die  Sache  ernstlich  überlegt,  anders  denken.  Ein  Schreibmaterial  wie  die 
Charta  konnte  nie  billig  im  Preis  stehen;  sie  war  um  so  teurer,  da  die 
Fabrikation  und  Produktion  auf  einen  Weltwinkel,  das  Nildelta,  beschränkt 


1)  Ich  zitiere  statt  vieler  Belegstellen  nur,  was  Rufinus  Apol.  in  Hieronym.  II  5 
von  einer  Schrift  des  Hieronymus  berichtet:  quem  libellum  omnes  pagani  ...  certa- 
tim  sibi  describebant. 

2)  Mommsen,  Zeitschr.  für  Rechtsgeschichte  Bd.  X,  röm.  Abteilung,  S.  350,  der 
übrigens  dabei  annimmt,  daß  ohne  Zutun  Gregors  die  Einzelbücher  seines  „Codex" 
in  Rollenform  auch  in  den  literarischen  Verkehr  übergingen. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


27 


war.  Daß  die  Charta  schon  im  alten  Ägypten  als  etwas  Wertvolles  galt, 
sahen  wir  oben  S.  7  f.;  daß  sie  auch  in  der  griechischen  Zeit  „nicht 
billig"  war,  bemerkte  Wattenbach.1)  Vor  allem  ist  auch  F.  Kenyon,  Palaeo- 
graphy  of  Greek  Papyri  S.  113,  zu  der  Einsicht,  daß  die  Membrane  wohl- 
feiler als  die  Charta  war,  gelangt.  Gewiß  wurde,  als  der  Export  des 
ägyptischen  Buchs  nach  Griechenland  und  Rom  begann,  die  Kultur  der 
Pflanze  noch  intensiver,  die  Technik  gesteigert;  die  Konkurrenz  neu  sich 
auftuender  Fabriken  kam  hinzu;  allein  die  ursprünglich  sehr  hohen  Preise 
stellten  sich  dadurch  schwerlich  niedriger.  Sehr  wahrscheinlich,  daß  sich 
bei  mechanischem  Verfahren  die  Ware  im  Hinblick  auf  die  größere  Nach- 
frage wesentlich  verbilligt  hätte.  Da  jedoch  alles  Handarbeit  war  und 
blieb,  so  war  dies  nicht  möglich.  Nun  hatte  also  das  kleine  Nildelta 
Kleinasien,  Syrien  und  halb  Europa,  Griechenland,  Italien,  bald  auch  Gal- 
lien2), Nordafrika,  Spanien  allein  mit  dem  alltäglich  gebrauchten  Schreib- 
material zu  versorgen.  Man  denke,  daß  ein  paar  Städte  an  den  Rhein- 
mündungen, Gent,  Antwerpen,  Brügge,  heute  allein  für  ganz  Deutschland, 
England,  Frankreich,  Italien  usf.  das  nötige  Papier  liefern  und  herstellen 
sollten  aus  einem  Material,  das  nur  an  den  Rheinmündungen  wüchse.  Ich 
wollte  sehen,  ob  solches  Papier  da  nicht  sehr  kostbar  würde  und  ob  nicht 
viele  vorziehen  würden,  wieder  zum  ungefügen  Tierfell  zu  greifen,  mit  dem 
sich  das  Mittelalter  begnügen  mußte. 

Über  den  Geldwert  besitzen  wir  leider  nur  aus  der  älteren  Zeit  einige 
Angaben.3)  Nach  einer  attischen  Inschrift  des  Jahres  407  v.  Chr.,  C.  I.  A. 
I  S.  324,  kostete  damals  ein  unbeschriebener  xotpxric  acht  Obolen,  d.  i.  eine 
deutsche  Reichsmark  oder  im  modernen  Geldwert  gegen  4  Mark.4)  Wie 
groß  solcher  X<xpTrlc  war,  wissen  wir  nicht:  gewiß  nicht  über  100,  vielleicht 
nur  gegen  20  Blätter.    Auf  alle  Fälle  ist  der  Preis  sehr  hoch. 

Etwa  100  Jahre  später  kostet  in  Epidauros  ein  leeres  xapxiov  4^  Obo- 
len5), das  ist  etwa  die  Hälfte  des  vorigen.  Der  Preis  war  nicht  etwa  ge- 
sunken, sondern  das  \apj\ov  um  so  viel  kleiner  als  der  xäpTr\c.  Diese 
beiden  Angaben  sind  also  eher  ein  Beweis  für  die  Stabilität  des  Preises. 

Auch  auf  griechisch-ägyptischen  Papyri  der  Ptolemäerzeit  finde  ich 
mehrere  Preisangaben;  doch  ist  ihre  Benutzung  schwierig.    Nur  die  „An- 

1)  Anleitung  zur  griech.  Paläographie  3.  Aufl.  S.  11.  Auch  ZlELlNSKI  hebt  den 
hohen  Preis  des  Papiers  hervor,  Neue  Jbb.  f.  kl.  Alt.  IX  (1906)  S.  269. 

2)  Zu  Plinius'  Zeiten  gibt  es  Buchhändler  in  Lyon;  s.  Plin.  epist.  IX  11,  2. 

3)  Findet  man  auf  einem  Papyrusfragment  ßißXouc  auf  2  Obolen  angesetzt 
(Grenfell,  Hunt,  Hoqarth,  Fayüm  towns  and  their  papyri,  1900,  Nr.  331  S.  312),  so 
können  hier  Schäfte  des  Schilfs,  auch  wohl  Seile  gemeint  sein.  Sonst  erwartet  man 
xdpxac  zu  lesen. 

4)  Buchwesen  S.  433. 

5)  Cawadias,  Fouilles  d'Epidaure  (1891)  I  n.  242  Z.  159:  x«pt(ou  eic  toc  auv- 
ypoqpouc  (so)  'AvTiKpiruui  IIIIC.  Es  handelt  sich  um  die  Erbauung  der  Tholos  durch 
den  jüngeren  Polyklet. 


28 


Einleitung. 


fertigung"  eines  Chartes,  nicht  der  Chartes  selbst  wird  einmal  auf  100  Kupfer- 
drachmen, das  wären  etwa  l1/.  Obolen,  angesetzt.  Ob  diese  „Anfertigung" 
nur  das  Zusammenkleben  der  Blätter  betrifft,  bleibt  unsicher;  und  welchen 
Wert  hier  eine  ägyptische  Obole  repräsentiert,  ist  ebenso  ungewiß1);  doch 
dient  es  zur  Veranschaulichung,  andere  gleichzeitige  Preissätze  zu  ver- 
gleichen. Für  dieselben  100  Kupferdrachmen  konnte  man  auch  Ys  Artabe 
oder  3  Liter  Linsen  kaufen;  ebenso  viel  kosteten  5  Laib  Brot,  ebenso  viel 
ein  Weberschiffchen;  für  fast  denselben  Preis,  nämlich  120  Dr.  konnte  man 
ein  Hemd  (xitujviov)  kaufen,  während  %  Kotyle  oder  %  Liter  Öl  schon  für 
80  Drachmen  zu  haben  war,  Tinte  (ueXctv)  auf  10,  ein  Pinax  auf  5  an- 
gesetzt wird.'2)  Daß  der  Streifen  Papier  teuer  war,  scheint  mir  auch  hieraus 
klar  hervorzugehen.  Vor  allem  kostete  ein  Fell  (kujöiov)  nur  17  Drachmen.11) 
Und  das  Pergament  sollte  teurer  als  die  Charta  gewesen  sein? 

Im  2.  Jahrh.  nach  Chr.  war  ein  leerer  Chartes  in  Ägypten  3  Obolen 
wert,  d.  i.  Ys  Denar4);  im  9.  Jahrh.  nach  Chr.  dagegen  %  arabischen  Denar'), 
was  mit  2,80  österr.  Kronen  oder  2,38  deutsche  RM.  gleichgesetzt  wird.15) 

Sonst  kennen  wir  leider  nur  Buchpreise,  nicht  Papierpreise.    Die  Wert- 


1)  Tebtunis  Papyri  1  ed.  Grenfell-Hunt-Smyly  (1902)  Nr.  112  (aus  d.  Jahr  112 
vor  Chr.),  Zeile  25:  Kd-repYov  xapxujv  i  dva  p  'A.  Die  „Anfertigung"  von  10  Chartai 
zu  je  100  Drachmen  gibt  1000.  Für  jedes  Stück  zahlte  man  also  100  Kupferdrach- 
men. Das  Verhältnis  von  Kupfer-  und  Silberdrachmen  wird  von  den  englischen 
Editoren  des  zitierten  Werks  S.  588  ff.  als  schwankend  zwischen  500  :  1  und  375  :  1 
nachgewiesen.  U.  WlLCKEN,  den  ich  in  diesen  Dingen  um  Rat  anging,  hatte  die 
Freundlichkeit  mir  seine  Zustimmung  zu  diesen  Nachweisen  mitzuteilen.  Vgl.  auch 
WiLCKEN's  Griechische  Ostraka  I  S.  723.  Setzen  wir  demnach  etwa  das  Verhältnis 
400:1  an,  so  kostete  die  Herstellung  eines  Chartes  100  Kupferdrachmen  oder 
l/4  Silberdrachme  =  1V2  Obolen. 

Ich  füge  hier  noch  einiges  aus  den  Papyri  hinzu.  Amherst  Papyri  Nr.  126,  7: 
KÖpTouc  (&paxiuai)  t  (ößoXol  bvo),  also  80  Drachmen  u.  2  Obolen.  Es  handelt  sich 
hier  mindestens  um  zwei  Chartai;  solcher  kostete  damals,  in  der  Kaiserzeit,  also 
keinesfalls  mehr  als  40  Dr.  1  Obole.  —  Aus  der  Ptolemäerzeit  Tebtunis  Pap.  Nr.  112 
Z.  61:  'Aq>paü.cei  ^axiuuui  6|uo(ujc  xi.ufjc  xapTwv  eic  cu(iTr\r]pujav  tüjv  CH0iYeYPaM^evujv  tüjv 
xapLTo]Tro(tün)  Tai  =  3800;  dazu  Z.  81:  'Acppcnicei  (Liaxipuui  ToiTOYpa|UfioiT€UJC  eic  6ia- 
Ypacpr'iv  xapTüiv  wer'  de  ävcnrXfipuuciv  xo(Xkoü)  (raXavTcai)  a  'BZ  =  2200.  Die  Rech- 
nung stimmt:  3800  -)-  2200  geben  in  der  Tat  6000  Kupferdrachmen  oder  ein  Kupfer- 
talent. Für  die  hier  behandelte  Frage  ist  daraus  freilich  nichts  weiter  zu  entnehmen, 
als  daß  die  Summen  sehr  groß  erscheinen.  —  Ebenda  werden  noch  Z.  118  xapTcu 
in  Rechnung  gestellt,  aber  die  Zahlangabe  fehlt. 

Zusammenstellungen  von  Warenpreisen  gibt  SALLUZZI  in  Rivista  di  Storia  antica 
N.  S.  VI  1  (1901)  S.  9  ff.;  daselbst  S.  49  Papyrus  als  Nahrungsmittel;  auch  dies  er- 
gibt indessen  für  uns  nichts. 

2)  Tept.  Pap.  n.  122,  7  über  Linsen;  121,  41  u.  85  über  Brot;  S.  473  med.  atdOn 
&Epuomvri;  n.  122,  11  %  Kotyle  Öl;  112,37  (ueXav;  112,51  mvat.  Über  den  Preis 
des  x'tuüviov  s.  Salluzzi  a.  a.  O.  S.  51. 

3)  Salluzzi  S.  55. 

4)  Amherst  Papyri  Nr.  127,  20:  Tiuf]c  xapfou  TpiuüßoAov.  Die  ägyptische  Drachme 
ist  in  jener  Zeit  =  1/i  Denar;  s.  Hultsch,  Metrolog.  S.  650'-'. 

5)  S.  Führer  durch  die  Ausstellung  Erzherzog  Rainer  S.  XVI. 

6)  Vgl.  auch  ebenda  Anm.  zu  Nr.  667. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


29 


angaben  über  hebräische  Pergamentrollen,  die  aus  der  römischen  Kaiserzeit 
stammen,  lassen  sich  dabei  nicht  zum  Vergleich  heranziehen,  weil  die  Preise 
um  der  Heiligkeit  dieser  Schriften  willen  „ins  Unendliche"  getrieben  wurden. 
Was  den  Schreiberlohn  betrifft,  so  kostete  das  Aufsetzen  einer  Urkunde 
im  4.  Jahrh.  n.  Chr.  1  Zuz  =  1  Denar;  ebenso  viel  aber  auch  das  Schreiben 
des  ganzen  Buches  Ester.1)    Wenden  wir  uns  zu  den  Griechen. 

Zu  des  Sokrates'  Zeit  kosten  Exzerpte  aus  den  Schriften  des  Anaxa- 
goras  1  Drachme  oder  6  Obolen:  so  berichtet  Plato  Apol.  p.  26  D.3)  Also 
etwa  80  Pf.  (resp.  3  M.). 

Höher  gehen  wieder  die  Preise,  die  wir  aus  der  römischen  Kaiserzeit 
erhalten.  Eine  Rolle  des  Chrysipp  mit  Prosatext,  die  höchstens  80—100 
Seiten  umfaßt  haben  wird,  stellte  sich  auf  5  Denare.3)  Der  Denar  wird  auf 
82  Pf.  berechnet;  solches  Buch  kostete  also  4  M.  10  Pf.  im  Geldwert  jener 
Zeit.  Ebenso  viel  eins  der  viel  kleineren  Gedichtbücher  Martials,  und  zwar 
das  erste.4) 

Vergegenwärtigt  man  sich,  wie  gering  der  Textumfang  solcher  „Bücher", 
so  ist  der  Preis  wiederum  enorm. 

Ein  besonders  dünnes  Büchlein  des  Martial,  zu  etwa  nur  20  Seiten, 
wird  dagegen  auf  4  Sesterz  =  82  oder  84  Pf.  angegeben.'1)  Das  ist  die- 
selbe Preislage,  die  wir  bei  Plato  fanden.  Martial  sagt  übrigens  scherzend, 
der  Buchhändler  könnte  die  Exemplare  zum  Selbstkostenpreis  auch  für  die 
Hälfte  abgeben. 

Ein   andermal   schwankt   der  Ansatz  für   ein  Gedichtbuch  zwischen 


1)  S.  L.  BLAU,  Studien  zum  althebräischen  Buchwesen  S.  193  f.:  eine  Tora  wird 
erst  um  80  Zuz,  dann  um  120  Zuz  verkauft;  ein  Polster  und  die  3  Bücher  Psalmen, 
ferner  Job  und  Sprüche  galten  zusammen  5  Mana.  Waren  bei  der  Abschrift  die 
peinlichen  rituellen  Vorschriften  nicht  genau  befolgt  und  nur  ein  Fehler  begangen, 
so  war  das  ganze  Exemplar  wertlos;  s.  Blau  S.  24  ff.  u.  181  Note.  Daß  man  die 
Bücher  zu  höherem  Preise,  als  ihr  Wert  war,  kaufte,  wird  ausdrücklich  bezeugt; 
ib.  S.  91.  Für  die  Billigkeit  der  Herstellung  aber  spricht  die  Äußerung  des  Rabbi 
Chijja  (um  200):  „Ich  vermag  die  ganze  Bibel  für  2  Minen  niederzuschreiben."  Er 
kaufte  nämlich  für  2  Minen  Flachssamen,  säte  ihn,  schnitt  den  Flachs,  machte 
daraus  Stricke  und  fing  damit  Gazellen,  auf  deren  Haut  er  die  Bibel  schrieb:  ib. 
S.  30.  Diese  Stelle  zeigt,  daß  man  sich  aus  dem  Fell  die  Schreibfläche  selbst  her- 
zustellen imstande  war,  und  diese  Arbeit  wird  nicht  mit  in  Rechnung  gestellt. 

2)  Vgl.  Centraiblatt  für  BW.  17  S.  553.  Leider  äußert  sich  R.  WüNSCh,  der 
Berl.  phil.  Wochenschr.  1901  S.  688  den  Gegenstand  berührt,  nicht  über  meine  Auf- 
fassung der  Platostelle.  Doch  scheint  es  mir  sicher  aus  dem  Wortlaut  hervor- 
zugehen, daß  da  nicht  ßißXtct  des  Anaxagoras  verkauft  werden.  Es  kommt  alles  auf 
die  grammatische  Beziehung  des  Pronomens  Taüra  an.  Nur  so  wird  auch  der 
niedrige  Preis  begreiflich.  Über  den  Verkaufsort,  die  OrChestra,  s.  jetzt  W.  Judeich, 
Topographie  von  Athen  S.  305  Anm.  13. 

3)  Epiktet  Dissert.  I  4,  6;  Buchwesen  S.  83. 

4)  Martial  I  117,  17. 

5)  Martial  13,  3.  Übrigens  wird  einmal  bei  Statius  Silv.  IV  9,  7  eine  wertlose 
Scharteke  wegwerfend  auf  einen  decussis,  d.  i.  2%  Sesterz  =  55  Pf.  taxiert. 


30 


Einleitung. 


1  M.  20  und  2  M.  20.  *)  Diese  Preisschwankungen  erklären  sich  natürlich 
aus  dem  Schwanken  des  Buchumfangs.  Und  aus  den  Unkosten  für  Papier 
und  Schreiberlohn,  scriptum  und  tomus,  setzt  sich  dieser  Preis  zusammen. 

Dies  die  Preissätze  des  Altertums.2)    Halten  wir  die  modernen  daneben. 

Vor  mir  liegt  E.  Kornemanns  Kaiser  Hadrian.  Der  Ladenpreis  dieses 
Werkes  ist  4  M.  20.  Dasselbe  umfaßt  aber  136  Seiten,  während  Chrysipps 
Buch,  das  gleichfalls  etwas  über  4  M.  kostete,  sich  auf  etwa  30  Seiten  der 
genannten  Schrift  abdrucken  lassen  würde  und  also  darin  gut  viermal 
Platz  fände.  Im  Altertum  würde  die  erwähnte  Schrift  sonach  mit  16  Mark 
bezahlt  worden  sein,  und  der  Wert  des  antiken  Buchs  ist  schon  hiernach 
der  vierfache  im  Vergleich  zu  unseren  doch  immer  auch  nicht  niedrigen 
Buchpreisen,  wobei  nun  aber  noch  gar  nicht  einmal  berücksichtigt  ist,  daß 
das  Geld  selbst  damals  noch  viel  mehr  wert  war  als  heute.  H.  Willers  gibt 
für  das  1.  Jahrh.  v.  Chr.  dem  Denar  eine  Kaufkraft  von  2  M.  85  Pf.3);  da- 
nach würde  das  Chrysippbuch  also  vielmehr  einem  Werte  von  14  M.  25  Pf. 
entsprochen  haben  und  das  Kornemanns  hätte  im  Altertum  57  M.  gekostet. 

Daher  nun  das  klägliche  Geizen  mit  Schreibmaterial,  das  uns  so  viele 
der  erhaltenen  literarischen  Papyri  verraten.  Denn  nicht  nur  die  alten 
Ägypter  geizten  (oben  S.  7  f.),  sondern  ebenso  auch  die  Griechen.  Be- 
sonders seit  dem  2.  Jahrh.  n.  Chr.  haben  wir  dafür  die  Belege: 

Schon  das  Fragmentum  eroticum  bei  HAberlin,  Griech.  Pap.  Nr.  115,  steht  auf 
der  Rückseite  eines  Geschäftskontraktes.  Dann  aber  Aristoteles'  Staat  der  Athener. 
Es  handelt  sich  um  4  Tomoi  von  einer  Gesamtlänge  von  etwa  8  Metern.  Im  Jahre 
89/90  n.  Chr.  hatte  man  Rechnungsablagen  in  diese  leeren  Rollen  eingetragen.  Im 
2.  Jahrh.  nahm  sich  jemand  alsdann  diese  Rechnungsbücher  und  schrieb  auf  ihre 
Hinterseiten  den  wertvollen  Aristotelestext,  eine  Privatabschrift,  an  der  sich  vier 
Hände  betätigt  haben.  Sodann  die  Homerpapyri;  die  Hauptseite  der  Rolle  trägt 
wiederum  Rechnungen  und  ähnliche  geschäftliche  Skripturen,  auf  der  Rückseite 
mußte  Homer  Platz  finden  in  den  Nummern  1.  6.  7.  12  bei  HAberlin ;  ähnlich  das 
Homerscholion  ebenda  35;  der  Romanrest  135.  Vorn  medizinische  Rezepte,  auf  dem 
Rücken  Dramatisches  63.  Vorn  Ethnographisches,  hinten  Piatos  Laches  72.  Piatos 
Gorgias  Nr.  71  ist  Opistograph.  Ein  Schulheft,  von  verschiedenen  Händen  mit  Versen 
beschrieben,  darunter  auch  Rechnungen:  Nr.  49.  Wer  Crönerts  Literaturübersicht 
im  Archiv  für  Papyrusforschung  II  S.  34  ff.  durchsieht,  findet  leicht  weitere  Beispiele. 
Nur  der  Pap.  Amherst  II  Nr.  12  sei  hier  noch  angeführt:  eine  Rolle,  die  durch  An- 


1)  S.  FriedlAnder  zu  Martial  I  66.  Dziatzko's  künstliche  Auslegung  dieser 
Martialstelle  (bei  Pauly-Wissowa)  ist  nicht  annehmbar. 

2)  Auch  die  interessante  Stelle  bei  Seneca  epist.  27,  7  will  ich  noch  anführen; 
sie  besagt  freilich  nur,  daß  ein  scrinium  voll  Grammatikbücher  weniger  kostet  als 
ein  Sklave,  der  philologisch  gebildet  ist;  ein  scrinium  kann  auf  10  Rollen  be- 
rechnet werden;  10  Rollen  des  erwähnten  Inhalts  waren  also  inkl.  scrinium  billiger 
als  solch  ein  kostbarer  Sklave.  Der  Vergleich  läßt  doch  immerhin  darauf  schließen, 
daß  auch  jene  nicht  ganz  billig  waren.  —  Wenn  in  der  Apostelgeschichte  19,  19 
magische  Bücher  zusammen  im  Werte  von  50  000  Drachmen  verbrannt  werden  oder 
wenn  Varro  erzählte,  daß  die  Cumanische  Sibylle  dereinst  dem  König  Roms  drei 
Bücher  für  300  aurei  verkaufte  (Lactanz  div.  instit.  I  6,  10),  so  ist  auch  damit  nichts 
anzufangen. 

3)  Rhein.  Mus.  60  S.  360. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


31 


einanderkleben  von  Urkundenblättern  entstanden  ist;  dann  wurden  Aristarchs  Er- 
klärungen zum  Herodot  auf  die  Rückenseite  geschrieben. 

Wie  selten  kommt  es  vor,  daß  uns  einmal  ein  griechischer  Autor  in 
einer  Rolle,  die  wirklich  als  schönes  normales  Buchhändlerexemplar  gelten 
kann,  vorliegt,  wie  das  dritte  Odysseebuch  im  Brit.  Museum  (Häberlin  a.  a.  0. 
Nr.  27)!  Dies  Buch  ist  etwa  in  Martials  Zeit  geschrieben  worden. 

Neben  dies  Papyrusbuch  trat  nun  die  Membrane.  Dies  sehen  wir  bei 
Martial  14,  183  —  196,  wo  sich  die  wertvolleren  und  geringeren  Buch- 
geschenke folgendermaßen  gegenüberstehen: 

Divitis  sortes:  Pauperis  sortes: 

183  Homeri  Batrachomachia  184  Homerus  in  pugillaribus  membraneis 

185  Vergili  Culex  186  Vergilius  in  membranis 

187  Mevdvöpou  Gct'ic  188  Cicero  in  membranis 

189  Monobiblos  Properti  190  Titus  Livius  in  membranis 

191  Sallustius  192  Ovidi  Metamorphoses  in  membranis 

193  Tibullus  194  Lucanus 

195  Catullus  196  Calvi  de  aquae  frigidae  usu. 

Diese  Geschenkpaare  bedürfen  einer  erneuten  Besprechung. 

Zunächst  erklärt  sich  der  Gegensatz  der  Nummern  195.  196  sofort  von  selber. 
In  den  Nummern  183 — 192  stehen  links  seltenere  Autoren,  rechts  just  die  gebrauch- 
testen Schriftsteller,  und  die  letzteren  erscheinen  sämtlich  auf  Pergament.  Zu  dem 
Wertunterschied  zwischen  Charta  und  Membrane  kommt  hier  also  noch  ein  anderes 
Kriterion  hinzu:  der  Umstand,  daß  selten  gewordene  Sachen  an  Wert  steigen  und 
daß  ferner  alte  Exemplare  oft  besseres  Papier  und  bessere  Schrift  zeigten. 
Von  den  'iraXaid  und  ttoXXoö  ä£ia  ßißXta  reden  Lucian  60,30  und  Dio  ])  nicht  umsonst. 
Die  enormen  Buchpreise  bei  Gellius  3,  17  weisen  auf  dasselbe.  Den,  der  lernen 
will,  kann  Martial  über  diese  Verhältnisse  belehren. 

Zunächst  Sallust  und  Ovid,  Nr.  191  u.  192.  Sallusts  fünf  Bücher  Historiae 
kamen  den  Metamorphosen  an  Umfang,  d.  h.  an  Zeilenzahl,  vielleicht  ziemlich 
gleich;  aber  die  Metamorphosen  hatte  jeder,  sie  waren  der  Sauglappen  für  jung 
und  alt,  und  man  machte  sich  von  solchem  Werke  selbstverständlich  Privatabschrift 
nach  Belieben.  Sallusts  Historiae  dagegen  waren  damals,  wie  wir  anzunehmen  be- 
rechtigt sind,  schon  von  einer  gewissen  Seltenheit  und  geringen  Verbreitung.  Ent- 
scheidend ist,  daß  wohl  Livius,  nicht  aber  Sallust  auf  den  Knabenschulen  gelesen 
wurde.2)  Ja,  auch  die  Rhetorenschulen  verschmähten  das  Werk  als  Ganzes  und 
man  zog  deshalb  daraus  die  Reden  und  Briefe  aus.  Für  Tacitus  aber  war  es  das 
große  Vorbild,  und  Martial  selbst  steigert  das  Werturteil  über  das  Werk  noch  aus- 
drücklich mit  der  Bemerkung,  nach  Ansicht  der  Kenner  sei  dies  der  beste  Historiker 
Roms.  Einen  Uber  reverendae  vetustatis  des  Sallust  erwähnt  Gellius  9,  14,  26.  Dies 
Geschenk  war  eine  Kostbarkeit. 

Über  Livius  aber  heißt  es  sodann,  Nr.  190: 

Pellibus  exiguis  artatur  Livius  ingens, 
Quem  mea  non  totum  bibliotheca  capit. 
Die  Pointe  des  Epigramms  ist  hübsch  herausgearbeitet  und  wirksam;  aber  man 
wolle  sich  von  seinem  Staunen  erholen.    Daß  nämlich  die  sämtlichen  142  Bücher 
des  Livius  damals  in  einem  einzigen  Codex  zusammengestanden  hätten,  ist  voll- 


1)  Dio  Chrysost.  Or.  21 ,  12:  die  Buchhändler  wissen,  daß  die  Käufer  nach 
alten  Exemplaren  verlangen:  tü  dpxata  tüjv  ßtßXiwv  cirouöaZöueva  die  äuetvov  Y£YPa^- 
ludva  Kai  ev  KpeiTxoct  ßißXioic.  Eine  gewisse  nachgedunkelte  Farbe  der  Charta 
war  beliebt  und  wurde  von  den  Fälschern  künstlich  hergestellt  (ebenda). 

2)  Quintilian  II  5,  19. 


32 


Einleitung. 


ständig  ausgeschlossen;  denn  dies  war  unausführbar.  Auch  im  4.  bis  6.  Jahrh.,  um 
vom  eigentlichen  Mittelalter  nicht  zu  reden,  ist  das  Kolossalwerk  von  einem  einzigen 
Codex  nie  umfaßt  worden.  Also  muß  die  Pointe  auf  etwas  ganz  anderes  gehen. 
In  der  Tat  heißt  es  von  Livius:  artatur  pellibus.  Dieser  Ausdruck  artari  kommt 
bei  Martial  auch  12,  5  in  ähnlichem  Zusammenhange  vor  (artatus  labor  est)  und 
heißt  dort  „exzerpieren".  Zweifellos  liegt  hier  also  ein  Liviusexzerpt  vor,  und  für 
die  jetzt  neu  angeregte  Geschichte  der  Periochae  des  Livius  ist  diese  Martialstelle 
der  wichtigste  Zeuge.1) 

Daß  nun  endlich  dieser  Auszug  geringer  bezahlt  wurde  als  die  Monobiblos 
Properti,  ein  offenbar  seltenes  und  hochgeschätztes  Buch"),  wundert  uns  nicht,  und 
die  Überlieferung  hat  sich  auch  hier  auf  das  beste  bewährt. 

Es  ist  nicht  Zufall,  daß  sich  gerade  alle  drei  Elegiker,  Properz,  Tibull  und 
Catull,  Nr.  189,  193,  195,  unter  den  erleseneren  Geschenken  befinden.  Sie  waren 
nicht  Schulautoren,  uud  vor  allem  Tibull  und  Properz  hatten  keinen  Boden  in  der 
Masse  des  großen  Publikums  gewonnen;  Ovid  machte  sie  tot.  So  steht  denn  Ovid 
unter  den  billigen  Büchern,  und  so  gilt  weiter  auch  in  Nr.  193  u.  194  Tibull  mehr 
als  Lucan.  Beide  stehen  auf  Papyrus.  Und  Lucan  befindet  sich  noch  frisch  im 
Buchhandel,  denn  der  Buchhändler  wird  für  ihn  extra  erwähnt.  Von  Tibull  kann 
keineswegs  dasselbe  gelten.  Für  die  Überlieferungsgeschichte  der  Elegiker  sind 
diese  Tatsachen  von  Wichtigkeit. 

So  wie  der  Livius  Nr.  190  nur  Exzerpt  war,  so  wird  weiter  auch  bei  dem 
Cicero  in  membranis  Nr.  188  niemand  an  sämtliche  Werke  Ciceros  denken.  Ist 
aber  nur  ein  Teil  seines  Nachlasses  gemeint,  so  genügt  es  hier  irgend  eine  der  be- 
rühmten Reden  vorauszusetzen,  die  man  zu  Übungszwecken  auswendig  lernte.  Martial 
sagt,  dies  dauerhafte  Exemplar  eigne  sich  für  die  Reise.  Daß  man  im  Reisewagen 
las,  zeigt  Apostelgesch.  8,  28  und  das  Relieffragment  des  Vatikan,  Museo  Chiaramonti 
Nr.  328.  —  Betreffs  der  Komödie  des  Menander,  Nr.  187,  merke  ich  an,  daß  ein 
einzelnes  ßißXiov  ti  tüjv  Mevuvöpou  auch  bei  Aristides  p.  285  Jebb.  herbei- 
gebracht wird. 

Es  bleiben  nur  noch  Homer  und  Vergil  übrig,  Nr.  183—186.  Dies  sind  wieder 
Schultexte.  Die  erhaltenen  Homerpapyri  zeigten  uns,  wie  man  sich  von  solchen 
Autoren  mit  möglichst  geringen  Unkosten  durch  eigene  Abschrift  Exemplare  her- 
stellte (S.  30).  Dazu  empfahl  sich  nun  aber  besonders  das  Pergament,  so  wie  es 
in  Ägypten  auch  vorkam,  daß,  wer  keinen  Papyrus  erschwingen  konnte,  sich  seinen 
Homer  auf  Ostraka  schrieb.  "')  Aus  Martial  erfahren  wir  nun,  daß  die  Batrachomachie 
und  der  Culex  als  etwas  Exquisites  galten.  Das  ist  nicht  erstaunlich.  Denn  das 
waren  Texte,  die  man  als  Knabe  gar  nicht  und  auch  sonst  kaum  zu  Gesicht  bekam. 
Wie  oft  wird  denn  die  Batrachomachie  in  der  römischen  Literatur  überhaupt  erwähnt? 


1)  So  auch  Woelfflin,  Archiv  f.  Lex.  XIV  222. 

2)  Ich  bedaure  hier  mit  einigen  Worten  auf  Rothsteins  Einwendungen  (Properz 
S.  344)  eingehen  zu  müssen.  Die  Handschriften  außer  N,  auch  der  Lusaticus,  unter- 
scheiden das  erste  Buch  durch  die  Überschrift  monobiblos  sorglich  von  den  späte- 
ren, die  statt  dessen  Uber  secundus,  tertius  usf.  überschrieben  werden.  Also  stand 
das  „erste"  Buch  als  Monobiblos  für  sich  da.  Die  Ausflucht,  daß  die  Buchschreiber 
des  Properz  etwa  den  Martial  gekannt  und  den  Titel  von  daher  in  den  Properz 
hinein  gebracht  hätten,  ist  eine  sehr  gewagte  Supposition,  ganz  irrig  aber  Rothsteins 
Voraussetzung,  daß  monobiblos  auch  ein  mehrbücheriges  Werk  habe  heißen  können. 
Im  Gegenteil  sind  nach  griechischem  Sprachgebrauch  ^ovoßißXoi  nur  Werke  im 
Raumumfang  eines  Buches,  d.  h.  Schriften  ohne  Buchteilung.  Die  Properz- 
handschriften  wahren  also  den  klassischen  Sprachgebrauch  auf  das  beste,  indem  sie 
den  Ausdruck  planvoll  nur  auf  eines  der  Bücher  des  Dichters  beschränken,  und 
ihre  Zuverlässigkeit  wird  dadurch  erhärtet.  Ebenso  kann  nun  auch  Martial  nur  ein 
„Einzelbuch"  des  Dichters  meinen.  Ist  dies  aber  der  Fall,  so  kommt  dafür  allein  das 
„erste"  Buch  in  Betracht,  für  das  in  der  Titelgebung  die  Hss.  mit  ihm  übereinstimmen. 

3)  Siehe  Wilcken,  Arch.  f.  Papyrusforschung  II  S.  174. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


33 


Kein  Römer  hat  sie  übersetzt  oder  direkt  nachgeahmt.  Und  wie  konnte  sich  der 
Culex  an  Verbreitung-  mit  der  Aeneis  messen?  Shakespeares  Dramen  sind  heute 
billig-  zu  kaufen;  seine  Sonette  sind  rar.  Es  war  aber  von  hohem  und  all- 
gemeinem Interesse,  daß  man  von  den  beiden  größten  Dichtern  jene  Parerga  be- 
saß; denn  man  hielt  sie  für  echt.  Sie  schienen  Keimelia.  Dazu  kommt  nun  noch, 
daß  diese  spielenden  Gedichte  gerade  besonders  gut  zur  ausgelassenen  Schenk- 
gelegenheit der  Saturnalien,  für  die  Martial  sie  verwendet,  sich  eigneten.  Daher 
sagt  der  Dichter  vom  Frosch-Mäusekrieg,  er  diene  dazu,  die  Sorgen  zu  ver- 
scheuchen, frontem  solvere,  den  Culex  aber  bestimmt  er  gerade  besonders  für  den 
Studiosus,  also  für  den  Literatur-Interessenten;  Plinius  hatte  drei  Bücher  studiosorum 
geschrieben  (Gell.  9,  16);  daran  knüpft  das  an.  Der  studiosus  aber  erhält  die 
Mahnung,  er  solle  auch,  wenn  die  Saturnalien  vorbei  sind  —  nucibus  positis1)  — , 
den  Culex  und  nicht  die  abgebrauchte  Aeneis  traktieren:  ne  nucibus  positis  arma 
virumque  legas.  So  Nr.  185.  Der  Gegensatz  ist  klar:  denn  gleich  in  Nr.  186  wird 
dann  die  Aeneis  selbst  als  Geschenk  gebracht.  Dies  Geschenk,  die  Aeneis  auf 
Pergament,  ist  damit  für  den  „studiosus"  mißliebig  gemacht  und  ausdrücklich  in  die 
zweite  Reihe  gerückt.  Daß  sie  ein  Porträt  des  Dichters  enthielt,  machte  sie  nicht 
wertvoller,  denn  dies  war  nur  ein  Büstenbild.  Hierauf  komme  ich  im  Abschnitt  V 
zurück. 

So  weit  die  Geschenkliste  des  Martial.  Die  Beobachtung,  daß  das 
Papyrusbuch  im  Altertum  teuer  war,  wird  durch  sie  bestätigt;  das  Pergament 
beginnt,  abgesehen  von  den  Brouillons,  die  unscheinbar  sind  und  nie  in 
den  Buchhandel  kommen,  jetzt  auch  für  geringere  Abschriften,  die  in  den 
Knabenschulen  oder  auch  auf  Reisen  benutzt  wurden,  zu  dienen,  und 
es  war  billiger,  schon  darum,  weil  es  sich  viel  länger  hielt  und  dem  Be- 
sitzer die  weiteren  Unkosten  ersparte,  die  die  Papyrusrolle  mit  sich  brachte; 
denn  eine  vielbenutzte  Rolle  mußte  oft  ausgebessert  und  gewiß  schon 
nach  einigen  Jahren  ganz  erneut  werden. 

Für  das  2.  Jahrh.  n.  Chr.  ist  uns  dann  Lucian  Adversus  indoctum 
Zeuge.  Warum  hat  der  Bibliomane  bei  Lucian  noch  keine  Pergamentbücher? 
Weil  das  eben  nichts  Feines  war.  Mit  ihnen  ließ  sich  nicht  großtun.  Aber 
er  muß  seine  Papyrusrollen  fleißig  ausbessern  und  übertreibt  die  Sorgfalt 
und  Prunksucht  ins  Lächerliche. 

Trat  nun  eine  weitere  Verteuerung  der  Charta  ein,  so  war  der  Sieg 
des  Pergaments  entschieden.  In  der  Tat  war  sich  das  Altertum  darüber 
klar,  daß,  sobald  der  Chartaexport  Ägyptens  zurückging,  das  Pergament  an 
Boden  gewinnt. 

Schon  Herodot  erzählt  V  58,  daß  bei  den  Ioniern  in  alter  Zeit  einmal 
aus  Mangel  an  Papyrusbüchern,  ev  crrdvi  ßißXioiv,  Ziegen-  und  Schaffelle 
zum  Schreiben  gebraucht  worden  seien.  Die  Charta  war  selten,  also  zu 
teuer  geworden.    Man  griff  zum  Leder. 

Ganz  ebenso  reden  die  Sokratikerbriefe,  die  die  Zeitverhältnisse  des 
4.  Jahrh.  v.  Chr.   voraussetzen,  Nr.  30  fin.2),    von   einem  Büchermangel, 

1)  „Ein  Buch  aus  der  Hand  legen"  heißt  librum  ponere  (so  Cicero  Tusc.  I  24); 
ebenso  heißt  nuces  ponere  „die  Nüsse  weglegen".  Die  nuces  aber  bezeichnen  hier 
nicht  die  Kindheit,  sondern  das  Saturnalienfest:  vgl.  Martial  14,  1,  12  lüde  nucibus. 

2)  HERCHER,  Epistolographi  p.  632. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst,  3 


34 


Einleitung. 


cirdvic  ßußXiwv,  der  eingetreten  sei,  weil  der  Perserkönig  (?)  Ägypten  ein- 
genommen habe.    Der  Export  leidet,  die  Waare  wird  rar. 

Und  der  späte  Hieronymus  Epist.  VII  ad  Chromatium1)  weiß  über  das 
Aufkommen  der  pergamenischen  Membrane  zu  erzählen,  der  König  Attalus 
habe  sie  in  den  Handel  gebracht,  weil  Mangel  an  Charta  war,  ut  penuria 
chartae  pellibus  pensaretur.  So  dachte  man  sich  den  Vorgang  und,  wirt- 
schaftlich betrachtet,  mit  Recht:  das  Pergament  muß  aushelfen,  wenn  die 
Charta  zu  teuer  geworden  ist.  Hieronymus  wendet  dies  in  seinem  Brief 
praktisch  an;  der  Adressat  Chromatius  und  sein  Bruder  sollen  nicht  zu 
kurze  Briefe  schreiben,  und  wenn  sie  Charta  nicht  haben,  zur  Membrane 
greifen.  Die  Charta  ist  also  zwar  noch  im  Handel,  aber  sie  beginnt  zu 
mangeln'-'),  und  das  Pergament  dient  nur  als  Ersatz,  wenn  sie  nicht  auf- 
zutreiben ist.') 

Auf  dem  Lande  war  es  überhaupt  schwer,  sich  gute  Charta  zu  ver- 
schaffen (Plin.  ep.  8,  15).  Tatsächlich  waren  nun  aber  unter  Kaiser  Tiberius 
schlechte  Papyrusernten  in  Ägypten  eingetreten  und  der  Papiermangel  als- 
bald so  groß  geworden,  daß  der  Senat  die  Verteilung  des  wenigen  vor- 
handenen regulierte  (ut  e  senatu  darentur  arbitri  dispensandae),  sonst  wäre 
aller  Verkehr  in  Verwirrung  geraten  (alias  in  tumultu  vita  erat).  So  er- 
zählt Plinius  nat.  hist.  13,  89.  Es  würde  wie  ein  Scherz  klingen,  wenn  man 
die  geringe  literarische  Produktion  unter  des  Tiberius  Regierung  aus  diesem 
Umstand  erklären  wollte.  Daß  aber  Vellerns  damals  sein  Geschichtswerk, 
das  viel  zu  umfangreich  war,  in  eine  einzige  Rolle  zusammenzwängte,  ist 
vollständig  unbegreiflich,  will  man  nicht  annehmen,  daß  so  äußerliche  Gründe 
und  die  wirkliche  Not  ihn  dazu  bestimmt  haben.1) 

Später,  als  man  den  Codex  hatte,  wußte  man  solcher  Not  besser  zu 
begegnen.  In  der  Zeit  des  sogenannten  Verfalls  der  klassischen  Literatur, 
im  3.  bis  5.  Jahrh.,  steigerte  sich  der  Bedarf  an  Beschreibmaterial  außer- 
ordentlich; man  kann  sagen,  der  Buchbedarf  verzehnfachte  sich.  So  geht 
es  den  alternden  Literaturen.  Es  galt  damals  gleichzeitig  nicht  nur  durch 
immer  neue  Abschrift  die  ererbten  Bestände  eines  bald  tausendjährigen 
Schrifttums  weiter  zu  überliefern,  sondern  gleichzeitig  auch  die  massenhaft 
neu  entstehenden  Werke  oft  großen  Umfangs  aufzunehmen  und  eifrigen 
Lesern  und  Gemeinden  zu  übermitteln.  Denn  gerade  damals  steigerte  sich 
der  literarische  Betrieb  mit  Hast  und  in  oft  breiten  Formen  oder  in  form- 

1)  Vgl.  Buchwesen  S.  51. 

2)  Der  Wortlaut  ist:  chartam  defuisse  non  puto,  Aegypto  ministrante  com- 
mercia  et  si  alicubi  Ptolemaeus  maria  clausisset,  tarnen  rex  Attalus  membranas 
a  Pergamo  miserat,  ut  penuria  chartae  pellibus  pensaretur. 

3)  Daß  man  Pergament  zu  Briefen  sonst  stets  verschmähte,  ist  Buchwesen  S.  61  f. 
nachgewiesen. 

4)  Buchwesen  S.  321.  Das  Volumen  des  Vellerns,  das  dann  wieder  in  Volu- 
mina zerfällt,  ist  nach  dem  ägyptischen  Beispiel  oben  S.  19  zu  beurteilen. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


35 


loser  Breite,  in  Übersetzungen,  Auszügen,  Glossaren,  Homilien,  Briefen, 
Streitschriften,  Lehrschriften  und  dick  geschwollenen  Kommentaren;  und 
wieder  war  es  die  rührige  christliche  Propaganda,  die  zu  dieser  Steigerung 
vornehmlich  beitrug.  Denn  in  ihrem  Kampf  gegen  das  Heidentum  und 
gegen  Heterodoxie  war  ihre  Waffe  das  Buch.  Durch  Bücherlesen  wurde 
der  Christ  zum  Christen  erzogen.1)  Dazu  kommt,  daß  seit  dem  3.  Jahrh. 
auch  die  Provinzen  mächtig  sich  regen;  in  Afrika,  in  Gallien,  selbst  in 
Spanien  entsteht  eine  Schriftstellerei,  die  ihr  lokales  Publikum  hat.  Die 
_Charta,  die  von  den  Nilmündungen  kam,  reichte  nun  nicht  mehr  aus,  sie 
versagte  diesen  Ansprüchen  gegenüber;  denn  die  Produktion  des  Papyrus 
konnte  ein  gewisses  Maximum  begreiflicherweise  nicht  überschreiten.  Die 
Papyrusrolle  und  ebenso  auch  der  Codex  aus  Charta,  mit  dem  man  es  ab 
und  zu  versuchte,  wurden  zu  teuer.2)  Seit  dem  kolossalen  Wachstum  der 
Provinzialliteraturen  und  der  christlichen  Literatur  griff  man  immer  öfter 
zum  Codex  aus  Pergament.  Schon  die  Inschrift  C.  I.  L.  VIII  17896  mit 
ihren  Bestimmungen,  wieviel  Charta  verbraucht  werden  darf  und  in  welchem 
Formate  (tumi  maiores),  deutet  auf  Sparsamkeit.3)  So  trägt  schon  Marcellus 
um  400  n.  Chr.  seine  „medicamenta"  ohne  Buchteilung  in  einen  codex  ein 
(S.  2,  31  ed.  Helmreich).'1)  Und  für  das  Jahr  371  erfahren  wir,  daß  damals 
bei  einer  Massenhinrichtung  von  Verschwörern  aus  den  Häusern  der  Hin- 
gerichteten „zahllose  Codices"  und  viele  Haufen  von  Rollen,  beide  litera- 
rischen Inhalts,  zusammengesucht  und  verbrannt  wurden.  Diese  Mitteilung 
des  Ammianus  Marcellinus")  ist  instruktiv;  denn  wir  ersehen  aus  ihr,  wie 

1)  Vgl.  z.  B.  das  exercitari  in  libris  und  das  legendo  reperire  bei  Augustin, 
Confess.  III  12. 

2)  Dies  ist  relativ  zu  verstehen.  Denn  ich  weiß  wohl,  daß  Codices  chartacei 
bis  in  das  7.  Jahrh.  auch  gerade  im  Westen  nicht  eben  selten  waren;  s.  L.  TRAUBE 
in  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes  Bd.  64  (1903)  S.  454  f.  Doch  galten  sie  gewiß  als 
besonders  wertvoll;  sie  zeigen  gel.  die  Normalzeile  von  ca.  33  Buchstaben. 

3)  Vgl.  MOMMSEN,  Ephem.  epigr.  V  S.  642  f.  Ob  darauf  auch  die  Steuer  auf 
Charta  und  Schreibmaterial  Bezug  hat,  die  U.  WlLCKEN  nachwies,  Griech.  Ostraka 
S.  403? 

4)  Vgl.  auch  Capitolinus  Gord.  1,  4.  Bei  Macrobius  Sat.  V  3,  17  wird  ein  volumen 
Vergüianum  aus  der  Bibliothek  geholt,  aus  ihm  werden  dann  aber  Stellen  nicht  nur 
des  ersten  Buchs  der  Aeneis,  sondern  auch  der  folgenden  vorgelesen.  V  4,  1  heißt 
es,  es  soll  nicht  aus  der  Mitte  desselben,  sondern  aus  dem  Anfang  vorgelesen 
werden.  Darauf  sucht  Avienus  den  Anfang  des  Buchs  manu  retractis  in  calcem 
foliis.  Der  Ausdruck  folia  weist  auf  einen  Codex.  Was  aber  heißt  dann  retrahere 
in  calcem?  Vergil  wurde  im  4.  Jahrh.  auch  als  „Stechbuch"  zur  Divination  benutzt; 
dies  war  jedoch  auch  bei  Rollenform  möglich;  s.  S.  FRANKFURTER  im  Eranos  Vindo- 
bonensis  (1893)  S.  221  Anm.;  man  vergleiche  die  'Ounpo|uav-ria  in  dem  großen 
Zauberpapyrus  von  3  m  Länge,  Pap.  Brit.  Mus.  Nr.  CXXI;  HÄBERLIN,  Griechische 
Papyri  Nr.  31:  eine  Sammlung  von  über  200  zusammenhangslosen  Homerversen. 

5)  Ammian.  Marceil.  29,  1,  41:  deinde  congesti  innumeri  Codices  et  acervi 
voluminum  multi  sub  conspectu  iudicum  concremati  sunt,  ex  domibus  eruti  variis 
ut  inliciti,  ad  leniendam  caesorum  invidiam,  cum  essent  plerique  liberalium  disci- 
plinarum  indices  variarum  et  iuris. 

3* 


36 


Einleitung. 


weit  verbreitet  es  damals  war,  in  den  Privathäusern  sich  Büchereien  zu 
halten,  zugleich  aber,  daß  die  Codices  um  das  genannte  Jahr  schon  gleich 
häufig  waren  wie  die  Rollen.  Daß  der  Codex  gerade  in  den  Hütten  armer 
Christen  sich  findet,  zeigt  Augustin,  Confess.  VIII  6,  15. 

Ich  weise  noch  besonders  darauf  hin,  daß,  wo  immer  in  diesem  Jahr- 
hundert Codices  erwähnt  werden,  der  Zusatz  membranei  oder  membranacei 
zu  fehlen  pflegt;  d.  h.  es  verstand  sich  von  selbst,  daß  sie  nicht  von  Charta 
waren.  Für  die  Charta  galt  eben  doch  das  Rollen  als  herkömmlich.  Man 
gehe  den  Hieronymus  durch,  der  an  zahlreichen  Stellen  in  dieser  Weise 
von  Codices  redet.  Lucinius  aber  war  es,  der  für  die  Verbreitung  der 
Schriften  des  Hieronymus  selbst  sorgte;  er  schickte  Schreiber  nach  Palä- 
stina, um  dort  Kopien  von  ihnen  anfertigen  zu  lassen.  Von  diesen  Kopien 
bemerkt  nun  Hieronymus  ausdrücklich,  daß  sie  in  chartaceis  codicibus  her- 
gestellt wurden.1)  Das  war  also  etwas  Besonderes  und  gewiß  auch  etwas 
besonders  Wertvolles. 

Dem  Nebeneinanderbestehen  beider  Buchformen  im  5.  Jahrh.  kann  ich 
hier  nicht  weiter  nachgehen.")  Mutmaßlich  hat,  um  die  Rolle  noch  weiter 
zurückzudrängen,  in  Westeuropa  noch  ein  anderer  Umstand  mit  eingewirkt. 
In  das  Jahr  395  fiel  die  Teilung  des  römischen  Reiches  unter  Arcadius 
und  Honorius.  Ostreich  und  Westreich  standen  sich  hinfort  mißgünstig, 
ja  feindselig  gegenüber.  Ägypten  aber  fiel  an  das  Ostreich.  Seitdem 
hörten,  wie  uns  bezeugt  wird,  die  Getreidezufuhren  aus  Ägypten  nach  Rom 
auf,  und  Rom  mußte  sich  mit  dem  Korn  Nordafrikas  ernähren.'')  Es  ist 
wahrscheinlich,  daß  auch  die  ägyptische  Papyrusausfuhr  damals  ebenso 
zeitweilig  unterbunden  oder  erschwert  worden  ist.  Um  so  mehr  mußte  sich 
der  Westen  auf  das  Codexbuchwesen  zurückziehen,  bis  endlich  die  alt- 
gewohnte Rolle  fast  nur  noch  zu  päpstlichen  oder  kaiserlichen  Diplomen 
diente,  ein  Zeichen  ihrer  Vornehmheit.  Sie  war  für  den  täglichen  Gebrauch 
nicht  mehr  zu  erschwingen.  Hierzu  stimmt  die  Beobachtung,  die  V.  Schultze 
an  den  Monumenten  der  christlichen  Kunst  des  Westreichs  gemacht  hat1), 
daß  man  auf  diesen  Monumenten  im  ganzen  4.  Jahrh.  das  Buch  noch 
regelmäßig  und  ganz  vorwiegend  als  Rolle  abgebildet  sieht,  daß  sie  da- 
gegen mit  dem  Beginn  des  5.  Jahrh.  mehr  und  mehr  zurücktritt  und  vom 
gehefteten  Buch  verdrängt  wird.  Die  Überschau  der  Bildwerke,  die  ich 
im  Nachfolgenden  vorzunehmen  gedenke,  wird  das  vollends  erhärten. 


1)  Hieron.  Epist.  71  ad  Lucinium:  opuscula  mea,  quae  non  sui  merito,  sed 
tua  bonitate  desiderare  te  dicis,  ad  describendum  hominibus  tuis  dedi  et  descripta 
vidi  in  chartaceis  codicibus;  ac  frequenter  admonui  ut  conferrent  diligentius;  vgl. 
O.  ZÖCKLER,  Hieronymus,  1865,  S.  228. 

2)  Siehe  Buchwesen  S.  102  f. 

3)  Claudian,  Bellum  Gildonicum  v.  56  ff. 

4)  Siehe  Greifswalder  Studien  für  CREMER,  1895,  S.  147  ff. 


2.  Rolle  und  Membrane  bei  den  Griechen  und  Römern. 


37 


Im  Ostreich  mag  dieser  Prozeß  sich  etwas  langsamer  vollzogen  haben. 
Genauere  Nachweise  fehlen  mir.1) 

Bezeichnend  aber  ist,  daß  sich  alsbald  die  Prunksucht  der  neuen 
Buchform  bemächtigte.  Der  Deckel  des  Codex  wurde  mit  Edelsteinen  be- 
setzt: eine  Ausstattung,  die  von  der  Schreibtafel  auf  ihn  überging.  Dieser 
glänzende  Ungeschmack  hat  die  Papyrusrolle  nie  behelligt.  Schlank,  schlicht 
und  vornehm  ging  sie  durchs  Leben:  Sie  war  wertvoll  an  sich.  Der 
schwerfällige  eckige  Codex  bedurfte  der  Verzierung  und  Wertsteigerung, 
und  er  war  dauerhaft  genug,  um  sie  zu  tragen. 


Wenden  wir  uns  aber  jetzt  endlich  unserer  Aufgabe  und  der  Blütezeit 
des  Rollenbuchwesens  wieder  zu.  Die  Bildwerke  sollen  uns  helfen,  Werke 
einer  Kunst,  die  durch  ein  Jahrtausend  neben  dem  Leben  herging  und  es 
widerspiegelte  in  oft  verklärtem,  immer  doch  in  treuem  Abbild.  Auf 
mancherlei  Fragen  soll  sie  uns  Antwort  geben.  Denn  nicht  nur  die  Be- 
schaffenheit des  Rollenbuches  selbst  und  nicht  nur  der  Umgang  des  Men- 
schen mit  ihm  steht  in  Frage,  sondern  auch,  in  welchen  Zeiten  der  Ge- 
brauch der  Bücher  sich  häufte,  die  Lektüre  sich  steigerte  und  zu  welchem 
Zweck  der  Mensch  sich  mit  dem  Buche  abbilden  ließ.  Ist  doch  das  Halten 
des  Buchs  eine  erweiterte  Gebärdensprache,  die  der  sorgfältigen  Inter- 
pretation bedarf.  Überdies  aber  werden  uns  die  Monumente  auch  sagen, 
daß  die  Buchrolle  der  hellenistischen  Zeit  und  der  römischen  Kaiserzeit 
nicht  etwa  eine  andere  war  als  die  der  alten  Athener,  eines  Thukydides 
und  Plato2);  sowie  endlich,  daß  auch  in  der  Rolle,  deren  sich  die  christ- 
lichen Gemeinden  bedienten,  dieselbe  ägyptische  Papyrusrolle,  nicht  aber 
die  jüdische  Pergamentrolle  zu  erkennen  ist.3) 

Vor  allem  aber  werden  die  Massen  von  Bildwerken,  die  wir  hier  zu- 
sammenstellen, ergeben,  daß  bis  in  das  4.  Jahrh.  n.  Chr.  hinein  das  Lesen 
und  Studieren  in  einer  Codexhandschrift  noch  unbekannt  war  oder  doch 
ganz  zurücktrat.  Ein  Lesen  in  der  Schreibtafel  zeigen  sie  uns  gelegent- 
lich, nicht  aber  das  Lesen  in  einer  Handschrift  nach  Art  des  von  Martial 
erwähnten  Vergil  oder  Ovid,  der  eben  zunächst  nur  den  Knabenschulen  und 

1)  F.  Kenyon,  Palaeography,  1899,  S.  112  f.,  setzte  an,  daß  kein  griechischer 
literarischer  Papyrus  jünger  als  das  3.  Jahrh.  n.  Chr.  sei.  Dies  scheint  bedenklich. 
Synesius  schreibt  noch  auf  Charta:  s.  Epistolographi  ed.  HERCHER  S.  630  Z.  17. 
Papyrusrollen  des  5.  oder  6.  Jahrh.  n.  Chr.  sind  uns  erhalten;  s.  z.  B.  HÄBERLIN 
a.  a.  O.  Nr.  2.  In  Ägypten  selbst  hielt  sich  der  Gebrauch  der  Charta  bis  tief  in  die 
arabische  Zeit  oder  bis  in  das  9.  Jahrh.  Doch  drängte  auch  da  der  Pergamentcodex 
mächtig  vor;  in  dem  Inventar  einer  Kirche  aus  dem  5.  oder  6.  Jahrh.  finden  wir 
nebeneinander  21  Pergamenthandschriften  und  nur  3  Papyrushandschriften  verzeichnet; 
s.  GRENFELL  and  Hunt,  Greek  Papyri,  Series  II,  1897,  Nr.  111  Z.  27  f. :  ßißMct  öepiud- 
-n(va)  xa,  ö|Ltoi(aic)  %aPr^a  T- 

2)  Dies  betrifft  DziATZKO's  verfehlte  Hypothese. 

3)  Letzteres  suchte  Blau  a.  a.  O.  S.  43  ff.  wahrscheinlich  zu  machen. 


38  Einleitung. 

kleinen  Leuten  diente.  Dies  Facit  sei  hier  gleich  gezogen  und  voran- 
gestellt. Ich  werde  nicht  wieder  ausdrücklich  darauf  zurückkommen.  Man 
mag  einwenden,  daß  die  Kunst  auch  gegen  den  Usus  des  wirklichen  Lebens 
an  überlieferten  Motiven  längere  Zeit  festhält.  Aber  doch  gewiß  nicht  mit 
dieser  Konsequenz.  Auch  würde  dieser  Satz  doch  höchstens  zur  Erklärung 
des  Verhaltens  der  Künstler  im  4.  und  im  3.  Jahrh.  n.  Chr.  dienen.  Wer 
dagegen  das  Vorhandensein  eines  Lesebuchs  als  Codex  schon  für  des 
Augustus'  Zeit  voraussetzt,  der  wird  durch  den  einmütigen  Widerspruch 
der  Monumente,  die  nur  die  Rolle  kennen,  widerlegt  und  gleicht  dem,  der 
nachts  die  Sonne  am  Himmel  sieht.    Er  träumt. 

Ich  habe  im  folgenden  nach  Möglichkeit  Belege  aus  allen  Gattungen 
der  bildenden  Kunst  zusammengestellt:  Statuen,  Reliefs,  Terrakotten,  Vasen 
und  Wandmalereien,  Mosaiken,  auch  Gemmen  und  Münzen.  Dabei  wird 
klar,  daß  sämtliche  andere  Gattungen,  auch  die  Vasenbilder,  sich  an  wenige 
feste  Darstellungsweisen  oder  Motive  halten,  die  überall  wiederkehren;  nur 
die  Wandmalerei  ergeht  sich  freier  und  gibt  uns  das  wirklich  belebte 
Genre  und  das  Verhältnis  des  Menschen  zum  Buch  in  seiner  mannigfach 
wechselnden  Erscheinung. 

Die  bildende  Kunst  ist  konservativ  und  hängt  am  Überlieferten.  Auf 
römischen  Reliefs  des  2.  oder  3.  Jahrh.  findet  man  die  Toga  bisweilen  in 
einer  Weise  dargestellt,  wie  sie  nachweislich  nicht  damals,  sondern  nur  im 
1.  Jahrh.  getragen  wurde.  Ebenso  fuhren  die  Künstler,  obschon  die  Rolle 
seit  dem  5.  Jahrh.  außer  Gebrauch  kam,  gleichwohl  doch  darin  fort,  ge- 
wissen Personen,  Dichterfiguren  oder  heiligen  Gestalten,  diese  Rolle  in  die 
Hand  zu  geben.  Man  behielt  dabei  z.  T.  überlieferte  Motive  bei,  und  so 
wird  es  erlaubt  sein,  Darstellungen  des  5.  und  6.  Jahrh.,  wie  sie  z.  B.  die 
Mosaiken  der  alten  Basiliken  darbieten,  hier  gelegentlich  als  Zeugen  mit 
zu  benutzen. 

Daß  meine  Beispielgebung  nicht  Vollständigkeit  anstrebt,  versteht  sich 
von  selbst,  aber  ich  muß  es  betonen.  Wer  wollte  für  solches  Detail  die 
Museen  erschöpfen?  Es  wird  auch  wohl  niemand,  der  über  die  Toga 
handelt,  sämtliche  erhaltenen  Beispiele  zusammenhäufen.  Für  die  Kunst- 
geschichte kommt  es  darauf  an,  die  vorkommenden  Motive  möglichst  voll- 
ständig festzustellen  und  möglichst  deutlich  unter  sich  zu  sondern;  für  die 
Kenntnis  des  Buches  selber  gilt  es,  daraus  die  Schlüsse  über  seine  Be- 
schaffenheit zu  ziehen.  Dies  soll  mein  Zweck  sein;  und  findet  man  in  dem 
einen  oder  andern  Fall  die  Belege  trotzdem  stark  angehäuft,  so  geschieht 
dies,  um  zur  Anschauung  zu  bringen,  wie  viel  häufiger  das  eine  Motiv  als 
das  andere  in  der  Kunst  zur  Verwendung  kam. 

Hier  sei,  bevor  wir  die  Last  der  gestellten  Aufgabe  auf  uns  nehmen,  zum  Ab- 
schluß oder  als  scherzhaftes  Präludium  ein  Fall  vorweggenommen,  der  da  zeigt, 
wie  überraschende  Hilfe  uns  die  Monumente  bisweilen  zum  Verständnis  dieser  und 


Einleitung. 


39 


verwandter  Dinge  bieten.  Kaiser  Augustus  beschwerte  sich  beim  Horaz,  daß  er  so 
karg  sei  in  seinen  Zuschriften,  und  drückte  dies  mit  einem  Seitenblick  auf  die  kor- 
pulente Figur  des  Dichters  liebenswürdigerweise  so  aus:  er  wolle  auch  mit  einem 
kleinen  Libell  von  seiner  Hand  vorlieb  nehmen,  aber  er  rate  ihm,  in  Zukunft  doch 
auf  einem  Fläschchen  zu  schreiben;  denn  alsdann  würde  sein  „Volumen"  eben 
solches  Bäuchlein  haben  wie  er  selber.1)  Dies  ist,  für  sich  allein  betrachtet,  kaum 
zu  verstehen;  denn  die  Buchrolle  gleicht  einer  solchen  Flasche  nicht,  und  sie  gar 
um  eine  Flasche  zu  wickeln,  war  unausführbar,  da  das  Papier  dadurch  die  Form 
verloren  hätte.  Horaz  sollte  vielmehr  wirklich  auf  einem  Sextariolus  schreiben. 
Denn  solche  mit  Schrift  bedeckte  Flasche  hat  sich  tatsächlich  gefunden;  der  Bauch 
derselben  unterhalb  des  länglichen  Halses  ist  von  oben  bis  unten  und  ringsum  mit 
einem  Syllabar  in  6  Zeilen  bedeckt,  und  auf  ihrem  etwas  breiteren  Fuß  steht  außer- 
dem noch  ein  Alphabet.  Man  findet  die  Abbildung  z.  B.  in  den  Annali  d.  Inst.  1836 
Tfl.  C. 2)  Wie  erwünscht  ist  solches  Altertum!  Denn  diese  Anschauung  setzte  der 
Kaiser  offenbar  voraus,  und  ohne  sie  wäre  sein  Scherzwort  unverständlich  gewesen.3) 


1)  Sueton  ed.  Reiff  S.  47:  vereri  autem  mihi  videris  ne  maiores  libelli  tui 
sint  quam  ipse  es;  sed  tibi  statura  deest,  corpusculum  non  deest;  itaque  licet  in 
sextariolo  scribas  quo  (die  Hss.  cum)  circuitus  voluminis  sit  ötkuj^ctcitoc  sie  ut 
est  vejitriculi  tui. 

2)  Vgl.  auch  FABRETTI,  Gloss.  Italicum  Tfl.  43  Nr.  2405;  TH.  SCHREIBER,  Bilder- 
atlas I  Tfl.  89  Nr.  6. 

3)  Die  Stelle  hat  schon  0.  Jahn,  Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  Bd.  9  (1857)  S.  200, 
so  richtig  erklärt;  er  benutzte  aber  zum  Vergleich  ein  minder  günstiges,  bauchiges 
Tongefäß,  das  in  Saintes  gefunden  wurde  und  nur  die  drei  Worte  trägt:  Martiali 
soldam  lagonam  (vgl.  Revue  archeol.  Xll  S.  175  ff.).  Solche  Gefäße  mit  Namens- 
aufschriften sind  nichts  Seltenes;  vgl.  noch  Fabretti  a.  a.  0.  Tfl.  27  u.  28  Nr.  440. 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Wer  in  den  Museen  die  Säle  der  alten  Bildwerke  durchwandert  und 
auf  die  Darstellung  von  Büchern  acht  gibt,  dem  wird  zunächst  auffallen, 
wie  viel  häufiger  dem  Auge  die  geschlossene  Rolle,  wie  viel  seltener  die 
offene  begegnet.  Er  wird  sich  sagen:  das  ist  natürlich!  Die  geschlossene, 
ein  einfacher  Zylinder,  war  ja  um  vieles  leichter  zu  arbeiten.  Aber  auch 
ein  zweiter  Umstand  stellt  sich  sofort  heraus,  den  ich  freilich  bei  unsern 
Kunstschriftstellern  nirgends  angemerkt  finde  und  der  auch  für  Ägypten 
nicht  zutrifft:  herrschende  Regel  für  das  klassische  Altertum  ist,  daß  die 
Person  das  Buch  in  der  Linken  hält.  Ich  stehe  nicht  an,  dies  als  Stil- 
gesetz, das  insbesondere  für  stehende  Figuren  gilt,  voranzustellen;  ein  Stil- 
gesetz, das  freilich  nicht  aus  äußerlich  stilistischen,  sondern  aus  sachlichen 
Gründen  sich  erklärt.  So  zweifellos  in  gewissen  Fällen,  insbesondere  bei 
sitzenden  Figuren,  sich  Ausnahmen  zu  dieser  Regel  finden,  so  gültig  ist  sie 
selber;  die  Belege,  die  etwa  mit  dem  Stesichoros  auf  der  Münze  von 
Himera  anheben,  zählen  nach  Aberhunderten  und  gehen  durch  alle  Dar- 
stellungsgattungen, sie  gehen  zugleich  durch  alle  Länder  der  alten  Welt 
hindurch,  in  denen  die  Rolle  herrschte.  Ein  vereinzeltes  spätes  Zeugnis 
der  Literatur  kommt  hinzu  und  sei  hier  gleich  mitgeteilt.  Paulus  Silen- 
tiarius  erwähnt  in  seiner  Beschreibung  der  Sophienkirche1)  auch  einen 
Teppich,  in  den  Christi  Bild  eingewebt  war;  da  heißt  es  nun:  er  streckt 
die  Rechte  zum  Ausdruck  der  Rede,  in  der  Linken  aber  hält  er  das  Buch: 

e'oiKe  be  ödKTuXa  reiveiv 
AeSiTepfjc,  äie  uööov  äei£uuovTa  -rncpaücKUJV, 
Acut]  ßiß\ov  e'xaiv  £a6eujv  eTTikropa  uüGwv. 

War  dies  nur  Laune  und  Kaprice,  ein  sinnloses  Herkommen,  das  durch 
ein  Jahrtausend  sich  fortsetzt?  Der  moderne  Künstler  hat  davon,  daß  bei 
einem  Standbild  das  Emblem  des  Buches  in  die  linke  Hand  gehört,  kein 
Bewußtsein,  und  so  steht  in  Florenz  auf  offenem  Platz  am  Arno  das 
Bronzestandbild  des  Daniele  Manin,  eine  aufgerollte  Diplomrolle  in  der 


1)  Descriptio  S.  Sophiae  v.  778  f.  bei  MiGNE,  Patrolog.  Graeca  Bd.  86,  2  S.  2150. 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


41 


Rechten!  ebenda  der  Dichter  Goldoni  in  Marmor,  ein  Buch  in  der  Rechten! 
in  Neapel  auf  der  Piazza  Dante  das  Standbild  des  italienischen  Dichter- 
fürsten, einen  kleinen  Codex  in  der  gesenkten  Rechten!  in  der  nämlichen 
Stadt  auf  der  Piazza  Municipio  am  Sockel  des  Reiterbildes  Vittorio  Ema- 
nueles  eine  Idealfrau,  sei  es  Italia  oder  Napoli,  die  Rolle  in  der  Rechten!  usf. 
Es  wäre  leicht,  auch  aus  nordischen  Städten  entsprechende  Monumente 
beizubringen.  So  steht  auf  dem  Neumarkt  in  Dresden  Friedrich  August  II. 
in  Bronze,  die  L.  am  Degengriff,  in  der  R.  das  Verfassungsdiplom  als 
Rolle  mit  Siegel;  ganz  so  Bismarck  in  Wiesbaden  und  vor  allem  der  Goethe 
in  Frankfurt,  der  verkehrt  den  Kranz  in  der  L.  hat,  das  Buchsymbol  in 
der  R. !) 

Die  Sibyllen  Michelangelo's  haben  freilich  ihre  eigenen  Gesetze,  und 
wenn  desselben  Moses  die  Tafel  unter  den  r.  Arm  stützt,  so  ist  er,  wie 
diese  Sibyllen,  eine  Sitzfigur,  und  er  kann  sich  also  mit  dem  rechtfertigen, 
was  wir  später  über  solche  bemerken  werden. 

Die  Ergänzer  der  ohne  Hände  überlieferten  antiken  Skulpturen  haben 
nun  in  hundert  Fällen  ohne  Skrupel  und  gedankenlos  die  Rolle  in  die  r. 
Hand  getan. 

Bestimmte  die  antiken  Künstler,  indem  sie  ihre  Regel  ersannen  und 
innehielten,  ein  ethisch  ästhetischer  oder  ein  pathetisch  ästhetischer  Grund? 
d.  h.  wollten  sie  die  r.  Hand,  die  die  bedeutsamere  ist  —  denn  die  L.  hieß 
sinistra,  weil  sie  im  sinus,  im  Busen,  steckte")  — ,  nur  auf  alle  Fälle  frei 
und  unbelastet  haben,  um  sie  für  das  Händespiel  und  den  Ausdruck  des 
Innenlebens  benutzen  zu  können?  sei  es  nun,  daß  durch  dies  Händespiel 
ein  Charakter  oder  das  Ethos,  sei  es,  daß  dadurch  eine  momentane  Ge- 
mütsbewegung oder  das  Pathos  auszudrücken  war?  Vielleicht  wird  manchem 
dieser  Weg  der  Erklärung  schon  genügend  und  befriedigend  erscheinen. 
Die  Figur  wird  unruhig,  wenn  beide  Hände  spielen.  Der  moderne  Süd- 
länder steckt  die  ausruhende  Hand  —  am  liebsten  freilich  beide  —  gern  in 
den  Gürtel  oder  in  die  Taschen  seiner  Hose.  So  steht  am  Hafen  in  Genua 
das  Denkmal  Rafaele  Rubattino's;  die  L.  stützt  er  auf  einen  Tisch,  auf  dem 
ein  offenes  Aktenstück  liegt;  hier  wirkt  also  auch  der  Tisch  mit!  Die  R. 
hat  er  in  der  Hosentasche.    Das  war  dem  antiken  Menschen  durch  Tat- 

1)  Besser  die  Körnerstatue  von  Epler,  die  ich  1904  auf  der  Internationalen 
Kunstausstellung  in  Dresden  sah:  hier  hat  der  Held  beides,  Degengriff  und  Buch 
der  Lieder  mit  der  L.  gefaßt.  So  malte  Böcklin  den  hlg.  Paulus,  in  Architektur 
stehend,  in  der  L.  eine  geschlossene  Rolle,  deren  äußerste  Blätter  herabhängen  und 
mehrere  Kolumnen  Schrift  zeigen. 

2)  Siehe  De  participiis  latinis  quae  dicuntur  perfecti  passivi,  Marburg  1884, 
S.  22  Anm.  Daner  sind  bei  Catull  c.  37  sinistrae  die  Diebshände.  Die  1.  Hand  ver- 
steckt sich  auch  bei  Plaut.  Persa  226.  Man  vergleiche  auch  die  Bemerkung,  die 
0.  Engelhardt,  „Die  Illustrationen  der  Terenzhandschriften",  Jena  1905,  S.  11  macht: 
auf  den  Terenzbildern  wird  mit  der  r.  Hand  agiert,  die  L.  steckt  im  Mantel.  Es  ist  die 
sinistra,  mit  der  der  sterbende  Cäsar  den  sinus  der  Toga  herunterzieht  (Sueton  c.  82). 


42 


I.  Die  geschlossene  Rolle 


Sachen  der  Kleidung  unmöglich  gemacht;  die  Hand  wird  also  ins  Gewand 
gewickelt  oder  durch  das,  was  sie  hält,  zur  Ruhe  gebracht. 

In  Wirklichkeit  hat  hier  jedoch  ohne  Frage  vorwiegend  eine  ganz 
andere  Erwägung  eingewirkt,  die  dem  Ägypter  fern  stand,  da  die  Schrift 
in  seinem  Buch  nicht  von  links  nach  rechts  lief. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  kurz  den  Hergang  des  Lesens  eines  Buches. 
Eine  Beschreibung  gibt  uns  von  den  Alten  nur  Lucian  32,  9;  doch  auch 
diese  ist  so  kurz,  daß  sie  einer  Verdeutlichung  bedarf.  Wer  zu  lesen  be- 
ginnen will,  nimmt  die  geschlossene  Rolle  zunächst  in  die  R.  und  hält  sie- 
in  der  R.  allein;  dann  regt  sich  die  L.,  löst  den  Verband  der  Rolle  und 
zieht  ihr  äußerstes  Blattende,  die  oben  liegende  erste  Seite,  das  „Protokoll", 
nach  1.  zu  sich  herüber,  so  daß  der  Anfang  des  Textes  oder  doch  die 
Titelaufschrift  oder  Widmung  frei  wird.  Gemeinhin  stand  der  Text  auf  der 
Innenseite  des  Beschreibstoffes;  von  den  Fällen,  wo  man  auch  noch  die 
Rückseite  beschrieb,  von  den  „Opisthographa",  sehen  wir  hier  ab.  Nach 
Öffnung  des  Protokolls  steht  nun  zunächst  der  Körper  der  großenteils 
noch  unaufgerollten  Rolle  wie  ein  schattender  Wall  über  der  Fläche  des 
einen  Blattes,  das  eben  gelesen  wird.  Die  L.  fährt  also  fort  abzurollen; 
der  Text  schiebt  sich  von  Seite  zu  Seite  nach  links;  die  tätige  L.  aber 
hat  die  weitere  Pflicht,  das  Gelesene  gleichzeitig  wieder  zusammenzurollen, 
so  daß,  wenn  sie  damit  fertig  und  die  Lesung  des  Buchs  zu  Ende  ist,  die 
Seite  1  des  Buches  zum  letzten  Blatt  geworden  und  im  innersten  Kern  des 
Konvoluts  zu  liegen  gekommen  ist.  Wer  nun  den  Lesenden  nach  der 
Lektüre  betrachtet,  bemerkt,  daß  er  die  geschlossene  Rolle  in  der 
Linken  hält. 

Das  Wiederzusammenrollen  aber,  das  die  L.  ausführt,  war  dadurch 
wesentlich  erleichtert,  daß  Papier,  das  lange  gerollt  gelegen  hat,  schon 
ganz  von  selbst  sich  wieder  in  eine  Rolle  zusammenlegt.  Dies  wird  uns 
durch  Abbildungen  -  z.B.  Nr.  75  und  154,  auch  125  und  159  -  häufig 
veranschaulicht. 

Dieser  Hergang  setzt,  beiläufig,  voraus,  daß  der  antike  Leser  oder 
sein  Lesesklave,  damit  die  pagina  prima  wieder  an  die  Außenseite  zu  liegen 
kam,  jedes  durchgelesene  Buch  noch  einmal  von  1.  nach  r.  wieder  zurück- 
rollte, bevor  es  in  den  Kasten  oder  in  die  Bibliothek  zurückgestellt  wurde. 
Erst  so  war  es  für  die  nächste  Benutzung  geeignet.1)  Da  dieser  Vorgang 
jedoch  nicht  mehr  zur  Lektüre  gehört,  so  wird  man  ihn  am  wenigsten  in 
Bildwerken  dargestellt  erwarten. 


1)  F.  MARX,  Lucilius  I  p.  LXXXIII  ff.,  operiert  sonderbarerweise  mit  dem  Rück- 
wärtsrollen von  Büchern  oder  gar  Büchergruppen  (!),  um  daraus  die  Art,  wie  Nonius 
den  Lucilius  und  andere  Autoren  benutzt  habe,  zu  erklären.  Daß  diese  auf  ein 
nicht  ausreichendes  Beobachtungsmaterial  gegründeten  Hypothesen  unhaltbar,  zeigt 
LlNDSAY,  Philol.  64  S.  462  f. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  I. 


43 


Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  nun  aber  die  Bedeutung  der  1.  Hand 
für  unseren  Darstellungsgegenstand.  Es  ergibt  sich,  daß  der  bildende 
Künstler,  wenn  er  einen  Menschen  die  geschlossene  Rolle  mit  der  Rechten 
halten  läßt,  damit  ausdrückte,  daß  dieser  Mensch  zu  lesen  eben  jetzt  an- 
fangen will.  Daß  auch  solches  Sujet  vorkam,  werden  wir  später  sehen. 
Zumeist  aber  lag  es  den  Absichten  jener  Künstler  fern,  sofern  sie  nicht 
Genrebilder  von  Lesen-  und  Studierenwollenden,  sondern  „Denkmäler", 
monumenta,  zu  liefern  hatten.  Ein  Lesenwollender  wäre  ein  nach  innen, 
nicht  nach  außen  gekehrter  Mensch,  und  er  würde  ferner  nur  ein  Moment- 
bild, kein  Dauerbild  ergeben.  Auch  läßt  sich  behaupten,  daß,  wer  einsam 
lesen  oder  im  engen  Kreise  vorlesen  will,  zumeist  nicht  steht,  sondern  sitzt.1) 
Die  Rolle  in  der  Linken  gab  dagegen  ein  Dauerbild;  denn  sie  bedeutete, 
wie  der  beschriebene  Vorgang  des  Lesens  ergibt,  den  Gelesenhabenden. 

Aber  nicht  nur  das;  auch  wer  mit  der  Lektüre  längst  fertig  war  und 
das  Buch  nur  unter  dem  Gewände  trägt  und  es  herbeibringt,  um  hernach 
einem  anderen  daraus  vorzulesen,  hält  es  in  der  L.;  dies  sagt  uns  Plato 
im  Phaedrus  p.  228 D,  wo  Sokrates  den  Phaedrus  fragt:  „was  trägst  du  in 
der  Linken  unter  dem  Gewand?  ich  glaube,  du  hast  das  Buch  selbst": 
ti  dpa  ev  Trj  dpicrepa  e'xeic  ütto  tuj  iucrriuj;  TOTrd£ai  föp  ce  e'xeiv  töv 
Xöyov  aüröv.  Der  Terminus  Xötoc  heißt  „Buch".2)  Daß  man  dasselbe  im 
Gewandbausch  oder  sinus  trägt,  sagt  uns  auch  Martial  VI  61,  2;  auch 
Chariton  S.  144  ed.  Hercher.3)  Wie  passend  war  dafür  also  die  sinistra, 
die  Hand  des  sinus! 

Hiernach  wird  aber  endlich  noch  verdeutlicht,  wie  auch  derjenige,  der 
das  Buch  nicht  versteckt,  sondern  ostentativ  trug,  dazu  regelmäßig  die  L. 
benutzte.  Dies  sehen  wir  allein  schon  durchgeführt  auf  den  Reliefs  der 
Trajans-  und  der  Markussäule,  wo  der  Kaiser  sogar  auf  dem  Marsch  sein 
Abzeichen,  die  Rolle,  in  der  L.  führt.  So  trug  Julius  Cäsar  vor  seiner 
Sterbestunde,  als  er  zur  Kurie  ging,  die  Bittschriften  (libelli),  die  er  noch 
nicht  lesen  wollte,  sinistra  manu  (Sueton  c.  81). 

Für  die  1.  Hand  also  sind  die  verschiedenen  Motive  der  Handhabung 
oder  des  Haltens  der  geschlossenen  Rolle,  zu  denen  wir  uns  nunmehr 
wenden,  erfunden  worden. 

A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  I. 

Es  sind  nicht  viele,  zunächst  nur  drei  Motive,  über  die  zu  handeln  ist. 
Die  antike  Plastik  liebt  das  Schlichte  und  Typische;  eine  größere  Nuancie- 

1)  Siehe  unten  den  Abschnitt  über  das  Lesen.  Übrigens  Hermippos  bei  Athen. 
S.  21A;  Xenoph.  Sympos.  4,  27;  Plato  Phaedr.  228E;  Cicero  de  fin.  III  7;  Tacit. 
Dialog.  3;  Lucian  17,  26;  Constitutiones  apostolorum  I  5  in  Concil.  coli.  Bd.  I  S.  277. 

2)  Siehe  Buchwesen  S.  28  f.;  447;  448;  466;  477,  2  fin. 

3)  Auch  Hieron.  epist.  60,  11  ed.  Vall.:  ülum  manibus,  illum  sinu  ...  tenebat. 


44 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


rung  in  Nebendingen  würde  von  der  Hauptsache,  vom  Gesamteindruck  des 
Bildes  und  seiner  Beseelung,  ablenken. 

Wir  unterscheiden  vornehmlich  das  Greifmotiv  und  das  Tragmotiv. 
Das  Greifmotiv  stellt  sich,  je  nachdem  die  Vorderansicht  sich  verschiebt, 
in  zwei  Hauptarten  dar,  die  ich  gelegentlich  als  Motiv  Ia  und  Ib  unter- 
scheiden werde.  Ia  erscheint  auf  Abb.  19  und  23,  Ib  auf  Abb.  20-22  und  24. 


Abb.  22.  Abb.  23.  Abb.  24. 


Da  Ib  nur  die  Rückenansicht  von  Ia  ist,  so  brauchen  wir  beide 
Formen  nur  in  der  Flächenkunst  des  Reliefs  und  der  Malerei  zu  unter- 
scheiden; sonst  genügt  es,  und  insbesondere  für  freistehende  Statuen  ist 
es  gegeben,  nur  das  Motiv  I  zu  notieren.  Der  Zylinder  der  Rolle  selbst 
erhält,  je  nach  der  Haltung  des  Armes,  bald  senkrechte  Stellung,  wie  in 
Abb.  19  —  21,  bald  schräg  erhobene,  wie  Abb.  22  und  23,  bald  schräg  ge- 
senkte, wie  Abb.  24,  bald  ganz  horizontale,  wie  z.  B.  Abb.  27  und  28.  Der 
Griff  der  Hand  aber  ist  durchgängig  ein  fester.  Dies  spricht  sich  in  der 
engen  Umklammerung  sowie  darin  aus,  daß  die  Richtung  der  Finger  mit 
Ausnahme  des  Daumens  zur  Achse  des  Rollenzylinders  im  rechten  Winkel 
steht.  Das  Motiv  I  ist  das  Greifmotiv,  mit  dem  auch  schon  der  Ägypter 
die  Rolle  anfaßte  (s.  oben  S.  12). 

Bei  der  Zerbrechlichkeit  des  antiken  Beschreibstoffs,  der  Charta,  kann 
die  Festigkeit  des  Griffs,  die  wir  hier  durchgängig  gewahren,  befremden. 
Doch  spricht  sich  darin  nicht  Nachlässigkeit  oder  Geringschätzung  des 
Buchs,  sondern  vielmehr  Vorsicht  und  bewußte  Sorgfalt  aus.  Es  galt  jede 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  I. 


45 


geringste  Auflösung  des  Konvoluts,  jede  Verschiebung  seiner  Blätterlagen 
zu  vermeiden,  die  bei  loserem  Griff  nur  zu  leicht  eintreten  konnte.  Löste 
sich  die  Rolle  oder  verschob  sie  sich  nur,  so  riß  an  irgend  einer  Stelle 
das  Fasergewebe  der  Charta;  die  Gefahr  war  ständig,  und  riß  auch  nur 
ein  Blatt,  so  war  damit  das  Buch  als  Ganzes  gefährdet. 

Zugleich  aber  ist  klar,  daß,  wer  das  Buch  so  resolut  und  kräftig  in 
der  L.  hält,  mit  der  Kenntnisnahme  des  Inhalts  längst  fertig  ist  und  der 
Inhalt  seine  Seele  nicht  mehr  beschäftigt.  Im  Motiv  I  dient  das  Buch  also 
keiner  szenischen  Darstellung;  es  deutet  nur  an;  es  ist  Merkmal  oder  Em- 
blem, ob  nun  die  Muse  es  hält  oder  der  Berufsschriftsteller,  der  Weise, 
der  Heilige  oder  irgend  ein  Gestorbener,  der  literarische  Interessen  hegte, 
oder  ein  Beamter,  dessen  Würde  durch  das  Buch  gleichsam  urkundlich 
zum  Ausdruck  kommt:  Die  r.  Hand  aber  hat  freien  Spielraum  und  kann 
selbständig  zu  jedweder  Verrichtung  wie  zum  Opferguß  über  dem  Altare 
oder  zum  Ausdruck  des  Innenlebens  verwendet  werden,  wie  bei  jenem 
Christus  der  Sophienkirche;  so  wie  hier  Christus,  so  erhebt  der  Redende 
und  Lehrende  oft  die  R.  lebhaft  in  beredtem  Gestus,  während  die  L.  dem 
besprochenen  Motive  dient.  Das  zeigte  schon  die  ägyptische  Grabstele 
oben  S.  12. 

Motiv  I  findet  also  da  Anwendung,  wo  die  dargestellte  Persönlichkeit 
sich  aktiv  oder  demonstrativ  an  die  Außenwelt  oder  an  den  Beschauer 
wendet.  Wir  können  es  auch  das  Repräsentationsmotiv  nennen. 
Das  Buch  selbst  aber  ist  dabei  nie  betont;  es  ist  Nebenwerk  und  soll  nur 
andeuten. 

Beginnen  wir  nunmehr  die  Monumente  zu  beschauen,  so  tun  wir  zu- 
gleich einen  Blick  in  das  Privatleben,  das  öffentliche  Leben,  das  Phantasie- 
leben der  Alten. 

Die  attischen  Vasen  führen  uns  hier  nur  bis  ins  5.  Jahrh.  v.  Chr. 

hinauf.    Ihr  Bilderreichtum   spiegelt  heiter- realistisch  das  Menschenleben 

jener  alten  Zeit.    So  geben  sie  uns  in  der  Tat,  wie  wir  später  sehen 

werden,  auch  die  ältesten  Buchdarstellungen  Griechenlands; 

aber  das  Motiv  I  ist  auf  ihnen  nicht  zu  gewärtigen,  da  es 

nicht  dem  Genre  und  nicht  dem  Bild  mit  Handlung,  sondern 

wesentlich  der  Repräsentation  angehört. 

Ein  zweifiguriges  Vasenbild  ')  zeigt  freilich  einmal  den  ge- 
flügelten Liebesgott,  der  einen  Epheben  im  Lauf  verfolgt;  letzterer 
hält  einen  Gegenstand,  den  unsere  Abb.  25  zeigt.    Dies  ist  indes         Abb-  25- 
keine  Schriftrolle,  wie  Gerhard  glaubte2),  sondern  eine  zugeklappte 
doppelte  Schreibtafel  mit  Henkel,  unten  mit  zwei  kleinen  hängenden  Reifen  verziert. 
Der  junge  Mann  will  zum  Unterricht  und  trägt  seinen  Unterrichtsapparat  auf  dem 
Schulweg,  als  ihn  der  Liebesgott  überfällt.    Solche  Tafeln  mit  Henkel  sehen  wir 


1)  Gerhard,  Auserlesene  Vasenbilder  IV  Tafel  287,  1. 

2)  Vgl.  auch  Gerhard,  ebenda,  Text  S.  63  zu  Tfl.  288,  10. 


46 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


sonst  an  der  Wand  hängen.1)  Auch  ein  etruskischer  Knabe  hält  eine  solche  in 
der  L.  auf  jenem  Schreibstift  aus  einem  Grab  bei  Orvieto,  der  jetzt  in  Berlin  ist2); 
ebenso  die  Terrakotte  in  Athen,  bei  Winter,  Terrakotten  II  S.  240,  2.  Ebensolche 
auf  der  Berliner  Grabstele,  „Beschreibung"  Nr.  771;  und  auch  noch  in  Trier. im  3. 

oder  4.  Jahrh.  n.  Chr.  kehrt  sie  in  gleicher  Form  wieder 
in  der  Hand  des  Schülers,  der  hinter  dem  Stuhl  steht 
s.  Abb.  77. 

In  ganz  derselben  Weise  wurden  in  älterer  Zeit  aller- 
dings auch  die  Buchrollen  getragen.  Ein  zylinderförmiges 
Futteral  mit  Griff  umgibt  sie.  Auf  einem  nolanischen 
Vasenbilde  sitzt  so  ein  Jüngling,  wohl  ein  junger  Dichter, 
den  Stab  in  der  L.,  die  Rolle  in  der  R.,  die  er  am  Griff 
trägt.  Eine  Nike  reicht  ihm  eine  schmale  Binde  mit 
beiden  Händen  (Panofka,  Bilder  ant.  Lebens  I  12);  s.  unsere  Abb.  26. 

Wohl  aber  gehört  nun  als  erster  Beleg  die  Vase  des  Brygos  hierher, 
aus  dem  Ende  des  5.  Jahrh.,  s.  Monum.  dell'  Inst.  IX  Tfl.  46;  in  Baumeisters 
Denkmälern  auf  der  Supplementtafel  unter  Nr.  7.  Die  geflügelte  Götter- 
botin Iris  rennt  einher,  in  der  R.  den  Caduceus,  und  wird  von  drei  gierigen 
Satyrn  überfallen;  einer  von  ihnen  packt  da  ihren  1.  Arm  und  entwindet 
ihrer  1.  Hand  eine  geschlossene  Rolle,  die  Botschaft,  die  sie  vom  Zeus 
bringt.  Auch  Dionys,  der  bärtige  Gott,  ist  zugegen.  Die  Vermutung  spricht 
an,  daß  das  prächtig  belebte  Bild  die  Handlung  irgend  eines  attischen 

Satyrspiels  jener  Zeit  wiedergab.3)  Ist  dies 
richtig,  so  würde  uns  also  schon  hier  die 
Buchrolle  auf  der  Bühne  begegnen. 

Sodann  erscheint  die  Muse  der  Rezita- 
tion mit  dem  Motiv  I.  Ich  meine  die  Jatta- 
vase,  abgebildet  Rom.  Mitteilungen  Bd.  III 
Tfl.  9,  eine  Darstellung  des  thrakischen 
Sängers  Thamyris,  mit  dem  die  Musen 
streiten  oder  dessen  Gesänge  sie  doch  bei- 
wohnen. Die  sitzende  Muse,  rechts  am 
Ende,  hält  die  R.  wie  rezitierend  hoch,  in 
der  gesenkten  L.  die  Rolle,  Motiv  Ib;  s. 
Abb.  27;  doch  ist  der  Griff  hier  loser; 
nur  drei  Finger  und  der  nicht  sichtbare 
Daumen  umfassen  das  Konvolut,  der  Zeigefinger  spielt  freier. 

Vor  allem  aber  ist  hier  aus  der  Zeit  der  Höhe  der  attischen  Plastik 
und  aus  der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  das  Musenrelief  aus  Man- 
tinea  anzuführen  (ein  Stein  mit  drei  Musen  fehlt),  das  im  Saale  des  Hermes 

1)  Ich  erinnere  an  die  bekannte  Durisvase  mit  Unterrichtsszene;  an  Gerhard 
a.  a.  0.  Tfl.  288,  10. 

2)  Archäol.  Zeitung  35  Tfl.  XI  Nr.  4;  ebenda  36  S.  164. 

3)  In  der  Tat  bringt  Iris  auch  in  dem  nach  ihr  benannten  Satyrspiel  des 
Achaeus  (Athen.  S.  451 C)  ihre  Botschaft  schriftlich,  aber  auf  einer  spartanischen 
Skytale.    Vgl.  Matz  in  Annali,  1872,  S.  294  ff. 


Abb.  27. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  I. 


47 


des  athenischen  Museums  aufgestellt  ist.  Hier  begegnen  uns  Buchdarstel- 
lungen, auf  denen  schon  des  Praxiteles  Augen  ruhten,  wofern  sie  nicht 
seinem  Atelier  entstammen.1)  Dargestellt  ist  der  Gott  Apollo,  der  den  Bläser 
Marsyas  mit  seinem  Leierspiel  besiegt.  Die  Musen  assistieren  nur.  Jede 
Figur  steht  abgetrennt  für  sich.  In  ihren  Händen  erscheinen  die  Flöte,  die 
Leier.  Eine  von  ihnen  liest  stehend  in  einer  offenen  Rolle,  eine  hält  die 
geschlossene,  Motiv  I;  s.  unsere  Abb.  28: 


Abb.  28:  Basis  von  Mantinea. 


Die  untätige  r.  Hand  tritt  zurück;  der  Handrücken  ist  auf  die  r.  Hüfte  ge- 
stemmt, ähnlich  wie  es  die  archaische  „seufzende"  Athene  tut.  Dadurch  wird  die 
L.  mit  dem  Buch  hervorgehoben.  Die  Frau  neigt  den  Kopf  zu  der  Kollegin  hin- 
über, die  links  steht  und  ihr  vorliest. 2)    Sie  ihrerseits  ist  mit  ihrer  Vorlesung  schon 


1)  Siehe  W.  Klein,  Gesch.  der  griech.  Kunst  II  (1905)  S.  9. 

2)  W.  Ameluno,  Die  Basis  des  Prax.  aus  Mantinea,  1895,  S.  8,  behauptet,  daß 
die  Musen  „ohne  Handlung  nebeneinander  stehen";  dies  ist  augenscheinlich  nicht 
ganz  richtig.    Wer  im  Altertum  liest,  liest  meistens  laut;  so  auch  erklärt  sich  erst 


48 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


fertig  und  hält  das  Volumen  schon  wieder  zusammengerollt  in  der  L.  Dieses 
Volumen  selbst  erscheint  verhältnismäßig  klein;  es  würde  aber  immerhin  ein  Drama 
des  Sophokles  von  ca.  1200  Zeilen  oder  ca.  40  Schriftseiten  darin  Platz  finden,  oder 
auch  irgend  ein  Abschnitt  Homers  von  gleichem  Umfange.  Die  Senkung  des  Arms 
entspricht  der  auf  den  vorigen  Monumenten;  sie  verursacht,  daß  die  Rolle  in  der 
Hand  horizontal  liegt.  Es  ist  übrigens  dieselbe  Art,  wie  auf  attischen  Grabreliefs 
der  Ephebe  die  Ölflasche  oder  bisweilen  auch  den  kleinen  Vogel  in  der  L.  hält. 

Hier  ist  also  das  Motiv  perfekt  und  klassisch  vorgebildet.  Der  Vasen- 
maler konnte  den  einen  Finger  der  greifenden  Hand  frei  spielen  lassen, 
der  Plastiker  nicht.  So  kehrt  nun  Motiv  I  auch  sonst  bei  den  Musen 
wieder;  ich  führe  noch  die  „Euripidesgemme"  bei  Visconti  Iconogr.  gr.  I 
Tfl.  V  Nr.  4  (S.  84)  an,  wo  eine  Muse  (etwa  die  tragische)  einen  sitzenden 
Dichter  am  Arme  zieht  und  ihr  Emblem  in  der  L.  hält.  Die  zwei  wichtig- 
sten Darstellungen  der  Musen  aus  hellenistischer  Zeit,  die  Homerapothese 
des  Archelaos  und  die  Altarbasis  von  Halikarnass,  lassen  uns  allerdings  im 
Stich;  denn  auf  ersterer  zeigt  die  sog.  Polyhymnia  nicht  Motiv  I,  sondern 
Motiv  III;  auf  letzterer  erscheint  das  Buch  gar  in  der  Rechten,  worüber 
später.  Und  so  sind  es  eigentlich  erst  die  Musensarkophage  der  römischen 
Kaiserzeit,  die  uns  weiter  helfen.    Ich  führe  an: 

Neapler  Musenrelief,  Archäol.  Zeitung  1843  Tfl.  VII;  die  erste  der  durch  Pilaster 
getrennten  Frauen  zeigt  hier  das  Motiv  in  der  gesenkten  Hand. 

Musensarkophag  des  Louvre  (Reinach,  Repert.  Stat.  I  S.  114,  2):  hier  ist  die 
erste  Muse  (von  1.)  zu  vergleichen;  außerdem  die  achte  mit  dem  Motiv  Ib  in  der 
erhobenen  Hand. 

Vatican,  Mus.  Chiaramonti  Nr.  249  (Fragment):  die  1.  Hand  ist  gesenkt. 

Rom,  Villa  Rondinini  bei  Matz-Duhn  2610:  eine  sitzende  Muse  hält  die  Rolle  1.; 
die  Rechte  erhoben. 

Münchner  Sarkophag,  Baumeister,  Denkm.  Nr.  1186:  die  erste  Muse  (von  1.) 
stützt  die  r.  Hand  unters  Kinn;   die  L.  hält  die  Rolle  horizontal,  Motiv  Ia. 

Berliner  Sarkophag,  „Beschreibung"  Nr.  844:  die  sog.  Polyhymnia,  die  im  Buch- 
motiv an  die  sog.  Polyhymnia  der  Tabula  Archelai  erinnert. 

Auch  der  Sarkophag  des  British  Museum  Nr.  2306  (Smith)  sei  verglichen. 

Die  Namen,  resp.  die  Embleme  der  neun  Musen  fixierten  sich  erst 
verhältnismäßig  spät.  Daß  man  seit  der  Ära  des  Hellenismus  unter  der 
Muse  mit  dem  Buch  vorzugsweise  Klio  verstand,  beweist  hauptsächlich  die 
Pompejanische  Figur  der  Kleio,  die  ihren  Namen  selbst  auf  dem  Buche 
trägt.    Die  Horazode  I  12  denkt  Klio  dagegen  noch  mit  der  Leier  oder  Flöte.1) 

die  Kopfneigung  der  zweiten  Muse;  sie  hört  zu;  dies  ist  also  Handlung.  Dem  ent- 
spricht in  der  Homerapotheose  des  Archelaos  im  oberen  Musenstreifen  die  Gruppe 
der  sitzenden  und  der  stehenden  Muse:  erstere  (Klio?)  liest  aus  einer  Tafel,  die  sie 
in  der  L.  hält,  vor;  da  man  aber  laut  las,  ist  die  ihr  zugewandt  Stehende  auch  hier 
als  zuhörend  aufzufassen.  -  Die  Ansicht  Navarre's  bei  Daremberg- Saglio  Dict.  III 
S.  2065,  daß  die  Muse  auf  der  Basis  ihren  Schwestern  das  Todesurteil  des  Marsyas 
vorlese,  ist  nicht  annehmbar. 

1)  Pseudo-Dositheus,  im  Jahre  207  n.  Chr.,  gibt  in  seinem  Musenverzeichnis  der 
Klio  wie  der  Erato  die  Kithara,  der  Terpsichore  die  Flöte,  der  Kalliope  die  iroinac: 
s.  Corp.  gloss.  lat.  III  S.  57  f.  Vgl.  übrigens  O.  BlE,  Die  Musen  in  der  antiken  Kunst, 
Berlin  1887;  E.  PETERSEN  in  Rom.  Mitteilungen  VIII  S.  65;  O.  NAVARRE,  Artikel 
„Musen"  bei  Daremberg-Saglio  Dict.  Bd.  III  Th.  2. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Musen;  Grabstelen. 


49 


Verlassen  wir  endlich  die  Musen 
und  suchen  nach  Menschen,  so 
scheinen  die  Grabmale  r  älterer 
Zeit,  die  den  Menschen  mit  dem 
Buche  zeigen,  ganz  selten.  In 
A.  Conze's  Attischen  Grabreliefs  fin- 
det sich  bis  jetzt  nur  ein  Beispiel, 
das  aber  nicht  aus  Griechenland 
selber  stammt,  worüber  später.  Das 
Motiv  I  fehlt  dort  ganz.1)  Auch  auf 
den  vielen  griechischen  Grabreliefs 
in  Verona  und  Mantua  kein  Buch.2) 
Erst  auf  jüngeren  griechischen  Grab- 
steinen findet  sich  die  Rolle  häufiger. 

Aus  dem  athenischen  Museum 
führe  ich  an:  \i0.  1573:  zwei  unbärtige 
junge  Männer  legen  die  Rechten  inein- 
ander; die  L.  des  einen  hält  die  Rolle, 
Motiv  Ib.  Ebenda  Nr.  1301:  Jüngling, 
Motiv  Ib.  Nr.  1238  (undeutlich):  wohl 
Motiv  Ib.3)  Weiter  British  Museum 
Nr.  2271  (Smith):  zwei  stehende  bärtige 
Männer;  der  eine  opfert  mit  der  Rech- 
ten einen  Opferkuchen,  indem  er  in 
der  L.  die  Rolle  hält,  Motiv  Ib.  Ein 
anderer  Grabstein  (aus  Smyrna?)  in 
Oxford,  Michaelis  Anc.  Marbl.  S.  562 
Nr.  89:  Mann  und  Frau  stehend;  er  hält 
die  Rolle.  Besonders  schön  das  hel- 
lenistische Relief  aus  Smyrna,  bespro- 
chen von  E.  Pfuhl,  Jahrb.  d.  Inst.  XX 
S.  53;  unsere  Abb.  29:  der  Mann  mit 
dem  Buch  tritt  fast  wie  eine  freistehende 
Statue  aus  dem  Reliefgrund  hervor;  ein 
kleiner  Diener  trägt  ihm  einen  Rollen- 


Grabrelief  aus  Smyrna. 


kästen  herzu. 

Dazu  noch  das  dreifigurige  Relief  der  Familie  des  Gaios  von  Azinia  (Aus- 
grabungen Hagia  Triada  1890;  mir  vorliegend  in  einer  Photographie  des  Deutschen 
arch.  Instituts  in  Athen):  die  Mittelfigur  en  face  hält  die  Arme  im  Gewand  nach  Art 
des  Neapler  Aeschines,  aber  die  Rolle  in  der  gesenkten  Linken,  Motiv  Ib. 


1)  Der  Jüngling  bei  Kabbadia  TÄUTTTä  Nr.  973  scheint  einen  Schwertgriff  zu  halten. 
Über  etruskische  Denkmäler  s.  unten,  bes.  Teil  I  Abschnitt  B  Kap.  5. 

2)  Ausnahmen:  Capsa  und  Rollenbündel  bei  DÜTSCHKE  IV  396  (Verona);  sitzen- 
der Mann,  Rolle  in  der  Rechten,  undeutlich,  ibid.  IV  682.  Stele  im  Louvre  Nr.  810 
(Reinach,  Rep.  Stat.  I  50,  9);  über  sie  schreibt  mir  Herr  Michon:  „Le  rouleau  fait 
bien  corps  avec  le  relief;  mais  cette  partie  du  fond  de  la  stele  me  parait  avoir  ete 
retravaille."    Einiges  weitere  unten. 

3)  Ebenda  Nr.  1302  ist  die  Deutung  noch  zweifelhafter.  Auf  den  Grabsteinen 
ebendort  Nr.  817  u.  1924  ist  gleichfalls  ein  Rollenbuch  zu  sehen;  nähere  Angabe  fehlt. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  4 


50 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Wenn  in  der  älteren  Zeit  die  Gräber  noch  schweigen,  so  redet  viel- 
leicht das  Leben,  das  uns  in  den  Terrakotten,  besonders  des  5.  und  4. 
Jahrh.  sich  darstellt?  Aber  auch  in  diesen  entzückenden  Nachbildungen  der 
Wirklichkeit  fehlt  das  Buch  fast  ganz.  Schon  gleich  das  neue  WiNTERsche 
Werk  gibt  die  beste  Gelegenheit,  diese  Tatsache  festzustellen.1)  Das  mag  man 
damit  wegdeuten  wollen,  daß  die  berühmten  und  allbeliebten  Tanagrafiguren 
ja  vornehmlich  junge  Frauen  zeigen.  Was  hatten  die  schönen  Frauen 
Böotiens  oder  Siziliens  mit  den  Büchern  zu  tun?  Aber  auch  männliche  Ge- 
stalten, besonders  in  burlesker  Form,  sind  da  ja  massenhaft  geknetet  wor- 
den; und  fassen  wir  das  über  Vasen,  Grabstelen  und  Terrakotten  Gesagte 
zusammen,  so  ergibt  sich  ein  Urteil,  das  den  nicht  überraschen  wird,  der 
jene  Zeiten  kennt.  So  wie  vielmehr  der  Kunstverstand  und  der  Besitz  von 
Kunstwerken  bei  den  alten  Griechen  vor  Alexanders  des  Großen  Zeit  im 
Laienpublikum  nur  vereinzelt  anzutreffen  und  auf  eine  enge  Minderzahl  be- 
schränkt war,  während  von  da  ab,  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein,  das  Räson- 
nieren über  Kunstwerke  und  das  Schmücken  der  Häuser  mit  ihnen  ins  Er- 
staunliche zunahm  —  dies  habe  ich  in  meiner  Schrift  „Laienurteil  über 
bildende  Kunst  bei  den  Alten",  Marburg  1902,  auszuführen  versucht  — , 
ganz  ebenso  begnügte  sich  auch  die  Volksmenge  in  den  Zeiten  vor  Alexander 
zumeist  damit,  Theaterstücke,  Reden  und  Rezitationen,  wo  sie  sich  boten,  mit 
anzuhören;  die  wenigsten  aber  hielten  sich  Büchersammlungen,  und  machten 
es  sich  zur  Lebensgewohnheit,  selbständig  Lektüre  zu  treiben.  Das  Studieren, 
die  Bücherliebe  fing  wiederum  erst  seit  Aristoteles  oder  damals  an,  als 
Griechenland  und  die  Welt  von  der  Monarchie  in  Besitz  genommen  wurde 
und  der  Einzelmensch  keine  Pflichten  mehr  hatte,  als  sein  Privatleben  zu 
veredeln  und  zu  vertiefen.  Schon  in  Cicero's  Zeit  ist  es  dann  aber  so  weit 
gekommen,  daß  sogar  der  Rinderhirt  auf  Varro's  Gütern  Bücher  liest  (Varro 
r.  rust.  II  5,  18),  und  wir  wundern  uns  nicht  mehr  dafüber,  wie  schrift- 
kundig die  Hirten  bei  Vergil  sind. 

Auf  der  Schwelle  dieser  neuen  Zeit  stand  der  Koroplast,  dem  wir  eine 
Tonlampe  von  eigentümlichem  Interesse  verdanken.  Sie  ist  von  C.  Watzinger 
in  den  Athenischen  Mitteilungen  Bd.  26  (1901)  S.  1  ff.  veröffentlicht 
worden.1')  Buchrollen  auf  Lampen  sind  überhaupt  etwas  ganz  Seltenes. 
Diese  Lampe  aber  datiert  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  in  das  3.  Jahrh.  v.  Chr.; 
sie  ist  auf  denkwürdigem  Boden,  am  Abhang  der  Akropolis  Athens  ge- 

1)  Siehe  F.  Winter,  Die  antiken  Terrakotten,  besonders  Bd.  II  (1903).  Ich  rede 
hier  nur  von  Motiv  1.  Aber  auch  sonst  findet  man  die  Rolle  so  gut  wie  gar  nicht; 
die  wenigen  Ausnahmen  werde  ich  später  erwähnen.  Für  Motiv  I  ließe  sich  nur 
die  Neapler  Terrakotte  ib.  S.  118,  7  zitieren;  eine  Frau  (Venus)  mit  dem  stehenden 
Eros  r.  neben  sich;  in  der  erhobenen  Rechten  ein  rundes  Stäbchen  oder  eine  Rolle? 
Die  Linke  im  Schoß  hält  eine  Schale?  Dies  ist  unverständlich. 

2)  Vgl.  F.  Winter,  Die  antiken  Terrakotten  II  S.  429,  8.  REICH,  Mimus  I  S.  553  f. 
bringt  zur  Auffassung  des  Bildwerkes  nichts  Neues. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Terrakotten.  51 


funden,  und  ihr  Bilderschmuck  stellt  nun  in  Freiplastik  sogar  eine  Theater- 
szene vor: 

Man  sieht  zwei  Alte  und  einen  Jüngling.  Sie  sind  eng  zusammen  gruppiert. 
Der  Jüngling  hält  die  Rolle  1.,  Motiv  Ib.  Daß  sich  hier  eine  Szene  aus  dem  griechi- 
schen Volksschwank  abspielt,  bezeugt  die  Aufschrift.  Also  lernen  wir,  daß  gelegent- 
lich auch  im  Theaterstück  die  Buchrolle  charakteristisch  zur  Verwendung  kam.  Wir 
erkennen  von  der  Handlung  selbst  so  viel:  die  beiden  Alten  sind  als  roh  und  garstig, 
der  Jüngling  als  der  Gebildete  hingestellt;  das  sollen  wir  u.  a.  auch  an  der  Rolle 
selbst  erkennen.  Und  er  wendet  sich  darum  von  jenen 
ab,  so  wie  der  junge  Mann  bei  Aristophanes  Vesp.  192 
zum  Alten  sagt: 

iTovipöc  ei  Tröppuu  xexvnc  Kai  irapdßoXoc. 
Auch  an  den  Kontrast  des  Phidippides  zum  alten  Stre- 
psiades  am  Schluß  der  Wolken  kann  man  denken.  Für 
den  späteren  Mimus  ist  das  gewiß  eine  oft  zugkräftige 
„Hypothesis"  gewesen. 

Das  Bruchstück  einer  wesentlich  jüngeren  Terra- 
kotte möchte  ich  hier  gleich  anfügen,  Abb.  30.  Sie 
befindet  sich  unter  Qlasverschluß  im  Terrakottensaal  des 
Konservatorenpalastes  zu  Rom,  ohne  Nummer.  Viel- 
leicht ist  hierin  eine  Sitzfigur  zu  erkennen. 

Und  nun  die  große  Plastik  eines  Polyklet 
und  Silanion  und  Lysipp?  wird  man  fragen.  Vor- 
nehmlich seit  dem  Anfang  des  4.  Jahrh.  entwickelte 
sich  die  herrliche  Kunst  der  Porträtstatue  und  be- 
völkerte die  Tempelhöfe  mit  ruhmgekrönten  Sterb- 
lichen, die  in  Stein  und  Erz  ein  ewiges  und  ver- 
klärtes Scheinleben  führen  sollten.  Darunter  Abb.  30 :  Terrakotta, 
waren  auch  Literaten  genug.  Gorgias  weihte  sein 

eigenes  Bild  in  Delphi.  Die  drei  Tragiker  stellte  Athen  unter  Lykurg  in 
seinem  Theater  auf.  Nach  seinem  Tode  wurde  ein  Demosthenes  verewigt  usf. 
War  nun  schon  damals  ein  Gorgias,  ein  Demosthenes,  ein  Sophokles  mit  der 
Rolle  in  der  Hand  abgebildet?  Wir  wissen  es  nicht.  Die  Statuenrepliken  der 
beiden  letztgenannten,  die  wir  besitzen,  haben  keine  oder  unechte  Rollen 
in  den  Händen.  Sitzbilder  mit  der  Rolle  werden  wir  öfter  nachweisen;  be- 
treffs der  Standbilder  ist  Vorsicht  geboten. 

Wir  haben  zunächst  das  Zeugnis  der  Münzen,  die  event.  auf 
ältere  statuarische  Werke  zurückweisen.  Darunter  kommt  hier  nur  in  Be- 
tracht: 

Heraklit,  stehend,  hält  anscheinend  geschlossene  Rolle  in  der  L.  (Bernoulli, 
Qriech.  Ikonographie  I,  1901,  Münztafel  II  Nr.  4).  Die  Haltung  der  Rolle  ist  etwas 
auffällig. 

Außerdem  sei  schon  hier  hingewiesen  auf 

Stesichoros,  stehend,  als  alter  Mann  und  mit  gekrümmtem  Rücken,  die  Rechte 
dozierend  (taktierend?)  erhoben;  in  der  L.  die  Rolle,  die  aber  nicht  geschlossen, 
sondern  in  zwei  Konvolute  auseinandergelegt,  also  offen  ist.  Münze  von  Himera, 
nach  dem  Jahre  409  v.  Chr.;  unsere  Abb.  121.  Die  bei  Cicero  erwähnte  Statue  Verrin. 
II  85  f.  Stesichori  poetae  statua  senilis,  incurva,   cum  libro,  summo  ut  putant 

4* 


52 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Abb.  31a:  kl.  Bronze 
Mus.  Kirch. 


artificio  facta  muß  dieselbe  sein,  deren  Existenz  die  Münze  voraus- 
setzt (Baumeister,  Denkmäler  S.  171 1  Figur  1795).  Dazu  kommt  endlich 
Homer  sitzend,  Kopf  nach  1.,  geschlossene  Rolle  in  der  L. 
(Bernoulli  a.  a.  O.  Münztafel  I  Nr.  6;  0.  Jahn,  Bilderchroniken 
Tfl.  II  2). 

Inwieweit  hier  etwa  auch  die  Gemmen  zu  Hilfe  kom- 
men, kann  ich  nicht  feststellen.  Ich  habe  bisher  nichts  Be- 
zügliches gefunden,  außer  zwei  Stücken  in  Neapel: 

Das  eine  finde  ich  auf  einer  Photographie  von  Sommer 
(Neapel),  „Oggetti  preziosi",  die  über  150  geschnittene  Steine  ver- 
einigt und  auf  der  die  Nr.  453  die  Büste  eines  alten  Mannes  zeigt, 
hellenistischer  Manier  entsprechend,  vollbärtig,  den  Glatzkopf  mit 
Weinlaub  umkränzt,  ganz  bekleidet;  von  den  Händen  ist  nur  die 
Linke  mit  Rolle  sichtbar;  Motiv  Ib.  Für  einen  Anakreon  ist  der 
Ausdruck  des  Gesichts  zu  unfroh  und  gedrückt. 

Im  Zimmer  der  Gemmen  des  Neapler  Museums  fand  ich  im 
Glasrahmen,  der  die  Zahl  26966  trug,  unter  der  Nr.  1162  auf  weißem  Grunde  das 
Brustbild  eines  Mannes  in  römischer  Tracht;  Rolle  in  der  L.;  Motiv  Ib.  Um  das 
Bild  stehen  im  Rund  die  drei  Silben  KI  KE  RO. 

Nähern  wir  uns  nunmehr  den  erhaltenen  Statuen  selber,  so  scheint 
sich  ein  grenzenloses  Feld  der  Beobachtung  aufzutun,  aber  es  ist  un- 
ergiebiger, als  man  denken  sollte. 

Die  Bronzewerke  müßten  voranstehen,  denn  Bronze  bricht  nicht  so 
leicht  wie  Marmor,  und  die  Hände  der  Figuren,  wie  alle  Extremitäten,  sind 
an  ihnen  zumeist  besser  konserviert.  Hier  ist  nun  aber  zu  bemerken,  daß 
eine  größere  Bronzefigur  mit  Rolle  aus  dem  Altertum  uns  überhaupt  nicht 
erhalten  ist.  Mir  ist  wenigstens  keine  bekannt.  Wir  müssen  also  zu  den 
kleineren  Bronzen  greifen,  die  doch  häufig  spielende  Nachahmungen  grö- 
ßerer Werke  sind.  Die  Stücke,  die  da  in  Betracht  kommen,  sind  oft  von 
winzigster  Größe  und  dabei  z.  T.  Werke  einer  scherzhaften  Kunst. 

Zunächst  eine  Gewandfigur  mit  Maus-  oder  Fuchskopf  im  Museo  Kircheriano 
zu  Rom  (Bronzesaal,  Glasschrank  ohne  Nummer),  die  ich 
hier  wiedergebe,  Abb.  31a.  Sie  stammt  offenbar  aus 
dem  Tiermimus  der  Alten.  Denn  in  burlesken  Volks- 
stücken liebte  man  tierische  Verkleidungen.  Die  Figur 
ist  sonach  als  Schauspieler  mit  Tierkopf  aufzufassen, 
„Mys"  als  Philosoph  oder  Davus  in  der  Fuchsmaske1), 
und  es  ist  also  das  zweite  Mal,  daß  uns  hier  ein  Komö- 
diant auf  der  Bühne  mit  der  Rolle  in  der  L.,  Motiv  I, 
begegnet.  (Im  selben  Schrank  steht  noch  eine  gebrochene 
kleine  Figur,  anscheinend  ein  bekränzter  Jüngling  in 
Bronze,  gleichfalls  mit  demselben  Emblem,  dessen  Bild  ^ 
ich  hinzugefügt  habe,  Abb.  31b.) 


1)  Über  Mys  Diog.  La.  X  10.  Der  Davus  mit  dem  Fuchs 
gleichgesetzt:  Philostrat  Imag.  I  3  fin;  übrigens  weist  die  Rolle 


Abb.  31  b  :  kl.  Bronze, 
Mus.  Kirch. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Bronzen.  53 


Dies  also  ein  lustiges  Werkchen.  Humo- 
ristisch auch  in  seinem  Realismus  das  Kind 
im  Athenischen  Museum,  ein  nackter  kleiner 
Putto  in  Bronze,  mit  großem  Kopf,  der  die 
Rolle  an  die  Brust  drückt,  Motiv  I;  die  r.  Hand 
liegt  auf  dem  r.  Schenkel:  Abb.  32.  Der 
Embryo  des  zukünftigen  Gelehrten!  Nur  so 
und  nur  im  Dienst  des  Scherzes  konnte 
das  Buch  in  die  Hand  des  Nackten  kom- 
men. Die  „nackten"  Spielkinder,  die  yuuvoi, 
vergriffen  sich  eben  an  allen  Beschäftigungen 
der  Erwachsenen. J) 

Humoristisch  endlich  auch  das  Stand- 
bildchen eines  feisten,  kahlköpfigen  Römers, 
11  Zentimeter  hoch,  das  bei  Ancona 
gefunden,  jetzt  in  Berlin,  noch  der  vor- 
christlichen Zeitrechnung  angehören  dürfte, 
Motiv  I ;  wir  geben  dies  Bild ,  Abbil- 
dung 33,  nach  dem  Archäologischen  Anzeiger  im  Jahrbuch  1891,  S.  124. 

Dies  Stück  verrät  uns  nun  schon,  daß  es  bei  den  Römern  bereits  im 
Ciceronischen  Jahrhundert  Sitte  geworden  war,  sich  als  Mann  von  Ver- 
diensten mit  dem  Buch  statuarisch  verewigen  zu  lassen.  Denn  jenes 
Bild  ist  nichts  als  die  Parodie  auf  solche  Sitte.  Das  bestätigen  weiter  zu- 
nächst auf  das  beste  mehrere  kleine  Bronzen  Neapels,  geringeren  Kunst- 
wertes: 

Mus.  nazion.  Saal  II  der  Bronzen,  zunächst  Nr.  5389:  junger  Römer  in  sakraler 
Funktion,  die  Toga  über  den  Kopf  gezogen,  die  R.  leer  vorgestreckt,  als  hielte  sie 
die  Opferschale,  in  der  L.  die  Rolle,  Motiv  I.  Fast  identisch  damit 
die  Figürchen  ebendort  Nr.  5380  u.  5385  u.  5739,  welche  überdies 
eine  Schale  in  der  R.  halten.  Nr.  5580,  5379  u.  5389  sind  hier 
Abb.  34-36  wiedergegeben.  Nr.  5389  ist  etwa  11  Zentimeter, 
Nr.  5580  noch  nicht  10  Zentimeter  hoch.  '-) 

Das  Feinste,  was  ich  in  dieser  Art  gesehen,  ist  eine  Bronze- 
statuette in  Lyon  ohne  Nummer,  auf  einem  der  mittleren  Tische  des 


Abb.  32:  Kleine  Bronze  in  Athen. 


vielleicht  auch  auf  den  Advokaten,  der  ebensolche  Rolle  in  den 
Terenzbildern  trägt;  vgl.  Harvard  Studies  Bd.  XIV  Tfl.  36  f. 

1)  Vgl.  De  Amorum  in  arte  antiqua  simulacris  S.  XXV  f.; 
Deutsche  Rundschau  Bd.  74  S.  382-386. 

2)  Auch  im  oberen  Stockwerk  des  Neapeler  Museums,  Zimmer 
der  kleinen  Bronzen  und  Terrakotten,  finden  sich  im  Qlasschrank 
zwei  sich  entsprechende  Figürchen,  männlich  und  weiblich,  r.  die 
Schale,  1.  anscheinend  Rolle,  Motiv  I.  Unter  den  kleinen  Bronzen 
der  unteren  Räume  aber  ist  vielleicht  noch  Nr.  5241  zu  notieren, 
eine  Nike,  unbekleidet,  doch  mit  Halsschmuck,  die  Arme  in  steifer 
Haltung  nach  unten;  in  der  L.  Rolle (?),  Motiv  I.  Nike  schreibt  frei- 
lich gewöhnlich  nicht  in  Büchern,  sondern  auf  Schilden. 


54 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Museums  ausgestellt,  gegen  22  Zentimeter  hoch.  Auch  hier  ist  die  vorgestreckte 
r.  Hand  leer.  Der  Mund  des  bartlosen  und  jugendlichen  Mannes  steht  leicht  offen, 
als  spräche  er.  In  der  gesenkt  vorgestreckten  Linken  ruht  die  Rolle,  die  schmal 
und  ziemlich  lang  ist;  an  ihrem  oberen  Ende  ist  die  Rollung  im  Schnitt  angedeutet. 

Andere  Sammlungen  bieten  mehr  der  Art.  Ich  erwähne  noch  einen  bärtigen 
opfernden  Togatus  in  Genf,  Arch.  Mus.,  röm.  kl.  Bronzen,  Nr.  C  238;  eine  win- 
zige Frauenstatuette,  stehend,  gewandet,  Rolle  links,  Motiv  I,  in  Florenz,  Archäol. 
Mus.  Saal  XVI,  Bronzi  graeco-romani,  ohne  Nummer;  sowie  die  weibliche  Gewand- 
statuette im  Turiner  Museum,  Saal  der  Bronzen,  in  der  1.  Hand  Rolle  oder  Stab: 
s.  DÜTSCHKE  Bd.  IV  Nr.  301  e  („Relief  einer  Statue"). 

So  weit  die  Bronzewerke.  Über 
die  Unzahl  der  Marmorstand- 
bilder mit  Buchrolle,  die  in  keiner 
Antikensammlung  zu  fehlen  pflegen, 
ein  Register  aufzunehmen  liegt  mir 
fern.  Es  handelt  sich,  wenn  wir 
von  den  Musen  absehen,  aus- 
schließlich um  Porträtstatuen,  und 
zwar  um  gewandete.  Wir  dürfen 
den  Satz  aufstellen:  weder  dem 
gepanzerten  Krieger  eignet  die 
Rolle1),  noch  dem  nackten  Men- 
schen. Daß  es  ganz  vornehmlich 
Römer  und  Togati  sind,  die  unser 
Motiv  aufweisen,  liegt  daran,  daß 
eben  sie  seit  Sullas  Zeit  vornehm- 
lich und  seit  des  Augustus  Zeit  fast 
ausschließlich  Gegenstand  der  Por- 
trätkunst geworden  sind.  Daß  übri- 
gens auch  Griechen  dasselbe  Buch- 
emblem   in    gleicher    Form  nicht 

Abb.  34:  Kleine  Bronze,  Neapel. 

verschmähten,  ist  schon  S.  49  ge- 
sagt —  vgl.  unsere  Abb.  29  —  und  bestätigen  uns  beispielshalber  auch 
die  Kosmetensteine  Athens;  s.  auch  das  spätgriechische  Grabrelief  aus 
Smyrna,  im  Berliner  Mus.  „Beschreibung"  Nr.  768. 

Nun  aber  sind  viele  dieser  Marmorwerke  ohne  Hände  gefunden;  man 
kann  sagen,  die  meisten.  Dies  macht  Schwierigkeit.  Wer  auf  diese  Dinge 
acht  zu  geben  beginnt,  bemerkt  bald,  daß  die  meisten  Hände,  die  sich  mit 
ihren  Emblemen,  mit  den  Gegenständen,  die  sie  halten,  ihm  entgegen- 
strecken, dem  phantasierenden  und  skrupellosen  Ingenium  der  Ergänzer  an- 
gehören; ein  frappierendes  Beispiel,  das  den  offnen  Markt  Puzzuoli's  schmückt, 
unsere  Abb.  37.    Wenn  wir  aber  bisher,  insonderheit  auch  an  den  kleinen 


1)  Einen  alten  Krieger,  die  Rolle  in  der  L.,  finde  ich  einmal  notiert  bei 
Matz-Duhn,  Antike  Bildwerke  in  Rom  Nr.  3789. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Standbilder.  55 


Abb.  35  :  Kleine  Bronze,  Neapel. 


Bronzen,  wahrnahmen,  daß  das  Motiv  I 
regelmäßig  der  1.  Hand  zukommt,  so  wer- 
den wir  die  Gültigkeit  dieser  Regel  auch 
hier  gewärtigen.  Festzustellen,  wie  viele 
Augnahmen  sie  hat  und  wie  sich  diese 
Ausnahmen  gegebenenfalls  erklären,  müs- 
sen wir  der  Einzelforschung  überlassen. 
Hier  nur  so  viel. 

Wo  ich  die  Rolle  bei  stehenden 
Figuren  in  der  R.  antraf,  ergab  sie  sich 
als  wahrscheinlich  oder  sicher  unecht  und 
ergänzt : 

Vatikan,  Galerie  der  Statuen  Nr.  402:  bär- 
tige Gewandfigur  „Incognito":  r.  Unterarm  mit 
Rolle  ergänzt. 

Ebenda  Braccio  nuovo  Nr.  53  (s.  W.  Ame- 
lunq,  Skulpturen  des  Vatikanischen  Museums  I, 
1903,  S.  72):  Tragischer  Dichter  mit  Kopf  des 
Euripides:  r.  Arm  mit  Rolle  ergänzt. 

Ebenda  Nr.  117  (AMELUNG  S.  145):  Statue 
mit  Kopf  des  Claudius:  r.  Hand  mit  Rolle  ergänzt. 
Ebenda,  Galerie  der  Kandelaber  Nr.  19: 
Sarkophag  eines  Knaben.  Der  Knabe,  auf  dem  Deckel  gelagert,  hält  richtig  offene 
Rolle  1.,  außerdem  noch  geschlossene  Rolle  r.  Eine  vielschichtige  Wachstafel 
(Polyptychon)  liegt  außerdem  vor  ihm;  die  r.  Hand  ist  angesetzt;  „aus  Gyps" 
(AMELUNG).     Das  Polyptychon   besteht  aus  sechs  Tafeln  (nach  demselben). 

Rom,  Konservatorenpalast,  Oktogon  Nr.  104:  Imperatorenstatue;  r.  Hand  mit 
Rolle   unecht;   letztere    zu    detailliert   in  der 
Ausführung;    klingt   hohl   beim  Berühren. 

Rom,  Kapitolinisches  Museum,  Saal  des 
Gladiators  Nr.  8  (HELBIQ,  Führer  Nr.  541):  sog. 
„Zenon":  r.  Arm  mit  Rolle  ergänzt  (von  AMELUNG 
bestätigt). 

Rom,  Mus.  Kircherianum,  im  Gang  mit 
kleinen  statuarischen  Werken:  Marmorstatuette 
eines  bärtigen  Mannes  ohne  Nummer:  am  r. 
Bein  Rollenbündel,  doch  unausgeführt.  Außer- 
dem Rolle  in  der  R.,  etwa  Motiv  I.  Aber  der 
r.  Unterarm  ist  angesetzt;  „modern"  (AMELUNG). 

Rom,  Coli.  Torlonia:  Togastatue  bei  Rei- 
NACH,  Repertoire  I  546,  4:  r.  Arm  mit  Rolle 
ergänzt. *) 

Rom,  Villa  Albani:  Statue  eines  komischen 
Schauspielers:  WlESELER,  Theatergebäude  Tfl. 
XII  Nr.  2:  der  bärtige  Kopf,  ebenso  auch  der 
ausgestreckte  r.  Arm  mit  Rolle  sind  unecht. 

Neapel,  Mus.  naz.  Porticus  II  Nr.  6083  sog. 
Lucilla:  r.  Arm  unecht.    Mir  bestätigt  von  Mau. 


1)  Vgl.  auch  Coli.  Torlonia  bei  REINACH 
II  615,  10;  616,  1;  618,  8. 


Abb.  36:  Kleine  Bronze,  Neapel. 


56 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Ebenda  Nr.  6064  „Bri- 
tannicus":  Scrinium  am  r. 
Bein;  r.  Hand  mit  Rolle 
scheint  ergänzt;  mir  bestä- 
tigt von  MAU. 

Ebenda,  Galerie  der 
Balbi  Nr.  6229  „Britannicus" 
mit  Bulla.  Scrinium  am 
r.  Fuß;  1.  Hand  leer,  r.  Hand 
mit  Rolle.  Aber  1.  Hand 
und  r.  Unterarm  ergänzt.  Mir 
bestätigt  von  Mau. 

Ebenda,  Saal  VII,  hoch 
über  der  Türe  großes  'Me- 
daillonporträt ohne  Nummer: 
der  r.  Unterarm  ragt  vor  und 
hält  die  Rolle;  aber  er  ist 
ergänzt. ')  Dies  Werk  ge- 
hört übrigens  zur  Relief- 
kunst. In  Eleusis  sah  ich 
ein  ähnliches. 

Ebenda  (Saal  der  Musen?) 
Nr.  6261,  eine  Muse  (?): 
r.  Hand  mit  Rolle  ergänzt 
(Mau). 

Ebenda,  im  rechten  Gar- 
tenhof Nr.  376:  Togastatue, 
Scrinium  am  1.  Fuß,  Rolle 
in  der  R.  Die  1.  Hand  nebst 
Arm  ist  anliegend  zur  1.  Brust 
erhoben.  Rohe  Arbeit;  dazu 
verwittert.  Die  rechte  Hand 
Abb.  37:  Mavortius,  Puzzuoli.  scheint  angesetzt,  die  Finger 

mit  Rolle  keinesfalls  echt.-) 
Puzzuoli,  Marktplatz:  Standbild  des  Q.  Flavius  Mavortius  Lollianus;  Rollen- 
bündel links,  Rolle  in  der  R.    Die  Hände  sind  flott  ergänzt;  der  Kopf  aufgesetzt, 
aber  antik;   unsere  Abb.  37. 

Florenz,  Poggio  Imperiale,  Außenwand  (ARNDT-AmelüNG,  Einzelaufnahmen  295): 
Asklepiosstatue,  Rolle  in  der  R.    Der  r.  Arm  ergänzt. 

Ebenda,  Giardino  Boboli:  Marc  Aurel,  Rolle  in  der  R.  Beide  Arme  ergänzt 
(DÜTSCHKE  II  Nr.  81). 

Paris,  Louvre:  Kaiserstandbild  bei  REINACH,  Repert.  I  S.  147  Nr.  4:  r.  Arm 
mit  Rolle  angesetzt.    „Les  deux  bras  tout  entierement  refaits":  Michon. 

Ebenda:  Nero,  Reinach  I  163,  6;  Bernoulli,  Rom.  Ikonographie  II  173. 
Ebenda:  Muse,  REINACH  I  172,  2:  r.  Hand  mit  Rolle  ergänzt;  vgl.  FRIEDERICHS- 
Wolters,  Die  Gipsabgüsse  ant.  Bildw.  Nr.  1443. 

Ebenda:  Togastatue,  in  jeder  Hand  eine  Rolle,  Reinach  I  176,  8:  „beide  Arme 
modern"  MiCHON. 

München:  „Zenon":  s.  FURTWÄNOLER,  Beschr.  Nr.  288.    REINACH  I  512,  1. 


1)  Hierzu  MAU:  „Es  sind  zwei  solche  Medaillons.  An  beiden  ist  Arm  mit 
Rolle  ergänzt." 

2)  Meine  Platzangaben  für  die  Bildwerke  des  Neapler  Museums  stammen  aus 
dem  Jahre  1901.  Inzwischen  ist  dort  vieles  umgestellt.  MAU  schreibt  mir  zu  diesen 
und  anderen  unnumerierten  Stücken:  „nicht  gefunden". 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Standbilder.  57 


England,  Coli.  Holkham  Hall  Nr.  1:  Septimius  Severus;  Scrinium  1.;  Rolle  r., 
unecht:  s.  Michaelis,  Ancient  Marbles,  S.  302;  Reinach  1  593,  8. 

Coli.  Montferrand:  Scrinium  r. ,  Rolle  r.  Die  Rolle  ist  zu  groß:  ReinaCH  II 
614,  2;  vgl.  ebenda  617,  7. 

Kopenhagen,  Glypt.  551:  Faustina;  r.  Arm  mit  Rolle  ergänzt. 

Diesen  Beispielen  entgegenzustellen  habe  ich  zunächst  nur  eine  Togastatue  in 
Florenz;  sie  steht  im  Giardino  Boboli  im  Gebüsch  im  Freien:  DüTSCHKE  II  Nr.  73 
sagt  von  ihr,  daß  einige  Finger  der  1.  Hand  ergänzt  seien,  daß  die  vorgestreckte 
Rechte  eine  Rolle  halte,  daß  dabei  der  rechte  Unterarm  wie  in  einem  Redegestus 
erhoben  sei.  Was  aber  die  Linke  tut,  gibt  er  nicht  an.  Daß  nun  der  r.  Arm 
den  Redegestus  ausführt,  während  zugleich  die  r.  Hand  die  Rolle  hält,  ist  sehr  ver- 
dächtig; vielleicht  ein  Versehen  Dütschkes. 

Andere  „problematische  Fälle"  werden  in  dem  Abschnitt  B  „Die  geschlossene 
Rolle  in  der  Rechten"  §  8  Erörterung  finden. 

Zum  Glück  ist  die  moderne  Zeit  den  antiken  Funden  gegenüber  zurück- 
haltender und  weniger  genußsüchtig  als  die  Zeit  Donatelio's  und  Rafaels 
oder  selbst  Winckelmanns.  Heute  stückt  man  keine  Hände  an,  wenn  ein 
zerbrochenes  Marmorwerk  gefunden  wird.  Daher  wird,  wer  die  Funde  der 
Neuzeit,  wer  die  unergänzten  Statuen  zu  überblicken  versucht,  für  den  Satz, 
daß  die  Rolle  in  der  Rechten  von  Standbildern  allemal  verdächtig  ist,  eine 
gewisse  Bestätigung  finden.  Bei  Reinach,  Rep.  II  S.  623  —  628,  631  f.  u.  670 
—  681,  ist  eine  Auswahl  von  ihnen  in  Umrißzeichnung  gegeben:  da  mag 
man  sehen,  daß  die  Hände  entweder  beide  weggebrochen  sind  oder  aber 
daß  sie  leer  zu  sein  pflegen,  wenn  aber  einmal  eine  Rolle  sich  zeigt,  so 
ist  sie  in  der  Linken: 

Siehe  Seite  625,  2  (Alexandrien):  Motiv  I;  die  Rolle  wird  vertikal  gehalten; 
dazu  ein  Rollenbündel,  das  auf  einer  Capsa  steht.  S.  625,  8  (Athen):  Motiv  I:  die 
Rolle  wird  horizontal  gehalten.  Ferner  ebenda  S.  819,  7  (Ecole  des  Beaux-Arts 
n.  7063).    S.  623,  8  (Merida,  Spanien):  hier  erscheint  ein  großes  Diptychon  in  der  L. 

Nun  endlich  erhebt  sich  die  Frage,  in  wie  vielen  Fällen  auch  an  den 
ergänzten  Statuen  die  Rolle  in  der  L.  echt  ist.  Die  Beantwortung  dieser 
Frage  liegt  indes  nicht  im  Bereich  meiner  Aufgabe.  Denn,  wie  ich  wieder- 
hole, ist  mein  Zweck  lediglich,  aus  den  Bildwerken  die  Motive  selbst  zu 
entnehmen  und  kennen  zu  lernen,  betreffs  ihrer  Verbreitung  jedoch  mich 
auf  Andeutungen  zu  beschränken. 

Jedenfalls  haben  wir  an  vielen  bekannten  Marmorbildern  das  Buch, 
das  wir  zu  sehen  gewohnt  sind,  als  unzuverlässig  ergänzt  hinweg  zu 
denken.  Das  betrifft  vor  allem  den  Demosthenes,  den  man  mit  halb- 
geöffneter Rolle  zu  sehen  gewohnt  ist  (Amelung,  Vatikan.  Mus.  I  S.  81;  am 
vatikanischen  Exemplar  ist  auch  die  Form  der  Rolle  falsch).  Es  betrifft 
den  Julius  Cäsar  Berlins  („Beschreibung"  Nr.  341;  Baumeister,  Denkmäler 
Nr.  398);  den  Nerva  und  den  Titus  im  Braccio  nuovo  Nr.  20  u.  261),  den 
gepanzerten  Trajan  in  Neapel  (Porticus  II  Nr.  6072),  den  nackten  Drusus 


1)  Bernoulli,  Rom.  Ik.  II  2  Tfl.  XII  merkt  im  Text  nichts  an,  wohl  aber  Amelung 
(Tfl.  4).    Die  Rolle  zeigt  übrigens  die  Rollung  im  Schnitt  zu  deutlich. 


58 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


(ebenda  Nr.  6055),  den  sog.  „Sulla"  aus  Herculaneum  (ebenda,  Galerie  der 
Balbi  Nr.  6252),  den  sog.  Cicero  aus  Pompeji  (ebenda  6231),  den  Augustus 
in  Villa  Borghese  (Helbio  Nr.  947)  und  in  den  Uffizien  (Dütschke  III  Nr.  40), 
den  Hadrian  der  Uffizien  (Dütschke  Nr.  51),  die  sog.  „Sibilla"  Neapels1),  die 
„Calliope"  und  „Euterpe"  ebenda  im  Saal  der  Musen,  die  „Calliope"  der  Uffi- 
zien (Dütschke  Nr.  112)  usf.  Ähnlich  steht  es  mit  dem  Schlüssel  des 
sitzenden  S.  Peter  in  den  Grotten  des  Vatikan;  er  hält  ihn  nach  Analogie 
des  Buches  in  der  L.;  aber  die  Figur  scheint  aus  einer  Togastatue  mit 
fehlenden  Händen  zurechtgemacht.2) 

Wie  falsch  die  Ergänzer  oftmals  die  Rolle  geformt  haben,  mögen 
Abb.  38  u.  39  zeigen.     Oftmals  waltet  in  ihnen  das  Streben  nach  Detail- 
lierung  und  subtilerer  Anschauung.    Die  Ergänzer  wußten 
nicht>  daß  die  Rollen  an  den  antiken  Statuen  bemalt  waren. 

An  den  Togastatuen  im  Vestibu- 
lum  des  Neapler  Museums  ist  ins- 
besondere oftmals  der  Schnitt  am 
Kopf  des  Buchzylinders  viel  zu 
sorgfältig  ausgearbeitet,  so  daß 
man  den  Lauf  der  Windungen 
und  den  Platz  für  den  Umbilicus  genau  erkennt.  Wo  immer  das  vorkommt, 
besteht  der  Verdacht,  daß  das  Buch  modern. 

Größer  noch  war  die  Torheit  derjenigen  Ergänzer,  die  die  geschlossene 
Rolle  in  der  L.  so  gestalteten,  daß  das  lose  Ende  des  zylindrischen  Kon- 
voluts  auf  seiner  Oberseite  liegt:  denn  während  der  Buchtext  auf  der 
Innenseite  des  gerollten  Papiers  zu  denken  ist,  so  würde,  wer  eine  solche 
Rolle  aufrollte,  vielmehr  ihre  unbeschriebene  Rückseite  statt  der  Innenseite 
vor  Augen  haben,  wie  wenn  jemand  ein  Buch  so  aufschlägt,  daß  er  den  Ein- 
banddeckel betrachtet.  Das  Rollenende  muß  also  unterhalb  des  Buchkörpers 
oder  doch  so  liegen,  daß  beim  Abrollen  sich  wirklich  die  innere  Schreib- 
fläche der  Charta  auftut.  Ein  Beispiel  solchen  Irrtums  gibt  der  Drusus  im 
Lateran  (s.  Abb.  40)  und  der  sitzende  Demosthenes  des  Louvre;  vgl.  auch 
die  Rolle  auf  dem  Relief  des  Louvre  bei  Reinach,  Rep.  I  50,  9,  falls  auf 
die  Zeichnung  Verlaß  ist.3) 


1)  Das  Motiv  1  ist  hier  zu  frei  behandelt.  Neu  abgebildet  ist  die  Sibilla  im 
Bullettino  commun.  di  Roma  30  (1902)  S.  138. 

2)  Wickhoff  in  Zeitschr.  f.  bildende  Kunst  1890  S.  110;  Kraus,  Gesch.  der 
Christi.  Kunst  I  S.  232. 

3)  Es  seien  hier  unter  dem  Rande  noch  einige  Statuen,  deren  1.  Hand  mit 
Rolle  unecht  oder  verdächtig,  aufgeführt: 

Vatikan,  Mus.  Chiaramonti  V  Nr.  114:  Statuette  eines  römischen  Knaben; 
Motiv  I,  aber  die  Rolle  zu  lose;  s.  Abb.  39. 

Ebenda,  Abt.  VI  Nr.  121:  sitzende  weibliche  Qewandfigur,  am  r.  Bein  Scrinium, 
darauf  Rollenbündel,  woraus  man  auf  eine  Dichterin  schließt;  s.  Amelung. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Standbilder. 


Gleichwohl  bleiben  nun  immer  noch  Standbilder  in  Marmor  genug, 
um  weiter  zu  bestätigen,  daß  in  der  Marmorplastik  unser  Buchmotiv  I  der 


Ebenda:  XVI  Nr.  402:  stehende  junge  Frau;  die  Rolle  endet  unten  spitz  und 
ist  unsachgemäß  gerollt. 

Ebenda,  XVIII  Nr.  449:  stehende  junge  Römerin,  Statuette:  s.  AMELUNQ. 

Ebenda,  Sala  in 
f.  di  croce  Greca  Nr.  592 : 
„Redner". 

Ebenda,  Saal  der 
Biga  Nr.  620  (HELB1G 
342):  „Sextus  der  Sto- 
iker": 1.  Arm  ergänzt. 
Die  Rolle  fremdartig 
und  zu  subtil  behan- 
delt: das  erste  Blatt  ist 
abgerollt  und  liegt  zwi- 
schen Daumen  und  Zei- 
gefinger, hat  aber  nur 
die  halbe  Höhe  des 
Buches. 

Kapitol.  Museum, 
Halle  Nr.  36:  Togafigur 
eines  Opfernden  (Ha- 
drian); Rolle  unecht; 
von  AMELUNG  bestätigt. 

Ebenda,  Hauptsaal 
Nr.  14:  Porträtstatue 
eines  Römers:  Capsa 
als  Stütze  1.  Rolle  zu  de- 
tailliert; Rollung  falsch. 

Konservatoren- 
palast, Oktogon  Nr.  12: 
Porträtstatue  eines  Rö- 
mers: Rollenform  und 
Handhaltung  ungewöhn- 
lich. „Hand  mit  Rolle 
modern"  Amelunq,  falls 
die  Figur  in  Österreich. 
Jahresheften  1900,  S.  82 
gemeint  ist  (Winter). 

Lateran,  Abt.  VI 
Nr.  434:  Togastatue; 
vgl.  Benndorf-Schöne, 
Katal.  S.  126. 

Ebenda  Nr.  438:  wie  die  vorige.    Hand-  und  Rollenform  verlassen  das  Schema. 
Ebenda,  XII  812:  Statue  eines  röm.  Knaben:  Benndorf-Schöne  S.  296. 
Ebenda,  XIII  864:  Togastatue:  s.  dieselben  S.  330;  auch  die  Capsa  am  1.  Fuß 
ist  Zutat. 

Ebenda  Nr.  846:  Togastatue  des  C.  Caelius  Saturninus:  s.  a.  a.  O.  Die  Rolle 
zeigt  vier  Windungen. 

Ebenda,  XV  958:  Knabe  mit  Bulla;  vgl.  BENNDORF-SCHÖNE  S.  376. 

Neapel,  Gal.  der  Balbi  Nr.  6230:  Jüngling  mit  Bulla:  am  1.  Fuß  Capsa  an- 
gedeutet. 


Abb.  40. 


60 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


1.  Hand  ebenso  vorbehalten  wurde,  wie  dies  im  Bronzeguß  und  in  den 
anderen  Kunstzweigen  geschehen  ist. 

Lateran  XII  Nr.  804:  Standbild  eines  röm.  Knaben;  Capsa  am  1.  Fuß,  Motiv  I; 
an  der  1.  Hand  drei  Finger  und  ein  Stück  der  Rolle  ergänzt.  Pendant  hierzu  ist 
Nr.  812  dortselbst;  hier  steht  die  Capsa  am  r.  Fuß,  die  1.  Hand  mit  Rolle  aber  ist 
modern;  BENNDORF- SCHÖNE  S.  296. 

Thermenmuseum,  Eingangswand:  Porträtstatue  eines  Römers,  ohne  Nummer; 
kurze  Rolle,  Motiv  I;  Capsa  am  r.  Fuß. 

Ebenda,  im  offnen  Hof:  Torso  einer  Porträtstatue,  Nr.  75:  Motiv  Ib;  s.  Abb.  22. 

Vatikan,  Mus.  Pio-Clement.,  offner  Hof  des  Belvedere:  Porträtstatue  eines  röm. 
Epheben,  ohne  Nummer,  Motiv  I;  s,  Abb.  23;  die  Echtheit  der  Rolle  bestätigt  mir 


Ebenda  Nr.  6167:  Statue  des  Baibus  aus  Herculaneum;  Capsa  am  1.  Fuß  („jetzt 
im  Vestibulum;  Rolle  scheint  mir  ergänzt"  Mau). 

Ebenda,  offner  Hof,  rechts  vom  Vestibulum:  Nr.  274  Togastatue,  r.  Hand  ein- 
gewickelt; 1.  Hand  gestückt;  die  Rolle  liegt  auf  den  Fingern. 

Ebenda  Nr.  91:  Togastatue,  Kaiserkopf  mit  Glatze;  Capsa  fehlt. 

Ebenda,  offener  Hof,  links  vom  Vestibulum:  in  einer  Nische  Togastatue  ohne 
Nummer;  Motiv  ähnlich  wie  die  eben  erwähnte  Nr.  274. 

Ebenda:  in  einer  anderen  Nische  Togastatue  ohne  Nummer;  Capsa  am  1.  Fuß. 
Rolle,  Motiv  I,  vielleicht  echt. 

Ebenda:  Standbild  eines  jungen  Mannes;  1.  Hand  scheint  unecht. 

Florenz,  Giordino  Boboli:  Togastatue:  s.  DÜTSCHKE  II  Nr.  83. 

Verona,  Museo  Civico:  Männliche  Gewandstatue,  an  den  Sophokles  des  Lateran 
erinnernd;  ergänzt  1.  Hand  mit  Rolle  (DÜTSCHKE  IV  Nr.  610  gibt  irrtümlich  die  r. 
Hand  an;  aber  vgl.  Abbildung  bei  Reinach,  Repert.  II  618,  4). 

Parma,  Mus.:  Standbilder  des  Caligula  (?)  und  Trajan(?):  Dütschke  V  868 
u.  896a:  bei  beiden  fehlt  r.  Hand;  1.  Hand  mit  Rolle  aber  ist  ergänzt;  Reinach 
II  614,  4  u.  6. 

Dazu  kommen  noch  die  Togastatuen  bei  Matz-Duhn  1261  (Quirinal);  1265 
(ebenda);  1278  (Villa  Pamfili);  1288  (Pal.  Massimi);  1319  (Sitzbild);  ebenso  die  weib- 
liche Gewandstatue  ebenda  Nr.  1376  (Pal.  Borghese).  —  Berlin,  Beschreibung  der 
antiken  Skulpturen:  Togastatuen  Nf.  387—399  [aufgerollte  Rolle  erbärmlich  ergänzt 
ib.  Nr.  600].  Weiter  Coli.  Newby  Hall  Nr.  7  (Mich.)  sog.  Epicur:  s.  Reinach  I  512,  8. 
Oxford  Universit.  Nr.  45  (Mich.)  sog.  Cicero:  s.  Reinach  II  617,  9.  Kopenhagen 
Glypt.  528  Togatus;  530  Augustus;  539  Claudius. 

Übrigens  gibt  Reinach,  Rep.  I  S.  178  ff.;  547;  550f.;  IIS.  579  ff.;  613  f.  eine 
reiche  Auswahl  von  Porträtstatuen  und  Musen  mit  Rollen,  Motiv  I;  der  Geübtere 
wird  bei  manchen  von  ihnen  die  augenfällige  Unechtheit  der  Rolle  alsbald  erkennen. 
Für  den  Nero  bei  Reinach  I  163,  5  bezeugt  mir  Michon,  daß  der  Vorderarm  (mit 
Rolle)  unecht. 

Im  Mus.  naz.  zu  Neapel  ist  die  Aufstellung  der  Statuen  jetzt  stark  verändert. 
Ich  füge  noch  einige  Mitteilungen  Mau's  hinzu,  die  diese  Neuaufstellung  berück- 
sichtigen. Saal  der  Musen  (?):  Nr.  6397  Muse  mit  Flöte  in  der  r.  Hand;  1.  Hand 
mit  Rolle  ergänzt.  —  Nr.  6377  ebenso.  —  Nr.  6395  ebenso.  —  Im  großen  Vestibulum 
(früher  im  Port,  der  Balbi)  Nr.  6231  Togatus:  Rolle  in  der  1.  Hand  ergänzt.  — 
Nr.  6246  Togatus:  1.  Hand  mit  Rolle  ergänzt.  —  Links  vorn  vier  Togati  ohne  Nummer; 
„nach  meiner  Meinung  an  allen  die  1.  Hand  mit  Rolle  ergänzt."  „Die  Togati,  die 
Sie  im  Hof  gesehen  haben,  stehen  jetzt  im  Vestibulum,  ohne  Nummern.  Ich  glaube, 
daß  an  allen  dort  befindlichen  Togati  die  Hand  mit  Rolle  ergänzt  ist.  Zweifeln 
kann  man  in  betreff  einer  Statue  (Tog.),  vorn  1.  gleich  beim  Eingang  zu  der  ehe- 
maligen Kaisergalerie.  Hier  ist  Hand  und  Arm  mit  Stuck  überschmiert,  die  Hand 
auch  gebrochen  und  Löcher  gebohrt,  in  denen  Holzpflöcke  stecken,  die  aussehen 
wie  Eisen  zur  Ergänzung.  Ich  glaube,  das  ist  Schwindel,  um  der  Sache  ein  altes 
Ansehen  zu  geben." 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Standbilder. 


61 


Ameluno.  (Daneben,  als  Pendant,  ein  sehr  ähnliches  Standbild;  doch  scheint  hier 
die  L.  den  Teil  eines  Stabes  zu  halten.) 

Florenz,  Uffizien,  Saal  der  Inschriften,  Nr.  281:  Britannicus  als  Knabe,  in  „Basalt"; 
am  oberen  Rollenschnitt  ist  die  Rollung  grob  angedeutet;  DOtschke  III  Nr.  379. 

Florenz,  Pal.  Pitti:  „Asklepios".  Der  1.  Ellenbogen  ist  auf  einen  Knotenstock 
gestützt,  die  1.  Hand  nähert  sich  so  dem  Kinn  und  hält  dabei  eine  geschlossene 
Rolle,  Motiv  I,  an  der  nur  ein  Stück  ergänzt  ist.  Die  Rolle  ist  also  ursprünglich; 
DÜTSCHKE  II  19;  AMELUNG,  Führer  Nr.  188;  REINACH,  Rep.  II  31,  3.  Wennschon  die 
übliche  Schlange  fehlt  und  die  Darstellung  selbst  zunächst  befremdet  (bei  DOtschke 
II  93  ist  die  Rolle  unecht),  wird  man  doch  nicht  zweifeln  können,  Asklepios  zu  er- 
kennen; s.  Thrämer  in  Roschers  Myth.  Lexikon  I  S.  636.  Der  griechische  Gott  hat 
die  Buchrolle  demnach  vom  ägyptischen  Imhotep  überkommen;  denn  die  Ägypter 
vindizieren  sie  sowohl  anderen  Göttern  als  auch  besonders  diesem  Krankengott:  s. 
oben  S.  9. 

Neapel,  Mus.  naz.,  offner  Hof  links  vom  Vestibulum:  Togastatue,  ohne  Nummer; 
in  einer  Nische  in  der  Nähe  des  Nike-Torsos:  Capsa  am  1.  Fuß;  Rollenrest  in  der  L. 

Mantua,  Museo:  Togastatue;  die  1.  Hand  mit  Rolle  ist  zwar  angesetzt,  aber  nur 
ein  Teil  der  Rolle  ergänzt:  DOtschke  IV  Nr.  716. 

Paris,  Ecole  des  Beaux-Arts  Nr.  7063:  Togastatue  ohne  Kopf  und  Füße:  REINACH, 
Repert.  II  819,  4. 

Paris,  Louvre,  Katal.-Nr.  2244  (REINACH  I  176,6):  Togastatue:  die  Rolle  ist  echt, 
soweit  sie  nicht  über  die  Hand  hinausragt  (Michon). 

Marseille,  Chäteau  Borely,  Nr.  210:  Togastatue;  die  1.  Hand  mit  dem  Motiv  I 
ist  zwar  angesetzt,  aber  echt  (lädiert  und  abgestoßen);  vgl.  Fröhners  Spezialkatalog. 

München,  Kunsthandel:  Asklepios,  Statuette:  Reinach  III  13,  1. 

Köln:  Frau  mit  Rolle,  Motiv  Ib,  aus  Amethyst,  Höhe  9%  cm.;  s.  Urlichs  in 
Bonner  Jahrbb.  IV  Tfl.  5  S.  185  f.1);  Reinach  II  667,  10. 

Ince  Blundell  Hall  Nr.  48  (Michaelis):  Togastatue  mit  Scrinium.  Verdächtig. 

Reinach,  Repert.  III  177,  6:  Togastatue  in  Cricklade  (England). 

Ebenda  III  181,  10:  Togastatue  ohne  Kopf.  Tunis,  Mus.  Alaoui  Tfl.  13,27. 
Capsa  mit  daraufliegendem  Rollenbündel  am  r.  Bein. 

Als  Gegenstand,  der  noch  nachzuprüfen  wäre,  habe  ich  endlich  zahlreiche 
aus  Herculaneum  aufgegrabene  Togastatuen  beiseite  gelassen.  Es  ist  gewiß,  daß 
auch  sie,  als  sie  auftauchten,  sofort  der  Restauration  verfielen;  denn  sie  sollten  als 
Schmuck  der  Säle  und  Plätze  dienen,  und  so  findet  man  in  vielen  Fällen  an  ihnen 
Hände  und  Arme  angesetzt.  Es  wäre  aber  vielleicht  möglich,  daß  diese  Extremi- 
täten z.  T.  zugehörige  Fragmente  waren  und  als  solche  angestückt  worden  sind. 
So  könnte  die  Rolle  in  der  L.  vielleicht  noch  für  echt  zu  halten  sein  bei  dem 
Suedius  Clemens  (Neapel,  Galerie  der  Balbi  Nr.  6235);  die  Rolle  ist  indes  auffallend 
winzig;  die  1.  Hand  trägt  einen  Siegelring,  auf  dessen  Platte  ein  S  graviert  ist.*) 
Dazu  die  acht  großen  Togastatuen  im  großen  Vestibulum  des  Neapler  Mus.  Nr.  5965  ff., 
acht  nach  gleichem  Schema  gearbeitete  und  ergänzte  Werke:  runde  Capsa  mit 
Ringen  und  Band  am  1.  Fuß;  r.  Hand  macht  den  Gestus  des  Redners;  die  1.  Hand 
zeigt  unser  Motiv  I;  der  vierte  Finger  derselben  1.  Hand  trägt  stets  einen  Ring,  auf 
dem  bisweilen  ein  S  graviert  ist.  Da  indes  die  Finger  vielfach  aus  Gips,  auch  die 
Hautfalten  an  den  Händen  oft  zu  subtil  ausgearbeitet  sind  und  der  Schnitt  der  Rolle 
öfters  die  Rollungen  oder  gar  den  Rollenstab  in  einer  Deutlichkeit  zeigt,  die  gegen 
alles  Herkommen,  so  ist  es  nicht  möglich,  diese  Werke  hier  heranzuziehen. 

Dasselbe  gilt  von  den  Togastatuen  in  Portici  (Palazzo  reale,  jetzt  Scuola  di 
agricoltura),  die  gleichfalls  aus  Herculaneum  stammen:  zwei  solche  mit  Buch  stehen 


1)  Urlichs  erkannte  die  Rolle  nicht,  doch  läßt  die  Abbildung  kaum  einen 
Zweifel. 

2)  Ein  liegendes  S  auf  dem  Ringe  findet  sich  so  z.  B.  an  dem  sakralen  Stand- 
bilde, Neapel,  Saal  der  großen  Bronzen  Nr.  5615  (Invent.). 


62 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


dort  im  Treppenhaus,  die  eine  davon  in  sakraler  Anordnung  der  Toga;  eine  dritte 
in  Cortile  in  einer  der  sechs  Nischen. ') 

Mau  bestärkt  mich  in  meinen  Zweifeln.  Nach  ihm  ist  gleich  an  der  Suedius- 
statue  die  Hand  mit  Rolle  unecht;  das  S  dem  Namen  Suedius  zuliebe  gefälscht. 
Dies  haben  die  Ergänzer  dann  auf  die  übrigen  Togastatuen  übertragen.  Auch  an 
ihnen  ist  keine  Rolle  echt'2),  öfter  dagegen  die  Capsa. s) 

Für  Echtheit  der  Rollen  bringt  mir  Mau  dagegen  aus  Neapel  noch 
folgende  Belege: 

In  der  ehemaligen  Galerie  d.  Capolavori,  dicht  beim  ehem.  Porticus  der  Balbi, 
in  der  Mitte  lebensgroße  Statue  eines  griechisch  gekleideten  Mannes,  ohne  Kopf; 
hält  in  der  an  der  Seite  herabhängenden  L.  etwas  Zylinderförmiges  (0,20  cm  lang), 
das  wohl  eine  Rolle  sein  soll.    (Arndt- Amelunq  766,  mit  Nachtrag  in  Serie  IV.) 

Dazu  kommen  mehrere  dekorativ  und  schlecht  gearbeitete  Grabstatuen  (Togati) 
in  dem  jetzt  als  Magazin  dienenden  Hof  hinter  dem  Museum: 

1.  Kalkstein.  Die  I.  Hand  hält  an  der  Brust  die  senkrecht  stehende  Rolle  und 
zugleich  einen  Faltenbausch.    Keine  Capsa. 

2.  Marmor.    Das  Gleiche.    Capsa  am  1.  Fuß. 

3.  Kalkstein,  sehr  korrodiert.  Die  r.  Hand  hält  den  Faltenbausch.  Die  1.  Hand, 
herabhängend  und  bis  zum  Handgelenk  eingewickelt,  hält  etwas  Zylinderförmiges, 
wohl  Rolle. 

Ob  es  ein  Marmorstandbild  mit  Rolle,  Motiv  I,  gibt,  das  älter  wäre  als 
die  augusteische  Zeit,  weiß  ich  nicht.  Wer  indes  hellenistische  Grabreliefs 
betrachtet,  wie  dasjenige,  das  ich  oben  S.  49  angeführt  habe,  vgl.  unsere 
Abb.  29,  in  welchem  die  Gestalt  des  Gestorbenen  schön  gewandet  und  mit 
dem  Buch  in  der  geschlossenen  L.  wie  in  Vollplastik  aus  dem  Relief  heraus- 
tritt, wird  sich  darüber  klar  sein,  daß  auch  schon  in  den  hellenistischen 
Zeiten  solche  Vollbilder  existiert  haben  müssen.  Denn  die  Erfindung  des 
Reliefbildners  ist  offensichtlich  von  statuarischen  Werken  beeinflußt.  Eben 
darauf  führt  der  „Hesiod"  auf  der  Tabula  Archelai  (s.  unten),  und  auch  der 
Asklepios  des  Pal.  Pitti  ist  hellenistisch,  wie  mich  Amelung  erinnert. 

Wir  aber  treten  jetzt  endlich  an  die  letzte  und  umfangreichste  Aufgabe 
heran,  indem  wir  die  Reliefkunst  der  römischen  Kaiserzeit  in  Betracht 
ziehen.  Aus  der  Relieffläche  trat  der  kleine  Rollenkörper  meist  wenig 
hervor  und  brach  nicht  ab,  und  so  sind  die  Beispiele,  die  sich  uns  jetzt 
entgegendrängen,  unzählbar.  Sie  sind  es  besonders,  die  in  ihrer  Massen- 
haftigkeit  uns  lehren,  daß  die  Rolle  bei  einer  Standfigur  in  die  1.  Hand 
gehört.  Insbesondere  seit  dem  Beginn  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.,  seit  Trajan 
und  weiter  seit  den  Antoninen  bis  in  das  5.  Jahrh.  hinein,  wuchert  so  die 
Rolle  auf  den  Reliefplatten,  Werken  der  verschiedensten  Bestimmung. 

Mit  dem  Höhenstand  der  Literatur  hat  diese  Tatsache  allerdings  nichts 
zu  tun.  Die  Klassizität  lag  längst  weit  hinter  den  Epigonen,  die  damals 
lebten.    Aber  eine  Bildung,  die  auf  dem  Buch  beruht,  die  literarische  Er- 

1)  Ebendort  steht  übrigens  auch  eine  weibliche  Gewandstatue,  als  Euterpe  er- 
gänzt; die  Flöte  in  der  R.,  die  Rolle  in  der  L.  sind  unecht.    So  auch  Mau. 

2)  Nur  für  Nr.  5983  scheint  Mau  die  Unechtheit  nicht  ganz  sicher. 

3)  Die  Capsa  ist  echt  oder  z.  T.  echt  an  Nr.  5969,  5983,  5984,  5987,  5988. 


A.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Reliefs. 


63 


ziehung,  verbreitete  sich  eben  damals  in  die  weitesten  Kreise.  Bei  ihrer 
Verbreitung  pflegt  die  Bildung  aber  an  Tiefe  zu  verlieren.  Man  denke 
daran,  wie  seit  Augustus  die  Knabenschulen  sich  mehrten  und  hoben  und 
wie  dann  Hadrian  und  die  Antonine  für  das  Unterrichtswesen  gesorgt 
haben;  wie  zu  jener  Zeit  alles,  alt  und  jung,  in  die  Rednerschule  lief,  um 
deklamieren  zu  können;  wie  zugleich  die  Philosophenschulen  ihre  Kreise 
zogen  (hiervon  lebt  die  Satire  Lucians);  wie  eben  damals  auch  für  die 
Jurisprudenz  der  schulmäßige  Betrieb  aufkam  und  sich  steigerte;  wie  end- 
lich gar  das  Schriftstellern  und  Dichten  zu  einer  Art  Hausgymnastik  herab- 
sank und  jeder  Dritte  sich  selbst  vortrug  und  rezitierte;  wie  zu  alledem  der 
Sacheifer  für  und  gegen  das  Christentum  Berufene  und  Unberufene  aufs 
neue  zu  Literaten  machte:  alle  diese  Betriebe  gründeten  sich  auf  das  Buch, 
und  man  war  naiv  genug,  das  Buch  als  Symbol  der  eigenen  Geisteswürde 
oder  auch  als  Zeugnis  für  die  eigene  Überzeugung  sichtbar  in  der  Hand 
zu  tragen  und  so  im  Abbild  sich  der  Welt  darzustellen. 

Daher  also  auf  hunderten  von  Sarkophagen  immer  wiederkehrend, 
bald  auf  dem  Deckel,  bald  an  einer  betonten  Stelle  des  Flächenschmucks, 
der  Verstorbene  mit  der  Rolle,  oft  dazu  auch  das  Rollenbündel  und  die 
Capsa.  Jeder  kennt  Belege  dafür;  viele  gibt  das  nachstehende  Verzeichnis. 
Die  christliche  Kunst  bringt  darin  womöglich  noch  eine  Steigerung.  Daß 
die  Rolle  sich  allemal  in  der  linken  Hand  befindet,  werde  ich  im  weiteren 
nicht  mehr  besonders  erwähnen.1) 

Ich  stelle,  wie  natürlich,  einige  Beispiele  voran,  die  auf  das  Kunst-  und 
Literaturleben  Bezug  haben. 

Über  die  Musen  ist  S.  46  ff.  geredet.  Ein  wichtiger  Vermittler  der  Poesie 
war  nächst  ihnen  der  Schauspieler.  Auf  Votivreliefs,  die  mutmaßlich 
nach  gewonnenem  Siege  geweiht  wurden,  ließ  sich  der  Schauspieler  mit 
der  Rolle  abbilden;  man  sehe  die  zwei  Schauspielerreliefs  in  Wien,  Kunst- 
historisches Museum  Saal  IX  Nr.  10  u.  11;  jedes  zeigt  einen  Schauspieler, 
der  im  Profil  sitzt;  jeder  hält  seine  Rolle  in  der  L.,  Motiv  I. 

Diese  Reliefs  sind  älter  als  die  Sarkophage  und  stammen  aus  helleni- 
stischer Zeit.  Dasselbe  würde,  falls  es  echt  ist,  von  einem  Relief  gelten, 
das  O.  Jahn  in  den  Abhandl.  sächs.  G.W.  XII  Tfl.  5,  8  abbilden  ließ  und  das 
eine  Genreszene  zeigt:  ein  Mann  mit  der  Rolle  im  Atelier  einer  Malerin. 

Die  späteren  Sarkophage  dagegen  lieben  es  literarische  Unter- 
haltungen vorzuführen.  Als  Musterbeispiel  sei  hier  in  Abb.  41  das  Relief 
im  Belvedere  des  Vatikan,  Cortile  Nr.  68,  vorgelegt.2)  Seine  Fläche  zerfällt 
in  drei  Felder.  Auf  allen  dreien  erscheint  eine  Frau  stehend,  die  entweder 


1)  Bei  Matz-Duhn  fehlt  bisweilen  eine  Angabe  darüber,  welche  Hand  die 
Rolle  hält;  so  Nr.  3107,  3116,  3119,  3122,  3123,  3127. 

2)  Vgl.  Ameluno,  Vatikan  II,  Belvedere  68,  Tfl.  18. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  literar.  Unterhaltungen.  55 


sicher  oder  nach  glaubwürdiger  Ergänzung1)  das  geschlossene  Buch  hält: 
auf  dem  Mittelfelde  allein,  auf  den  Seitenfeldern  in  Gesellschaft  eines 
Mannes,  der  seinerseits  sitzt  und  jedesmal  eine  offene,  aber  in  einer  Hand 
zusammengenommene  Rolle  hält:  Motiv  VII.  Die  Wichtigkeit  des  geistigen 
Verkehrs  mit  dem  Buch  und  durch  das  Buch  ließ  sich  nicht  stärker  be- 
tonen, als  es  hier  geschehen.  Zugleich  aber  ist  es  der  Überlebende,  der 
die  noch  offene,  die  Gestorbene,  die  die  zu  Ende  gelesene,  geschlossene 
Rolle  hält.    Das  kann  zugleich  als  Symbol  empfunden  worden  sein. 

Wo  'nun  auch  sonst  literarische  Unterhaltungen  oder  eine  Vorlesung 
mit  Zuhörern  vorgeführt  werden  oder  wo  der  Dargestellte  dichtet  und  liest, 
unter  Hinzutritt  der  Musen,  da  genügt  natürlich  nicht  das  Motiv  I,  und  man 
sieht  daneben  auch  offene  und  halboffene  Bücher.  Ich  zitiere  noch  fol- 
gende Reliefs: 

Berliner  Sarkophag  („Beschreibung",  1891,  Nr. 844),  Reliefstreifen  des  Deckels: 
hier  gehen  (von  links  anfangend)  zuerst  zwei  junge  Männer  im  Gespräch;  der  linke 
hat  Rolle,  Motiv  Ib;  sodann  sitzt  ein  Jüngling  mit  vorgestrecktem  Buch,  Motiv  VII2); 
ihm  zugekehrt  steht  ein  bärtiger  Mann,  deklamierend  ausschreitend,  die  R.  gesenkt. 
Es  folgt  eine  dritte  Gruppe:  ein  sitzender  bärtiger  Mann  hält  die  Rolle  im  Schoß, 
Motiv  III,  und  läßt  sich  von  einer  Muse  eine  halbabgerollte  zweite  Rolle  entgegen- 
halten usf.:  im  ganzen  acht  Einzelbilder.  Die  Rolle  kommt  zehnmal  vor,  Motiv  I 
zweimal.    Ich  komme  später  auf  Einzelnes  zurück. 

Sarkophagreliefs,  ed.  Robert,  II  Tfl.  52  Nr.  141 1 :  vier  sitzende  'Männer;  zwei 
halten  eine  Rolle,  der  eine  geschlossen,  der  andere  läßt  nur  das  letzte  Blatt  offen 
herabhängen.    Die  Lektüre  ist  somit  beendet. 

Ebenda,  Nr.  142a,  ähnlich  dem  vorigen:  alle  vier  Männer  haben  geschlossene 
Rolle;  zwei  sitzen,  zwei  stehen;  zwei  haben  Motiv  1,  zwei  Motiv  II. 

Matz-DüHN,  Nr.  3117,  Relief  in  der  Via  di  porta  S.  Sebastiano;  dies  ist  ein 
Musterbeispiel  für  diese  Dinge,  über  das  ich  in  anderem  Zusammenhang  berichte. 

Ist  der  Verstorbene  nun  aber  isoliert  dargestellt  und  hält  für  sich  allein 
das  Buch,  so  läßt  das  Buch  gewiß  oft  mannigfache  Deutungen  zu.  Jeden- 
falls ist  doch  aber  für  viele  dieser  Fälle  anzusetzen,  daß  auch  hier  ein 
Interesse  an  Literatur  und  Gelehrsamkeit  hat  ausgedrückt  werden  sollen. 
Ein  Beweis  läßt  sich  auf  folgendem  Wege  führen.  Die  Sarkophage  lieben 
es,  das  Brustbild  des  Verstorbenen  mit  Buch  im  Medaillon  zu  zeigen;  das 
ist  aber,  wie  niemand  verkennen  kann,  eine  Weiterführung  des  Medaillon- 
porträts, das  wir  aus  der  campanischen  Wandmalerei  kennen.  Da  nun  das 
letztere  den  Personen  Rollen  in  die  Hand  gibt,  die  wirklich  literarische 
Texte  enthalten  —  dies  verraten  dort  die  Aufschriften  Plato  und  Homerus*)  — , 
so  hat  auch  für  die  entsprechenden  Darstellungen  der  Sarkophage,  wo 
keine  anderen  Indizien  vorliegen,  dasselbe  zu  gelten.  Dazu  kommt  noch 
ein  vereinzeltes  Zeugnis,  der  Grabstein  der  Claudia  Italia,  woselbst  das 

1)  Auf  dem  1.  Seitenfeld  ist  die  Rolle  modern,  auf  dem  Mittelfeld  nur  ihr 
oberes  und  unteres  Ende  (nach  Amelung). 

2)  Und  zwar  in  der  L.;  in  der  „Beschreibung"  a.  a.  O.  S.  330  steht  fälschlich: 
„in  der  Rechten".    Meine  Schilderung  ist  nach  dem  Original  gegeben. 

3)  Siehe  Rom.  Mitteilungen  VIII  (1893)  S.  20. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  5 


66 


1.  Die  geschlossene  Rolle. 


Buch,  das  die  Verstorbene  hält,  die  erläuternde  Aufschrift  irdcric  uouciKfjC 
ue-rexouca  trägt.1) 

Aber  der  Bereich  dessen,  was  das  Buch  im  Bilde  auszudrücken  be- 
stimmt war,  ist  hiermit  keineswegs  ausgefüllt.  Denn  es  diente  auch  zu 
amtlichen  und  zu  geschäftlichen  Aufzeichnungen.  So  taucht  denn  auch  auf 
den  Reliefs,  die  ein  Kaufgeschäft  darstellen,  den  Ladenschildern,  eben  die 
Rolle  auf.  Im  Geschäftsladen  pflegt  der  Händler  selbst  das  Diptychon,  die 
Schreib-  oder  Rechnungstafel  zu  halten,  der  Käufer  dagegen  steht  bis- 
weilen mit  der  Rolle  am  Ladentisch;  oder  es  werden  beim  Eintragen  von 
Summen  beide  Buchformen  verwendet. 

Auf  dem  Dresdner  Ladenschild  mit  Metzgerbude -)  sitzt  nur  die  Geschäfts- 
inhaberin, in  den  Händen  eine  Rechnungstafel.  Ladenschilder  sind  sodann  gewiß 
auch  die  beiden  hübschen  Florentiner  Reliefs,  die  uns  in  ein  Tuch-  und  Mode- 
geschäft einführen'1);  das  eine  zeigt  zwei  Käufer;  sie  sitzen  und  besichtigen  ein 
großes  Tuch,  das  zwei  Ladendiener  vor  ihnen  entfalten.  Der  eine  der  Käufer  hält 
die  Rolle  im  Schoß;   es  ist  übrigens  nicht  Motiv  I,  sondern  Motiv  III.4) 

Ähnliches  auf  Grabreliefs;  so  in  Metz:  ein  Argentarius  sitzt  am  Rechenbrett, 
die  Rolle  im  Schoß.5)  Das  Grabdenkmal  des  Eurysaces  in  Rom,  das  noch  dem 
1.  Jahrh.  v.  Chr.  angehört,  veranschaulicht  das  Geschäft  des  Müllers  und  Brotlieferanten : 
Monumenti  dell'  Ist.  II  Tfl.  58  sieht  man  u.  a.  auch  eine  Gruppe  am  Ladentisch;  es 
wird  gerechnet.  Ein  Mann  sitzt,  drei  stehen.  Hinter  diesen  ein  vierter,  der  eine 
Rolle  in  der  L.  hält,  Motiv  1'),  und  im  Begriff  ist  davon  zu  gehen.  Hierzu  kommt 
endlich  der  Weinhändler  auf  dem  Relief  der  Sammlung  Ince  Blundell  Hall 7), 
Michaelis  Nr.  298,  eine  Tafel,  die  vielleicht  als  Grabrelief,  vielleicht  aber  auch  als 
Ladenschild  aufgefaßt  werden  kann.  Auch  hier  sitzt  am  Tisch  ein  Mann,  auf  dem 
Schoß  die  Rechnungstafel  (kein  „Buch"),  mit  der  sich  seine  1.  Hand  beschäftigt. 
Ebenso  hält  auch  eine  am  Tisch  vorn  stehende  Figur  eine  offene  Tafel  in  der  L. 
Am  oberen  Ende  des  Tisches  dagegen  steht  ein  Mann,  in  beiden  Händen  eine  Rolle; 
es  scheint,  daß  er  sie  eben  aufrollt.  *)  Es  handelt  sich  um  Weinverkauf  und  irgend- 
welche geschäftliche  Berechnung.  Daß  man  in  Geld-  und  Handelssachen  Posten 
aus  einer  Buchrolle  mitteilte,  die  dann  andere  auf  einzelne  Tafeln  notieren,  lehrt  der 
Gorgoniussarkophag  in  Ancona,  Garrucci,  Storia  dell'  arte  ehr.  Tfl.  326,  1.  Seiten- 
giebel. Außerdem  kommt  aber  noch  von  rechts,  etwas  größer  gebildet,  ein  junger 
Mann  in  der  Tunika  herbei,  die  r.  Hand  erhoben,  eine  Rolle  in  der  L.,  Motiv  I;  für 
ihn  sehe  ich  keine  glaubhafte  Erklärung,  wenn  man  nicht  einen  weiteren  Geschäfts- 
diener in  ihm  sehen  will,  der  eben  eintritt  und  dessen  Rolle  denselben  Zweck  hat 
wie  die  der  anderen  Figur,  die  augenscheinlich  soeben  aus  ihrem  Rollenbuch  Be- 


1)  Siehe  WlNCKELMANN,  Monum.  antichi  inediti  I  Nr.  187;  vgl.  unten  Abb.  71, 
wo  freilich  die  Aufschrift  fehlt. 

2)  Antikensammlung  733;  s.  Archäol.  Anzeiger  1889  S.  102. 

3)  Uffizien,  Saal  des  Hermaphroditen,  DÜTSCHKE  III  Nr.  507  u.  533;  Amelung, 
Führer  durch  die  Antiken  in  Fl.  Nr.  167  u.  168. 

4)  DOtschke  zu  Nr.  507  erwähnt  die  Rolle  nicht. 

5)  E.  Beöin,  Metz  depuis  dix-huit  siecles  I  (1843-44)  Beiblatt  zu  S.  224. 

6)  O.  Jahn,  Annali  X  S.  240,  sagt  nicht  richtig:  una  tavoletta  nella  mano. 

7)  Blümner,  Archäol.  Zeitung  X  Tfl.  13  S.  130 f.;  Schreiber,  Bilderatlas  Tfl.  66,  1. 

8)  So  Blümner;  in  der  skizzenhaften  Abbildung  selbst  a.  a.  O.  läßt  sich  dies 
nicht  erkennen.  Aber  man  sieht  doch,  daß  beide  Hände  in  gleicher  Höhe  am 
Rollenkörper  anliegen;  das  kommt  bei  einfach  geschlossener  Rolle  nicht  vor,  war 
dagegen  bei  dem  Aufrollenden  natürlich. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Kaufgeschäft;  Hochzeit;  Opfer.  57 

rechnungen  mitteilt.  Weil  der  Betreffende  von  außen  neu  hinzukommt  und  dem 
Vordergrund  viel  näher  steht,  ist  er  größer  gebildet. 

Eine  andere  geschäftliche  Funktion  hat  die  Rolle  bei  der  Hochzeit. 
Der  Bund  soll  durch  sie  als  legitime  „Schriftehe"  (töiuoc  eVfpaqpoc)  be- 
zeichnet werden.  Derartige  griechische  Ehekontrakte  sind  auf  Papyrus  noch 
erhalten.1)  So  nun  auch  die  römischen  Sarkophage:  feierliche  Darstellungen 
des  Hochzeitsritus  sind  auch  auf  ihnen  beliebt,  und  der  Bräutigam  oder 
junge  Gatte  ist  es,  der  dabei  vorzugsweise  die  Rolle  (nicht  Tafel),  die  den 
Ehekontrakt  bedeuten  muß2),  zu  halten  pflegt.  Das  Motiv  I  ist  hier  ständig. 
Ich  führe  an: 

Sarkophag-Reliefs  ed.  ROBERT,  Bd.  II  Tfl.  25  Nr.  62  A,  Seitenwand:  Vermählung 
des  Achill  mit  Polyxena;  Achill  hält  die  Rolle,  die  unten  gebrochen  ist.  Die  übrigen 
Beispiele,  die  folgen,  sind  nicht  mythologisch. 

S.  Lorenzo  f.  1.  m.,  Sarkophag  im  Innern  der  Kirche:  der  sponsus  hält  beim 
Verlöbnis,  der  dextrarum  iunctio,  eine  dünne  Rolle  in  der  L.;  derselbe  beim  Opfer 
abermals.  Das  eine  Mal  ist  er  als  älterer  Mann,  das  andere  Mal  jugendlicher  ge- 
bildet.   Vgl.  ROSSBACH,  Hochzeits-  und  Ehedenkmale  S.  40;  Matz-Duhn  3090. 

Florenz,  Pal.  Riccardi:  bei  der  dextrarum  iunctio  hält  der  sponsus  die  Rolle: 
DÜTSCHKE  II  Nr.  105. 

Ebenda,  Villa  Rinuccini:  ebenso:  DÜTSCHKE  II  Nr.  316. 

Ebenda,  Poggio  a  Caiano:  Sarkophag  als  Brunnentrog:  ebenso:  DÜTSCHKE  II 
Nr.  401. 

Ebenda,  Uffizien:  ebenso:  DÜTSCHKE  III  Nr.  62. 

Mantua,  Museo:  ebenso:  vgl.  ROSSBACH  S.  153  f.;  DÜTSCHKE  IV  Nr.  643. 
London,  Brit.  Museum  Nr.  2307  (Smith  Catal.):  ebenso. 

Nur  die  dextrarum  iunctio  ist  dargestellt,  aber  mit  Motiv  I:  Matz-Duhn  3099 
(Rom,  San  Saba);  3100  (Pal.  Verospi);  3101  (Villa  Rondinini);  3103  (Villa  Giusti- 
niani) ;  3108  (Via  S.  Lorenzo  5).  Ebenda  Nr.  3105  halten  beide,  der  Mann  und  die 
Frau,  eine  Rolle,  dazwischen  steht  ein  Scrinium8);  Nr.  3095  hält  der  sponsus  selbst 
nicht  die  Rolle,  obschon  ein  Rollenbündel  an  seinem  1.  Fuße  liegt,  wohl  aber  eine 
weitere  männliche  Figur  in  Toga.  Solche  dextrarum  iunctio  bei  Eheleuten  kann 
natürlich  oft  auch  den  Abschied  bedeuten;  so  bei  Hettner,  Führer  durch  d.  Mus. 
in  Trier,  1903,  Nr.  11,  der  die  Buchrolle  als  das  Testament  des  Verstorbenen  inter- 
pretiert.   Mehr  bei  O.  Pelka,  Altchristl.  Ehedenkmäler  S.  93  ff. 

Die  Muse  mit  Rolle  bei  der  Hochzeit  des  Paris  und  der  Helena  auf  dem 
Marmorkrater  vom  Esquilin  4)  ist  dagegen  unecht;  vgl.  A.  Michaelis,  Ancient  Mar- 
bles  S.  513. 

Dies  die  Rolle  bei  der  Vermählung.  Aber  auch  der  Opfernde  hält 
die  Rolle  bei  der  Opferhandlung  (vgl.  unsere  Abbildungen  34-36;  M.  Aurel 
auf  unserer  Abbildung  42;  dazu  der  Haruspex  bei  Matz-Duhn  3407  und 
sonst  oft),  wo  sie  einen  zeremonialen  oder  Gebettext  enthalten  muß/) 
Oftmals  scheint  sie  auch  den  höheren  Beamten  anzuzeigen,  etwa  als  Diplom, 


1)  Vgl.  L.  MITTEIS  im  Archiv  f.  Papyrusforschung  I  (1901)  S.  343  f.;  U.  WlLCKEN 
ebenda  S.  484  f. 

2)  Vgl.  Rossbach,  Hochzeits-  und  Ehedenkmale  S.  43,  79. 

3)  Ebenda  3107  hält  Iuno  pronuba  die  Rolle,  aber  es  fehlt  die  Angabe,  in 
welcher  Hand  sie  sich  befindet. 

4)  Siehe  E.  Caetani  Lovatelli,  Bullett.  commun.  di  Roma  VIII  Tfl.  VII. 

5)  Gell.  13,  23,  1:  comprecationes  ....  in  libris  sacerdotum. 

5* 


68 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


das  seine  Würde  verbürgt,  und  findet  sich  so  insbesondere  vorzugsweise 
in  der  Hand  des  römischen  Kaisers  selbst;  dies  hat  er  von  den  alten 
ägyptischen  Königen  übernommen  (oben  S.  17);  und  zwar  zeigt  sich  merk- 
würdigerweise der  Kaiser  damit  nicht  nur,  wo  er  als  Redner  auftritt  oder  als 
Pontifex  maximus  ein  Opfer  darbringt  -  s.  Abb.  42  -,  sondern  auch,  wo 


Abb.  42:  Relief  am  Constantinsbogen. 


er  ohne  amtliche  Handlung  einherschreitet,  auch  auf  dem  Marsch  im  Krieg. 
In  vielköpfigen  Menschengruppen  wird  er  durch  das  Buch  in  der  L.  aus- 
gezeichnet und  als  Kaiser  kenntlich  gemacht.  In  ihm  muß  sich  also  seine 
Würde  irgendwie  anzeigen,  mutmaßlich  sofern  alle  Rechtsprechung,  Gesetz- 
gebung und  Beamtenernennungen  von  ihm  ausgehen;  denn  alle  „scrinia" 
sind  ihm  unterstellt.    Die  Rolle  ist  der  Uber  principis,  wie  ihn  Plinius 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Götter  ohne  Buch. 


69 


kurzweg  nennt  (ep.  V  13,  8);  es  ist  das  kaiserliche  edictum  oder  re- 
scriptum. 

Auf  den  christlichen  Marmorsärgen  geht  dann  dieselbe  Rolle  an  die 
Apostel,  vor  allem  an  Moses  und  Christus  über.  Dies  erklärt  sich  leicht. 
Denn  die  Genannten  sind  ja  alle  entweder  Urheber  oder  doch  Verbreiter 
des  „Wortes".  Logos  hieß  die  Heilslehre;  logos  war  aber  auch  ein  Ter- 
minus, der  die  Buchrolle  selbst  bezeichnete.1)  So  wie  nun  aber  der  Kaiser 
göttlich  war,  so  auch  Christus:  die  Rolle  zeigt  in  Christus  also  nicht  nur 
den  großen  Sophisten  an,  sondern  auch  den  göttlichen  Herrscher. 

In  den  zuletzt  genannten  Fällen  kommt  die  Rolle  also  sogar  einem 
göttlichen  Wesen  zu;  aber  dies  erklärt  sich  lediglich  aus  der  Mensch- 
werdung dieser  Gottheit.  Denn  sonst  trägt,  wie  ich  hinzufüge,  kein 
einziger  Gott  des  griechischen  Olymps  und  der  römischen  Superstitio  je 
eine  Rolle.  Selbst  Apoll  behilft  sich  ohne  Buchtext;  Merkur  bringt  seine 
Botschaft  ohne  Brief.  Als  Ausnahmen  dazu  können  meines  Wissens  nur 
die  Musen  und  Parzen  gelten.3)  Höchst  auffällig  daher  die  Iris  des  Vasen- 
bildes oben  S.  46.  Ungriechisch  der  Äskulap,  der  das  Buch  vom  ägypti- 
schen Imhotep  gleichsam  borgt  (oben  S.  61).  Ob  auch  der  Hermes-Thot 
(s.  Zusätze)?  Dazu  kommt  der  jüdische  Gott  in  der  Apokalypse  Kap.  5.3) 

Über  die  Musen  ist  schon  genug  gehandelt.  Von  den  Parzen  aber 
ist  es  mindestens  eine,  die  das  Schicksal  des  Einzelmenschen  bucht.  Auf 
einem  etruskischen  Sarkophagdeckel  (im  Archäol.  Museum  zu  Florenz)  sitzt 
so  eine  einzelne  geflügelte  Schicksalsgöttin  neben  dem  Gestorbenen,  eine 
mächtige  Rolle  in  der  L.  Ganz  ebenso  sitzt  auf  dem  Prometheussarkophag 
des  Capitolinischen  Museums  eine  Parze  neben  einer  jugendlichen  Leiche 
und  verliest  das  Schicksal  aus  offener  Rolle  (Baumeister,  Denkm.  Nr.  1568; 
Helbiq,  Führer  Nr.  457);  dieselbe  sitzt  neben  dem  sterbenden  Meleager, 
Motiv  I  (Helbig  Nr.  512).  Alle  drei  Parzen  erscheinen  auf  dem  späten  Sar- 
kophagfragment Mus.  Chiaramonti  Nr.  424  Ka;  die  mittlere  von  ihnen  hält 
Tafel  und  Stift  (also  nicht  Rolle?)4);  alle  drei  auch  auf  dem  Haterierdenk- 
mal  des  Lateran;  hier  hält  die  erste  die  fertige  Schicksalsrolle,  Motiv  VII, 
die  zweite  ist  noch  im  Begriff  zu  schreiben.  Als  volkstümliche  Auffassung 
erscheint  dies  auch  in  der  Literatur  bei  Martial,  der  X  46,  6  die  Atropos 

1)  Buchwesen  S.  28  f.;  447;  448;  466;  477  Anm.  2  fin. 

2)  Nach  GERHARD  freilich  soll  Venus  Libitina  in  einer  Rolle  lesen,  Abhandl.  d. 
Berl.  Akad.  1848  Tfl.  V  Nr.  11.  Bei  Reinach,  Pierres  gravees  Tfl.  34  Nr.  694  gilt  die 
Rolle  in  der  Hand  des  stehenden  Merkur  als  unecht.  Athena  endlich  schreibt  wohl 
in  alten  Darstellungen  (Furtwängler  in  Athen.  Mitteil.  VI  S.  177),  aber  auf  der  Tafel. 

3)  Danach  dann  die  Neueren.  Ein  süddeutscher  Dichter  in  Schillers  Jugendzeit 
stellte  Gott  lesend  dar:  Gott  hat  Abbadonnas  Reuegebet  bei  Klopstock  gelesen; 
dafür  krönt  er  den  Dichter:  s.  Minor,  Schiller  I  S.  428. 

4)  Bei  Amelung,  Vatikan  II,  Gal.  d.  Stat.  353  hält  Klotho  die  geschlossene 
Rolle  in  der  L. ,  Motiv  I,  in  der  R.  einen  ähnlichen  Gegenstand.  Eine  Parze  mit 
offener  Rolle  auch  auf  dem  Sarkophagdeckel  bei  Roscher,  Myth.  Lex.  I  S.  3099. 


70 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


nennend  sagt:  „jede  Stunde  des  Lebens  wird  gebucht":  omnis  scri- 
bitur  hora  tibi.  Diese  Martialstelle  ist  wegweisend  für  die  Würdigung  des 
Buchs  auf  den  Sarkophagen. 

Bei  Hygin  fab.  277  sind  sogar  alle  drei  Parzen  Schreiberinnen,  und  zwar 
sollen  sie  die  sieben  ominösen  griechischen  Vokalzeichen  erfunden  haben.1) 
Endlich  macht  auch  Martianus  Capella  I  64  alle  drei  Parzen  zu  Schreibe- 
rinnen, die  nur  dazu  da  sind,  Juppiters  Entscheidungen  aufzuschreiben 
und  zu  bewahren  (librariae  superum  archivique  custodes);  dabei  schreiben 
sie  auf  Wachstafeln.  Überliefert  Martianus  hier  ältere  römische  Vorstel- 
lungen, so  wird  die  Rolle  in  der  Hand  dieser  Göttinnen  vielleicht  den 
Griechen  verdankt.  Denn,  wie  es  scheint,  wirken  hier  nicht  ausschließlich 
römisch -etruskische  Vorstellungen  ein,  wennschon  H.  Brunn")  dereinst 
passend  die  römische  Fata  scribunda  verglich,  von  der  Tertullian  de 
anima  39  mitteilt:  ultima  die  (sc.  septimanae  postquam  natus  est  puer) 
Fata  scribunda  advocatur.  Vielmehr  muß  die  „Schicksalsfrau"  in  der  Unter- 
welt, die  man  mit  weit  offener  Rolle  auf  den  von  Olfers  publizierten  Reliefs 
des  (leider  wieder  verschütteten)  Cumaner  Grabes  erblickt  —  Abhandl.  Berk 
Akad.  1830  (erschienen  1832)  Tfl.  4  -,  eine  griechische  Konzeption  sein.3) 

Wenn  nun  Iris  einmal,  wie  erwähnt,  eine  Rolle  überbringt,  so  kann 
diese  m.  E.  nur  eine  von  den  Moiren  nach  Zeus'  Willen  aufgesetzte  Schick- 
salsrolle bedeuten,  da  doch  sonst  Zeus  seine  Befehle  nicht  schriftlich  erteilt. 

Die  Parzen  stehen  aber  nicht  nur  insofern  den  Musen  gleich,  daß  sie 
schreiben  und  lesen;  sie  singen  auch;  sie  singen  das  Schicksalslied,  übrigens 
ein  rechtes  Spinnerlied,  wie  es  bei  den  Naturvölkern  den  spinnenden  Frauen 
überhaupt  geläufig  ist  und  zukommt.  Denn  das  Parzenlied  hat  den  Zweck, 
wie  Catull  uns  schildert,  das  Spinnen  des  Fadens  selbst  bei  der  Geburt 
des  Helden  zu  begleiten.  Eben  dies  Lied  ist  es  nun  auch,  das  dann  von 
ihnen  aufgeschrieben  wird;  die  Rolle  enthält  also  das  Parzenlied,  und  wenn 
der  Mensch  stirbt,  kommt  die  Parze,  sie  zu  entfalten.  „Omnis  scribitur  hora 
tibi":  die  Summe  deines  Lebens  ist  darin  verzeichnet! 

Im  Bildschmuck  der  Marmorsärge  der  Kaiserzeit  ist  die  Parze  selbst 
indes  doch  nur  recht  selten  anzutreffen.  Aber  gleichsam  unsichtbar  ist  sie 
zugegen;  wenigstens  dem  Buch,  das  sie  geschrieben,  begegnen  wir.  In  der 
Tat  werden  wir  in  Verfolg  dieser  Übersichten  oftmals  auf  die  Annahme  ge- 

1)  Roscher  im  Philol.  60  S.  369;  Dieterich,  Mithrasliturgie  S.  32. 

2)  Annali  1849  S.  395. 

3)  Auf  dem  Moirenrelief  in  Tegel,  das  übrigens  aus  Rom  stammt  (s.  Jahres- 
hefte des  öst.  arch.  Instituts  VI,  1903,  Fig.  48),  ist  die  offene  Rolle  in  der  Hand  der 
Atropos  unecht;  vgl.  Weizsäcker  bei  Roscher,  Myth.  Lex.  I  S.  3096.  Es  wäre  gleich- 
wohl denkbar,  daß  sie  wirklich  ein  Buch  hielt,  und  ich  wäre  nicht  abgeneigt,  auf 
der  Brunneneinfassung  in  Madrid,  auf  der  die  Moiren  der  Geburt  Athenens  bei- 
wohnen, der  Atropos  ergänzend  gleichfalls  eine  Rolle  in  die  Hand  zu  geben;  siehe 
AMELUNO,  Basis  von  Mantinea  S.  13  Fig.  1. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Parzen;  „Buch  des  Lebens".  ~J{ 


führt  werden,  daß  das  Buch  in  der  Hand  des  Gestorbenen  das  Buch 
seines  Lebens  ist,  das  nun  zu  Ende  geht. 

Aber  auch  in  der  jüdischen  Phantasie  war  für  die  Schicksalsfrage 
nach  Tod  und  Leben  die  Rolle  von  verhängnisvoller  Symbolik. l)  Der 
Schreiberengel  Nabu %)  gleicht  den  Schreibern  des  ägyptischen  Jenseits 
(oben  S.  8  f.).  Übrigens  wird  nicht  für  jeden  Menschen  ein  besonderes 
Buch  geführt,  sondern  ein  einziges  Schicksalsbuch  enthält  nach  alttestament- 
lichem  Glauben  vielmehr  die  Liste  aller  Lebenden;  es  ruht  in  Gottes  Hand 
und  Gott  tilgt  darin  den  Namen  dessen,  der  sterben  soll:  s.  2.  Mos.  32,  32; 
Psalm  68,  29.  Dies  also  die  ßißXoc  Iujvtujv.  Sie  war  in  Wirklichkeit  die 
Bürgerliste  des  jüdischen  Volks.3) 

Von  diesem  Buch  der  Lebenden  ist  m.  E.  sodann  das  „Buch  des 
Lebens",  die  ßißXoc  £uufjc,  wohl  zu  unterscheiden.  Diese  kommt  erst  auf, 
wo  die  Jenseitshoffnungen  sich  regen,  und  die  Namen  derer,  die  erlöst 
werden  können,  werden  darin  eingetragen;  s.  Ep.  ad  Philipp.  4,  3.  Mit 
großem  Schreibapparat  sehen  wir  dann  in  der  Johannesapokalyse  die 
Sache  vor  sich  gehen,  20,  12:  „und  Bücher  wurden  entsiegelt,  und  ein 
anderes  Buch  wurde  entsiegelt,  welches  das  Buch  des  Lebens  ist,  und  die 
Toten  wurden  gerichtet  nach  dem,  was  in  'den  Büchern'  geschrieben  stand." 
Hier  sind  „die  Bücher"  in  der  Mehrzahl  die  Verzeichnisse  der  Vergehen, 
die  Schuldbücher.  Wen  diese  Schuldbücher  als  schuldlos  erweisen,  der 
wird  erst  dann  in  das  eine  Buch  des  Lebens  eingetragen;  und  wessen 
Name  sich  in  diesem  Buch  nicht  findet,  der  wird  in  den  feurigen  Pfuhl 
gestoßen  (ebenda  20,  15).4)  Auch  diese  Vorstellungen  haben  offenbar  weit 
gewirkt;  das  zeigt  u.  a.  auch  der  Pastor  Hermae  und  das  Henochbuch, 
und  so  ist  es  erklärlich,  daß,  indem  sich  der  heidnische  Sarkophag  in  den 
christlichen  Sarkophag  verwandelt,  auch  das  Buch,  das  der  Gestorbene 
hält  oder  liest,  aus  einem  Buch  der  Parze  und  des  Ablebens  zu  einem 
solchen  der  Hoffnung  und  des  ewigen  Lebens  wird.  Das  Lesen  wurde  zur 
Vorbereitung  auf  den  Tod.  Wir  werden  an  verstreuten  Stellen  öfters  An- 
laß haben  dies  wahrzunehmen.  In  der  nichtchristlichen  Zeit  kenne  ich  da- 
gegen ähnliches  nur  bei  Selbstmördern:  Cato  in  Utica  las  vor  seinem  Tod 


1)  Betreffs  der  Vorstellungen,  die  in  den  Qathas  des  Awesta  herrschen,  siehe 
F.  JUSTI  im  Anzeiger  der  Indogerm.  Forsch.  XVIII  S.  34. 

2)  Siehe  Archiv  für  Religionswissenschaft  I  S.  294  f. 

3)  So  C.  Budde,  mündlich. 

4)  Ich  verdanke  hier  Jülicher  und  Weiss  mehrere  Hinweise.  ß(ß\oi  t^c  lwr\c 
im  Plural  stehen  im  Pastor  Hermae  S.  12  ed.  Gebhardt  und  Harnack,  wo  man 
weiteres  über  diese  Termini  angemerkt  findet.  Damit  scheint  der  Pastor  Hermae 
S.  138  die  ßiß\oi  tojv  Zuuvtuuv  zu  konfundieren.  Es  ist  mir  nicht  möglich,  diesen 
Fragen  hier  nachzugehen.  Die  Stelle  der  Apokalypse  ist  analysiert  von  Joh.  Weiss, 
Die  Offenbarung  des  Johannes  (1904)  S.  57  und  104  (vgl.  auch  Christi.  Welt  XVIII 
Nr.  50  S.  1180).    Ich  bin  in  der  Interpretation  etwas  von  ihm  abgewichen. 


72 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Plato's  Buch  über  die  Unsterblichkeit1),  womit  das  Epigramm  23  des  Kal- 
limachos  zu  vergleichen  ist. 

Wenden  wir  uns  nach  dieser  Abschweifung  —  denn  die  Parzen  sind 
allerdings  in  den  seltensten  Fällen  Zeugen  für  das  Motiv  I  -  zur  Be- 
sprechung eben  dieses  Motivs  zurück.  Es  erübrigt  zum  Schluß,  für  das 
Gesagte  eine  Anzahl  von  Monumenten  zu  registrieren.  Zunächst  die 
öffentlichen  Monumente. 

Unter  ihnen  steht  die  Ära  Pacis  des  Kaisers  Augustus  voran,  deren 
zerstreute  Reste  sich  anschaulich  wieder  haben  zusammenfügen  lassen.  Da 
zieht  ein  idealisierter  Festzug  aus  den  ersten  Jahrzehnten  der  Regierung 
des  Augustus  vor  uns  her;  der  Kaiser  selbst  fehlt  nicht;  das  Publikum 
schaut  zu.  Durch  die  Rolle,  Motiv  I,  ist  hier  aber  noch  nicht  der  Kaiser 
selbst  ausgezeichnet;  sonach  ist  das  erst  später  üblich  geworden;  sondern 
andere  vereinzelte  vornehme  Teilnehmer,  nämlich  die  Fig.  10  im  Zuge  der 
der  1.  Wand  A  und  das  Kind  Nr.  33  im  Zuge  der  r.  Wand.")  Die  Rollen  in 
der  r.  Hand  beruhen  hier  dagegen,  wie  so  oft,  auf  falscher  Ergänzung.3) 
Jenes  Kind  aber  ist  als  wichtige  Person  auch  sonst  ausgezeichnet.4) 

Daran  reiht  sich  das  schöne  Suovetaurilienrelief  in  Lyon,  Archäol.  Mus. 
Nr.  574:  ein  schmaler  langer  Friesstreifen  feinster  Arbeit.  Von  links  kommen 
die  Tiere;  in  der  Mitte  der  Altar  mit  den  Hauptpersonen.  Die  dritte  Figur 
rechts  vom  Altar  ist  ein  schreitender  Mann  in  der  Toga;  er  hält  die  Rolle 
in  der  L.,  Motiv  Ib. 

Den  Kaiser  in  der  allocutio  zeigt  eine  der  beiden  Trajanischen 
Marmorschranken  auf  dem  Forum  Romanum3):  Trajan,  auf  dem  Suggest 
redend;  er,  sowie  eine  zweite  männliche  Figur  hinter  ihm,  halten  beide 
dasselbe  Emblem,  Motiv  I. 

Ebenso  erscheint  derselbe  Kaiser  nun  oft  auf  der  Trajanssäule,  in  den 
Bilddarstellungen  vom  dakischen  Kriege.6)    Das  Motiv  I  bleibt  sich  stets 

1)  Florus  11  13;  Dio  Cass.  43,  11. 

2)  Dagegen  Nr.  30  der  1.  Wand  und  Nr.  20  der  r.  Wand  sind  weniger  sicher; 
s.  E.  Petersen,  Ära  Pacis  Augustae,  1902,  S.  80. 

3)  Siehe  Tfl.  V  Fig.  32  (Relief  der  Uffizien)  und  Tfl.  IV  Fig.  6  (Vatikanisches 
Relief).    Petersen  will  gel.  die  Rolle  für  die  r.  Hand  ergänzen,  S.  76. 

4)  Petersen  S.  91  f. 

5)  Monumenti|  dell'  Inst.  IX  Tfl.  47;  vgl.  z.B.  auch  Ch."  HOLSEN,  Das  Forum 
Romanum,  1904,  S.  85. 

6)  Wennschon  ClCHORlüS,  „Die  Reliefs  der  Trajanssäule"  dies  durchweg  verkannt 
hat  und  statt  dessen  von  einem  kurzen  Stab  oder  doch  zweifelnd  von  „Stab  oder 
Rolle"  redet.  Gori  sah  einst  das  Richtige  und  hat  die  Rolle  in  seinen  Zeichnungen 
an  manchen  Stellen  kenntlich  gemacht.  Schon  die  Analogie  der  anderen  hier  ver- 
glichenen Monumente  empfiehlt  dies.  Zum  Beweis  ist  auszugehen  von  Bild  100 
nach  Cichorius'  Zählung:  Trajan  empfängt  Gesandte;  die  Rolle  ist  hier  durch  die 
Linie  sichergestellt,  die  am  zylindrischen  Körper  entlang  das  Blattende  der  zusammen- 
gerollten Masse  andeutet.  Hiernach  ist  die  Rolle  auch  Bild  99  (Trajan  libierend)  und 
77  (Ansprache)  nicht  zu  verkennen;  ebenso  81  (Begrüßung),  84  (auf  dem  Marsch 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Der  Monarch  mit  dem  Buch.  73 


gleich;  natürlich  erscheint  es  als  Ib,  wenn  der  Kaiser  im  Profil  nach  links 
oder  auch  wenn  er  en  face,  als  Ia,  wenn  er  nach  rechts  gewendet  steht; 
so  zeigt  er  sich  hier  in  der  allocutio  sowohl  wie  bei  der  Opferhandlung; 
aber  auch  auf  dem  Marsche  oder  bei  Begrüßungen. 

Ganz  ebenso  die  Marcussäule;  M.  Aurel  hält  hier  die  Rolle,  um  nur 
einen  flüchtigen  Blick  auf  sie  zu  werfen,  beim  Opfer  z.  B.  Tfl.  30  und  75; 
bei  der  Rede,  indem  sich  die  R.  zum  Rednergestus  erhebt,  Tfl.  41;  beim 
Empfang  feindlicher  Abgesandter  Tfl.  51;  auf  dem  Marsche  Tfl.  35;  ebenso 
Tfl.  38,  wo  der  Marsch  beendet  ist.  An  der  Rolle  wird  der  Kaiser  erkannt 
Tfl.  42  sowie  62  (hier  sitzend).  Vom  Motiv  I  wird  abgegangen  Tfl.  9,  wo 
er  die  Rolle  mit  beiden  Händen  hält,  um  den  Truppen  daraus  vorzutragen; 
hier  ist  sie  geöffnet. 

Dasselbe  Motiv  (und  zwar  Ia)  wiederholt  in  desselben  Marc  Aurels  Hand  auf 
den  Reliefs  der  Attica  des  Constantinsbogens  (s.  Abb.  42);  dasselbe  auch  in  der 
Hand  des  beim  Congiarium  thronenden  Constantinus  selbst  (ebendort);  dasselbe  auf 
dem  Obelisken  des  Theodosius  in  Konstantinopel:  der  Kaiser  thronend,  die  L.  mit 
der  Rolle  im  Schoß. ')  Dasselbe  auf  dem  merkwürdigen  Fragment  eines  historischen 
Reliefs,  das  sich  im  Vatikan  ohne  Nummer  im  Hof  der  Grande  Pigna  findet  (vgl. 
AMELUNG,  Vatikan  I  S.  839  und  Tfl.  95):  eng  gruppierte,  schreitende,  männliche 
Figuren,  drei,  die  sich  nach  links,  drei,  die  sich  nach  rechts  bewegen.  Eine  Figur, 
die  nach  links  schreitet,  zeigt  Motiv  Ib,  eine,  die  nach  rechts  gewandt  ist,  Motiv  Ia. 
In  welcher  von  ihnen  der  Kaiser  zu  erblicken  ist,  bleibt  unklar.   Zeit:  das  3.  Jahrh. 

Verdacht  dagegen  erweckt  die  Rolle  auf  dem  Relief  des  Louvre,  Katal.  Nr.  1089, 
Reinach,  Repert.  I  45,  1:  Opfer  mit  Tempelfront  und  Flamen;  denn  sie  erscheint  in 
der  r.  Hand.    In  der  Tat  bestätigt  mir  MlCHON,  daß  Hand  mit  Rolle  modern. 

Bedenklich  auch  das  große  Kaiserrelief  im  Konservatorenpalast  zu  Rom,  im 
Hof  an  der  r.  Wand,  ohne  Nummer,  mutmaßlich  Hadrian  auf  dem  Suggest  (HELBIG 
Nr.  565);  die  1.  Hand  ist  Ergänzung  und  Rollenform  und  Haltung  der  Finger  sind 
unmöglich;  s.  oben  Abb.  38.  Daß  die  1.  Hand  in  Wirklichkeit  eine  Rolle  hielt, 
scheint  die  Situation  zu  erfordern  und  wird  zugleich  aus  einer  Bruchstelle  erschlossen. 
Auffällig  bleibt  jedoch,  daß  der  1.  Arm  erhoben  und  in  Schulterhöhe  gegen  das  zu- 
hörende Volk  vorgestreckt  ist,  eine  Haltung,  die  sich  für  das  Buch  schwerlich  eignete. 

Vor  allem  aber  ist  hier  noch  die  Kirchentür  des  hl.  Ambrosius  zu 
Mailand  geltend  zu  machen,  die  die  Geschichte  von  David  und  Saul  dar- 
stellt;  auch  hier  wird  Saul  als  König  eben  durch  die  Rolle,  Motiv  Ib, 

in  Reisetracht),  86  (Opfer),  87  (auf  dem  Marsch).  Wo  der  Herrscher  den  Harnisch 
trägt,  handelt  es  sich  dagegen  oft  um  den  Schwertgriff,  der  als  solcher  zu  erkennen 
ist  auf  130  und  137,  ebenso  14  und  66;  danach  wohl  auch  20,  22  und  44.  Zweifel- 
haft und  seltsam  ist  der  Gegenstand  auf  33;  unkenntlich  geworden  auf  39.  Eine 
etwas  eckig  gepreßte  Rolle  erkenne  ich  auf  40.  Sicher  ist  sie  wiederum  auf  10 
(allocutio). 

Aber  auch  andere  Personen  zeigen  die  Rolle,  Motiv  I,  gelegentlich:  so  Bild  81 
der  erste  der  Begrüßenden;  ebenso  85  zwei  der  Begrüßenden,  die  im  Vordergrunde 
stehen;  75  ein  Begleiter  des  Kaisers,  der  das  Buch  horizontal  hält.  Ob  auch  der 
Knabe  auf  80,  der  als  Hauptperson  beim  Abschied  am  Ufer  steht?  Endlich  mag 
man  auf  120  (erregte  Versammlung  der  Dakerfürsten)  in  der  Hand  der  äußersten 
Figur  rechts  wieder  einen  Schwertgriff  ansetzen;  nur  ist  zu  bemerken,  daß  keine 
der  anderen  Personen  dieses  Bildes  ein  Schwert  trägt. 

1)  Siehe  Schreiber,  Bilderatlas  I  29,  6. 


74 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


wiederholt  kenntlich  gemacht  und  von  David,  der  noch  nicht  König  ist, 
unterschieden.1) 

Den  Schluß  bilden  für  uns  endlich  die  Privatmonumente  mit  ihrem 
Bildschmuck.  Ich  gebe  von  ihnen  eine  Auswahl,  wie  sie  sich  ziemlich  zu- 
fällig geboten  hat.  In  Wirklichkeit  ließe  sich  das  Material  verzehnfachen. 
Schon  früher  Aufgeführtes  (vgl.  S.  64  ff.)  wird  hier  übergangen.  Dieser  erste 
Überblick,  nur  im  Hinblick  auf  das  Motiv  I  unternommen,  lehrt  uns  zum 
erstenmal,  was  die  späteren  Betrachtungen  immer  wieder  bestätigen  werden, 
wie  allgemein  verbreitet  und  in  aller  Händen  die  Papyrusrolle  als  Lesebuch 
im  2.  bis  4.  Jahrh.  war. 

Ehrendekret  mit  Grabstein  des  Aurelius  Alexander,  aus  Kreta:'  London,  Brit. 
Mus.  Nr.  2243  Smith:  bärtiger  Mann,  en  face,  Rolle  links;  2.-3.  Jahrh. 

Konia,  Kleinasien,  im  dortigen  Museum:  Sarkophagbruchstück:  Jüngling 
stehend,  Motiv  1b  (s.  Bull,  de  corr.  hellen.  Bd.  27,  1903,  S.  237). 

Konstantinopel,  ottoman.  Museum:  Sarkophag  aus  Selefkieh;  s.  J.  Strzygowski, 
Orient  und  Rom,  1901,  Fig.  15  und  21:  auf  der  Rückseite  die  letzte  Standfigur  links, 
ein  Jüngling  im  Pallium,  hält  die  Rolle,  Motiv  Ib,  auf  der  Schmalseite  bärtiger 
Mann,  ebenfalls  Motiv  Ib. 

Athen,  Museum:  Sarkophag  aus  Sparta  Nr.  1189:  Mann  und  Frau,  beide  Motiv  Ib 
(nach  von  Duhn  der  Verstorbene  mit  Muse;  anders  Robert,  Sarkophag-Reliefs  II 
S.  146). 

Vatikan,  Galeria  lapidaria:  Grabstein  des  M.  Aurelius  Secundinus,  am  Eingang 
zur  Bibliothek:  der  Verstorbene  steht  in  einer  Nische,  Motiv  Ib  (Amelung,  Vatikan 
I  S.  259  Nr.  128c:  gegen  Ende  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.);  vgl.  Abb.  20. 

Ebenda:  Aschenaltar  des  Caesonius  Apollonius:  W.  Altmann,  Die  röm.  Grab- 
altäre Nr.  158;  Amelung,  Vatik.  I  S.  194  f. 

Ebenda:  Sarkophag  Nr.  162,  Motiv  Ib. 

Ebenda,  Hof  della  Pigna:  Relieffragment:  Knabe,  Motiv  Ia  (Amelung  Nr.  200 
Tfl.  112). 

Ebenda:  Sarkophagfragment:  weibliches  Brustbild,  Motiv  Ib  (Amelung  S.  869 
Nr.  177a). 

Ebenda,  Mus.  Chiaram.  Nr.  271:  Sarkophagfragment:  stehender  Mann, 
Motiv  la.  Spät. 

Ebenda  Nr.  288:  Sarkophagfragment:  Brustbild  eines  Knaben,  Motiv  Ib. 
Ebenda  Nr.  379:  Sarkophagfragment:  stehender  Mann,  stark  Hochrelief,  Motiv  I. 
Ebenda,  Mus.  Pio-Clement.,  Halle  Nr.  58:  Sarkophag:  der  Gestorbene  zeigt 
Motiv  Ia. 2) 

'  Ebenda,  Belvedere,  Brunnenhof:  Sarkophag  ohne  Nummer:  1.  Seitenfläche  Ab- 
schied von  Mann  und  Frau,  der  Mann  zeigt  Motiv  Ia;   AMELUNG,  Vatik.  II  Nr.  102  n. 

Capitolin.  Museum,  Hof:  Jagdsarkophag,  beim  Marforio,  ohne  Nummer:  am 
Rand  rechts  stehender  Mann,  Motiv  Ib;  vgl.  Abb.  21. 

Lateran,  Mus.  profano  Nr.  16:  großes  Relief  mit  Darstellung  eines  sitzend 
Lesenden;  dazu  stehend  zwei  Frauen,  drei  Männer.  Zwei  Männer  (die  sich  ent- 
sprechenden Eckfiguren)  halten  die  Rolle,  beide  Motiv  Ib.  Die  Rollen  sind  hier 
dünn,  aber  von  auffallender  Höhe.  3.  Jahrh.  Die  Rede  kommt  auf  dies  Monument 
zurück:  Abb.  87. 


1)  Vgl.  Ad.  Goldschmidt,  Die  Kirchentür  des  hl.  Ambrosius  in  Mailand  (1902) 
Tfl.  III  und  IV. 

2)  Ebenda,  über  dem  Nereidensarkophag  (Helbig  Nr.  152)  eingemauertes  Sarko- 
phagrelief Nr.  60:  männliche  Figur  zeigt  Motiv  Ia,  scheint  aber  Ergänzung;  dies  be- 
stätigt Amelung. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Privatmonumente. 


75 


Ebenda  Nr.  257:  Grabmal  des  Isispriesters  L.  Valerius  Fyrmus;  hält  Gegen- 
stände in  beiden  Händen,  in  der  L.  die  Rolle,  Motiv  Ib  (Benndorf-Schöne  Tfl.  XVII 
Nr.  2).    Die  Rolle  in  Händen  des  Isisdieners  auch  sonst. 

Ebenda  Nr.  936:  Sarkophagrelief:  die  zweite  Figur  von  links  sowie  auch  die 
fünfte  halten  die  Rolle,  Motiv  Ia. 

Thermenmuseum,  Hof:  Sarkophagrelief  mit  Dioskuren,  ohne  Nummer  (neben 
Nr.  10):  in  der  Mitte  der  Gestorbene,  zeigte  Motiv  I;  die  1.  Hand  ist  jetzt  weg- 
gebrochen. 

Ebenda,  durch  den  Eingang  D  des  Kreuzganges  im  Nordwesten,  erstes  Zimmer: 
Sarkophag  ohne  Nummer  (A.  Deci  Spintheris  A.  Deci  Felicionis  Deciae  Spendusae) : 
dextrarum  iunctio;  der  Mann  reicht  der  Frau  die  R.  und  hält  in  der  L.  die  Rolle, 
die  oben  abgebrochen,  Motiv  Ib. 

Rom,  Villa  Panfili  (bei  WlESELER,  Theatergebäude  Tfl.  XIII  1;  genauer  Matz- 
Duhn  3802):  Sarkophagfragment  mit  Theaterszene:  von  der  letzteren  abgetrennt  und 
größer  gebildet  als  die  anderen  Figuren  ein  Knabe  in  Tunika,  Motiv  I,  wohl  der 
Verstorbene. 

Ebenda,  Vigna  Guidi  (Matz-Duhn  3125):  Mann  stehend,  mit  einem  „Schrift- 
bündel" in  der  L.,  ebenso  die  Frau.  „Sehr  rohe  Arbeit."  Das  Schriftbündel  dürfte 
zweiteilige  Rolle  sein,  worüber  später. 

Ebenda,  Pal.  Camuccini  (Matz-Duhn  3105):  Mann  und  Frau  sitzen  nebenein- 
ander; beide  halten  die  Rolle  links,  offenbar  beide  Motiv  1.  Zwischen  ihnen  ein 
Scrinium. 

Neapel,  Saal  VI  del  vaso  di  Gaeta  Nr.  6603:  Sarkophagrelief,  spät:  die  dritte 
und  fünfte  Figur  (von  links)  tragen  die  Rolle,  Motiv  I. 

Ebenda,  Vestibül  vor  dem  Saal  des  Farnesischen  Stiers:  Sarkophag  der  Metilia 
Torquata  ohne  Nummer:  die  Gestorbene  zweimal  sitzend  dargestellt,  beidemal 
Motiv  Ib. 

Ebenda,  Souterrain,  Vorraum  des  ägyptischen  Museums:  Grabstein  des  T.  Pac- 
cius  Fortunatus  ohne  Nummer:  bärtiger  Mann,  Motiv  Ia. 

Florenz,  Uffizien,  östl.  Gang:  Sarkophag  Nr.  39:  vornehmer  Römer,  im  Profil; 
r.  Hand  tritt  mit  Gestus  aus  dem  Relief  heraus;  1.  Hand,  im  Reliefgrund,  zeigt 
Motiv  I  (bei  Dütschke  nicht  gefunden). 

Ebenda,  Saal  der  Inschriften:  Reliefbruchstücke,  eingemauert  im  Rahmen  V: 
Figur  mit  Rolle,  Motiv  I  (bei  DÜTSCHKE  nicht  gefunden). 

Ebenda,  im  Rahmen  II:  eine  einzelne  Hand  mit  geschlossener  Rolle;  es  ist 
deutlich  eine  linke  (bei  Dütschke  nicht  gefunden). 

Ebenda,  Giardino  Torrigiani:  Sarkophag  (DÜTSCHKE  II  403):  Bildnis  einer  Frau 
in  Medaillon,  Rolle  links. 

Brescia,  Museum:  Sarkophagfragment  (DÜTSCHKE  IV  378):  stehender  Mann  mit 
Rolle,  Motiv  unklar,  wohl  nicht  Motiv  I. 

Verona,  Mus.  lapid. :  röm.  Grabstein  (DÜTSCHKE  IV  402):  Mann  und  Frau  mit 
Dienerin;  der  Mann  stehend,  Motiv  I;  auch  die  Dienerin  hält  mit  beiden  Händen 
„einen  einer  Rolle  ähnlichen  Gegenstand". 

Ebenda:  Sarkophagfragment  (DÜTSCHKE  IV  458):  Mann,  r.  Hand  erhoben,  1.  Hand 
Motiv  I. 

Modena,  Mus.:  Sarkophag  (DÜTSCHKE  V  825):  Mann  und  Frau  auf  Postamenten 
in  Nischen;  Mann,  stellend,  Rolle  in  der  vorgestreckten  Linken. 

Pisa,  Campo  Santo,  Südseite:  Sarkophag  mit  den  vier  Jahreszeiten  (DÜTSCHKE 
I  15):  dextrarum  iunctio,  aber  nicht  Ehesarkophag;  vgl.  ROSSBACH  a.  a.  O.  S.  13; 
der  Verstorbene  zeigt  Motiv  lb. 

Ebenda,  Ecke  der  Ost-  und  Nordseite:  Musensarkophag  (DÜTSCHKE  I  61):  der 
Gestorbene  stehend,  kleine  Rolle,  Motiv  Ib. 

Ebenda,  Westseite:  großer  runder  Sarkophag  Nr.  XI  (DÜTSCHKE  I  123):  unter 
dem  Giebel  einer  Aedicula  stehen  auf  Postamenten  zwei  Männer  beieinander 
(Studiengenossen?).  Am  Boden  je  ein  Rollenbündel,  rechts  und  links  von  ihnen. 
Der  Ältere  hält  die  Rolle,  Motiv  I;  des  anderen  Hände  sind  abgebrochen. 


76 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


London,  Landsdowne  House  75:  Musensarkophag:  Die  Reihe  der  Musen  unter- 
brechend neben  Merkur  der  Gestorbene,  Rolle  in  der  L.  Ob  er  steht  oder  sitzt,  ist 
bei  Michaelis  nicht  angegeben. 

Paris,  Louvre:  Sarkophag  (Arch.  Ztg.,  1885,  Tfl.  14;  BAUMEISTER,  Denkm.  Nr.  1622): 
Unterrichtsszene,  stark  ergänzt.  Der  lernende  oder  rezitierende  Knabe  erhebt  die 
r.  Hand,  hält  Rolle  links,  Motiv  la. 

Avignon,  Mus.  lapid.  Nr.  84:  röm.  Grabstein:  oben  im  Halbrund  Mann  und  Frau 
im  Brustbild  (stark  ergänzt);  der  Mann  hält  die  geschlossene  Rolle,  Motiv  Ib.1) 

Marseille,  Chäteau  Borely:  heidn.  Sarkophag  Nr.  161,  geriefelt:  im  Mittelbild  ein 
Ehepaar  nebst  einer  dritten  bärtigen  Figur  im  Hintergrund.  Der  Gatte  sitzt,  die  Frau 
steht;  er  zeigt  Motiv  Ib.    Rollenbündel  am  Fuß. 

Kopenhagen,  Glypt.  789:  ovaler  Sarkophag;  der  Verstorbene  als  Halbfigur, 
Motiv  1. 

Ebenda,  Sarkophag  790,  Mittelfeld:  Vollfigur,  Motiv  I. 

Die  Darstellung  des  Buchs  in  der  Kunst  illustriert  die  Wertschätzung 
des  Buchs  im  Leben.  Mit  der  Zunahme  seiner  Wichtigkeit  und  Bedeut- 
samkeit im  christlichen  Glaubens-  und  Gemeindeleben  steigert  sich  nun 
endlich  sein  Vorkommen  auf  den  christlichen  Monumenten,  zu  denen 
wir  uns  jetzt  noch  wenden  müssen.  Sarkophage,  Mosaiken,  Goldgläser  und 
andere  Gefäße,  Elfenbeinplatten  geben  Belege  in  Unzahl.  Versuchen  wir 
zu  unterscheiden. 

Zunächst  begegnet  auch  hier  der  Laie  mit  dem  Motiv  I.  Auf  dem 
Glasgefäß  (Abhandl.  d.  sächs.  G.W.  Bd.  V  Tfl.  XI  1;  Baumeister  Nr.  1912; 
Garrucci  Tfl.  202,  3)  sieht  man  so  einen  Schiffsbaumeister,  im  Gürtel  das 
Winkelmaß,  Stock  in  der  R.,  Rolle  in  der  L.,  Motiv  Ib. 

Sodann  setzte  sich  auf  den  christlichen  Sarkophagen  die  Sitte  fort, 
den  Verstorbenen  resp.  die  Verstorbene  in  der  Mitte  gesondert  abzubilden, 
sehr  oft  im  Medaillon  oder  Muschelclipeus;  solche  Porträts  zeigen  nun  das 
überkommene  Motiv,  z.  B.  auf  folgenden  Sarkophagreliefs  des  Lateran: 

Nr.  175  männlich.  Nr.  147  Brustbild  eines  Mannes,  Motiv  la.  Nr.  104  ebenso, 
Motiv  la.  Nr.  66  ebenso.  Nr.  77  stehende  Frau,  Motiv  la;  an  ihrem  Fuß  eine  offene 
Capsa,  in  der  man  Rollen  erblickt  (nicht  so  bei  Ficker.)  Die  Rede  kommt  hierauf 
zurück:  unten,  Abb.  164.  Nr.  182  Frauenbüste.  Nr.  183  stehende  Frau.  Nr.  189  stark 
ergänzt,  doch  ist  das  Motiv  sicher. 

Dazu  kommen: 

Domitillakatakomben :  Basilika  der  Petronilla;  Brustbild  von  Frau  und  Mann, 
letzterer  zeigt  Motiv  Ib. 

Priscillakatakomben,  an  der  Via  Salaria,  zu  Anfang:  Sarkophagfragment  mit 
Medaillon:  männliches  Brustbild,  Motiv  la. 

Ebenda,  nächster  Raum,  in  einer  Grube:  Sarkophag  mit  Medaillon:  Brustbild, 
Motiv  Ib. 

Ebenda,  in  einer  der  Kapellen  (nicht  Capella  greca):  großer  Säulensarkophag: 
mittelste  (weibliche?)  Gestalt,  Motiv  Ib;  die  Hand  ist  tief  herabgesenkt;  s.  Abb.  15. 
Die  Rolle  ist  zweiteilig  und  am  unteren  Ende  findet  sich  in  jeder  Abteilung  der  Rolle 
ein  Loch  gebohrt. 


1)  Ich  habe  das  Original  gesehen  und  glaube  nicht,  daß  statt  des  Buches  ein 
„instrument  d'agriculture"  zu  erkennen  ist;  s.  C.  I.  L.  XII  2882;  STARK  in  Arch.  Ztg., 
1853,  S.  370. 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  1:  Christus  mit  der  Rolle.  77 


S.  Lorenzo  f.  1.  m.:  Sarkophagrelief  im  Chiostro:  Porträt  eines  jungen  Mannes, 
Motiv  Ib.    Rolle  zweiteilig. 

Dazu  Ehepaare  in  ganzer  Gestalt,  mit  Handreichung;  dabei  hält  der  Mann  die 
Rolle:  GARRUCCI  Tfl.  362  Nr.  1-3. 

Sarkophag  aus  S.  Callisto  (DE  Rossi,  Roma  Sotterr.  III  Tfl.  41):  stehende  Figur 
mit  Doppelrolle;  rechts  ein  Rollenbündel,  links  ein  Scrinium  am  Boden  (vgl.  DE 
ROSSI  a.  a.  O.  S.  446).    Vgl.  auch  ebenda  Tfl.  40  u.  a.  m. 

Dieselben  Monumente  sind  nun  aber  auch  mit  Buchrollen,  die  sich  in  den 
Händen  Christi,  der  Apostel  und  anderer  Personen  der  heiligen  Geschichte 
befinden,  übersät.  Obligat  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ist  die  Rolle  frei- 
lich nur  für  Christus,  und  auch  dies  nur  auf  den  Reliefs,  während  auf  den 
szenischen  Fresken  der  Katakomben  und  ebenso  auf  den  szenischen  Bildern 
der  Mosaiken  Christus  ihrer  zu  entbehren  pflegt.  Angezeigt  aber  wird  hier 
durch  das  Buchsymbol  gleichzeitig  sowohl  der  große  Sophist  und  Inhaber 
des  Logos,  als  auch  der  Arzt  und  Krankenheiler  (vgl.  Imhotep- Äskulap 
oben  S.  61),  als  auch  endlich  der  Herrscher  nach  dem  Vorbild  des  rollen- 
tragenden römischen  Kaisers  (vgl.  oben  S.  68  f.  u.  72  f.). 

Zunächst  die  Bildwerke,  wo  eine  Handlung  fehlt  und  Christus  oder 
ein  heiliger  Mann  isoliert  oder  in  untätigen  Gruppen  steht  oder  sitzt: 

So  erscheint  Christus  als  Mittelfigur  zwischen  zwei  Aposteln  bei  Le  Blant  22,2; 
ebenso  als  Mittelfigur  des  Säulensarkophags  im  Lateran  Nr.  155;  ebenda  Nr.  138 
Christus  mit  sieben  Aposteln;  der  zweite  von  diesen  zeigt  Motiv  Ia,  der  vierte  lb, 
die  andern  anderes.  Ebenda  unterhalb  Nr.  170:  die  zwölf  Apostel;  neun  halten  die 
Rolle,  fünf  zeigen  Motiv  I.  Ebenda  Nr.  163:  die  verstorbene  Frau  hält  eine  Rolle, 
Motiv  II;  sie  ist  von  Petrus  und  Paulus  umgeben;  ersterer  hält  das  Buch,  Motiv  Ib. 

Säulensarkophag  in  S.  Francesco  zu  Ravenna:  Christus  und  vier  Apostel;  der 
erste  Apostel  (von  links)  zeigt  Motiv  Ib. 

Sarkophag  in  der  Peterskirche,  Capella  della  Colonna  im  1.  Seitenschiff,  unter 
dem  Altar:  Christus  und  Apostel,  einmal  Motiv  1,  einmal  offene  Rolle  in  der  L. 

Aber  viele  ähnliche  kommen  hinzu;  vgl.  GARRUCCI  342;  339,  1  u.  5;  325,  1;  oft 
auf  Tfl.  325-330  usf.  usf.;  vor  allem  der  Sarkophag  des  Iunius  Bassus  (Römische 
Quartalschrift,  1896,  Tfl.  V):  im  Mittelbild  bärtiger  Apostel  neben  Christus,  Motiv  I. 

Bärtiger,  stehender  Mann  mit  Rolle,  Motiv  I  (Paulus?);  die  Figur  diente  als 
Griff  einer  Kanne:  GARRUCCI  Tfl.  467,  1. 

Auf  dem  Elfenbeinbecher  in  Berlin  (Kgl.  Museen,  Beschreibung:  Die  Elfenbein- 
bildwerke, 2.  Aufl.  1902,  Tfl.  1):  Christus  und  die  Jünger;  die  dritte  und  sechste 
Figur  von  links  halten  die  Rolle,  Motiv  I. ') 

Für  Katakombenfresken  sei  GARRUCCI  Tfl.  100  zitiert,  Cimetero  di  S.  Gennaro 
in  Neapel;  zweimal  erscheint  hier  Paulus  mit  der  Rolle,  Motiv  Ia;  ferner  WlLPERT 
Tfl.  255:  Marcellinus  mit  der  Rolle,  Motiv  Ib.  Auch  in  der  Sakramentskapelle  der 
Callistkatakomben  findet  sich  ein  isoliert  stehender  Mann,  „Lehrer",  mit  Rolle, 
Motiv  I2);  die  Rolle  bestätigt,  daß  die  Figur  keiner  szenischen  Darstellung  angehört. 

Vor  allem  nun  die  szenischen  Bilder.  Vereinzelt  hat  da  in  der  Relief- 
komposition der  Sarkophage  auch  Moses,  der  das  Quellenwunder  verrichtet, 
oder  irgend  ein  anderer  Prophet,  vereinzelt  auch  ein  Apostel  im  Gefolge 
des  Heilands  das  Abzeichen,  mit  einer  gewissen  Ständigkeit,  wie  gesagt,  nur 


1)  Vgl.  Seemann,  Kunsthistorische  Bilderbogen  Nr.  42,  1. 

2)  Siehe  WlLPERT,  Die  Malereien  der  Sakramentskapellen,  1897,  Fig.  5. 


78 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Christus  selbst,  meistens  Motiv  I,  immer  das  Buch  in  der  L.,  ob  er  Blinde  heilt, 
Tote  erweckt,  auf  dem  Esel  reitet,  sogar  wo  er  gefangen  abgeführt  und 
gepeinigt  wird.  Natürlich  kann  aber  das  Buch  auch  fehlen,  besonders  in 
gewissen  Fällen  wie  beim  Speisewunder,  da  er  beide  Hände  auf  die 
Speisen  legt  (z.  B.  Lateran  Nr.  166).  Seine  r.  Hand  tut  Wunder,  seine  L. 
ist  gebunden  und  untätig;  aber  jeder,  der  ihm  begegnet,  erkennt  an  ihr, 
daß  er  der  Herr  ist. 

So  erscheint  Christus  also,  um  aus  dem  Vielen  einiges  auszulesen,  auf 
den  Sarkophagen  des  Lateran: 

Nr.  104,  unterer  Streifen:  Motiv  Ib.  Nr.  178:  bald  Motiv  la,  bald  Ib.  Nr.  122: 
Motiv  Ia.  Nr.  115  (bärtig):  Motiv  Ib.  Nr.  148:  Motiv  Ia  und  Ib.  Nr.  154:  einmal 
Motiv  Ib.  Nr.  155:  wiederholt  Motiv  Ib.  Nr.  152:  Christus,  resp.  ein  unbärtiger 
Apostel,  zeigen  Motiv  Ia  und  1b,  einmal  Motiv  VII.  Nr.  166:  dreimal  Motiv  [;  die 
Rollen  sind  besonders  groß.  Nr.  161:  dreimal  Motiv  I,  einmal  bei  gesenkter  Hand. 
Nr.  160:  zweimal  Motiv  Ib.  Nr.222:  Motiv  Ib. 

Weiter  teils  einmal,  teils  wiederholt:  Nr.  44,  135,  127,  121,  184,  186,  189 
(Christus  und  andere  Figuren),  190,  193,  195,  180.  Besonders  häuft  sich  das  Motiv 
auf  Nr.  179,  175,  173.  Der  gepeinigte  Christus  zeigt  Motiv  I  zum  Beispiel  Nr.  171. 
Sogar  da  er  gen  Himmel  fährt  (freilich  nur  ein  Bergeshaupt  ersteigend)  behält  er 
die  Rolle,  Motiv  Ia,  auf  dem  Münchner  Elfenbeindiptychon  bei  Garrucci  Tfl.  459,  4. 

Von  anderer  Seite  her  lassen  sich  die  Beispiele  beliebig  vermehren: 

Kleines  Silbergefäß  im  Vatik.  Mus.:  Christus  überreicht  Petrus  den  Schlüssel 
mit  der  R.;  Rolle  in  der  L.,  Motiv  1b;  s.  KRAUS,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  S.  195 
Fig.  164. 

Sarkophag  des  Iunius  Bassus:  Christus  zwischen  den  Kriegsknechten,  Motiv  Ia. 

Sarkophag  in  Leiden  (Römische  Quartalschrift  XX  Tfl.  2):  Christus  hält  die 
Rolle  bald  im  Motiv  la  erhoben,  bald  im  Motiv  Ib  gesenkt,  bald  im  Motiv  VII  gesenkt. 

Mus.  Kircherian.:  christliches  Sarkophagrelief  ohne  Nummer,  in  zwei  Streifen: 
bärtiger  Christus  erscheint  zweimal  mit  Motiv  Ib,  das  dritte  Mal  mit  offener  Rolle. 

Ebenda:  Sarkophagrelief  mit  Speisewunder  und  Bettwunder:  Christus  zeigt 
erst  Motiv  Ia,  dann  Motiv  lb. 

Syrakus:  dreistreifiger  Sarkophag  (GARRUCCI  Tfl.  365,  1):  Christus  zeigt  zwei- 
mal Motiv  Ia,  einmal  Motiv  Ib. 

Arles:  Sarkophag  (Garrucci  Tfl.  340,  5):  dreimal  Motiv  I. 

Algier:  Sarkophag  (Garrucci  Tfl.  321,  3):  wiederholt  Motiv  1. 

Lyon,  Palais  des  Beaux  Arts,  Parterre:  christl.  Sarkophag  Nr.  76:  Bettwunder; 
Christus  mit  dem  Motiv  Ib. 

Recht  selten  erscheint  Moses  mit  der  Rolle;  so  beim  Quellwunder,  Lateran 
Nr.  55,  unterer  Streifen,  Motiv  Ib.  Ebenda  zeigt  eine  andere  bärtige  Figur,  in  der 
Nähe  der  Blindenheilung,  Motiv  Ia.  Weiter  erscheint  Moses  so  ebenda  Nr.  135, 
175,  180,  190. 

Wiederum  Moses,  Motiv  Ia:  Sarkophag  in  S.  Celso  zu  Mailand,  Garrucci 
Tfl.  315,  3. ') 

Woher  stammt  nun  die  Rolle  in  Christi  Hand?  und  warum  fehlt  sie 
dagegen  auf  den  szenischen  Malereien  der  Katakomben?2)    Ich  finde  auf 

1)  Vgl.  Kraus,  Gesch.  der  christlichen  Kunst  I  S.  142  Fig.  83.  Über  Moses 
mit  der  Rolle  auch  Erich  Frantz,  Gesch.  der  christl.  Malerei  I  S.  45.  Derselbe 
bringt  auf  S.  75,  82,  129,  147  noch  weitere  Beispiele  von  Buchdarstellungen  aus 
diesem  Gebiete  der  Kunst. 

2)  Daß  hier  die  Rolle  regelmäßig  fehlt,  hob  schon  F.  X.  Kraus  (Realencyklo- 


A.  Die  geschl.  Rolle  in  der  Linken,  Motiv  I:  Christus  mit  der  Rolle.  79 


beide  Fragen  nur  eine  Antwort:  vorbildlich  bestimmend  muß  da  ganz 
speziell  die  Reliefkunst  der  Trajans-  und  Marcussäule  eingewirkt  haben,  die 
ja  auch  in  kontinuierender  Erzählung  den  Kaiser  mit  der  Rolle  immer 
wieder  bringt.  Die  Taten  des  Marcus  und  die  Taten  Christi  entsprechen 
sich  hier  und  dort.  Daher  also  die  Beschränkung  auf  die  Reliefkunst! 
Daß  man  aber  wirklich  unter  dem  buchtragenden  Christus  den  Herrn  der 
Welt  verstanden  wissen  wollte  und  daß  er  damit  den  weltlichen  Macht- 
habern  gleichgesetzt  wurde,  das  wird  uns,  wie  ich  meine,  durch  die  Minia- 
turen des  Codex  Rossanensis,  die  dem  6.  Jahrh.  angehören,  noch  auf  das 
schönste  verdeutlicht.  Denn  in  diesen  erzählenden  Bildern  entbehrt  Christus, 
entsprechend  dem  Verfahren  der  Fresken  und  Mosaiken,  sonst  der  Rolle 
durchgängig.  Nur  beim  Einzug  in  Jerusalem,  fol.  lb,  auf  dem  Esel  reitend, 
hält  er  sie  trotzdem,  im  Motiv  I  —  ganz  ebenso  übrigens  auch  auf  dem 
Mosaik  im  Dom  zu  Monreale,  das  denselben  Einzug  darstellt.1)  Das  ist 
nicht  Inkonsequenz  und  nicht  sinnloser  Zufall.  Denn  das  Volk  empfängt 
da  Jesum  huldigend;  Teppiche  werden  vor  ihm  gebreitet.  Es  ist  der 
König,  der  in  seine  Hauptstadt  einzieht.  Daher  nur  eben  hier  die  Rolle. 
Christus  ist  in  dieser  Szene  der  Nachfolger  jenes  Saul,  der,  wie  wir  S.  73 
gesehen  haben,  durch  das  gleiche  Abzeichen  als  König  der  Juden  kennt- 
lich gemacht  wurde. 

Wir  werden  später  Gelegenheit  finden  über  das  „Buch  mit  sieben 
Siegeln"  und  über  das  Buch  in  der  Hand  des  richtenden  Christus,  Motiv  V, 
zu  reden.  Schwerlich  aber  ist  die  Rolle,  die  Christus  in  Zeiten  seines 
Erdenwallens  trägt,  mit  ihm  identisch. 

Ich  hebe  noch  hervor,  daß  Maria  niemals  das  Buch  hält;  d.  h.  sie 
galt  weder  als  Himmelskönigin  noch  als  Trägerin  der  Kirchenlehre. 

Endlich  sei  angemerkt,  daß  sich  auf  dem  Lateranischen  Sarkophag 
Nr.  222  Reste  roter  Farbe  an  der  1.  Hand  Christi  und  an  der  Rolle, 
die  sie  hält,  gefunden  haben.  Doch  diente  die  rote  Farbe  auf  diesen 
Marmorreliefs  nur  dazu,  den  Umriß  mehr  hervorzuheben  und  das  Relief 
zu  verdeutlichen  (s.  Ficker  S.  92),  und  einen  Schluß  auf  die  Färbung  der 
Rolle  oder  ihrer  Hülle  ist  hieraus  zu  ziehen  nicht  gestattet.2) 

So  weit  das  Greifmotiv,  das  wesentlich  Repräsentationsmotiv  ist.  Der 
Geschäftsmann  und  Argentarius,  der  Schiffsbauer,  der  Hochzeiter,  der 
Magistrat,  der  Kaiser,  der  Religionsstifter  und  Gottessohn  werden  damit 


pädie,  Artikel  „Buch")  hervor.  In  der  Taufszene  der  Sakramentskapelle  ist  die  Rolle 
nur  durch  einen  Kopisten  hineingefälscht  worden:  s.  WlLPERT,  Malereien  der  Sakra- 
mentskapelle S.  8.  Es  sei  indes  nicht  verschwiegen,  daß  in  späten  Miniaturen 
Christus  wieder  die  Rolle  in  der  L.  hält;  s.  z.  B.  H.  BROCKHAUS,  Die  Kunst  in  den 
Athosklöstern  Tfl.  22  u.  24  (Tetraevangelium  zu  Iwiron). 

1)  Siehe  LOBKE -Semrau,  Die  Kunst  des  Mittelalters  (1905)  S.  271. 

2)  Über  die  farbige  Pänula  soll  weiterhin  gehandelt  werden. 


80 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


dargestellt,  zum  Zeichen,  daß  sie  den  Inhalt  des  Buches,  das  sie  in  der 
Hand  halten,  persönlich  zu  vertreten  imstande  sind. 

Mit  dem  eigentlichen  Literaturleben  hat  uns  das  Motiv  I  dagegen  noch 
nicht  viel  in  Berührung  gebracht.  Allerdings  gaben  Sarkophage  uns  litera- 
rische Unterhaltungen  (S.  64  f.);  auch  setzten  wir  bei  den  Verstorbenen,  die 
auf  den  Sarkophagen  mit  dem  Buch  in  der  Hand  sich  haben  abbilden 
lassen,  Interesse  am  Literaturleben  voraus;  denn  obschon  wir  später  öfter 
dazu  gelangen  werden,  dies  Buch  in  des  Toten  Hand  vielmehr  als  Schick- 
salsbuch symbolisch  aufzufassen,  so  kann  man  dies  doch  keineswegs  für 
alle  aufgezählten  Fälle  voraussetzen.  Eine  Grenze  wird  sich  da  schwer 
ziehen  lassen.  Im  übrigen  begegnete  uns  Heraklit  stehend  mit  dem  Rollen- 
buch (S.  51),  und  auch  die  Musen  selbst  zeigten  uns  öfters  da,  wo  sie 
Statistinnen  sind,  das  Motiv  I. 

B.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Rechten:  Motiv  I. 

Zu  den  Regeln,  die  wir  im  vorigen  Abschnitt  aufgestellt,  gibt  der  jetzt 
folgende  die  Ausnahmen.    Unsere  Aufgabe  wird  sein,  sie  zu  erklären. 

1.  Etruskisches. 

Die  Buchschrift  der  lateinischen  wie  der  griechischen  Literatur  lief  auf 
ihrer  Schreibfläche  von  links  nach  rechts,  und  dies  haben  wir  bei  allen 
bisher  besprochenen  Monumenten  vorausgesetzt.  Linksläufig  dagegen  war 
die  Schrift  der  Etrusker  wie  der  Osker.  Wie  die  Richtung  der  Lettern,  so 
mußte  also  bei  ihnen  auch  die  Richtung  der  Lektüre  und  die  Folge  der 
Seiten  im  Buch,  wenn  wir  das  Griechisch -Römische  vergleichen,  just  die 
umgekehrte  sein.  Beim  Beginn  des  Lesens  mußte  die  Rolle  in  der  L. 
liegen,  die  R.  mußte  das  Abrollen  übernehmen;  denn  was  sonst  vorne  war, 
war  hier  hinten.  Indes  ist  mir  kein  etruskisches  Monument  bekannt,  auf 
dem  wir  eine  Lektüre,  die  von  rechts  nach  links  ginge,  anzuerkennen  ge- 
zwungen wären.  Erscheint  die  Rolle  in  der  R.,  so  liegt  jedenfalls  in  einigen 
Fällen  eine  andere  Erklärung  dieses  Umstandes  näher.  Ich  erwähne,  indem 
ich  das,  was  hernach  näher  ausgeführt  werden  soll,  schon  hier  vorweg- 
nehme, die  etruskische  Aschenkiste  in  Berlin,  „Beschreibung"  Nr.  1271. 
Auf  einer  Seitenfläche  steht  hier,  wie  die  Abbildung  a.  a.  0.  zeigt,  eine 
Furie,  die  die  L.  auf  eine  gesenkte  Fackel  stützt  und  in  der  R.  horizontal 
eine  geschlossene  Rolle  hält,  Motiv  Ib.  Auf  der  anderen  Seitenfläche  be- 
findet sich  in  Entsprechung  eine  zweite  Furie,  die  die  gesenkte  Fackel  in 
der  R.  hält,  die  Buchrolle  horizontal  in  der  L.1),  und  es  waltete  hier  also 
nur  das  Gesetz  der  Symmetrie,  worüber  unten. 

1)  Dies  ist  nicht  aus  der  „Beschreibung"  zu  ersehen;  ich  habe  es  am  Original 
festgestellt.  -  Über  die  etruskischen  Furien  mit  der  Rolle  s.  Dennis,  Die  Städte  u. 


B.  In  der  Rechten,  Motiv  I:  Etruskisches.    Rollen  in  beiden  Händen.  g\ 


Anders  die  Szene  auf  dem  etruskischen  Sarkophag  in  Palermo,  aus 
Chiusi  stammend;  vgl.  Martha,  l'art  etrusque  S.  359;  W.  Corssen,  Sprache 
der  Etrusker  S.  381  Tfl.  XII,  unsre  Abb.  43  nach  Photographie.  Wäh- 
rend die  Haupthandlung  hier  am  r.  Ende  der  Fläche  abspielt,  sieht 
man  im  Mittelbild  als  Zuschauer  eine  männliche  Porträtfigur  im  Profil, 
das  Buch  in  der  L.,  Motiv  Ia,  und  eine  zweite,  gleichfalls  männliche,  in 
Vorderansicht,  das  Buch  in  der  R.,  Motiv  Ib.  Die  Rollen  zeigen  eine  ge- 
waltige Seitenhöhe.  Daß  hier  die  Verteilung  auf  die  r.  und  1.  Hand  sym- 
bolisch ist,  leidet  für  mich  keinen  Zweifel.  Vielleicht  drückt  sich  darin 
Anfang  und  Ende  aus,  der  Lesung  des  Buchs  wie  des  Lebens. 


Abb.  43 :  etruskischer  Sarkophag. 

Endlich  aber  zeigen  Deckelfiguren  auf  etruskischen  Aschenkisten  die 
geschlossene  Rolle  gelegentlich  in  der  R.  Vielleicht  sind  dies  Personen, 
die  mit  dem  Lesen  erst  beginnen  wollen  (s.  S.  85  und  92).  Doch  liegt  es  in 
diesem  Fall  nicht  fern,  da  sie  den  Gestorbenen  bedeuten,  vielmehr  an  den 
Abschluß  der  Lektüre  zu  denken.  Alsdann  würden  diese  Monumente  wirk- 
lich als  Beleg  für  das  von  rechts  nach  links  Lesen  zu  gelten  haben. 

2.  Rollen  in  beiden  Händen. 

Wenden  wir  uns  hiernach  zur  griechisch-römischen  Kunst  zurück. 
Ein  Mensch,  der  in  beiden  Händen  je  ein  Buch  hält,  ist  in  der  ägyptischen 
Kunst  reichlich  zu  belegen  (oben  S.  17  und  19),  für  die  klassische  ist  er 
eine  Unmöglichkeit,  wennschon  der  böse  Protogenes  bei  Dio  Cass.  59,  26  ja 
freilich  in  dieser  Weise  einherging.  Wo  immer  derartiges  vorkommen  mag, 
muß  es  den  Ergänzern  zur  Last  gelegt  werden.  Ein  Fall  der  Art  ist  schon 
oben  S.  55  notiert.  Auch  auf  dem  Berliner  Musensarkophag,  „Beschreibung" 
Nr.  844,  sieht  man  eine  Muse  mit  der  nämlichen  monströsen  Ergänzung. 
Nicht  besser  die  Togastatue  des  Louvre  (Cat.  sommaire  des  marbres 
Nr.  2299,  bei  Reinach,  Rep.  I  S.  176,  8) i);  der  Moschion  in  Neapel  (siehe 


Begräbnisplätze  d.  alten  Etruriens  (deutsch)  II  S.  404  f.;  AD.  ROSENBERQ,  Die  Erinyen 
(1874)  S.  77. 

1)  „Les  deux  bras  sont  modernes"  MiCHON. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  6 


82 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


unten  Abb.  46);  die  Klotho  auf  dem  Sarkophag  im  Mus.  Chiaramonti  bei 
Visconti  Bd.  IV  Tfl.  34. 

Ganz  anders  steht  es  freilich  mit  einer  der  allegorischen  Figuren  der 
sinnigen  Homerapotheose  des  Archelaos.1)  Hier  stehen  hinter  dem  im 
Profil  sitzenden  Homer  aufrecht  die  Verkörperungen  von  Raum  und  Zeit, 
die  Ökumene  und  der  Chronos,  gleichfalls  im  Profil.  Die  erstere  kränzt 
den  Dichter  mit  beiden  Händen;  der  geflügelte  Chronos  dagegen  hält  die 
zwei  Gedichte,  und  zwar  die  Odyssee  als  Rolle  in  der  gesenkten  L.,  die 
Ilias  in  der  erhobenen  R.  Die  Titel  dieser  Bücher  stehen  durch  die  ihnen 
entsprechenden  symbolischen  Figuren  der  Ilias  und  Odyssee,  die  um  Homer 
knieen  und  mit  Beischriften  versehen  sind,  fest.  Alle  Zeiten  haben  sich 
mit  den  Epen  des  großen  Dichters  beschäftigt  und  werden  es  tun,  das  ist 
der  Sinn  dieser  Schilderung,  und  zwar  mit  beiden  Epen  gleich  sehr:  daher 
sind  also  hier  beide  Hände  des  Chronos  beschäftigt;  und  die  Odyssee  ist 
in  der  L.,  d.  h.  sie  ist  ausgelesen;  die  Ilias  ist  in  der  R.,  d.  h.  sie  soll  ge- 
lesen werden.  In  der  Tat  las  man  im  Jugendunterricht  die  Odyssee  vor 
der  Ilias.  Wie  passend  aber  ist  überdies,  daß  gerade  die  „Zeit"  die 
Rollenbücher  hält.  Denn  die  Zeit  „rollt"  bekanntlich;  man  denke  nur  an 
das  volventibus  annis,  volventia  lustra,  revoluta  saecula  der  Dichtersprache: 
Jjpcu  eAiccöuevcn  Pindar  Ol.  IV  5.    Der  Chronos  ist  es,  der  sie  rollt. 

3.  Das  Überreichen  des  Buchs. 

Daß  für  das  Geben  und  Nehmen  die  r.  Hand  dient,  ist  das  Natürliche 
und  Gewöhnliche,  und  schon  die  Etymologie  des  Wortes  dextera  verrät  es.2) 
Auch  hier  gilt  das:  r\  XfjuJic  bi&  beEiäc3).  Auf  den  Phädrasarkophagen  gibt  die 
Amme  den  Liebesbrief  Phädras  dem  Hippolyt  regelmäßig  mit  der  R.,  und  er 
nimmt  ihn  mit  der  R.  an  (z.B.  Robert,  Sarkophagreliefs  III  2,  1904,  Nr.  158). 
Der  Brief  erscheint  dabei  meistens  als  Schreibtafel;  vgl.  auch  das  pom- 
pejanische  Gemälde  Nr.  1246  Helbig.  Ganz  ebenso  wird  schon  auf  Vasen- 
bildern der  Brief  des  Bellerophon  in  Empfang  genommen  (Monum.  del  Ist. 
IV  Tfl.  21),  nicht  anders  erhält  ihn  Pylades  auf  der  apulischen  Vase  (Arch. 
Ztg.,  1849,  Tfl.  12)  und  Polyphem  auf  dem  pompejanischen  Gemälde  (bei 
Helbig  Nr.  1048  u.  f.)  und  wiederum  Bellerophon  (s.  Engelmann,  Bilderatlas 
zu  Homer  Nr.  33).  Ganz  ebenso  ist  der  Hergang,  wo  Römer  in  der  Toga 
auftreten,  z.  B.  auf  dem  späten  Sarkophag  des  Pal.  Colonna  (Annali  Bd.  12 
Tfl.  L;  Matz-Duhn  Nr.  3603). 

Durchgängig  so  auch  der  Prophet  Elias,  wenn  er  zu  Wagen  gen 
Himmel  fährt.  Er  hat  seinen  Mantel  wie  eine  Buchrolle  zusammengerollt 
und  reicht  ihn  so  stets  mit  der  r.  Hand  nach  hinten:  diese  Darstellung  be- 

1)  Vgl.  Smith,  Catalogue  III  S.  245  f.;  oben  S.  48. 

2)  Zu  bexecSm;  vgl.  oben  S.  41  und  43  über  sinistra,  zu  sinus. 

3)  Iamblichus,  vita  Pythag.  84. 


Rollen  in  beiden  Händen.    Das  Überreichen  des  Buchs. 


83 


gegnet  z.  B.  Lateran,  christl.  Museum  Nr.  149  (Kraus,  Roma  sotterr.,  1879, 
S.  363),  Sarkophag  im  Louvre  (bei  Reinach,  Rep.  I  S.  117),  Sarkophag  in 
Arles,  Garrucci  Tfl.  399,  1;  und  das  setzt  sich  bis  ins  9.  Jahrh.  fort:  siehe 
J.  Tikkanen,  Die  Psalterillustrationen  im  Mittelalter  Fig.  19.1) 

So  läßt  sich  beobachten,  daß  auch  Gottes  Hand,  die  auf  christlichen 
Monumenten  für  sich  allein  in  der  Höhe  sichtbar  wird  und  eine  Tafel  oder 
ein  Rollenbuch  herabreicht2),  regelmäßig  eine  r.  Hand  ist:  besonders  schön 
zu  sehen  an  der  linken  unteren  Seite  des  Altarraumes  in  S.  Vitale  zu 
Ravenna. 

So  ist  nun  auch  sonst  aus  dem  Umstand,  daß  die  Rolle  in  der  R. 
liegt,  das  Verständnis  der  dargestellten  Handlung  zu  erschließen. 

Am  deutlichsten  ist  der  späte,  doch  schöne  Säulensarkophag  in  S.  Fran- 
cesco in  Ravenna.  Ein  sitzender  bartloser  Christus  nimmt  die  Mitte  ein 
und  reicht  mit  der  weit  ausgestreckten  R.  eine  geschlossene  Rolle  hin,  die 
er  horizontal  im  Motiv  Ia  hält.  Links  nähert  sich  Petrus,  neigt  sich  ehr- 
fürchtig und  hält  auf  wiegenden  Armen  ein  Tuch  gebreitet,  mit  dem  er  die 
Gabe  in  Empfang  nehmen  will.  Denn  das  Heilige  darf  keine  unheilige 
Hand  berühren.3)    Vgl.  Garrucci  Tfl.  347,  2;  348,  2  und  5;  349,  1. 

Klar  ist  der  Hergang  auch  auf  dem  spätgriechischen  Grabrelief  in 

Berlin,  erworben  aus  Museo  Grimani  in  Venedig,  „Beschreibung"  Nr.  804, 

wo  der  Tote,  heroisiert,  auf  dem  Throne  sitzt,  im  Profil  nach  links,  die  R. 

im  Redegestus,  die  L.  mit  dem  Rollenbuch,  Motiv  Ib,  im  Schöße.  Ein 

Altar  steht  vor  ihm,  und  seine  Angehörigen,  Frau  und  Jüngling,  treten 

heran;  der  letztere  aber,  im  Profil  nach  rechts,  streckt  ihm  in  erhobener  R. 

eine  Buchrolle  entgegen,  die  im  Handteller  liegt,  Motiv  III.    Abbildung  s. 

„Beschreibung"  S.  307.    Der  Verstorbene,  der  schon  ein  Buch  hält,  erhält 

hier  also  ein  zweites. 

Was  das  letztere  für  ihn  bedeute,  ist  schwer  zu  erraten.  Er  selbst  ist  Arzt; 
darauf  führen  die  ladenschildartigen  Flachreliefs  im  Hintergrunde,  die  Zangen  und 
Messer  von  auffällig  verschiedenartiger  Form  zeigen.  Aus  der  Literatur  ist  nun  be- 
kannt, daß  Dichter,  die  sterben,  ihre  selbstverfaßten  Bücher  der  Persephone  „bringen" 
(Persephonae  libellos  ferre,  Properz  II  13,  26;  vgl.  auch  Anthol.  Pal.  XI  133;  über 
Dictys  Rhein.  Mus.  51  S.  498).  So  könnte  auch  der  Sohn  hier  dem  Toten  etwa  ein 
Werk  darbringen,  durch  das  er  sich  tüchtig  erwiesen  oder  das  er  ihm  zu  Ehren 
verfaßt  hat:  ein  Enkomion.  Denn  auch  die  Toten  legen  auf  Bücher  Wert;  erschien 
doch  der  abgeschiedene  Drusus  dem  Plinius  im  Traum  und  ermahnte  ihn,  das  Werk 
über  des  Drusus  germanische  Kriege  zu  schreiben.4) 

Ebenso  scheint  mir  die  Gruppe  von  zwei  Personen  zu  deuten  auf 
dem  christlichen  Sarkophag  im  Lateran,  Treppenhaus  Nr.  164,  die  ich  in 


1)  Vgl.  E.  Hennecke,  Altchristi.  Malerei  u.  Literatur,  1896,  S.  217. 

2)  Anders,  wenn  die  Hand  leer  ist,  wie  beim  Isaaksopfer;  s.  z.  B.  Hettner, 
Führer  durch  d.  Mus.  in  Trier  S.  111. 

3)  Petrus  mit  dem  Tuch  erscheint  so  auch  sonst;  s.  darüber  das  Schlußkapitel. 

4)  Plin.  epist.  3,  5,  4.    Ähnliches  erzählt  Dio  Cass.  78,  10. 

6* 


84 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


Abb.  44  vorführe.  Die  Überreichende  legt  zum  Zeichen  der  Trauer  ihre  L„ 
an  ihre  Wange.1) 

Weiter  gehören  aber  auch  mehrere  Musenbildnisse  hierher.  Verhältnis- 
mäßig alt  und  ein  Erzeugnis  hellenistischer  Kunst  ist  die  Musenbasis  von 
Halikarnaß  (C.  Watzinger,  63.  Berliner  Winckelmannprogramm,  Tfl.  II; 
Darembero-Saglio  Fig.  5209).  Am  r.  Ende  des  Streifens  gewahrt  man 
auch  hier  eine  zweifigurige  Gruppe.  Eine  stehende  Muse  hält  mit  der  R. 
in  auffälliger  Weise  die  geschlossene  Rolle  in  die  Höhe,  indem  sie  sie 
dabei  nur  am  unteren  Ende  faßt;  sie  ist  im  Begriff  sie  der  Schwester  zu 
geben,  die  sinnend,  die  R.  am  Kinn,  vor  ihr  sitzt.  Nur  unter  dieser  An- 
nahme wird  das  ganz  Ungewöhnliche  dieser  Darstellung  begreiflich. 

Ebenso  die  r.  Schmalseite  des  Musensarkophags  im  Louvre  (bei  Fröhner, 
Sculpt.  ant.  du  Louvre  Nr.  378;  Reinach,  Rep.  I  S.  93):  ein  Dichter  sitzt  mit 
übergeschlagenen  Beinen  im  Profil  nach  links,  die  Muse,  die  vor  ihm  steht, 

anschauend  und  lebhaft  anredend,  wie  die  Ge- 
bärde seiner  r.  Hand  verrät.  Sie  selbst  begegnet 
seinem  Blick,  stützt  sich  mit  der  L.  auf  ein  hohes 
Szepter  und  hält  ihm  mit  der  R.  eine  geschlossene 
Rolle  entgegen,  deren  erste  Seite  aber  abgerollt 
ist.  Es  ist  die  Titel  tragende  Seite.  Ist  dies 
Homer,  so  spricht  er  hier  seinen  Musenanruf: 
urjviv  aeibe  6ed  oder  avöpa  ^oi  evverre  Mouca, 
und  die  Angerufene  gibt  ihm  darauf  als  Antwort 
das  Buch,  das  seine  Bitte  erfüllt.2) 

Neben  dies  Relief  tritt  die  Terrakotte  aus 
Abb.  44.  Myrina  im  Louvre  (abgebildet  Gazette  archeol., 

1887,  S.  135):  auch  dies  eine  stehende  Muse,  die 
geschlossene  Rolle  wiederum  in  der  R.  Aber  die  Rolle  wird  von  ihr  nicht 
eigentlich  gehalten,  sondern  sie  liegt  ihr  lose  auf  der  Hand.  Musen  haben 
das  Buch  nur,  um  es  wegzugeben.    Sie  will  es  einem  Dichter  reichen. 

Älter  und  ehrwürdiger  noch  ein  etruskisches  Monument  großen  Stils, 
von  dem  ich  nicht  zweifle,  daß  es  hier  anzureihen  ist.  Es  bietet  freilich 
eine  besondere  Schwierigkeit.  Ich  meine  die  Parze  auf  dem  Deckel  des 
etruskischen  Sarkophags,  die  ich  schon  oben  S.  69  erwähnt  habe:  Florenz, 
arch.  Museum,  Saal  von  Clusium,  Stil  des  5.  Jahrh.  v.  Chr.   Das  Werk  war 


1)  Nach  Garrucci  Tfl.  350,  2  handelt  es  sich  hier  um  ein  Brot,  nicht  Buch; 
nach  FiCKER  S.  110  um  einen  Stab,  an  dessen  Ende  ein  Brot  war  (!). 

2)  Michaelis  in  Jahns  Bilderchroniken  S.  59  bestritt  mit  Unrecht,  daß  hier  eine 
Überreichung  stattfinde.  Wie  kommt  sonst  die  Rolle  in  die  r.  Hand?  Zur  Sache 
ist  jetzt  das  Mosaik  von  Hadrumetum  (in  Tunis)  zu  vergleichen,  wo  Vergil  den 
Musenanruf  Musa  mihi  causas  memora  schriftlich  in  der  Hand  hält  und  Klio  gleich- 
zeitig zur  Antwort  ihm  aus  einer  Rolle  etwas  vorliest.    S.  unten. 


Das  Überreichen  des  Buchs.  Sitzbilder. 


85 


in  viele  Teile  zerbrochen;  undeutlich  abgebildet  bei  Milani,  Museo  topo- 

grafico  dell' Etruria  (1898)  S.  64. 

Der  Tote,  als  Lebender  dargestellt,  ruht  auf  dem  lectus;  sein  Kopf  ist  lose  und 
zum  Herausheben  eingerichtet.  Zu  seinen  Füßen  sitzt  die  Schicksalsfrau,  geflügelt, 
mit  jugendlichen  Zügen,  wie  es  das  Übliche  war,  die  R.  in  die  Hüfte  gestemmt,  in 
der  Linken  die  große  Rolle.  Diese  ist  zusammengerollt  und  nur  das,  Ende  ab- 
gerollt. Die  Rückenseite  des  Abgerollten  liegt  aber  nach  oben,  und  das  Buch  müßte, 
wenn  die  Parze  selbst  als  die  Leserin  zu  denken  wäre,  ein  Opisthograph  sein. 
Aber  der  Verstorbene  streckt  ihr  seine  rechte  Hand  entgegen.  Er  ist  der  Empfänger; 
ihm  will  sie  das  Buch  aushändigen.  Anstößig  und  durchaus  ohne  Analogie  ist  hier 
nun  erstlich,  daß  sie  beim  Überreichen  das  Buch  in  der  L.  hält;  zweitens,  daß  es 
verkehrt  herum  in  ihrer  Hand  liegt.  Denn  man  übergibt  ein  Buch  so,  wie  es  in 
Empfang  genommen  werden  soll.  Nimmt  es  der  Mann  aus  der  Parze  Hand  so,  wie 
sie  es  darbietet,  entgegen,  so  bekommt  er  den  Rücken  des  Buchs  statt  der  Schrift- 
seite zu  lesen.  Dies  zu  rechtfertigen,  wird  man  sich  vergebens  abmühen.  Das 
Werk  ist  aber,  wie  gesagt,  aus  vielen  Teilen  zusammengestückt  und  man  muß  mit 
der  Möglichkeit  rechnen,  daß  hier  ein  Versehen  begangen  oder  gar  gewaltsamere 
Änderungen  vorgenommen  worden  sind. 

Wie  in  der  klassischen  Zeit  die  Rolle,  so  wird  im  Mittelalter  der  Codex 
überreicht;  aber  er  ist  zu  schwer,  und  beide  Hände  müssen  ihn  heben, 
während  der  Empfänger  die  R.  entgegenstreckt;  so  gibt  z.  B.  Rabanus 
Maurus  dem  Papst  sein  Buch  auf  einer  Miniatur  des  9.  Jahrh.,  Bibl.  de 
l'ecole  des  chartes  Bd.  65  (1904)  S.  358,  Beiblatt. 

4.  Sitzbilder. 

Erscheint  die  geschlossene  Rolle  in  der  R.,  so  ist,  wie  uns  schon 
einige  der  vorgeführten  Beispiele  zeigen,  das  Motiv  in  Absicht  und  Wirkung 
sofort  verwandelt  und  ein  wesent- 
lich anderes  geworden,  wennschon 
die  Art  des  Griffs  dieselbe  bleibt. 
Für  viele  weitere  Fälle  gilt:  wer 
sie  so  hält,  ist,  zumal  wenn  er 
einsam,  ein  Lesenwollender.  Wir 
nennen  ihn  den  facturus.  Er  hat 
die  L.  noch  nicht  in  Tätigkeit  ge- 
setzt; er  sammelt  sich  also  inner- 
lich für  die  bevorstehende  Gedan- 
kenarbeit und  für  den  Beginn  des 
Abrollens;  das  Buch  und  sein  In- 
halt soll  jetzt  gleich  erschlossen 
werden.  Daher  eignet  das  so  ver- 
wandelte Motiv  besonders  den  Phi- 
losophen und  den  einsam  Sitzen- 
den.   Denn  wer  lesen  will,  sitzt 

gern;  wer  gelesen  hat,  kann  Stehen.  Abb.  45:  kleine  Bronze  in  Neapel. 


86 


[.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  [. 


Voran  steht  die  grandiose  Vision  der  Johannesapokalypse  cap.  5:  Kai 
eibov  e tt i  ttiv  beEiäv  toö  Ka6n.uevou  im  toö  Bpövou  ßißXiov  YeYpauuevov 
ecaiBev  Kai  ÖTncöev,  KaTecqppaYtcuevov  cqppaxiciv  etttö.  Der  Herr  also,  den 
der  Seher  schaut,  hat  das  Buch  auf  seiner  R.,  d.  h.  es  liegt  in  der  Hand- 
fläche der  R.,  die  er  vor  sich  streckt;  aber  er  sitzt  auf  dem  Thron.  Wir 
erhalten  hier  das  Sitzbild  des  Allwissenden;  und  dies  Buch  ist  noch  ver- 
siegelt. Das  dient  wesentlich  zum  Verständnis:  das  Buch  ist  noch  nicht 
entfaltet.  Eben  darum  ruht  es  noch  in  der  r.  Hand.  Das  Buch  war 
beschrieben,  und  zwar  sowohl  inwendig  (ecuuBev),  als  auch  auf  der 
Rückseite  (ömcOev). ')  Ersteres  verstand  sich  von  selbst;  letzteres  kon- 
statiert der  Seher  nach  dem  Augenschein.  Das  Buch  faßte  seinen  In- 
halt kaum. 

Diese  Stelle  ist  -  mit  Ausnahme  des  Umstandes,  daß  Gott  als  Richter 
die  Hand  mit  dem  Buch  vorstreckt  -  wie  der  Text  zu  den  Bildern,  die  ich 
hiernach  vorzubringen  habe.2) 

Diese  Bilder  sind  nicht  zahlreich;  aber  sie  stimmen  in  allem  Wesent- 
lichen unter  sich  überein. 

Neapel,  Saal  II  der  Bronzen,   Miniaturbronze  Nr.  5491    hinter  Glas;  der 


1)  Über  ÖTTic9ev  redet  Th.  Zahn,  Einleitung  in  das  Neue  Testament  II  S.  596 
ganz  unzutreffend.  Der  Ausdruck  ÖTncöÖYpaqpov  war  geläufig,  und  kein  Leser  konnte 
daher  hier  das  ömcOev  von  TeTpauuevov  trennen.  ömcGev  heißt  „auf  der  Rückseite 
des  Geschriebenen"  und  bildet  zu  ecuiGev  den  richtigen  Gegensatz. 

2)  Wundersam  berührt,  daß  Zahn  a.  a.  0.  dies  ßißXiov  der  Apokalypse  als  einen 
Codex  auffaßt.  Sowohl  die  jüdischen  wie  die  christlichen  Vorstellungen  vom  „Buch" 
setzen  im  1.  Jahrh.  n.  Chr.  regelmäßig  die  Rolle  voraus;  und  so  wird  denn  auch  in 
den  bildlichen  Darstellungen  der  altchristlichen  Kunst  das  besprochene  Buch  des 
Weltenrichters  unbedenklich  als  solche  Rolle,  an  der  vorne  sieben  Siegel  hängen, 
dargestellt  (s.  unten).  Daß  das  Siegeln  von  Papyrusrollen  eine  verbreitete  Gewohn- 
heit war,  wird  späterhin  im  Teil  IV  Kap.  14  zur  Sprache  kommen.  ZAHN  wundert 
sich,  daß  das  Buch  „auf  der  Hand"  (eiri  xf|V  öeSictv)  liegt,  und  fürchtet,  daß  es  her- 
unterfallen müsse.  Aber  wir  können  uns  beruhigen;  eine  geschlossene  Rolle  liegt  in 
der  vorgestreckten  Handfläche  vollständig  sicher.  Vgl.  die  S.  84  erwähnte  Terrakotte 
von  Myrina  oder  auch  das  Motiv  III,  das  zur  Überreichung  dient,  z.  B.  auf  dem 
S.  83  erwähnten  Berliner  Relief.  Aber  auch  der  Ausdruck  dvoitai  tö  ßißXiov  Apokal. 
5,  3  oder  ausführlicher  5,  2  dvoiEou  tö  ßißXiov  Kai  Xöccn  xdc  cqppaYi&ac  aÜToö  ist  von 
Zahn  nicht  verstanden;  dies  bedeutet  nicht  das  Entrollen  der  Rolle,  das  ja  in 
der  ganzen  Apokalypse  auch  gar  nicht  vorgenommen  wird,  sondern  civoiTetv  ist 
das  technische  Wort  für  das  Siegellösen  (vgl.  Xenoph.  Polit.  Laked.  6,  4  und  sonst), 
speziell  für  das  Lösen  des  Siegels  an  Testamenten  (Plutarch  Cäsar  68),  für  welche 
Testamente,  wie  bekannt,  die  Buchrollenform  häufig  verwendet  wurde;  so  dann  auch 
beim  Öffnen  des  Verschlusses  von  verpichten  Tonfässern  u.  ä.  Entsprechend  schreibt 
Aeneas  Tacticus  31,  6  Xueiv  tu  ßißX-ot,  d.  h.  „die  Briefe  entsiegeln".  Genug,  dvoixeiv 
ist  das  Aufmachen  irgendwelchen  Verschlusses,  und  dvoiEai  tö  ßißXiov  heißt  nur 
„den  Verschluß  der  Siegel  brechen",  wie  dvoiyeiv  tö  büjua  „den  Verschluß  des  Tür- 
riegels beseitigen",  und  dementsprechend  ist  5,  2  der  Sinn:  „wer  bricht  das  Buch 
auf,  indem  er  die  Siegel  löst?"  Das  Entfalten  dieses  Buchs,  dessen  Verschluß  er- 
brochen werden  soll,  ist  ein  weiterer  Akt,  an  den  hier  noch  gar  nicht  gedacht  wird. 
Was  soll  das  also  für  einen  Codex  beweisen? 


Sitzbilder. 


87 


Sitzende  ist  bärtig-,  die  R.  mit  der  Rolle  liegt  |im  Schoß;  die  L.  stützt  das  Haupt1); 
s.  Abb.  45. 

Sitzender  Philosoph,  Bronzestatuette  der  Sammlung  Janze,  abgebildet  Monum. 
del  Ist.  III  TN.  32;  Babelon-Blanchet,  Bronzes  Nr.  853;  sogenannter  Sophokles. 
Die  Finger  der  r.  Hand  umschließen  die  Rolle;  nur  der  Zeigefinger  löst  sich  und 
spielt  frei.    Die  L.  nähert  sich  dem  Buch,  als  wollte  sie  das  Abrollen  beginnen.-) 

British  Museum,  Greek  sculpt.  catal.  Nr.  2191,  Homerapotheose:  Homer 
thront  im  Profil  nach  rechts,  in  der  L.  ein  hohes  Skeptron,  in  der  R.  die  Rolle,  auf 
dem  r.  Oberschenkel  aufgelegt. 

Neapel,  Galerie  der  Balbi  Nr.  6238  (Visconti  Iconogr.  gr.  I  S.  92  Tfl.  VII  Nr.  1): 


Abb.  46:  Mooylvn  und  sog.  Simonides. 


marmorne  sitzende  Statuette  des  MOCXIfiN  aus  farnesischem  Besitz.  Der  bärtige 
Kopf  ist  angesetzt  und  wohl  unecht;  Brust  und  Arme  entblößt.  Die  r.  Hand  liegt 
auf  dem  Schoß  auf  und  hält  die  geschlossene  Rolle.  Sie  ist  echt,  der  1.  Unterarm 
dagegen  Ergänzung  (die  L.  ist  erhoben  und  hält  gleichfalls  eine  kleine,  aber 
offene  Rolle). 

1)  Vgl.  hierzu  die  zwei  kleinen  Bronzen  im  Mus.  Kircherianum,  Bronzensaal 
Abt.  VI  (HELBIQ  Nr.  1499):  sitzende  Männer  mit  runden  Capsae  ohne  Deckel,  in 
denen  je  7  Bücherrollen  sichtbar  sind.  Der  eine,  ein  Alter,  stützt  das  Kinn  mit  der 
R.,  die  L.  ist  verloren;  der  andere,  jung,  hat  die  R.  leer  im  Schoß,  seine  L.  hält 
etwas  wie  eine  kleine  Rolle.    Die  Capsae  haben  die  üblichen  Bänder  (s.  unten). 

2)  Vgl.  übrigens  0.  Jahn,  Bilderchroniken  S.  57  Note. 


88 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  in  der  Rechten,  Motiv  I. 


Ebenda  Nr.  6237:  sitzende  Statuette  eines  bärtigen  Mannes  aus  Pompeji  (sog. 
Simonides).  Brust  und  Arme  entblößt.  Die  r.  Hand  mit  Rolle  wie  beim  vorigen; 
nur  ist  das  erste  Blatt  abgerollt.  Die  1.  Hand,  die  gleichfalls  eine  geschlossene  Rolle 
hält,  ist  unecht. 

Beide  Statuetten  gibt  die  Abb.  46.  Trotz  ihrer  verschiedenen  Provenienz 
müssen  beide  doch  nach  gemeinsamem  Schema  ergänzt  worden  sein,  resp.  die  pom- 
pejanische  auf  die  farnesische  Einfluß  geübt  haben. 

Hieran  reiht  sich  der  Dichter,  der  vor  der  musizierenden  Muse  sitzt,  auf  dem 
merkwürdigen  Elfenbeindiptychon  von  Monza  (W.  Meyer,  Abhandl.  Münchn.  Akad. 
XV,  1881,  Nr.  51):  gewiß  ist  die  Rolle  noch  leer,  die  hier  der  Dichter  hält;' er  wird 
das  Lied  der  Göttin  hernach  darin  eintragen. 

Rom,  Villa  Panfili  (Matz-Duhn  Nr.  1318):  sitzender  Mann  in  gegürteter  Tunika 
mit  langen  Ärmeln,'  Mäntelchen  und  Kniehosen  (?).  In  der  R.,  die  am  Knie  aufliegt, 
hält  er  die  Rolle.  Kopf  unecht,  ebenso  wohl  auch  die  Basis  mit  Felsblock  und 
Füßen.  Daß  dies  das  Sitzbild  eines  Barbaren  war,  wie  v.  Duhn  annimmt,  wird  durch 
das  Buch  wenig  empfohlen. 

Von  Reliefs  gehört  noch  hierher: 

Sarkophagfragmente  des  Pal.  Corsini  (Matz-Duhn  3118),  r.  Hälfte:  sitzender 
Alter,  zweimal  mit  diesem  Motiv. 

Obelisk  des  Theodosius.  in  Konstantinopel:  auf  einer  Seite  des  Sockels  sitzende 
Mittelfigur  auf  der  Rednerbühne  wiederholt  das  Motiv  der  kleinen  Neapler  Bronze 
Nr.  5491,  Abb.  45,  genau. 

Sodann  das  Wandgemälde  der  Domitillakatakomben  (V.  Schultze,  Die  Kata- 
komben S.  110  Fig.  30;  Wilpert  Tfl.  197,  1):  Daniel  zwischen  zwei  Löwen;  rechts 
und  links  daneben  ein  sitzender  Prophet  mit  runder  Capsa.  Der  links  Sitzende  hält 
eine  Rolle  in  der  R. 

Auch  der  Konsul  auf  dem  kurulischen  Sessel  erscheint  endlich  so:  Diptychon 
des  Asturius,  W.  Meyer  a.  a.  O.  Nr.  3. 

Bei  anderen  Sitzbildern  beruht  die  im  Schoß  liegende  Rolle  in  der  R. 
nur  auf  Ergänzung;  Doch  kann  diese  Ergänzung  das  Richtige  treffen.  Ich 
erwähne: 

Florenz,  Uffizien,  Saal  der  Inschriften  Nr.  289  (DÜTSCHKE  III  344):  Statuette  eines 
Römers;  der  feine  Jünglingskopf  unecht;  die  1.  Hand  liegt  gesenkt  am  Sitzkissen 
und  Stuhlrand,  die  R.  lag  jedenfalls  im  Schoß;  doch  ist  die  r.  Hand  mit  der  Rolle 
ergänzt. 

Rom,  Villa  Borghese,  sog.  Periander  (Helbiq,  Führer2  Nr.  984;  Reinach,  Rep. 
I  514,  4):  ebenso. 

Siena:  Statuette  eines  sitzenden  bärtigen  Mannes  mit  Sokrateskopf  (im  Besitz 
des  Kunsthändlers  und  Photographen  Lombardi1),  Abbildung  bei,  Reinach,  Rep.  II 
570,  8):  r.  Hand  an  der  Wurzel  ergänzt,  ebenso  die  Rolle,  die  falsch  in  der  Hand 
liegt  und  zu  lose  gerollt  ist. 

Von  dem  hier  durchgeführten  Motive  weicht  eine  andere  Porträt- 
statue ab: 

Rom,  Capitol.  Museum,  Galerie  Nr.  44:  Sitzbild  eines  Römers;  er  hält  in  der  L. 
eine  Schreibtafel  (teilweise  ergänzt),  in  der  R.  anscheinend  eine  kurze  Rolle,  jeden- 


1)  Diese  und  die  weiterhin  zu  besprechende  Statuette  der  Sammlung  Lombardi 
sah  ich  dortselbst  im  Frühling  1901;  sie  stammen  von  einer  Familie  Gori  Martini 
in  Florenz.  Auf  eine  Wiedergabe  der  Photographien,  die  ich  von  ihnen  besitze, 
muß  ich  hier  verzichten.  An  beiden  ist  der  Kopf  angesetzt,  doch  wohl  antik;  der 
eine  ein  Sokrateskopf,  der  andere,  sehr  individuell,  hat  den  Ausdruck  eines  sorgen- 
vollen, ja  kummervollen,  mückerigen  Alten,  s.  unten  S.  90  f.^ 


Sitzbilder. 


89 


falls  ist  der  betreffende  Gegenstand  an  seinem  oberen  Ende  nach  Art  einer  Rolle 
zusammengelegt;  das  untere  Ende  im  Handteller  ist  abgebrochen.  Das  doppelte 
Attribut  ist  auffallend.  AMELUNG  bemerkt  mir  im  Hinblick  auf  die  Rolle:  „ich 
möchte  nicht  schwören,  daß  ihr  unteres  Ende  mit  Hand  antik  sei.  Das  obere  Ende 
wohl  sicher  modern."    Danach  bliebe  nur  die  Tafel  in  der  L.  übrig. 

Wo    sonst    das   Motiv   abweicht,    ist   die   Rolle   falsch  hinzugefügt 

oder   doch  verdächtig: 

Dies  ist  z.  B.  bei  dem  Sitz- 
bild der  Coli.  Torlonia  (REINACH, 
Rep.  I  514,  6)  der  Fall.  Ebenso 
bedenklich  liegt  die  Sache  aber 
auch  bei  dem  sog.  Marcellus 
des  Capitolinischen  Museums  (Hel- 
BIQ  Nr.  509);  unsre  Abb.  47:  die 
Haltung  der  1.  Hand  erinnert  an 
die  der  soeben  besprochenen  Flo- 
rentiner Statuette.  Die  r.  Hand  mit 
der  Rolle  ist  Ergänzung,  doch  ur- 
teilt HELBIG  a.  a.  O.,  sie  sei  durch 
einen  Ansatz  gesichert,  der  sich 
unter  der  erhaltenen  Rolle  auf  dem 
Schoß  erhalten  habe.  Der  „Ansatz" 
ist  aber  sehr  schmal  und  gering- 
fügig und  könnte  auch  wohl  der 
Rest  eines  anderen  Gegenstandes 
sein.  Jedenfalls  ist  die  vertikale 
Haltung  der  restituierten  Rolle 
verkehrt.  Da  nun  der  Kopf  zwar 
antik,  aber  angesetzt  ist,  so  muß, 
wer  eine  Rolle  ergänzen  will,  den 
Kopf  für  nicht  zugehörig  erklä- 
ren. Diese  Ansicht  Schreiber's  ') 
bestätigt  sich  in  der  Tat:  „der 
Kopf  gehört  nicht  zur  Figur;  er 
sitzt  mit  Schnitt  auf",  bemerkt 
mir  AMELUNG;  „die  Rolle  muß  also 
der  Moschionstatuette  (Abb.  46) 
entsprechend  ergänzt  werden", 
derselbe. 

Endlich  erscheint  die  Rolle 
in  der  R.  zweifelhaft  noch  in 
folgenden  Fällen: 

Sitzender    „Augustus"  aus 
Herculaneum:  Neapel,  Porticus  II  Nr.  6056;  der  r.  Arm  angesetzt:  „Gips"  (Mau). 

Sitzbild  eines  Römers:  Capitolin.  Museum,  Galerie  Nr.  58:  in  der  R.  ein  buch- 
artiger Gegenstand;  der  Ergänzer  stellte  in  roher  Ausführung  einen  Codex  her. 
Sieht  man  von  dem  Ergänzten  ab,  so  bleibt  ein  Gegenstand,  der  doch  wohl  schwer- 
lich Rolle  war;  gewiß  nicht  eine  offene.-)    „Unkenntlich"  (Amelung). 


Abb.  47:  sog.  Marcellus. 


1)  Schreiber,  Bildwerke  der  Villa  Ludovisi  S.  55. 

2)  Über  eine  vollständig  zerstörte  Relieffigur  lesen  wir  bei  Matz-Duhn  3116: 
„auf  dem  Schöße  ein  Volumen  . . .    Rechts  ein  Mann  in  Toga  mit  einer  Rolle  (?)  in 


90 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


So  weit  die  Illustrationen  zum  5.  Kapitel  der  Apokalypse.  Der  thronende 
Gott  dieses  Kapitels  der  Offenbarung  unterscheidet  sich  seinerseits  nur  da- 
durch von  ihnen,  daß  er  das  Buch  nicht  im  Schoß  hält,  sondern  in  er- 
hobener Rechten  vorzustrecken  scheint.  Aber  auch  dazu  habe  ich  eine 
Analogie  gefunden.  Es  ist  der  thronende  Pilatus  auf  der  Miniatur  des 
Codex  Rossanensis  fol.  8a.  Pilatus  soll  hier  über  Christus  das  Urteil 
sprechen.  Er  sitzt  aufrecht,  die  geschlossene  Rolle  in  der  Rechten  er- 
hoben, Motiv  I. 

Natürlich  kommt  nun  aber  auch  der  umgekehrte  Fall  vor,  daß  Sitz- 
bilder die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken  halten.  Auch  dies  sind 
Studierende  oder  Philosophen,  aber  sie  haben  die  Lesung 
des  Buches  beendet.  So  erscheint  Homer  sitzend  auf  der 
Münze  unsrer  Abb.  48;  vgl.  oben  S.  52.  Man  beachte,  daß 
die  Rolle  hier,  wie  öfter  in  älteren  Darstellungen,  sehr  groß 
erscheint.  Aber  auch  der  Demetrios  auf  dem  bekannten 
Neapler  Vasenbild  mit  dem  Satyrnchor,  etwa  aus  dem  Jahre 
400  v.  Chr.  (Monum.  d.  Inst.  III  31),  scheint  hierher  zu  gehören1),  während 
auf  einem  anderen  Vasenbild  Sappho  das  Buch  (falls  ein  solches  zu  er- 
kennen ist)  in  der  L.  in  ähnlicher  Weise  erhebt,  wie  wir  es  soeben  auf 
dem  späten  Pilatusbilde  beobachtet  haben.1')  Weiter: 

Rom,  Studio  Jerichau:  Statuette,  etwa  30  cm  hoch  (Matz-Duhn  1175):  Sitzbild 
eines  ältlichen  Mannes  ohne  Kopf;  die  Figur  legte  den  Kopf  wohl  auf  die  r.  Hand; 
die  1.  Hand  hält  eine  Rolle  und  liegt  am  Sessel.    Die  Figur  trägt  Mantel. 

Vatikan,  Saal  der  Musen  Nr.  523:  sitzende  Muse;  ein  Finger  der  1.  Hand  ge- 
brochen. 


der  Hand."  In  welcher?  Übrigens  dürften  sich  auf  Reliefs  kaum  Darstellungen 
finden,  die  den  oben  geschilderten  statuarischen  Typ  wiederholten. 

1)  Vgl.  auch  Baumeister  Fig.  422.  Das  Haar  dieses  jugendlichen  Chorodida- 
skalos(?)  ist  bekränzt;  sein  Körper  zeigt  sich  nackt,  da  sein  Mantel  nach  hinten  zurück- 
gesunken. So  sitzt  er,  die  r.  Hand  auf  den  Sitz  aufstemmend,  während  einer  der 
Satyrn  (der  einzige  in  Maske)  vor  ihm  zur  Probe  tanzt,  und  hält  einen  zylinder- 
förmigen, stabartig  dünnen  Gegenstand,  der  mit  Fäden  oder  Bändern  umwunden  ist, 
auf  dem  1.  Schenkel  in  seiner  1.  Hand.  Was  soll  dies  anders  sein  als  ein  zu- 
gebundenes Buch?  Der  Zeichner  hat  sich  in  den  Verhältnissen  versehen,  und  die 
Rolle  erscheint  zu  lang.  Außerdem  lehnt  an  seinem  Sessel  noch  ein  ähnlich  zu- 
sammengebundener rollenähnlicher  Gegenstand.  Ist  auch  dies  ein  Buch,  so  würde 
es  alle  wirklichen  Verhältnisse  überschreiten,  da  es  die  Höhe  des  Sessels  übertrifft. 
Doch  scheint  eine  andere  Deutung  ausgeschlossen. 

2)  Siehe  das  zweifigurige  Vasenbild,  das  O.JAHN  in  den  Abh.  d.  sächs.  G.W. 
III  (1861)  Tfl.  I  veröffentlichte.  Es  zeigt  Sappho  sitzend;  ein  Eros  eilt  auf  sie  zu. 
Sie  sitzt,  wie  jener  Demetrios,  im  Profil  nach  rechts,  legt,  wie  er,  die  r.  Hand  auf 
den  Stuhlrand  und  hat  die  L.  mit  einem  Gegenstand  erhoben,  den  Jahn  doch  wohl 
mit  Recht  für  eine  Buchrolle  hielt.  Sie  hält  die  Rolle  am  untern  Ende  (dies  ist 
selten)  und  gleichsam  auf  der  Hand,  was  uns  an  das  „auf  der  Rechten"  in  der 
Apokalypse  erinnern  kann.  Vielleicht  ist  die  Nachzeichnung  bei  Jahn  nicht  ganz 
korrekt;  die  Rolle  hat  da  die  Form  einer  Zigarre,  deutlich  gewickelt,  unten  dünner, 
oben  anschwellend,  was  unmöglich. 


Sitzbilder.    Liegende  Figuren. 


91 


Siena,  Sammlung  Lombardi:  Sitzbild  eines  bartlosen  Alten  (REINACH,  Repert. 
II  569,  7;  vgl.  S.  88  Anm.  1):  niedriger  Stuhl  mit  Polster  ohne  Lehne.  Die  Rolle  in 
der  L.  scheint  echt,  ihr  oberer  Teil  war  abgebrochen  und  ist  ergänzt,  ebenso  der 
Zeigefinger  der  R.  Das  Motiv  I  ist,  soweit  die  Photographie  erkennen  läßt,  nicht 
ganz  gewahrt;  sie  scheint  zwischen  Zeigefinger  und  Mittelfinger  zu  liegen  (?).  Dies 
macht  sie  mir  verdächtig.  *) 

Konia:  Sarkophag:  sitzender  Mann,  Rolle  in  der  L.  im  Schoß:  Bull.  corr.  hell. 
Bd.  27  (1903)  S.  224. 

Bleimedaillon  in  Paris,  Babelon-Blanchet,  Bronzes  Nr.  849,  oberer  Streifen: 
Diocletian  und  Maximian,  beide  sitzend,  Motiv  Ib. 

Obelisk  des  Theodosius  in  Konstantinopel:  Acclamatio;  der  Kaiser  thronend 
mit  dem  Buch:  Schreiber,  Bilderatlas  Tfl.  29,  6. 

Madrider  Arat-Miniatur  (Rhein.  Mus.  48  S.  91):  vor  einem  Globus  steht  Urania 
und  sitzt  Arat;  beide  halten  die  geschlossene  Rolle  in  der  L.,  Arat  aber  so,  daß  die 
Hand  mit  der  Rolle  im  Schoß  liegt.  Er  umfaßt  sie  von  oben  mit  drei  Fingern.  Bei 
der  Muse  ist  das  Motiv  I  durch  den  späten  Miniaturmaler  gänzlich  entstellt. 

Hiermit  sei  ein  neu  entdeckter  Fresko  des  6.  Jahrh.  verglichen;  das  Bild  ist 
in  Sancta  Sanctorum  in  Rom  aufgefunden  und  in  den  Melanges  d'arch.  et  d'hist. 
Bd.  20  (1900)  Tfl.  9,  S.  281  beschrieben  und  reproduziert.  Ein  alter  Mann  (Augu- 
stinus?) sitzt  vor  einem  einbeinigen  Lesepult,  auf  dem  ein  großer  Codex  auf- 
geschlagen ist.  Er  liest  aber  nicht,  sondern  hält  eine  geschlossene  weiße  Rolle  in 
seiner  L.  im  Schoß,  anscheinend  Motiv  I,  während  er  nach  Art  des  Redners  die 
R.  erhebt. 

So  lange  wirken  in  der  Porträtkunst  die  alten  Motive  nach. 
Unecht  dagegen  ist  die  Rolle  in  der  L.  wiederum  z.  B.  in  folgenden 
Fällen: 

Paris,  Louvre:  Sitzender  „Demosthenes"  (FRIEDRICHS -WOLTERS  Gipsabgüsse 
Nr.  1315):  beide  Arme  ergänzt.    Vgl.  oben  S.  58. 

Vatikan,  Mus.  Chiaramonti  Nr.  121:  1.  Unterarm  angesetzt:  AMELUNG  Tfl.  40. 

Ebenda,  Garten:  Sitzbild  einer  Muse(?):  Kopf  und  Rolle  unecht:  Arndt-Amelung, 
Einzelaufnahmen  Nr.  787  =  REINACH,  Rep.  II  687,  7. 

Rom:  Statuette  eines  sitzenden  Schauspielers:  Wieseler, Theatergebäude  XI  Nr.  11. 

Ebenso  bedenklich : 

Sitzender  Philosoph:  Coli.  Giustiniani  pl.  115:  Reinach,  Rep.  I  514,  1. 
Sitzender  Philosoph:  ebenda  pl.  112:  Reinach,  Rep.  I  514,  2. 
Sitzender  Philosoph:  Coli.  Torlonia  t.  2  Nr.  3:  REINACH,  Rep.  I  514,  5. 


5.  Liegende  Figuren. 

Daß  man  auch  im  Liegen  las,  kann  nicht  nur  vorausgesetzt  werden, 
sondern  vom  gelehrten  Plinius  erzählt  es  uns  sein  Neffe  und  Adoptivsohn: 
post  cibum  .  .  .  aestate  si  quid  otii,  iacebat  in  sole,  Uber  legebatur,  ad- 
notabat  excerpebatque;  daher  schlief  er  auch  gelegentlich  inter  ipsa  studio. 
ein  (Plin.  epist.  III  5,  8-10;  vgl.  auch  ibid.  V  5,  5).  Der  etruskische  Sar- 
kophag von  Corneto  vergegenwärtigt  uns  das:  auf  dem  Sarkophagdeckel 


1)  Diese  Statuette  erinnert  bis  zu  einem  gewissen  Grade  an  den  sog.  Aristo- 
teles des  Pal.  Spada,  dem  die  Rolle  fehlt:  insbesondere  ist  das  Gewandmotiv  und 
die  Haltung  des  eingewickelten  oder  vom  Gewand  zugedeckten  1.  Armes  die  gleiche. 
Die  des  r.  Arms  weicht  dagegen  ab  sowie  das  Arrangement  des  Unterkörpers,  sehr 
zum  Nachteil  des  späteren  Werkes. 


92 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


liegt  der  Verstorbene  und  liest  in  einer  weit  geöffneten  Rolle  (Abbildung 
unten  Nr.  89). 

Eine  geschlossene  Rolle  in  der  R.  erscheint  nun  innerhalb  der 
griechisch-römischen  Kunst  in  folgendem  vereinzelten  Falle: 

Rom,  Pal.  Corsetti:  Sarkophagdeckelfragment  (Matz-Duhn  3126):  ein  nach 
griechischer  Weise  bekleideter  bärtiger  Mann  hält  liegend  in  der  R.  eine  Rolle; 
vor  ihm  auf  Konsolen  zwei  Masken,  im  Hintergrund  ein  Vorhang.  Also  ein  lecturus. 
Ich  habe  das  Werk  nicht  gesehen. 

Sonst  kommt  hier  nur  ein  etruskisches  Monument  in  Betracht,  für  das 
das  oben  S.  81  Bemerkte  gilt: 

Florenz,  Pal.  Antinori:  etruskische  Aschenkiste:  auf  dem  Deckel  liegender 
Mann,  in  der  R.  eine  fragmentierte  Rolle,  in  der  L.  eine  Patera(?):  Dütschke  II  385. 

Vielmehr  erscheint  die  geschlossene  Rolle  bei  diesen  Figuren  öfter  in 

der  L.;  s.  die  Aschenkiste  im  Pal.  Antinori,  Florenz  (Dütschke  II  Nr.  383). 

Dasselbe  gilt  von  dem  Sarkophag  im  Archäol.  Museum  zu  Florenz,  Sala  di 

Vulci  (ohne  Nummer):  der  auf  dem  Deckel  gelagerte  Jüngling  hält  eine 

kleine   geschlossene  Rolle   in   der   auf   dem  Kissen  liegenden  L.;  dazu 

fliegende  Eroten.    Ferner  noch: 

Pisa,  Campo  Santo:  etruskische  Aschenkiste:  auf  dem  Deckel  liegende  Frau, 
in  der  R.  ein  Diptychon,  in  der  L.  eine  Rolle:  Dütschke  I  6  (unsre  Abb.  60). 
Ebenda  bei  Dütschke  Nr.  126.  127  halten  die  entsprechenden  Deckelfiguren  viel- 
mehr nur  ein  Diptychon  in  der  R.,  endlich  Nr.  130  ein  Diptychon  in  der  L.,  während 
die  andere  Hand  leer  zu  sein  scheint. 

Der  Liegende  hält  hier  nun  aber  die  Rolle  nicht  nach  dem  Motiv  I, 
sondern  es  gilt  hier  vielmehr  das  Motiv  III,  und  ich  werde  bei  seiner  Be- 
sprechung auf  diese  Darstellungen  zurückkommen. 

6.  Der  stehende  lecturus. 

Wer  aus  dem  Buche  rezitierend  vorliest,  steht  gerne,  da  beim  Stehen 
die  Stimme  weiter  trägt.  Wir  werden  späterhin  solchen  Gestalten  häufig 
begegnen.  Aber  sie  werden  fast  ausschließlich  der  Flächenkunst  des  Reliefs 
und  der  Malerei  verdankt,  die  in  der  Lage  ist  Szenen  vorzuführen.  In 
solchen  Szenen,  insbesondere  in  literarischen  Unterhaltungen,  kann  nun 
wohl  auch  einmal  ein  lecturus  vorkommen.  Dies  trifft  m.  E.  für  die 
Szene  des  hübschen  Reliefstreifens  zu,  der  sich  zu  Rom  an  der  Front 
der  Elementarschule,  Via  di  Porta  S.  Sebastiano,  eingemauert  findet: 
Matz-Duhn  3117. 

Auf  der  linken  Hälfte  des  Reliefs  sondert  sich  eine  Gruppe  von  drei 
Personen  deutlich  ab,  die  ich  hier  wiedergebe,  Abb.  49.  Wer  die  drei  Figuren 
betrachtet,  erkennt,  daß  sie  die  drei  Stadien  der  Lektüre  auszudrücken  be- 
stimmt sind:  die  Figur  links,  en  face,  hat  ihr  Buch  bereits  vorgelesen;  sie  hält 
dasselbe  daher  wieder  zusammengerollt  in  der  L.,  so  daß  nur  das  letzte  Blatt 
mit  dem  Buchtitel  als  subscriptio  noch  offen  herabhängt.    Die  sitzende  Figur 


Liegende  Figuren.  Der  stehende  lecturus.    Einfluß  der  Symmetrie.  93 


rechts  hält  ihr  Buch  in  der 
L.  noch  halb  aufgelöst  im 
Schoß  und  macht  mit  der 
R.  den  Gestus  des  Vor- 
tragenden ;  sie  ist  also  — 
und  zwar  hier  sitzend  — 
noch  in  Benutzung  des  Buchs, 
aus  dem  sie  vorträgt,  be- 
griffen. Die  Mittelfigur  zeigt 
endlich  ein  drittes  Stadium; 

sie  will  erst  lesen,  hat  da-  Abb.  49:  Matz-Dui™  Nr.  3117. 

her  das  Buch  noch  in  der 

Rechten  und  befindet  sich  überdies  im  Laufschritt:  sie  ist  eben  erst 
eingetreten,  um  an  der  Konkurrenz  sich  zu  beteiligen. 

Aber  auch  ein  christliches  Sarkophagrelief  gehört  hierher,  auf  das  ich 
im  Museum  in  Arles  (4.  Abteilung)  aufmerksam  wurde;  vgl.  Le  Blant,  Etüde 
sur  les  sarc.  antiques  d'Arles  Tfl.VII.  Es  zeigt  die  üblichen  biblischen  Wunder.1) 
Als  Mittelfigur  aber  steht  eine  Orantin,  von  zwei  Männern  umgeben,  die  ihr 
zugewendet  und  mit  Büchern  versehen  sind.  Daß  sie  somit  auf  die  Orantin 
Bezug  haben,  ist  sicher.  Der  zu  ihrer  Linken  hat  ihr  soeben  vorgelesen, 
denn  er  zeigt  das  Buchmotiv  VII  der  unterbrochenen  Lektüre  (s.  unten). 
Sein  Kopf  fehlt;  vielleicht  war  er  ein  älterer  Mann  und  bärtig,  wie  der 
andere,  der  zu  ihrer  Linken  steht;  dieser  hält  die  Rolle  in  der  gesenkten 
Rechten,  Motiv  Ib.  Die  Rolle  des  letzteren  ist  dabei  mit  Rand  versehen. 
Je  vereinzelter  diese  Darstellung,  um  so  sicherer  ist  ihre  Deutung.  Die 
Orantin  hat  hier,  wie  sonst  oft,  zwei  Tröster  oder  ältere  geistliche  Berater, 
die  mit  Büchern  versehen  sind,  neben  sich2);  der  eine  von  ihnen  hat  ihr 
einen  heiligen  Text  vorzutragen  begonnen;  der  andere  wartet,  um  ihn  ab- 
zulösen.   Es  ist  der  lecturus. 

Weitere  Beispiele  für  den  stehenden  lecturus  mit  der  geschlossenen 
Rolle  in  der  R.  findet  man  unter  Motiv  IV. 

7.  Einfluß  der  Symmetrie. 

Finden  wir  die  Rolle  sonst  in  der  Rechten,  so  haben,  wie  mitunter 
leicht  zu  erkennen  ist,  äußerliche  Einflüsse  gewaltet,  und  der  Bildner  hatte 

1)  Rechts  z.  B.  das  Wasserwunder;  die  Juden  tragen  dabei  Rundbarette;  einer 
trinkt  gebückt  aus  der  Quelle.  Weiter  Petrus  mit  Christus  und  dem  Hahn;  dabei 
hält  Petrus  die  Rolle,  Motiv  Ib.  Darauf  folgt  Christus,  der  das  Wasser  in  Wein 
verwandelt;  er  zeigt  dabei  Motiv  III,  und  zwar  in  der  Rechten.    Darüber  unten. 

2)  Vgl.  z.  B.  Le  Blant,  Sarc.  de  la  Gaule  Tfl.  18,  1  und  20,  1  und  45,  1 
(wo  Motiv  II). 


94 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  L 


den  Sinn  des  verwendeten  Motivs  vergessen.  So  wirkte  gelegentlich  da, 
wo  zwei  Personen  zusammengeordnet  sind  oder  auch  aus  der  Entfernung 
auf  der  Fläche  sich  entsprechen  sollen,  ein  Gefühl  für  äußerliche  Sym- 
metrie des  Aufbaus  dahin,  daß  die  eine  Figur  das  Buch  rechts,  die 
andere  es  links  hält. 

Ein  solches  Bedürfnis  nach  Responsion  hat  in  der  antiken  Kunst  ja 
auch  sonst  in  aberhundert  Fällen  gewaltet;  man  denke  nur  daran,  wie  auf 
den  etruskischen  Aschenkisten  die  zwei  Furien1),  auf  den  Sarkophagen  an 
den  Ecken  die  Masken  und  Löwen1')  verteilt  werden,  vor  allem  aber  an 
die  Dioskuren,  von  denen  einer  sein  Roß  zur  Linken,  der  andere  zur 
Rechten  führt.  So  sieht  man  auf  einem  der  campanischen  Gemälde  Neapels 
(Abt.  LXXV  Nr.  9664)  zwei  Fächer  haltende  Frauen  als  Pendants  gemalt; 
die  eine  hält  ihn  rechts,  die  andere  links.  Die  zwei  tanzenden  Laren  auf 
der  schönen  Ära  des  Augustus  in  den  Uffizien,  westlicher  Korridor  Nr.  236 
(Dütschke  III  218)  halten  das  Rhyton,  die  eine  in  der  L.,  die  andere  in 
der  R.  Auf  einer  bemalten  Aschenurne  zu  Florenz  (Dütschke  II  432)  er- 
heben die  zwei  Eckfiguren  „symmetrisch"  ihren  einen  Arm  und  halten  in  der 
anderen  Hand  einen  Gegenstand,  der  einer  Fackel  gleicht.  Und  Ähnliches 
mehr. 

In  späteren  Zeiten,  als  das  Rollenbuch  längst  außer  Gebrauch  war, 
tritt  das  Streben,  auch  die  Bücher  symmetrisch  im  Bilde  anzuordnen,  öfter 
hervor : 

Im  Baptisterium  zu  Florenz  erscheinen  oben  im  Oktogon  in  der  Höhe  der 
Emporenbrüstung  mosaiziert  48  Heilige  und  Propheten  mit  Rollen,  ab  und  zu  auch 
mit  aufgeklappten  Codices:  die  Rollen  bald  fahnenartig,  bald  plakatartig  geöffnet 
und  mit  Sprüchen  beschrieben.  In  der  Handhaltung  aber  wird  hier  die  größte  Ab- 
wechslung erstrebt,  ein  reiches  Inventar  für  Motive  des  14.  Jahrh.  Dabei  wirkte 
vielfach  der  Kontrast  bestimmend,  so  daß  in  einem  Bild  die  Linke,  im  Nebenbild 
die  Rechte  das  Buch  hält.  Am  Hallenbogen  des  Bigallo  zu  Florenz  sieht  man  ferner 
zehn  Reliefs  aus  dem  nämlichen  14.  Jahrh.,  wiederum  Heilige  mit  Buchrollen  in 
Medaillons:  die  vier  Heiligen  links  vom  Bogen  halten  hier  die  Rolle  in  der  L.,  die 
vier  rechts  vom  Bogen  in  der  R.,  die  zwei  obersten  halten  sie  beide  mit  beiden 
Händen.  Endlich  erinnere  ich  noch  an  Perugino's  Bild  La  prudenza  e  la  giustizia 
in  Perugia:  im  oberen  Teil  erscheinen  die  genannten  zwei  Tugenden  als  weibliche 
Gestalten  auf  Wolken  sitzend;  unten  aber  stehn  acht  Heilige  oder  Repräsentanten 
der  Tugenden,  in  einer  Reihe  aufgestellt.  Hier  sind  nun  die  zweite  "Figur  von 
links  und  die  zweite  von  rechts  deutlich  Pendants;  sie  sind  die  einzigen,  die  ein 
Buch  halten,  und  der  erstere  hält  es  in  der  r.  Hand,  der  letztere  in  der  1.  Hand. 

Genau  ebenso  verhält  es  sich  nun  mit  jenen  Rollen  haltenden  Furien 
auf  der  etruskischen  Aschenkiste  zu  Berlin,  die  ich  S.  80  beschrieben 
habe;  dies  ist  ein  vereinzelter  früher  Beleg;  ebenso  dann  aber  im 
Lateran,  altchristl.  Mus.,  Treppenhaus  Nr.  40,  ein  schmales  eingemauertes 

1)  Vgl.  z.  B.  DÜTSCHKE  II  Nr.  383;  429;  449;  475. 

2)  Im  Hof  der  Canceleria  magnae  curiae  archiepiscopalis  zu  Monreale  bei 
Palermo  dient  solcher  Sarkophag  als  Brunnentrog;  aber  die  Beispiele  sind  zahllos. 
Die  Löwen  zerreißen  ein  Roß;  vgl.  z.  B.  Ince  Blundel  Hall  229  (Mich.)  u.  a. 


Einfluß  der  Symmetrie. 


95 


Relief  in  drei  Szenen.  Hauptszene  links:  in  der  Mitte  jugendliche  Ideal- 
gestalt (Christus);  rechts  und  links  von  ihr  je  ein  bärtiger  Jünger  mit 
Korb;  wieder  rechts  und  links  von  diesen  je  ein  unbärtiger  Jünger  mit 
geschlossener  Rolle,  Motiv  Ib.  Der  am  linken  Ende  hält  sie  in  der  R.,  der 
am  rechten  Ende  hält  sie  in  der  L. 

Ebenso  scheint  es  mit  den  Relieffragmenten  zu  stehen,  im  Pal.  Mattei 
(bei  Matz-Duhn  3406):  die  dort  unter  den  Lettern  d  und  e  aufgeführten 
Togafiguren,  die  sich  gegenübersitzen,  scheinen  die  Rolle  in  verschiedenen 
Händen  zu  halten. 

Ebenso  das  Goldglas  bei  Garrucci  Tfl.  183  Nr.  2:  Paulus  und  Petrus 
sitzen  im  Rundbild  nebeneinander  im  Gespräch:  als  Pendants  hält  einer  die 
Rolle  in  der  L.,  der  andere  in  der  R.,  Motiv  I. 

Zwei  stehende  Engel  als  Eckfiguren  auf  dem  Bilde  bei  Garrucci 
Tfl.  457,  2  zeigen  dieselbe  Anordnung;  auch  sie  befolgen  dabei  das  Motiv  I. 

Noch  auf  einem  Elfenbeinrelief  des  10.  Jahrh,  kehrt  das  Rollenmotiv 
wieder,  s.  Kraus,  Gesch.  der  christl.  Kunst  I,  Fig.  439  (S.  559),  und  auch  hier 
sind  es  die  Eckfiguren,  die  dieselbe  Anordnung  zeigen. 

Vielleicht  gestattet  auch  das  spätgriechische  Relief  im  Vatikan,  Mus.  Chiara- 
monti  Nr.  547  a  (Amelung  Tfl.  72)  dieselbe  Auffassung.  Hier  wird  das  Zentralbild 
rechts  und  links  flankiert  von  einer  Muse;  links  steht  Urania  und  senkt  ihre  1.  Hand 
auf  einen  tief  aufgestellten  Globus;  rechts  steht  Klio  und  senkt  ihre  r.  Hand  in  ent- 
sprechender Richtung,  welche  Hand  die  Rolle  hält,  Motiv  Ia  oder  HI.  Vielleicht  können 
wir  aber  auch  weiter  gehen  und  diese  Klio  zugleich  als  eine  lectura  vel  recitatura 
oder  auch  als  Muse,  die  das  Buch  überreichen  will  (vgl.  oben  S.  84),  auffassen;  denn 
auch  Urania,  ihr  Pendant,  ist  im  Begriff  zu  dozieren,  indem  sie  sich  mit  ihrem 
Globus  beschäftigt;  ihr  entspricht  Klio,  indem  sie  mit  dem  Vortrag  anheben  oder 
das  Buch  aushändigen  will. 

Endlich  hat  gewiß  auch  dasselbe  Streben  eingewirkt,  wenn  in  den  Resten  des 
Sarkophags  im  Pal.  Corsini  (Matz-Duhn  3118)  auf  der  linken  Seite  die  Sitzfigur  des 
Alten  die  Rolle  links  hält,  auf  der  rechten  Seite  dieselbe  Figur  mit  der  Rolle  rechts 
erscheint. 

Ein  Beispiel,  noch  überzeugender  als  alle  diese,  betrifft  nicht  das  Motiv  I, 
sondern  das  Motiv  II  und  wird  im  nächsten  Abschnitt  C  zur  Sprache  kommen. 

Aber  auch  in  den  beiden  Ärzteversammlungen  des  Wiener  Diosku- 
rides1)  ist  dies  ganz  äußerliche  Verfahren  angewendet  worden.  Auf  fol.  2b 
daselbst  sind  Pamphilos  und  Herakleides  Gegenfiguren;  Pamphilos  zeigt  das 
Motiv  V  (s.  unten),  d.  h.  die  Rolle  steht  in  der  r.  Hand  auf  seinem  Schoß, 
die  1.  Hand  liegt  auf  ihrem  oberen  Ende.  Bei  Herakleides  tut  dies  dagegen 
die  R.  Ebenso  hält  auf  fol.  3  b  Andreas  die  Rolle  mit  der  R.  horizontal, 
Ruphos,  sein  Gegenüber,  hält  sie  in  gleicher  Weise  mit  der  L.  Schon  in 
dieser  ganz  äußerlichen  Responsion  verrät  sich,  daß  diese  Miniaturen  späten 
Ursprungs  sind.") 

1)  Jetzt  vorliegend  in  der  Prachtausgabe  von  Karabacek  u.  a. 

2)  Hierüber  später. 


96 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


8.  Einwirkung  äußerlicher  Umstände. 

Gelegentlich  dienen  aber  auch  noch  äußerlichere  Umstände  dem  Künst- 
ler zu  einer  gewissen  Entschuldigung;  die  1.  Hand  wurde  auf  dem  Flächen- 
bild überschnitten  oder  fiel  gar  aus  dem  Rahmen  der  Darstellung,  und  das 
Emblem  wurde  darum  auf  die  R.  übertragen.  Derartiges  begegnet  vorzüg- 
lich auf  Medaillon-Porträts. 

Lateran,  Mus.  profano  Zimmer  XII  Sarkophag  Nr.  788:  Medaillon  mit  Porträt; 
Motiv  Ib,  aber  anscheinend  in  der  r.  Hand;   die  Rolle  nach  unten  zugespitzt;  der 

Rahmen  des  Bildes  schneidet  hart  darunter  ab.  Siehe 
t>    Abbildung  50. 

Lateran,  altchristl.  Mus.,  oberer  Kreuzgang,  Abt.  I: 
Sarkophag  ohne  Nummer:  männliche  Figur  im  Medaillon: 
Rolle  r. ;  der  Rand  schneidet  die  L.  weg. 

Ebenda,  Treppenhaus,  Sarkophag  Nr.  55:  zwei  bär- 
tige Männer   im  Muschelclipeus.     Der  eine  von  ihnen 
hat  Rolle  r. ;  die  L.  ist  unentwickelt  und  durch  die  Ein- 
•  rahmung  gedrückt.     Oder  ist  dies  ein  lecturus?  Ich 
komme  späterhin  hierauf  zurück. 

Ebenda  Nr.  40:  Christus,  mit  dem  Stabe,  ver- 
wandelt Wasser  in  Wein;  eine  Figur  hinter  ihm  hat  Rolle  r.,  Motiv  Ib;  ihre  1.  Hand 
ist  verdeckt. ') 

Ebenda  Nr.  173:  etliche  biblische  Wunder;  Christus  hält  hier  öfters,  zweimal 
auch  Moses,  die  Rolle  links;  einmal,  in  der  Verleugnung  Petri,  in  der  R.  Spielte 
hier  die  Verlegenheit  des  Künstlers  mit?  oder  ist  dies  falsche  Ergänzung?  Die  An- 
gaben FlCKER's  S.  116  f.  scheinen  die  letztere  Annahme  zu  bestätigen. 

Ebenda,  Relief  Nr.  166:  Zwei  Figuren  halten  jede  eine  große  Rolle  in  der  L. ; 
in  der  Mitte  eine  weibliche  Figur,  nur  mit  einer  r.  Hand;  in  oder  auf  der  Hand 
eine  Rolle.    Unklar.    FlCKER's  Nr.  166  stimmt  nicht  zu  diesen  Notizen. 


9.  Problematische  Fälle. 

Anhangsweise  seien  noch  einige  problematische  Fälle  zusammengestellt. 

Wenig  Sorgen  macht  zunächst  die  Karyatide  im  Vatikan,  Braccio  nuovo  Nr.  47, 
die  nach  früherer  Auffassung  als  Attribut  eine  Rolle(!)  in  der  R.  hielt;  das  Attribut  ist 
weggebrochen;  es  war  vielmehr  ein  cxeuua,  eine  Wollbinde,  wie  sie  im  Gottesdienst 
gebraucht  wurde;  s.  außer  AMELUNG  schon  HELBIG,  Führer  Nr.  28,  neben  Rom.  Mit- 
teil. IX  S.  138.    Sehr  ähnlich  steht  es  mit  der  Karyatide  in  Kopenhagen  Nr.  286.  -) 

Die  Florentiner  Bronze,  Archäol.  Mus.  Saal  XVI  (bronzi  greco-romani)  im 
Glasschrank  ohne  Nummer,  die  einen  Knaben  im  bardocucullus  darstellt,  sei  wenig- 
stens erwähnt;  seine  L.  ist  unbeschäftigt;  die  R.  streckt  er  dagegen  weit  vor.  Doch 
hält  sie  kein  Rollenbuch,  sondern  einen  quadratischen  kastenförmigen  Gegenstand, 
der  aus  Blattlagen  zu  bestehen  scheint  und  von  dem  ein  Teil  mit  Franzen  herab- 
hängt.   Auf  der  Fläche  ist  Schrift  angedeutet. 

Über  einen  Togatus  in  Florenz  s.  oben  S.  57. 

Aber  auch  von  dem  Relief  in  Palermo,  das  Petersen  für  die  Ära  Pacis  in 
Anspruch  nimmt  (S.  75;  besser  abgebildet  in  Rom.  Mitteilungen  IX  Tfl.  6),  kann  ab- 
gesehen werden.    Petersen  gesteht  jetzt  selbst  zu  (Rom.  Mitteil.  XVII  S.  133),  daß 


1)  Ficker  spricht  nur  von  „Begleitsaposteln  mit  Rolle"  ohne  Angabe  der  Hand. 

2)  Dazu  die  Karyatide  mit  einer  Rolle  in  der  L.,  nicht  weniger  unzuverlässig, 
bei  Reinach,  Rep.  I  218,  1,  Coli.  Torlonia. 


Einwirkung  äußerlicher  Umstände.  Problematisches. 


97 


hier  eine  Rolle  gar  nicht  vorhanden  ist.  Andernfalls  wäre  an  eine  Überreichung  zu 
denken.  • 

Es  folgt  das  interessante  Fragment  des  großen  Rundsarkophags  im  Lateran,  Mus. 
prof.  Nr.  469  (Benndorf-Schöne  S.  151),  unsre  Abb.  51,  eine  literarische  Unterhaltung 
•  zwischen  zwei  oder  drei  Personen;  man  sieht  zwei  Rollen.  Ein  bärtiger  Mann  im  Profil 
nach  rechts  stützt  das  Kinn  in  die  R.  und  hält 


nach  Vorschrift  die  geschlossene  Rolle  in  der  L. 
Sein  Vortrag  ist  zu  Ende,  und  er  hört  zu.  Die 
Qegenfiguren  sind  fragmentiert.  Man  sieht  eine 
unverhältnismäßig  große,  im  Gestus  des  Redens 
erhobene  r.  Hand  aus  einem  Qewandstück  her- 
vorstehn;  außerdem  eine  zweite  Hand;  diese 
Hand  hält  ein  Buchkonvolut  in  der  Weise,  daß 
das  Seitenende  desselben  abgerollt  ist  und  tief 
herabhängt.  Ist  dies  eine  r.  oder  1.  Hand?  Die 
Verteilung  der  Finger  ist  seltsam.  Doch  kann 
eine  in  dieser  Weise  geöffnete  Rolle  sich  doch 
nur  in  der  r.  Hand  befinden.  Vielleicht  gehörte 
sie  zu  einer  Sitzfigur;  jedenfalls  aber  zu  einem 
Vorleser,  so  daß  also  hier  eine  Ausnahme  zu 
dem  Satz,  daß  die  Rolle  in  die  L.  gehört,  keines- 
falls vorliegt;  denn  dieser  Satz  betrifft  nur  die 
geschlossenen  Rollen.  Seltsamerweise  stehen 
hier  nun  zwei  r.  Hände  nebeneinander.  Betrach- 
tet man  das  Bildwerk  mehr  von  rechts,  so  taucht 
noch  eine  dritte  gesenkte  Hand  im  Reliefgrund 
auf,  sowie  das  Bruchstück  eines  Gewandstücks 
oder  Knies  (?).  Diese  Hand  ist  ohne  Frage  eine  L. 
Die  drei  r.  Hände  erweisen  nun  eine  literarische 
Unterhaltung  zu  Dreien.  —  Von  besonderem  In- 
teresse ist  noch  der  Umstand,  daß  auf  dem 
hängenden  Rollenteil  vier  Linien  eingeritzt  sind, 
die  parallel  mit  der  Länge  der  Rolle  laufen; 
sind  diese  Einritzungen,  wie  wohl  nicht  zu  zwei- 
feln, antik,  so  ist  hier  ein  Buch  ohne  Kolumnen- 


teilung vom  Künstler  vorausgesetzt;  vgl.  Abb.  118.  Abb-  51 :  Sark-  im  Lateran. 

Ich  komme  hierauf  zurück. 

Als  wirkliche  Ausnahmen  würden  folgende  Fälle  zu  gelten  haben, 
wenn  sie  nicht  doch  für  Zweifel  Raum  ließen: 

Urania  auf  einem  geschnittenen  Stein  bei  S.  Reinach,  Pierres  gravees,  1895, 
Tfl.  22  Nr.  449:  eine  junge  Frau,  den  Oberkörper  entblößt,  steht  im  Profil  nach 
rechts  und  hält  in  der  r.  Hand  eine  geschlossene  Rolle  hoch;  am  Rand  Halbmond 
und  Stern.  Es  müßte  dies  eine  Buch  überreichende  Muse  sein  (vgl.  oben  S.  84). 
Musen  erscheinen  aber  gewiß  selten  so  entblößt.  Ist  die  Echtheit  des  Steines  außer 
Zweifel? 

Kindersarkophag  in  Villa  Panfili,  Matz-Duhn  2556:  Mittelfigur  der  Sarkophag- 
fläche ein  en  face  stehender  Knabe,  „in  der  R.  eine  Rolle;  links  neben  ihm  ein 
Schriftkasten".  Hat  Matz  sich  hier  etwa  in  der  Angabe  versehen?  Solch  Versehen 
wäre  verzeihlich  bei  dem,  der  so  viele  Monumente  beschreibt,  von  Duhn  hat  das 
Monument  nicht  revidieren  können. 

Relief  mit  der  Einzelfigur  eines  Römers  in  Toga,  im  Louvre,  Catal.  Nr.  976; 
REINACH,  Repert.  IS.  111  Nr.  2:  der  Mann  schreitet  im  Profil  nach  links,  faßt  mit 
der  L.  den  Streifen  der  Toga  und  streckt  die  R.  vor,  die  eine  Rolle  hält.  Form 
und  Größe  der  Rolle  ist  in  der  Abbildung  befremdlich;  der  r.  Unterarm  ist  aber 
Ergänzung  (Michon). 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  7 


98 


I.  Die  geschlossene  Rolle:  B.  In  der  Rechten,  Motiv  I. 


Rom,  Cimetero  di  Lucina:  Freskobild  eines  Mannes  auf  rötlichem  Grund:  De 
Rossi,  Roma  sotterran.,  Supplemento  ed.  Oliv.  Iozzi,  1898,  Tfl.  III:  der  »Mann  hält, 
wenn  wir  der  Abbildung  trauen,  ein  kleines  Blatt,  das  steil  steht,  in  der  R.  Aber 
die  obere  Randlinie  des  Blattes  setzt  deutlich  die  Linie  des  Gewandteils  am  Arm 
fort;  das  Blatt  ist  wohl  nichts  als  eine  verkannte  Gewandfalte. 

Sarkophag  im  Konservatorenpalast,  Nebenraum  des  Oktogon  Nr.  104:  männ- 
liche Eckfigur  mit  Rollenbündel  am  1.  Bein.  Die  Figur  hält  mit  der  L.  ihr  Gewand, 
die  R.  ist  abgebrochen;  doch  weisen  Spuren,  da,  wo  die  R.  am  Grund  des  Reliefs 
ansitzt,  darauf  hin,  daß  sie  einen  länglichen  Gegenstand  hielt.    Also  eine  Rolle? 

Statue  einer  sitzenden  Frau  mit  Kind:  Capitolin.  Mus.  Galerie  Nr.  56:  das  Kind, 
mit  Bulla,  steht  .am  1.  Bein  der  Sitzenden  und  hält  die  L.  an  sein  eignes  Gewand; 
die  R.  legt  es  aufs  Knie  der  Mutter  und  hält  darin  ein  Röllchen.  Indes  scheint 
das  Knie  der  Frau  nebst  dem  .daraufliegenden  r.  Arm  des  Kindes  Ergänzung.  Dies 
wurde  mir  von  AMELUNG  bestätigt- 

Grabstein  der  Philinna  im  Athen.  Museum;  Kabbadia,  TAutttu  Nr.  979:  schlecht 
und  spät;  die  Buchrolle  in  der  R.  der  Frau  ist  nicht  sicher  festgestellt  und 
zweifelhaft. 

Kleine  griechische  Bronze  in  Marseille,  Chäteau  Borely  in  der  Vitrine  108: 
eine  stehende  halbnackte  Frau  (Venus);  das  Gewand  um  die  Hüften  zusammen- 
genommen; Locken  liegen  auf  beiden  Schultern.  In  der  L.  hält  sie  eine  Patera 
vorgestreckt;  in  der  R.  einen  kurzen  Herrscherstab  (resp.  eine  geschlossene  Rolle, 
Motiv  I).  Der  zylindrische  Gegenstand  ist  oben  und  unten  gerändert.  So  erscheint 
die  Rolle  in  Bronzewerken  sonst  nie.  Die  Patina  des  Kopfes  hat  andere  Färbung 
als  die  des  Körpers;  jener  erscheint  dunkelgrünlich  braun,  dieser  hellgrün.  In 
Fröhner's  Katalog  fand  ich  dies  Werkchen  nicht  besprochen. 

Ein  wirkliches  Problem  ist  dagegen  der  sog.  Hesiod  auf  der  Homerapotheose 
des  Archelaos.  Dieser  „Hesiod"  ist  die  Abbildung  einer  Abbildung,  d.  h.  der 
Reliefkünstler  gibt  eine  Statue  wieder,  die  auf  einer  Basis  in  der  Nähe  einer  heiligen 
Grotte  steht.  Die  1.  Hand  der  Statue  faßt  nun  einen  Streifen  des  Mantels,  die  ge- 
senkte Rechte  dagegen  hält  in  der  Höhe  des  r.  Schenkels  wagerecht  eine  Rolle, 
Motiv  Ib.  Diese  sonderbare  Darstellung  widerstreitet  allen  Beobachtungen  und 
Voraussetzungen,  die  sich  uns  ergeben  haben,  und  ich  fühle  mich  zu  der  Annahme 
gedrängt,  daß  Archelaos,  vor  die  Aufgabe  gestellt,  ein  Bildwerk  wiederzugeben, 
die  Arme  verwechselt  hat.  Wie  mißglückt  und  häßlich  in  Kontur  und  Kontrapost 
steht  dieses  Standbild  vor  uns!  Gibt  es  sonst  solche  Porträtstatuen?  Man  achte  nur 
auf  den  Kontur  der  r.  Seite  mit  dem  stumpfen  Winkel  zwischen  Schenkel  und 
Unterarm;  auch  tritt  das  r.  Unterbein  aus  dem  Umriß  zu  weit  heraus.  Läßt  man  den 
Beinstand  wie  er  ist,  tauscht  aber  die  beiden  Arme  mit  ihren  Funktionen  um,  so 
würde  ein  wohlgeformtes  Bild  entstehen. 

Dazu  stellt  sich  aber  noch  ein  literarisches  Zeugnis!  Lucian  Nr.  24  c.  2  erzählt 
vom  Toxaris,  dem  scythischen  Wunderarzt,  der  in  Athen  heroisiert  worden  sei;  sein 
Grabmal  sei  noch  jetzt  zu  finden,  freilich  nicht  mehr  vollständig  erhalten:  es  zeige 
einen  Scythen  im  Relief,  der  in  der  L.  einen  gespannten  Bogen,  in  der  R.  aber  ein 
Buch  hält;  über  die  Hälfte  der  Figur  sei  noch  erhalten;  man  erkenne  den  ganzen 
Bogen  und  das  Buch;  den  oberen  Teil  der  Stele  und  das  Gesicht  habe  dagegen 
die  Zeit  zerstört.  Blümner  in  den  „Archäolog.  Studien  zu  Lucian"  S.  83  f.  hat  diese 
Nachricht  schon  aus  anderen  Gründen  in  Zweifel  gezogen.  Eine  Angabe  fehlt,  ob 
der  Scythe  sitzt  oder  steht.  Jedenfalls  kam  es  dem  Künstler  oder  dem  fälschenden 
Lucian  darauf  an,  die  Person  zugleich  als  Scythen  und  als  Asklepiaden  zu  charak- 
terisieren; er  mußte  also  Bogen  und  Buch  zugleich  haben.  Der  Bogen  aber  ge- 
hörte in  die  L. ;  das  zeigt  Herodot  II  106. 

In  der  Sammlung  Le  Blants,  Les  sarcoph.  ehret,  de  la  Gaule,  habe  ich  in  der 
r.  Hand  stehender  Personen  das  Motiv  I  nur  einmal  angetroffen,  Tfl.  34.  Am  Rand 
rechts  eine  Einzelfigur;  daran  schließt  sich  links  eine  Gruppe  zu  zweien;  von  diesen 
beiden  Männern  senkt  der  links  stehende  die  Arme  und  legt  vor  dem  Unterleib  die 
Handwurzeln  übereinander;  dabei  hält  die  r.  Hand  das  Rollenbuch.    Darauf  folgt 


Problematische  Fälle. 


99 


nach  links  eine  weitere  Gruppe  von  zwei  Männern,  von  denen  wiederum  der  links 
angeordnete  eine  Rolle  vor  dem  Unterkörper  hält,  diesmal  aber  in  der  gesenkten  L. 
Vielleicht  hat  hier  der  Künstler  wieder  in  äußerlicher  Weise  nach  Abwechslung  ge- 
strebt und  die  beiden  Buch  tragenden  Personen  in  Kontrast  gesetzt. 

Hiermit  sei  der  späte  Sarkophag  von  Tarragona,  abgebildet  bei  Ficker,  Die 
altchristl.  Bildwerke  im  christl.  Mus.  des  Laterans  Tfl.  II,  verglichen.  Hier  hält  ein 
Christus  begleitender  Apostel  die  Rolle  in  der  R.,  während  die  L.  den  Mantelstreifen 
hält.  Neben  ihm  steht  Christus  mit  oder  ohne  Buch  (unklar)  und  nähert  die  leere 
gesenkte  R.  dem  Haupte  der  vor  ihm  knienden  Frau.  Jedoch  vermutet  Bauer  im 
Hinblick  auf  die  vorhandenen  Repliken,  daß  die  Rolle  in  des  Apostels  Hand  auf 
falscher  Ergänzung  beruht. 

Unzweifelhaft  ist  wieder  die  Rolle  in  der  R.  auf  einem  Sarkophagfragment  an- 
zuerkennen, das  sich  eingemauert  findet  im  Museo  Chiaramonti  Abt.  XV  Nr.  381 ; 
unsere  Abb.  52.  Man  sieht  eine  stehende 
Togafigur  und  die  Hand  einer  zweiten.  Beide 
sind  durch  eine  Säule  voneinander  getrennt, 
waren  doch  aber  anscheinend  einander  zu- 
gewendet. Die  Figur  links  hält  die  Rolle 
in  der  L.,  Motiv  Ia;  die  Hand  der  anderen 
Figur  ist  eine  Rechte;  und  auch  sie  hält  eine 
Rolle,  aber  im  Motiv  III  (s.  unten).  Die  Rollen 
sind  auffallend  groß,  d.  h.  von  auffälliger 
Blatthöhe.  Die  Eigentümlichkeit,  daß  auf  einem 
Säulensarkophag  das  Buch  vor  einer  Säule 
erscheint,  kehrt  auf  dem  christl.  Sarkophag 
im  Lateran  Nr.  174  wieder,  doch  erscheint  das 
Buch  dort  vielmehr  offen  und  abgerollt.  Ich 
zweifle  nicht,  daß  hier  eine  Überreichung 
stattfindet ;  schon  das  Berliner  Grabrelief 
(oben  S.  83)  kann  man  vergleichen.  Voll- 
ständig gesichert  wird  dies  durch  den  Sar-  Ab5  52.  Rei.  chiaramonti. 
kophag  in  Ravenna,  GARRUCCI  Tfl.  346,  mir  in 

Photographie  vorliegend,  wo  Christus  genau  in  derselben  Haltung  die  Rolle  mit 
der  R.  reicht:  d.  h.  er  faßt  sie  von  oben,  nicht  von  unten. 

Im  Mus.  Kircherianum  fand  ich  endlich  im  Gang  unter  anderen  kleineren 
statuarischen  Werken  die  Marmorbüste  einer  jungen  Frau  ohne  Nummer,  mit  der 
Rolle  in  der  R.  Das  Werk  ist  stark  geflickt.  Doch  bestätigt  mir  Amelunq  auf  An- 
frage die  Echtheit  der  Rolle:  „Antik  ist  ein  Teil  des  übrigens  idealen,  also  sicher 
nicht  zu  der  Büste  gehörigen  Kopfes  und  die  untere  Hälfte  der  Büste.  Spät-antoni- 
nische  Büstenform.  Der  Rand  der  Rolle  ist  mit  einem  dunkelgelben  Streifen  be- 
malt." Danach  ist  die  Figur  ein  Unikum,  denn  sie  gehört  zu  den  lecturi,  die  sonst 
nur  in  szenischen  Gruppen  oder  als  Sitzbilder  vorkommen. ') 

C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II. 

So  weit  das  Motiv  I,  das  bei  weitem  vorherrscht  und  ganz  vorzugs- 
weise der  linken  Hand  zukommt.  Wenn  ich  im  Verfolg  von  Motiv  I  rede, 
so  wird  von  den  Fällen,  wo  das  Buch  in  der  Rechten  vorkommt,  abgesehen. 


1)  Ich  will  schließlich  noch  bemerken,  daß  ich  gewisse  Terrakotten  im  Museum 
Athens  wie  Nr.  4493,  4910  u.  a.,  die  schon  wegen  ihrer  Provenienz  verdächtig  sind 
und  unmögliche  Buchmotive  bieten,  bei  meinen  Erörterungen  kurzerhand  über- 
gangen habe. 

7* 


100 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Das  Motiv  I  trennte  beide  Hände  und  gab  die  rechte  Hand  voll- 
ständig für  den  Gestus  frei.  Es  konnte  nun  aber  das  Bedürfnis  entstehen, 
die  Hände  einander  zu  nähern,  und  auch  dazu  konnte  das  Buch  helfen. 
Die  Kontur  der  Gestalt  erschien  dadurch  geschlossener,  der  Dargestellte 
geistig  gesammelter.  Doch  hat  die  ganze  statuarische  Kunst,  so  viel  ich 
sehe,  hierbei  das  Buch  merkwürdigerweise  verschmäht  und  sich  damit  be- 
gnügt die  Hände  selbst  ineinander  zu  legen.  Ein  anmutiges  Vorbild  gibt 
hierfür  die  Tanagrafigur  bei  Kekule,  Griech.  Tonfiguren  aus  Tanagra  Tfl.  IX, 
ein  Mädchen,  das  sinnend  steht  und  die  Hände  vor  dem  Unterkörper  zu- 
sammengelegt hat.  Dies  ein  Genrebild.  Dazu  eine  der  trauernden  Figuren 
von  dem  herrlichen  Sarkophag  aus  Sidon  „Les  Pleureuses".1)  Aber  auch 
für  Porträtstatuen  eignete  sich  diese  Haltung;  Christodor,  Ekphrasis  16,  be- 
schreibt uns  so  einen  Aristoteles: 

iCTajuevoc  be 
XeTpe  TrepiTrXeYbnv  cuveepyaGev. 

Für  den  sinnenden  Philosophen  ganz  angemessen.2)  Auch  der  bronzene 
Demosthenes  des  Polyeuktos  stand  da,  die  Finger  ineinander  gelegt  (Over- 
beck, Schriftquellen  1365  f.  ')  Wirklich  sieht  man  so  eine  griechische  Porträt- 
statue im  Mus.  Chiaramonti  286  (auch  hier  freilich  Ergänzung),  doch  steht 
nicht  fest,  daß  diese  einen  Redner  bedeutet.  Ähnlich  das  Philodamosrelief, 
Berlin  Nr.  1488.  Eine  stehende  bärtige  Figur,  die  Hände  vor  dem  Bauch 
zusammengelegt,  in  realistischer  Behandlung  finde  ich  im  Compte  rendu 
für  1875  (ed.  1878)  Tfl.  I  Nr.  1. 

Endlich  aber  und  vor  allem  kommt  dieselbe  Haltung  dem  Unfreien, 
dem  Gefesselten  zu  und  drückt  nicht  nur  die  geistige,  sondern  auch  die 
körperliche  Gebundenheit  aus;  vgl.  die  Gefangenen  und  Barbaren  an  der 
Attica  des  Constantinsbogens  bei  Reinach,  Repert.  I  S.  518,7;  519  f.  und 
II  S.  196;  so  kam  sie  auch  für  die  Darstellung  der  unterjochten  Nationes 
an  der  Neptunbasilika  in  Rom  zur  Verwendung.4)  Der  gefesselte  Petrus 
auf  dem  berühmten  Sarkophag  des  Junius  Bassus  ist  eben  hieran  zu  er- 
kennen.5) 


1)  Siehe  Revue  archeol.  1905,  Juli-August,  Tfl.  XII. 

2)  Auf  Gemälden  sah  man  Aristoteles  dagegen  brachio  exerto  abgebildet: 
s.  Apollinaris  Sid.  epist.  IX  9,  14. 

3)  Danach  der  Demosthenes  des  Vatikan;  s.  Hartwig,  Jahrbuch  XVIII  S.  25. 
Demosthenes  ist  damit  als  Trauernder  dargestellt;  die  Figur  des  Trauernden  auf  dem 
Relief  im  Jahrbuch  XX  S.  50  Abb.  2  kommt  ihm  gleich.  Ein  sentimentales  Bild- 
werk: Demosthenes  trauernd  über  den  Fall  Athens. 

4)  Siehe  Jahrbuch  XV  S.  14  Fig.  16;  nach  Matz-Dühn  3529  eine  „gefangene 
Barbarin". 

5)  Die  Gelehrten,  die  sich  damit  beschäftigen,  diesen  Sarkophag  zu  kommen- 
tieren, haben  hierauf  nicht  acht  gehabt.  Schwierigkeit  macht  dort  die  zweite  Szene 
des  oberen  Streifens:  ein  vornehmer  vollbärtiger  Mann  zwischen  zwei  Subalternen, 
die  nicht  als  Krieger  gekennzeichnet  sind,  aber  Hand  an  ihn  zu  legen  scheinen. 


C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II. 


101 


Das  Buchmotiv  II,  das  unsere  Abb.  53  —  58  zeigen,  erfüllt  auch  seiner- 
seits die  Aufgabe,  die  Hände  einander  zu  nähern;  aber  nur  oder  fast  nur 
die  Flächenkunst  der  Malerei  und  des  Reliefs  hat  sich  seiner  bedient.  Daß 


Abb.  57.  Abb.  58:  Thermenmuseum. 


beide  Hände  die  geschlossene  Rolle  umfassen,  wurde  nicht  beliebt  und 
läßt  sich  nur  in  der  Wandmalerei  nachweisen;  unsere  Abb.  65. *)  Vielmehr 


Daß  dies  ein  Gefangener,  zeigt  eben  die  Zusammenlegung  der  Hände  vor  dem 
Unterkörper.  Auf  diesem  Wege  wird  die  Vulgatansicht,  daß  es  sich  um  Petri  Ge- 
fangennahme handelt,  bestätigt. 

1)  Das  Frauenbild  von  Yecla,  ein  Belegstück  national  beeinflußter  (iberischer) 


102 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


ist  es  auch  hier  die  L.,  die  die  Rolle  hält;  sie  hat  das  Buch  nach  der 
Lektüre  eben  wieder  zusammengerollt  und  hält  es  nun  an  seinem  unteren 
Ende  aufrecht;  die  R.  aber  legt  ihre  Finger  bald  lose,  bald  fest  auf  den 
oberen  Rollenrand  oder  nähert  sich  ihm  auch  nur,  eine  Gebärde,  die  an- 
zeigt, daß  die  Schrift  soeben  gelesen,  daß  ein  Ruhepunkt  eingetreten  und 
daß  die  R.  nun  im  Begriff  ist,  sich  von  dem  Buch  zu  trennen.  Auch  wir 
machen  es  so,  wenn  wir  eine  Papierrolle  zusammenrollen,  daß  wir  da- 
nach mit  beiden  Händen  zugleich  das  obere  und  untere  Ende  anfassen  und 
ebenen,  damit  an  keiner  Seite  eine  Schicht  des  Aufgerollten  hervorrage, 
sondern  ein  glatter  Schnitt  entstehe. 

War  Motiv  I  das  Greifmotiv,  so  nennen  wir  das  jetzt  besprochene  das 
Tragmotiv;  denn  die  L.  trägt  gern  die  Rolle  auf  ihrem  Innern  (Ausnahme 
Abb.  57).  Zeigte  uns  ferner  Motiv  I  den  Menschen,  der  die  Lektüre 
längst  abgetan  hat,  so  zeigt  uns  Motiv  II  denjenigen,  der  sie  eben  erst 
abschloß,  so  daß  wir  ihn  uns  noch  als  intensiv  geistig  beschäftigt,  als  noch 
nach  innen  gekehrt  vorstellen  dürfen.  Eben  daher  wird  es  sich  erklären, 
daß  es  der  statuarischen  Kunst  fremd  blieb;  es  ist  kein  Repräsentations- 
motiv, sondern  genrehaft,  und  auch  den  Porträtstatuen  der  Philosophen  und 
Dichter  hat  man  diesen  genrehaften  Zug  nicht  verliehen. 

Nur  wo  die  Rolle  mit  einem  Band  oder  Riemen  umschlossen  erscheint 
(Abb.  56),  ist  etwa  anzusetzen  notwendig,  daß  die  Lektüre  schon  länger  ab- 
geschlossen war.  Doch  darf  dies  auf  eine  Mißdeutung  des  ursprünglichen 
Sinns  der  Erfindung  zurückgeführt  werden,  da  die  Belege  dafür  nur  der 
Spätzeit  und  vielleicht  nur  christlichen  Monumenten  verdankt  werden,  also 
kirchliche  Texte  anbetreffen.  Man  ahmte  den  Verschluß  der  jüdischen 
Rolle  nach.1) 

Dem  Genre  gehören  die  Terrakotten  an,  und  es  tritt  hier  der  seltene 
Fall  ein,  daß  ich  einmal  mit  ihnen  zu  beginnen  habe.  Während  sonst  die 
Terrakottafiguren  das  Buch  verschmähen  (oben  S.  50  f.),  finde  ich  eine  ein- 
zige, ein  Werkchen  jüngeren  Stils,  das  hierher  gehört  und  dabei  unser 
Motiv  II  schon  regelrecht  ausgebildet  zeigt;  eine  schlicht  dastehende  junge 
Frau;  sie  stammt  aus  Tanagra.  Die  Rolle  in  ihrer  Hand  ist  auffallend  groß. 
Das  entspricht  der  Beschaffenheit  der  Bücher  im  4.  Jahrh.  recht  gut.2) 

Die  hellenistische  Kunst  zeigt  uns  Motiv  II  sodann  auf  dem  Neapler 
Philosophenmosaik,  Abb.  59;  und  zwar  in  der  Hand  der  am  r.  Rande 

Kunst,  abgebildet  im  Jahrbuch  XIII  S.  128,  hält  einen  Becher  und  kein  Buch.  Eine 
Ausnahme  bringt  höchstens  das  S.  66  besprochene  Relief  des  Weinhändlers;  doch 
ist  die  dort  erwähnte  Abbildung  zu  undeutlich.  Den  Trajanbogen  in  Benevent  kenne 
ich  nur  nach  Photographie,  auf  dessen  Relief  mit  dem  Stieropfer  eine  der  lorbeer- 
bekränzten Figuren  des  Hintergrundes  einen  rollenähnlichen  Gegenstand  in  beiden 
zusammengelegten  Händen  zu  halten  scheint:  auch  dies  bleibt  etwas  zweifelhaft. 

1)  Hierüber  s.  Teil  IV  Abschnitt  13. 

2)  Siehe  F.  Winter,  Die  antiken  Terrakotten  II  S.  74,  4. 


C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II. 


103 


des  Bildes  dargestellten,  in  lebhafter  Haltung  aufrecht  stehenden  Figur. 
Wie  ist  die  Szene  zu  verstehen?  Während  alle  anderen  sechs  Gestalten  sinnen 
oder  untereinander  beschäftigt  scheinen  und  an  Aufbruch  nicht  denken,  so 
scheint  dagegen   die  besprochene  Figur  im  Begriff  die  Versammlung  zu 


Abb.  59:  Philosophenmosaik. 


verlassen;  denn  sie  steht  nicht,  sondern  schreitet  deutlich  nach  rechts  aus, 
mit  lebhaftem  Blick  auf  die  Versammlung  und  insonderheit  auf  die  stehende 
Eckfigur  des  1.  Randes  zurückschauend.  Diese  beiden  Eckfiguren,  die 
nicht  sitzen,  sind  augenscheinlich  nicht  nur  räumlich  Pendants,  sondern 
stehen  auch  in  geistiger  Beziehung.  So,  wie  das  Bild  uns,  vorliegt,  legt 
freilich  der  Philosoph,  der  als  Eckfigur  links  dient,  seine  1.  Hand  halbwegs  (!) 


104 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


auf  die  Schulter  des  neben  ihm  sitzenden  „Lysias",  während  seine  r.  Hand 
eine  Haltung  hat,  die  nichts  ausdrückt.  Es  könnte  also  scheinen,  daß  er 
mit  „Lysias"  spricht.  Schlecht  aber  paßt  dazu  seine  Kopfhaltung.  Diese 
Kopfhaltung  ist  vielmehr  ohne  Frage  die  des  Lesenden  und  die  Annahme 
notwendig,  daß  die  Gestalt  in  der  Vorlage  des  Mosaiks  zwischen  den  aus- 
gespannten Händen  eine  offene  Buchrolle  hielt.  Man  vergleiche  die  Abbil- 
dungen von  Lesenden,  die  ich  späterhin  geben  werde,  um  sich  über  die  Analogie 
klar  zu  werden.1)  Überdies  aber  ist  die  Vorlesungsszene  auf  dem  christlichen 
Sarkophag  des  Lateran  Nr.  172,  Garrucci  Tfl.  371,  1  analog;  ein  sitzender 
bartloser  Mann  liest  aus  einem  offnen  Buch;  zwei  Frauen  hören  zu  und 
heben,  ergriffen  von  dem  heiligen  Inhalt,  betend  die  Hände.  Rechts  zur 
Seite  aber  steht  auch  hier  ein  zweiter  Mann,  blickt  auf  die  Gruppe  zurück 
und  hält  die  Rolle  just  ebenso  wie  die  r.  Eckfigur  des  Mosaiks  im  Motiv  IL 
Er  hat  seinerseits  zu  lesen  aufgehört.  Demgemäß  haben  wir  nun  in  der 
Philosophenversammlung  fünf  Zuhörer,  von  denen  drei  vor  sich  hinschauen, 
zwei  ihr  Gesicht  dem  Vortragenden  zuwenden,  dazu  als  Eckfigur  links  den 
Vortragenden  selbst,  als  Eckfigur  rechts  einen  solchen,  dessen  Vorlesung 
eben  zu  Ende  ist.  Der  letztere  ist  als  solcher  durch  Körperhaltung  und 
Buchmotiv  jedenfalls  auf  das  deutlichste  kenntlich  gemacht.2) 

Weitere  Belege: 

Pompeji,  Vettierhaus,  Saal  der  Amorettenszenen:  im  obersten  Streifen  der  Wand- 
dekoration architektonische  Durchblicke  mit  Figuren;  an  der  r.  Seitenwand  er- 
scheint in  der  Ecke  eine  sitzende  Frau  und  ein  stehender  Mann;  der  letztere  hält 
eine  geschl.  Rolle,  Motiv  II,  aber  zugleich  so,  daß  er  sie  dabei  unters  Kinn  lehnt. 
Hierüber  ist  noch  späterhin  zu  reden.    An  seinem  1.  Bein  hohe  Capsa. 

Wie  in  diesem  pompejanischen  Bild,  so  erkennt  man  den  Abschluß  der 
Lektüre  auch  im  Vergilporträt  des  Cod.  Vaticanus  n.  3867  (R):  der  Dichter  sitzt 
einsam  mit  der  Rolle,  Motiv  II;  neben  ihm  ein  Lesepult;  s.  Stephan  Beissel,  Vati- 
kanische Miniaturen,  1893,  Tfl.  II;  unsere  Abb.  112. 

Seltsam  sodann  das  kleine  Relief  Nr.  6594  im  Neapler  Museum,  Saal  VI  (del 
vaso  di  Gaeta):  zwei  Gewandfiguren,  beide  en  face,  sitzen  auf  einem  Wagen,  der 
sich  nach  rechts  bewegt  und  dessen  Rosse  in  schneller  Fahrt  sind;  beider  Köpfe 
fehlen;  beide  aber  halten  geschl.  Rolle  1.,  Motiv  II.  Ein  auf  einem  Wagen  Lesender 
erscheint  auch  im  Mus.  Chiaramonti  Nr.  328;  vgl.  oben  S.  32. 

Es  ist  bezeichnend,  daß  auf  der  Trajans-  und  Antoninsäule  und  ver- 
wandten szenischen  Bildern  das  Motiv  II  zu  fehlen  scheint.  Dagegen  steigert 
sich  seine  Häufigkeit  auf  den  Sarkophagen,  und  zumal  geben  wiederum  die 
christlichen  Ausbeute. 


1)  Ich  möchte  hierbei  auch  an  eine  Terrakotte  in  Odessa  erinnern,  bei  Winter, 
Terrakotten  II  S.  465,  5:  ein  sitzender  Alter;  er  streckt  Arme  und  Hände  gleichmäßig 
mühsam  aus,  als  hielte  er  eine  Rolle;  aber  die  Hände  sind  leer. 

2)  Das  Philosophenmosaik  der  Villa  Albani  zeigt,  wenn  mich  die  Abbildungen 
nicht  täuschen,  überhaupt  keine  Bücher  mehr  und  hat  sich  ohne  Frage  von  der 
ersten  Erfindung  des  Originals  noch  viel  weiter  entfernt;  s.  SOGLIANO  in  Monum. 
acad.  d.  Lincei  VIII  S.  391  f. 


C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II. 


105 


Zunächst  eine  literarische  Unterhaltung,  bei  Robert,  Sarkophagreliefs  II  1 
Tfl.  142a;  vier  Männer  mit  Rollen;  zwei  zeigen  Motiv  I,  zwei  Motiv  II.  Das  Nähere 
undeutlich. 

Besser  das  große  Relief  im  Lateran,  Saal  I  Nr.  16,  unsere  Abb.  87:  unter  den 
Zuhörenden  zeigt  die  Frau  links  vom  Vorleser  Motiv  II,  zwei  Männer  Motiv  I; 
s.  unten. 

Vatikan,  Mus.  Chiaramonti  248:  Bruchstück  eines  Musenreliefs  mit  Dichter; 
im  Vordergrund  des  Reliefs  vier  Figuren;  1.  sitzende  Muse  mit  Leier;  ihr  ent- 
sprechend am  r.  Ende  sitzende  Muse  mit  Schreibheft  (Diptychon?)  und  Stilus; 
zwischen  beiden  stehend  der  Dichter  und  eine  dritte  Muse;  diese,  en  face,  zeigt  das 
Motiv  II,  und  zwar  nach  dem  Schema  unserer  Abb.  56.  Diktiert  sie  der  Schreibenden, 
der  sie  sich  zuwendet?  Der  Dichter  selbst  ist  ihr  abgewandt  und  lauscht  indes 
der  Leierspielerin. 

Im  übrigen  möge  hier  folgendes  Verzeichnis  genügen: 

Rom,  Pal.  Farnese:  Sarkophag  im  offenen  Hof:  Medaillonbildnis  des  Gestor- 
benen, Motiv  II:  bei  Matz-Duhn  2594  fehlt  Angabe;  aber  vgl.  Garrucci  403,  1. 

Vatikan,  Giardino  della  Pigna  175:  Sarkophagfragment:  der  Gestorbene,  ein 
Jüngling,  vor  einem  Vorhang  sitzend,  Motiv  II.    Neben  ihm  ein  Rollenbündel. 

Ebenda,  Nr.  65:  weibliches  Brustbild  in  Medaillon,  Motiv  II. 

Ebenda,  Nr.  123:  Sarkophagdeckelstück:  weibliches  Brustbild  mit  Rolle,  Motiv  II. 

Musr  Chiaramonti  380:  Fragment  einas  Säulensarkophags:  stehende  Frau, 
Motiv  II.    Rest  eines  Kindes  daneben.    Vielleicht  die  Gestorbene? 

Ebenda,  Galleria  lapidaria  162:  Sarkophag,  geriefelt,  mit  zwei  Büsten  auf 
Postamenten,  bärtig  und  unbärtig;  beide  zeigen  Motiv  II. 

Rom,  Via  dell'  Anima  10,  Kindersarkophag,  Matz-Duhn  2546;  geriefelt;  in  der 
Mitte  stehende  Frau,  Motiv  II. 

Rom,  Pal.  Salviati,  Matz-Duhn  2621:  geriefelt;  Medaillon  mit  der  Büste  eines 
Knaben,  Motiv  II. 

Capitolin.  Mus.,  im  Hof:  Sarkophag  ohne  Nummer:  im  Medaillon  Frau  mit 
Rolle,  Motiv  II. 

Ebenda,  Halle,  Zimmer  III:  Sarkophag  ohne  Nummer:  im  Medaillon  Frau  mit 
Rolle,  Motiv  II. 

Lateran,  Mus.  profano  Saal  XII  Nr.  826:  Sarkophag;  Brustbild  im  Medaillon, 
Motiv  II;  die  r.  Hand  liegt  besonders  fest  auf  dem  Konvolut;  s.  Abb.  54. 

Genua,  eingemauertes  Sarkophagrelief  an  der  Facade  von  S.  Matteo;  rechts 
und  links  von  der  Mitte  je  vier  stehende  und  schreitende  Knaben  mit  Körben  und 
Jagdbeute;  in  der  Mitte  vor  einem  Vorhang  stehender  bartloser  Togatus,  Motiv  II. 

Pisa,  Campo  Santo1):  Sarkophag  ohne  Nummer  neben  der  Nr.  32  und  36;  im 
Medaillon  bartloser  Mann,  Motiv  II. 

Ebenda,  Abteilung  XV:  Sarkophag  ohne  Nummer:  in  der  Mitte  der  Hauptfläche 
die  im  Relief  ausgeführte  Büste  eines  bartlosen  Mannes:  Motiv  II. 

Ebenda:  großer  gerundeter  Sarkophag  Nr.  XI:  abgetrennt  von  den  zwei  Haupt- 
figuren eine  weibliche  Figur  mit  Rolle:  Motiv  II. 

Mailand,  S.  Ambrogio,  Stilichosarkophag  (Abb.  bei  Ed.  Heyck,  Deutsche  Ge- 
schichte I  1905,  S.  77;  fehlt  bei  DÜTSCHKE  Bd.  V):  Ehepaar;  der  Mann  hält  Rolle, 
Motiv  II. 

Paris,  Louvre:  Sarkophag  mit  Bacchuszug  und  Brustbild  eines  Mannes  in 
konsularischer  Tracht:  Reinach,  Rep.  I  26. 

Ebenda:  Sarkophag  mit  Medaillon-Brustbild  eines  jungen  Mannes:  Motiv  II; 
Reinach  I  71,  3. 

Grabrelief  aus  Enns,  in  Mitt.  der  Zentralkommission  1903  Sp.  85:  ein  Ehepaar; 
der  Mann  hält  die  Rolle,  Motiv  II.2) 


1)  Meine  Notizen  reichen  nicht  aus,  um  die  hier  notierten  Sarkophage  von  Pisa 
mit  den  Nummern  bei  Dütschke  Bd.  I  zu  identifizieren. 

2)  Nach  Maü's  Mitteilung. 


106 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Dazu  die  christlichen  Monumente: 

Rom,  Domitillakatakomben;  Arcosolio  mit  Fresken  (nicht  bei  Wilpert):  Petrus 
und  Paulus  in  Ganzfigur;  ersterer  links,  letzterer  rechts;  beide  halten  eine  Rolle  im 
Motiv  II.  Ihre  Hände  sind  rotbraun,  die  Rollen  haben  bläulichweißen  Farbenton 
wie  das  Gewand. 

Ebenda,  Callistkatakomben  (Wilpert  Tfl.  134,  1  und  S.32):  am  Plafond  großes 
eingerahmtes  Brustbild  (weiblich?),  Motiv  IL 

Ebenda:  Cimetero  di  Commodilla,  mit  Basilika:  Lucas  mit  Rolle,  Motiv  II; 
s.  Nuovo  Bullettino  di  arch.  Christ.  X  1904,  Tfl.  7. 

Ebenda:  in  Ponzian,  Fresko  des  5.  Jahrh.,  Heilige  stehend;  Wilpert  Tfl.  255: 
Petrus  und  Pumenius  zeigen  das  Motiv  II;  die  Rolle  ist  in  der  Mitte  von  einem 
Band  umschlungen;  Rolle  und  Rollenband  weiß. 

Mosaikplafond  in  S.  Prisco  bei  Capua,  Garrucci  Tfl.  255,  in  einem  der  kleinen 
Felder  stehen  Sophonias  und  Jacobus  nebeneinander,  beide  Motiv  II. 

Rom,  Treppenhaus  von  S.  Agnese  f.  1.  m.:  eingemauertes  Medaillonbildnis: 
junger  Mann,  Motiv  II. 

Ebenda:  Domitillakatakomben;  Basilika  der  Petronilla:  Sarkophag  mit  Mittel- 
bild, stehende  Figur  zwischen  zwei  Säulen:  Motiv  II. 

Ebenda:  Katakomben  S.  Callisto:  Sarkophag  in  der  Cap.  dei  sarcofagi:  stehende 
Frau  in  Medaillonbildnis;  sie  hält  ein  gewaltiges  Konvolut,  Motiv  II;  vgl.  Kraus, 
Roma  sotterr.  Figur  58;  unsere  Abb.  53. 

Ebenda:  Thermenmuseum ,  Eingang  D:  in  einem  kleineren  Zimmer  christl. 
Sarkophag:  Christus  bartlos  dargestellt,  zeigt  hier  zweimal  das  Motiv  I;  außerdem 
erscheint  eine  bärtige  Figur  mit  Rolle  im  Motiv  II,  s.  Abb.  55. 

Ebenda,  Mus.  Kircherian.,  christliche  Reliefs,  alle  unnumeriert:  Relief  mit  Brust- 
bild eines  bärtigen  Mannes,  Motiv  II;  aber  auf  demselben  Relief  kehrt  Motiv  II  noch 
sonst  wieder. 

Lateran,  altchristl.  Mus.,  Treppenhaus,  Sarkophagdeckel  Nr.  126:  Büste  einer 
Frau  mit  Motiv  II. 

Ebenda:  Sarkophag  Nr.  184:  Brustbild  des  Gestorbenen,  im  Clipeus,  Motiv  II. 
Ebenda:  Sark.-Relief  Nr.  177  mit  den  zwölf  Aposteln;  einige  zeigen  Motiv  II. 
Ebenda:  schöner  Sarkophag  Nr.  178:  im  Muschelclipeus  Brustbild  des  Ge- 
storbenen, Motiv  II:  Garrucci  Tfl.  367,  3;  vgl.  unsere  Abb.  57. 
Ebenda:  Relief  Nr.  163:  Frau  stehend,  mit  Rolle,  Motiv  II. 

Ebenda:  Sarkophag  Nr.  128:  im  eckigen  Mittelbilde  Halbfigur  einer  Frau, 
Motiv  II;  Garrucci  Tfl.  359,  3. 

Ebenda:  Sarkophag  Nr.  116:  gibt  vier  Rollendarstellungen;  z.  B.  Ansage  der 
Verleugnung;  beide,  Petrus  und  Christus,  halten  Rolle;  ersterer  Motiv  II,  letzterer 
Motiv  I.    Wenig  passend. 

Ebenda:  Deckelfragment  Nr.  113:  männliche  Figur,  Motiv  II;  schwerlich  Jesus, 
der  dies  Motiv  sonst  nicht  zeigt. 

Ebenda:  Sarkophag  Nr.  138  Christus  und  Apostel:  gibt  sieben  Rollendarstel- 
lungen; ein  ältlicher  Mann  zeigt  Motiv  II;  s.  Abb.  56. 

Ebenda:  Sarkophagteil  Nr.  108:  Halbfigur  einer  Frau  im  Medaillon,  Motiv  II; 
Garrucci  Tfl.  359,  2. 

Ebenda:  Oberer  Kreuzgang  Abt.  XIV  Nr.  1:  auf  Steinfläche  gravierte  männliche 
Halbfigur,  Motiv  II. 

Ebenda:  Oberstock;  Kopien  nach  Katakombenfresken,  bes.  aus  S.  Callisto: 
Zimmer  II:  Christus  thronend,  ohne  Buch;  vor  ihm  Scrinium;  neben  ihm  die 
Jünger;  einer  zeigt  Motiv  II  (Wilpert  Tfl.  193  nach  dem  Original). 

Ebenda:  Kopie  aus  S.  Clemente:  Madonna  mit  Kind;  das  Kind  hält  die  Rolle, 
Motiv  II. 

Ravenna:  Apostelsarkophag  in  S.  Francesco:  stehender  bärtiger  Apostel  zur 
Linken  Christi  (Paulus),  Motiv  IL 

Ebenda:  sarcophagus  S.  Liberii  in  S.  Francesco:  erster  (bartloser)  Jünger 
links,  stehend,  Motiv  IL 


C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II.  107 

Cagliari:  Sarkophag  im  Dom;  Mittelfeld:  vor  einem  Parapetasma  Büste  eines 
bärtigen  Mannes,  Motiv  II.1) 

Syracus:  dreistreifiger  Sarkophag:  Medaillon,  Motiv  II;  GarrüCCI  Tfl.  365,  1. 

Paris,  Louvre:  christl.  Sarkophag:  REINACH,  Repert.  I  S.  117:  auf  der  Seiten- 
fläche die  vier  Evangelisten;  an  den  Büchern  in  ihren  Händen  dürfte  allerlei  dem 
Ergänzer  gehören;  doch  zeigt  der  dritte  von  links  das  richtige  Motiv  II;  die  Rolle 
mit  ringartigem  Band  umwunden. 

LE  Blant,  Les  sarc.  ehret,  de  la  Gaule  Tfl.  14,  2  im  Medaillon;  Tfl.  40,  3 
ebenso;  vgl.  Marseille,  Chat.  Borely  Nr.  34.  In  demselben  Tafelwerk  bisweilen  auch 
bei  stehenden  Ganzfiguren,  besonders  Aposteln,  z.  B.  Tfl.  7,  2,  11,  1  u.  22,  1. 

Palmyrenischer  Grabstein  bei  JOSEF  Strzyoowski,  Orient  u.  Rom  (1901)  S.  22, 
Fig.  5:  Mann  und  Frau  im  Brustbild  nebeneinander;  die  Hände  sichtbar;  die  Frau 
hält  Spindel  und  Kunkel  in  der  L.,  der  Mann  die  Rolle  nach  dem  Motiv  II;  doch 
nähert  sich  die  r.  Hand  nur  dem  Kopf  des  Buches. 

Die  Goldgläser  zeigen  weit  öfter  das  Motiv  II  als  das  Motiv  I  sowohl  bei 
Brustbildern  wie  bei  stehenden  Figuren;  s.  bei  GARRUCCI  III  Tfl.  181,  2;  186,  2;  190,3; 
193,  3;  183,  4  u.  6  und  189,  6;  auf  letzterem  Bilde  zwei  stehende  Figuren  mit  dem 
gleichen  Motiv;  und  an  beiden  Rollen  ist  oben  ein  Sittybos  befestigt. 

Reliquiar  des  S.  Peter,  mit  stehenden  heiligen  Figuren  geschmückt:  darunter 
dreimal  Motiv  II:  s.  Römische  Quartalschrift  1893,  Tfl.  18. 

Es  ist  schon  hervorgehoben,  daß  in  Abbildung  57  das  Motiv  nicht 
vollständig  verwirklicht  ist;  vielmehr  erkennt  man  das  Motiv  I  und  den 
festen  Griff  der  1.  Hand,  während  gleichzeitig  die  r.  Hand  sich  dem  Kopf 
der  Rolle  nähert.  Sehr  ähnlich  der  Sarkophag  ohne  Nummer  im  Lateran, 
Mus.  prof.  Zimmer  V,  wo  der  im  Relief  Dargestellte  eine  übrigens  in  zwei 
Teile  gespaltene  Rolle  nach  dem  Motiv  Ib  mit  der  L.  fest  umschlossen 
hält;  die  Rechte  aber  nähert  sich  mit  zwei  Fingern  dem  oberen  Buchende. 
Ebenso  auch  Lateran,  christl.  Mus.  Nr.  104  (Garrucci  Tfl.  365,  2)  und  der 
Sarkophag  von  Arles  bei  Garrucci  Tfl.  366,  2. 

In  allen  Fällen  ruht  auch  hier  das  Buch  in  der  L.  Die  einzige  Aus- 
nahme hierzu,  die  ich  kenne,  ist,  wie  sich  auf  den  ersten  Blick  ergibt,  durch 
Symmetrie  und  den  Kontrast  der  Anordnung  hervorgerufen  (vgl.  oben  S.  95). 
Auf  dem  christl.  Sarkophag  des  Lateran  (Treppenhaus  Nr.  177)  verteilen 
sich  die  zwölf  Apostel  ebenmäßig  zu  je  sechs  auf  die  zwei  Hälften  der 
Platte.  Hier  hat  die  vierte  Figur  auf  der  linken  Hälfte  das  Motiv  II  in  der 
oben  besprochenen  Weise;  ihr  entspricht  die  vierte  Figur  auf  der  rechten 
Hälfte,  und  hier  dreht  sich  nun  das  Motiv  um,  d.  h.  die  Rolle  steht  hier  in 
der  r.  Hand,  und  am  oberen  Ende  der  Rolle  liegen  die  Finger  der  Linken. 

Das  Motiv  II  begegnet  uns  also  am  frühesten  in  Szenen  oder  Gruppen, 
die  in  Handlung  sind;  wo  dies  aber  der  Fall,  ist  es  mehr  als  einmal  eine 
Rezitation,  bei  der  das  Motiv,  wie  ausgeführt  wurde,  durchaus  passend  sich 
einstellt.  Vornehmlich  aber  eignet  dasselbe  den  Sarkophagen  und  zwar 
besonders  wieder  den  Toten  selber.  Als  isoliert  stehende  oder  sitzende 
Figur  fanden  wir  den  Gestorbenen  zehnmal,  als  Brustbild,  Büste,  Halbfigur 

1)  Bullettino  arch.  Sardo  IV  S.  145  f.  mit  Tafel.  Ebenda  Bd.  V  S.  168  wird  für 
einen  zweiten  Sarkophag,  daselbst,  dasselbe  Motiv  angegeben;  die  beigegebene  Ab- 
bildung jedoch  zeigt  Motiv  I. 


108 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


fanden  wir  ihn  etwa  achtmal,  endlich  im  Medaillon,  das  gleichfalls  in  Nach- 
ahmung der  Medaillonporträts,  die  wir  aus  Pompeji  kennen,  regelmäßig  nur 
ein  Brustbild  aufnimmt,  fanden  wir  ihn  etwa  sechzehnmal  durch  das  Buch- 
motiv II  charakterisiert.  Dies  ist  ungefähr  die  Hälfte  der  Belege.  Solche 
Brustbilder  im  Clipeus  sind  aber  noch  viel  häufiger;  vier  weitere  Beispiele 
gleich  bei  Garrucci  Tfl.  357.  Die  Büsten  sind  nun  aber  oftmals  am  Relief- 
grund des  Sarkophags  wie  freistehende  plastische  Werke  ausgearbeitet,  und 
so  steht  denn  mit  ihnen  jene  Büste  auf  gleicher  Linie,  die  sich  im  Hof  des 
Thermenmuseums  zu  Rom  befindet,  die  gleichfalls  das  Motiv  zeigt  und  die 
in  Figur  58  abgebildet  ist. 

An  diese  kleine  Büste  aber  erinnert  weiter  die  sog.  „Matidia"  in  den  Uffizien 
(DÜTSCHKE  III  Nr.  109):  eine  Büste  mit  Händen  und  Rolle  in  der  L.  DÜTSCHKE  sagt, 
ohne  die  Rolle  zu  erwähnen,  daß  die  Hände  „mit  der  scheinbar  sehr  ausdrucks- 
vollen, aber  völlig  nichtssagenden  Gebärde"  dem  Ergänzer  gehören.  Mir  schienen 
diese  Hände  unverdächtig  und  ich  hielt  sie  im  Hinblick  auf  die  besprochene  Büste 
des  Thermenmuseums  für  echt.  Erst  später  gelang  es  mir  W.  AMELUNG,  Führer 
durch  die  Antiken  in  Florenz  (1897)  Nr.  49  einzusehen;  danach  ist  1.  Hand  mit 
Rolle  echt  und  nur  Teile  sind  daran  durch  den  Ergänzer  hergestellt. 

Ein  weibliches  Brustbild  sehr  anderer  Art  und  Bestimmung  sah  ich  im  Museum 
zu  Lyon,  unter  den  römischen  kleinen  Bronzen  Nr.  44;  es  sei  der  Merkwürdigkeit 
halber  hier  nicht  übergangen.  Das  Brustbild  diente  als  Gewicht;  ein  Griff  zum  Auf- 
hängen ist  an  seinem  Kopf  angebracht  und  am  Griff  befindet  sich  eine  Zahl;  wenn 
ich  richtig  las,  XXXXV.  Auch  diese  Frau  hält  nun  eine  geschl.  Rolle,  freilich  sehr 
flach  gearbeitet,  im  Motiv  II. 

Warum  aber,  so  fragen  wir,  wurde  nun  just  das  Motiv  II  für  den  Toten 
beliebt?  Das  Buch  ist  hier  das  Buch  des  Lebens;  sein  Inhalt  währte  so 
lang,  wie  das  Leben  währt;  und  die  Fata  scribunda  hat  es  geschrieben 
(oben  S.  69  ff.).  Hier  ist  der  Ort,  die  wertvolle  Stelle  aus  Artemidor  Oneiro- 
krit.  II  45  herzusetzen,  wo  jemand  ein  Buch  im  Traum  sieht  und  es  zur 
Erklärung  heißt:  tö  ßißXiov  xöv  ßiov  tou  iöövtoc  cr|U.cuvei"  biepxovTai 
fäp  t&  ßtßXiu  oi  avGpujrroi  wcrrep  Kai  töv  ßiov.  So  dachte  man  wirk- 
lich. Es  läßt  sich  nicht  verkennen.  In  alten  Zeiten  reichte  daher  die  Furie 
oder  Parze  selbst  dem  Sterbenden  das  Buch  zum  Zeichen  dar,  daß  sein 
Inhalt  nunmehr  in  der  Sterbestunde  erfüllt  sei  (oben  S.  84  f.).  Späterhin 
fehlt  die  Parze  und  es  genügt,  daß  der  Gestorbene  selbst  es  mit  der  Ge- 
bärde hält,  die  anzeigt:  der  Inhalt  der  Rolle  ging  eben  zu  Ende.  Das 
Leben,  das  einst  so  weit  offen  lag  wie  ein  aufgeschlagenes  Buch,  ist  für 
immer  zugerollt.  Explicit!  Endlich  aber  füllte  sich  dies  Buch  gewiß  in  des 
Christen  Händen  mit  evangelischer  Hoffnung;  vgl.  oben  S.  71.  Darum 
zeigen  auch  die  Apostel  und  Heiligen  so  oft  dasselbe  Motiv  II. 

Zugleich  aber  begreift  man,  weil  dem  so  ist,  daß  Christus  fast  nie, 
nie  auch  der  römische  Kaiser  das  Buch  in  diesem  Schema  hält.1) 

1)  Christus  mit  dem  Motiv  II  habe  ich  nur  auf  den  späten  Sarkophagen  in  Marseille, 
Chäteau  Borely  Nr.  38  u.  39  gefunden  (Christus  thronend);  vgl.  Garrucci  343,  1;  346,  1. 
Ein  vereinzelter  späterer  Beleg,  als  Brustbild,  in  S.  Prassede;  s.  das  Schlußkapitel. 


C.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  II. 


109 


An  dem  allegorischen  Wert  des  Motivs  ist  nicht  zu  zweifeln,  und  er 
wird  nun  noch  durch  ein  spätägyptisches  eindrucksvolles  Bild  bestätigt,  das 
sich  auf  einem  Leichentuch  befindet.  Zwischen  Osiris  und  Anubis  steht 
da  der  Gestorbene,  unbärtig,  reich  gewandet,  und  hält  ernst  und  gedanken- 
voll die  Rolle  im  Motiv  II.1)  Damit  sind  wir  in  die  schöne  hellenistische 
Zeit,  der  auch  das  Philosophenmosaik  angehört,  wieder  zurückgeführt. 
Schon  damals  kam,  wie  dies  Leichentuch  lehrt,  das  Motiv  II  dem  Toten 
zu,  und  er  steht  damit  zwischen  Anubis  und  Osiris,  den  Göttern  der  Toten 
und  der  Seligen. 

Da  endlich  aber,  wo  das  Motiv  in  Gruppenbildern  später  Erfindung 

vorkommt,  haben  wir  oftmals  den  Eindruck,  daß  es  seinen  ursprünglichen 

Sinn  verloren  hat  und  nur  mechanisch,  weil  es  den  Figuren  eine  gute 

Pose  gab,  weiter  verwendet  wird.   Dies  gilt  vornehmlich  von  Aposteln  und 

Heiligen,  wenn  sie  einzeln  oder  in  einer  Reihe  ohne  Handlung  als  Statisten 

dastehen.    Es  gilt  aber  auch  von  einem  Theaterbild  im  Terenz,  auf  das 

ich  noch  kurz  einzugehen  habe: 

Im  Phormio  des  Terenz  v.  348  treten  drei  Advocati  auf,  die  zunächst  eine 
durchaus  stumme  Rolle  spielen.  Dem  Illustrator  aber  war  dies  zu  langweilig,  und 
er  läßt  sie  in  dem  Bilde  zu  Phorm.  II  3  sich  trotzdem  lebhaft  miteinander  unter- 
halten.-) Der  mittlere,  Cratinus,  peroriert,  die  andern  zwei,  Hegio  und  Crito,  hören 
ihm  zu.  Dabei  entbehrt  Hegio  jedes  Emblems,  Cratinus  hält  eine  kleine  offene 
Wachstafel,  das  Innere  nach  außen  gekehrt3),  Crito  aber  die  Buchrolle,  Motiv  II. 
Dies  Motiv  wird  dadurch  gesichert,  daß  Vaticanus  und  Ambrosianus  darin  überein- 
stimmen (im  Parisinus  ist  die  Figur  nur  halb  zu  sehen).  Erst  in  der  nächsten 
Szene  II  4  treten  beim  Dichter  die  Advocati  wirklich  in  die  Handlung  ein  (v.  446), 
und  in  dem  entsprechenden  nächstfolgenden  Bilde1)  ist  die  Rolle  verschwunden; 
Crito  hat  sie  mit  der  1.  Hand  unters  Gewand  gesteckt;  Cratinus  dagegen,  obwohl 
mit  Demipho  im  Gespräch,  trägt'  noch  unentwegt  seine  offene  Tafel  in  der  L. 
Augenscheinlich  sind  hier  Tafel  und  Rolle  nur  als  Merkzeichen,  um  den  Beruf 
dieser  Männer  anzuzeigen,  verwandt,  und  das  Motiv  II  ist  auch  hier  schon  verblaßt 
und  ausdrucklos  geworden.  Es  bot  für  den  Statisten  auf  der  Bühne  den  Vorteil, 
beide  Hände  zu  beschäftigen. 

Ich  glaube  daher,  und  es  ist  auch  sonst  einleuchtend,  daß  die  Terenz- 
illustrationen  gewiß  nicht  älter  als  das  Ende  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.  sind; 
wahrscheinlich  gehören  sie  erst  dem  5.— 6.  Jahrh.  an;  worüber  später. 


1)  Siehe  Denkschriften  der  Wiener  Akad.  d.  W.  1905,  Bd.  51,  S.  149  Abb.  10. 

2)  Siehe  Harvard  Studies  Bd.XIV  Tfl.36-38.  Vgl.  Wieseler,  Theatergebäude  X  7. 

3)  Der  Ambrosianus,  der  daraus  einen  großen  Codex  macht,  veruntreut  die  echte 
Überlieferung;  man  vergleiche  die  Darstellung  von  Tafeln  im  Baptisterium  orthodoxum 
zu  Ravenna.  Durch  dies  und  vieles  andere  wird  angezeigt,  daß  der  Vaticanus  dem 
antiken  Original  viel  näher  steht  als  der  Ambrosianus.  Als  Inhalt  der  Tafel  sind 
etwa  Quittungen  zu  denken ,  wie  sie  die  pompejanischen  Wachstafeln  enthalten. 
Nicht  richtig  hierüber  O.  ENGELHARDT,  Die  Illustrationen  der  Terenzhandschriften  S.  54. 

4)  A.  a.  0.  Tfl.  40-42. 


110 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


D.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  III. 

Das  Motiv  I  zeigte  uns,  welch  fester  Griff  nötig  und  üblich  war,  wenn 
man  ein  Papyrusbuch  trug.  Die  gerollte  Charta  fiel  nur  zu  leicht  aus- 
einander. Ein  Augenblick  der  Unachtsamkeit  genügte,  und  die  Auflösung 
der  Blättermasse  trat  ein.  Die  Vorsicht  gebot,  das  Buch  so  fest  zu  halten. 
Auch  das  Motiv  II  verrät  Sorglichkeit,  da  es  beide  Hände  beschäftigt^  es 
sicherte  den  Zusammenhalt,  da  die  Hände  das  Buch  zugleich  oben  und 
unten  oft  nicht  ohne  Kraftaufwand  zu  fassen  scheinen.  Sehr  viel  seltener 
ist  nun  auf  den  Monumenten  die  losere  Handhaltung  anzutreffen,  die  ich  als 
Motiv  III  bezeichnen  will;  vgl.  Abb.  61.  Sie  ist  etwa  die,  mit  der  wir  einen 
Zeichenstift  oder  Federhalter  anzufassen  pflegen.     Der  Kraftaufwand  ist 


stehende  übertragen  worden.  Überall  aber  kann  angenommen  werden,  daß 
die  Person,  die  das  Buch  trägt,  mit  seinem  Inhalt  im  gegenwärtigen  Augen- 
blick nicht  beschäftigt  ist,  sondern  die  Lesung  seit  langem  abgeschlossen 
hat.  Daher  erscheint  das  Buch  auch  hier  -  mit  Ausnahme  der  etruski- 
schen  Denkmäler  —  fast  durchweg  in  der  1.  Hand. 

Zunächst  also  die  Liegenden.  Die  übrigens  recht  garstige  Deckel- 
figur der  etruskischen  Aschenkiste  zu  Pisa  in  Abb.  60  ist  dafür  ein  Beleg. 
Sie  hält  zugleich  in  der  gewaltigen  R.  die  offene  Schreibtafel,  in  der  L. 
die  geschlossene  Rolle.  Ähnliche  Monumente  sind  oben  S.  92  angeführt. 
Man  sieht,  daß  hier  der  Rolle  weniger  durch  die  Hand,  als  vielmehr  durch 
die  Unterlage  der  Hand  ein  Halt  gegeben  wird. 

Sehr  auffällig  muß  aber  erscheinen,  daß  die  Figur  der  Gestorbenen 
hier  zwei  Beschreibstoffe  gleichzeitig  hält  und  dafür  beide  Hände 
verwenden  muß,  und  wir  dürfen  an  diesem  Umstand  nicht  vorübergehen. 


Abb.  60:  etruskische  Aschenkiste,  Pisa. 


geringer.  Die  Finger  der  L. 
legen  sich  nicht  im  rechten 
Winkel  um  den  Leib  des  Kon- 
voluts,  um  den  Zusammenschluß 
zu  sichern,  sondern  liegen  loser 
an  ihm  entlang,  so  daß,  wenn 
die  Hand  sich  senkt,  Gefahr  ist, 
daß  die  Rolle  ihr  entgleitet  und 
die  Rollung  sich  innerlich  nach 
vorne  schiebt.  Das  Motiv  III  ist 
überhaupt  das  seltenste.  An- 
gebracht war  es  eigentlich  nur 
für  Liegende,  Sitzende  und  Über- 
reichende; doch  ist  es  auch  auf 
frei  und  mit  gesenkter  Hand  Da- 


D.  Geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  III. 


111 


Ich  erblicke  hierin  eine  Illustration  dessen,  was  ich  über  das  Schriftwesen 
der  älteren  Zeit  im  Zentralblatt  für  Bibliothekswesen  17  S.  533  kurz  aus- 
geführt habe.  Ob  man  nun  zugesteht,  daß  der  Text,  den  wir  uns  auf 
Tafel  und  Rolle  zugleich  denken  müssen,  auf  Leben  und  Sterben  und"  auf 
den  Schicksalsspruch  der  Parze  Bezug  hatte  (oben  S.  108)  oder  nicht,  jeden- 
falls entspricht  hier  Rolle  und  Tafel  in  der  Hand  einer  Person  der  Ge- 
wohnheit jener  älteren  Zeiten,  die  durch  Aeschylus  Hiket.  957  f.,  den  Pro- 
pheten Jesaias  30,  8  und  die  attische  Inschrift  Inscr.  att.  I  324  feststeht: 
daß  man  nämlich  wichtige  Texte  zu  ihrer  Sicherung  zweifach  und  zwar  auf 
verschiedenem  Beschreibstoff  aufschrieb  und  verewigte;  dies  waren  eben 
Rolle  und  Tafel.  Dasselbe  hat  Pietschmann  für  Ägypten  beobachtet,  und  zwar 
handelt  es  sich  auch  da  u.  a.  um  einen  Erlaß,  der  eine  verstorbene  tugend- 
reiche Königin  zur  Göttin  erhebt.1)  Auf  der  Tafel,  die  unsere  Figur,  Abb.  60, 
hält,  —  so  folgern  wir  —  stand  also  dasselbe  Schicksal  geschrieben  wie 
in  der  Rolle,  die  sie  gleichfalls  hält;  ihr  Text  war  identisch,  und  es  ge- 
nügte also  auch,  daß  die  Tafel  allein  geöffnet  wurde,  wie  wir  es  hier  im 
Bilde  sehen,  wenn  es  sich  darum  handelte,  den  Inhalt  des  Textes  kennen 
zu  lernen. 

Übrigens  hält  auf  dem  Grabrelief  mit  musikalisch -szenischer  Aufführung  bei 
Wieseler,  Theatergebäude  XIII  1  der  junge  Verstorbene  gleichfalls  zugleich  eine 
Rolle,  Motiv  I,  in  der  L.,  ein  Diptychon  in  der  r.  Hand. 

So  angemessen  wie  für  den  Liegenden  scheint  das  Motiv  III  auch  für 
eine  Sitzfigur.  Dies  wird  durch  die  Tuchladenszene  des  Florentiner  Reliefs 
(oben  S.  66)  verdeutlicht,  wo  einer  der  Käufer  das  Motiv  zeigt.  Die  1.  Hand 
liegt  im  Schöße,  und  der  Schoß  gibt  also  wiederum  der  Rolle  den  Halt. 
Ähnlich 

Konia,  Museum:  Säulensarkophag  mit  Darstellungen  der  Achillsage  (s.  JOS. 
STRZYGOWSKI,  Orient  und  Rom  Fig.  17):  in  gesonderter  Szene  am  1.  Ende  sitzt  der 
Held,  die  Hand  im  Schoß,  in  der  sich  anscheinend  eine  Rolle,  Motiv  III,  befindet 
(photographische  Wiedergaben  sind  in  solchem  Detail  leider  oft  undeutlich),  während 
eine  Frau  vor  ihm  steht  und  ihm  einen  Helm  reicht. 

Berlin,  Musensarkophag  Nr.  844,  Deckelstreifen,  3.  Szene  (von  links):  bärtiger 
Mann  sitzt  im  Profil  nach  rechts,  die  r.  Hand  zur  Muse  vorstreckend,  die  L.  im 
Schoß,  Motiv  III.  Ähnlich  sieht  man  auch  auf  dem  Diptychon  von  Monza,  oben  S.  88, 
Muse  und  Dichter;  doch  sitzt  er  hier  im  Profil  nach  links  und  hält  daher  das  Buch 
in  der  R. 

Für  den  Überreichenden  endlich  sind  zwei  Möglichkeiten.  Entweder 
läßt  er  die  Rolle,  indem  er  sie  dem  Empfänger  entgegenstreckt,  im  Hand- 
teller ruhn.  Dies  gibt  für  den  Augenblick  genügende  Sicherheit,  und  der 
Empfänger  wird  das  Buch  sogleich  fest  umfassen.  In  dieser  Weise  er- 
scheint Motiv  III  auf  dem  Berliner  Relief  Nr.  804  (oben  S.  83)  und  in  der 
Hand  der  Terrakotte  (S.  84).  Nach  dieser  Analogie  ruht  das  Buch  auch 
„auf"  der  Hand  Gottes  in  der  Apokalypse  5,  1  (oben  S.  85  f.). 


1)  Pietschmann  in  Beiträgen  Heft  4  S.  58. 


112 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Aber  das  Motiv  III  ließ  sich  auch  umkehren;  d.  h.  die  Finger  liegen 

zwar,  wie  bei  den  bisherigen  Beispielen,  am  Rollenkörper  entlang,  aber  die 

Hand  faßt  die  Rolle  dabei  von  oben.   Sie  wird  also  nicht  von  der  inneren 

Handfläche  getragen,  sondern  ein  Griff  von  oben  muß  genügen,  sie  zu 

sichern.    Auch  diese  gewiß  nur  transitorische  Haltung  eignete  sich  für 

eine  Überreichung  des  Buchs;  man  erinnere  sich  des  Reliefs  Nr.  381  des 

Mus.  Chiaramonti,  oben  S.  99  Abb.  52. 

Für  den  christlichen  Sarkophag  im  Lateran  Nr.  152  habe  ich  mir  notiert 
(stimmt  nicht  mit  Ficker)  :  vier  rollentragende  männliche  Gestalten;  die  vierte, 
jugendlich,  zeigt  Motiv  III,  und  zwar  nicht  in  gesenkter,  sondern  in  horizontaler 
Haltung.    Auch  dies  Beispiel  schließt  sich  also  irgendwie  den  vorigen  an. 

Aber  auch  auf  Standfiguren  ist  Motiv  III 
gelegentlich  übertragen  worden,  und  gerade  auf 
solche,  die  ihre  1.  Hand  gesenkt  halten.  Es  scheint 
in  der  Tat  naturgemäß,  daß  bei  dem,  der  die 
Hand  sinken  läßt,  nun  auch  die  Finger  sich  senken 
und  den  energischen  Griff  etwas  lösen. 

Dafür  gibt  die  Homerapotheose  des  Archelaos, 
ein  Produkt  etwa  des  2.  Jahrh.  v.  Chr.,  ein  erstes 
Beispiel,  woselbst  im  Mittelstreifen  die  dritte  Muse 
(von  links),  die  den  Ellenbogen  hoch  auf  einen 
Felsvorsprung  aufstützt  (die  sog.  Polyhymnia),  in 
der  gesenkten  L.  die  Rolle  hält.1) 

Ebenso  steht  auf  dem  dreifigurigen  Grabstein  des 
Museums  in  Athen  Nr.  1233,  der  die  Form  einer  Aedicula 
nachahmt,  neben  der  Isisdienerin  Amaryllis  der  Moucouoc 
'AvTiTrcrrpou  'AXujireKf|9ev;  danach  Abb.  61;  seine  r.  Hand 
liegt  auf  der  1.  Brust,  der  r.  Unterarm  im  Mantel;  dies  ist 
die  so  häufige  Armhaltung  des  Äschines  in  Neapel. 

Diesem  entspricht  im  Museum  zu  Eleusis  genau 
die  Gewandfigur  in  Hochrelief,  ohne  Nummer,  neben 
Nr.  104:  Mittelkörper  ohne  Kopf  und  Füße;  Motiv  III;  am  Mittelfinger  der  1.  Hand 
ein  Siegelring.    Dazu  kommt  noch: 

Athen,  Museum,  Grabstele  Nr.  1231:  stehende  Frau  mit  gesenkter  1.  Hand, 
Motiv  III. 

Berlin,  Ägypt.  Museum  17126:  hölzerner  Sargdeckel  in  Form  eines  Epheben- 
standbildes;  die  Figur  hält  die  Rolle  in  der  gesenkten  L.,  Motiv  III;  jungägyptisch, 
aus  römischer  Zeit. 

Rom:  Relief  der  Via  S.  Sebastiano  (oben  Abb.  49):  schreitender  Mann,  die 
Rolle  in  der  gesenkten  Rechten;  ein  lechirus. 

Sonst  wüßte  ich  nur  noch  die  christlichen  Sarkophage  anzuführen: 


1)  Vgl.  A.  H.  Smith,  Catal.  of  British  Museum  III  (1904)  nr.  2191;  Abbildungen 
z.B.  auch  in  der  Gazette  archeol.  1887  Tfl.  18;  bei  Daremberq- Saqlio  Fig.  5208. 
Übrigens  Watzinger,  Das  Relief  des  Archelaos,  1903.  Nach  Kortegarn,  De  tabula 
Arch.,  Bonn  1862,  S.  17,  wäre  hier  die  Hand  mit  Rolle  Ergänzung;  s.  dagegen 
Watzinger  S.  5.  Über  eine  ähnliche  Muse  mit  Motiv  I  auf  einem  Berliner  Sarko- 
phag s.  oben  S.  48. 


D.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken:  Motiv  III. 


113 


Abb.  62. 


Sarkophag  in  Salona:  GARRUCCI  Tfl.  299,  1;  KRAUS,  Gesch.   d.  ehr.  Kunst  I 
S.  251  Fig.  201:  der  Verstorbene,  stehend,  von  verehrender  Clientel  oder  Familie 
(auch  Kindern?)  umdrängt;  die  Rolle  in  der  gesenkten  L.,  Motiv  III. 
Ein  kleines  Rollenbündel  am  1.  Fuß. ') 

Lateran,  Treppenhaus  Nr.  125:  hier  erscheint  zweimal  eine 
Rolle  in  der  gesenkten  L. ;  einmal  deutlich  Motiv  III,  einmal  mehr 
Greifmotiv  I. 

Ebenda  Nr.  138:  ältlicher  Mann;  Rolle  in  der  gesenkten  L. ; 
doch  weicht  die  Darstellung  hier  insofern  ab,  als  sich  der  Zeige- 
finger unter  den  Fuß  der  Rolle  legt  und  ihr  Stütze  gibt;  s.  Abb.  62. 

Säulensarkophag  bei  jjjGARRUCCi  Tfl.  338,  1:  Christus,  in  der 
Mitte  stehend,  zeigt  Motiv  III. 

Marseille,  Chat.  Borely,  Apostelsarkophag  Nr.  33;  lauter  stehende 
Figuren:  zweimal  Motiv  Ib,  einmal  Motiv  II,  einmal  Motiv  III. 

Weil  das  Motiv  nur  eine  Variante  zu  Motiv  I  ist,  daher 
erscheint  es  regelrecht  in  der  1.,  nicht  aber  in  der  r.  Hand. 
Auf  dem  Marmorrelief  des  Palastes  Chigi,  auf  welchem  die  Frauenfiguren 
Europa  und  Asia  gemeinsam  einen   Ruhmesschild   des  Alexander  halten 
(Jahn,  Bilderchroniken  Tfl.  M),  kann  der  Gegenstand  in  der  r.  Hand  der 
Europa  keine  Rolle  sein;  es  war  wohl  eine  Schale  (Jahn  S.  54  und  56). 

Gleichwohl  bildet  das  Relief  des  Mus.  Chiaramonti  eine  Ausnahme,  die  ich 
S.  95  zu  erklären  versucht  habe.  Dazu  kommt  noch  das  oben  S.  93  erwähnte 
christliche  Sarkophagrelief  in  Arles,  das  die  Wunderszenen  auf  engsten  Raum  zu- 
sammendrängt. Hier  will  der  bartlose  Christus  das  Wasser  in  Wein  verwandeln, 
steht  über  den  niedrigen  Krügen,  die  sich  am  Boden  befinden,  und 
senkt  befehlend  seine  r.  Hand  auf  sie  herab,  in  der  er  nach  Motiv  III 
das  Buch  hält.  Ist  dies  Buch  vielmehr  ein  abgebrochener  Stab?  Ich 
finde  sonst  keine  Erklärung;  und  in  der  Tat  senkt  Christus  in  ähnlichen 
Fällen  sonst  den  Stab;  wer  das  Speisenwunder  auf  dem  Sarkophag  des 
Lateran  Nr.  152  u.  sonst  vergleicht,  wirdimeine  Vermutung  sehr  wahr- 
scheinlich finden. 

Nicht  hierher  gehört  die  Togastatue  in  Neapel,  Mus.  naz., 
offener  Hof  rechts  Nr.  226:  hier  hält  die  gesenkte  1.  Hand 
die  Rolle  nicht  nach  Motiv  III,  sondern  es  ist  Motiv  I  an- 
zuerkennen, so  aber,  daß  die  Rolle  dabei  geradezu  auf  den 
Fingern  liegt;  siehe  Abb.  63.    Dies  ist  auffällig.    Vielleicht  Ergänzung? 

Vielmehr  ist  abschließend  festzustellen,  daß  das  Motiv  III  —  soweit  ich 
acht  gegeben  —  an  statuarischen  Werken  nicht  vorkommt. 


Abb.  63. 


E.  Die  geschlossene  Rolle  in  der  Wandmalerei:  Motiv  IV und  V. 

Ich  habe  von  den  bisherigen  Übersichten  die  antiken  Wandgemälde, 
insbesondere  die  Campaniens,  fast  ganz  ausgeschlossen.  Es  schien  zweck- 
dienlicher, diese  Malerei  für  sich  zu  betrachten,  da  es  sich  von  selbst  ver- 
steht, daß  sie  über  die  wenigen  ausdrucksvollen,  aber  fast  unwandelbaren 
Typen,  an  die  sich  der  Plastiker  gebunden  sieht,   leicht   und  spielend 

1)  Vgl.  C.  M.  Kaufmann,  Die  sepulkralen  Jenseitsdenkmäler  (1900)  S.  159, 
worauf  mich  BAUER  hinweist. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  8 


114 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


hinausgeht.  Die  Malerei  variiert  freier;  sie  bereichert  darum  unsere  An- 
schauung; die  meisten  Motive  aber,  die  dabei  zur  Geltung  kommen,  treten 
zu  vereinzelt  auf,  als  daß  es  verlohnte,  sie  sorglicher  zu  klassifizieren  und 
sämtlich  mit  Zahlen  zu  belegen. 

Leider  habe  ich  keineswegs  alle  vorhandenen  Darstellungen  selbst  ge- 
sehen; auch  nicht  alle  reproduzierenden  Werke  sind  mir  zur  Hand,  und  so 
wie  die  Abhandlung,  die  ich  hier  vorlege,  überhaupt  nur  ein  Stich  auf 
gut  Glück  in  das  Viele  ist,  so  muß  ich  mich  auch  hier  mit  einigen  Proben, 
die  mir  als  bemerkenswert  ins  Auge  fielen,  begnügen.  Da  auf  die  Gesichts- 
punkte, die  ich  hier  zur  Geltung  bringe,  bisher  niemand  acht  hatte,  so 
bieten  mir  auch  die  beschreibenden  Werke  wenig  Hilfe  dar.  Das  Mosaik 
ist  natürlich  in  die  Betrachtung  mit  hineingezogen.1) 

Zunächst  sind  die  uns  schon  bekannten  Arten,  das  Buch  zu  halten, 
auch  den  Malern  Herculaneums  und  Pompejis  und  ihren  hellenistischen  Vor- 
bildern, soweit  solche  anzusetzen  sind,  nicht  fremd.  Das  Motiv  II  trafen 
wir  im  Vettierhaus  an  und  auf  dem  Philosophenmosaik  (oben  S.  104  u.  103). 
Aber  auch  das  Motiv  I  fehlt  natürlich  nicht.  Dafür  zeugt  das  Bildnis  eines 
älteren  Mannes  (Mus.  Borbonico  XI  32;  Helbiq  Nr.  1454),  der  -  mutmaß- 
lich ein  preisgekrönter  Dichter  —  dasteht  und  seinen  Kranz  in  der  ge- 
senkten R.,  die  Rolle  in  der  L.  hält;  Motiv  Ib.  In  der  Abbildung  a.a.O. 
ist  die  Rolle  zu  sehr  als  Stab  gezeichnet. 

Als  ähnlich  hiermit  bezeichnet  Helbig  seine  Nr.  1453:  hier  steht  in  einer 
Architektur,  die  an  eine  Bühne  erinnert,  ein  bärtiger  Mann  en  face,  hält  die  L.  in 
der  Höhe  der  Brust  und  darin  eine  Rolle.  Irre  ich  nicht,  so  ist  damit  das  Bild  im 
Mus.  naz.  Abt.  XXXV  Nr.  9033  gemeint.  Für  dieses  Bild  habe  ich  mir  notiert:  auf 
einer  schreinartigen  Erhebung  ist  eine  große  tragische  Maske  aufgestellt;  daneben 
steht  die  elegante  Gestalt  des  Schauspielers  ohne  Maske;  seine  R.  ist  gesenkt; 
die  L.  hält  eine  schmale  und  ziemlich  lange  Rolle,  annähernd  Motiv  lb. 

Undeutlich  ist  dagegen,  ebenda  Abt.  XXXV  Nr.  9030,  die  Rolle  in  der  L.  der 
sitzenden  jungen  Frau.    Nicht  mehr  ergibt  ferner 

Helbiq  Nr.  1463:  Lehrstunde:  sitzender  Mann;  vor  ihm  ein  Scrinium  mit  Bän- 
dern; in  der  L.  eine  Rolle,  Motiv  Ib,  in  der  R.  ein  Stab;  außerdem  ein  Mädchen 
und  ein  Knabe;  der  letztere  hält  mit  der  1.  Hand  eine  geschlossene  Rolle  an  den 
Mund  (nach  Helbiq),  richtiger  aber  an  das  Kinn  -):  Pitture  d'E.  V  53  S.  237;  Darem- 
BERQ  et  Saqlio,  Dict.  Fig.  2615.  Das  Bild  existiert  nicht  mehr.  Identisch  ist  damit 
auch,  wie  mir  Mau  bestätigt,  die  Abbildung  in  dem  Werk  Herculanum  et  Pompei,  Recueil 
general,  graviert  von  AlNii,  Text  von  Barre  und  Bories  Bd.  II  (Paris  1839)  S.  165  Tfl.  49. 

Helbig  Nr.  1788:  Ornamentfigur  eines  Jünglings;  Rolle  in  der  L.  unklar: 
Pitture  d'E.  II  32  S.  193.    Das  Bild  ist  gleichfalls  zerstört. 

1)  Den  Kopien  von  Wandmalereien  im  Pompeianum  zu  Achaffenburg  ist  wenig 
zu  trauen;  in  der  Frauenwohnung  des  Oberstocks  daselbst  sieht  man  eine  stehende 
männliche  Figur,  eine  geschlossene  Rolle  in  der  R. ;  ebenda  eine  Muse,  die  die 
geschlossene  Rolle  mit  beiden  Händen  umfaßt;  die  r.  Hand  liegt  am  oberen  Teil 
des  Zylinders,  die  L.  am  unteren  (vgl.  Abb.  65).  Ebenda  eine  sitzende  Frau  mit  offener 
Rolle  und  Rollenkasten;  endlich  die  Kopie  des  Konzerts:  die  sitzende  Sängerin  hält 
ein  offenes  Blatt  zwischen  den  Händen;  hierüber  unten  S.  143  f. 

2)  So  Mau.  Dies  wird  durch  die  Nachzeichnung  in  den  Abh.  d.  sächs.  G.W. 
XII  Tfl.  6,  4  bestätigt. 


E.  Wandmalerei. 


115 


Die  porträtartigen  Brustbilder  Pompejis  wahren  das  sonst  traditionelle 
Schema  nun  aber  fast  nirgends  ganz  getreu,  sondern  lieben  es,  von  der 
Schablone  mit  Anmut  abzuweichen. 

So  gleich  der  Jüngling  mit  bekränztem  Haupte,  im  gelblichen  Mantel, 
der  eine  Rolle  mit  beiden  Händen  unter  das  Kinn  hält  (Neapel,  Mus.  naz. 
Abt.  XXXVIII  Nr.  9085;  Helbig  Nr.  1420).  Die  Abbildungen  in  Pitture  d'E. 
III  S.  237  und  Mus.  Borbon.  VI  35  sind  ungenau.  Unsere  Zeichnung  Abb.  64 
gibt  das  Buch  sorgfältig  wieder.  Das  Motiv  II  ist  hier  annähernd  inne- 
gehalten, aber  mit  Umtauschung  der  Hände;  die  L.  liegt  oben,  die  R.  scheint 
lose  am  unteren  Teil  des  Buchs  anzuliegen.  Der  Sittybus  ist  grün  gefärbt.1) 
Dem  ähnlich  die  Nr.  1420b  bei  Hel- 
big: der  Jüngling  hält  hier  die  Rolle 
am  Kinn  in  der  L.;  s.  Bullett.  d.  I. 
1863  S.  97. 

Mus.  naz.  Abt.  XXXVIII  Nr.  9058: 
Doppelporträt  des  Paquius  Proculus 
und  seiner  Frau:  die  Frau  hält  eine 
Tafel  in  der  L.,  einen  Stilus  in  der  R.; 
diese  Tafel  ist  schwarz  und  hat  gelben 
Rand;  der  Mann  eine  geschlossene  Rolle 
in  der  R.(!)  und  zwar  wieder  bis  unters 
Kinn;  Motiv  Ib.  Die  1.  Hand  ist  nicht 
mit  dargestellt  und  befindet  sich  jen- 
seits des  Rahmens.  Die  Rolle  ist  weiß,  Abb.  64:  Neapel,  Mus.  naz. 
ohne  Pänula;  sie  zeigt  oben  eine  An- 
deutung ihrer  Windungen;  zugleich  hängt  oben  ein  roter  Sittybus  heraus.2) 

Mus.  naz.,  Locali  della  Promotrice  Inv.  120 615Bls:  Brustbild  eines  be- 
kränzten Jünglings  in  Medaillon;  s.  Mau  in  Rom.  Mitteilungen  VIII  (1893)  S.  21: 

Man  sieht  seine  Hände  nicht,  wohl  aber  eine  große  geschlossene  Rolle;  sie 
ist  weiß  gefärbt;  ihr  oberer  Rollenschnitt  ist  etwas  sichtbar;  an  demselben  hängt 
weißer  Sittybos,  auf  dem  Plato  steht  (so  Mau);  unsre  Abb.  157.  Dazu  das  Pendant 
dortselbst  unter  der  gleichen  Nummer  (Mau  S.  20);  unsre  Abb.  124  und  156:  Brust- 
bild eines  bekränzten  Jünglings,  gleichfalls  in  Medaillon;  er  hält  eine  offene  Rolle; 
auch  seine  Hände  sind  nicht  sichtbar.  Oben  ist  an  ihr  ein  ungefärbter  Sittybus  be- 
festigt. Auf  demselben  steht  der  Name  Hontems  (nach  Mau).  Es  ist  auffällig,  daß 
die  griechischen  Namen  lateinische  Wortform  zeigen,  während  der  Text  im  Buch 
doch  nur  griechisch  gedacht  werden  konnte ! 

Dazu  kommt  noch  HELBIG  Nr.  1962  (Mus.  naz.):  ein  Mädchen  in  Chiton  und 
Mantel  „sitzt  da  und  hält  in  der  zum  Kinn  erhobenen  R.  (!)  vermutlich  eine  Rolle". 
Die  1.  Hand  wird  in  der  Beschreibung  nicht  erwähnt.  Ich  fand  das  Bild  nicht  im 
Mus.  naz.;  auch  Mau  nicht. 

Besonders  frei  endlich  Helbig  Nr.  858  (Pitture  d'E.  II  S.  59):  unter 


1)  Helbig  sagt  unklar:  „eine  mit  einem  grünen  Bande  versehene  Rolle". 

2)  Abbildung  z.B.  bei  MARRVOLT,  Facts  about  Pompei,  London  1894. 

8* 


116 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


den  schönen  neun  Musenbildern  Pompejis  ist  dies  Kalliope,  eine  Standfigur 
auf  gemaltem  Konsol,  die  eine  geschlossene  Rolle  auf  der  Brust  mit  beiden 
Händen1)  hält.  Die  schöne  Freiheit  der  Behandlung  wird  man  besser  als 
aus  Beschreibungen  aus  der  Abb.  65  selbst  ersehen.2) 

Wie  wohltätig  ist  es,  nach  so  viel  Monotonie  ein  Paar  Hände  zu  sehen, 
die  die  strenge  Regel  verlassen  und  der  engen  Vorschrift  sich  entwinden. 
Der  Verkehr  der  Hände  mit  dem  Buch,  eingepreßt  in  so  wenige  Formen, 
belebt  sich  hier  endlich  und  regt  sich  in  natürlicher  Zwanglosigkeit.  So 
wirkt  hier  denn  auch  die  rechte  Hand  in  einer  Weise  mit,  wie  wir  es 

bisher  nicht  feststellen  konnten.  Dafür 
bedarf  es  einer  Erklärung.  Belangreicher 
aber  ist  noch  das  Folgende: 

Martial  erwähnt,  daß  beim  Gebrauch 
des  Lesebuchs  besonders  das  Kinn 
mitwirkte.  Denn  von  einem  Buch,  das 
noch  von  keinem  Leser  benutzt  ist,  sagt 
er  I  66,  8:  sein  Papier  sei  noch  von 
keinem  harten  Kinn  abgerieben  oder 
garstig  geworden : 

Quae  trita  duro  non  inhorruit  mento. 

Ebenso  heißt  es  bei  ihm  X  93,  6:  ein 
Rollenbuch,  das  noch  keiner  angefaßt 
hat,  sei  wie  eine  noch  ungepflückte 
Rose;  denn  sein  Papier  sei  noch  nicht 
durch  die  ständige  Berührung  mit  dem 
Kinn  schmutzig  geworden: 

Sic  nova  nec  mento  sordida  Charta  iuvat. 

Und  der  Dichter  Strato  (Musa  paid.  50)  preist  endlich  das  Buch  glücklich, 
das  der  geliebte  Knabe,  wenn  er  es  gelesen  hat  (dvcrfvouc),  an  sich  drücken 
wird,  und  zwar  in  der  Richtung  nach  oben  (dva8\iujei),  indem  er  es  an  das 
Kinn  legt  (rrpöc  tci  jeveia  nGeic). 

Nun  stellt  allerdings  die  bildende  Kunst  den  Akt  des  Lesens  häufig 
genug  dar.  Keine  der  Darstellungen  aber,,  so  viele  ich  später  zu  erwähnen 
haben  werde,  weiß  etwas  von  der  Mitwirkung  des  Kinns.    Und  in  der  Tat 

1)  Vgl.  oben  S.  101  mit  Anm.    Über  Kalliope  oben  S.  48  Anm.  1. 

2)  Sicher  verzeichnet  ist  leider  die  Wiedergabe  der  sog.  Klio  im  Mus.  Borbon. 
IX  Tfl.  34  —  Helbig  Nr.  861;  ein  Mädchen,  dessen  r.  Schulter  entblößt  ist;  in  der 
L.  hält  sie  eine  scheinbar  offene  Rolle;  aber  es  ist  nur  ein  Blatt  mit  hängendem 
Ende  und  ohne  alle  Rollungen  aufgewölbt;  die  Hand  steckt  darin  wie  in  einer  Düte. 
Der  1.  Unterarm  ist  total  verzeichnet.  Das  Original  in  der  Casa  dei  Dioscuri  ist 
schwerlich  noch  zu  erkennen;  „nicht  mehr  vorhanden"  Mau. 


E.  Wandmalerei:  Rolle  am  Kinn. 


117 


wird  durch  das  Lesen  selbst  die  Benutzung  des  Kinns  ausgeschlossen; 
ebenso  aber  anscheinend  auch  durch  das  Auf-  und  Zurollen  des  Buchs. 
Denn,  wie  zu  Anfang,  S.  42,  ausgeführt  ist,  findet  beim  Lesen  nicht  nur  das 
Abrollen,  sondern  gleichzeitig  auch  schon  das  Wiederzusammenrollen  statt; 
während  dieses  Ab-  und  Aufrollens  selbst  geht  das  Lesen  vor  sich,  und 
die  Rolle  wird  somit  beim  Ab-  und  Aufrollen  in  gehöriger  Entfernung  vom 
Auge  gehalten  und  nähert  sich  dem  Kinn  gar  nicht.  Was  wollen  also  die 
obigen  Dichterstellen  besagen,  die  das  Kinn  fordern?  Hier  scheint  zunächst 
alles  unklar.  Aber  das  Dunkel  erhellt  sich  leicht.  Denn,  wie  S.  42  gleich- 
falls schon  dargelegt,  war  das  Wiederzusammenrollen  des  Buchs  keines- 
wegs der  letzte  Akt  der  Lektüre;  denn  der  Text  selbst  war  ja  dadurch 
zunächst  unbenutzbar  geworden  und  lag  in  verkehrter  Reihenfolge  der 
Seiten,  die  erste  Textseite  im  Rolleninnern,  die  Schlußseite  außen.  Um  die 
Schrift  für  die  nächste  Lesung  benutzbar  zu  machen,  war  es  jedesmal  un- 
erläßlich, das  Buch  noch  einmal  ganz  zurückzurollen;  und  um  diese  lästige 
letzte  Arbeit  zu  erleichtern  und  zu  beschleunigen,  wird  man  das  Kinn  zur 
Hilfe  genommen  haben.  Man  denke  an  die  Ladenjünglinge  in  unseren 
Schnittwarengeschäften,  die  ja,  wenn  sie  einen  ausgebreiteten  Vorhang-  oder 
Kleiderstoff  wieder  zusammennehmen,  oftmals  ganz  ebenso  verfahren. 

Dies  ist  es,  woran  Martial  dachte,  und  hieran  dachte  vor  allem  auch  Strato; 
denn  er  setzt  das  Präteritum  dvaYvouc:  erst  nachdem  der  Knabe  gelesen 
und  also  die  Rolle  verkehrt  zusammengerollt  hat,  kommt  er  dazu,  sie  unters 
Kinn  zu  schieben  (dva0\injei  xö  ßißXibiov  upöc  xct  YeveTa  Tiöeic);  und  eben 
dies  hat  nun  auch  den  Malern  der  pompejanischen  Bilder  ein  neues  Motiv 
an  die  Hand  gegeben.  Nur  durch  Strato  und  Martial  werden  die  betref- 
fenden Wandbilder  verständlich.  Schon  S.  104  begegnete  uns  im  Vettier- 
haus  eine  stehende  männliche  Figur,  die  die  Rolle  nach  dem  Motiv  II  in 
beiden  Händen  hält  und  sie  dabei  zugleich  unters  Kinn  lehnt.  Das  Motiv  II 
zeigt  ja  aber  an,  daß  die  Lektüre  erst  eben  beendigt  ist;  nun  hat  hier 
auch  die  Rückrollung,  die  sich  daran  anschloß,  schon  soeben  stattgefunden; 
das  soll  uns  die  Annäherung  an  das  Kinn  verraten. 

Hält  in  der  „Unterrichtsszene"  bei  Helbig  Nr.  1463  (oben  S.  114)  der 
Knabe  die  Rolle  „an  den  Mund",  so  würde  man  damit  das  angeführte  Epi- 
gramm Strato's  vergleichen  können,  wo  v.  3  der  Knabe  das  Büchlein  unter 
anderm  auch  an  die  Lippen  drückt  (ccpiTT^i  Trepi  xe'Aeciv),  sowie  auch 
Hieronymus  von  dem  alten  Nepotian,  der  ein  Buch  sehr  liebte,  erzählt: 
illum  ore  tenebat  (epist.  60,  11  ed.  Vall.).  Nicht  anders  bei  Apuleius 
der  sterbende  Philemon.1)     In  Wirklichkeit  jedoch  hält  der  Knabe  des 


1)  Hier  gilt  es  eine  Lesung  zu  retten,  Apul.  Florida  S.  21  KRÜGER:  adhuc 
manus  volumini  implexa,  adhuc  os  recto  libro  impressum;  d.  h.  die  Hand  des 
sterbenden  Philemon  war  um  die  geschlossene  Rolle  herumgelegt,  der  Mund  auf 


118 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Bildes  die  Rolle  ans  Kinn.  Jedenfalls  aber  trifft  die  gegebene  Deutung 
nun  noch  für  die  beiden  Brustbilder  Nr.  9058  und  9085  und  wohl  auch 
für  Helbig  Nr.  1962  (oben  S.  115)  zu.  Daß  gerade  Brustbilder  dies  neue  Motiv 
bevorzugen,  ist  begreiflich;  denn  dadurch  wurde  es  dem  Künstler  ermög- 
licht, das  Buch  noch  mit  in  den  Bereich  der  Bildfläche,  in  einem  Fall  also 
des  Rundausschnitts,  zu  bringen.  Betrachtet  man  das  Rundbild  Abb.  64  ge- 
nauer, so  sieht  man:  eine  Innenschicht  der  Rollung  ragt  am  oberen  Ende 
noch  aus  dem  Konvolut  unordentlich  hervor;  das  Kinn  soll  sie  jetzt  eben 
eindrücken;  daher  wird  sie  ihm  genähert;  erst  dann  wird  ein  glatter  Rollen- 


schnitt hergestellt  sein.  Der  Sittybus  aber,  der 
an  der  Außenseite  herabhängt,  scheint  anzudeuten, 
daß  die  Pagina  I  des  Buchs  jetzt  richtig  wieder  an 
der  Außenseite  liegt,  daß  es  also  die  Rückrollung 
war,  die  soeben  stattfand.  Und  weil  nun  endlich 
bei  dieser  Rückrollung  die  rechte  Hand  dieselbe 
Hauptfunktion  haben  mußte,  die  sonst  der  L.  zu- 
kam, so  wird  hier  die  Rolle  entweder  in  der  R. 
gehalten,  Nr.  9058  (vgl.  auch  Helbig  Nr.  1962), 
oder  die  R.  ruht  doch  an  ihrer  unteren  Hälfte, 
eine  Umkehrung  des  Motivs  II,  Nr.  9085. 

Aber  noch  ein  ganz  anderes  Buchmotiv  bei 
geschlossener  Rolle  —  nennen  wir  es  Motiv  IV  — 
lernen  wir  aus  Pompeji  kennen,  und  zwar  auch 
dies  für  die  r.  Hand. 

Ich  entdeckte  die  Darstellung  in  dem  Hause 
Pompejis,  Via  Scuole,  Regio  VIII  ins.  III  via 
quarta   Tür  18  (am  Knie   der  Straßenbiegung): 


Abb.  66:  Pompeji.  an    der   Wand   des  Atriums    befinden    sich  da 

zwei  Einzelfiguren  in  gemalter  Architektur,  die 
durch  ein  großes  Mittelbild  voneinander  getrennt  sind.  Rechts  eine  stehende 
Frau  mit  Schale  und  Cantharus.  Links  dagegen  ein  bärtiger  (?)  Mann  von 
bräunlichem  Gesicht  und  in  braunem  Mantel.  Er  steht  in  Vorderansicht 
in  einer  türartig  einrahmenden  Architektur,  hält  das  Haupt  etwas  gesenkt; 
seine  1.  Hand  ruht  in  mittlerer  Körperhöhe  am  Mantelstreifen;  die  R.  aber 
hält  einen  rollenähnlich  schmalen,  zylinderförmigen  Gegenstand  am  oberen 
Ende,  so  daß  die  Hand  sich  bis  zu  Schulterhöhe  erhebt.  Dieser  Gegen- 
stand befindet  sich  in  fast  horizöntaler  Lage  und  sein  unteres  Ende  be- 
rührt die  Brust  des  Mannes  etwa  in  der  Mitte;  s.  Abb.  66.  Man  glaubt 
hier    zunächst   den  Moment    zu    erkennen,   wo   der   lecturus   die  Rolle 


das  obere  Ende  des  aufrecht  stehenden  Buchzylinders  aufgedrückt.  Das  ist  doch 
anschaulich  genug.    Sinnlos  korrigiert  man  lecto. 


\ 


E.  Wandmalerei:  Motiv  IV. 


119 


aus  dem  Gewandbusen  hervorzieht;  wir  sahen  ja  S.  43,  daß  man  das 
Buch  im  sinus  trug;  der  Kopf  senkt  sich  schon  für  die  bevorstehende 
Lesung. 

In  Wirklichkeit  stützt  der  lecturus  das  Buch  jedoch  nur  einfach  an 
die  Brust.  Er  sinnt  und  wartet.  Dies  zeigen  zwei  weitere,  sehr  ähnliche 
Bilder: 

In  den  römischen  Wanddekorationen,  die  aus  der  Nähe  der  Farnesina 
stammen  l)  und  im  Thermenmuseum  Saal  X  aufgestellt  sind,  finden  sich  unter  Nr.  22  al 
fresco  auf  weißem  Grund  zwei  Frauen  gemalt,  die  in  zwei  Feldern  getrennt  stehen. 
Die  links  Stehende  -  unsre  Abb.  67  -,  durch  einen  Kranz  im  Haar  als  Sängerin  oder 
Priesterin  gekennzeichnet,  hebt  ihre  r.  Hand  in  Schulterhöhe  und 
hält  einen  rollenähnlichen  Stab  in  horizontaler  Stellung  an  die 
r.  Schulter,  also  allerdings  nicht  an  die  Brust  gelehnt  (es  könnte 
sogar  scheinen,  daß  der  Gegenstand  vielmehr  hinter  der  Schulter 
sich  noch  fortsetze),  während  die  L.  grade  am  Kleid  herabgesenkt 
einen  Palmenzweig  hält.  Jener  Gegenstand  ist  durch  Andeutung 
eines  Mittelpunktes  in  der  Mitte  des  Stabdurchschnittes  sowie 
durch  ein  herabhängendes  Zettelchen  oder  Bändchen  an  seinem 
Ende  als  Rolle  sicher  kenntlich  gemacht. 

Davon  läßt  sich  dann  eine  der  Frauengestalten  der  Tabula 
Archelai  nicht  trennen.  Im  zweiten  Streifen  dieser  Homerapo- 
theose (v.  u.)  steht  Apoll  in  einer  Grotte;  neben  ihm  derOmphalos; 
in  derselben  Grotte  steht  im  Linksprofil,  eine  Binde  im  Haar,  ein 
Weib  dem  Gott  zugewandt;  sie  ruht  auf  dem  r.  Standbein  (auch 
die  pompejanische  Figur  ruht  auf  ihm);  das  1.  Bein  steht  aus- 
holend weit  zurück,  vielleicht  zum  Zeichen,  daß  sie  eben  heran- 
getreten ist,  jedenfalls  in  Kontrapost  zu  Apoll,  der  auf  dem  L. 
steht;  ihre  1.  Hand  liegt  weit  zurückgestreckt  auf  einer  Fläche 
in  Tischhöhe  hinter  ihr;  die  R.  aber,  in  Schulterhöhe  erhoben, 
hält  einen  rollenartigen  Stab  an  seinem  oberen  Ende,  ohne  Frage 
eine  Buchrolle,  und  stemmt  das  andere  Ende  desselben  gegen 
die  r.  Schulter.  Die  Rolle  befindet  sich  also  auch  hier  in  Thermenmuseum, 
horizontaler  Lage.  Sehr  richtig  erkannten  S.  Reinach  und 
Watzinger,  63.  Winckelmannsprogr.  S.  6,  die  Rolle,  verglichen  aber  mii  Unrecht  die 
Terrakotte  von  Myrina,  die  vielmehr  eine  Buchüberreichende  ist  (oben  S.  84).  Die  Iden- 
tität dieses  Buchmotivs  mit  dem  des  vorigen  Beispiels  springt  nun  in  die  Augen  -) ;  auch 
hier  scheint  die  Rolle  nicht  an,  sondern  hinter  der  Schulter  zu  endigen.  Daß  sie  nicht 
aus  dem  sinus  des  Kleides  hervorgezogen  wird,  erhärtet  zudem  der  Umstand,  daß 
die  r.  Brust  und  Schulter  hier  nackt  sind.  Eine  zureichende  Erklärung  des  Motivs 
ist  danach  schwer  aufzustellen.  Das  Grottenbild  auf  der  Tabula,  dessen  Hauptperson 
der  musizierende  Apollo  ist,  soll  jedenfalls  eine  in  sich  geschlossene  Szene  geben. 
Die  Frau,  nennen  wir  sie  nun  Muse  oder  Pythia,  ist  an  dem  Liedvortrag  des  Gottes 
persönlich  beteiligt;  sie  lauscht  ihm;  denn  sie  ist,  indem  sie  sich  nähert,  mit  Hal- 
tung und  Blick  nur  ihm  zugewandt.  Ich  wüßte  zur  Erläuterung  nur  das  Vasenbild 
einer  Hydria  von  Vulci  3)  heranzuziehen,  wo  Apoll  gleichfalls  mit  einer  Muse  isoliert 
steht.  Der  Gott  scheint  auf  der  Leier  zu  spielen,  und  die  Muse  trägt  ihm  zugleich 
aus  offener  Rolle  vor.  Auf  der  Tabula  Archelai  dagegen  spielt  Apoll  zwar  gleich- 
falls auf  dem  Saitenspiel,  die  Muse  aber  nähert  sich  erst  mit  dem  Buche,  um  danach 
ihren  Vortrag  zu  beginnen. 

1)  Siehe  Monum.  d.  Ist.  XII  Tfl.  28;  Annali  1885  S.  318.  [HELBIQ,  Führer  II2  S.  250 
erwähnt  die  betreffende  Figur  nicht.] 

2)  Watzinger  S.  22  redet  von  einem  Überreichen  des  Buchs;  aber  Apoll  steht 
abgewandt.  3)  Gerhard,  Trinksch.  und  Gefäße  II  17  u.  18;  s.  unten  S.  142. 


120 


I.  Die  geschlossene  Rolle. 


Eine  gewisse  'sorglose  und  genialische  Art,  das  Buch  zu  tragen,  zu- 
gleich aber  vielleicht  der  Ausdruck  des  Lauschens  und  Abwartens,  würde 
also  in  diesem  Buchmotiv  IV  zu  erblicken  sein.  Sehen  wir  uns  nach  Ver- 
wandtem um,  so  nützen  uns  die  alten  Ägypter  nicht,  wenn  wir  sie  die  ge- 
schlossene Rolle  unterm  Arm,  d.  h.  unter  der  Achsel  eingeklemmt  tragen 
sehen  (oben  S.  12).  Mit  etwas  mehr  Berechtigung  ließe  sich  das  nach- 
stehende freiere  Motiv  vergleichen,  das  freilich  der  1.  Hand  angehört  und 
auch  nur  auf  späten  Monumenten  anzutreffen  ist. 

Auf  den  Mosaiken  der  Kirche  S.  Costanza  in  Rom,  denen  de  Rossi, 
Musaici  Christ,  fol.  26,  ein  hohes  Alter  zuerkennt,  findet  sich  eine  Dar- 
stellung, die  nicht  weniger  als  die  eben  be- 
sprochene befremdet.  Es  handelt  sich  um  einen 
sitzenden  Christus.  Seine  r.  Hand  ist  unbeteiligt 
(sie  reicht  der  Nebenfigur  etwas  dar),  seine  L.  hält 
die  geschlossene  Rolle.  Doch  steht  der  Fuß  der 
Rolle  unvermittelt  auf  dem  1.  Schenkel  des  Sitzen- 
den auf,  während  die  Hand  selbst  nur  den  Kopf 
der  Rolle  mit  festem  Griff  gefaßt  hält.  So  steht 
Abb.  68:  Motiv  v.  sie  senkrecht  auf  dem  Schöße,  und  wir  haben 

den  Eindruck,  daß  sie  gefährdet  ist  und  daß,  da 
die  aufliegende  1.  Hand  von  oben  lastet,  dieser  Druck  das  Buch  brüchig 
machen,  vor  allem  den  unteren  Rollenschnitt,  auf  dessen  ebenmäßige  Glätte 
man  sonst  hielt,  verletzen  und  beschädigen  muß.    Vgl.  Abb.  68. 

Dies  heiße  Motiv  V.  Genau  ebenso  ist  in  Ravenna  in  den  Mosaiken 
des  Chors  von  S.  Vitale  Christus,  bartlos,  sitzend  dargestellt:  er  hält  die 
geschlossene  Rolle  in  der  L.,  sie  oben  anfassend;  das  untere  Ende  der 
Rolle  steht  auf  dem  Schenkel;  sie  ist  hier  mit  sechs  oder  sieben  schwarzen 
Fäden  zugebunden:  Garrucci  Tfl.  258.  Nicht  anders  der  sitzende  Christus 
in  der  Sophienkirche  Konstantinopels;  auch  er  stützt  die  Rolle  auf  die 
Knie:  s.  Erich  Frantz,  Gesch.  der  Christ.  Malerei  I,  1887,  S.  170.  Derselbe 
weiter  auch  in  S.  Maria  in  Domnica,  Garrucci  Tfl.  293;  einst  auch  in  S.  Agata 
zu  Ravenna,  s.  Garrucci  Tfl.  254  (Kraus  I  Fig.  181).  So  endlich  auch  das 
Christuskind,  das  auf  Mariä  Schoß  sitzt;  es  hält  schon  die  Rolle,  die 
mit  einem  Band  umbunden  ist,  nach  demselben  Motiv,  in  dem  Bilde  bei 
Garrucci  Tfl.  451,  2  (Berlin;  6.  Jahrh.).  Die  Rolle  ist  hier  auffallend  dick.1) 
Dies  Motiv  ist  spät,  wie  man  sieht,  aber  es  ist  von  den  weltlichen  Kreisen 
ausgegangen;  denn  es  findet  sich  schon  genau  ebenso  auf  dem  Elfenbein- 
diptychon des  Probianus  etwa  aus  dem  Jahre  400,  s.  Daremberg  et  Saglio, 
Dict.  III  Fig.  2457,  1.  Hälfte.    Daraus  ergibt  sich  nun,  daß  dies  die  Haltung 


1)  Besser  abgebildet:  Kgl.  Museen  zu  Berlin,  Beschreibung,  2.  Aufl.,  Die  Elfen- 
beinbildwerke, Tfl.  2. 


E.  Wandmalerei:  Mosaiken,  Motiv  V. 


121 


des  Richters  ist;  denn  als  Richter  ist  Probianus  hier  vor  den  Advokaten 
sitzend  dargestellt;  die  r.  Hand  erhebt  er  mit  dem  Gestus,  als  ob  er  die 
Strafe  soeben  verkündigte.  Und  diesem  richtenden  Probianus  entspricht 
weiter  genau  Pilatus,  der  über  Christus  zu  Gericht  sitzt,  auf  der  Miniatur 
des  Codex  Rossanensis  fol.  8b;  denn  in  eben  dieser  Haltung  diktiert  Pilatus 
dort  einem  Schreiber  das  Urteil.  Alle  diese  Bilder  erklären  sich  gegen- 
seitig. Von  den  Beamten  der  römischen  Justiz  übernimmt  das  Motiv 
Christus.  Auch  er  ist  Richter.  Als  den  Richtjer  des  jüngsten  Tages 
wollen  ihn  die  besprochenen  Mosaiken  zeigen. 

Worin  die  Motive  IV  und  V  prinzipiell  übereinstimmen,  sieht  man 
leicht.  In  beiden  begnügt  sich  die  Hand,  nur  das  obere  Rollenende  anzu- 
fassen; in  beiden  wird  das  andere  gegen  den  Körper,  sei  es  Schulter,  sei 
es  Knie,  gestemmt.  Beides  war  für  die  Rolle  nachteilig.  Daher  sind  die 
Belege  für  beide  so  selten. 

Für  das  Motiv  V  sind  Analogien  aus  früherer  Zeit  schwerlich  nach- 
zuweisen: 

Zwar  könnte  man  an  den  „Lysias"  auf  dem  Neapler  Philosophenmosaik  denken; 
s.  Abb.  59;  doch  sind  die  Unterschiede  erheblich.  Denn  dieser  Lysias,  der  gleichfalls 
sitzt  und  den  Eckplatz  im  Hemicyclium  einnimmt,  stützt  die  Rolle  nicht  senkrecht, 
sondern  schräge  in  den  Schoß  oder  auf  das  1.  Knie.  Sodann  ist  es  seine  R.,  nicht 
seine  L.,  die  auf  dem  Kopf  der  Rolle  liegt;  er  legt  dabei  den  r.  Zeigefinger  in  die 
Rolle  mitten  hinein. l)  Vor  allem  aber  dienen  hier  beide  Hände  dazu,  sie  mit  Sorg- 
falt zu  halten;  denn  auch  die  1.  Hand  hält  und  sichert  mit  den  Fingern  das  untere 
Ende;  es  ist  dies  also  nichts  als  eine  leise  Variante  des  Motivs  II. 

Nützlicher  wäre  es  noch,  das  pompejanische  Gemälde,  Neapel  Abt.  LXXV 
Nr.  9641,  zu  vergleichen:  eine  junge  Frau  sitzt  aufrecht  auf  einem  Stuhl  mit  Lehne, 
das  Haupt  hoch  erhoben,  den  Blick  zur  Seite  gerichtet.  Ihr  r.  Arm  ist  verdeckt, 
der  1.  Arm  frei  vorgestreckt;  dabei  ruht  der  1.  Unterarm  aufgestützt  auf  einem  Gegen- 
stände, der  aufrecht  auf  dem  1.  Schenkel  steht  und  bei  dem  Zustande,  in  dem  das 
Bild  sich  gegenwärtig  befindet,  an  ein  großes  geschlossenes  Rollenbuch  erinnert. 
Doch  ist  dieser  Gegenstand  zu  groß-);  auch  konnte  eine  Rolle  nicht  die  ganze  Last 
des  Armes  tragen,  während  die  1.  Hand  selbst  leer  und  untätig  ist.  3)  Sehen  wir 
indes  von  der  Differenz  des  Gegenstandes  ab,  so  bietet  die  Armstützung  hier  immer- 
hin zum  Motiv  V  eine  Analogie.  Es  ist  dieselbe  stolze  Art,  wie  König  Thoas  die 
Unterarme  auf  das  Szepter  legt,  in  dem  berühmten  Bild  bei  HELBIG  Nr.  1333;  Monum. 
dell.  Ist.  VIII  Tfl.  22. 

Auch  das  stark  verblaßte  Bild  Locali  della  Promotrice,  das  sowohl  die  Zahl  185 
wie  985  trägt,  nützt  uns  leider  wenig:  große  Gewandfigur  (ob  weiblich?)  in  gold- 
braunem Ton:  sie  sitzt  im  Profil  und  stützt  mit  der  1.  Hand  auf  das  1.  Bein  einen 
Gegenstand,  der  eine  Tafel  oder  eine  geöffnete  Rolle  sein  könnte. 

Wohl  aber  sind  nun  noch  für  Motiv  V  aus  dem  Wiener  Dioskurides 
die  Ärzteversammlungen,  zwei  Miniaturen  der  Anfangsblätter  2b  und  3b, 
heranzuziehen,  die  das  größte  Interesse  erwecken,  da  sie  ein  deutlicher 

1)  Letzteres  nach  MAU'S  brieflicher  Mitteilung. 

2)  Siehe  Pitture  d'Erc.  VI  S.  97  mit  Abbildung;  dazu  die  Beschreibung:  „tiene 
colle  due  mani  (?)  un  vaso  rotondo  con  fogliami  nel  giro  superiore  e  col  fondo 
anche  convesso,  di  color  d'argento,  che  appoggia  sulla  coscia". 

3)  Mau  urteilt  ebenso,  nach  brieflicher  Mitteilung. 


122 


I.  Die' geschlossene  Rolle. 


Nachklang  der  Imagines  oder  Hebdomaden  Varro's  sind.  Denn  so  wie  in 
diesen  Varronischen  Bilderbüchern  immer  je  eine  Bildiläche  sieben  Porträts 
zusammengruppierte1),  just  ebenso  ist  es  hier  zweimal  geschehen.  Was 
indes  das  Detail  anlangt,  so  sind  die  Bilder  der  Wiener  Handschrift  ganz 
spät.  Der  Codex  ist  im  Jahr  512  geschrieben;  und,  beruhen  jene  Bilder 
auf  älteren  Vorlagen,  so  waren  doch  diese  nicht  nur  nach  Galen,  der  in 
ihnen  vorkommt,  sondern  frühestens  im  4.  Jahrh.  gemacht.  Dies  beweist 
schon  der  Umstand,  daß  keiner  dieser  Ärzte  ohne  Buchrolle  ist,  welche  Rollen 
dazu  sämtlich  geschlossen  sind,  eine  Pedanterie,  die  an  die  christlichen 
Apostelsarkophage  gemahnt.  Auch  die  äußerliche  Art,  Symmetrie  der  Buch- 
motive herzustellen,  führt  auf  dieselbe  Annahme  hin  (oben  S.  95).  Eine  weitere 
Bestätigung  gibt  fol.  5b,  wo  wir  Dioskurides  in  einem  blattreichen  Codex 
(nicht  etwa  Schreibtafel)  schreiben  sehen,  was  vor  der  angegebenen  Zeit  nicht 
vorkommt:  unsre  Abb.  178.  Daher  nun  auch  ebenda  das  späte  Buchmotiv  V, 
das  sich  hier  dreimal  vorfindet;  denn  schon  Xenokrates  zeigt  es  (doch  liegt 
hier  überdies  die  1.  Hand  unten  an  der  Rolle),  dann  Herakleides,  ferner 
auch  Krateuas  sowie  endlich  auf  fol.  4b  Dioskurides  selber.  Was  dies  Motiv 
hier  aber  ausdrücken  soll,  ist  nicht  abzusehen.  Dazu  kommt  endlich  noch, 
daß  die  Rollen  des  Pamphilos  und  Xenokrates  sogar  um  die  Mitte  mit 
schmalem  Band  zugebunden  sind2),  eine  Gewohnheit,  die  ich  wiederum  nur 
für  die  Spätzeit  belegen  kann.  Der  szenische  Wert  des  Buchs  aber  wird 
dadurch,  daß  es  zugebunden  ist,  vernichtet;  denn  Xenokrates  kann  die 
Rolle  in  diesem  Zustand  weder  soeben  gelesen  haben  noch  im  Begriff 
sein,  sie  jetzt  zu  öffnen.  Sie  ist  also  zum  bloßen  Attribut  herabgesunken.1) 
Das  Motiv  V  zeigt  den  „Richter"  nur  in  den  Fällen  an,  wo  die  Figur 
en  face  sitzt.  Diese  Ärzte  dagegen  sitzen  sämtlich  im  Profil,  und  dasselbe 
gilt  von  dem  Jünger,  bei  dem  ich  das  Motiv  noch  einmal  wiederfinde,  auf 


1)  Siehe  F.  RlTSCHL,  Opuscl.  III  S.  580.  Die  sieben  Figuren  sind  ganz  äußer- 
lich auf  die  Fläche  verteilt,  in  der  Art,  wie  die  Evangelisten  in  dem  Evangeliar  im 
Münsterschatz  zu  Aachen  (Die  Trierer  Ada-Handschrift  Tfl.  23).  Ganz  anders  da- 
gegen die  Gruppierung  des  Agrimensorenbildes  bei  BEISSEL,  Vatik.  Miniaturen  Tfl.  2, 
die  Mantuani  im  Dioskurides  ed.  Karabacek  S.  258  mit  Unrecht  verglich. 

2)  Dieses  Band  scheint  Mantuani  nicht  bemerkt  zu  haben. 

3)  Besser  sind  die  Motive  bei  anderen  Figuren  dieser  Miniaturen.  Sämtliche 
Ärzte  sitzen.  Dabei  zeigt  Mantias  das  Motiv  I  in  der  L.  Nigros  hält  die  Rolle  mit 
der  R.  vor  der  Brust,  Motiv  I.  Apollonios  faßt  sie  mit  seiner  L.,  die  im  Schoß  ruht, 
am  unteren  Ende.  Andreas'  r.  Hand  liegt  auf  dem  Schoß  und  hält  so  die  Rolle  hori- 
zontal; bei  Ruphos  wiederholt  sich  das  ähnlich  (oben  S.  95),  und  der  Dioskurides 
auf  fol.  3b  macht  es  wieder  ganz  so  wie  Ruphos.  Machaon  endlich  faßt  die  Rolle 
mit  der  L.  am  oberen  Ende  und  hält  sie  so  ans  Kinn,  indem  sein  Zeigefinger  das 
Kinn  nachdenklich  berührt,  was  uns  an  den  Asklepios  im  Palazzo  Pitti  (oben  S.  61) 
erinnert.  Dieser  Machaon  ist  wohl  die  besterfundene  Figur.  Wenn  dagegen  Man- 
tuani von  dem  Galen  auf  fol.  3b  vermutet,  er  halte  in  seiner  L.  eine  etwas  entfaltete 
Schriftrolle  in  roter  Umhüllung,  so  ist  dies  sachlich  eine  Unmöglichkeit;  das  Detail 
ist  leider  nicht  mehr  klar  zu  erkennen. 


E.  Wandmalerei;  Miniaturen  des  Dioskurides. 


123 


einem  Sarkophag  in  Rodez,  bei  Le  Blant  Tfl.  22,  2.  Auch  hier  ist  es  be- 
deutungslos geworden. 

Endlich  gibt  es  nun  noch  eine  Darstellung,  und  zwar  in  der  skulpierenden 
Kunst,  die  an  Kühnheit,  um  nicht  zu  sagen  an  Härte,  über  alles  bisher  Nach- 
gewiesene noch  hinausgeht.  Unter  den  christlichen  Sarkophagen  Südfrankreichs  in 
der  Sammlung  Le  Blant's  fand  ich  Tfl.  22,  1  eine  der  üblichen  Kompositionen,  die 
Christus  und  die  Apostel  zwischen  einer  Säulenordnung  zeigt.  Christus  hebt  hier 
aber  als  Mittelfigur  stehend  die  R. ,  während  seine  gesenkte  L.  sich  auf  eine  sehr 
große  geschlossene  Rolle  stützt,  die  ihrerseits  auf  einer  am  Boden  befindlichen 
Büchercapsa  senkrecht  aufsteht.  Der  leicht  verletzbare  Fuß  der  Rolle  ist  hier  also 
nicht  einmal  auf  einen  Gewandteil,  sondern  auf  eine  harte  hölzerne  Fläche  auf- 
gestellt, und  dabei  drückt  die  Hand  auf  sie,  die  ihren  Kopf  von  oben  gefaßt  hält, 
als  wäre  sie  ein  Stab  oder  eine  Säule.  Die  Abbildung  bei  Le  Blant  läßt  den 
Sachverhalt  mit  Sicherheit  erkennen,  während  in  der  Wiedergabe  bei  Garrucci 
Tfl.  339,  5  nichts  davon  zu  sehen  ist:  die  Rolle  ist  da  entstellt,  der  Kasten  ver- 
schwunden. 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Die  Bildwerke,  die  uns  das  ganz  oder  auch  nur  teilweise  geöffnete 
Buch  und  die  uns  vollends  einen  lesenden  Menschen  zeigen,  sind  in  den 
meisten  Fällen  szenisch  und  genrehaft,  und  wenige  von  ihnen  gehören 
daher  auch  der  statuarischen  Kunst  an,  die  das  Repräsentationsmotiv  be- 
vorzugt. Aber  die  Aufgabestellung  selbst  ist  alt,  und  Schildereien  dieser 
Art  begegnen  schon  in  der  ältesten  Zeit,  auf  attischen  Vasen  des  5.  Jahrh. 
vor  Chr.  Schreibende  darzustellen  liebte  die  ägyptische  Kunst.  Die  Kunst 
der  Griechen  und  Römer  hat  den  Schreiber  dagegen  mit  auffälliger  Nicht- 
achtung beiseite  geschoben.  Wohl  aber  waren  und  blieben  Lesende, 
Studierende,  in  Gesellschaft  Vortragende  für  sie  ein  immer  gleich  sehr  be- 
liebter Gegenstand. 

Das  Lesen  war  damals  etwas  wesentlich  anderes  als  heute.  In  einem 
modernen  Bande,  der  festgebunden  und  beschnitten  ist,  stehen  alle  Seiten 
gleichzeitig  der  Neugier  offen;  wer  heute  auf  den  Schluß  eines  Romans 
begierig  ist,  kann  ihn  zuerst  lesen;  wer  wählerisch  ist,  kann  in  einem 
Gedichtbuch  hin-  und  herblättern  und  naschen  nach  freiestem  Belieben. 
Eine  Rolle  ist  wie  ein  Geheimnis,  ein  Geheimnis,  das  sich  langsam  und 
nur  bei  Mühaufwand  enthüllt.  Denn  ihre  ersten  Blätter  sind  die  Decke 
der  folgenden,  und  wer  die  Anfangsseite  erwartungsvoll  rührt,  kann  nicht 
ahnen,  was  ihr  innerster  Kern  wohl  bergen  mag.  So  ist  es  wieder  eine 
Unmöglichkeit,  den  Schluß  vor  der  Mitte  kennen  zu  lernen.  Der  Inhalt  des 
Buchs  „entwickelt  sich"  wie  das  Buch  selbst  und  gleichzeitig  mit  dem 
Buche.  Wer  den  Wechsel  der  Themen  in  den  Horazoden  und  Properz- 
elegien,  die  Steigerung  der  Schlüsse  in  den  Kaisergeschichten  des  Tacitus 
bemerkt,  vergegenwärtige  sich,  daß  dies  auf  die  neugierige  Spannung  des 
Lesers  berechnet  war,  der  nur  immer  die  eine  Textspalte  im  Auge  hatte 
und  dem  sich  alles  Folgende  verbarg,  bis  er  schiebend  sich  weitergearbeitet 
hatte.  Die  überraschte  Freude  am  Wechsel  des  Inhalts  war  damals  größer 
als  heute. 

Aber  auch  einen  wirklichen  Übelstand  brachte  das  System  des  Rollens 
mit  sich.  Das  Aufsuchen  einzelner  Stellen  im  Text,  das  Feststellen  von 
Zitaten  war  sehr  erschwert  und  erst  möglich,  wenn  man  das  Rouleau  weit 


Wollene  Binden. 


125 


auseinandergerollt  hielt,  so  daß  mehrere  oder  viele  Textspalten  gleichzeitig 
sich  überblicken  ließen.  Dies  setzte  aber  ein  Ausspannen  der  Arme  voraus, 
das  kaum  jemand  lange  ertrug.  Daher  war  für  solche  gelehrte  Zwecke 
der  Lesediener,  der  Anagnostes,  nötig. 

Bevor  wir  indes  die  Darstellungen  ins  Auge  fassen  und  in  Gruppen 
zerlegen,  ist  eine  Anmerkung  über  die  wollenen  Binden  vorauszuschicken, 
die  von  Personen,  die  eine  Funktion  im  Gottesdienst  haben,  zu  sakralem 
Zweck  getragen  werden  und  die  den  einen  oder  anderen  Betrachter  beim 
ersten  Anblick  in  die  Irre  führen  könnten. 

Wer  im  antiken  Theater  zu  Athen  an  dem  reliefgeschmückten  Proske- 
nion, das  aus  dem  3.  Jahrh.  n.  Chr.  stammt1),  den  knienden  Silen  be- 
trachtet, der  ein  Werk  des  1.  Jahrh.  ist  und,  den  Reliefstreifen  unter- 
brechend, scheinbar  das  über  ihn  hinlaufende  Gesims  trägt,  der  bemerkt, 
daß  sein  gesenkter  r.  Arm  sich  nicht  auf  den  Erdboden,  sondern  auf  eine 
Doppelrolle  stützt,  die  neben  ihm  auf  der  Erde  liegt  und  deren  obere 
Rollung  er  umfaßt.  Der  Kontrapost  ist  der  schönste:  der  1.  Arm  und  das 
1.  Knie  sind  erhoben,  das  r.  Knie  und  der  r.  Arm  sind  gesenkt.  Zugleich 
hält  die  erhobene  1.  Hand  aufstützend  eine  zweite  geschlossene  Rolle,  als 
trüge  er  damit  eine  Last.  Es  ist  aber  unmöglich,  hier  an  ein  Buch  zu 
glauben.  Denn  abgesehen  davon,  daß  sonst  niemals  ein  Mensch  zwei 
Buchrollen  hält  (oben  S.  81),  so  wäre  die  Höhe  der  Rollenzylinder  im  Ver- 
hältnis zur  Hand  viel  zu  gering;  sie  müßten  weiter  aus  ihr  hervorstehen. 
Außerdem  ist  das  Buch  in  der  R.  wohl  um  das  Zehnfache  zu  dick;  denn 
der  gerollte  Stoff  ist  hier  in  zwei  Konvolute  zusammengenommen,  die  durch 
einen  offenen  Mittelstreifen  zusammenhängen  und  von  denen  jedes  im 
Durchmesser  eine  Buchrolle  bei  weitem  überbietet.  Die  Hand  des  Silen 
würde  nicht  ausreichen,  es  zu  umspannen.  Überdies  würde  nun  ein  Buch 
aus  Charta  durch  den  Druck  des  lastenden  Armes  kläglich  zermalmt 
werden;  dasselbe  Bedenken  betrifft  wohl  auch  die  Rolle  in  der  L.  So 
rücksichtslos  ist  kein  antiker  Mensch,  auch  nicht  einmal  ein  Silen,  mit  der 
zarten  Charta  umgegangen.  Aber  was  soll  ein  Silen  überhaupt  mit  Büchern? 
Sus  Minervam!  Erklärlicher  ist  es,  daß  er  als  Kultdiener  des  Dionys  Woll- 
binden trägt,  die  lang  ausgezogen  und  flatternd  zum  Schmuck  der  heiligen 
Stätten  dienten2)  oder  um  den  Altar  gewickelt  wurden.  5)  Nur  dazu  stimmen 
auch  die  Größenverhältnisse  des  Konvolutes. 


1)  Die  Silene  sind  älter  und  besser  als  die  Reliefs  des  Proskenions;  s.  Matz 
in  Annali  1870  S.  97;  sie  stammen  aus  dem  Anfang  der  Kaiserzeit,  sind  aber  erst 
später  willkürlich  hier  angebracht  worden;  vgl.  E.  CURTIUS,  Stadtgesch.  Athens,  1891, 
S.  271;  Dörpfeld  u.  Reisch,  Das  griechische  Theater  S.  86  ff.;  übrigens  v.  Sybel, 
Katalog  Nr.  4991.    Abbildung:  Monum.  d.  I.  IX  Tfl.  16;  auch  Reinach,  Rep.  II  57,  5. 

2)  Vgl.  z.  B.  Lucan  2,355;  domus  sacerdotum  infulata  Prudent.  Peristeph.  4,79. 

3)  Properz  IV  6,  6;  vgl.  Vergil  ecl.  8,  64. 


126 


IL  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Ein  stehender  Silen  mit  Schlauch,  ohne  Rolle,  „vielleicht  Träger  in  einer  römi- 
schen Architektur",  findet  sich  in  Mantua  (DÜTSCHKE  IV  Nr.  640);  ein  kniender  ohne 
Rolle,  als  kleine  Statuette,  im  Louvre  (Reinach,  Repert.  II  57,8).  Auch  der  kniende  Barbar, 
den  man  Revue  archeol.  21  (1893)  Tfl.  XIII  Fig.  1  abgebildet  findet,  kann  damit  ver- 
glichen werden.  Im  wesentlichen  identisch  dagegen  mit  dem  athenischen  ist  die 
Brunnenstatue  eines  knienden  Silen,  der  den  Schlauch  trägt,  im  Konservatoren- 
palast zu  Rom;  nur  ist  das  Motiv  hier  umgedreht,  und  der  1.  Arm  stützt  sich  auf 
das  Doppelkonvolut  der  Rolle;  unsere  Abb.  69. J)    Helbiq,  Führer  Nr.  619,  sagt: 

„Der  Bildhauer  beging  dabei  den  Mißgriff,  die  Schriftrolle  beizubehalten,  ein 

Motiv,  welches  für  eine  Brunnenfigur  wenig  passend  ist."  Hier  gelten  dieselben 
Argumente  wie  vorhin.    Auch  hier  liegt  eine  wollene  Binde  vor.    Der  Rollenschnitt 

ist  übrigens  nicht  ausgearbeitet, 
auch  nicht  hinten,  der  Daumen 
des  Silen  liegt  hier  aber  auf  dem 
Rollenschnitt  in  der  Weise  auf,  daß 
er  in  die  Stoffmasse  geradezu  hin- 
eingedrückt erscheint,  was  gewiß 
die  Wolle,  schwerlich  dagegen  die 
Papyruscharta  zuließ;  s.  Abb.  70. 


Abb.  69:  Konservatorenpalast. 


Abb.  70:  Detail  zu  demselben. 


Auch  der  Karyatide  im  Braccio  nuovo  des  Vatikan  vindizierte  man  früher  eine 
Buchrolle;  daß  auch  sie  vielmehr  die  infula  trug,  ist  inzwischen  erkannt  worden; 
vgl.  oben  S.  96.  Auch  sie  ist  eine  Kultdienerin,  und  auch  sie  dient  dabei  als 
Architekturstütze.    Beide  Erfindungen  lassen  sieht  also  nicht  unpassend  vergleichen. 

Noch  sei  eine  der  Metopen  des  Parthenon  (von  der  Südseite;  Michaelis,  Par- 
thenon Nr.  20)  erwähnt;  sie  zeigt  zwei  Frauen  mit  Rollen;  auch  diese  aber  sind  als 
infulae  erkannt;  die  Binde  ruht  in  der  L.  und  wird  mit  der  R.  nach  oben  aufgerollt: 
s.  PERNICE  im  Jahrbuch  d.  arch.  Inst.  X,  1895,  S.  100  und  Tfl.  3. 

Schwer  fällt  die  Entscheidung  angesichts  der  interessanten  Statue  von  Anzio, 
hellenistischen  Stils,  die  von  Altmann  in  den  Jahresheften  des  öst.  arch.  Inst.  VI, 
1903,  S.  195  f.  besprochen  und  Tfl.  VII  abgebildet  ist2),  eine  jugendliche  Frauengestalt, 
vom  Verfasser  als  Orakelspenderin  in  Patara  gedeutet.  Sie  trägt  in  den  Händen 
eine  schüsselartige  Platte;  darauf  befinden  sich  ein  Lorbeerzweig,  ein  kleiner  Löwe 

1)  Abgebildet  auch  im  Bullettino  communale  di  Roma,  1875,  Tfl.  XII;  vgl. 
Reinach,  Rep.  II  58,  2. 

2)  Eine  Wiedergabe  auch  in  der  Revue  des  etudes  grecques  XVIII,  1905,  S.  119. 


Wollene  Binden. 


127 


und  eine  geschlossene  Rolle  mit  offen  liegendem  Endblatt.  Dies  hält  der  genannte 
Gelehrte  für  eine  Pergamentrolle,  die  auf  das  Orakelspenden  Bezug  hat.  Warum 
nicht  vielmehr  für  eine  Papyrusrolle?  Darstellungen  von  Pergamentrollen  dieses 
Formats  kenne  ich  nicht.  Doch  möchte  ich  lieber  auch  hier  im  Hinblick  auf  ihre 
Kleinheit  an  eine  Wollbinde  denken,  die  zum  Apparat  der  Priesterin  sehr  wohl 
passen  würde.  Die  Rollungen  im  Schnitt  des  geschlossenen  Zylinders  sind  de- 
tailliert wiedergegeben.  Zu  vergleichen  ist  übrigens  der  kahlköpfige  Isispriester 
unter  den  Kalenderbildern  des  Chronographen  vom  Jahre  354  (ed.  Jos.  Strzygowski 
Tfl.  30;  November),  der  in  der  R.  das  Sistrum,  auf  der  L.  eine  platte  runde  Schüssel 
trägt,  auf  der  sich  allerlei  Gegenstände,  u.  a.  auch  eine  Schlange,  befinden. 

Ebensolche  schmale  Wollbinde  erkenne  ich  mit  Bestimmtheit  auf  dem  sog. 
Menanderrelief  des  Lateran,  unserer  Abb.  113,  und  für  meine  Auffassung  des  vorigen 
Beispiels  ist  dies  mit  bestimmend.  Dies  findet  indes  seine  Begründung  besser  in 
einem  anderen  Zusammenhang. 

Die  anschaulichste  Darstellung  aber  ist  leider  meines  Wissens  nicht  veröffent- 
licht. Am  1.  März  1901  erhielt  ich  durch  Herrn  Pietro  de  Prisco  Zulaß  zu  den 
großartigen  Wandgemälden  in  Boscoreale,  die  der  glückliche  Finder  und  Besitzer 
dortselbst  neben  der  Tischlerei  in  zwei  Sälen  eines  Magazino  aufgestellt  hatte. 
Aufnahmen  oder  auch  nur  Notizen  zu  machen,  wurde  nicht  gestattet.  In  der  Be- 
schreibung, die  ich  später  aus  dem  Gedächtnis  aufsetzte,  finde  ich  die  Angaben: 
„Im  Übergang  vom  ersten  zum  zweiten  Teil  des  Magazins  steht  ein  großes 
Fresko  in  Querformat,  darstellend  einen  Schmucktisch,  besetzt  mit  Metallgefäßen, 
Pokalen  von  schöner  Arbeit,  offenbar  Tempelgut;  bemerkenswert  besonders  Woll- 
binden, die  auf  dem  Tisch  liegen;  die  Enden  der  Rollen  sind  abgerollt.  Es  sind 
nach  meiner  Erinnerung  zwei,  farbig  und  von  verschiedener  Farbe."  Im  selben 
Jahr  1901  erschien  La  villa  Pompeiana  di  P.  Fannio  Sinistore  von  F.  Barnabei. 
Seine  Beschreibung  der  beiden  Tänien  auf  S.  27  stimmt  hierzu;  beide  Rollen  haben 
color  pavonazzo,  doch  ist  die  eine  etwas  heller.  Die  Enden  hängen  vom  Tisch 
herab  (pendente  con  la  parte  svolta  sul  lato  sinistro  della  tavola).  Wie  Mau  mir 
mitteilt,  befindet  sich  das  Bild  jetzt  im  Neapler  Museum;  derselbe  bemerkt  mir,  daß 
es  vier  Rollen  sind:  eine,  violett,  ist  ganz  aufgerollt;  zwei  weitere,  derselben  Farbe1), 
und  eine  grüne  entsprechen  meiner  Beschreibung. 

Natürlich  diente  die  Binde  nun  aber  auch  zu  profanem  Zweck;  ich  meine  das 
öOöviov.  Sehr  schmal  und  bandartig  ist  dasselbe  auf  dem  Adonisbild  Pompejis,  wo 
die  Amoren  die  Wunde  am  Bein  des  sterbenden  Lieblings  der  Venus  verbinden. 
Ganz  ebenso  die  Verbindung  des  Beines  eines  Verwundeten  auf  dem  Amethyst  bei 
INGHIRAMI,  Galleria  Omerica  Bd.  II  Tfl.  122;  auf  der  Sosiasschale,  Antike  Denkmäler  I 
Tfl.  10.  Realistischer  das  Relieffragment  vom  ESQUILIN,  Bullert,  commun.  di  Roma 
II,  1874,  S.  89  f.,  Tfl.  I,  wo  einem  sitzenden  Manne,  dem  eine  Kugel  als  Schemel 
dient,  nach  Visconti  dem  Zeus,  der  den  Bacchus  aus  dem  femur  geboren  hat,  von 
einer  weiblichen  Helferin  das  Bein  mit  einer  Binde  verbunden  wird.  Die  Binde  ist 
auch  hier  schmal,  am  Ende  aber  ist  sie  in  ein  Konvolut  zusammengerollt. 

Dieses  öOöviov  findet  sich  einmal  in  bemerkenswerter  Verbindung  mit  dem 
ßiß\(ov  erwähnt.  Beide  dienten  als  Geldbeutel.  Niese  weist  mich  darauf  hin,  daß 
man  in  der  Tat  gelegentlich  gemünztes  Geld  entweder  in  Leinwand  oder  in  einem 
„Buch"  aufbewahrte  (auf  Delos;  s.  Bull,  de  corr.  hellen.  29  S.  545 f.:  vöuic)ua  irav- 
To&onröv  ev  ö9ovum  Kai  ßußXiuui).  Beides  hatte  die  gleiche  Form  der  Binde,  aus 
beidem  aber  muß  eine  beutel-  oder  dütenartige  Hülle  hergestellt  worden  sein. 
Bekannt  ist,  daß  man  sich  abgebrauchter  Bücher  ja  auch  sonst  als  Makulatur  zum 
Einwickeln  bediente;  so  wird  das  Buch  zum  cucullus  für  Weihrauch  und  Pfeffer  bei 
Martial  III  2.-)    Eine  „Düte"  mit  Geld  aber  findet  man  bei  Helbig,  Wandgem.  1727. 

Wenden  wir  uns  nach  dieser  Abschweifung  zu  den  Büchern  zurück. 


1)  Eine  von  diesen  ist  sehr  verblichen. 


2)  Vgl.  Friedländer  z.  St. 


128 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


A.  Das  Schlußblatt  steht  offen. 

Wir  nähern  uns  dem  Lesenden  langsam  und  auf  Umwegen.  Zunächst 
der  Fall,  daß  die  Rolle,  so  wie  wir  dies  bisher  gesehen,  geschlossen  in 
der  1.  Hand  ruht.  Aber  ihr  letztes  Blatt  steht  offen.  Die  Person,  die 
das  Buch  hält,  ist  kein  Lesender,  und  ihr  Blick  fällt  meist  auch  nicht  auf 
das  offene  Blatt.  Wir  haben  es  mit  demjenigen  zu  tun,  der  zwar  mit  der 
Lesung,  der  aber  noch  nicht  ganz  mit  der  Zusammenrollung  der  Seiten, 
die  der  L.  obliegt,  fertig  ist;  und  so  steht  denn  das  Eschatokoll  noch  offen. 
Diese  leise  Veränderung  des  Motivs  I  war  gewiß  dem  Leben  abgelauscht 
und  sie  wirkt  belebend,  zugleich  aber  hatte  der  Künstler  wohl  noch  einen 
sinnvollen  Nebenzweck  damit,  gerade  das  Eschatokoll  aufgeklappt  zu  zeigen. 
Denn  das  Schlußblatt  war  Titelblatt;  es  war  der  Träger  der  sog.  sub- 
scriptio  des  Buchs1);  sogar  die  Zeilenzahl  der  Buchschrift  pflegte  darauf 
mit  angegeben  zu  sein.  Nach  des  Künstlers  Willen  soll  der  Betrachter 
erfahren,  mit  welchem  Werke  die  dargestellte  Person  sich  eben  beschäftigt 
hat.  Da  Marmorwerke  bemalt  wurden,  so  läßt  sich  annehmen,  daß  wirklich 
gelegentlich  bei  einem  solchen  der  Buchtitel  aufgeschrieben  zu  sehen  war. 

Diese  Erfindung  scheint  hellenistisch.  Sie  wird  angetroffen  auf  dem 
Homerbecher  aus  Pompeji,  deutlich  abgebildet  bei  Millingen,  Ancient  un- 
edited  monuments,  1822,  Tfl.  XIII;  vgl.  Overbeck-Mau,  Pompeji  S.  624: 
eine  Apotheose  des  Dichters,  der  auf  dem  Rücken  des  fliegenden  Adlers 
reitet.  Dabei  stützt  er  mit  der  r.  Hand  sein  Kinn;  der  1.  Arm  sucht  nach 
einem  Halt  und  senkt  sich  vorn  um  den  Hals  des  aufstrebenden  Vogels, 
und  die  gesenkte  Hand  hält  dabei  das  Buch,  Motiv  I,  in  flacher  Lage;  das 
letzte  Blatt  der  Rolle  aber  hängt  hier  lose  herab. 

Dasselbe  haben  wir  festgestellt  auf  dem  Relief  der  Via  S.  Sebastiano, 
das  eine  literarische  Unterhaltung  gibt,  oben  S.  93.  Eine  literarische  Unter- 
haltung auch  bei  Robert,  Sarkoph.  II  1  Tfl.  52  Nr.  141,  1.  Hälfte:  von  den 
vier  sitzenden  Literaten  hält  hier  einer  eine  geschlossene  Rolle  in  der  L. 
so,  daß  das  letzte  Blatt  abgerollt  hängt. 

Im  Vatikan,  Sala  della  Croce  Greca,  findet  sich  hoch  oberhalb  der  Praxiteli- 
schen  Aphrodite  ein  Relief  ohne  Nummer  eingemauert.  Das  Detail  ist  nicht  leicht 
zu  erkennen,  etwaige  Ergänzungen  sind  nicht  festzustellen.  Hier  schien  mir  die 
zweite  Figur  (von  links)  in  der  L.  ein  Rollenbuch,  in  der  R.  den  Calamus  (nicht 
Stilus)  zu  halten.  Die  letzte  Seite  der  Rolle  aber  schien  mir  aufgeschlagen  oder 
zurückgeschlagen.    Ist  dies  richtig,  so  hält  die  L.  das  Buch  vor  dem  Beginn  der 


1)  Die  gefundenen  Papyri  illustrieren  das  am  besten.  Ein  literarisches  Zeugnis, 
das  wenigen  bekannt  scheint,  sei  hierzu  angeführt.  Censorinus  las  Varro's  Satiren 
in  Rollen;  er  schreibt  De  die  nat.  9:  opinionem  Pythagoricam  a  Varrone  tractatam 
in  libro  qui  vocatur  „Tubero"  et  intus  subscribitur  (so  der  cod.  Colon.;  v.  1.  scri- 
bitur)  „de  origine  humana".  Also  jede  Satire  war  eine  Rolle;  ihr  Personaltitel 
stand  auf  dem  Protokoll,  ihr  Sachtitel  aber  stand  intus,  d.  i.  auf  dem  Eschatokoll. 


A.  Das  Schlußblatt  steht  offen. 


129 


Lesung-,  und  es  soll  auf  das  Protokoll  noch  der  Werktitel  eingetragen  werden. 
AMELUNG  erklärt  diese  Rolle  indes  für  ein  Diptychon. 

Zuverlässiger  das  szenische  Relief  bei  Wieseler,  Theatergeb.  XIII  Nr.  1:  hier 
hält  wiederum  eine  der  Gestalten  die  geschlossene  Rolle  in  der  L.,  das  äußerste 
Blatt  aber  ist  abgerollt. 

Dazu  der  Grabstein  der  Claudia  Italia  im  Louvre,  den  der  Gatte  Hermias  ihr 
gesetzt:  s.  Reinach,  Repert.  I  42,  2;  Winckelmann,  Mon.  ant.  I  Nr.  187;  unsre  Abb.  71. 
Die  Frau  sitzt  da  auf  einem  Thron  mit  Schemel  im  Halbprofil  nach  rechts,  die  r.  Hand 
im  Schoß;  mit  der  L.  hält  sie  ein  geschlossenes  Buch  hoch,  dessen  Eschatokoll  in  der 
Weise  offen  steht,  daß  der  Betrachter  eine  etwaige  Aufschrift  darauf  lesen  konnte. 
In  der  Tat  ist  eine  solche 


35o.  D 
CLHTAUAE«Cl/  HER 


vorhanden  (oben  S.  65  f.). 
Zu  ihren  Füßen  ein  Hünd- 
chen; auf  einer  Erhöhung 
aber  steht  die  winzige 
„Tyche",  ihr  Spielkind  (de- 
licata),  und  streckt  das  r. 
Händchen  nach  dem  Buch. 
Auch  hier  verbirgt  sich 
wohl  irgend  ein  Doppelsinn: 
die  Frau  ist  Künstlerin;  die 
Aufschrift  des  Buchs  bezeugt 
es;  ihre  Kunst  ist  nun  aber 
zu  Ende;  die  Frau  ist  bis 
zur  Schlußseite  ihres  musi- 
schen Lebens  gelangt.  Das 
Spielkind  aber,  das  bedeut- 
samerweise Tyche  heißt, 
möchte  ihr  das  Buch  ent- 
reißen, d.  h.  seine  symbo- 
lische Bedeutung  aufheben. 

Weiter  ein  Musensarko- 
phag (Reinach,  Rep.  I  S.93), 
wo  gleich  die  erste  Muse 
von  links  in  der  aufgestütz- 
ten L.  die  Rolle  hoch  hält; 
ihr  Blick  scheint  dabei  auf 

dem  offenen  schmalen  Eschatokoll  zu  ruhen.  Vgl.  auch  Darembero-Saolio  Bd.  III 
Fig.  5217;  FRÖHNER,  Catal.  Nr.  378. 

Auf  dem  christlichen  Sarkophag  des  Louvre,  bei  Reinach  a.  a.  0.  S.  117 
(1.  Seitenfläche),  ist  es  einer  der  vier  Evangelisten,  an  dem  man  dasselbe 
beobachtet;  dabei  ist  das  herabhängende  Blatt  an  den  Ecken  gerundet  und 
wie  eine  Zunge  geformt. 

Beachtenswert  aus  demselben  Anlaß  auch  der  Elfenbeinbecher  in 
Berlin  (3.  Jahrh.),  der  Christus  unter  den  Jüngern  zeigt;  vgl.  oben  S.  77; 
die  bärtige  Eckfigur  links  hält  in  der  gesenkten  L.  das  Konvolut  einer 
Rolle  horizontal,  von  ihr  hängt  das  letzte  Blatt  wieder  wie  eine  breite 
Zunge  herunter.  Denn  die  Ecken  des  Eschatokoll  sind  auch  hier  ab- 
gerundet. 

Gelegentlich  erscheint  aber  das  Buch  mit  dem  offenen  Endblatt  auch 
in  der  rechten  Hand.    Es  versteht  sich,  daß  alsdann  auch  die  Interpreta- 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  9 


Abb.  71 :  Grabrelief,  Paris. 


130 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


tion  umzukehren  und  nicht  vom  Eschatokoll,  sondern  vom  Protokoll  zu 
reden  ist.  Das  Protokoll  trug  gewiß  gleichfalls  den  Titel  des  Buchs,  dazu 
etwa  noch  ein  Vorwort;  es  ist  nachgewiesen,  daß  das  erste  Blatt  des 
Buchs  bei  der  Seitenzählung  nicht  mitgezählt  wurde.1)  Ein  lecturus,  der 
eben  nur  das  erste  Blatt  geöffnet  hat,  ist  also  in  der  pompejanischen 
Statuette  zu  erkennen,  Neapel,  Galerie  der  Balbi  Nr.  6237,  die  oben  S.  88 
beschrieben  ist;  Abb.  46. 

Anders  dagegen  die  Muse,  die  stehend  dem  sitzenden  Homer  die 
Rolle  überreicht,  auf  dem  soeben  erwähnten  Musensarkophag  des  Louvre, 
schon  oben  S.  84  erörtert.  Bei  dieser  Überreichung  ist  das  Protokoll  zu 
dem  besonderen  Zweck  aufgedeckt,  damit  der  Empfänger  den  Titel  des 
Buchs  oder  die  berühmten  Anfangsworte  Mfjviv  deibe  6ed  erkenne. 

Eine  geschlossene  Buchrolle  mit  geöffnetem  und  beschriebenem  Escha- 
tokoll oder  Protokoll  findet  sich  auch  unter  den  Insignia  des  Magister 
scriniorum  in  der  Notitia  dignitatum  S.  161  und  S.  43  ed.  Seeck. 

B.  Das  Schlußblatt  wird  gelesen. 

Schon  der  vorige  Abschnitt  brachte  uns  einen  Beleg  dafür,  daß  das 
Auge  dessen,  der  das  Buch  hält,  auf  dem  offnen  Schlußblatt  ruht.  Es 
handelte  sich  um  eine  Muse,  der  wir  ein  wirkliches  Studium  oder  ein  Lesen 
der  Bücher,  deren  Träger  sie  ist,  schwerlich  zuschreiben  dürfen.  Schrei- 
bende Musen  sind  verständlich;  in  welchem  Sinne  es  auch  lesende  gibt, 
soll  bald  hernach  erörtert  werden.  Wenden  wir  uns  also  zu  den  Sterb- 
lichen. Ab  und  zu  begegnet  das  Eigentümliche,  daß  just  das  Buchende 
gelesen  wird.  Und  während  beim  Lesen  sonst  beide  Hände  das  Buch 
fassen,  hält  es  hier  nur  die  L.,  und  die  offene  Buchseite,  ob  sie  nun  die 
Breite  von  einer  oder  zwei  Schriftkolumnen  hat,  hängt  oder  steht  dabei 
frei  in  der  Luft. 

Hier  ist  vielleicht  der  Berliner  Musensarkophag,  „Beschreibung"  Nr.  844, 
zu  nennen.  Der  Reliefstreif  seines  Deckels  gibt  eine  Anzahl  von  literari- 
schen Szenen  in  winziger  Größe  (oben  S.  65  u.  111).  Die  zweite  Szene  (von 
links)  daselbst  ist  zweifigurig.  Links  sitzt  ein  Jüngling  im  Profil  nach  rechts, 
nackt,  aber  doch  den  Mantel  über  das  1.  Bein  geschlagen,  die  r.  Hand  auf 
den  Sitzrand  gestützt,  und  hält  in  der  L.  ein  großenteils  zusammengerolltes 
Buch  vor  sich,  in  der  Weise,  daß  die  Hand  das  Konvolut  selbst  hält,  von 
welchem  ein  Blatt  etwa  in  doppelter  Breite  des  Konvoluts  nach  rechts  vor- 
ragt; vor  dem  Original  erkannte  ich  genauer  Motiv  VII.  Der  Bück  des 
jungen  Mannes  aber  ist  auf  dies  offene  Blatt  oder  auch  darüberhin  auf 
die  Nebenfigur  gerichtet.  Denn  rechts  von  ihm  steht  ein  bärtiger  Mann, 
nur  den  Unterkörper  bekleidet,  en  face,  also  nicht  dem  Jüngling,  sondern 


1)  Philologus  63  S.  425. 


B.  Das  Schlußblatt  wird  gelesen. 


131 


dem  Betrachter  resp.  dem  Publikum  zugewandt;  seine  Beine  schreiten  weit 
aus  und  seine  r.  Hand  hat  den  Gestus  des  Sprechers.  Dieser  Mann  ist 
also  ein  Rezitator,  der  Sitzende  daneben  ist  entweder  sein  Souffleur  oder 
er  hält  jenem  die  Buchseite  zum  Ablesen  hin.  Die  Vorstellung  aber 
scheint  eben  zu  Ende  zu  gehen. 

Dies  leitet  uns  zu  den  beiden  ausdrucksvollen  Admetbildern 
weiter,  im  Neapler  Museum,  Helbiq  Nr.  1157  aus  Herculaneum,  Nr.  1158 
aus  der  Casa  del  poeta  in  Pompeji,  unsere  Abb.  72  und  73  (vgl.  Pitture 
d'E.  I  11  S.  61;  Mus.  Borbon.  VII  53;  XI  47): 

Um  von  den  Nebenfiguren  abzusehen,  so  sitzen  auf  beiden  Bildern  Admet  und 
Alkestis  in  der  1.  Hälfte  der  Komposition;  ihnen  gegenüber,  auf  einem  niedrigen 
und  breiten  Sessel  ohne  Lehnen  sitzt  beidemal,  hier  nah,  dort  weiter  abgerückt,  der 
„Buchträger",  ein  Jüngling,  den  man  von  hinten  sieht.  Er  ist  beidemal  bis  auf  die 
Schenkel  nackt,  und  die  Chlamys  bedeckt  nur  den  Unterkörper.  Das  eine  Mal  trägt 
er  ein  Band  in  den  Haaren.  Beidemal  streckt  er  die  r.  Hand  in  der  Richtung  auf 
Admet  vor  und  hält  dabei  in  der  gleich  weit  vorgestreckten  L.  ein  Rollenbuch  von 
ganz  geringem  Volumen,  dessen  letzte  Seite  abgerollt  ist  und  sich  von  selbst  frei 
ausgespannt  hält;  in  einem  Fall  ist  auf  ihr  die  Andeutung  von  Schrift  erkennbar. 
Daß  beidemal  ein  Chartaröllchen  und  nicht  etwa  in  Abb.  73  ein  „Täfelchen"  vorliegt 
(so  meinte  Helbig),  ist  mir  angesichts  des  Originals  und  der  vorliegenden  Photo- 
graphie außer  allem  Zweifel.  In  beiden  Fällen  ist  eben  ein  Konvolut  von  allerdings 
nur  geringer  Dicke  am  1.  Ende  des  Blattes  deutlich.  Es  gab  natürlich  auch  kurze 
Texte,  die  nur  zwei-,  dreimal  um  sich  selbst  gewickelt  zu  werden  brauchten.  Dies 
links  befindliche  Konvolut  ist  es  darum,  das  allein  von  der  1.  Hand  angefaßt  und 
gehalten  wird;  vgl.  das  S.  143  f.  beschriebene  Konzert  im  Neapler  Museum.  Daß 
man  dagegen  eine  Tafel  beim  Lesen  so  an  einer  Seite  hielt,  wäre  unnatürlich  und 
schwer  glaublich  zu  machen. 

Daß  der  Jüngling  seine  r.  Hand  vorstreckt,  kommt  offenbar  daher,  daß  diese 
Hand  eben  noch  das  r.  Ende  des  vorgestreckten  offenen  Blattes  gehalten  hatte  und 
es  eben  erst  losließ.  Die  R.  ist  aber  in  Abb.  73  zugleich  schon  in  den  Gestus  des 
Zeigens  übergegangen  und  weist  auf  das  Blatt  selbst  hin,  auf  das  auch  Admet 
ebendort  voll  Aufregung  mit  dem  Finger  deutet.  Es  handelt  sich,  wie  längst  er- 
kannt ist,  um  einen  Orakelspruch,  der  das  Schicksal  des  jungen  Königs  und  seiner 
Gattin  vorausbestimmt.  Der  Verkünder  dieses  Spruches  ist  nun  in  Abb.  72  noch 
im  Begriff,  den  Spruch  selbst  zu  Ende  zu  lesen;  er  liest  dort  noch  vor,  und  die 
Gebärden  der  übrigen  Personen,  besonders  auch  der  alten  Mutter,  sind  noch  deut- 
lich die  der  Lauschenden.  In  Abb.  73  hat  er  dagegen  den  Schluß  der  Schrift 
schon  soeben  abgelesen  und  blickt  nun  den  Admet  schicksalsvoll  an,  indem  sie 
beide  zugleich  auf  die  Schrift  mit  den  Fingern  weisen,  und  aller  Gebärden  zeigen 
hier  Ergriffenheit,  aber  nicht  mehr  das  Hinhorchen  dessen,  der  einer  Vorlesung  zu- 
hört. So  scheint  alles  auf  das  schönste  zum  Ausdruck  gebracht;  zugleich  aber 
lernen  wir  hier  das  kleinste  Format  eines  Buchröllchens,  einen  libellus  kennen,  der 
zwar  die  übliche  Blatthöhe  hat,  sonst  aber  dem  Umfange  eines  Briefes  oder  eines 
kurzen  Carmen  fatidicum  in  den  herkömmlichen  langen  Hexameterzeilen  genügte. 

Hierher  gehört  wohl  auch  das  Freskobild  des  Neapler  Museums,  Locali  della 
Promotrice,  Bild  ohne  Nummer.  Zwei  Frauen  auf  schwarzem  Grund.  Links  sitzt 
eine  Frau  in  Vorderansicht  und  hat  in  beiden  Händen  eine  weit  offene  Rolle,  aus 
der  sie  vorliest.  Vor  ihr  sitzt  rechts  und  etwas  tiefer  die  andere,  im  Profil.  Ob 
auch  sie  etwa  ein  offnes  Buch  hält,  schien  unsicher.  Hinter  ihr  lehnt  eine  große 
Leier.  Was  nun  die  erstere  Figur  anlangt,  so  ruht  ein  Konvolut  nur  in  ihrer  1.  Hand. 
In  der  r.  Hand  befindet  sich  kein  Konvolut;  sie  faßt  nur  ein  Blattende.  Die  Lesung 
ist  also  beim  Eschatokoll  angelangt.  Daß  die  Vorleserin  höher  sitzt,  ist  angemessen. 

Auch  den  Reisenden   im  Wagen  finden  wir  einmal,  wie  er  Lektüre  treibt: 

9* 


132  II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Relieffragment  im  Vatikan,  Mus.  Chiaramonti  Nr.  328.  Ein  vierrädriger  offner  Wagen 
mit  Pferden  bespannt;  auf  dem  Vorderteil  des  Wagens  saß  der  Kutscher  auf  einem 
Kissen;  im  Wagen  sitzt  ein  Mann  in  Tunika  und  Mantel;  sein  Kopf  fehlt.  Er  erhebt 


Abb.  72:  Admetbikl. 


die  R.  wie  dozierend,  in  der  L.  aber  hält  er  eine  Rolle,  die  schon  fast  ganz  wieder 
zusammengerollt  ist;  nur  ein  Blattende  etwa  von  der  Breite  einer  oder  zweier 
Kolumnen  hängt  davon  herab;  s.  Amelung  Tfl.  55.  Daß  man  auf  Reisen  las,  er- 
wähnt Martial  14,  188  (oben  S.  32). 


B.  Das  Schlußblatt  wird  gelesen. 


133 


Auf  dem  Sarkophag  des  M.  Sempronius  Nicocrates  aus  Rom  (British  Museum 
Bd.  III  Nr.  2313  bei  SMITH)  steht  die  Muse,  den  r.  Ellenbogen  aufgestützt,  die  r.  Hand 


Nr.  73:  Admetbild. 


unter  dem  Kinn,  vor  dem  sitzend  rezitierenden  Dichter;  dieser  ist  bärtig;  in  seiner 
L.  hält  er  „an  open  scroll";  diese  Rolle  scheint  aber  vielmehr  geschlossen  und  nur 
das  letzte  Blatt  noch  offen  zu  stehn;  s.  bei  Smith  Abb.  44. 


134 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  C.  Das  erste  Blatt  wird  gelesen. 


Sehr  ähnlich  der  Sarkophag  bei  Smith  Nr.  2312,  abgebildet  bei  Strzygowski, 
Orient  und  Rom  Fig.  19:  ein  bärtiger  Mann  sitzt  auch  hier  im  Profil  nach  rechts,' 
er  hat  in  der  L.  ein  Rollenbuch  fast  in  Schulterhöhe  erhoben  und  liest  aus  dem 
offnen  Eschatokoll  vor,  während  seine  r.  Hand  den  Gestus  des  Redenden  zeigt;  die- 
selbe befindet  sich  aber  genau  in  der  Höhe  dieses  Endblattes;  damit  ist  angezeigt, 
daß  sie  das  Endblatt  eben  noch  hielt.    Zuhörerin  ist  eine  Muse,  die,  eine  große 

tragische  Maske  in  der  R.,  vor  ihm  steht.  Auch  dieser 
Sarkophag  ist  aus  Rom  ins  Brit.  Museum  gekommen. 

Sarkophagdeckelfragment  bei  Robert  II  Nr.  141 
literarische  Unterhaltung  (oben  S.  65):  die  Sitzfigur 
links  zeigt  dasselbe. 

Ebenso  scheint  mir  endlich  das  Relief  zu  deuten, 
das  ich  im  Vatikan  an  ziemlich  verborgener  Stelle 
entdeckte.    Im  offnen  Brunnenhof  des  Belvedere 
steht  das  große  Sitzbild  einer  Frau  ohne  Nummer. 
Auf  der  (für  den  Beschauer)  1.  Seite  des  mit  einem 
Kissen  belegten  Sessels  dieser  Sitzenden  findet  sich, 
von  den  Stuhlbeinen  eingerahmt,  das  Schmuckstück 
eines  Reliefs,  das  wiederum  einen  Sitzenden  dar- 
stellt, und  zwar  einen  Leser;  unsre  Abb.  74.  Der 
bärtige  Mann  sitzt  im  Profil  nach  rechts  auf  einem 
Sessel  ohne  Lehne,  erhebt  die  r.  Hand  im  Gestus 
des  Redenden  und  hält  in  der  L.,  die  nicht  sichtbar 
ist,  eine  zusammengerollte  Rolle,  und  zwar  so,  daß 
das  Eschatokoll   hervorsteht   und  offen  liegt.  Er 
scheint  daraus  vorzulesen. 
Zu  den  voraufstehenden  Belegen  stimmt  nun  die  Gemme  bei  Reinach,  Pierres 
gravees  Tfl.  128  Nr.  18,  „la  liseuse":  sitzende  junge  Frau  hält  eine  geöffnete  Rolle 
in  der  L.  und  liest;  sie  liest  aber  die  letzte  Buchseite,  die  auch  hier  frei  in  der 
Luft  steht.    Die  Echtheit  des  Steines  ist  indes  angezweifelt. 

Das  aufgewickelte  erste  Blatt  der  Rolle  in  der  Hand  der  stehenden  „Klio"  und 
sitzenden  „Kalliope"  in  Neapel,  Sala  delle  Muse  Nr.  6401  und  6403,  beruht  mit  Rolle 
und  Arm  auf  Ergänzung.    Die  erstere  ist  als  Schreibende  ergänzt. 


Abb.  74:  Sfuhlverzierung. 


C.  Das  erste  Blatt  wird  gelesen. 

Äußerst  selten  scheint  der  Beginn  des  Aktus  des  Lesens  in  der  Kunst 
zur  Darstellung  gelangt.  Am  evidentesten  ist  dies  auf  dem  Trierer  Mosaik 
des  Monnus  geschehen,  abgebildet  Antike  Denkmäler  des  Dtsch.  Instituts  I 
(1891)  Tfl.  48;  dazu  Hettner,  Illustrierter  Führer  Nr.  147.  In  einem  seiner 
Felder  sieht  man  den  Dichter  Aratos  und  zwar  sitzend  und  in  einer  Rolle 
lesend.  Seine  r.  Hand  ist  zwar  zerstört,  doch  hält  resp.  hielt  er  die  Rolle 
augenscheinlich  zwischen  beiden  Händen,  und  zwar  so,  daß  sie  der  Haupt- 
sache nach  noch  unaufgerollt  in  der  r.  Hand  ruhte;  die  L.  aber  ist  im  Be- 
griff das  Buch  abzurollen,  und  nur  das  Protokoll  steht  offen.  Vor  dem 
Dichter  steht  übrigens  ein  Globus  sowie  die  Muse  Urania  (mit  Beischrift). 

Einige  weitere  hiermit  verwandte  Bilder,  die  den  Anfang  der  Lektüre 
zeigen,  werden  uns  gleich  im  nächsten  Abschnitt  entgegentreten,  der  die 
Darstellung  des  Lesers  bei  offnem  Rollenbuch  in  geschichtlicher  Entwick- 
lung, doch  zugleich  mit  Sonderung  der  verschiedenen  Situationen,  in  denen 
die  Lesung  stattfindet,  zu  skizzieren  versucht. 


D.  Das  Lesen  bei  entrolltem  Buch:  Motiv  VI. 


135 


D.  Das  Lesen  bei  entrolltem  Buche  (Motiv  VI). 


So  sind  wir  endlich  bei  dem,  was  der  Zweck  des  Buches  ist,  beim 
Lesen  selbst  angelangt.  Das  Verfahren  beim  Lesen  ist  sattsam  erörtert. 
Die  Bildwerke,  die  jetzt  zu  verzeichnen  sind,  werden  uns  nun  endlich  dazu 
die  Illustration  geben;  sie  erläutern  insbesondere  den  Satz,  daß  die  linke 
Hand  stets  den  Teil  des  Rollenbuchs,  der  abgelesen  war,  sofort  wieder 
zusammenrollte.  Beide  Hände  hielten  das  Buch  ausgespannt  in  gleicher 
Augenferne,  und  in  jeder  befand  sich  ein  Konvolut,  links  das  des  ge- 
lesenen, rechts  das  des  noch  ungelesenen  Textes,  auf  der  ausgespannten 
Mittelfläche  dagegen  der  Text,  der  jetzt  eben  gelesen  wird.  Ägyptische 
Bilder  stimmen  genau  damit  überein  (oben  S.  16).  Wir  nennen  dies  das 
Motiv  VI.  Es  ist,  was  man  lateinisch  librum  inter  manus  habere  nennt 
(Tacit.  Dial.  3;  Annal.  III  16):  man  hält  die  Rolle  zwischen  den  Händen, 
d.  h.  man  liest.1)  Daher  auch  pandere;  pandite  librum  Prudentius  Apoth.  514. 
Das  einfache  Aufrollen  heißt  evolvere,  aber  auch  revolvere.2) 

An  die  offene  Rolle  mit  zwei  Konvoluten  erinnert  schon  unverkennbar  das 
jonische  Capitell.  Es  besteht  zwar  kein  Zweifel,  daß  die  beiden  walzen- 
förmigen Teile  desselben  rechts  und  links  ursprünglich  das  sog.  Sattelholz, 
also  zwei  runde  kurze  Stützbalken  nachahmten.3)  Daß  aber  die  Endflächen 
dieser  Walzen  mit  Voluten  bemalt  oder  plastisch  ausgeschmückt  wurden,  hat 
damit  nichts  zu  tun  und  führt  auf  die  Anschauung 
der  doppelten  Rollung  des  geöffneten  Buches. 
Das  innere  Auge  entspricht  dem  Loch,  in  das 
man  den  Rollenstab  steckte.  Schon  bei  der  älte- 
ren, stilisierenden  Behandlung  ist  die  Ähnlichkeit 
groß;  s.  Puchstein  Figur  16;  19;  22.  Dazu  nehme 
man  ein  Werkchen  jüngerer  Zeit,  wo  die  Wie- 
dergabe realistisch  und  ganz  getreu  ist;  es  ist 
ein  kleiner  Altar  aus  Terrakotta  in  Pompeji:  an 
„Polstervoluten"  zu  denken  ist  hier  unmöglich; 
vielmehr  ist  hier  das  Buch,  das  nach  dem 
Motiv  VI  mit  dem  Rücken  nach  oben  liegt,  täu- 
schend nachgebildet;  es  ist  wie  porträtiert.  Unsere  Abbildung  75  ist  den 
Römischen  Mitteilungen  V  (1890)  S.  251  entnommen. 

Dies  das  offene  Buch.    Es  folgt  das  Lesen. 


Abb.  75:  Pompeji. 


1)  Im  Pastor  Hermae  Vis.  I  2  hat  die  sitzende  Frau  ein  Buch  „in  den  Händen", 
nicht  in  der  Hand.  Schon  dieser  Plural  verrät,  daß  das  Buch  offen  ist;  und  richtig 
fängt  sie  I  3,  3  an  vorzulesen. 

2)  revolvere  z.  B.  Seneca  suas.  6,  27;  Plin.  ep.  V  5,  5.  Zu  sonstigen  Synonymen 
kommt  das  seltene  dvairÄ.oüv  hinzu,  das  ich  Sibyllina  XI  169  finde. 

3)  Siehe  Puchstein,  Das  jonische  Capitell,  1887,  S.  46;  Borrmann  im  Jahr- 
buch III  S.  274. 


136 


LI.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Stellt  die  Kunst  Handlungen  oder  Tätigkeiten  dar,  so  sind  es  gern 
solche,  die  durch  eine  gewisse  Zeitdauer  sich  fortsetzen.  Der  Fechtende 
wie  der  Ballspieler,  der  Leierspielende,  der  Flötenbläser,  auch  der  Trinkende 
war  ihr  willkommen.  Warum  sollte  sie  an  dem  Lesenden  vorübergehen? 
So  ist  dies  schöne  und  zeichnerischer  Durcharbeitung  gewiß  würdige  Sujet 
denn  in  der  Tat  schon  seit  der  ersten  Blütezeit  des  griechischen  bildne- 
rischen Gestaltens,  seit  dem  5.  Jahrh.,  aufgegriffen  und  schon  damals  wieder- 
holt behandelt  worden. 

Es  war  dabei  nicht  schwer  den  fruchtbaren  Moment  zu  erfassen, 
d.  i.  denjenigen,  in  dem  sich  das,  was  darzustellen  war,  die  volle  Versunken- 
heit  in  das  Lesen,  am  unverkennbarsten  ausdrückte.  Denn  das  Lesen  ist 
wie  ein  Zwiegespräch;  das  offne  Buch  ist  dabei  die  zweite  Person;  und 
das  Buch  muß  deshalb  möglichst  bedeutend  erscheinen.  Das  ist  der  Fall, 
wenn  es  sein  Innerstes  erschließt,  wenn  sein  Rouleau  weit  geöffnet  ist. 
Daher  pflegt  nun  die  Rolle  weit  und  just  bis  zu  ihrer  Mitte  aufgerollt  zu 
erscheinen.  Alle  diese  Bildwerke  illustrieren  den  Ausspruch  „ich  habe  das 
Buch  halb  gelesen",  der  gewiß  oft  vorkam  und  den  einmal  Gellius  3,  14 
bringt:  der  Römer  war  unsicher,  ob  er  dimidium  oder  dimidiatum  librum 
legi  sagen  sollte. 

Sehr  oft  ist  aber  anzusetzen,  daß  der  Träger  des  Buchs  nicht  für  sich 
allein  liest,  sondern  daß  er  vorliest  (oder  vorsingt).  Alsdann  ist  er  nur 
Dolmetsch  und  Zwischenträger,  und  das  Gespräch  findet  durch  ihn  zwischen 
dem  Buch  und  dem  Zuhörer  statt.  Der  symbolische  Wert  der  angegebenen 
Darstellungsweise  des  Buchs  bleibt  aber  auch  in  diesem  Fall  derselbe. 

Zu  demselben  Ergebnis  führte  endlich  aber  auch  ein  natürlicher  Sinn 
für  Gleichgewicht  und  Symmetrie.  Der  Darsteller  hält  darauf,  daß  in  beide 
Hände  ein  gleiches  Quantum  zusammengerollter  Papiermasse  zu  liegen 
kommt.  Dadurch  entsteht  nicht  nur  ein  Gleichgewicht  der  immer  doch  nur 
geringen  Last,  sondern  auch  eine  genaue  Entsprechung,  ein  Balancieren  in 
der  Armhaltung  des  Lesenden,  und  die  wie  Querbalken  eines  Kreuzes  aus- 
einanderstrebenden Unterarme  werden  durch  die  geschweifte  Linie  des  aus- 
gespannten Buches  selbst  verbunden  und  zusammengehalten. 

Das  Sujet  ist  genrehaft.  Deshalb  gehört  es  ganz  vorzugsweise  nur 
den  Kunstgattungen,  die  das  Genre  lieben,  an:  der  Vasen-  und  Wand- 
malerei, dem  Relief,  der  Sepulkralskulptur;  auch  Terrakotten  lassen  sich 
anführen,  sogar  eine  Lampe.  Äußerst  selten  dagegen  begegnen  uns  Lesende 
als  Statuen;  dies  erklärt  sich  schon  aus  dem  Zweck  des  großen  Stand- 
bildes, der  vorwiegend  repräsentativ  ist;  die  statuarische  Kunst  hat  diesen 
mehr  szenischen  Vorwurf  deshalb  vermieden.  Aber  auch  die  naheliegende 
ästhetische  Erwägung  wirkte  dabei  mit  ein,  daß  eine  stehende  Figur  mit 
zwei  nach  beiden  Seiten  hin  gleichweit  schräg  ausgestreckten  Armen  der 
nötigen  Mannigfaltigkeit  des  Kontours  und  jenes  Kontraposts  entbehrte,  auf 


D.  Das  Lesen  bei  entrolltem  Buch:  Motiv  VI. 


137 


die  die  entwickeltere  Plastik  zu  halten  pflegt.  Wenn  man  von  archaischen 
Figuren  absieht,  wie  etwa  dem  bronzenen  Apoll  im  Britisch  Museum1),  oder 
von  solchen,  in  denen  absichtlich  eine  strengere  Monotonie  der  Formgebung 
angestrebt  wurde,  wie  in  der  Hecate  triformis  auf  dem  Kapitol  und  den 
Nachbildungen  der  Ephesischen  Artemis,  endlich  auch  von  solchen,  wo  gar 
eine  Peinigung  des  Auges  absichtlich  bezweckt  wurde,  wie  beim  hängenden 
Marsyas,  so  hat  die  Kunst  es  selten  zugelassen,  daß  beide  Arme  frei  da- 
stehender Statuen  die  gleiche  Bewegung  ausführen  und  genau  respondieren. 
Die  Arme  des  sog.  Betenden  Knaben  zu  Berlin  sind  bekanntlich  unecht.'2) 
Vielmehr  ist  es  erfreulich  zu  sehen,  wie  sorgfältig  und  fein  z.  B.  beim 
bogenspannenden  Eros,  wo  doch  auch  beide  Hände  gleichzeitig  dieselbe 
Leistung  auszuführen  haben  und  in  gleicher  Weise  vorgestreckt  werden, 
Mannigfaltigkeit  und  Abwechslung  der  Linien  dadurch  gesichert  wurde,  daß 
der  Oberkörper  des  Jünglings  aus  der  Vorderansicht  in  die  Seitenansicht 
umbiegt.3)  Wollte  die  Aphrodite  Kallipygos  ihr  Gewand  hinten  empor- 
ziehen, wie  sie  es  wirklich  tut,  so  war  es  für  sie  zu  diesem  Behuf  das 
Nächstliegende,  das  Kleidungsstück  einfach  mit  beiden  Händen  rechts  und 
links  in  gleicher  Weise  anzufassen1);  der  Neapler  Marmor  ist  dagegen 
sorglichst  bemüht,  ihre  Hände  auf  das  stärkste  dabei  zu  kontrastieren.  Die 
Absichtlichkeit  ist  hier  augenfällig.  Auch  der  tanzende  Faun  Neapels  wirft 
nur  den  linken  Arm  hoch,  nicht  den  rechten.  Eine  zweite  berühmte  Neapler 
Venus  kommt  dagegen  dem  Vorwurf,  von  dessen  Erörterung  wir  hier  aus- 
gingen, wirklich  ziemlich  nahe;  ich  meine  die  Venus  von  Capua;  wäre  sie 
eine  Sterbliche,  man  könnte  sich  die  abgebrochenen  Arme,  die  doch  jeden- 
falls beide  nach  vorne  gestreckt  waren,  annähernd  so  ergänzt  denken,  daß 
sie  imstande  waren  ein  aufgerolltes  Buch  zu  halten.  Dem  Schema  einer 
lesend  stehenden  Frau  nähert  sich  dieses  Marmorbild.  Auf  alle  Fälle  aber 
muß  es  nun  nach  allem  Gesagten  durchaus  begreiflich  erscheinen,  weshalb 
Standbilder  eines  Lesenden  wirklich  fast  ganz  fehlen.  Die  vorhandenen 
werden  um  so  sorgfältiger  auf  ihr  Arrangement  zu  prüfen  sein.  Leicht 
hatte  es  dagegen  die  Flächenkunst  der  Malerei  und  des  Reliefs,  über  das 
Mißliebige  in  der  Erscheinung  des  Buchaufrollers  hinwegzutäuschen. 

1)  Rayet  u.  Thomas,  Milet  Tfl.  28,  2;  Reinach,  Repert.  I  247,  3. 

2)  Ebenso  wie  bei  dem  Dresdner  Amor,  der  seine  Arme  hoch  hebt,  Reinach, 
Repert.  I  355,  3. 

3)  Als  bogenspannender  Eros  sind  ergänzt  außer  der  Statue  des  Capitolinischen 
Museums  auch  Howard  Castle  Nr.  7  (MICH.);  Wilton  house  Nr.  124  (MICH.);  Statue  in 
Venedig  b.  DOtschke  V  166.  Auch  der  Eros  des  Brit.  Mus.  Nr.  1673  Sm.  macht  dieselbe 
Biegung;  s.  auch  ebenda  1674.  Vgl.  übrigens  Friederichs-Wolters  Nr.  1582,  Helbig, 
Führer  Nr.  437,  Reinach,  Repert.  stat.  III  127  und  die  Anmerkungen  bei  Smith.  Die- 
selbe Biegung  macht  vor  allem  auch  der  bronzene  Apoll  von  Pompeji,  der  im  Lauf 
schießt:  sonst  wäre  auch  sein  Anblick  unerträglich. 

4)  Genau  so  macht  es  in  der  Tat  die  Hetäre,  die  sich  als  Kallipygos  zeigt, 
auf  dem  Neapler  Vasenbild,  abgebildet  im  Jahrbuch  II  S.  124. 


138 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Was  ferner  das  Sitzen  und  Stehen  des  Lesenden  anlangt,  so  ist  zu 
gewärtigen,  daß,  wer  für  sich  allein  studiert  oder  auch  wer  in  intimem 
Kreise  vorliest,  dies  vornehmlich  sitzend  tut,  wer  vor  größerem  Kreise 
rezitiert,  dagegen  stehend.  So  hält  der  alte  Verginius  Rufus  bei  Plinius 
epist.  II  1,  8  stehend  die  offene  Rolle,  indem  er  seine  Stimme  mittels  lauten 
Lesens  zu  rednerischem  Zweck  übt.  Inter  ambulandum  wird  Sallust's  Cati- 
lina  vorgelesen  bei  Gellius  3,  1.  Daß  man  sich  beim  Lesen  sonst  gerne 
setzte,  ist  schon  oben  S.  43  in  Erinnerung  gebracht.  Die  meisten  Fälle,  wo 
wir  eine  stehende  Figur  als  Leser  antreffen,  werden  sich,  wie  ich  hoffe, 
leicht  von  selbst  erklären.  Endlich  aber  liest  man  natürlich  vorgebeugt, 
eYKeKucpujc,  wie  es  Achilles  Tatios  p.  44  H.  beschreibt. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen. 


a)  Die  Unterrichtsszenen  stehen  hier  voran.  Hier  sitzt  der  Lesende 
zumeist. 

Auf  der  bekannten  und  viel  abgebildeten  Berliner  Vase  des  Duris,  in 
Caere  gefunden,  die  einen  Zyklus  von  Unterrichtsszenen  gibt  (Baumeister, 
Denkm.  Nr.  1652),  befindet  sich  u.  a.  eine  Gesangstunde  zur  Flötenbeglei- 
tung, wobei  die  Buchrolle  (die  etwa  den  Text  des  Gesanges  enthält)  zu- 
sammengebunden an  der  Wand  hängt,  sowie  eine  Rezitationsstunde.  Die 
letztere  Szene,  unsere  Abb.  76,  ist  dreifigurig:  rechts  sitzt  der  Pädagogus;  links 
sitzt  der  Präceptor,  beide  bärtig;  dem  Lehrer  zugewandt  steht  in  der  Mitte  der 
Knabe;  er  hält  sich  dabei  hübsch  gerade  und  die  Hände  unter  dem  Hima- 
tion.  Der  Lehrer  hat  die  Rolle;  er  hält  sie  nach  Vorschrift  aufgerollt;  die 
Rollungen  an  den  Enden  beider  Konvolute  sind  in  der  Zeichnung  beson- 
ders sorglich  ausgeführt,  aber  falsch;  denn  diese  Rollungen  treten  zugleich 
oben  und  unten  vor,  was  unmöglich  ist.    Der  Wunsch,  daß  man  die  Rolle 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  Unterrichtsszenen. 


139 


als  Rolle  erkenne,  hat  den  Vasenmaler  zu  diesem  Mißgriff  verführt.  Auf 
dem  offnen  Mittelblatt  steht  als  Text  ein  Hexameter,  aber  in  falscher  Rich- 
tung und  längs  der  Höhe  der  Seite  geschrieben.  Dies  ist  wieder  dem 
Betrachter  der  Schale  zu  Liebe  geschehen,  wie  denn  überhaupt  die  Schrift 
im  Verhältnis  zum  Buch  viel  zu  groß  ist.  Endlich  wird  die  Rolle  zu- 
gunsten desselben  Betrachters  schief  gehalten  und  die  1.  Hand  steht  höher 
als  die  r.,  damit  die  Schreibfläche  sichtbar  werde.  Dies  naive  Verfahren 
trafen  wir  schon  bei  den  Ägyptern  an  (S.  16);  es  kehrt  auch  später,  ins- 
besondere auf  Reliefbildern  häufig  wieder.  —  Der  Lehrer  kommt  hier  nun 
dem  Souffleur  gleich:  sein  Schüler  steht  und  sagt  das  memorierte  Gedicht 
auf,  wobei  jeder  Gestus  der  Hände  unterbleibt;  der  Lehrer  liest  den  Text 
nach,  um  zu  kontrollieren  und  einzuhelfen. ') 

Anders  der  Mädchenunterricht!  Eine  Tochter  lernt  lesen,  indem  sie  auf 
dem  Schoß  der  Mutter  sitzt.  Das  verrät  uns  eine  anmutige  Terrakotte  bei 
Froehner,  Coli,  van  Branteghem  (1888)  Nr.  159;  Daremberg  et  Saglio  Dict. 
Fig.  2605.  Da  sitzt  die  Frau  auf  einer  felsigen  Erhöhung;  das  Töchter- 
chen, ihr  im  Schoß,  ist  ihr  sehr  ähnlich,  nur  halb  so  groß,  die  verkleinerte 
Mutter,  und  hat  einen  offnen  Papierstreifen  im  Schoß  liegen,  darin  sie  liest, 
indem  sie  sehr  gerade  dabei  sitzt  und  nur  den  Kopf  neigt.  Das  eine 
Ende  des  Streifens  hält  die  Tochter  selbst  mit  ihrem  1.  Händchen  fest, 
während  ihre  R.  sich  unter  dem  Rouleau  versteckt;  das  andere  Ende  hielt 
vielleicht  die  abgebrochene  r.  Hand  der  Mutter  (?).  Das  hier  dargestellte 
Buch  ist  aber  eigentlich  keine  Rolle,  sondern  nur  ein  gewelltes  ziemlich 
langes  Band,  tuchartig  und  ohne  Andeutung  von  Rollungen. 

Anmutige  Unterrichtsszenen  geben  ferner  die  zweifigurigen  Gruppen 
jüngeren  Stils  bei  Winter,  Terrakotten  II  S.  405,  6  u.  9.  Ein  bärtiger  Alter 
sitzt;  ein  Knabe  steht  hart  an  seiner  Seite  und  hält  einen  buchartigen 
Gegenstand;  ob  Schreibheft?  Nach  der  Zeichnung  wohl  eher  eine  kleine 
Rolle  (in  Nr.  6)  oder  ein  Blatt  (Nr.  9).  Das  eine  Mal  legt  der  Lehrer  den 
Arm  um  des  Knaben  Nacken  und  beide  blicken  mit  gesenktem  Kopfe  fleißig 
ins  Buch  (Exemplar  der  zweiten  Coli.  Lecuyer);  das  andre  Mal  stützt  er 
nur  die  Hand  auf  eine  Schulter  des  Jungen,  wendet  das  grimmige  Haupt 
ab  und  der  Knabe  liest  mit  gesenktem  Blick  vor  (Exemplar  in  Berlin,  aus 
Priene). 

Eine  Schulstunde  mit  mehreren  Schülern  gibt  das  herkulanensische 
Wandbild  Helbig  Nr.  1492,  Baumeister  Nr.  1653.  Hier  ist  es  der  Lehrer, 
der  vor  den  Schülern  steht;  diese,  drei  an  Zahl,  sitzen  in  einer  Reihe 
(worauf?  läßt  sich  nicht  erkennen)  und  halten  große  Blattflächen  im  Schoß, 
die  dem  Betrachter  des  Bildes  zuliebe  sich  nicht  verkürzen  und  darum  zu 

1)  Übrigens  sei  u.  a.  noch  auf  MICHAELIS  in  der  Archäol.  Zeitung  1873,  S.  lff. 
und  Rayet  et  COLLIGNON,'  Histoire  de  la  Ceramique  grecque  1888,  S.  179  Fig.  72 
verwiesen. 


140 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


groß  erscheinen.  Ich  möchte  glauben,  daß  sie  offene  Rollen  bedeuten 
sollen1),  wennschon  ihr  Farbenton  dunkel  ist  und  man  Rollungen  rechts 
und  links  nicht  wahrnimmt.  Im  Hintergrund  stehen  vier  Zuhörer  zwischen 
Säulen,  unter  denen  einer  eine  geschlossene  Rolle  (oder  eine  Tafel;  so 
Helbiq)  in  der  L.  zu  halten  scheint.  Die  Köpfe  der  Schüler  sind  etwas 
geneigt;  sie  lesen  also  vor:  eine  Lesestunde. 

Viel  deutlicher  sind  die  Bücher  auf  den  Wandbildern  des  Columba- 
rium  der  Villa  Pamfili  (s.  0.  Jahn,  in  Abh.  der  Bayer.  Akad.  VIII  2  Tfl.  5 
Nr.  15):  ein  sitzender  älterer  Mann  und  ein  stehendes  junges  Mädchen,  beide 
halten  Bücher  im  Motiv  VI  aufgerollt  zwischen  den  Händen.  Er  hat  bloße 
Füße  und  entbehrt  des  Schemels,  doch  verrät  die  Kathedra,  auf  der  er 
sitzt,  den  Gelehrten  oder  Schulmann.  Sein  Blick  geht  über  das  Buch  weg 
auf  das  Mädchen  (irrig  sagt  Jahn,  daß  er  aufmerksam  liest);  letztere  hält 


Abb.  77 :  Relief  in  Trier. 

ihr  Buch  auffallend  hoch  vor  den  Augen,  als  wäre  sie  kurzsichtig,  und  ihre 
Hände  fassen  die  Rollungen  deshalb  gegen  das  Herkommen  am  unteren 
Ende  an.  Man  kann  schwanken,  ob  sie  wirklich  liest  oder  den  Blick  ihres 
Lehrers  auffängt.  Eine  Lese-  oder  Singprobe?  Die  Aufgabe  des  Alten 
kommt  wiederum  der  eines  Souffleurs  nahe. 

Eine  Lehrstunde  mit  zwei  Schülern  gibt  endlich  das  bekannte  Trierer 
Relief  bei  Hettner,  Führer  1903,  Nr.  21;  unsere  Abbildung  77.  Das 
Bild  ist  vierfigurig;  drei  Personen  sitzen  in  hochlehnigen  Thronen:  in  der 
Mitte,  en  face,  der  bärtige  Lehrer,  die  R.  lehrend  erhoben;  in  der  L.  hielt 
auch  er  vielleicht  ein  Buch.  Rechts  und  links  im  Profil  zwei  jugendliche 
Schüler  sich  zugewandt;  beide  halten  mächtige  Rollen  (die  über  Verhältnis 
groß  sind)  aufgerollt  und  lesen.  Die  aus  der  Relieffläche  hervorragenden 
Hände  und  Rollenteile  sind  weggebrochen.  Hinter  dem  rechts  Sitzenden 
steht  noch  ein  jüngerer  dritter  Knabe,  die  r.  Hand  mit  gestreckten  Fingern 
gehoben,  während  seine  gesenkte  L.  eine  kastenartig  geschlossene  Schreib- 


1)  So  auch  0.  Jahn,  Abhandl.  sächs.  GW.  XII  S.  289. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  Unterrichtsszenen;  Souffleur.  \^\ 

iafel  am  Henkel  trägt.  Dieser  Jüngste  „soll  nachher  Schreibstunde  haben" 
(Hettner). 

b)  Hieran  reiht  sich  der  Souffleur.  Auch  er  sitzt  naturgemäß.  Ich 
bin  indes  nicht  sicher,  ob  wir  ihn  nachweisen  können.  Dies  betrifft  die 
schon  oben  S.  130  besprochene  Szene  des  Berliner  Musensarkophags,  sowie 
auch  unsere  Abb.  78,  entnommen  den  Wanddekorationen  im  Thermen- 
museum zu  Rom,  die  aus  einem  antiken  Schlafzimmer  stammen,  Helbig, 
Führer  Nr  1131,  Monum.  d.  Ist.  XII  Tfl.  22  Nr.  3:  ein  Schauspieler  in  Maske 
deklamiert  oder  singt,  den  r.  Arm  in  Hauptes  Höhe  erhoben,  hinter  ihm 


Abb.  78:  Thermenmuseum. 


sitzt  ein  alter  Mann  in  gelbem  Gewand  und  liest  nach.  Dahinter  wieder 
eine  Figur,  die  stehend  auf  der  Kithara  die  Begleitung  spielt.  Die  Nach- 
zeichnung, die  ich  hier  wiedergebe,  zeigt  noch  das  Weinlaub  im  Haar, 
das  jetzt  nicht  mehr  zu  erkennen  ist,  sowie  eine  Rollung  des  Buchs  in 
jeder  Hand,  während  man  gegenwärtig  nur  ein  breites  Blatt  zwischen  den 
Händen  gewahrt.  Man  sieht  das  Blatt  nur  von  der  Rückseite;  es  ist  grün- 
lich gefärbt. 

An  solchen  Souffleur  erinnert  endlich  auch  die  Figur  des  Alten  im 
Columbarium  der  Villa  Pamfili,  oben  S.  140. 

c)  Sängerinnen  mit  Text,  stehend.  Die  Solosängerin  ist  wohl  jedem 
aus  den  Adoniazusen  Theokrit's,  Idyll  XV,  bekannt;  sie  findet  sich  aber 


142 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


schon  wiederholt,  und  zwar  oft  als  Muse,  auf  den  attischen  Vasen  des 
5.  Jahrh.  v.  Chr.  Diese  Vasenbilder  gehören  somit  zu  den  ältesten  Zeugen 
für  das  Rollenbuch. 

Athen,  Naz.  Mus.  Pyxis  im  Vasensaal  XIX,  Schrank  27,  Nr.  1241  (bei 
Collignon-Couve,  Catal.  des  vases  . .  .  d'Athenes  Nr.  1553  ungenügend  ab- 
gebildet): zeigt  u.  a.  eine  zweifigurige  Szene,  unsere  Abb.  79:  links  sitzt  im 
Halbprofil  auf  einer  schrägen  Erhöhung  eine  junge  Frau  (Muse),  ein  Band 
im  Haar,  und  spielt,  den  Kopf  gesenkt,  auf  einer  großen  Leier;  „sie  stimmt  die 
Saiten"  (Amelung).  Rechts  neben  ihr  steht,  den  Körper  en  face,  eine  schlanke 
junge  Frau  (Muse)  im  gegürteten  Chiton  aufrecht,  aber  ausschreitend  und 
den  r.  Fuß  nachziehend,  wie  Pythia  auf  der  Apotheose  Homer's  (oben 
S.  119).     Sie  blickt  dabei  gespannt  auf  die  Leierspielerin,  und  ihr  Haupt 

dreht  sich  also  im  Profil 
nach  links.     In  beiden 

tief  herabgesenkten 
Händen  aber  hält  sie 
eine  weit  aufgerollte 
Rolle;  die  Konvolute  in 
den  Händen  sind  deut- 
lich; das  in  ihrer  R. 
scheint  ziemlich  dick.  Mit 
hellen  Tupfen  ist  auf  der 
ausgestreckten  Blatt- 
fläche zwischen  den  Rol- 
lungen Schrift  ange- 
Abb.  79:  Pyxis  in  Athen.  deutet.   Sie  scheint  von 

der  sitzenden  Schwester 

das  Zeichen  zu  erwarten,  wo  sie  mit  ihrem  Gesang  einzusetzen  hat.  So 
traten  also  Konzertsängerinnen  im  Altertum  auf;  es  ist  ganz  wie  heute. 

Dresden,  Albertinum,  Amphora  im  Schrank  L  Nr.  331:  Konzert  von  vier 
Figuren;  darunter  eine  stehende  junge  Frau,  die  die  Rolle  zwischen  den 
Händen  weit  aufgerollt  hält  und  zu  lesen  scheint;  denn  ihr  Blick  ist  in  der 
Richtung  auf  die  Buchfläche  gesenkt,  und  sie  hält  die  Blattfläche  in  Augen- 
nähe, so  daß  man  das  Buch  von  hinten  sieht.  Die  Konvolute  scheinen 
ziemlich  stark,  besonders  das  in  der  r.  Hand. 

Eine  Hydria  von  Vulci  mit  Apoll  und  sieben  Musen  bei  Gerhard, 
Trinksch.  und  Gefäße  II  17  u.  18;  Daremberg-Saglio  Bd.  III  Fig.  5207;  oben 
S.  119.  Die  Figuren  sind  paarweise  gruppiert:  vor  einer  flötenspielenden 
Muse  steht  eine  zweite  mit  offner  Schreibtafel  (absingend?);  vor  Apoll 
selbst,  der  als  Kitharist  dasteht,  steht  eine  andere,  die  zu  seinem  Spiel  zu 
singen  scheint;  und  diese  ist  es,  die  in  der  Weise  des  vorigen  Beispiels 
die  Rolle  hält. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  Sänger  und  Sängerinnen. 


143 


Genau  entspricht  dem  die  Vase  im  Compte  rendu,  Atlas  v.  1872,  Tfl.  VI  Nr.  1 
(Text  S.  213  ff.);  eine  fünffigurige  Szene:  Mittelfigur  eine  Frau,  die  einer  Musik 
zuhört.  Vorgetragen  wird  die  Musik  von  einer  Leierspielerin,  die  sich  links  neben 
der  Hauptperson,  und  von  einem  Mädchen,  die  sich  rechts  neben  derselben  be- 
findet. Dies  Mädchen  steht  aufrecht  und  hält  die  Rolle  ganz  wie  auf  dem  Dresdner 
Gefäße. 

Sehr  ähnlich  auch  das  Vasenbild  bei  Stackelberg,  Gräber  der  Hellenen, 
Tfl.  XIX:  Apollo  mit  drei  Musen:  Apollo  sitzt  auf  höherem  Terrain  im  Profil  nach 
rechts  und  spielt  die  Kithara;  vor  ihm  steht  wieder  die  Sängerin,  eine  Muse,  im 
Profil  nach  links,  zu  seiner  Begleitung  aus  einem  Buch  singend;  sie  trägt  ein  Diadem 
im  Haar.  Wie  auf  dem  Dresdner  Bild,  ist  das  Konvolut  in  ihrer  r.  Hand  besonders 
deutlich. 

d)  Sänger  oder  Sängerin  mit  Text,  sitzend.  Hocherfreulich  ist  der 
neue  Fund  des  Stesichoros-Kylix,  im  Stil  des  Duris,  freilich  nur  ein  Bruch- 
stück, aus  Naukratis,  Journal  of  Hell.  Studies  Bd.  25  (1905)  Tfl.  6  Nr.  5;  unsere 
Abb.  80.  Ein  Mann,  anscheinend  hochbetagt,  sitzt  in  Wendung  nach  rechts 
mit  einer  offnen  Rolle.  Der 
Flötenspieler  hinter  ihm  bläst 
auf  der  Doppelflöte  und  akkom- 
pagniert  seinem  Vortrag.  Er 
selbst  hält  die  Rolle  in  her- 
kömmlicher Weise,  doch  aber 
so,  daß  sie  seine  Knie  nicht 
berührt  und  sich  am  Kleide 
nicht  schaben  kann  (dies  ver- ' 
rät  Sorglichkeit),  sodann  aber 
auch  in  der  Weise,  daß  der 
Betrachter  die  volle  Blatt- 
fläche überblicken  kann,  auf 

welcher  drei  Zeilen  Schrift,  wiederum  dem  Betrachter  zuliebe,  in  verkehrter 
Richtung  laufen.  Hier  liest  man  nun  den  Namen  Stesichoros.  Dies  ist  also 
das  zweite  Mal,  daß  die  alte  Kunst  diesen  großen  Dichter  mit  dem  Papyrus- 
buch in  Verbindung  bringt  (vgl.  S.  51). 

Hiernach  erklärt  sich  dann  weiter  das  Wandgemälde  im  Neapler  Mus.  Abt. 
XXXIII  Nr.  9021;  dies  Bild  ist  in  Photographien  verbreitet;  übrigens  s.  Pitture  d'  E. 
IV  42  S.  201;  Mus.  Borbon.  I  31;  Helbig  Nr.  1462:  es  ist  fünffigurig.  Der  Vorgang 
scheint  in  einem  Zimmer  gedacht  zu  sein.  Zwei  Zuhörer  lauschen  links  im  Hinter- 
grunde; drei  Personen  aber  konzertieren:  in  der  Mitte,  sitzend,  ein  Flötenbläser,  der 
durch  die  Phorbeia  eifrig  auf  der  langen  und  dünnen  Doppelflöte  bläst;  die  glotzen- 
den Augen  mit  gewaltigem  Augenweiß  verraten  die  Anstrengung  seiner  Tätigkeit. 
Dazu  zwei  Frauen;  rechts  neben  ihm  steht  ein  Mädchen  im  Kleid  und  Überwurf  und 
mit  Rosen  bekränzt,  und  spielt  auf  einer  großen  Kithara;  wodurch  die  Kithara  ge- 
halten wird,  ist  nicht  zu  erkennen.  Links  neben  dem  Flötenbläser  aber  sitzt  eine 
junge  Frau  im  Chiton  ohne  Überwurf,  die  r.  Schulter  entblößt;  auch  sonst  degagier- 
ter;  denn  sie  schlägt  das  r.  Bein  über  das  linke,  so  daß  der  r.  Fuß  im  gelben 


Stesichorosvase. 


1)  Die  1.  Hand  dagegen  mit  dem  Rollenende,  das  zu  ihr  gehört,  ist  bei 
Stackelberg  offenbar  inkorrekt  wiedergegeben. 


144 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Abb.  81  :  Relief,  Belvedere. 


sitzend  vor. 


^7— — Schuh  frei  hängt,  und  neigt  den  Oberkörper  vor,  so 
/jp\  daß  sie  den  r.  Ellenbogen  auf  den  erhöhten  rechten 

Schenkel  aufsetzen  kann.  Die  1.  Hand  stützt  sich 
bequem  auf  die  geschweifte  Stuhllehne  und  hält  so 
ein  aufgerolltes  Blatt  etwa  in  Schulterhöhe  und  in 
richtiger  Sehweite,  während  der  Zeigefinger  der 
r.  Hand  das  Blatt  am  r.  Rande  leise  berührt  und 
ihm  Halt  zu  geben  scheint.  ')  Auf  dem  Blatt  ist 
Schrift  angedeutet,  und  die  Frau  hält  es  durchaus 
so,  als  ob  sie  eben  jetzt  läse.  Ihr  r.  Auge  freilich 
(das  linke  ist  zerstört)  sieht  über  das  Blatt  weg; 
auch  müßte  zum  Lesen  ihr  Kopf  etwas  tiefer  geneigt 
sein.  Wir  sollen  dies  also  so  verstehen  und  können 
auch  nicht  anders,  als  daß  sie  aus  dem  Buch  frei 
vorträgt  und  singt;  denn  beim  Vortrag  erhebt  jeder 
naturgemäß  den  Kopf  über  das  Textbuch,  daszum 
Nachlesen  in  den  Händen  ruht.  Daß  ihr  Mund  nicht 
geöffnet  ist,  entspricht  griechischem  Geschmack  und 
Takt.  Sicher  aber  ist  diese  Frau  Mitwirkende  an 
dem  Konzert;  denn  sie  sitzt  mit  den  andern  zwei 
Künstlern  gleichgeordnet,  und  auch  sie  trägt  den 
Kranz  (aus  Efeu?)  im  Haar,  der  die  Künstlerin 
anzeigt.  Bei  Kammermusik  trug  man  also  auch 
Daß  das  Blatt  endlich  ein  Rollenbuch,  wennschon  geringen  Umfangs, 
ist,  zeigt  die  Rundung,  mit  der  es  rechts  endet. 

Während  die  bisherigen  Szenen  sich  unschwer  interpretieren  lassen, 

steht  es  anders  mit  dem  dreifigurigen  Bilde  bei  Panofka,  Bilder  ant.  Lebens  4 

Nr.  5  (Nolaner  Kylix  in  Berlin): 

Hier  sitzt  links  ein  leierspielender  Jüngling;  vor  ihm  steht  in  Bewegung  ein 
Mann,  der  in  seiner  r.  Hand  einen  Stab  (schwerlich  eine  Rolle)  hebt  und  den  Takt 
anzugeben  scheint;  hinter  diesem  sieht  man  endlich  in  gehender  Bewegung  wieder 
einen  Jüngling,  der  eine  offne  Rolle  zwischen  den  gesenkten  Händen  ausgespannt 
hält.  Sie  ist  jedoch  wie  ein  Band,  verbreitert  sich  in  der  Mitte  und  trägt  Buch- 
staben, die  vielleicht  Noten  bedeuten.  Die  obligaten  Rollungen  in  den  Händen 
fehlen.  Anscheinend  ist  dies  die  Vorlage,  nach  der  der  fernab  sitzende  Leierspieler 
musizieren  soll.  Doch  wäre  es  Sache  eines  Sklaven,  nicht  eines  Freien  gewesen, 
ihm  das  Buch  zu  halten  (s.  unten). 

e)  Das  Rezitieren  beim  Gottesdienst  geschieht  stehend  oder  schreitend. 
Schon  die  Sängerinnen  mit  offenem  Buch,  die  wir  bisher  gesehen,  sind 
vorwiegend  im  Gottesdienst  tätig  zu  denken.  Denn  die  Kitharodik  und  jede 
öffentliche  Vorführung  von  Musik  war  eben  bei  den  Griechen  ganz  eigentlich 
thymelisch  und  an  Kult  und  Theater  geknüpft.  So  wird  nun  insbesondere 
im  Isiskultus  aus  der  Rolle  gelesen.  Kultus  und  Rolle  sind  hier  gleich 
ägyptisch.2)    Aber  es  ist  ein  Priester,  der  lepoYpauucrreüc,  dem  hier  diese 


1)  Nicht  richtig  sagt  Helbig,  daß  sie  mit  dem  ausgestreckten  r.  Zeigefinger 
den  Takt  begleite. 

2)  Übrigens  wurde  in  ägyptischen  Gottesdiensten  auch  von  Tafeln  Text  ver- 
lesen; doch  sind,  nach  Pietschmann  in  „Beiträgen"  Heft  4  S.  64,  die  Nachrichten 
darüber  späten  Ursprungs,  und  es  läßt  sich  annehmen,  daß  die  Texte  ursprünglich 
auf  Papyrus  standen.    Ein  „Vorlesepriester"  mit  Rolle,  nicht  Tafel,  bei  Lepsius, 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  Vorlesen  im  Gottesdienst. 


145 


Funktion  zukommt.  Ihm  oblag,  wie  eine  Inschrift  von  Kanopus  lehrt,  die 
Aufbewahrung  und  Niederschrift  der  heiligen  Gesänge.1)  Auf  den  Wand- 
gemälden Pompejis,  die  vielfigurige  Zeremonien  und  Andachten  von  Isis- 
verehrern geben,  ist  zwar,  soviel  ich  weiß,  ein  Buch  nirgends  nachweisbar, 
Wohl  aber  ist  das  Relief  des  Vatikan,  Gabinetto  dell'  Antinoo  Nr.  55 
(Helbig,  Führer  Nr.  149)  lehrreich  und  von  schöner  Anschaulichkeit,  s.  Abb.  81 : 

In  einer  Isisprozession  geht  da  die  Priesterin  mit  Situla  und  Schlange  voran; 
im  Abstand  folgt  ihr  der  genannte  Priester,  jugendlich,  aber  kahlköpfig  und  nackt 
bis  auf  die  Hüften,  ein  Band  mit  Sperberfedern  um  den  Kopf;  darauf  noch  zwei 
weitere  Figuren.  Dieser  Priester  hält  nun  im  Schreiten  das  Rollenbuch  offen  in 
beiden  Händen  (r.  Arm  mit  Rollenteil  ist  sicher  richtig  ergänzt)  und  scheint  eine 
Liturgie  vorzutragen,  die  er  abliest;  doch  hat  sich  sein  Blick  vom  Text  erhoben. 

Ein  zweiter  Liturgievorleser  findet  sich  unter  den  pompejanischen  Bil- 
dern aus  dem  Porticus  des  Isistempels,  Helbio  Nr.  1099,  Mus.  naz.  Abt.  XXI 
Nr.  8925,  Mus.  Borbon.  Bd.  X  Tfl.  24.  Es  sind  dies  fünf  Einzeldarstellungen 
von  Isispriestern,  von  denen  der  eine  Zweige,  zwei  andere  Schlangen, 
wieder   ein    anderer  eine    brennende   Lampe    hält.     Dazu    kommt  die 

hier  abgebildete  Figur,  Abb.  82: 

Der  ältliche  (?)  Mann  steht  vor  einer 
hohen  Basis  (auf  der  eine  Katze  mit 
Lotos);  diese  dient  dazu,  den  Schall 
seiner  Rede  zu  steigern.  Auch  er  ist 
kahlköpfig,  übrigens  voll  bekleidet,  und 
hat  den  Mantel  von  hinten  übers  Haupt 
gezogen.  In  den  weit  vorgestreckten 
Armen  hält  er  das  Buch,  das  so  weiß 
von  Farbe  ist  wie  sein  befranztes  Ge- 
wand. Das  Buch  selbst  ist  hier  sehr 
sorgfältig  wiedergegeben.  Sein  Auge 
aber  ist  auf  die  Buchfläche  gerichtet. 

H.  Thiersch  verdanke  ich  die 
Mitteilung,  daß  in  den  Katakomben 
von  Kom  Es  Schukafa  in  Ägypten, 
die  Reliefbilder  in  Nischen  aus 
dem   2.  Jahrh.  nach  Chr.  enthalten, 


Abb.  82:  Isispriester,  Pompeji. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


Denkm.  Abt.  III  Tfl.  162.  ßtßMa  in  ägyp- 
tischen Tempeln  finden  sich  aber  noch 
a.  200  p.  Chr.  und  später;  s.  Dio  Cass. 
76,  13;  Achill.  Tat.  p.  110  H. 

1)  Siehe  Walter  Otto,  Priester 
und  Tempel  im  hellenistischen  Ägypten 
I  (1905)  S.88.  Verfasser  verspricht 
im  2.  Band  auf  diesen  Gegen- 
stand zurückzukommen;  hoffent- 
lich finden  dann  auch  die  hier 
erwähnten  Bildwerke  eine  sach- 
kundigere Erklärung,  als  ich  sie 
geben  kann. 

10 


146 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


sich  auch  die  Darstellung  eines  Isispriesters  befindet,  der  in  einer  offnen 
Rolle  liest  (d.  h.  gewiß:  vorliest). 

Wenn  endlich  der  Isispriester  L.  Valerius  Fyrmus  im  Lateran  eine  ge- 
schlossene Rolle  hält  (oben  S.  75),  so  ist  auch  er  damit  als  Tpctmuaxeuc 
gekennzeichnet;  ebenso  wohl  der  Musaios  in  Athen  (S.  112). 

Dies  sind  nun  also  die  Illustrationen  zu  dem,  was  uns  Apulejus  met. 
XI  17  vom  Isisdienst  erzählt:  der  Grammateus  besteigt  den  Suggest  und 
verliest  aus  einem  Buch  (de  libro),  nachdem  er  Heilswünsche  voraufgeschickt 
hat,  unverständliche  Gebetslaute,  wozu  das  Volk  akklamiert.1)  Die  Mithras- 
liturgje,  die  uns  Dieterich  erschlossen  hat,  kann  für  Ablesung  der  Gebete, 
die  sie  enthält,  gleiche  Verwendung  gefunden  haben.  Man  beachte  aber, 
wie  weit  auf  den  beiden  Bildern,  die  ich  vorgeführt,  der  Abstand  des 
Buchs  vom  Auge  ist.  Las  der  Priester  bei  dieser  Haltung,  so  mußte  die 
Schrift  auf  dem  Buchblatt  sehr  groß  sein.  Tatsächlich  scheinen  aber  nach 
des  Apulejus  Beschreibung  nur  einzelne  Laute  —  „litterae"  -,  vornehmlich  die 
sieben  griechischen  Vokalzeichen,  denen  man  mystische  Bedeutung  zuschrieb, 
in  dem  Buch  gestanden  zu  haben.  Die  bildliche  Darstellung  empfiehlt 
diese  Annahme. 

Eine  Verlesung  von  Texten  in  echt  griechischem  Kult  kenne  ich  kaum. 
Die  Gesetzbücher  der  Demeter,  die  von  Frauen  in  Prozession  auf  dem 
Scheitel  getragen  wurden  (schol.  Theokrit.  IV  25),  müssen  allerdings  auch 
abgelesen  worden  sein.  Sodann  die  Totenmahle.  Ein  Grabrelief  aus  Kyzikos, 
abgebildet  im  Jahrbuch  des  Inst.  XX  (1905)  S.  49,  zeigt  neben  dem  Tisch 
mit  dem  Totenmahle  einen  Mann  sitzend,  den  Oberkörper  entblößt,  der  auf 
dem  Schoß  inter  manus  die  offne  Rolle  hat.  Damit  lassen  sich  jene  Enko- 
mien  vergleichen,  die  man  in  Rom  bei  Bestattungen  vorlas  (Dio  Cass. 
74,  5).  Endlich  ist  bekannt,  daß  auch  in  den  Mysterien  orphischen  Charak- 
ters „die  Bücher",  deren  Inhalt  Weihe-  und  Sühnungsformeln  waren,  vor- 
gelesen wurden.2) 

Bei  römischen  Opferhandlungen  wird  die  Rolle  dagegen  nicht  offen,  son- 
dern regelmäßig  geschlossen  gehalten  (s.  oben  S.  67  f.).  Während  des  Gebets 
selbst  mußte  der  Altar  mit  den  Händen  angefaßt  werden3);  die  Geschlossen- 
heit der  Rolle  zeigt  also  an,  daß  diese  Handlung  eben  vorüber  ist.  Nur 
freilich  die  Arvalbrüder  halten  offne  Tafeln,  auf  denen  der  mysteriöse 
Arvalliedtext  steht,  in  den  Händen,  während  sie  im  Tempel  den  Dreischritt- 
tanz ausführen.4) 

f)  Das  Lesen  in  Geselligkeit.  Ein  Hauptzweck  des  Vorlesens  bleibt 
nun  noch  übrig:  der  der  gegenseitigen  Unterhaltung,  Ergötzung,  Belehrung. 

1)  Vgl.  Dieterich,  Mithrasliturgie  S.  38. 

2)  Tac  ßißAouc  üveYilvwcKec  Demosth.  De  cor.  259.  Vgl.  dazu  Plato  Rep. 
p.  364  C. 

3)  Serv.  zu  Aen.  IV  219  und  sonst.         4)  Roscher,  Mythol.  Lex.  I  S.  973. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  das  Lesen  im  Gottesdienst;  in  der  Geselligkeit.  147 


Auch  hierbei  ist  von  attischen  Vasen  auszugehen.  Ich  meine  zunächst  die 
Sapphovase  im  Athenischen  Museum,  Vasensaal  Nr.XIX  Schrank25Nr.  12601), 
die  auf  ihrer  einen  Hälfte  eine  Szene  zu  vier  vollgewandeten  Figuren  gibt, 
unsere  Abb.  83.  Auf  der  r.  Seite  dieser  Bildfläche  stehen  zwei  weibliche  Ge- 
stalten. Die  eine  von  ihnen  hält  die  Kithara  untätig  in  der  r.  Hand  vorgestreckt; 
die  andere  steht  links  neben  ihr  und  legt  ihr  ihre  r.  Hand  auf  die  Schulter. 
So  eng  beieinander  richten  sie  beide  das  Auge  nach  links  auf  die  Krönung 
des  Mädchens  hin,  das,  im  Profil  nach  rechts  ihnen  zugekehrt,  in  einem  Stuhle 


Abb.  83:  Sapphovase. 


sitzt,  die  Füße  auf  einer  Erhöhung  (Schemel?),  den  Rücken  fest  in  die 
Stuhllehne  gedrückt.  Dieser  Figur  ist  der  Name  Sappho's  beigeschrieben. 
Beide  Hände  Sappho's  aber  halten,  indem  sie  auf  den  Schenkeln  ruhen, 
ein  aufgerolltes  Buch  schräg  empor,  während  sie  selbst  vorgeneigt  in  das 
Buch  schaut.  Die  Augenferne  des  Blattes  ist  ziemlich  groß.  Die  von  den 
Händen  eng  umfaßten  Rollungen  sind  nur  schmal.  Auch  beschrieben  ist 
das  Buch;  die  Schrift  ist  aber  nicht  nur  auf  dem  Mittelblatt,  sondern 
fälschlich  auch  auf  den  Rollungen  zu  finden.2)  Hinter  der  Leserin  streckt 
endlich  ein  aufrecht  stehendes  Mädchen  den  r.  Arm  und  senkt  von  oben 


1)  Vgl.  Collignon-Couve,  Catal.  Nr.  1241;  Jahreshefte  des  österr.  Instit.  in 
Wien  VIII,  1905,  S.  40  Fig.  9. 

2)  Siehe  Colliqnon  a.  a.  0.;  Kretschmer,  Vaseninschriften  S.  93. 

10* 


148 


11.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


auf  sie  einen  Kranz.  Eine  literarische  Unterhaltung:  Sappho  unter  ihren 
bewundernden  Schülerinnen.  Die  Lesende  sitzt  hier.  Ob  Sappho  selbst, 
um  das  Jahr  600  vor  Chr.,  schon  die  Papyrusrolle  benutzte,  wissen  wir 
nicht.  Das  5.  Jahrh.  hat  sie  ihr  unbedenklich  vindiziert.  So  kam  denn 
auch  in  der  Komödie  „Sappho"  des  Antiphanes  der  ßußXioYpäcpoc  vor 
(fr.  197  K.). 

Verwandt  hiermit  die  dreifigurige  Szene  auf  der  Vase  des  Euphro- 
nios1)  bei  Darembero  et  Saqlio,  Dict.  Fig.  2600,  unsere  Abb.  84,  ein  herr- 
liches Stück:  rechts  und  links  stehen  als  Pendants  zwei  zuhörende  Jünglinge, 
mit  lebhaftester  Gebärde  sich  vorbeugend  und  lauschend,  auf  lange  Stöcke 
gestützt;  zwischen  ihnen  sitzt  auf  flachem  Stuhl  ohne  Lehne  der  junge  Vor- 
leser, im  Profil  nach  rechts,  und  hält,  wie  die  Leserin  des  vorigen  Bildes, 
das  offne  Buch  mit  gestreckten  Armen  eifrig  schräg  vor  sich,  und  Kopf 
und  Körper   beugen   sich   darauf   nieder,   indem  er  die  Rollungen  des 


Abb.  84:  Vase  des  Euphronios. 


Buches  auf  seine  Knie  stützt;  die  Hände  fassen  die  Rollungen  jedoch 
nicht  unten,  sondern  in  der  Mitte.  Vor  ihm  eine  eckige  Capsa,  wie  ein 
hoher  Schemel:  darauf  steht  KAAE;  auf  ihrem  Deckel  aber  liegt,  was 
von  Wichtigkeit,  noch  eine  geschlossene  Rolle,  und  auf  ihrem  Zylinder 
entlang  steht  +  IRONEIA  geschrieben.  Chironis  praecepta  waren  das  alt- 
modische Erziehungsbuch  jener  Zeiten;  das  haben  die  jungen  Leute  noch 
zurückgelegt,  und  es  ist  gewiß  ein  anderer  Text,  der  sie  so  sehr  zu 
fesseln  weiß. 

Ein  zweifiguriges  Bild  gibt  Panofka,  Bilder  antik.  Lebens  Tfl.  4,  1:  ein  nackter 
Jüngling  steht  zuhörend,  die  Leier  untätig  in  der  Hand;  vor  ihm  sitzt  ein  bekränzter 
Jüngling,  nur  den  Oberkörper  entblößt,  und  liest,  die  Rolle  auf  dem  Schoß  auf- 
stützend, ähnlich  den  voraufgehenden  Bildern.  Auf  dem  offnen  Blatt  des  Buches 
stehen  Schriftzeichen. 

Hieran  reiht  sich  das  Musenrelief  der  Marmorbasis  von  Mantinea,  aus  den 
Anfängen  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  Die  meisten  Musen  sind  hier  stehend  und  zwar  isoliert 
stehend  gegeben.  Doch  fanden  wir  oben  S.  47  zwei  von  ihnen  in  literarisch- 
musischer Handlung  vereinigt  (unsere  Abbildung  28),  indem  die  eine  stehend 
liest  (in  normaler  Sehweite),   die  andere  sich  ihr  lauschend  zuwendet.    Die  Seiten- 


1)  Euphronios  ist  übrigens  der  Töpfer,  nicht  der  Bemaler  des  Gefäßes,  wenn 
wir  FüRTWÄNGLER  folgen;  s.  Furtwängler-Reichhold,  Griech.  Vasenmalerei  S.  102  f. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  das  Vorlesen  in  Geselligkeit. 


149 


höhe  des  Buches  erscheint  hier  ziemlich  gering;  das  Konvolut  in  der  im  Relief 
zurücktretenden  1.  Hand  ist  kaum  angedeutet;  das  Konvolut  in  der  R.  ist  mit  dieser 
selbst  weggebrochen,  war  aber  anscheinend  ziemlich  stark. 

Daß  Musen  lesen,  ist  etwas  Unerwartetes.  Auch  läßt  es  sich  wohl 
nur  selten  belegen.1)  Die  Muse  ist  die  Sinnende  und  Ersinnende;  sie 
kann  also  aus  Büchern  nichts  lernen,  sondern  nur  ihnen  einen  Inhalt 
geben,  indem  sie  das  Ersonnene  aufschreibt  oder  vom  Dichter  aufschreiben 
läßt.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Muse,  wenn  sie  mit  dem  Buch  zu  tun 
hat,  es  entweder  nur  zusammengerollt  hält,  um  es  ev.  einem  Dichter  zu 
bringen,  oder  daß  sie  darin  schreibend  vorgestellt  wird.  Daß  sie  für  sich 
darin  liest,  widerstreitet  auf  alle  Fälle  ihrem  Wesen;  wohl  aber  kann  sie 
daraus  vorsingen,  und  zwar  entweder  einer  Musenschwester,  resp.  dem 
Apoll,  oder  vielleicht  auch  dem  Dichter,  den  sie  inspirieren  will.  Auf  diesem 
Wege  rechtfertigt  sich  jene  Gruppierung  der  zwei  Musen  auf  der  Mantinea- 
basis,  Abb.  28. 

Der  Dichter  selbst,  mutmaßlich  Homer,  erscheint  als  Vorleser  auf  dem  Relief- 
fragment der  Bilderchronik  hellenistischen  Stils,  das  sich  im  Antiquarium 
Berlins  befindet;  s.  O.  Jahn,  Bilderchroniken  G  1  (Titelvignette);  danach  Th.  Schreiber, 
Kulturhistor.  Bilderatlas  Tfl.  XCII  Nr.  12.  Auf  einem  niedrigen  Rundaltar,  der  mit 
einem  Relief  geziert  ist,  sitzt  bequem,  mit  gekrümmtem  Rücken  vornüber  gebeugt, 
ein  schöner  bärtiger  Mann,  eine  Tänie  im  Haar,  im  Profil  nach  rechts,  das  r.  Bein 
weit  vorgestellt,  den  1.  Fuß  zurückgezogen,  und  hält  die  offne  Rolle  mit  beiden 
Händen  weit  ab  vom  Auge.  Ist  dies  Homer,  so  ist  er  nicht  blind,  aber  weitsichtig. 
Daß  die  Leute,  die  weitsichtig,  das  Blatt  vom  Auge  weit  abhalten,  erörtert  Plutarch, 
Sympos.  625  C.  Den  r.  Unterarm  hat  er  bequem  und  lässig  auf  den  r.  Schenkel 
aufgelegt,  und  so  ist  auf  ganz  natürliche  Art  motiviert,  daß  auch  die  r.  Hand  tiefer 
als  die  linke  liegt  und  wir  zwischen  den  zwei  Konvoluten  die  offne  Blattfläche  ge- 
wahren. Überdies  ist  aber  dadurch  auch  zum  Ausdruck  gekommen,  daß  die  L. 
zieht,  die  R.  nur  hält.  Denn  der  1.  Arm  ist  eben  nicht  aufgestützt,  sondern  in  Be- 
wegung, während  die  r.  Hand  ruht  und  nur  bisweilen  den  Daumen  zu  heben  braucht, 
damit  die  Charta  sich  aus  ihr  löse.  Endlich  steht  der  Blick  des  Mannes  höher  als 
sein  Buch;  d.  h.  er  liest  vor;  eine  Person  stand  ihm  gegenüber,  von  der  uns  das 
fragmentierte  Relief  noch  den  ausgestreckten  r.  Arm  sehen  läßt. 

Nahe  verwandt  hiermit  der  lesende  hochbetagte  Dichter  im  Pariser  Münz- 
kabinett, abgebildet  in  den  Annali  Bd.  XIII  Tfl.  50,  bei  Jahn,  Bilderchroniken  Tfl.  II  4 
(u.  S.  57).  Da  er  aber  in  umgekehrter  Richtung,  nach  links  blickt,  liegt  nicht  seine 
rechte,  sondern  die  1.  Hand  auf  dem  Knie  aufgestützt  und  die  Rechte  entbehrt  der 
Stütze.  Die  Figur  war  Teil  eines  Reliefs,  also  gewiß  auch  einer  Gruppe.  Daß  sie 
vorliest,  verrät  die  Richtung  des  Blickes. 

Wollen  die  Musen  einen  Dichter  inspirieren,  so  können  sie  sich  dazu 
nun  allerdings  gleichfalls  der  Vorlesung  bedienen.  Auf  dem  Mosaik  von 
Sousse  in  Tunis,  das  dem  1.  Jahrh.  n.  Chr.  zugeschrieben  wird  (Abbildung 
im  Jahrbuch  des  arch.  Inst.  Bd.  XIII,  Anzeiger,  S.  114),  sitzt  Vergil  zwischen 
Klio  und  Melpomene,  die  stehen,  und  hält  mit  der  L.  eine  offne  Rolle,  die 
ihm  im  Schoß  liegt  und  auf  der  man  den  Vers  Aen.  I  8  Musa  mihi  causas 


1)  Die  lesend  sitzende  Muse  in  Berlin,  „Beschreibung"  Nr.  600,  ist  von  dem 
Ergänzer  zurechtgemacht. 


150 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


memora  erkennt.  Klio,  zur  Linken,  hat  nun  die  Anrufung  Vergil's  erhört 
und  liest  ihm  als  Antwort  aus  einer  Rolle,  die  sie  in  Brusthöhe  inter  manus 
hält,  etwas  vor,  wie  es  scheint,  mit  gesenktem  Blick.  Die  Muse  sitzt  also 
nicht,  wenn  sie  vorliest.  Ähnlich  sahen  wir  sie  auch  zum  Homer  treten, 
oben  S.  84.  So  bringen  die  Göttinnen  also  dem  Dichter  ihre  Ein- 
gebungen.1) 

Zur  älteren  Bildnerkunst  führt  uns  der  etruskische  Sarkophag  zurück: 
Florenz,  archäolog.  Museum,  Sala  di  Tarquinii,  „sarcofago  di  nenfro".  Das 
flach  gearbeitete  Relief  der  Vorderseite  zeigt  hier  zwei  liegende  Gestalten, 
eine  weibliche  und  männliche.  Worauf  es  sich  gründet,  daß  man  sie  als 
Mercur  und  Lara  oder  Larca Xarmenta  bezeichnet  hat,  weiß  ich  nicht.  Die 
weibliche  Figur  liegt  wie  auf  dem  lectus,  den  1.  Unterarm  auf  Kissen  auf- 
gestützt, im  Profil  nach  links.  Der  Mantel  bedeckt  den  1.  Arm,  läßt  aber 
den  r.  Arm  und  den  Vorderkörper  nackt.  Die  Frau  hält  die  Buchrolle 
weit  aufgerollt,  und  zwar  die  r.  Hand  höher,  damit  die  Schreibfläche  sicht- 
bar werde.  Ihr  Blick  ruht  nicht  auf  dem  Buch,  sondern  ist  dem  Manne 
vor  ihr  zugewendet.  Rollungen  sind  nicht  angedeutet.  Es  ist  die  Schick- 
salsfrau, und  sie  trägt  ihm  sein  Schicksal  vor.  Verwandtes  ist  schon  oben 
S.  69  f.  u.  108  zusammengestellt.  Vor  allem  ist  die  stehende  Parze  zu  ver- 
gleichen, auf  dem  ebendort  erwähnten  Relief  des  Cumaner  Grabes,  die  der 
verstorbenen  Tänzerin  in  der  Unterwelt,  während  der  Cerberus  lauscht,  ihr 
Schicksal  aus  weit  offner  Rolle  vorsingt.  Die  Tänzerin  aber  tanzt  zu  dem 
Parzenlied!  Auch  diese  Parze  ist,  wie  die  etruskische,  bis  auf  die  Hüften 
entblößt.  Die  Rolle  aber  ist  der  Länge  nach  in  zwei  Zeilen  mit  Schrift- 
zeichen beschrieben.2) 

Hiernach  wage  ich  nun  auch  eine  rätselhafte  Szene  auf  dem  schönen 
Juliermonument  in  St.  Remy  zu  deuten,  vor  der  ich  lange  staunend 
stand  und  über  die  mir  auch  Hübner's  Erörterung  im  Jahrbuch  III  S.  32  keine 
Aufklärung  brachte.3)  Tatsache  ist,  daß  hier  auf  dem  r.  Teil  der  Fläche 
eine  Schlacht  geschlagen  und  eine  Heldin  getötet  wird  und  daß  zugleich 
auf  ihrem  1.  Teil  eine  Leseszene  stattfindet.  Es  ist  ein  weibliches  Flügel- 
wesen, das  rite  eine  Buchrolle  inter  manus  aufgerollt  hält  (die  Rolle  ist 


1)  Vgl.  Mem.  de  l'acad.  des  inscr.  et  b.  1.,  1898,  Tfl.  20,  woselbst  Gauckler 
S.  233  ff.    Übrigens  Diez,  Ursprung  und  Sieg  der  byzantinischen  Kunst  (1903)  S.  48. 

2)  Unter  dem  Rande  sei  ein  athenischer  Grabstein  in  der  Stoa  des  Hadrian,  von 
Sybel,  Katalog  Nr.  3528,  erwähnt.  Hier  liest  ein  sitzender  Mann  einer  (stehenden?) 
Frau  vor;  doch  ist  die  Beschaffenheit  des  Buchs  unsicher;  bei  V.  Sybel  heißt  es: 
„eine  aufgeschlagene  Rolle?  auf  dem  Schoß  .  .  .  den  dritten  Finger  zwischen  die 
Blätter  geschoben." 

3)  Abgebildet  in  Antike  Denkmäler,  herausgeg.  vom  Deutschen  Instit.  I  (1891) 
Tfl.  16.  Die  Zeit  ist  frühaugusteisch  oder  vielleicht  noch  voraugusteisch;  s.  Petersen, 
Arä  Pacis  S.  158  u.  172;  Studniczka  in  Abhandl.  sächs.  G.W.  XXII  (1904)  [Tropaeum 
Trajani]  S.  27  u.  78  (V.  Sybel).    Mehr  Literatur  ist  zitiert  C.  I.  L.  XII  1012. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  das  Vorlesen  in  Geselligkeit. 


151 


oben  etwas  abgestoßen)  und  liest1),  und  drei  Personen  in  Friedenstracht, 
zwei  Männer  und  eine  Frau,  hören  ihr  zu.  Die  Vorlesung  muß  nun  auf 
den  Tod  der  Heldin  Bezug  haben;  es  kann  also  auch  hier  nur  entweder 
die  Botin  Iris  sein,  die  das  Schicksal  in  Buchform  überbringt  (vgl.  oben 
S.  46  u.  70),  oder  aber  die  Parze  selbst,  die  das  Schicksal  verkündet2);  die 
Flügel  hat  sie  alsdann  von  jener  Schicksalsfrau  geerbt,  die  uns  mit  dem 

Buch  auf  einem  etrus- 
kischen  Sarkophag 
oben  S.  84  f.  begeg- 
net ist.3) 

Aus  dem  Neapler 
Museum  sei  die  große 
pom'pejanische  Wand- 
dekoration Abt.  XLV 
Nr.  9183  angeführt.  An 
ihrem  oberen  Rande 
läuft  ein  schmaler  Fries 
mit  menschlichen  Figu- 
ren, die  einzeln  oder 
zu  Gruppen  vereinigt 
sind.    Unter  den  letz- 


Abb.  85:  Leseszene,  Neapel. 

leren  befindet  sich  auch  unsere  Abb.  85;  d.  i.  eine  Frau,  die  im  Profil  nach  rechts 
am  Boden  sitzt.    Sie  trägt  einen  Kranz  oder  eine  Krone  auf  ihrem  Haupt  und  liest 

1)  Hübner  erkannte  eine  „kleine  Victoria  mit  der  Gedächtnistafel".  Auf  der 
Rückseite  des  Rollenbuchs  sind  die  gekritzelten  Buchstaben  IMRR  wahrnehmbar 
(a.  a.  O.  S.  18). 

2)  Das  Gesicht  der  Figur  ist  abgestoßen.  An  Eros  zu  denken  verbietet  schon 
die  Kleidung,  an  Nike  zu  denken  der  Umstand,  daß  diese  auf  demselben  Relief  noch 
einmal  erscheint. 

3)  Das  Juliermonument  gibt  Erlebnisse  der  Gegenwart,  an  der  die  Julii  selbst 
beteiligt  waren,  aber  in  Anlehnung  an  verwandte  mythologische  Szenen:  so  z.  B. 
eine  Eberjagd  in  Anlehnung  an  die  kalydonische  Jagd.  So  muß  auch  dem  hier 
besprochenen  Amazonenkampf,  wie  Hübner  erkannte,  irgend  ein  örtlicher  Kampf 
zwischen  Galliern  und  Römern,  an  dem  eine  kämpfende  Frau  beteiligt  war,  ent- 
sprochen haben.  Das  Bild  selbst  aber  gibt  den  Mythus  von  Penthesilea  ganz  getreu 
wieder  und  ist  deshalb  um  so  wertvoller;  denn  Achill  ist  hier  eben  im  Begriff,  der 
vom  Pferd  sinkenden  Penthesilea  den  Helm  vom  Haupt  zu  reißen  (sein  r.  Arm  mit 
dem  Helm  ist  weggebrochen),  und  am  Rand  rechts  hebt  ein  Kämpfer  (Thersites 
oder  Diomedes)  schon  anklagend  den  Arm  gegen  den  Helden,  der  von  Liebe  zu  der 
sterbenden  Feindin  entflammt  wird.  Eine  Nike  mit  dem  Tropaion  schließt  diesen 
Teil  des  Bildes  ab.  Wir  müssen  uns  unter  Penthesilea  eine  gallische  Streiterin,  die 
ein  ähnliches  Los  traf,  unter  den  drei  Figuren  aber,  die  der  Vorlesung  der  Parze 
zuhören,  ihre  Eltern  oder  Anverwandte  denken,  die  über  ihr  Schicksal  trauern.  - 
Eine  gegen  Rom  kämpfende  Barbarin  als  Amazone!  Plutarch  kommt  uns  dabei  zu 
Hilfe,  der  Mulierum  virt.  S.  246C  wirklich  erzählt,  daß  die  Frauen  bei  den  Kelten 
in  den  Beratungen  über  Kriege  und  Staatsverträge  die  Führung  hatten  (vgl.  auch 


152 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


in  einer  offnen  Rolle,  die  sie  mit  beiden  Händen  ziemlich  weit  ausgespannt  und  in 
richtiger  Augennähe  hält.  Hinter  ihr  steht  eine  Frau,  im  gleichen  Profil,  und  sieht 
nach  dem  Buche  hin,  der  vorigen  über  die  Schulter,  indem  sie  ihren  Rücken  mit 
der  r.  Hand  berührt.  Der  Grund  ist  schwarz,  die  Figuren  farblos,  der  Schatten 
blaugrünlich.  Wir  erkennen  eine  Vorlesende  und  Lauschende.  Die  Abbildungen  in 
den  Pitture  IV  S.  221  und  227  sind  so  klein  ausgefallen,  daß  sie  das  Detail  nicht 
erkennen  lassen.    Daher  hier  eine  neue. 

Nicht  gesehen  habe  ich  das  pompejanische  Bild  bei  Helbig  Nr.  1459:  ein  sitzen- 
der unbärtiger  Mann  mit  offnem  Diptychon;  ein  sitzendes  Mädchen  mit  dem  Pedum; 
daneben  steht  ein  anderes  Mädchen,  gewandet,  das  „mit  beiden  Händen  eine  aus- 
gebreitete Schriftrolle  hält".  Der  Umstand,  daß  sie  steht,  verrät  die  Vortragende. 
Was  das  Diptychon  bezweckt,  ist  nicht  zu  erraten. 

Hiernach  sei  O.  Minus,  „Ein  Familienbild  aus  der  Priscillakatakombe"  (1895) 
Abb.  1,  WlLPERT  Tfl.  79,  erwähnt.   In  der  Mitte  die  Verstorbene  als  Orantin.  Rechts 


Abb.  87:  Relief  des  Lateran. 


hiervon  dieselbe  als  Mutter;  links  dagegen  eine  Gruppe  in  drei  Figuren:  vor  einem 
sitzenden  bärtigen  Manne  steht  in  gleicher  Richtung  nach  rechts  dieselbe  Frau  und 
ein  Mann.  Sie  hält  hier  in  beiden  Händen  ein  weißliches  Buchblatt,  auf  das  sie  indes 
den  Blick  nicht  richtet.  Andeutung  von  Rollungen  sind  nicht  zu  erkennen;  auch  fassen 
die  Hände  das  Blatt  nicht  in  der  Mitte,  sondern  an  den  oberen  Ecken.  Es  ist  sicher 
ein  Blatt  (ich  sah  das  Original),  die  bisherigen  Deutungen  aber  sind  unannehmbar. 
Das  Lesen  der  verstorbenen  Frau  wird  vielmehr  auf  ihren  eigenen  Tod  Bezug  haben. 
Darauf  weisen  die  zahlreichen  Analogien  der  Sepulkralbildnerei. 

Damit  verwandt  das  Graffito  auf  Marmor  im  Lateran,  christl.  Mus.  226:  hier 

Polyän,  Strateg.  7,  50).  Ja,  bei  Xiphilinos  259  lese  ich  aus  der  Zeit  Marc  Aurels 
wirklich  von  bewaffnet  fechtenden  Barbarenfrauen,  deren  Leichen  man  fand.  Zu- 
gleich aber  fällt  vielleicht  von  hier  aus  etwas  Licht  auf  die  Andeutung  des  Horaz 
Od.  IV  4,  20,  daß  das  Barbarenvolk  der  Vindelici  in  seinem  Verzweiflungskampf 
gegen  das  unterjochende  Rom  mit  dem  Amazonenbeil  kämpfte,  sowie  auf  das  sog. 
Tiberiusschwert  in  Mainz  mit  entsprechender  Darstellung. 


1.  Das  Lesen  in  Gruppen:  das  Vorlesen  in  Geselligkeit. 


153 


hält  ein  bärtiger  Mann  ein  Blatt  nach  Art  einer  Rolle; 
doch  fehlen  auch  hier  die  Rollungen  in  den  Händen. 
Er  liest  stehend  vor;  ein  Zuhörer  sitzt  daneben.  Siehe 
Abb.  86;  vgl.  FlCKER  S.  176. 

Unter  den  Reliefs  der  Kaiserzeit  stehe  die  Mar- 
kussäule voran;  auf  Tfl.  IX  ed.  Petersen  sieht  man  den 
Kaiser  selbst  den  Truppen  eine  Mitteilung  aus  einer  Rolle 
verlesen,  die  er  rite  mit  beiden  Händen  hält. 

Schließlich  dann  dieselben  Szenen  auf  den  späten 
Sepulkralreliefs. 

Unter  ihnen  ist  in  der  Sorgfalt  des  Vortrags  das 
lateranische  des  3.  Jahrh.  Saal  I  Nr.  16  am  schätzens-  Abb.  86. 

wertesten,  unsere  Abb.  87.  Ein  bärtiger  Mann  sitzt  en  face, 

umgeben  von  zwei  Frauen,  die  im  Vordergrund  rechts  und  links  ihm  zugewandt 
stehen.  Die  Frau  rechts  (für  den  Betrachter)  stützt  nur  den  Arm  nach  Art  der 
Trauernden  oder  einer  sinnenden  Muse  auf;  die  links  hält  dagegen  eine  geschlossene 
Buchrolle,  nach  dem  Motiv  II,  das  den  Abschluß  der  Lesung  bedeutet.  Der  Sitzende 
selbst  aber  hält  über  seinem  Schöße  eine  offne  Rolle  sehr  weit  ausgespannt  und 
schaut  dabei  doch  nicht  auf  die  offne  Schriftfläche,  sondern  nach  links  und  in  der 
Richtung  auf  die  eine  der  Frauen.  Daß  gerade  diese  Frau  literarische  Interessen 
hat  und  also  auch  für  das  Verständnis  der  Vorlesung,  die  eben  stattfindet,  besonders 
befähigt  ist,  deutet  eben  das  Buch  an,  das  sie  hält.  Im  Hintergrunde,  wo  ein  Velum 
ausgespannt  ist,  gewahrt  man  noch  drei  stehende  bärtige  Männer.  Links  neben 
dem  Vorleser  selbst  steht  der  eine  von  ihnen,  im  Profil  nach  rechts;  er  scheint,  wie 
die  Frauen,  der  Vorlesung  zu  lauschen.  Dagegen  befinden  sich  die  beiden  anderen 
am  1.  und  r.  Ende  des  Reliefs.  Diese  Männer  halten  jeder  eine  geschlossene  Rolle 
in  der  L.,  Motiv  I,  und  haben  dabei  energisch  das  Gesicht  abgekehrt  zum  Zeichen, 
daß  sie  nicht  zuhören.  Sie  scheinen  die  Versammlung  verlassen  zu  wollen.  Die 
Frauen  und  der  eine  der  Männer  lauschen  also  der  wahren  Lehre;  die  Eckfiguren  sind 
dagegen  andren  nicht  sichtbaren  Personen  zugekehrt.  Der  sitzende  Vorleser  hat  über- 
dies ein  Rollenbündel,  sowie  ein  eckiges  Rollenkästchen  vorn  neben  seinem  1.  Fuße. 
Vor  allem  ist  darauf  acht  zu  geben,  in  welcher  Weise  er  das  Buch  hält.  Kein  Bild 
ist  so  anschaulich  wie  dieses.  Seine  1.  Hand  hält  das  ihr  zukommende  Rollenende 
höher  als  die  rechte  das  ihrige.  Vor  allem  ist  nicht  zu  verkennen,  daß  die  r.  Hand 
ihr  Konvolut  schlaffer  als  die  linke  das  ihre  an- 
faßt. Damit  ist  deutlich  gemacht  und  zum  Augen- 
schein erhoben,  daß  beim  Lesen  eben  die  1.  Hand 
aufrollend  tätig  ist,  die  rechte  das  Abrollen  nur 
zuläßt.  Auch  der  Rollenschnitt  selbst  endlich  aber 
ist  hier  sorglicher  ausgeführt  als  irgendwo  sonst. 
In  dem  resümierenden  Abschnitt  über  das  Buch 
werde  ich  hierauf  zurückkommen;  vgl.  Abb.  155. ') 
Dies  Bild  gehört  also  zu  den  vielen  litera- 
rischen Unterhaltungen,  über  die  schon  S.  64  f. 
die  Rede  war.  Interessanter  ist  es,  einmal  einer 
Szene  aus  dem  Geschäftsleben  zu  begegnen. 
Vgl.  oben  S.  66  über  Ladenschilde,  sowie  den 
lesenden  Weinbergbesitzer  bei  DOtschke  II  Nr.317, 
auf  den  ich  S.  167  zurückkomme.  An  dieser 
Stelle  ist  eines  der  Reliefbilder  von  der  großen  Con- 
giariumdarstellung  des  Constantinusbogens 
besonders  zu  erwähnen.  Das  zweite  Relief  (von 
links)  daselbst  zeigt  vier  Männer  mit  Geldrech- 

1)  Eine  Abbildung  auch  bei  BENNDORF-SCHÖNE 
Tafel  XVII. 


154 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


nung  und  Auszählung  beschäftigt.  Einer  derselben,  und  zwar  die  Eckfigur  rechts, 
im  Halbprofil  nach  links  sitzend,  zeigt  das  Motiv  VI  sehr  schön.  Der  vornehme 
Mann  tauscht  dabei  den  Blick  mit  seinem  Gegenüber  und  scheint  also  aus  dem 
Rechnungsbuch  Angaben  mitzuteilen  und  die  Handlung  zu  leiten. ') 

Zu  den  literarischen  Unterhaltungen  führen  uns  dagegen  folgende  Monumente 
zurück: 

Cagliari,  Deckelstreifen  des  oben  S.  107  erwähnten  Sarkophags  (Bullett.  arch. 
Sardo  Bd.  IV),  gibt  zwei  hierher  gehörige  Szenen.  Beidemal  zwei  sitzende  bärtige 
Männer;  beidemal  liest  der  links  sitzende;  der  rechts  dagegen  hat  seine  r.  Hand 
rezitierend  oder  aber  korrigirend  erhoben  und  hält  dabei  das  eine  Mal  auch  selbst 
eine  geschlossene  Rolle  in  der  L.,  Motiv  I. 

Rom,  Relief  der  Via  Porta  S.  Sebastiano  (vgl.  oben  S.  92),  rechte  Hälfte: 
sitzender  bärtiger  Mann  liest  vor;  ihm  zugewandt  steht  eine  weibliche  (?)  Figur,  die 
zuhört.    Die  L.  hebt  die  Schreibfläche  höher,  damit  sie  dem  Betrachter  ins  Auge  fällt. 

Rom,  Mus.  Kircherianum ,  christliches  Relief,  dreifiguriges  3ruchstück  ohne 
Nummer:  sitzender  bärtiger  Mann  liest  vor;  die  Schreibfläche  ist  ähnlich  wie  im 
vorigen  Beispiel  erhoben.    Ein  Mann  und  eine  Frau  hören  zu. 

Pisa,  Campo  Santo,  Nordseite,  Sarkophag  unter  der  Wandzahl  XXIII.  In  der 
Mitte  der  Vorderfläche  ein  Ehepaar;  die  Frau  steht,  der  bärtige  Mann  sitzt.  Er  hält 
eine  offne  Rolle  und  liest  ihr  vor,  indem  er  Rollungen  in  beiden  Händen  hält;  am 
Boden  rechts  neben  ihm  ein  Rollenbündel:  DüTSCHKE  I  27;  Garrucci  Tfl.  370,  3. 
Sehr  ähnlich  Garrucci  370,  4  (Rom,  Villa  Randanini). 

Rom,  christlicher  Sarkophag,  s.  Bullettino  della  commiss.  archeol.  di  Roma 
1903  (Bd.  31)  S.  225  Figur  115;  hier  sitzt  der  vorlesende  Mann  im  Profil  nach  links, 
die  offne  Rolle  in  beiden  Händen,  und  hebt  die  r.  Hand  höher  als  die  L.  zu  dem 
gleichen  Zweck,  damit  die  Schreibfläche  dem  Betrachter  sichtbar  werde.  Rechts 
von  dem  Lesenden  ein  Orant,  links  der  gute  Hirte.  —  Vgl.  auch  den  in  S.  Maria 
antiqua  gefundenen  Sarkophag  in  Neue  Jahrbücher  1904,  S.  40  (HÜLSEN). 

Rom,  Lateran,  christl.  Mus.,  Sarkophagrelief  Nr.  172:  FlCKER  gibt  an,  daß  links 
eine  Frau  steht,  nach  rechts  blickend,  in  der  L.  eine  Schriftrolle.  „Von  ihr  rechts 
sitzt  ein  Mann  nach  rechts  .  .  .  .,  den  Kopf  nach  der  von  beiden  Männern  entfalteten 
Schriftrolle  gesenkt."  Hier  liegt  ein  Druckfehler  vor;  man  muß  „Händen"  statt 
„Männern"  lesen.  Übrigens  ist  oben  S.  104  zum  Philosophenmosaik  das  Nähere 
mitgeteilt. 

Dies  sind  zumeist  Nachklänge  der  schönen  Dichterfigur  auf  der  Bilderchronik. 
Man  bemerke  noch,  daß  auch  in  den  hier  gegebenen  Abbildungen  die  Richtung 
des  Blickes  des  Lesenden  über  das  Buch  hinweggeht.  Dies  war  das  einfachste 
Mittel  um  anzudeuten,  daß  das  Lesen  ein  Vorlesen  ist. 

Stehend  Vorlesende  begegnen  wohl  seltener: 

Rom,  Domitillakatakomben,  Basilika  der  Petronilla:  in  die  Wand  eingemauertes 
Relief,  zweifigurig;  die  Figur  links  hält  eine  geschlossene  Rolle,  die  Figur  rechts 
steht  lesend;  s.  Abb.  88. 

Arles,  Sarkophagdeckel  bei  Le  Blant  X  1  =  GARRUCCI  343,  3:  der  reiche  Relief- 
schmuck gibt  ähnlich  dem  S.  65  u.  130  besprochenen  Berliner  Sarkophagdeckel  eine 
Reihe  von  litterarischen  Szenen.  Doch  wiederholen  sich  auf  der  linken  und  rechten 
Seite  dieselben  Szenen  genau.  Nehmen  wir  die  rechte  Seite.  Alle  Figuren  stehen. 
Zunächst  am  Rand  rechts  ein  vom  Lesen  Ausruhender  vor  einem  Pult  mit  kunst- 
vollem Fuß;  s.  unsere  Abb.  115.  Dann  zwei  Gruppen  zu  zwei  Personen;  beidemal  liest 
der  rechts  stehende  bartlose  Mann  vor,  der  links  stehende  hört  zu;  zwischen  ihnen 
beidemal  ein  Rollenbündel.  Das  erstemal  ist  unklar,  ob  der  Vorleser  aus  einer 
Rolle  oder  aus  einem  Buch  in  Tafelform  liest;  sein  Zuhörer  hält  eine  große  Rolle 
im  Motiv  II;  der  zweite  Vorleser  liest  aus  einer  Rolle;  das  Konvolut  in  seiner  einen 
Hand  ist  sichtbar.  Seih  Zuhörer  hat  leere  Hände.  Den  Abschluß  links  gibt  eine 
weitere  männliche  Figur,  die  abgewandt  steht. 


1)  Abbildung  z.  B.  bei  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder  Figur  32. 


2.  Der  isoliert  Lesende:  das  Buch  auf  den  Knien. 


155 


2.  Der  isoliert  Lesende. 

Wer  rednerisch  oder  von  der  Bühne  herab-  vorliest,  steht.  Wer  im 
häuslich  geschlossenen  Kreise  vorliest,  sitzt  lieber.  Wer  in  einsamem 
Studium  den  Inhalt  einer  Schrift  in  sich  aufnimmt,  wird  gleichfalls  vorzugs- 
weise sitzend  vorzustellen  sein.  Aber  auch  auf  dem  lectus  liegend  studierte 
man  (oben  S.  91).  Die  hier  aufzuführenden  Monumente  sind  oft  von 
hübscher  Anschaulichkeit.  Ihnen  voranzustellen  ist  die  bronzene  Pindar- 
statue, die  in  Athen  vor  der  Regia  stand;  sie  zeigte  Pindar  sitzend,  ge- 
wandet, mit  dem  Diadem  und  der  Leier,  zugleich  ein  aufgerolltes  Buch 
auf  den  Knien  haltend  (Aeschines'  epist.  4:  Ka6r||uevoc  ev  evbuuati  Kai 
Xüpa  6  TTtvbapoc  bidbn|ua  e'xujv  Kai  eiri  tüjv  Tovaiaiv  aveiXiYuevov  ßißXiov). 
Auch  Pigres,  der  Verfasser  der  Batrachomyomachie ,  am  Anfang  des 
5.  Jahrh.1),  hat  sein  neues  Werk  fertig  auf  den  Knien  liegen,  um  es 
vorzulesen.  Im  v.  3  sagt  er  von  seinem  Gesang:  „den  ich  neu  in  meiner 
Reinschrift  mir  auf  die  Knie  legte".  Er  liest  also  sitzend  vor,  wie  der 
Homer  der  Bilderchronik  (oben  S.  149);  dabei  ruft  er  die  Musen  an,  daß 
er  auch  Zuhörer  finde.")  Dazu  kommt  noch  der  Vers  aus  einem  un- 
bekannten Dichter: 

Kai  Yap  ÖT6  TTpamcTOV  epoTc  em  beX-rov  e'OnKa 

Yoüvaci.3) 

Einzelfiguren,  die  hiervon  abweichen  und  vielmehr  stehend  lesen,  sind 
besonders  auf  den  kampanischen  Wandbildern  anzutreffen.  Es  sei  gleich 
hier  gesagt,  daß  wir  bei  einem  isoliert  Lesenden  nie  sicher  sind,  ob  er 
nicht  etwa  doch  als  Vorleser  resp.  als  Vorleserin  aufgefaßt  werden  muß 
und  demgemäß  eigentlich  dem  vorigen  Abschnitt  einzureihen  sein  würde. 
Dies  gilt  besonders  von  den  stehenden  Figuren.  Denn  in  den  pompejani- 
schen  Wanddekorationen  kann  oder  muß  für  die  Einzelfiguren,  die  sich  in 
phantastischen  Architekturen  verstreut  finden,  oftmals  supponiert  werden, 
daß  sie  aus  größeren  Gruppen  isoliert  sind.  Begegnet  uns  dasselbe  statua- 
risch, wie  bei  der  Corinna,  so  setzen  wir  dasselbe  an.  Aber  auch  Statuen, 
die  den  sitzend  Lesenden  isoliert  zeigen,  können  schließlich,  wie  schon 
angedeutet,  als  Vorleser  aufgefaßt  werden. 

Schon  einige  der  frühesten  für  das  Bücherwesen  in  Betracht  kommen- 
den Monumente,  schon  solche  des  5.  Jahrh.,  bringen  uns  den  einsamen 


1)  Vgl.  A.  Ludwich,  Der  Karer  Pigres,  Königsberg  1890. 

2)  Es  ist  also  kein  Grund  an  dem  9f|Ka  zu  ändern,  wie  LUDWICH  wollte,  beX-roi 
können  auch  den  Chartarollen  zukommen;  dies  ist  von  mir  im  Zentralblatt  f.  B.W. 
XVII  S.  548  f.  dargetan.  ceXibec  sind  die  Seiten  der  Chartarolle;  aber  auch  beVroi 
können  auf  ce\ibec  stehen  oder  eingetragen  werden;  s.  Posidipp's  Gedicht  auf  das 
Alter:  DlELS,  Sitz.-Ber.  Berl.  Akad.  1898  S.  851.    Ich  komme  darauf  unten  zurück. 

3)  Vgl.  Ludwich  zur  Stelle  der  Batrachomyomachie. 


156 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Leser,  den  dvcrnYvwcKwv  -rrpöc  eauiöv  (Arist.  Frösche  52).   Voran  ein  paar 

Grabdenkmäler,  ein  etruskischer  Sarkophag  und  eine  attische  Stele. 

Etruskischer  Steinsarkophag  des  5.(?)  Jahrh.  im  Museum  zu  Cor- 

neto,  unsre  Abb.  89;  wertvoll  durch  die  naturalistische  Detailbehandlung: 

Auf  dem  Deckel  des  Sarkophags  liegt  wie  auf  dem  lectus  ein  bärtiger  Mann, 
den  1.  Unterarm  auf  ein  doppeltes  Kissen  aufgelegt.  Der  Mantel  bedeckt  vom  Ober- 
körper nur  den  Rücken  und  den  1.  Arm.  Um  den  Hals  ist  eine  dick  gewundene 
torques  geschlungen.  Am  vierten  Finger  der  1.  Hand  trägt  er  einen  Ring.  Die 
Buchrolle  aber  liegt  weit  aufgerollt  in  seinem  Schoß  und  erstreckt  sich  von  da  bis 
nahe  zum  Kopfende  des  lectus.  Die  offene  Blattfläche  ist  mit  etruskischer  Schrift 
bedeckt,  steht  aber  für  den  Buchträger  selbst  auf  dem  Kopfe;  denn  sie  ist  vielmehr 
auf  den  Betrachter  des  Bildwerks  berechnet,  und  zwar  ohne  Kolumnenteilung  in 
langen  Zeilen.  Daher  blickt  der  nämliche  Buchträger  auch  keineswegs  in  das  Buch; 


Abb.  89:  Sarkophagdeckel,  Cornelo. 


er  blickt  vielmehr  grade  den  Betrachter  an,  als  fordere  er  ihn  auf,  den  Text,  der 
ihm  so  wichtig  ist,  durchzulesen.  Die  Hände  halten,  wie  üblich,  die  zwei  Konvolute. 
Doch  ist  augenfällig,  daß  die  1.  Hand,  die  sonst  abrollt,  hier  lässig  ruht,  dagegen 
die  R.  tätig  und  soeben  im  Begriff  ist,  das  Buch  auseinanderzuziehen.  Dies  erklärt 
sich  daraus,  daß,  wie  gesagt,  das  Buch  auf  dem  Kopfe  steht.  Der  Mann  hat,  um 
dem  Publikum  die  Buchschrift  zuzukehren,  was  sonst  in  der  R.  liegt,  in  die  L.  ge- 
nommen, und  hält  das  Rollenende  in  der  L.,  das  sonst  in  die  R.  gehört. 

Attisches  Grabrelief  in  der  Abtei  zu  Grottaferrata;  s.  A.  Conze,  Die 
attischen  Grabreliefs  Bd.  II  Tfl.  121  Nr.  622,  im  Stil  verwandt  den  Parthenon- 
friesen, also  wohl  noch  dem  5.  Jahrh.  angehörig;  unsre  Abb.  90.  Ein  Jüngling 
sitzt  im  Profil  nach  rechts,  auf  einem  Sitz  ohne  Lehne,  die  Füße  auf  einem 
Schemel,  ein  aufgerolltes  Buch  auf  seinem  Schoß.  Vor  ihm  am  Boden  ein 
Scrinium.  In  der  Beschreibung  Conze's  heißt  es  nicht  zutreffend  von  dem 
Jüngling:  „er  öffnet  mit  den  Händen  über  dem  Schoß  eine  Schriftrolle". 
Sein  gesenktes  Haupt  deutet  vielmehr  an,  daß  er  in  ruhiger  Versenkung  liest. 
Dazu  stimmt,  daß  das  Buch  schon  weit  bis  zur  Mitte  aufgerollt  ist,  also  nicht 
eben  erst  geöffnet  wird:  e-rrt  tujv  yovcctwv  dveiXtriuevov  ßtßXiov,  diese  Worte 


2.  Der  isoliert  Lesende:  das  Buch  im  Schoß  oder  auf  den  Knien.  157 


gelten  auch  hier.  Da  die  Rolle  auf  älteren  attischen  Grabreliefs  sonst  nicht 
erscheint  (s.  oben  S.  49),  muß  es  mit  diesem  Verstorbenen  eine  besondere 
Bewandtnis  haben.  Es  muß  ein  durch  dichterische  oder  philosophische  Be- 
strebung ausgezeichneter  junger  Mann,  der  früh  aus  dem  Leben  schied, 
gewesen  sein,  den  wir  hier  verewigt  sehen.  Auch  hierfür  ist  der  bronzene 
Pindar  in  dem  Aeschinesbrief  zu  vergleichen.  Endlich  beachte  man  nun, 
daß  die  Rolle  sehr  groß 


durch  angezeigt. 

Es  folgen  statuarische  Werke  der  älteren  Zeit.  Hierbei  darf  noch  ein- 
mal an  Anregungen  der  ägyptischen  Kunst  erinnert  werden.  Denn  auch 
die  prächtigen  altägyptischen  Schreiberstatuen  haben  regelmäßig  die  offne 
Rolle  flach  auf  den  Knien  liegen;  s.  oben  S.  18.  Dies  setzt  sich  in 
jüngeren  ägyptisierenden  plastischen  Arbeiten  fort,  die  uns  das  Lesemotiv, 
das  von  der  griechischen  Kunst  selbst  auf  das  anmutigste  belebt  und  har- 
monisch gestaltet  wurde,  in  steifer  Anordnung  geben: 


ist.  Ihre  Höhe  kann,  da 
sie  den  Schoß  reichlich 
ausfüllt,  auf  30-33  cm  ge- 
schätzt werden,  was  etwa 
der  Schenkellänge  eines 
Mannes  mittlerer  Größe 
gleichkommt.  Vor  allem 
aber  sind  auch  die  Kon- 
volute selbst  sehr  stark. 
Daß  die  hier  abgebildete 
Rolle  an  Text  viel  mehr  als 
eine  Homerrhapsodie  oder 
als  eine  einzelne  Sophokles- 
tragödie enthalten  konnte, 
lehrt  der  Augenschein.  Tat- 
sächlich hat  sich  ja  nun 
die  griechische  Literatur  in 
den  vorptolemäischen  Zei- 
ten zur  Überlieferung  um- 
fangreicherer Werke  be- 
trächtlich größerer  Buch- 
rollen, als  sie  hernach 
üblich  wurden,  bedient. 
Es  ist,  wie  wenn  heute 
ein  Gelehrter  über  einem 
Folianten  sitzt.  Der  Eifer 
des    Jünglings    wird  da- 


Abb.  90:  attisches  Grabrelief. 


158 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Ich  führe  nur  die  Sitzfigur  des  Imhotep  im  Louvre  an,  abgebildet  bei  Reinach, 
Repert.  stat.  I  145,  7. 

Dazu  im  Schrank  der  ägyptischen  kleinen  Bronzen  zu  Lyon  die  Nr.  71:  ein 
sitzender  bartloser  Mann,  negerartig  im  Typus,  nur  mit  dem  Schurz  bekleidet;  die 
offne  Rolle  liegt  auf  dem  Schoß,  in  jeder  Hand  symmetrisch  ein  Konvolut.  Er  blickt 
gradaus,  liest  also  nicht  ab. 

Aus  eigentlich  griechischem  Bereiche  ist  die  cyprische  Terrakotte 
von  besonderem  Wert,  die  sich  im  British  Museum  befindet  und  beschrieben 
und  abgebildet  ist  bei  H.  B.  Walters,  Catalogue  of  the  terracottas,  1903, 
daselbst  Nummer  A  326;  danach  unsre  Abb.  91.  Zwei  Frauen  (Göttinnen?) 
sitzen  in  steifer  Haltung  hart  nebeneinander  auf  Thronen;  ihre  Hände  ruhen 
an  ihren  Knien,  indem  sie  Bücher  halten.  Walters  sagt  undeutlich  von 
der  einen:  „holding  a  roll",  von   der  andern  „holding  an  open  book". 

Vielmehr  hält  die  links  Sitzende  ein  offnes 
flaches  Blatt  ohne  Rollungen  auf  dem  Schoß, 
die  rechts  Sitzende  hingegen  ein  ebensolches 
mit  zwei  regelrechten  Rollungen  gleichfalls  auf 
dem  Schoß.  Wie  fremd  das  Buch  sonst  den 
griechischen  Göttern  ist,  habe  ich  wiederholt 
hervorgehoben  (S.  69  f.).  Wir  erkennen  dem- 
nach auch  hier  ungern  Demeter  und  Kora  selbst, 
sondern  lieber  ihre  Priesterinnen,  die  den  Göt- 
tinnen glichen  und  die  aus  den  Gesetzbüchern 
vorgelesen  haben  müssen  (vgl.  oben  S.  146). 
Das  hohe  Alter  der  hier  abgebildeten  Figuren 
verbürgt  uns  nun  aber  eine  Verbreitung  des 
ägyptischen  Rollenbuchs  für  frühe  Zeiten,  sicher 
für  den  Anfang  des  5.  Jahrh.,  als  Äschylus  in 
den  Hiketiden  die  ßüßXoi  erwähnte  und  Pigres 
in  solche  Rolle  seine  Batrachomyomachie  schrieb.  Insbesondere  Cypern 
lag  Ägypten  nahe  genug. 

Erwähnt  sei  hier  auch  eine  zweite  Terrakotte,  die  aus  Kyrene  stammen  soll, 
bei  M.  HuiSH,  Greek  terracotta  statuettes,  1900,  Tfl.  60  und  S.  177:  wiederum  eine 
sitzende  Frau,  die  im  Schoß  ein  blattartiges  Buch  (ohne  Rollungen),  aber  so  hält, 
daß  es  auf  der  1.  Hand  ruht.  An  ihrer  1.  Schulter  lehnt  ein  Amor.  Nach  der  Zeich- 
nung zu  schließen,  könnte  dies  Blatt  eine  Doppeltafel,  aber  alsdann  ohne  Rahmen 
sein.    Zeit  das  5.  Jahrh.  (?). 

Weitere  Terrakotten,  die  die  Rolle  auf  dem  Schoß  des  Sitzbildes  aufliegend 
zeigen,  führt  O.  Jahn  auf,  Abhandl.  sächs.  G.W.  XII  S.  290. 

Es  ist  nun  klar,  daß  dies  Motiv  VI  von  der  Kleinkunst  der  Koroplastik 
unmittelbar  in  die  große  Porträtkunst  überging.  Der  erwähnte  bronzene 
Pindar,  der  da  sitzt,  ein  aufgerolltes  Buch  auf  den  Knien,  kann  gar  nicht 
wesentlich  anders  ausgesehen  haben.  Folgen  wir  der  Aussage  des  zitierten 
Briefes,  so  waren  es  schon  die  Vorfahren  (rcpÖTovoi)  des  Redners  Äschines, 
die  die  Statue  errichtet  hatten,  und  von  ihr  heißt  es,  daß  sie  „noch"  bis  in 


2.  Der  isoliert  Lesende:  das  Buch  auf  den  Knien. 


159 


unsre  Zeit  dastand  (Kai  rjv  aürn.  de  fnaäc  eri);  sie  gehört  also  gleichfalls 
ins  5.  Jahrh. 

Ein  Nachklang  ist  uns  im  Museo  Chiaramonti  des  Vatikan  Nr.  350 
erhalten,  unsre  Abb.  92;  vgl.  Amelung  S.  536  und  Tfl.  55 : 

Dieser  Statuette  fehlen  Kopf  und  Füße.  Auf  einem  „würfelartigen  Sitz"  sitzt 
eine  Frau.  Der  Mantel  deckt  Rücken  und  Arme.  Doch  ist  der  Rücken  „glatt  in 
einer  Fläche  zubehauen".  Ein  Bruch  im  Marmor  geht  das  1.  Bein  hinauf  und  quer 
durch  die  Rolle.  Die  Rollungen  in  den  Händen  sind  wie  gewöhnlich  von  gleicher 
Größe.  Daß  der  Kopf  sich  zum  Lesen  vornüberneigte,  ist  zweifelhaft.  —  Was  die 
Deutung  anlangt,  so  gehört  diese  Statuette  zu  den  gleichartigen  weiblichen  Sitz- 
bildern im  selben  Museum  Nr.  349  und  351;  auch  diese  sind  kopflos.  Da  nun  Nr.  351 
eine  Maske  hält  und  als  Muse  dadurch  gekennzeichnet  ist,  so  wird  man  auch  Nr.  349 
und  350  als  Musen  zu  betrachten  haben.  Wir  müssen 
alsdann  aber  bei  Nr.  350  an  eine  vorlesende  Muse 
denken,  so  wie  gewiß  auch  jener  Pindar  vorlas. 

Diese  Statuette  von  geringer  Arbeit  führt  auf  ein 
Original  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.  zurück  (Amelung  S.  538). 
Dies  Original  aber  war  von  Darstellungen  abhängig, 
die  jener  cyprischen  Terrakotte  des  British  Museum 
gleichkamen. 

Dasselbe  Schema  ist  auch  noch  auf  dem  helleni- 
stischen Grabrelief  aus  Kyzikos  (oben  S.  146)  gewahrt. 

Münzen  von  Chios  überliefern  uns  ein  Sitz- 
bild Homers;  s.  O.Jahn,  Bilderchroniken  Tfl.  II  1. 
Da  zeigt  sich  ein  erster  Fortschritt;  die  offne  Rolle 
wird  zwar  noch  nicht  ganz  von  den  Knien  los- 
gelöst, aber  sie  steht  in  schräger  Richtung  frei 
auf  ihnen,  indem  die  Hände  sie  an  den  unteren 
Konvoluten  festhalten.  Auf  dem  Innenblatt  liest 
man  IAIAC.  Die  eine  Rolle  soll  also  die  ganze 
Ilias  enthalten.    Sie   ist  dementsprechend   sehr  Abb.  92:  Muse,  Vatikan, 

groß  gebildet. 

Ein  weiterer  Fortschritt  war  es  dann,  das  Buch  von  den  Knien  ganz 

zu  erheben  und  dem  Gesicht  zu  nähern,  wie  dies  schon  auf  der  Durisvase 

geschehen  ist.   Rühmlich  ist  hier  darum  des  schönen,  leider  fragmentierten 

Grabreliefs  von  Krissa  zu  gedenken  (Annali  dell' Inst.  1855  Tfl.  16; 

Schreiber,  Bilderatlas  I  Tfl.  89,  8): 

Auch  hier,  wie  auf  dem  vorhin  besprochenen  attischen  Grabrelief,  sitzt  ein 
Jüngling,  im  Profil  nach  links,  auf  leichtem  Klappstuhl.  Sein  Gesicht  ist  weg- 
gebrochen; doch  ist  die  Nase  erhalten  und  man  sieht,  daß  er  das  Haupt  etwas  vor- 
neigte. Die  Hände  halten  die  offne  Rolle  in  Brusthöhe.  Das  Buch  selbst  aber  ist 
hier  erheblich  leichter  und  winziger  als  das  des  Jünglings  von  Grottaferrata.  Sie 
wird  nur  einen  Gesangtext  bedeuten.  Denn  dieser  Jüngling  ist  nicht,  wie  jener,  als 
Gelehrter  charakterisiert,  und  die  Capsa  mit  Büchern  fehlt.  Statt  dessen  steht  eine 
Kithara  im  Hintergrund  auf  dem  Boden,  während  an  der  Wand  neben  gymnastischen 
Geräten  ein  mächtiger  Kranz  hängt.]  Das  Relief  kann  nicht  jünger  als  das  4.  Jahr- 
hundert sein? 


Eine  belebtere,  nach  reicherem  Wechsel  der  Linien  strebende  Kunst 


160 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


konnte  sich,  wie  gesagt,  mit  einer  Darstellung,  die  den  isoliert  Lesenden 
so  steif,  monoton  und  schablonenhaft  hinsetzt,  wie  dies  in  der  Muse  des 
Vatikan  geschehen,  nicht  begnügen.  Auch  auf  dem  statuarischen  Gebiet 
ist  ein  Fortschritt  auf  dem  angegebenen  Wege  versucht  worden.  Ich  er- 
wähne die  silberne  Statuette  eines  lesenden  bärtigen  betagten  Mannes, 
die  aus  Bordeaux  nach  Paris  kam  (s.  Memoires  de  la  Soc.  archeol.  de 
Bordeaux  XI  S.  89;  XIII  Tfl.  14;  Reinach,  Repert.  II  S.  629,  7);  vgl.  Abb.  93. 
Wie  leicht,  durch  verschiedene  Hebung  der  Hände,  ist  hier  Belebung  erreicht! 

Augenscheinlich  auch  dies  ein  Dichter  oder 
Denker,  der  vorträgt.  Er  sitzt  aufrecht  auf  einem 
niedrigen  Stuhl  ohne  Rückenlehne,  mit  geschweiften 
Tierfüßen.  Das  Buch  liegt  ihm  nicht  auf  den 
Knien,  sondern  er  hält  es  höher,  und  zwar  so, 
daß  die  r.  Hand  das  noch  unaufgerollte  Konvolut 
umspannt  und  bis  zur  Brusthöhe  erhebt,  die  tiefer 
gesenkte  1.  Hand  aber  die  abgerollte  Blattfläche 
schräg  zu  sich  nach  unten  zieht.  In  dem  Konvolut 
der  r.  Hand  ist  die  Rollung  im  Schnitt  angedeutet, 
in  dem  der  1.  Hand  ist  der  Schnitt  glatt  gelassen. 
Der  Kopf  endlich  hat  halbe  Seitenwendung  nach 
rechts,  die  Augenlider  sind  gesenkt  und  der  Blick 
ruht  so  auf  dem  erhobenen  Teil  der  Blattfläche, 
indes  der  Mund  sich  leise  öffnet.  Die  Miene  ist 
ernst,  ruhevoll,  aber  fein  durchgeistigt.  Man  sieht: 
der  Leser  ist  in  das  Buch  versunken.  Auch  die 
Erfindung  dieses  Stückes  weist,  wie  ich  glauben 
möchte,  auf  die  feine  Porträtkunst  des  4.  Jahrh. 
zurück. ') 

Die  Rivalin  Pindars  war  Korinna.  Auch 
von  ihrem  Standbilde   hat  sich  eine  späte, 
Abb.  93:  Statuette,  Paris.  römische  Replik  erhalten    in  einer  Marmor- 

statuette zu  Compiegne,  von  nur  48  cm 
Höhe,  durch  deren  Existenz  uns  begreiflich  wird,  daß  noch  Statius  in  seiner 
Jugend  die  Gedichte  der  Korinna  las.-)  Ist  darin  ein  Nachklang  an  Sila- 
nions  Werk  zu  erkennen?'1)  Bei  dem  ursprünglichen  Schema  des  isoliert 
Lesenden  hat  sich  auch  dieser  Künstler  nicht  beruhigt;  s.  die  Abbildung 
in  der  Revue  archeol.  32  Tfl.  V.  Aber  das  Neue,  was  er  bringt,  ist  nur  dies, 
daß  die  Person  steht  und  nicht  sitzt.  Das  Buchmotiv  selbst  aber  kehrt 
zur  alten  schlichten  Einfachheit  zurück: 

1)  Vgl.  auch  O.  Jahn,  Bilderchronik  S.  57  Note  385. 

2)  Statius  Silv.  V  3,  158.  Weder  Vollmer  in  seinem  Kommentar  noch  WlLA- 
mowihz  in  den  Abh.  Gött.  G.W.  N.F.  IV  Nr.3  S.21  haben  auf  diese  Statuette  acht  gegeben. 

3)  Diese  nicht  fern  liegende  Vermutung  bringt  S.  Reinach,  Revue  archeol.  32 
(1898)  S.  161  ff.  Auch  er  scheint  übrigens  noch  an  eine  lokaste  desselben  Silanion 
zu  glauben,  ein  unmögliches  Sujet.  Vielmehr  war  sein  Werk  eine  sterbende  Alkestis, 
und  bei  Plutarch  liegt  Verschreibung  vor,  oder  vielmehr  er  selbst  fand  eine  Ver- 
schreibung  in  seiner  Quelle.  Siehe  Rhein.  Mus.  50  S.  173  Note;  Laienurteil  über 
bildende  Kunst  bei  den  Alten  S.  33. 


2.   Der  isoliert  Lesende:  das  Buch  erhoben. 


161 


Gleichförmig  liegen  beide  Arme  am  Körper,  und  ebenso  gleichförmig  halten 
beide  Hände  das  aufgerollte  Buch  in  der  Höhe  des  Nabels.  Es  ergibt  sich  daraus 
ein  unfreier  Habitus,  wie  er  an  den  stehenden  Nymphen  bekannt  ist,  die  eine  offne 
Muschel  mit  beiden  Händen  vor  ihren  Unterkörper  halten  (z.  B.  Visconti,  Mus.  Pio- 
Clem.  VII  Tfl.  10;  Reinach,  Repert.  I  97).  Es  ist  die  Haltung  der  Konzertierenden 
(oben  Abb.  79).  Wie  anders  weiß  schon  die  Leserin  auf  der  Basis  von  Mantinea  ihr 
Buch  zu  tragen!  Die  Daumen  sind  abgebrochen,  die  linke  Hand  ist  sogar  noch 
schwerer  beschädigt,  ebenso  auch  der  äußere  Rollenrand.  Es  scheint  aber,  daß 
nur  in  der  rechten  Hand  ein  stärkeres  Konvolut,  nämlich  der  noch  nicht  abgerollte 
Rollenteil,  ruhte,  daß  die  Linke  dagegen  nur  das  Blattende  hielt,  eine  Rollung 
aber  ihrerseits  noch  nicht  herstellte.  Demnach  stünde  diese  Korinna  erst  im 
Beginn  der  Lektüre.  Sie  singt  und  ist,  wie  schon  gesagt,  die  plastische  Nach- 
bildung der  Konzertierenden  auf  den  attischen  Vasen.  Darum  steht  wohl  auch 
ein  Altar  an   ihrem  linken  Fuße.     Dieser  Altar  ^ 


kein  Buch,  sondern  ein  breites  mamillare: 

eine  „Aphrodite  Kestophoros"1),  und  wer  die  Abbildung  bei  Baumeister, 
Denkm.  Nr.  393  betrachtet,  wird  erkennen,  wie  sich  von  solcher  Stoff- 
binde die  offne  Rolle  unterscheidet.2) 

Daran  schließt  sich  endlich  eine  Terrakotte  jüngeren  Stils,  der  ithyphal- 
lische  Alte  als  Lampe  im  Neapler  Museum  Invent.  109  411,  unsre  Ab- 
bildung 94.  Dies  endlich  wieder  ein  einsam  Lesender!  Eine  freche  Erfindung. 
Das  Gesicht  des  Mannes  ist  bärtig,  der  Bart  vierteilig  zugespitzt.  Er  sitzt; 
denn  er  studiert;  und  hält  das  Buch  in  richtiger  Augennähe;  der  Kopf  neigt 
etwas  vor  und  der  Blick  ist  mit  gespanntem  Eifer  auf  das  Buch  geheftet.  Als 
Inhalt  der  Lektüre  würde  man  sich  vielleicht  Dinge  denken,  die  den  ithyphal- 
lischen  Zustand  des  Mannes  erklären,  während  er  in  Wirklichkeit  nur  ein  Stück 
des  Alphabets  AB  TA  GZ  vor  sich  hat. =)  Die  Haltung  der  Hände  und  Arme  folgt 
dem  archaischen  Schema  genauester  Symmetrie.    Doch  scheint  das  Buch  nicht 


1)  Siehe  die  verwandten  Bildwerke  in  der  'eqpn.fi.  dpxaioX.  1895  S.  189  u.  Tfl.  9. 

2)  Dasselbe  mamillare  zeigen  auch  Terrakotten  so  ausgespannt;  s.  WINTER, 
Terrakotten  II  S.  215,  8  und  456,6;    hier  ist  es  einer  Buchrolle  allerdings  sehr 


soll  andeuten,  daß  wir  es  hier  mit  thymeli- 
scher  Kunst  zu  tun  haben.  Der  niedliche  Kopf 
erinnert  an  Tanagrafiguren ;  Korinna  aber  war 
Tanagräerin.  Dies  bemerkte  Reinach.  Doch  ist 
der  Kopf  aufgesetzt  und  nach  Amelung's  Urteil 
sicher  nicht  zugehörig.  Aus  ihm  lassen  sich 
somit  keine  Folgerungen  ziehen,  und  eine  Be- 
einflussung der  statuarischen  Bildnerei  durch  die 
Koroplastik  ist  in  diesem  Fall  nicht  zu  er- 
weisen. 


wähnte  Pindar   in   Athen   bleibt   dafür   der  J* 


Bronzewerke  mit  offner  Rolle  sind,  so- 
viel ich  weiß,  nicht  erhalten,  und  der  er- 


einzige Beleg.  Eine  Bronzestatuette  aus  Her- 
culaneum,  eine  nackte  Frau,  die  einen  Band- 
streifen ausgespannt  vor  der  Brust  hält,  sei 
hier  im  Vorübergehen  erwähnt;  doch  ist  dies 


Abb.  94:  Tonlampe,  Neapel. 


ähnlich. 


3)  Vgl.  Bullettino  del  Inst.  1871  S.  253. 


Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


11 


162 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Abb.  95. 


bis  zur  Mitte  abgerollt  und  die  Lektüre  noch 
im  ersten  Teil  desselben  zu  haften,  denn  die 
Rollung  in  der  r.  Hand  ist  ein  geschlossenes 
Konvolut,  in  der  L.  biegt  sich  dagegen  das 
erste  Buchblatt  nur  erst  leise  um.  In  den  Augen 
des  Mannes  und  im  Kopf  über  den  Ohren  sind 
kleine  Löcher;  in  seinem  Nacken  ein  größeres 
Loch  zum  Einfüllen  des  Öls.  Die  Öffnung  für 
den  Docht  ist  vorn  im  Phallus  angebracht.  Dem 
Licht,  das  hier  als  offne  Flamme  brannte,  diente 
also  der  Buchrücken  gewissermaßen  als  Refektor. 

Wie  beengt  zeigte  sich  uns  in  allen 
diesen  Darbietungen  die  Plastik,  selbst  da, 
wo  sie  sich  begnügt,  den  Ton  zu  kneten, 
wie  frei  dagegen  bewegt  sich  die  Wand- 
malerei! Sie  ist  es,  der  ich  mich  nun- 
mehr zuwende. 

Dabei  muß  ich  gleich  warnend  voraus- 
schicken, daß  der  lesende  Jüngling  aus  Pom- 
peji, der  bei  DaremberG-SaGLIO  Fig.  4452  als 
Illustration  dient,  irre  führt;  vgl.  Pitture  d'E.  V  S.  245.  Derselbe  wickelt  die  Masse 
des  Gelesenen  verkehrt  nach  außen  statt  nach  innen  zusammen.  Wir  dürfen  be- 
haupten, daß  das  unmöglich  ist;  denn  der  ganze  Chor  von  Bildern,  die  ich  hier 
gesammelt  habe,  zeugt  dagegen.1)  Das  Bild,  bei  Helbig  Nr.  1828,  ist  jetzt  zerstört. 
Auf  jene  Zeichnung  aber  ist  für  dies  Detail  kein  Verlaß. 

Neun  Darstellungen  in  Fresko  lege  ich  hier  vor.  Die  Abb.  95  ist 
allerdings  nur  aus  Verlegenheitsgründen  hier  mit  angebracht;  denn  diese 
Figur  liest  nicht;  ihre  1.  Hand  hält  im  Schoß  ein  offnes  Blatt,  das  an  seiner 
r.  Seite,  wenn  meine  Zeichnung  nicht  irreführt,  zusammengerollt  ist.  Im 
übrigen  lehren  uns  diese  Schildereien,  daß  die  Flächenkunst   bei  aller 

Mannigfaltigkeit  der  Profil-  und  Gesichts- 
stellung, die  sie  anstrebt,  doch  sorglich 
vermeidet,  Gesicht  und  Körper  in  gleicher 
Frontansicht  zu  geben.  Selbst  das  Bild 
Abb.  101  in  Casa  Sirico  rückt  den  r.  Arm 
weit  nach  links  hinaus,  damit  beide  Arme 
des  Stehenden  ja  nicht  in  Henkelstellung 
zur  Säule  des  Körpers  gelangen.  Der 
eine  Arm  wird  gänzlich  überschnitten 
in  Abb.  96;  98;  99;  101,  und  die  totale 
Frontansicht  ist  weiter  dadurch  vermieden, 
daß  wir  die  Figuren  in  Abb.  96  und  103 
im  Ganzprofil,  in   Abb.  97  in  Rücken- 


Abb.  96. 


1)  Daß  freilich  eine  Rollung  in  S-Form 
auch  einmal  vorkam,  werde  ich  weiterhin 
nachweisen. 


2.  Der  isoliert  Lesende:  Wandgemälde. 


163 


ansieht  und  verlorenem  Profil,  in  Abb.  99 
in  Halbrückenansicht  und  Profil,  in  Abb.  100 
in  Vorderansicht  und  Profil,  in  Abb.  102 
endlich  in  Halbvorderansicht  sehen.  Aus 
alledem  ist  zu  entnehmen,  daß  der  antike 
Kunstliebhaber  eine  Statue,  wie  die  be- 
sprochene Korinna,  nicht  gern  en  face 
betrachtet  haben  würde;  er  würde  sie  in 
halbseitlicher  Wendung  aufgestellt  haben, 
um  sie  erträglich  zu  finden.  Dazu  kommt 
dann  noch  zur  Steigerung  der  Mannig- 
faltigkeit, daß  die  Hände 
nicht  immer  pedantisch  in 
gleicher  Höhe  verharren; 
in  Abb.  96  wird  die  1., 
in  Abb.  98  und  102  wird 
die  r.  Hand  höher  ge- 
halten. 


Abb.  97. 


Sechs  dieser  Personen  sehen  ins  Buch;  Abb.  95  ist 
dagegen  mit  der  Lektüre  zu  Ende.  Abb.  101  ist  ein  Vor- 
leser, der  frei  ins  Publikum  schaut;  und  ebenso  haben  wir 
auch  das  Me- 


daillonbildnis 
Abb.  103  auf- 
Abb.  98.  zufassen.  Die- 
ser Jünglingim 
gelben  Mantel,  von  grünem 
Blätterkranz  eingerahmt,  hält 
sein  Buch  fast  in  Augenhöhe, 
damit  es  noch  innerhalb  des 
engen  Rundbildes  mit  sichtbar 
werde,  sein  Blick  aber  geht 
doch  über  das  Buch  hinweg 
und  sucht  das  Auge  des  Zu- 
hörers. 

Auf  einem  Sessel  sitzt 
Abb.  95,  auf  einem  Stuhl  mit 
rundlich  geschweifter  Lehne 
Abb.  96,  in  einer  fensterartigen 
Wandöffnung,  wie  es  scheint, 
Abb.  99.  Die  stehenden  Figuren 
befinden  sich  in  Architektur- 


Abb.  99. 


11* 


164 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Abb.  103. 


einrahmung,  mit  Ausnahme  der  Muse  Abb.  98.  Doch 
ist  auch  diese  unmöglich  als  Studierende  aufzufassen; 
allein  der  Umstand,  daß  sie  steht,  genügt,  um  die 
Vorlesende  auch  hier  erkennbar  zu  machen,  wenn- 
schon sie  ins  Buch  und  nicht  auf  den  Zuhörer  blickt. 

Einigemal  erscheint  das  Schriftstück  nur  als  Blatt, 
Abb.  95  und  96.  Der  Zustand  der  Malerei  läßt  hier 
nichts  Deutlicheres  mehr  feststellen.  Sicher  aber  ist, 
daß  bei  der  Muse  in  Abb.  98  in  beiden  Händen  die 
Rollungen,  die  wir  zu  sehen  gewohnt  sind,  fehlen. 
Wir  haben  also  anscheinend  einen  Scapus  von  ge- 
ringer Blätterzahl,  das  kürzeste  Längenmaß  eines 
Buches,  wie  es  in  den  Fabriken  hergestellt  wurde1), 
ganz  aufgerollt  vor  uns.  Umgekehrt  sieht  man  auf 
dem  Bilde  der  Casa  Sirico  Abb.  101  in  beiden  Rollen- 
schnitten die  Andeutung  des  Lochs,  in  das  ein  Rollen- 
stab gesteckt  werden  konnte.  Abb.  103  endlich  zeigt 
uns  ein  Fähnchen,  eine  spitz  auslaufende  Membranula, 
die  am 


oberen 

Rande  des  offnen  Mittelblattes 
der  Rolle  befestigt  ist;  wir 
erkennen  darin  den  Sittybos 
oder  Buchtitelträger. 

Gern  werden  die  Rollen 
weit  aufgerollt.  Auch  hierin 
herrscht  aber  größte  Freiheit. 
In  Abb.  103  ist  die  aufgerollte 
Blattfläche  just  nur  so  breit 
wie  eine  Schriftkolumne,  auch 
in  Abb.  96  und  97  ist  sie  wohl 
nicht  größer,  erheblich  länger 
schon  in  Abb.  99,  noch  länger 
in  Abb.  98,  100,  101  und  102. 
Ein  Band  in  solcher  Weite 
und  Breite  darzustellen,  konnte 
sich  die  Plastik  nicht  so  leicht 
gestatten.  Die  meisten  Figuren 
sind  durch  Ausstreckung  der 
Arme  dafür  besorgt,  daß  dieses 

1)  nunquam  plures  (paginae) 
scapo  quam  vicenae,  Plinius. 


1  ii  j  ii  gHl  EH  EBCBE1 


Abb.  101. 


2.  Der  isoliert  Lesende:  Wandgemälde. 


165 


Abb.  102. 


lange  Schriftband  als  möglichst  ebene 
Fläche  vor  ihrem  Auge  ausgespannt  liege. 
Vor  allem  aber  vermeiden  sie  sorglich, 
daß  das  Buch  die  Kleidung  berühre. 
Das  gilt  auch  von  Abb.  102.  Hier  hält 
aber  die  Lesende  die  Hände  mit  minderer 
Anstrengung  näher  beieinander,  so  daß 
das  Schriftband  von  Hand  zu  Hand  in 
einer  Kurve  tief  herabhängt,  und  ihr  Auge 
ruht  nur  auf  der  mittelsten  Schriftkolumne, 
die  die  größte  Augenferne  hat. 

Dies  Bild  Abb.  102  verdient  unsre 
Achtsamkeit.  Es  ist  in  der  Tat  die  hüb- 
scheste, natürlichste,  anschaulichste  und 
anmutigste  Darstellung  eines  Lesers,  die 
wir  aus  der  Zeit,  als  das  Buch  Rolle  war, 
besitzen.  Der  Reiz  wird  dadurch  erhöht, 
daß  der  Leser  hier  eine  junge  Frau  ist 
und  daß  Bewegung  hinzukommt.  Denn 
diese  Frau  steht  nicht,  sie  schreitet.  Sie 
ist  augenscheinlich  einsam,  in  den  Text, 

den  sie  liest,  tief  versenkt  und  wandelt  beim  Lesen  sachte  auf  und  ab,  in 
der  Weise,  wie  es  jener  Verginius  Rufus  tat,  dessen  verhängnisvolles  Ende 
uns  Plinius  meldet.  Daß  beim  Lesen  der  menschliche  Körper  sich  schön 
darstellte  und  daß  auch  die  Bandform  des  Buches  gefällig  und  phantastisch 
wirkte,  als  würde  ein  zusammengerolltes  Geheimnis  erschlossen,  das  wird 
dem  klar  werden,  der  sich  in  dies 
Bildchen  versenkt.  Jede  Nach- 
lässigkeit und  Schlaffheit  der  Hal- 
tung fehlt;  alles  ist  Anspannung 
und  Sammlung  zugleich.  Aber  wer 
sich  in  diese  Haltung  hineindenkt, 
wird  auch  der  Schwierigkeit  ganz 
inne  werden,  die  das  Lesen  be- 
reitete. Auf  das  sachgemäße  An- 
fassen und  Halten  kam  eben  alles 
an.  Ist  die  1.  Hand  unachtsam  und 
läßt  ihre  Last  entgleiten,  wird  sich 
das  Schriftband  sogleich  in  zwan- 
zig Fuß  Länge  über  den  Boden 
ergießen  und  der  Schritt  der  in 

Gedanken   verlorenen  Frau   sich  Abb.  103. 


166 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


darin  verfangen,  so  daß  das  Buch  zerreißt  oder  gar  sie  selbst  hinstürzt. 
So  stürzte  jener  Verginius  Rufus  beim  Lesen  und  ging  zugrunde,  wie  uns 
Plinius  an  der  S.  138  angezogenen  Briefstelle  erzählt. 

Die  Schwierigkeit  des  Lesens  beruhte  aber  noch  auf  einem  anderen 
Umstand.  Wir  können  ihn  aus  demselben  Bild,  aber  auch  aus  den  meisten 
andern  entnehmen,  die  wir  bisher  kennen  gelernt  haben  und  die  noch 
folgen  werden.  Das  Buch  durfte  mit  dem  Körper  und  der  Kleidung  des 
Lesenden  nicht  in  Berührung  kommen.  Denn  durch  solches  Berühren  und 
Reiben  litt  die  Charta,  litten  die  Ränder  der  Seiten  (s.  S.  176  f.).  Daher  also 
überall  dies  krampfhafte  Ausstrecken  der  Arme,  daher  dieses  Vorsichher- 
tragen  des  Buchs,  daher  der  oft  so  auffällig  große  Abstand  des  Buchs  vom 
Auge!  Selbst  wer  sitzend  liest,  weiß  das  durchzuführen,  und  tadelnswert 
war  ohne  Zweifel,  wer  so  sitzend  (wie  Abb.  83;  84)  die  Füße  der  Konvo- 
lute direkt  auf  seine  Knie  stellte,  statt  sie  (wie  Abb.  85;  87)  hoch  zu  heben. 

Die  im  Voraufstehenden  gegebenen  Abbildungen  sind  den  Fresken  nach- 
gezeichnet; daß  photographische  Aufnahmen  das  geringfügige  Detail  so  genau  er- 
kennen lassen  würden,  ist  mir  zweifelhaft.  Die  Bilder  befinden  sich  an  folgenden 
Stellen : 

95.  Pompeji,  Haus  der  Vettii,  großes  Peristyl,  Südwand,  Mittelbild.  Gewand  und 
Rolle  weiß.  Capsa  und  Deckel  rot.  Grund  schwarz.  Der  Fußboden  ahmt  Bretter 
nach;  sein  Farbenton  grünlich. 

96.  Rom,  Magazzino  archeologico  auf  dem  Caelius,  Freskobild  im  letzten  Saal. 
Helle  Figur  auf  dunklem  Grund.  Schlecht  erhalten.  Nur  das  Wesentliche  ist  nach- 
gezeichnet. Fundort? 

97.  Pompeji,  Casa  Lucrezio,  Ala  rechts,  oberer  Teil  der  Wand,  wo  sich  Einzel- 
figuren in  Architektur  befinden.    [Stimmt  nicht  zu  HELBIO  Nr.  1455.] 

98.  Pompeji,  Insula  IX  5,  im  Zimmer  der  Musen  (Soqliano,  Pitture  Camp.  Nr. 403). 
Unterkleid  gelb,  Mantel  violett.    Die  Figur  steht  frei,  ohne  Architektur. 

99.  Neapel,  Museo  naz.  Abt.  XXXVIII  Nr.  9072:  kleines  Bild:  weibliche  (?)  Ge- 
stalt in  fensterartiger  Wandöffnung. 

100.  Neapel,  Museo  naz.,  Locali  della  Promotrice  Nr.  517  (=98P):  weibliche  Ge- 
stalt in  größerer  Architektur.  Kleidung  grün  und  rotviolett.  Am  Kopf  der  in  der 
r.  Hand  ruhenden  Buchrollung  ist  die  Farbe  abgebröckelt.  Abbildung  auch  in  den 
Pitture  d'E.  IV  S.  305,  wo  auch  Rollungen  an  den  Enden  angedeutet  sind,  die  jetzt 
am  Original  nicht  mehr  zu  erkennen. 

101.  Pompeji,  Casa  Sirico,  Saal  der  Omphale. 

102.  Neapel,  Museo  naz.  Abt.  XV  Nr.  8838:  lesende  Frau;  Gewand  blaßgrün. 
Grund  schwarz. 

103.  Neapel,  Museo  naz.,  Locali  d.  Promotrice  Nr.  56  (=  769).  Brustbild  eines 
Jünglings  in  Medaillon;  sehr  gut  erhalten.  Auf  dem  offnen  Buchblatt  befindet  sich 
Schrift.    Der  Sittybos  ist  angedeutet  durch  ein  strichartiges  rotes  Fähnchen. 

Doch  gibt  das  Magazin  der  sog.  Locali  della  Promotrice  unter  der  Nr.  981 
(=  98a)  noch  ein  weiteres  Stück,  das  unsrer  Abb.  100  wie  ein  Pendant  zu  entsprechen 
scheint:  Teil  einer  größeren  Architektur  in  gelb  und  rot.  In  einem  Durchblick  steht 
eine  lesende  Frau,  den  Kopf  gesenkt,  im  Profil.  Die  Rolle  ruht  weit  offen  in  beiden 
Händen. 

Dazu  kommt  noch: 

Helbig  Nr.  1419:  Knabe  in  Chiton  steht  vor  einem  offnen  Scrinium  und  blickt 
in  eine  Rolle,  die  er  mit  beiden  Händen  offen  hält;  Pompeji;  jetzt  zerstört. 

Auch  einige  Gemmen  sind  hier  einzuschalten.  Reinach,  Pierres  gravees  (1895), 
Tfl.  80  Nr.  80  zeigt  einen  sitzenden  alten  Mann,  der  liest  und  die  offne  Rolle  in  der 


2.  Der  isoliert  Lesende:  Schwierigkeit  des  Lesens.    Sarkophage.  157 


L.  hält  (nicht  in  der  R.,  wie  es  scheinen  könnte).  Das  Buch  „zwischen  den  Händen" 
besonders  gut  dargestellt  bei  Ficoroni,  Gemmae  ant.  rariores  ed.  Galeotti  TN.  IV 
Nr.  1  und  2:  die  Lesenden  vermeiden  hier  auch  achtsam,  daß  das  Buch  den 
Körper  berühre.  Dagegen  ist  der  Onyx  ebenda  IV  3  entweder  unecht  oder  die 
Wiedergabe  fehlerhaft.  Dies  waren  männliche  Figuren;  sodann  stehende  junge 
Frauen.  Mit  welchem  Recht  man  sie  Musen  nennt,  weiß  ich  nicht.  Panofka, 
Gemmen  mit  Inschriften  Tfl.  I  Nr.  42  (=  Furtwängler,  Antike  Gemmen  Tfl.  28,  12) 
mit  der  Beischrift  IAM;  eine  ähnliche  Leserin  bei  Furtwängler  a.  a.  O.  Tfl.  24,  57 
und  27,  63.    Dazu  Abhandl.  der  Berl.  Akad.  1848  Tfl.  V  Nr.  II.1) 

Aus  der  Spätkunst  des  Altertums  habe  ich  wenig  hinzuzufügen: 

Musensarkophag  im  Mus.  lapid.  zu  Verona  (Dütschke  IV  Nr.  518):  in  der  Mitte 
steht  der  Dichter.  Durch  sein  Haar  scheint  sich  ein  Band  zu  ziehen.  Seine  R.  ruht 
im  Mantel;  trotzdem  hält  er  mit  beiden  Händen  eine  Rolle  (so  Dütschke).  Dazu 
Rollenbündel  auf  einem  Kasten.    Ist  hier  die  Rolle  offen? 

Unklar  läßt  uns  auch  die  Beschreibung  des  Musensarkophags  in  Landsdowne 
House  Nr.  75:  „Kleio  with  the  roll  in  her  hands".    Ist  sie  also  offen? 

Dazu  das  Sarkophagrelief  eines  Arztes  in  den  Rom.  Mitteilungen  XV  S.  171, 
unsre  Abb.  171:  hier  sitzt  ein  bartloser  Mann  auf  einem  Lehnstuhl  mit  geschweiften 
Füßen  im  Profil  nach  rechts  und  hält  das  Buch  genau  nach  dem  Schema  des  Alten 
auf  dem  Relief  der  Via  S.  Sebastiano  (oben  S.  154).  Vor  ihm  aber  steht  statt  einer 
Capsa  ein  Bücherschrank.    Die  Rede  wird  hierauf  zurückkommen. 

Dieselbe  Figur  des  Lesenden  kehrt  sehr  ähnlich  wieder  auf  dem  kleinen  Sar- 
kophagrelief im  christl.  Museum  des  Lateran  Nr.  172. 

Ebenso:  Kindersarkophag,  Vatikan,  Giard.  della  Pigna  Nr.  196  (Amelung  Tfl.  111). 

Ebenso:  Matz-Duhn  Nr.  3155  =  ROBERT  III  Nr.  201a. 

Im  Dienst  des  Handels  und  Erwerbslebens  erscheint  die  Rolle  dagegen  (vgl. 
oben  S.  152  f.): 

Auf  einem  sehr  zerstörten  römischen  Sarkophag  aus  griechischem  Marmor  zu 
Florenz,  Villa  Rinuccini  (DÜTSCHKE  II  Nr.  317)  ist  auf  der  1.  Hälfte  ein  Weinberg 
dargestellt,  in  dem  Eroten  arbeiten;  am  1.  Ende  dieser  Darstellung  aber  „sitzt  unter 
einer  Halle  mit  Giebeldach,  das  von  Ecksäulen  getragen 
wird,  ...  ein  mit  Tunika  und  Toga  bekleideter  Mann 
nach  rechts,  der  eifrig  in  einer  mit  beiden  Händen  ge- 
haltenen Rolle  studiert;  rechts  vor  ihm  am  Boden  ein 
zusammengebundenes  Rollenbündel".  Dieser  Lesende 
ist  der  Besitzer  des  Weinbergs  und  verhält  sich  zu  ihm 
wie  der  Weinhändler  zu  dem  seinen  auf  dem  S.  66  be- 
sprochenen englischen  Relief. 

Der  christliche  Sarkophag  Nr.  138  des  Lateran 
weicht  etwas  ab;  er  gibt  viele  Buchdarstellungen; 
u.  a.  auch  die  Figur  eines  bartlosen  lesenden  Mannes, 
unsre  Abb.  104,  der  gleichfalls  nach  Vorschrift  in  der 
L.  das  Abgerollte,  in  der  R.  das  noch  nicht  Abgerollte 
als  zwei  Konvolute  hält;  seine  beiden  Hände  aber  be- 
finden sich  vor  der  Brust  eng  beieinander,  und  es  ist  nur  Abb-  104 :  Lateran, 
ein  sehr  schmales  Blatt  zwischen  den  Rollungen  frei- 
gelegt.  Das  Auge  des  Mannes  scheint  gesenkt,  wennschon  es  das  Buch  nicht  trifft. 

Sehr  ähnlich  dieser  Rolle  ist  die  Rolle  geformt  auf  einem  christl.  Sarkophag- 
relief des  Mus.  Kircherianum,  mit  Darstellungen  in  zwei  Streifen;  Haar  und  Augen- 
brauen der  Figuren  sind  bemalt;  Christus  hält  hier  das  Buch  zweimal  nach  dem 
Motiv  I.  Das  dritte  Mal  ist  er  hoch  thronend  dargestellt;  vor  ihm  knien  sechs  arg 
mißgewachsene  Menschlein.    Er  segnet  mit  der  R.  und  hält  in  der  L.  die  geöffnete 

1)  Auf  derselben  Tfl.  V  Nr.  9  anscheinend  ein  lesender  Eros;  doch  gleicht  hier 
das  Buch,  wenn  der  Wiedergabe  zu  trauen,  vielmehr  einem  vierseitig  gerahmten 
Tafelbilde. 


168 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Abb.  105:  Lipsanothek,  Brescia. 


Rolle  in  der  angegebenen  Form.  Hier  ist  bemerkenswert,  daß  eine  Hand  ausreicht 
sie  so  zu  halten. 

Lateran,  christl.  Sarkophag  Nr.  190:  im  Mittelfeld  weibliche  Figur  zwischen 
zwei  Palmbäumen,  im  Profil  nach  rechts  schreitend.  Sie  hält  schräge  und  nahe  am 
Körper  ein  offnes  Rollenbuch  in  Brusthöhe;  man  sieht  die  r.  Hand  mit  Rollung 
sowie  eine  ziemlich  lange  offne  Blattfläche,  worauf  das  Monogramm  Christi;  da- 
gegen ist  die  1.  Hand  nebst  der  1.  Rollung  des  Buchs  nicht  mit  dargestellt.  Ihr  Kopf 
ist  etwas  geneigt.  Hier  erhalten  wir  also  wieder  eine  im  Schreiten  Lesende  wie 
auf  dem  pompejanischen  Bilde  Abb.  102.  Beigeschrieben  ist  der  Name  der  Frau 
Cris.pi.na.  Übrigens  findet  man  eine  zwischen  zwei  Bäumen  wandelnde,  aus 
offner  Rolle  lesende  Frau  auch  bei  Le  Blant,  Sarc.  ant.  d'  Arles  Tfl.  VIII  =  Garrucci 
Tfl.  366,  2.  Auch  sie  hat  das  Gewand  über  den  Kopf  gelegt.  Ich  sah  das  Original; 
die  Ausführung  ist  viel  feiner  und  künstlerischer  als  auf  dem  Lateranischen  Bilde. 
Rechts  und  links  neben  den  Bäumen  schreitet  und  hockt  da  übrigens  je  ein  bärtiger 
Mann,  der  Lesenden  zugewandt.    Sie  hören  ihr  zu. 

Sehr  schön  der  stehend  lesende  Jüngling  auf  dem  Säulensarkophag  von 
Perugia,  des  4.  Jahrh.,  Garrucci  Tfl.  321,  41):  man  sieht  die  Rückseite  der  Rolle; 
seine  Augen  versenken  sich  wahrhaft  in  den  Anblick  des  Textes.  Sehr  schön  auch 
der  sitzend  lesende  bärtige  Mann  (Petrus?)  bei  WlLPERT  Tfl.  94. 

Im  Medaillonbildnis  ist  ein  aus  offner  Rolle  Lesender  sehr  selten  an- 
zutreffen; ein  solches  gibt  der  Sarkophag  des  Vatikan,  Giard.  della  Pigna 
Nr.  240  (Amelung  Tfl.  120):  das  Brustbild  eines  Mannes;  von  den  Händen 
sieht  man  nur  die  rechte;  sie  hält  das  ausgespannte  Buch;  die  1.  Hand,  die 
das  andere  Ende  zu  halten  hat,  ist  nicht  mit  dargestellt.  Das  Motiv  stammt 
aus  der  Malerei;  vgl.  das  pompejanische  Medaillonbildnis  Abb.  103. 


1)  Auch  bei  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder  Bild  11  und  Rom. 
Quartalschrift  XX  Tfl.  I. 


2.  Der  isoliert  Lesende:  Christliches.  Größte  Ausdehnung'  d.  geöffn.  Buchs.    \ 59 


Abb.  106. 


Kehren  wir  zum  Schluß  unser  Augenmerk  mehrfigurigen  Darstellungen 
wieder  zu.  Bedeutsamer  als  alles  Voraufgehende  wirkt  das  Mittelbild  der 
Lipsanothek  in  Brescia  (V.  Schultze,  Altchristl.  Arch.  Fig.  87,  besser 
bei  Garrucci  Tfl.  441,  wo  die  Rollungen  an  den  Enden  deutlich);  unsre 
Abb.  105.  In  einer  saalartigen  Architektur  mit  zurückgezogenen  Vorhängen 
(wie  auf  der  Bühne)  steht  Christus  hoch  aufrecht  zwischen  sechs  sitzenden 
Jüngern  und  hält,  symmetrisch  die  Arme  schräg  nach  unten  streckend, 
das  Buch  aufgerollt  in  gewaltiger,  fast  übermenschlicher  Ausdehnung. 
Die  Wirkung  des  Bildes  ist  überraschend  eindrucksvoll:  der  Herr  streckt 
die  Arme  und  hat  das  Wort  der  Wahrheit  aufgetan,  so  weit  er  kann. 

Nach  solchem  Wurfe  scheint  das  schöne  Gemälde  Alma  Tadema's 
„Eine  Homervorlesung",  das  in  Stichen  und  Photographien  verbreitet  ist, 
nichts  Unmögliches  mehr  zu  bieten.  Auf  das  schönste  hat  dieser  gelehrte 
Künstler  zum  Ausdruck  gebracht,  daß  eben  die  1.  Hand  es  ist,  die  das 
Buch  abrollt,  und  ich  kann  mir  darum  nicht  versagen,  auch  sein  Bild  hier 
mit  vorzuführen:  Abb.  106.  Die  begeisterte  Emphase  aber  und  fast  wilde 
Erregung,  mit  der  da  sein  jugendlicher  Rhapsode  mit  geschwungenem 
1.  Arm  das  Rollenband  schier  endlos  weit  auseinander  reißt,  geht  über  die 
Ausdrucksweise  des  Altertums  weit  hinaus. 

Kehren  wir  zu  den  alten  Zeiten  zurück,  so  bleibt  noch  ein  weiteres 
Bild  der  altchristlichen  Kunst  übrig,  das  hier  eine  Erörterung  beansprucht, 
wennschon  es  in  Wirklichkeit  mit  unsrem  Gegenstand  nichts  zu  tun  hat. 
Ich  meine  das  Freskobild  „la  Samaritana"  in  der  Capeila  dei  Sagramenti 
der  Callistkatakomben,  Abb.  107: 

Die  „Samariterin",  die  übrigens  wie  ein  Mann  aussieht,  steht  hier  am  Brunnen; 
im  Hintergrund  aber  erblickt  man  in  derselben  Landschaft  eine  sitzende  (männliche?) 
Figur,  die  mit  weit  ausgespannten  Armen  ein  breites  Band  hält.    Niemand  wird 


170 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


hierin  im  Ernst  ein  Buch  sehen  wollen.1)  Soll  dies  Christus  sein,  so  hält  doch 
Christus  in  den  Bibelillustrationen  der  Katakomben  sonst  nie  die  Rolle.  Auch  ist 
das  Band  zu  lang;  die  Hände  sind  zu  hoch  erhoben,  und  es  muß  vielmehr  ein  Tuch, 
ein  Schleiertuch  sein,  das  da  von  ihnen  in  weiter  Kurve  herabhängt.  In  der  Tiefe 
des  Bogens  verbreitert  es  sich;  es  verjüngt  sich,  eng  zusammengenommen,  an  den 
Händen;  das  ist  der  Rolle  fremd;  vgl.  nur  gleich  Wilpert  Tfl.  49.  Die  Abbildung 
bei  DE  Rossi,  Roma  sott.  II  Tfl.  17,  ist  im  einzelnen  nicht  ganz  genau;  besser  unsre 


Abb.  107. 


nach  Wilpert  Tfl.  29,  2,  die  mit  einer  Zeichnung,  die  ich  mir  gemacht,  darin  stimmt, 
daß  von  der  1.  Hand  noch  ein  Stoffende  herabhängt,  was  wiederum  zur  Buchrolle 
gar  nicht  paßt.  Die  Färbung  des  Tuches  ist  braunviolett  wie  die  ganze  Figur.  Die 
Armhaltung  ähnelt  der  der  sitzenden  Frau  unter  den  Sizilischen  Terrakotten  ed.  Kekule 
Tfl.  40,  4;  allerdings  hält  diese  nichts  in  ihren  leeren  Händen.  Außerdem  aber  sei 
Babelon-Blanchet,  Bronzes  Nr.  147  sowie  das  roh  eingeritzte  Frauenbild  auf  der 


1)  Freilich  tun  dies  alle;  de  Rossi ;  V.  Schultze;  Roller,  Catacombes  de  Rome 
I  136  ff.;  auch  Wilpert  in  seinem  Hauptwerk  S.  426,  der  in  der  Figur  Christus  er- 


3.  Das  Lesen  mit  Hilfe  des  Sklaven. 


171 


Platte  im  Christi.  Museum  des  Lateran,  oberer  Kreuzgang-  sub  XV  Nr.  10  verglichen, 
welche  Frau  ein  tuchartiges  Band  just  ebenso  weit  und  bogenartig  über  ihrem  Kopf 
ausgespannt  hält  (GARRUCCI  Tfl.  485,  16). 

3.  Das  Lesen  mit  Hilfe  des  Sklaven. 

Wer  studiert,  wird  als  einsam  Lesender  vorgestellt.  Dies  zeigten  uns 
manche  Bildwerke  des  vorigen  Abschnitts.  Daß  vornehme  und  reiche 
Herren  gleichwohl  in  ihrer  Dienerschaft  einen  Vorleser,  einen  servus 
anagnostes  besaßen  (so  Vatinius  bei  Cicero  ad  div.  V  9,  2),  der  auch 
lector  heißt  (CLL.  VI  8786  und  sonst),  versteht  sich.  Zum  Lesen  und 
Schreiben  zugleich  diente  der  sog.  a  studiis  (C.  I.  L.  VI  8636  ff.).  Zu  prak- 
tischen Zwecken  war  solche  Hilfe  gewiß  unentbehrlich,  so  für  den  Ge- 
schäftsmann und  Beamten  wie  für  den  Gelehrten.1)  Gelehrten  Zwecken 
diente  es  z.  B.,  wenn  wir  schon  in  Plato's  Theätet  S.  143 C  den  Befehl 
hören:  „Nimm,  Sklav,  das  Buch  und  laß  hören."  Inwieweit  man  sich  aber 
auch  schöngeistige  Werke  durch  Vorlesen  des  Dieners  zugänglich  machte, 
ist  schwer  abzugrenzen.2)  Kaiser  Augustus  ließ  sich,  wenn  er  nicht  schlafen 
konnte,  durch  seine  lectores  in  Schlaf  lesen  (Sueton  c.  78).  Atticus  ließ 
beim  Convivium  vorlesen  (Nepos,  Atticus  14,  1);  nicht  anders  der  jüngere 
Plinius,  wenn  er  im  engsten  Kreise  die  cena  nahm  (epist.  I  15;  IX  36,  4), 
und  zwar  wurden  orationes,  historiae  und  carmina  gelesen  (ib.  V  19,  3). 
Dies  wird  aber,  besonders  beim  Atticus,  als  etwas  Merkwürdiges  und  um 
anzuzeigen,  wie  sehr  er  an  geistigen  Interessen  andere  übertraf,  hervor- 
gehoben. Sonst  ist  der  genannte  Plinius  der  Hauptzeuge,  z.  B.  auch  in 
dem  Brief  VIII  1.  Keinesfalls  aber  war  das  die  Regel.  Das  verrät  uns 
Plinius  selbst;  denn  er  selbst  sagt:  die  meisten  Gäste  laufen  weg,  wenn 
der  lector  kommt  (IX  17).  Als  etwas  durchaus  Auffälliges  und  Ungewöhn- 
liches aber  wird  vom  älteren  Plinius  erzählt,  daß  er  sogar  beim  Baden  den 
Anagnosten  benutzte.  Sein  Lerneifer  wollte  eben  keine  Minute  verlieren. 
Eben  darum  ließ  er  ihn  auch  beim  Speisen  nicht  aussetzen,  und  bemerkte 
einmal  ein  Tischgenosse  tadelnd,  der  Sklave  habe  einen  Satz  schlecht  vor- 
getragen, so  meinte  Plinius,  solches  Tadeln  halte  nur  auf;  es  genüge,  daß 
man  den  Sinn  verstehe  (Plin.  epist.  III  5,  12-14).  Diese  Sitte  hat  sicher- 
kennt; die  Weite  der  Rolle  soll  die  Ausführlichkeit  des  Lehrvortrags  anzeigen. 
Ebenso  derselbe  in  der  Spezialschrift:  Die  Malereien  der  Sakramentskapellen,  1897, 
S.  7  ff.  -  Wilpert  könnte  sich  nicht  einmal  auf  die  Reliefbilder  bei  Le  Blant  (Tfl.  46  ff.) 
stützen,  wo  die  Samariterin  gleichfalls  steht,  Christus  gleichfalls  sitzt;  zwischen 
beiden  der  Brunnen.  Christus  hält  die  Rolle,  die  jedoch  geschlossen  in  seiner  L. 
ruht.  Dies  ist  aber  natürlich  nicht  so  aufzufassen,  als  trüge  der  Herr  aus  der  Rolle 
vor;  er  trägt  sie  nur  als  Abzeichen  des  Lehrers  und  Herrschers  (oben  S.  78  f.).  Dazu 
kommt,  wie  schon  gesagt,  daß  in  bezug  auf  das  Buch  die  Malereien  von  den  Reliefs 
prinzipiell  abweichen.    Sie  unterdrücken  es  stets. 

1)  Belegstellen  bei  Dziatzko,  Untersuchungen  S.  161. 

2)  Einiges  gibt  E.  Rohde  in  FLECK.  Jahrbb.  125  S.  82  Note. 


172 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Abb.  108:  Terrakotta,  Athen. 


lieh,  besonders  im  griechischen 
Volksleben,  niemals  breiten  Boden 
gewonnen.  Denn  die  Kunst,  die 
doch  in  ihren  Genrebildern  an 
nichts  Menschlichem  so  leicht  vor- 
übergeht, stellt  doch  das  Vorlesen 
des  lector  nie  dar. 

Wohl  aber  sehen  wir  den  puer, 
den  jungen  Diener,  bisweilen  sei- 
nem Herrn  in  andrer  Weise  beim 
Lesen  helfen.  Das  Halten  des  Rollen- 
buchs ist  mühselig  und  ermüdet  den 
Arm.  Der  Sklave  hält  ihm  das  Buch. 

In  einem  Fall  wirkt  hier  auch 
das  Lesepult  mit,  von  dem  hernach 
zu  handeln  sein  wird.  Eine  Terra- 
kotte des  Museums  in  Athen  Nr. 
4862  '),  unsre  Abb.  108,  zeigt  uns 
einen  bärtigen  Alten,  der  auf  einem 
Sessel  mit  breit  geschweifter  Lehne  sitzt.  Seine  Arme  liegen  träge  am 
Körper;  denn  neben  ihm  (zu  denken  ist:  vor  ihm)  steht  ein  Pult,  ähnlich 
unsren  Notenpulten  für  Geiger,  nur  niedriger,  und  auf  dessen  schräger 
Fläche  spannt  ein  nackter  puer  mit  gespreiteten  Armen  eine  Buchrolle  aus, 
indem  er  mit  jeder  Hand  ein  Konvolut  festhält.  Des  Alten  Blick  aber 
richtet  sich  der  Schriftfläche  zu.    Siehe  unten. 

In  andren  Fällen  dient  aber  der  puer  geradezu  statt  des  Pultes.  Auf 
einem  Sarkophag  des  Louvre  mit  Darstellung  einer  conclamatio  (Katalog 
Nr.  319;  Reinach,  Repert.  I  48,  1)  sitzt  links  und  abseits  der  Hauptszene 
ein  älterer  Mann,  im  Halbprofil  nach  rechts,  die  L.  im 
Schoß,  die  R.  am  Stuhlrand  aufgestützt,  den  Kopf  leicht 
vorgeneigt,  und  blickt  in  ein  offnes  Rollenbuch,  das  ihm 
ein  aufrechtstehender  Knabe  in  der  Tunika  just  in  Augen- 
nähe vorhält:  unsre  Abb.  109.  Man  glaube  nicht  etwa, 
daß  der  puer  vorliest.  Denn  dazu  hält  er  das  Buch  zu 
nah  an  seinen  Kopf;  vor  allem  hält  er  die  Blattfläche 
sich  nicht  steil  vor  Augen,  wie  es  der  Lesende  tut,  son- 
dern senkt  sie  vielmehr  in  der  Richtung  der  Sehfläche  des  sitzenden  Mannes. 
Zudem  ist  deutlich,  daß  er  das  Buch  verkehrt  hält  und  auf  den  Kopf  stellt. 
Seine  r.  Hand  funktioniert  statt  der  1.  und  rollt  die  Hauptmasse  des  Buchs  zu 
einem  Konvolut  zusammen;  in  seiner  L.  hält  er  das  Eschatokoll.    Dies  ge- 


Abb.  109. 


1)  Auch  bei  WINTER,  Terrakotten  II  S.  405,  7. 


3.  Das  Lesen  mit  Hilfe  des  Sklaven. 


173 


schieht  im  Interesse  des  lesenden  Herrn,  und  der  Herr  liest  also  just  den 

Schluß  des  Buches.    Das  ist  wieder  einmal  die  alte  Symbolik:  das  Buch 

ist  zu  Ende  wie  das  Leben.1)   Daher  erhebt  ein  zweiter  Sklave,  der  hinter 

dem  puer  steht  und  auf  unsrer  Abbildung  nicht  mit  erscheint,  den  r.  Arm 

als  Ausdruck  der  Wehklage. 

Hiernach  ist  dann  auch  das  Bruchstück  eines  Grabreliefs  im  Dom  zu 

Trier  (Abb.  bei  Hettner,  Illustrierter  Führer  durch  d.  Mus.  in  Trier  Nr.  33) 

zu  interpretieren,  das  ca.  dem  Jahr  100  n.  Chr.  angehört.   Ein  jugendlicher 

Diener,  im  Profil  nach  rechts,  hält  hier  eine  offne  Rolle  sehr  hoch  und  fast 

in  Haupteshöhe.    Lesende  aber  halten  das  Buch  nie  so  nah  am  Gesicht, 

und  daß  ein  Kurzsichtiger  vorgeführt  werden  sollte,  ist  doch  ausgeschlossen. 

Also  liest  dieser  Diener  nicht,  wennschon  er  das  Haupt  etwas  neigt;  denn 

ihm  dicht  zur  Seite,  gleichfalls  im  Profil  nach  rechts,  steht  ein  älterer  Mann 

in  Toga  und  Tunika,  der  den  Blick  straff  auf  dasselbe  Buch  lenkt.    Er  ist 

der  Lesende;  um  seinetwillen  wird  es  so  hoch  gehalten. 

Hingegen  ist  wohl  eine  Unterrichtsszene  gemeint  auf  dem  Grabstein  des  Sote- 
richus  paedagogus  im  Pal.  Carpegna  zu  Rom,  beschrieben  bei  Matz-Duhn  Nr.  3389: 
im  Profil  nach  links  sitzt  „ein  Mann  in  kurzer  ungegürteter  Tunika,  die  R.  vor- 
streckend. Vor  ihm  steht  ein  Knabe  gleichfalls  in  kurzer  Tunika,  eine  Rolle  ent- 
faltend.   In  der  1.  Ecke  ein  Schriftbündel,  in  der  r.  eine  Capsa  mit  Tragband". 

Dazu  kommt  aber  noch  der  schöne  christliche  Sarkophag  des 
Lateran  Nr.  55  (Roller  I  Tfl.  45;  Alinari,  Photogr.  Nr.  6401)  mit  verschie- 
denen Darstellungen  biblischer  Szenen.  In  der  Mitte  des  unteren  Streifens 
und  unterhalb  der  Porträts  zweier  vornehm  aussehender  älteren  Männer,  die 
sich  in  einem  Muschelmedaillon  befinden  und  von  denen  einer  das  Buch 
auffälligerweise  in  der  R.  hält  (oben  S.  96),  sieht  man  diesen  selben  Ver- 
storbenen auf  einem  Felsen  unter  einem  Baum  im  Profil  nach  links  sitzen,  von 
zwei  jugendlichen  Sklaven  in  gegürteter  kurzer 
Tunika  umgeben,  die  das  Rundbarett  tragen, 
das,  wie  man  glaubt,  den  Juden  anzeigt'2); 

1)  Das  Relief  ist  hoch  an  der  Wand  be- 
festigt und  schwer  nachzuprüfen.  Doch  ist  der 
größte  Teil  der  Rolle  „presque  certainement  anti- 
que"  (MlCHON). 

2)  Daß  diese  Annahme  nur  auf  einer  nicht 
sicheren  Auslegung  der  Doppelszene,  Quellwun- 
der und  „Bedrängung  Mosis"  beruht,  sagt  mir 
Bauer.  „Auf  anderen  Darstellungen,  in  denen 
Juden  vorkommen,  wie  beim  Durchgang  durch 
das  Rote  Meer,  fehlen  die  Baretts;  vgl.  DE  Waal, 
Sark.  des  Jun.  Bassus  S.  92  ff."  —  Hieran  an- 
knüpfend, glaube  ich,  daß  wir  es  in  jenen  Fällen 
nur  mit  dem  galerus  (Kuvfj)  zu  tun  haben,  den 
der  Gott  Hephaest  trägt  und  durch  den  Hand- 
werker und  Landleute  charakterisiert  werden 
(Dieterich,  Pulcinella  S.  160 ff. ;  vgl.  z.  B.  Bau- 


Abb.  110:  Latera 


174 


II.  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


s.  Abb.  110.  Jener  sitzende  Alte  hält  nun  ein  großes  Rollenbuch  über 
seinen  Knien  in  steiler  Richtung  aufgerollt,  beugt  sich  zu  ihm  herab 
und  liest.  Das  Buch  ist  in  starker  Verkürzung  gegeben,  doch  sieht 
man,  daß  jede  Hand  des  Mannes  ein  Konvolut  umfaßt.  Die  Lektüre 
scheint  auch  hier  wie  in  dem  Bilde  des  Louvre  symbolisch;  denn  der 
Sklave  hinter  dem  Lesenden,  der  mit  der  L.  einen  Ast  des  Baumes  faßt, 
hebt,  ganz  so  wie  dort,  die  R.  in  Erregung  und  Wehklage.  Der  andre 
Diener  aber  steht  vor  seinem  Herrn  und  stützt  den  Arm  vorstreckend  mit 
seiner  r.  Hand  das  eine  Konvolut  der  Rolle.    So  vertritt  er  das  Pult,  auf 

Arm  fehlt;  andernfalls  würde 
seine  1.  Hand,  wie  wohl  nicht 
zu  zweifeln  ist,  das  andre  Kon- 
volut des  Buches  stützen. 

Zur  Sicherung  meiner  Deutung, 
die  von  dem  Herkömmlichen  wesent- 
lich abweicht,  bemerke  ich  noch, 
daß  auf  Sarkophagen  auch  sonst 
just  unter  dem  Clipeus  der  Ver- 
storbene lesend  dargestellt  wird; 
vgl.  z.  B.  Matz-Duhn  Nr.  2616.  In 
unsrem  Fall  aber  hält  er  im  Cli- 
peus die  Rolle  in  der  R.,  scheint 
also  dort  als  lecturus  bezeichnet; 
die  Absicht  zu  lesen  führt  er  nun 
unten  aus.  Vor  allem  kehrt  die- 
selbe Szene  handgreiflich  identisch 
auf  einem  Sarkophag  in  Arles, 
Le  Blant,  Etüde  sur  les  sarc.  d'Arles 
Tfl.3,  wieder;  unsre  Abb.  111  nach 
dem  Original.  Am  r.  Ende  der  Platte 
sitzt  ein  vornehmer  Mann  auf  einem 
Baumstumpf  und  liest,  indem  er  ein 
Konvolut  in  seiner  L.  hält.  Die  r. 
Hand  ist  überschnitten.  Wieder  ist 
er  von  zwei  Dienern  umgeben,  und 
wieder  ist  der  eine  von  ihnen  an  einen  Baum  gelehnt,  der  andere  aber  hält  mit 
seiner  R.  stützend  das  erwähnte  Konvolut  der  Buchrolle  des  Lesenden  am  oberen 
Ende.  Neu  kommt  hier  nur  die  Figur,  die  am  Boden  kauernd  seinen  Fuß  küssen 
will,  hinzu.  Der  Leser  liest  also  laut  und  ist  ein  heiliger  Mann  und  der  Kauernde 
ein  Bekehrter  und  demütiger  Verehrer.    Vgl.  noch  Garrucci  366,  3. 

Auf  einem  der  Goldgläser  bei  Garrucci  III  Tfl.  200,  2  sieht  man  ein-en 
Mann  sitzen,  der  im  Motiv  I  eine  geschlossene  Rolle  hält.  Vor  ihm  steht 
gleichfalls  ein  puer,  ein  Diener  im  Knabenalter,  und  hält  vor  ihm  in  er- 
hobenen Händen  eine  geöffnete  Rolle,  auf  der  man  die  Seiteneinteilung 

MEISTER,  Denkm.  Abb.  16);  für  ihn  muß  im  4.  Jahrh.  die  vorliegende  Form  der  Kappe 
aus  Fell  üblich  geworden  sein  (ähnlich  erscheint  sie  auf  dem  Terenzbild  bei  Bau- 
meister Abb.  914,  dritte  Figur  von  links).  Auf  unserm  Bild  110  aber  können  damit 
insbesondere  freigelassene  Sklaven  angezeigt  sein  (Marquardt,  Privatleben  d. 
Römer-  S.  572). 


das  man  sonst  das  Buch  auflegte.    Sein  1. 


\ 

Abb.  111  :  Arles. 


3.  Das  Lesen  mit  Hilfe  des  Sklaven. 


175 


der  Schrift  erkennt.  Auch  diesen  Knaben  möchte  ich  als  Lesesklaven 
interpretieren. 

Schwer  zu  deuten  ist  eine  der  literarischen  Genreszenen  auf  dem  Deckelrelief 
des  Berliner  Musensarkophags,  „Beschreibung"  Nr.  844,  das  schon  oben,  s.  S.  130, 
wiederholt  Erwähnung  fand.  In  der  Mitte  des  Streifens  befindet  sich  eine  Inschrift- 
platte. Es  handelt  sich  um  die  zweite  Szene  links  von  dieser  Platte;  sie  besteht  aus 
zwei  Personen.  Folgen  wir  der  Abbildung  in  der  „Beschreibung",  so  sitzt  ein  bär- 
tiger Mann  im  Profil  nach  rechts,  schlägt  das  1.  Bein  über  das  r.,  hält  in  der  1.  Hand 
eine  geschlossene  Buchrolle  im  Schoß,  und  zwar  im  Motiv  III,  und  streckt  den  r.  Arm 
einer  mit  Chiton  bekleideten  bartlosen  Person  entgegen,  die  als  Muse  nicht  charak- 
terisiert ist,  also  wohl  nur  ein  junger  Diener  sein  könnte.  Dieser  Diener  hält  seinem 
Herrn  eine  offne  Rolle  entgegen,  indem  er  sie  auf  der  1.  Hand  (vielleicht  auch  auf 
beiden  Händen)  trägt.  Vor  dem  Original  ist  mir  indes  klar  geworden,  daß  diese 
Szene  nur  indirekt  hierher  gehört.  Es  ist  kein  Diener,  sondern  wirklich  eine  Muse, 
der  der  Sitzende  seine  R.  entgegenstreckt  (ihr  Federschmuck  sitzt  nicht  an  der 
Stirn,  aber  weiter  hinten;  Frisur,  Gestalt,  Gewand  sind  weiblich).  Sie  hält  dem 
Mann  eine  offne  Schreibfläche  hin,  schwerlich  eine  Tafel,  vielmehr  eine  halb  ab- 
gerollte Rolle.  Die  Blattfläche  liegt  auf  der  ausgestreckten  offnen  L.  der  Muse:  so 
hält  man  aber  keine  Tafel.  Die  R.  des  Sitzenden  endlich  scheint  auf  diesem  Buch 
zu  schreiben.  Daß  ihr  der  Calamus  fehlt,  ist  bei  so  winzigen  Figuren  verzeihlich 
und  kehrt  auf  demselben  Relief  noch  einmal  wieder.  Die  Muse  hält  also  statt  eines 
Dieners  das  Buch,  und  zwar  hier  im  Dienst  des  Schreibenden. 

Auch  im  Buchwesen  des  Himmels,  wie  es  die  jüdisch-christliche  Phan- 
tasie sich  ausmalte,  fehlten  dann  die  Lesediener  nicht.  Aber  es  sind  ihrer 
viele,  die  beim  jüngsten  Gericht  vor  dem  Herrn  die  Schuldbücher  öffnen 
(s.  oben  S.  85)  oder  „die  Bücher  der  Lebendigen"  vor  ihm  aufschlagen.1) 
Der  Herr  will  sie  lesen;  die  himmlischen  Diener  werden  also  mit  den 
offnen  Rollen  vor  ihm  in  derselben  Weise  stehen  bleiben  müssen,  wie  der 
puer  es  tut  auf  unserer  Abb.  109. 

Von  hier  aus  scheint  mir  dann  endlich  auch  die  Miniatur  im  Wiener 
Dioskurides  fol.  6V  ihre  Erklärung  zu  finden.  Es  ist  ein  geflügelter  nackter 
puer,  der  hier  der  thronenden  Anicia  Juliana  ein  aufgeschlagenes  Codexbuch 
mühsam  und  mit  gestreckten  Ärmchen  vor  Augen  hält.  Dies  ist  keine 
Überreichung,  wie  Mantuani  annahm3);  denn  aufgeklappte  Bücher  über- 
reicht man  nicht.  Vielmehr  hält  hier  der  Pothos  (so,  ttö8oc,  die  Beischrift) 
als  Lesediener  der  Herrin  das  Buch  zum  Lesen  hin;  sie  aber  läßt,  zum 
Lohn  für  den  Autor  oder  für  den  Buchschreiber  oder  für  den  Vorleser 
selbst,  Goldstücke  auf  das  Buch  aus  ihrer  R.  fallen:  eine  eigenartige  Um- 
wandlung des  hier  behandelten  Motives. 

4.  Lesepulte. 

Als  Hilfe  beim  Lesen  begegnete  uns  neben  dem  jungen  Sklaven  ein- 
mal auch  ein  Lesepult;  s.  S.  172.  Wollen  wir  unseren  Gegenstand  er- 
schöpfen, so  ist  dem  sorglicher  nachzugehen.    Denn  in  der  Tat  hat  man 

1)  Buch  Henoch  ed.  Radermacher  S.  69. 

2)  Siehe  Dioskurides,  herausgeg.  von  KARABACEK  S.  266-270. 


176 


IL  Die  geöffnete  Rolle.    D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


sich  eines  solchen  nicht  nur  für  Codices,  sondern  schon  vorher  für  das 
Aufstellen  von  Buchrollen  bedient,  was  den  Wenigsten  bekannt  zu  sein 
scheint.  Dabei  ist  von  dem  Martialepigramm  XIV  84,  das  Manuale  über- 
schrieben ist,  auszugehen.    Es  lautet: 

Ne  toga  barbatos  faciat  vel  paenula  libros, 
Haec  abies  chartis  tempora  longa  dabit. 

Um  das  Buch  zu  schützen,  brauchte  man  bisweilen,  wie  wir  späterhin 
sehen  werden,  einen  ledernen  einbandartigen  Mantel,  der  paenula  hieß; 
derselbe  konnte  auch  toga  genannt  werden.1)  Indessen  kann  hier  an  diese 
Rollenhülle  unmöglich  gedacht  werden.  Denn  wie  konnte  der  Dichter  im 
v.  1  sagen,  daß  sie,  die  doch  zum  Schutz  dient,  den  Buchschnitt  verderbe 
und  ihn  faserig  und  bärtig  mache,  so  daß  wieder  ein  Schutz  gegen  sie 
nötig  sei?  nicht  davon  zu  reden,  daß,  so  aufgefaßt,  toga  neben  paenula 
eine  müßige  Tautologie  wäre.  —  Das  manuale  war,  wie  v.  2  zeigt,  ein 
Gegenstand  aus  Tannenholz  (abies),  der  bewirkte,  daß  beim  Gebrauch  des 
Buches  die  Charta  nicht  zu  rasch  zerstört  wurde.  War  es  nun  ein  Lese- 
pult, so  ist  alles  klar.  Denn  wenn  man  die  Rolle  auf  dem  Pult  aufstellen 
konnte,  so  wurde  das  ständige  Anfassen  des  Papiers  unnötig  und  vor  allem 
die  Gefahr,  daß  es  sich  unausgesetzt  am  Kleide  schabte,  beseitigt.  Es  er- 
gibt sich  alsdann  folgender  Sinn  des  Epigramms:  „Damit  nicht  die  Toga, 
die  du  daheim  anhast,  oder  die  Paenula,  die  du  auf  Reisen  trägst,  beim 
Lesen  die  Buchränder  beschädige,  nimm  dies  Lesepult  aus  Holz  und  spanne 
das  Buch  darauf;  so  wird  es  sich  besser  konservieren."  Daß  diese  Aus- 
legung richtig  und  notwendig  ist,  sichern  nun  die  Hermeneumata,  Corp. 
gloss.  lat.  III  327,  22,  die  erklären:  avaXoyiov  manuale  lectorium.  Denn 
ävaXoYeiov  bedeutete  nach  Pollux  10,  60  und  Suidas  ein  dvaTvujcxripiov.-) 

Ob  das  Pult  deshalb,  weil  es  die  Hand  ersetzte,  oder  weil  es  selbst 
handlich  und  leicht  transportabel  war,  manuale  hieß,  lasse  ich  auf  sich 
beruhen.3) 

Mochte  anderen  der  junge  Sklave,  als  ein  lebendiges  Manuale,  beim 
Lesen  helfen:  ein  Holzgestell  war  jedenfalls  billiger  als  ein  Sklave.  So 
dachte  Martial.  Es  war  also  möglich,  die  geöffnete  Rolle  in  einen  hoch- 
stehenden Rahmen  so  fest  einzuspannen,  daß  sie  nicht  vornüber  fiel,  sich 
nicht  auflöste  und  ihre  Schriftseite  fest  und  gerade  stand.  Die  Konvolute 
rechts  und  links  gaben  selbst  Halt  und  Sicherung;  denn  eine  Rollung  zieht 
sich  immer  wieder  von  selbst  zusammen.  Wie  fest  sie  zusammenhielt, 
zeigen  uns  z.  B.  die  Bücher  auf  unsren  Abbildungen  75;  125;  154;  159 

1)  So  z.  B.  geschehen  Martial  X  93. 

2)  Vgl.  auch  Corp.  gloss.  III  S.  277. 

3)  Ein  manualis  libellus  wird  in  den  Lexica  aus  Servius  zitiert;  manuaüa  für 
Handbücher  aus  den  Fragmenta  Vaticana  §  45  f. 


4.  Lesepulte. 


177 


(oben  S.  42).  Die  Konvolute  mußten  nun  aber  so  aufgestellt  sein,  daß 
sie  sich,  wenn  man  mit  dem  Lesen  fortfuhr,  auch  weiter  ab-  und  aufrollen 
ließen.  Ein  Schieben  des  Buches  mußte  möglich  sein.  Dies  uns  zu  ver- 
deutlichen, vereinigen  sich  mehrere  und  wertvolle  Bildwerke. 

Voran  die  Terrakotte  in  Athen  (oben  S.  172),  die  unsre  Abb.  108 
vorführt.  Ein  alter  Mann  liest;  eine  Rolle  steht  ausgebreitet  auf  einem 
Pult.  Ein  dienender  Knabe  hilft  eifrig  dabei;  er  faßt  mit  der  1.  Hand  die 
1.  Rollung,  um  das  Gelesene  zusammenzuwickeln,  oder  aber,  er  ist  im 
Begriff  die  Rolle  eben  erst  aufzustellen.1)  Das  Gestell  selbst  erinnert  an 
unsre  Notenpulte,  und  sein  Bein  teilt  sich  unten  in  mehrere  vorspringende 
Füße.2) 

Nicht  zu  verkennen  ist  dasselbe  auf  dem  Bruchstücke  eines  Neumagener 
Reliefs,  das  ich  in  unsrer  Abb.  159  wiedergebe  und  das  uns  Ein- 
blick in  eine  Bibliothek  gewährt.  Das  Stück  ist  verloren  und  nur  aus  einer 
Zeichnung  des  17.  Jahrh.  bekannt.  Doch  ist  ganz  klar,  daß  sich  hier  in 
der  Bibliothek  rechts  vorne  eine  einzelne  weit  offne  Rolle  befindet,  die  von 
keines  Menschen  Hand  gehalten  wird.  Sie  ist  oben  und  an  ihrer  r.  Seite 
deutlich  von  einem  Rahmen  eingefaßt,  der  das  Manuale  anzeigt.  Das  linke 
Rollenende  ist  glatt  gespannt,  das  rechte  ist  noch  zusammengerollt  und 
neigt  sich  etwas  vor. 

Lese  ich  bei  Sogliano,  Pitture  Camp.  Nr.  249  (Gemälde,  einen  Amor  dar- 
stellend): „al  di  sotto  si  vede  in  un  rettangulo  a  fondo  pavonazzo  un  volume 
spiegato",  so  dürfte  auch  hier  das  „Rechteck"  eben  derselbe  Rahmen  eines 
Manuale  sein. 

Dazu  kommt  der  wichtige  Sarkophag  in  Cagliari  (Bull.  Sardo  Bd.  IV; 
oben  S.  107),  der  eine  offne  Rolle  aufrecht  stehend  auf  einer  Säule  zeigt; 
die  Rolle  befindet  sich  just  in  Augenhöhe  des  bärtigen  Mannes,  der  vor 
ihr  steht,  die  r.  Hand  oben  an  das  eine  Konvolut  legt  und  in  der  L.  einen 
Stock  trägt.  Sein  Blick  trifft  freilich  nicht  die  offene  Buchseite.  Der  Sach- 
verhalt aber  ist  klar.  Derselbe  auch  auf  dem  Münchner  Sarkophag,  linke 
Nebenseite,  Furtwänqler,  Beschr.  Nr.  326. 

Am  deutlichsten  erscheint  das  Gestell  selbst  in  einer  Miniatur  des  Vati- 
canus  Romanus  des  Vergil:  unsre  Abb.  112.  Vergil  sitzt  und  hält  die 
Rolle,  Motiv  II.  Er  ist  also  mit  dem  Lesen  fertig  und  hat  die  Rolle  eben 
vom  Pult  genommen.  Am  Boden  steht  eine  geschlossene  runde  Capsa; 
daraus  kann  er  weitere  Bücher  entnehmen.  Das  Pult  selbst  steht  leer  neben 
ihm;  es  ist  zum  Höher-  und  Tieferstellen  eingerichtet.  Unsere  Abbildung 
nach  Stephan  Beissel,  Vaticanische  Miniaturen  Tfl.  II. 


1)  Eine  Lehrstunde  kann  das  nicht  sein,  denn  das  Kind  ist  nackt;  vor  allem 
hält  es  den  Kopf  viel  zu  nah  an  das  Buch. 

2)  Ein  zweites  entsprechendes  Exemplar  dieses  Bildwerkes  befindet  sich  in 
Berlin;  s.  Winter,  Terrakotten  II  S.  405,  8. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  12 


178 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


Doch  wir  besitzen  klassischere  Zeugen,  die  uns  in  die  schöne  Kunst 
des  Hellenismus  hinaufführen.  Hier  ist  der  Platz  für  das  berühmte  Late- 
ranische Schauspielerrelief;  s.  Schreiber,  Die  hellenistischen  Relief- 
bilder I  Tfl.  84.  Eine  Abbildung  darf  auch  an  dieser  Stelle  nicht  fehlen; 
Abb.  113. 

Ein  komischer  Schauspieler  sitzt  auf  der  1.  Seite  der  Bildfläche,  schaut  im 
Profil  nach  rechts  über  die  schöne  Jünglingsmaske  hinweg,  die  er  erhoben  in 
seiner  1.  Hand  hält,  zu  der  Muse  hin,  die,  eben  eingetreten,  hoch  aufgerichtet  an 
der  Tür  des  Gemaches  steht,  mit  dem  Blick  sein  Auge  sucht  und,  die  R.  beredt  er- 
hoben, ihm  für  die  Rolle  gleichsam  Modell  steht,  die  er  zu  spielen  hat.  Denn  ihr 
Gesicht  gleicht  in  Bildung  und  Haltung  der  eben  erwähnten  Maske.  Auf  einem 
schmalen  länglichen  Tisch  vor  ihm  sieht  man  zwei  weitere  komische  Masken,  aber 
auch  eine  Rolle.  Diese  Rolle  ist  z.  T.  geschlossen;  ein  Teil  von  ihr  hängt  dagegen 
über  den  Tischrand  herab;  das  hängende  Ende  rollt  sich  von  selbst  wieder  zusammen. 


Abb.  112:  Vergil. 


Dies  ist  aber  nicht  etwa  ein  Buch.  Denn  kein  Lesender  sitzt  je  am  Tisch, 
und  bei  Unterbrechung  oder  Beendigung  der  Lektüre  wird  das  Buch  nie  auf  einen 
Tisch  gelegt.  Das  beweist  die  Fülle  der  erhaltenen  Monumente.  Unangemessen 
für  ein  Buch  wäre  auch,  daß  es  so  vom  Tischrand  herabhängt;  man  vermied  die 
Charta  so  herabhängen  zu  lassen,  weil  sie  leicht  riß  (vgl.  unten  S.  183  f.).  Dazu 
kommt,  daß  auch  die  Blatthöhe  dieser  Rolle  viel  zu  klein  ist:  man  vergleiche  nur 
die  Winzigkeit  der  Rollung  mit  der  großen  Hand  des  Mannes.  Es  muß  daher 
eine  wollene  Binde  sein,  wie  wir  sie  oben  S.  125  f.  kennen  lernten.  Denn  Woll- 
binden legte  man  auf  den  Tisch,  ließ  sie  auch  herabhängen.  Dafür  gibt  das  Ge- 
mälde von  Boscoreale  die  prächtigste  Anschauung  (s.  oben  S.  127). 

Dies  bestätigt  nun  weiter  die  Größe  der  zweiten  Rolle,  die  wir  auf  dem  Relief 
erst  hiernach  wahrnehmen.  Denn  an  der  Zimmerwand,  die  heiter  mit  Guirlanden 
und  Tänien  dekoriert  ist  und  wo  auf  einem  Bord  Geräte  und  Lampen  stehen,  ge- 
wahrt man  einen  hohlen  Rahmen  in  Rechteckform;  darin  steht  ein  großes  geöffnetes 
Rollenbuch. ')    Seine  Rollung  links  ist  sehr  deutlich.    Der  r.  Rand  des  Rahmens  ist 


1)  Vgl.  Benndorf-Schöne  S.  164;  J.  W.  Clark,  The  care  of  books  (1901)  S.  36. 


4.  Lesepulte. 


179 


abgebrochen  und  die  Bruchstelle  modern  überarbeitet;  die  Rollung  rechts  trat  hier 
also  gewiß  ursprünglich  gleichfalls  deutlich  vor  Augen.  Die  Breite  der  aus- 
gespannten Blattfläche  ist  die  übliche,  und  sie  steht  senkrecht  und  angemessen  zum 
Lesen  da.  Das  Bein  des  Pultes  befindet  sich  nicht  in  der  Mitte,  sondern  an  seiner 
r.  Seite.  Dies  muß  sich  aus  dem  erwähnten  Bruch  erklären.  Amelung  merkt 
mir  an,  daß  sich  die  rechts  fehlende  Pultfläche  in  gleicher  Ebene  an  die  linke  an- 
geschlossen haben  wird,  so  daß  das  Bein  sich  tatsächlich  in  der  Mitte  befand. 
Dann  muß  die  rechts  erscheinende  Ranke  dem  Überarbeiter  angehören. 

Das  Ding  hängt  hoch  und  ist  anscheinend  am  Bordbrett  befestigt.  Es  war 
offenbar  leicht  an  Gewicht  und  zum  Anhängen  eingerichtet.  Wenn  man  es 
nicht  brauchte,  hängte  man  es  auf.  So  steht  gelegentlich  auch  ein  Kasten 
mit  Rollen  im  Zimmer  hoch  auf  einem  Bord;  dies  zeigt  z.  B.  das  Berliner  Relief 


Abb.  113:  Lateran. 


„Beschreibung"  Nr.  768.  Denkten  wir  uns  aber  dies  Manuale  herabgenommen,  so 
wird  klar,  wie  angenehm  seine  Hilfe  war.  Sein  Benutzer  konnte  sich  die 
Mühe  sparen,  mit  gestreckten  Armen  die  offne  Rolle  selbst  zu  halten  und  vor 
der  Berührung  mit  den  Kleidern  in  acht  zu  nehmen.  Jetzt  hatten  die  Hände 
nichts  weiter  zu  tun,  als  im  Rahmen  die  Rollungen  leise  zu  drehen,  wenn  die  Lesung 
weiter  ging. 

Hiermit  haben  wir  auf  einem  griechischen  Originalkunstwerk,  mutmaß- 
lich des  1.  Jahrh.  v.  Chr.,  die  Beschaffenheit  der  Anagnosteria  kennen 
gelernt.  Ein  etwa  dreihundert  Jahre  jüngeres  Werk  tritt  erläuternd 
daneben: 

Ich  meine  ein  Reliefstück,  das  ich  in  Rom  im  Pankraziergrab  an  der  Via 
Latina  entdeckte  und  das,  wie  sich  zeigen  wird,  für  Buchdinge  noch  in  anderer  Beziehung 
lehrreich  ist:  unsere  Abb.  114.  Im  Vorraum  des  genannten  Grabes  lagen  im  Januar 
1901  viele  kleine  Relieffragmente  in  Marmor  und  Stuckmasse  als  plastischer  Unrat 
zusammengekehrt  in  einem  Winkel  am  Boden.    Darunter  fand  ich  stöbernd  das  hier 

12* 


180 


II.  Die  geöffnete  Rolle:  D.  Das  Lesen,  Motiv  VI. 


seiner  L.  eine  offne  herabhängende 
Rolle.  Rechts  neben  ihm  in  Augen- 
höhe ein  zweites  offnes  Rollenbuch, 
scheinbar  an  die  Wand  gelehnt.  Es 
hat  die  üblichen  Rollungen  rechts 
und  links,  zwischen  welchen  eine 
breite  Seite  zum  Lesen  ausgespannt 
bereit  steht.  Wie  soll  sich  das 
Buch  aber  so  ohne  Stützung  halten? 
Es  leuchtet  ein,  daß  es  auf  einem 
Manuale  lehnt,  und  es  verdeckt 
seinen  Träger,  wie  dies  annähernd 
auch  bei  der  athenischen  Terrakotte 


X"  . "',/*)  abgebildete  Eckstück 
•  /  ,W,J  eines  Marmorreliefs. 
^L^^f  Es  verdiente  eine  wür- 
gpr  dige  Aufstellung.  Mir 

¥  blieb  nichts  übrig  als 

das  Stück  mit  mög- 
lichster Sorgfalt  ab- 
zuzeichnen. An  der 
1.  Seite  der  Bildfläche 
ein  bärtiger  Mann,  in 


und  auf  dem  Neumagener  Relief  der  Fall  ist.  Die  Auffindung  dieses  Reliefstücks 
war  es,  die  mir  zur  Aufklärung  des  manuale  bei  Martial  und  auf  dem  Lateranrelief 
zuerst  die  Anregung  gab. 

Auf  den  Bildern  der  christlichen  Goldgläser  (bei  Garrucci  Tfl.  183  ff.) 
sieht  man  Tfl.  188  Nr.  5-7  und  180,  5  in  roher  Ausführung  gleichfalls 
Lesepulte  abgebildet:  eine  kleine  Säule  als  Fuß,  auf  der  sich  eine  Tafel 
(mit  Aufschrift)  quer  aufgestellt  erhebt.  Diese  Tafeln  sind  das  eigentliche 
Manuale.  Und  auch  diese  müssen  nun  für  Rollen  bestimmt  gewesen  sein. 
Dieser  Schluß  ist  unabweislich,  da  diese  Goldgläser  noch  durchweg  das 
Rollenbuchwesen  voraussetzen.  Wie  man  sich  ihrer  bediente,  zeigt  am 
besten  die  athenische  Terrakotte.1) 

1)  Dies  erinnert  wieder  an  eine  Serie  hellenistischer  Reliefs.  Ich  meine 
die  ländlichen  Opferfeste,  mit  Satyrn  und  verwandten  Figuren,  z.  B.  auf  dem  Capi- 
tolinischen  Exemplar  bei  Schreiber  I  Tfl.  46:  Da  steht  auf  einer  Stele  mit  Phallos 
eine  rechteckige  Platte  quer  aufgestellt;  ist  dies  eine  Votivtafel,  ein  dionysisches 
Tafelbild?  Dies  ist  sehr  wohl  möglich;  doch  erinnert  die  Platte  auch  an  die  Rück- 
seite eines  Manuale.  Hinter  ihr  küssen  sich  zwei  Menschen;  links  davon  sitzt  eine 
Bacchantin,  die  eine  Maske  betrachtet.  Bücher  als  Gegenstände  der  Weihung  sind 
bekannt  (s.  unten);  ebenso,  daß  sie  bei  Gottesdiensten  zur  Liturgie  dienten  (s.  oben 
S.  144  f.).  Daß  endlich  auch  diesen  ausgelassensten  Kreisen  das  Buch  nicht  fremd 
war  (und  sei  es  auch  ein  Buch  Priapeen),  darauf  kann  uns  schon  die  phallische 
Neapler  Tonlampe  führen  (S.  161). 

Das  Neapler  Relief  bei  Schreiber  Tfl.  47  stimmt  in  allem  Wesentlichen  über- 
ein; etwas  Neues  bringt  das  des  Louvre  hinzu,  ebenda  Tfl.  70 A;  hier  steht  auf  der 
Säule  wirklich  ein  dreiteilig  aufgeklappter  Gegenstand;  die  Mittelfläche  desselben 
aber  liegt  tiefer  als  die  Seitenflächen.    Ist  das  ein  Buch? 

An  dieser  Auslegung  muß  uns  indes  das  weitere  Capitolinische  Exemplar 
ebenda  Tfl.  48  irre  machen,  auf  welchem  der  betr.  Gegenstand  bekränzt  er- 
scheint. 


4.  Lesepulte. 


181 


Noch  habe  ich  eins  der  südfran- 
zösischen Denkmäler  heranzuziehen.  Es 
zeigt,  daß  das  Pultbein  gelegentlich 
phantastisch  umgestaltet  wurde  und  die 
Form  des  Löwenbeins  (oder  eines  Fisch- 
leibes?) annahm.1) 

Auf  dem  Sargdeckelrelief  bei  Le  Blant 
Tfl.  X  1  =  Garrucci  343,  3  (Arles)  erscheint 
das  Pult  zweimal,  besonders  gut  erhalten  am 
r.  Ende  des  Deckels;  vgl.  die  nach  dem 
Original  gemachte  Zeichnung,  Abb.  115.  Das 
Pult  ist  ebenso  hoch  wie  der  daneben  stehende 
Mensch,  das  auf  dem  Pultbrett  lehnende  Buch 
hat  also  genau  Augenhöhe.  Ob  es  Rolle 
oder  Codex,  konnte  ich  auch  angesichts  des 
Originals  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden; 
doch  neige  ich  dazu,  in  ihm  eine  geschlos- 
sene Rolle,  die  in  der  Mitte  umwickelt  ist, 
zu  erkennen.  Vor  dem  Pult  steht  in  Vor- 
deransicht und  von  ihm  halb  abgewendet  ein 
Mann,  der  ausschreitend  zu  rezitieren  scheint. 
Er  hat  die  offne  r.  Hand  hoch  erhoben,  in 
der  gesenkten  L.  eine  offne,  aber  zusammen- 
genommene Rolle,  Motiv  VII. 

Geschlossene  Buchrollen  auf  einem 
dünnbeinigen  Pult  finde  ich  auch  noch  auf 
einer  Miniatur  bei  BEISSEL,  Handschrift  des 
Kaisers  Otto  zu  Aachen  (1886)  Tfl.  IV. 

Als  die  Buchrolle  außer  Gebrauch 

kam,  brauchte  das  Manuale,  um  den  Codex 

zu  tragen,  nicht  wesentlich  verändert  zu  werden;  seine  Verwendung  scheint 
sich  vielmehr,  da  der  Codex  schwer  in  der  Hand  lag,  seit  dem  5.  Jahrh. 
mehr  und  mehr  gesteigert  zu  haben;  denn  erst  seitdem  sieht  man  es 
häufiger  als  Hilfe  frommer  Gelehrter  abgebildet;  ich  verweise  nur  auf  das 
Freskobild  in  Sancta  Sanctorum  zu  Rom,  Melanges  d'arch.  et  d'hist. 
Bd.  20  Tfl.  IX. 

Die  ältere  Kunst  hat  sich  dagegen  selten  entschlossen,  solche  Hilfen 
beim  Lesen  mit  darzustellen,  und  unsere  Betrachtung  wendet  sich  darum 
im  folgenden  zu  dem  Lesenden  selbst  zurück. 


Abb.  115:  Arles. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre  (Motiv  VII). 

Einige  häufig  wiederkehrende  Darstellungsweisen  des  Rollenbuchs  stehen 
noch  aus  und  haben  sich  uns  bisher  entzogen.  Sie  betreffen  das  Motiv, 
das  ich  als  Unterbrechung  der  Lektüre  bezeichne. 

1)  In  der  byzantinischen  Kunst  ist  das  Pultbein  häufiger  ein  auf  den  Kopf 
gestellter  Delphin:  s.  Die  Trierer  Adahandschrift,  Leipzig  1889,  Tfl.  37  und  S.  103. 


182 


II.  Die  geöffnele  Rolle  und  das  Lesen. 


Wollte  man  einen  literarisch  interessierten  Menschen  in  dem  Augen- 
blick abbilden,  wo  er  sich  seinen  Interessen  hingibt,  so  war  es  ergiebig 
und  dankbar,  denjenigen  Moment  zu  wählen,  wo  er  die  Lesung  abbricht, 
das  Buch  zwar  noch  offen  hält,  aber  still  nachdenkend  oder  im  Gespräch 
mit  seinem  Zuhörer  den  Inhalt  des  soeben  Gelesenen  geistig  verarbeitet, 
um  dann  in  der  Lesung  fortzufahren.  Oder  handelte  es  sich  um  einen 
Rezitator,  so  war  wiederum  der  Moment  günstig,  wo  er  „magna  parte  volu- 
minis  peracta"  seinen  Vortrag  mit  der  Frage  unterbricht,  ob  man  auch 
weiter  zuhören  will  oder  eine  Pause  wünscht.1)  Dabei  ist  es  ihm  nun 
lästig  und  unerträglich,  die  Rolle  noch  ferner  sklavisch  mit  beiden  Händen 
anzufassen.  Als  Plinius  einen  Brief  geschrieben  hat,  der  besonders  lang 
ausgefallen  ist  (er  füllt  heute  etwa  sechs  Druckseiten),  hält  er  es  schon  für 
nötig,  seinen  Adressaten  zu  trösten:  er  könne  ja,  so  oft  er  Lust  habe, 
beim  Lesen  eine  Pause  machen,  den  Brief  beiseite  legen  und  sich  aus- 
ruhen.-') Die  gestreckten  Arme  senken  sich  also  einstweilen  und  erholen 
sich,  und  so  wird  auch  die  eine  Hand  von  der  Last  befreit,  sei  es,  daß 
der  Leser  sie  im  Gespräch  zum  Gestus  braucht,  sei  es,  daß  er  sie  nur 
müßig  ausruhen  läßt.  Und  regelmäßig  ist  es  hier  wieder  die  r.  Hand,  die 
des  Buchs  sich  entledigt;  die  1.  Hand  allein  hält  alsdann  die  halboffne 
Rolle.  Nur  Sitzfiguren  halten  sie  gelegentlich  auch  in  der  R.;  dies  ist  im 
Zusammenhang  des  S.  85  ff.  Vorgetragenen  zu  erklären. 

So  unterbricht  auch  Judi  bei  Jeremias  36,  23  seine  Vorlesung;  seine 
r.  Hand  wird  dadurch  frei  und  er  kann  die  gelesenen  Selides  nun  mittels 
eines  Messers  vom  Buche  abschneiden  und  sie  ins  Feuer  werfen,  was  eben 
der  r.  Hand  zukommt. 

Der  Ausdruck  „halboffne  Rolle",  den  ich  provisorisch  anwandte,  ist 
ungenau.  Es  ist  gemeint,  daß  das  Buch  ganz  so  weit  aufgerollt  ist  wie  in 
Motiv  VI,  daß  aber  die  1.  Hand  beide  Konvolute,  das  Konvolut  des  noch 
nicht  abgerollten  Textes  und  das  des  wieder  zusammengerollten  Textes, 
zugleich  ergreift  und  das  freistehende  Mittelblatt  nun  in  dieser  1.  Hand 
zwischen  den  Konvoluten   eingeklemmt   wird   oder   zwischen   ihnen  sich 


1)  So  macht  es  der  Rezitator  bei  Seneca  epist.  95,  2,  der  historiam  artissime 
plictam  mitgebracht  hatte. 

2)  Plin.  epist.  V  6,  41:  ...  praesertim  cum  interquiescere ,  si  liberet,  deposi- 
taque  epistula  quasi  residere  saepius  posses.  So  groß  war  das  Verlangen  nach 
Kürze  der  Leklüre  in  jenen  Zeiten.  Man  beachte  beiläufig  noch,  wie  Plinius  ebenda 
§  42  das  non  esse  longum  einschärft  und  zur  allgemeinen  Forderung  erhebt:  pri- 
mum  ego  officium  scriptoris  existimo  ut  titulum  suum  legat  atque  identidem  inter- 
roget  se  quid  coeperit  scribere  sciatque  si  materiae  immoratur  non  esse  longum, 
longissimum  si  aliquid  arcessit  atque  attrahit.  vides  quot  versibus  Homerus,  quot 
Vergüius  arma  hic  Aeneae,  Achillis  ille  describat;  brevis  tarnen  uterque  est  quia 
facit  quod  instituit.  vides  ut  Aratus  minutissima  etiam  sidera  consectetur  et  colli 
gat;  modum  tarnen  servat. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


183 


bauscht,  sich  ausbiegt  oder  im  Bogen  herabhängt.  Man  müßte  dies  also 
nennen:  „die  in  einer  Hand  zusammengenommene  offne  Rolle."  Dies  ist 
das  Motiv  VII. 

Gewiß  wäre  es  oft  viel  bequemer  gewesen,  die  Papiermasse  mit  dem 
noch  nicht  gelesenen  Text  einfach  sich  ganz  aufwickeln  und  auf  den  Boden 
herabhängen  zu  lassen.  Aber  erst  die  byzantinische  Zeit  hat  das  Buch 
zur  Fahne  gemacht.  Man  glaube  nicht,  daß  etwa  die  alte  Marmorkunst 
nicht  imstande  war,  ein  hängendes  oder  auch  ein  schwebendes,  flatterndes 
Band  darzustellen.  Daß  die  Malerei  dies  konnte,  ist  selbstverständlich  (ich 
erinnere  an  das  Dekorationsmotiv:  ein  grüner  Säulenstamm  wächst  aus 
Blättern  hervor  und  läuft  in  eine  große  weiße  Blume  aus;  er  wird  oben 
von  einem  Band  umschlungen,  das  dreifabrbig  gestreift  ist  und  rechts  und 
links  wehend  sich  entfaltet:  Neapl.  Abt.  LXXXI  Nr.  9770).  Aber  auch  die 
Plastik  bildet  im  Haar  des  Kaisers  den  Kranz,  die  Corona  civica,  virtuos 
mit  dem  Bande,  das  sich  auf  die  Schulter  legt.  Graziöses  Bandwerk  geben 
auch  die  mit  Festons  geschmückten  Sarkophage  wie  der  entzückende 
Kindersarkophag  im  Mus.  Pio-Clement.  (vor  der  Hygieia  Nr.  85  aufgestellt), 
die  weiteren  im  Lateran,  Mus.  pagano  Nr.  362  u.  575;  654;  806;  in  Neapel, 
Mus.  naz.  Saal  VI  Nr.  6605,  im  Louvre  bei  Robert  III  Tfl.  I  Nr.  1;  in  Arles 
und  sonst. 

Vielmehr  vermied  man  in  praxi,  die  Buchrolle  in  einen  hängenden 
oder  gar  flatternden  Streifen  aufzulösen,  und  es  ist  wiederholt  gesagt, 
warum  man  das  vermied.  Wenn  der  alte  Nepotianus  beim  Hieronymus 
epist.  60,  11  ed.  Vall.  beim  Lesen  einschläft  und  das  Blatt  ihm  über  die 
Brust  herabfällt  (cumque  in  stratu  frequenter  cvolveret,  saepe  super  pectus 
soporati  dulcis  pagina  decidebat),  so  war  das  Nachlässigkeit,  Alterschwäche 
und  widersprach  der  Gewohnheit.  Daher  also  die  Zurückhaltung  der 
antiken  Kunst.  Ausnahmen  zu  diesem  Satze  dürfte  es  wenige  geben,  und  sie 
sind  sämtlich  spät  und,  soviel  ich  weiß,  nicht  älter  als  das  3.  Jahrh.  Denn 
auf  dem  Parzenrelief  in  Tegel  (Jahreshefte  des  östr.  arch.  Instit.  VI,  1903, 
Fig.  48)  ist  die  hängende  Rolle  unecht  (s.  oben  S.  70  Anm.  I).1) 


1)  Wer  die  sehr  verblaßten  Bilder  mit  konzertierenden  Psychen  und  Eroten  bei 
Helbiq,  Wandgemälde  Nr.  766  u.  767  heute  im  Mus.  naz.  XLVI  Nr.  9206  u.  9193  be- 
trachtet, wird  vielleicht  herabhängende  Rollenbücher  auf  ihnen  zu  entdecken  glauben. 
So  erging  es  mir.  Im  Flötenkonzert  bläst  ein  als  Aulet  gekleideter  Amor  die 
Doppelflöte  unter  einem  Baldachin,  von  etlichen  Figuren  umgeben.  Eine  Figur  rechts 
scheint  eine  lang  hängende  Rolle  in  der  L.  zu  halten.  Auf  Nr.  9206  sieht  man 
Amor  in  ähnlicher  Umgebung  als  Kitharöden  oder  Kitharisten;  links  steht  eine  dunkel 
gekleidete  geflügelte  Figur  ihm  zugewandt;  sie  scheint  eine  offne  herabhängende 
Rolle  in  der  L.  zu  halten.  Ebenda  im  Vordergrund  rechts  hockt  eine  Psyche;  liest 
sie  in  einer  Rolle,  die  sie  mit  beiden  Händen  faßt?  Daß  Kinder  mit  Buchrollen 
nachlässig  umgehen  und  sie  aufgewickelt  hängen  lassen,  schildert  uns  das  Epigramm 
Strato's  Anth.  Pal.  XII  208.  Doch  müssen  alles  dies  Augentäuschungen  des  heutigen 
Betrachters  sein.    Die  alten  Zeichnungen  nach  diesen  Gemälden  wissen  von  all  dem 


184  II-  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 

Leichter  ist  es  noch,  wenn  nur  etwa  zwei,  drei  Seiten  frei  herabhängen; 
dafür  gibt  der  christl.  Sarkophag  im  Lateran  Nr.  162  -  unsere  Abb.  116  - 
ein  Beispiel3);  ein  zweites  der  thronende  Christus  auf  einer  Kopie  nach 
einem  Fresko  der  Callistkatakomben  im  selben  Lateran:  unsre  Abb.  117 
(vgl.  dazu  Wilpert  Tfl.  162;  auch  177;  40;  247);  ein  drittes  der  junge 
Moses  unter  den  Gelehrten  in  S.  Maria  Maggiore,  Mosaik,  Garrucci 
Tfl.  218,  1. 

Gravierender  ist  der  Fall  dagegen  in  der  literarischen  Szene  des 
großen  Rundsarkophags,  der  sich  im  Profanmuseum  desselben  Lateran 
Nr.  469  befindet.     S.  unsere  Abb.  51  u.  118.    Ein   lebhaftes  Gespräch. 


Die  Figur  des  Sprechers  ist  weggebrochen,  aber  seine  r.  Hand  ist  übrig, 
und  die  Blattmasse  mit  dem  Text  des  schon  Gelesenen  hängt  von 
ihr  senkrecht  herab.  Mutmaßlich  war  die  Rolle  aber  diplomartig  nach 
Weise  mancher  der  Ravennatischen  Papyri  in  Langzeilen  ohne  Kolumnen- 
teilung beschrieben.  Darauf  lassen  die  vier  geritzten  Linien  schließen,  die 
man  auf  der  hängenden  Fläche  gewahrt  (s.  S.  97).  Daß  die  r.  Hand  das 
Buch  hält,  zeigt  an,  daß  der  größere  Teil  des  Schriftwerks  noch  nicht 
gelesen  ist.  Diplome  (nicht  Lesebücher)  in  Rollenform  abgerollt  lang 
hängen  zu  lassen,  wurde  im  Mittelalter  das  Übliche.  Dies  Verfahren  be- 
ginnt schon  hier. 

Dazu  kommt  nun  das  Bruchstück  eines  Sarkophagreliefs  im  Pankratier- 
grab,  über  das  ich  schon  S.  180  geredet;  s.  Abb.  114: 


nichts!  s.  Mus.  Borb.  XV  47;  W.  Zahn,  Die  schönsten  Ornamente  usw.  Bd.  III  Tfl.  43 
und  52. 

1)  Daß  Christus  die  Rolle  darreiche,  wie  Ficker  S.  107  behauptet,  ist  falsch; 
s.  weiterhin  mehr  über  solche  Fälle. 


Abb.  117. 


Abb.  118. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Hängenlassen  der  Schlußblätter.  135 


Ein  bärtiger  Mann,  von  dem  nur  Kopf  und  Hals  und  ein  geringer  Teil  des 
Oberkörpers  erhalten,  steht  (oder  sitzt?)  im  Profil  nach  rechts.  Sein  1.  Arm  ist,  in 
starker  Verkürzung  gebildet,  sichtbar;  in  der  1.  Hand  aber  hält  er  ein  Buchkonvolut 
in  Schulterhöhe,  von  dem  eine  Blattmasse  steil  herabhängt.  Sein  Kopf  scheint  leise 
nach  links  geneigt,  sein  Blick  (mit  ausgearbeiteter  Pupille)  geht  über  das  Buch 
hinweg  und  war  ohne  Zweifel  auf  einen  Unterredner  gerichtet.  Hinter  seinem  Kopf 
scheint  sich  ein  Feston  aus  Tuch  an  der  Wand  zu  befinden,  davor  noch  ein  anderer 
Gegenstand,  den  ich  nicht  erkenne.  Weiter  rechts  und  über  seiner  ausgestreckten 
Hand  ist  endlich  ein  zweites  aufgeschlagenes  Rollenbuch  sichtbar. 

Dasselbe  Verfahren  beobachtet  man  häufig  auf  christlichen  Denkmälern.  Ich 
zitiere  den  sitzenden  Christus  auf  einem  Sarkophag  in  Arles,  bei  Le  Blant,  Sarc. 
ant.  d'  Arles  Tfl.  27;  GARRUCCI  342,  3.    Er  zeigt,  und  die   folgenden  Monumente 
bestätigen,  daß  dieses  Motiv  auch  bei 
einer    sitzenden   Figur   möglich  war. 
Diese  Möglichkeit  ist  also  auch  für  das 
eben  besprochene  Relieffragment  offen 
zu  halten. 

Günstiger  war  es,  wenn  in 
solchen  Fällen  ein  Diener  oder  hilf- 
reicher Genosse  das  Ende  des  Buchs 
auffing. 

Auf  dem  christlichen  Säulen- 
sarkophag im  Lateran  Nr.  174 
sitzt  der  bartlose  Christus  thronend 
über  der  Personifikation  des  Caelus; 
seine  R.  ist  lehrend  erhoben,  in  der 
aufgelöstes  Rollenbuch;  unsre  Abb.  119.1)    Das  Kon- 
volut  selbst,  das  man  in  seiner  L.  sieht,  ist  freilich 
Ergänzung;   doch   ist   ein   Rest    des    echten  Schrift- 
bandes, das  sich  schräg  vor  die  benachbarte  Säule  legt,  erhalten. 

Hier  ist  nun  bedeutsam  und  bezeichnend  für  die  schonende  Art, 
der  man  die  Bücher  behandelte,  daß  Petrus  von  rechts  herantritt  und  das 
hängende  Rollenende  in  einem  Tuch  auffängt.  Es  war  dies  damals  ein 
beliebtes  Sujet:  Petrus,  das  offne  Buch  Christi  auffangend.  Ich  gedenke 
einige  Parallelen  im  Schlußkapitel  aufzuführen.  Nichts  aber  ist  törichter 
als  in  diesen  Fällen  an  eine  Überreichung  des  Buchs  zu  denken.  Man 
überreiche  einmal  eine  Binde  von  einigen  Metern  Länge  in  aufgerolltem 
Zustand;  der  Empfänger  wird  verzweifeln;  die  Stoff masse  fällt  schmählich 
zu  Boden  und  das  heilige  Buch  wird  entweiht.  Nur  darum,  die  sacra 
Charta  vor  Verletzung  zu  schützen,  ist  Petrus  bemüht  und  verhindert,  daß 
sie  frei  herabhängt.  Natürlich  war  dies  aber  zugleich  eine  Allegorie:  er 
erschien  so  als  der  Schützer  des  Logos.  Daher  hängt  der  Blattstreifen 
also  auch  nicht  senkrecht  in  das  Tuch;  ein  Auffangen  der  ganzen  losen 


Abb.  119. 


mit 


1)  Abbildung  z.  B.  bei  WEIS  -  LlEBERSDORF ,  Christus-  und  Apostelbilder  (1902) 
Figur  45.    Oben  nach  Zeichnung. 


186 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Masse  würde  mißlingen;  ebenso  schräge  fällt  das  Blatt  Garrucci  341,  2; 
330,  5;  335,  2  u.  4. 

Vorsichtiger  als  alle  diese  war  der  Mann,  der  das  Buch  mitsamt  dem 
abgerollten  Ende  des  Rouleau  nicht  hängen  ließ,  sondern  auf  seinem 
Schoß  zusammenlegte;  dies  sehen  wir  in  dem  Vatikanischen  Relief  im 
Meleagerzimmer  Nr.  13;  unsre  Abb.  120.1)  Sonderbarerweise  liegt 
hier,  wenn  der  Eindruck  nicht  trügt,  das  Wiederzusammengerollte,  das 
doch  nach  links  gehört,  auf  dem  r.  Bein,  sowie  auch  die  zugehörige  1.  Hand 
sehr  weit  nach  rechts  liegt. 

Genau  dasselbe  Verfahren  beobachtet  der  sitzende  Vergil   auf  dem 

S.  149  erwähnten  Mosaik  von  Sousse;  die  eine  Rollung  liegt  ihm  im  Schoß, 

die  andere  wird  mit  der  linken  Hand  gehalten. 

Sicher  ist  es  auch,  daß  die  schöne 
Statue  der  Klio  unter  den  Musen  des 
Vatikan  (Helbig,  Führer  Nr.  281)  das 
Rollenende  aufgelöst  auf  ihrem  Schöße 
liegen  hat.  Ddth  sind  nicht  nur  ihre 
Arme  Ergänzung,  sondern  auch  die 
eigentliche  Buchrolle,  an  welche  jenes  im 
Schoß  liegende  aufgelöste  Rollenende  an- 
gepaßt ist.  Diese  Ergänzung  ist  falsch 
und  unbrauchbar,  da  sie  ein  Opisthograph, 
eine  verkehrt  herum  aufgerollte 
gibt. 


Rolle 

Vielleicht  kam  das  Buchmotiv  dieser 
Muse  in  Wirklichkeit  dem  des  sitzenden 
Mannes  auf  dem  Relief  des  Meleager- 
zimmers  nahe.  Sehr  deutlich  zeigt  aber 
noch  der  im  Schoß  erhaltene  Rest  des 
Buches,  der  sich  nicht  eigentlich  rollt, 
sondern  tuchartig  nach  rechts,  nach  links 
und  wieder  nach  rechts  hin  und  her  über- 
einander legt,  daß  im  Rollen- 
— - ;_    innern  ein  Umbilicus  nicht  vor- 

handen war.  Jedenfalls  schrieb 
diese  Klio  nicht,  sondern  „der  r.  Arm 
war  lebhaft  vorgestreckt"  (  Ameluno).  '-) 
Also  eine  Vorlesende. 

Das  Bisherige  sind  vereinzelte  Ansätze,  die  gestellte  Aufgabe  zu  lösen. 
Typisch  dagegen  sind  die  Beispiele  für  die  in  eine  Hand  zusammengenommene 
offne  Rolle,  das  eigentliche  Motiv  VII,  denen  ich  mich  nunmehr  zuwende. 
Es  ist  vielgestaltig.  Die  Massenhaftigkeit  seines  Vorkommens  aber  beweist,  wie 
ängstlich  man   ein  Herabhängen  der  Blattmasse  vermied. 

Mindestens  ins  4.  Jahrh.  v.  Chr.  führt  uns  die  hime- 
räische  Münze  (öeppiTÜJv  'luepaiuuv)  hinauf,  unsre  Abb.  121, 


Abb.  120:  Relief,  Vatikan. 


1)  „Ergänzt  nur  ein  Stück  an  der  oberen  Windung,  und 
sicher  richtig."  (Amelung). 

2)  Vgl.  W.  Amelung,  Basis  des  Praxiteles  S.  41  f. 


Abb.  121. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


187 


auf  der  ein  gebückter  alter  Mann  stehend  erscheint,  im  Profil  nach  rechts, 
der  seine  r.  Hand  mit  Vorstreckung  des  Zeigefingers  taktierend  erhoben 
hat,  in  der  nicht  sichtbaren,  etwas  weniger  erhobenen  L.  aber  sowohl 
einen  starken  Stecken  hält,  auf  den  er  sich  stützt,  als  auch  ein  Rollen- 
buch.  Dies  Buch  ist  offen  zwischen  zwei  Rollungen.  Doch  bewirkt  die 
richtig  gegebene  perspek- 
tivische Aufnahme,  daß  man 
das  offne  Mittelblatt  nicht 
sieht.  Diese  Rolle  erscheint 
sehr  groß,  insbes.  von  be- 
deutender Höhe,  die  der 
Länge  des  Unterarms  gleich- 
kommt. Daß  dies  Münzbild 
eine  berühmte  Statue  des 
den  Chor  taktierend  ein- 
übenden St  esichoros  wie- 
dergibt, ist  oben  S.  51 
gesagt.  Die  Porträtkunst 
ging  also  hierin  voran.  Das 
Buch  aber  ist  offen,  weil 
der  xopobiböxKaXoc  es  eben 
jetzt  benutzt. 

Der  nächste  Beleg,  der 
ins  3.  Jahrh.  v.  Chr.  hinauf- 
reicht, dürfte  das  schöne 
Marmor-Sitzbild  eines  atti- 
schen Dichters  sein,  aus 
pentelischem  Marmor,  der 
Posidipp  im  Vatikan, 
Galerie  der  Statuen 
Nr.  271  (Helbio,  Führer 
Nr.  204 ;  Baumeister,  Denkm. 
Abb.  1535,  u.  sonst),  also 
wiederum  ein  Porträt:  unsre 

Abb.  122.  Hier  ist  die  Rolle  mit  allem  Detail  trefflich  erhalten.  Vor- 
nehm und  mit  Anstand  und  Behagen  sitzt  der  Mann  in  seinem  Lehnstuhl. 
Weil  er  aber  sitzt,  ist  der  Moment  der  erst  vor  kurzem  begonnenen 
Lektüre  vom  Künstler  bevorzugt  worden,  und  er  hält  das  noch  wenig 
abgerollte  Buch  noch  in  seiner  R.,  nicht  in  der  L.  Sein  Leseeifer  inter- 
mittiert,  die  1.  Hand  hat  aufgehört  abzurollen,  und  in  der  r.  Hand  gewahrt 
man  nun  zwei  Konvolute,  das  wesentlich  dickere  des  noch  nicht  ab- 
gerollten Textes  (damit  ist  wiederum  angedeutet,  daß  die  Lektüre  erst  eben 


Abb.  122:  sog.  Menander. 


188 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


begann)  und  ein  dünneres  Konvolut  dessen,  was  vom  Gelesenen  schon 
wieder  zusammengenommen  ist;  Abb.  123  gibt  die  Hand  mit  dem  Buch 
genauer  wieder. 

Ebenso  alt  zürn  mindesten  aber  ist  die  Erfindung  der  Statuette  des 
sitzenden  Aesop,  in  den  Vatikanischen  Gärten;  s.  Monum.  d.  Inst.  III 
Tfl.  14,1:  Aesop  doziert  mit  der  r.  Hand  und  hält  die  Rolle  in  der  L.  im 
Motiv  VII. 

Ein  Sitzbild  ist  gleichfalls  die  herrliche  pompejanische  Muse  Klio,  auf 
gelbem  Grund  gemalt,  im  Louvre,  abgebildet  Pitture  d'  E.  II  S.  13. l)  Sie 
trägt  den  Lorbeerkranz  und  Armspangen,  trägt  farbigen  Chiton  und  Mantel, 
sitzt  im  Lehnsessel  im  Profil  nach  rechts  und  hält,  während  die  R.  sich 
aufstützt,  in  der  erhobenen  L.  allein  eine  offne  Rolle,  deren  Außenseite 
sich  vorwölbt  und  opisthographisch  in  zwei  Zeilen  die  Aufschrift  KAEK.) 
ICTOPIAN  trägt.  Links  vorn  zeigt  das  Bild  eine  offne  Capsa,  darin  sechs 
geschlossene  Rollen,  jede  Rolle  mit  Sittybos.  Helbig,  Wandgem.  Nr.  859. 
Diese  Muse  hat  also  längst  fertig  gelesen,  resp.  vorgelesen.  Die  Art  aber, 
wie  hier  die  Rolle  widernatürlich  zur  inscriptio  dienen  muß,  bereitet  die 
plakatartige  Verwendung  der  Rollen  in  der  Malerei  des  Mittelalters  vor.-) 
Stilgemäßer  ist  die  Aufschrift  auf  einem  andern  pompejanischen  Ge- 
mälde angebracht.  Schon  oben  S.  115  sind  zwei  Medaillonbrustbilder 
lorbeerbekränzter  Jünglinge  angeführt.    Ob  sie  sitzen  oder  stehen,  ist  nicht 

angedeutet;  auch  fehlen 
bei  beiden  die  Hände.  Der 
eine  von  ihnen  hält  nun 
eine  große  geschlossene 
Rolle,  die  offenbar  in  der 
1.  Hand  gedacht  und  weiß 
gefärbt  ist;  an  ihr  hängt 
ein  weißer  Sittybos  mit  der 
Aufschrift  Plato:  Abb.  157. 
Das  andere  Jünglingsbild 
dagegen  gibt  das  hier  in 
Frage  stehende  Buchmotiv: 
Abb.  124.  Die  zwei  Kon- 
volute aber  konvergieren  dabei  nach  unten,  indem  die  nicht  mit  dargestellte 
1.  Hand  sie  zusammenfaßt.  So  bereitet  sich  hier  die  fächerförmige  Haltung  der 
offnen  Rolle  vor,  die  wir  in  der  Spätkunst  wieder  antreffen  werden  (siehe 


1)  Auch  bei  MARINI,  Papiri  diplomatici,  auf  dem  Titelblatt. 

2)  Verwandt  hiermit  scheint  die  Melpomene  bei  Sogliano  Pitt.  Camp.  N.  415; 
sie  hält  in  der  R.  den  Calamus,  in  der  L.  ein  „volume  spiegato";  auf  der  offnen 
Seite  Schriftreste. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


189 


Abschnitt  VI).  An  der 
Außenseite  des  noch 
nicht  gelesenen  Rol- 
lenteils ist  endlich 
oben  ein  farbloser 
Sittybos  mit  der  Auf- 
schrift Homerus  an- 
gebracht; s.Abb.  156. 

Nicht  gesehen  habe 
ich  das  interessante  Bild 
bei  HELBlG,  Wandgem. 
1455:  ein  bartloser  Mann 
mit  porträthaften  Zügen 
sitzt  auf  einem  Stein- 
sitz, er  ist  efeubekränzt 
und  weißgekleidet  und 
stützt  beide  Ellenbogen 
auf  (!  worauf?),  indem 
er  dabei  in  der  1.  Hand 
eine  offne  Schriftrolle 
hält  und  zugleich  im 
Gespräch    mit  einem 
älteren  Mann,  der  lau- 
schend vor  ihm  steht, 
die  r.  Hand  mit  gestreck- 
tem Zeigefinger  erhebt.  Ein  Scrinium  hat  er  neben  sich  am  Boden.  Die  „offne  Rolle" 
in  einer  Hand  kann  nur  das  Motiv  VII  bedeuten.    Der  Alte  trägt  übrigens  eine  vom 
Gesicht  aufs  Oberhaupt  zurückgeschobene  Maske.    Also  Dichter  und  Schauspieler.1) 
Im  Schoß  eines  Sitzenden  begegnet  das  Motiv  wiederum  auf  dem  hoch  ein- 
gemauerten Relief  im  Vatikan,  Bel- 
vedere  Nr.  68.    Ich  mußte  auf  einer 
Leiter  zu  dem  Relief  hinansteigen,  um  das 
Detail  zu  sehen.    Danach  die  Zeich- 
nung, Abb.  125.    Das  der  r.  Hand  ge- 
hörige Konvolut  liegt,  wie  man  sieht, 
hier  frei  im  Schöße;  es  ist  dies  also 
wieder  dafür  ein  Beispiel,  daß  gerollte 
Charta,  die  längere  Zeit  gelegen,  sieh 
von  selbst  in  Rollenform  zusammenhält. 

Hier  hat  also  die  1.  Hand  das 
eine  Konvolut  fahren  lassen.  Das 
war  bei  stehenden  Personen  un- 
möglich.   Ein  trefflicher  Vertreter  des  Typus  ist  der  Grabstein  des  jungen 
Dichters  Q.  Sulpicius  Maximus,  Konservatorenpalast,  Oktogon  Nr.  6  (Altmann, 


Abb.  124:  Jüngling,  Neapel. 


Abb.  125. 


1)  Schwerlich  gehört  dagegen  hierher  das  Mosaik  der  Casa  del  poeta,  „Ein- 
übung eines  Satyrnchors"  in  Neapel,  Mus.  naz.  Nr.  9986  (abgebildet  z.  B.  bei  Bau- 
meister, Denkmäler  Nr.  424):  inmitten  der  jungen  Leute,  die  ihn  in  drei  Gruppen  zu 
je  zweien  umstehen,  sitzt  der  alte  Chormeister;  seine  r.  Hand  macht  sich  mit  einem 
Kasten  voll  Masken  zu  schaffen,  seine  L.  aber  hält  mit  festem  Griff  einen  Gegen- 
stand, der  vielleicht  ein  aufgerolltes  Blatt  ist;  doch  ist  die  Form  befremdlich. 


190 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Abb.  126. 


Abb.  127. 


Die  röm.  Grabaltäre  Nr.  285),  ein  Denkmal,  das  bald  nach  94  n.  Chr. 
gesetzt  ist.  Hier  hält  der  sitzende  Maximus  mit  den  ausgespreizten  Fingern 
seiner  einen  1.  Hand  kunstvoll  beide  starken  Konvolute,  und  das  Mittel- 
blatt mit  Schrift,  die  in  der  Richtung  der  Höhe  der  Seiten  läuft,  hängt 
weit  gebauscht  nach  unten;  s.  Abb.  126. 

Dasselbe  Motiv  wiederholentlich  auf  dem  unteren  Teil  des  Diptychons  des 
Probianus  (Daremberq  et  Saglio  Figur  2457)  und  sonst.  Dazu  sei  der  christl.  Sarko- 
phag im  Lateran  Nr.  174  ver- 
glichen; s.  Abb.  127;  der  Sarko- 
phag in  Perugia  (Röm.  Quartal- 
schrift XX  Tfl.  1:  Christus  thro- 
nend), sowie  vor  allem  der 
Sarkophag  des  Junius  Bas- 
sus  in  der  Unterkirche  des 
S.  Peter,  der  dem  Jahr  359 
n.  Chr.  angehört. :)  Der  über 
dem  Caelus  thronende  Christus 
befolgt  hier,  indem  er  das  Buch 
in  der  L.  erhoben  hält,  genau 
das  Motiv  des  Sulpicius  Maximus 
und  der  Figuren  des  erwähnten 
Diptychons.  Dabei  ist  er  rechts 
und  links  von  Petrus  und  Paulus  umgeben,  von  denen  man  indes  nur  die  Oberkörper 
sieht.  Es  ist  nun  vollkommen  verfehlt,  wenn  H.  Grisar  in  der  Röm.  Quartalschrift 
1896  S.  118  und  ebenso  De  Waal,  Der  Sarkophag  des  Junius  Bassus  (1900)  S.  59  f. 
sich  einreden,  Christus  überreiche  hier  dem  Petrus  die  Rolle.  Oben  S.  83  u.  99  haben 
wir  allerdings  Monumente  kennen  gelernt,  wo  der  Apostel  von  Christus  das  Buch 

wirklich  in  Empfang  nimmt;  da  handelte  es 
sich  aber  um  ein  geschlossenes,  und  die 
r.  Hand  war  die  gebende.  Das  ist  etwas 
ganz  anderes.  Ganz  anders  auch  die  Fälle, 
wo  Petrus  das  untere  Ende  des  herabhängen- 
den Rollenstreifens  in  seinem  Pallium  auf- 
fängt (s.  oben  S.  185).  Auf  dem  Bassus- 
sarkophag hat  Jesus  dagegen  das  Buchende 
nicht  fallen  lassen,  sondern  sorglich  wieder 
aufgenommen.  Er  ist  hier  lediglich  als 
Vortragender  und  Verkünder  des  Wortes 
vorgestellt,  und  Petrus  und  Paulus  assistie- 
ren nur.  Die  Buchmotive  sind  von  den 
Künstlern  nicht  umsonst  unterschieden  worden.  Es  gilt  auf  ihren  Sinn  zu  achten. 
Der  das  Buch  auffangende  Petrus  scheint  jünger.  Die  Bedeutung  des  Petrus  wächst 
eben  in  der  christlichen  Kunst.    Gehen  wir  weiter. 

Besonders  leicht  und  natürlich  nimmt  sich  dies  Motiv  aus  bei  ge- 
senkter Hand;  dies  gibt  uns  der  Apostelsarkophag  im  Lateran  ohne  Nummer, 
aufgestellt  unterhalb  der  Nr.  170;  s.  Abb.  128;  aber  schon  früher  kommt 
es  so  vor;  so  hängend  bei  gesenkter  Hand  hält  die  Amme  den  Brief  als 
Rolle  auf  dem  Phaedrasarkophag  der  Uffizien,  östl.  Korridor  Nr.  36,  so 
aber,  daß  dabei  Daumen  und  Zeigefinger  das  eine  Konvolut,  die  andern 


Abb.  1 


Abb.  129. 


1)  Anders  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder,  1902,  S.  88. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


191 


drei  Finger  das  zweite  umspannen;  vor  allem  die  gallischen  Sarkophage  in 
dem  Tafelwerk  Le  Blant's  zeigen  es  oft:  Tfl.  2,  3  (Christus);  4,  2  (Jünger 
neben  Christus);  7,  2  (zweimal);  auch  16,  1;  ständig  51,  2.  Vgl.  auch 
Garrucci  Tfl.  328  u.  sonst. 

Im  Codex  Arcerianus  der  Gromatiker  zu  Wolfenbüttel,  des  6.  Jahrh.,  ist 
das  Sitzbild  eines  Landmessers  oder  Mathematikers  erhalten;  unsre  Abb.  130; 
vgl.  0.  VON  HEINEMANN,  Katalog  der  Hss.,  2.  Abt.  Bd.  VI  (1898)  hinter  S.  124  und 
F.  Marx  im  Jahrb.  f.  cl. 
Philol.  Suppl.  Bd.  27  S.  196. 
Der  bärtige  Mann  sitzt  im 
Profil  nach  rechts,  schlägt 
das  r.  Bein  über  das  linke, 
um  darauf  weiter  seinen 
r.  Ellenbogen  aufzustützen 
(dies  Arrangement  ent- 
spricht z.  B.  dem  der 
Sängerin  in  dem  Konzert- 
bilde HELBIQ  Nr.  1462,  oben 
S.  143f.,  der  sinnend  sitzen- 
den Frau  aus  Pompeji, 
HELBIQ  Nr.  1885,  oder  der 
Musenstatue  der  Tuileries 
bei  Reinach,  Rep.  stat.  I 
167,  1),  während  die  Finger 
der  r.  Hand  sich  gespreizt 
erheben  zum  Ausdruck  des 
scharfen  Nachdenkens,  des 
Rechnens  und  Zahlenzäh- 
lens  (passend  hat  man  den 
Posidonius  des  Louvre, 
Reinach  1 166, 1  verglichen). 
Also  prüft  der  Gelehrte 
die  Rechenaufgaben,  die 
er  im  Buch  gefunden  hat, 
nach,  um  dann  weiter  zu 
lesen.  Es  ist  unterbrochene 
Lektüre.  Die  1.  Hand  hält 
die  Buchrolle  übrigens 
nicht  ohne  Anstrengung 
vorgestreckt;  die  Rolle  darf 
das  Gewand  nicht  berüh- 
ren. Die  schmalen  Konvolute  konvergieren;  das  Mittelblatt  hängt  nach  unten. 
Das    Bild    gibt   ohne   Frage    eine   erheblich    ältere   Vorlage  wieder.1) 

Der  Codex  Vaticanus  Palatinus  derselben  Gromatici  aus  dem  4.  (?)  Jahrh. 
bringt  ein  zweifiguriges  Bild  mit  dem  gleichen  Motiv:  rechts  sitzt  der  Kaiser  ohne 
Buch;  links  vor  ihm  sitzt  abgesondert  ein  älterer  und  vornehmer  Mann  und  hält 
Vortrag,  die  Rolle  in  der  L.  im  Schoß,  Motiv  VII.  Darüber  steht  von  späterer  Hand: 
Iudex  de  finibus  et  controversüs  refert  ex  supplicibus  libellis  de  quibus  consulendus 


Abb.  130:  Cod.  Arcerianus. 


1)  Auf  die  Frage,  wer  dargestellt  ist,  fehlt  eine  überzeugende  Antwort.  Unter 
anderen  ließe  sich  an  Pythagoras  denken,  den  eigentlichen  Rechenphilosophen,  der. 
man  sich  auch  im  Jenseits  ewig  Zahlen  rechnend  und  auf  die  Einheit  zurückführend 
vorstellte:  s.  Martianus  Capella  II  213:  caelestes  quosdam  numeros  replicabat;  über 
replicatio  ebenda  VII  757. 


192 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


est  imperator,  ut  iis  decidendis  eius  iussa  sequatur.  Siehe  Stephan  Beissel,  Vati- 
kanische Miniaturen  (1893)  Tfl.  II  A. 

Mit  dem  Bilde  des  Arcerianus  aber  ist  ein  christlicher  Sarkophag  im  Konser- 
vatorenpalast, der  sich,  ohne  Nummer,  eine  Treppe  hoch  im  freien  Hof  neben  dem 
Oktogon  befindet,  zu  vergleichen.  Auch  hier  ein  sitzender  bärtiger  Mann  im  Profil 
nach  rechts;  die  Behandlung  des  Buchmotivs  sehr  ähnlich;  die  R.  aber  streckt  der 
Mann  einer  Frau  entgegen,  die  vor  ihm  steht. 

Dazu  die  Parze  auf  dem  Haterierdenkmal  (oben  S.  69),  die  in  der  L.  das  weit 
offne  Schicksalsbuch  hoch  hält,  beide  Konvolute  zwischen  Zeigefinger  und  Daumen 
klemmend,  während  der  Zeigefinger  der  r.  Hand  auf  eben  dies  Buch  des  Schick- 
sals hinweist.  Die  Parze  hat  nicht  in  dem  Buch  studiert.  Darum  steht  sie.  Das 
Bild  ist  dramatisch  belebt. 

Das  Motiv  war  für  den  Marmorarbeiter  nun  aber  besonders  bequem 
auszuführen,  wenn  die  1.  Hand  im  Schöße  des  Sitzenden  lag;  so  begegnet 
es  Vatikan  Gal.  dei  Candelabri  Nr.  20,  Knabensarkophag,  Mittelbild  -  das 
Mittelblatt  bauscht  hier  nach  oben  -  sowie  auf  dem  Sarkophagfragment 
Vatikan  Giard.  d.  Pigna  Nr.  185  (Amelung  Tfl.  110);  auch  auf  unsrer  Abb.  4L 

Nicht  minder  bequem  verwendbar  war  es  endlich  bei  Liegefiguren,  mit 
aufgestütztem  1.  Ellenbogen,  also  auf  Sarkophagdeckeln.  Die  betr.  Figuren 
lassen  alsdann  die  1.  Hand  mit  der  Rolle  auf  dem  Rande  des  Deckels, 
d.  i.  auf  dem  lectus,  oder  auf  einem  Kissen  aufliegen: 

Vatikan,  Gall.  dei  Candelabri,  Die  Deckelfigur  des  Knabensarkophags. 

Athen,  Mus.  Sarkophag  Nr.  1498,  von  außergewöhnlicher  Größe:  Mann  und 
Frau  gelagert;  der  Mann  zeigt  das  Motiv.  Der  Rollenschnitt  des  einen  Konvoluts 
ist  unkenntlich,  der  des  anderen  dagegen  ausgearbeitet;  man  erkennt  5  V,  Win- 
dungen.   In  der  Mitte  derselben  ein  Hohlraum  angedeutet. 

Ebenda,  Sarkophag  Nr.  1497  von  gleicher  Größe.  Gelagerte  männliche  Figur; 
ebenso.    Der  Rollenschnitt  beider  Konvolute  ist  unausgearbeitet. 

Rom,  Konservatorenpalast  Oktogon  Nr.  1  (Helbiq,  Führer  Nr.  578;  Baumeister, 
Denkmäler  Nr.  992;  Bullettino  communale  di  Roma  I  S.  186  f.;  Robert,  Sarkophag- 
reliefs III  Tfl.  75  Nr.  221);  Meleagersarkophag.  Die  Deckelfiguren,  ein  Ehepaar, 
sind  unausgearbeitet  geblieben;  der  Mann  hält  das  Buch.  Der  Rollenschnitt  des 
einen  Konvoluts  ist  sorglich  ausgearbeitet,  in  etwa  drei  Windungen;  der  des  anderen 
dagegen  nicht. 

Robert,  ebenda  Bd.  III  Tfl.  Nr.  126  (Pal.  Torlonia). 

Ebenda  Tfl.  36  Nr.  126. 

Ebenda  Bd.  II  Tfl.  8  Nr.  21. 

Reinach,  Repert.  I  S.  447,  2:  Coli.  Pamphili. 

Dazu  der  Urnendeckel  im  Vatikan,  Giard.  d.  Pigna  Nr.  121  (AMELUNG  Tfl.  103). 
Der  Mittelfinger  ist  hier  zwischen  die  Konvolute  gesteckt.    3.  Jahrh. 

Besonders  sei  das  eingemauerte  Relief  in  der  Galerie  des  Kapitolinischen 
Museums  ohne  Nummer  (über  Nr.  3)  erwähnt. ')  Hier  liegt  ein  Jüngling  auf  dem 
Lager;  links  vor  ihm  steht  ein  Sklave  mit  Rechenbrett,  rechts  vor  ihm  sitzt  eine 
Frau  (die  Mutter).  Der  Jüngling  hält  auch  hier  in  der  aufliegenden  L.  die  offne 
Rolle  mit  zwei  Rollungen,  dies  aber  so,  daß  das  Mittelblatt  nach  unten  hängt  und 
dabei  der  Daumen  oberhalb  beider  Rollungen,  drei  Fingerspitzen  unterhalb  der 
ganzen  hängenden  Blattmasse  sichtbar  werden.  Die  Rolle  ist  also  sehr  winzig,  da 
die  Finger  einer  Hand  sie  in  dieser  Weise  umfassen  können.  „Scheint  nicht  er- 
gänzt; wenn  z.  T.  ergänzt,  jedenfalls  richtig  nach  erhaltenen  Spuren"  (Amelung).-) 

1)  Siehe  W.  Altmann,  Die  römischen  Grabaltäre  (1905)  S.  204. 

2)  Der  Mann  auf  der  Kline  hält  in  der  R.  einen  Geldbeutel,  der  Sklave  ein 
Zahlbrett  mit  Geld;  „die  Summe  hätte  man  wohl  auf  der  Rolle  verzeichnet  zu  denken; 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


193 


Abb.  131. 


Das  Aufliegen  der  Hand  erleichterte  dem  Plastiker   seine  Aufgabe. 

Fehlte  es,  so  stellte  das  Motiv  VII  Anforderungen,  denen  der  geringere 

Handwerker  nicht  gewachsen  war.    In  manchen  Arbeiten  späterer 

Zeit  hat  er  sich  denn  auch  nicht  die  Mühe  gegeben,  uns  klar  zu 

machen,  wie  und  auf  welche  Weise  es  der  Hand  gelingt,  die 

Rolle  in  ihren  beiden  Teilen  wirklich  festzuhalten. 

Solche  Fälle  sind  die  Rollendarstellungen  im  Motiv  VII  auf  den 
christl.  Sarkophagen  des  Lateran  Nr.  116  und  138  (auch  die  Sarkophage 
26  und  108  dortselbst  bieten  ähnlichen  Anstoß); 
insbesondere  aber  Nr.  106,  unsre  Abb.  131. 
Noch  andere  Variationen  liegen  mir  vor,  die 
ich  hier  nicht  vorführen  kann.  Mit  Abb.  131  ist  ein 
Sarkophag  in  der  Peterskirche,  unter  dem  Altar  der 
Capeila  della  Colonna,  zu  vergleichen,  auf  dem  Christus 
mit  den  Aposteln  erscheint;  auf  ihm  sieht  man  einmal 
das  Buchmotiv  I  vertreten,  einmal  die  Rolle  ähnlich 
aus  der  Hand  hängend  wie  auf  der  soeben  angeführten 
Nr.  106  des  Lateran. 

Auch  auf  der  Elfenbeinbüchse  in  Berlin  (oben 
S.  77  u.  129)  hat  sich  der  Schnitzer  begnügt  das  Halten 
der  Rolle  nur  anzudeuten.  Sowohl  der  thronende  Christus 
in  der  Mitte  wie  auch  unter  den  Jüngern  die  fünfte 
Figur  von  links  und  die  dritte  Figur  von  rechts  sind 
sich  hier  in  ihrem  Verfahren  einig.  Die  Rolle  wird 
horizontal  gehalten  und  ist  in  zwei  Konvolute  aufgelöst. 
Das  untere  Konvolut  liegt  allein  auf  der  offnen  1.  Hand; 
das  obere  Hegt  auf  dem  unteren  auf  und  hält  sich  selber. 

Ähnlich  ist  das  Motiv  VII  schon  auf  den  kon- 
stantinischen Reliefs  des  Constantinbogens  zu  finden: 
Congiarium,  Eckrelief  links. 

Besser  gelang  die  Lösung  der  Aufgabe  als- 
dann, wenn  es  sich  nicht  um  zwei,  sondern  um 

ein   Konvolut    handelte,   von   dem   ein  Teil   der  Blatt- 
fläche abgerollt  ist,  und  dies  ist  die  letzte  Variation  des 
Schemas,  die  ich  zu  besprechen  habe.  Die  Belege  stammen 
wieder  vornehmlich  aus  dem  christl.  Museum  des  Lateran: 
Auf  Nr.  152  erscheint  dort  Moses  mit  dem  Buche;  das  Kon- 
volut des  noch  nicht  gelesenen  Buchteils  ruht  in  der  Hand;  davon 
hängt  die  abgerollte  Blattmasse  herab  und  ihr  Ende  wird  hinten 
wieder  in  die  Hand  emporgenommen,  aber  ohne  Rollung;  s.  Abb.  132. 
Eben  dieselbe  Darstellung  dann  auch  anderswo,  z.  B.  auf  dem 
Sarkophag  des  Louvre,  abgebildet  und  besprochen  in  der  Arch. 
Zeitung  Bd.  43  S.  209  Tfl.  14,  1:  ein  auf  dem  Thron  sitzender 
Knabe,  der  mit  der  R.  doziert. 
Von  selbst  erklärt  sich  dies  Motiv  weiter  auf  dem  Lateranischen  Sarkophag 
Nr.  135,  unsrer  Abb.  133,  und  auf  den  Reliefs  ohne  Nummer  daselbst:  unterhalb 
Nr.  170  (unsre  Abb.  129)  sowie  gleich  im  Eingang  des  Treppenhauses.    Auch  auf 
unsrer  Abb.  111  u.  134  ist  es  zu  sehen. 

der  Verstorbene  wird  Kaufmann  oder  Bankier  gewesen  sein.  Das  Relief  stammt 
aus  früh-trajanischer  Zeit,  trotzdem  die  Frisur  der  Frau  noch  der  flavischen  Mode 
entspricht"  (AMELUNG).    Ein  Argentarius  mit  Rolle  und  Rechenbrett  auch  oben  S.  66. 


Abb.  132. 


Abb.  133. 


Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


13 


194 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Dazu  kommt  der  heidnische  Säulensarkophag  aus  Selefkieh  im  Mus.  zu  Kon- 
stantinopel, bei  J.  STRZYGOWSKI,  Orient  und  Rom  S.  47  Fig.  14:  in  der  Mitte  der 
Vorderseite  Sitzbild  des  Verstorbenen  ohne  Kopf;  seine  r.  Hand  liegt  am  Stuhlrand. 

Mit  diesem  Sarkophag  stimmt  ein  zweiter  und  besser  erhaltener  im  selben 
ottomanischen  Museum  (s.  Diez  u.  Quitt,  Ursprung  und  Sieg  der  byzantinischen 
Kunst  S.  XIII)  wie  eine  Dublette  in  wesentlichen  Punkten  überein.  Beide  liegen 
mir  in  trefflichen  Photographien  vor,  deren  Kenntnis  ich  meinem  jungen  Freunde 
C.  Kappus  verdanke.  Auch  auf  dem  prächtigen  zweiten  Sarkophag,  den  ich  nicht 
übergehen  darf,  thront  als  Mittelfigur  der  Gestorbene,  ein  Philosoph  mit  dem  Buch, 
im  edlen  Typus  des  bärtigen  Dionys,  zwischen  zwei  allegorischen  Frauen,  etwa 
„Lust"  und  „Tugend".  Er  sitzt  von  der  „Lust"  abgekehrt  im  Profil,  stemmt  die  R. 
auf  den  Stuhl  und  hält  das  Buch  anscheinend  im  Motiv  VII.    Aber  sein  Blick  ist 

gesenkt;  er  liest.  Was  er  liest,  könnte  etwa 
Xenophon's  Erzählung  von  Herakles  am  Scheide- 
wege sein.  Daß  er  aber  liest,  widerspricht 
dem  Motiv  VII,  das  dem  Lesenden  nicht  zu- 
kommt. Die  Photographie  läßt  nicht  erkennen, 
ob  und  wie  die  Blattmasse  hinten  wieder 
emporgenommen  ist. 

Und  so  führen  uns  diese  Bilder  end- 
lich zu  dem  zurück,  was  ich  bei  Be- 
sprechung des  Motivs  II  ausgeführt  habe 
(s.  S.  100).  Das  Buchmotiv  II  näherte  die 
Hände  einander  in  zweckmäßiger  Weise 
und  gab  dadurch  der  ganzen  Figur  Ge- 
schlossenheit. Im  übrigen  legen  stehende 
Figuren  in  Ruhe  wohl  auch  die  Hände  vor 
dem  Unterkörper  ineinander,  aber  ohne 
Buch:  dies  Zusammenlegen  der  Hände  war 
indes,  wie  wir  sahen,  vornehmlich  bei 
Kriegsgefangenen  und  Gefesselten  üblich, 
dann  aber  wurde  es  auch  auf  einen  Philo- 
sophen wie  Aristoteles  übertragen  und 
drückte  hier  die  Sammlung  und  das 
geistige  Gefesseltsein  aus. 

Von  diesem  Aristoteles  aus,  der  nach 
Christodor's  Worten  icTä|uevoc  xe*Pe  TrepnTAeYönv  cuveepYaGev,  erklären  sich 
nun  die  zwei  stehenden  Relieffiguren,  die  ich  beide  in  der  Basilica  der 
Petronilla  in  den  Domitillakatakomben  eingemauert  fand. 

Zu  dem  ersten  Stück  habe  ich  mir  notiert:  ,,an  der  Wand  rechts  vom  Eingang"; 
zu  dem  zweiten:  „eingemauert  in  der  nördlichen  Wand":  s.  Abb.  134  u.  135.  Hier 
hält  beidemal  die  L.  das  Buch  vor  dem  Unterkörper,  die  r.  Hand  aber  legt  sich  fried- 
lich gesellig  auf  die  L.,  um  so,  da  die  Lektüre  eben  unterbrochen  ist,  dasselbe  ge- 
sammelte Nachdenken  auszudrücken,  das  der  Aristotelesgestalt  eignete.  Dabei  wird 
das  einzige  Konvolut  in  der  einen  Darstellung  von  der  L.  horizontal  gehalten,  in 
der  anderen  dagegen  senkrecht.  In  letzterem  Reliefstück  ist  an  der  Rolle  vorne 
etwas  abgebrochen,  und  es  bleibt  unklar,  ob  diese  Rolle  zwei  Konvolute  oder  nur 
eines  hat. 


Abb.  134. 


E.  Unterbrechung  der  Lektüre:  Motiv  VII. 


195 


Hier  sei  eingeschaltet,  daß  das  Aufeinanderlegen  der  Hände  oder  doch 
der  Handwurzeln  gelegentlich  auch  beim  Motiv  I  vorkommt:  dies  finde  ich 
auf  dem  Sarkophag  von  Perugia,  Rom.  Quartalschrift  XX  Tfl.  I  (bärtiger  Jünger 
rechts  vom  thronenden  Christus),  sowie  bei  Le  Blant  Tfl.  34  (oben  S.  98  f.). 

Wer  zurückblickt,  wird  bemerken,  daß  das  Motiv  VII  wesentlich  nur 
der  Flächenkunst  der  Malerei  und  des  Reliefs  eignet;  bei  Statuen  scheint 
es  ganz  selten;  der  Posidipp  des  Vatikan,  von  dem  ich  ausging,  war 
ein  Sitzbild;  der  Stesichoros  ein  Standbild.  Auch  sonst  sind  solche  Stand- 
bilder vereinzelt  vorhanden.  Im  Giardino  di  Castello  zu  Florenz  befindet 
sich  eine  Togastatue,  von  der  Dütschke  II  Nr.  98  sagt:  „in  der  L.  ein 
halb  aufgerolltes  Volumen;  rechts  am  Boden  ein  rundes  Scrinium".  Diese 
Statue  werden  wir  hierherzurechnen  haben. 

Im  großen  und  ganzen  genügen  zur 
Feststellung  dieser  Details  die  vorhandenen  i 
Beschreibungen    nicht.     Doch    sei  noch 
einiges  zitiert: 

Rom,  Pal.  Altieri:  Statuette,  Sitzbild  eines 
Römers,  Matz-Duhn  1320:  „auf  einem  Stuhl 
...  mit  Rückenlehne  sitzend  ...  In  der  1.  Hand 
hält  er  eine  halbgelesene  Rolle."  Zeit  der  Anto- 
nine. Auf  der  Basis  steht  der  Name:  M.  Mettius 
Epaphroditus  grammaticus  graecus. 

Rom,  Villa  Massimi:  Sitzbild  einer  Frau, 
Matz-Duhn  1402:  „auf  einem  .  .  .  Sessel  ohne 
Lehnen  sitzend  .  .  .  Mit  der  1.  Hand  hält  sie 
auf  dem  Schöße  eine  halbentfaltete  Schriftrolle." 
Kopf  modern. 

Rom,  SS.    quattro  Coronati;  Sarkophag- 
fragment, Matz-Duhn  2583:  eine  Frau  en  face 
.  .  .  in  Stola  und  Palla,  in  welch  letzterer  der 
r.  Arm  ruht  .  .  .;  in  der  L.  eine  halbgeöffnet  zusammengeschlagene  Rolle."  Auf 
dem  Schoß?  4.  Jahrh. 

Rom,  S.  Paolo  f.  1.  m.:  geriefelter  Sarkophag,  Matz-Duhn  2616:  unter  dem 
Clipeus:  „auf  einem  Stuhle  sitzt  nach  rechts  ein  Mann,  eine  Rolle  entfaltend."  Ihm 
gegenüber  Polyhymnia.  Auf  einem  Pfeiler  ein  Rollenbündel.  [Gehört  wohl  zur 
Darstellung  der  Lesenden?] 

Rom,  Pal.  Corsini,  großer  Sarkophag,  Matz-Duhn  3113:  auf  der  r.  Vorderseite 
sitzt  ein  unbärtiger  Mann  im  Profil  nach  links,  „die  R.  erhebend,  in  der  L.  eine 
aufgeschlagen  zusammengefaßte  Rolle".    Etwa  wie  der  Geometer  des  Arcerianus? 

Rom,  Via  Mario  de'  Fiori,  Matz-Duhn  3115:  auf  der  1.  Vorderseite  sitzt  eine 
Frau  nach  rechts,  „die  r.  Hand  an  den  Gürtel  legend,  in  der  L.  eine  halbentfaltete 
Rolle  haltend". 

Rom,  Basilica  di  S.  Petronilla,  ebenda  3129:  ein  Knabe,  sitzend,  „in  der  L.  auf 
dem  Schöße  eine  geöffnete  und  zusammengeschlagene  Rolle,  die  R.  erhoben". 

Florenz,  Uffizien,  Sarkophag  mit  Familienszenen  u.  a.,  Dütschke  III  62;  neben 
einer  Muse  und  einem  Globus  erscheint  eine  Frauengestalt:  „in  der  L.  hält  sie  ein 
halb  aufgerolltes  Volumen  und  berührt  mit  der  R.  den  Globus." 

British  Museum,  Fragment  eines  Sarkophagreliefs,  Nr.  2312  Smith:  „eine 
bärtige  Figur  .  .  .  sitzt  nach  rechts  ...  Er  hat  in  seiner  L.  eine  teilweise  aufgerollte 
Rolle  und  macht  mit  der  R.  den  Gestus,  als  ob  er  rezitiere." 

13* 


196 


II.  Die  geöffnete  Rolle  und  das  Lesen. 


Als  unecht  notiere  ich: 

Sitzbild  eines  Mannes,  Vatikan,  Gal.  dei  Candelabri  Nr.  92:  er  hält  eine  offne 
Rolle  in  der  L.  Aber  die  Rolle  sieht  aus  wie  ein  offnes  Blatt.  Der  1.  Arm  ist 
ergänzt. 

Sitzbild  des  Plato:  Original  verschollen;  Abbildung  nach  Kopie  oder  Abguß, 
nicht  nach  dem  Original,  gab  Em.  Braun,  Monum.  III  Tfl.  7  (danach  Baumeister, 
Denkmäler  Nr.  1490);  dazu  Annali  XI  S.  207  f.  Statt  eines  Buches  hält  dieser  Plato 
wiederum  nur  ein  Blatt.    Dies  ist  so  verdächtig  wie  das  vorige. 

Relief  im  Hof  des  Konservatorenpalastes,  an  der  r.  Wand:  der  Kaiser  steht 
auf  dem  Suggest  und  hält  dabei  eine  geöffnete  Rolle  in  der  L.  Der  Vorderarm 
aber  ist  unecht,  die  Rolle  hat  falsche  Form. 

Sarkophagrelief  ohne  Nummer  im  Vatikan,  Gabin.  delle  Maschere  (über  Nr.  441): 
eine  dreifigurige  Gruppe:  Muse(?),  leierspielender  Herakles  und  sein  Lehrer  Linos: 
der  letztere  sitzt  und  hat  eine  halb  offne  Rolle  in  der  L.  Aber  die  1.  Hand  ist  er- 
gänzt, die  Form  des  Buches  auffällig;  „modern"  (Amelunq). 


III.  Das  Schreiben. 


Wie  man  beim  Lesen  mit  dem  Rollenbuch  umging,  ist  hinlänglich  ver- 
anschaulicht, und  es  hätte  dazu  so  vieler  Beispiele  vielleicht  nicht  bedurft. 
Viel  mehr  wäre  uns  daran  gelegen,  zu  erfahren,  wie  man  auf  Papyrus 
schrieb,  in  welcher  Weise  der  Text  in  die  Papyrusrollen  eingetragen  wurde. 

Buchhändlerische  Unternehmer,  wie  Atticus,  hatten,  wie  wir  wissen, 
den  Verlag  für  die  literarischen  Werke  inne  und  ließen  die  Vervielfältigung 
der  Exemplare  fabrikmäßig  ausführen.  Gewiß  mußten  sehr  viele  Schreiber 
gleichzeitig  nach  Diktat  tätig  sein,  um  eine  Edition  in  einer  Auflage  von 
nur  etwa  500  Exemplaren  herzustellen.1)  Wir  müssen  von  vornherein  ver- 
zichten, dies  auf  Monumenten  dargestellt  zu  finden.  Ägyptische  Reliefs 
zeigten  uns  Schreiber,  die  gleichzeitig,  augenscheinlich  nach  Diktat,  schreiben; 
die  griechisch-römische  Kunst  kennt  nichts  ähnliches. 

Auch  war  es  individueller  und  kunstgemäßer,  lieber  den  Einzelmenschen 
für  sich  schreibend  vorzuführen.  Es  frägt  sich  nur,  inwieweit  man  als  vor- 
nehmer Mensch  sich  mit  Buchschrift  auf  Papyrus  wirklich  befaßte.  Man 
sollte  meinen,  daß  es  nicht  nur  beim  Brief  schreiben 2),  sondern  doch  auch 
sonst  geschah.  Ich  denke  dabei  in  erster  Linie  an  die  Autoren  selber. 
Denn  oft  genug  wird  doch  ein  Autor  seine  Brouillons,  die  sich  auf  Wachs 
oder  in  Membranheften  befanden,  eigenhändig  ins  Reine  geschrieben  haben3), 


1)  Vgl.  hierzu  K.  DziATZKO,  Zwei  Beiträge  zur  Kenntnis  des  antiken  Buch- 
wesens 1892  S.  13  Note.  Schon  der  Philosoph  Zeno  beschäftigte  gleichzeitig  viele 
Schreiber,  die  ihm  Antigonos  zur  Verfügung  stellte:  Diog.  La.  VII  36.  Im  Esdra  IV 
(=  II)  14,  14  lesen  wir:  scripti  sunt  autem  per  quadraginta  dies  libri  ducenti 
quattuor,  und  zwar  auf  Charta  (ibid.  15,  2). 

2)  Über  das  Briefschreiben,  Briefvervielfältigung  u.  a.  s.  H.  Peter,  Der  Brief 
in  der  röm.  Literatur,  1901;  dazu  L.  GURLITT  in  Burs.  JB.  109  S.  2  ff. 

3)  Das  sind  die  üiro|uvrmaTa  fiirep  &v<rrpd<pouav  £auxo!c  ol  ävöpanroi,  nach  Galen 
XVII  p.  936  K.;  derselbe  ib.  p.  1001  redet  von  einem  ßißXiov  (also  Papyrusrolle),  das 
nicht  cÜYTPc^^oi  ist  upöc  eK&oav  yetovoc,  sondern  nur  üitoTuirwcac  öiroiac  ^au-roic 
eiuüGafiev  TTOie"ic6at.  Vgl.  auch  Plin.  ep.  IX,  1,  Persius  3,  11  u.  Tacitus  Ann.  I  11.  Der 
Pastor  Hermae  schreibt  natürlich  sein  ßißÄiov  eigenhändig,  und  zwar  nicht  nach 
Silben,  sondern  nach  Buchstaben,  Vis.  II  1;  ja,  er  fertigt  es  sogar  selbst  in  zwei 
Exemplaren  an,  Vis.  II  4.  Plotin  schrieb  alles  gleich  fertig  hin,  wie  in  Reinschrift; 
so  sehr  hatte  er  alles  vorher  durchdacht:  Porphyr,  vita  Plotini  8. 


198 


III.  Das  Schreiben. 


wennschon  ein  vielbeschäftigter  Mann  sich  dazu  einen  Sklaven  hielt.1)  Be- 
denklicher steht  es  dagegen  schon  mit  dem  Kopieren  vorhandener  Literatur- 
werke. Denn  es  ist  zwar  sicher,  daß  die  Privatabschrift,  die  den  Buchhandel  um- 
ging, zur  Verbreitung  beliebter  Bücher  gewaltig  mitwirkte,  und  wir  lesen  z.  B., 
daß  in  älterer  Zeit  Euklid  selbst  ein  sokratisches  Gespräch  in  ein  Biblion  ein- 
trägt (PlatoTheät.  143  B);  in  späterer  Zeit  schrieb  M.  Aurel  Fronto's  Reden  mit 
eigner  Hand  ab  und  Kaiser  Theodosius  hieß  geradezu  der  „Bibliographos".2) 
Aber  die  letzteren  Fälle  galten  als  merkwürdige  und  paradoxe  Erschei- 
nungen, und  wer  die  Kopie  nicht  durch  seinen  Diener  anfertigen  ließ,  wird 
schwerlich  Anlaß  genommen  haben,  sich  selbst  in  solcher  mühseligen  Tätig- 
keit plastisch  darstellen  zu  lassen.  Während  bei  den  alten  Ägyptern  das 
Schreiben  auf  der  Charta  das  Merkmal  des  Vornehmen  oder  doch  dessen 
war,  der  sich  zu  der  höchsten  Beamtenlaufbahn  als  befähigt  erweist,  war 
dasselbe  bei  den  Griechen  und  Römern  vielmehr  zur  Sache  der  Diener- 
schaft und  des  Handwerks  herabgesunken.  Der  Vornehme  erwähnt  als 
Schreibzeug  wohl  den  stilus,  nicht  den  calamiis;  d.  h.  nur  die  Entwürfe 
schreibt  er  eigenhändig.11)  Der  calamus  heißt  genauer  calamus  charta- 
rius  (Apul.  Flor.  p.  12  Krüger).  Dies  ist  der  Hauptgrund,  weshalb  uns 
die  griechisch-römische  Kunst  den  Buchschreiber  so  selten,  die  ägyptische 
ihn  so  oft  vorführt.  Nichts  ist  dafür  aufklärender,  als  daß  es  Cornificius 
(ad  Her.  IV  6)  als  Beispiel  unrühmlicher  Mühe  und  als  unwirkliche  Möglich- 
keit hinstellt,  si  vestra  manu  fabulas  aut  orationes  totas  transcripsis- 
setis.    Nicht  einmal  von  seinen  Briefen  macht  Cicero  selbst  Kopien.1) 

Dies  war  also  die  Anschauungsweise  der  Vornehmen.  Leute  in  klei- 
neren Verhältnissen  waren  dagegen  in  Wirklichkeit  auf  die  eigenhändige 
Kopie  von  Texten  angewiesen,  und  die  meisten  der  erhaltenen  Papyrus- 
bücher sind  aus  solchen  Kreisen  hervorgegangen.  Wenden  wir  uns 
ihnen  zu. 

Für  solches  Schreiben  auf  Papyrus  waren  drei  Möglichkeiten:  entweder 
man  nahm  einzelne  und   noch   nicht  zusammengeklebte  Blätter  (ceXibec), 

1)  Galen  braucht  einen  solchen  librarius  zur  Reinschrift;  s.  XVII  p.  196.  Dies 
ist  der  ttpujtoc  ypotcpeüc  ib.  p.  706.  Als  Vorlage  aber  diente  diesem  schon  ein  Text 
in  Buchrollenform;  s.  ebenda  p.  80:  ö  ttpujtoc  |ueTc<Yp«cpuuv  tö  ßißAiov.  Es  ist  also 
eine  Schrift  in  Rollenform,  ein  ßißAiov,  das  der  ttpujtoc  uctüypokpujv  kopiert. 

2)  Vgl.  übrigens  Buchwesen  S.  282  f. 

3)  Ich  zitiere  Plinius  epist.  8,  9:  olim  non  libruni  in  manus,  non  stilum  sumpsi. 
Mit  dem  stilus  wird  nicht  im  Uber  geschrieben.  Das  librum  sumere  geht  hier  also 
lediglich  auf  das  Lesen  und  Studieren  im  Buch,  das  stilum  sumere  auf  das  Schrei- 
ben und  Entwerfen  auf  Wachs.  Cicero  erwähnt  den  calamus  nur  im  Dienst  des 
Briefschreibens,  und  wenn  Demosthenes  in  seiner  Todesstunde  zu  ßiß/uov  und  KÜXauoc 
greift  und  dies  als  seine  Gewohnheit  bezeichnet  wird  (ujerrep  ev  tuj  öiavoeicGai  Kai 
Ypdcpeiv  elw0ei,  Plut.  Dem.  29),  so  ist  doch  mit  ßißXiov  wiederum  nur  ein  Brief  ge- 
meint, wie  Plut.  Dem.  30  ergibt. 

4)  Cic.  ad  div.  VII  18,  2:  quis  solet  eodem  exemplo  pluris  dare  qui  sua  manu 
scribit? 


Reinschriften  und  Abschriften. 


199 


füllte  jedes  mit  Schrift  und  klebte  sie  dann  als  Buchseiten  aneinander; 
oder  man  kaufte  sich  einen  scapus,  d.  i.  eine  kleine  unbeschriebene  Papyrus- 
rolle, wie  sie  die  Fabriken  gleichfalls  im  Umfang  von  höchstens  20  Blättern 
fertig  lieferten,  füllte  sie  mit  Schrift,  und,  kam  man  damit  nicht  aus,  so 
klebte  man  hernach  zwei  oder  drei  scapi  aneinander;  oder  endlich  man 
stellte  sich  gleich  anfangs  aus  mehreren  noch  unbeschriebenen  scapi  eine 
Rolle  zu  etwa  100  Selides  her,  dem  Buchumfang  entsprechend,  den  der 
Text  erforderte,  und  trug  diesen  erst  dann  in  das  große  Rouleau  ein.1) 
Die  letzteren  beiden  Fälle  werden  sich  in  den  Abbildungen  der  Denkmäler 
schwer  unterscheiden  lassen.  Auf  alle  Fälle  könnten  wir  für  die  Herstellung 
von  Reinschriften  auf  Einzelblättern  oder  auf  Blattmassen  Illustrationen  in 
der  Kunst  erwarten  und  fordern. 

Es  handelt  sich  im  folgenden  also  ausschließlich  um  einzelne  Per- 
sonen, die  die  Niederschrift  eines  Textes  besorgen.  Die  Beispiele  sind 
außerordentlich  selten,  und  es  sind  augenscheinlich  nicht  Kopien,  es  sind 
erste  Reinschriften  von  Originaltexten,  deren  Ausführung  da  dargestellt 
wird:  zumal,  wo  die  Parze  oder  die  Muse  schreibt.  Ein  Schreibtisch  ist 
unbekannt.  Der  alte  Ägypter  legte  die  Beschreibfläche  oft  auf  seine  Knie 
(oben  S.  17),  ebenso  noch  der  moderne  Orientale,  ebenso  der  Grieche  und 
Römer;  doch  legte  er  die  Charta  auch  auf  seine  Hand,  und  auch  dies  wird 
noch  heute  im  Orient  beobachtet.2) 

Hätte  sich  doch  die  alte  Kunst,  zum  mindesten  die  kampanische  Malerei 
an  so  flotte  und  kecke  Entwürfe  gemacht,  wie  wir  es  bei  den  Japanern 
sehen!  Malerinnen  gibt  uns  ja  Pompeji,  in  der  L.  die  Palette,  in  der  R.  den 
Pinsel  (Helbig,  Wandgem.  1443  f.).  Warum  fehlt  das,  was  wir  suchen? 
Auch  der  Japaner  schreibt  auf  der  Rolle;  sein  Papier  ist,  den  ägyptischen 
Papyri  ganz  entsprechend,  eine  rollbare  schmale  Fahne  von  beliebiger  Länge; 
aber  dies  japanische  Papier  reißt  nicht  so  leicht,  und  der  Schreiber  kann 
wirklich  in  die  fertige  leere  Rolle,  die  er  weit  um  sich  breitet,  die  Schrift 
eintragen.  Dies  vergegenwärtigt  uns  wunderhübsch  der  japanische  Farben- 
holzschnitt des  Malers  Utamaro  (er  lebte  1754—1806):  eine  Kurtisane  mit 
Zofe;  erstere  schreibt  sitzend  einen  Liebesbrief;  s.  unsre  Abb.  136. 3)  Daß 
uns  das  Altertum  derartiges  nirgends  gibt,  kann  und  muß  auf  die  Gründe, 
die  ich  geltend  machte,  zurückgeführt  werden;  aber  es  ist  wohl  auch  für 
.die  Beschaffenheit  der  Papyrusrolle  selbst  bezeichnend. 

Die  griechische  Kunst  zeigt  uns  wohl  das  Eingravieren  von  Inschriften; 
so  gibt  uns  Herculaneum  das  bekannte  Schauspielerbild  mit  Dedikation 

1)  Dies  ist  das  volumen  implere  bei  Tertullian  De  idol.  13. 

2)  Vgl.  Hamilton,  Reisen  in  Kleinasien,  Deutsche  Ausgabe  II  S.  200,  wo  von 
einem  türkischen  Bureausekretär  die  Rede  ist. 

3)  Vgl.  Die  Kunst,  Sammlung  illustrierter  Monographien,  herausgeg.  von 
R.  Muther  Bd.  13:  „Der  japanische  Farbenholzschnitt"  von  Fr.  Perzynski,  Beiblatt 
zu  S.  64. 


200 


III.  Das  Schreiben. 


einer  tragischen  Maske  (Neapel,  Mus.  naz.  XXXIII  Nr.  9019;  Helbig  Nr.  1460; 
Pitture  d'  E.  IV  41;  Mus.  Borbon.  Bd.  I  Nr.  1):  eine  junge  Frau  schreibt  hier 
kniend   auf  das  Fußgestell  der  Maske  eine  Widmungsinschrift;  also  wohl 

auf  Stein.  Die  schrei- 
bende Frau  wird  sicht- 
lich bevorzugt;  denn 
außerdem  ist  es  die 
Göttin  Nike,  die  In- 
schriften liefert:  man 
denke  nur  an  die 
Victoria  von  Brescia. 
Aber  auch  sonst  be- 
gegnet die  Nike  in 
derselben  Funktion; 
so  auf  derTrajans-und 
Marcussäule;  s.  auch 
die  Gemmen  bei  Rei- 
nach, Pierres  gravees 
Tfl.76Nr.72u.  Tfl.  96 
Nr.  117  und  bei  Furt- 
wängler,  Antike  Gem- 
men 27,  62  u.  63,  30; 
sowie  die  Sarkophag- 
reliefs z.  B.  in  Pisa, 
bei  Dütschke  I  93,  in 
Rom  bei  Matz-Duhn 
3395  usf.1) 

So  wenig  wie 
diese  Gravierungen 
kümmert  uns  hier  das 
Schreiben  im  Dipty- 
chon. Dies  Schrei- 
ben im  Diptychon  hat 
häufiger  zur  Darstel- 
lung eingeladen;  denn  es  war,  wie  gesagt,  Sache  auch  des  Vornehmen.  Auch  _ 
ließ  sich  eine  in  vorspringendem  Rahmen  eingefaßte  Tafel  unschwer  plastisch 
nachbilden;  sie  ließ  sich  ferner  bei  ihrer  geringen  Größe  bequem  in  die 
Handfläche  einfügen.  Die  archaischen  Schreiberstatuen  des  Akropolis- 
museums  in  Athen  scheinen  auf  Tafeln  schreibend  gedacht.2)     Auf  dem 


Abb.  136:  Holzschnill  des  Utamaro. 


1)  Vgl.  Furtwängler ,  Meisterwerke  S.  631  u.  637;  Bulle  bei  Roscher,  Myth. 
Lex.,  Nike  S.  357;    Studniczka,  Die  Siegesgöttin  Tfl.  12  Fig.  58  f. 

2)  An  einer  ist  die  Tafel  erhalten:  s.  FURTWÄNGLER  in  Athenischen  Mitteil.  VI 


Inschriften.    Schreiben  im  Diptychon. 


201 


Fries  des  Erechtheions  kam,  wie  uns  die  Inschrift  C.  I.  A.  I  34  angibt,  auch 
ein  schreibender  Jüngling  vor;  daß  dieser  auf  einer  Rolle  schrieb,  ist  sehr 
zu  bezweifeln.  Auf  einer  Tafel  schreibt  auch  Athena  (auf  dem  Gefäß  Mon. 
d.  Inst.  I  Tfl.  26,  6;  dazu  Baumeister,  Denkm.  Nr.  1642);  ebenso  die  junge 
Frau  unter  den  Terrakotten  im  Athenischen  Museum  Schrank  122  Nr.  5010; 
ebenso  die  bei  Furtwänqler,  Sammlung  Sabouroff  II  Tfl.  86 l);  ebenso  der 
Orakel  nachschreibende  Jüngling  auf  einer  attischen  Schale,  Bullett.  arch. 
Napol.  VI  (1857)  Tfl.  4;  Roscher,  Myth.  Lex.  III  S.  1178. 

Als  Regel  bei  diesem  Schreiben  gilt,  daß,  während  der  eine  Flügel 
der  Doppeltafel  beschrieben  wird,  der  andere  herunterhängt  und  so  sich 
deutlich  abhebt.  Das  gilt  von  sämtlichen  mitgeteilten  Beispielen;  nicht 
anders  macht  es  der  Knabe  auf  dem  Knabensarkophag  des  Kandelaber- 
saals im  Vatikan,  der  links  neben  der  Mittelfigur  mit  dem  spitzen  Griffel 
bohrend  schreibt.  Nur  steht  dieser  Knabe,  während  man  sonst  sitzt  und 
die  eine  der  Tafeln  auf  dem  Schoß  oder  doch  auf  dem  Unterarm  liegt; 
vgl.  noch  Schreiber's  Bilderatlas  I  Tfl.  90,  woselbst  in  Fig.  4  u.  6  wiederum 
die  unbenutzte  Tafel  des  Diptychons  herabhängt,  während  sie  Fig.  1  hoch- 
steht, von  der  benutzten  Schreibfläche  aber  gleichfalls  sorglich  gesondert 
wird.2)  Noch  deutlicher  ist  die  Zweiteilung  der  Tafel  auf  dem  pompeja- 
nischen  Gemälde  bei  Baumeister,  Denkm.  Nr.  377. 

Der  entwickelten  Kunst  großen  Stils  gehört  die  schreibende  Kalliope 
im  Musensaal  des  Vatikan  an,  Helbig,  Führer  Nr.  280:  daß  Kalliope  hier 
auf  einem  Diptychon  schreibt,  beruht  auf  Ergänzung;  diese  Ergänzung  aber 
gilt  als  richtig3);  denn  ein  Stück  der  Tafel,  da,  wo  sie  auf  dem  Gewände 
aufliegt,  ist  echt.  Die  Musen  der  Basis  von  Mantinea  kannten  dagegen  nur 
die  Rolle,  nicht  die  Tafel. 

Die  Tafel  enthält  immer  nur  das  Brouillon.  Auf  ihr  schreibt  daher, 
wer  meditiert  und  konzipiert.  Die  Rolle  gibt  dagegen  allemal  die  fertige 
Reinschrift  oder  den  definitiven  unabänderlichen  Wortlaut.  Da  man  nun  in 
Bildwerken  lieber  das  Meditieren  als  das  Herstellen  von  Reinschriften  ab- 
bildete, so  mag  sich  schon  daraus  erklären,  daß  so  selten  auf  Charta  ge- 
schrieben wird.  Andererseits  bedarf  die  Parze  für  ihren  Schicksalsspruch 
wie  die  Muse,  wenn  sie  dichtet,  keiner  Brouillons;  die  Muse  ist  begabt 


S.  174  ff.  Auf  Tfl.  VI  daselbst  zeigt  sich  das  im  Text  besprochene  Schema:  die  beiden 
Tafeln  sind  deutlich  unterschieden;  die  eine  liegt  auf  dem  Schoß  auf,  die  andere 
hängt  von  ihm  herab. 

1)  Vgl.  auch  Winter,  Terrakotten  II  123,  6  u.  7;  403,  10.  Martha,  l'art  etrus- 
que  S.  342. 

2)  Vgl.  auch  noch  Codex  Rossanensis  fol.  8b  und  vieles  andere.  Nicht  schrei- 
bend der  sitzende  Knabe,  Terrakotte  in  Marseille,  Chat.  Borely  Nr.  1128;  er  stützt 
seine  r.  Hand  auf  den  Sitz,  seine  1.  Hand  hält  nur  die  obere  Tafel  des  aufgeklappten 
Diptychons  gefaßt;  die  untere  steht  auf  seinem  Knie.  Beide  Tafeln  aber  sind  auch 
hier  sorglich  unterschieden.'  3)  So  auch  Amelunq. 


202 


III.  Das  Schreiben. 


genug  sogleich  den  definitiven  Text  zu  geben;  sie  kann  also  um  so  mehr 
der  Tafel  entraten.  Götter  haben  mit  Palimpsesten  nichts  zu  tun.  Daß  auch 
die  Muse  in  ein  Biblion,  ein  Rollenbuch,  schreibt,  wird  einmal  von  Galen 
angesetzt  Bd.  XIX  S.  50  K.;  und  Posidipp  fordert  die  Musen  auf  zu  schreiben: 
cuvadcare  .  .  .  Ypaujduevai  be\iouc  ev  xpuceaic  ceXkiv1),  also  Schriftkolumnen 
auf  vergoldeten  Papierblättern.  Vor  allem  aber  die  Parze:  durch  die  Rolle 
wird  bei  ihr  zum  Ausdruck  gebracht,  daß  der  Text  des  Schicksals  „un- 
abänderlich" feststeht. 

Voran  stehe  hier  das  Musenrelief  im  Besitz  des  Marchese  Chigi,  be- 
sprochen von  E.  Petersen  in  d.  Rom.  Mitteilungen  VIII  S.  65,  dazu  Tfl.  III: 


Abb.  137:  Relief  Chigi. 


Hier  schreibt  eine  der  Musen,  im  Profil  nach  links,  und  zwar  stehend;  s.  Abb.  137. 
Der  Gegenstand,  auf  dem  sie  schreibt,  hat  die  Form  eines  länglich  schmalen  Recht- 
ecks oder  Zylinders  und  kommt  dem  Äußeren  einer  geschlossenen  Rolle  gleich. 
Petersen  erblickt  darin  eine  Tafel,  die  aber,  falls  offen,  nicht  so  aussehen  kann,  da  vom 
Diptychon,  wie  ich  ausgeführt,  die  eine  der  Tafeln  beim  Schreiben  herabzuhängen 
pflegt;  Reinach,  Gazette  archeol.  1887  S.  135  verglich  die  vorlesende  Muse  Klio  (?) 
auf  der  Homerapotheose  des  Archelaos,  die  in  ähnlicher  Weise  eine  Rolle  halte  (?); 
nach  Smith,  Catalogue  III  S.  248  würden  es  freilich  Tafeln  sein,  die  diese  hält.  Ich 
erkenne  auf  der  Apotheose  nach  einem  Gypsabguß  mit  Bestimmtheit  eine  offne 
Doppeltafel,  auf  dem  Chigischen  Relief  eine  offne  oder  auch  eine  geschlossene  Rolle. 
Im  ersteren  Fall  hat  die  Verkürzung  veranlaßt,  daß  wir  nur  das  1.  Konvolut  gewahren, 
nicht  aber  die  Schreibfläche  selbst  sehen,  die,  von  ihm  abgerollt,  der  schreibenden 
Hand  als  Grundlage  dient.  Das  Schreiben  auf  geschlossenen  Buchzylindern  aber 
zeigen  zweifellos  die  ägyptischen  Denkmäler  (s.  oben  S.  12  f.).  Auch  die  Muse 
könnte  es  so  machen.    Alsdann  ist  sie  mit  ihrem  Werk  zu  Ende  und  fügt  an  der 


1)  DlELS,  Sitz.-Ber.  Berk  Ak.  1898,  S.  851;  vgl.  oben  S.  155  Anm.  2. 


Im  offnen  Buch. 


203 


Außenseite  noch  den  Titel  hinzu.  Denn  in  dieser  Weise  wurden  in  der  Tat  in 
der  älteren  Zeit  die  Titel  angebracht;  s.  unten  S.  237.    Übrigens  fehlt  der  Calamus. 

Eine  Parze  mit  offner  Rolle  vom  Hateriermonument  haben  wir  S.  192 
kennen  gelernt;  eine  zweite  daselbst  schreibt  stehend;  unsre  Abb.  138. 

Das  Relief  ist  sehr  klein;  doch  sieht  man  zweifellos  eine  großenteils  geschlossene 
Rolle,  die  auf  ihrem  1.  Unterarm  in  der  Weise  ruht,  daß  das  Konvolut  selbst  am 
Körper  anliegt,  davon  ein  Blatt  abgewickelt  in  der  Hand  liegt.  Auf  der  offnen 
Schlußseite  des  Volumen  will  die  Parze  mit  dem  Calamus  schreiben,  den  sie  in  der 
R.  hält.  Jene  Schlußseite  aber  bedeutet  wieder  den  Schluß  des  Lebens.  Scribitur 
omnis  hora,  sagt  Martial;  jede  Stunde,  endlich  auch  die  letzte,  wird  eingetragen.1) 

Wie  diese  Parze,  so  sind  auch  zwei  oder  drei  weitere  Buchschreiber, 
die  ich  anzuführen  habe,  von  winziger  Größe  und  verstecken  sich  als  Bei- 
werk an  größeren  Monumenten,  als  fürchteten 
sie,  das  Interesse  könnte  sich  auf  sie  konzen- 
trieren. Es  handelt  sich  nunmehr  um  gewöhnliche 
Sterbliche. 

Der  schon  öfter  zitierte  Deckelrand  des  Berliner 
Musensarkophags  Nr.  844  gibt  im  Reliefstreifen 
rechts  und  links  von  der  Inschriftplatte,  die  die  Mitte 
bildet,  acht  literarische  Szenen  (vgl.  oben  S.  65; 
81;  111;  130).  Schon  S.  174  erkannten  wir  auf  ihm 
eine  Schreibszene,  in  der  aber  die  Muse  dem 
Schreiber  das  Buch  im  Motiv  VII  vorhält.  Anders 
die  folgenden.  Die  erste  Szene  links  neben  der  In- 
schrift ist  dreifigurig.  Ein  Jüngling  sitzt  im  Profil 
nach  rechts;  zwei  Musen  umgeben  ihn  zur  R.  und 
zur  L.  Er  hebt  das  1.  Knie  höher  als  das  rechte; 
auf  diesem  Knie  aber  liegt  ein  offnes,  ziemlich  lang 
ausgestrecktes  Rollenband,  das  nicht  in  eine  Rollung 
endigt.  Seine  r.  Hand  schreibt,  ohne  Calamus,  am 
untern  Rande  der  Blattfläche.  Seine  1.  Hand  ist  nicht 
sichtbar;  es  ist  anzunehmen,  daß  sie  hinter  dem  1.  Knie  das  andere  Rollenende, 
resp.  das  Konvolut  hält,  von  dem  die  sichtbare  Blattfläche  der  Charta  abgerollt 
ist.  Hier  erscheint  also  endlich  ein  ausgespanntes  Rouleau  auf  den  Knien  eines 
Schreibers!  So  in  der  Tat  muß  man  die  Texte  in  die  Rollen  eingetragen  haben! 
Was  da  auf  dem -Schoß  liegt,  ist  zum  mindesten  ein  scapus  zu  zehn  bis  zwanzig 
Seiten.  Die  eine  der  Musen  sitzt  untätig  dabei,  die  andere  dagegen  steht  hinter 
dem  Schreiber,  und  ihre  überschnittene  unsichtbare  L.  hilft  vielleicht  das  Buch  mit 
halten.  Auf  einer  Erhöhung  aber  endlich  liegt  eine  komische  Maske  und  zeigt  an, 
daß  es  sich  um  ein  Drama  menandrischen  Stils  handelt. 

Und  derselbe  wertvolle  Reliefstreifen  illustriert  uns  noch  einmal  denselben 
Hergang.  Rechts  von  der  erwähnten  Inschrifttafel  hängen  wieder  zwei  Szenen 
näher  zusammen.  Zuerst  ein  einsamer  bärtiger  Mann,  sitzend,  auf  einem  Sessel 
mit  hoher  rundlich  geschwungener  Lehne;  er  hält  im  Schoß  eine  Rolle,  Motiv  VII, 
aber  fächerförmig,  hebt  die  R.  meditierend  zum  Gesicht  und  ist  im  Begriff  eine  Tragödie 
zu  ersinnen;  dies  zeigt  eine  tragische  Maske  an,  die  auf  einer  Erhöhung  vor  ihm 
(in  Wirklichkeit:  neben  ihm)  steht.  Rechts  daneben  gibt  uns  nun  eine  zweite  Szene  den 
Schreibenden.  Man  sieht  zwei  Männer  beisammen.  Zunächst  ein  älterer,  der  im 
Profil  nach  rechts  steht,  die  r.  Hand  in  die  Seite  stemmt,  den  1.  Fuß  auf  einen 


1)  Vgl.  oben  S.  70.  Daß  die  Parze  sonst  auch  auf  der  Tafel  schreibt,  ist 
ebendort  belegt. 


204 


III.  Das  Schreiben. 


Schemel  hoch  stellt  (vgl.  hierfür  unsre  Abb.  49)  und  in  der  1.  Hand  eine  Rolle  im 
Motiv  VII  in  Schulterhöhe  hält  (in  Schulterhöhe  wird  das  Buch  z.  B.  auch  auf  unsrer 
Abb.  114  gehalten).  Er  liest  also  nicht,  aber  er  hat  eben  gelesen  und  will  gleich 
wieder  lesen:  eine  nur  für  den  Moment  unterbrochene  Lektüre.  Ihm  gegenüber 
sitzt,  im  Profil  nach  links,  ein  größerer  bärtiger  Mann  vorgebeugt  auf  einem  Stuhl 
mit  geschwungener  Lehne.  Sein  I.  Bein  ist  vorgestreckt,  sein  r.  Knie  dagegen 
hoch  erhoben,  und  auf  dem  r.  Knie  liegt  ein  offner  Papierstreifen.  Die  1.  Hand 
erfaßt  oder  hält  den  Anfangsteil  des  Papiers,  während  die  R.  in  steiler  Haltung 
schreibt;  der  Calamus  steht  senkrecht  auf  der  Fläche  (die  Abbildung  in  der  „Be- 
schreibung" täuscht  hier). ')  Am  wahrscheinlichsten  ist  die  Szene  so  zu  deuten, 
daß  der  stehende  Mann  diktiert  (das  Diktieren  ist  eben  eine  immer  wieder  unter- 
brochene Lektüre),  der  Sitzende  nachschreibt.  An  der  Wand  über  diesen  beiden 
scheint  übrigens  noch  ein  Rollenbündel  zu  hängen. 

Wer  somit  sitzend  auf  Charta  schreibt,  hebt  zur  Stütze  gern  eins  der 

Knie. 

Höchst  unscheinbar  und  leider  auch  sehr  schlecht  erhalten  ein  Sarko- 
phagfragment im  Vatikan,  Giard.  d.  Pigna  Nr.  166  (Ameluno  Tfl.  108): 

Ein  ausgespannter  Teppich  im  Hintergrund;  also  ein  geschlossener  Raum; 
davor  drei  Personen.  In  der  Mitte  sitzt  auf  einem  Klappstuhl  ein  bärtiger  Mann, 
stark  vorgebeugt;  er  schreibt;  keins  seiner  Knie  aber  ist  besonders  hoch  erhoben; 
vielmehr  hält  die  1.  Hand  die  Beschreibfläche,  ein  etwas  gewölbtes  Blatt,  ohne 
Unterlage  in  Brusthöhe,  indem  der  1.  Oberarm  vom  Körper  absteht  und  annähernd 
in  Schulterhöhe  erhoben  ist.  Der  r.  Oberarm  liegt  dagegen  eng  am  Körper,  der 
r.  Unterarm  steht  horizontal,  die  r.  Hand  endlich  hebt  sich  mit  dem  Calamus  steil 
empor,  ganz  ähnlich  wie  auf  dem  Berliner  Bildwerk,  und  dieser  Calamus  ruht  nun 
schreibend  just  auf  dem  unteren  Ende  des  Blattes.  Wir  haben  den  Eindruck,  daß 
dieser  Schreiber  kurzsichtig  ist;  sonst  würde  er  das  Papier  auf  den  Schoß  legen. 
Dies  Blatt  selbst  aber  ist  wiederum  breiter  als  hoch,  dazu  etwas  aufgewölbt  und  ver- 
rät sich  dadurch  als  Teil  einer  Rolle.  Man  muß  annehmen,  daß  die  1.  Hand  das 
Konvolut,  das  eigentliche  Buch  hält;  das  ist  aber  nicht  mit  dargestellt.  Man  sieht 
nur  das  abgerollte  letzte  Blatt  dieses  Buchs;  und  der  Schreiber  ist  gerade  am  Ende 
dieses  letzten  Blattes  angelangt.  Auch  hier  ist  die  Symbolik  unverkennbar!  Dazu 
nun  noch  weitere  Personen;  links  steht  eine  Frau,  rechts  liegt  ein  älterer  Mann 
auf  dem  Lectus;  dieser  stützt  sich  auf  den  1.  Ellenbogen  und  hielt  mit  der  hängen- 
den L.  und  vielleicht  einst  auch  mit  der  R.  eine  Rolle.    (Letzteres  nach  Petersen.) 

Das  wichtigste  Monument  und  eigentlich  das  einzige,  das  vollständig 
deutlich  ist,  ist  unsre  Abb.  139,  ein  Reliefbruchstück  von  einem  Sarko- 
phagdeckel, das  im  Albergo  Costanzi  zu  Rom  sich  befinden  soll  und  von 
Matz-Dühn  Nr.  3121  beschrieben  wird: 

„In  der  Mitte  steht  auf  einem  Sockel  (!)  ein  Schriftbündel,  r.  eine  Lyra. 
Links  sitzt  am  Boden  ein  bärtiger  Mann  .  .  .,  in  der  L.  eine  halbgeöffnete  Rolle,  in 
der  R.  einen  Griffel  (sie).  R.  sitzt  ebenso  nach  links  ein  ähnlicher  Mann  ...  in  der 
auf  dem  Knie  ruhenden  R.  einen  langen  Stab;  er  blickt  sich  um.  Sehr  oberfläch- 
liche Arbeit."  Ich  habe  das  Original  nicht  gesehen  und  verlangte  sehr  danach  es 
heranziehen  zu  können,  als  mir  W.  Amelung  unvermutet  aus  Rom  eine  Photographie, 
die  hier  in  unserer  Abbildung  wiedergegeben  ist,  zusandte.  Es  leidet  für  mich 
keinen  Zweifel,  daß  darin  das  von  Duhn  beschriebene  Stück  selbst  vor  uns  steht. 
Um  so  dankbarer  habe  ich  die  Sendung  entgegen  genommen. 


1)  Daß  der  Mann  auf  einer  Tafel  schreibe,  behauptete  GERHARD,  Arch.  Zeitung 
1843  (Tfl.  6)  S.  120  ff.    Doch  sieht  er  auch  sonst  Rollen  für  Tafeln  an. 


Im  offnen  Buch. 


205 


Ursprünglich  war  dies  ein  längerer  Bildstreifen  mit  etlichen  literarischen 
Szenen  nach  Art  des  eben  besprochenen  Berliner  Frieses,  und  wir  können 
deshalb  von  der  rechts  lagernden  Nebenfigur,  da  sie  ihren  Blick  auf  eine 
jetzt  fehlende  andere  Figur  richtet,  ab- 
sehen. Der  Schreibende  ist  einsam.  Die 
Truhe,  die  vor  ihm  steht,  kann  auf  ihn 
bezogen  werden.  Sie  ist  gegen  die  Ge- 
wohnheit breit.  Denn  sowohl  Rollen 
wie  Leier,  die  auf  ihr  stehen,  werden 
darin  aufbewahrt.1)  Der  Schreibende 
ist  also  wohl  melischer  Dichter.2)  Der 
Mann  sitzt  auf  der  Erde  und  hat  das 
I.  Knie  höher  erhoben,  um  darauf  den 
unteren  Teil  der  Blattmasse  aufzustützen. 
Beschrieben  wird  hier  wiederum  nicht 
ein  Einzelblatt,  sondern  eine  fertige 
Rolle  (eine  augenfällige  Bestätigung  des 
Satzes,  daß  man  auch  in  fertige  leere 
Rollen  schrieb),  und  zwar  zeigt  sie  das 
uns  bekannte  Schema  des  Motivs  VII. 
Die  L.  hält  beide  Konvolute,  die  R. 
schreibt  auf  der  offenstehenden  Innen- 
seite des  Buches.  Es  ist  klar,  daß  die 
Blattfläche  hier  zu  steil  abfallend  dar- 
gestellt ist;  in  Wirklichkeit  wirkt  das 
Knie  mit,  um  sie  annähernd  wagerecht 
zu  richten.  Man  beachte  ferner,  wie 
steil  die  Hand  steht,  die  den  Calamus 
umfaßt.  Wir  pflegen  den  Federhalter 
nach  Art  des  Motivs  III  zu  halten;  der 
antike  Schreiber  tut  es,  wie  hier  deut- 
lich wird,  nach  Art  des  Greifmotivs  I. 
Der  Calamus  selbst  endlich  aber  ist 
spitz  wie  ein  Stilus.  Daraus  lernen  wir, 
daß  auf  Marmorwerken  der  Calamus  vom 
Stilus  sich  nicht  unterscheiden  läßt,  es 
sei  denn  dadurch,  daß  er  an  seinem 
oberen  Ende  sich  nicht  verbreitert. 


1)  Die  Höhe  stimmt  freilich  nicht  ganz;  die  Ungenauigkeit  ist  verzeihlich. 
Siehe  unten  über  auf  Capsae  stehende  Rollenbündel. 

2)  Also  ein  ueXoypaqpoc  wie  jener  Entychides,  der  mit  12  Kitharai  und  25  Schach- 
teln voll  Gesängen  zur  Unterwelt  fährt,  Anthol.  Pal.  XI  133;  Buchwesen  S.  420. 


206 


III.  Das  Schreiben. 


Verwandt  hiermit  ist  der  schreibende  Jüngling  auf  der  von  Jahn  in 
Abhandl.  sächs.  GW.  XII  Tfl.  5,  7  abgebildeten  Gemme.  Auch  hier  das 
1.  Knie  höher  erhoben;  der  1.  Arm  ist  durch  die  Blattmasse  (vielleicht  eine 
Rolle,  von  der  man  nur  den  abgerollten  Teil  sieht)  ganz  verdeckt.  Auch 
die  r.  Hand  ähnelt  der  des  vorigen  Bildwerks.1) 

So  weit  das  Schreiben  auf  Rollen.  In  anderen  Fällen  begnügt  man 
sich  auf  Einzelblätter  zu  schreiben.  Hierfür  möchte  ich  zuerst  eine  der 
epichorischen  Malereien  Pompeji's  zitieren,  Helbiq  Nr.  1494,  Pitture  d'  E.  III 
S.  213.     Auf  öffentlichem  Platz,  den  eine  Reiterstatue  andeutet,  sitzt  ein 

Mann  auf  einem  würfelförmigen  Sitz,  ein 
breites  Blatt  (es  ist  mehr  breit  als  hoch 
und  keinesfalls  ein  Diptychon)  auf  dem 
Schöße,  auf  das  er  mit  der  r.  Hand  den 
Calamus  setzt.  Die  1.  Hand  ruht  stützend 
unter  der  Blattfläche,  das  r.  Oberbein  ist 
etwas  erhoben.  Er  blickt  auf.  Daß  er 
indes  die  Statue  abzeichne'"'),  ist  ganz  un- 
wahrscheinlich ");  sein  Blick  richtet  sich 
vielmehr  auf  eine  andere  Person,  die  hin- 
ter der  Statue  im  Gespräch  sich  zu  ihm 
neigt.  Daß  jemand  auf  öffentlichem  Platz 
schreibt,  ist  nichts  Außerordentliches;  man 
denke  nur  an  den  Eumolpus  bei  Petron. 
Das  Blatt  kann  hier  nun  eine  Membrane, 
es  kann  ein  Stück  Charta  sein. 

Daß  ein  sitzend  Schreibender  die  Knie 
als  Unterlage  nicht  benutzt,  erklärt  sich 
aus  Kurzsichtigkeit.  Wer  stehend  schreibt, 
muß  auf  solche  Hilfe  auch  sonst  ver- 
zichten. Die  folgenden  zwei  Standfiguren  kommen  daher  dem  Beispiel  aus 
dem  Giardino  della  Pigna  darin  gleich,  daß  auch  sie  das  Blatt  auf  der 
Handfläche  halten: 

Der  Musensarkophag  des  Campo  Santo  in  Pisa  (DOtschke  I  61)  zeigt  auf  der 
Vorderseite  vier  stehende  Musen  zwischen  Säulen  und  unter  Apsiden  in  Muschel- 
form. Die  erste  links,  unsre  Abb.  140,  schreibt,  den  Calamus  -  schwerlich  Stilus  - 
der  dicken  Blattlage  nähernd,  die  sie  etwas  tiefer  als  in  Brusthöhe  flach  auf  der 
L.  hält.  Vier  Finger  fassen  die  Blattmasse  an  der  Außenseite.  Daß  dies  eine  Tafel, 
ist  durch  nichts  angedeutet;  nichts  vom  Rahmen;  nichts  von  der  regelmäßig 
eckigen  kastenartigen  Form  des  Diptychons;  nichts  vom  Herabhängen  der  zweiten 


1)  Ob  der  Jüngling  schreibt  oder  zeichnet,  ist  für  die  Haltung  ohne  Belang. 

2)  Dies  nahm  z.  B.  0.  Jahn  an,  Abhandl.  sächs.  GW.  XII  S.  296. 

3)  Denn  auch  sonst  erscheinen  auf  den  verwandten  Bildern  (HELBIG  Nr.  1489 
-1500)  vielfach  Reiterstatuen;  aber  sie  haben  niemals  auf  die  Handlung  Bezug. 


Abb.  140:  Pisa. 


Auf  Blättern. 


207 


Tafel  (s.  oben  S.  201).  Da  überdies  die  längere  Dimension  der  Fläche  quer  liegt, 
möchte  ich  glauben,  daß  es  sich  um  ein  Chartablatt  handelt,  vielleicht  auf  irgend 
einer  Unterlage. 

Noch  sicherer  scheint  mir  dies  für  das  Relieffragment  anzunehmen,  das  ich 
in  den  Katakomben  S.  Callisto,  nicht  weit  von  der  Capella  dei  Sagramenti  sah, 
unsere  Abb.  141:  auch  dies  ein  stehend  Schreibender, 
leider  in  unbeholfener  Ausführung.  Die  Schreibfläche  ist 
hier  halb  so  hoch  wie  breit,  also  sicher  kein  Diptychon; 
sie  liegt  hoch  auf  dem  1.  Oberarm  auf,  während  die 
1.  Hand  sie  am  oberen  Ende  faßt, -und  fällt  schräg  nach 
rechts  ab.  Der  enorm  große  Calamus  beschreibt  den 
oberen  Teil  des  Blattes  und  ruht  auf  der  ersten  Zeile. 

Im  Turiner  Museum,  röm.  Abteilung,  fand  ich  einen 
Cippus  ohne  Nummer  mit  der  Inschrift:  L.  Caninio  P.  f. 
Volenti  procuratori  IUI  publicor.  Africae  usf.;  siehe 
C.  I.  L.  V  7547:  darüber  im  Halbrund  das  Brustbild  eines 
Togatus,  dessen  Kopf  weggebrochen;  s.  Abb.  142. ])  Auch 
er  schreibt  stehend,  und  zwar  so,  daß  die  1.  Hand  allein 
das  Blatt  lose  am  1.  Rand  hält,  das  also  frei  in  der  Luft 
steht,  die  R.  den  Calamus  auf  das  Blatt  setzt.  Dies  Blatt 
hat  Querformat  und  ist  wiederum  keinesfalls  ein  Diptychon. 

Das  Unglück  will,  daß  ein  anderes  Reliefstück,  das 
vielleicht  noch  in  Betracht  käme,  arg  zerstört  ist,  Mus. 
Chiaramonti  Nr.  248  (Tfl.  50  oben):  ein  Dichter  unter  Musen.  Rechts  am  Ende  sitzt 
eine  Muse,  nach  links  gewendet;  ob  sie  in  der  R.  ein  Diptychon  oder  eine  Blatt- 
fläche hält,  ist  nicht  zu  unterscheiden;  der  Calamus  oder  Stilus  in  ihrer  R.  ist 
weggebrochen;  die  Schreiberin  hielt  ihn  erhoben,  und  man  sieht,  daß  er  sich 
oben  verbreiterte;  dies  spricht  für  einen  Stilus. 

Unter  den  vier  Reliefbildern  am  Con- 
stantinsbogen  in  Rom,  die  die  Qeldverteilungen 
darstellen  und  von  denen  jedes  vier  beim 
Rechnen  und  Zählen  beschäftigte  Männer  ver- 
einigt, zeigt  eins  auch  einen  sitzend  Schreiben- 
den; er  schreibt  indes  auf  einer  Tafel,  deren 
einer  Flügel  flach  im  Schoß  aufliegt,  während 
der  andere  hochsteht.  -) 

Hier  muß  ich  das  Kapitel  vom  Schreiben 
abbrechen  und  die  Kärglichkeit  der  Über- 
lieferung beklagen.3)  Ein  Freskobild  ist  mir 
zwar  noch  bekannt  geworden,  das  unsere 
Achtsamkeit  fesseln  müßte.    Es  befindet  sich  Abb.  142:  Turin, 

in  den  Katakomben  der  Villa  Massimo  und 

ist  wiedergegeben  bei  Wilpert  Tf.  183.  Aber  das  Detail  ist  derartig  beschaffen, 
daß  man  bedauernd  sagen  muß:   die  Wiedergabe  kann  nicht  richtig  sein.  Dies 


1)  Ich  bemerke,  daß  die  Gestalt  der  Hände  hier  ungenau  wiedergegeben  ist; 
für  die  Form  des  Blattes,  die  Art,  wie  es  gehalten  wird  und  wie  der  Calamus  auf- 
gesetzt ist,  kann  ich  bürgen. 

2)  Abbildung  z.  B.  bei  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder  Fig.  32; 
Photographie  ANDERSON  2545. 

3)  Manches  mag  mir  entgangen  sein.  Von  dem  römischen  Relief,  das  0.  JAHN, 
Abhandl.  sächs.  GW.  XII  S.  292  beschreibt,  habe  ich  keine  Abbildung  gesehen. 
Jahn  schreibt:  Ein  bärtiger  Mann  im  Pallium  [Lehrer]  auf  einem  hohen  Lehnsessel; 
rechts  steht  ein  Knabe  aus  einer  Rolle  lesend,  links  sitzt  ein  [wohl  auf  einer  Tafel?] 
schreibender  Knabe,  zu  seinen  Füßen  liegt  eine  aufgeschlagene  Rolle." 


208 


III.  Das  Schreiben. 


betrifft  die  Hauptsache,  den  Beschreibstoff.  Ein  stehend  Schreibender,  ähnlich 
den  beiden  letzten  meiner  Abbildungen  aufgestellt,  hält  auch  hier  in  der  R.  den 
großen  Calamus,  als  wollte  er  zum  Schreiben  ansetzen.  Seine  L.  sieht  man  nicht; 
denn  sie  ist  von  dem  Buch,  das  sie  hält,  vollständig  verdeckt.  Statt  des  Buches 
sieht  man  nun  aber  zwei  große  rechteckige  Blätter,  von  denen  eins  schräg  unter 
dem  andern  hängt.  Diese  Blätter  können  aber  nicht  etwa  ein  zusammenhängendes 
Doppelblatt  bedeuten,  das  der  Heftform  eines  Codex  entspräche;  denn  das  untere 
steht,  wie  gesagt,  in  ganz  anderer  Richtung.1)  Man  könnte  also  immerhin  vermuten, 
daß  hier  in  Wirklichkeit  ein  hängendes  Rollenblatt  vorlag.  Doch  ist  mit  dem  Ver- 
muten nichts  gewonnen.  -) 

Daß  endlich  die  Statue  einer  stehend  schreibenden  Frau  bei  Reinach,  Repert. 
II  307,  5  (aus  Caylus  VI  75,  5)  falsch  ergänzt  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Sie  hält  den 
Stift  in  der  Linken,  das  aufgerollte  Blatt  in  der  Rechten  und  will  also  mit  der 
Linken  schreiben! 

Etwas  anderes  ist  die  Buchschrift,  die  auf  Kolumnen  verteilt  wird, 

etwas  anderes  die  Diplomschrift.     Um  ein  Diplom  zu  schreiben,  dessen 

Zeilen  die  ganze  Länge  der  Rolle  entlang  laufen,  war  es  natürlich  nötig, 

diese  weit  aufzurollen.     Dies  zeigen  uns  Elfenbeindiplome,  wie  das  des 

Probianus  (Schreiber,  Bilderatlas  I  Tfl.  91,  1;  oben  S.  120  f.).   Wie  ein  langes 

Band  schweift  sich  hier  also  die  Rolle  aufgelöst  über  das  r.  Knie  des 

schreibenden  Probianus  hin.    Auf  ihr  steht  in  großen  Lettern  sein  eigner 

Name  zu  lesen.     In  Wirklichkeit  aber  ist  er  im  Begriff  als  Richter  sein 

Urteil  aufzusetzen;  rechts  und  links  stehen  noch  Kanzlisten,  die  dasselbe 

Urteil  in  kleine  Codices  eintragen:  eine  Szene,  die  in  ihrer  Anordnung 

lebhaft  an   den  Sarkophag  des  Gorgonius  in  Ancona  (Garrucci  Tfl.  326, 

Giebelfeld)  erinnert. 

Diesem  Bilde  kommt  der  schreibende  Evangelist  Marcus  im  Codex  Rossanensis 
fol.  121a  sehr  nahe.  Marcus  sitzt  in  einem  großen  Armsessel  oder  Thronos  und 
schreibt  auf  einen  langgezogenen  Diplomstreifen,  der  in  keine  Rollungen  ausläuft 
und  über  seinen  Knien  zu  schweben  scheint.  Seine  1.  Hand  liegt  als  Stütze  unter 
dem  Blatt.  Ein  Tintenfaß  steht  auf  einem  nicht  sichtbaren  Gestell  neben  ihm.  Was 
er  auf  den  Streifen  schreibt,  ist  nun  lediglich  in  großer  Langzeile  der  Titel  seines 
Werks.  Es  ist  also  wieder  Diplomschrift,  nicht  Buchschrift,  was  da  vor- 
geführt wird. 

Noch  weiter  aber  entfernen  sich  mittelalterliche  Darstellungen  vom  Tatsäch- 
lichen, und  wir  können  aus  ihnen  über  die  Art,  wie  Buchschrift  in  Rollen  ein- 
getragen wurde,  nichts  hinzulernen.  Die  Bilderhandschrift  des  Terenz  in  Leiden, 
cod.  Vossianus  M,  gibt  auf  fol.  Iv  eine  solche  Darstellung,  unsre  Abb.  186:  ein 
Schreibpult,  bestehend  aus  einer  antiken  Säule,  darauf  ein  Aufsatz  mit  schräg  an- 
steigendem Pultbrett;  über  dies  Pultbrett  ist  genialisch  eine  große  offne  Rolle 
geworfen;  vorn  bauscht  sie  sich  wie  ein  Segel,  hinten  hängt  ihr  Ende  vom  Pult 
noch  ziemlich  tief  herab  und  zieht  sich  dort  dann  noch  zu  einem  engen  Konvolut 
zusammen;  der  Schreiber  aber  beschreibt  ihre  Außenseite,  nicht  ihre  Innenseite. ') 
Eine  offne  Rolle  auf  einem  Schreibpult  auch  bei  Beissel,  Handschrift  des  Kaisers 
Otto  zu  Aachen  Tfl.  IV.    Man  hüte  sich,  dies  für  antik  zu  halten. 


1)  Auf  dem  einen  steht  RORM1TIO,  auf  dem  anderen  SILVESTRE,  richtiger 
SILVESTRI. 

2)  Kopie  im  Mus.  des  Lateran,  FlCKER  Nr.  174  c  und  LVI. 

3)  Siehe  Bethe,  Terentius,  cod.  Ambrosianus,  pg.  XLV1II. 


Diplomschrift  in  Rollen. 


209 


Im  Altertum  schrieb  man  nicht  auf  Pulten.  Sollte  auf  einem  Einzel- 
blatt geschrieben  werden,  so  konnte  man  dabei  stehend  verharren,  und 
eine  Unterlage  war  nicht  notwendig.  Trug  man  die  Buchschrift  in  voll- 
ständige Rollen  oder  Scapi  ein,  so  setzte  man  sich  und  nahm  das  Knie 
zur  Hilfe,  um  der  Blattfläche  Stütze  und  Richtung  zu  geben.  Dies  lehrten 
uns  unsere  dürftigen  Zusammenstellungen.  Statuarisch  aber  ist  dies  Thema 
meines  Wissens  nie  behandelt  worden.1) 

1)  Wo  schreibende  Musen  als  Statuen  erscheinen,  wird  man  Tafeln,  nicht 
Papyrus  in  ihren  Händen  voraussetzen. 


Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


14 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Unsere  Aufgabe  war,  dem  antiken  Menschen  in  seinem  Verhältnis  zum 
Buche  nachzugehen.  Doch  liegt  es  nahe,  auch  über  das  Buch  selbst,  so- 
weit die  Monumente  helfen,  einige  Anmerkungen  hinzuzufügen. 

1.  Zunächst  das  Entstehen  eines  eigentlichen  Buchwesens  bei  den 
Griechen. 

Blicken  wir  zurück,  so  ergeben  die  vorgeführten  Monumente  eine  Be- 
nutzung der  ägyptischen  Chartarolle  bei  den  Griechen  und  Etruskern  vom 
Anfang  des  5.  Jahrh.  der  vorchristlichen  Zeitrechnung  an:  siehe  die  Vasen 

5.  46;  119;  138;  142  ff.;  147;  148;  die  Sarkophage  S.  81;  84  f.;  156; 
Aschenkisten  S.  80;  92;  110;  die  Grabstele  S.  157;  die  Terrakotte  S.  139. 
Vielleicht    führt   die   kyprische   Terrakotte   Abb.  91    sogar   noch  bis  ins 

6.  Jahrh.  hinauf.  Der  Anfang  des  5.  Jahrh.  war  eben  die  Zeit,  als  Pigres 
sein  Gedichtbuch  als  beXioi,  d.  h.  auf  Schriftspalten  verteilt,  auf  den  Knien 
hat  (S.  155);  denn  ocXtoi  bedeutet  ursprünglich  nur  Schriftkolumnen,  einerlei 
auf  welchem  Schreibmaterial.1)  Es  ist  die  Zeit,  wo  Äschylus  im  aller- 
ältesten  seiner  Dramen  nicht  nur  Kenntnis  des  Papyrusschilfes  zeigt  und  bei 
seinen  Hörern  voraussetzt  (Hiket.  v.  769),  sondern  auch  von  den  ßißXoi 
als  Beschreibstoff  redet,  die  er  als  ägyptischer  Herkunft  mit  den  einheimi- 
schen Diptycha  kontrastiert.")  Das  ganze  Buchwesen  der  Griechen  war  seit- 
dem Import  und  blieb  es,  bis  Ägypten  selbst  griechisch  wurde.  Die  Ent- 
wicklung der  griechischen  Literatur  ist  ohne  dieses  ausländische  Buch  kaum 
vorstellbar. 

Einen  Kaufmannsstand  gab  es  nicht  in  Ägypten 3)  und  das  Land  fabri- 
zierte also  ursprünglich  lediglich  für  den  eigenen  Bedarf  und  dachte  nicht 
an  Exportieren.    Da  tat  König  Psammetich,  der  663-610  angesetzt  wird, 

1)  Vgl.  S.  155  Anm.  2.  öeVroi  sind  „Türen"  und  dieser  Terminus  betrifft  nur  die 
Anordnung  der  Schrift  in  „Spalten",  bezeichnet  aber  keinen  bestimmten  Beschreib- 
stoff; s.  Zentralblatt  f.  BW.  XVII  S.  548  ff.  Daß  „Türen"  nichts  weiter  als  Schrift- 
kolumnen bedeuten,  kann  man  insbesondere  aus  Blau  a.  a.  O.  S.  116  entnehmen. 
Aber  auch  bei  den  Ägyptern  hießen  dementsprechend  die  Kapitel  im  Buch  re,  d.  h. 
Mund,  Pforte;  s.  R.  Lepsius,  Das  Totenbuch  der  Ägypter  (1842)  S.  6.  Bei  Josephus 
Contra  Ap.  I  73  liest  NlESE  beXrox  für  Papyrusrollen  nach  ansprechender  Konjektur. 

2)  Oben  S.  111;  Zentralblatt  f.  BW.  XVII  S.  550.       3)  Erman,  Ägypten  S.  654. 


1:  Entstehen  des  Buchwesens  bei  den  Griechen. 


211 


Ägypten  für  den  jonischen  Handel  auf.  Die  Nachfrage  des  Auslands 
mußte  sich  bald  regen,  die  Rolle  kam  in  griechische  Hände,  und  so  be- 
ginnt denn  auch  die  griechische  Prosaliteratur,  die  ein  geordnetes  Buch- 
wesen und  das  Lesen  voraussetzt,  nun  in  der  Mitte  des  6.  Jahrh.,  mit 
Kadmos  von  Milet  und  Pherekydes  von  Syros.  Daß  grade  die  jonische 
Handelsstadt  Milet  den  ersten  Logographen  und  Prosaautor  bringt,  wundert 
uns  nicht.  Von  Thaies,  aus  dem  Anfang  des  6.  Jahrh.,  gab  es  noch  keinen 
literarischen  Nachlaß.  Sein  Nachfolger,  Anaximander,  ist  wieder,  wie  er 
selbst,  Milesier  und  ist  nun  der  erste  unter  den  Philosophen,  der  ein  Buch 
schreibt;  Anaximenes  von  Milet  der  zweite.  In  Süditalien  dauerte  die 
Zurückhaltung  noch  etwas  länger.  Pythagoras  gründete  bald  nach  530  in 
Kroton  seinen  Tugendbund;  doch  weder  er  noch  die  nächste  Generation 
seiner  Schüler  schrieb  etwas  auf. 

Es  handelt  sich  hier  nicht  um  die  Kenntnis  der  Schrift.  Die  mag  bei 
den  Griechen  sehr  viel  früher  eingedrungen  sein.  Solange  sie  aber  nur  auf 
Stein  und  Erz,  auf  Holztafeln  und  Tierfellen  stand,  nützte  sie  der  Bereiche- 
rung und  der  Steigerung  der  literarischen  Erfindung  und  ihrer  Formen 
wenig,  die  erst  da  eintritt,  wo  die  Lektüre  anhebt  und  sich  wirkliche  Leser 
finden.  Das  Gedächnis  der  Aöden  und  Rhapsoden  war  nötig,  um  den  um- 
fangreichen homerischen  Text  zu  gestalten  und  zu  überliefern1);  eine  erste 
buchmäßige  Sammlung  dieses  Textes  setzt  die  Hypothese  des  Altertums 
dagegen  mit  Grund  nicht  früher  als  in  die  zweite  Hälfte  des  6.  Jahrh.,  weil 
es  erst  da  literaturgemäße  Bücher  gab.  So  ist  es  auch  schwerlich  Zufall, 
daß,  bevor  das  Papyrusbuch  bei  den  Griechen  zur  Herrschaft  kommt,  sich 
ihre  lyrische  Poesie  durchweg  kürzerer  Gedichtformen  bedient,  die  sich 
dem  Gedächtnis  leichter  einprägten  und  die,  falls  man  sie  aufheben  wollte, 
im  Archiv  eines  Heiligtums  auf  einer  oder  auf  zwei  weißgetünchten  Holz- 
tafeln bequem  Platz  fanden.  Vom  Homerhymnus  auf  den  delischen  Apoll 
heißt  es,  daß  er  auf  einem  solchen  Xeüxujua  im  Artemistempel  aufbewahrt 
wurde"),  und  das  entspricht  den  Verhältnissen,  wie  wir  sie  voraussetzen 
müssen,  durchaus.  Man  vergleiche  damit,  daß  der  Tempel  zu  Delphi  im 
5.  Jahrh.  geheimnisvolle  Schriften  und  alte  Weissagungen,  gewiß  in  poeti- 
scher Form,  auf  oeAroi  aufbewahrte3),  sowie  den  Hesiod  auf  Blei,  der  auf 


1)  Freilich  hält  A.  LUDWICH  es  nicht  für  undenkbar,  daß  Ilias  und  Odyssee 
schriftlich  abgefaßt  wurden:  Berl.  phil.  Wochenschr.  1903  S.  1316  ff.  Ein  Autor  wie 
VICTOR  BERARD,  Les  Pheniciens  et  l'Odyssee  II  (1903)  S.  543  ff.  behandelt  Homer 
natürlich  gänzlich  als  Schriftsteller.  Damit  kehrt  man  zu  der  Auffassung  der  Sibyl- 
linen  III  425  zurück,  wonach  Homer  der  erste  war,  der  in  ßißXoi  schrieb. 

2)  Agon  S.  326  Götth2 

3)  Plutarch  Lysander  26.  Die  ganze  Geschichte  bei  Plutarch  von  den  Orakel- 
sprüchen, die  ein  neues  Königtum  verkünden  werden,  die  aber  nur  ein  Gottessohn 
lesen  darf,  der  erst  heranwachsen  soll,  ist  übrigens  nur  Replik  eines  ägyptischen 
märchenhaften  Stoffes  vom  König  Chufu,  den  Erman,  Ägypten  II  S.  498  ff.  mitteilt. 

14* 


212 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


dem  Helikon  gehütet  wurde1),  oder  den  Pindarischen  Hymnus  im  Tempel 
zu  Theben.-)  So  sind  noch  des  Isyllos  Gedichte  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  im 
Asklepieion  von  Epidauros  in  Stein  aufgestellt  worden,  und  ebenso  haben 
sich  im  delphischen  Schatzhaus  der  Athener  die  zwei  Päane  auf  Apoll,  die 
um  das  Jahr  100  v.  Chr.  entstanden  zu  sein  scheinen,  in  Stein  gehauen 
gefunden.  Nicht  anders  muß  es  anfänglich  mit  Alkman's  Gedichten  ge- 
halten worden  sein  und  man  kann  sie  erst  später  in  Bücher  zusammen- 
gestellt haben.  Noch  Phokylides  hielt  im  6.  Jahrh.  für  nötig,  zu  jedem 
seiner  kurzen  Spruchgedichte  seinen  Namen  hinzuzusetzen  (kccI  Tobe  Oujku- 
Aibeai),  um  sein  Autorrecht  zu  wahren,  eine  Wiederholung,  die  innerhalb 
der  Papyrusrolle  zwecklos  war,  zweckmäßig  dagegen,  wenn  die  Sachen  ge- 
trennt auf  Pinakes  umgingen.  Erst  nach  Alkman  vergrößerte  sich  die 
lyrische  Gedichtform.  Aber  während  in  Korinth  Arion's  Dithyramben  noch 
verschollen  sind,  als  hätte  kein  Buch  sie  je  enthalten,  beginnt  im  6.  Jahrh. 
und  im  Westen  der  Sicilier  Stesichoros,  der  über  achtzigjährig  im  J.  555  (?) 
gestorben  sein  soll,  seine  Texte  als  reiche  Stoffgewebe  kunstvoll  auszu- 
weiten in  langen  Dichtungen,  die  mit  dem  Epos  wetteiferten  und  in  drama- 
tischem Ausbau  sich  der  Tragödie  näherten.  Daß  Stesichoros  nur  als  be- 
tagter Mann,  d.  h.  erst  in  der  zweiten  Hälfte  seines  Lebens,  die  erst  dem 
6.  Jahrh.  angehört,  gedichtet  hat,  verrät  uns  sein  Bildnis;  dasselbe  Bildnis 
gibt  ihm  die  Papyrusrolle  mit  Recht  in  die  Hand  (oben  S.  186  f.;  vgl.  S.  143). 
Denn  dies  Buch  war  die  Bedingung  seiner  großen  Leistungen.  Dieselbe 
Rolle  hat  dann  auch  erst  die  freie  Entwicklung  der  Tragödie  in  Athen 
möglich  gemacht.  Von  den  vielen  Vorarbeitern  des  Äschylus  in  der 
Tragödie  und  im  Dithyramb  hatten  sich  eben  die  meisten  dieses  Buches 
noch   nicht  bedient. 

So  begegnet  uns  denn  im  5.  Jahrh.  auch  schon  der  Buchverkauf  in 
Athen  und  der  bibliopoles  so  gut  wie  der  bibliographos.A)  Buchverviel- 
fältigung aber  zum  Zweck  des  Verkaufs  bedeutet  so  viel  wie  Edition. 
Dieser  Betrieb  war  eine  Erfindung  der  Griechen;  denn  der  Ägypter  wußte 
nichts  davon.  Aristophanes  sagt  uns,  daß  jeder  Athener  doch  einmal  ein 
Buch  (ßußXiov)  in  die  Hand  nimmt,  das  zu  seiner  Erziehung  beiträgt 
(Frösche  1114);  ja,  die  Bürger  lassen  sich  auf  die  Bücher  nieder  wie  die 
Vögel  auf  die  Saat  (Vögel  1288).    Selbst  auf  dem  Schiffsdeck  liest  einer 


1)  Pausanias  IX  31,  4. 

2)  Pausanias  IX  16,  1.  Weitere  Zeugnisse  geben  V.  Wilamowitz  in  Abhandl.  Göt- 
tinger GW.  IV  Nr.  3  (1900)  S.  38;  F.  JACOBY,  Rhein.  Mus.  59  S.  98.  Dafür,  daß  man 
in  ältester  Zeit  ähnliche  Texte  auch  auf  bicpOcpai  aufbewahrte,  bringt  R.  Wünsch, 
Berl.  phil.  Wochenschr.  1901  S.  687  Belege.  Doch  beachtet  er  nicht  die  Äußerung 
Herodot's,  der  uns  sagt,  daß  man  in  älterer  Zeit  per  abusum  das  Wort  bicpGepcu 
brauchte,  wo  ßüßXoi  gemeint  waren. 

3)  Buchwesen  S.  433  f.  Hiermit  ergänzt  sich  das  oben  S.  50  Gesagte;  vgl.  dazu 
A.  RÖMER,  Abhandl.  Münchner  Akad.  d.  W.  22  (1902)  S.  45  f. 


1:  Entstehen  des  Buchwesens;  Selides  in  der  Baukunst. 


213 


des  Euripides  Andromeda  (Frösche  52).  Inzwischen  zeigen  auch  Münzen 
von  Syrakus  die  Papyrusrolle,  und  zwar  ganz  aufgerollt  unter  dem  Are- 
thusakopf. x) 

Schon  die  Alten  haben  darüber  nachgedacht,  wann  wohl  die  ersten 
Editionen  (eKböceic)  gemacht  worden  seien,  und  die  Auskunft,  die  wir  dar- 
über bei  Clemens  Alexandrinus  Strom.  I  78  finden,  setzt,  wennschon  die  An- 
gaben selbst,  die  Clemens  macht,  ganz  unzuverlässig  sind,  die  Zeit  gar 
nicht  so  unrichtig  an:  oipe  -rroie  eic  "EXXnvac  f|  tüjv  Xöyujv  xrapfjXGe  bi- 
bacKaXia  xe  Kai  Ypacpf].    'AXkucuuuv  yoöv  TTepi8ou  Kpoxuuvidxn,c  xrpujxoc 

cpuciKÖv  Xöyov  cuvexaEev  oi  be  "Avagayopav   rcpujTOv  biet  Ypaqpfjc  Ik- 

boövai  ßißXiov  kxopoöav,  und  ebenda  I  79:  <paci  be  Kai  xoüc  Kaxä  bia- 
xpißn,v  Xöyouc  Kai  xd  pn,xopiK.d  ibiai|uaxa  eupeiv  Kai  uicöoü  cuvnjopfjcai 
Trpüuxov  biKaviKÖv  Xöyov  eic  eVöociv  Ypa^dpevov  Avxicpuuvxa  CiucpiXou 
'Papvoüaov,  wc  cpn,a  Aiöbuupoc.  Der  hier  als  Bürge  genannte  Diodoros 
ist  der  Verfasser  von  Erklärungen  und  lexikalischen  Sammlungen  zu  den 
zehn  Rednern  aus  der  Zeit  Hadrian's.  Sehen  wir  vom  Alkmaeon  ab,  so  hat 
das  Zeitalter  des  Anaxagoras  und  Antiphon  hiernach  die  ersten  Editionen 
gesehen. 

Die  Vorstellung  des  Rollenbuchs,  das  sich  aus  engem  Kern  aufwickelt 
und  ins  scheinbar  Unendliche  verbreitet,  hat  für  die  Phantasie  etwas  An- 
regendes, Fesselndes  gehabt,  und  der  echt  orientalische  Trieb  zur  Hyperbel 
bemächtigte  sich  ihrer.  Für  die  jüdisch-christliche  Apokalyptik  ist  der  Himmel 
selbst  wie  ein  aufgerolltes  Buch,  ausgespannt  von  Ost  nach  West,  u.  ä.") 
Anderswo  lesen  wir  von  der  Erde:  sie  wurde  zusammengerollt  wie  ein  Buch.3) 
Daß  die  mehr  maßvoll  schlichte  und  deutliche  Vorstellungsweise  der  Griechen 
von  dem  Umgang  mit  dem  Buch  gleichfalls  früh  beeinflußt  war,  verrät 
sich,  wie  ich  glaube,  im  jonischen  Kapitell  (oben  S.  135),  aber  auch  in 
den  Akten  über  den  Bau  der  Tholos  von  Epidauros,  denselben  Akten, 
die  auch  dafür  Zeugnis  ablegen,  daß  man  im  Rechnungswesen  dort  Pa- 
pyrusrollen (xapxia)  benutzt  hat.4)  Der  Tholosbau  war  wie  eine  Buchrolle 
ein  aufrechtstehender  Zylinder;  sein  Souterrain  windet  sich  in  Spiralen;  das 
gleicht  wiederum  den  Windungen  der  geschlossenen  Rolle.    Dabei  war  er 

1)  Tetradrachmon  in  Berlin:  SALLET,  Zeitschr.  f.  Numismatik  II  1;  Baumeisxer, 
Denkm.  Nr.  1142. 

2)  Apokalypse  6,  14:  Kai  c  oüpavöc  äirexuupken.  übe  ßißXiov  elAiccöuevov  nach 
Jesaias  34,  4,  was  dann  weiter  ausgesponnen  wird  in  der  apokryphen  Johannes- 
apokalypse c.  3  (bei  TISCHENDORF,  Apocal.  apoeryphae):  Kai  eibov  ßißXiov  Kei.uevov, 
die  vojuKeiy  (ue,  eirTÄ  öpetuv  tö  itöxoc  aüxoö,  xö  be  ufjKoc  auxoü  vouc  dvBpuuTraiv  oü 
öuvaxai  KaxaXaßeiv,  wo  also  Tra/oc  und  uf}Koc  gesondert  geschätzt  werden;  ebenda 
c.  15:  die  Erde  wird  weiß  und  eben  sein,  ohne  Berge,  Kai  jevr\ceTai  übe  xapxiov. 

3)  Siehe  die  „Fragen  des  Bartholomäus"  (Nachrichten  der  Qött.  G.W.  1897 
S.  16)  Kai  <hru}ux6ri  die  ßißXiov  >i  Yn ;  dazu  Brinkmann,  Rhein.  Mus.  54  S.  105.  Die 
Erde  schien  also  zylinderförmig,  wie  Anaximander  sie  sich  dachte. 

4)  Siehe  oben  S.  27. 


214 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


von  einem  runden  Säulenumgang  umgeben.  Dieser  Umgang  zerfiel  in 
52  einzelne  Abteilungen,  und  diese  Abteilungen  heißen  nun  dort  ceX.bec. x) 
Betrachtet  man  die  Abbildung  bei  Cavvadias  a.  a.  O.  Tfl.  IV,  Fig.  2,  so  kann 
man  sagen:  solche  Abteilung  entsprach  wirklich  der  selis  eines  Buches. 
Die  Säulenhalle  konnte  in  der  Tat  an  eine  ausgespannte  Rolle  von  52  Seiten 
erinnern,  deren  Enden  sich  im  Kreis  berühren.  Dio  Cassius  sagt  53,  27, 
daß  das  Pantheon  in  Rom,  weil  es  Tholosform  habe,  dem  Himmel  gleiche. 
Aber  auch  das  Buch  glich  dem  Himmel,  wie  wir  gesehen  haben.  So 
konnte  endlich  auch  die  Tholos  dem  Buche  gleichen. 

Der  Grieche  war  sich  in  jenen  Zeiten  bewußt,  daß  seine  Buchrolle  aus 
Ägypten  stammte,  und  die  griechische  Rolle  ist  demnach  mit  der  ägypti- 
schen Rolle  vollständig  identisch.  Dies  habe  ich  andernorts  vor  Zweifeln 
gesichert")  und  füge  nur  hinzu,  daß  auch  Aristophanes  in  den  Fröschen 
v.  943  bei  der  Erwähnung  von  ßußA.ia  zugleich  an  Bücher  und  an  das 
Schilf  denkt,  aus  dem  sie  hergestellt  wurden.'')  In  der  Darstellung  des 
Buches  hat  daher  die  griechische  Kunst  von  den  Ägyptern  die  zwei  wich- 
tigsten Motive  übernommen,  das  Greifmotiv  I  (vgl.  oben  S.  12  und  45); 
denn  der  feste  Griff  der  zusammengeballten  Hand  ist  hier  und  dort  der 
gleiche;  sowie  das  Motiv  VI;  denn  auch  der  Ägypter  hielt  beim  Lesen  das 
Buch  „zwischen  den  Händen"  wie  der  Grieche  (S.  16  und  135).  Daß  auch 
der  Bücherkasten,  vielleicht  auch  das  Schnüren  der  Rolle  u.  a.  von  dort  zu 
Griechen  und  Römern  kam,  werden  wir  gleich  sehen.'1) 

Ferner  ist  nun  aber  dieselbe  altgriechische  Buchrolle  auch  mit  der- 
jenigen identisch,  die  die  Griechen  und  Römer  späterhin,  als  Alexandria 
gegründet  war  und  Makedonier  und  Römer  in  Ägypten  herrschten,  benutzt 
haben.  Dies  zeigen  wiederum  die  Monumente.  Die  geschlossene  und 
offne  Rolle  auf  den  alten  Vasen  oder  auf  der  Basis  von  Mantinea  ist  von 
denen  auf  hellenistisch-römischen  Schildereien  durch  nichts  verschieden. 
Ein  Unterschied  war  nur  in  buchhändlerischer  Beziehung:  Ägypten  mit 
seiner  Hauptstadt  wurde  jetzt,  für  lange  Zeit  als  das  Zentrum  der  Papier- 
fabrikation auch  ein  Zentrum  des  Literaturlebens.  Dagegen  muß  zu  Cicero's 
Zeit  Atticus  die  Stadt  Athen  mit  Büchern  versorgen.  ') 

1)  Siehe  Cavvadias,  Fouilles  d'Epidaure  I  n.  242  S.  100.  Ist  es  Zufall,  daß 
auch  der  späte  Apollinaris  Sidonius  wieder  die  Innenwände  eines  Gebäudes  paginae 
nennt  (epist.  2,  1,  7  und  2,  10,  3)? 

2)  Siehe  Zentralblatt  a.  a.  O.  S.  551  ff. 

3)  Der  Sinn  dieser  Stelle  ist:  so  wie  man  Saft,  X"^c,  aus  den  Pflanzen  ge- 
winnt durch  Zerreiben  des  harten  trockenen  Stengels  mit  Aufguß  von  Wasser 
(vgl.  Theophrast  h.  pl.  IX  8),  so  gibt  Euripides  der  Tragödie  den  Saft  seines  Ge- 
schwätzes, xuAöv  cTUJ^uAudTUJv,  den  er  abseiht  aus  trockenen  Papyrusstengeln  resp. 
Büchern,  «tco  ßußXiwv  ÜTrneüüv  (Büchern  nämlich,  die  er  gelesen  hat). 

4)  Betreffs  des  Reliefs  Chigi,  wo  vielleicht,  wie  bei  den  Ägyptern,  auf  eine  ge- 
schlossene Rolle  geschrieben  wird,  siehe  oben  S.  202. 

5)  Cic.  ad  Att.  II  1,2;  vgl.  Buchwesen  S.  431. 


2:  Umfang  der  Rollen;  Großrollensystem. 


215 


2.  Umfang  der  Rollen.  Und  daraus  erklärt  sich  ein  zweiter  Unter- 
schied, der  zwischen  der  älteren  und  jüngeren  Zeit  des  Griechentums  be- 
stand, und  auch  die  Kunst  bringt  ihn  gelegentlich  zum  Ausdruck.  Die 
ältere  Zeit  ließ  größere  Rollenumfänge  zu.  Wichtig  ist  die  Ausdrucksweise 
des  Aeneas  Tacticus  31,  1  (um  das  Jahr  360),  wo  er  bei  einer  Kriegslist 
ein  ßißXiov  literarischen  Inhalts  verwendet  wissen  will  tö  tuxöv  |uere8ei, 
„einerlei  wie  groß":  der  Umfang  solcher  Literaturrollen  war  somit  tatsäch- 
lich damals  noch  ein  schwankender.  Werke  wie  des  Herodot  „Geschichte" 
sind,  was  die  Buchform  betrifft,  als  eine  einzige  Bucheinheit  gedacht 
(unsre  Buchteilungen  sind  unecht),  und  es  blieb  dem  Leser  überlassen, 
falls  ihm  sein  Exemplar  zu  groß  war,  das  Volumen  nach  Belieben  in 
irgendwelche  Teile,  töuoi  oder  i^nara,  d.  h.  „Abschnitte"  zu  zerschneiden. 
Des  Thukydides  Werk  zerfiel,  wie  ich  glaube,  ursprünglich  in  zwei  Rollen; 
die  erste  schloß  mit  dem  6  TTpüjtoc  TröXeuoc  YeYpcmTai  ktX.  ab;  im  Anfang 
der  zweiten  standen  die  Worte  ji^pacpe  öe  Kai  Taöia  OouKubibnc  'AönvaToc 
(V  26);  denn  der  Name  des  Autors  mußte  für  die  zweite  Rolle  gesichert 
werden.  Für  Isokrates  or.  XII  136  und  XV  12  war  ein  Xöyoc  von 
10000  Zeilen  tatsächlich  eine  Einheit,  und  es  bleibt,  nach  ihm,  dem  Be- 
nutzer überlassen,  darin  soviel  uepn.  herzustellen,  als  ihm  ansteht.  Daher 
das  Schwanken  in  den  Buchteilungen  der  älteren  Autoren,  daher  auch  ihre 
Unzweckmäßigkeit.  Galen  aber  wußte  noch,  daß  solche  Buchteilungen 
nachträglich  hergestellt  worden  sind,  und  es  ist  uns  ein  wertvolles  Zeugnis, 
wenn  er  an  Hippokrates  rühmt,  er  habe  keine  Bücher  von  10000  Zeilen 
Umfang  geschrieben,  die  hernach  dann  noch  weiter  in  Bücher  und  zwar 
in  je  zwei  zu  5000  Zeilen  hätten  „zerschnitten"  werden  müssen.1)  Ferner 
erklären  sich  so  die  tö|uoi  des  Antisthenes,  die  nur  „Rollen"  bedeuten2), 
aber  Serien  von  Schriften  des  genannten  Cynikers  enthielten.  Dies  waren 
also  sog.  ßißXoi  cuuuiYelc,  volumina  miscellanea;  ebenso  die  Dialogsammei- 
bücher anderer  Sokratiker. 

Wer  von  der  Unechtheit  der  Buchteilungen  im  Homer,  Herodot  und 
Xenophon  überzeugt  ist  und  doch  an  das  „Großrollensystem",  von  dem  ich 
rede,  nicht  glauben  will,  ist  inkonsequent.  Daß  ägyptische  Papyrusrollen 
von  über  50  und  über  100  Fuß  Länge  erhalten  sind,  ist  bekannt.8)  Den 


1)  Siehe  M.  Bonnet,  De  Gl.  Galeni  subfiguratione  empirica,  Bonn  1872,  S.  63: 
libros  scribens  decem  milium  verborum  (bessere  Lesung  versuum),  deinde  ipse  rur- 
sus  dividens  eos  bifariam  ut  alteruter  sit  per  se;  vgl.  Hippocrates  ed.  Charterius 
II  S.  346. 

2)  Buchwesen  S.  449  f.;  über  töuoi  auch  oben  S.  19;  vgl.  noch  die  töuoi  der 
aufgefundenen  Aristotelesschrift  A9.  iroArreia.  H.  THIERSCH  teilte  mir  mit,  daß  bei 
Giuseppe  Botti,  Plan  d'Alexandrie,  sich  die  Erwähnung  eines  Kastens  mit  der  Auf- 
schrift töuoi  öktuj  finde. 

3)  .  z.  B.  Turiner  Totenbuch  57F.  (LEPSIUS,  Chron.  S.  38,  1).  Märchenpapyrus 
72  Fuß  (Ebers,  Ägypten  und  die  Bücher  Moses  S.  13).    Hieroglyphischer  Papyrus 


216 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Text  einer  solchen  Rolle  teilte  der  Ägypter  in  etliche  Abschnitte,  die  bis- 
weilen auch  wieder  „Rollen"  hießen,  aber  sie  blieb  dabei  eine  Einheit  (oben 
S.  19).  Da  der  alte  Grieche  aus  Ägypten  sein  Buch  übernahm  und  ihm 
den  Umgang  mit  dem  Buch  ablernte,  hat  er,  wo  es  nötig  wurde,  natürlich 
auch  dieselben  Buchgrößen  verwendet.1)  Jeder  Zweifel  verstummt,  wenn 
man  sieht,  daß  noch  unter  König  Ptolemäus  II.  die  griechische  Verwaltung 
Ägyptens  selbst  für  Aufzeichnung  fiskalischer  Verfügungen  eine  Rolle  von 
44  oder  59  F.  Länge  verwendet  hat,  an  der  ein  Dutzend  Schreiber  tätig  waren; 
sie  ist  erhalten  und  ediert  von  Grenfell:  Revenue  laws  of  Ptolemy  Phila- 
delphus  usw.,  Oxford  1896.  Dies  ist  somit  ein  griechischer  Papyrus; 
daß  es  nicht  bloß  altägyptische,  sondern  auch  Papyri  mit  griechischem  Text 
von  solcher  Länge  gab,  ist  hiermit  belegt;  und  zwar  stammt  er  aus  der 
Zeit  des  Kallimachos  und  der  Anfänge  der  großen  griechischen  Bibliothek 
in  Alexandria.  Sein  Inhalt  sind  unzusammenhängende  Schriftstücke;  er  ist 
also  wiederum  eine  regelrechte  ßißXoc  cuuuixrjc,  und  die  Tomoi  des  Anti- 
sthenes  entsprechen  ihm  dem  Wesen  nach.  Daß  erst  die  Aristacheer 
(oi  rrepi  ApicTapxov)  den  Homer  in  zweimal  24  Bücher  teilten,  wird  uns 
ausdrücklich  überliefert.")  So  war  denn  auch  noch  für  Archelaos,  den 
Schöpfer  der  Homerapotheose  und  Zeitgenossen  des  Aristarch,  Ilias  und 
Odyssee  nur  je  ein  Buch. 3)  Auch  auf  der  S.  159  erwähnten  Münze  ist  die 
Ilias  eine  Rolle.  Ulpian  kennt  noch  solchen  Homer  in  uno  volumine,  aber 
er  betrachtet  ihn  als  Ausnahme  (Digest.  32,  52).  Noch  für  das  5.  Jahrh. 
n.  Chr.  ist  uns  eine  Homerrolle  von  120  Fuß  Länge  bezeugt4);  und  man 
fuhr,  wie  die  in  Ägypten  zutage  gekommenen  Homerpapyri  zeigen,  bis  zum 
Ende  der  römischen  Kaiserzeit  im  Laienpublikum  fort,  die  Homergesänge 
beliebig  auf  Rollen,  d.  i.  auf  Bücher,  zu  verteilen,  ohne  doch  im  Verlauf 
des  Textes  den  Schluß  eines  Gesanges  nach  der  uns  geläufigen  Buch- 
teilung besonders  anzuzeigen/')    Ja,  diese  Sucht  der  Ptolemäerzeit,  größere 


77%  Fuß  (Additions  to  the  Mss.  in  the  Brit.  Mus.  1836  S.  43  ff.).  Hieratischer 
Papyrus  144  Fuß  (Chabas  Pap.  mag.  Harris,  1860,  S.  2). 

1)  Die  Einreden  DziATZKO's,  Rhein.  Mus.  46  S.  366,  sind  nichtig;  er  redet  von 
der  Gebrechlichkeit  des  Schreibmaterials  u.  a.  Diese  Umstände  haben  den  Ägypter 
doch  nicht  abgeschreckt,  so  große  Bücher  herzustellen. 

2)  Ps.  Plutarch  Vita  Horn.  c.  4:  1\.iüc  xul  'öbucceta  öirjpimevri  eKocrepa  eic  töv 
äpiBjuöv  tüuv  CTOixeüuv  oüx  üttö  toü  ttoii"|toö,  ä\\'  üirö  tüliv  ypaMlucmKÜJv  TUÜV  rrepi 
Apierapxov.  Vielleicht  teilte  Aristarch  selbst  den  Herodot?  Siehe  Amherst  papyri, 
ed.  Grenfell  and  Hunt  vol.  II  Nr.  12.  3)  Oben  S.  82. 

4)  Darüber  jetzt  Blau  a.  a.  0.  S.  32  f.  Einiges  weitere  den  Homer  Betreffende 
s.  Buchwesen  S.  444  f .  und  E.  LOHAN,  De  librorum  titulis  apud  classicos  scriptores 
S.  6  f.    Über  ähnlich  umfassende  jüdische  Bibelrollen  des  2.  Jahrh.  s.  Blau  S.  40. 

5)  Vgl.  C.  HÄBERLIN,  Griechische  Papyri  (1897)  Nr.  24,  wohl  aus  dem  1.  Jahrh. 
v.  Chr.,  enthaltend  die  Gesänge  V  und  ß;  als  die  Rolle  vollständig  war,  maß  sie 
etwa  20  Fuß  Länge.  Ebenda  Nr.  8  (in  Genf):  Schluß  von  A,  Anfang  von  M.  Nr.  6 
aus  dem  3.  Jahrh.  n.  Chr.  gibt  I~  und  A  mit  der  Subscriptio  Uiööoc  b'.  Nr.  4  aus 
dem  5.-6.  Jahrb.:  Gesang  A  und  B.    Nr.  5  aus  dem  4.  Jahrh.,  der  längste  dieser 


2:  Umfang-  der  Rollen;  Buchteilung.  217 

Werke  in  Rollen  zu  zerlegen,  betraf  nicht  bloß  die  ältere  griechische  Lite- 
ratur; auch  das  ägyptische  Totenbuch,  in  hieratischer  Schrift,  wurde  da- 
mals im  Dienst  einer  Berenike  auf  zwei  kleinere  Rollen  verteilt;  s.  Führer 
durch  die  Sammlung  Erzherzog  Rainer  Nr.  103  a  und  b. 

Weil  dem  so  ist,  hatten  Herodot  und  Xenophon  den  Stoff  ihrer  Er- 
zählungen nur  im  Großen  sich  entwickeln  lassen,  aber  ihn  noch  nicht 
ängstlich  auf  Bücher  disponiert.  Erst  seit  der  alexandrinischen  Zeit  wurde 
das  Buch  als  Teil  des  Werkes  inhaltlich  verselbständigt:  eine  schöne  Auf- 
gabe für  den  Künstler,  der  seinen  Stoff  nunmehr  in  gleichmäßige  Teile 
gliedern  und  so  durch  die  Form  überwinden  mußte.  Welch  andrer  Anlaß 
ist  dafür  denkbar  als  der  Raumzwang?  Keine  Rolle  durfte  nunmehr  ein 
gewisses  Maximalmaß  überschreiten. 

Ägypten  besaß,  wie  gesagt,  Rollen  von  riesenhaftem  Umfang;  die 
altägyptische  Kunst  aber  stellte  doch  immer  nur  Rollen  von  geringer  oder 
mäßiger  Größe  dar.  Ganz  ebenso  übertreffen  nun  auf  den  griechischen 
Bildwerken  der  älteren  Zeit  die  meisten  Rollendarstellungen  anscheinend 
nicht  den  Umfang,  den  etwa  eine  sophokleische  Tragödie  erforderte.  Das  ist 
natürlich;  denn  es  sind  zumeist  nur  Gesangsvorführungen,  die  wir  auf  den 
Vasen  oder  auf  der  Basis  von  Mantinea  sehen,  und  so  ponderose  Werke 
wie  Plato's  Staat  darzustellen,  hatte  die  Kunst  keinen  Anlaß,  es  sei  denn, 
daß  sie  uns  einen  Studierenden  vorführen  wollte.  Dies  aber  hat  sie  ein- 
mal tatsächlich  getan.  Der  Jüngling  auf  der  Grabstele  von  Grottaferrata 
ist  ein  solcher  Studierender,  und  die  Rollengröße  ist  nun  hier  wirklich 
ganz  ungewöhnlich  und  bestätigt  unsere  Voraussetzungen  (s.  oben  S.  157). 
Auch  die  Rolle  in  der  Hand  des  Stesichoros  verdient  Beachtung;  eben- 
so in  der  Hand  Homer's  (s.  S.  159)  und  der  Terrakotte  aus  Tanagra 
(S.  102). 

Von  der  hellenistischen  Zeit  ab  bis  zum  Ende  des  Altertums  er- 
scheint die  Rolle  dagegen  stets  unabänderlich  in  gleicher  Beschaffenheit. 
Das  Minimalmaß  für  Monobibla  ist  allerdings  nicht  streng  abgegrenzt,  und 
die  Rolle  erscheint  bisweilen  dünner  als  das  Normalmaß  erfordert. J)  Sehr 
dünn  z.  B.  auf  dem  Relief  der  Ära  Pacis   im  Vatikan  (Helbig,  Führer 


Homerpapyri,  enthält  B  v.  101  bis  A  v.  40.  Ilias  XIII  und  XIV  verbunden,  s.  Hunt 
im  Journal  of  phil.  XXVI  S.  25  ff.  Dagegen  decken  sich  Gesang  und  Rolle  in  den 
Iliasrollen  bei  HÄBERLIN  Nr.  22  und  23,  letztere  2  m  lang. 

1)  Als  Ehekontrakt  u.  ä.  Auch  in  der  Literatur  gibt  es  gelegentlich  Monobibla 
geringsten  Umfangs,  denen  es  nie  zuteil  wurde,  mit  gleichartigen  Stücken  in  ein 
Buch  zusammengestellt  zu  werden;  ich  denke  an  Horaz'  Carmen  saeculare  und 
Vergil's  Copa.  Dafür  ist  noch  die  Äußerung  Fronto's  lehrreich  S.  34  ed.  NABER: 
feci  .  .  .  excerpta  ex  libris  sexaginta  in  quinque  tomis;  sed  cum  leges  sexaginta 
[libros],  inibi  sunt  et  Novianae  et  Atellaniolae  et  Scipionis  oratiunculae :  ne  tu 
numerum  nimis  expavescas ;  also  kurze  Reden  Scipio's,  kleine  Atellanen  liefen  allein 
um.    Hierdurch  wird  ergänzt,  was  ich  im  Buchwesen  S.  298  vorgetragen. 


218 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Nr.  159)  die  Rolle  in  der  Hand  der  ersten  Figur  von  links  oder  die  Röll- 
chen auf  dem  S.  143  f.  erwähnten  pompejanischen  Konzert  und  auf  den 
Admetbildern  (S.  132  f.).  Im  übrigen  mußte  ein  Normalbuch  in  Prosa  als 
Mindestmaß  gut  1000  Zeilen  halten.    Dies  heißt  öAov  ßißXiov.1)    Wohl  aber 

  zeigt  sich  die  Konstanz  darin,  daß 

ein  Maximum  an  Dicke  und  Um- 
fang nie  mehr  überschritten  wird. 
Das  Buch  mußte  sich  im  Griff 
bequem  umfassen  lassen.  Das 
ueya  ßißXiov  luera  kcxköv  des  Kalli- 
machos  ist  in  seiner  eigentlich- 
sten Wortbedeutung  seit  des  Kalli- 
machos  Zeit  in  der  Literatur  streng 
beobachtet  worden.2) 

Eine  Ausnahme  erklärt  sich  von 
selbst.  Ich  meine  den  Grabstein  des 
T.  Statilius  Aper,  Halle  des  Capi- 
tolin.  Museums,  Nr.  11  (W.  Altmann, 
Die  röm.  Grabaltäre  S.  246,  dessen 
Abbildung  indes  das  Detail  nicht 
scharf  erkennen  läßt).  Ein  junger 
Mann  steht  da ;  die  gesenkte  R.  faßt 
den  Mantel;  die  1.  Hand  (mit  Rolle)  un- 
echt. Neben  seinem  1.  Bein  eine 
hohe  eckige  Capsa;  auf  deren  Deckel 
steht  eine  einzelne  geschlossene  Rolle, 
an  die  Seitenwand  angelehnt:  unsre 
Abb.  143.  Die  Capsa  ist  just  so  hoch, 
daß  die  Rolle  darin  stehen  könnte; 
sie  ist  somit  Rollencapsa.  Diese  Rolle 

— —————————  hat  nun  eine  ganz  enorme  Größe:  sie 

Abb.  143:  Aper.  ist  annähernd  so  lang  und  so  dick  wie 

ein  Mannesarm.  Die  Inschrift  auf  dem 
Sockel  aber  klärt  uns  auf.  Der  junge  Verstorbene  war  Architekt,  speziell  mensor 
aedificiorum;  die  Rolle  war  für  Aufnahme  von  Plänen  bestimmt.    Für  Baupläne  wie 


1)  Siehe  über  öAov  ßißXiov  Buchwesen  S.  155  f.  Dazu  Clemens  Alexandrinus 
Strom.  I  101  vom  Ptolemäus  Mendesius:  tüc  &e  tüjv  ArruTrriujv  ßaciAeuuv  Trpcitetc  ev 
Tpiciv  öXcuc  6KÖef.ievoc  ßißXoic.  Idem  VI  25:  tö  Trepi  Oecrrpurnüv  ßißXiov  ö\ÖK\r]pov 
wurde  von  Engammon  nachgeahmt.  Origenes  contra  Cels.  VIII  S.  393  f.  setzt  aus- 
einander, daß  man  ein  öaov  ßißXiov  schreiben  müsse,  um  Paulus  ad  Cor.  I  genau  zu 
erklären.  E.  Rohde  brachte  im  Rhein.  Mus.  43  S.  477  noch  die  wichtige  Galenstelle 
VIII  S.  698K.  bei,  wo  ev  öaov  ßißXiov  auf  g-rrr]  irXeiw  töiv  xi^iijv  bemessen  wird. 
Daher  schreibt  Censorin,  De  die  nat.  1,  6:  ex  philologis  commentariis  quasdam 
quaestiunculas  delegi  quae  congestae  possint  aliquantum  volumen  efficere; 
das  Volumen  ist  also  ein  bestimmtes  Maß  und  muß  ausgefüllt  werden;  und  eben 
darum  klebt  Terentius  Scaurus  zwei  libelli  zu  einem  zusammen,  weil  sie  so  decen- 
tius  prodeunt  (Grammatici  lat.  VII  K.  33,  11). 

2)  Wenn  Plinius  ep.  1  20,  4  den  Satz  durchführt:  bonus  Uber  melior  est  quis- 
que  quo  maior,  so  soll  das  ein  Paradoxon  sein.  An  eine  Überschreitung  des  damals 
üblichen  Maximalmaßes  ist  aber  dabei  nicht  gedacht.    Vgl.  oben  S.  182,  2. 


2:  Größe  der  Rollen.    3:  Schreibzeug-. 


219 


für  geographische  Pinakes  waren  größere  Flächen  nötig.  Gern  wird  man  auch 
mit  HELBIG  speziell  an  eine  Pergamentrolle  denken,  im  Hinblick  auf  die  Weltkarte 
auf  Pergament,  Orbis  pictus  in  membrana,  die  im  Besitz  des  Mettius  Pompusianus 
war.1)   Auch  von  Parrhasius  gab  es  Umrißzeichnungen  in  membranis.  '2) 

3.  Schreibzeug.  Auf  der  r.  und  1.  Seitenfläche  des  eben  erwähnten 
Grabsteins  sind  im  Relief  noch  allerlei  Utensilien  abgebildet,  deren  sich 
Aper  bediente.  Da  diese  z.  T.  nicht  richtig  gedeutet  werden,  sei  hier 
einiges  davon  mitgeteilt.  Auf  der  r.  Seite  befindet  sich  u.  a.,  in  flach- 
gedrückter Darstellung,  ein  Rollenbündel  zu  5  Rollen:  s.  Abb.  144b;  auf  der 


\ 


Abb.  144  a.  Abb.  144  b. 

linken  oberhalb  einer  aufgeklappten  Schreibtafel  ein  Bündel  von  5  Calami, 
die  von  Griffeln,  Stili,  leicht  zu  unterscheiden  sind:  s.  Abb.  144a. 

Um  diesen  Unterschied  klar  zu  machen,  sei  die  marmorne  Inschrift- 
tafel im  Chiostro  von  S.  Lorenzo  f.  1.  m.  verglichen  (Matz-Duhn  3809);  an 
ihrem  1.  Rande  ist  hier  ein  Bündel  Calami  (vier  oder  fünf)  im  Futteral 
mit  daran  befestigtem  Atramentarium,  auf  ihrem  r.  Rand  ein  offnes  Dipty- 
chon mit  Griffel  (Stilus)  eingraviert  (geritzt  und  mit  roter  Farbe  nach- 
gezogen).   Siehe  Abb.  145. 3)    Mit  ersterem  stimmt  auf  das  beste  das  er- 

1)  Sueton  Domit.  10.  Über  geographische  Karten  s.  unten.  Die  älteste  Land- 
karte der  Welt  stammt  aus  der  Zeit  Ramses  II.  und  ist  auf  Papyrus  gezeichnet: 
Erman,  Ägypten  S.  619.  2)  Plin.  n.  hist.  35,  68. 

3)  Nach  dem  Original.  Man  findet  die  Gegenstände  auch  sonst  abgebildet, 
z.B.  bei  GarrüCCI  Tfl.  488,  20;  Ch.  ReüsENS,  Elements  de  paleogr.,  1899,  S.  442 
und  443;  DAREMBERQ  -Saglio,  Dict.  Fig.  995. 


220  'V-  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 

haltene  hölzerne  Schreibzeug  im  Ägyptischen  Museum  zu  Berlin,  Ausführl. 
Verzeichnis  S.  306  Nr.  11352,  überein:  an  dem  Futteral  zu  den  Federn  ist 
das  Tintenfaß  mit  einem  Lederriemen  befestigt. 

So  gibt  auch  das  Schreibzeug  bei  Schreiber,  Bilderatlas  1  Tfl.  90,  7, 
nicht  etwa  drei  Stili,  sondern  drei  Calami.  Der  Stilus  pflegt  in  den  Dar- 
stellungen nur  isoliert  aufzutreten,  der  Calamus  im  Bündel;  denn  nur  der 
Calamus  war  leicht  zerstörbar  und  mußte  rasch  ersetzt  werden  können. 

Natürlich  gab  es  aber  auch  Kästchen,  in  denen  man  die  Calami  oder 
die  Stili  mit  sich  führte.3) 


Abb.  145. 


4.  Zugespitzte  Rollen.  Kehren  wir  zur  Betrachtung  des  Rollenbuchs 
zurück,  so  ist  es  für  den,  der  die  von  mir  vorgeführten  Abbildungen 
durchsieht,  augenfällig,  daß  es  (gewisse  unbeholfene  Darstellungen  ab- 
gerechnet) sich  stets  gleich  und  überall  dasselbe  ist. 

Schwierigkeit  bereiten  nur  die  vereinzelten  Fälle,  wo  die  geschlossene 
Rolle,  für  die  wir  Zylinderform  fordern,  nach  unten  spitz  zuläuft.  Diese 
Seltsamkeit  ist  z.  B.  anzutreffen  auf  unsrer  Abb.  41  (stehende  Frau  im 
Seitenfeld  rechts,  Motiv  la).  Auch  sonst  habe  ich  diese  Eigentümlichkeit  auf 
späten  Monumenten  gelegentlich  angetroffen.  Die  Zuspitzung  ist  stets  unten, 
nie  oben;  vgl.  noch  Abb.  50:  eine  nachlässige  Zusammenfaltung  in  Dütenform. 

5.  Einzelblätter.  In  den  Papyrusfabriken  wurden  sowohl  Einzelblätter 
von  Charta  als  auch  sog.  scapi  zu  mehreren  Blättern  hergestellt.  Solchen 
scapus  hält  vielleicht,  wie  wir  vermuteten,  die  Leserin  Pompeji's,  deren 
offnes  Buch  rechts  und  links  keine  Rollungen  zeigt  (Abb.  98).    Aber  auch 


1)  Siehe  Sueton  Claud.  35;  Martial  14,  21;  MARQUARDT,  Privataltert.  S.  779. 


4:  Zugespitzte  Rollen.    5:  Einzelblätter. 


221 


I 


\ 


die  Einzelblätter  aus  Charta  wurden 
zu  Notizen  oder  Billets  verbraucht 
und  beschrieben.1)  Daher  das  vom 
Faden  zusammengehaltene  Doppelblatt 
in  Neapel,  Mus.  Abt.  LXXXII  Nr.  9822 
(=  Helbig  1723)  sowie  der  gleichfalls 
von  Faden  umschlossene,  zusammen- 
gefaltete und  gesiegelte  Brief  des 
Lucretius,  ebenda  1722."')  Sonst  be- 
gegnen kleinere  Blätter  statt  der  Rol- 
len in  der  Kunst  höchst  selten  und 
werden  oftmals  nur  den  Ergänzern  ver- 
dankt. Freilich  sahen  wir  S.  206 f.  das 
Schreiben  auf  Einzelblättern  wiederholt 
dargestellt.  S.  152  f.  sahen  wir  auf 
christlichen  Monumenten  gleichfalls 
Blätter,  aus  denen  gelesen  wird. 
Hiervon  abgesehen,  kann  ich  von 
statuarischen  Werken  nur  die  Muse 
Nr.  6394  im  Saal  der  Musen  zu 
Neapel  beibringen,  die  in  vorgestreckter 
Hand  ein  Blatt  hält,  das  echt  und  in  sei- 
ner unteren  Hälfte  annähernd  richtig 
ergänzt  scheint:  unsre  Abb.  146.  Dazu  kommt  das  christliche  Symbol  der 
Hand,  die  einen  Zettel  mit  der  Aufschrift  2HCEC  hält;  es  ist  eine  1.  Hand; 
s.  Kraus,  Gesch.  der  christl.  Kunst  I  S.  117  Fig.  45. 

Sonst  kenne  ich  nichs  ähnliches;  denn  das  Kind  bei  REINACH,  Repert.  stat.  III 
132,  8,  hält  doch  vielleicht  nur  einen  Spiegel,  wie  auch  für  den  am  Boden  sitzenden 
Amorknaben  im  Magazzino  archeol.  auf  dem  Caelius  (Vorletztes  Zimmer)  anzunehmen 


Abb.  1-16. 


1)  Siehe  Buchwesen  S.  62;  229  Anm.;  237;  DZIATZKO,  Untersuchungen  S.  123  ff., 
wo  freilich  nicht  alles  annehmbar.  Was  sich  an  Briefen,  Steuererklärungen,  Ab- 
rechnungen, Quittungen  u.  ä.  in  den  Sammlungen  der  Papyri  der  größeren  Museen 
findet,  steht  vielfach  auf  solchen  Einzelblättern;  gelegentlich  auch  zwei  Urkunden 
auf  einem  Blatt  zusammengeschrieben:  Erman  und  KREBS,  „Aus  den  Papyrus  der 
Kgl.  Museen"  S.  125.  Die  Befragungen  der  Orakel  geschahen  schriftlich  und  das 
Archiv  der  Orakelstätte  bewahrte  dann  den  Fragezettel  (chartulae  seu  membranae) 
auf:  s.  Ammian.  Marceil.  19,  12,  3.  Lehrreich  das  medizinische  Handbuch  in  Berlin, 
a.  a.  0.  S.  70:  „Irgend  ein  Schreiber  alter  Zeit,  der  ein  medizinisches  Sammelbuch 
zusammenschrieb,  benutzte  dazu  einzelne  Blätter  und  klebte  dann  erst,  als  er  diese 
schon  beschrieben  hatte,  aus  ihnen  seine  Rolle  zusammen."  Dabei  begegnete  es  ihm 
nun,  daß  er  ganz  unzusammengehörige  Blätter  zusammenklebte.  Solches  Kleben 
vollführt  vielleicht  Diogenes  im  Theater  (s.  Epistolographi  ed.  HERCHER  S.  247  Nr. 32: 
€Ka6fmnv  ev  xüt  Geöxpw  ßißXibioc  koXXüüv),  als  Alexander  sich  vor  ihn  stellt  und  ihm 
das  Licht  raubt,  so  daß  er  xä  biacrrdcuaxa  xu>v  ßiß\tb(wv  nicht  mehr  erkennen  kann. 
Richtiger  wird  hier  aber  an  Ausbessern  des  schadhaften  Papiers  zu  denken  sein. 

2)  Auch  in  Mau's  Führer  abgebildet. 


222 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


ist,  auf  dessen  Beinchen  eine  glattgeschliffene  Platte  liegt  (Helbig,  Führer  I  Nr.  744). 
Er  hat  den  Spiegel  für  seine  Mutter  in  Verwahrung,  die  neben  ihm  stand,  aber  großen- 
teils weggebrochen  ist.  Verdächtig  ist  das  Buchmotiv  des  sitzenden  Plato,  oben  S.  196. 

6.  Das  aus  der  Hand  gelegte  Buch.  Aber  ist  das  nun  alles,  was 
uns  die  antike  Bilderwelt  über  das  Buch  zu  sagen  hat?  Gewiß  nicht.  Ein 
Teil  von  Werken  der  Kunst  ist  von  mir  noch  übergangen;  es  sind  die- 
jenigen, wo  das  Buch  nicht  in  der  Hand  des  Menschen  Dienste  tut,  son- 
dern für  sich  daliegt,  einzeln  oder  in  Haufen.  In  solchen  Bildern  können 
wir  gelegentlich  mehr  Detail  erwarten,  und  wir  täuschen  uns  nicht. 

Von  den  christlichen  Goldgläsern  ist  dabei  füglich  abzusehen.  Sie  ver- 
wenden die  geschlossenen  Volumina  bisweilen  selbständig  als  symbolische  Ver- 
zierung und  Raumfüllung.  Vier  solcher  Zylinder  sieht  man  am  Rand  des  Bildes 
verteilt  bei  Garrucci  Tfl.  176,  16  und  184,  1;  es  sind  die  vier  Evangelien. 
Ähnlich  zwei  178,  6.  Zwischen  den  menschlichen  Figuren  selbst  ist  solch 
einzelne  Rolle  eingeschoben  180,  8;  182,  4;  199,  3  und  sonst.  Bisweilen 
erscheinen  sie  unverhältnismäßig  groß  und  dienen  wie  die  Säulen  am 
Säulensarkophag  dazu,  die  nebeneinander  stehenden  Personen  voneinander 
abzutrennen:  ebenda  186,  5  und  187,  6.  Für  die  Beschaffenheit  des  Buches 
selbst  ist  daraus  nichts  zu  lernen. 

Es  gab  ein  Relief bild  der  Dichterin  Telesilla  in  Argos;  die  hatte  Bücher 
vor  sich  zu  Boden  geworfen  und  hielt  statt  dessen  einen  Helm,  blickte  auf 
ihn  und  wollte  ihn  aufsetzen.1)  Sie  wollte  Kampf  und  Taten  statt  der  Worte. 
Hier  sah  man  also  die  Rolle  am  Boden  liegen;  und  dasselbe  ist  der  Fall, 
wenn  auf  dem  Homerrelief  des  Archelaos,  während  Chronos  Iliade  und 
Odyssee  als  je  ein  Buch  wie  Hanteln  in  den  Händen  hebt,  dagegen  am 
Boden  zur  Seite  des  Thrones,  auf  dem  Homer  sitzt,  eine  geschlossene  Rolle 
liegt,  an  welcher  Maus  und  Frosch  (der  Frosch  ist  weggebrochen)  nagen: 
eine  witzige  Verdeutlichung  der  Batrachomyomachie.  Als  Parergon,  und  weil 
es  der  Turreivr)  Xe'Eic,  dem  genus  humile  angehört,  deshalb  muß  das  Werk- 
chen an  der  Erde  liegen.  Eine  Büchercapsa  verlohnte  nicht.  In  einer 
Schreibszene  ferner  liegen  Rollen  am  Boden  im  Codex  Rossanensis  fol.  8b. 
Eine  offne  Rolle  wiederum  zu  Füßen  des  Dichters  auf  dem  Elfenbein- 
diptychon von  Monza  (oben  S.  88);  ein  ähnlicher  Fall  auch  oben  S.  207 
Anm.  3.  Die  Rolle  auf  einer  Platte  (S.  1 26 f.)  ist  dagegen  schwerlich  ein  Buch. 

7.  Weihung  von  Büchern.  Es  gibt  aber  auch  Fälle,  wo  das  Buch 
als  Gegenstand  der  Ehrung  verselbständigt  wird.  Im  Sikyonischen  The- 
sauros  zu  Delphi  befand  sich  von  der  Dichterin  Aristomache,  der  erythräi- 
schen  Sibylle,  ein  goldenes  Buch,  ein  ßißXiov,  also  gewiß  Rolle,  in  Metall 
nachgeahmt,  aufgestellt  (dveKeiTo).-)  Das  ist  also  die  Weihung  eines  Ori- 
ginalwerks in  Rollenform,  die  ihrem  Zwecke  nach  der  Deponierung  des 
Homerhymnus  im  Artemisheiligtum  und  den  ähnlichen  Fällen,  die  S.  211  f. 


1)  Pausan.  II  20,  8. 


2)  Plutarch  Sympos.  V  2,  9  (IV  S.  184  ed.  Bernad.). 


6:  Das  aus  der  Hand  gelegte  Buch.    7:  Weihung  von  Büchern.  223 


224 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


erwähnt  sind,  genau  entspricht.  Ebenso  soll  auch  Heraklit  sein  ßißAiov  im 
Artemistempel  zu  Ephesus  als  Anathem  dargebracht  haben. *) 

Diese  Nachrichten  können  uns  nun  weiter  zum  Verständnis  eines  pom- 
pejanischen  Bildes  anleiten,  das  mir  lange  Zeit  ein  Rätsel  war:  Neapel, 
Mus.  naz.,  Locali  della  Promotrice  Nr.  57,  von  Helbig  Nr.  1379  ungenau 
beschrieben.  Das  Bild  wurde  für  mich  gereinigt,  so  daß  ich  in  die  Nach- 
zeichnung mehr  Detail  aufnehmen  konnte:  s.  Abb.  147;  auch  Gusman,  Pom- 
peji S.  196  bringt  dies  Bild.  Uns  kümmert  hier  im  Grunde  weder  der 
konzertierende  Alte  links  noch  sein  Gegenüber,  das  Mädchen,  das  auf  der 
Schildkrötenleier  spielt,  noch  die  zwei  verdämmernden  Figuren  hinter  ihr, 
noch  endlich  die  Maske,  die  in  der  Mitte  am  Fußgestell  der  Säule  lehnt  oder 
zu  lehnen  scheint.  Wichtiger  ist  diese  Säule  selbst,  die,  von  der  herkömm- 
lichen Form  abweichend,  sich  nach  unten  verjüngt,  glatt  ist,  als  wäre  sie  aus 
Holz  oder  Metall,  oben  spitz  ausläuft  und  in  der  Höhe  eine  Scheibe  trägt. 

Sie  ist  uns  wohlbekannt;  denn  sie  kehrt  ganz  ebenso  isoliert  stehend  neben 
einem  Prachtbau  wieder  Pitture  d'E.  II  Tfl.  50  S.  273,  sowie  auf  der  Vignette  ebenda 
S.  105.  Ähnlich  auch  ebenda  S.  289  und  auf  den  Wandgemälden  des  Palatin  {Rom. 
Mitteilungen  XVIII  S.  227  und  257).  Wichtig  besonders  das  große  Bild  der  Pitture 
III  Tfl.  52  S.  279,  wo  dies  seltsame  Gebilde  im  Mittelpunkt  steht  und  ein  Gottesbild 
zu  vertreten  scheint."-)  Auch  an  die  Metae  in  den  Rennbahnen  wird  man  dabei  er- 
innert, vor  allem  aber  an  die  marmorne  und  schön  geschmückte  Spitzsäule  in  Villa 
Albani.  Auch  diese  vergegenwärtigt  ohne  Frage  eine  Stele,  die  ganz  so  wie  die 
obigen  einem  sakralen  Zweck  dient;  denn  Kränze  hängen  an  ihr,  und  mit  einer 
Tänie  sind  Pedum  und  Keule  an  ihr  aufgehängt,  während  an  ihrem  Fuß  sich  be- 
wegte bacchantische  Figuren  im  Relief  befinden:  s.  Schreiber,  Bilderatlas  Tfl.  27,  1. s) 

An  diesem  Ständer  hängt  hier  nun  ein  geschlossenes  Rollenbuch  an- 
gebunden. Daß  dies  ein  Buch,  ist  vollständig  sicher.  Hier  findet  ein 
musikalischer  Agon  statt1),  im  Anschluß  an  den  Kult  eines  Gottes.  Die 
Handlung  spielt  sich  im  Peribolos  eines  Tempels  ab;  das  Buch  wird  dem- 
nach einem  Gott  geweiht  und  hängt  am  Pfeiler  etwa  so,  wie  man  Thyrsos- 
stäbe  an  heilige  Bäume  band.  Doch  dienen  auch  grade  alleinstehende 
Säulen  oder  Pfeiler-  oft  dazu,  den  Gegenstand  der  Weihung  daran  aufzu- 
hängen; man  vergleiche  die  eben  erwähnte  Spitzsäule  in  Villa  Albani  oder 
z.B.  Pitture  d'E.  I  S.  75  (Vignette),  III  S.  9  (Vignette)  und  S.  27:  Säulen- 
ständer von  unregelmäßiger  Form,  oben  in  ein  Becken  auslaufend;  daran 
hängen  Spolien.  Dazu  die  beiden  kleinen  Bilder  mit  Opferhandlungen  im 
Vettierhause  (Monum.  Acad.  Line.  VIII  Tfl.  XI),  wo,  wie  hier  das  Buch, 

1)  Diog.  Laert.  9,  6.  Wenn  es  am  Schluß  des  Apolloniusromans  in  einer  der 
Überlieferungen  heißt:  et  duo  volumina  fecit:  unum  Dianae  in  templo  Ephesiorum, 
aliud  (in)  bibliotheca  sua  exposuit,  so  wird  damit  diese  Fassung  als  echt  er- 
wiesen. Eine  Weihung  von  40  oder  42  Büchern  bezeugt  das  Epigramm  Anthol. 
Pal.  VII  158.    Als  Sitte  erscheint  die  dväGecic  twv  ßißXiuiv  bei  Aristides  S.  361  JEBB. 

2)  Venus  als  meta  oder  umbilicus?   Tacitus  hist.  II-  2;  Serv.  Aen.  I  724. 

3)  Seltsam  hierüber  Hauser,  Die  neuattischen  Reliefs  S.  88,  der  dies  für  die 
Imitation  einer  Meta  der  Rennbahn  hält,  die  man  im  Garten  aufgestellt  habe. 

4)  So  schon  HELBIG. 


7:  Weihung  von  Büchern. 


225 


beidemal  ein  Schwert  an  einer  frei  dastehenden  dorischen  Säule  angehängt 

ist.1)    Säulen,  die  Tafeln  mit  Masken  tragen,  sieht  man  auf  anderen  pom- 

pejanischen  Bildern.2) 

Auch  dafür,  daß  Bücher  geweiht  werden,  kenne  ich  noch  einige  weitere 

Analogien;  die  folgenden  gehören  dem  Totenkult  an: 

Auf  der  spätgriechischen  Grabstele  aus  Halikarnaß,  Berliner  Museum,  „Be- 
schreibung" Nr.  771,  nähert  sich  ein  Jüngling  mit  Feierlichkeit  einer  hochstehenden 
Herme,  hebt  ein  großes  Diptychon  am  Henkel  in  seiner  R.  empor  und  ist  im  Be- 
griff dasselbe  am  Querbalken  der  Herme  aufzuhängen.  Auf  anderen  griechischen 
Grabreliefs  finden  sich  bisweilen  Pfeiler  abgebildet,  darauf  ein  Kasten  (d.  i.  Bücher- 
kasten) steht;  s.  das  Oxforder  Relief  bei  Michaelis,  Anc.  Marbles  S.  562  Nr.  90. s) 
E.  Pfuhl4)  hält  dies  für  eine  Weihung,  die  man  dem  Gestorbenen  bringt,  und  ver- 
gleicht damit  ein  Relief  im  Ottomanischen  Museum,  auf  dem  „zwei  Rollen  in  voller 
Größe  (?)"  erscheinen  neben  Schwert,  Zaumzeug  und  Kästen.1')  Auf  dem  griechi- 
schen Grabstein  zu  Verona  bei  Dütschke  IV  Nr.  396  bemerkt  man  auf  dem  Pfeiler 
einen  Kasten  und  daneben  noch  drei  Rollen,  die  flach  liegen  und  von  denen  man 
nur  den  Schnitt  sieht,  sowie  zwei  weitere,  die  aufrecht  stehen  und  schräg  angelehnt 
sind.  Diese  fünf  Rollen  sind  die  übliche  Buchpentade.11)  Auch  dies  wohl  eine 
Weihung. 

Eine  andere  Buchweihung  aber,  die  ich  auf  einem  Bildchen  Hercula- 
neums  antreffe,  gilt  nicht  einem  Toten,  sondern  einem  Gotte: 

Man  sieht  Mus.  naz.  LXXXII  9804  auf  einer  dreistufigen  Theatertreppe,  wie  sie 
die  Bühne  mit  der  Orchestra  zu  verbinden  pflegte,  ein  Pedum  liegen,  sowie  eine 
Maske  und  ein  rundes  Gefäß  stehen.  Eine  Abbildung  bei  Wieseler,  Theatergebäude 
Tfl.  IV  5.  Diese  Theatertreppen  mit  einer  Maske  darauf  sind  auch  sonst  öfters  ge- 
malt worden,  vgl.  Mus.  naz.  LXXXII  Nr.  9805  und  9806,  Wieseler  Tfl.  IV  3  und  4. 
Daß  diese  Bilder  zu  den  Votivpinakes  gehören,  die  von  Schauspielern  dargebracht 
wurden  und  eine  indirekte  Form  waren,  um  so  die  Maske  einem  Gott  zu  weihen, 
ist  nach  den  Ausführungen  Dieterich's,  Pulcinella  S.  208  ff.  unzweifelhaft.  Aber 
auch  Stab  und  Kasten  werden  ja  auf  dem  erwähnten  Bilde  9804  mit  der  Maske  ver- 
bunden, und  dieser  Kasten  ist,  wie  schon  Helbiq  Nr.  1741  erkannte,  ein  Scrinium 
mit  Schriftrollen.  Das  Scrinium  ist  goldfarben;  10  Rollen  stehen  darin.  Es  war  also 
ein  Repertoire  von  zehn  Dramen,  in  denen  der  Schauspieler,  der  das  Bild  und  im 
Bilde  die  Rollen  stiftete,  Siege  davongetragen  hatte. 

Die  beste  und  zugleich  großartigste  Anschauung  vom  Rollenbuch,  das 

als  Anathem  aufgehängt  ist,  gibt  uns  aber  endlich  die  Trajanssäule,  worüber 

ein  besonderes  Kapitel  handeln  soll.    Anders  wieder  die  Sibyllinen:  diese 

heiligen  Schriften  wurden  unter  der  Basis  des  Apollo  Palatinus  aufbewahrt 

(Suet.  Oct.  31). 

1)  Anderswo  ist  die  freistehende  Säule  nur  mit  Bändern  umwunden;  das  sieht 
man  noch  in  der  Wiener  Genesis;  daselbst  XV  30,  bei  Josefs  Abschied,  hat  die 
Säule  Basis  und  Kapitell;  das  rote  Tuch  hat  sorgliche  Schleife;  ib.  XVII  34,  auf 
dem  Gastmahl  des  Pharao,  ist  es  eine  Spitzsäule,  die  auf  einem  runden  Posta- 
ment steht.  2)  Dieterich,  Pulcinella  S.  206  Anm. 

3)  E.Pfuhl  im  Jahrbuch  des  Inst.  XX  S.  53  Nr.  11  zitiert  Michaelis  Nr.  89; 
dort  aber  wird  nur  ein  Bort  erwähnt.  4)  A.  a.  Ö.  S.  64. 

5)  Wenn  derselbe  hinzufügt:  „Daß  man  auch  wirkliche  Rollen  auf  Gräber  legte, 
ist  sehr  wahrscheinlich,  da  man  sie  dem  Toten  ja  auch  ins  Grab  mitgab",  so  ist 
das  doch  schwer  zu  glauben  und  die  Begründung  ungenügend. 

6)  Siehe  unten.    Pfuhl  S.  57  hält  die  ersten  drei  Rollen  für  Astragalen! 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  15 


226 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


8.  Rollung  in  S-Form.  Doch  es  ist  Zeit  die  Stillleben  der  kampani- 
schen Wandmalerei  genauer  ins  Auge  zu  fassen.  Da  sind,  meist  auf  enger 
Fläche,  Eier  und  Brot,  Gefäße,  Früchte,  Vögel  oder  Langusten  gemalt  - 
immer  Gegenstände,  die  für  den  Menschen  bestimmt  sind  — ,  so  aber  auch 
Bücher,  offene  und  geschlossene;  und  man  hat  den  Eindruck,  der  Mensch 
sei  erst  eben  fortgegangen,  der  sie  benutzte,  und  müsse  gleich  wieder 
herzutreten.  Es  sind  die  Bilder  bei  Helbig,  Wandgemälde  1719  —  1727. 
Die  zeichnerischen  Abbildungen  in  der  Pitture  d'E.  und  im  Museo  Borbonico 
Bd.  I  Tfl.  12,  wo  vier  von  ihnen  vereinigt  sind,  geben  leider  das  Detail 
öfters  ungenau,  wovon  man  sich  angesichts  der  Originale  leicht  überzeugt, 
und  Niccolini  wiederholt  leider  nur  die  Zeichnungen  des  Mus.  Borb.  mit 
Hinzufügung  von  Farben.    Wir  werden  sie  also  nur  subtractis  subtrahen- 

dis    benutzen  können. 

Als  auffällig  bedarf 
da    zunächst    das  fol- 
gende Bildchen  einer  ge- 
sonderten Besprechung. 
In    den  Durchblicken 
einer  großen  phantasti- 
schen Architektur  (Mus. 
naz.  LXX1X  9731)  sind 
zwei  kleine  Bilder  ge- 
malt; das  in  dem  Durch- 
blick rechts  zeigt  offne 
Schreibtafel    (vier  zu- 
sammenhängende Tafeln)  und  ein  stehendes  beschriebenes  weißes  Blatt  in 
schmalem,  weißem  Rahmen;  das  Bildchen  im  Durchblick  links  gebe  ich  in 
Abb.  148  wieder. 

Der  Grund  (gewiß  kein  Tisch)  ist  rotviolett,  der  Sittybus  tief  rot, 
Tintenfaß  und  Calamus  goldbronzefarben.  Hier  soll  nun  das  Tintenfaß 
neben  der  Rolle  doch  keinesfalls  anzeigen,  daß  die  Rolle  eben  erst  be- 
schrieben wird.  Denn,  wie  man  sieht,  ist  sie  längst  fertig  und  schon  mit 
dem  Sittybus  versehen.  Im  Konvolut  links  ist  ein  hohler  Raum  (Rollen- 
stab?) angedeutet.  Beispiellos  ist  hier  aber  die  Art  der  Rollung  rechts; 
sie  müßte,  wie  die  links,  nach  oben  umbiegen,  nicht  nach  unten.  Dies 
Buch  ist  in  S-Form  gerollt.  Denkt  man  es  sich  ganz  zusammengewickelt, 
so  bleiben  in  der  Hand  immer  zwei  gesonderte  Konvolute.  Dies  scheint 
seltsam.  Warum  sollte  man  aber  bei  der  sonstigen  Einförmigkeit  des  Ver- 
fahrens nicht  auch  einmal  zur  Abwechslung  in  dieser  Weise  das  Buch  zu- 
sammenfalten? Wenigstens  bei  Opisthographa  war  das  erträglich;  denn 
ein  Teil  der  Schrift  der  Innenseite  kam  auf  diese  Weise  immer  nach  außen. 
Kam  das  öfters  vor?   Ich  kenne  dafür  eine  Analogie.   Auch  in  den  Wand- 


Abb.  148:  Neapel. 


8:  Rollung  in  S-Form.    9:  Nachahmung-  der  Papyrusfasern. 


227 


bildern  des  Columbarium  der  Villa  Pamfili  hat  der  Lehrer  sein  Buch,  wenn 
auf  die  Wiedergabe  Verlaß  ist,  in  S-Form  gerollt;  s.  Abhandl.  der  Bayr. 
Akad.  VIII  Tfl.  5  Nr.  15  (oben  S.  140).  So  ist  denn  hier  der  Ort  der  auf- 
fälligen gespaltenen  Rollen  zu  gedenken,  die  uns  auf  den  detaillierten 
Reliefs  der  Spätzeit  schon  hie  und  da  begegnet  sind,  ohne  daß  ich  ein 
Wort  an  sie  gewendet  hätte;  s.  unsre  Abb.  24  und  55. 

Ebensolche  sah  ich  noch  sonst  auf  späten  Sarkophagen  im  Lateran, 
Mus.  profano  Saal  V;  im  Capitolin.  Museum,  Hof;  im  Mus.  Kircheriano ; 
dazu  der  Sarkophag  aus  dem  Coemeterium  S.  Giovanni  (Abhandl.  Münchner 
Akad.  d.  W.  Bd.  20  Abt.  3  S.  802  Tfl.  XII):  der  Ehemann  im  Muschelclipeus 
hält  eine  gespaltene  Rolle  im  Motiv  II. 

9.  Nachahmung  der  Papyrusfasern  in  Marmor.  Wenden  wir  uns 
jedoch  nunmehr  zur  Betrachtung  des  Buches  selber  und  seiner  Ausstattung. 

Wer  sollte  erwarten,  daß  die  Kunst  sich  herbeigelassen  hätte,  die  Be- 
schaffenheit des  Buchblattes,  seine  Zusammensetzung  aus  den  Streifen  des 
Papyrusschilfes  in  Marmor  zu  verewigen?  Und  doch  ist  dies  der  Fall. 
Das  Netzartige  in  der  Linienführung  der  Fasern  war  für  die  Charta  das 
Charakteristische  und  blieb  es  auch  bei  feinster  Zubereitung.  Liefen  die 
oberen  von  rechts  nach  links,  so  schimmerten  zugleich  immer  die  unteren 
durch,  die  die  entgegengesetzte  Richtung  hatten.  Denn  möglichst  lange 
Streifen  wurden,  in  zwei  Lagen  im  rechten  Winkel  sich  kreuzend,  überein- 
andergelegt,  um  eine  Seite  herzustellen.1)  Der  große  Sarkophag  im  Atheni- 
schen Museum  Nr.  1497  ist  wie  eine  marmorne  Illustration  zu  dem  Fabri- 
kationsbericht des  Plinius:  auf  seinem  Deckel  lehnt  sich  eine  liegende 
männliche  Gestalt  mit  ihrer  Schulter  an  ein  gewaltiges  Rollenbündel,  das 
allein  an  seiner  Außenseite  nicht  weniger  als  18  Rollen  zählen  läßt.  Diese 
Rollen  zeigen  die  Komposition  des  Papiers  in  Quer-  und  Vertikalstreifen 
mit  redlichem  Fleiß  ausgeführt.  An  den  auf  der  Rückseite  des  Deckels 
befindlichen  Rollen  erkennt  man  nur  die  Vertikalstreifen,  an  den  auf  der 
Vorderseite  beide.  Eine  photographische  Aufnahme  war  bei  der  Beleuch- 
tung des  Raumes  nicht  ausführbar. 

10.  Es  folgt  die  Anordnung  der  Schrift  im  Buch.  Die  Maler  der 
pompejanischen  Buchdarstellungen  setzen  offenbar  überall  voraus,  daß  die 
Schrift  auf  Kolumnen  verteilt  ist.  So  füllt  bei  Helbig  Nr.  1724  (Mus.  Bor- 
bon. I  12  Nr.  3)  das  Epigramm  Quisquis  ama  valia  usf.  just  eine  Seite 
im  Buch.  Zwei  nebeneinanderstehende  Kolumnen  mit  Interstitium  sind 
sogar  deutlich  erkennbar  auf  dem  offen  daliegenden  Buche  Pitture  d'E.  II 
S.  93  (Vignette),  welches  Buch  zwei  Rollungen  zeigt,  die  sich  von  selbst 
zusammenhalten.")  Diese  Anordnung  war  durchaus  Regel  und  herrscht  in 
den  erhaltenen  literarischen  Papyri;   sie  heißt  ad  paginas  conversa  bei 


1)  Vgl.  oben  S.  6. 


2)  Auch  ib.  V  S.  245  (oben  S.  162). 

15* 


228 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Sueton  Caes.  56.  Hingegen  widerspricht  den  Tatsachen  und  ist  Mißbrauch 
der  monumentalen  Darstellung,  wenn  auf  dem  Denkmal  des  Sulpicius 
Maximus  (Konservatorenpalast,  Oktogon  Nr.  6)  die  Schrift  vielmehr  „trans- 
versa Charta",  d.  h.  in  der  Richtung  der  Rollenhöhe  läuft  (oben  S.  189  f.). 
Wieder  anders  die  weit  offne  Rolle  auf  unsrer  Abb.  118:  sie  zeigt 
Liniierung;  vier  Linien  laufen  hier  die  Länge  der  Rolle  entlang.  Dies 
Buch  war  also  diplomartig  in  vier  gewaltigen  Langzeilen  beschrieben; 
genau  ebenso  in  vier  Langzeilen  beschrieben  findet  es  sich  später  z.  B.  in 
Ravenna,  S.  Apollinare  nuovo,  1.  Wand,  bei  Garrucci  Tfl.  247  Fig.  12.  Das 
nämliche  Verfahren  aber  trafen  wir  auch  schon  in  dem  von  Olfers  publi- 
zierten kumanischen  Grabe  an  (s.  S.  150). 

11.  Sodann  der  Rollenstab  (öucpctXöc,  umbilicus).  Man  pflegt  darin 
einen  Stab  zu  sehen,  der  die  Achse  der  geschlossene  Rolle  bildete,  in 
ihrem  Innern  lag  und  also  sich  am  Ende  des  gerollten  Textes  befand.  Er 
war  gelegentlich  bunt,  pictus  (Martial)  oder  vergoldet  (Lucian),  und  bestand 
aus  Holz  oder  Knochen:  in  fine  libri  umbilici  ex  ligno  aut  osse  solent  poni 
sagt  Porfyrio  zu  Hör.  Epod.  14,  8.  Endlich  soll  er  an  der  Rolle  befestigt 
gewesen  sein.    Es  gilt  hier  indes  mehreres  aufzuklären. 

Fälschlich  wird  behauptet1),  der  Leser  habe  diesen  Umbilicus,  der  oben 
und  unten  hervorragte,  zum  Zweck  des  Aufrollens  angefaßt.  Dies  wider- 
legen sämtliche  Abbildungen.  Alle  Aufrollenden  fassen  das  Konvolut  selbst 
vielmehr  in  der  Mitte  oder  am  Fuß  an.  Zudem  hat  der  Stab  auch  gar 
nicht  aus  der  Rolle  hervorgeragt.  Wir  müssen  vom  jüdischen  Gebrauch, 
der  nur  Lederrollen  betrifft,  hier  gründlich  absehn2);  vielleicht  war  von 
ihm  der  der  liturgischen  Rollen  im  Mittelalter  abhängig;  jedenfalls  sind 
auch  sie  Lederrollen,  und  beweisen  für  uns  noch  weniger  als  die  altjüdischen. 

Dafür,  daß  der  Stab  an  der  Papyrusrolle  befestigt  war,  ist  meines 
Wissens  Hero  der  einzige  zuverlässige  Zeuge.  Für  das  Automatentheater 
braucht  er  als  bewegten  Hintergrund  einen  bemalten  x«PTric  und  zwar  ßctci- 
Xiköc,  feinstes  Königspapier;  dieser  x&pjr\c  hat  an  seinem  einen  Ende  keinen 
Stab3),  wohl  aber  an  seinem  anderen  Ende  einen  öucpaXöc,  der  angeklebt  ist 
und  für  den  Zweck  des  Mechanikers  abgeschnitten  werden  muß,  weil  er 
stört.4)  Also  in  der  Tat  ein  befestigter  Umbilicus.  Aber  man  muß  be- 
achten, daß  dies  eben  kein  Lesebuch,  sondern  ein  einziges  entfaltetes  Ge- 

1)  Marquardt,  Pänalaltertümer,  2.  Aufl.,  S.  818. 

2)  Allerdings  wird  im  jüdischen  Gottesdienst  die  Rolle  am  Stab  gehalten; 
das  heilige  Buch  darf  eben  nicht  mit  der  Hand  berührt  werden.  Auf  jüdischen 
Goldgläsern  mit  Rollendarstellungen  läßt  sich  der  Holzstab  in  der  Rolle  bisweilen 
erkennen;  s.  Garrucci  Tfl.  490,  1  u.  2.  Weiteres  bei  Blau,  Stud.  zum  althebr.  Buch- 
wesen S.  41  f. 

3)  Siehe  ed.  W.  SCHMIDT  1  S.  434,  5:  bei  bi  üiroKoMfjcou  uttö  ri]v  dpx^v  toö 
XctpTou  Kavöva,  also  an  seinem  Anfang  muß  ein  dünner  Stab,  kcxvujv,  erst  nachträg- 
lich angeklebt  werden.  4)  Ibid.  S.  432,  18  ff. 


10:  Anordnung  der  Schrift.    11:  Der  Rollenstab. 


229 


mälde  von  Luft  und  Meer  war,  das  als  Bühnenhintergrund  dienen  sollte.1) 
Da  für  solches  Bild  teilweise  Aufrollung,  wie  sie  beim  Lesen  üblich,  nicht 
genügte,  sondern  das  Tableau  immer  in  ganzer  Länge  entfaltet  sein  wollte, 
um  zu  wirken,  so  war  dafür  allerdings,  wie  bei  unsren  Landkarten,  die 
man  gleichfalls  ganz  aufrollt,  ein  fester  Stab  unentbehrlich.  Mit  dem  Lite- 
raturbuch stand  es  augenscheinlich  anders. 

Hunderte  von  Papyri  sind  ja  gefunden:  aber  sie  wissen  vom  Rollen- 
stab so  gut  wie  nichts.  In  einem  ägyptischen  Papyrus  sind  allerdings  ein- 
mal ein  Paar  aufeinandergelegte  Schilfblätter  angetroffen  worden.2)  Das 
bestätigt  nur  das  Gesagte.  Nur  die  herculanischen  Rollen  geben  ein  Paar 
wertvolle  Ausnahmen.  Schon  Winckelmann  und  Jorio  lehrten3),  gelegent- 
lich fänden  sich  in  ihrem  Innern,  nicht  aber  an  der  Außenseite,  bastoncelli 
di  legno  o  pure  formati  di  semplice  papiro  strettamente  agglomerato  a  tal 


Abb.  152. 


uso;  die  Rollen  mit  Stab  seien  mehr  rund,  die  ohne  solchen  mehr  oval 
geformt.  Dagegen  versicherte  mir  freilich  Herr  Currazzi,  der  im  J.  1901 
im  Museo  naz.  der  Arbeit  der  Abwickelung  vorstand,  wiederholt  und  ener- 
gisch, nie  fände  sich  in  den  Rollen  ein  Umbilicus.  Ich  nahm  damals,  so 
gut  es  anging4),  einige  unaufgerollte  Papyri  in  Augenschein;  danach  die 
sehr  verkleinerten  Abb.  149-153. 5)  Nr.  632  erweckte  mir  da  den  Anschein, 
daß  ein  grauschwarzer  Stab  mit  hellerem  Innern  darin  stecke.  Sicher  fehlte 
er  dagegen  in  Nr.  732  u.  298;  auch  Nr.  1254  -  und  ebenso  1249  -  zeigte 
ein  hohles  Loch.    Inzwischen  erfahre  ich,  daß  in  drei  unaufgerollten  Papyri 

1)  Ibid.  S.  434,  19:  ecrcu  be  oütoc  (ö  X"PTr|c)  ätpa  Kai  edXaccav  exwv  T£YP<Weva. 

2)  ZÜNDEL  im  Rhein.  Mus.  21  S.  437. 

3)  Officina  de'  papiri  S.  18 ff.  und  69;  Winckelmann,  Werke  ed.  Fernow  II 
S.  102.    Vgl.  dazu  Clark,  Care  of  books  S.  24. 

4)  Der  genannte  machte  mir  allerlei  Schwierigkeiten  und  verbot  mir  u.  a.  Num- 
mern aufzunotieren;  die  Zahlen  sind  nur  nach  dem  Gedächtnis  aufgeschrieben. 

5)  Die  Rolle  auf  Abb.  153  ist  17  cm  lang;  ihr  Durchmesser  gegen  5  cm. 


230 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


dort  und  zwar  in  den  Nrn.  1493,  1495  und  1699  tatsächlich  Rollenstäbe  fest- 
gestellt worden  sind.  Der  Durchmesser  solchen  Stabes  ist  15  mm  lang; 
das  Stäbchen  zeigt  im  Innern  bald  eine  hellere  Masse  (medulla)  von  5  mm 
Durchmesser,  bald  einen  entsprechenden  Hohlraum.  Weitere  Belege  fehlen.1) 
Diese  Beispiele  sind  verschwindend  wenige. 

Wie  erklärt  sich  dies  Fehlen?  Fragen  wir  die  Literatur.  Frühester 
Zeuge  ist  erst  Catull.  Cicero,  der  doch  manches  Buchtechnische  erwähnt, 
weiß  noch  nichts  vom  Umbilicus;  vor  allem  die  ganze  griechische  Literatur 
bis  ins  2.  Jahrh.  nach  Chr.  weiß  nichts  von  ihm.-)  Es  sind  nur  die  römi- 
schen Dichter,  die  für  die  allervornehmsten  Gönner  Dedikationsexemplare 
herstellen  und  durch  eine  hochelegante  Ausstattung  blenden  und  bestechen 
wollen.  Grade  sie  beweisen,  daß  der  Umbilicus  im  Lesebuch  nicht  das 
Gewöhnliche  gewesen  ist.  Suffenus  bei  Catull  zeigt  sich  dadurch  als  eitlen 
Narren;  und  wenn  Lucian  De  merced.  conduct.  4  sagt,  daß  nur  die  aller- 
schönsten  Exemplare  (k&XXictcc  ßißXia)  vergoldeten  Rollenstab  und  purpurne 
Pänula  zeigten,  so  dürfen  wir  hinzusetzen:  es  waren  nur  schöne  Exemplare, 
die  überhaupt  mit  Stab  und  Pänula  versehen  wurden. 

Auch  die  im  Verlauf  dieses  Buchs  herangezogenen  Kunstwerke  haben 
uns  von  diesem  Stab  nirgends  eine  zuverlässige  Andeutung  gegeben.  Von 
den  Stilleben  mit  Buchdarstellungen  seien  drei  herangezogen. 

Neapel,  Mus.  naz.  LXXXII  9819:  Dieser  Rahmen  umfaßt  fünf  kleine  Gemälde, 
die  nicht  zusammengehören;  auf  Nr.  2  sieht  man  eine  geschlossene  Rolle,  eine  offne 
Rolle  und  eine  Schreibtafel,  also  Brouillon  und  Reinschrift:  s.  Mus.  Borbon.  I  12,5. 
Die  offne  Rolle  zeigt  auf  dem  Mittelblatt  Schrift  (anscheinend  griechische);  sie  hat 
zwei  Rollungen.  Die  rechts  (für  den  Betrachter)  zeigt  in  der  Mitte  ihres  Durch- 
schnitts einen  runden  dunklen  Schatten;  er  kann  bedeuten,  daß  das  Innere  hier  leer 
(solcher  Schatten,  der  das  hohle  Rolleninnere  anzeigt,  erscheint  auch  sonst,  z.  B.  auf 
den  Mosaiken;  so  an  der  Rolle,  die  Christus  in  der  Tribuna  von  S.  Cosma  e  Da- 
miano zu  Rom  in  seiner  L.  hält).  Dies  ist  aber  die  Rollung,  die  in  die  1.  Hand  des 
Lesenden  kommt.  Denn  der  Sittybos  zeigt,  daß  die  Rolle  auf  dem  Kopf  liegt.  Als- 
dann würde  der  innere  Kreis,  den  man  in  der  anderen,  linksliegenden  Rollung 
wahrnimmt,  für  den  Umbilicus  anzusehen  sein,  und  der  Umbilicus  ruhte  also  in  der 


1)  Durch  freundliche  Vermittlung  von  S.  Sudhaus  erhielt  ich  auf  Anfrage  diese 
Mitteilungen  von  Chr.  Jensen  in  einem  Briefe  vom  25.  März  1906,  der  folgendes  ent- 
hält: „Schon  vor  einigen  Wochen  . . .  sprach  ich  über  diese  Frage  mit  Signor  Cozzi,  der 
seit  1901  die  Stelle  des  Herrn  Currazzi  vertritt.  Herr  Cozzi  behauptete,  daß  mit  Aus- 
nahme von  zwei  Fällen  sich  nie  ein  solcher  Rollenstab  gefunden  habe.  . . .  Wiederholt 
gebeten,  ließ  er  heute  den  einen  der  Papyrusbehälter  öffnen  und  zeigte  die  unauf- 
gerollten  Rollen  Nr.  1493  und  Nr.  1495,  in  denen  wirklich  der  Umbilicus  erhalten  ist. 
Neben  diesen  beiden  entdeckten  wir  noch  eine  dritte,  sehr  gut  erhaltene  Rolle 
(Nr.  1699),  bei  "der  es  mit  Hilfe  einer  Stecknadel  gelang,  das  Ende  (Endstück)  des 
verkohlten  Stabes  bis  zu  einer  Länge  von  372  cm  herauszunehmen.  Der  Durch- 
messer des  Stabes  beträgt  bei  allen  drei  Rollen  15  mm,  die  Medulla  darin  hat  einen 
Durchmesser  von  5  mm.  Bei  Nr.  1495  ist  der  Stab  hohl.  ...  Es  wird  wohl  beab- 
sichtigt sein,  daß  grade  diese  drei  Exemplare  zusammen  lagen.  .  .  .  Die  anderen 
Rollen,  welche  ich  bisher  gesehen  habe,  hatten  keinen  Umbilicus  . . .". 

2)  Die  einzige  Ausnahme,  eben  Hero,  der  dem  1.  Jahrh.  nach  Chr.  angehört, 
betrifft,  wie  ausgeführt  ist,  kein  Literaturbuch. 


11:  Der  Rollenstab. 


231 


r.  Hand  und  in  dem  noch  ungelesenen  Teil,  der  das  Buchende  umschließt.  Dies 
bleibt,  wie  jeder  bemerkt,  wieder  ganz  unsicher. 

Umgekehrt  die  zwei  folgenden  Fälle.  Auf  dem  Bilde  LXXIX  9731,  unsrer 
Abb.  148,  erscheint  eine  Andeutung  eines  leeren  Raumes  oder  eines  Stabes  vielmehr 
in  der  Rollung  rechts  (vgl.  dazu  auch  unsre  Abb.  101).  Auch  diese  Rolle  liegt  auf 
dem  Kopf.  Diese  Rollung  kam  beim  Lesen  also  in  die  1.  Hand,  und  der  Stab  steckte 
demnach  am  Buchanfang.  Auch  hier  bleibt  sein  Vorhandensein  indes  ganz  ungewiß. 

Nicht  anders  endlich  IX  8598  (Helbiq  1726),  eine  große  Wanddekoration.  Oben 
läuft  ein  Fries  mit  vier  gesonderten  Bildchen.  Das  letzte  Bild  rechts  zeigt  ver- 
schiedene Gegenstände  auf  zwei  Stufen  verteilt:  Münzen,  Tintenfaß,  Tafel,  dazu  eine 
geöffnete  Rolle,  die  daliegt,  den  Rücken  nach  oben:  unsre  Abb.  154.  Die  Rollen- 
schnitte sind  hier  besonders  sorglich  ausgeführt  und  leidlich  gut  erhalten.  In  der 
Rollung  links  könnte  nun  vielleicht  jemand  den  Umbilicus  erkennen  wollen,  die  rechts 
dagegen  enthält  ihn  sicher  nicht.    Vielmehr  zeigt  sich  in  der  letzteren  wieder  der 


Abb.  154. 

runde  dunkle  Schatten,  der  anzeigt,  daß  das  Innere  hier  hohl  ist.  Auch  diese  Rolle 
liegt  auf  dem  Kopf;  auch  hier  gehört  also  die  Rollung  ohne  Rolleustab  in  die  r. 
Hand.    Der  Rollenstab  würde  sich  demnach  auch  hier  ev.  nur  in  der  L.  befinden. 

Ich  würde  nicht  wagen,  den  Leser  mit  diesen  schattenhaften  Minutien 
aufzuhalten,  käme  nicht  ein  Zeugnis  aus  der  plastischen  Kunst  hinzu. 

Die  ältere  Plastik  bringt  kein  Detail.    Vielleicht  bemalte  sie  die  Rolle, 

und  das  Detail  ist  für  uns  verblichen.    Über  einen  Rest  von  Bemalung  s. 

oben  S.  99.   Im  Verlauf  der  Kaiserzeit  aber  half  man  mit  Meißel  und  Bohrer 

nach,  und  die  Windungen  im  Schnitt  der  Rollen  wurden  sichtbar  gemacht 

(z.  B.  Abb.  51  und  125).    Vom  Umbilicus  findet  sich  gleichwohl  keine  Spur. 

Vgl.  auch  noch  Abb.  82;  156;  157;  159  und  oben  S.  186. 

Merkwürdig  ist,  daß  die  Deckelfiguren  einiger  Sarkophage,  die  die  unter- 
brochene Lektüre  darstellen,  mitunter  die  eine  Rollung  mit  ausgearbeitetem,  die 
andere  mit  glattem  Rollenschnitt  zeigen  (S.  192).    Doch  wage  ich  diesen  Umstand 


232 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


hier  nicht  zu  verwenden.  Ebenso  kann  ich  nur  im  Vorübergehen  darauf  hinweisen, 
daß  gelegentlich,  wo  zweigespaltene  geschlossene  Rollen  vorkommen,  in  beiden 
Rollungen  sich  Bohrlöcher  finden  (Priscillakatakombe  an  der  Via  Salaria:  großer 
oben  zerbrochener  Säulensarkophag  in  einer  der  Kapellen;  die  Mittelfigur  hält  die 
Rolle,  Motiv  I,  gesenkt  nach  unten;  s.  oben  S.  76  Ende;  die  Rolle  hat  je  ein  Bohr- 
loch in  den  zwei  Abteilungen.    Ich  verstehe  nicht  ihren  Zweck. 

Sicher  aber  ist  das  Eine.  Das  wertvolle  Lateranrelief  des  3.  Jahrh., 
das  uns  den  Vorleser  mit  weit  offner  Rolle  zeigte  (oben  S.  152),  gibt  diese 
Dinge  mit  größter  Sorgfalt  wieder;  und  es  zeigt  uns  auch  den  Umbilicus; 
ich  gebe  die  beiden  Rollenenden  noch  einmal  in  Nachzeichnung,  Abb.  155. 
Damit  ist  klar  erwiesen:  der  Umbilicus  befindet  sich  beim  Lesen  in 
der  linken  Hand,  nicht  in  der  rechten. 

Unmöglich!  wird  man  sagen.  Das  widerspricht  allem,  was  wir  wissen. 
Ein  Rollenstab  in  der  1.  Hand  würde  sich  am  Anfang  des  Buchtextes  be- 
finden, und  wir  wissen  doch,  daß  er  für  den  Schreibenden  vielmehr  das 


Ende  des  Textes  bedeutete.  Heißt  es  doch  bei  Horaz:  iambos  ad  umbili- 
cum  adducere;  ähnlich  beim  Martial.  Er  gehört  also  in  die  r.  Hand. 
Allerdings!  Der  Umbilicus  bedeutet  das  Ende  eben  nur  für  den  Schrei- 
benden, nicht  für  den  Lesenden.  Vom  ad  umbilicum  legere  redet  Horaz 
nicht.  Wir  haben  also  zwischen  zwei  Möglichkeiten  zu  wählen:  entweder 
der  Mann  des  lateranischen  Reliefs  ist  Jude  und  liest  in  einer  jüdischen 
Rolle,  deren  linksläufiger  Text  von  links  nach  rechts  gezogen  werden 
mußte  (dies  anzunehmen  wäre  die  letzte  Zuflucht),  oder  die  Sache  verhält 
sich  folgendermaßen. 

Der  Rollenstab  war  an  der  Charta  gar  nicht  befestigt;  Porfyrio  sagt 
nur  solet  poni,  nicht  aptari  oder  adsui  oder  gar  agglutinari.  Es  handelt 
sich  vielmehr  um  einen  dünnen  langen  Pflock,  der  in  die  Rolle,  wenn  sie 
vollgeschrieben  war,  als  Zentrum  der  gerollten  Masse  nur  so  lose  hinein- 
gesteckt wurde.  Einen  Hohlraum  in  ihrer  Mitte,  der  für  ihn  Raum  gab, 
haben  wir  ja  wirklich  schon  feststellen  können  (S.  230),  und  eine  Rollung 
von  Papier  ist  ohne  solchen  Hohlraum  überhaupt  nicht  denkbar.  Fing 
man  zu  lesen  an,  so  ließ  man  den  Pflock  entweder  an  seinem  Platze  am 


Abb.  155. 


11:  Der  Rollenstab. 


233 


Textschluß  sitzen  —  dies  setzt  das  librum  ad  umbilicum  revolvere  bei  Seneca 
voraus,  Suas.  6,  27  — ,  oder  aber  die  1.  Hand  zog  erst  das  Stäbchen  heraus, 
behielt  es  und  benutzte  es,  um  den  abgerollten  Teil  des  Buchs  darum 
wieder  aufzurollen.  Eben  dies  tut  der  Mann  auf  dem  Relief.  Er  verwendet 
den  Umbilicus  auf  das  zweckmäßigste.  Denn  was  sollte  das  Stäbchen  noch 
weiter  im  Innern  des  abzurollenden  Teiles,  der  sich  doch  auflöste? 

Was  uns  das  Bild  gelehrt,  bestätigt  schlagend  Lucian  Adv.  indoctum. 
Da  heißt  es  c.  7  vom  albernen  Bücherfatzken  nur,  daß  er  ein  Buch  in  der 
Hand  hält,  das  einen  goldenen  Omphalos  „hat"  (ex^O;  c.  16  aber  steht:  Tiva 
Yap  eÄTriöa  Kai  auröc  e'xwv  ec  tcc  ßißXia  Kai  ävaruXirreic  ael  Kai  biaKoX- 
Xäc  ....  Kai  öucpaXoüc  evTi6r|c;  Die  Bücher,  mit  denen  der  Alberne 
sich  zu  tun  macht,  sind  längst  fertige  Exemplare.  Trotzdem  fügt  er  jetzt 
erst  Buchstäbe  ein;  also  hatten  diese  fertigen  Bücher  bisher  keine  gehabt, 
und  das  war,  wie  wir  auch  hier  wahrnehmen,  das  Gewöhnliche.  Als  Verbum 
aber  steht  evnöevai,  und  das  heißt  nur  „hineinstecken",  so  wie  man  den 
Fuß  in  den  Schuh  steckt  (evnGevai  tuj  rröbe)  oder  den  Nacken  ins  Joch. 
An  Ankleben,  Nähen  oder  Festbinden  wird  gar  nicht  gedacht.  Wer  will 
noch  verkennen,  daß  das  Stäbchen  lose  und  nur  zum  Herein-  und  Hinaus- 
schieben bestimmt  war? 

So  erst  verstehen  wir  dann  auch  den  Büchernarren  Suffenus  bei 
Catull  c.  22.  Dieser  hat  ein  Epos  von  10000  Versen  geschrieben  und 
trägt  den  Text  in  etwa  10  Papyrusrollen  ein,  die  von  frischem  Papier 
bester  Sorte  sind;  dazu  verwendet  er  aber  auch  novi  umbilici,  nämlich  für 
jede  Rolle  einen.  Als  besonderer  Luxus  gilt  hier,  daß  der  Dichter  sogar 
„neue"  Stäbchen  nimmt.  Daraus  folgt,  daß  man  sich  sonst  begnügte,  alte 
zu  nehmen,  und  damit  ist  vorausgesetzt,  daß  man  die  Stäbchen  sonst  ein- 
fach aus  älteren  Rollen  herauszog  und  in  die  neuen  hineinsteckte.  Sie 
waren  leicht  übertragbar. 

Eine  letzte  Bestätigung  scheinen  hierfür  endlich  auch  noch  die  Stäbe 
in  den  Herculanensischen  Rollen  selbst  zu  geben,  von  denen  S.  229  die 
Rede  war.  Wie  ich  einer  nachträglich  erhaltenen  Mitteilung  entnehme,  ist 
es  wahrscheinlich,  daß  sie  sich  wirklich  lose  in  den  Rollen  befinden.1) 

Und  wer  las,  steckte  demnach  den  Umbilicus,  wenn  auch  nicht  stets, 
so  doch  oftmals  in  die  linke  Rollenhälfte.    Das  zeigte  uns  das  Relief. 

Erst  hiernach  erklärt  sich  dann  endlich  auch,  daß  der  Stab  bunt  gefärbt 
oder  vergoldet  wurde.  Was  sah  man  davon,  wenn  man  ihn  festklebte  oder 
gar  einnähte?    Er  lag  vielmehr  oft  frei  in  der  Hand. 

1)  Jensen  danke  ich  auch  noch  folgende  Mitteilung,  unterm  26.  April  1906: 
„Bei  der  Untersuchung  der  Rollen  schien  es  mir  nicht  so,  als  ob  der  Stab  am 
Rollenende  festgeklebt  war.  Das  verkohlte  Ende  (Endstück)  des  Stabes  ließ  sich 
mit  Hilfe  einer  Nadel  ohne  weiteres  herausnehmen.  Hätte  man  die  Rolle  mit  diesem 
Ende  nach  unten  gehalten,  so  wäre  das  Stabende  wohl  herausgefallen."  Auch  Jorio 
setzt  a.  a.  O.  für  die  „bastoncelli"  nicht  voraus,  daß  sie  befestigt  waren. 


234 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Erst  in  Domitian's  Zeit  kam  es  auf,  zwei  Stäbe  für  das  Buch  zu  ver- 
wenden; dies  sagt  uns  Statius  Silv.  IV  9,  8.  Es  ist  aber  wiederum  durch 
nichts  angezeigt,  daß  nun  einer  der  Stäbe  am  Anfang  des  Textes,  der 
andere  an  seinem  Schluß  sich  befand  oder  gar  befestigt  wurde.  Vielmehr 
steckte  man  jetzt  -  eine  Steigerung  des  Luxus  -  zwei  Stäbe  ins  Innere 
des  Volumen,  damit,  wenn  die  1.  Hand  beim  Beginn  der  Lektüre  einen  von 
ihnen  herauszog,  um  den  abgerollten  Text  wieder  daran  aufzuwickeln1), 
der  andere  im  Innern  der  Rolle  stecken  bleiben  konnte.  Die  Martialstellen 
I  66,  11  (Uber  umbilicis  cultus),  VIII  61,  4  (umbüicis  decorus,  vom  Dichter 
selbst),  III  2,  9  (pictis  luxurieris  umbilicis)  erklären  sich  so  vollständig 
ausreichend;  ebenso  IV  89,  2  iam  pervenimus  usque  ad  umbilicos,  d.  h. 
beim  Schreiben  sind  wir  jetzt  bis  zum  Innersten  der  Rolle  gekommen,  wo 
man  die  Umbilici  hineinzustecken  pflegt.  Besonders  aber  gewinnt  nun 
V  6,  15:  nigris  pagina  crevit  umbilicis  erst  Verständnis.  Hier  bedeutet 
pagina  das  ganze  Volumen;  dies  Volumen  ist  zwar  klein,  wie  der  Dichter 
v.  7  betont,  aber  es  ist  angewachsen  (crevit)  durch  die  beiden  Stäbe;  man 
meint,  das  Buch  sei  so  stark  an  Papier;  aber  die  Stäbe  sind  es,  die  es  so 
aufblähen.  Sie  stecken  beide  im  Innern.2)  Der  eine  war  mutmaßlich  hohl; 
ein  Stab  steckte  im  anderen. 

Wenn  es  in  dem  herrenlosen  Epigramm  bei  Diogenes  Laertius  9,  16  ( —  Anthol. 
Pal.  9,540  "Abr|Xov)  heißt:  ixr\  thxüc  'HpaKAerrou  eiz'  ö^qpaXöv  ei'Xee  ßißXov,  so  ist  dies 
nach  Seneca's  ad  umbilicum  revolvere  zu  beurteilen.  Übrigens  dürfte  dies  Epigramm 
von  der  Mache  des  Diogenes  selbst  sein,  der  ein  TTämaerpov  von  Epigrammen  auf 
berühmte  Männer  lieferte.  Und  bei  den  Griechen  sind  es  somit  nur  die  Spätlinge 
Lucian  und  Diogenes,  die  vom  Stab  im  Lesebuch  etwas  wissen. 

Die  Rotuli  der  Kirche  des  Mittelalters  hatten  zwei  festgenähte  und  mit  Knöpfen 
versehene  Stäbe  (man  sieht  sie  z.  B.  bei  Swarzenski,  Regensburger  Buchmalerei 
Tfl.  14—21).  Dies  entspricht,  wie  gesagt,  dem  jüdischen  Ritus  und  gilt  nur  von 
Pergamentrollen.  Es  trägt  sich,  ob  sich  dafür  schon  im  4.  oder-  5.  Jahrh.  An- 
deutungen nachweisen  lassen.  Interessant  ist  die  Stelle  des  Martianus  Capeila  V  566, 
wo  es  von  der  pagina  (=  Buch)  heißt,  ihr  Inhalt  sei  jetzt  zu  Ende  geführt: 

quae  tarnen  voluminis 
vix  umbilicum  multa  opertum  fascea 
turgore  pinguis  insuit  rubellulum. 

Hier  steht  also  wirklich  insuit.  Dies  ist  jedoch  sinnlos;  denn  inwiefern  die  Dicke 
einer  geschlossenen  Rolle  das  Annähen  des  Stabes  erschweren  soll,  ist  nicht  ein- 


1)  Schon  Winckelmann,  Werke  II  S.  103,  forderte  sehr  verständig,  es  sei  ein 
zweiter  Stab  nötig  gewesen,  um  „die  aufgerollte  Schrift  wiederum  aufzuwickeln". 

2)  Zweifelhaft  ist  die  Auslegung  der  Stelle  II  6,  10: 

Quid  prodest  mihi  tarn  macer  libellus 

Nullo  crassior  ut  sit  umbilico, 

Si  toto  tibi  triduo  legatur? 
Ich  interpretiere  macer  libellus  crassior  est  nullo  umbilico:  solch  dünnes  Buch  er- 
scheint „dicker,  wenn  es  keinen  Rollenstab  hat",  als  wenn  es  einen  hat. 
Ein  kurzer  Papierbogen,  wie  der  auf  unsrer  Abb.  72  und  73,  läßt  sich  nämlich  ganz 
gut  um  sich  selbst  rollen;  rollt  man  ihn  dagegen  um  einen  Stab,  so  bedeckt  er  ihn 
gar  zu  dürftig  und  man  merkt  erst  dann  recht,  wie  klein  der  Bogen  ist. 


11:  Der  Rollenstab.    12:  Cornua. 


235 


zusehen,  da  doch  das  Annähen  vor  der  Zusammenrollung-  würde  zu  geschehen  haben; 
und  was  sah  man,  wenn  der  Stab  eingenäht  war,  von  seiner  roten  Farbe?  Also 
schrieb  Martianus  Capella,  wie  ich  meine,  nicht  insuit,  sondern  inserit.  Erst  dies 
gibt  einen  passenden  Sinn.  Die  dicke  Blättermasse  der  Rolle  liegt  so  eng  gepreßt, 
daß  inwendig  kaum  ein  Loch  bleibt,  um  den  Stab  hineinzuschieben. 

12.  Cornua.  Was  aber  sind  die  cornua  am  Buch,  die  die  römischen 
Dichter  hie  und  da  erwähnen?1)  Sind  es  wirklich  Knöpfe,  wie  sie  im  Mittel- 
alter an  den  Stäben  oben  und  unten  erscheinen?  Man  hat  auf  dem  Bild  bei 
Helbig  1725  solche  Knöpfe  zu  erkennen  geglaubt;  das  ist  Irrtum;  es  sind 
vielmehr  Sittyboi.  Fälschlich  wird  auch  Nr.  1726  (Helbig)  im  Mus.  Borbonico 
I  12  so  wiedergegeben,  als  hingen  aus  dem  Innern  der  beiden  Konvolute 
des  Buchs  Fäden  oder  Schleifchen  heraus.  Dies  Bild  ist  vorhin  abgebildet 
und  besprochen  (Abb.  154).  Vor  allem  heißt  cornua  nicht  „Knöpfe".  Wir 
müssen  richtiger  übersetzen.  Cornua  in  tropischer  Verwendung  heißt  ent- 
weder, was  aus  Horn  gemacht  ist  (wie  die  Laterne;  die  Umbilici  aber  waren 
aus  Holz  oder  Knochen)  oder  aber,  was  in  gebogener  Form  halbmond- 
förmig vorspringt.  Dabei  ist  die  Zweiheit  wichtig,  weil  auch  das  Tier  zwei 
Hörner  hat.  So  heißen  nun  zunächst  in  einer  aufgerollten  Schlachtordnung 
die  Flügel  oder  gebogenen  Enden  bei  den  Griechen  Kepcrroc,  bei  den 
Römern  cornua.  Solcher  Schlachtordnung  gleicht  aber  die  offene  Rolle;  die 
Rollenenden  sind  ihre  Flügel;  und  wenn  Lucan  III  547  schrieb:  Et  iam  di- 
ductis  extendunt  cornua  proris,  so  setze  man  chartis  für  proris  ein,  und 
man  hat  die  cornua  der  Rolle:  si  Charta  diducitur,  cornua  eius  extenduntur. 
Daher  auch  das  explicare  aciem,  „die  Schlachtreihe  aufrollen"  bei  den 
Historikern;  der  Tropus  ist  vom  Buch  hergenommen.  Um  so  sicherer  sind 
auch  cornua  hier  nichts  anderes  als  dort.  Weiter  aber  sind  bei  einem 
gerundeten  Meerbusen  cornua  die  vorspringenden  Enden:  Cic.  ad  Att. 
9,  14,  1;  Ovid  Met.  V  410;  Mela  1,  84.  Der  Zuschauerraum  des  Theaters 
hat  Halbkreisform,  und  seine  Enden  rechts  und  links  heißen  wieder  cornua 
(Plin.  nat.  hist.  36,  117),  cornua  endlich  auch  die  Eckplätze  auf  dem  Rund- 
sopha  und  Hemicyclium  (cornibus  in  summis  ponere  membra;  vgl.  auch 
Apollin.  Sidon.  epist.  I  11,  10;  dazu  Tac.  ann.  I  75;  Valer.  Maxim.  V  7 
Ext.  2).  Ganz  ebenso  können  folglich  im  Halbrund  der  aufgerollten  Rolle 
die  cornua  nichts  anderes  sein  als  die  Endblätter. 

Daher  heißt  es  nun  wirklich  vom  Buch  -  ganz  wie  von  der  Schlacht- 
reihe — ,  daß  man  es  bis  zu  seinen  Cornua  aufrollt:  explicitus  usque  ad 
sua  cornua  (Martial  XI  107).  Weil  ferner  die  Endblätter  vom  Leser  am 
meisten  angefaßt  und  abgegriffen  wurden,  so  bestanden  sie  aus  stärkerer 
Charta'),  oder  es  wurden  zur  Verstärkung  Querstreifen  von  ca.  5  cm  Breite 


1)  Ein  entsprechendes  Keporra  kommt  bei  den  Griechen ,  soviel  ich  weiß, 
nicht  vor. 

2)  Führer  durch  die  Sammlung  Erzherzog  Rainer  S.  18. 


236 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


aufgeklebt1),  wie  die  erhaltenen  Papyri  zeigen.  Zum  Ausdruck  „Hörner" 
paßt  diese  größere  Festigkeit  gut.2)  Daß  bei  eleganter  Ausstattung  diese 
Blattenden  auch  gefärbt  wurden,  ist  begreiflich,  und  zwar  wurden  sie  weiß 
gefärbt;  eine  andere  Farbe  wird  nicht  genannt.  Endlich  wurden  sie  ge- 
legentlich auch  rund  zugeschnitten:  oben  S.  129. 

Diese  cornua  werden  nun  besonders  gern  da  erwähnt,  wo  auch  die 
frontes  libri  vorkommen.  Das  ist  sinnvoll:  Hörner  pflegen  an  einer  Stirn 
zu  sitzen.  Beide  Tropen  ziehen  sich  an;  vgl.  Mela  II  67  von  Italien:  frons 
eins  in  duo  quidem  se  cornua  ....  scindit.  Die  frontes  libri  aber  sind 
der  obere  und  untere  Schnitt  des  geschlossenen  Konvoluts;  denn  die  frons 
heißt  pumicata  (Martial  I  66,  10);  pumex  aber  diente  dazu,  diesen  Schnitt 
zu  glätten:  Isidor  Orig.  VI  12,  3  zu  Catull  1,  2;  vgl.  Ovid  Trist.  I  1,  11. 
Daher  verbindet  Seneca  voluminum  frontes  titulique  De  tranquill.  9,  6; 
denn  die  Buchtitel  befestigte  man  am  Schnitt.")  Der  Tropus  frons  ist  also 
bei  geschlossener  Rolle,  der  Tropus  cornua  ist  bei  offner  Rolle  gedacht 
Hiernach  ist  nun  endlich  Lygdamus  oder  Pseudo-Tibull  III  1,  13  inter 
geminas  frontes  cornua  pingantur  zu  interpretieren:  die  zwischen  beiden 
Rollenschnitten  sich  von  oben  nach  unten  erstreckenden  Endblätter  der 
Rolle  sollen  gefärbt  werden;  und  Ovid  Trist.  I  I,  8,  wo  das  Buch  selbst 
angeredet  wird,  nec  Candida  cornua  nigra  fronte  geras:  dein  Anfangsblatt 
und  Endblatt  soll  nicht  weiß  erscheinen,  während  dein  Buchschnitt  schwarz 
ist.  Diese  Dichter  sind  gleich  alt:  Lygdamus  ist  wie  Ovid  erst  im  J.  43 
vor  Chr.  geboren;  vielleicht  ist  die  Tristienstelle  sogar  früher  als  die  des 
Lygdamus  abgefaßt1),  und  die  Gedichte,  die  über  den  Buchschmuck  han- 
deln, fallen  demnach  nicht  früher  als  11  nach  Chr. 


1)  WiLCKEN,  Hermes  23  S.  466  ff.;  Borchardt,  Zeitschr.  für  ägyptische  Spr.  27 
S.  119;  Erman  und  Krebs,  Aus  den  Papyrus  der  Kgl.  Museen  S.  5. 

2)  Auch  am  Schießbogen  ist  die  Festigkeit  der  Kepaxa  von  Wichtigkeit;  siehe 
Heron,  Belopoii'ka  c.  4  und  8. 

3)  Nicht  hierher  gehört  die  Stelle  bei  Trebell.  Pollio  XXX  tyr.  4,  2,  wo  es  vom 
Rhetor  Quintilian  heißt:  quem  declamatorem  Romani  generis  acutissimum  vel  unius 
capitis  lectio  prima  statim  fronte  demonstrat:  hier  ist  „der  erste  Eindruck  bei  der 
Lektüre"  zu  verstehen,  so  wie  Phaedrus  sagt:  decipit  frons  prima  multos.  Schwierig- 
keiten dagegen  macht  Ovid  Trist.  1  7,  33,  wo  der  Dichter  anordnet,  ein  Epigramm 
von  6  Zeilen  solle  in  prima  fronte  libelli  (nämlich  der  Metamorphosen)  angebracht 
werden.  Hier  ist  wirklich  ein  Teil  der  Buchrolle  gemeint;  ist  aber  frons  der  „Schnitt", 
so  hat  prima  keinen  Sinn.  Dazu  kommt  das  Bedenken,  daß  mit  dem  Singular  libellus 
das  große  Werk  der  Verwandlungen  unmöglich  bezeichnet  sein  kann.  Die  Stelle  ist 
korrupt;  der  Librarius  schrieb  prima  fronte  in  Erinnerung  an  die  eben  nachgewiesene 
Redewendung,  und  es  ist  in  primi  fronte  libelli  herzustellen;  denn  das  erwähnte 
Epigramm  gehörte  an  den  Anfang  des  Werks,  also  an  die  frons  des  ersten  Buchs; 
s.  Buchwesen  S.  30;  oben  S.  23  Anm.  4.  Durchaus  fernzuhalten  ist  endlich  auch  die 
Horazstelle  Od.  I  7,  7  fronti  praeponere  olivam,  die  F.  Schöll  im  Archiv  Lex.  Vit 
S.  441  auf  die  frons  des  Buches  deuten  wollte:  eine  bare  Unmöglichkeit. 

4)  Das  Buch  des  Lygdamus  muß  nach  Ovid's  viertem  Tristienbuch  ediert  sein; 
denn  da  Lygdamus  auch  sonst  Ovid  nachahmt  (vgl.  besonders  Lygd.  5,  19  mit  Ovid 


12:  Cornua.    13:  Zettel  mit  Buchtitel. 


237 


Nach  alledem  ist  es  begreiflich  genug,  weshalb  auf  den  Monumenten 
von  Knöpfen  an  den  frontes  der  Bücher  sich  so  gar  nichts  wahrnehmen 
läßt.  Die  Kunstwerke  sind  zuverlässig.  Daß  sie  es  sind,  beweist  der  rix- 
xußoc,  den  sie  um  so  sorgfältiger  wiedergeben  und  dem  wir  uns  jetzt  zu- 
wenden. 

13.  Zettel  mit  Buchtitel.  Wo  Bücher  als  Nebensache  dargestellt  sind, 
kann  der  Sittybos  fehlen;  wo  das  Interesse  auf  ihnen  ruht,  ist  er  selten 
weggelassen.  Auch  auf  dem  Bild  des  Thermenmuseums  oben  S.  119  fehlt 
er  nicht.    Doch  gilt  es  wieder  die  Zeiten  zu  unterscheiden. 

An  einem  geschlossenen  Buch  mußte  außen  der  Titel  angebracht  sein; 
denn  wer  ein  solches  aus  dem  Schrank  oder  Kasten  nahm,  wollte  sogleich, 
ja  schon  vorher  ersehen  können,  was  sein  Inhalt  war.  Diesem  Bedürfnis 
konnte  indes  auf  zweierlei  Weise  entsprochen  werden,  und  im  älteren  grie- 
chischen Buchwesen  hat  der  Sittybos,  wennschon  sich  seiner  wohl  schon 
die  alten  Ägypter  bedienten  (oben  S.  17),  noch  gefehlt.  Das  zeigt  zunächst 
das  Wort  „Epigramma".  Bei  Alexis  (Athenaeus  S.  184B)  erhalten  wir  ein- 
mal Einblick  in  eine  Bibliothek  poetischer  Werke;  da  hat  jede  Rolle  ihr 
epigramma,  sei  es  ein  Dichtername  wie  'Opqpeuc  oder  eine  Sachanzeige  wie 
öujapxuria.  „Epigramm"  aber  kann  nur  die  Aufschrift,  nicht  aber  einen 
angehängten  Zettel  bedeuten.  So  wie  vielmehr  die  „Epigramme"  auf  Grab- 
steinen oder  Weihgeschenken  den  Gegenstand,  den  sie  anzeigen  wollten, 
selbst  bedeckten,  so  hat  das  epigramma  bei  Alexis  auch  opisthographisch 
auf  der  geschlossenen  Buchrolle  selbst  gestanden.  Daher  erklärt  sich  nun, 
daß,  obschon  die  archaische  Kunst  zu  andrem  Zweck  den  Zettel  mit  Auf- 
schrift schon  kannte  —  ich  denke  an  die  etruskischen  Spiegel,  auf  denen 
zu  den  Figuren  die  Namen  bisweilen  nicht  direkt,  sondern  auf  solchen 
schmalen  Zetteln  beigeschrieben  sind1)  -,  gleichwohl  die  alten  Vasenbilder, 
die  das  Detail  sonst  mit  naiver  Ausführlichkeit  zu  geben  pflegen,  ein 
solches  Zettelchen  am  Buch  nirgends  erkennen  lassen.  Nur  auf  der 
Euphroniosvase  oben  S.  148  entdeckten  wir  einen  Titel:  XIPONEIA,  aber 
er  ist  dort  an  der  Außenseite  der  geschlossenen  Rolle  selbst  entlang  ge- 
schrieben. Dies  ist  eben  ein  wirkliches  Epigramma;  so  also  standen  auch 
bei  Alexis  die  Titel  auf  den  Büchern;  und  wir  haben  die  Bilder,  wo  der 
Zylinder  des  Buchs  außen  beschrieben  wird,  eben  dahin  ausgelegt  (S.  12  f. 
u.  202).    Auch  die  Klio  oben  S.  188  zeigt  noch  solches  „Epigramm". 

Daß  in  den  besprochenen  Zeiten  das  Buchtitelwesen  noch  unentwickelt 
war,  hat  E.  Lohan  gezeigt.2)    Daher  war  Theognis  um  sein  Eigentumsrecht 

Amor.  II  14,  23  und  Lygd.  5,  16  mit  Ovid  Ars  am.  II  670),  so  ist  auch  Lygd.  5,  18 
aus  Ovid  Trist.  IV  10,  6  abgeschrieben,  nicht  umgekehrt. 

1)  Siehe  z.  B.  Monumenti  dell'  Inst.  II  Tfl.  29;  XI  Tfl.  3;  VISCONTI,  Mus.  Pio- 
Clement.  IV  Tfl.  B  I;  Martha,  L'art  etrusque  Fig.  374. 

2)  De  librorum  titulis  apud  classicos  scriptores,  Marburg  1890. 


238 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


an  seinen  Elegien  und  ihre  unverfälschte  Überlieferung  besorgt  und  suchte 
durch  Siegelung  der  ausgegebenen  Exemplare  sich  Sicherheit  zu  verschaffen. 
Anders  kann  ich  Theogn.  v.  19  nicht  verstehen.  Über  diese  Siegelung  ist 
unten  S.  243  gehandelt.  Für  viele  Prosasachen,  auch  für  Produkte  der 
melischen  Poesie  sind  die  uns  geläufigen  Titel  erst  von  alexandrinischen 
Gelehrten  und  Bibliothekaren  fixiert  worden;  in  der  ältesten  Zeit  stand  nur 
einfach  Kwuiubia  oder  Tpcrriubia  auf  den  Dramen.1)  Dieselben  Gelehrten 
waren  die  Urheber  der  Doppeltitel  in  Plato's  Dialogen  und  im  Drama.2) 
Und  eben  dieselbe  gelehrte  hellenistische  Zeit  hat  nun  auch  erst  die 
Zettelchen  aus  Membrana  erfunden,  die  lateinisch  index,  titulus,  griechisch 
sittybos  (oder  sillybos)  heißen.")  Cicero,  der  früheste  Zeuge,  bringt  den 
griechischen  Ausdruck  dreimal.1)  Mit  dieser  Erfindung  hängt  augenschein- 
lich zusammen,  daß  die  Rollen  in  der  älteren  Zeit  oft  noch  im  Kasten 
liegend,  in  der  späteren  durchgängig  stehend  aufbewahrt  wurden  (siehe 
unten).  Bei  den  stehenden  Rollen  mußte  der  Titel  nunmehr  an  ihrem 
Kopf  deutlich  gemacht  werden.  Ein  solcher  Zettel  mit  Aufschrift  ist  uns, 
wenn  der  Fund  richtig  gedeutet  wird,  noch  erhalten.") 

Daß  der  Sittybos  durchweg  an  der  oberen  und  nicht  etwa  an  der 
unteren  frons  der  stehenden  Rolle  befestigt  wurde,  ist  selbstverständlich. 
Auch  bestätigen  es  die  Bilder,  die  Rollen  in  der  Capsa  zeigen;  s.  Helbig 
1725  (oben  S.  235)  und  859  (oben  S.  188),  sowie  die  anderen,  wo  die 
Rolle  in  der  Hand  des  Lesers  ist.  Und  zwar  war  er  nicht  etwa  am  Rollen- 
stab befestigt  (der  ja  auch  gar  kein  Bestandteil  der  Rolle  war),  sondern 
am  oberen  Rand  des  Papiers  selber;  dies  setzt  Seneca  voraus,  der  a.  a.  0. 
frontes  titulique  verbindet;  an  der  frons  selbst  saß  also  der  titulus.  Das- 
selbe zeigt  das  Medaillonbild  oben  Abb.  103,  dazu  S.  166;  der  Zettel  ist  da 
sehr  winzig,  aber  rot  gefärbt,  wie  es  Martial  III  2  vorschreibt;  vorzüglich 
zeigt  dies  der  Jüngling  mit  geöffneter  Rolle,  auf  dessen  Sittybos  Homerus 
geschrieben  steht  (S.  188  f.)  sowie  das  Pendant  dazu:  ein  Jüngling  mit  ge- 
schlossener Rolle,  auf  dessen  Sittybos  Plato  zu  stehen  scheint,  s.  Abb.  156 
und  157.'')  In  diesen  beiden  Fällen,  wie  auch  sonst  öfter,  ist  der  Sittybos 
so  weiß  wie  das  Buch;  so  auch  auf  dem  Bilde  Mus.  naz.  IX  8598,  unsrer 
Abb.  154;  grün  ist  er  Helbig  1420  (oben  S.  115,  Abb.  64),  rot  wiederum 


1)  Über  KW|uwöia  siehe  A.  KÖRTE,  Rhein.  Mus.  60  S.  434  f.;  über  Tpcrrwöia  als 
Buchaufschrift  ALEXIS  a.  a.  O. 

2)  Siehe  Plato's  Protagoras  ed.  Kroschel,  1882,  S.  1;  W.  Hippenstiel,  De 
Graecorum  tragicorum  fabularum  nominibus,  Marburg  1887;  W.Bender,  De  Graecae 
comoediae  titulis  duplicibus,  Marburg  1904. 

3)  Siehe  Buchwesen  S.  66;  324. 

4)  sittijbos  Cic.  ad  Att.  IV  5,  3;  vgl.  IV  8%  2.    sillabos  IV  4h,  l. 

5)  Aufschrift  Cwcppovoc  uiuoi  YuvaiKeioi,  s.  GRENFELL  u.  Hunt,  Oxyrrh.  papyri 
Bd.  II  n.  301,  vielleicht  auch  n.  381;  G.  LAFAYE  bei  DAREMBERG-SAGLIO  III  S.  1179. 

6)  Durchzeichnungen,  auf  dem  Originalgemälde  gemacht,  sodann  verkleinert. 


13:  Zettel  mit  Buchtitel. 


239 


LXXIX  9731  (oben  S.  226).  Eine  geschlossene  Rolle  mit  Sittybos  auch  noch 
im  Giornale  dei  Scavi  1868-69  Tfl.  2  =  Schreiber,  Bilderatlas  I  Tfl.  89,  9. 
Wie  nützlich  der  Sittybus  in  den  Bibliotheken  selber  gewesen  sein  muß,  ver- 
anschaulicht uns  das  S.  177  erwähnte  Neumagener  Relief,  unsre  Abb.  159. 
Der  Zettel  ist  hier  oben  schmal  und  verbreitert  sich  nach  unten. 

Wenn  nun  auf  den  Stillleben  mit  Schreibutensilien  eine  Rolle  vor 
uns  liegt,  die  den  Sittybos  an  ihrer  im  Vordergrund  liegenden  frons  trägt, 
so  ist  diese  frons  der  Kopf  der  Rolle,  und  das  Buch  liegt  also  vor  uns 
auf  dem  Kopfe;  der  Leser  ist  nicht  vorn,  sondern  vielmehr  im  Hintergrunde 
des  Bildes  zu  denken.  Es  entspricht  dies  der  Anordnung  auf  dem  Neu- 
magener Relief.  Dies  ist  deshalb  geschehen,  damit,  wer  das  Bild  be- 
trachtet, den  Sittybos  selbst  mit  seiner  Aufschrift  sehen  könne;  denn  die 


Sittyboi  zeigen  in  der  Tat  noch  Reste  von  Schrift.  Das  interessierte.  Es 
waren  bestimmte,  am  Titel  kenntliche  Bücher  gemalt.1)  Dies  hat  aber  den 
Maler  weiter  dazu  verleitet,  nun  auch  die  Schrift  im  offnen  Buch  auf  den 
Kopf  zu  stellen,  damit  der  Betrachter  auch  etwas  in  ihm  lesen  könne;  so 
das  Epigramm  Quisquis  ama  valia  eqs.  (oben  S.  227). 

14.  Es  folgt  die  Pänula:  ein  Ledermantel  in  Zylinderform,  in  den  man 
die  geschlossene  Rolle  zur  Schonung  steckte,  etwa  so  wie  man  heute  die 
zusammengerollten  Tischservietten,  um  sie  sauber  zu  halten,  noch  in  eine 
kapselartige  Umhüllung  aus  Zeug  steckt.  Man  prunkte  damit  und  färbte 
die  paenula  purpurn  oder  orange.  Irre  ich  nicht,  so  war  diese  Umhüllung, 
wie  den  Juden2),  auch  schon  den  Ägyptern  bekannt.  In  den  Händen  der 
Figuren  von  Mumiendeckeln  haben  wir  S.  18  f.  geschlossene  Rollen  gesehen, 

1)  Vgl.  unsre  Abb.  154,  wo  die  Buchstaben  PA  zu  Anfang  deutlich  sind. 

2)  Siehe  Blau  a.  a.  O.  S.  173  ff.;  oben  S.  22  Anm.  (Aristeasbrief). 


Abb.  156. 


Abb.  157. 


240 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


die  grün  gefärbt  sind,  am  oberen  und  unteren  Rande  aber  goldgelbe 
Streifen  haben.  So  bemalt  konnte  doch  nur  ein  Umschlag,  nicht  aber  das 
Buch  selbst  sein.  Ich  bin  ungewiß,  ob  wir  dieselbe  Verzierung  auf  ge- 
wissen spätrömischen  Werken  wiedererkennen  dürfen.  Die  griechisch- 
römische Plastik  war  polychrom,  und  an  den  Rollen  war  die  Pänula  gleich- 
falls durch  Bemalung  angedeutet.  So  sieht  man  denn  auch  in  der  Spätkunst 
am  oberen  und  unteren  Rand  der  geschlossenen  Rollen  bisweilen  durch 
Einritzung  von  Linien  Streifen  angedeutet,  die  sonst  unerklärlich  sind;  viel- 
leicht sind  sie  eine  Ausschmückung  der  Außenseite  nach  Art  des  eben  er- 
wähnten ägyptischen  Vorbildes?  Auch  die  erhaltene  Spur  von  Bemalung 
betrifft  ja  eben  denselben  Rollenrand.1)  Ich  verweise  auf  den  christlichen 
Sarkophag  Lateran  Nr.  138  (oben  Abb.  56);  dasselbe  dreimal  ebenda,  Relief 
unter  Nr.  170  (danach  unsre  Abb.  19).  Vgl.  auch  Abb.  167;  ferner  Le  Blant, 
Les  sarc.  de  la  Gaule  Tfl.  49,  1-3;  Wilpert,  Tfl.  255:  Rolle  in  der  Hand 
des  Marcellinus.  Dasselbe  findet  sich  aber  schon  auf  der  Thamyrisvase  von 
Ruvo,  s.  unsre  Abb.  27.  Daneben  hat  freilich  auch  die  offne  Rolle  solche 
Streifen  und  man  hat  den  Eindruck,  als  sei  an  der  Vorder-  und  Rückseite 
ein  Rand  ausgespart  und  vielleicht  bunt  gefärbt  worden;  vgl.  den  erwähnten 
christlichen  Sarkophag  des  Lateran,  unter  Nr.  170  (oben  Abb.  129)  und 
den  in  Arles,  Garrucci  343,  3,  den  ich  im  letzten  Abschnitt  bespreche. 

Auf  den  Fresken  Pompejis  fehlt  die  Pänula  natürlich  zunächst  überall 
da,  wo  die  Rolle  offen  oder  auch  geschlossen  in  der  Hand  ruht;  benutzt 
erscheint  das  Buch  auch  auf  den  Stillleben.  Wohl  aber  müßte  man  da,  wo 
die  Rollen  in  der  Capsa  stehen,  die  Pänula  erwarten.  Doch  zeigt  sich  auch 
in  diesen  Fällen  auf  den  Gemälden  keine  Spur  von  ihr,  und  wir  gelangen 
zu  dem  Schluß,  daß  auch  die  Pänula,  wie  der  Umbilicus,  Sache  des  höch- 
sten Luxus  und  insbesondere  bei  den  Griechen  erst  spät2)  rezipiert  wurde. 
Dies  bestätigt  das  Neumagener  Relief,  Abb.  159,  das  auch  natürlich  vom 
Umbilicus  nichts  weiß.  Nicht  einmal  das  Buch  in  Gottes  Hand,  das  in  der 
Johannesapokalypse  geschaut  wird,  hat  eine  Pänula;  denn  der  Verfasser 
der  Vision  kann  sehen,  daß  das  Buch  Opisthograph  ist  (oben  S.  85  f.).  Der 
römischen,  nicht  der  griechischen  Literatur  gehört  die  Madrider  Arat- 
Miniatur  an,  auf  der  Arat  eine  geschlossene  rote  Rolle  in  der  L.,  die  Muse 
eine  ebensolche  von  gelber  Farbe  hält.3)  Die  Farbe  erweist  den  Mantel. 
Bei  Wilpert  Tfl.  182  ist  die  Rolle  dunkel-  oder  hellbraun  in  Streifen  ge- 
färbt, die  spiralisch  laufen.  Das  griechische  Wort  cpaivoXnc  (cpeAovnc)  steht 
nur  bei  Paulus  II  Timoth.  4,  13,  und  es  frägt  sich,  in  welchem  Sinn.4) 
Wenn  in  Ägypten  gefundene  griechische  Papyri  vereinzelt  einmal  in  Muselin 
(so  der  Alkman)  oder  gar  nur  in  Streifen  von  Mumienleinwand,  wenn  die 

1)  Oben  S.  99  nach  AMELUNG.  Über  rote  Farbe  am  Lateransarkophag  Nr.  222 
siehe  S.  79.  2)  Lucian;  sonst  Hesych  u.  a.;  Buchwesen  S.  65. 

3)  Bethe,  Rhein.  Mus.  48  S.  93  Anm.  2.  4)  Lucian  sagt  öicpOepa. 


14:  Die  Pänula.    15:  Zubinden  der  Rolle. 


241 


herkulanensischen  endlich  in  unbeschriebene  Charta  gewickelt  waren,  so 
hat  das  doch  mit  der  pergamentenen  prunkhaften  Pänula  nichts  zu  tun. 
In  der  Tat  wird  diese  immer  nur  da  erwähnt,  wo  wir  auch  vom  Umbilicus 
lesen,  und  ist  also  nach  ihm  zu  beurteilen. 

Auf  alle  Fälle  muß  von  ihr  jenes  Futteral  mit  Griff  unterschieden 
werden,  dem  wir  (oben  S.  46>  Abb.  26)  auf  einem  nolanischen  Vasenbilde 
begegneten.  Dies  ist  ein  Transportmittel  zum  Tragen  der  Rolle  nach  Art 
der  Schultaschen  und  dürfte  früh  außer  Gebrauch  gekommen  sein. 

15.  Zubinden  der  Rolle.  Damit  hängt  aber  noch  eine  andere  Frage 
zusammen:  wurde  die  Einzelrolle  nicht  auch  zur  Sicherung  des  Schlusses 
mit  Fäden  oder  Bandwerk  aus  Riemen  zusammengebunden?  Die  Literatur 
scheint  nichts  davon  zu  wissen;  anders  die  Monumente;  und  es  ist  eigen- 
tümlich, daß  die  spätrömische  Kunst  auch  hier  schließlich  das  wieder 
bringt,  was  wir  aus  Ägypten  kennen.  Denn  die  Ägypter  umbinden  das 
unbenutzte  Buch  tatsächlich  mit  Band;  in  dieser  Form  ist  es  sogar  als 
Determinativzeichen  in  die  Hieroglyphenschrift  aufgenommen  worden;  siehe 
oben  S.  9.  Mit  Vergnügen  fand  ich  das  in  Ravenna  im  Baptisterium  ortho- 
doxum  wieder,  einem  Bau,  dessen  Mosaiken  dem  5.  Jahrh.  angehören. 

Am  untern  Wandteil  sieht  man  hier  ringsum  8  Heilige  mit  Büchern  in  Mosaik 
ausgeführt,  die  Bücher  bald  Rollen,  bald  Codices.  Beide  Buchformen  aber  haben 
rote  Bänder,  darunter  eine  geschlossene  Rolle,  dreimal  herum  mit  rotem  Band  um- 
bunden,  wie  wir  wohl  Tischservietten  zubinden.  Dazu  kommt  ferner  das  Buch  mit 
sieben  Siegeln  im  Mosaik  des  Triumphbogens  der  Kirche  S.  Cosma  e  Damiano 
(6.  Jahrh.);  ihm  fehlt  ein  Umbilicus;  umwickelt  aber  ist  es  mit  sieben  Fäden  (nicht 
Bändern),  an  deren  jedem  ein  Siegel  hängt.  Zwei  Bänder  zeigt  der  Marcellinus  bei 
WlLPERT  Tfl.  255. 

Sonst  findet  sich  nur  ein  einzelnes  Band  um  die  Mitte,  nach  Art  des  Servietten- 
rings, und  zwar  da,  wo  das  Motiv  II  vorkommt;  auf  dem  Mosaik  in  S.  Agnese  zu 
Rom  ist  es  dunkler  als  die  weiße  Rolle  gefärbt,  es  schien  aus  der  Ferne  wie  Goldton; 
auf  dem  Sarkophag  in  der  Capeila  dei  Sarcofagi  der  Callistkatakomben  sieht  es 
wie  ein  fester  Lederriemen  aus  (vgl.  oben  S.  101  Abb.  53;  vgl.  Abb.  56).  Bei  WlL- 
PERT Tfl.  255  (in  den  Händen  des  Pumenius  und  Petrus)  erscheint  es  weiß.  Einem 
Ring  gleicht  das  Band  auf  dem  Apostelsarkophag  im  Louvre,  Reinach,  Rep.  stat.  I 
S.  117,  linke  Seitenfläche,  in  der  Hand  eines  der  Evangelisten;  auch  dies  schon  bei 
den  Ägyptern,  s.  Abb.  9. 

Reiches  Zeugnis  aber  gibt  noch  S.  Vitale  in  Ravenna  mit  seinen  Mosaiken  im 
Chor:  Christus  als  Richter  sitzend  mit  Rolle,  Motiv  V  (oben  S.  120);  die  Rolle  ist 
mit  sechs  oder  sieben  schwarzen  Fäden  zugebunden;  höher  befinden  sich  Jeremia 
und  Jesaias;  dieser  letztere  hat  wiederum  eine  mit  Band  geschlossene  Rolle. 

Im  Simeonkloster  in  Oberägypten  befindet  sich  im  Gang  des  oberen  Stock- 
werks ein  halb  zerstörtes  großes  Fresko,  Christus  und  die  Jünger;  mehrere  der 
Jünger  halten  Codices,  Jacobus  aber  eine  Rolle  mit  Band,  auf  deren  Außenseite 
ig  x~c  geschrieben  steht. J)  Dabei  faßt  Jacobus  die  Rolle  am  unteren  Ende  und  hält 
sie  in  die  Höhe,  ganz  in  der  Art,  wie  es  die  alten  Ägypter  taten  (oben  Abb.  9). 

Augenscheinlich  wurde  das  Zubinden  damals  nur  bei  heiligen  Büchern 
beliebt,  an  welche  in  diesen  Fällen  sicher  oder  doch  wahrscheinlich  zu 


1)  Siehe  Catalogue  des  monuments  et  inscriptions  de  l'Egypte  antique,  Ser.  I 
ed.  J.  de  Morgan  u.  a.  S.  134. 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  16 


242  IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 

denken  ist.  Das  entspricht  dem  jüdischen  Gebrauch,  wonach  um  die  Buch- 
rolle, die  heiligen  Zwecken  dient,  ein  Faden  aus  Haaren  oder  auch  ein 
Streifen  aus  Pergament  geschlungen  wurde.1)  Bei  Profanschriften  und  bei 
schnellem  Betrieb  der  täglichen  Lektüre  müßte  das  Zu-  und  Aufbinden 
sehr  hinderlich  gewesen  sein. 

Pompeji's  Bilder  wissen  deshalb  nichts  davon.-)  Der  Gegenstand,  der 
auf  dem  Gemälde  Mus.  naz.  XLIX  9257  der  sitzenden  Frau  im  Schoß  liegt, 
ist  ein  dem  Amor  weggenommener  Köcher,  kein  Buch.  Daher  haben  wir, 
ich  und  andere,  die  Worte  des  Catull  22,  7  lora  rubra  membranae  bisher 
mit  Skepsis  betrachtet.  In  der  Beschreibung  glänzend  ausgestatteter  Buch- 
rollen übergeht  Catull  da  die  Pänula,  und  statt  ihrer  stehen  rote  Riemen. 
Jetzt  ist  dagegen  wohl  klar,  daß  dies  dieselben  bandartig  feinen  Riemen 
sind,  die  wir  im  Baptisterium  zu  Ravenna  antrafen.  Denn  auch  diese  sind  rot: 
lora  rubra.*)  Der  Genitiv  membranae  aber  heißt  „aus  feinem  Leder"  nach 
poetischem  Sprachgebrauch,  wie  Properz  IV  8,  37  vitri  supellex  =  „das  Gerät 
aus  Glas"  schreibt;  so  auch  crystalli  calices  zu  lesen  im  Gedicht  Copa  v.  30.4) 
Statt  also  bei  Catull  die  Pänula  durch  Konjektur  in  den  Text  zu  bringen, 
ist  vielmehr  festzustellen,  daß  sich  die  Gewohnheiten  veränderten:  zu 
Catull's  Zeiten  war  die  Pänula  anscheinend  noch  unbekannt,  und  wer  sich  mit 
Ausstattung  der  Bücher  wichtig  tat,  benutzte  noch  nach  altägyptischem 
Herkommen  Bänder  oder  feines  Riemenwerk  und  färbte  es  rot.  Erst  seit  dem 
Jahre  11  n.  Chr.,  bei  Lygdamus  Ps.  Tib.  III  1,  9  und  Ovid  a.  a.  0.,  taucht 
die  erste  Anspielung  an  die  Pänula  auf,  sie  kehrt  dann  bei  Martial  u.  a. 
wieder  und  kam  wohl  auch  später  nicht  ganz  außer  Gebrauch;  das 
Christentum  aber,  das  übrigens  die  Pänula  gleichfalls  kennt1'),  griff,  durch 
die  jüdische  Tradition  angeregt,  für  heilige  Schriften  daneben  auf  die  An- 
wendung der  Fäden  und  der  lora  rubra  zurück. 

1)  L.  Blau  S.  35.  2)  Außer  bei  Briefen;  s.  unten.    In  Ägypten  sind  auch 

Briefe  auf  Papyrus  gerollt  und  mit  Fäden  zugebunden  gefunden  worden;  siehe 
Schreiber,  Kunsthist.  Bilderatlas  1  92,  11. 

3)  Übrigens  wurden  auch  die  Riemen  der  Zügel  rot  gefärbt;  siehe  Simonides 
cpohuKac  ijudvTC/c  (frgm.  12  Hiller  aus  Plut.  De  virtute  mor.  S.  445  D). 

4)  Die  Editoren  lieben  es,  den  Text  bei  Catull  zu  verballhornen,  indem  sie 
membrana  drucken,  während  das  überlieferte  membrane  doch  membranae  bedeutet; 
keiner  hatte  so  viel  Stilgefühl,  um  zu  merken,  daß  man,  wo  der  Dichter  eine  Auf- 
zählung in  lauter  Pluralen  gibt  (libri,  umbilici,  lora,  omnia),  keinen  Gegenstand  im 
Singular,  wie  membrana,  einschwärzen  darf;  und  nun  gar  ohne  Epitheton!  Mein 
früherer  Leseversuch  coria  rubra  membranae  ist  durch  das  oben  Vorgetragene 
überflüssig  gemacht;  auch  löst  Catull  ungern  im  hipponakteischen  Verse  eine 
Hebung  in  zwei  Kürzen  auf.  Natürlich  wird  bei  Catull  auch  immer  noch  22,  6  die 
überlieferte  Schreibung  chartae  regiae  novae  libri  veruntreut  und  novi  gedruckt, 
obgleich  die  Überlieferung  ganz  ohne  Anstoß  und  die  Charta  regia  doch  selbst  neu 
sein  mußte,  aus  deren  scapi  die  libri  erst  hergestellt  wurden.  Dafür,  daß  ein  Sub- 
stantiv zwei  Adjektive  erhält,  ist  Catull  1,  1  lepidum  novum  libellum  u.  a.  zu  ver- 
gleichen; s.  C.  Eymer,  De  adpositorum  apud  poetas  Romanos  usu,  Marburg  1905,  S.66. 

5)  Siehe  z.  B.  WiLPERT  Tfl.  182 ;  Swarzenski,  Regensburg.  Buchmalerei  Tfl.  27  Nr.  79. 


15:  Zubinden  der  Rolle.    16:  Siegeln;  das  Buch  mit  7  Siegeln.  243 


Das  altägyptische  Herkommen  aber  hatte  sich  auch  schon  im  alten 
Athen  fortgesetzt.  Nicht  nur  der  „Lysias"  auf  unsrer  Abb.  59  zeigt  es  (mit 
Siegel?):  eine  attische  Vase  im  British  Museum  (Annali  d.  Inst. 


Bd.  50  Tfl.  O  =  Daremberg-Saglio  Fig.  2601)  gibt  eine  Unter-     f    jj)  ) 
richtsszene;  über  den  Personen  aber  hängt  eine  mit  einem  C2® 
Doppelband   und   Schleife  zugebundene   Rolle:  s.  Abb.  158.       Abb-  158- 
Dasselbe    auf    der   Durisvase    in    Berlin    (oben   S.  138). 

16.  Siegeln  des  Buchs.  Nun  aber  können  wir  noch  einen  Schritt 
weitergehen.  Die  mit  einem  Faden  zugebundenen  Briefe  wurden  auch  ge- 
siegelt.1) Wir  können  jetzt  folgern,  daß  auch  umgekehrt  in  den  Fällen, 
wo  wir  von  versiegelten  Büchern  lesen,  solche  mit  Fäden  oder  Stricken 
geschlossene  Rollen  vorauszusetzen  sind.  Schon  das  Verfahren  bei  den 
Ägyptern  empfiehlt  das  (oben  S.  9).  Fronto  ad  M.  Caesarem  I  8  aber 
beschreibt  wirklich,  wie  er  ein  Gedichtbuch  mit  Faden  und  Siegel  zugleich 
schließt.  Und  das  Buch  mit  sieben  Siegeln  in  S.  Cosma  e  Damiano  zeigt 
mit  diesen  Siegeln  zugleich  auch  sieben  Fäden  (oben  S.  241).  So  sind 
also  beispielshalber  der  Uber  signatus,  den  Pharnabazos  an  die  Ephoren 
schickt  (Nepos  VI  4,  2),  und  der  Uber  epistularum,  den  Cicero  sub  signo 
hat  (ad  Att.  IX  10,  4),  mit  Faden  umschlungene  Rollen  gewesen.  Ganz 
ebenso  schon  die  „in  Bücherfalten  versiegelte"  Schrift  (KaTeccppoppcjueva) 
bei  Aeschylus  Hiket.  958;  ganz  ebenso  auch  die  signata  volumina  des 
Horaz  Epist.  I  13,  2,  auf  die  ich  zurückkomme,  oder  endlich  die  Orakel- 
sprüche, die  man,  auf  Charta  geschrieben  und  zugesiegelt,  an  den  Orakel- 
stätten erhielt  (Macrob.  Sat.  I  23,  14).2)    Über  Theognis'  Siegel  s.  S.  237  f. 

Das  berühmte  Buch  mit  sieben  Siegeln  aber  verdankt  diese 
Siebenzahl  der  Nachahmung  der  Testamente,  die  von  sieben  Männern  mit 
je  einem  Siege!  versehen  werden  mußten.  Das  ist  also  Gottes  letzter  Wille. 
Diese  Deutung  scheint  mir  ganz  überzeugend.3)  Man  erinnere  sich,  daß 
auch  das  Testament  des  Abraham,  das  des  Isaak  und  des  Jakob,  die  unter 
den  jüdischen  Apokryphen  stehen,  teilweise  oder  vorwiegend  apokalypti- 
schen Inhalt  haben.4)    Wenn  nun  allerdings,  wie  wir  wissen,  die  Lösung 

1)  So  schon  Herodot  III  128,  wo  wir  auch  in  den  Kanzleien  der  Perser  ßißAta 
verwendet  sehen  (daher  heißt  das  königliche  Archiv  ßißXto9riKr|  Esdra  III  [=1]  6,23). 
Vgl.  auch  Jeremias  32,  10.  Übrigens  HELBIG,  Wandgem.  Nr.  1722  und  1727.  Dies 
ist  die  signata  chartula  bei  Ammian.  Marceil.  21,  4,  2;  vgl.  auch  Paulinus  Nolanus 
epist.  S.  285,  27  ed.  Härtel  u.  a.  Abbildungen  eines  geschlossenen  arabischen  Briefes 
bei  Erman  und  Krebs,  Aus  d.  Papyrus  der  Kgl.  Museen,  1899,  S.  210,  sowie  im 
Führer  durch  die  Sammlungen  Erzherzog  Rainer  Tfl.  XIV. 

2)  Weiteres  bei  Blau  a.  a.  O.  S.  36. 

3)  Vgl.  die  Darlegung  von  E.  HULSCH,  Das  Buch  mit  sieben  Siegeln,  1860; 
dazu  Th.  Zahn,  Einleitung  in  das  Neue  Testament  II  S.  597;  J.  Weiss,  Die  Apoka- 
lypse des  Johannes  S.  57.  Über  das  Siegeln  griechischer  Urkunden  handelt  neuer- 
dings H.  Erman  im  Archiv  für  Papyrusforschung  I  S.  75  (auch  über  die  Testamente, 
die  eEaiadprupoi  sind),  doch  ohne  auf  das  Buch  der  Apokalypse  einzugehen. 

4)  The  Jewish  Encyclopedia  II,  New  York  und  London  1903,  S.  4. 


244 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


der  Siegel  eines  Testamentes  nur  in  Gegenwart  der  sieben  Personen  selbst, 
die  gesiegelt  hatten,  vorgenommen  werden  durfte1),  so  scheint  die  Allegorie 
der  Johannesapokalypse  hiervon  abzusehen. 

17.  Bibliotheken.  Aber  Bücher  wollen  nicht  nur  geschlossen  und 
gesiegelt,  sie  wollen  auch  aufbewahrt  sein.  Sammelten  sich  ihrer  viele  an, 
so  wurde  ihre  Zusammenfassung  und  Ordnung  nötig,  und  die  Bibliothek 
mußte  entstehen,  die  von  den  Griechen  auch  die  Apotheke  für  Bücher  ge- 
nannt wird.2)  In  den  griechischen  Hauptstädten  der  Alexandrinerzeit,  her- 
nach in  den  Hauptstädten  des  römischen  Kaiserreichs  fanden  sich  in 
Privatbibliotheken  wohl  oftmals  Tausende  von  Rollen,  in  öffentlichen  ihrer 
Hunderttausende  zusammen.  Leider  gewährt  kein  Relief,  kein  Gemälde 
jener  Zeiten  Einblicke  in  das  Innere  eines  solchen  Instituts  und  in  seinen 
Betrieb.  Nur  Grundrisse  und  stumme  Reste  der  Bauten  selbst  sind,  dank 
den  neueren  Ausgrabungen,  freigelegt  worden.  So  vor  allem  in  Pergamum. 
Da  läßt  sich  so  viel  erkennen,  daß  eine  lange  offne  Wandelhalle  für  die 
Benutzer  vorhanden  war,  welcher  Wandelhalle  die  Portikus  genau  ent- 
spricht, die  in  der  alten  Literatur  da  erwähnt  zu  werden  pflegt,  wo  von 
Bibliotheken  die  Rede  ist;  ferner  aber  auch  geschlossene  Räume  für  die 
Bedienung  und  zum  wenigsten  ein  großer  Saal  für  die  Bücher  selbst,  von 
ca.  45  m  umlaufender  Wandfläche.  Auch  sind  in  den  Wänden  Löcher 
nachgewiesen,  darin  die  Haken  saßen,  die  die  hölzernen  Bücherborte  ge- 
tragen haben  müssen.  Solche  hölzernen  Borte  fanden  sich  verkohlt  auch 
in  der  kleinen  Bücherstube  Herculaneums.')  Gefunden  ist  ferner  auch  die 
Bibliothek  am  Marktplatz  in  Ephesus,  die  Freitreppe,  die  zu  ihr  hinan- 
führte; allegorische  Statuen,  sowie  herrliche  Reliefs,  die  diese  Treppe  ab- 
sperrten und  zusammen  eine  Länge  von  18  m  haben.  Diese  Bibliothek 
hatte  zwei  Stockwerke  und  das  Licht  wurde  durch  große  Fenster  zu- 
geführt.1) Ferner  verbirgt  sich  in  der  freigelegten  Kirche  Maria  antiqua 
auf  dem  römischen  Forum  das  alte  templum  divi  Augusti,  und  zwar  war 
das  Presbyterium  dieser  Kirche  durch  Umbau  aus  der  Augustusbibliothek, 
ihr  Chor  aus  dem  größten  Büchersaal  hergestellt.  ')  Der  Grundriß  zeigt 
drei  durch  Türen  verbundene  Büchersäle  nebeneinander;  die  seitlichen 
mochten  jeder  gegen  1000,  der  mittlere  das  Doppelte  an  Rollenzahl  auf- 
nehmen. Vor  ihnen  aber  lag  oder  liegt  ein  großer  Vorhof  (Quadriporticus), 
der,  wie  man  annehmen  möchte,  großenteils  gedeckt  war  und  als  Lesesaal 
benutzt  worden  sein  kann.    Das  Morgenlicht  fiel  in  diese  Halle,  am  Mittag 


1)  Vgl.  auch  Erman  und  Krebs  a.  a.  0.  S.  131. 

2)  Vgl.  Dio  Cassius  49,  43;  53,  1;  68,  16. 

3)  Siehe  CONZE  in  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Akad.  1884  II  S.  1259  ff. 

4)  Siehe  R.  Heberdey  in  den  Jahresheften  d.  österr.  Instit.  VII  (1904)  Beiblatt 
S.  50  f.  und  IX  Beiblatt  S.  59. 

5)  So  HÜLSEN  in  Neue  Jahrbücher  1904  S.  40  f.;  Das  Forum  Romanum-  S.  158. 


17:  Bibliotheken:  Grundrisse;  Einrichtung. 


245 


und  Nachmittag  lag  sie  im  Schatten.  Diese  Bibliothek  war  demnach 
sehr  klein. 

Weiter  aber  ist  auch  in  Athen  die  Hadriansbibliothek  in  ihren  Resten 

als  solche  noch  zu  erkennen,  u.  a.  m.1) 

Ich  füge  hinzu,  daß  bibliotheca  auch  das  Archiv  heißt2)  und  daß  das  monat- 
liche Gehalt  eines  Bibliothekars,  d.  h.  des  Verwalters  eines  Tempelarchivs,  im 
3.  Jahrh.  n.  Chr.  in  Ägypten  30  Drachmen  betrug,  das  eines  „Schreibers"  dagegen 
40  Drachmen.'1)  Die  ßtß\io6f|Kr|  eYKxf|C€iuv  war  ebendort  der  Sammelort  der  Grund- 
buchführung, des  Katasters  für  den  Immobilienbesitz,  dessen  Vorsteher  ßiß\ioqpu\a.Kec 
hießen.  *) 

Gern  wüßten  wir  mehr  über  alles  dies,  und  es  regt  sich  der  Seufzer: 
hätten  wir  nur  noch  Varro's,  des  gelehrten,  Werk  de  bibliothecis  erhalten! 
Jetzt  müssen  uns  folgende  zusammengelesene  Notizen  genügen. 

Man  saß  gemeinhin  nicht  im  Bücherraum  selbst,  sondern  in  der 
Wandelhalle  und  las  dort  gemeinsam  in  den  Büchern.0)  An  bedienerfdem 
Personal  fehlte  es  in  den  öffentlichen  Bibliotheken  nicht.")  Doch  durfte 
man,  wie  es  scheint,  auch  selbst  an  die  Gestehe  gehen  und  fand  dann  ge- 
legentlich Werke,  auf  die  man  nicht  gerechnet  hatte.7)  Die  Bücherschränke 
waren  numeriert/)  Denn  nur  solche  Schränke  und  nicht  Serbien  ver- 
wandte man0);  aber  auch  die  schon  erwähnten  Borte,  nach  Art  der  Colum- 
barien  in  Fächer  oder  „Nester"  (nidi)  geteilt,  stiegen  bis  zum  Plafond  an 
den  Wänden  hinauf10);  und  auch  diese  „Nester"  waren  vielleicht  numeriert.11) 
Schlechte  Bücher  steckte  man  ins  unterste  Fach.12)  Nur  diese  Gelasse  und 
Gestelle  hießen  eigentlich  bibliothecae,  und  sie  wurden  als  solche  von  den 
Büchern  selbst  bisweilen  sorglich  unterschieden.13)  Der  Anblick  des  Ganzen 
war  erfreulich  und  die  so  geordneten  Bücher  ein  Schmuck  der  Wände.11) 
Ihre  Titel  waren  außen  sichtbar  gemacht  und  bequem  zu  überblicken,  so 

1)  Vgl.  W.  Judeich,  Topographie  Athens  S.  337.  Übrigens  J.  W.  Clark,  The 
care  of  books  S.  15  ff.  Über  griechische  Bibliotheken  F.  Poland  in  Historische 
Untersuchungen,  E.  FÖRSTEMANN  gewidmet,  1894,  S.  7  ff. 

2)  Siehe  Erman  u.  Krebs  a.  a.  0.  S.  157  Note  3.         3)  Ebenda  S.  184. 

4)  L.  Mitteis  im  Archiv  für  Papyrusforschung  I  S.  184  f. 

5)  z.  B.  Gellius  XI  17,  1.         6)  Siehe  M.  Ihm,  Zentralblatt  f.  BW.  X  S.  522  ff. 

7)  Gell.  a.  a.  O.:  in  manus  incidere;  derselbe  XIX  5,  4.  Volumina  in  biblio- 
thecis exigere  Plin.  n.  hist.  7,  89. 

8)  Vopiscus,  Tacit.  8,  1:  in  bibliotheca  Ulpia  in  amiario  sexto  librum  ele- 
phantinum. 

9)  Vitruv  VII  1  weiß  für  die  alexandrinische  Bibliothek  nur  von  armaria;  auch 
Seneca  erwähnt  De  tranqu.  an.  9,  6  nur  sie;  9,  7  fügt  er  loculamenta  hinzu.  Vgl. 
die  mroicn-a  bei  Cicero  ad  Att.  IV  8a.  Übrigens  Digest.  32,  52,  3.  Th.  Zahn,  Gesch. 
des  Kanons  I  S.  81. 

10)  Seneca  a.  a.  O.  tecto  tenus  extrueta.         11)  Martial  I  117,  15. 

12)  Martial  VII  17,  5.    Die  Nester  heißen  auch  foruli. 

13)  Seneca  a.  a.  O.;  Paulli  Sentent.  III  6,  51:  libri  quoque  et  bibliothecae.  An 
andren  Stellen  werden  die  Bücher  mit  verstanden. 

14)  Seneca  a.  a.  O.:  in  speciem  et  cultum  parietum;  daher  nihil  venustius  bei 
Cicero  a.  a.  O. 


246 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


daß  der  Lässige  sich  begnügen  konnte,  diese  Titel  statt  der  Bücher  durch- 
zulesen.1) Daß  Statuenschmuck  nicht  fehlte,  ist  allgemein  bekannt;  auch 
Plafonds  von  Elfenbeingetäfel  und  Mosaik  werden  erwähnt.2)  Vor  allem 
mußten  die  Fußböden  grün  sein,  weil  dies  günstiger  für  die  Augen  war.a) 

Auf  einige  weitere  Detailfragen  antwortet  Herculaneum.1)  Der  Fund  der 
gegen  zweitausend  herculanensischen  Rollen  stammt  zum  guten  Teil  aus 
einem  einzigen  winzigen  Zimmer  (zothecula;  vgl.  Sidon.  Apoll,  ep.  VIII  16,  3). 
Wenn  nun  Privatbibliotheken  gelegentlich  30  000,  ja  62000  Rollen  ent- 
hielten —  denn  diese  Summen  werden  uns  genannt5)  — ,  so  war  für  sie 
annähernd  das  Fünfzehnfache  oder  Dreißigfache  eben  dieses  Raumes  er- 
forderlich. Die  Kleinheit  der  Stuben  aber  diente  der  Raumersparnis;  denn, 
wie  jene  Kammer  gezeigt  hat,  wurden  die  vier  Wände  ausgenutzt  und  rings- 
um mit  schrankähnlichen  Gestellen  (scaffali  Winckelmann)  besetzt,  die  sich 
bis  'zur  Höhe  von  6  Fuß  erhoben,  in  der  Mitte  aber  stand  isoliert  ein 
Schrank:  überdies  ein  weiterer  Beweis,  daß  man  in  den  Magazinräumen 
selbst  zumeist  nicht  las.  Daß  das  Armarium  aber  auch  in  die  Wand  ein- 
gelassen wurde,  sagt  Plinius  epist.  II  17,  8.1')  Rechteckige  Nischen  (für  Ge- 
stelle oder  Schränke)  sind  für  die  Trajansbibliothek  festgestellt.') 

Die  bildende  Kunst  zeigt  uns  von  alledem  nichts.  Nur  ein  einziges 
Monument  ist  mir  bekannt  geworden,  das  unserem  Verlangen  wirklich 
entgegen  zu  kommen  scheint.  Es  stammt  aus  den  gallischen  Provinzen 
des  römischen  Reichs,  deren  Reliefkunst  besonders  gern  Vorgänge  des 
täglichen  Verkehrs-  und  Geschäftslebens  abgeschildert  hat;  ich  meine  ein 
Relief  aus  Neumagen,  das  leider  nicht  mehr  erhalten,  sondern  nur  aus 
dem  Werk  von  Brower  und  Masen,  Antiquitatum  et  Annalium  Trevirensium 
libri  XXV  (Leodii  1671)  Bd.  I  S.  105  bekannt  ist.   Das  dort  gegebene  Ectypon, 

1)  Seneca  a.  a.  O.:  dominus  vix  tota  vita  indices  perlegit. 

2)  Boethius  Consol.  I  5. 

3)  Isidor  Origg.  VII  11.  Daß  das  Mosaik  des  Monnus  zu  Trier  der  Fußboden 
einer  Bibliothek  war,  ist  nicht  festgestellt. 

4)  Siehe  Winckelmann  und  de  Jorio  a.  a.  O;  D.  Comparetti,  Relaz.  sui  papiri 
Ercol.  (1880)  S.  1;  Clark  S.  24. 

5)  Script.  Hist.  Augustae,  GORDIAN  18,  2;  Suidas  s.  v.  36Ttacppö5iToc.  Auch 
kaiserliche  Privatbibliotheken  existierten:  CLL.  VI  2132.  Was  die  öffentlichen  an- 
langt, deren  Rollenzahl  natürlich  in  die  Hunderttausende  ging,  so  sei  noch  erwähnt, 
daß  die  Kaiser  selbst  Exemplare,  die  ihnen  dediziert  wurden,  an  diese  abgaben; 
vgl.  Hieron.  De  vir.  illustr.  13:  Iosephus  Romam  veniens  septem  libros  Iudaicae 
captivitatis  imperatoribus  patri  filioque  obtulit,  qui  et  bibliothecae  publicae  traditi 
sunt;  s.  auch  Zosimus  III  11  über  Julian. 

6)  Auch  Apollinaris  Sidonius  Epist.  II  9,  4  sei  angeführt:  libri  affatim  in 
promptu;  videre  te  crederes  aut  grammaticales  pluteos  aut  Athenaei  cuneos  auf 
armaria  extructa  bybliopolarum ,  wo  cunei  separierte  Sitzplätze  zum  Lesen  zu  be- 
deuten scheinen.  Übrigens  sieht  man,  daß  sich  Schränke  auch  in  Buchläden  be- 
fanden, die  Börter  (plutei)  aber  in  den  Schulstuben.  Die  Schränke  in  den  Buch- 
läden bezeugt  auch  Porph.  zu  Horaz  Sat.  I  4,  71. 

7)  Vgl.  NlBBY,  Roma  antica,  1839,  S.  188  f.;   Clark  a.  a.  O. 


17:  Bibliotheken:  Bücherkammern. 


247 


das  alles  Detail  in  erstaunlicher,  doch  unverdächtiger  Sorgfalt  wiedergibt, 

ist  in  unserer  Abb.  159  wiederholt. 

Da  sieht  man  nun  die  umfangreichen  Loculi  an  der  Wand  eines  Zimmers  vor 
Augen;  es  sind  nur  zwei  Fächer,  die  sich  in  angemessener  Höhe  über  dem  Fuß- 
boden befinden;  eine  Zwischenwand  trennt  sie.  In  jedem  Fache  liegen  die  Rollen, 
die  übermäßig  vergrößert  sind,  in  drei  Schichten  übereinander,  den  Kopf  mit  dem 
Sittybos  nach  vorn,  welcher  Sittybos  an  den  meisten  der  26  Rollen,  wennschon  nicht 
an  allen  sich  vorfindet.  Hierdurch  wird  uns  augenfällig  erläutert,  was  Winckel- 
mann,  Werke  II  S.  95  meldet,  daß  auch  die  herculanensischen  Rollen  bei  der  Aus- 
grabung „in  Schichten  aufeinandergelegt"  gefunden  worden  seien.  Ein  junger 
Mann  —  Leser?  oder  Lesediener?  —  ist  im  Begriff  eine  Rolle  wieder  oben  ins 
linke  Fach  zurück  zu  legen,  während  zugleich  rechts  vorne  schon  ein  Buch  zum 


Abb.  159:  Trierer  Relief. 


Lesen  eingespannt  offen  steht  (s.  oben  S.  177).  Der  Leser  ist  also  mit  dem  einen 
Buch  fertig  geworden  und  will  mit  der  Kenntnisnahme  des  anderen  beginnen?  So 
zeigt  dies  Bild,  daß  die  Lektüre  doch  gelegentlich  auch  in  der  Bücherkammer  selbst 
stattfand,  vielleicht  besonders  dann,  wenn  die  Bibliothek  ein  Archiv  von  Rechnungs- 
und Verwaltungsskripturen  war.    Rollenmantel  und  Rollenstab  fehlen  durchgängig. 

Das  Fach  links  scheint  dreimal  sechs  Rollen  übereinanderliegend  zu  umfassen 
(man  sieht  nur  15),  das  rechts  etwa  12  (man  sieht  11).  Vielleicht  sind  also  dies 
Werkeinheiten  zu  18  und  zu  12  Büchern. 

Hoffentlich  täuscht  uns  dies  Bild  nicht.  Doch  wünschten  wir  immer  noch 
mehr  zu  sehen.  Kein  Bildwerk  läßt  uns  erraten,  in  welcher  Weise  z.  B. 
Riesenwerke  wie  des  Livius  142  Rollen  römischer  Geschichte  oder  des  Verrius 
Flaccus  Lexikon  in  etwa  80  Rollen,  von  denen  einzelne  doch  leicht  ver- 
sprengt werden  und  verloren  gehen  konnten,  zusammengehalten  und  über- 
sichtlich gemacht  wurden  —  man  vergegenwärtige  sich  nur,  wie  leicht  die 
Titelblättchen  abrissen,  wie  leicht  ein  Chaos  entstand  — ,  und  wir  sind  für 
diese  wichtige  Frage  auf  Vermutungen  angewiesen.  Livius  würde  aus- 
gereicht haben,  acht  der  besprochenen  Loculi  auszufüllen.    Die  antike  Kunst 


248 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


jedoch  liebt  nur  die  Zusammenfassung  kleinerer  Gruppen  von  Rollen  vor- 
zuführen. Sie  hat  dafür  drei  Formen:  das  Bündel,  die  Capsa  und  den 
Schrank.  Daß  man  die  Bücher  gelegentlich  auch  im  Ranzen  trug,  sei 
nebenbei  bemerkt.1)  Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst  jene  drei  Formen, 
um  erst  hernach  daraus  bestenfalls  einen  Schluß  zu  ziehen. 

18.  Rollenkasten.  Tragbar  war  der  Bücherkasten,  Kißujiöc,  Kißumov, 
scrinium,  capsa,  Kicrn.,  cista,  auch  leüxoc3)  genannt.  Weil  tragbar,  dient 
er  nicht  der  eigentlichen  Bibliothek,  in  der  man  literarische  Schätze  un- 
verrückbar niederlegt,  sondern  er  dient  dem  Transport  oder  hilft,  daß  nur 
die  just  eben  nötigen  Bücher  oder  Skripturen  den  Herrn  begleiten,  und 
heftet  sich  als  wandelndes  Archiv  wie  sein  Schatten  an  seine  Sohle:  una 
Capsula  me  sequitur,  sagt  Catull  68  A  36.  Im  Apolloniusroman  sehen  wir, 
wie  er  herbeigeholt  wird,  cap.  6:  iussit  afferri  sibi  scrinia  cum  volumini- 
bus  graecis  et  latinis.  So  steht  dort  in  einer  Fassung  des  Romans;  in 
einer  anderen:  et  aperto  scrinio  codicum  suorum  inquisivit  eqs.  Diese 
letztere  Fassung  ist  unecht;  das  ergibt  sich  aus  Form  und  Inhalt  der  Mitteilung 
unverkennbar.  Vgl.  übrigens  noch  Aristides  p.  282  ed.  Jebb.:  xoutfeiv  tö 
KißujTiov.  Auch  bei  den  Buchhändlern  standen  die  Rollen  in  Capsae;  ein 
einbücheriges  Werk  wird  aus  solcher  Capsa  verkauft  bei  Statius  Silv.  IV 
9,  21.3)  Aber  auch  Briefschaften  legte  man  darin  zusammen  (scrinia  epi- 
stularum  bei  Plin.  n.  h.  7,  94).  An  die  scrinia  memoriae,  libellorum  u.  a. 
der  späteren  Hofkanzlei  brauche  ich  hier  nur  zu  erinnern.1)  Nach  dem- 
selben Plinius  (16,  229)  ist  der  Kasten  aus  Buchenholz.  Alexander  der  Große 
führte  die  Gesänge  Homers  in  einem  persischen  „Narthex"  mit  sichy);  solche 

1)  Siehe  Buchwesen  S.  503.       2)  Siehe  oben  S.  38.       3)  Vgl.  Hör.  Sat.  I  4,  22. 

4)  Natürlich  wurden  diese  Truhen  und  Kästen  auch  zum  Aufbewahren  be- 
liebiger anderer  Gegenstände  benutzt.  Bei  Properz  III  6,  14  dienen  die  scrinia  am 
lectus  für  Gegenstände  der  Frauentoilette;  und  wie  nahe  sich  gerade  Bücherkasten 
und  Toilettenkasten  standen,  lehren  die  zwei  eleganten  silbernen  polygonalen  Kästen 
im  British  Museum,  die  aus  Rom  stammen,  bei  DAREMBERO  et  SAGLIO  Fig.  1176; 
der  eine  von  ihnen  ist  mit  Musenbildern  geschmückt  und  hat  inwendig  eine  Platte, 
die  mit  fünf  Öffnungen  durchlöchert  ist;  augenscheinlich  sollten  darin  fünf  Rollen 
stehen.  Die  Höhe  des  Kastens  beträgt  einen  Fuß.  In  Wirklichkeit  haben  sich  indes 
nur  Pomadenbüchsen  darin  gefunden;  vier  dieser  Büchsen  aber  zeigen  genau  die 
zylindrische  Form  einer  Buchrolle.  Daher  die  Jünglinge  bei  Seneca  epist.  115,  1 
barba  et  coma  nitidi,  de  Capsula  toti.  —  Übrigens  dienen  capsae  auch  zum  Trans- 
port von  Medikamenten  und  Aromata;  s.  Anthol.  lat.  910,  47  R.,  für  Winteräpfel 
Martial  XI  8,  3;  als  Geldkiste  bei  Lysias  12,  10.  Bei  Cäsar's  Ermordung  wurden 
die  Schwerter  darin  verborgen:  Dio  Gass.  44,  16. 

5)  Strabo  p.  594.  Die  „Nuß",  in  der  sich  nach  Plinius  die  Ilias  auf  Pergament 
befand,  war  schließlich  auch  nichts  als  ein  kleines  Kästchen  in  Nußform.  Etwas 
anders  Semenow  in  der  Festschrift  zum  25.  Stiftungsfeste  des  histor. - philol.  Vereins 
der  Universität  München,  1905  (mir  nur  aus  Referaten  bekannt),  der  ansetzt,  daß 
griechisch  ex  Kapüou  stand,  d.  h.  in  einem  Kasten  aus  Nußbaumholz;  vgl.  r\  ex  toö 
vdperjKoc.  Vgl.  jedoch  Blau  a.  a.  0.  S.  82  f.  -  In  einer  steinernen  Larnax  wurden  die 
sibyllinischen  Buchrollen  im  Capitolinischen  Tempel  in  Rom  aufbewahrt  (Dionys. 
Hai.  IV  62),  was  nicht  hinderte,  daß  sie  verbrannten. 


18:  Rollenkasten:  anfangs  eckig  und  niedrig. 


249 


aus  Citrusholz  und  aus  Elfenbein  erwähnt  Seneca,  Tranqu.  an.  9,  6.  Der 
Ausdruck  SnKiov  e'ic  ßißMa  findet  sich  auf  einem  späten  ägyptischen  Papyrus, 
sogar  mit  Preisangabe;  leider  ist  die  Zahl,  die  den  Preis  nennt,  weg- 
gefallen.1) Und  dieser  Kasten  war  bei  den  Griechen  wohl  nahezu  so  alt 
wie  das  Papyrusbuchwesen  selbst.  Denn  schon  Aristophanes  erwähnt  in 
den  Rittern  1000  ff.  eine  KtßujTÖc  voll  Orakelsprüchen,  während  sich  Vesp. 
529  ff.  in  einer  tragbaren  kictt]  nur  Schreibpapier  und  anderer  Schreib- 
apparat zu  befinden  scheinen.  Nichts  anderes  bedeuten  die  Kißdma  und  Teuxn 
bei  Xenophon  Anab.  VII  5,14.    Dies  hohe  Alter  aber  bestätigt  die  Kunst. 

Die  älteste  Kunst  kennt  noch  nicht  das  Rollenbündel,  noch  nicht  den 
Schrank;  aber  sie  kennt  schon  die  Capsa.  Diese  ist  anfangs  nur  eckig, 
nicht  rund  geformt,  und  der  Augenschein  lehrt,  daß  man  einfach  die  ägyp- 
tische Büchercapsa  übernommen  hatte.  Ich  verweise  auf  die  S.  148  be- 
sprochene Euphroniosvase,  womit  man  die  ägyptische  Form,  Abb.  14,  ver- 
gleiche. Die  Form  ist  mehr  breit  als  hoch.  Auch  das  Motiv,  daß  eine 
geschlossene  Rolle  flach  auf  dem  Deckel  liegt,  hat  Euphronios  aus  Ägypten 
übernommen.  Als  Titel  steht  Chironeia  auf  dieser  Rolle.  Da  es  in  jenen 
Zeiten  überhaupt  mehrbücherige  Werke  noch  nicht  gab,  so  schließen  wir, 
daß  die  Capsae  damals  noch  Kollektionen  verschiedenartiger  Werke  in 
sich  vereinigt  haben.    Das  kam  übrigens  auch  später  vor;  s.  Statius  a.  a.  0. 

Auch  die  Stele  von  Grottaferrata  (unsre  Abb.  90)  zeigt  eine  eckige  Capsa, 
deren  Deckel  steil  offen  steht.  Der  Deckel  ist  also  mit  Scharnieren  be- 
festigt. Der  Kasten  ist  auch  hier  niedrig  (sein  unteres  Ende  befindet  sich 
in  der  Höhe  des  r.  Fußes  der  Sitzfigur).  Von  einer  Verschlußeinrichtung 
ist  nichts  zu  erkennen. 

Ein  drittes  Beispiel  gibt  die  Grabstele  im  athenischen  Museum  Nr.  817; 
vgl.  Athen.  Mitteilungen  1878  S.  323  Nr.  16:  dargestellt  ist  eine  sitzende 
Frau,  nach  links  gerichtet.  Zwischen  den  schön  rund  gedrechselten 
Stuhlbeinen,  die  unten  mit  einer  Querleiste  verbunden  sind,  steht  unter- 
halb dieser  Querleiste  eine  geschlossene  eckige  Capsa  von  geringer  Höhe; 
s.  unsre  Abb.  160.  Sie  ist  dreimal  so  hoch  wie  der  Fußschemel.  Auf  dem 
Deckel  liegt  eine  geöffnete  Rolle,  die  zwei  Konvolute  bildet.  Vom  oberen 
Konvolut  läuft  die  Blattfläche  zum  unteren;  außerdem  biegt  sich  von  ihm 
aber  noch  ein  weiteres  gewölbtes  Blatt  nach  links  ab,  das  ich  nicht  erklären 
kann.  Bedeutet  dies  eine  Umhüllung?  oder  ein  zweites  Buch?  Die  Rolle 
ist  übrigens  von  ziemlicher  Dicke.  Der  Kasten  hat  nun  aber  eine  solche 
Breite,  daß  die  Rolle  bequem  in  ihm  flach  liegen  kann;  dasselbe  gilt  von 
dem  der  Euphroniosvase,  und  wir  kommen  zu  der  Vermutung,  daß  es  das 
Vorherrschende  in  dieser  älteren  Zeit  war,  die  Rollen  in  die  Kästen  nicht  zu 


1)  Siehe  Grenfell,  Hunt,  Hogarth:  Fayüm  towns  and  their  papyri  (1900) 
pap.  104,  5  (S.  251):  eniduuv  ß.eic  ßeiß[\ia  .  .  . 


250 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


stellen,  sondern  zu  legen.  Zehn  solcher  Rollen  konnten  dann  in  der  Capsa 
reichlich  Platz  finden. 

Endlich  beachte  man,  daß  die  Capsa  Füße  hat.  Das  war  das  ältere. 
Doch  begegnet  es  gelegentlich  auch  später. 

Vielleicht  kann  sonach  die  Form  dieser  Kästen  als  ein  Kriterium  für  die  Zeit- 
bestimmung der  Erfindung  eines  Bildes  verwendet  werden.  Ein  solcher  wird  auch 
auf  dem  S.  103  besprochenen  Philosophenmosaik  zu  Neapel,  und  zwar  am  Boden 
zu  Füßen  der  stehenden  Eckfigur  links  angetroffen.  Daß  er  da  für  Bücher  dienen 
soll,  dafür  spricht  die  Szene  selbst,  in  die  wir  ihn  eingeordnet  finden.  Aber  er  ist 
nicht  nur  eckig,  sondern  auch  auffallend  niedrig,  und  Rollen  konnten  in  ihm  keines- 
falls stehen,  sondern  nur 
liegen.  Die  Vorlage  des 
erhaltenen  Mosaiks  hat 
also  vielleicht  noch  dem 
Ende  des  4.  oder  dem  An- 
fang des  3.  Jahrh.  v.  Chr. 
angehört. ') 

Denn  daß  die  Rol- 
len in  der  Capsa  stehen, 
hat  mutmaßlich  erst  der 
Hellenismus  aufgebracht 
oder  durchgeführt,  ein 
Einfluß  des  jüngeren 
alexandrinischen  Buch- 
wesens; damit  hängt  zu- 
sammen, daß  die  Rolle 
jetzt  an  ihrer  oberen 
frons  den  Buch- 
titel trägt  (oben 
S.  238):  der  sollte 
ins  Auge  fallen.  Doch 
das  bleibt  etwas  un- 
sicher, da  die  ältere 
Kunst,  insbesondere  die  Plastik,  sich  noch  nicht  getraute  das  Innere  der 
Capsa  mit  den  Büchern  abzubilden.  Der  Hellenismus  brachte  aber  noch 
eine  andere  Neuerung:  die  Capsae  sind  jetzt  auch  rund  wie  eine  Säulen- 
trommel oder  ein  Rundaltar  und  ahmen  in  Zylinderform  die  Form  der  Rolle 
selbst  nach.  Das  hängt  doch  wieder  mit  dem  Besprochenen  zusammen: 
im  runden  Gefäß  konnten  die  Rollen  nicht  mehr  liegen;  sie  sollten  stehen. 

Erst  die  hellenistische  Malerei,  die  wir  nach  den  campanischen  Wand- 
bildern beurteilen,  öffnet  das  Innere  des  Kastens.  Der  Deckel  wird  ab- 
genommen, er  hängt  also  nicht  immer  an  Scharnieren,  und  die  Rollenköpfe 
zeigen  sich.    Ich  führe  nur  die  Bilder  an: 


1)  Aber  auch  der  Kasten  auf  unsrer  Abb.  29  wahrt  noch  diese  Form. 


Abb.  160:  Relief,  Alben. 


18:  Bücherkasten:  höher  und  rund. 


251 


Neapel,  Mus.  naz.  bei  HELBIG,  Wandgem.  1725  (oben  S.  235):  ein  rotes  Scrinium 
mit  Tragband;  daraus  ragen  sieben  Rollen  hervor,  jede  Rolle  zeigt  oben  den 
Sittybos;  vgl.  Pitture  d'  E.  II  S.  7.1) 

Paris,  Louvre,  bei  HELBIG  859:  Muse  Kleio  mit  Scrinium;  man  erkennt  sechs 
Rollen,  nach  Pitture  II  S.  13;  oben  S.  188. 

Pompeji,  Haus  der  Vettier,  Amorettensaal:  stehender  Mann,  geschl.  Rolle  in 
der  L.,  Motiv  II  (oben  S.  104);  an  seinem  1.  Bein  eine  Capsa,  zweifarbig,  weiß  und 
braun:  sie  sieht  eckig  aus;  der  daneben  lehnende  braune  Deckel  mit  Knopf  aber 
ist  rund.  Ein  dünnes  Band  hängt  an  zwei  Ringen  herab.  Bücher  sind  nicht  sicht- 
bar.   S.  Abb.  161. 

Ebenda,  Haus  der  Vettier,  großes  Peristyl:  sitzender  Mann;  offnes  Blatt  in  der 
1.  Hand;  1.  neben  ihm  offne  runde  Capsa;  der  runde  Deckel  lehnt  an  ihr;  beide 
sind  rot.  Man  erkennt  zum  wenigsten  sechs  Rollen;  da  aber  rechts  ein  Teil  fehlt, 
können  als  Inhalt  8—10  Rollen  angesetzt  werden:  s.  Abb.|95. 

Die  Rollen  stehen  also  jetzt  in  der  Capsa;  daher  verändert  diese 
selbst  ihr  Format  und  ist  jetzt  meistens  mehr  hoch  als  breit.  Mehr  hoch 
als  breit  erscheint  sie  in  der  Tat  schon  an  den  frühesten  griechischen 
Statuen,  die  mit  Capsa  versehen  sind;  auch  herrscht  nun  die  Rundform  vor. 
Ich  glaube  aber  nicht,  daß  sich  eine  dieser  Statuen  als  vorhellenistisch, 
d.  h.  als  vor  dem  Todesjahr  Alexanders  des  Großen  verfertigt  erweisen 
läßt.  Freilich  kann  mir  hier  manches  entgangen  sein,  und 
die  Gelehrten,  die  eine  umfassendere  Kenntnis  der  Monu- 
mente besitzen,  mögen,  was  ich  hier  gebe,  nachprüfen  und 
berichtigen. 

Voran  stehen  die  Musen  und  die  Porträts  literarischer 
Größen.  Im  Porticus  I  des  Neapler  Museums  steht  der 
Aeschines  aus  Herculaneum;  an  seinem  1.  Fuß  eine  runde 
Capsa  des  angegebenen  Formats;  sie  ist  oben  vom  Gewand  zugedeckt.  Sie 
hat  die  Höhe  der  Hälfte  des  Unterbeins;  solche  Capsa  war  also  nur 
gegen  34  cm  hoch.  Als  Inhalt  können  Reden,  richtiger  aber  wohl  Doku- 
mente gedacht  werden.  Sie  ist  nicht  nur  an  der  Vorderseite  mit  Ring 
und  daran  befestigtem  Tragband  (Riemen)  versehen,  sondern  auch  über 
ihre  Rückseite  ist  das  Band  geführt.  Dagegen  ist  ihre  linke  Außenseite 
nicht  ausgearbeitet.  Vielleicht  war  sie  hier  abgebrochen  und  der 
Restaurator  hat  die  Stelle  weggeglättet;  oder  die  Statue  war  ursprüng- 
lich hart  an  einer  Säule  aufgestellt.  Die  Statue  ist  nun  aber  nach  der  nächsten 
Analogie,  dem  Demosthenesstandbild,  zu  beurteilen,  das  in  Athen  erst  im 
J.  280  v.  Chr.  errichtet  wurde.  Dieses  war  Bronze  und  hatte  gar  keine 
Capsa;  eine  Capsa,  übrigens  nicht  höher  als  die  des  Aeschines,  ist  nur 
in  der  Marmorkopie  des  Demosthenes  in  Braccio  Nuovo  Nr.  62  hinzugefügt, 
während  die  Replik  zu  Knole  in  England  statt  dessen  einen  kurzen  Baum- 
stamm zeigt.2)  Auch  bei  dem  marmornen  Aeschines  wird  sie  demnach 
jüngere  Zutat  sein;  auch  sein  Original  war  Bronze. 


1)  Auch  Schreiber,  Bilderatlas  I  90,  8. 

2)  Siehe  Amelung,  Skulpturen  des  Vat.  Mus.  I  S.  81  f. 


252 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Wenden  wir  uns  zu  den  Musen,  so  begegnete  uns  im  Gemälde  aller- 
dings Klio  mit  dem  Scrinium  (oben  S.  251).  Die  Plastik  hat  die  Musen 
dagegen  durchgängig  mit  dieser  Beigabe  verschont.  Denn  sie  studieren 
nicht;  was  sollten  sie  also  mit  Büchersammlungen?  Es  ist  vielmehr  eine 
Dichterin  in  dem  sitzenden  Mädchen  des  Mus.  Chiaramonti  Nr.  121  dar- 
gestellt: 

Stift  und  Rolle  in  ihren  Händen  sind  modern.  An  ihrem  r.  Bein  aber  steht 
eine  runde  Capsa,  die  die  Einrichtung  des  Verschlusses  deutlich  zeigt  und  etwa 
halb  so  hoch  wie  der  Sitz  ist;  hatte  ein  Sitz  in  Wirklichkeit  48  cm  Höhe,  so  hatte 
die  Capsa  also  etwa  25  cm.    Darauf  ein  Rollenbündel  zu  fünf  Rollen.    Dies  sind 

unverkennbar  Literaturbücher.  Der  unterste 
Teil  der  Capsa  ist  Ergänzung;  alles  stark 
überarbeitet.  Amelunq  a.  a.  0.  S.  387  setzt 
nun  zwar  das  Original  ins  4.  Jahrh.;  für  dies 
Beiwerk  aber  ist  ein  solches  Alter  natürlich 
nicht  zu  erweisen.  Siehe  die  Abbildung  bei 
Amelunq  Tfl.  40;  unsre  Abb.  162. 

Ein  marmornes  Sitzbild  in  griechi- 
schem Gewände  wurde  auch  dem  Or- 
bilius,  dem  Lehrer  des  Horaz,  in  Bene- 
vent gesetzt.  Man  sah  es  noch  in  des 
Suetonius  Zeit.  Der  strenge  Mann  hatte 
zwei  Scrinien  neben  sich.1)  Das  war 
wider  den  Usus  und  sollte  den  Gram- 
maticus,  der  zwei  Sprachen  beherrscht, 
anzeigen. 

An  einer  sorglichen  Weiterführung 
dieses  Gegenstandes  erlahmt  indes,  wie 
ich  bekenne,  meine  Geduld,  und  ich 
kann  nur  Dürftigstes  hinzufügen.  Bei 
Daremberq-Saqlio  im  Artikel  „Capsa"  findet  man  Literatur  und  Verweise 
auf  Abbildungen.  Es  sei  hier  nur  hervorgehoben,  daß  das  Scrinium 
bei  weiblichen  Standfiguren  zu  fehlen  pflegt  und  auch  bei  Sitzbildern  selten 
ist.2)  Massenhaft  erscheint  es  dagegen  an  den  römischen  Porträtstatuen, 
den  Togastatuen.  Da  ist  das  Scrinium  obligat  geworden3),  und  in  den  grö- 
ßeren Museen  trifft  man  Beispiele  zu  Dutzenden  an.  Wer  wollte  da  Ver- 
zeichnisse geben? 

Sogar  als  Terrakotte  fand  ich  einen  römischen  Redner  mit  runder  Capsa  in 
Marseille  Nr.  1238  (FRÖHNER).  Reste  des  Beschlages  eines  römischen  Scriniums, 
aus  dem  1.  Jahrh.  n.  Chr.,  das  anscheinend  eine  römische  Legion  im  Feldzug  mit 
sich  führte,  haben  sich  bei  Cremona  gefunden4);  vgl.  dazu  Dio  Cass.  67,  11.  Ich 

1)  Sueton,  De  gramm.  9. 

2)  Als  Ausnahme  nenne  ich  die  besprochene  sitzende  Dichterin  im  Mus.  Chiara- 
monti, sowie  die  kleinen  Bronzefiguren  im  Mus.  Kircheriano:  s.  S.  253. 

3)  Man  denke  hier  an  die  capsae,  die  Cicero  als  Redner  bei  sich  führt,  Divin. 
in  Caecil.  51.         4)  Mommsen  im  Korrespondenzbl.  d.  Westdeutsch.  Ztg.  1888  S.  56. 


18:  Bücherkasten. 


253 


gebe  hier  als  Beispiel  in  Abb.  163  die  Capsa  von  der  kl.  Statue  des  Britannicus, 
Neapel,  Nr.  6064;  sie  befindet  sich  am  r.  Bein  der  Figur  und  zeigt  das  Schloß  sowie 
den  Tragriemen  an  Ringen.  Die  Capsa  ist  schmal;  etwa  fünf  Rollen  konnten  darin 
aufrecht  stehen. 

Dies  Bild  hat  noch  eine  gewisse  Belebung;  denn  der  Riemen  ist  auf  den 
Deckel  gesunken  und  man  meint  noch  zu  sehen,  wie  die  Hand  des  capsarius,  des 
Dieners,  der  die  Capsa  trug1),  ihn  eben  hat  fallen  lassen.  Das  übliche  Schema  ist 
aber  vielmehr,  daß  die  Bänder  gleichmäßig  wie  Festons,  von  den  Ringen  herab- 
hängend, das  Rund  des  Kastens  um- 
geben. 

So  etwa  ist  die  Capsa  des  Baibus 
aus  Herculaneum,  Neapel  Nr.  6167, 
wiedergegeben  bei  Bernoulli,  Rom. 
Iconogr.  I  270;  REINACH,  Rep.  I  562,  2. 
Man  vergleiche,  wenn  es  verlohnt,  noch 
den  Neapler  sog.  Cicero  aus  Pompeji, 
die  acht  Togastatuen  des  großen  Vesti- 
bulums  des  Neapler  Museums  (oben 
S.  61),  sowie  bei  Reinach  die  Statuen 

I  451,  1  u.  6;  546,  1  u.  2  u.  6;  weiteres 
ebenda  auf  den  folgenden  Seiten,  bes. 
S.  551.  Die  Höhe  des  Kastens  bleibt 
meistens  die  von  mir  angegebene;  in 
einigen  Fällen  nähert  sie  sich  der  Knie- 
höhe, vgl.  bei  Reinach  1  552,  2  u.  5  u.  7; 

II  615,  9.     Das  ist  immer  noch  kein 
halber  Meter. 

Wo  zwei  Statuen  als  Pendants 
komponiert  scheinen,  steht  der  Kasten 
bei  der  einen  am  X.  Fuß,  bei  der  andern 
am  r.  Fuß.  Dies  trifft  auf  die  römi- 
schen Knabenstatuen  zu  im  Lateran, 
Mus.  prof.  Saal  XII  Nr.  804  u.  812,  aber 
auch  auf  die  winzigen  Bronzen  im  Museo 
Kircheriano  Abt.  VI:  es  sind  zwei  Sitz- 
bilder; ein  älterer  und  ein  jüngerer 
Mann;  eine  Capsa  hat  der  Jüngere 
an  seinem  r.  Fuß,  der  Alte  dagegen  links  vorne.  In  jeder  Capsa  sind  sieben 
Rollen;  beide  sind  mit  Bändern  versehen.    Vgl.  S.  87  Anm.  1. 

Die  Reliefkunst  der  jüngeren  Zeit  erweitert  unsere  Kenntnis  nicht  wesentlich. 
Von  einigem  Interesse  das  hellenistische  kleine  Stück  in  Neapel,  Saal  VI  Nr.  6621: 
zwei  Türme  ragen  im  Hintergrund;  vorn  lagern  als  Weihgeschenk  drei  Masken; 
zwischen  ihnen  steht  eine  eckige  Capsa,  eine  Ecke  nach  vorn.  Hier  ist  also  viel- 
leicht ein  dreieckiger  Kasten  anzunehmen,  wie  er  uns  auch  auf  unsrer  Abb.  169 
entgegentritt;  vgl.  HÜLSEN  zu  C.  I.  L.  VI  29814. 

Von  auffälliger  Höhe  ist  die  Capsa  des  Aper  auf  unsrer  Abb.  143;  dieser  Umstand 
hat  sich  uns  S.  218  f.  erklärt. 

Auf  Füße  wird  der  Kasten  in  diesen  Zeiten,  wie  gesagt,  selten  gestellt;  es 
lassen  sich  dafür  einige  hellenistische  Grabreliefs  zitieren2);  späterhin  scheint  das 
in  Südgallien  beliebt  gewesen  zu  sein.3)    Besonders  ist  die  Capsa  C.  I.  L.  IX  4909, 

1)  Dieser  capsarius  wird  Suet.  Nero  36;  Digest.  40,  2,  13  erwähnt;  vgl.  auch 
Juvenal X  117. 

2)  Siehe  Jahrbuch  des  Inst.  XX  S.  50  f.  Abb.  4  u.  S.  53  Nr.  11. 

3)  Ich  finde  dies  im  Sarkophagwerk  Le  Blant's  auf  Tfl.  34,  sowie  auf  Tfl.  41,  1 
zweimal.  Auch  das  späte  Berliner  Relief  Nr.  768,  aus  Smyrna,  zeigt  übrigens  dasselbe. 


Abb.  163. 


254 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


wiederholt  bei  Schreiber,  Bilderatlas  I  90,  7,  bemerkenswert;  denn  sie  hat  nicht  nur 
drei  kugelförmige  Füßchen,  sondern  der  Deckelrand  ist  oben  wie  in  Zinnen  auf- 
gelöst, und  über  dem  Deckel  steht  ein  bogenförmiger  hölzerner  Griff,  während 
zugleich  die  üblichen  herabhängenden  Tragbänder  auch  nicht  fehlen;  an  die  Capsa 
gelehnt  ist  eine  geschlossene  Rolle  von  entsprechender  Höhe. 

Erst  spät  hat  sich  die  Reliefkunst  herbeigelassen  uns  die  Rollen  im  Kasten  zu 
zeigen.  Dies  fand  ich  auf  einem  der  christl.  Sarkophage  des  Lateran,  Nr.  77:  der 
Deckel  steht  hoch;  ein  Schloß  fehlt.  Man  sieht  vier  Rollen;  das  Bein  der  daneben- 
stehenden Frau  kann  uns  leicht  die  fünfte  verdecken;  s.  Abb.  164. ') 

Auch  ein  Mosaik  gesellt  sich  hinzu.  Auf  einem  der  großen  Felder  des  Trierer 
Mosaiks  des  Monnus  (oben  S.  134)  ist  „Agnis"  mit  Euterpe  zusammen  gruppiert. 
Die  Figuren  halten  kein  Buch;  zwischen  beiden  aber  steht  die  offne  runde  Capsa, 
darin  fünf  Rollen. 

Auf  den  Fresken  der  Katakomben  sieht  man  endlich  bisweilen  Christus 
thronend,  vor  ihm  eine  oder  öfter  noch  zwei  regelmäßig  runde  große  Capsae,  welche 
wohl  das  alte  und  neue  Testament  bedeuten  (die  frommen  Fremdenführer  an  Ort  und 
Stelle  geben  sie  freilich  heute  für  Brotkörbe  aus).  Zum  Verständnis  ist  der  oben 
erwähnte  Orbilius  mit  seinen  zwei  Scrinien  heranzuziehen.  Die  Anschaulichkeit 
nimmt  hier  ab.  Der  Deckel  fehlt  oft  einfach;  es  fehlt  oft  das  Schloß;  es  fehlen  die 
Tragbänder.    Ich  führe  an: 

Domitillakatakomben:  Petrus  und  Paulus,  bei  Wilpert  Tfl.  181  u.  182.  Die  rot 
gefärbten  Capsae  enthalten  je  fünf  Rollen. 

Ebenda,  Capella  degli  Apostoli:  in  der  Volte  Christus  zwischen  den  Jüngern; 
vor  seinem  Schemel  große  runde  Capsa.    Man  sieht  acht  Rollen.    WlLPERT  Tfl.  193. 

Ebenda,  Grabkapelle  der  Petronilla:  eine  große  Capsa,  darin  Rollen,  weiß  ge- 
färbt; der  Rollenschnitt  aber  erscheint  dunkel.2) 

Kopien  nach  Fresken  aus  S.  Callisto,  im  Lateran,  Oberstock,  erstes  Zimmer: 
vor  Christus  Capsa;  darin  drei  Rollen;  ein  Platz  für  die  vierte  ist  leer  gelassen. 

Callistkatakomben,  bei  WlLPERT  Tfl.  243,  1:  Christus  mit  zwei  Heiligen;  rechts 
und  links  eine  offne  Capsa  mit  Rollen. 

Wilpert  Tfl.  166,  1,  Rundbild:  Christus  stehend  mit  Buch,  Motiv  VII;  r.  und  1. 
runde  Capsa;  die  links  enthält  mindestens  acht  Rollen;  unsre  Abb.  182. 

Die  Capsae  in  S.  Vitale  zu  Ravenna  s.  bei  GARRUCCi  Tfl.  263;  jede  von  ihnen 
hat  hier,  wie  ich  am  Original  feststellte,  acht  Rollen. 

Ein  scheinbarer  Milcheimer  voll  Rollen  endlich  bei  Wilpert,  Die  Mal.  der 
Katakomben  S.  232  f.,  Tfl.  178,  3.  WlLPERT  hätte  zum  Verständnis  GARRUCCi 
Tfl.  340,  4  sowie  SCHREIBER,  Atlas  90,  7  (s.  oben)  vergleichen  sollen. 

In  allen  Darstellungen,  die  wir  ken- 
nen gelernt,  steht  die  Buchschachtel  am 
Boden.  Sehr  bemerkenswert  ist  darum 
das  spätgriechische  Relief  aus  Smyrna, 

1)  Dagegen  Rechnungstafeln  sieht  man 
in  der  Capsa,  die  auf  der  Schulter  offen 
getragen  wird,  auf  einem  trajanisch-hadriani- 
schen  Relief,  abgeb.  in  Rom.  Mitteilungen 
XIV  Tfl.  8. 

2)  Dies  ist,  was  ich  mir  am  Ort  notiert 
habe.  Bei  WlLPERT  Tfl.  213  erscheint  die 
Capsa  hell;  sie  hat  rotes  Tragband  und 
schwarzes  Schloß.  Daneben  lehnt  ein  runder 
Deckel.  In  der  Capsa  zählt  man  neun, 
vielleicht  zehn  Rollen. 


18:  Bücherkasten.    19:  Rollenbündel  ohne  Kasten. 


255 


Berliner  Mus.,  „Beschreibung"  Nr.  768,  in  welchem  Bilde  sich  eine  eckige 
Capsa  statt  dessen  in  einiger  Höhe  auf  einem  Wandbort  aufgestellt  findet; 
sehr  ähnlich  damit  das  Relief  in  Oxford  bei  Michaelis  Anc.  Marbles  S.  562 
Nr.  89.  Dies  ist  ganz  singulär.  Rechts  daneben  steht  noch  ein  Rollen- 
bündel, das  in  jenem  Kasten  indes  nur  liegend,  aber  nicht  stehend 
Platz  finden  würde,  da  es  zu  hoch  ist.  Dieser  vorstehende  Wandbort  ist 
der  pluteus,  auf  dem  man  sonst  auch  Büsten,  aber  auch  Schuhzeug 
aufstellte:  s.  Friedländer  zu  Juvenal  2,7;  oben  S.  246  Anm.  6.  Keines- 
falls aber  können  diese  Reliefs  für  die  Veranschaulichung  einer  antiken 
Bibliothek  dienen. 

19.  Rollenbündel  ohne  Kasten.  In  den  Schachteln  standen  die  Rollen 
nun  gewiß  oft  frei  und  lose  nebeneinander,  wie  die  Bilder  zeigen,  und  eine 
Schnürung  war  unnötig.  Doch  war  dies  sorgsame  und  schonende  Verfahren 
keineswegs  allgemein,  und  schon  für  des  Isokrates  und  Aristoteles  Zeit  ist 
es  nachzuweisen,  daß  die  Händler  auf  solche  Schutzmittel  verzichteten  und 
die  Bücher  einfach  bündelweise  zusammenbanden.  Auch  den  Ägyptern 
war  dies  nicht  unbekannt  (oben  S.  15).  Der  griechische  Ausdruck  dafür 
ist  öecuai;  s.  Buchwesen  S.  434.  Und  zwar  vereinigten  sich  in  solchem 
Bündel  nach  dem  ältesten  Zeugnis  die  Schriften  nur  je  eines  Autors,  eben 
des  Isokrates;  doch  war  ebensowohl  denkbar,  daß  man  auch  die  Werke 
verschiedener  Autoren  so  zusammentat;  daran  denkt  wohl  Horaz,  wenn  er 
warnend  zu  seinem  Briefbuch  sagt:  vinctus  mitteris  Her  dam  Epist.  I  20,  13. 
Bei  Gellius  erhalten  wir  dann  Einblick  in  die  Läden  und  Butiken  der  Buch- 
händler: da  lagen  solche  Fascikel  verschmutzt  und  entstellt  herum  (Gell.  9,  4). 
Während  ich  früher,  veranlaßt  durch  Petron's  Worte  chartäe  alligatae  mutant 
figuram,  glaubte  (a.  a.  O.  S.  33),  daß  dieser  Mißbrauch  doch  seltener  vor- 
kam, haben  mich  die  Bildwerke  inzwischen  eines  anderen  belehrt;  und  auch 
weitere  Testimonia  haben  sich  hinzugefunden;  so  aus  älterer  Zeit  die  Ge- 
schichte von  den  Büchern  des  Numa  Pompilius,  die  im  Jahre  181  v.  Chr. 
in  einer  steinernen  arca  entdeckt  wurden.1)  Darüber  erzählt  u.  a.  Livius  40, 
29,  6,  es  seien  in  der  arca  duo  fasces  candelis  involuti  gefunden  worden, 
welche  septenos  habuere  libros;  daß  diese  libri  aus  Charta,  bezeugt  zum  Über- 
fluß Cassius  Hemina  bei  Plin.  n.  h.  13,  84;  sie  waren  sehr  frisch  erhalten 
und  gut  lesbar:  eine  plumpe  Fälschung,  und  der  Prätor  veranlaßte  ihre 
Verbrennung,  da  ihr  Inhalt  inopportun  schien.  Also  Bündel  zu  je  sieben 
Rollen,  mit  candelae,  d.  i.  mit  Stricken  umwunden,  die  zur  Konservierung 
mit  Wachs  überzogen  waren.  Die  Siebenzahl  wird  vielleicht  der  Super- 
stition verdankt;  doch  begegnet  sie  auch  sonst;  s.  unten  S.  266  u.  oben 
S.  251  u.  253. 

1)  Damit  sei  die  Paulus-Apokalypse  und  ihre  Auffindung  verglichen:  ein  mar- 
mornes y^wccökc^uov  wurde  ausgegraben;  darin  lag  sie;  s.  Visio  Pauli  cp.  2  bei 
Tischendorf,  Apocalypses  apocryphae  (1866). 


256 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Endlich  sind  auch  von  den  herculanensischen  Rollen  einige  tatsächlich 
in  Bündeln  gefunden  worden;  ein  solches  zu  fünf  Rollen  sieht  man  bei 
De  Jorio  a.  a.  0.  Tfl.  I  Bx  (dazu  S.  60)  abgebildet. 

Die  ältere  Kunst  weiß  nun  davon  noch  nichts,  und  auch  aus  der 
pompejanischen  Malerei  entsinne  ich  mich  nicht  solcher  fasces  mit  oder 
ohne  zugehörigen  Bücherkasten.  Die  statuarische  Kunst  ist  es,  die  solch 
Bündel  zum  selben  Zweck  wie  die  Capsa  und  auch  etwa  gleichzeitig  mit 
dieser  den  Porträtfiguren  beizugeben  begonnen  hat;  und  wie  jene  Bücher- 
bündel Numa's  pythagoreischen  Inhalts  gewesen  sein  sollen,  so  handelt  es 
sich  dabei  gerade  besonders  um  Porträts  von  Philosophen;  ich  denke  an 
den  Zenon  der  Münchener  Glyptotek  (oben  S.  56;  Reinach,  Repert.  I 
512,  1)  und  an  die  weiteren  bärtigen  griechischen  Standbilder,  die  man 
für  Philosophen  ansieht,  bei  Michaelis,  Marburry  Hall  18,  sowie  bei  Reinach 
I  512,  5-7. 

Dazu  dann  auch  der  Homer  in  Neapel,  Galerie  der  Balbi  Nr.  6126:  er  steht  und 
hält  nicht  etwa  ein  Buch  in  den  Händen,  sondern  beide  Hände  ruhen  zusammen  auf 
einem  langen  Stabe,  der  vor  ihm  auf  dem  Boden  steht  und  bis  zur  Brust  reicht; 
das  stimmt  genau  zu  der  Beschreibung,  die  Christodoros  von  der  Homerstatue 
gibt  v.  344:  denn  auch  nach  ihm  stützt  Homer  beide  Hände  auf  den  Stab.  An 
seinem  i.  Fuß  aber  steht  ein  Rollenbündel,  von  einfachem  Riemen  zusammengehalten. 
An  dessen  Außenseite  zählt  man  zehn  Rollen;  das  Bündel  mag  also  etwa  17  ent- 
halten, keinesfalls  aber  24,  und  eine  Andeutung  der  homerischen  Epen  fehlt. 

Häufiger  wird  das  Attribut  im  Dienst  des  römischen  Porträts  und  der 
Togastatue,  doch  bei  weitem  nicht  so  häufig  wie  der  Kasten.  Zum  Ver- 
ständnis sei  an  Juvenals'  Worte  7,  107  erinnert  von  den  Advokaten,  die 
mit  großem  Aktenbündel  vor  das  Centumviralgericht  ziehen,  um  zu  plädiren; 
nie  fehlen  ihnen  magno  comites  in  fasce  libelli.  Beispiele: 


Der  sog.  Sulla  aus  Herculaneum  in  Neapel, 
Gal.  der  Balbi  Nr.  6252;  das  Rollenbündel  am 
r.  Fuß,  von  einem  Riemen,  der  sich  an  der  Vorder- 
seite kreuzt,  zusammengehalten,  zählt  hier  min- 
destens acht  Rollen  an  der  Außenseite  (Reinach 
I  557,  6).  Togastatue  in  Lambese  (Melanges 
d'arch.  et  d'hist.  Bd.  18  Tfl.  XI  2):  man  zählt  vorn 
sechs  Rollen;  das  Bündel  kann  mindestens  das 
Doppelte  halten.  Weiter  der  Caelius  Saturninus 
des  Lateran,  Mus.  prof.  Nr.  846  (Benndorf-Schöne 
S.  317):  am  r.  Fuß  ein  Bündel  mit  Doppelriemen; 
s.  unsre  Abb.  165;  das  Bündel  besteht  aus  etwa 


der  Mavortius  oben  Abb.  37: 


Wenn  also  im  Appa- 
^^^^t |  rat  des  Schulunterrichtes 

C,  ^ auch  Riemen,  corrigiae, 
ludviec,  aufgezählt  wer- 


Abb.  165. 


den  Corp.  gloss.  lat.  III  377,  68  u.  71,  37, 
so  ist  vielleicht  der  Riemen,   der  das 


19:  Rollenbündel  ohne  Kasten. 


257 


Abb.  166. 


Buchbündel  umschloß,  gemeint.  Aber  auch  der  Strick, 
wie  ihn  Livius  erwähnt,  findet  einmal  Anwendung. 

Dafür  fand  ich  ein  Beispiel  im  Thermenmuseum,  wo 
an  der  Ecke  des  offnen  Hofes,  gleich  in  der  Nähe  des 
Eingangs,  der  untere  Teil  einer  Togastatue  ohne  Nummer 
steht;  an  ihrem  r.  Bein  ein  großes  Rollenbündel,  darum 
ein  gewundenes  Seil,  das  auch  an  der  Hinterseite  aus- 
gearbeitet ist.  Man  zählt  neun  Rollen.  Unsre  Ab- 
bildung 166  bezweckt  nur  den  Strick  zu  zeigen. 

Weitere  Togastatuen  bei  Reinach  II  626,  5  und  I  546,  8;  Matz-Duhn  Nr.  1264 
—  1282;   1307.     Zwischen  den  Füßen  steht  das  Bündel  ebenda  1289. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Reliefs  und  Sarkophagen,  so  gab  uns  der  Grabstein 
des  Aper  ein  Bündel  zu  fünf  Rollen,  oben  S.  219.  Auf  dem  Relief  Nr.  13  im  Meleager- 
saal  des  Vatikan  liegt  neben  dem  Dichter,  und  zwar  flach  am  Boden,  ein  solches 
von  drei  Rollen  (unsre  Abb.  120).  Der  große  Kosmetengrabstein  im  athenischen 
Museum  Nr.  1465  hat  am  oberen  Rande  über  der  poetischen  Inschrift  ein  kleines 
Relief;  der  Kosmet  hält  eine  geschl.  Rolle  in  der  L.,  Motiv  III;  ein  Rollenbündel  am 
1.  Fuß.    Auf  dem  großen  Rundsarkophag  zu  Pisa,  Nr.  XI,  stehen  unter  dem  Giebel 

einer  Aedicula  zwei  Männer  vereinigt,  je  ein  Rollen- 
bündel steht  rechts  und  links  von  ihnen;  der  eine 
hält  eine  geschl.  Rolle,  des  anderen  Hände  sind 
abgebrochen  (DOtschke  I  123).  Dazu  die  weiteren 
Sarkophage  in  Pisa  bei  DOTSCHKE  I  135  u.  27.  Selbst 
auf  Hochzeitssarkophagen  fehlen  die  Bündel  nicht: 
s.  Matz-Duhn  3099-3103. 

Eine  Deckelfigur  mit  Rollenbündel  sieht  man 
auf  dem  großen  Sarkophag  im  athenischen  Mus. 
Nr.  1497;  dies  ist  ein  fast  monströser  Fall;  so 
riesenhaft  ist  hier  der  Umfang  des  Bündels.  Man 
zählt  allein  an  der  Außenseite  18  Rollen;  das  ganze 
kann  also  auf  deren  30  taxiert  werden.  Ein  end- 
loses riemenartiges  Band  zieht  sich  herum.  Die 
Rollenmasse  zeigt  oben  eine  glatte  Fläche,  an  der 
Seite  dagegen  eine  ganz  realistische  Ausarbeitung, 
worüber  oben  S.  227.    Auch  dadurch  ist  dies  Monument  ein  Unikum. 

Auffällig  durch  die  Ausarbeitung  der  Rollen  ist  auch  der  sonst  ungeschmückte 
Sarkophag  Nr.  104  im  Konservatorenpalast,  Nebenraum  am  Oktogon:  eine  Eckfigur 
hat  hier  ein  in  starker  Rundung  'ausgeführtes  Bündel  links  neben  sich.  Man  zählt 
an  der  Außenseite  im  Halbrund  fünf  oder  sechs  Rollen,  und  sie  sind  mit  einem 
Randstreifen  geschmückt;  s.  Abbildung  167. 

Sodann  christliche  Sarkophage:  Lateran  Nr.  138:  unter  den  hier  dargestellten 
sieben  Figuren  hat  eine  jugendliche,  Figur  5,  neben  ihrem  r.  Fuß  ein  Rollenbündel 
von  etwa  5  Rollen.  Bemerkenswerter  ebenda  das 
Sarkophagfragment  oberhalb  der  Nr.  77:  ein  stehen- 
der Mann,  der  die  Hände  vor  dem  Unterkörper  faltet 
(darüber  oben  S.  195);  seine  Füße  fehlen;  das  Rol- 
lenbündel an  seiner  r.  Seite  zeigt  wiederum  Rand- 
streifen, worüber  oben  S.  240. 

Sodann  aber  sinkt  das  Rollenbündel  ähnlich 
wie  die  Maske  zum  halb  bedeutungslosen  Deko- 
rationsstück herab.  Auf  dem  Sarkophag  im  Neap- 
ler  Museum  Saal  VII  Nr.  6701  sieht  man  unter 
einem  Schilde  zwei  sitzende  Frauen,  die  den  Rücken 
an  einen  Gegenstand  lehnen,  der  sich  zwischen 
ihnen  befindet.    Dies  schien  mir  ein  großes  Rollen- 

Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  17 


Abb.  167. 


Abb.  168. 


258 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


bündel  zu  sein.  Deutlicher  gewahrt  man  es,  zu  nur  drei  Rollen,  zwischen  zwei 
Masken  angeordnet  auf  einem  Sarkophag  in  der  Basilika  der  Domitillakatakomben; 
s.  Abb.  168.  Die  Rolle  des  Lebens  ist  ausgespielt,  die  Masken  sind  abgelegt,  die 
Bücher  können  ruhen. 

Dieselben  Fasces  endlich  dann  noch  als  Amtsabzeichen  auf  den  Bildern  der 
Notitia  dignitatum:  ein  größerer,  an  dem  15  Rollen  angedeutet  sind,  ed.  Seeck  S.  42; 
eine  Anzahl  kleinerer  ebenda  auf  S.  161;  und  zwar  sind  zwei  derselben  hier  deut- 
lich aus  fünf  Rollen,  einer  aus  zehn,  einer  endlich  nur  aus  vier  zusammengesetzt. 

Der  Beispiele  genug1);  doch  aber  fehlt  noch  ein  wichtiges.  Jetzt 
endlich  kann  ich  mich  zum  Horaz  wenden.  Horaz  sendet  bekanntlich,  wie 
Epist.  13  ausführt,  seine  drei  Bücher  Oden  durch  den  Vinnius  Asella  an 
den  Kaiser  Augustus.  Diese  Bücher  heißen  v.  2  signata  volumina,  „ver- 
siegelte Rollen".  In  Kiessling's  Kommentar  wird  angenommen,  die  drei 
Bücher  hätten  in  einem  Scrinium  gesteckt;  das  Scrinium  sei  versiegelt 
worden2);  damit  habe  sich  Vinnius  geschleppt.  Doch  fehlt  davon  jede  An- 
deutung; statt  dessen  steht  v.  13,  daß  es  sich  um  einen  fasciculus  handelt, 
also  ein  kleines  Bündel,  das  genau  ebenso  aus  drei  Rollen  besteht,  wie  der 
Dichter  auf  dem  Relief  im  Meleagerzimmer  (Abb.  120)  drei  Bücher  im  Fascikel 
zu  seinen  Füßen  liegen  hat.  Danach  ist  klar,  daß  Horaz  auf  den  festen  Faden 
oder  Strick,  mit  dem  dies  Bündel  umschlossen  war,  sein  Siegel  gesetzt 
hatte  ähnlich  den  Siegelungen  auf  Büchern,  die  ich  S.  243  besprach.3)  Von 
einer  Paenula  aber  wußte  Horaz  damals  augenscheinlich  noch  ebenso  wenig 
wie  Catull;  diese  blieb  der  nächsten  Generation  vorbehalten. 

Dies  führt  uns  auf  das  Tragen  von  Rollenbündeln,  das  gewiß  nur 
dienenden  Personen  zukam.  Der  Riemen,  der  das  Bündel  zusammenhielt, 
erleichterte  dies  Tragen.  Im  selben  Horazbrief  v.  13  wird  der  Überbringer 
vermahnt,  er  solle  nicht  mit  dem  Fascikel  unter  der  Achsel,  sub  ala,  vor 
den  Empfänger  treten  wie  ein  Bauer,  der  sein  Lamm  unterm  Arme  trägt.4) 
Diese  Vorstellung  erinnert  an  Ägyptisches  (oben  S.  12).  Man  trug  somit 
das  Bündel  gelegentlich  auch  ohne  Kasten.  Bei  Matz-Duhn  3894  wird  dem- 
entsprechend ein  Mann  beschrieben,  der  ein  solches  unter  dem  Arm  zu 
tragen  scheint;  ebenda  3125  ein  anderer,  der  es  in  der  Hand  tragen  soll. 
Sind  diese  beiden  Belege  nicht  ganz  zuverlässig,  so  ist  die  im  Piräus  ge- 
fundene Marmorstatue  eines  Knaben  um  so  beweisender,  die  aus  der 
römischen  Kaiserzeit  stammt  (unter  Lebensgröße;  Kopf  und  Teile  der  Beine 

1)  Nach  Winckelmann,  Werke  II  S.  98  sind  in  Herculaneum  einige  Rollen  auch 
„mit  gröberem  Papier"  zusammengebunden  gefunden  worden.  Die  Abbildungen 
wissen  hiervon  nichts. 

2)  Daß  eine  cista  versiegelt  wird,  ist  aus  Plautus'  Amphitruo  bekannt  (v.  421 
und  sonst);  ebenso  ein  scrinium  bei  Martial  I  66,  6. 

3)  In  der  Notitia  dignitatum  oriental.  cap.  16  ed.  BÖCKING  ist  ein  braunes  Rollen- 
bündel zu  15  Rollen  zu  sehen,  das  von  einem  roten  Band  oder  Riemen  mit  Knotung 
zusammengehalten  wird;  auf  dem  Knoten  ist  vielleicht  die  Andeutung  eines  Siegels 
zu  erkennen.  Ein  versiegelter  cüvöecuoc  tujv  £tticto\wv  als  einheitliche  Postsendung 
bei  Herodian  IV  12,  6;  vgl.  den  versiegelten  fasciculus  bei  Cicero  ad  Att.  XI  9,  2. 

4)  Vgl.  hierzu  das  beA-cpÖKiov  üirö  udXric  bei  Plutarch  Symposiac.  V  1  fin. 


19:  Rollenbündel  ohne  Kasten.    20:  Rollenbündel  mit  Kasten.  259 


fehlen;  die  Arbeit  gering).  Die  Darstellung  ist  einzig  in  ihrer  Art:  der  Knabe 
steht  nackt  da;  sein  Oberkörper  aber  ist  mit  vielen  Siegerbinden  bedeckt 
(man  zählt  mindestens  15),  die  von  den  Schultern  an  ihm  herabhängen. 
Außerdem  ist  sein  1.  Arm  mit  einem  riesigen  Salbgefäß  beladen,  auf  der 
r.  Hand  endlich  trägt  er  auch  noch  ein  Bücherbündel,  das  mit  Band  zu- 
sammengehalten ist;  drei  oder  vier  Rollen  sind  kenntlich.  Offenbar  ist 
dies  ein  Diener,  der  als  Halter  und  lebendes  Gestell  dient:  so  stand  er 
geduldig  -  in  den  Gymnasien,  bis  die  jungen  Herrn  ihm  die  Gegenstände, 
die  sie  brauchten,  abnahmen.  Eine  Bücherkiste  an  seinem  r.  Bein  ist  nicht 
zu  erkennen.1) 

20.  Rollenbündel  mit  Kasten.  Unser  Gegenstand  ist  aber  noch  immer 
nicht  erschöpft;  denn  in  den  meisten  vorhin  besprochenen  Fällen  stand  das 
Bündel  am  Boden.  Ab  und  zu  wird  es  aber  auch  höher  aufgestellt;  so 
steht  es  auf  einem  Wandbort  auf  dem  Relief  von  Smyrna  (oben  S.  255), 
und  auf  dem  Deckelfries  des  vielerwähnten  Berliner  Musensarkophags  (Be- 
schreibung Nr.  844)  sieht  man  es  einmal  auf  dem  Vorsprung  eines  Mauer- 
werks flach  liegen,  das  andere  Mal  gar  an  der  Wand  hängen.  Kästen 
und  Rollen  auf  Pfeilern  (als  Gegenstand  der  Weihung?)  lernten  wir  oben 
S.  225  kennen.  Vor  allem  aber  wird  das  Bündel  häufig  auf  die  Capsa 
selbst  gestellt,  und  dabei  muß  ich  noch  mit  einigen  Worten  verweilen. 

Die  recht  zahlreichen  Fälle  dieser  Art  können  nur  den  Sinn  haben, 
daß  das  Rollenbündel  der  Capsa,  auf  der  es  liegt,  in  jedem  Fall  entnommen 
ist,  nicht  anders,  wie  die  auf  der  Capsa  liegenden  Einzelrollen  ihr  selbst 
entnommen  sind.'2)  Daraus  folgt,  daß  in  den  Capsae  auch  geschnürte 
Bündel  transportiert  wurden,  eine  Tatsache,  die  uns  die  herculanensischen 
Rollen  selbst  bestätigen;  denn  18  der  lateinischen  Rollen,  die  in  Hercula- 
neum  gefunden  sind,  bildeten  ein  solches  Bündel  und  waren  in  einem 
Kasten  eingeschlossen.3) 

Dem  Anschein  nach  ist  dies  Motiv,  das  Kasten  und  Bündel  kombiniert, 
bei  den  Bildhauern  etwas  später  in  Aufnahme  gekommen.  Ein  Muster- 
beispiel gibt  das  schon  oben  S.  252  besprochene  Marmorbildnis  einer 
Dichterin  im  Mus.  Chiaramonti,  Abb.  162. 

Daran  reiht  sich  das  wertvolle  Relief  ohne  Nummer,  die  Nebenseite 
eines  Sarkophags,  im  Neapler  Mus.  Saal  VII:  ein  bärtiger  Mann  (Dichter) 
sitzt  im  Profil  nach  links;  sein  Oberkörper  entblößt;  ein  Vorhang  im  Hinter- 
grunde. Gleichwohl  sitzt  er  auf  natürlichem  Felsboden,  zu  seinen  Füßen 
ein  Schaf.  Die  R.  des  Mannes  ist  erhoben,  in  seiner  L.  ein  Stab.  An 
seiner  1.  Seite  aber  steht  eine  runde  Capsa,  auf  welcher  quer  ein  mit  Band 

1)  J.  Ziehen  in  Athen.  Mitteil.  XIX  (1894)  S.  137;  Berl.  Phil.  WS.  1906  S.  669. 

2)  Eine  einzelne  Rolle  liegt  oder  steht  auf  der  Capsa,  oben  Abb.  84  u.  160; 
so  auch  auf  dem  Säulensarkophag  zu  Perugia,  Garrucci  Tfl.  321,  4. 

3)  Comparetti,  La  villa  d.  Pis.  (1883)  S.  293;  vgl.  Paderni  bei  Clark  S.  24. 

17* 


260  'V.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 

zusammengehaltenes  Rollenbündel  liegt.  Dies  enthält  an  der  Vorderseite 
drei,  im  ganzen  vielleicht  fünf  oder  sechs  Rollen.  Robert  (Hermes  35 
S.  650)  glaubt  hier  Hesiod  zu  erkennen. 

Eckig  ist  die  Capsa  dagegen  auf  einer  späten  attischen  Grabstele: 
stehender  Mann,  ohne  Kopf;  rechts  von  ihm  bärtige  ithyphallische  Herme; 
links  von  ihm  die  Capsa  mit  Schloß;  auf  dem  Deckel  ein  stehendes  Bündel; 
etwa  vier  Rollen  erkennbar.1) 

Wiederum  statuarisch  erscheint  das  Motiv  verwendet  für  einen  Asklepios, 
in  Lambese,  Reinach  11  35,  7.  Besonders  aber  wurde  es  wieder  für  Togastatuen 
beliebt;  s.  z.  B.  Melanges  d'arch.  et  d'hist.  Bd.  18  Tfl.  XI  1;  Reinach  II  623,4  (Dougga) 
und  625,  2  (Alexandria)  und  sonst.  In  den  letzteren  Fällen  erscheint  die  Capsa,  der 
Mannigfaltigkeit  zu  Liebe,  nicht  rund,  sondern  eckig.  Zur  Veranschaulichung  diene 
noch  unsre  Abb.  169;  sie  ist  einer  Togastatue  des  Thermenmuseums  entnommen, 
die,  ohne  Nummer,  sich  gleich  vorne  am  Eingang  aufgestellt  findet,  abgebildet  und 
besprochen  von  Mommsen  in  der  Zeitschrift  der  Savignystiftung  f.  Rechtsgesch., 
röm.  Abt.  XII  S.  146  f.  Der  Mann  hält  eine  kurze  Rolle  in  der  L.,  an  seinem  r.  Fuß 
steht  die  dreieckige  Capsa,  vorn  ein  herabhängender  Riemen;  auf  dem  Deckel  liegend 
ein  Bündel  von  vier,  höchstens  fünf  Rollen.  ')  Auf  Rollen  und  Capsa  ist  die  In- 
schrift verteilt:  cons  tit  uti  ones  co  rporis  muni  menta.  Vgl.  Matz-Duhn 
Nr.  1263;  C.  I.  L.  VI  2  9814. 

Von  Reliefs  nenne  ich  weiter  das  große  lateranische,  oben  Abb.  87;  das  Bündel 
läßt  an  seiner  Vorderseite  fünf  Rollen  erkennen;  sie  werden  durch  die  Schnürung 

hier  stark  zusammengepreßt,  und  es  paßt 
darauf  Petron's  Ausdruck:  chartae  alligatae 
mutant  flguram.  Die  Capsa  daneben  ist 
viel  zu  klein:  wir  sollen  wohl  annehmen, 
daß  sie  weiter  hinten  steht;  doch  findet 
sich  eine  solche  Disproportion  öfter,  z.  B. 
bei  Reinach  II  625,  2. 

Ähnlich  erscheint  auf  dem  Musen- 
sarkophag in  Verona,  DÜTSCHKE  IV  518, 
der  Dichter  stehend;  er  hält  eine  Rolle 
mit  beiden  Händen;  neben  ihm  ein  vier- 
eckiger Kasten,   darauf  ein  Rollenbündel. 

Einen  Schreibenden,  auf  der  Capsa  vor 
ihm  Leier  und  Bündel,  zeigt  unser  Biid  139. 

Besonders  groß  ist  das  Rollenbündel 
auf  der  Capsa  in  einer  literarischen  Szene 

1)  Mir  bekannt  geworden  durch  freund- 
liche Mitteilung  Conze's:  Wiener  Apparat 
der  Attischen  Grabreliefs,  Athen  Privat- 
besitz 33  (Haus  Serpieris). 

2)  Ein  zweites  fragmentiertes  Exemplar 
solcher  Capsa  mit  gleicher  Aufschrift  wird 
von  Mommsen,  nach  Hülsen,  ebenda  ab- 
gebildet und  besprochen,  S.  148;  C.  I.  L. 
VI  29815.  Das  Scrinium  in  Marmor  ist  da 
1  m  hoch,  also  vergrößert.  Auf  seinem 
Deckel  sind,  nach  Hülsen,  einige  Rollen 
mit  schmalen  Schnüren  festgebunden.  Dies 
Festbinden  ist  sonst  unbekannt,  dazu  doch 
wohl    auch   unsachgemäß.     Es  muß  ein 

Abb.  169.  Rollenbündel  gemeint  sein. 


20:  Rollenbündel  mit  Kasten.    21:  Der  Bücherschrank.  261 


Abb.  170. 


des  Sarkophags  von  Cagliari  (oben  S.  154  u.  177);  dasselbe  zeigt  15—16  Rollen,  die 
horizontal  in  vier  Schichten  übereinander  liegen:  man  sieht  von  allen  nur  den 
Kopf;  die  Windungen  sind  angedeutet. 

Die  Kombination  von  Rollenbündel  und  Capsa  scheint  also,  wie  in  der 
älteren  Kunst,  so  auch  in  der  christlichen,  ebenso  aber  auch  in  der  cam- 
panischen Wandmalerei  zu  fehlen  oder  doch  sehr  zurückzutreten. 

Daß  eine  und  dieselbe  Person  neben  sich  am  Boden  gleichzeitig  ein 
Rollenbündel  und  getrennt  davon  eine  sichtlich  mit  Rollen  gefüllte  Capsa 
hat,  habe  ich  nur  einmal  gefunden,  auf  dem  Votivrelief  bei  Garrucci 
Tfl.  411,  4. 

Gehen  wir  weiter. 

21.  Der  Bücherschrank.  Die  Schnürung  diente  wie  die  Capsa  zum 
Transport  der  Bücher.  Als  wirkliches  Repositorium  dagegen,  d.  h.  zur  Auf- 
bewahrung an  einem  bestimmten  Ort  diente  der  Schrank,  das  armarium. 

In  den  Bibliotheken  waren  die  Rollen  auf  Armarien  und  in  Loculi  ver- 
teilt (S.  245  ff.).  Weil  die  Schränke,  einigermaßen  groß  und  schwer,  sich 
nicht  hinter  den  Personen  herträgen  ließen,  deshalb  sind  sie  so  selten  ab- 
gebildet. Denn  die  Kunst,  die  nur  den  Menschen  geben  wollte,  fügte  zum 
Menschen  nur  solche  Gegenstände  hinzu,  die  sich  ihm  künstlerisch  unter- 
ordnen ließen.  Zwischen  dem  Schrank  und  seinem  Benutzer  wäre  dagegen 
nur  eine  Nebenordnung  möglich  gewesen;  und  auf  den  Reliefs,  wo  beispiels- 
halber der  Dichter  unter  den  Musen  erscheint,  hatte  zwischen  ihnen  wohl 
die  Capsa  Platz,  nicht  das  Armarium. 

Bekannt  ist  das  Armarium  aus  den  Zeiten  des  Codexbuchwesens.  Im 
Oratorium  der  Galla  Placidia  zu  Ravenna  sieht  man  solchen  Schrank  auf 
dem  großen  Mosaik  der  Wandkappe;  s.  Abb.  170:  er  zeigt  vorn  zwei  un- 


262 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


förmige  Füße,  übrigens  die  Form  einer  Aedicula,  ist  niedrig  und  reicht 
dem  Menschen  nur  bis  zur  Schulterhöhe,  ist  oben  mit  einem  Pterygion  ge- 
giebelt  und  hat  zwei  Flügeltüren.  Da  diese  offen  stehen,  sieht  man,  daß 
er  innen  durch  zwei  Querbretter  in  drei  Fächer  geteilt  ist.  Das  unterste 
Fach  bleibt  aber  unbenutzt,  und  nur  auf  den  beiden  Querbrettern  liegen 
(oder  lagen)  vier  Codices  verteilt. 

Reicher  entwickelt  ist  dann  schon  der  Schrank  auf  der  Miniatur  bei 
Clark  a.  a.  0.  Tfl.  15  (Garrucci  Tfl.  126,  Schreiber,  Atlas  1  Tfl.  92):  hier 
sind  durch  vier  Bretter  fünf  Gefache  hergestellt  und  in  allen  fünfen  liegen 
die  Codices  flach  da,  keiner  aber  auf  dem  andern. 


auf  seiner  oberen  Fläche  hat  ein  zweiteilig  aufgeklapptes  Besteck  mit 
medizinischen  Instrumenten  Platz  finden  können.  Auf  dem  unteren  der 
Bretter  aber  steht  eine  kleine  Schale"),  auf  dem  oberen  liegen  acht  Rollen 
pyramidenförmig  aufgehäuft.3)  Der  Benutzer,  ohne  Frage  ein  Arzt  in 
griechischer  Tracht,  sitzt  auf  einem  Stuhl  mit  hoher  Lehne  davor  und  liest 
in  einer  Rolle.  Mit  solchen  Schränken  müssen  wir  uns  also  die  großen 
Bibliotheken  des  klassischen  Rollenbuchwesens  bevölkert  denken!  Wir  lernen 
daraus  aber  noch,  daß  man  die  Rollen  im  Armarium  zwar  auf  einander- 
legte;  aber  sie  lagen,  wie  unsre  Zigarren  in  der  Zigarrenkiste  oder  wie  die 

1)  Auch  bei  CLARK  Fig.  13;  ungenau  bei  BAUMEISTER,  Denkm.  Nr.  332;  SCHREIBER, 
Bilderatlas  Tfl.  91,  8;  Daremberg-Saglio  Nr.  524;  besser  ebenda  Nr.  4886. 

2)  Vielleicht  für  Kleister;  denn  die  Rolle  brauchte  stets  Reparaturen  (ötaxoMch/) ; 
wahrscheinlicher  jedoch  ein  Gefäß  für  ärztliche  Zwecke:  Petersen  S.  176. 

3)  Bei  Matz-Duhn  3127»  wird  statt  von  Rollen  von  „runden  Gegenständen 
(Broten  oder  Früchten)"  geredet.  So  pflegt  man  auch  die  Büchercapsae  der  Kata- 
komben für  Körbe  voll  Brot  zu  halten,  oben  S.  254. 


Daß  dieser  Schrank  jedoch  aus  dem 
Rollenbuchwesen  stammt,  darüber  belehrt 
uns  erfreulicherweise  das  späte  Sarko- 
phagrelief eines  griechischen  Arztes  (Peter- 
sen, Rom.  Mitteil.  XV  S.  171),  das  ich 
Abb.  171  wiedergebe.1) 


Abb.  171. 


In  der  Tat  erinnert  dieser  schmäch- 
tige Schrank  sehr  an  den  des  Oratoriums 
zu  Ravenna.  Auch  er  ist  niedrig,  und 
zwar  noch  etwas  niedriger.  Auch  er  zeigt 
zwei  schmucklose  Füße.  Auch  er  ist 
durch  zwei  Querbretter  in  drei  gleiche 
Räume  geteilt,  und  auch  bei  ihm  ist  der 
unterste  Raum  unbenutzt.  Doch  ist  die- 
ser Schrank  schmäler,  wohl  halb  so 
schmal,  das  Pterygion  fehlt,  statt  dessen  ein 
wohlgeformtes  Gesims  mit  Inschrift,  und 


21:  Der  Bücherschrank. 


263 


Flaschen  im  Weinschrank,  nicht  überkreuz,  sondern  in  der  gleichen  Richtung, 
Pyramiden  bildend,  so  daß  der  Druck  der  oberen  sich  immer  auf  zwei 
untere  verteilte;  vgl.  auch  das  Neumagener  Relief,  Abb.  159.  Endlich  ist 
klar,  daß  die  Rolle,  die  der  Arzt  zu  lesen  im  Begriff  steht,  selbst  mit  zu 
dieser  Pyramide  gehörte,  daß  demnach  zu  unterst  vier,  darüber  drei,  darüber 
zwei  Rollen  lagen:  also   ein  neunbücheriges  Werk  (etwa  des  Galen  irepi 

TUJV   iTCTTOKpdTOUC   KGÜ   TTXdtTUUVOC   bOTUOlTUIV  ?). 

Dies  Armarium  ist  aber  viel  älter,  und  schon  Pompeji  kennt  es.  Nur 
wird  es  da  nicht  für  Bücher  benutzt;  das  stand  eben  im  Belieben  des  Be- 
sitzers. So  ist  ja  bekannt,  daß  auch  Imagines  im  Armarium  standen,  daß 
es  als  Geldschrank  diente  usf.  Es  handelt  sich  um  das  Bild  im  Vettier- 
haus:  Amoren  als  Ölfabrikanten,  s.  Monumenti  d.  Acad.  d.  Lincei  VIII  S.  346 
Fig.  49,  das  schon  Petersen  zum  Vergleich  heranzog.  Die  fleißigen  Amo- 
retten haben  da  erstlich  einen  Kasten,  der  an  die  ältere  Form  des  Scrinium 
erinnert;  darauf  steht  eine  Wage  und  liegt  eine  ziemlich  große  geschlossene 
Papyrusrolle.  Dahinter  aber  steht  ein  hoher  und  schmaler  offner  Schrank, 
durch  Bretter  in  Börter  geteilt,  oben  nach  Art  der  Aediculae  mit  einem 
Giebel  gekrönt,  genau  so  wie  im  Oratorium  der  Galla  Placidia.  Daher 
redet  Petron.  c.  29  von  der  aedicula  eines  Armarium.  Dies  müssen,  wie 
gesagt,  die  Armarien  der  antiken  Bibliotheken,  auch  schon  Alexandria's,  ge- 
wesen sein.  Sie  waren  also  griechisch,  diese  Schränke.  Das  bezeugt 
überdies  Plautus  Trucul.  55. 

Dasselbe  Armarium  mit  Rollen  kehrt  aber  noch  auf  mehreren  jüdischen 
Goldgläsern  wieder1),  die  man  bei  Garrucci  Tfl.  490  abgebildet  findet.  Die 
Schränke  sind  da  dem  obigen  gleichartig;  sie  tragen  einen  Giebel  von 
meist  rundlicher  Form,  doch  auch  dreieckig;  sind  bald  schmal  (ib.  Fig.  3), 
bald  sehr  breit  (Fig.  6  u.  7),  und  man  gewahrt  im  Innern  bald  zwei  Börter 
zu  je  drei  Rollen,  bald  drei  zu  je  zwei  (Fig.  1  u.  2)  oder  auch  vier  Börter 
zu  zwei  (Fig.  3).  In  einem  andern  Schrank  befinden  sich  zwei  Reihen  vier- 
eckiger geschlossener  Kassetten  übereinander,  in  denen  Rollen  verborgen 
zu  denken  sind  (Fig.  7),  oder  endlich  der  Schrank  ist  durch  horizontal  und 
vertikal  stehende  Zwischenwände  in  neun  Fächer  geteilt,  deren  jedes  von 
einer  dicken  Rolle  ausgefüllt  wird  (Fig.  6;  unsre  Abb.  172).  Dieser  Schrank 
ist  sehr  breit  und  etwa  so  breit  wie  der  im  Schusterladen,  Pitture  d'  E.  I 
p.  187.  Eigentümlicherweise  zeigt  er  vorn  eine  Treppe;  die  ist  auch  sonst 
bezeugt:2)  Die  Bücher  aber  liegen  hier  sonach  niemals  aufeinander,  ein 
Umstand,  in  dem  sich  wieder  ein  Einfluß  des  jüdischen  auf  das  kirchliche  Buch- 
wesen verrät;  denn  auch  die  Codices  der  Kirche  liegen  im  Schrank  nicht 
aufeinander.  Daß  endlich  die  jüdischen  Lederrollen  oft  erheblich  dicker  als 
die  Papyrusrollen  waren,  kann  uns  insbesondere  die  letzte  Abbildung  verraten. 

1)  Armaria  et  arcae  bei  den  Juden  erwähnt  Hieronymus:  s.  Blau  S.  96. 

2)  Schol.  Juvenal.  7,  118. 


264 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


Auch  die  Maskenschränke  in  den  Terenzhandschriften  haben  größere 
Breite;  man  hat  bei  ihrer  Beurteilung  mit  Unrecht  versäumt,  die  Bücher- 
schränke des  Altertums  zum  Vergleich  heranzuziehen.1) 

Was  endlich  den  Schrank  voll  Rollen  betrifft,  der  im  Bibliothekszimmer 
Herculaneums  gefunden  wurde,  so  sagt  Winckelmann,  Werke  II  S.  95,  von 
ihm,  daß  er  „für  Schriften  auf  beiden  Seiten"  war;  also  er  stand  nach 
zwei  Seiten  offen.2) 

22.  Anordnung  vielbücheriger  Werke.  Blicken  wir  auf  alles  Gesagte 
endlich  zurück  und  geben  jetzt  auf  die  Anzahl  der  im  Gefäß  oder  im 
Bündel  zusammengefaßten  Rollen  acht,  so  fanden  wir  in  den  Capsae  nicht 

leicht  unter  fünf  Rollen;  bisweilen 
ein  silbernes  Kästchen  war 
Fünfzahl  eingerichtet 
4);  einmal  sechs;  zwei- 
äufiger  acht;  einmal 
n;  in  den  Bündeln 
drei;  häufig  fünf;  ein- 
mal auch  hier  die 
Siebenzahl  (Nu- 
ma);  doch  steigen 
die  Zahlen  zu  neun, 
zu  über  10  (Ho- 
mer), zu  fünfzehn 
(Notitia  dignita- 
tum),  ja,  zu  acht- 
zehn und  über  achtzehn  an  (athenischer  Sarkophag).  Für  viele  dieser  Fälle, 
besonders  wo  die  Zahlen  kleiner  sind,  können  wir  ansetzen,  daß  es  geschlossene 
mehrbücherige  Werke  waren,  die  in  dieser  Weise  räumlich  zusammen- 
gehalten wurden.  Ovid,  trist.  I  1,111,  zeigt  uns  deutlich,  wie  die  drei 
Bücher  seiner  Ars  als  drei  Rollen  beisammen  daliegen.  Die  drei  Rollen 
der  Ars  amatoria  oder  De  oratore,  die  fünf  der  Tristien,  die  acht  des 
Bellum  Gallicum,  die  zwölf  der  Aeneis,  die  fünfzehn  der  Metamorphosen 
bildeten  im  Altertum  je  ein  corpus,  d.  h.  die  Sammlung  und  Zusammen- 
gruppierung einer  Anzahl  selbständiger,  aber  zusammengehöriger  Glieder, 
der  Rollen.3)  Diese  ihre  Einheit  wurde  durch  Riemen  und  Kasten  realisiert. 
Für  corpus  trat'  im  Griechischen  gern   der  Ausdruck  cuviatic  oder 


Abb.  172. 


1)  Siehe  O.  Engelhardt,  Die  Illustrationen  der  Terenzhandschriften  S.  35  ff. 
Auch  kommen  dafür  die  Imagines  der  Römer  in  Betracht,  die  in  Armarien  standen. 

2)  Was  De  JORIO  S.  12  darüber  schreibt,  ist  aus  Winckelmann  genommen. 

3)  Über  den  Begriff  coipus  s.  Buchwesen  S.  36  ff. ;  redigere  in  corpus  sagt 
auch  Seneca  epist.  35;  corpora  Graiorum  maerebat  mandier  igni  Matius  bei  Varro 
1.  lat.  VII  95. 


22:  Anordnung  vielbücheriger  Werke;  corpus,  covraEic. 


265 


cuvrayiua  ein.1)  Auch  er  bedeutet  die  Rollengruppe;  inhaltlich  deckt  sich 
mit  ihm  TTpcrfucrreia.  So  wurden  die  zahlreichen  überlieferten  Aristoteles- 
rollen von  Andronikos  durch  Sonderung  und  Vereinigung  in  verschiedene 
Pragmatien,  d.  h.  mehrbücherige  Werke  geordnet.2)  Auch  diese  wurden  dann 
also,  wie  notwendig,  auf  dieselbe  Weise  auf  Capsae  oder  in  den  Armarien 
auf  Börter  verteilt.  Diese  Börter  aber  heißen  6n>ai.  Wenn  also  Clemens 
Alexandrinus  Strom.  VIII  22  schreibt:  irXripeic  b'  a\  GfjKcn  twv  ßißXiuuv 
Kai  cd  cuvx&Heic  Kai  ai  TTpaYuaieTai  tüjv  biaqpuuvoüvTuuv  ev  toic  bÖYuaa, 
so  ist  dies  nichts  als  Kumulierung,  und  man  sieht  auf  das  schönste,  wie 
da  für  ihn  Bücherbort  und  Werkeinheit,  6r)Kn  und  irpaYuaTeia,  zusammen- 
fallen. Eben  dies  illustriert  der  abgebildete  Schrank  (Abb.  171):  er  hat 
eben  eine  TTpaYuareia  auf  einer  6hKn. 

Im  Griechischen  steht  weiter  gelegentlich  cxeüoc  für  capsa.  Interessant  daher 
auch  noch,  was  wir  in  den  Prozeßakten  der  Märtyrer  von  Scili  lesen11):  -rroiai 
irporf^aTeTcn  ev  rote  üuetepoic  airÖKeivxai  CKeüeav;  Die  lateinische  Passio  übersetzt: 
in  capsa  vestra. 4)  In  der  Antwort  auf  diese  Frage  aber  werden  dann  die  Bücher 
(ß(ßXoi)  der  Evangelien  genannt.    Dies  Zeugnis  gehört  dem  2.  Jahrh.  an. 

Für  vielbücherige  Werke  stellte  sich  nun  noch  eine  besondere  Schwierig- 
keit heraus.  Wie  sollte  man  verfahren,  um  die  95  Rollen  der  Glossen- 
sammlung des  Pamphilos,  um  des  Livius  142  Bücher  aufzubewahren  oder 
gar  von  Ort  zu  Ort  zu  schaffen,  ohne  daß  Einzelbücher  verloren  gingen? 
Denn  eine  Capsa,  eine  einzelne  6n.Kr|  konnte  sie  bei  weitem  nicht  fassen, 
und  es  galt  ihrer  Zerstreuung  vorzubeugen.0)  Für  Livius  war  eine  ganze 
bibliotheca  nötig  (Martial  14,  190).  Man  mußte  ihn  also  in  Teile  zerlegen. 
Dafür  aber  war  ohne  Frage  das  Angemessenste,  mechanisch  gleiche  Teile, 
Rollengruppen  bestimmter  Anzahl,  herzustellen,  die  das  Nachzählen  der  Ge- 
samtsumme erleichterten.    Wer  hundert  Geldstücke  nachzuzählen  hat,  wird 

1)  a.  a.  O.  S.  35  f.;  vgl.  auch  Cicero  ad  Att.  XIII  16,  1.  Der  Ausdruck  cüvraEic 
dürfte  in  dieser  Verwendung,  wie  auch  corpus,  vom  Militärwesen  hergenommen  sein. 
Daneben  eine  zweite  Bedeutung;  cuvTcrf-^aTa  heißt  „Exemplare"  bei  Heron  I  S.  408 
ed.  W.  Schmidt;  und  Maccab.  II  2,  13  werden  die  jüdischen  Schriften  zu  einer 
ßiß\to9rncr|  gesammelt;  dabei  wird  v.  24  cuvrayiua  für  das  Einzelbuch  gebraucht,  im 
Gegensatz  zu  fünf  Büchern;  es  ist  eine  e-nrroun,  aus  den  fünfen;  vgl.  ib.  v.  27.  Wenn 
aber  E.  Rohde,  Kl.  Schriften  II  S.  434  meinte,  cüvxaEic  setze  überall  Rolleneinheit 
voraus,  d.  h.  die  Vereinigung  mehrerer  Bücher  in  einer  Rolle,  so  war  er  im  Irrtum. 
Dies  zeigt  allein  schon  die  Clemensstelle,  die  ich  im  Text  angeführt.  Wenn  Ptole- 
maeus  eine  MeydX.ri  cüvxaEic  xfjc  äcxpovo|u(ac  in  13  Bbb.  schrieb,  so  konnten  diese 
13  Bbb.  unmöglich  in  einer  Rolle  beisammen  stehen.  Seltsam  ist,  daß  Rohde  aus 
den  tö^oi  des  Antisthenes  sich  Schlüsse  auf  die  Bucheinteilung  eines  Dio  Cassius 
erlaubte:  eine  Vermischung  der  Zeiten,  die  notwendig  Trugschlüsse  ergibt. 

2)  a.  a.  0.  S.  459;  irpayuaTeta  so  auch  Josephus,  vita  336,  und  überall. 

3)  Acta  martyrum  etc.  ed.  USENER,  Bonn  1881,  p.  6. 

4)  Siehe  Neumann,  Rom.  Staat  und  Kirche,  S.  73  Anm. 

5)  So  war  von  den  Commentarii  des  Saevius  Nicanor  der  größere  Teil  ab- 
handen gekommen,  maxima  pars  intereepta,  Suet.  de  gramm.  5.  Und  nach  diesem 
Beispiel  erklärt  sich  weiter,  daß  von  des  Cornificius'  Rhetorik  ad  Herennium  Quin- 
tilian  die  ersten  drei  Bücher  ignoriert;  nur  das  vierte  ging  um. 


266 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


es  ebenso  machen.  Und  so  ist  denn  von  Varro  bekannt,  daß  er  seine 
Bücher  in  seinem  Alter  in  siebzig  Gruppen  zu  je  sieben  Rollen  zerlegte 
(Gellius  III  10,  17),  Hebdomaden,  die  also  nichts  anderes  sind  als  jene 
Bücherbündel  zu  je  sieben,  die  man  vom  alten  Numa  gefunden  haben  wollte. 

Sonst  aber  war  vielmehr  die  Fünf-  und  Zehnzahl  beliebt;  das  betraf 
den  Livius  selbst,  wie  auch  den  Josephus,  den  Diodor,  Curtius  Rufus  und 
andere  Autoren.1)  Dazu  stimmt  nun  erstlich,  daß  die  Zahlen  der  Rollen 
in  den  Bündeln,  die  ich  zusammengestellt,  sonst  ganz  inkonstant  sind,  nur 
gerade  die  Fünfzahl  kehrt  öfters  wieder:  so  schon  bei  den  Ägyptern; 
s.  S.  15;  vgl.  das  Monument  des  Aper,  die  Statuen  der  Dichterin  und  des 
Caelius  Saturninus;  das  silberne  Kästchen;  das  herculanensische  Bündel, 
S.  256;  das  Monnusmosaik;  die  Capsae  Petri  und  Pauli  in  den  Domitilla- 
katakomben;  unter  den  fasces  der  Notitia  dignitatum  fand  sich  zweimal 
die  Zahl  fünf,  einmal  zehn.  Auch  S.  225  ist  so  Pentade  wie  Dekade  nach- 
gewiesen. Dazu  kommt  aber  zweitens  jene  Art  der  Anordnung,  die  uns 
das  Armarium  unsrer  Abb.  171  lehrt.  Es  erhellt  daraus 'unzweifelhaft,  daß 
es  Sitte  war  die  Rollen  in  Pyramiden  aufzubauen.  Nun  baue  man  eine 
Pyramide,  deren  unterste  Schicht,  wie  es  eben  hier  geschehen  ist,  vier 
Rollen  zählt.  In  der  folgenden  Schicht  kommen  drei  zu  liegen,  in 
der  folgenden  zwei,  endlich  zu  oberst  noch  eine  (denn  die  Pyramide  ver- 
langt eine  Spitze):  macht  zehn.  Der  Pyramidenaufbau  der  Rollen  in  den 
Schränken  ergab  also  von  selbst  eine  dekadische  Anordnung.  Es 
muß  Sitte  gewesen  sein,  die  Rollen  so  zu  je  zehn  zusammenzulegen, 
und  man  sieht  hier  vor  Augen,  wie  die  Dekaden  des  Livius  entstanden 
sind.  Es  ist  auch  nicht  Zufall,  daß  noch  das  4.  Jahrh.  den  Ausdruck  carta- 
decades  aufbrachte. a)  Gewiß  haben  die  Schriftsteller  selbst  schon  oftmals 
ihre  Werke,  so  gut  es  ging,  nach  solchen  Gruppen  gleichen  Umfangs  zu 
disponieren  versucht.  Als  dann  im  4.  Jahrh.  das  Rettungswerk  der  Über- 
tragung auf  Codices  begann,  lag  es  nahe,  den  Inhalt  je  eines  Bortes  oder 
je  einer  Capsa  in  je  einen  Codex  aufzunehmen.  Hieß  doch  Teöxoc  auch 
ein  Gefäß  voll  Bücher. :i)  Braucht  doch  Tertullian  deutlich  armarium  von 
einer  geschlossenen  Einheit  von  Werken.4)  Und  so  kommt  es,  daß  die 
handschriftliche  Überlieferung  des  Livius  z.  B.  seine  ersten  zehn  Bücher 
von  den  übrigen  trennt.     Neben  der  Dekade  hat  aber  auch  die  Pentade 

1)  Siehe  Wachsmuth,  Rhein.  Mus.  46  S.  331  f.,  der  aber  nicht  nötig  hatte, 
daraus  auf  Pergamentcodices  zu  schließen,  da  die  Sache  sich  in  der  im  Text  an- 
gegebenen Weise  auf  das  einfachste  erklärt.  Pergamentcodices  sind  für  Diodor's 
Zeit  ausgeschlossen. 

2)  Dies  finde  ich  von  Dindorf  in  Steph.  Thes.  s.  v.  x«PTrlc  angemerkt. 

3)  Siehe  oben  S.  22  Anm.  Wie  die  Capsa  Bänder  hatte,  so  jetzt  auch  der 
Codex;  s.  das  Schlußkapitel  u.  oben  S.  241.  Ein  Diptychon  mit  Bändern  sogar 
plastisch:  Dütschke  II  Nr.  482. 

4)  Tertull.  de  cultu  fem.  I  3;  weitere  Beispiele  brachte  Th.  Zahn,  Geschichte 
des  neutestamentlichen  Kanons  I  S.  82. 


22:  Anordnung  größerer  Werke;  Dekaden  u.  ä. 


267 


eingewirkt:  von  Diodor  sind  so  die  Bücher  1  —  5,  dann  die  zehn  11—20 
überliefert,  während  6—10  fehlen;  von  Livius  unzusammenhängend  drei 
Dekaden  und  eine  Pentade,  von  Dio  Cassius  die  Bücher  36  —  55,  d.  i.  Pen- 
tade,  Dekade,  Pentade.  Und  so  wie  wir  endlich  in  den  Capsae  wiederholt 
je  acht  Rollen  beisammen  fanden  (s.  S.  254),  so  scheint  Memnon's  Ge- 
schichte Heraklea's  in  Gruppen  zu  je  acht  überliefert  worden  zu  sein,  wovon, 
wie  Photius  zeigt,  die  erste  Capsa  früher  verloren  ging  als  die  zweite.1) 

Daß  man  übrigens  einbücherige  Werke,  wie  die  Evangelien,  damals 
getrennt  ließ  und  nicht  etwa  gleich  mehrere  in  einen  Codex  zusammentrug, 
ist  schon  S.  22  Anm.  erwähnt.  Der  bisherigen  Einzelrolle  des  Marcus, 
des  Johannes  entsprach  zunächst  nur  ein  kleiner  Codicill  gleichen  Umfangs2); 
nicht  anders  hielt  man  es  mutmaßlich  mit  dem  Pentateuchos  usf.  Doch  sind 
dies  Tatsachen,  die  das  Rollenbuchwesen  selbst  nicht  mehr  anbetreffen. 

Ein  corpus  librorum  war  wie  ein  Korps  Soldaten;  sie  verstreuten  sich 
leicht;  man  mußte  sie  zusammenhalten,  man  mußte  sie  hüten  wie  eine 
Herde.  Dies  führt  mich  schließlich  zu  einer  Anmerkung  über  jenes  Epi- 
gramm des  Artemidoros,  an  dessen  Interpretation  die  Frage  nach  der 
Theokritüberlieferung  hängt: 

Boukoaikcü  MoTcai  CTtopdbec  Ttoicä,  vuv  ö'  dpa  rräcai 
evxl  uiäc  uävöpac,  evri  |uiäc  öVfeXac. 
Man  versteht  dies  mitunter  dahin,  ein  Grammaticus  habe  Theokrit's  ver- 
streute Idyllien  in  eine  Buchrolle  gesammelt,  wie  die  Herde  in  die  Hürde. 
Aber  dieser  Tropus  ist  nicht  schlagend.  Nicht  die  Buchrolle,  vielmehr  die 
Capsa  glich  in  Wirklichkeit  der  Hürde.  Von  einer  Anzahl  von  Rollen  ist 
hier  die  Rede.  Die  hatten  sich  wie  eine  Herde  (äfeXa)  verstreut.  In  das 
hölzerne  Rund  der  Capsa  sind  sie  nun  wie  in  eine  udvbpa  zusammen- 
getrieben und  eingefangen  worden.3)  Auch  der  Ausdruck  MoTcai  braucht 
nicht  Einzelgedichte,  er  kann  ebenso  gut  „Bücher"  bedeuten:  so  waren 
Herodot's  Bücher  „Musen",  „Musen"  die  des  Kephalion  und  anderer.4) 
Theokrit  aber  ist  hier  absichtlich  nicht  genannt;  denn  es  wird  eben  an 
mehrere  bukolische  Dichter  gedacht,  aus  deren  Nachlaß  Theon  oder  ein 
anderer  ein  corpus  carminum  bucolicorum  schuf.5)     Dazu  ist  Vitruv  IV  1 


1)  Wachsmuth  a.  a.  O. 

2)  Dies  bestätigen  die  Bilder.  Solche  kleinen  Codices  kennt  aber  noch  Gregor 
v.  Tours  IV  16  u.  V  12;  vgl.  Sam.  BERGER,  Histoire  de  la  vulgate  (1893)  S.  3. 

3)  Auch  die  Einfassung  des  Steins  im  Siegelring  heißt  udvbpa,  Anthol.  Pal.  IX 
747,  3;  sie  ist  eben  die  Hüterin  der  Gemme,  ccppoiYl&0(Pu^aKlov,  sowie  die  Capsa  ein 
ßißXiocpuXÜKiov  ist.  4)  Buchw.  S.  39. 

5)  Daß  es  mehr  als  die  drei  bekannten  griechischen  Hirtendichter  gab,  zeigt 
der  Verfasser  des  Epitaphs  auf  Bion,  zeigt  Messala  in  Vergil's  Catalepton,  zeigen  auch 
die  unechten  Theokritstücke  verwandten  Inhalts.  HlLLER's  Anmerkung  zu  Artemidor's 
Epigramm  trifft  das  Richtige.  Der  Auffassung  von  WlLAMOWlTZ,  Die  Textgeschichte 
der  gr.  Bukoliker  1906,  S.  124  f.,  kann  ich  nicht  folgen. 


268 


IV.  Das  Rollenbuch  und  seine  Aufbewahrung. 


zu  vergleichen:  cum  animadvertissem  .  .  .  plures  de  architectura  praecepta 
voluminaque  commentariorum  non  ordinata  sed  *incepta  (lies  incerta)  ut 
particulas  err abundas  reliquisse,  dignam  .  .  .  rem  putavi  tantae  disci- 
plinae  corpus  ad  perfectam  ordinationem  perducere  eqs.  Also  auch  hier 
ohne  Ordnung  „herumirrende"  einzelne  Volumina,  die  als  „corpus"  in  eine 
Ordnung  gebracht  werden.  Das  war  dann  allerdings  in  diesem  Fall  zugleich 
eine  Epitomierung1);  aber  die  Anschauung  ist  die  nämliche,  wie  sie  das 
griechische  Epigramm  zeigt. 

Die  bukolische  Sammlung  bestand  aus  vielen  Bestandteilen;  denn  wir 
lesen  von  „allen"  Musen,  die  jetzt  vereinigt  sind.  Wir  sollen  wohl  eben 
an  die  Neunzahl  denken.    Neun  Bücher  paßten  gut  zu  einer  Capsa. 


1)  Vgl.  z.  B.  auch  Vegetius,  De  re  militari  p.  13,  11  f.  u.  5,  3  f.  ed.  Lang  '2. 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Wir  haben  die  Museen  und  Bilderwerke  nach  Darstellungen  des  antiken 
Buchs  durchsucht,  und  die  geringfügigsten  Monumente  mußten  mit  aus- 
helfen, um  unserm  Verlangen  zu  genügen,  das  auf  Anschauung  geht.  Wie 
aber,  wenn  dem,  der  durch  die  Straßen  Roms  wandelt,  das  antike  Rollen- 
buch Häuser  und  Kirchen  überragend  großmächtig  vor  den  Füßen  steht? 
Als  ich,  den  unreifen  Plan  zu  den  vorliegenden  Studien  im  Kopfe,  in 
Rom  einzog,  nickten  mir  Marcus-  und  Trajanssäule  zu:  hier  sind  wir! 
du  brauchst  nicht  weit  zu  suchen!  —  und  ich  erkannte  die  riesigen  Buch- 
rollen voll  Bilderschmuck,  um  die  Säule  gewickelt.  Es  sind  Bilderbücher, 
zur  öffentlichen  Schau  um  einen  großen  Säulenschaft  geschlungen.  Was 
Museen  und  Katakomben  sonst  ergaben,  war  hiergegen  gering.  Hier  und 
nur  hier  hatte  ich  die  Darstellung  eines  vollständig  aufgerollten  Buchs  in 
extenso  gefunden. 

Wird  man  mir  diese  Behauptung  glauben?  Ich  wüßte  zur  Begründung 
wenig  hinzuzufügen,  und  jede  Begründung  wäre  überflüssig.  Denn  man 
sieht  es  eben,  der  Augenschein  lehrt  es;  so  und  nicht  anders  hat  eben 
ein  aufgerolltes  Buch  ausgesehen;  ich  wüßte  nicht,  wie  man  einen  Zweifel 
begründen  wollte.1) 

Also  ein  Bilderbuch  über  Trajan's  Kriege!  Ist  dies  etwa  erstaunlich? 
Bisher  hatte  es  Bücher  genug  gegeben,  die  in  Prosa  oder  in  Versen  über 
Kriege  der  Feldherren  und  Kaiser  handelten;  an  das  Bellum  Gallicum  Cäsar's 
schlössen  sich  in  Einzelrollen  das  Bellum  Alexandrinum,  das  Hispaniense 
und  das  Africanum;  Plinius  schrieb  die  Bella  Germaniae;  Statius  hatte 
just  eben  ein  Buch  über  das  Bellum  Germanicum  des  Kaiser  Domitian 
geschrieben,  das  nicht  viel  anders  beschaffen  sein  konnte  als  das  Bellum 

1)  Dem,  was  ich  hier  vortrage,  ist  Edmond  Courbaud,  Le  Bas-relief  Romain, 
1899,  S.  164,  einmal  nahe  gekommen,  wenn  er  schreibt:  Ne  serait-ce  pas  le  livre 
d'histoire  lui  meme  ecrit  sur  le  marbre  comme  d'autres  l'ecrivent  sur  le  par- 
chemin  .  .  .?  Aber  die  Erwähnung  des  Pergaments  ist  ungünstig;  auch  biegt  seine 
Phantasie  ab  und  er  vergleicht  das  Relief  alsdann  mit  einer  rankenden  Pflanze  oder 
einem  gewickelten  Stoff:  comme  une  plante  s'enroule  autour  d'un  arbre  ou  une 
bände  d'etoffe  autour  d'un  pilier. 


270 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Gildonicum  und  Bellum  Gothicum  des  Claudian.  Auf  Domitian  war  Trajan 
gefolgt.  Fand  sich  kein  lateinischer  Autor,  der  nun  auch  Trajan's  Kriege 
verewigte,  die  nach  Cäsar's  Bellum  Gallicum  nicht  ihresgleichen  hatten? 
Fand  sich  niemand,  der  ein  Bellum  Dacicum  schrieb?  Allerdings,  Caninius 
wollte  es  tun,  wie  uns  Plinius  Epist.  VIII  4  verrät,  aber  in  griechischen 
Versen,  ein  schwerfälliger  Dilettant,  der  mit  seiner  Arbeit  augenscheinlich 
nie  zustande  kam.  Plinius  aber  formuliert  den  Inhalt  des  Buchs  so:  dices 
inmissa  terris  nova  flumina,  novos  pontes  fliiminibus  iniectos,  insessa 
castris  montium  abrupta,  pulsum  regia,  pulsum  etiam  vita  regem  nihil 
desperantem,  super  haec  actos  bis  triumphos.  Auf  dies  Gedicht  konnte 
Trajan  nicht  warten;  vielmehr  mußte  er  selbst  für  sein  Andenken  sorgen; 
er  selbst  verfaßte  Bella  Dacica  oder  er  ließ  sie  redigieren,  ein  Generalstabs- 
werk in  mehr  als  einem  Buch.  Neben  dies  hochoffizielle  und  allzu  nüchterne 
Werk,  das  kaum  Leser  fand1),  trat  nun  aber  als  Illustration  zum  Glück 
noch  ein  Bilderbuch.  Der  bunt  bemalte  Reliefstreifen  in  155  hart  anein- 
ander gerückten  Szenen  unterschied  sich  durch  nichts  von  den  bunten 
Bildern,  wie  man  sie  auf  Papyrus  malte,  und  er  erzählt  continuo  in  zeit- 
licher Folge  die  ganze  Kriegsgeschichte,  wie  sie  ganz  analog  in  dem  Prosa- 
werk des  Kaisers  gestanden  haben  muß,  ein  öXov  ßißXiov  oder  gar  ein 
Doppelbuch,  unten  auf  Seite  I  der  Anfang,  auf  dem  Schlußblatt  hoch  oben 
das  Ende  der  Ereignisse:  explicit!  Das  Buch  ist  bis  zum  Ende  aufgerollt, 
und  keine  Falte  der  Rolle  ist  leer. 

Gewiß  war  es  Trajan  selbst,  der  die  Ausarbeitung  dieses  Illustrations- 
werks veranlaßt  hat.  Daß  er  es  auch  noch  in  Stein  abbilden  ließ,  nimmt 
nicht  wunder.  Gab  es  doch  literarische  Werke  genug,  deren  umfangreichen 
Text  man  zugleich  auch  noch  als  Inschrift  auf  Stein  oder  Metall  gravierte. 
Auf  der  Inschrift  von  Oenoanda  hat  sich  ein  epikureischer  Lehrabriß  er- 
halten1'); Aristoteles'  Pythioniken  wurden  in  Delphi  als  Inschrift  geweiht. 
In  einer  in  Trümmern  erhaltenen  gewaltigen  Inschrift  über  die  Geschichte 
der  attischen  Komödie  liegt  uns  vielleicht  ein  Originalwerk  des  Kallimachos 
vor.3)  Des  Augustus  Monumentum  Ancyranum  war  ein  Buchtext,  der  nach 
des  Verfassers  Tode  monumental  verewigt  wurde.  Am  Marktplatz  von 
Magnesia  stand  ausführlich  die  Gründungssage  der  Stadt  an  der  Wand 
zu  lesen.  Dasselbe  Verfahren  bezeugt  Dio  Cass.  60,  10.  Warum  sollte, 
was  mit  Textbüchern  geschah4),  nicht  auch  mit  Bilderbüchern  geschehen? 

1)  Einziges  Zitat  in  I  Dacicorum  bei  Priscian,  Gramm,  lat.  II  205,  6  K. 

2)  Usener,  Rhein.  Mus.  47  S.  414  ff.  Vgl.  übrigens  F.  Jacoby,  ebenda  59  S.  98  ff. 

3)  A.  KÖRTE,  Rhein.  Mus.  60  S.  444  ff. 

4)  Sogar  die  Form  der  weit  ausgezogenen  Rolle  scheint  in  Inschriftform  ge- 
legentlich nachgeahmt  zu  sein;  ich  denke  an  die  öffentlichen  Plakate  oder  Anschläge 
in  albo;  auf  der  Marktszene  bei  Helbig,  Wandgemälde  1491  (=  O.  Jahn,  Abhandl. 
sächs.  GW.  XII  Tfl.3,  5)  ist  solcher  Anschlag  zu  sehen,  vor  dem  verstreut  vier  Per- 
sonen stehn  und  lesen.    Dies  hat  Jahn  dereinst  richtig  erkannt. 


Das  Relief  der  Säule  ahmt  ein  Buch  nach. 


271 


Wir  werden  sehen,  daß  in  Wirklichkeit  das  Bilderbuch  auf  das  Relief  noch 
viel  mehr  Einfluß  gehabt  hat  als  das  Lesebuch  auf  die  Inschriften. 

Wo  aber  ließ  Trajan  das  steinerne  Buch  aufstellen?  Es  scheint  noch 
niemand  von  denen,  die  sich  bemühen  das  Kolossalwerk  zu  erklären,  auf 
die  Wahl  des  Platzes  geachtet  zu  haben,  auf  dem  es  der  Kaiser  errichtete. 
Trajan  baute  den  glänzendsten  Zierplatz  der  Stadt  von  märchenhaft  blen- 
dender Pracht,  das  Forum  Traianum,  mit  anliegender  Basilika  und  Bibliothek. 
Die  Ruhmessäule  aber  stellte  er  nicht  etwa  auf  den  großen  Platz  des 
Forum  selber  —  wo  sie  sich  ähnlich  wie  die  spargelartige  Siegessäule  im 
Berliner  Tiergarten  ausgenommen  hätte  — ,  sondern  er  stellte  sie  in  die 
Enge,  zwischen  zwei  Bauten,  und  machte  sie  zum  Zentrum  seiner  Biblio- 
thek. Ist  das  Zufall?  Gewiß  nicht.  Der  Bauplan  steht  fest;  links  lag  die 
griechische,  rechts  die  lateinische  Bibliothek,  zwischen  beiden  ein  quadra- 
tischer Hof,  auf  diesem  offnen  Raum,  der  die  Bibliotheken  verband,  die 
Säule  mit  dem  erhöhten  Buch,  das  den  Ruhm  des  Kaisers  erzählt  und  alle 
Bücher  überragt,  die  in  den  Büchersälen  rechts  und  links  stecken:  die 
großartigste  Publikation,  die  ich  kenne. 

So  erst  erhält,  wie  man  sieht,  die  Säule  und  ihre  Anordnung  als 
Zentrum  des  Bibliotheksbaues  rechten  Sinn;  so  wird  sie  ganz  verständlich. 
Das  Marmorbuch  verkündete  weithin,  daß  hier  die  Bibliothek  stand. 

Nicht  anders  kann  die  Marcussäule  beurteilt  werden.  Denn  sie  ist  die 
Nachahmung  der  vorigen.  Die  Trajans-  und  die  Marcussäule  stehen  vor 
uns  als  die  großen  Denkmäler  des  Papyrusbuchwesens,  im  Zentrum  der 
antiken  Kulturwelt  alles  überragend  aufgestellt  und  Jahrtausende  über- 
dauernd: womit  könnte  ich  meine  Betrachtung  würdiger  schließen  als  mit 
ihnen?  Die  Buchrolle  ist  verewigt  und  verherrlicht  worden  wie  keine 
andere  Buchform. 

Die  Trajanssäule  —  s.  Abb.  173  —  hat  eine  Höhe  von  40  m;  die  Spirale 
umschlingt  die  Säule  in  22  —  23  Windungen  und  erreicht  selbst  eine  Länge  von 
200  m;  die  Höhe  des  Reliefstreifens,  also  der  Buchseite,  ist  1,25  m.1)  Da 
die  Buchseite  in  Wirklichkeit  20  —  40  cm  hoch  zu  sein  pflegte,  so  hat  eine 
Vergrößerung  des  Buchs  etwa  um  das  Vierfache  stattgefunden,  und  es  er- 
gibt sich  in  Wirklichkeit  eine  Länge  von  50  m.  Das  ist  ein  Archaismus. 
Es  ist  die  gewaltige  und  gleichsam  heroische  Länge  der  Rollen,  wie  sie 
einst  Ägypten  und  die  altgriechische  Literatur  verwendet  hat.  Solches 
Volumen,  das  den  ganzen  Homer  umschloß,  kannte  aber  auch  noch  Ulpian 
(oben  S.  216).  Hier  steht  es  vor  uns.  Doch  ist  davon  immerhin  noch 
einiges  abzurechnen.  Denn  die  oberen  Windungen  der  Spirale  sind,  um 
von  unten  besser  gesehen  werden  zu  können,  absichtlich  vergrößert,  wo- 
durch sich  auch  die  Längenausdehnung  gesteigert  hat. 

1)  Die  Messung  der  Höhe,  an  den  abgegossenen  Platten  in  der  Accademia  di 
S.  Luca  ausgeführt,  danke  ich  Amelung. 


272 


V.  Die 


Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Abb.  173:  Trajanssäule. 


Bei  einer  ganz  auseinandergerollten  Rolle 
liegt  die  Pagina  I  links,  und  der  Text  oder  die 
Bilderfolge  läuft  von  links  nach  rechts.  Es 
entspricht  also  auch  dies  der  Natur  des  Buchs 
auf  das  beste,  daß  die  Spirale  der  Rolle  um 
die  Trajanssäule  von  links  nach  rechts  läuft 
und  nicht  umgekehrt.  Mit  der  Marcussäule 
steht  es  nicht  anders.1)  Daß  endlich  der  An- 
fang und  die  erste  Buchseite  sich  unten  und 
nicht  oben  befindet,  begreift  sich  gleichfalls. 
Denn  an  den  Anfang  einer  Erzählung  knüpft 
sich  eben  das  erste  Interesse  der  Orientie- 
rung; die  Einleitung  muß  dem  Auge  möglichst 
nahe  gerückt  sein. 

Für  meinen  Zweck  würde  es  genügen,  dies 
festgestellt  zu  haben,  und  ich  könnte  hier  ab- 
brechen. Doch  verlohnt  es  sich,  das  Phäno- 
men, das  in  diesem  Riesenkonterfei  des  Buchs 
vor  uns  steht,  durch  einige  Erwägungen  be- 
greiflicher zu  machen. 

Denn  in  der  Kunstgeschichte  des  Alter- 
tums steht  die  Trajanssäule  mit  ihrer  jüngeren 
Schwester  bisher  vollkommen  als  Rätsel  da, 
und  nicht  nur  jede  Analogie,  sondern  auch 
jede  Antwort  auf  die  Frage  schien  zu  fehlen, 
durch  welche  sonstige  Anregungen  Trajan  selbst 
oder  sein  leitender  Künstler  Apollodorus  von 
Damaskus  zu  der  Erfindung  dieser  neuen  Form 
von  Ruhmesdenkmälern  geführt  worden  ist. 
E.  Petersen  weiß  in  seiner  Schrift  „Trajans 
Dakische  Kriege"  I  S.  87  f.  nur  an  den  Troja- 
nischen Krieg  von  Tnysa-Gjölbaschi  zu  erinnern, 
ein  Relief,  das  gleichfalls  in  einer  Folge  zu- 
sammenhängender Bilder  von  einem  Krieg  er- 
zählt. In  dem  Werk  über  die  Marcussäule  S.  95 


1)  Umgekehrt  läuft  die  Spirale  auf  der  Bern- 
wardsäule zu  Hildesheim,  auf  die  ich  zurückkomme; 
s.  Abb.  177;  vgl.  auch  Abb.  175.  Eine  Nachahmung 
der  Trajanssäule  ist  die  Erinnerungssäule,  die  im 
J.  1867  „dem  Könige  Wilhelm  sein  treues  Heer" 
widmete;  sie  steht  im  Berliner  Zeughaus.  Aber 
auch  hier  laufen  die  Windungen  verkehrt  von  rechts 
nach  links,  obschon  sie  mit  Schrift  versehen  sind! 


Vorläufer  der  Trajanssäule:  Ägyptisches. 


273 


fügt  er  die  Frontsäulen  des  Tempels  der  ephesischen  Artemis  hinzu,  die 
unten  einen  Relief  streifen  trugen,  sowie  die  Schlangensäule  von  Delphi,  auf 
der  der  goldene  Dreifuß  stand.  E.  Courbaud  dagegen  macht  a.  a.  0.  zu  einer 
historischen  Erklärung  auch  nicht  einmal  einen  Versuch.  Ich  erlaube  mir  nur 
folgendes  in  Kürze  in  Erinnerung  zu  bringen  oder  zur  Erwägung  zu  stellen. 

Ägypten  war  das  Land  des  Papyrus,  es  war  aber  auch  das  Land  der 
Säule,  endlich  das  Land  der  monumentalen  Wandverzierung.  Schrift  und 
Bild  geht,  dabei  durcheinander;  denn  die  Schrift  selbst  ist  Bilderschrift. 
Die  Säule  des  Pharaonenreichs  ist  nun  oftmals  nichts  weiter  als  die  groß- 
artige Versteinerung  eines  Papyrusschafts.  Die  Wände  aber  sind  hundert- 
fach mit  Bilderstreifen  dekoriert.  Man  nimmt  an,  daß  diese  gemusterten 
Flächen  und  dieser  Bildschmuck  sich  z.  T.  daraus  erklärt,  daß  man  die 
Wände  mit  bunten  Matten  zu  bespannen  pflegte.1)  Diese  Matten  waren 
aber  wiederum  aus  Papyrus.  Das  führt  uns  in  die  nächste  Nähe  der  Buch- 
malerei. Ich  kann  mich,  wenn  ich  jene  Friese  sehe,  in  der  Tat  oft  der 
Vorstellung  nicht  erwehren,  daß  sie  die  Imitation  ausgespannter  Bilderbücher 
sind.  Das  gilt  auch  von  einer  solchen  zwischen  Säulen  ausgebreiteten 
Bilderfolge  wie  bei  Prisse  d'Avennes,  Hist.  de  l'art  eg.  I  Tfl.  47,  die,  ins 
Große  gezerrt,  einer  Ikonostase  gleicht.  So  sind  nun  aber  in  Ägypten 
auch  oftmals  die  Schäfte  der  Säulen  selbst  mit  Figurenbildern  in  breiten 
horizontalen  Streifen  überdeckt.  Auch  die  Säule  selbst  trägt  schon  damals 
Bildschmuck,  sie  fängt  schon  damals  an  zu  erzählen;  ich  nenne  nur  den 
großen  Tempel  von  Denderah,  bei  Panckoucke,  Descr.  de  l'Egypte  IV 
pl.  7  und  30.  Hierauf  geht,  was  wir  bei  Martianus  Capella  II  137  lesen, 
daß  sich  in  den  ägyptischen  Heiligtümern  stelae  befinden,  auf  denen  deorum 
stemmata  geschrieben  stehen,  und  zwar,  wie  der  Autor  uns  sagt,  in  Nach- 
ahmung von  Büchern  gleichen  Inhaltes. 

Aber  die  ägyptische  Säule  stützt  nur.  Sie  steht  nicht  als  Monument 
frei  für  sich  allein  da.  Das  tut  nuf  der  breite  Spieß  des  Obelisken,  der 
unbelastete  Träger  der  Ruhmesinschriften.  So  frei  standen  die  vielen  mit 
Siegesinschriften  versehenen  „Stelen"  des  Sesostris,  Herodot  II  102—106. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Griechen,  so  führen  uns  die  berühmten  sechs- 
unddreißig Säulen  des  Artemistempels  zu  Ephesos  nicht  weiter,  von  denen 
Plinius  36,  95  sagt,  daß  sie  am  unteren  Schaft  von  einem  Relief  umgeben 
waren  (caelatae  imo  scapo).  Ein  Rest  davon  ist  erhalten.  Diese  Säulen 
standen  wiederum  nicht  frei.    Geben  wir  auf  anderes  acht. 

Herodot  2,  38  erzählt  auch,  daß  die  Ägypter  Papyrusbücher,  ßüß\oi, 
um  die  Hörner  der  Opfertiere  wickelten:  hier  also  schon  ein  um  einen 
fremden  Gegenstand  gewickeltes  Buch.2)  Wichtig  wird  da  für  uns  der  ge- 
wickelte Brief,  die  Skytale  der  Spartaner.   Ein  Streifen  Beschreibstoff  wurde 


1)  Erman,  Ägypten  S.  561.  2)  Ähnlich  wird  es  um  Pfeile  gewickelt  Herod.  8,  128. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  18 


274 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


auch  hier  spiralisch  ansteigend  um  einen  Stock  gewickelt.  Danach  wurde 
er  in  horizontaler  Richtung  beschrieben.  Die  Schrift  stand  also  auf  der 
Außenseite.  Das  Prinzip  der  Trajanssäule  war  damit  schon  vollständig 
da.   Denn  der  Stock  muß  nach  Art  unsrer  Abb.  174  ausgesehen  haben. 

Anregung  dazu  aber  hat  die  Anschauung  der  Schlange  gegeben,  die  sich  um 
den  Stab  windet.  Sie  ist  als  Symbol  des  Asklepios  bekannt;  aber  auch  bei  Cicero 
De  divin.  II  62  tritt  jemand  auf,  der  als  ostentum  meldet:  quod  anguis  domi  vectem 
circumiectus  fuisset,  worauf  ihm  geantwortet  wird,  ein  ostentum  würde  es  nur  dann 
sein,  si  anguem  vectis  circumplicavisset.  Man  vergleiche  auch  die  sich  um  einen 
Altar  windende  Schlange,  z.  B.  bei  Baumeister,  Denkm.  Nr.  593  sowie  die  andere, 
die  säulenartig  sich  um  sich  selbst  ringelt,  und  zwar  auf  einer 
Säulenbasis,  bei  S.  Reinach,  Repert.  stat.  III  225,  11. 

Genauer  lehrt  der  Hauptbericht  über  die  Skytale  bei 
Gellius  17,  9,  6  ff.  und  Plutarch  Lysander  19  folgendes: 

Um  einen  glatten  Stab  -  surculus  teres  oblongulus,  bei 
Plutarch  CKirräXn,  —  wird  ein  langer  schmaler  Streifen  aus 
dünnem  Material  gewickelt:  lorum  longum,  modicae  tenuitatis 
complicabant;  ßißXiov  ujcrrep  ludvia  uaxpöv  Kai  cievöv  Trepi- 
eXiTTouct.  Und  zwar  wird  er  rundum  gelegt  in  einfacher, 
nicht  in  doppelter  Lage:  volumine  rutundo  et  simplici.  Dabei 
müssen  die  Ränder  der  aneinanderstoßenden  Lagen  sich  eng 
berühren  ohne  Zwischenraum:  uti  orae  adhmctae 
undique  et  eohaerentes  lori  .  .  .  coirent;  ein  oidXeiuuo.  wird 
vermieden,  so  daß  die  Außenseite,  emcpdveia,  der  Skytale  vom 
ßißXiov  ganz  eingenommen  und  zugedeckt  wird. 

Ist  es  nicht,  als  läsen  wir  eine  Beschreibung  der  Trajans- 
säule? Auch  hier  jedes  öidXeiuua  vermieden;  orae  undique 
eohaerentes  coeunt. 

Die  Schrift  wurde  dann  aber  von  den  Spartanern,  wie  gesagt, 
horizontal  und  quer  über  die  Ränder  der  aneinanderliegenden 
Flächen  hinübergeschrieben:  per  transversas  iuneturarum  oras. 
Wenn  man  die  Rolle  abwickelte,  hatten  die  Buchstaben  keinen 
Zusammenhang  (covaepn)  mehr.  Der  Empfänger  wickelte  das  Schrift- 
stück dann  wieder  in  derselben  Weise  um  seinen  Stab  von  Anfang 
bis  zu  Ende  (capite  ad  finem). 

Nach  Gellius  war  es  ein  Riemen  (lorum),  der  so  als  Buch 
diente.  Dies  bestätigt  Athenaeus  S.  451 D,  aus  dem  wir  entnehmen,  daß  Apollonius 
Rhodius  in  seinem  Buch  über  Archilochos  das  Wesen  der  Skytale  erörtert  hatte. 
Danach  war  der  Riemen  (l^dc)  stets  weiß  gefärbt.  Apollonius  nahm  Anlaß,  hiervon 
zu  handeln,  weil  er  im  Text  des  Archilochos  die  Worte  äxvuiuevn  cKUTÖXn.  vorfand 
und  erläutern  mußte.  Aber  auch  Nikophon  fr.  3  Kock  verbindet  endlich  cxu-raAn 
und  biqpB^pa.1) 

Da  die  Skytale  aus  Leder  bestand,  so  ist  um  so  bedeutsamer,  daß 


V 


Abb.  174. 


1)  Weitere  Belege  sind  zusammengestellt  von  Dziatzko,  Zwei  Beiträge  zur 
Kenntnis  des  antiken  Buchwesens,  als  Manuskript  gedruckt,  Güttingen  1892  S.  1  ff. 
Eigentlich  hieß  nur  der  Stock  cxuTdXn,  die  Bezeichnung  wurde  dann  auf  den  Brief, 
der  am  Stock  haftete,  übertragen;  das  erklärt  Plutarch  a.  a.  O.  hübsch. 


Nachahmung  der  Skytale. 


275 


Plutarch  ßißXiov  dafür  einsetzt.1)  Ob  er  dies  selbst  so  abänderte  oder  in 
seiner  Quelle  fand,  steht  dahin.  Jedenfalls  war  es  nach  ihm  ein  Streifen 
Charta,  lang  und  schmal  (uaxpöv  Kai  cxevöv),  also  eine  regelrechte  Buch- 
rolle, und  nur  „nach  Art  eines  Riemens"  (wen-ep  ludvia)  hat  man  sie  um  den 
Stock  gewickelt.  Plutarch  aber  schrieb  eben  zu  den  Zeiten  Trajan's.  So 
dachte  man  sich  damals  die  Sache.  Sein  zeitgenössischer  Text  ist  wie 
eine  Erläuterung  der  Trajanssäule.  Die  Riesensäule  selbst  ist  die  Skytale; 
das  ßißXiov,  das  sie  umgibt,  ist  eine  Botschaft,  die  von  den  Taten  des 
Kaisers  meldet.  Diese  Botschaft  aber  braucht  nicht  verheimlicht  zu  werden, 
wie  dereinst  die  der  spartanischen  Ephoren.  Darum  ist  die  Bildererzählung 
nicht  horizontal,  sondern  leise  schräg  aufwärts  und  dem  Lauf  des  Papier- 
streifens selbst  entlang  geführt.  Der  ganze  Erdkreis  soll  und  kann  er- 
fahren, was  diese  Skytale  zu  melden  hat:  ein  aYfeXoc  6p0öc,  nuKÖuujv  cku- 
xd\a  Moicäv  (Pindar  Ol.  6,  154). 

Sehen  wir  uns  weiter  um,  so  begegnete  uns  schon  oben,  Abb.  147,  auf 
einem  pompejanischen  Wandgemälde  die  seltsam  zugespitzte,  nach  unten 
sich  verjüngende  stabartige  Säule,  die  in  dem  Peribolos  eines  Tempels 
steht  und  an  die  oben  ein  geschlossenes  Rollenbuch  aufgehängt  ist.  Wir 
interpretierten  dies  S.  224  f.  als  Weihung  und  verglichen  dort  ähnliche  mit 
Band  umwundene  Säulen.  Jedenfalls  ist  daraus  zu  ersehen,  daß  man  auch 
sonst  Bücher  an  Säulen  aufhing.  Auch  die  vom  Buch  umrollte  Skytale, 
wie  Trajan  sie  anwandte,  ist  demnach  für  eine  Weihung  des  Buchs  eine 
angemessene  Form  gewesen. 

Aber  auch  sonst  war  dem  Griechen  die  Idee  der  freistehenden  und 
der  beschriebenen  Säule  nicht  fremd.  Sind  es  doch  die  Griechen,  die  von 
den  Säulen  des  Atlas,  von  den  Säulen  des  Herakles  fabelten!  Mag  man 
sich  Berge,  die  den  Himmel  stützen,  darunter  vorgestellt  haben:  der  Tropus 
Kiovec  selbst  (Odyssee  1,  52),  kiujv  tou  oupavou  (Herodot  4,  184),  kiuuv 
oupavia  (Pindar  Pyth.  1,  19)  mußte  immer  darauf  führen,  an  freistehende 
Säulen  zu  denken,  die  die  Lacunarien  des  Himmelsgewölbes  selbst  zu 
tragen  scheinen.  Von  zwei  Heraklessäulen  im  Tempel  zu  Tyrus  erzählt 
Herodot  2,  44;  ob  sie  frei  dastanden  oder  Gebälk  trugen,  bleibt  unklar. 
Man  hat  damit  die  beiden  freistehenden  Säulen  vor  dem  Tempel  Salomo's'2) 
verglichen. 

Erwähnt  seien  auch  die  äüovec  im  alten  Athen.  Die  aEovec  waren  Stäbe,  an 
denen  einige  der  Solonischen  Gesetzestafeln  beweglich  aufgehängt  waren;  vgl. 


1)  Die  Verwendung  des  ßißXiov  zu  geheimen  Botschaften  kennt  Aeneas  Tacticus 
Poliork.  nur  in  anderer  Weise;  so  wird  es  in  den  Zügel  des  Reitpferdes  eingenäht 
Poliork.  31,  5;  oder  man  verbirgt  es  auf  der  Schulter  im  Chiton,  wo  es  festliegt; 
das  ßißXiov  muß  dann  möglichst  leicht  sein;  es  heißt  ib.  31,  14:  eic  tö  ßußXiov  ypd- 
ijjavTec  üjc  \gttt6tqtov  (uaKpouc  cxixouc  Kai  Xeirrä  YPö,u,uaTai  doch  ist  mutmaßlich 
,uiKpouc  statt  uaKpouc  zu  lesen. 

J    2)  Reg.  III  7,  15  f. ;  IV  25,  17;  Paralip.  II  3,  15  f. 
/  18* 


276 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Pollux  8,  128. J)  Verwandt  damit  aber  sind  weiter  die  Küpßeic,  von  denen  z.  B.  Plutarch 
im  Solon  25  berichtet.  So  hießen  die  hölzernen,  weiß  angestrichenen  Pfeiler  in 
Athen,  die  dreiseitig,  oben  zugespitzt  und  gleichfalls  um  eine  Achse  drehbar  waren: 
auch  sie  waren  Träger  der  Solonischen  Gesetze.  Wieder  eine  andre  Art  der  Ver- 
bindung von  Säule  und  Inschrift  zeigt  ein  etruskischer  Spiegel  in  Florenz  (siehe 
AMELUNG,  Führer  durch  die  Antiken  in  Florenz  Nr.  246),  auf  dem  im  Hintergrund 
der  Szene  eine  Säule  sichtbar  wird,  die  auf  ihrem  Kapitell  eine  steilstehende  qua- 
dratische Tafel  mit  Inschrift  trägt.  Die  Dichter  übertrugen  nun  aber  das  Wort  KÜpßic 
auch  auf  die  Säulen  des  Herkules:  siehe  Anthol.  Pal.  IV  3,83  und  IV  4,  1,  während 
Achaios  im  Satyrspiel  Iris  (S.  582  NAUCK)  eben  dasselbe  Wort  ty\v  C-rrapxidTriv 
Ypairröv  KÜpßiv  geradezu  für  die  spartanische  Skytale  einsetzte.  Hiermit  sind  wir 
wieder  auf  die  Skytale  zurückgeführt. 

Hier  ist  nun  die  delphische,  dreifußtragende,  nach  der  Besiegung  der 
Perser  bei  Platää  errichtete  Schlangensäule  in  Konstantinopel  anzureihen, 
5,35  m  hoch,  auf  deren  Schaft  die  Namen  aller  am  Sieg  beteiligten  Städte 
und  Stämme  in  Spiralen  ansteigend  sich  eingetragen  finden:  sie  ist  mit  der 
Trajanssäule  nicht  nur  deshalb  vergleichbar,  weil  auch  dies  eine  freistehende 
Säule  ist,  in  Spiralen  mit  der  Nachahmung  eines  schriftlichen  Dokuments 
umwickelt  —  ich  erblicke  in  der  Tat  auch  hierin  eine  Einwirkung  der  spar- 
tanischen Skytale  — ,  sondern  auch  deshalb,  weil  beide  Säulen  die  Erinne- 
rung an  kriegerische  Großtaten  verewigen  sollen:  auch  die  Schlangensäule 
meldete  den  Besuchern  Delphi's  die  Botschaft  vom  Siege.1') 

Ich  weiß  nicht,  ob  man  beachtet  hat,  daß  Schlangen  sich  auf  den 
meisten  Bildwerken  sonst  durchaus  nicht  von  links  nach  rechts,  sondern 
regelmäßig  von  rechts  nach  links  um  Bäume  oder  andere  Gegenstände 
schlingen.  Warum  dies  Regel,  weiß  ich  nicht.  Jedenfalls  ist  aber  in  diesem 
Falle  davon  abgegangen  und  das  Umgekehrte  eingeführt  worden;  das  ge- 
schah dem  Lauf  der  Schrift  zu  Gefallen.  Ferner  lassen  wirkliche  Schlangen 
auf  den  Bildern  sonst  stets  zwischen  ihren  einzelnen  Windungen  ein  bid- 
Xei)ujua,  um  mit  Plutarch  zu  reden,  so  daß  emcpaveia  des  Gegenstandes 
eintritt,  den  sie  umschlingen;  auch  dies  hat  die  delphische  Schlangensäule 
in  Nachahmung  der  spartanischen  Skytale  vermieden. 

Dafür,  daß  die  Rundsäule  geradezu  wie  ein  Buch  Text  trägt,  wüßte 
ich   nur  ein  Beispiel  anzuführen3),  das  späten  Zeiten  angehört  und  von 


1)  Ein  spätes  Epigramm  phantasiert,  daß  diese  äEovec  den  sterbenden  Solon 
zum  Himmel  trugen:  Anthol.  Pal.  VII  87. 

2)  Vgl.  FABRICIUS  im  Jahrbuch  1886  S.  175  ff.,  der  sich  die  Schlangensäule 
(S.  189)  nicht  als  Träger,  sondern  als  mittlere  Stütze  des  Dreifußes  denkt.  Vgl. 
übrigens  den  Artikel  „Dreifuß"  in  Pauly-Wissowa's  Realencyklopädie. 

3)  Eine  „Stele"  hat  keineswegs  immer  Säulenform,  sondern  Pfostenform.  So 
gehört  also  nicht  hierher,  was  wir  vom  Redner  Lykurg  lesen;  doch  möchte  ich  es 
anführen,  Ps.  Plutarch  Vita  Lyc.  f in. ,  wo  es  heißt,  daß  Lykurg  über  alles,  was  er 
als  Staatsbürger  und  Leiter  des  Staates  getan,  eine  Schrift  abfaßte,  dvaTpäqpr]v  bid)- 
xr)cev  und  diese  auf  einer  Stele  weihte,  &v£0nKev  ev-  erfiXn,  am  Eingang  der  von 
ihm  gestifteten  Pa]ästra:  dies  ist  kennenswert  als  Vorbild  des  Monumentum  Ancy- 
ranum.    Auch  an  die  große  goldene  „Stele"  sei  noch  erinnert,  von  der  Euhemeros 


Delphische  Schlangensäule;  Kandelaber. 


277 


ägyptischen  Anschauungen  beeinflußt  ist.  Ich  meine  die  Legende  von 
Salomo  und  der  Königin  von  Saba,  von  der  sich  ein  dürftiger  Rest  auf 
einem  koptischen  Papyrus  gefunden  hat:  siehe  Erman  und  Krebs,  „Aus  den 
Papyrus  der  Kgl.  Museen",  Berlin  1899,  S.  243.  Für  Salomo's  Palast  soll 
eine  Säule  aus  dem  Land  der  Königin  hergeschafft  werden.  Geister  sollen 
sie  bringen.  Da  kam  „die  Geisterhälfte"  und  die  Säule  war  auf  ihrem 
Flügel  . .  .  Alle  Wissenschaft,  die  auf  Erden  ist,  steht  geschrieben  auf  der 
Säule  und  das  (Wesen?)  der  Sonne  und  des  (Mondes?)  stehn  auf  ihr.  Es 
ist  ein  Wunder  sie  zu  sehen.1) 

Wenden  wir  uns  noch  einmal  zum  delphischen  Monument  zurück,  so 
war  dies  eine  Votivsäule.  Von  dieser  seiner  Eigenschaft  ist  für  unsren 
Zweck  klärlich  auszugehn.  Ich  lasse  also  die  sonstigen  Zwecke  beiseite, 
die  sich  mit  einer  freistehenden  Säule  noch  verbinden  ließen.  So  waren 
die  römischen  Meilensteine  mit  Schrift  versehene  Rundpfeiler.  Sonnenuhren 
wurden  von  Säulen  getragen.")  Auf  Gräbern  tragen  sie  die  Grabinschrift.3) 
Insbesondere  ahmt  das  Candelabrum,  wie  bekannt  ist,  oftmals  mit  Kapitell 
und  Kannellierung  die  Säule  nach.  Dieser  Lichtständer  kann  aber  auch 
mit  Bandstreifen  umwunden  werden,  und  das  ist  hier  zu  beachten.  Der 
schöne  Marmorkandelaber  des  Museo  P.  Clementino  (Visconti  Bd.  VII  Tfl.  38) 
sei  angeführt,  ein  Schaft,  der  aus  gewaltigem  Akanthus  hervorwächst  und 
von  drei  horizontal  gelegten  Bändern  umwickelt  ist,  von  denen  das  unterste 
ein  bakchisches  Bild  im  Relief  trägt.1)  Hierin  verrät  sich  doch,  daß  die 
hellenistische  Kunst  solchem  Motiv,  das  an  die  Trajanssäule  erinnert,  zu- 
gänglich war. 

Nun  aber  die  Votivsäulen.    Die  Frömmigkeit  hat  sich  ihrer  überall 

und  allezeit  bedient. 

Ein  altes  Beispiel,  ein  auf  der  Akropolis  Athen's  gefundenes  Säulchen  ohne 
Kannellierung,  auf  dessen  Schaft  Schrift  abwärts  läuft,  findet  man  bei  L.  Ross, 
Archäol.  Aufsätze  I  Tfl.  14  abgebildet,  wozu  von  Ross  allerlei  Parallelen  beigebracht 
sind.  Man  nehme  dazu  Jahrbuch  III  S.  272  Fig.  5  und  S.  274  Fig.  13.  Ein  ähn- 
liches Säulchen,  kanneliiert,  C.  I.  A.  I  399. 5)    Säulen,  die  Vasen,  Eulen  und  andere 


fabelte  und  die  in  ägyptischer  Schrift  die  Taten  des  Uranos,  des  Zeus  usw.  in  histo- 
rischer Folge  erzählte  (Diodor  5,  46,  7). 

1)  Vgl.  das  Testament  Salomo's  in  Jewish  Quart.  Rev.  XI  (1899)  S.  1  ff. 

2)  Solche  steht  vor  dem  Apollotempel  in  Pompeji;  sie  ist  auch  zu  sehen  auf 
den  Philosophenmosaiken  in  Neapel  und  in  Villa  Albani;  dazu  Relief  des  Silber- 
bechers bei  Baumeister,  Denkm.  Nr.  1316;  Wiener  Genesis  Bild  XVII  33;  Kalender 
des  Philocalus  bei  Strzygowski  Tfl.  24.  Ein  sakraler  Zweck  und  eine  Beziehung 
auf  den  Sonnengott  lag  aber  doch  wohl  auch  hierbei  zugrunde;  das  deutet  Josephus 
Contra  Apionem  II  2,  11  an. 

3)  media  [in]  columna  scribere,  Properz  IV  7,  83. 

4)  Vgl.  Reinach,  Rep.  stat.  I  33,  2. 

5)  Das  Vorbild  hierzu  gab  wohl  wieder  Ägypten;  vgl.  die  Schriftzeile  auf  einer 
kanneliierten  Säule  bei  LEPSIUS,  Denkm.  III  Bl.  54;  übrigens  noch  ROSS  a.  a.  0. 
II  S.  143. 


278 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Anatheme  tragen,  erscheinen  auf  den  panathenäischen  Vasenbildern.  Für  Delphi 
erinnere  ich  an  die  Säule  der  Naxier  und  an  die  der  Tänzerinnen,  rekonstruiert  in 
den  Fouilles  de  Delphes  Tom.  II  Tfl.  14  und  15.  Zwei  Säulen,  die  Dreifüße  trugen, 
stehen  hoch  oberhalb  des  athenischen  Theaters.  Anderswo  steht  der  Omphalos  mit 
Binde  auf  der  Säule1);  ein  Adler  bei  Pausanias  8,38,5;  ein  Löwe:  Jahrbuch  III 
S.  89.  Oder  aber  sie  stützt  einen  heiligen  Baum2);  und  wo  sie  neben  einem  Altar 
oder  Götterbild  erscheint,  sollen  Weihungen  daran  aufgehängt  werden/1) 

Nicht  übergangen  sei,  daß  in  Anlaß  des  seltsamen  metaartigen  Pfeilers  in  den 
Pitture  d'E.  III  S.  52  von  den  Herausgebern  angemerkt  wird,  daß  auf  ihm  „alquante 
fasce  o  giri"  zu  sehen  seien,  die  die  Abbildung  nicht  genügend  wiedergebe.  Dies 
erinnert  an  die  Kandelaber  mit  Bandschmuck. 

Wenn  eine  freistehende  Säule  nichts  trägt,  so  erregt  sie  Befremden.  Dieser 
Fall  trifft  für  ein  Bild  der  Wiener  Genesis  zu,  das  die  Frau  Loth's  als  Salzsäule 
mitten  in  der  Landschaft  zeigt.  Der  Anblick  war  ein  Mirakel,  wie  jeder  antike  Be- 
schauer des  Bildes  empfunden  haben  muß.4)  Die  Säule  war  hier  zwecklos;  denn 
sie  diente  nicht  als  Träger. 

Endlich  nun  aber  und  vor  allem  hat  die  Säule  auch  als  Fußgestell 
der  Götter  gedient/')  Ich  rede  nicht  von  den  Gigantensäulen  der  Kaiser- 
zeit; wohl  aber  von  der  kleineren  Juppitersäule  in  Mainz,  einer  Schuppen- 
säule, deren  Schaft  überdies  in  drei  Abschnitten  übereinander  Reliefschmuck 
trägt.  Dies  ist  das  Prinzip  des  vorhin  S.  277  erwähnten  Kandelabers.  Am 
großartigsten  aber  stellt  dies  Dekorationsprinzip  sich  dar  in  der  neu  ge- 
fundenen großen  Mainzer  Juppitersäule;  die  fünf  Reliefringe,  die  den  fünf 
Trommeln  entsprechen,  durchschneiden  freilich  und  zerbrechen  den  Wuchs 
dieser  Säule,  auch  sind  die  Figuren  zu  groß,  und  wir  empfinden,  daß  für 
die  Aufgabe,  die  hier  sich  stellte,  erst  die  Trajanssäule  die  rechte  Lösung 
gebracht  hat.';) 

Im  übrigen  waren  die  Schäfte  schmucklos.    Man  denke  an  die  Nike  in 


1)  0.  Jahn,  Arch.  Beiträge  S.  342. 

2)  Ich  denke  an  Darstellungen  wie  auf  dem  Stuckplafond  von  der  Farnesina, 
im  Thermenmuseum,  Mon.  inediti,  Suppl.  1891  Tfl.  34  und  35;  Alinari  Photogr.  6282 
und  6285.    Dazu  Pitture  d'E.  III  S.  91  und  Tfl.  40  S.  205. 

3)  Pitture  d'E.  I  S.  127;  II  Tfl.  18  S.  119;  besonders  Stuckplafond  Photogr.  6281, 
wo  die  Säule  in  der  Weise  hochragend  neben  einem  Heiligtum  steht,  wie  die 
Trajanssäule  neben  der  Bibliothek. 

4)  Über  das  Bild  der  Wiener  Genesis  V  10,  wo  die  Töchter  den  Loth  trunken 
machen,  hat  sich  Wickhoff  befremdlich  geäußert.  In  der  Landschaft  steht  links, 
im  Rücken  der  Frauen  und  von  der  Handlung  abseits,  eine  einzelne  wohlgeformte 
Säule;  an  ihr  lehnt  unten  noch  ein  Gegenstand,  der  nicht  zu  erkennen  ist.  Darin 
sah  Wickhoff  die  Andeutung  einer  Ruinenstadt,  während  nicht  zweifelhaft  sein  kann, 
daß  dies  eben  Loth's  Frau  ist,  die  zur  cx^Xri  cdöc  gewordene.  Denn  die  Miniaturen 
der  Genesis  erzählen  gern  mehrere  Ereignisse  in  einer  Komposition,  und  der  Ge- 
schichte von  den  Töchtern  Loth's  l.Mos.  19,  30ff.  geht  eben  die  von  der  Säule  19,26 
unmittelbar  vorher.  Man  faßte  dann  die  Salzsäule  als  Grabmal  auf:  s.  Anthol.  Pal. 
VII  311.  Auch  im  Utrechter  Psalter  wird  die  im  Psalm  98,  7  erwähnte  „Wolken- 
säule" durch  eine  regelrecht  geformte  antike  freistehende  Säule  abgebildet:  siehe 
J.  Tikkanen,  Psalterillustrationen  I  S.  215  Fig.  169. 

5)  Columnarum  ratio  est  attolli  super  ceteros  mortalis:  Plin.  34,  27. 

6)  Über  die  größere  und  kleinere  Juppitersäule  vgl.  K.  KÖRBER,  Mainzer  Zeit- 
schrift I  S.  54  ff. 


Votivsäulen;  Götter  tragende  Säulen. 


279 


Olympia.  Auf  dem  Grab  des  Isokrates  stand  eine  Säule  von  30  Ellen  Höhe, 
die  das  Bild  einer  Sirene  trug.1)  Vasenbilder,  Reliefs,  Wandbilder  zeigen  uns 
oft  die  Götter  so  aufgestellt,  und  es  ist  unnötig,  dafür  Belege  zu  häufen.  Nur 
eben  vor  mir  liegt  z.  B.  Winter,  Terrakotten  II  84,  7;  der  Stuckplafond  von 
der  Farnesina,  im  Thermenmuseum,  in  der  Photographie  Alinari  Nr.  6285; 
Pitture  d'E.  I  S.  127  (Vignette);  S.  139  (Vignette);  II  S.  1;  das  Io-Bild  des 
Palatin  (Baumeister,  Denkm.  Nr.  942);'  Barnabei,  La  villa  Pompeiana  (1901) 
Tfl.  IX;  trajanisches  Relief  am  Constantinsbogen,  Antike  Denkmäler  I  Tfl.  43 
Nr.  6.  Am  reichsten  Pitture  d'E.  II  Tfl.  55  S.  295:  sieben  Statuen  am  Hafen2) 
und  III  S.  137  (Schlußvignette):  fünf  Hermen  überragen  in  doppelter  Höhe 
ein  Haus.  So  überragte  die  Trajanssäule  die  Bibliothek,  neben  der  sie 
stand.  Noch  auf  karolingischen  Miniaturen  erscheinen  heidnische  Götzen- 
bilder auf  solchen  Pfeilern3),  und  dem  entspricht  das  goldene  Kalb  auf  der 
Säule  im  Chludoffpsalter.4) 

Anders  freilich  der  Sarkophag  des  Lateran  Nr.  174.  Hier  sitzt  auf 
offnem  Platz  zwischen  hohen  Palästen  auf  einer  isolierten  ionischen  Säule 
großmächtig  der  Hahn,  der  bei  der  Verleugnung  Petri  dreimal  kräht.5) 
Im  Physiologus  nimmt  der  Vogel  Phönix  auf  ihr  die  Selbstverbrennung  vor.6) 
Dann  ersteigt  sie  der  Pinienapfel  und  das  Kreuz7);  und  die  christliche 
Sekte  der  Styliten  verpflanzte  endlich  gar  lebende  Menschen  auf  die  leer- 
gewordenen Plätze:  CTuXiTn.c  ö  im  kiovoc  icrdjuevoc  (Suidas).  Solchen 
Heiligen,  der  auf  einer  Säule  steht,  die  die  schönsten  klassischen  Formen 
zeigt,  findet  man  z.  B.  in  den  Illustrationen  des  Menologion  zu  Esphigmenu.s) 

Und  die  Trajanssäule?  Man  sieht,  wohin  ich  ziele.  Jene  Götter  als 
Styliten  erschließen  uns  endlich  ihr  Verständnis.  Denn  auch  sie  selbst 
trug  ja  hoch  oben  das  Standbild  des  vergöttlichten  Trajanus,  während  in 
ihrem  Fuß  die  Asche  des  Kaisers  beigesetzt  war. 


1)  Pseudo-Plutarch  Isokrat.  S.  838.  Sirenen  auf  Pilastern:  Pfuhl  im  Jahrbuch 
XX  S.  49  ff. 

2)  Vgl.  die  zwei  pilae  am  Hafen  Bajä's  bei  Schreiber,  Bilderatlas  Tfl.  72,  12. 

3)  TlKKANEN  a.  a.  O.  S.  188  und  312,  3;  ähnlich  im  Physiologus  von  Smyrna; 
siehe  Byzantinisches  Archiv  II  Tfl.  4  und  19. 

4)  TlKKANEN  Tfl.  III  Nr.  2. 

5)  Der  Hahn  Petri  zeigt  sich  auf  der  Säule  auch  sonst:  Sarkophag  bei  Gar- 
RUCCI  319,  4;  Mosaik  in  S.  Apollinare  nuovo,  ebenda  251,  1.  Aber  er  ist  in  dieser 
Anordnung  aus  dem  Heidentum  übernommen  und  stammt  vom  Hermes,  dem  Gott 
der  Palästra,  dem  dies  Symbol  eignet  oder  beigegeben  wird:  siehe  z.B.  Ross,  Arch. 
Aufsätze  I  Tfl.  14,  7;  0.  MÜLLER,  Denkmäler  1  Nr.  92a;  HEYDEMANN,  Neapler  Vasen- 
samml.  n.  922;  ROSCHER,  Mythol.  Lex.  III  S.  2539;  Babelon-Blanchet,  Bronzes  ant. 
Nr.  355.  Auch  in  Lyon  sah  ich  Mercurius  und  den  Hahn  auf  der  Säule,  auf  Resten 
gallo-römischer  Sigillatagefäße,  über  die  jetzt  DECHELETTE,  Les  vases  ceramiques 
usf.,  Paris  1904,  zu  vergleichen  ist. 

6)  Byzant.  Archiv  II  Tfl.  4. 

7)  Vorplatz  vor  S.  Apollinare  nuovo  in  Ravenna. 

8)  H.  Brockhaus,  Die  Kunst  in  den  Athosklöstern  (1891)  Tfl.  26  S.  229. 


280 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Und  wie  weiter  grade  an  solchen  göttertragenden  Säulen  sich  Gegen- 
stände der  Weihung  aufgehängt  finden1),  so  trägt  die  des  Trajan  das 
Buch,  das  ihn  verherrlicht  und  das  ihm  gewidmet  ist.  Ihrem  Beispiel 
folgte  sodann  die  des  Marcus  genau,  während  andere 
Säulen,  die  im  übrigen  übereinstimmen2),  einer  solchen 
Zutat  entbehren.3) 

Damit  aber  ist  alles  erklärt.  Das  Trajansmonu- 
ment  gehört  zu  den  göttertragenden  Säulen.  Als  Gegen- 
stand der  Weihung  ist  an  ihr  ein  Buch  befestigt. 
Dabei  ist  zugleich  an  die  Überlieferung  von  der  Skytale 
der  Spartaner,  wie  sie  bei  Plutarch  vorliegt,  in  kluger 
Weise  angeknüpft  und  die  Säule  selbst  als  der  Stab, 
das  Buch  aber  nach  dem  Vorbild  jenes  Buches  be- 
handelt worden,  mit  dem  die  Spartaner  den  Stab 
umwickelt  haben  sollten. 

Übrigens  ist  doch  aber  in  diesem  Zusammenhang 
auch  denkwürdig,  was  nach  Cäsar's  Ermordung  ge- 
schah. Das  Volk  errichtete  für  den  Vergötterten  auf 
dem  Forum  solidam  columnam  aus  numidischem  Mar- 
mor von  fast  20  Fuß  Höhe,  mit  der  Aufschrift  potri 
patriae;  bei  ihr  wurde  geopfert,  Gelübde  getan,  Rechts- 
streitigkeiten geschlichtet,  indem  man  per  Caesarem 
Eid  leistete  (Sueton  c.  85).  Dies  ist  tatsächlich  der 
nächste  bescheidene  Ahne  der  Säule  des  Trajanus  ge- 
wesen. 

Zum  Schluß  habe  ich  noch  dürftige  Architektur- 
reste phantastischen  Stils  zu  erwähnen;  zunächst  die 
römischen,  die  Vespignani  im  Bullettino  commun.  di 

Roma  1878  S.  199  ff.  publizierte. 

Da  hat  sich  endlich  wirklich  sogar  das  Bruchstück  einer 
in  Spiralen  mit  Bildern  umwickelten  Säule  gefunden  (siehe 
besonders  S.  202),  die  darin  dem  Motiv  des  Trajanischen 
Monuments  zum  wenigsten  nahe  kommt.  Die  dort  auf 
Tafel  XVI  gegebene  Rekonstruktion  dieser  Säule  wiederholt 
unsre  Abb.  175.  Sie  ist,  wie  man  sieht,  kanneliiert  und 
das  Reliefband  mit  Darstellungen  aus  dem  bacchischen  Kreise  läuft  mit  der  Kan- 
nellierung  ungefähr  in  der  gleichen  Richtung,  d.  h.  von  rechts  nach  links. 

In  Spiralen  kannellierte  oder  auch  mit  Rankenwerk  umsponnene  Säulen  werden 
dann  in  der  späteren  Kaiserzeit  immer  häufiger;  besonders  an  Säulensarkophagen. 


Abb.  175. 


1)  Beispiele  oben  S.  224  f.  Vgl.  noch  Pitture  d'E.  III  S.  9  u.  91 ;  Mon.  Inst.  VI  Tfl.  53 
Bild  B.  2.    Oft  sieht  man  auch  bloß  Tänien,  wie  Mon.  Inst.  XII  Tfl.  29,  2. 

2)  PANCKOUCKE,  Descr.  de  l'Eg.  IV  Tfl.  59;  EBERS,  Ägypten  in  Bild  u.  Wort  I  S.  25. 

3)  Ebenso  die  Phokassäule.  Die  sog.  Julianssäule  in  Angora  ist  gleichsam 
horizontal  kannelliert,  die  „colonne  brülee"  des  Constantin  in  Konstantinopel  aber 
nach  Art  des  besprochenen  Kandelabers  mit  Bandstreifen  horizontal  umwickelt. 


Umwickelte  Säulen;  realistische  Wiedergabe  des  Buchs. 


281 


Dafür,  daß  auch  solche  Säule  isoliert  dasteht,  finde  ich  ein  Beispiel  auf  dem  Gefäß 
bei  GARRUCCI  Tfl.  460  Nr.  9;  auch  sie  trägt  über  dem  Kapitell  irgend  einerTGegenstand 
in  der  Form  einer  kurzen  Pyramide.    Die  Kannellierung  läuft  von  links  nach  rechts. 

Wertvoller  ist  noch  ein  Säulenrest,  den  ich  im  Lapidarium  zu  Dijon 
vorfand  und  der  im  Jahre  1863  bei  Dijon  ausgegraben  wurde.1)  Es  ist 
nur  der  obere  Teil  des 
Schaftes,  der  in  ein 
Kompositkapitell  aus- 
läuft, erhalten.  Der- 
selbe ist  wiederum 
schräg  von  links  nach 
rechts  ansteigend  mit 
zwei  Bildstreifen  um- 
wunden2), die  anschei- 
nend  ohne  bidAeiuua 

aneinanderschlossen. 
Dargestellt  ist  Wein- 
laub mit  Trauben,  die 
im  Astwerk  hängen; 
dazwischen  Amoretten 
oder  Genien.  Eine  Ab- 
bildung fehlt. 

Am  interessantesten 
auf  einem  Sarkophag- 
relief mit  Palladionraub 
eine  gewundene  ioni- 
sche Säule,  bei  Robert 
Sark.  II  Nr.  139  a.  Die 
Säule  ist  in  Wirklich- 
keit nicht  gewunden, 
sondern  umwickelt  ge- 
dacht, und  zwar  in  der 
Richtung  von  rechts 
nach   links.     Auf  ihr 

stand  aber  das  Palladion,  das  soeben  Diomedes  geraubt  hat,  und  sie  scheint 
also  der  Trajanssäule,  die  gleichfalls  ein  Standbild  trug,  zu  entsprechen. 

Nun  aber  vergleiche  man  mit  der  von  Vespignani  veröffentlichten  Säule 
die  Trajanssäule  selbst  genauer  und  man  wird  bemerken,  wie  viel  realisti- 
scher Apollodorus  die  Aufgabe,  den  Stab  mit  dem  Buch  zu  umwickeln, 


Abb.  176:  Trajanssäule. 


1)  Siehe  Catalogue  du  Musee  d'antiquit.,  Dijon  1894,  S.  26. 

2)  Diese  zwei  Streifen  waren  auseinandergebrochen  und  sind  von  moderner 
Hand  wieder  zusammengefügt. 


282 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


angefaßt  hat,  als  es  dort  geschehen.  Auf  jener  steigt  nämlich  der  Bild- 
streifen viel  zu  steil  an;  denn  wer  den  Versuch  macht,  in  so  steiler  Win- 
dung ein  Band  um  einen  Stab  zu  legen,  wird  erfahren,  daß  es  alsdann 
nicht  mehr  glatt  anliegt,  sondern  sich  bauscht  und  zieht  und  überall 
taschenartige  Falten  wirft.  Dies  ist  der  Grund,  weshalb  um  die  Trajans- 
säule die  Rolle  so  flach  und  beinahe  unmerklich  ansteigt.  Sie  sollte  eben 
glatt  anliegen,  sie  sollte  sich  nicht  werfen.  Dasselbe  Verfahren  ist  an  dem 
Säulenrest  zu  Dijon  zu  beobachten. 

Mit  dem  gleichen  Realismus  ist  dann  aber  auch  der  Rand  der  Rolle  von 
Apollodorus  behandelt;  s.  Abb.  176.  Wäre  sie  nichts  als  ein  gewöhnliches 
Relief,  das  um  die  Säule  liefe,  so  würde  die  Kurve  des  Randes  in  einer  mathe- 
matisch genau  ausgezogenen  Linie  verlaufen.  In  Wirklichkeit  dagegen  geht 
sie  uneben,  ungleichmäßig,  in  Absätzen  sich  biegend  und  dem  Zwang  der 
Wickelung  deutlich  nachgebend.  Diese  ungleiche  Behandlung  des  Relief- 
randes ist  nicht  Nachlässigkeit,  sondern  erklärt  sich  teils  aus  dem  Streben 
des  Plastikers,  die  Art  nachzuahmen,  wie  ein  Stoff  sich  zieht,  wenn  er  die 
ebene  Lage  verläßt,  teils  aber  auch  aus  der  rauhen  und  unebenen  Be- 
schaffenheit des  Randes  der  Papyrusrollen  selber,  die  hier  getreu  wieder- 
gegeben wird.  Verwandt  damit  ist  die  Behandlung  der  Streifen  in  den 
Bilderchroniken,  z.  B.  bei  Jahn,  Fragment  C1;  auch  diese  werden  nicht 
durch  scharf  gezogene  gerade  Linien  voneinander  abgetrennt,  sondern 
man  kann  auch  hier  den  Rand  eines  Bandes  zu  erkennen  meinen. 


Aber  uns  kümmert  hier  nicht  Trajan  und  Apollodor,  uns  kümmert  nur 
das  Buch  an  der  Säule.  Lassen  wir  denn  die  Säule  stehen  und  nehmen 
das  Buch  endlich  herunter.  Denn  dies  ist  für  mich  hier  das  Wichtige  und 
Wertvolle  an  dem,  was  ich  festgestellt:  es  gab  im  Rollenbuchwesen 
des  Altertums  auch  Bilderbücher  ohne  Text.  Solches  Bilderbuch 
ist  uns  in  zwei  Exemplaren  an  den  großen  Kaisersäulen  in  getreuer  Nach- 
bildung erhalten;  denn  diese  Reliefs  waren  bemalt.1) 

Die  Frage  nach  Buchillustrationen  im  Altertum  ist  in  der  letzten  Zeit 
viel  verhandelt.  Eine  Rekapitulation  dieser  Verhandlungen  zu  geben  würde 
mich  hier  zu  weit  von  meinem  Ziele  führen.  Die  meisten  Gelehrten  denken 
doch  immer  nur  an  illustrierte  Textbücher,  also  an  Lesebücher  mit  Bildern. 
Es  ist  Zeit,  daß  wir  uns  aus  dieser  Enge  der  Vorstellung  befreien.2) 
Unsre  modernen  großen  Zeichner,  wie  Schnorr  und  Schwind,  haben  doch 
die  Bibel  oder  die  deutschen  Sagen  und  Märchen  in  reinen  Bilderfolgen 


1)  Petersen,  Marcussäule  S.  103. 

2)  Ich  treffe  mit  meinen  Ausführungen  z.  T.  mit  dem  zusammen,  was  U.  V.  Wl- 
lamowitz  in  einem  Vortrage  in  der  arch.  Gesellschaft  (Jahrbuch  Bd.  13,  Anzeiger 
S.  228  f.)  angedeutet  hat. 


Bilderbücher  ohne  Text.  Ägyptisches. 


283 


ohne  Text  zu  illustrieren  vorgezogen.  Der  kunstgenießenden  oder  Beleh- 
rung suchenden  Gegenwart  sind  Bildermappen  ohne  Text  ein  ganz  not- 
wendiger Apparat,  und  sie  mit  dem  Textdruck  selbst  zu  vereinigen,  wäre 
in  vielen  Fällen  die  größte  Torheit.  Warum  setzt  man  an,  daß,  was  uns 
durchaus  unentbehrlich  scheint,  dem  erfindungsreichen  und  bilderliebenden 
Altertum  gefehlt  habe? 

So  wie  wir  bei  unsern  Untersuchungen  über  das  griechisch-römische 
Rollenbuch  von  den  Darstellungen  der  ägyptischen  Papyrusrolle  ausgingen, 
so  hat  auch  die  Beantwortung  der  Frage,  die  sich  uns  hier  jetzt  stellt,  von 
dem  ägyptischen  Bilderbuch  auszugehn.  Eingehendere  Feststellungen 
scheint  es  dafür  leider  noch  nicht  zu  geben.  Doch  ist  bekannt,  daß  bei 
den  Ägyptern  neben  der  Rolle  mit  illustriertem  Text  tatsächlich  solche,  die 
bloß  Bilder  oder  doch  Bilder  mit  nur  erklärendem  Text  enthielten,  be- 
standen haben.  Für  erstere  liefert  das  Totenbuch  in  seinen  unzähligen 
Abschriften,  die  man  überall  antrifft,  die  Hauptbeispiele.  Aus  dem  ägyp- 
tischen Museum  in  Turin1)  notiere  ich  folgendes: 

Der  Zwanzigmeterpapyrus  hat  fast  durchgängig  den  Text  unten,  während  sich 
oben  eingerahmte  Vignetten  befinden.  Auf  einem  andern  Papyrus  laufen  die  Be- 
gleitbilder oben  in  einem  langen  schmalen  Fries,  der  durch  Linien  abgetrennt  ist, 
entlang,  dann  aber  wird  auf  demselben  bisweilen  auch  eine  große  Farbenzeichnung 
von  breiter  Ausdehnung,  die  den  Platz  einer  oder  mehrerer  ganzer  Schriftseiten 
einnimmt,  dazwischen  gestellt,  welche  Zeichnung  dann  aber  ihrerseits  wieder  in 
etliche  Streifenbilder  zerfällt,  die  übereinander  stehn.  Wieder  ein  andrer  Papyrus 
hat  seine  Bilder  dagegen  mitten  im  Text,  unregelmäßig  verteilt,  so  wie  wir  heute 
mitten  in  den  Schriftsatz  kleine  Bildchen  einstreuen.  Gelegentlich  ist  auch  nur  der 
Platz  ausgespart,  und  der  Miniator  hat  seine  Zeichnung  unausgeführt  gelassen.  Oft 
endlich  stehn  ganze  Bilderstreifen  parallel  untereinander,  die  dann  wieder  gelegent- 
lich von  einem  großen  Bild  unterbrochen  werden.  Dies  letztere  ist  das  Verfahren, 
das  man  vorzüglich  aus  dem  ägyptischen  Relief  und  Wandschmuck  kennt  und  das 
bei  den  Griechen  auf  den  Tabulae  lliacae  wiederkehrt. 

Dies  waren  indes  meist  Exemplare  für  die  Toten.  Zu  den  Büchern, 
die  wirklich  den  Lebendigen  dienten,  zählen  mutmaßlich  die  satirischen 
Papyri  mit  Tierszenen,  über  die  weiterhin  zu  reden  sein  wird  (s.  Abb.  179), 
und  dies  scheinen  reine  Bilderbücher;  auch  sonst  gibt  es,  wie  ich  von 
A.  Wiedemann  angemerkt  finde2),  dergleichen  religiösen  Inhalts;  solche  sind 
z.  B.  bei  Deveria3)  I  Nr.  3  —  5.  Den  Bildern  sind  nur  Legenden  beigeschrie- 
ben.4) Aber  auch  da  endlich,  wo  ein  etwas  umfangreicherer  Text  sich 
zwischengestellt  findet,  darf  man  mitunter  von  wirklichen  Bilderbüchern 
reden;  ich  meine  die  Fälle,  wo  die  Bilder  nicht  den  Text  illustrieren,  sondern 
der  letztere  nichts  ist  als  eine  Erläuterung  der  Bilder;  siehe  z.  B.  Deveria 
II  Nr.  1,  besonders  §  9. 

1)  Vgl.  übrigens  A.  FABRETTI,  Real.  Mus.  di  Torino,  1882,  Nr.  2031-2041. 

2)  Bei  Strzyoowski  in  Denkschr.  der  Wiener  Akademie  Bd.  51  S.  171  Anm.  7 
unten  Nr.  4.  3)  Catal.  des  Mss.  Eg.  du  Louvre,  1874. 

4)  Vgl.  auch  Panckoucke,  Descr.  de  l'Egypte  V  Tfl.  44  Nr.  7. 


284 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Treten  wir  hiernach  unsrer  Aufgabe  näher.  Wennschon  es  mir  schwer 
fällt,  die  Miene  anzunehmen,  als  könnte  ich  die  Spezialkenner  dieses  reichen 
Forschungsgebietes  belehren,  muß  ich  im  folgenden  doch  einige  Gesichts- 
punkte hervorheben,  die  mir  mit  Unrecht  außer  acht  gelassen  zu  sein 
scheinen.  Auch  bin  ich  in  der  Lage,  die  bisher  bekannten  literarischen 
Zeugnisse  für  das  antike  Bilderbuch  um  einige  zu  vermehren. 

Illustrierte  Textbücher  haben  innerhalb  des  Codexbuchwesens  nichts 
Auffälliges.  Die  Codices  seit  dem  4.  oder  5t  Jahrh.  zeigen  uns,  wie  man 
in  der  Tat  in  die  Pflanzenwerke,  astronomischen  Lehrschriften,  in  die 
Komödien  des  Terenz,  in  die  Ilias,  in  den  Vergil  erläuternde  oder  auch 
unterhaltende  Bilder  einlegte.  Solche  illustrierten  Codices  bestehen  durch- 
gängig aus  Pergament,  nur  ein  Codex  chartaceus  befindet  sich  darunter, 
die  neu  bekannt  gewordene  christliche  Weltchronik  aus  Ägypten.1) 

Für  das  Rollenbuchwesen  sind  dagegen  Texte  mit  Bildern  nur  in  ge- 
wissen Grenzen  nachweisbar.  Die  Bilderreste  bei  Strzyqowski  2)  Nr.  25,  27, 
28  —  30  müssen  dabei  aus  dem  Spiel  bleiben,  da  sie  aus  Codices  chartacei 
stammen  können,  sodann  aber  auch  für  sie  nicht  nachweisbar  ist,  daß  sie 
mit  fortlaufendem  Text  verbunden  waren.  ')  Im  übrigen  erklärt  es  sich  für 
solche  Schriftstücke  wie  den  Eudoxospapyrus  von  selbst,  daß  da  geo- 
metrische Figuren  im  Text  stehen,  da  dieser  sich  auf  sie  bezieht,  ebenso 
für  die  Lehrschriften  des  Hero,  für  den  Hippokrateskommentar  des  Apol- 
lonius  Citiensis  u.  dgl.  m.  Das  aber  waren  keine  künstlerischen  Illustra- 
tionen, und  kein  Maler  zeigte  darin  sein  Talent.  Hieran  reiht  sich  Ni- 
kander,  nach  der  Mitteilung  des  Tertullian,  der  Scorp.  1  über  den  Skor- 
pion sagt:  tot  pernicies  quot  et  species,  tot  dolores  quot  et  eolores:  Nicander 
scribit  et  pingit.  Also  Nikander's  Theriaca  in  Abbildungen.  Über  die 
Skorpione  handelt  Nikander  in  den  Theriaca  v.  769  ff.  Daß  die  Bilder  im 
Text  standen,  ist  glaublich.1)  Nicht  so  unzweideutig  ist,  was  Seneca  De 
tranquill,  an.  9  schreibt,  wo  er  gegen  den  Bücherluxus  eifert:  nunc  ista 
conqnisita,  cum  imaginibus  suis  discripta  exactorumb)  opera  ingeniorum 
in  speciem  et  cultum  parietum  comparantur ;  d.  h.:  erlesene  Werke  ge- 


1)  Herausgegeben  von  A.  Bauer  und  J.  Strzygowski  in  den  Denkschriften  der 
Wiener  Akademie  Bd.  51  (1905). 

2)  In  der  soeben  zitierten  Schrift  S.  175  ff. 

3)  Vgl.  die  bekränzte,  anscheinend  thyrsustragende  Gestalt  auf  dem  Bruch- 
stück bei  S.  Reinach,  Pap.  grecs  et  demotiques  (1905)  Tfl.  Ia  und  den  bärtigen 
Oranten  in  Federzeichnung  im  Führer  durch  die  Ausstellung  der  Papyri  Erzherzog 
Rainer  S.  93  (3.  Jahrh.). 

4)  Tierbilder  zum  Nikander  sind  in  einer  Pariser  Handschrift  des  10.  Jahrh. 
erhalten;  dazu  die  7  Bilder  von  Skorpionen  im  Wiener  Dioskurides,  fol.  419  ff.  Diese 
Tierbilder  standen  gewiß  von  Anfang  an  im  Text,  nicht  dagegen  die  zahlreichen 
sonstigen  mehr  szenischen  Nikanderminiaturen  (KONDAKOFF,  l'art  byz.  I  S.  77). 

5)  exactorum  ist  meine  Vermutung;  et  sacrorum  die  Handschrift;  exactus  ist 
etwa  so  viel  wie  eruditus  und  steht  so  z.B.  bei  Martial  4,  87;  Plin.  epist.  8,  23. 


Illustrierte  Textbücher  als  Lehrschriften. 


285 


lehrter  Schriftsteller  sind  „mit  ihren  Bildern  kopiert".  Denn  discribere  steht 
hier  mit  describere  gleich.  Hier  ist  nicht  nötig,  an  einen  illustrierten  Homer 
oder  Vergil  zu  denken,  sondern  es  können  auch  unterrichtende  Werke 
nach  Art  des  Nikander  gemeint  sein.  Doch  bleibt  dies  unsicher.1)  Etwas 
deutlicher  ist  wiederum  Josephus,  der  von  der  Schriftstellerei  König  Sa- 
lomo's  phantasiert,  Antiqu.  lud.  VIII  44:  er  habe  u.  a.  auch  3000  Bücher 
„Parabeln  und  Bilder"  (ekövec)  zusammengestellt:  „denn  zu  jeder  Gestalt 
(oder  Gattung)  eines  Baumes  fügte  er  eine  Parabel  hinzu".2)  Damit  mag 
man  das  entsprechende  Werk  des  Pamphilos  vergleichen.3) 

Man  vergegenwärtige  sich  hiernach,  wie  weit  verbreitet  doch  im 
griechisch-römischen  Publikum  Bilderbücher  gewesen  sein  müssen,  wenn 
Josephus  in  dieser  Weise  gleich  mit  tausenden  von  Exemplaren  um  sich 
werfen  konnte. 

Vor  allem  aber  ist  zu  beachten,  daß  Nikander,  wenn  wir  Tertullian's 
Zeugnis  wörtlich  nehmen,  sein  Lehrgedicht  mit  Tierbildern  selbst  versehen 
hat  (scribit  et  pingit).  Darin  befolgte  er  das  Verfahren  der  Prosalehrbücher, 
das  wir  aus  Hero  kennen.  Ebenso  dachte  sich  Josephus  das  Verfahren 
Salomo's.  Ebenso  stand  es  aber  auch  mit  den  frechen  Büchern  der 
Hetäre  Elephantis  über  den  Beischlaf,  die  gleichfalls  hierher  gehören. 
Es  waren  mehrere1),  und  sie  enthielten  sowohl  Bilder5)  als  auch  Lehrtext.6) 
Das  Werk  war  zweifellos  von  der  Verfasserin  selbst  von  vorne  herein  auf 
beides  angelegt.7)  Nicht  anders  legte  später  auch  Eusebius  selbst  in 
sein  sog.  Onomasticon  urbium  et  locorum  S.  Scripturae  eine  einzelne  pic- 
tura,  die  Jerusalem  und  den  Tempel  darstellte,  cum  brevissima  exposiüone 
ein0),  und  bei  Prudentiusy)  registriert  ein  Engel  die  letzten  Aussprüche 
eines  Märtyrers  und  malt  zugleich  seine  Wunden  daneben,  als  Material 

1)  Seneca  dachte  vielleicht  auch  nur  an  die  Porträts  der  Autoren,  mit  denen 
ihre  Bücher  eröffnet  wurden.  Er  erwähnt  kurz  zuvor  orationes  und  historiae;  also 
Redner  und  Historiker?  Auch  an  Tiergeschichte,  historia  naturalis,  ließe  sich 
dabei  denken. 

2)  cuv6TdEaxo  öe  Kai  ßißXia  Trepi  wbwv  Kai  ixeXüüv  Trevre  irpöc  toTc  xi^oic  Kai 
irapaßoXüuv  Kai  ekövujv  ßißXouc  TpicxiXiac'  Ka9'  e'Kacrov  YaP  eiöoc  bevbpou  irapaßoÄ.riv 
errrev.  Ich  weiß  wohl,  daß  ekövec  auch  Gleichnisse  bedeuten  kann;  doch  führt  das 
folgende  eiboc  öevbpou  auf  die  oben  gegebene  Interpretation;  und  das  Voraufgehende 
bestätigt  sie;  denn  den  Parabeln  mit  Bildern  entsprechen  die  Musikbücher,  in  denen 
sich  Lieder  mit  Melodien  befanden:  ßißXia  uepi  uj&üjv  ical  ijeXiijv. 

3)  Ich  meine  die  6  Bücher  irepi  ßoravwv,  die  bei  Suidas  den  Titel  haben  eiKÖ- 
vac  Kard  croixexov.    Näheres  bei  A.  DIETERICH,  Fleckeis.  Jbb.  Suppl.  Bd.  16  S.  781  ff. 

4)  Sueton  Tiber.  43. 

5)  Siehe  Priapeum  4;  FRIEDLÄNDER  zu  Martial  12,  43. 

6)  Plin.  nat.  hist.  28,  81. 

7)  Über  die  Hermeneumata  Leidensia  des  sog.  Dositheus  magister  im  Corp.  gloss. 
lat.  Bd.  III  s.  unten  S.  303  f.  Waren  sie  wirklich  mit  Bildern  illustriert,  wie  Michaelis 
und  MAASS  annahmen,  so  war  es  der  Autor  selber,  der  Text  und  Bilder  verband. 

8)  Hieron.  De  situ  et  nom.  locorum  Hebr.,  praef. 

9)  Romanushymnus  v.  1121  ff. 


286 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


für  die  „Regesten",  nach  denen  Gott  als  Richter  sein  Urteil  sich  bil- 
den soll.1) 

Alles  dies  sind  Lehrschriften  oder  doch  Schriften,  deren  Bilder  nur 
demonstrieren  sollten  und,  so  viel  wir  erkennen  können,  unmalerisch  ohne 
Hintergrund  und  Raumtiefe  angelegt  wurden.  Für  einen  epischen  oder  er- 
zählenden Text  kenne  ich  eingelegte  Miniaturen  auf  gerolltem  Papyrus  nur 
in  einem  Falle:  es  ist  der  von  der  Bibliotheque  nationale  in  Paris  neu 
erworbene  Papyrus,  Supplem.  grec  12942):  der  Rest  eines  Romans,  wie 
es  heißt,  aus  dem  1.  oder  2.  Jahrh.  nach  Chr.,  in  dessen  Text  die  Bilder- 
chen  wiederum  nur  als  Erläuterung  verstreut  sind;  keine  Einrahmung  hebt 
sie  ab;  ein  selbständiger  Kunstwert  oder  die  Absicht,  das  Auge  fesseln  zu 
wollen,  scheint  zu  fehlen.3) 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  man  bei  Erörterung  dieser  Fragen  prin- 
zipiell zwischen  Werken,  die  der  Verfasser  selbst  mit  Bildern  versah,  und 
solchen  Lesebüchern  unterscheiden  muß,  zu  denen  erst  nachträglich  Bilder 
erfunden  worden  sind.  Zu  ersteren  stellen  wir  nicht  nur  Hero,  Eudo- 
xus  usw.,  sondern  auch  die  illustrierten  Kalender  (Philocalus)  und  Chronik- 
werke (die  erwähnte  christliche  Weltchronik),  vorausgesetzt,  daß  sie  auf 
Vorlagen  in  Rollenform  zurückgehn:  Schriftwerke,  in  denen  die  Bilder  reich- 
lich so  viel  Platz  einnehmen  wie  der  Text  und  die  dabei  den  üblichen 
Buchumfang  an  Seitenzahl  doch  nicht  überschritten  zu  haben  brauchen. 
Andrerseits  scheinen  in  dem  Pariser  Romanpapyrus  die  Miniaturen  so 
wenig  Raum  zu  beanspruchen,  daß  die  Rolle  nicht  wesentlich  durch  sie 
verdickt  wurde,  und  der  Erzähler  kann  sein  Buch  gleichfalls  selber  auf  Illu- 
strierung angelegt  haben,  in  der  Weise,  wie  dies  Elephantis  getan. 

Hieran  reihen  sich  noch  die  sog.  Carmina  figurata  des  Altertums ,  die  im 
Hellenismus  aufkamen.  Wenn  Simias  ein  Beil,  ein  Ei  oder  Erosflügel  aus  Versen 
herstellte,  wenn  sich  in  den  Theokritbüchern  ebensolche  Nachbildung  einer  Syrinx 
fand,  andere  wieder  einen  Altar,  eine  Sphäre,  einen  Thron  dichteten  und  endlich 
Laevius  seine  Sammlung  mit  einem  Pterygion  Phoenicis  von  gleicher  Beschaffen- 
heit abschloß4),  so  gehört  auch  dies  in  die  Geschichte  des  antiken  Bilderbuchs. 
Denn  nur  durch  dies  können  solche  Spielereien  angeregt  worden  sein.  Es  mag 
sein,  daß  solche  Machwerke  auch  zu  andren  Gedichten  als  Beigabe  hinzugefügt 
worden  sind.  Nachweisen  läßt  sich  jedenfalls,  daß  sie  selbständig  gingen  und 
je  ein  Buch  ausmachten. B) 

1)  Miniaturen  zum  Komanushymnus  kenne  ich  nur  aus  der  Berner  Handschrift 
bei  R.  Stettiner,  Die  illustrierten  Prudentiushss.,  1905,  Tfl.  161  ff.:  fünf  mehrfigurige 
Szenen.  Diese  entsprechen  durchaus  nicht  dem  medizinischen  Abmalen  der  Wunden, 
von  dem  Prudentius  selbst  redet. 

2)  Eine  kurze  Notiz  über  ihn  gibt  S.  DE  Ricci  in  Revue  des  etudes  grecques 
XV  S.  447 f.,  wonach  das  Stück  sich  schon  seit  etwa  20  Jahren  in  Frankreich  be- 
funden hat.    Eine  Veröffentlichung  steht  bevor. 

3)  Genaueres  gibt  Strzyqowski  a.  a.  0.  S.  174  nach  Mitteilungen  RlCCl's. 

4)  Siehe  HÄBERLIN,  De  figuratis  carminibus  gr.  (1886);  Susemihl,  Gr.  Literatur 
der  Alexandrinerzeit  I  S.  181  ff.;  Reitzenstein  im  Piniol.  65  S.  157  ff. 

5)  Daß  ein  „Flügel"  ein  einzelnes  Buch  füllt,  lehrt  die  tepd  ßußXoc  einKa\ou- 
pivn.  TTrepuS  bei  Dieterich,  Abraxas  S.  170,  8.    Kürzere  TTTepirriOuaTa  wurden  auf 


Nachträgliche  Illustrierung  erzählender  Werke. 


287 


Von  allen  diesen  Bildern  im  Rollenbuch  sind  nun  die  Miniaturen  zu 
Vergil,  zur  Genesis,  zum  Psalter  usf.,  wie  man  auf  den  ersten  Blick  er- 
kennt, wesentlich  und  grundsätzlich  verschieden.  Denn  sie  sind  sämtlich 
zu  den  betreffenden  Schriftwerken  erst  nachträglich  und  ohne  Vorwissen  des 
Autors  hinzuerfunden,  und  dabei  stellen  sich  nun  gerade  diese  Bilder  als 
Bilder  dar  von  beträchtlichem  Umfang,  von  sorgfältiger  Komposition  und  als 
solche,  die  zweifellos  zu  ihrer  Zeit  auch  mit  Absehung  ihrer  Beziehung  zum 
Text  einen  selbständigen  Kunstwert  beanspruchten  und  ohne  Text  verstanden 
und  genossen  werden  konnten.  Daß  aber  auch  diese  Bilder  auf  das  Papyrus- 
buchwesen zurückgehen  müssen  und  einstmals  auf  Rollen  standen,  beweist 
ihr  Alter,  besonders  das  Alter,  das  den  Vergilbildern  zukommt.  Hier  steht 
also  eine  höhere  Gattung  von  gerolltem  Bilderbuch  vor  uns,  über  die  sich 
unsre  Anschauungen  erst  noch  zu  klären  haben.  Vorläufig  kann  uns  weder 
sie  noch  gar  die  vorherbesprochene  zum  Verständnis  der  Trajanssäule 
dienen.1) 

Einzelblätter  (TrexaAa)  geschrieben;  s.  ebenda  S.  200  f.  Das  Vorbild  für  diese  Flügel- 
form war  wohl  der  Flügel  der  Fledermaus,  auf  dem  sich  wirklich  schreiben  ließ; 
dies  geschieht  tatsächlich,  an  einem  lebenden  Tiere,  Papyrus  magica  ed.  Dieterich 
col.  XI  26  f.  So  wie  man  auf  den  Flügel  der  schlaflosen  Fledermaus  Worte  schrieb, 
die  die  Schlaflosigkeit  betrafen,  so  auf  den  Flügel  des  Eros  Liebesverse,  auf  den 
des  Phönix  Worte,  die  auf  sein  Wesen  Bezug  hatten.  Bei  Laevius  trifft  das  letztere 
freilich,  soweit  sich  dies  erkennen  läßt,  nicht  zu;  übrigens  ist  bei  ihm  die  An- 
nahme möglich,  daß  jedes  seiner  Bücher  je  eine  „Ode"  enthielt  und  daß  sein  Ptery- 
gion  als  novissima  ode  sein  letztes  Buch  ausmachte.  Seine  Bücher  werden  bald 
mit  Buchzahlen,  bald  mit  Sachtiteln  zitiert. 

1)  Die  Ausführungen  Strzyqowski's  a.  a.  0.  S.  179  ff.  sind  dankenswert,  da  sie 
mancherlei  neues  Material  heranziehen.  Weshalb  jedoch  die  Klassifikation  der 
Miniaturen,  die  er  versucht  hat,  nicht  bestehen  kann,  ist  schon  mit  dem  oben  Ge- 
sagten angedeutet.  Denn  wenn  Strzygowski  die  Einrahmung  betont  und  von  den 
gerahmten  Miniaturen  auf  Pergament  glaubt,  daß  sie  und  grade  nur  sie  von  vorn 
herein  für  Pergament  erfunden  seien,  so  bedenkt  er  nicht,  daß  einige  unter  ihnen 
wahrscheinlich,  andere,  wie  die  zu  Vergil's  Georgica,  sicher  auf  Zeiten  zurückgehen, 
für  die  sich  die  Membrane  als  das  übliche  Material  absolut  nicht  nachweisen  läßt. 
Wäre  die  Membrane  speziell  für  Malereien,  im  Unterschied  vom  Lesebuch,  in  so 
frühen  Zeiten  beliebt  worden,  so  würde  irgend  ein  Autor  wie  Plinius,  da,  wo  Per- 
gament und  Charta  einander  gegenübergestellt  werden,  uns  dies  sagen.  Dies  ist 
aber  nicht  der  Fall.  Wir  sind  nicht  berechtigt,  einen  allgemeineren  Gebrauch  der 
Membrane  vor  dem  Ende  des  2.  Jahrh.  nach  Chr.  anzusetzen.  Strzygowski  zitiert 
mit  Gewicht  die  Aeneide  auf  Membrane,  die  Martial  XIV  186  erwähnt  und  die  vorn 
wenigstens  ein  Porträt  des  Dichters  enthielt.  Wie  es  mit  diesem  Exemplar  stand 
und  daß  seine  Malerei  gering  geschätzt  wurde,  geht  schon  aus  dem,  was  ich  S.  32  f, 
ausgeführt,  hervor.  Bestätigt  wird  dies  dadurch,  daß  Martial  nur  von  dem  Gesicht 
(vulfus)  Vergil's  spricht,  das  da  zu  sehen  war.  Das  Bild  war  also  nicht  entfernt  mit 
dem  auch  an  Beiwerk  reichen  Vollbild,  das  uns  im  Vergilcodex  R  den  Dichter  ver- 
gegenwärtigt (unsre  Abb.  112),  zu  vergleichen,  sondern  gab  nichts  als  sein  Gesicht,  sein 
Büstenbild.  Solche  Büstenbilder  in  kümmerlichster  Ausführung  liebt  auch  die  Notitia 
dignitatum  oder  die  erwähnte  illustrierte  Weltchronik.  Das  war  das  Dürftigste,  was 
sich  denken  ließ.  Ich  verweise  auch  auf  den  Vergilkopf,  den  uns  das  Trierer  Mosaik 
des  Monnus  gibt.  Mit  derselben  Sicherheit  also,  mit  der  Strzygowski  noch  für  die 
Josuarolle  eine  Vorlage  auf  Charta  voraussetzt,  tun  wir  dasselbe  für  Vergil,  Genesis 


288 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Auch  die  Trajanssäule  gibt  Illustrationen,  nämlich  zu  dem  Prosa- 
werk Trajan's  über  die  Dakerkriege.  Aber  diese  Bilder  stehen  ohne  den 
Text  in  einer  besonderen  Rolle  für  sich.  Für  dies  Prinzip  haben  wir 
rückblickend  auf  jene  ägyptischen  Rollen  zurückzugehen,  die,  wie  wir  sahen, 
vorwiegend  nur  Bilder  und  dazu  nur  kurzen  erläuternden  Text  enthalten.  Ich 
frage  wieder:  soll  das  in  der  Zeit  der  klassischen  Völker  nicht  auch  sonst 
Nachahmung  gefunden  haben?  Das  ist  unmöglich.  Schon  die  Pergamentrollen 
des  Vatikan  mit  dem  gemalten  Stammbaum  Christi,  der  sich  darin  über 
2  — 3  m  Länge  erstreckt1),  verraten  uns,  daß  die  Rolle  auch  solchen  Zwecken 
dienen  konnte.  Solche  Rolle  ist  auch  die  Tabula  Peutingeriana  aus  dem 
13.  Jahrh.,  eine  Reisekarte  auf  Pergament,  34  cm  breit  und  gegenwärtig 
noch  6,82  m  lang.-')  Die  schönste  und  nächstliegende  Analogie  zur  Trajans- 
säule aber  haben  wir  ja  im  Josuarotulus;  dies  hob  schon  Wickhoff, 
Wiener  Genesis  S.  93,  hervor.  Die  Josuarolle  ist  sonst  einzig  in  ihrer  Art. 
Sie  ist  —  vielleicht  erst  im  9.  Jahrh.  —  auf  Pergament  hergestellt  worden: 
zweifellos  eine  einfache,  aber  abkürzende  Übertragung  aus  einer  Papyrus- 
rolle. Wie  viel  reicher  würden  wir  sein,  wenn  dies  Verfahren  öfter  an- 
gewandt worden  wäre!  Auch  dies  ist  nun  die  kontinuierende  streifen- 
förmige Darstellung  des  Verlaufs  eines  Kriegs  und  der  Großtaten  eines 

und  Psalter.  —  Dazu  kommt,  daß  wir  von  den  Papyrusminiaturen  doch  viel  zu  wenig 
Proben  erhalten  haben,  um  behaupten  zu  können,  daß  sie  nie  eine  rahmenartige 
Einfassung  erhielten.  Im  Gegenteil:  die  altägyptischen  illustrierten  Papyri  zeigen  ja 
diese  Einrahmung  überall,  und  es  ist  nicht  gestattet,  von  ihnen  abzusehn.  Andrer- 
seits findet  sich  das  Fehlen  der  Rahmung  auch  in  den  Pergamentminiaturen,  wie 
zum  Terenz,  zum  Physiologus,  zum  Prudentius  und  zum  Aesop.  Übrigens  kann 
diese  Einfassung  oft  auch  erst  bei  Isolierung  der  Bilder  im  Codex  nachträglich 
hinzugefügt  sein,  wie  z.B.  Brockhaus  annahm;  warum  dies  nicht  möglich  sein  soll, 
sehe  ich  nicht  ein.  Wahr  ist,  daß  die  Psalterbilder  und  auch  die  Vergilischen  als 
Einzelbilder  komponiert  sind;  aber  das  gilt  auch  z.  B.  von  den  Qerichtsszenen  auf 
dem  gemalten  Fries  im  Thermenmuseum  (Helbiq,  Führer  Nr.  1124),  und  sie  sind 
doch  eben  friesartig  aneinander  aufgereiht.  Der  biblische  Cyklus  in  S.  Maria 
Maggiore  setzt  sich  gleichfalls  als  Fries  aus  lauter  selbständigen  Bildern  zusammen. 
Auch  in  der  Buchrolle  können  demnach  die  Bilder  zum  Vergil  so  nebeneinander 
gestanden  haben.  Den  Terenzbildern  aber  sowie  den  Prudentiusbildern  ist  mit  der 
sog.  Papyrusminiatur  das  Eigentümliche  gemeinsam,  daß  ihnen  jeder  Hintergrund 
fehlt.  Beide  Darstellungsarten,  die  gerahmte  und  ungerahmte,  die  mit  und  ohne 
Hintergrund,  haben  natürlich  so  gut  auf  Papyrus  wie  auf  Pergament  angewendet 
werden  können. 

1)  Pergamentrolle,  Vaticanus  lat.  3783,  saec.  XII,  und  3782  (jünger).  Erstere 
Rolle  ist  0,362  m  hoch  und  etwa  2,50  m  lang;  die  Blätter,  aus  denen  sie  sich  zu- 
sammensetzt, sind  von  verschiedener  Breite,  0,57,  aber  auch  0,47.  Die  zweite 
Rolle  ist  0,409  m  hoch  und  etwa  3,25  m  lang.  Der  astreiche  Baum  hebt  oben 
mit  Adam  und  Eva  an  und  reicht  unten  bis  zum  Ende  der  Rollen.  Rechts  und  links 
steht  Schrift  daneben.  Überschrift  in  Nr.  3782:  Origo  Christi  per  hystorias  biblie. 
Beide  Rollen  entbehren  des  Rollenstabs  und  halten  sich  gleichwohl  vortrefflich. 

2)  Solche  Karte  hieß  Pinax.  Bei  Herodot  V  49  wird  sie  auf  der  Holztafel  ein- 
geschnitten (evT6Tur|f.ievr|).  Später  erfuhr  sie  Vervielfältigung;  so  redet  Ptolemäus 
Geogr.  I  6,  1  von  mehreren  exööceic  des  irivaE  des  Marinus.  Diese  «öoceic  werden 
buchmäßige  Rollenform  gehabt  haben.    Vgl.  noch  oben  S.  219. 


Josuarolle;  Wiener  Genesis  u.  a.  aus  Rollen  kopiert. 


289 


einzelnen  Kriegshelden,  und  zwar  in  23  Bildern1);  und  Josua's  Gestalt  kehrt 
hier  überall  ebenso  wieder  wie  auf  der  Säule  die  Trajan's.  Auch  Personi- 
fikationen von  Städten,  Bergen  und  Flüssen  fehlen  nicht.  Trajanssäule, 
Marcussäule,  Josuarotulus  sind  rechte  Geschwister  und  von  einem  Ge- 
danken erzeugt.    Gab  es  mehr  Werke  dieser  Art? 

Wickhoff  knüpfte  daran  in  seiner  weitausschauenden  Art  die  Be- 
merkung: „Es  wäre  noch  zu  untersuchen,  ob  nicht  alle  historischen  Bücher 
der  Bibel  in  solchen  Rollen  vorlagen?"  In  der  Tat,  auch  für  die  Bücher 
Mose,  für  die  das  Josuabuch  ja  nur  die  Fortsetzung  war,  ließe  sich  das  er- 
warten, und  schon  die  Wiener  Genesis  lehrt  uns  meines  Erachtens,  daß 
eben  auch  die  Genesis  selbst  so  umging.  Wir  können  aus  ihr  ersehen, 
wie  die  Übertragung  aus  der  Bilderrolle  in  den  Codex  vor  sich  ging. 
Denn  die  Handschrift  ist  so  angeordnet,  daß  der  Bibeltext  nur  auf  den 
oberen  Hälften  der  Seiten  steht,  die  Bilder  selbst  dagegen  immer  nur  die 
unteren  Seitenhälften  ohne  Einschränkung  und  in  voller  Breite  einnehmen. 
Warum  wurde  nicht  gewechselt?  warum  nicht  nach  Belieben,  wie  es  der 
Text  mit  sich  brachte,  das  Bild  bald  oben,  bald  unten  eingefügt?  Um  für 
das  Auge  die  Kontinuität  von  Bild  zu  Bild  zu  wahren.  Es  sollte  nach 
Möglichkeit  eins  an  das  andere  genau  so  anschließen,  wie  dies  in  der 
Rolle,  die  als  Vorlage  diente,  der  Fall  war.  Ganz  ebenso  stehen  auf  dem 
mosaizierten  Fries  von  S.  Maria  Maggiore  zu  Rom  die  Einzelbilder  aus 
der  heiligen  Geschichte  nebeneinander,  und  es  wird  damit  dasselbe  er- 
reicht. Die  unteren  Seitenhälften  der  Genesis  sind  die  Kopie  einer  Bilder- 
rolle ohne  Text. 

Wir  haben  jedoch  noch  weitere  Zeugnisse,  und  insbesondere  die 
Schöpfungsgeschichte  und  was  unmittelbar  auf  sie  folgt,  war  für  solche 
Illustrierung  ein  Lieblingsgegenstand.  Dafür  bürgt  die  Alcuinbibel  in 
Bamberg,  in  welcher  ein  großes  Blatt  im  Unterschied  von  den  übrigen  mit 
vier  kontinuierenden  Bilderreihen  des  genannten  Inhalts  ausgefüllt  ist,  die 
in  Streifen  untereinander  stehn,  als  solche  Streifen  sorglich  eingefaßt  und 
mit  Beischriften  versehen  sind.  Wer  sich  das  ansieht,  erkennt  sogleich: 
da  haben  wir  die  Ilischen  Tafeln  im  Codex!  Schon  Janitschek  hat  dies 
treffend  bemerkt.2)  Die  frühkarolingische  Zeichnung  ist,  wie  derselbe  Ge- 
lehrte darlegte,  nach  einer  Vorlage  des  5.  Jahrh.  hergestellt.  Die  Bilder- 
folge in  Streifenform  ist  die  der  Papyrusrolle. 

Ein  noch  beredterer  Zeuge  aber  ist  die  Kathedrale  in  Nimes,  aus 
dem  11.  Jahrh.  Die  Fassade  dieses  Baues  ist  ein  klassischer  Archaismus 
(denn  die  griechisch-römischen  Erinnerungen  haben  in  Südfrankreich  durch 
das  ganze  Mittelalter  nachgewirkt);  sie  ist  es  auch  dadurch,  daß  sie  das 


1)  Siehe  GARRUCCI  Tfl.  157-167;  Ser.  d'Agincourt  V  Tfl.  28  ff. 

2)  Siehe  Die  Trierer  Adahandschrift,  Leipzig  1889,  Tfl.  24  und  Vorwort  S.  75. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  19 


290 


V,  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Giebelfeld  eines  Tempels  als  Schmuck  trägt,  das  der  Maison  carree  in 
Nimes  mit  Liebe  nachgebildet  ist.  Hart  unterhalb  dieses  klassischen  Schmucks 
befinden  sich  an  ihr  nun  weiter  dieselben  Anfangsgeschichten  der  Genesis 
in  einem  einzigen  langgezogenen  Reliefstreifen,  eine  kontinuierende  Erzäh- 
lung, in  der  eben  durch  den  Reliefstreifen  die  Buchform  der  offnen  Josua- 
rolle  getreu  und  auf  das  natürlichste  gewahrt  ist.  Auch  daß  der  Zophoros 
sich  so  hoch  und  unmittelbar  unter  dem  Gesims  hinzieht,  ist  ein  antiker 
Gedanke.    Wer  sich  dorthin  begibt,  den  kann  der  Augenschein  belehren. 

Die  Anordnung  der  Bilder,  die  wir  in  der  Wiener  Genesis  vorfanden, 
kehrt  aber  sehr  ähnlich  und  noch  deutlicher  friesartig  im  Codex  Rossa- 
nensis  (des  6.  Jahrh.?)  wieder.  Hier  handelt  es  sich  um  einen  Cyklus  aus 
dem  Leben  Jesu.  Neun  Bilder  sind  es,  die  da  auf  fol.  1—4  und  zwar  alle 
auf  den  schmaleren  oberen  Seitenhälften  nebeneinander  geordnet  stehn. 
Der  Umstand,  daß  der  Text  auf  diese  Bilder  erst  nachfolgt,  verrät,  daß  sie 
selbständig  gingen;  der  Inhalt,  Lazari  Erweckung  bis  zum  Gebet  in  Geth- 
semane, verrät,  daß  der  Cyklus  unvollständig  und  daß  der  Anfang  weg- 
gelassen ist.  Auf  dem  fol.  5  folgt  erst  das  Titelblatt.  Endlich  haben  diese 
Miniaturen  die  Gestrecktheit  des  Formats,  die  auf  eine  Frieskomposition  als 
Ursprung  hinweist.  Fol.  7  und  8  bringen  Nachträge;  auf  fol.  8  stehen  die 
Bilder  vielmehr  auf  der  schmaleren  unteren  Seitenhälfte,  während  die  obere 
größeren  Bildszenen  eingeräumt  ist.1) 

Ähnliche  Vorstellungen  erweckt  der  Pariser  Psalter.  Von  seinen 
14  Bildern  erzählen  die  Hälfte  das  Leben  des  Königs  David,  illustrieren  also 
gar  nicht  den  Psaltertext.  Dazu  haben  sie  stark  antikes  Gepräge  und  er- 
innern an  pompejanische  Wandbilder.  Auch  dies  also  ein  z.  T.  byzantinisch 
umgeprägtes,  aber  antikes  Historienbuch  in  Bildern,  der  Auszug  aus  einem 
Davidleben.3)  Die  Kirchentür  des  hl.  Ambrosius  zu  Mailand,  aus  dem  4.  Jahrh., 
bringt  eine  Bestätigung:  auch  sie  gibt  solches  Davidleben,  und  zwar  noch 
in  der  ursprünglichen  Streifenform.3) 


1)  Auf  dem  gestreckten  Bilde  fol.  7b  ist  die  äußerste  Figur  am  Rand  rechts 
nur  halb  zu  sehen.  Ob  daran  die  Heftung  der  Handschrift  die  Schuld  trägt?  oder 
gelang  es  dem  Kopisten  nicht,  die  Eckfigur  der  Vorlage  ganz  mit  zu  übernehmen? 
Über  einen  ähnlichen  Fall  in  den  Terenzbildern  siehe  unten  S.  293  Anm.  3. 

2)  Vgl.  Bordier,  Descr.  des  peintures  dans  les  Mss.  grecs  de  la  bibl.  nat., 
Paris  1883,  S.  108  f.  Sieben  Bilder  sind  dem  Psalter  vorangestellt,  und  auf  der 
Rückseite  sind  die  Blätter  nicht  beschrieben.  J.  Tikkanen  S.  125  setzte,  um  ihren 
klassischen  Typus  zu  erklären,  an,  daß  in  des  Constantinos  Porphyrogennetos  Zeit 
in  Byzanz  eine  antikisierende  Mal-  und  Zeichenkunst  aufgekommen  sei;  vgl.  auch 
N.  Kondakoff,  L'art  byzantin  (1891)  II  S.  30  ff.  Ein  Antikisieren  aber  konnte  nur 
auf  Grund  von'  alten  Musterbüchern  geschehen,  und  man  kommt  damit  eben  doch 
immer  zur  Annahme  von  antiken  Vorlagen. 

3)  Vgl.  Ad.  Goldschmidt,  Die  Kirchentür  des  hl.  Ambrosius  in  Mailand  (1902): 
die  Einzelbilder  der  Tür  sind  auf  je  zwei  Streifen  verteilt  nach  Art  der  Basis  Casali 
und  der  Tabulae  Iliacae;  siehe  unten  S.  303. 


Codex  Rossanensis  u.  a.  aus  Bilderrollen  kopiert.  Bernwardsäule.  291 


Dazu  kommt   endlich   aber  noch   die  Ber 
heim,  ein  Bronzewerk  von  4  m  Höhe,  das  die 
ahmt;    sie    hat    mutmaßlich    als  Osterleuchter 
das    Jahr    1022   verfertigt  worden.1)     Hier  ist 
rechts  nach  links  laufende  Buch  mit  einem 
kontinuierenden,  figurenreichen  Leben  Christi 
angefüllt;    s.  Abb.  177;    damit    steht  uns 
also  die  christliche  Bilderrolle  gradezu  vor 
Augen.     Und   nach   irgend  einer  Vorlage 
müssen  die  Szenen  des  Reliefs  doch  kom- 
poniert sein;  es  liegt  nahe,  für  diese  Vor- 
lage ein  Buch  nach  Art  der  Josuarolle  zu 
vermuten.    Die  Säule  gibt  28  Szenen;  die 
Josuarolle  23. 2) 

Der  Leser  sieht,  welche  Tragweite  diese 
Nachweise  für  die  Beurteilung  der  sonstigen 
erhaltenen  illustrierten  Handschriften  haben. 
Er  wird  mir  daher  nur  zögernd  folgen  und 
die  Forderung  stellen:  beweise  mir  erst,  daß 
in  den  Schreibstuben  des  angehenden  Mit- 
telalters Bilderrollen  als  Vorlagen  wirklich 
verwendet  wurden.  Dies  nenne  ich  freilich 
viel  gefordert.  Denn  da  wir  die  Bilder- 
rollen nicht  mehr  besitzen,  müßte  ein  wun- 
derbarer Zufall  helfen.  Aber  die  Josua- 
rolle haben  wir  ja;  die  Hilfe  ist  da,  und  die 
Forderung  läßt  sich  wirklich  erfüllen,  oder 
sie  ist  schon  seit  langem  erfüllt.  Ich  spreche 
vom  Oktateuch  zu  Watopädi,  einer  Folio- 


nwardsäule    zu  Hildes- 
Trajanssäule  selbst  nach- 
gedient   und    ist  gegen 
das   um   den  Stab  von 


1)  Siehe  Lübke-Semrau,  Die  Kunst  des 
Mittelalters  (1905)  S.  221  Fig.  244;  besonders 
St.  Beissel,  Der  hl.  Bernward,  1895,  Tfl.  XI. 
Dazu  F.  Diebelius  in  der  Zeitschr.  des  histor. 
Vereins  für  Niedersachsen,  1906,  S.  195  ff. 

2)  Daß  Bernward  hier  älteren  Vorlagen  folgt 
und  die  Antike  hier  mehr  eingewirkt  hat  als  in 
anderen  Sachen  der  damaligen  Hildesheimer 
Kunst,  bemerkt  Beissel  S.  49.  Bei  der  Taufe 
Christi  ist  der  Jordan  mit  der  Urne  zu  sehen. 
Gleichwohl  sind  im  Detail  Modernisierungen 
deutlich  (ebenda  S.  48  Nr.  22).  Folgt  die  Dar- 
stellung nicht  ausschließlich  einem  der  Evange- 
lien, so  war  das  schon  die  Gepflogenheit  des 
Altertums. 


'W  i  iIIMIiiii.iH  , 


Abb.  177:  Bernwardsäule. 
19* 


292 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


handschrift  des  11.  bis  12.  Jahrhunderts.  H.  Brockhaus,  Die  Kunst  in  den 
Athosklöstern  (1891)  S.  212-216,  hat  gezeigt,  daß  die  sechzig  Josuabilder 
dieses  Prachtwerks  mit  denen  der  Rolle  auf  das  genaueste  übereinstimmen 
(auch  die  Flußgötter  und  allegorischen  Städtefiguren  fehlen  nicht),  und  den 
Schluß  bereits  gezogen,  daß  da  entweder  diese  selbst  kopiert  worden  ist 
oder  doch  ein  sehr  ähnliches  Exemplar.  Das  letztere  ist  richtig;  es  ist 
aber  überdies  erwiesen,  daß  auch  die  zwei  illustrierten  Oktateuche  des 
Vatikan  auf  eine  ähnliche  Vorlage  in  Rollenform  zurückgehen.1)  Solche 
Rolle  kann  demnach  auch  Bernward  gesehen  haben.  Und  nun  zeigt  uns 
eine  vatikanische  Miniatur  endlich'-')  wirklich  in  einer  Schreibstube,  wo  im 
Codex  geschrieben  wird,  eine  weit  offen  hängende  Rolle;  gewiß  eine  Vor- 
lage. Da  sehen  wir  also,  wie  aus  Rollen  kopiert  wird.  So  haben  es 
auch  die  Miniaturmaler  gemacht. 

Wir  sagen  also  im  Anschluß  an  Brockhaus:  ein  Illuminator  war  ein 
Exzerptor.  Er  exzerpierte  ein  Bilderbuch,  hob  die  Einzelszenen  aus,  um- 
rahmte sie  und  stellte  sie,  die  Folge  der  Zeilen  unterbrechend,  bald  oben, 
bald  unten,  bald  mitten  in  den  Text  hinein.  Die  Größe  der  Bilder  schwankt 
dabei  nach  Bedarf.    Beliebt  ist,  daß  sie  mehr  breit  als  hoch  sind. 

Was  hiermit  von  den  Bildern  der  Genesis  und  des  Josua  gilt,  kann 
ferner  auch  von  denen  zum  Vergil  gelten,  die  in  den  Schedae  Vaticanae  F 
eingetragen  vorliegen.  ')  Denn  zwischen  Profantext  und  Bibeltext,  zwischen 
Historie  und  Epos  war  kein  Unterschied.  Für  epische  Texte  mit  ein- 
gelegten Miniaturen  in  Rollenform  haben  wir  kein  Zeugnis.  Wohl  aber 
zeigen  die  Bilderchroniken  auf  Stein,  die  Tabulae  lliacae,  daß  zu  Unter- 
richts- oder  Unterhaltungszweck  die  Vorführung  bloßer  Abbildungen  beliebt 
war.  Die  Texte  selbst  hatte  man  ja  meist  auf  der  Knabenschule  auswendig 
gelernt.  Es  war  ein  Vergnügen,  ihn  an  den  Bildern  zu  repetieren.  Das 
war  überhaupt  das  Prinzip  der  antiken  Schilderei:  die  Vasenbilder,  die  aus 
Epos  und  Tragödie  schöpften,  die  Homerbecher,  die  Sarkophage  machten 
es  ja  nicht  anders.  Am  nützlichsten  aber  ist  es,  hier  sich  Werke  wie  den 
Bildercyklus  der  Odyssee  in  der  Bibliothek  des  Vatikan  oder  den  Iliascyklus 
im  Apollotempel  Pompeji's4)  vor  Augen  zu  halten.   Dies  sind  wichtige  Ana- 


1)  Siehe  J.  Strzygowski  im  Byzantinischen  Archiv  Heft  2  (1899)  S.  120  f. 

2)  BEISSEL,  Vatikanische  Miniaturen  Tfl.  X.  Vgl.  auch  Swarzenski,  Regens- 
burger Buchmalerei  Tfl.  35:  die  Evangelisten  schreiben  hier  in  Codices,  ihre  symboli- 
schen Tiere  aber,  Ochs  oder  Adler,  erscheinen  im  Himmel  über  ihnen  und  halten 
offne  Rollen:  es  wird  also  auch  hier  nach  Rollen  kopiert. 

3)  Die  Ambrosianische  Ilias  ziehe  ich  nicht  heran,  da  mir  die  Zeit  der  Ent- 
stehung ihrer  Bilder  unsicher  ist;  s.  Zusätze.  Die  19  Bilder  des  Romanus  des  Vergil 
fallen  hier  fort,  da  ihre  rohere  Kunst  in  ein  spätes  Altertum  weist.  Noch  mehr  gilt 
dies  vom  illustrierten  Physiologus  zu  Smyrna. 

4)  Vgl.  auch  Plinius  35,  144:  bellumque  Iliacum  pluribus  tabulis,  quod  est 
Romae  in  Philippi  porticibus. 


Oktateuche.    Bildercyklen  mit  Anmerkungen. 


293 


logien.  Denn  es  sind  kontinuierende  Darstellungen,  wie  der  Dakerkrieg  der 
Trajanssäule,  aber  aus  aneinander  gestellten  Einzelkompositionen  zu 
einer  Einheit  zusammengesetzt  (vgl.  S.  288  Anm.).  Wenn  sich  endlich  auf 
den  Bilderchroniken  in  Tafelform  auch  schriftliche  Erläuterungen  eingraviert 
finden,  so  stimmt  das  wieder  vortrefflich  zur  Josuarolle,  die  es  nicht  anders 
hält.  So  sind  ja  auch  pompejanische  Wandgemälde,  wie  die  Pero1)  oder 
das  Bild  von  Homer  und  den  Fischern2),  mit  erklärendem  Text  versehen. 

Die  Bilderbücher  schlössen  textliche  Anmerkungen  nicht  aus.  Aber 
es  waren  keine  Textbücher  mit  Bildern. 

Etwas  eingehender  muß  ich  hier  die  Terenzillustrationen  be- 
sprechen, die  vornehmlich  in  den  Handschriften  des  9.— 10.  Jahrh.  im  Va- 
tikan, in  Paris  und  in  der  Ambrosiana  vorliegen.  Ob  ihr  Text  aus  den- 
selben Vorlagen  stammt  wie  ihre  Bilder,  ebenso  auch,  ob  die  Bilder  selbst 
aus  einer  oder  mehreren  abgeleitet  sind,  betrachte  ich  als  eine  offne  Frage. 
Die  Vorlagen  zu  diesen  Terenzbildern  sind  nun  aber,  wenn  nicht  alles 
täuscht,  erst  etwa  im  5.  oder  6.  Jahrh.  nach  Chr.  entstanden;  mehrere  von 
den  Gründen,  die  Otto  Engelhardt')  für  diesen  Zeitansatz  geltend  macht, 
halte  ich  für  vollständig  überzeugend.  Alsdann  aber  kommen  die  Bilder 
für  das  Rollenbuchwesen  gar  nicht  mehr  in  Betracht  und  sind  erst  im 
Dienst  der  Umschrift  in  den  Codex  entstanden;  es  sei  denn,  daß  man  aus 
ihnen  schließen  darf,  daß  auch  früher  schon  ähnliche  und  bessere  lllustra- 


1)  Siehe  Mau  in  Rom.  Mitteil.  XIX  (1904)  S.  259  f.;  XX  S.  188  f. 

2)  Monum.  d.  Inst.  X  Tfl.  53;  auch  das  Pendantbild,  ebenda,  zeigt  eine  grie- 
chische Schriftzeile. 

3)  Die  Illustrationen  der  Terenzhandschriften,  Jena  1905.  Die  erhaltenen  Bilder 
sind  gleichwohl  natürlich  Kopien  gemeinsamer  Vorlagen.  Daher  geraten  die  klei- 
neren gelegentlich  an  den  Rand  der  Handschrift;  so  im  Ambrosianus  bei  Bethe 
fol.  681  und  51T.  Ebenda  fol.  101'  reichte  der  Platz  nicht,  um  acht  Figuren  auf  einer 
Linie  nebeneinander  zu  stellen,  und  sie  werden  deshalb  im  Bogen  angeordnet.  Auf 
dem  Bild  Harvard  Studies  Bd.  XIV  Tfl.  37  ist  infolge  des  Raummangels  die  Eck- 
figur rechts  zur  Hälfte  verloren  gegangen;  ein  ähnlicher  Fall  im  Codex  Rossanensis, 
s.  oben  S.290  Anm.  1.  —  Seltsam  ist  das  scheinbar  höckerige  Terrain,  auf  dem  (und  zwar 
schon  im  Archetyp)  die  Szenen  sich  abspielen.  Doch  ist  Q.  Thiele's  Auffassung  (siehe 
Wochenschrift  f.  klass.  Phil.  1906  S.  460  f.)  gewiß  irrig,  daß  damit  eine  Gebirgs- 
landschaft angezeigt  werden  sollte  (denn  auch  im  Hügelland  kommt  es  nicht  vor, 
daß  die  Menschen  durchweg  wie  auf  Maulwurfshaufen  gehn);  sondern  die  Terrain- 
linie folgt  deutlich  den  Stellungen  der  Füße.  Ursprünglich  fehlte  die  Andeutung 
des  Bodens  wie  des  Hintergrundes,  und  die  ausschreitenden  und  gehobenen  Füße 
standen  im  Leeren;  dann  zog  man  eine  Bodenlinie,  und  zwar  so,  daß  sie  immer 
genau  der  schrägen  oder  geraden  Stellung  der  Fußsohlen  folgte.  Es  ist  deutlich 
zu  sehen:  die  Haltung  der  Füße  war  das  prius,  weil  durch  die  Handlung  gegeben; 
die  Bodenlinie  schmiegt  sich  ihnen  an:  sie  mußte  daher  auf-  und  abgehen.  Man 
vergleiche  die  Prudentiusbilder  im  Tafelband  STETTlNER's.  In  der  Haupthandschrift  P  1 
fehlt  da  unter  den  Füßen  die  Bodenlinie  noch;  in  anderen  wird  sie  dann  in  ver- 
schiedener Weise  hergestellt.  Die  Handschrift  von  Lyon  aber  (dortselbst  Tfl.  111) 
hat  bisweilen  einen  solchen  welligen  Boden,  öfters  aber  fehlt  er  noch.  Er  erweist 
sich  auch  da  als  Zutat. 


294 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


tionen  zum  Terenz  existierten,  aus  denen  dies  oder  jenes  feinere  Motiv 
herübergenommen  sein  könnte.  Keinesfalls  aber  läßt  sich  erweisen,  daß 
es  Texte  des  Terenz  mit  Bildern  in  Rollenform  jemals  gab.  Bestanden 
ältere  Illustrationen,  so  bleibt  ganz  offen,  in  welcher  Anordnung  sie  be- 
standen. Folgende  Überlegungen  aber  sprechen  dafür,  daß  sie  selbständig 
gingen. 

Illustrierte  Ausgaben  von  Dramen  sind  innerhalb  des  Rollenbuchwesens, 
wie  flott  man  sie  auch  postuliert  hat,  überhaupt  durch  nichts  nachweisbar.1) 
Wohl  aber  sind  genug  Theaterbilder,  besonders  als  Reliefs,  erhalten2),  in 
der  Art,  wie  Kalates  Komödienszenen  als  selbständige  Bilder  malte  (comicae 
tabellae:  Plin.  nat.  hist.  35,  37),  die  also  sämtlich  ohne  Text  verständlich 
waren;  und  der  Theaterfries  Pompeji's3),  der  an  drei  Seiten  eines 
Zimmers  entlang  geführt  ist  und  neun  Szenen  aus  der  Tragödie,  fünf  aus 
der  Komödie  nebeneinander  stellt,  zeigt  uns  überdies,  daß  man  schon  vor 
dem  Jahr  79  nach  Chr.  gradezu  die  Vereinigung  solcher  Darstellungen 
in  Streifenform  ohne  Text  liebte.  Diese  Streifenform  ist  eben  die  des 
entrollten  Rollenbuchs,  und  der  Schluß  ist  hiernach  uns  auferlegt,  daß, 
wenn  es  damals  schon  Bücher  mit  Komödienbildern  gab,  sie  gleichfalls  des 
Textes  entbehrt  haben  müssen.  Die  sechs  Dramen  des  Terenz  ergaben 
alsdann  sechs  Bilderrollen;  und  dürfen  wir  uns  für  das  Einzelne  von  der 
Anschauung  der  erhaltenen  Illustrationen  beeinflussen  lassen,  so  enthielt 
jede  von  ihnen  etwa  25  Bilder.4)  Das  ist  aber  der  Umfang  der  Josuarolle 
und  kann  also  ev.  als  Buchinhalt  genügt  haben.  Dafür,  daß  beim  Terenz 
in  kontinuierender  Darstellung  Bild  an  Bild  hing,  sind  Indizien  vorhanden. ') 
Ein  Porträt  des  Terenz  konnte  damals  schon  das  Ganze  eröffnen,  und  in  jeder 
Rolle  sah  man  vorn  ein  offnes  Armarium6)  mit  Masken,  die  die  Charaktere 
des  betreffenden  Stücks  anzeigten.  Endlich  brauchten  den  Figuren  auch 
Namensbeischriften  nicht  zu  fehlen;  denn  dies  entsprach  der  Gewohnheit. 

Das  Verlangen,  den  Text  mit  den  Bildern  zu  verbinden,  hat  sich  da- 


1)  Ich  kann  Dieterich  nicht  zustimmen,  wenn  er  Pulcinella  S.  210  an  die  Be- 
merkung, daß  in  den  griechischen  Dramen  die  Liste  der  Auftretenden  mit  irpöcunra 
überschrieben  wird,  den  Satz  knüpft:  „es  hatte  nur  Sinn,  wenn  die  Masken  selbst, 
d.  h.  ihre  Abbildungen  folgten".  Die  Mitteilung,  daß  z.  B.  im  Aiax  die  „Masken" 
Athena,  Odysseus,  Aias,  ein  Bote  usf.  auftreten  werden,  genügte  doch  für  einen 
Leser,  der  ein  bißchen  Theatererfahrung  hatte,  zur  Orientierung  vollständig.  Wenn 
nun  aber  in  denselben  Listen  auch  „stumme  Masken"  (xuuqpd  irpöcuma)  aufgeführt 
werden,  so  verrät  die  Bezeichnung  „stumm"  überdies,  daß  das  Wort  -rrpöcujTrov  hier 
gar  nicht  in  jener  Bedeutung  steht,  sondern  „Person"  heißt. 

2)  Zusammen  besprochen  von  Dieterich  a.  a.  0.  S.  194  ff. 

3)  Monum.  Inst.  XI  Tfl.  30-32;  Maass,  Annali  1881  S.  109  ff. 

4)  Im  Phormio  sind  es  25.  Übrigens  hat  der  Ambrosianus  in  den  Adelphen  28, 
im  Heautontimorumenus  24,  in  der  Hecyra  20  resp.  21. 

5)  Dies  bemerkte  Thiele  a.  a.  0.  S.  462. 

6)  Über  diese  Armarien  siehe  oben  S.  264. 


Terenzillustrationen. 


295 


gegen  sicherlich  erst  im  Codexbuchwesen  eingestellt.  Die  erhaltenen  Minia- 
turen folgen  der  Szeneneinteilung  der  Dramen  genau  und  stellen  der 
Regel  nach  immer  jede  Szene  durch  ein  Bild  vor,  indem  der  Künstler  sich 
dabei  an  die  damals  schon  vorhandenen  Szenenüberschriften  ängstlich  hielt 
und  seltsamerweise  die  Figuren  sogar  sehr  häufig  von  links  nach  rechts 
nach  der  Folge  der  Namen  gruppierte,  die  sich  in  jenen  Überschriften  vor- 
fand.1) Diese  Art  der  Erfindung  aber  kann  nicht  alt  sein;  denn  sie  setzt 
das  Fehlen  der  Bühnenanschauung  voraus. 

Ein  Bedürfnis  nach  illustrierten  Exemplaren  der  Komödien  war  auch 
gewiß  so  lange  nicht  vorhanden,  als  sie  noch  lebendig  auf  der  Bühne 
agiert  wurden.  Oder  ist  es  uns  heute  etwa  ein  Bedürfnis,  vor  jeder  Szene 
des  Teil  oder  des  Faust  ein  Bild,  das  den  Fortschritt  der  Ereignisse  jedes- 
mal auf  das  genaueste  wiedergibt,  vorgedruckt  zu  sehen?  Es  wäre  die 
greulichste  Pedanterie.  Viel  reizvoller  war  es,  die  Serie  der  Bilder  ab- 
gesondert zu  studieren  und  aus  ihr  die  wohlbekannte  Handlung  in  ihrem 
Verlauf  wiederzaerkennen. 

Dazu  kommt  nun  noch  der  Umfang  der  Stücke.  Es  ist  nicht  gleich- 
gültig, hierauf  acht  zu  geben.  Man  denke  sich  den  Phormio  des  Terenz 
mit  seinen  1055  Versen  als  Papyrusrolle.  Die  Rolle  hatte  den  obligaten 
Umfang  und  bestand  aus  etwa  35  Schriftspalten.  Gedichtbücher,  Unter- 
haltungsbücher waren  nie  stärker.2)  Durch  das  Hinzukommen  von  25  Mi- 
niaturen wäre  sie  indes  fast  auf  das  Doppelte  angeschwollen.  Ich  kann 
nicht  glauben,  daß  das  geschehen.  Wie  unbequem  es  war,  mit  dicken 
Rollen  umzugehen,  darüber  brauche  ich  nach  allem,  was  ich  hier  vor- 
getragen, nicht  mehr  zu  reden.  Daß  die  Verfasser  von  mehrbücherigen  Ge- 
dichtwerken  dafür  sorgten,  daß  jedes  Buch  nicht  mehr  als  1000  Zeilen  hielt, 
kann  keine  zufällige  Gepflogenheit  sein  und  muß  einen  Zweck  gehabt 
haben.  Grade  solche  Bücher,  die  für  genießende  Betrachtung  bestimmt 
waren,  mußten  leicht  und  kurz  und  ihr  entfalteter  Inhalt  rasch  zu  über- 
blicken sein. 

Nicht  anders  steht  es  mit  Vergil's  Aeneis.  Die  leider  trümmer- 
haften Schedae  F  geben  uns  für  das  in  F  besterhaltene  sechste  Buch 
dieses  Epos  acht  Miniaturen.  Da  aber  doch  nur  der  kleinere  Teil  dieses 
sechsten  Buches  in  F  vorliegt 3),  enthielt  dasselbe  ursprünglich  viel  mehr 
und  zwar  gewiß  nicht  weniger  als  18  Miniaturen.    Diese  Bilder  nehmen 

1)  Siehe  J.  Waston  in  Harvard  Studies  XIV  S.  107  ff. 

2)  Siehe  Buchwesen  S.  293  ff.  und  322  f.  Obiger  Ansatz  betrifft  sog.  Normal- 
exemplare. Wo  die  Seite  dagegen  so  wenig  Zeilen  hat,  wie  im  Herondas,  stellte 
sich  eine  Rolle  von  41  Kolumnen  her.  Vgl.  übrigens  Augustin,  Confess.  XI  26,  33: 
metimur  spatia  carminum  spatiis  versuum  ....  non  in  paginis  sed  cum 
voces  pronuntiando  transeunt  et  dicimus:  longum  Carmen  est,  nam  tot  versibus 
contexitur. 

3)  Nämlich  379  Verse  von  901. 


296 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


aber  bisweilen  ganze  Seiten  ein.  *)  Die  vom  Dichter  so  bequem  ein- 
gerichtete Gedichtrolle  wäre  durch  die  18  Bilder  ganz  ungebührlich  über- 
lastet worden. 

Auf  diese  Weise  angebracht,  wären  die  Illustrationen  hier  wie  dort 
eher  Belästigung  als  Ergötzung  gewesen. 

Ich  wiederhole,  daß  es  ein  Unterschied  ist,  ob  ein  Autor  seine  Schrift 
auf  Illustrierung  von  vorne  herein  einrichtete  und  den  Umfang  ihres  Textes 
selbst  darauf  bemaß  —  dies  ist  oben  besonders  für  Lehrschriften  nach- 
gewiesen und  ließe  sich  auch  für  Vergil's  Georgica,  gleichfalls  eine  Lehr- 
schrift, vermuten2)  —  oder  ob  der  Text  erst  nachträglich  damit  ausgestattet 
worden  sein  soll.  Das  letztere  ist  innerhalb  des  Rollenbuchwesens 
nicht  nachweisbar,  und  alle  Hypothesen,  die  das  ansetzen,  entbehren 
des  Haltes  und  erwecken  begründetes  Mißtrauen. 

Sehr  richtig  hat  vor  Jahren  schon  Victor  Schultze  bemerkt3):  die 
Rollenform  des  Buchs  erschwerte  die  Einführung  der  Malerei  in  den 
Text;  erst  die  Ersetzung  der  Rolle  durch  den  Codex  schuf  darin  Wandel; 
aber  ein  organischer  Zusammenhang  ist  auf  diesem  Wege  nicht  erreicht 
worden.  In  der  Tat:  man  sehe  sich  nur  z.  B.  eine  Bilderhandschrift  des 
Prudentius  an.  Die  Kontinuität  der  Schrift,  d.  h.  die  Lesbarkeit  des  Ge- 
dichtes selbst  wird  durch  die  eingeschobenen  Zeichnungen  überall  auf  das 
Kläglichste  zerstört. 


Das  bestbezeugte  Beispiel  für  Bilderrollen  sind  nun  Varro's  Imaginum 
libri,  eine  auf  15  Volumina  verteilte  große  Porträtgalerie1),  die  auch  Heb- 
domades hieß;  denn  eine  Gruppierung  zu  je  sieben  Figuren  wurde  darin 
durchgeführt.  Wie  der  Titel  anzeigt,  waren  auch  hier  die  Bilder  die 
Hauptsache;  doch  standen  Epigramme  (vgl.  das  Perobild  Pompeji's)  oder 
auch  Notizen  in  Prosa5)  beigeschrieben.  Das  nämliche  Verfahren  wandte 
Atticus  an,  ut  sub  singulorwn  imaginibus  facta  .  .  .  non  amplius  quaternis 


1)  In  der  Bilderrolle,  die  ich  ansetze,  füllten  diese  Bilder  natürlich  gleichfalls 
je  eine  Seite;  von  den  kleineren  können  je  zwei  auf  einer  Seite  untereinander  ge- 
stellt worden  sein;  vgl.  die  Ambrosiustür  in  Mailand,  oben  S.  290. 

2)  Die  wenigen  Bilder  zu  den  Georgica  lassen  allerdings  ein  Urteil  nicht  zu. 
Doch  sind  die  Georgicabücher  durchweg  halb  so  umfangreich  wie  die  der  Aeneis 
(500-570  Zeilen)  und  daher  vielleicht  von  vorn  herein  von  Vergil  selbst  auf 
Illustrierung  berechnet.  Ich  beziehe  mich  auf  das  Urteil  Pierre  de  Nolhac's, 
wonach  die  erhaltenen  Miniaturen  dieses  Werks  eine  andere  und  feinere,  eine  klassi- 
schere Kunst  zeigen  als  die  Aeneisbilder.  Sie  können  ganz  wohl  aus  Original- 
ausgaben des  Dichters  selber  stammen.    Das  stimmt  zu  Nikander  (oben  S.  285). 

3)  V.  Schultze,  Die  Quedlinburger  Itala- Miniaturen  (1898)  S.  1. 

4)  Von  dem  Relief,  das  man  mit  Varro's  Imagines  in  Zusammenhang  brachte, 
abgebildet  in  Abhandl.  sächs.  GW.  XII  Tfl.  5,  8,  sehe  ich  hier  ab. 

5)  Letztere  vornehmlich  im  ersten  Buch,  das,  wie  man  ansetzt,  weniger  Bilder 
enthielt,  also  für  Auseinandersetzungen  mehr  Raum  bot;  vgl.  Gell.  3,  10,  1  u.  3,  11. 


Vergil;  Varro's  Imagines. 


297 


quinisve  versibus  descripserit.1)  Also  für  vier  bis  fünf  Zeilen  war  unter 
jedem  Bilde  Raum. 

Das  Varronische  Werk  hat  vielleicht  noch  später  Einfluß  geübt.  Eine  Epitome 
zu  4  Büchern,  in  der  mutmaßlich  die  interessantesten  Figuren  zusammengefaßt  waren, 
ging  daneben  um.  Porträts,  die  auf  späten  Monumenten  wie  auf  dem  Trierer  Mosaik 
des  Monnus  auftauchen,  könnten  auf  das  Werk  zurückgehn.  -)  Vor  allem  aber  sind 
die  zwei  Hebdomaden  von  Ärzten  im  Wiener  Dioskurides  wie  ein  Anklang 
an  Varro  in  später  Zeit.  Danach  wäre  nun  das  Arrangement  der  Hebdomaden  bei 
Varro  eine  ganz  schematische  Anordnung  zu  je  sieben  auf  einer  Blattfläche  ge- 
wesen, und  zwar  in  Kegelform:  zu  oberst  eine  Figur  en  face;  darunter  am  1.  und 
r.  Rand  der  Fläche  entlang  je  drei,  die  wieder  ohne  Überschneidung  untereinander 
stehn  oder  sitzen  und  alle  im  Profil  nach  innen  schauen.  Zur  Rekonstruktion  des 
weiteren  Details  dagegen  lassen  sich  die  erwähnten  Miniaturen  sicher  nicht  benutzen 
(oben  S.  122). 

Woher  aber  bezog  Varro  seinerseits  diese  Bildermassen?  Er  wird  sie, 
soweit  es  anging,  wieder  aus  Büchern  genommen  haben.3)  Was  da  ver- 
streut war,  trug  er  zusammen  und  ließ  das  Fehlende  hinzuerfinden. 

Wichtiger  ist  eine  andere  Frage.  Setzt  etwa  Plinius,  wo  er  diese  Dinge 
berührt,  voraus,  daß  die  genannten  Werke  des  Varro  und  Atticus  über- 
haupt die  einzigen  Vertreter  des  Bilderbuches  waren,  die  er  kannte?  Keines- 
wegs. Denn  Plinius  kommt  nat.  hist.  35,  1 1  erstlich  und  beiläufig  deshalb 
auf  Varro  zu  sprechen,  weil  er  hervorheben  will,  daß  durch  das  Verviel- 
fältigen und  buchhändlerische  Versenden  solcher  Bilderwerke  die  Porträtier- 
ten allgegenwärtig  wie  die  Götter  schienen,  da  alle  Provinzen  des  Reichs 


1)  Nepos  25,  18,  5.  Es  liegt  daher  nahe,  das  Volumen  De  imaginibus  des- 
selben Atticus,  das  Plinius  erwähnt,  eben  als  solche  Porträtsammlung  zu  fassen. 
Die  Präposition  de  bei  Plinius  (edito  de  iis  volumine)  steht  ebenso  wie  bei  Gellius 
3,  10,  1:  hebdomades  vel  de  imaginibus;  vgl.  Gell.  17,  19,  2:  libri  de  dissertatio- 
nibus  und  die  ßiß\(a  irepl  luöujv  oben  S.  285  Anm.  2. 

2)  Auch  was  bei  Gellius  3,  4,  3  über  bartlose  Porträts  steht,  könnte  hierher 
gehören. 

3)  Hier  ist  der  Ort  an  Horaz  Sat.  I  4,  21  zu  erinnern;  daß  die  imago  eines 
Dichters  zu  Horaz'  Zeit  schon  sein  Buch  selbst  schmückte,  besagt  diese  Stelle  frei- 
lich nicht.  Es  heißt:  beatus  Fannius  ultra  delatis  capsis  et  imagine,  wo  deferre 
nur  „zum  Verkauf  ausbieten"  heißen  kann,  capsae  sind  die  Schachteln  voll  Rollen ; 
die  imago  steht  neben  diesen  Schachteln,  scheint  also  separat  zur  Reklame  aus- 
geboten. Doch  ließe  sich  auch  vermuten,  daß  hier  imagine  wie  bei  Properz  II  13b,  19 
für  imaginibus  steht  und  daß  Fannius  Bilderbücher  herstellte  und  verkaufte.  Ein 
Dichter  Fannius  ist  nicht  bekannt,  wohl  aber  ein  Mann  ungefähr  jener  Zeit,  der  mit 
Buchwesen  und  Papierfabrikation  selbst  viel  zu  tun  hatte;  das  ist  der  Fannius  bei 
Plinius  nat.  hist.  XIII  75  und  78  mit  seiner  sagax  offtcina,  der  eine  neue  Sorte 
Charta  herstellte  und  ihr  den  Namen  Fanniana  gab.  Der  war  der  geeignete,  um 
capsas  und  imagines  auszubieten,  und  er  war  offenbar  so  bekannt  wie  sein  Papier. 
Horaz  würde  demnach  sagen:  „der  bekannte  Fannius  ist  reich  geworden,  indem  er 
seine  Produkte,  die  Bilderwerke  in  den  Capsae,  selbst  ausbot;  ich  dagegen  mag 
meine  Gedichte  weder  öffentlich  vorlesen  noch  käuflich  als  Lektüre  in  die  Menge 
geben";  verstehe:  cum  mea  nemo  scripta  emat  legenda;  nam  etiam  publice  recitare 
ea  timeo  neque  vero  venalia  defero.  Dem  Horaz  kam  es  hier  nicht  darauf  an, 
einen  Dichter  zu  nennen,  sondern  irgend  einen  Mann,  der  sein  Buchfabrikat  öffent- 
lich feil  hielt;  zu  ihm  steht  er  im  Gegensatz. 


298 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


sie  kauften:  eine  Erwähnung,  die  für  die  Kenntnis  des  Vertriebes  von 
Bilderbüchern  überhaupt  von  Wichtigkeit  ist.  Vor  allem  aber  erwähnt 
Plinius  an  der  zitierten  Stelle  dies  Werk  nur  deshalb,  weil  es  eben  Porträts 
enthielt.  Denn  er  handelt  dort  ausschließlich  nur  von  der  Geschichte  der 
Porträts  und  ihrer  Verbreitung.  Andere  Illustrationszwecke  gehen  ihn  hier 
nichts  an.  Diese  Erwähnung  setzt  also  nicht  etwa  voraus,  daß  es  sonst 
keine  Rollen,  die  Malereien  enthielten  und  so  auch  vervielfältigt  wurden, 
gegeben  hätte. 

Ein  später  Nachkomme  und  Erbe  Varronisch-philologischen  Geistes  ist 
es  dann,  bei  dem  wir  solchen  Büchern  wieder  begegnen.  Man  lese  die 
groteske  Erzählung  des  Martianus  Capeila  II  138: 

Die  Philologie  soll  den  Merkur  heiraten.  Durch  Erbrechen  ')  gibt  sie  zuvor,  um 
bräutlicher  zu  erscheinen,  eine  Fülle  von  Büchern  von  sich.  Die  Musen  Kalliope 
und  Urania  sammeln  die  unzählbaren  in  ihrem  Schoß.  Von  diesen  volumina  heißt 
es  dann  in  genauer  Ausführung:  in  aliis  quippe  distinctae  ad  tonum  ac  deductae 
paginae,  in  aliis  circuli  lineaeque  hemisphaehaque  cum  trigonis  et  quadratis  multi- 
angulaeque  formae  protheorematum  vel  elementorum  diversitate  formatae.  Dehinc 
pictura  animalium  niembra  multigenum  in  unam  speciem  complicabat.  Zu  diesen 
drei  Gattungen  kommen  dann  noch  Musikbücher:  qui  sonorum  mela  signaque  nume- 
rorum  et  cantandi  quaedam  opera  praeferebant. 

Diese  „bibliothecalis  copia",  wie  der  Verfasser  es  nennt,  mit  der  allein 
die  Philologie,  d.  h.  die  höhere  Bildung,  es  zu  tun  hat,  zerfällt  also  in  vier 
Gruppen.  Gewöhnliche  Texte  sind  gar  nicht  darunter,  sondern  an  erster 
Stelle  nur  solche  griechische  Textausgaben,  in  denen  die  Accentschreibung 
durchgeführt  war  {ad  tonum  distinctae),  an  vierter  Stelle  Rollen  mit  Ge- 
sangnotenschrift (und  Text;  vgl.  cantandi  opera).  Die  anderen  zwei  Gruppen 
dagegen  sind  offenbar  lediglich  Bilderbücher  ohne  Text,  höchstens  mit  er- 
klärenden Beischriften.  Denn  vom  Text  wird  nichts  gesagt,  sondern  als 
Inhalt  nur  angegeben  bei  den  mathematisch-astronomischen,  man  sah  circuli 
und  hemisphaeria  usf.  —  dies  waren  also  Zeichnungen;  endlich  bei  den 
zoologischen  Büchern:  man  sah  eine  einzige  langgestreckte  Malerei  (pictura), 
die  die  Glieder  aller  Gattungen  von  Lebewesen  nebeneinandergestellt  zu 
einem  Bilde  vereinigte  (species  heißt  „Bild";  complicabat  ist  anschaulich 
vom  Zusammenrollen  des  Bilderbuches  gesagt). 

Man  sieht,  daß  in  der  „bibliothecalis  copia"  Textbücher  nur  ein  Viertel, 
Bilderbücher  dagegen  ungefähr  die  Hälfte  des  Bestandes  ausmachen.  Und 
von  jeder  Sorte  gab  es  viele;  denn  Martianus  Capeila  nennt  die  volumina 
innumera. 

Trümmer  sind  uns  davon  noch  erhalten.    Die  Himmelssphäre  nach 


1)  Zu  dieser  Erfindung  vom  Vomieren  von  Buchrollen  habe  ich  schon  in  Ant. 
Buchwesen  S.  121  Anm.  eine  Analogie  gebracht.  Ferner  schrieb  M.  Antonius  ein 
Buch  de  sua  ebrietate,  wovon  Plinius  nat.  hist.  14,  148  sagt:  id  volumen  evomuit. 
Aber  schon  der  Prophet  Ezechiel  hat  ein  Schriftstück  verschlungen  und  gibt  es 
wieder  von  sich,  3,  1—3;  vgl.  Prudentius  Apotheos.  595. 


Mathematische,  astronomische  Bilderserien  ohne  Text. 


299 


Arat  ist  in  allen  lateinischen  Handschriften  astronomischen  Inhalts,  in  denen 
sie  vorliegt,  deutlich  so  eingetragen,  daß  man  sieht:  sie  war  nicht  mit  dem 
sonstigen  Inhalt  der  Handschriften  zusammen  überliefert.1)  Sie  ging 
selbständig. 

Aber  auch  der  Bildercodex  des  Germanicus  in  Leiden,  des  9.  Jahrh., 
bezeugt  dasselbe.  Denn  er  ist  keine  eigentliche  Texthandschrift,  sondern 
die  Bilder  sind  in  ihm  die  Hauptsache,  und  der  Text  ist  nur  als  Erläute- 
rung hinzugefügt.2)  Dies  weist  auf  ein  antikes  Rollenbuch  mit  mindestens 
44  Bildern  zurück,  das  direkt  oder  indirekt  in  die  Hände  des  karolingischen 
Miniaturenmalers  gelangt  sein  muß. 

Man  kann  Bethe  nur  zustimmen,  wenn  er  bemerkte3),  daß  schon  Arat 
selbst  dereinst  seine  Himmelsbeschreibung  nur  nach  solchen  Bildern,  wie 
sie  in  den  Miniaturen  vorliegen,  hat  geben  können:  so  anschaulich  ist  alles 
bei  ihm,  ob  er  den  Krater  vorführt  oder  die  Hydra  oder  den  Fuhrmann 
oder  irgend  eine  andere  Gestalt.  Wenn  aber  Bethe  daraus  folgerte,  daß 
bereits  Arat's  Vorlage,  das  Lehrbuch  des  Eudoxos,  solche  Bilder  enthielt, 
so  ist  das  wiederum  weder  zwingend  noch  wahrscheinlich.  Vielmehr  zeigt 
uns  ja  manche  Szene  auf  Reliefs  und  auf  anderen  Bildwerken,  daß  die 
Muse  Urania  den  Dichter,  der  sich  astronomischen  Dingen  widmet,  am 
Globus  unterrichtet.  Der  Globus  gab  die  Anschauung;  er  gab  die  Stern- 
bilder ohne  Text.4)  Ganz  ebenso  hatte  man  nun  aber  auch,  wie  gezeigt, 
dieselben  Bilder  in  Büchern  ohne  Text  oder  doch  nur  mit  Beischriften. 
Und  wenn  Cicero  und  andere  den  Arat  übersetzten,  so  können  auch  sie 
sich  die  nötige  Anschauung  eben  daher  verschafft  haben. 

Für  die  Pflanzenkunde  aber  wissen  wir  das  gleiche  durch  Plinius  nat. 
hist.  25,  8.  Drei  Griechen  waren  es  nach  Plinius,  Krateuas,  Dionysios 
und  Metrodoros,  die  die  Pflanzenkunde  im  Unterschied  vom  gewöhnlichen 
Herkommen  ratione  blandissima  lehrten:  pinxere  nempe  effigies  herbarum 
atque  ita  subscripsere  effectus;  d.  h.  während  man  sonst  die  Pflanzen  be- 
schrieb, traten  hier  einfach  die  kolorierten  Bilder  an  die  Stelle,  und  nur 
die  medizinischen  Wirkungen  derselben  wurden  unter  jedem  Bild  angegeben. 
Dazu  genügten,  wie  bei  Atticus,  vier  bis  fünf  Zeilen.  Aber  diese  Bilder- 
werke bewähren  sich  nicht,  fügt  Plinius  hinzu.  Denn  die  Farben  geben 
doch  die  wirkliche  Färbung  nie  in  genügender  Genauigkeit  wieder,  und 
dazu  kommt,  daß  beim  Kopieren  der  Bilder  Irrtümer  unterlaufen  (degenerat 
transcribentium  fors  varia),  und  wer  bloß  nach  solchem  Bilderbuch  Pflanzen 


1)  G.  Thiele,  Antike  Himmelsbilder  S.  163  f. 

2)  THIELE  a.  a.  O.  S.  80  f.  3)  Rhein.  Mus.  48  S.  96. 

4)  Und  die  Verwendung  des  Globus  ist  alt;  auf  Reliefs  am  Grabe  des  Isokrates 
finden  wir  bei  Ps.  Plutarch  Vit.  X  or.  p.  838:  Kai  TopYiav  eic  cqpoupav  dcTpoA.oyiK)iv 
ßAeirovra. 


300 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


sammeln  will,  kann  sich  darum  leicht  täuschen.  Somit  wurden  auch  diese 
Bilderbücher,  wie  Varro's  Imagines,  was  sich  übrigens  von  selbst  versteht, 
durch  Kopisten  verbreitet  und  kamen  in  den  Buchhandel.  Krateuas  aber 
gehörte  der  ersten  Hälfte  des  1.  Jahrh.  vor  Chr.  an,  und  sein  Werk  war 
also  noch  älter  als  das  Varronische. 

Nun  haben  wir  Pflanzenbilder  im  berühmten  Wiener  Dioskurides  er- 
halten.   Besteht  die  Vermutung  zu  Recht,  daß  diese  antiken  Bilder  z.  T.  aus 

Krateuas  selbst  ausge- 
hoben sind1),  so  ergibt 
sich  zwischen  dem  Wie- 
ner Dioskurides  und  Kra- 
teuas dasselbe  Verhältnis 
wie  zwischen  dem  Okta- 
teuch  von  Watopädi  und 
der  Josuarolle.  Die  Bil- 
derrollen der  klassischen 
Zeit  wurden  von  den  Illu- 
minatoren der  Codices 
für  ihren  Zweck  exzerpiert. 

Ein  mindestens  eben- 
so wertvoller  Zeuge  ist 
aber,  wie  Text  und  Bilder 
erweisen,  der  Codex  Nea- 
politanus  N  desselben 
Dioskurides.  Während  in 
der  soeben  besprochenen 
berühmteren  Handschrift 
jedes  der  Pflanzenbilder  immer  ein  ganzes  Blatt  ausfüllt,  stehen  sie  in  N 
durchweg  nur  auf  den  oberen  Hälften  der  Seiten,  der  Text  dagegen  durch- 
weg auf  den  unteren.  Dies  ist  aber  das  Echte.  Denn  dies  ergibt  jene 
Kontinuität  der  Bilderfolge,  wie  sie  in  der  Buchrolle  einst  bei  Krateuas  be- 
stand.2) Es  ist  die  Art  der  Übertragung,  die  wir  ähnlich  auch  an  der 
Wiener  Genesis  beobachtet  haben. 

Eine  der  Dioskuridesminiaturen  aber  gibt  uns  noch  in  das  Verfahren, 
wie  im  Altertum  Illustrationen  gemacht  wurden,  den  offensten  Einblick.  Unsre 
Abb.  178  gibt  das  Bild  hier  wieder  nach  O.  Jahn  in  Abhandl.  d.  sächs.  GW. 


1)  Siehe  Wellmann  in  Abhandl.  der  Göttinger  GW.  Bd.  11  Heft  1  (1897)  und 
A.  V.  Premerstein  im  Dioskurides,  herausgegeben  von  Karabacek,  Einleitung  S.  60 f.: 
nicht  etwa  alle,  sondern  nur  die  besseren  Abbildungen,  resp.  die  Bilder  solcher 
Pflanzen,  die  auch  im  Index  herbarum  derselben  Handschrift  aufgezählt  werden, 
gehen  auf  Krateuas  zurück. 

2)  Siehe  ed.  Karabacek,  Einleitung  S.  275. 


Abb.  178:  Dioskurides. 


Pflanzenbilderrollen.    Kunstmalerei  auf  Papyrus. 


301 


XII  Tfl.  5,  9;  vgl.  Schreiber's  Bilderatlas  Tfl.  VIII  3.  Jeder,  der  von  Illustra- 
tionen handelt,  müßte  eigentlich  hiervon  ausgehen.1)  Eine  dreifigurige  Szene. 
Rechts  sitzt  Dioskurides  selbst  und  schreibt  seinen  gelehrten  Text  im  Codex; 
er  senkt  dabei  die  Augen  aufs  Blatt,  ist  also  an  der  weiteren  Handlung 
nicht  beteiligt.  In  der  Mitte  steht  eine  allegorische  Frauengestalt,  die 
Heuresis,  und  hält  eine  Pflanze  (Mandragora)  als  Modell  zum  Abzeichnen 
vorgestreckt.  Links  aber  sitzt  der  Maler,  hat  auf  dem  Staffeleibrett  ein 
großes  Blatt  in  Querformat  ausgespannt  und  malt  darauf  die  Pflanze  ab, 
auf  die  er  mit  Drehung  des  Kopfes  eifrig  blickt.  Also  zwei  getrennte 
Handlungen:  Dioskurides  beschreibt  die  Pflanze  im  Buch,  der  Maler  zeichnet 
dieselbe  separat  auf  einem  großen  Blatt.  Daß  nun  Dioskurides  im  Codex 
und  nicht  in  der  Rolle  schreibt,  ist  Modernisierung  (s.  oben  S.  122).  Jeden- 
falls aber  werden  die  Miniaturen  nicht  in  den  Text  eingetragen, 
sondern  gehen  für  sich.  Dies  ist  evident,  dies  war  das  Verfahren 
des  Altertums,  und  daran  hat  der  Buchillustrator,  dem  wir  dies  Bild  ver- 
danken, obschon  sein  eignes  Verfahren  ein  andres  war,  nichts  zu  ändern 
gewagt. 

Klebte  man  nun  also  eine  Anzahl  von  solchen  Einzelbildern,  wie  man 
sie  hier  entstehen  sieht,  aneinander,  so  hatte  man  eben  die  Bilderrolle, 
von  der  ich  handle. 

Die  bisher  verwendeten  Zeugnisse  ergaben  nur  Porträtsammlungen 
sowie  Bilderrollen  für  Lehr-  und  Lernzwecke.  Aber  auch  dafür,  daß  die 
malende  Kunst,  die  nur  als  Kunst  betrachtet  sein  wollte,  sich  der  Papyrus- 
rollen bediente,  fehlt  es  nicht  an  weiteren  Zeugnissen. 

Ich  denke  an  Hero,  der  ein  lang  gestrecktes  Gemälde  von  Meer  und 
Himmel  erwähnt,  also  ein  Seestück,  das  einen  ganzen  chartes  füllte  und 
zusammengerollt  aufbewahrt  wurde  wie  unsere  Landkarten.  Damit  solches 
Bild  sich  ausgezogen  halten  und  als  Ganzes  betrachten  ließ,  wurde  an 
dem  einen  Ende  ein  Rollenstab  festgeklebt;  sollte  es  aber  als  Hintergrunds- 
prospekt im  Automatentheater  dienen,  alsdann  mußte  dieser  Stab  entfernt 
werden  (oben  S.  228  f.).  Hero  betrachtet  solchen  Papyrus  nicht  etwa  als 
etwas  Außergewöhnliches;  er  wurde  auch  nicht  etwa  nur  extra  für  das 
Puppentheater  so  hergestellt;  denn  sonst  wäre  es  unnötig  gewesen,  den 
Rollenstab  erst  festzukleben,  der  für  den  Bühnenzweck  doch  wieder  ab- 
geschnitten werden  mußte.  Sondern  es  war  etwas  ganz  Verbreitetes,  daß 
die  Maler  in  Rollen  malten,  und  solche  Rollen  hatten,  wie  gesagt,  einen 
festen  Umbilicus,  im  Unterschied  von  den  Textbüchern. 

Von  einigen  alten  Malern  wie  Parrhasius  bewahrte  man  Entwürfe  in  membra- 
nis  auf.    Das  Pergament,  gewiß  auch  in  Rollenform  (s.  S.  219  u.  20  Anm.  3), 


1)  Die  beste  Wiedergabe  in  Karabacek's  Dioskurides  fol.  5b  (dazu  Text 
S.  221). 


302 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


bewirkte,  daß  solche  Originalzeichnungen  sich  länger  erhielten.  Der  Um- 
stand aber,  daß  uns  Plinius  35,  68  dies  besonders  mitteilt,  beweist  wieder, 
daß  auf  Pergament  sonst  selten  gemalt  wurde.1)  Nur  Charta  kann  also 
sonst  derartige  Entwürfe  getragen  haben.  Eine  Notiz  in  einem  Leidener 
Papyrus  des  3.  oder  4.  Jahrh.  besagt,  daß  Goldmalerei  (xpucoTpaqpia) 
nicht  nur  auf  Charta  oder  Membrane  (erri  x«Ptou  rj  bicpöepac),  sondern 
auch  auf  Stein  möglich  sei.2)  Noch  im  3.  oder  4.  Jahrh.  n.  Chr.  steht  also 
für  Malzwecke  die  Charta  an  erster,  die  Membrane  an  zweiter  Stelle.  Nun 
aber  ist  es  allein  schon  zum  Verständnis  der  campanischen  Wand- 
dekorationen notwendig  anzunehmen,  daß  die  Lokalmaler  in  Pompeji  und 
Herculaneum  Sammlungen  von  Vorbildern,  nach  denen  sie  arbeiteten,  daß 
sie  Kopierbücher  besaßen.  Ihre  Sachen  gehen  im  Gesamtentwurf  oder 
auch  nur  in  Einzelmotiven  oftmals  auf  berühmte  Tafelbilder,  auf  originale 
Vorlagen  zurück,  die  sich  fern  von  Pompeji  befanden.  Und  will  man  auch 
ansetzen,  daß  sie  alles  direkt  aus  Neapel  bezogen,  so  mußten  dann  doch 
die  Neapler  Maler  selbst  im  Besitz  solcher  Kopierbücher  sein,  die  den 
Austausch  in  der  weiten  griechischen  Künstlerwelt  vermittelten.  Diese 
Zeichen-  und  Malvorlagen  müssen  ferner  käuflich  oder  doch  versendbar 
gewesen  sein;  und  solches  Versenden  wird  auch  wirklich  erwähnt3);  denn 
die  wenigsten  Künstler  konnten  sich  selbst  auf  eignen  Kunstreisen  solche 
Sammlungen  anlegen.  Das  Vervielfältigen  von  Bilderbüchern  nach  Art  der 
Textkopien  ist  uns  ja  durch  Plinius  sowohl  für  Varro's  Imagines  wie  für 
die  Pflanzenbücher  bezeugt  (s.  S.  297  f.  u.  300).  Auch  gemalte  Porträts  Cara- 
calla's  (ekövec  ev  Ypacpak)  wurden  vervielfältigt,  nach  Herodian  IV  8,  2.  Wir 


1)  Die  erste  Miniatur  auf  Pergament  erscheint  bei  Martial  XIV  186;  darüber 
s.  oben  S.  287  Anm.  1.  In  der  Stelle  bei  Galen  III  S.  776  K.,  wo  er  von  Blendung 
des  Auges  handelt,  ist  von  Malerei  nicht  die  Rede;  sie  lautet:  ....  dvauiuvricxeiv  ce 
TTeipdcoluai  -rrpüJTOv  uev  Ttuv  Ypayiwv,  Kai  udXicö'  ötöv  ev  AeuKüuc  Öiqp0epaic  Ypäqpwav, 
üuc  xäfiveiv  pabiuuc  auTÜüv  ty]v  övjnv,  ei  iravTdiraav  dßor|9r|Toc  ein,  •  raur'  apa  Trpo|iir|0oü- 
f.tevoi  Kuavd  T€  Kai  cpaid  "rrapocrieevTcu  xp(Jü|Ll0tTa  frpöc  a  cuvexüjc  dTroßAeTrovTec  dva- 
irauoua  tüc  öipeic.  Der  Schlußsatz  kann,  wie  schon  S.  25  angegeben,  nicht  auf 
das  Aufsetzen  von  dunklen  Farben  gehen,  was  an  und  für  sich  seltsam  und  auch 
für  den  Zweck  nicht  ausreichend  gewesen  wäre,  sondern  nur  auf  dunkle  Blattflächen 
oder  Zeuge,  die  man  in  die  Nähe  legte,  um  zeitweilig  darauf  zu  blicken.  Denn 
TTapcmGeceai  heißt  „daneben  legen".  So  überziehen  wir  unsern  Schreibtisch,  auf 
dem  die  weißen  Papiere  liegen,  gern  mit  dunkelgrünem  Stoff,  weil  dies  das  Auge 
erholt.  Übrigens  ist  auf  Kai  udXicrct  acht  zu  geben:  die  Arbeit  der  ypacpeic  kann 
auch  sonst  für  das  Auge  angreifend  sein,  „besonders"  aber,  wenn  sie  auf  weißer 
Membrane  schreiben.  Daß  dieser  Beschreibstoff  etwa  von  ihnen  vorzugsweise  ge- 
braucht worden  wäre,  ist  damit  also  durchaus  nicht  ausgesprochen. 

2)  Pap.  Graeci  Mus.  Lugduni  Bat.  ed.  Leemanns  II  (1885)  S.  231  Z.  11.  Daß 
die  xpuccrrpaqpia  nur  der  Membrane  zukomme,  wie  ich  früher  glaubte  (vgl.  Blau 
S.  158  f.),  ist  also  falsch.    Wessely,  Wiener  Stud.  XII  S.  259  äußert  sich  zweifelnd. 

3)  Das  Versenden  von  Bilderentwürfen  (zum  Zweck  der  Kopie)  bezeugt  Paulinus 
Nolanus  epist.  32  p.  285  u.  291  ed.  Härtel.  Vgl.  übrigens  Mantuani  im  Dioskurides 
ed.  Karabacek  S.  242. 


Kopierbücher  der  Maler.    Bilderchroniken  als  picturae. 


303 


können  nur  annehmen,  daß  auch  die  Kopierbücher  der  Künstler  Papyrus- 
rollen waren,  da  ein  so  ausgedehnter  Gebrauch  der  Membrane  bis  in  das 
3.  Jahrh.  nach  Chr.  nicht  nachweisbar  ist. 

Mythologische  Gegenstände  aber  herrschten  in  diesen  Bilderrollen  vor. 
Das  waren  also  dieselben  Musterbücher  mythologischen  Inhalts,  nach  denen 
man  bald  nach  Pompeji's  Verschüttung  auch  die  Sarkophage  zu  schmücken 
begann.  Man  blicke  auch  auf  die  Basis  Casali  im  Belvedere.1)  Sie  ist 
mit  solchen  Mythologemen  dreiseitig  umwickelt,  und  zwar  in  Streifenform. 
In  dieser  Streifenform  verrät  sich  das  Musterbuch;  an  zwei  Seiten  drei,  an 
einer  sogar  vier  Streifen  übereinander:  sie  enthalten  Bilder  aus  der  troja- 
nischen und  aus  der  Gründungssage  Roms.  Da  sieht  man  Exzerpte  aus 
solchen  Büchern,  an  die  ich  denke. 

Auch  die  Ilischen  Tafeln  waren  sichtlich  von  ihnen  beeinflußt,  und  auch 
sonst  wußten  gelehrte  Männer  sich  solcher  Bilderbücher  zu  bedienen.  Schon 
Michaelis  hat  in  den  JAHN'schen  Bilderchroniken  S.  89  ff.  auf  ein  Zeugnis 
hierfür  hingewiesen.  Danach  ist  es  von  Maass  in  seinen  Tagesgöttern 
S.  251  f.  besprochen.  Es  sei  hier  mitgeteilt.  Der  Verfasser  der  Her- 
meneumata  Leidensia'2)  vom  Jahre  207  n.  Chr.  schickt  sich  an,  Hygin's 
„Genealogia"  für  seine  Schüler  auszuziehen  und  griechisch  zu  über- 
setzen; zu  dieser  Mühewaltung  bemerkt  er  einleitend,  Corp.  gloss.  lat.  III 
56,  33  ff.: 

sed  in  hoc  (sc.  libro)  erunt  eorum  (sc.  deorum)  enarrationes  licet  non 
omnes  ....  picturae  igitur  huius  laboris  multis  locis  dant  testimonium;  nam  et 
grammatici  artis  eins  (sc.  picturae)  non  solum  laudant  ingenium  (Tiqv  eücpu'i'av)  sed 
et  utuntur.  Fabulae  quoque  pantomimorum  inde  accipiunt  laudem  et  testantur  in 
saltatione  vera  esse  quae  scripta  sunt  (xä  Yerpauiueva).  D.  h.  „Für  die  Beschäf- 
tigung mit  der  Mythologie  (labor)  geben  auch  die  Malereien  an  vielen  Plätzen  (loci) 
Zeugnis;  denn  auch  die  Philologen  loben  die  fruchtbare  Erfindungsgabe  (ingenium) 
der  Malerei  nicht  nur,  sondern  sie  bedienen  sich  ihrer  auch.  Auch  die  Pantomimen- 
tänze werden  wegen  ihres  mythologischen  Inhalts  gelobt,  und  sie  vergegenwärtigen 
das  als  wirklich,  was  überliefert  wird." 

Der  Verfasser  sagt  also  nicht,  daß  er  etwa  sein  geringes  Lehrbuch 
selbst  mit  Malereien  versehen  wolle,  sondern  hebt  nur,  um  seinen  schwie- 
rigen mythographischen  Gegenstand  zu  empfehlen,  hervor,  daß  ja  auch  der 
allbeliebte  Pantomimus  von  solchen  Fabeln  lebt,  ebenso  auch  die  Malerei. 
Die  Malereien  aber  loben  die  Grammatiker  nicht  nur,  sondern  bedienen 
sich  ihrer  auch.  Dies  hat  Michaelis  überzeugend  darauf  gedeutet,  daß  man 
im  Jugendunterricht  für  reifere  Knaben  solche  Bilderserien,  wie  sie  in  den 
Tabulae  Iliacae  vorliegen,  wirklich  zeigte  und  vorlegte:  allerdings  aber  nicht 
als  Tafeln,  sondern  als  gemalte  Bilderserien:  picturae.  Der  Verfasser  der 
Hermeneumata  Leidensia  selbst  fühlt  sich  nur  als  Elementarlehrer;  daher 


1)  Abbildung  in  den  Melanges  d'arch.  et  d'hist.  Bd.  23  (1903)  S.  27  ff. 

2)  Der  sog.  Dositheus  magister. 


304 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


sagt  er  nicht:  Wir  Grammatiker  bedienen  uns  der  Malerei,  sondern:  „die 
Grammatiker  bedienen  sich  ihrer."  Diese  Ausdrucksweise  macht  deutlich, 
daß  sein  eignes  Lehrkompendium  nicht  illustriert  war. 

Leider  besitzen  wir  für  diese  mythologischen  Bilderrollen  keine  Belege 
mehr.  Und  doch!  Ein  solcher  Beleg  sind  gewissermaßen  Philostrat's  Ge- 
mälde (€ü<6vec).  Auch  die  Gemälde  Philostrat's  sind,  wie  er  ausdrücklich  an- 
gibt, für  Knaben  bestimmt,  aber  in  der  Buchrolle  werden  die  Bilder  hier  nun 
durch  Bildbeschreibungen  des  Sophisten  ersetzt.  Erst  im  Zusammenhang 
unsrer  Betrachtung  kann  das  merkwürdige  literarische  Unternehmen  Philo- 
strat's richtig  aufgefaßt  werden.  Er  ersetzte  das  geläufige  Bilderbuch  durch 
eine  Sammlung  von  Ekphrasen,  die  an  Wirkung  die  Bilder  noch  über- 
trumpfen sollen.  Solch  Bilderbuch  enthält  demnach  31  oder  34  Nummern. 
Es  gab  Pinakotheken  auf  gerolltem  Papier. 

Auch  wir  zeigen  heute  in  den  Schulklassen,  beispielshalber  im  bibli- 
schen Geschichtsunterricht,  nicht  gern  illustrierte  Bücher,  sondern  lieber 
selbständige  Bilder.  Man  sieht,  dieser  Anschauungsunterricht  ist  sehr  alt, 
und  er  wurde  auch  noch  auf  andere  Materien  angewandt.  Denn  derselbe 
Kinderlehrer  und  Hermeneut  macht  noch  eine  zweite  die  Malerei  betreffende 
Äußerung,  die  Michaelis  a.  a.  0.  gleichfalls  besprochen,  aber  weniger  glück- 
lich beurteilt  hat.  Auch  Tierfabeln  will  der  Lehrer  seinen  Schulkindern 
erzählen  und  leitet  das,  zweisprachig,  lateinisch  und  griechisch,  folgender- 
maßen ein,  Corp.  gloss.  III  39,  49  ff.: 

nunc  ergo  incipiam  fabulas  scribere  Aeso- 

pias  et  subiciam  exemplum. 
per  eum  enim  picturae  constant. 

sunt  enim  valde  necessariae  ad  utili- 

tatem  vitae  nostrae. 
primo  ergo  loco  fabulam  incipiam  de 

cervo. 

Hier  tauchen  also  farbige  Bilder  zu  den  äsopischen  Fabeln  auf.  Aber 
der  Wortlaut  ist  unsinnig.  Ich  meine  das  subiciam  exemplum;  denn  ob 
wir  exemplum  mit  „Beispiel"  oder  etwa  mit  „Bild"  übersetzen  wollen,  immer 
würde  doch  der  Plural  exempla  notwendig  zu  fordern  sein.  Daß  aber  die 
Übersetzung  „Bild"  nicht  zulässig  ist,  beweist  schon  das  griechische  urrö- 
beiyua.  Dieser  griechische  Text  stimmt  genau  überein  und  verbietet  uns 
gewaltsamere  Änderungen  vorzunehmen.  In  der  Tat  ist  m.  E.  nur  ein 
kleines  Wörtchen  ausgefallen.  Man  vergleiche  Sueton  Tiber  c.  21:  ex 
quibus  (sc.  epistulis)  in  exemplum  pauca  hinc  inde  subieei.  Dies  subicere 
in  exemplum  weist  den  Weg;  auch  unser  Hermeneut  schrieb  ohne  Zweifel 
subiciam  in  exemplum.1)    Und  alles  ist  klar.    Ich  übersetze:  „Jetzt  will  ich 


,   1)  Auch  Ovid  braucht  Fast.  4,  243  in  exemplum. 


vuv  oöv  äpEo(aai  juüOouc  Ypäcpeiv  Akumvouc 

Kai  öttotoEuu  vnobeij fia' 
biet  toutov  jap  cd  £uJYpctqn&ec  cuv- 

ecxr|Kav. 

eiäv  YaP  ^av  dvcrpccttai  irpöc  diqpeXeiav 

toO  ßtou  f|U.ÜJV. 
TTpiiiTix)    oüv    töttuj    |aüOov    äpto|uc(i  dirö 

eXäqpou. 


Philostrat.    Tierfabeln  in  Bildern. 


305 


Denn  durch  Äsop  (per  eum) 


also  einige  äsopische  Fabeln  aufzuschreiben  anfangen  und  sie  in  Aus- 
wahl hinzufügen  (in  exemplum  subiciam). 
haben  wir  ja  auch  die  gemalten  Bil- 
der."1) Und  wir  entnehmen  nunmehr  die- 
ser kurzen  Äußerung  mit  Sicherheit,  daß 
der  Verfasser  Sammlungen  solcher  farbigen 
Bilder,  die  Tierfabeln  darstellten  und  die 
nach  Äsop  benannt  wurden,  als  allgemein 
bekannt  voraussetzte.  Ja,  diese  Bilder  be- 
zeichnet er  als  notwendig  für's  Leben  (dva- 
YKcuai  kt\.)  und  erzählt  die  Fabeln  offenbar 
zu  ihrer  Erklärung;  denn  sonst  würde  er 
die  Bilder  schwerlich  erwähnen.  Daß  auch 
sie  ohne  Text  umgingen  und  in  den  Schul- 
klassen gezeigt  wurden,  ist  gewiß  möglich. 

Nur  möglich?  Nein,  die  langen  Tier- 
bilderstreifen auf  der  „Tapisserie  de  Bayeux", 
die  aus  dem  Altertum  stammen,  erweisen 
es  als  tatsächlich.  Auch  da  erzählen  die 
Tiere,  Bild  an  Bild,  ohne  Text.2)  Und  auch 
Ägypten  hilft.  Reste  von  Tierszenen  satirischen 
Charakters  auf  Papyrus  lagen  schon  in  Turin 
und  London  vor3);  neuerdings  ist  ein  weiteres 
Fragment  von  1 2  cm  Blatthöhe  von  Bruqsch-Bey 
veröffentlicht  worden4),  dessen  Nachbildung 
ich  unter  Abb.  179  hier  einfüge;  man  sieht 
Katzen,  die  einer  Ratte  den  Hof  machen, 
einen  Schakal  als  Hirten  oder  Milchträger  u.  a. 
Die  Zeichnung  ist  buntfarbig.     An  solche 


1)  Das  per  eum  geht  selbstverständlich  auf 
Äsop.  Aus  dem  Adjektiv  Aesopiae  wird  der 
Name  Aesopus  herausgenommen,  ganz  in  der- 
selben Weise,  wie  es  bei  Plautus  heißt,  Casina 
11  ff.: 

Nos  postquam  populi  rumore  intelleximus 
Studiose  expetere  vos  Plautinas  fabulas, 
Antiquam  eius  edimus  comoediam. 

Wie  hier  eius  zu  Plautinae  fabulae,  so  verhält 
sich  per  eum  zu  Aesopiae  fabulae. 

2)  s.  THIELE,  Der  illustrierte  lat.  Aesop  S.  36  f. 

3)  Prisse  d'Avennes,  Hist.  de  l'art.  eg.  II 
Tfl.  25;  vgl.  MASPERO  a.  a.  O.  S.  161. 

4)  Zeitschrift  f.  äg.  Spr.  35  S.  140. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


306 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Bilder  ohne  Text,  die  in  jeder  Sprache  verständlich  sind,  dachte  also  auch 

unser  Schulmeister.1) 

Aus  so  versteckten  Winkeln  der  Literatur  entnehmen  wir,  was  die 

großen  Autoren  vornehm  verschweigen.     Für   die  Helden-  und  für  die 

Tierfabel  sind  die  Nachweise  hiermit  erbracht;  und  es  fehlen  nur  noch  die 

Geschichtsbücher  in  Bildern,  die  eigentlichen  Historien.    Das  Suchen  nach 

ihnen  führt  uns  zu  unserm  Ausgangspunkt  zurück.    Denn  für  sie  sind  eben 

Trajanssäule  und  Marcussäule  die  mächtigen  Zeugen,  die  an  der  Straße 

stehen  und  an  denen  niemand  vorbeikommt,  ohne  sie  wahrzunehmen. 

Was  in  diesen  beiden  Fällen  in  Marmor  ausgeführt  wurde,  blieb  bei  Kaiser 
Maximin  in  den  Anfängen  stecken.  Maximin  ließ  seine  Besiegung  der  Germanen 
in  gewaltigen  Schlachtenbildern  malen  (Ypacpf|vcn  lueYicraic  eiKoct)  und  in  seiner  Ab- 
wesenheit in  Rom  vor  der  Kurie  aufstellen  (Herodian  VII  2,  8):  ein  Kriegsbulletin  in 
Bildform,  das  aus  dem  Feldlager  kam.  Es  gelang  ihm  aber  nicht  in  Rom  als 
Sieger  einzuziehen,  und  so  blieb  es  bei  diesen  Malereien. 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  für  die  Ausarbeitung  des  Riesen- 
reliefs der  Trajanssäule,  wie  Petersen  ansetzt,  erst  zeichnerische  Entwürfe 
vorgelegen  haben  müssen.  Dieser  zeichnerische,  übrigens  aber  gewiß  auch 
kolorierte  Entwurf  muß  dann  doch  aber  auch  seinerseits  einheitlich  gewesen 
sein,  er  muß  schon  das  Ganze  umfaßt  haben.  Er  konnte  also  auch  wieder 
nur  Buchform,  er  konnte  nur  dieselbe  Rollenform  haben,  die  die  Säule 
nachahmt.  Dasselbe  gilt  von  den  ähnlichen  Fällen  bis  zur  Bernward- 
säule. 

Sollen  wir  nun  annehmen,  daß  nach  Herstellung  der  Säule  der  Ent- 
wurf vernichtet  wurde?  daß  die  Bildererzählung  von  Trajan's  Großtaten  nur 
auf  dem  einen  hochgereckten  Monument  zu  sehen  war,  dessen  obersten 
Teil  doch  kein  Auge  erreichte?  Das  meiste  Detail  wäre  da  verloren  ge- 
wesen und  für  nichts  erfunden  worden.  Ich  bin  weit  entfernt  dies  zu 
glauben,  sondern  vielmehr  gewiß,  daß  das  Werk  zugleich  auch  in  Buch- 
form verbreitet  worden  ist  und  sich  in  den  Händen  des  Publikums  bis  in 
die  Provinzen  hinein  befand.  Ganz  dasselbe  wird  ja  auch  für  die  Erzinschrift 
des  sog.  Monumentum  Ancyranum  angesetzt.2)  Und  mit  der  Marcussäule 
verhielt  es  sich  nicht  anders.  Petersen  nahm  in  den  Rom.  Mitteilungen 
1894  S.  78  ff.  einen  weitgehenden  Einfluß  des  Reliefs  der  Marcussäule  auf 
die  Geschichtssschreibung,  insbesondere  für  die  Legendenerzählung  vom 
Blitz-  und  Regenwunder  an.  Im  Rhein.  Mus.  50  S.  473  f.  hat  derselbe  Ge- 
lehrte diese  Annahme  mit  Recht  zwar  eingeschränkt,  mit  Recht  aber  auch 


1)  Hierzu  sei  erinnert,  daß  gerade  in  Ägypten  sich  ein  bilinguer  Babrios, 
griechisch  und  lateinisch,  gefunden  hat  (M.  Ihm,  Hermes  37  S.  147  f.).  Eine  äsopische 
Fabel,  die  das  Krokodil  einführt,  steht  bei  Halm  Nr.  37.  Ein  Bild  endlich,  Äsop 
von  Tieren  umgeben,  schildert  Philostrat  Imag.  I  3. 

2)  H.  Nissen,  Rhein.  Mus.  41  S.  492  f.;  Sueton  benutzte  selbst  den  Text;  vgl. 
auch  F.  Qottanka,  Sueton's  Verhältnis  zu  der  Denkschrift  des  Augustus,  1904. 


Historien  in  Bildern. 


307 


nicht  zurückgenommen.  Daß  indes  das  in  der  Höhe  angebrachte,  kaum 
erkennbare  Reliefbild  mit  dem  Regengott  und  der  Szene  der  Durstenden 
diesen  Einfluß  auf  die  Literatur  hätte  üben  können,  kann  ich  mir  nicht  vor- 
stellen. Vielmehr  waren  Exemplare  davon  im  Publikum  verbreitet,  und 
zwar  noch  gegen  das  Jahr  400  n.  Chr.  Das  bezeugt  der  Redner  Themi- 
stius,  Nr.  19  S.  191.  Er  bestätigt  unsre  Voraussetzung  vollständig.  Denn 
indem  er  das  Regenwunder  kurz  erzählt,  beruft  er  sich  dafür  auf  eine  Ab- 
bildung des  Vorgangs,  die  er  in  Farben  gesehen:  Kai  elöov  eyai  ev  YPa<piÜ 
eiKÖva  tou  epfou.  Das  ergibt  eine  Kopie  des  Marcusbilderbuchs,  und 
zwar  für  Konstantinopel. 

Hiernach  ist  an  die  auffallende  Tatsache  zu  erinnern,  daß  im  byzanti- 
nischen Griechisch  iciopia  geradezu  die  Bedeutung  Malerei,  ktopeiv  die 
des  Malens  erhalten  hat.  Die  Lexika  geben  hierüber  Auskunft.  Woher 
das?  Nur  die  hier  besprochene  Gewohnheit  der  Bilderhistorie,  und  zwar 
der  Bildererzählung  in  Buchform,  kann  das  erklären.  In  der  Tat  setzen 
die  byzantinischen  Chroniken  mit  ihren  „steckbriefartigen  Personalbeschrei- 
bungen", wie  Krumbacher  (Gesch.  der  byz.  Literatur2  S.  220)  hervorhebt, 
vielfach  die  Kenntnis  von  Bilderchroniken  voraus,  die  diesen  Trieb  zur 
Anschaulichkeit  beeinflußt  haben.  In  diesem  Zusammenhang  gewinnt  nun 
noch  eine  Notiz  Bedeutung,  die  sich  in  dem  glossarartigen  Traktat  unter  dem 
Titel  „Sanctus  Hieronymus  et  Moyses  de  Graecia"  bei  Pitra  Anal,  sacra  et 
class.  Sol.  V  S.  128  B  findet.  Da  wird  erzählt,  daß  der  jüngere  Scipio  und 
Alexander  der  Große  die  Historiker,  die  sie  verherrlichten,  im  Felde  mit 
sich  führten1);  Cäsar  dagegen  habe  seine  Taten  selbst  beschrieben.  Daran 
schließt  sich:  Graecia  vero  communiter  quaeque  priora  per  picturas 
digesta  vocavit  historias.  Nobis  quoque  mos  est  papyraceas  texturas 
hystorias  nominare,  praecipue  quae  pictur atae  nobis  Aegypto  vehuntur. 
Es  wäre  gewiß  zu  wünschen,  daß  über  Zeit  und  Ort  der  Abfassung  dieser 
Schrift  und  ihren  Quellenwert  Genaueres  feststünde.  Doch  scheint  sie  im 
5.  Jahrh.  und  außerhalb  Ägyptens  abgefaßt.  Daß  der  Skribent  unter  pictura 
„Schrift"  verstanden  habe,  ist  nun  doch  ganz  unglaublich.  Dann  aber  er- 
gibt sich,  daß  für  ihn  nach  älterem  griechischen  Gebrauche2)  Historien 
„die  auf  gemalte  Bilder  verteilten  Ereignisse  der  Vorzeit"  sind:  priora  quae- 
que digesta  per  picturas;  sodann  aber,  daß  man  auch  in  seiner  Zeit  bemalte 
Papyrusgewebe,  die  aus  Ägypten  kamen,  Historien  benannte,  textura 
heißt  die  Charta  mit  Recht.3)  An  unsrer  Stelle  aber  ist  der  Ausdruck 
durch  das  griechische  kriov  „das  Gewebe"  veranlaßt,  wovon  die  ieropia 
herzukommen  schien,  als  wäre  sie  eine  'icroTrovict.    An  bunte  Teppiche  zu 


1)  Ähnliches  fabelt  vom  älteren  Scipio  Claudian. 

2)  Unter  Graecia  wird  das  Griechenland  der  klassischen  Zeiten  verstanden. 

3)  Vgl.  das  texere  bei  Plinius  13,  77  u.  81. 

20* 


308 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


denken  ist  ausgeschlossen;  denn  wir  lesen  hier  ja  ausdrücklich  von  „be- 
malten Papyrusgeweben"  und  von  Ägypten  als  Ort  der  Herkunft. 

Somit  hat  man  in  jener  Zeit  und  wohl  schon  früher  unter  „Historien" 
speziell  gemalte  Bildererzählungen  auf  Papyrus  verstanden.  Für  unsre  An- 
schauung ist  damit  ein  neues  Fundament  gewonnen.  Und  zwar  kamen 
diese  Sachen  vornehmlich  aus  Ägypten  (Aegypto  vehuntur).  Wer  wundert 
sich  nun  noch  darüber,  daß  in  Ägypten  die  illustrierte  christliche  Welt- 
chronik gefunden  ist?  Wer  wundert  sich  noch  über  die  „Historie"  vom 
Dakerkrieg,  die  uns  an  der  Trajanssäule  als  „picturata  papyracea  textura" 
begegnet,  und  über  all  die  sonstigen  Historien  in  Bildern,  zur  Genesis, 
zum  Josua,  zum  Jesusleben,  zum  Davidleben,  für  die  wir  die  Zeugnisse 
beigebracht?  Alles  das  sind  „priora  quaeque  per  picturas  digesta".  Auch 
für  diese  Sachen  muß  Alexandria  die  Zentrale  gewesen  sein,  wie  dies 
schon  Kondakoff  I  S.  40  u.  120  vermutet  hat.  Das  gilt  vielleicht  nicht 
immer  von  der  Erfindung,  wohl  aber  von  ihrer  Vervielfältigung.1) 

Interessant  war  es  mir  zu  sehen,  daß  schon  Florus  seine  Biographie 
des  Römervolkes3)  mit  einer  Malerei  wenigstens  vergleicht.  In  seinem 
Vorwort  heißt  es:  faciam  quod  solent  qui  terrarum  situs  pingunt:  in  brevi 
quasi  tabella  totam  eius  imaginem  amplectar.  Da  Florus  sich  der  größten 
Kürze  befleißigt,  so  vergleicht  er  sein  kleines  Kompendium  passend  mit 
einer  Landkarte  (tabella);  denn  eine  solche  gibt  eben  gleichfalls  das  Un- 
endliche im  engsten  Rahmen.  Er  denkt  dabei  doch  aber  notwendig  an 
eine  kontinuierende  Bilderfolge,  die  das  zeitliche  Nacheinander  der  Taten 
des  Helden  in  einem  großen  Überblick  zusammenfaßt. 

Nach  all  dem  Vorgetragenen  glaube  ich  dann  endlich  auch  den  Nae- 
volus  bei  Juvenal  IX  145  hier  erwähnen  zu  dürfen,  der  sich,  um  bescheiden 
auskömmlich  leben  zu  können,  eine  Jahreseinnahme  von  20  000  Sesterz 
wünscht,  dazu  etwas  anständiges  Tafelgeschirr,  zwei  tüchtige  Sänftenträger, 
endlich  zwei  Sklaven,  die  er  an  Kunstunternehmer  vermieten  kann3),  den 
einen  zum  Ziselieren,  den  andern  zum  Schnellmalen  von  menschlichen 
Figuren;  es  heißt:  qui  multas  facies  pingit  cito.  Das  Wort  facies  weist 
nicht  notwendig  auf  Porträts,  das  Hervorheben  des  Schnellarbeitens  aber 

1)  Vielleicht  hängt  mit  diesen  Papyrusgeweben  historischen  Inhalts  die  ägyp- 
tische Teppichmalerei  zusammen,  über  deren  Einfluß  auf  den  Occident  vom  4.  bis 
zum  14.  Jahrh.  Strzygowski,  Orient  und  Rom  S.  111,  Bemerkungen  macht.  Die 
Bilder  auf  Seidenstoff  in  der  Kathedrale  von  Sens,  die  er  S.  117  abbildet,  haben 
die  Anordnung  in  Streifen,  von  der  wir  hier  reden,  sowie  griechische  Beischriften. 
Über  „Historien"  auf  Gewändern  sei  noch  Nikophoros  Apologet,  c.  61  verglichen. 
Alexandrinische  Gewebe  erwähnt  noch  Ariost,  Ras.  Roland  X  37.  Wie  auf  öGoviov 
ein  Bild  mit  dazugeschriebenem  Text  hergestellt  wird,  sehen  wir  auf  der  von  Dieterich 
herausgegebenen  Papyrus  magica  col.  IV  16  ff. 

2)  Eine  Biographie;  denn  es  heißt:  1  praef.:  si  quis  ergo  populum  Romanum 
quasi  unum  hominem  consideret. 

3)  So  nach  Friedländer. 


Alexandria  Centrale.    Jonischer  Fries. 


309 


auf  fabrikmäßige  Vervielfältigung  hin.  Solche  Leute  wurden  also  zeitlebens 
zum  Kopieren  von  Vorlagen  —  wohl  vornehmlich  in  Buchform  —  verwendet, 
und  sie  wurden  dazu  ausgebildet. 


Nunmehr  kann  sich  der  Blick  endlich  zu  freierer  Umschau  erheben. 
Es  würde  in  der  Tat  nützlich  sein,  alle  Streifendarstellungen,  alle  Friese 
mit  kontinuierender  Erzählung  einmal  einheitlich  zu  betrachten  und  die  erste 
Anregung  zu  ihrer  Anordnung  zu  ermitteln.  In  welchem  Sinne  ich  dies 
meine,  ergibt  sich  schon  aus  dem  Vorgetragenen  und  sei  nur  mit  einigen 
Bemerkungen  hier  schließlich  noch  verdeutlicht. 

Schon  oben  haben  wir  den  Fries  der  Odysseelandschaften,  den  pom- 
pejanischen  Bildercyklus  aus  der  Ilias  zum  Vergleich  herangezogen.  Auch 
der  Theaterfries  Pompeji's  hat  uns  geholfen,  die  Terenzbilderrollen  zu  er- 
klären. Gemalte  Friese  aber  und  bemalte  skulpierte  Friese  lassen  sich 
hier  nicht  sondern;  denn  für  das  Augenwerk  der  Anordnung  und  der 
eigentlichen  Erfindung  fallen  sie  zusammen. 

Schon  andere  haben  mit  der  Trajans-  und  Marcussäule,  wie  gesagt, 
den  großen  Reliefstreifen  von  Gjölbaschi,  der  den  trojanischen  Krieg  erzählt, 
verglichen;  ebenso  auch  als  Muster  kontinuierender  Erzählung  den  Tele- 
phosfries  von  Pergamum.1)  Begnügen  wir  uns  also  zunächst  mit  diesen 
Beispielen.  Solche  Skulpturen  setzen  nun  jedenfalls  sämtlich  Entwürfe 
voraus,  die  gleichfalls  dieselbe  Schmalheit  und  Länge,  dieselbe  Streifen- 
form hatten.  Als  Träger  dieser  Entwürfe  in  Streifenform  aber  läßt  sich 
überall  nur  die  Buchrolle  denken. 

Aber  man  kann  auch  die  Vermutung  wagen,  daß  die  Erfindung  des 
Zophoros  des  jonischen  Baustils  selbst,  der  hoch  oben  um  die  Wand  läuft, 
Nachahmung  einer  solchen  offnen  Rolle  gewesen  und  daß  aus  ihr  die  erste 
Anregung  zu  seiner  Erfindung  geflossen  ist. 

Im  alten  dorischen  Metopenfries  wurde  durch  die  Triglyphen  die  Bild- 
folge zerrissen.  Der  bandartige  jonische  Fries  verdrängte  ihn.  Dies  war 
ein  Sieg  des  Papyrusbuchwesens  in  der  großen  griechischen  Kunst,  der 
im  Perikleischen  Zeitalter  sich  durchsetzte. 

Ich  weiß  wohl,  daß  ein  solches  Allgemeinurteil  wenig  Zwingendes  hat, 
daß  vielmehr  jeder  Einzelfall  gesondert  zu  betrachten  und  daß  auch  sonst 
Vorsicht  geboten  ist.  Zur  Vorsicht  mahnt  vor  allem  die  babylonisch- 
assyrische Kunst,  die  ihre  Bilder  gleichfalls  gelegentlich  in  Streifenform 
erfindet,  so  wie  schon  die  älteste  Vasenmalerei  auf  griechischem  Boden  ihre 
Zeichnungen  oftmals  in  mehreren  Streifen  um  ein  Gefäß  herumführt,  schon 
lange  vor  der  Francoisvase  und  zu  einer  Zeit,  als  die  Papyrusrolle  bei  den 


1)  Petersen,  Ära  Pacis  S.  171. 


310 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Griechen  gewiß  noch  nichts  bedeutete.  So  wurden  auch  die  alten  Schilde 
im  Stil  des  Schildes  des  Achill  in  konzentrischen  Rundstreifen  ornamentiert 
und  die  Oberteile  der  Wandflächen  in  den  etruskischen  Gräbern  mit  fries- 
artig gestreckten  Bildern  ausgefüllt,  was  ich  auf  ägyptische  Einflüsse  nicht 
zurückzuführen  wage.1)  Gleichwohl  ist  nicht  zu  verkennen,  daß  Ägypten, 
das  Land  der  Papyrusrolle,  zugleich  das  in  Streifen  geführte  Relief  (Bas- 
relief en  creux)  in  überwältigender  Masse  und  ständig  angewandt  hat  und 
daß  wir  bei  diesen  ägyptischen  Friesen  oft  gar  nicht  anders  können  als 
darin  die  Nachahmung  des  aufgerollten  Buchs  mit  seinen  Bildern  und 
seiner  Bilderschrift  zu  sehen.  In  allen  Werken,  die  heute  von  Ägypten 
handeln,  findet  man  Beispiele  s.  z.  B.  Perrot-Chipiez  I  S.  547  ff.  Figur  325; 
Panckoucke,  Description  de  l'Egypte  III  Tfl.  49  u.  a.  Der  ägyptische  Wand- 
schmuck ahmte  zugleich  das  ikonische  Buch  und  die  Matte  nach. 

Aber  nicht  nur  die  Bandform  des  Reliefs,  das  oft  in  Streifen  über- 
einander schier  endlos  sich  fortsetzt,  war  ägyptisch,  sondern  auch  schon 
die  Manier  der  kontinuierenden  Erzählung  selber.  Ich  kann  mich  nicht 
enthalten  hier  zu  wiederholen,  was  ich  bei  Maspero  Ägyptische  Kunst- 
geschichte S.  137  über  jene  alten  ägyptischen  Künstler  lese:  Anstatt  aus  den 
großen  Taten  des  Pharao  eine  besonders  hervorragende  Episode  zu  wählen, 
gefielen  sie  sich  darin  alle  aufeinanderfolgenden  Momente  seiner  Feldzüge 
nebeneinander  zu  setzen:  nächtlichen  Angriff,  abgesandte  Spione,  Überfall, 
Schlacht  usf.  Die  Pylone  von  Luxor  und  vom  Ramasseum  tragen  solche 
Historien  in  Bildern:  es  ist  „gleichsam  ein  illustriertes  Bulletin  des  Feld- 
zugs". Wo  ist  da  ein  Unterschied  von  Trajanssäule  und  Josuarolle?  Das 
Verfahren  war  uraltes  Erbe.  Die  enorme  Zeitkluft,  die  die  Trajanssäule 
von  jenen  Pylonen  trennt,  muß  durch  die  Geschichte  des  griechischen 
Reliefs  und  Streifenbildes  überbrückt  werden. 

Wenn  in  der  griechischen  Architektur  der  jonische  Bilderfries  aufkam, 
so  zeigt  schon  seine  Form,  daß  er  nur  die  Fortsetzung  des  ägyptischen 
Streifenreliefs  -  sein  kann,  das  aber  in  der  Hand  der  Griechen  sparsamer 
verwendet,  veredelt,  geadelt  wurde.  Immerhin  ist  zu  beachten,  daß  sich  in 
der  griechisch-römischen  Kunst  mitunter,  ebenso  wie  bei  den  Ägyptern, 
auch  mehrere  parallele  Streifen  hart  untereinander  her  laufend  finden. 

Daß  sich  auch  die  griechische  Architektur  wie  die  ägyptische  durch 
das  Buchwesen  hat  anregen  lassen,  dafür  zeugt  m.  E.  der  Ausdruck  ceXibec, 
der  für  den  Rundbau  der  Tholos  von  Epidaurus  feststeht  (oben  S.  214). 
Daß  das  Motiv  des  Ornaments  am  jonischen  Kapitell  vom  Buch  beeinflußt 
wurde,  ist  S.  135  vermutet  worden. 

Wie  ist  nun  endlich  der  jonische  Zophoros  oder  das  Diazoma  seinem 
Wesen  nach  zu  verstehen?  Wer  da  annimmt,  daß  in  ihm  eben  nur  Figuren 

1)  Die  etruskischen  Fresken  mit  Beischriften  aus  Corneto,  abgebildet  Monum. 
Inst.  IX  (1881)  Tfl.  25,  ähneln  in  der  Tat  ganz  dem  hier  besprochenen  Bilderbuch. 


Ägyptische  und  griechische  erzählende  Friese. 


311 


hoch  oben  an  der  Wand  befestigt  werden,  der  wird  freilich  jede  weiteren 
Schlüsse  ablehnen.  Doch  ist  dies  ein  unmöglicher,  weil  unkünstlerischer 
Gedanke.  Warum  wurden  die  Friese  denn  auch  von  der  übrigen  Wand 
so  sorglich  durch  Ränder  abgegrenzt  und  ausladend  abgehoben? 

In  der  Tat  ist  es  uns  Modernen  geläufig,  vom  „Band"  des  Frieses  zu 
reden.  Um  einen  Zeugen  anzuführen,  so  nennt  L.  v.  Sybel  in  seiner  Welt- 
geschichte der  Kunst  2.  Aufl.  S.  189  den  Parthenonfries  das  festliche  „Stirn- 
band" des  Cellahauses  und  sagt  S.  203:  im  Gegensatz  zum  Triglyphenfries, 
in  welchem  die  Triglyphen  bisweilen  auf  zwei  Platten  verteilte  einheitliche 
Szenen  zerschnitten,  wirkte  der  jonische  Bilderfries  als  Erlösung;  „es  ent- 
rollte sich  ein  langes  Band".  Also  ein  Band,  das  entrollt  wird.  Diazoma 
bedeutet  eben  einen  Gürtel  oder  ein  gestrecktes  Band.  Dies  ist  ein  antiker 
Terminus.  Daß  also  die  Friese  die  Vorstellung  eines  solchen  wirklich  er- 
wecken sollten,  ist  der  nächstliegende  und  ein  berechtigter  Gedanke. 

Bestätigend  dafür  sind  die  Fälle,  wo  die  Ausführung  des  Frieses  diese 
Bandnatur  noch  besonders  betont,  wie  es  im  Pergamener  Gigantenkämpf 
der  Fall  ist.  Hierüber  äußerte  sich  Trendelenburg  in  Baumeister's  Denkm. 
S.  1250 B  folgendermaßen:  „Jede  Unterbrechung,  jedes  Aufhören,  jede  seit- 
liche Umrahmung  des  Frieses  ist  auf  das  ängstlichste  vermieden,  und  er  läuft 
ohne  Absatz  auf  allen  Seiten  herum.  Sogar  die  Ecken  des  Würfels  bilden 
keine  Einschnitte  in  der  Komposition,  sondern  werden  durch  übergreifende 
Gewandstücke,  Gliedmaßen  u.  dgl.  dem  Auge  möglichst  entzogen."  Die 
Figuren  selbst  biegen  sich  also  um  die  Ecken  des  Altarwürfels  herum. 
Ähnliches  kann  man  an  Werken  der  illusionistischen  Kunst  auch  sonst 
finden,  wie  an  dem  vor-  und  zurückspringenden  Friese  der  Athena  Ergane 
auf  dem  Forum  Nervae  zu  Rom.  Nun  hatte  es  aber  doch  offenbar  keinen 
Zweck,  das  Auge  so  kunstvoll  zu  täuschen,  wenn  man  nicht  die  Vorstellung 
eines  Bandes  auch  wirklich  zu  erwecken  beabsichtigte,  das  die  Ecken  des 
Baukörpers  ununterbrochen  umzieht. 

Gesteht  man  dies  zu,  so  frage  ich:  was  soll  es  für  ein  Band  gewesen 
sein,  das  in  diesen  Streifenbildern  nachgeahmt  wird?  Wollene  oder  leinene 
Bänder  von  solcher  Länge  und  Breite,  die  Bilder  trugen,  gab  es  doch  in 
Wirklichkeit  nicht.  Und  auf  Teppichen  waren  zwar  figürliche  Darstellungen 
beliebt,  die  man  an  die  Wände  hängte;  aber  auch  sie  hatten  nie  das  Format, 
das  hier  in  Betracht  kommt.  Das  einzige,  was  im  Leben  der  Alten  tat- 
sächlich der  Form  des  Diazoma  entsprach,  war  meines  Wissens  die  streifen- 
förmige offne  Buchrolle.  Ist  also  für  die  Erfindung  der  Friese  überhaupt 
eine  Anregung  aus  der  Anschauung  der  Wirklichkeit  anzunehmen,  so  konnte 
es  nur  das  Rollenbuch  und  zwar  das  hier  besprochene  Bilderbuch  in  Rollen- 
form sein.  Auf  alle  Fälle  sind  die  Entwürfe  zu  den  Diazomata  solche  ge- 
rollten Bilderbücher  gewesen. 

Diese  Anschauung  durch  alle  Monumente  zu  verfolgen,  kann  ich  nicht 


312 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


versuchen1)  und  erinnere  nur  noch  beispielshalber  an  das  lykische  Nereiden- 
monument (Baumeister  Nr.  1217),  um  dessen  kolossalen  Sockel  sich  zwei 
selbständige  und  räumlich  weit  voneinander  getrennte  Bilderstreifen  herum- 
ziehen; der  obere  gibt  sonstige  Heroenkämpfe;  der  untere  realistischer  die 
Belagerung  einer  Stadt:  das  ist  in  Anordnung  der  Einzelbilder  und  in  der 
Aufgabestellung  selbst  ein  unverkennbarer  Vorläufer  der  Trajanssäule,  es 
ist  zugleich  ein  Nachkomme  jener  Kriegsbulletins  auf  den  ägyptischen 
Pylonen. 

Sodann  der  Fries  von  Bassae.  Im  Innern  des  Apollotempels  läuft 
oben  der  Bilderstreifen  an  vier  Wänden  entlang,  aber  er  behandelt  zwei 
Kriege:  die  eine  Hälfte  des  Streifens  Amazonenkampf2),  die  andere  Centauren- 
kampf; da,  wo  beide  Kriegsgeschichten  zusammenstießen,  stand  vermittelnd 
die  Gestalt  des  Gottes  Apoll.  Das  muß  uns  wieder  an  die  Trajanssäule 
gemahnen.  Denn  das  Buch  der  Trajanssäule  erzählt  genau  ebenso  zwei 
Kriege;  und  in  der  Mitte  des  Ganzen,  wo  beide  zusammentreffen,  steht 
eine  schreibende  Nike.  Just  ebenso  trennt  eine  Nike  auch  die  beiden 
Marcomanenkriege  auf  der  Buchrolle  der  Marcussäule.  Es  ist  dies  eine 
ßißXoc  cuuuiyric,  ein  Buch,  das  sich  aus  zwei  unzusammenhängenden  Trak- 
taten zusammensetzt.  Da,  wo  der  zweite  Gegenstand  anfängt,  steht  statt 
eines  trennenden  Striches  oder  der  Koronis  eine  bedeutsame  Götterfigur, 
um  den  Absatz  zu  markieren. 

Der  Unterschied  zwischen  jenen  Friesen  der  älteren  Kunstübung  und 
den  Kaisersäulen  besteht  vornehmlich  nur  darin,  daß  die  letzteren  auch 
das  Buch  als  Buch  in  die  Aufgabe  des  Darzustellenden  mit  aufgenommen 
haben.  Denn  die  Trajanssäule  bildete  eben,  wie  wir  nicht  vergessen  dürfen, 
das  Zentrum  der  Trajansbibliothek. 

Viel  anschaulicher  wirken  nun  aber  Werke  jüngeren  und  späteren 
Stiles.  Man  sehe  doch  gleich  die  Mosaiken  in  S.  Maria  Maggiore  zu  Rom, 
eine  biblische  Geschichte  im  farbigen  Bildercyklus,  darauf  an,  ob  sie  im 
Grunde  etwas  anderes  sind  als  Josuarotulus  und  Bilderrolle  vom  Daker- 
krieg  und  als  der  Oktateuch  von  Watopädi?3)  oder  man  nehme  nur  die 
gemalten  Friese,  die  im  Thermenmuseum  zu  Rom  aufbewahrt  werden,  vor 
allem  den  Bildercyklus  vom  Esquilin,  Monum.  Inst.  X  Tfl.  10,  Helbig, 
Führer  Nr.  1163  f.,  der  der  Zeit  des  Kaiser  Augustus  angehört  und  wo  uns 
in  der  Illustrationsweise,  die  wir  aus  den  Vergilhandschriften  und  von  der 
Josuarolle  her  kennen,   die  Geschichten   von  der  Gründung  Lavinium's, 

1)  Einiges  gibt  Th.  Reinach,  Revue  archeol.  29  (1896)  S.  150. 

2)  Ein  Temperagemälde  aus  dem  5.  bis  4.  Jahrh.  vor  Chr.,  denselben  Amazonen- 
krieg darstellend,  ist  uns  übrigens  im  Original  erhalten:  ich  meine  den  bemalten 
etruskischen  Sarkophag  aus  Tarquinii,  im  Archäol.  Museum  zu  Florenz,  Amelunq, 
Führer  Nr.  211. 

3)  Schon  ERICH  Frantz,  Gesch.  der  christl.  Malerei  I  S.  158,  hat  diese  Mosaiken 
mit  der  Trajanssäule  verglichen.    Abbildungen  bei  Garrucci  Tfl.  215  ff. 


Der  Fries  Nachahmung  des  Bilderbuchs. 


313 


Alba  longa's  und  Rom's  vorgeführt  werden.  Schwarz  gemalte  Beischriften 
standen  unter  den  einzelnen  Szenen  und  erleichterten  das  Verständnis,  so 
daß  man  des  Textes  entbehren  konnte.  Ferner  setzen  sich  die  Szenen 
ohne  irgendwelche  Abtrennung  so  kontinuierlich  fort,  wie  wir  es  von  einem 
solchen  Geschichtenbuch  in  Bildern  erwarten:  Schlachtenkämpfe,  Friedens- 
schluß, Erbauung  einer  Stadtmauer  usf.  Also  römische  Urgeschichte,  die 
in  Konkurrenz  zu  den  gleichzeitigen  annalistischen  Erzählungen  des  Livius 
und  des  Dionys  entstanden  ist:  wer  von  der  Trajanssäule  herkommt  und 
den  Esquilinischen  Fries  sieht,  glaubt  auch  hier  das  Rollenbuch  mit  Händen 
zu  greifen,  in  dem  dieser  Cyklus  gemalt  stand.1) 

Ganz  ebenso  wirkt  der  gemalte  Fries  mit  Gerichtsszenen,  Monum. 
Inst.  XI  45  — 48,  Helbig,  Führer  Nr.  1124,  wennschon  die  Kompositionsweise 
hier  eine  ganz  andere  ist:  eine  Sammlung  von  lebensvollen  Einzel- 
handlungen, die  unvermittelt  als  geschlossene  Kompositionen  nebeneinander 
stehen  und  in  denen  dieselben  Personen,  besonders  eine  oder  zwei,  sich 
immer  wiederholen:  ohne  Frage  die  Illustration  einer  Anekdotensammlung 
oder  besser  die  eines  antiken  Romans,  eines  Reiseromans  voller  Abenteuer, 
Gerichtsszenen,  Beraubungen,  Erhöhung  und  Erniedrigung.2)  Ganz  offen- 
bar war  auch  dies  die  Wiedergabe  eines  bestimmten  Textes,  den  man  zum 
Verständnis  kennen  mußte,  in  Bildern;  aber  sie  ging  von  diesem  gesondert 
um,  und  die  Friesform  entspricht  dem  entrollten  Bilderbuch. 

In  ähnlicher  Art  muß  auch  der  Cyklus  der  Illustrationen  zu  den  äsopischen 
Fabeln  ursprünglich  angeordnet  gewesen  sein,  über  die  G.  Thiele,  Der  illustrierte 
lateinische  Äsop,  Leiden  1905,  gehandelt  hat.  Solche  Illustrationen  sind  in  einer 
Leidener  Handschritt  des  Presbyter  Ademar  aus  dem  Anfang  des  11.  Jahrh.  erhalten. 
Diese  Bilderhandschrift,  die  auch  des  Prudentius  Psychomachie  illustriert  und  in- 
direkt nach  antiken  Vorlagen  arbeitet,  ist  in  zweifacher  Beziehung  von  Interesse. 
Denn  die  Bilder  zur  Psychomachie  stehen  auf  den  Blättern  37-43  der  Handschrift 
tatsächlich  ohne  allen  Text  in  einer  einzigen  Bilderfolge :)  und  auf  fol.  45  ff.  ist 
dann  das  Gedicht  des  Prudentius  selbst  erst  hinzugefügt  worden.  Daß  sich  in 
dieser  Abtrennung  der  Bilder  das  Echte  bewahrt  haben  kann,  lehren  alle  hier  be- 
sprochenen Analogien.  Ebenso  sind  nun  aber  auch  die  erwähnten  Miniaturen  zu 
den  Äsopischen  Fabeln  selbständig  auf  die  18  Blätter  195-212  als  ihr  eigentlicher 

1)  Erheblich  älter  ist  der  Rest  von  Fresken  aus  einer  Grabkammer  auf  dem 
Esquilin,  der  sich  im  Terrakottenzimmer  des  Konservatorenpalastes  befindet  (Helbig, 
Führer  - 1  S.  420)  und  der  gleichfalls  kriegerische  Szenen  aus  der  römischen  Geschichte 
darstellt.  Die  Szenen  sind  in  Streifen  angeordnet.  Auch  dies  Stück  ist  in  die  Vor- 
geschichte der  Trajanssäule  mit  aufzunehmen. 

2)  Siehe  Robert,  Hermes  36  S.  366  f. 

3)  Siehe  R.  Stettiner,  Die  illustrierten  Prudentiushandschriften,  Tafelband,  1905, 
Tfl.  19  ff.  Alle  Bilder  haben  Querformat,  und  es  stehen  immer  je  vier  auf  einem 
Blatt  untereinander.  Diese  Blätter  sind  wertvoll,  weil  sie  das  ursprüngliche  Bilder- 
buch wiedergeben.  Die  ältesten,  besten  Prudentiusminiaturen  stehen  jedoch  im 
Parisinus  des  9.  Jahrh.,  Tfl.  1  ff.;  ein  Merkmal  dafür  ist,  daß  Personen  (Tugenden), 
die  die  Buchrolle  halten,  nur  in  diesem  Parisinus  vorkommen,  und  zwar  im  Motiv  I; 
siehe  Tfl.  3,  1  u.  Tfl.  7.  Vgl.  unten  S.  319.  Wenn  dieser  Parisinus  zur  Psychomachie 
des  Prudentius  ca.  60  Illustrationen  gibt,  so  stimmt  dies  z.  B.  zu  der  Zahl  der 
Bilder  des  Josua  (oben  S.  292). 


314 


V.  Die  Trajanssäule  und  das  Bilderbuch. 


Inhalt  verteilt,  der  Text  der  Fabeln  aber  steht  diesmal,  um  Raum  zu  sparen,  nicht 
dahinter,  sondern  ist  in  wilder  Weise  zwischen  den  Bildern  und  an  den  Seiten  ein- 
gezwängt, so  daß  der  Eindruck,  den  die  Zeichnungen  etwa  machen  könnten,  gänz- 
lich zerstört  wird.  Natürlich  war,  um  den  Text  auf  so  engem  Raum  unterzubringen, 
auch  eine  Unmasse  von  Schriftkompendien  nötig,  und  man  sieht  klar:  die  Bilder 
sind  hier  der  Text,  der  Fabeltext  selbst  ist  wie  Scholien  hinzugefügt  und  war  gewiß 
nicht  in  gleicher  Weise  in  der  Bildervorlage  angebracht,  die  der  Zeichner  benutzte. 

Daß  endlich  auf  jeder  Seite  etliche  Bilder  untereinander  stehen,  ist  in  ihrem 
geringen  Umfang  begründet,  und  dieselbe  Anordnung  ließe  sich  sehr  wohl  auch  für 
das  alte  Rollenbuch  denken,  aus  dem  sie  auf  Umwegen  an  den  Zeichner  des  Ademar 
gelangten.    Doch  waren  im  Altertum  diese  Bilder  farbig;  s.  oben  S.  304  f. 

Aber  auch  das  Relief,  das  den  Tierkreis  im  Dienst  eines  Kalenders  darstellt, 
eingemauert  an  der  Vorderwand  der  kleinen  Metropolis  in  Athen,  möchte  ich  nicht 
übergehen.  Nach  E.  Maass,  Jahreshefte  des  österr.  Inst.  VI  (1903)  S.  83,  war  es 
ursprünglich  für  einen  Tempel  des  Helios  erfunden.  Eine  Abbildung  bei  Thiele, 
Antike  Himmelsbilder  S.  58  f.,  Fig.  8  u.  9.  Dies  Werk  führt  uns  zu  den  Aratillustra- 
tionen  zurück.  Wenn  es  überhaupt  Rollenbücher  mit  Bildern  solchen  Inhaltes  gab, 
so  können  sie  nur  so  ausgesehen  haben. 

So  viel  von  den  Diazomata,  die  ein  mit  Bildern  bedecktes  und  auf- 
gehängtes Band  nachahmen.  Doch  sei  hiernach  nicht  vergessen  zu  be- 
merken, daß  die  Friese  im  Innenraum  mitunter  die  Natur  des  Bandes  preis- 
geben und  vielmehr  den  Eindruck  eines  Prospektes  hervorrufen  wollen. 
Dies  tun  z.  B.  die  Odysseelandschaften  augenfällig,  vielleicht  auch  der  Fries 
der  Ära  Pacis.  Die  Wand  selbst  scheint  durchbrochen,  und  man  meint 
durch  sie  hindurch  in  die  Landschaft  hinauszusehen  oder  den  Festzug  zu 
gewahren,  der  auf  dem  Platz  vorüberzieht.  Daß  dies  aber  nicht  der  ur- 
sprüngliche, nicht  der  erste  Anlaß  der  Erfindung  von  Friesen  ist,  liegt  auf 
der  Hand.  Auch  gewisse  Bühnenhintergründe  auf  Papyrusrollen  waren  ja 
ein  Prospekt,  aber  sie  waren  ursprünglich  nicht  für  diesen  Zweck  gemalt 
(oben  S.  30 1).1) 

Das  Ornament  der  Bilderstreifen  mit  kontinuierender  Erzählung  wurde 
aber  endlich  von  den  Wänden  der  öffentlichen  und  Privatbauten  auch  noch 
auf  andere  Gegenstände  übertragen.  Daß  vor  allem  die  Sarkophagreliefs 
mit  dieser  Kunstart  zusammenhängen,  da  auch  sie  vielfach  die  kontinuierende 
Kompositionsweise  befolgen,  ist  längst  erkannt.  Auch  der  Götterwagen  auf 
dem  Kapitol,  besprochen  von  Castellani,  Bullet,  commun.  1877  S.  119 
Tfl.  XI,  sei  angeführt:  er  ist  mit  gleichem  epischem  Schmuck,  zwölf  Szenen 
aus  dem  Leben  des  Achill,  überdeckt.  Dies  führt  uns  auf  Brunnen- 
einfassungen. Zum  wenigsten  die  capitolinische  Brunneneinfassung  mit  der 
Darstellung  des  Lebens  des  Achill,  abgebildet  z.  B.  bei  Baumeister,  Denkm. 
Nr.  5,  muß  ich  hier  nennen.  Denn  dies  ist  nichts  geringeres  als  ein 
Konkurrenzstück  und  wie  eine  Illustrationsfolge  zur  Achilleis  des  Statius: 
auch  dies  wieder  eine  Erzählung,  wo,  wie  auf  der  Trajanssäule,  der  Haupt- 

1)  Man  kann  in  der  Anwendung  des  Begriffs  der  Prospektmalerei  leicht  zu 
weit  gehen;  s.  darüber  AUG.  Mau  im  18.  Bd.  der  Rom.  Mitteilungen,  gegen  Petersen, 
ebendort. 


Friese  als  Prospekt.    Brunneneinfassungen  u.  a. 


315 


held  fast  in  jedem  Bilde  wiederkehrt.  Beide  Werke,  das  Epos  und  das 
Relief,  sind  geschmackvolle  Erzeugnisse  der  Spätkunst  und  stehen  der  Zeit 
Trajan's  nahe.  Beide  Werke  enthalten  ferner  einige  Detailszenen  aus 
AchhTs  Jugendleben,  die  nur  in  ihnen  und  sonst  in  keiner  literarischen 
Überlieferung  vorkommen1),  und  man  ist  gedrängt  anzunehmen,  daß  ein 
näherer  Zusammenhang  zwischen  ihnen  besteht.  Alsdann  müßte  aber 
Statius,  da  sein  Werk  unvollendet  blieb,  der  Nachahmer  gewesen  sein. 
Doch  kann  er  nicht  diese  Brunnenmündung  selber,  er  muß  vielmehr  eine 
ähnliche  Bilderfolge  studiert  haben,  die  ihm  sehr  wohl  in  Buchform  vor- 
gelegen haben  kann  und  aus  der  das  Relief  ein  anmutiges  Exzerpt  gibt. 

Hierzu  kommt  noch  der  Bogenbehälter  von  Nikopol,  der  denselben  Sagenstoff 
in  zwei  Streifen,  die  übereinanderstehen,  wiedergibt.  Da  läßt  sich  noch  erkennen, 
daß  die  Vorlage  selbst,  die  der  Reliefkünstler  benutzte,  einstreifig  gewesen  war. 
Denn  die  Schlußfiguren  am  linken  Ende  des  unteren  Streifens  schauen  nach  links, 
wo  nichts  zu  sehen  ist.  Sie  blicken  auf  eine  Szene,  die  sich  im  oberen  Streifen 
befindet.  Sämtliche  Szenen  waren  demnach  auch  hier  ursprünglich  nebeneinander 
geordnet. 2) 

Die  Bilderchroniken  des  griechisch-römischen  Altertums,  die  wir  als 
Friese,  in  Reliefs  und  Gemälden,  an  öffentlichen  Bauten  und  in  Privat- 
häusern kennen  lernen,  stammen  ohne  Frage  vielfach  aus  solchen  ikonischen 
Büchern  her,  wie  sie  auf  der  Trajans-  und  Marcussäule  abgebildet  sind. 
Von  eben  denselben  sind  uns  in  den  Miniaturhandschriften  des  Codexbuch- 
wesens wertvolle  Auszüge  erhalten. 

1)  Dem  ist  mein  Schüler  H.  Kürschner  in  einer  Arbeit  De  Statii  fontibus  etc. 
nachgegangen,  die  demnächst  im  Druck  erscheinen  soll. 

2)  Siehe  Robert,  Die  Nekyia  des  Polygnot  S.  37;  woselbst  S.  38  eine  Abbildung. 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


Wir  haben  die  Geschichte  des  Rollenbuchwesens  in  Bildern  durchlebt. 
Was  die  Gründe  waren,  die  zu  seinem  Eingehen  und  Verschwinden  führten, 
ist  zu  Anfang  S.  33  ff.  dargelegt  worden.  Für  das  5.  und  vollends  für  das 
6.  Jahrh.  dürfen  wir  behaupten,  daß  besonders  im  Occident  keine  Literatur- 
werke mehr  in  Papyrusrollen  abgeschrieben,  geschweige  denn  neu  ver- 
öffentlicht worden  sind.  Mehr  und  mehr  beschränkte  sich  damals  der  Ge- 
brauch der  Rolle  auf  Amtliches,  auf  von  den  kaiserlichen  Scrinien  und 
bald  auch  vom  römischen  Bischof1)  ausgestellte  Urkunden  oder  Diplome,  für 
die  die  erhaltenen  Ravennatischen  Papyri  im  Vatikan  der  bekannteste  Beleg 
sind.  Diese  Ravennatischen  Papyri  gehören  z.  T.  noch  dem  5.  u.  6.  Jahrh. 
an;  sie  erreichen  bisweilen  eine  Rollenlänge  von  21/2,  ja,  3,24  m.2) 

1)  chartae  ecclesiasticae  erscheint  als  fester  Terminus;  Hieronym.  epist.  123,  10: 
quum  in  chartis  ecclesiasticis  iuvarem  Damasum  Romae  urbis  episcopum. 

2)  Ich  habe  mir  diese  Papyri,  die  in  Ravenna  und  im  Vatikan  sich  unter  Glas 
nnd  Rahmen  befinden,  genauer  ansehen  können  und  teile  hier  einige  Maßangaben  mit. 
Im  erzbischöflichen  Archiv  zu  Ravenna  sind  noch  vier  der  Ravennatischen  Papyri 
erhalten,  deren  Numerierung  der  gefällige  Secretario  auf  meinen  Wunsch  ausführte. 
Ein  herrliches  Stück  ist  Nr.  IV:  es  ist  2,413  m  lang,  0,50  m  hoch  und  zerfällt  in  neun 
Blätter.  Das  erste  und  das  letzte  Blatt  aber  sind  zu  schmal;  die  Rolle  wurde  also 
zuvor  zusammengeklebt:  ein  scapus,  wie  ihn  die  Fabriken  lieferten,  dann  oben  und 
unten  abgeschnitten  und  erst  dann  beschrieben.  Die  Breitenmaße  der  Blätter  sind 
(von  unten  nach  oben  fortschreitend):  a)  0,052.  b)  0,  31.  c)  0,324.  d)  0,322.  e)  0,31. 
f)  0,31.  g)  0,309.  h)  0,298.  i)  0,210.  Dabei  ist  Blatt  a  überflüssig,  da  es  keine 
Schrift  mehr  trägt.    Breite  der  Klebungen  0,025. 

Ibid.  Nr.  III:  Länge  1,10  m,  Höhe  0,31.  Die  Schrift  läuft  in  der  Richtung  der 
Höhe.  Die  vertikale  Fasernschicht  liegt  über  der  horizontalen  und  die  Schrift  läuft 
zu  der  ersteren  konträr  und  mit  der  letzteren.  So  auch  auf  Nr.  IV  u.  II.  Papyrus  III 
besteht  aus  fünf  Blättern,  die  zwischen  0,20  u.  0,25  m  breit  sind. 

Ibid.  Nr.  II:  Länge  0,563  m;  Höhe  0,317.  Drei  Blätter.  Breite  der  Klebungen  0,022. 

Ibid.  Nr.  I:  sehr  zerstört:  Länge  0,444;  Höhe  0,278. 

Für  die  Rav.  Papyri  im  Vatikan  ist  außer  Marini's  Werk  Hör.  Marucchi,  Monu- 
menta  papyracea  latina  bibl.  Vatic,  Rom  1895,  zu  vergleichen.  Unter  ihnen  ist 
der  größte  und  für  uns  wichtigste  Marucchi  Nr.  VIII,  Marini  Nr.  CXV  (6.  Jahrh.): 
Höhe  0,304,  Länge  etwa  3,24  m  (die  Messung  war  äußerst  schwierig  auszuführen). 
Er  scheint  aus  16  Blättern  zu  bestehen,  ein  regelrechter  Scapus.  Die  Breite  dieser 
Blätter  ist  0,12;  0,15;  0,20;  0,20  usf.;  die  Färbung  der  Charta  bes.  hell  und  weiß. 
Die  Schrift  läuft  in  der  Richtung  der  Gesamtlänge.    In  derselben  Richtung  läuft  mit 


Papyrusrolle  als  Diplom. 


317 


Solches  Diplom  hat  schon  Probianus  plakatartig  aufgerollt  auf  seinem 
Schoß  (oben  S.  208).    Daß  die  Chartarollen  also  in  der  Notitia  dignitatum 

ihr  auch  die  obere  Faserschicht.  Spuren  ursprünglicher  Faltung  sind  sichtbar,  und 
zwar  ungefähr  an  jeden",  zweiten  Blattende;  doch  trifft  das  nicht  genau  zu. 

Marucchi  Nr.  XI  =  Marini  LXXV:  Höhe  0,305.  Fünf  Blätter  zu  0,247  Breite. 
Die  oberen  Fasern  laufen  in  der  letzteren  Richtung,  laufen  also  der  Schrift  ent- 
gegen, die  vielmehr  der  Richtung  der  Höhe  folgt.  Die  Schriftzeilen  stehen  ge- 
legentlich genau  auf  einer  Klebung  und  sind  dann  undeutlich  geworden  und  ab- 
gesprungen. Der  Papyrus  war  vorher  zusammengeklebt  und  erst  danach  beschrieben; 
denn  er  ist  am  oberen  Ende  abgeschnitten  und  beginnt  gleich  oben  mit  einer 
Klebung.    Solche  Klebung  hat  0,025  m  Breite. 

Marucchi  Nr.  XII  =  Marini  Nr.  CXXI:  Höhe  0,31;  es  sind  5%  Blätter;  jedes 
ca.  0,20  breit;  das  erste  gibt  den  Anfang  eines  Scapus,  vom  letzten  ist  ein  Teil 
unten  abgeschnitten.  Die  obere  Faserschicht  läuft  in  der  horizontalen  Richtung  0,20; 
die  Schrift  steht  ihr  entgegen  in  der  Richtung  0,31. 

Marucchi  Nr.  XIV,  Marini  Nr.  CXIV:  Höhe  0,275  m.  Langer  Papyrus  von  zehn 
Blättern,  jedes  Blatt  ungefähr  0,20  m  breit;  doch  ist  er  am  untern  Ende  unvoll- 
ständig.   Die  Fasern  laufen  wie  in  der  vorigen  Nummer. 

Marucchi  Nr.  III  (9.  Jahrh.):  Höhe  0,325,  besteht  aus  sechs  Blättern,  deren 
Breiten:  0,275;  0,355;  0,35;  0,38;  0,32;  0,135.  Unten  abgeschnitten.  Außerdem  oben 
unvollständig.    Streifen  wie  oben. 

Marucchi  Nr.  I  (mit  Abbildung);  Marini  Nr.  XII  (9.  Jahrh.):  Höhe  0,36  m.  Zwei 
ungleiche  Blätter,  das  größere  ist  0,35  breit;  dazu  kommt  noch  ein  Rest  Papier,  der 
unten  zusammengerollt  ist,  mit  darauf  befestigter  Bulla. 

Marucchi  Nr.  II:  Höhe  0,31;  besteht  aus  vier  Blättern,  deren  Breiten  0,035; 
0,135;  0,135;  0,135.  Die  Blätter  sind  also  besonders  schmal.  Die  oberen  Fasern 
laufen  in  der  Richtung  der  Blattbreite.  Der  Papyrus  ist  Palimpsest,  und  die  Schrift 
erster  Hand  lief  in  gleicher  Richtung  mit  den  oberen  Fasern.  Diese  Schrift  ist 
sorglich  weggewaschen,  und  die  zweite  Hand  schrieb  ihren  Text  in  entgegen- 
gesetzter Richtung,  in  der  der  Rollenhöhe;  dabei  verkleinerte  sie  den  Papyrus,  der 
ursprünglich  länger  war. 

Marucchi  Nr.  VII:  Höhe  0,32  m;  Gesamtlänge  beträchtlich,  doch  nicht  fest- 
zustellen. Blattbreiten  (von  unten  nach  oben):  a)  0,195;  b)  0,195;  c)  0,21; 
d)  0,205  usf.  Die  Schrift  läuft  in  der  Richtung  der  Höhe;  die  Oberfasern,  ihr  konträr, 
in  der  Richtung  der  Länge. 

Marucchi  Nr.  VI;  Marini  Nr.  XCIII:  Höhe  0,327;  Gesamtlänge  wie  beim  vorigen. 
Auch  die  Schrift  und  obere  Faserschicht  wie  im  vorigen.  Blattbreiten  (von  unten 
nach  oben):  a)  ungefähr  0,01;  b)  0,205;  c)  0,22;  d)  0,22  usf.  Auf  Blatt  4  befindet 
sich  ein  Flicken,  der  vor  der  Eintragung  der  Schrift  aufgesetzt  wurde;  er  steht 
schräg  auf  dem  Blatt,  0,03  m  lang,  0,015  breit,  und  er  besteht,  was  bemerkenswert, 
nur  aus  einer  Fasernschicht:  also  fand  sich  der  Schaden  schon  in  der  Fabrik  vor, 
und  man  half  in  dieser  Weise. 

Marini  Nr.  CXXXII:  Höhe  0,31;  Gesamtlänge  etwa  3  m.  Die  Fasern  in  der 
Komposition  der  Charta  sind  hier  erstaunlich  breit  (quam  latissimae,  sagt  Plinius). 
Die  Schrift  läuft  in  Riesenzeilen  in  der  Richtung  der  Gesamtlänge;  in  gleicher 
Richtung  läuft  die  obere  Faserschicht. 

Diese  Papyri  (an  Zahl  26)  dienen  im  Vatikan  leider  als  Verzierung  eines 
schönen,  quadratischen  Gemachs.  Sie  befinden  sich,  auf  Papier  geklebt,  in  Glas 
und  Rahmen  und  sind  in  eine  achtteilige  Wanddekoration  mit  Goldleisten  und  Mosaik 
imitierender  Malerei  so  fest  eingefügt,  daß  ein  Herabnehmen  unmöglich.  Die  um- 
fangreichsten Exemplare  sind  hoch  über  den  Türen  angebracht.  Die  prachtvollen 
bunten  Glasfenster  müssen  geöffnet  werden,  damit  es  nicht  an  Licht  fehlt.  Die 
Untersuchung  mußte  ich  auf  Leitern  ausführen  und  ein  Beamter  die  Leiter  beständig 


318 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


noch  im  praktischen  Gebrauch  erscheinen  und  als  Insignia  gewisser  Ämter 
dienen,  wundert  uns  nicht.  Die  Abbildungen  dieser  Rollen,  die  in  den 
Handschriften  der  Notitia  erhalten  sind,  geben  freilich  wenig  Anschauung 
und  zeugen  von  verständnisloser  Wiedergabe  des  Vorbildes. 

Wenn  nun  auch  das  5.  Jahrh.  die  Rolle  abzubilden  fortfährt,  so  be- 
schränkt sie  sich  dabei  wesentlich  auf  die  heiligen  Figuren,  bei  denen  das 
Buchemblem  typisch  geworden  war.  Das  Heilige  liebt  das  Archaisieren. 
So  haben  weiter  auch  die  folgenden  Jahrhunderte  bis  tief  ins  Mittelalter 
hinein  dieselben  Typen  übernommen  und  variierend  weitergeführt. 

Die  Heiligen,  mit  Codex  oder  mit  Rolle,  verklären  jetzt  die  hohen  Kirchen- 
wände, sie  strahlen  in  vergoldeten  Mosaiken  vom  Chor  und  Triumphbogen 
herab;  sie  stehen  auch  jetzt  noch  skulpiert  wie  Grabeshüter  an  den  Marmor- 
särgen, sie  schmücken  Kirchentüren,  Elfenbeinkästen,  Miniaturhandschriften. 

Weil  aber  das  Buch  als  bedeutsames  Symbol  stärker  hervorgehoben 
werden  soll,  so  bereichert  sich  die  Erfindung,  und  es  treten  neue  Motive 
auf,  anfangs  noch  maßvoll,  endlich  schrankenlos  phantastisch.  Man  hielt 
sich  dabei  anfangs  noch  an  die  Anschauung  der  Wirklichkeit,  und  da  der 
Umgang  mit  der  Rolle  als  Lesebuch  aufgehört  hatte,  nahm  man  die  An- 
schauung von  jenen  Diplomen  her,  die  zwar  auch  Papyrusrollen  waren, 
aber  dem  Archiv,  nicht  der  Bibliothek  angehörend,  kein  Gegenstand  täg- 
licher Benutzung  waren,  selten  in  den  Händen  gehalten  und  nur  zu  wich- 
tigen Zwecken  entrollt  wurden.  Aber  auch  der  prunkvolle  Rotulus  im  Dienst 
des  Gottesdienstes  der  Kirche1)  wirkte  mit  ein.  So  machte  nunmehr  die 
Rolle  in  der  Hand  den  Eindruck  des  Außerordentlichen. 

Die  Schrift  stand  ferner  in  solchen  rollbaren  Diplomen  nicht  mehr 
auf  Spalten,  Kolumnen  oder  Seiten  verteilt,  sondern  lief  entweder  in  wenigen 
ungebrochnen  endlosen  Zeilen  das  ganze  Rouleau  ohne  Absatz  entlang, 
oder  sie  lief  in  der  Richtung  der  Höhe  der  Rolle,  und  das  ganze  Rouleau 
bildete  so  eine  einzige  Schriftkolumne.  Auch  die  kirchlichen  Rotuli  schlössen 
sich  diesem  Verfahren  an.  Dieses  wurde  nun  in  der  religiösen  Malerei 
adoptiert;  so  eigneten  sich  die  offnen  Rollen  trefflich  zum  Tragen  von 
Sinnsprüchen  und  Worten  des  Herrn.  Sie  wurden  zum  Plakat.  Und  nicht 
mehr  der  Träger  des  Buchs  im  Bild  erscheint  jetzt  als  Leser,  sondern  der 
Betrachter  des  Bildes  wird  zum  Leser  gemacht,  denn  ihm  gilt  die  auf  der 
Buchseite  angebrachte  lapidare  Schrift  -  ein  Verfahren,  zu  welchem  wir 
Ansätze  schon  in  der  Wandmalerei  Pompeji's  entdeckten;  ich  erinnere  an 
die  Muse,  die  ihren  Beruf  so,  auf  der  Rückseite  des  Buches  aufgeschrieben, 
vorzeigt:  KAEIQ  ICTOPIAN  (oben  S.  188). 

festhalten,  da  sie  auf  dem  polirten  Steinboden  nicht  feststand.  Für  die  Begünstigung 
und  Förderung  dieser  wie  anderer  Arbeiten  auf  der  Vaticana  bin  ich  dem  Präfekten 
der  Bibliothek,  Herrn  P.  Ehrle  zu  aufrichtigem  Dank  verpflichtet. 

1)  Vgl.  z.  B.  die  S.  21  Anm.  erwähnte  Exsultetrolle  des  Vatikan. 


Fortleben  der  alten  Buchmotive:  Motiv  1  u.  II. 


319 


Versuchen  wir  nun  noch  uns  die  Bereicherung  der  Motive,  von  der 
ich  sprach,  in  aller  Kürze  und  in  einer  Auswahl  von  Beispielen  klar  zu 
machen. 

Natürlich  leben  zunächst  die  alten  Motive  weiter.  Das  Motiv  I  eignet 
Christus  auch  noch  jetzt;  in  musterhafter  Deutlichkeit  zu  sehen  in  der  Apsis 
von  S.  Cosma  e  Damiano1);  sonst  z.  B.  noch  in  S.  Cecilia  in  Rom2)  und 
in  S.  Prassede3);  auch  am  Triumphbogen  von  S.  Nereo  e  Achilleo;  auf  einem 
Elfenbeindeckel  des  7.  Jahrh.  (Garrucci  Tfl.  456);  auf  einer  Baldachinsäule 
in  S.  Marco  zu  Venedig.4)  In  den  Fresken  der  freigelegten  Kirche  S.  Maria 
antiqua  auf  dem  römischen  Forum  herrscht  der  Codex  ausschließlich.  Nur 
unter  den  historischen  kleinen  Bildern,  die  sich  dort  rechts  an  den 
Schranken  des  Presbyteriums  befinden,  erblickt  man  den  König  „Hezecias" 
(so  die  Beischrift)  als  Kranken  auf  dem  Lager  liegend  dargestellt;  zu  ihm 
tritt  der  Prophet  mit  der  Todesmahnung  dispone  domum  tuam  quia  morieris, 
indem  er  die  Rolle  nach  altem  Schema  in  der  Linken  hält.  So  geht  das 
Motiv  auf  Elfenbeindiptychen  wie  in  Miniaturen  vereinzelt  bis  in  das 
12.  Jahrh.  weiter0);  aber  auch  die  italienische  Malerei  übernahm  es;  s.  z.  B. 
Cimabue  in  Florenz,  Belle  arti  Nr.  102;  Bonaventura  Berlinghieri  ebenda  Nr.  101 ; 
oder  die  herrenlosen  alten  Bilder  in  Siena,  Belle  arti  Saal  I  Nr.  6  u.  15. 

Sonst  aber  tritt  das  Motiv  I  vor  dem  Motiv  II  zurück,  das  sich  d$r 

heiligen  Standfiguren  mehr  und  mehr  bemächtigt.    Nur  Christus  selbst  hat 

es  fast  nie.6)    Lehrreich  sind  die  beiden  Wände  von  S.  Apollinare  nuovo 

in  Ravenna  mit  je  16  stehenden  Heiligen;  jeder  dieser  32  hält  ein  Buch; 

alle  verschieden;  die  Ausführung  ist  die  sorglichste.    Es  ist  ein  prächtiger 

Anschauungsunterricht,  diese  Wände  zu  betrachten: 

Die  Minderzahl  hält  Codices;  s.  GARRUCCI  Tfl.  246  u.  247;  unter  den  16  Heiligen 
der  r.  Wand  findet  sich  das  Motiv  1  nur  einmal  (Figur  12),  das  Motiv  II  dreimal;  die 
Figur  1  aber  belehrt  uns,  wie  das  Motiv  II  in  I  übergehen  kann;  denn  die  r.  Hand, 
die  am  Kopf  der  Rolle  anlag,  hat  sich  zum  Segnen  erhoben;  die  Linke  hält  nun 
das  Buch  allein.1) 

Was  sodann  die  Lesenden  anbelangt,  so  bieten  noch  die  Mosaiken 
in  S.  Maria  Maggiore  ein  musterhaftes  Beispiel  für  das  Lesen  in  Gruppen, 

1)  Garrucci  Tfl.  253;  vgl.  oben  S.  230  u.  241.         2)  Garrucci  Tfl.  292. 

3)  Garrucci  Tfl.  286. 

4)  Garrucci  Tfl.  496  (Sitzfigur);  s.  auch  Dioskurides  ed.  Karabacek  S.  263, 
Figur  4. 

5)  Vgl.  oben  S.  77;  78  u.  313  Anm.  3.  Dazu  ROHAUT  DE  Fleury,  1'  Evangile  Tfl.  24; 
41;  45;  72;  TlKKANEN,  Psalterillustrat.  S.  1  Fig.  1  u.  S.  255  Fig.  204;  SWARZENSKI, 
Regensburger  Buchmalerei  Tfl.  27  Nr.  71;  Tfl.  29  Nr.  79. 

6)  Ausnahmen  hierzu  oben  S.  108  Anm.  1 ;  dazu  kommt  der  Christus  an  der 
Volte  der  Cappella  della  Colonna  in  S.  Prassede;  dies  ist  jedoch  ein  Brustbild  im 
Medaillon  und  folgt  dem  Schema  der  vielen  Bildnisse  im  Muschelclipeus. 

7)  Auch  das  Apostelmosaik  in  Grottaferrata  gibt  Beispiele,  besonders  für  Motiv  I 
und  II;  das  Motiv  VII  einmal  in  recht  ungeschickter  Anordnung:  s.  die  vier  Bilder- 
tafeln im  Oriens  christianus  Bd.  IV  (1904). 


320 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


Garrucci  Tfl.  214:  die  heiligen  drei  Könige  und  die  Schriftgelehrten  vor 
König  Herodes.  Einer  der  letzteren  liest  stehend  vor  dem  König,  die  Rolle 
inter  manus;  er  hält  die  Rolle  an  den  oberen  Ecken  (hierzu  vgl.  die  lesende 

Frau  in  Priscilla,  oben  S.  152).  Man 
sieht  ihre  Rückseite,  auf  der  gleichwohl 
Schriftzeichen  angedeutet  scheinen. 

Beliebt  wird  es  in  diesen  Zeiten, 
die  Rolle  weit  aufzutun.  Ich  halte  für 
nötig,  hierbei  zunächst  den  Sarko- 
phag, der  sich  im  Museum  zu  Arles 
befindet,  bei  Le  Blant  Tfl.  IV  2,  Gar- 
rucci 343,  2  zu  besprechen.  Die  so- 
eben zitierten  Abbildungen  täuschen. 
Nach  ihnen  wäre  schon  hier  die  De- 
kadenz vollständig  und  das  offene  Buch- 
band zum  Lappen  und  zur  bloßen 
Etikette  geworden,  die  den  Namen 
des  Evangelisten,  der  sie  in  Händen 
hält,  eingraviert  zeigt.  In  Wirklichkeit 
wird  die  Rolle  hier  noch  beidemal 
vollständig  korrekt  inter  manus  gehal- 
ten; auf  der  Fläche  stehen  die  Namen, 
einmal  Matteus,  einmal  Lucanus  (sie). 
Auf  das  sorgsamste  ist  aber  auch  die 
Schriftfläche  mit  einem  Strich  in  brau- 
ner Farbe  eingerahmt,  der  auch  auf 
die  Konvolute  in  den  Händen  über- 
geht.1) 

Herrlich  dagegen  die  stehend 
lesenden  Einzelfiguren  in  S.  Apollinare 
nuovo,  bei  Garrucci  Tfl.  246  Fig.  9 
u.  13,  247,  Fig.  5  u.  12.  Sie  lesen 
wirklich;  auch  die  Schatten,  die  das 
wannenartig  geschweifte  Buchblatt 
wirft,  sind  malerisch  wiedergegeben;  aber  was  sie  lesen,  ist  kein  Buch- 
text, sondern  irgend  ein  heiliges  Schriftwort,  das  diplomartig  in  vier  Zeilen 
auf  die  Fläche  verteilt  ist:  ib.  247  Fig.  12;  unsre  Abb.  180.  Eine 
ähnliche  Figur  ist  der  Jeremias  am  Altar  von  S.  Vitale;  vergleiche  unsre 
Abb.  181. 


Abb.  lf 


1)  Auch  der  offne  Codicill,  den  Christus  hält,  hat  auf  jeder  Seite  diesen  ein- 
rahmenden Strich.    Zu  diesen  Strichen  oder  Randstreifen  vgl.  oben  S.  240  u.  257. 


Das  Lesen. 


321 


Anders  der  Salomo  im  illustrierten  Physiologus  zu  Smyrna1);  die  weit 
ausgespannte  Rolle  zeigt  hier  vielmehr  noch  deutlich  sieben  Schriftkolumnen 
nebeneinander,  die  durch  Striche  sorglich  markiert  sind. 

Noch  in  den  Psalterillustrationen, 
die  man  auf  ein  Original  des  9.  Jahrh. 
zurückführt  (in  einem  Psalter  des  Vati- 
kan), finde  ich  den  stehend  lesenden 
Bischof  durchaus  korrekt  in  dieser  an- 
tiken Haltung  dargestellt;  s.  J.  Tikkanen, 
Die  Psalterillustrationen  S.  93  Fig.  92. 
Hier  müssen  doch  ältere  Muster  ein- 
gewirkt haben.  Viel  hilfloser  geht 
dagegen  in  der  Rabulahandschrift  (Gar- 
rucci  135,  2)  der  sitzend  lesende 
Johannes  mit  seiner  Rolle  um. 

In  diesen  Fällen  werden  also  die 
zwei  Konvolute  des  offnen  Buchs  noch 
korrekt  von  beiden  Händen  gehalten. 
Oft  aber  denken  diese  Heiligen  nicht 
viel  daran,  beim  Lesen  das  Papier  zu 
schonen,  und  lassen  das  Ganze  acht- 
los sich  entrollen  und  aufgelöst  zu 
Boden  fließen.  Das  sieht  man  z.  B. 
an  einigen  der  Stuckfiguren  des  Bapti- 
sterium  orthodoxum  Ravenna's  durch- 
geführt; vor  allem  weise  ich  dafür  auf 
das  S.  208  besprochene  Elfenbein- 
diptychon des  Probianus  sowie  auf 
den  Gorgoniussarkophag  in  der  Kathe- 
drale zu  Ancona  hin,  Garr.  Tfl.  326, 
1.  Giebelfeld:  hier  rollt  das  letzte  Ende 
des  Buches,  das  am  Boden  liegt,  sich 
von  selbst  wieder  zusammen;  rechts 
und  links  aber  vom  Lesenden  steht  je 

ein  Schreiber;  diese  sind  im  Begriff  auf  Diptycha  die  Angaben  auf- 
zuschreiben, die  Gorgonius  aus  seiner  offnen  Rolle  mitzuteilen  scheint; 
vgl.  oben  S.  66  u.  208. 

Damit  ist  dann  weiter  die  offne  Rolle  auf  dem  zweiten  Reliefbild  des 
Congiarium  des  Constantinsbogens  zu  vergleichen,  welche  gleichen  geschäft- 
lichen oder  Verwaltungszwecken  dient  (oben  S.  193  u.  207).   Aber  auch  den 


Abb.  181. 


1)  Byzantinisches  Archiv  II  Tfl.  7. 
Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst. 


21 


322 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


Bronzeaufsatz  im  Besitz  des  Grafen  Wilczek  in  Wien1),  welches  Stück  dem  Ende 
der  merowingischen  Zeit  anzugehören  scheint,  möchte  ich  hiermit  in  Zusam- 
menhang bringen;  drei  Männer  sitzen  da  auf  drei  Stühlen  hart  nebeneinander; 
der  eine  hält  auf  dem  Schoß  die  ausgespannte  Rolle,  die  beiden  andern 
stützen  mit  der  wenig  erhobenen  Linken  eine  offne  Schreibtafel  gegen  das 
Knie.  Die  Rolle  hat  keine  Rollungen  an  den  Enden.  Hier  ist  wieder  der 
Diktierende  durch  die  Rolle  von  den  zwei  Nachschreibenden  unterschieden. 

Bis  hierher  ließ  sich  noch  von  einer  Benutzung  des  Buches  reden. 
Da  nun  aber,  wo  das  offne  Buch  als  bloßes  Attribut,  besonders  in  Christi 
Hand,  gebraucht  wird,  stand  dem  Mißbrauch  und  der  Veräußerlichung  nichts 
mehr  im  Wege.   Die  Blattfläche  hängt  als  Standarte  steil  aus  der  Hand  herab. 

Dies  Steilhängenlassen  konnten  wir  aus  älterer  Zeit  nur  ganz  ver- 
einzelt belegen  (s.  S.  184).  Jesus  selbst,  der  auf  dem  Sarkophag  des  Iunius 
Bassus  über  dem  Caelus  thront,  vermeidet  es  noch  durchaus  und  auf  das 
vorsichtigste  (Motiv  VII;  s.S.  190).  Diese  Vorsicht  entsprach  den  altjüdischen 
Vorschriften,  die  u.  a.  anordneten:  wenn  sich  ein  Buch  den  Händen  des 
Lesers  entrollt,  solange  es  zehn  Handbreiten  von  der  Erde  entfernt  ist, 
soll  er  es  zurückrollen,  d.  h.  das  Hängende  sogleich  wieder  zusammen- 
rollen.") Daß  Jesus  das  Abgerollte  frei  herabhängen  läßt,  kann  erst  etwas 
später  aufgekommen  sein.  Petrus  aber  fängt  alsdann  jedesmal  das  Rollen- 
ende in  seinem  Gewand  oder  in  einem  Tuche  behutsam  auf.  Heilige  Bücher 
auf  dem  Tuch  oder  Gewand  zu  tragen,  ist  Stil  dieser  Spätzeit,  aber  es 
läßt  sich  wohl  nur  auf  kirchlichen  Denkmälern  nachweisen.3)  Ich  führe 
dafür  zwei  späte  Belege  an:  auf  den  Mosaiken  in  S.  Maria  in  Dominica  in 
Rom  (Garrucci  Tfl.  293)  sieht  man  ganz  oben  alle  zwölf  Apostel,  die  in 
dieser  Weise  teils  Codices  teils  Rollen  einhertragen,  und  in  der  Rabula- 
handschrift  des  6.  Jahrh.  sind  Arnos  und  Joel  ebenso  dargestellt.4) 

Belege  dafür  aber,  daß  Petrus  das  Ende  der  offnen  Rolle  aus  Christi 
Hand  auffängt,  sind  u.  a.  folgende: 

Sarkophag  des  Lateran  Nr.  174;  oben  S.  185  besprochen. 

Sarkophag  bei  Le  Blant,  Abbildung  im  Text  daselbst  S.  78:  Christus  thront 
über  dem  Caelus  wie  im  vorigen;  das  Ende  der  Rolle  krümmt  sich  einwärts;  an- 
scheinend wird  es  von  Petrus  mit  dem  Pallium  aufgefangen;  doch  ist  Petrus  nur 
Halbfigur  und  seine  Hände  nicht  sichtbar. 

Sarkophag  des  Vatikan  (Garrucci  330,  5):  nicht  Tuch,  sondern  Gewandbausch. 

Sarkophag  in  Arles  bei  Garrucci  335,  2:  ebenso. 

Sarkophag  in  Paris  (Garrucci  324,  1;  Reinach,  Repert.  stat.  I  S.  117):  ebenso. 

1)  Jahreshefte  d.  österr.  Inst.  IV  (1901)  Tfl.  7,  vgl.  S.  190. 

2)  Blau  a.  a.  0.  S.  40  f. 

3)  Man  leitet  dies  freilich  von  der  Hofsitte  her,  Gegenstände  aus  des  Kaisers 
Händen  nur  mit  bedeckten  Händen  zu  empfangen;  Garrucci,  Stor.  dell'  a.  ehr.  I 
S.  146;  Tikkanen,  Psalterillustrat.  S.  258.  Vielmehr  stammt  die  Sitte  aus  orientalischen 
Kulten,  etwa  dem  jüdischen;  s.  Blau  a.  a.  0.  S.  112. 

4)  Vgl.  auch  z.  B.  Das  Etschmiadzin-Evangeliar,  herausgeg.  von  Strzyqowski, 
1891,  Tfl.  2  u.  3. 


Christus  mit  Rolle,  Petrus  das  Rollenende  auffangend. 


323 


Goldglas  bei  WEiS-LlEBERSDORF,  Christus-  und  Apostelbilder  (1902)  Figur  30  l): 
auf  der  schmalen  langen  Rolle  steht  Dominus;  Petrus  eilt  herzu  und  fängt  sie  im 
Bausch  auf. 

Fragment  eines  Gefäßes  bei  Garrucci  464,  5:  Tuch. 

Mosaik  in  S.  Costanza  in  Rom  (Garrucci  207,  1;  auch  bei  De  Rossi,  Mosaici 
delle  chiese  di  Roma):  Christus  steht  auf  der  üblichen  Erhöhung;  er  hält  mit  der 
Linken  einen  fahnenartig  herabhängenden  Blattstreifen;  man  sieht  von  Christi  1.  Hand 
den  Daumen  (fehlt  bei  De  Rossi).  Der  Blattstreifen  ist  ganz  aufgerollt  und  hat 
etwa  die  Länge  der  Ravennatischen  Papyrusdiplome.  Das  obere  Ende  steht  frei  in 
der  Luft  und  biegt  sich  um,  ohne  Rollung.  Auf  dem  Streifen  steht  der  Satz:  dominus 
pacem  dat;  dazu  das  Monogramm  Christi  an  Stelle  eines  Siegels.  Die  Form  des 
Diploms  wird  auch  damit  gewahrt.  Petrus  eilt  von  rechts  herzu,  einen  Stab  in  der  L., 
und  streckt  die  Arme  mit  einem  Tuch  (oder  Gewandteil)  vor,  um  das  Diplom  auf- 
zufangen.   Petri  r.  Hand  ist  nicht  sichtbar.  -') 

Mosaik  des  7.  Jahrh.  im  Baptisterium  S.  Giovanni  in  fönte  (Kirche  S.  Restituta 
beim  Dom  in  Neapel;  Garrucci  Tfl.  269):  Christus  auf  der  Weltkugel  stehend; 
Petrus  fängt  das  Buchende  im  Gewandbausch  auf. 

Unerheblich  ist  die  Abweichung  auf  dem  Sarkophag  bei  Le  Blant  Tfl.  56 
(GARRUCCI  334,  3):  hier  ist  von  Christi  Rolle  nur  die  letzte  Seite,  ein  kurzes  Blatt 
abgerollt;  Petrus  fängt  auch  dies  in  seinem  Gewand  auf  (die  Zeichnung  bei  GARRUCCI 
entstellt  das  Detail).  Ähnlich 

Sarkophag  in  Marseille,  Chat.  Borely,  Nr.  36:  Tuch.  Das  hängende  Buchende 
ist  sehr  kurz. 

An  eine  Überreichung  des  Buches  ist,  wie  schon  gesagt,  in  diesen 
Fällen  nicht  zu  denken;  denn  man  überreicht  weder  offne  Rollen,  noch 
überreicht  man  mit  der  1.  Hand.3)  Der  wirkliche  Sinn  der  Handlung  ist 
S.  185  angegeben.  Allen  diesen  Bildern  ist  gemeinsam,  daß  Christus,  die 
Lesung  unterbrechend,  das  entrollte  Buch  hochhält,  um  es  der  Welt  zu 
zeigen,  sowie  daß  Petrus  im  Laufschritt  herbeieilt;  er  will  rasch  helfen, 
daß  dem  Buch  nichts  Übles  widerfahre,  daß  es  nicht  den  Staub  der  Erde 
berühre.  Zumeist  hängt  die  Blattfahne  senkrecht  aus  Christi  Hand;  die  Fälle, 
wo  sie  schräg  dem  Petrus  entgegenfließt  (oben  S.  186),  müssen  der  Er- 
findung nach  jünger  sein,  da  dies  wider  die  Natur  ist. 

Dies  Motiv  mag  zu  Anfang  des  4.  Jahrh.  erfunden  worden  sein.  Erst 
hernach  verfiel  man  auf  die  abweichende  Idee,  Christus  wirklich  dem  Petrus 
den  Logos  als  Rolle  aushändigen  zu  lassen.  Die  Szene  wurde  darum 
zweckmäßig  abgeändert,  und  der  Herr  nimmt  die  Rolle  nunmehr  geschlossen 
in  seine  rechte  Hand  (Motiv  I  oder  III)  und  Petrus  naht  ehrfürchtig,  sie 


1)  Auch  bei  KRAUS,  Roma  sotterr.  S.  347  Fig.  56;  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I 
Fig.  356. 

2)  Ich  habe  diese  Beschreibung  nach  eigner  Aufnahme  genauer  gegeben,  da 
die  bisherigen  Abbildungen  z.  T.  irre  führen  können. 

3)  In  dem  Aufsatz  A.  Baumstark's  über  „traditio  legis"  (Oriens  christianus  III, 
1903,  S.  173  ff.)  halte  ich  geradezu  alles  für  verfehlt.  Wie  kann  man  von  Über- 
reichungen reden,  ehe  man  feststellt,  wie  der  menschliche  Körper  sich  bei  solcher 
Handlung  verhält?  Christus  hält  den  Schlüssel  hoch  in  der  Luft;  das  muß  eine 
„traditio"  sein;  Petrus  soll  wohl  wie  ein  Hündchen  danach  springen.  Sogar  die 
Schilderung  des  Bildes  auf  einem  Gewände,  die  Paulus  Silentiarius  gibt  (oben  S.  40), 
wird  zu  solcher  Handlung  mißdeutet,  wozu  im  Text  jeder  Anhalt  fehlt. 

21* 


324 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


aus  der  Rechten  zu  empfangen;  solche  Überreichung  findet  sich  auf  späten 
Sarkophagen  in  Ravenna,  so  in  S.  Francesco  (oben  S.  83);  ebenso  aber 
auch  in  S.  Apollinare  in  Classe  (Garrucci  346,  2)  und  in  S.  Maria  in  porto 
(Garrucci  349,  1). 

Für  sich  steht  endlich  der  Sarkophag  in  S.  Vitale  in  Ravenna  (Garrucci  332,  2), 
auf  den  mich  Joh.  Bauer  hinweist.  Denn  es  scheint  wirklich  so,  als  ob  hier  der 
Künstler,  vom  Umgang  mit  dem  Rollenbuch  entwöhnt,  nun  auch  jene  Darstel- 
lungen, in  denen  Petrus  die  offene  Rolle  auffängt,  zu  einer  Überreichung  um- 
zugestalten versucht  habe.  Christus  steht  wie  immer  hoch  und  hält  auch  hier 
die  Rolle  in  der  Linken;  aber  ihr  Ende  hängt  nicht  frei  herab,  sondern  rollt  sich 
unten  von  selbst  in  ein  dickes  Konvolut  zusammen,  das,  von  keiner  Hand  zusammen- 
gehalten, in  dieser  Weise  wohl  ohne  Analogie  in  der  Kunst  ist.  Petrus  aber  eilt  mit 
ausgespanntem  Tuch  herbei,  um  anscheinend  die  ganze  Rolle,  so  wie  sie  ist,  in 
ihm  aufzufangen,  als  ob  Christus  sie  aus  der  erhobenen  Hand  herunterfallen 
lassen  wollte.  Nach  dieser  verfehlten  und  sinnlosen  Erfindung  eines  Spätlings  darf 
man  das  Motiv  der  oben  besprochnen  älteren  Sarkophage  nicht  beurteilen.  *)  Im 
Utrechter  Psalter  sind  wir  so  weit,  daß  der  Engel  einem  Heiligen  die  offen  flatternde 
Rolle  mit  der  Linken  überreicht-);  dies  ist  ein  Beweis,  daß  der  Zeichner  dieser 
Bilderhandschrift  solche  Einzelzüge  nicht  aus  alter  Vorlage  genommen  hat. 

Das  Gefühl  dafür,  daß  die  steil  hängende  Rolle  aufgefangen  werden 
muß,  ging  dann  im  5.  Jahrh.  ganz  verloren;  man  läßt  sie  also  nun  ruhig 
wie  ein  Stück  Fahnentuch  glatt  hängen  und  benutzt  sie  als  Plakat.  Der 
Heilige,  der  das  Plakat  trägt,  wird  unwichtig;  der  Spruch  auf  dem  Plakat 
ist  das  Wichtige.  Die  Beispiele  dafür  sind  zahlreich;  wer  die  Mosaiken 
durchsieht,  findet  sie  leicht;  ich  begnüge  mich  anzuführen: 

Rom:  Laterankirche  S.  Giovanni,  Tribuna:  vier  Beispiele. 

Ebenda:  S.  Maria  Maggiore,  Apsis:  ebenso  vier  Beispiele. 

Ebenda:  S.  Prassede:  das  Christuskind  in  Mariä  Schoß  hält  die  Rolle;  auf 
dem  Plakat  steht  ego  sum  lux  (Garr.  286). 

Rabulahandschrift:  Christus  stehend  (Garr.  139,  2). 

Tür  von  S.  Sabina  auf  dem  Aventin  (5.-6.  Jahrh.;  s.  V.  Schultze,  Altchristi. 
Archäologie,  1895,  S.  282;  Garrucci  Tfl.  500  IV):  r.  Flügel,  Medaillonbild:  stehender 
bartloser  Christus:  in  der  gesenkten  L.  die  halb  abgerollte  Rolle:  Aufschrift  IX0YC. 

La  casa  Celimontana  dei  SS.  Martiri  Giov.  e  Paolo  illustr.  dal  P.  Germano  di 
S.  Stanislao  Passionisti  (Roma  1894)  S.  422:  Christus  mit  lang  herabhängender  Rolle; 
das  untere  Ende  krümmt  sich  nach  oben;  Aufschrift:  lux  ego  sum  mundi  nutu  qui 
cuncta  creavi. 

Ins  Sinnloseste  ist  dies  dann  im  13.  Jahrh.  in  dem  großen  Mosaik  der 
Apsis  in  S.  Paolo  f.  1.  m.  zu  Rom  gesteigert,  wo  das  Motiv  18  mal  vor- 
kommt, und  zwar  geht  die  Verständnislosigkeit  jetzt  so  weit,  daß  das 
Plakat  nach  Willkür  und  Belieben  hier  auch  in  der  r.  Hand  erscheint! 


1)  Man  vergleiche  etwa  das  namenlose  Bild  in  Florenz,  Belle  arti  Nr.  122: 
Dem  heiligen  Franziskus  überreicht  der  Papst  die  Ordensregel  als  Diplom;  der 
Papst  faßt  sie  oben  an,  der  kniende  Francesco  unten;  so  hat  jeder  eine  Rollung  in 
Händen. 

2)  Siehe  Tikkanen,  Die  Psalterillustrat.  S.  214  Fig.  168;  auf  Fig.  169,  ebenda, 
sieht  man  einen  Engel  schweben,  die  offen  flatternde  Rolle  in  der  Rechten.  In 
Fig.  186  wird  gar  aus  offen  flatternden  Diplomrollen  und  Blättern  gelesen;  hier  aber 
erscheinen  sie  in  der  Linken. 


Plakatform,  Richtermotiv  u.  a. 


325 


Das  hatte  noch  gefehlt.  Genau  entsprechen  die  Fresken  im  päpstlichen 
Palast  zu  Avignon,  der  bis  vor  kurzem  als  Kaserne  diente;  in  der  Im- 
primerie  der  Kaserne  sind  sie  an  den  Gewölbekappen  freigelegt:  20  stehende 
Heiligenfiguren,  alle  zwanzig  mit  dem  gleichen  Plakat.  Auch  auf  dem 
Monument  des  Consalvo  Rodriguez  in  S.  Maria  Maggiore  zu  Rom  zeigen 
die  zwei  Eckfiguren  dies  Standartenmotiv,  die  eine  Eckfigur  in  der  linken, 
die  andere  dagegen  in  der  rechten  Hand.  Und  diese  Darstellungsart  ging 
sogar  in's  Leben  über.  Bauer  macht  mich  darauf  aufmerksam,  daß  die 
Propheten  und  Sibyllen  im  geistlichen  Schauspiel  damals  wirklich  ebenso 
auftraten,  offne  Spruchbänder  in  den  Händen,  die  ihre  Person  anzeigten; 
und  dies  Prophetenspiel  wurde  dann  wieder  zum  Inhalt  von  Bildwerken; 
s.  Paul  Weber,  Geistliches  Schauspiel  u.  kirchliche  Kunst,  1894,  S.  51  ff. 
Daher  auch  die  gewaltigen  hängenden  Rollen  in  der  Hand  des  Moses, 
Jeremias  und  der  übrigen  frommen  Gestalten  an  dem  vielgerühmten  Moses- 
brunnen des  Claus  Sluter. 

Allein  die  Verfallszeit  war  noch  viel  reicher  an  sinnvollen,  aber  un- 
sachgemäßen Erfindungen.  Die  Phantasie  hatte  mit  dem  Buch  zu  spielen 
begonnen  und  frug  nicht  viel  danach,  ob  die  Charta  dies  Spiel  auch 
vertrug.  Wie  früh  und  inwieweit  dabei  an  Pergamentrollen  zu  denken  ist, 
lasse  ich  auf  sich  beruhen. 

Ich  erwähne  zunächst  das  Richtermotiv,  Motiv  V,  das  ich  als  ein  spät- 
antikes schon  oben  S.  120  f.  analysiert  habe.  Der  Richter  stemmt  die  Rolle 
gegen  das  Knie.  Sofern  Christus  der  Richter  ist,  bedeutet  die  Rolle  den  Urteils- 
spruch des  jüngsten  Gerichtes;  d.  h.  sie  ist  das  Buch  mit  sieben  Siegeln 
der  Apokalypse;  in  der  Tat  ist  sie  als  solche  in  S.  Vitale  geradezu  charakteri- 
siert.1)   Für  die  Charta  aber  ist  das  Motiv  nachteilig;  es  hat  etwas  Brutales. 

Bisweilen  wird  die  geschlossene  Rolle  jetzt  von  der  L.  am  unteren 
Ende  angefaßt  und  auf  diese  Weise  hoch  gehalten  oder  vorgestreckt,  wie  es 
einst  die  Ägypter  taten  (oben  S.  10  u.  Abb.  9).  Dies  sieht  man  auf  dem 
Glasgefäß  mit  Bildschmuck  bei  Garrucci  462,  13.  Dies  Motiv  hat  etwas 
Vorzeigendes,  Ostentatives.  Ähnlich  auf  dem  Fresko  eines  ägyptischen 
Klosters,  oben  S.  241.  Die  klassische  Zeit  gibt  ganz  vereinzelte  Belege: 
s.  die  Muse  auf  der  Musenbasis,  oben  S.  84,  und  Sappho  auf  dem  Vasen- 
bild S.  90  Anm.  2. 

Davon  weicht  eine  der  stehenden  Figuren  auf  einer  Elfenbeinschnitzerei 
in  Monza2)  wieder  insofern  etwas  ab,  als  die  Rolle  nicht  vorgestreckt  wird, 
sondern  sich  an  den  1.  Unterarm  ihres  Trägers  anlehnt;  die  Rolle  ist  sehr 
groß  und  schwer,  und  der  Arm  dient  für  sie  mit  als  Stütze.  Sie  hat  dabei 
ein  ringartiges  Verschlußband. 


1)  Siehe  J.  Kurth,  Die  Mosaiken  der  christl.  Ära  1  (1901)  S.  118. 

2)  Abgebildet  z.  B.  bei  Ed.  Heyck,  Deutsche  Geschichte  I  (1905)  S.  78  Abb.  51. 


326 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


Phantastischer  ist  die  Rolle  als  Fächer.  Dies  Motiv  bedeutet  die  unter- 
brochene Lektüre  und  ist  schon  in  dem  Bild  Pompeji's  Abb.  124  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  vorbereitet.  Die  beiden  Konvolute  laufen  unten  in 
einer  Hand  zusammen  und  werden  von  ihr  zusammengepreßt;  oben  dehnt 
sich  das  Buchblatt  fächerförmig.  Schon  unter  den  zweiunddreißig  stehenden 
Heiligen  mit  Büchern  in  S.  Apollinare  nuovo  (vgl.  oben  S.  319),  die  alles 

Detail  in  so  köstlicher 
Deutlichkeit  zeigen,  fin- 
den wir  dies  dargestellt, 
Garr.  Tfl.  246,  5  (hier 
wird  die  Rolle  mit  dem 
Gewand  angefaßt)  u.  14; 
247,  8.  Ebenso  nun 
Christus  als  Zentralfigur 
in  S.  Lorenzo  zu  Mailand, 
Capella  di  S.  Aquilino, 
Garr.  234,  1  sowie  schon 
früher  auf  dem  Katakom- 
benbilde bei  Wilpert 
Tfl.  166,  1  (oben  S.  254): 
unsre  Abb.  182;  sie  ist 
dem  Nuovo  bullett.  di  arch. 
Christ,  ed.  Marucchi  Bd. 
VI  (1900)  S.  90  u.  Tfl.  P 
entnommen. 

Treten  wir  in  S.  Lorenzo 
f.  1.  m.  ein  und  erheben 
den  Blick  zum  Triumph- 
bogen des  Pelagius,  so  sehen  wir  unter  den  aufgereihten  sechs  Heiligen  links 
Laurentius  mit  aufgeklapptem  Codex,  rechts  Paulus  mit  offen  zusammengenommener 
Rolle.  Paulus  zeigt  sein  Buchmotiv  VII  korrekt,  Laurentius  aber  hält  den  Codex 
ähnlich  auf  der  Hand,  wie  Christus  die  fächerförmige  Rolle  hält.  Die  Erfindung 
dieser  Motive  hängt  zusammen. 

Dies  Verfahren,  das  Buch  auf  der  Hand  zu  tragen,  habe  ich  auch  auf  einem 
älteren  christlichen  Monument  wieder  angetroffen,  und  zwar  auf  dem  schönen 
griechischen  Grabrelief  in  Neapel  Mus.  naz.  Nr.  2466,  mit  der  Inschrift  Ai'yXn  ZunXou 
X«ipe  (Inscr.  Ital.  Sicil.  762).  Da  steht  mit  verhülltem  Haupte  eine  Orantin  und 
schaut  empor,  die  r.  Hand  fromm  erhoben;  auf  der  L.  aber  trägt  sie  in  der  an- 
gegebenen Weise  einen  Gegenstand,  den  Kaibel  a.  a.  O.,  seltsam  genug,  für  eine 
Urne  erklärt;  es  muß  vielmehr  ein  Buch,  anscheinend  ein  großes  geheftetes  Buch 
sein;  oder  es  ist  ein  teuchos,  d.  h.  eine  Schachtel  voll  Blattlagen  (über  teuchos  in 
diesem  Sinne  s.  die  Zusätze).  Neben  der  Frau  steht  eine  eckige  Büchercapsa  am 
Boden;  s.  unsre  Abb.  183. 

Neu  ist  sodann  auch  das  Tragen  von  Doppelrollen;  dies  fand  ich 
zuerst  auf  der  mosaizierten  Decke  des  Baptistero  Arriano  zu  Ravenna,  wo 
Paulus  zwei  geschlossene  Rollen  auf  dem  Gewände  liegend  vor  sich  her- 


Abb.  182. 


Rolle  als  Fächer.    Doppelrollen.  Plakatformen. 


327 


trägt.  Sie  sind  jede  einzeln,  wie  deutlich  zu  erkennen,  mit  je  einem  Band 
umbunden.  Schwerlich  kann  dies  also  eine  einzige,  aber  gespaltene  Rolle 
sein.1)  Man  erkennt  aber  nicht,  wodurch  die  zwei  aneinander  befestigt 
sind.  Die  Sache  kehrt  in  der  Rabulahandschrift  wieder,  wo  Arnos  gleich- 
falls eine  solche  Doppelrolle  auf  dem  Gewände  trägt  (Garr.  131,  2). 

In  der  Kirche  von  Daphni  bei  Athen 
sah  ich  die  Rolle  als  hängendes  Plakat 
wiederkehren,  wie  wir  sie  in  den  Mosaiken 
Roms  kennen  lernten;  die  mosaizierte 
Kuppel  zeigt  hier  Propheten,  die  nicht 
Codices,  sondern  nur  Rollenbücher  halten. 
Diese  Rollen  sind  stets  offen  und  mit  Schrift 
versehen  und  werden  entweder  in  der  vor- 
hin charakterisierten  Weise  in  der  Linken 
(nie  in  der  Rechten)  gehalten,  oder  aber 
es  kommt  ein  neues  Motiv  hinzu,  das 
unsre  Abb.  184  verdeutlicht.  Hier  wird 
der  Text  des  Diploms  dem  Publikum  in 
der  Weise  gezeigt,  daß  die  r.  Hand  die 
Rolle  von  unten,  die  1.  Hand  sie  von  oben 
auseinanderzieht. 

Dies  selbe  Motiv,  nur  versteift  und 
verknöchert,  trifft  man  in  den  Mosaiken 
des  Westens  wieder  an;  in  S.  Maria  Tra- 
stevere  in  der  Hand  der  thronenden  Mutter 
Gottes  und  im  S.  Marco  in  Venedig  in 
Händen  der  zwei  Heiligen,  die  dort  die 
stehenden  Eckfiguren  bilden.  In  solchen 
Schildereien  sehen  wir  es  besonders  deut- 
lich, daß  das  Buch  zur  Hauptsache  geworden  ist.  Das  Buch  ist  Träger 
des  Wortes,  der  Mensch  ist  Träger  des  Buches.  Der  Heilige  ist  der  Lese- 
diener (oben  S.  172),  der  das  Buch  dem  Betrachter  zeigt  und  hinhält.  Das- 
selbe gilt  auch  von  dem  alten  statuarischen  Werk  auf  dem  Campo  Santo 
in  Pisa,  das  wieder  ein  neues  Motiv  bringt.  Denn  hier  sind  es  beide 
Hände,  die  das  obere  Konvolut  tragen;  das  untere  stellt  sich  von  selbst 

1)  J.  Kurth,  Die  Mosaiken  usw.  S.  199,  läßt  die  Sache  unentschieden.  Über 
gespaltene  Rollen  oben  S.  227.  Die  Rollung  der  Tora  bei  den  Juden  kann,  wie  ich 
hinzufügen  möchte,  für  diese  das  Vorbild  gewesen  sein;  s.  Blau  a.  a.  O.  S.  41: 
„Alle  Bücher  werden  vom  Anfang  bis  zum  Ende  gerollt,  die  Tora  aber  in  die  Mitte 
und  man  macht  ihr  am  Anfang  und  am  Ende  je  einen  Stab."  Dies  mußte  eben 
die  Form  der  „gespaltenen  Rolle"  ergeben.  Eine  solche  wie  die  in  den  Priscilla- 
katakomben  (S.  232)  kann  also  davon  eine  Nachbildung  gewesen  sein;  in  den  beiden 
Bohrlöchern  können  sich  Nachahmungen  der  jüdischen  Rollenstäbe  befunden  haben. 


Abb.  183. 


328 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


her.  Um  so  offner  steht  die  Blattfläche  vor  dem  Auge  des  Beschauers; 
vgl.  Abb.  185. 

Inzwischen  haben  sich  auch  die  Tiere  des  Buches  bemächtigt,  und 
nicht  nur  etwa  des  Codex.  In  dem  Karolingischen  Evangeliar  im  Münster- 
schatz zu  Aachen  sieht  man  da,  wo  die  vier  Evangelisten  in  einer  Land- 
schaft studierend  verstreut  sitzen,  auch  ihre  zugehörigen  Tiere  eifrig  vor  sich 
hin  in  offner  Rolle  lesen1),  oder  die  Tiere  halten  die  Rollen  vielmehr  als  himm- 
lische Vorlagen,  nach  denen  die  Evangelisten  den  Text  im  Codex  kopieren 
sollen.2)    In  der  Trierer  Adahandschrift  aber  erscheinen  sie  gar  damit  als 


Abb.  185. 


Krönung  der  Bilder  in  der  Höhe;  und  der  Löwe  des  Marcus  hält  die  Kon- 
volute zwar  wirklich  fest  in  seinen  Klauen,  der  Ochs  des  Lucas  aber  und 
der  Adler  des  Johannes  haben  nichts  sie  anzufassen,  und  die  weit  aus- 
gezogenen Rollenbänder  schweben  so  vor  den  Tieren  ganz  ohne  Halt.3) 
Kein  Wunder,  daß  man  sich  jetzt  auch  getraut,  das  Schreiben  auf  einer 
lang  ausgezogenen  Rolle  abzubilden;  ich  meine  u.  a.  eine  schon  S.  208 
erwähnte  Miniatur  im  Terenz,  die  hier  wiederzugeben  doch  von  Interesse 
ist:  Abb.  186.    Stehend  schreibt  gar  Moses  und  zwar  auf  dem  Mittelblatt 

1)  Siehe  Die  Trierer  Ada- Handschrift  (Leipzig  1889)  Tfl.  23;  der  geflügelte 
Mensch  des  Matthäus  hält  eine  geschlossene  Rolle.  Schreibkästen  oder  Bücher- 
kästen stehen  am  Boden,  die  den  alten  ägyptischen  gleichen. 

2)  In  dieser  Weise  haben  wir  eine  verwandte  Darstellung  oben  S.  292  Anm.  2 
gedeutet. 

3)  Ebenda  Tfl.  15-17.  Die  Rolle  des  Marcuslöwen  ist  blau.  Ähnliches  bei 
Swarzenski,  Regensburger  Buchmalerei,  Tfl.  35. 


Tiere  mit  Buch.    Schreiben.    Freiere  Motive. 


329 


einer  übrigens  zusammengerollten  Rolle,  die  er  auf  der  Hand  trägt,  auf 
dem  Titelbild  der  Bernwardbibel  zu  Hildesheim.1)  Das  ist  noch  unmög- 
licher. Sitzend  schreibt  wiederum  der  Dichter  Prudentius  in  der  Miniatur 
der  Berner  Prudentiushandschrift  des  9.  Jahrh.2);  aber  die  Schreibfläche 
ist  hier  nicht  zu  erkennen;  ein  einbeiniges  Schreibpult  steht  vor  ihm;  da- 
hinter ein  gewaltiges  rundes  Scrinium,  aus  dem  sieben  stangenartig  geformte 
Rollen  hoch  hervorragen.3) 

Wer  weitere  Extravaganzen,  wie  sie  die  gesetzlose  Phantasie  jener 
Zeit,  vom  11.  bis  zum  15.  Jahrh.,  hervorgebracht  hat,  zu  sehen  verlangt, 


möge  etwa  Janitschek's  Geschichte  der  deutschen  Malerei,  z.  B.  S.  119; 
125;  127;  148;  191  f.  oder  das  Werk  von  R.  Borrmann,  Aufnahmen  mittel- 
alterlicher Wand-  und  Dekorationsmalereien  in  Deutschland  (Berlin  1897), 
bes.  Faszikel  9,  oder,  für  das  13.  Jahrh.»  Julius  Lessing,  Wandteppiche  und 
Decken  des  Mittelalters  in  Deutschland,  durchblättern.  Oder  er  begnüge 
sich,  in  Rom  in  die  Oberkirche  von  S.  demente  einen  Blick  zu  werfen. 
Die  Mosaiken  derselben  am  Triumphbogen  sollen  dem  12.  Jahrh.  angehören; 
sie  verwenden  die  Rolle  mit  Vorliebe,  aber  bis  zum  Irrsinn.    In  Petri  Hand 

1)  Siehe  BEISSEL,  Der  heilige  Bernward  Tfl.  V.        2)  STETTINER  a.  a.  O.  Tfl.  134. 

3)  Daß  die  meisten  Bilderhandschriften  des  Prudentius  vollständige  Fremdheit 
des  Rollenbuchwesens  zeigen,  ist  schon  S.  313  Anm.  3  gesagt.  In  der  Handschrift  von 
Lyon,  bei  Stettiner  Tfl.  109,  sieht  man  ein  allegorisches  Bild  der  Wissenschaften; 
da  überreicht  die  Sancta  Sophia  zwei  offne  Buchfahnen  zugleich  mit  der  1.  und  r. 
Hand.  Das  ist  nach  dem  S.  323  f.  Gesagten  zu  beurteilen.  In  der  Unterrichtsstunde 
des  Cassianus  ib.  Tfl.  159  (Berner  Handschrift  des  9.  Jahrh.)  werden  nur  Codices 
verwendet. 


330 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


Abb.  188 


ist  sie  zur  leeren  Tüte,  die  oben  offen  steht  und 
nicht  einmal  hinten  schließt,  in   des  Jeremias' 
und  Jesaias'  Hand  zu  einem  Doppelband,  zu 
f^\w     emer  Draperie,  zu  einem  Stück  Gardine  ge- 
worden, die,  von  der  Hand  auslaufend,  wie 
ein   Fenstervorhang    sich    aufbiegt  und 
oben  ins  nächste  Gesims  sich  verläuft, 
als  wäre  sie  da  festgenagelt.  Darauf 
steht    dann    vidi    dominum  etc.  zu 
lesen.    Ebendort  ist  das  Mosaik  der 
Tribuna  bei  einer  Restauration  durch  Malerei 
//  ersetzt  worden;  auch  diese  Freskomalerei  läßt 

$r      Rollen  in  der  Apostel  Händen  nicht  fehlen;  auch  hier 
Neues;  aber  Motive  wie  das  beifolgende  -  Abb.  187  — 
würde  das  Altertum  abgelehnt  haben. 

Wir  stehen  hiermit  schon  der  Zeit  Nicola  Pisano's 

/  /■  / 

/ Jw'  /    nahe.      Auch  ein  Künstler  wie  Nicola  macht  sich,  wennschon 
er  oft  sorglicher  auf  antike  Vorbilder  zurückgeht,  über  diese 
Dinge  doch  keine  Sorgen.    Man  sehe  von  den  zwei  folgenden  so 
noblen  Evangelisten  des  Campo  Santo  in  Pisa  —  Abb.  188  u.  189  - 
besonders  den  en  face  sitzenden. 

Heilige  Schriften  sind  Wunderdinge;  sie  können  auch  Wunder  wirken. 
Warum  sollen  sie  nicht  auch  von  selbst  steif  in  der  Luft  stehen  können? 
So  dachten  diese  skrupellos  andächtigen  Männer  nicht  etwa;  die  An- 
dächtigkeit erlaubte  ihnen  nicht  einmal  hierüber  nachzudenken.  Daher 
gehen  sie  aber  noch  weiter.  Wie  der  Soldat  sein  Gewehr  und  wie  der 
siegreiche  Märtyrer  die  Palme  schultert,  so  schultern  gelegentlich  die 
Heiligen  auch  das  offne  Band  des  Rollenbuchs,  das  steil  aufrecht  steht, 
als  wäre  es  aus  Metall,  Darstellungen,  die  nicht  nur  im  Stil  des  Rokoko 
begegnen,  sondern  schon  dreimal  auf  einem  alten  Gemälde  des  Sano 
di  Pietro  in  Siena,  Belle  Arti  Saal  II  Nr.  25,  ebenso  am  Portal  von 
St.  Trophime  in  Arles,  rechts  am  Eingang  (etwa  aus  dem  J.  1220).  Das 
reicht  dann  in  die  modernen  kleinen  Farbendrucke  hinein,  die  Heilige  dar- 
stellen und  in  der  griechisch-katholischen  Kirche  ver- 
breitet werden:  davon  gebe  ich  in  Abbildung  190  ein 
Beispiel. 

Noch  wunderbarer  ein  altes  Tafelgemälde,  das  ich 
im  Musee  Calvet  in  Avignon  sah,  daselbst  Nr.  54:  in  der 
Mitte  Christus  am  Kreuz;  links  und  rechts  von  ihm  Maria 
Magdalena  und  Maria  (E)gipciaca.  Jede  der  Frauen  hält 
eine  offne  Buchrolle,  aber  nur  am  unteren  Zipfel;  die 
offnen  Papierfahnen  befinden  sich  schwebend  über  ihnen 


Freiere  Motive. 


331 


wie  Segeltuch  und  sind  oben  irgendwie  befestigt, 
aber  unklar  gelassen  ist.  Große  Sprüche 
len  darauf  geschrieben. 

So  wandert  das  Rollenbuch  also,  wie 
wir  sehen,  aus  dem  Mosaik  hinüber  in 
die    Freskomalerei    und  Tafelmalerei. 
Wo  immer  die  Kunst  sich  bemüht  hat 
k  das  Geistige  zu  versinnlichen,  das 
als  Erbteil  von  Geschlecht  zu  Ge- 
schlecht weiter  geht,  blieb  die 
Rolle  ein  unentbehrliches  Requi- 
sit.   Auch  Michel  Angelo  hat 
ihrer  nicht  entraten  können.  Aber 
fehlte  noch  eins. 

1  der  Antike  ist  das  Rollenbuch  nichts 
als  der  geringfügige  Diener  des  Menschen,  und, 
als  bloßes  Hilfsmittel,  in  jedem  Falle  ihm  unter- 
geordnet. Dies  ist  das  Natürliche  und  entsprach  da- 
mals der  Wirklichkeit  des  Lebens.  Mit  dem  Mittelalter 
und  mit  dem  Zurücktreten  der  Rolle  aus  dem  Leben  be- 
ginnt ihr  bloß  symbolischer  Zweck,  ihr  allegorischer  Wert 
und  ihre  Transzendenz  in's  Unwirkliche.  Der  Mensch,  der 
sie  trägt,  sinkt  darum  jetzt 
zum  Diener  und  Hilfsmittel 
des  Buchs  herab;  das  offne 
Buch  mit  dem  Spruch,  den 
es  trägt,  erhebt  sich  zum  Kerninhalt 
der  bildlichen  Darstellung,  auf  den  das 
Auge  hinzulenken  die  Aufgabe  des 
Künstlers  ist.  Aber  unser  ästhetischer 
Sinn  bleibt  unbefriedigt.  Denn  Lettern 
und  Papier  sind  unpersönlich  und 
eine  tote  Sache,  die  weder  Herz  noch 
Phantasie  ergreift,  und  der  Aufwand 
des  menschlichen  Apparats,  der  als 
Träger  dient,  scheint  unproportional.  Es 
fehlte  noch  eins;  das  Buch  selbst  mußte 
beseelt  werden.  Der  Geist  soll  aus  ihm 
reden;  das  numine  afflatur  mußte  auch 
von  ihm  selber  gelten.  Wer  nun  in  der 
Sixtinischen  Kapelle   zu   den  Propheten 

und    Sibyllen   Michel    Angelo's   empor-  Abb.  190. 


332 


VI.  Darstellungen  der  Buchrolle  im  Mittelalter. 


schaut1),  erkennt:  die  Aufgabe  ist  da  gelöst;  und  die  geniale  Lösung  der 
Aufgabe  erweist,  daß  die  Forderung,  die  wir  stellten,  berechtigt  war.  Das 
Übernatürliche  wirkt  hier  wieder  im  Natürlichen.  Der  natürliche  Verkehr 
des  Menschen  mit  dem  Buch  ist  endlich  wieder  hergestellt.  Das  Buch  ist 
wieder  Diener  des  Menschen  geworden.  Aber  das  Göttliche,  der  Geist  der 
Weissagung  regt  sich  in  Mensch  und  Buch  zugleich.  Wiewohl  das  Plakat- 
system überwunden  ist,  redet  das  Buch  dennoch!  Dies  ist  zu  grandiosem 
Ausdruck  gebracht  in  der  wundervollen  Delphischen  Sibylle  (Abb.  191). 
Sie  sitzt  in  Bewegung;  der  Mund  leise  geöffnet.  Das  weit  offne  Auge 
starrt  in  die  Ferne  und  schaut  Unsichtbares.  Die  linke  Hand  aber  hält 
die  Rolle  am  oberen  Ende  in  Schulterhöhe  weit  vorgestreckt,  damit  der 
Hauch  sie  erfassen  könne,  und  die  Blattmasse  fällt  ohne  Halt  nach  unten. 
Die  Seherin  achtet  es  nicht;  sie  hat  zu  lesen  aufgehört;  denn  der 
Geist  Gottes  fährt  wirklich  wie  ein  Hauch  durch  das  Bild  und  bläht 
die  Rolle  und  bläht  den  Mantel,  und  die  Ergriffenheit  hat  Buch  und 
Mensch  erfaßt,  und  man  spürt  ohne  Schriftworte,  daß  hier  das  Über- 
irdische redet.2) 

Damit  war  freilich  das  Äußerste  der  Ausdrucksfähigkeit  des  Buchs 
erreicht,  und  weiter  konnte  die  Kunst  nicht  gehen.3)  Auch  die  Sibyllen 
Rafael's  in  S.  Maria  della  Pace  lesen  zwar;  aber  die  Art,  wie  sie  es  tun, 
ist  ungeistig  und  gezwungen;  die  Schriftworte  auf  Zetteln  und  Tafeln  drängen 
sich  wieder  vor.  Was  dort  Erlebnis  war,  ist  hier  wieder  zur  Allegorie  ge- 
worden, und  wir  empfinden,  wie  viel  inniger  in  solchen  Dingen  Rafael  mit 


1)  Auch  diese  Propheten  und  Sibyllen  Michel  Angelo's  mit  ihren  Büchern  sind 
übrigens  eine  Nachwirkung  des  S.  325  erwähnten  Prophetenspiels,  bei  welchem  das 
Halten  von  Büchern  obligat  war;  s.  Weber  a.  a.  0.  S.  53  f. 

2)  C.  Justi,  Michelangelo  (1900)  S.  131  sagt  gleichfalls,  daß  das  numen 
afflans  es  ist,  das  den  Mantel  anschwellt.  Warum  aber  nicht  auch  das  Buch? 
Von  ihm  sagt  er  nur  (S.  129),  daß  es  die  Sibylle  mit  beiden  Händen  vor 
sich  ausgebreitet  hielt  und  jetzt  mit  einer  raschen  Bewegung  des  1.  Arms 
zurückwirft.  E.  Steinmann,  Die  Sixtinische  Kapelle  II  (1905)  S.  398  behauptet  gar, 
die  Seherin  strecke  „das  Spruchband"  den  Gläubigen  zu  ihrer  Legitimation  ent- 
gegen! Aber  der  Spruch  selbst  fehlt  doch  eben  auf  dem  Buch,  und  der  Künstler 
hat  von  solchem  äußerlichen  Verfahren  durchgängig  abgesehen. 

3)  Sonst  herrschen  in  der  Sistina  die  Codices  vor;  es  sind  schwere  Folianten. 
Aber  Joel  liest  in  der  Rolle  und  zwar  mit  Eifer;  die  R.  hält  richtig  das  Konvolut, 
die  L.  hat  nur  wenig  Text  abgerollt,  und  man  sieht,  daß  der  Leser  noch  am  An- 
fang der  Lektüre  steht.  Die  innere  Erregung  verrät  sich  hier  nur  darin,  daß  die  R. 
die  Blattmasse  gewaltsam  umbiegt,  indem  sie  das  Konvolut  senkrecht  richtet  und 
nicht  wagrecht  hält,  wie  sie  doch  müßte.  Dies  geschieht  ähnlich  auf  unsrer  Abb.  180. 
Endlich  hat  auch  Ezechiel  die  Rolle;  aber  er  doziert  nach  rechts  gewendet;  das 
Lesen  ist  abgetan;  die  1.  Hand  läßt  er  mit  der  halb  abgerollten  Rolle  herabhängen. 
Die  Rolle  aber  ist  auch  hier  voll  Bewegung;  denn  das  hängende  Blatt  schwebt 
schräge  und  weit  ausgebogen  und  verrät  deutlich,  daß  es  erst  eben  in  diese  Situa- 
tion kam  und  noch  hin  und  her  taumelt.  Dabei  hat  er  die  Rolle  in  S-Form  gerollt 
(vgl.  oben  S.  226);  auch  dies  ein  Zeichen  der  Hast  und  Unachtsamkeit. 


Michel  Angelo's  delphische  Sibylle. 


333 


dem  Geist  des  Mittelalters  zusammenhing  als  die  starke  Individualität  seines 
großen  Zeitgenossen.1) 

1)  Nicht  ohne  Rührung  sah  ich  in  Frankfurt  E.  STEINLE's  Tiburtinische  Sibylle; 
der  Künstler  hat  da  auf  dies  Detail  ganz  besondere  Mühe  verwandt,  und  außer  der 
offnen  Schriftrolle  in  der  erhobnen  Rechten  der  Frau  sieht  man  noch  weitere,  die, 
lose  geschlossen,  neben  ihr  auf  dem  Sitz  liegen.  Aber  diese  Rollen  bestehen  aus 
knitterndem  modernen  Papier,  und  die  Sache  ist  weder  praktisch  richtig  noch 
archäologisch  wahr  noch  eigentlich  geistig  bedeutsam  und  eindrucksvoll. 


Abb.  191. 


Zusätze. 


S.  6  Anm.  5:  Kaiser  Firmus  sagte  bekanntlich,  er  könne  von  Papyrus  und 
Kleister,  papyro  et  glutine,  eine  Armee  ernähren  (Script,  hist.  Aug.  c.  3).  Daraus 
folgt  (gegen  Dziatzko),  daß  eben  der  Kleister  bei  der  Chartabereitung  beinah  ebenso 
wesentlich  war,  wie  das  Papyrusschilf  selber. 

S.  6  Anm.  7:  Auch  der  Papyrus  Ebers  begann  mit  einem  19  cm  langen  leeren 
Stück  vor  der  Vorrede  des  Werkes  (Pietschmann).  Leer  war  aber  auch  bisweilen 
das  Endstück;  s.  Diog.  La.  6,  38:  |uaKpd  tivoc  dvaYivujcKovxoc  Kai  -rrpöc  tuj  reXei  toü 
ßißXiou  äjpacpöv  ti  -rrapabeiSavToc  •  „öappeixe,  eq>r\  [ö  AioY€vr]c],  öv&pec  ff\v  öpOu." 

S.  13:  Wenn  ich  gelegentlich  zu  erkennen  glaubte,  daß  die  Ägypter  auch  mit 
der  Linken  schrieben,  so  erinnert  mich  Pietschmann  daran,  daß  die  benutzten  Ab- 
bildungen darin  leicht  täuschen  können  (derselbe  in  „Beiträgen"  Heft  4  S.  68). 

S.  15:  Tongefäße  zum  Aufbewahren  der  Rollen:  s.  auch  Assumptio  Mosis  1  17. 

S.  17:  Neben  den  ägyptischen  Sitzbildern  hätte  ich  honoris  causa  auch  den 
altbabylonischen  König  Qudea  (um  3000  v.  Chr.;  aus  Tello  in  Südbabylonien;  im 
Louvre;  Abguß  in  Dresden)  erwähnen  sollen,  wennschon  er  mit  Papyrus  nichts  zu 
tun  hat.  Der  König  sitzt  mit  hohen  Knien  streng  symmetrisch,  die  Hände  vor  der 
Brust  zusammengelegt.  Auf  dem  Schoß  liegt  ein  Beschreibstoff  in  dicker  Platten- 
form, der  einen  Festungsplan  zeigt.  Griffel  und  Maßstab  liegen  auf  der  Fläche 
der  Platte. 

Übrigens  wurden  mir  durch  Vermittlung  Pietschmann's  die  Bemerkungen 
W.  Spieqelberg's  über  den  Steinkern  in  der  Hand  der  äg.  Statuen,  im  Recueil  des 
travaux  relatifs  ä  la  philol.  et  ä  l'arch.  eg.  et  assyr.  XXVI11  (1906)  S.  174  f.,  im  Aus- 
schnitt vom  Verfasser  freundlichst  übersandt.  Spiegelberg  setzt  an,  daß  diese  Stein- 
zylinder, die  ich  S.  17  für  geschlossene  Buchrollen  nehme,  vielmehr  die  Andeutung 
eines  Szepters  oder  Herrscherstabes  sein  sollen.  Diese  Ansicht  leidet  jedoch,  wie 
mir  scheint,  folgende  Bedenken,  die  ich,  obwohl  in  Aegyptiacis  vollständig  Laie, 
doch  nicht  verschweigen  möchte.  Auch  Sitzfiguren  halten  den  Gegenstand  im  Schöße 
(Berlin,  Äg.  Mus.  Nr.  7335;  10123).  Kann  ein  Herrscherstab  in  solcher  Weise  im 
Schoß  gehalten  werden?  Oft  hat  der  Steinkern  horizontale  Lage,  indem  die  Hand  der 
stehenden  Figur  am  Schenkel  liegt  (Berlin  Nr.  12547;  7335  usw.).  Wurden  die  Szepter 
auch  so  horizontal  am  Schenkel  getragen?  Sehr  oft  erscheinen  auch  zwei  Steinkerne, 
in  jeder  Hand  einer.  Hat  man  in  Ägypten  wirklich  so  zwei  Szepter  geführt?  Vor 
allem  aber  kam  der  Herrscherstab,  wie  SP.  selbst  sagt,  den  Frauen  nicht  zu;  doch 
aber  findet  sich  der  Steinkern  wirklich  auch  in  Frauenhänden  (Frau  des  Tenti,  Berlin 
Nr.  12547).  Also,  meine  ich,  ist  er  kein  Stab.  -  Warum  sollen  wir  nun  nicht  ein 
Buch  erkennen?  SP.  vermißt  eine  Andeutung  der  Lagen  des  Papyrus,  wie  sie  die 
hockenden  Schreiberstatuen  zeigen.  Aber  von  diesen  Schreibern  wird  das  Buch 
wirklich  benutzt,  es  ist  da  also  unverhüllt.  Wo  die  Rolle  dagegen  bloß  als 
Attribut  erscheint,  wie  in  der  Hand  der  Könige,  ist  sie  unbenutzt  und  steckt  in  der 
Paenula  (s.  S.  19).  Ist  der  Steinkern  bisweilen  anders  gefärbt  als  die  Hand,  so 
darf  ich  erinnern,  daß  die  Paenula  farbig  war.  —  Außerdem  findet  Sp.  den  Stein- 
kern für  eine  Rolle  zu  kurz;  wenn  aber  ein  Stab  verkürzt  dargestellt  werden  konnte, 
warum  dann  nicht  auch  die  Rolle?  —  Zum  wenigsten  für  Figuren,  die  nur  einen 


Zusätze. 


335 


Steinkern  halten,  kann  ich  in  vielen  Fällen  von  meiner  Auffassung  nicht  abkommen. 
Wer  den  Ramses  II  in  Turin  sieht,  kann  m.  E.  gar  nicht  anders  als  den  Herrscher 
mit  dem  Buch  erkennen,  das  er  in  der  R.  hält.  Dasselbe  gilt  von  dem  Sitzbild  bei 
Erman  S.  64  u.  a.,  vor  allem  auch  von  dem  Ramses  bei  Prisse  d'  Avennes  II  Tfl.  56, 
wo  wir  auch  den  Sittybos  zu  sehen  glauben.  Weil  die  Rolle  in  der  Kapsel  steckt, 
erscheint  sie  in  der  Mitte  oft  etwas  dünner  als  an  den  Enden:  die  Kapsel  dürfte 
diese  konkave  Form  gehabt  haben.  —  Wer  diese  Dinge  beurteilt,  darf  auch,  wie 
ich  meine,  nicht  ganz  von  der  römischen  Kunst  und  dem  römischen  Leben  absehn, 
das  so  manches  aus  Ägypten  entlehnt  hat;  das  betrifft  auch  gerade  den  Monarchen 
selbst.  Der  römische  Kaiser  wird  durch  das  Buch  ausgezeichnet  (S.  68  u.  72  f.). 
Woher  diese  Sitte?  Das  Buch  bezeichnet  den  Machthaber;  auch  an  König  Saul, 
an  Christus  haftete  das  (S.  79).  Erst  durch  die  ägyptischen  Bildwerke  ist  mir  dies 
verständlich  geworden.  -  Zweifelhafter  sind  die  Fälle,  wo  eine  Figur  zwei  Stein- 
kerne hält.  Daß  im  ägyptischen  Leben  aber  auch  dies  üblich  war,  in  jeder  Hand 
ein  geschlossenes  Buch  zu  tragen,  ist  S.  12  gezeigt;  und  die  S.  18  f.  erwähnten 
Mumiendeckel  bestätigen  es. 

S.  21  Anm.  1:  philyra  wird  zum  Schreiben  verwendet  bei  Dio  Cass.  67,  15; 
vgl.  Herodian  ab  excessu  divi  Marci  I  17:  YPauuaTei0V  toütujv  br|  tüjv  ek  <pi\üpac 
ec  XeiTTÖTrjTtt  r\CKr]fj.evwv  eTza\\r\\w  re  ävaxMcet  d|aqpoT6puu9€v  eirnjYMevuJv  (dies  ist 
gesagt  nach  Homer  u  439).    Commodus  bedient  sich  ihrer. 

S.  22  Anm.:  Über  das  reöxoc  des  Anakreon  urteilte  richtig  F.  BLASS,  Paläo- 
graphie  §  29. 

S.  24:  In  welch  argem  Zustand  die  Papyrusrollen  sich  oft  befanden,  zeigt  die 
Szene  bei  Diog.  La.  9,  114:  Timon  von  Phlius  liest  aus  einer  Rolle  vor;  ihre  Charta 
aber  ist  zerfressen;  er  kann  daher  den  Text  nicht  lesen,  improvisiert  eine  Zeitlang, 
ohne  den  Schaden  merken  zu  lassen,  und  findet  endlich,  als  er  die  Rolle  bis  zur 
Hälfte  aufgerollt  hat,  den  Text,  den  er  sucht.  Von  chartulae  putres  ac  veternosae 
redet  Sidon.  Apoll,  ep.  9,  16,  2. 

S.  30:  Über  die  Charta  im  Dienst  von  Aktenskripturen,  ihr  Zusammenkleben 
und  Zerschneiden  und  sonstige  Merkmale  für  die  Sparsamkeit,  mit  der  man  das 
Material  benutzte  und  aufbewahrte,  s.  jetzt  Preisiqke,  Griechische  Papyrus  der 
Bibliothek  zu  Straßburg,  1906. 

S.  32:  Schreiben  von  Texten  auf  Ostraka:  auch  Kleanthes  benutzt  Ostraka,  da 
er  sich  keine  Charta  kaufen  kann:  Diog.  La.  7,  174.  An  Pergament  wird  damals 
noch  nicht  gedacht.    Auch  Hermes  schreibt  auf  Ostraka;  s.  Zusatz  zu  S.  71. 

S.  32  Anm.  2:  Dasselbe,  was  uovößißAoc,  bedeutet  wohl  auch  der  adjektivische 
Zusatz  evioioc,  den  ich  einmal  Diog.  La.  7,  35  finde  (kropia  Ivicua). 

S.  35:  Um  das  Jahr  350  n.  Chr.  war  neben  dem  Vordringen  des  Pergaments 
die  Produktion  der  Charta  doch  noch  gar  nicht  merklich  zurückgegangen;  s.  Ex- 
positio  totius  mundi  et  gentium  ed.  Riese  p.  113;  da  heißt  es:  weder  iudicia  noch 
privata  negotia  können  ohne  die  Charta  des  Nil  bestehen;  die  hominum  natura 
scheint  auf  die  Charta  begründet,  und  sine  invidia  schickt  sie  Alexandria  omni 
mundo. 

S.  37  Anm.  1:  Patrikios  im  6.  Jahrh.  fand  bei  Dio  Cassius  das  Wort  ßiß\ia  und 
setzte  in  seinem  Text  dafür  xapxac  ein  (Dio  Cass.  II  p.  649  ed.  Boissevain);  er  ver- 
stand also  damals  unter  ßißAia  doch  noch  xaPTai- 

S.  37:  Daß  es  im  4.  Jahrh.  Privatbibliotheken  in  allen  besseren  Häusern  gab, 
zeigt  auch  Amm.  Marcellin.  29,  2,  4. 

S.  43:  Auch,  als  er  sich  durch  Schwimmen  rettet,  hält  Julius  Cäsar  Schriften 
in  der  linken  Hand,  Dio  Cass.  42,  40:  -noXXä  (Tpd|uuaxa)  ev  rr)  dpicrepa  xeipi  dvexwv 
evnSaxo.  Daß  man  Bücher  oder  Briefe  im  sinus  trägt,  zeigt  ebenda  auch  Cleo- 
patra, 51,  12. 

S.  44:  Die  Abb.  22  steht  leider  verkehrt  gerichtet:  was  jetzt  die  rechte  Seiten- 
linie ist,  ist  die  Grundlinie  des  Bildes.  Die  Hand  streckt  sich  also  für  den  Be- 
schauer nach  links. 

S.  46:  Daß  die  Irisvase  des  Brygos  auf  ein  Satyrspiel  zurückgehe,  bestritt 


336 


Zusätze. 


K.  Wernicke,  Hermes  32  S.  302,  für  mich  nicht  überzeugend.  Daß  es  das  des 
Achaios  war,  behaupte  ich  nicht. 

S.  52:  In  unsrer  Abb.  31a  erkannte  auch  Amelunq  einen  Mäusekopf  und  er- 
mutigte mich  dazu,  dies  im  Text  geltend  zu  machen.  Bestätigung  gibt  hierzu,  wie 
ich  nachträglich  sehe,  eine  fast  identische  kleine  Bronze  auf  der  Pariser  National- 
bibliothek, Babelon-Blanchet,  Bronces  ant.,  Nr.  984:  ein  Schauspieler  mit  dem  Kopf 
einer  „Ratte";  das  Werkchen  stammt  aus  Rom;  die  Figur  hält  die  geschlossene 
Rolle  links,  Motiv  I.  Aber  die  Ratte  war,  wie  man  sagt,  den  Alten  unbekannt 
(V.  Hehn,  Kulturpflanzen  usw.,  6.  Aufl.,  S.  453  u.  458),  und  die  griechische  Sprache 
gibt  kein  Wort  hierfür.  Ist  es  glis,  die  Haselmaus?  Allerdings  scheint  der  satirische 
Papyrus,  unsre  Abb.  179,  Ratten  vorzuführen,  aber  es  sind  ägyptische. 

S.  53:  zu  Abb.  32:  ein  Spielkind  spielt  mit  einem  Buch  auch  bei  Herodian 
I  17,  4. 

S.  56:  AMELUNQ  erinnert  mich  daran,  daß  Furtwänqler  (Abhdl.  Münch.  Akad. 
Bd.  20,  1896,  S.  581  f.)  an  der  feinen  römischen  Bronzestatuette  des  Asklepios  bei 
Babelon-Blanchet  Nr.  598  eine  Rolle  in  der  Rechten  zu  erkennen  glaubte.  Ich 
muß  diese  Annahme  bestimmt  bestreiten.  Der  Gott  hält  hier  aufrecht  stehend  die 
L.  im  Mantel,  die  R.  gesenkt;  diese  R.  hält  horizontal  einen  kurzen  Stab,  aber  so, 
daß'  alle  Finger  lose  liegen  und  vom  Körper  des  Stabes  abstehen.  In  dieser  Weise 
wird  die  Rolle  nie  angefaßt.  Sie  würde  alsdann  sogleich  auseinanderfallen.  Auch 
das  Motiv  III  ist  im  Vergleich  zu  diesem  Verfahren  ein  fester  Griff  zu  nennen. 
Sonst  wird  höchstens  der  Zeigefinger  abgehoben:  s.  unsre  Abb.  27  und  den  sog. 
Sophokles,  oben  S.  87.  Dieser  Asklepios  hält  also  einen  kurzen  Stab.  Auch  den 
Asklepios  bei  der  Juturna  auf  dem  Forum  Romanum  (Reinach,  Rep.  stat.  III  13,  9) 
habe  ich  mit  Absicht  übergangen.  Mir  schien  es  angesichts  des  Originals  sicher, 
daß  auch  er  einen  kurzen  Stab  und  nicht  eine  Rolle  in  der  R.  hält.  Es  wäre  nütz- 
lich, einmal  die  Beispiele  für  abgekürzte  Stäbe  zu  sammeln;  vgl.  die  S.  53  Anm.  2 
und  S.  98  erwähnten  kleinen  Bronzen  in  Neapel  und  Marseille.  Auch  Moses  be- 
dient sich  beim  Quellwunder  eines  solchen:  s.  Garrucci  Tfl.  315  (FlCKER  Nr.  173) 
und  316,  3  (Arles). 

S.  60:  Zu  den  Standbildern  mit  Motiv  I  kommt  noch  der  Asklepios  bei 
Schreiber,  Bildw.  der  Villa  Ludovisi  Nr.  101,  Arndt- Amelunq,  Einzelaufnahmen 
Nr.  272  (Amelunq).  -  Auch  die  Porträtstatue  Nr.  218  bei  Schreiber  kommt  hinzu. 

S.  61:  Zum  Asklepios  im  Pal.  Pitti  vgl.  auch  Thrämer  bei  Pauly-Wissowa, 
R.  Enc.  II  S.  1680,  Arndt-Amelung  Nr.  219-221  und  Furtwänqler  in  den  Bonner 
Jahrb.  103  S.  9  (AMELUNQ). 

S.  67  Z.  11  f.:  Vgl.  Amelunq,  Vatikan,  Gal.  lap.  34. 

S.  69:  Hermes-Thot,  stehend,  mit  einem  buchrollenartigen  Gegenstand  in  der 
R.,  Regensburger  Bronzestatuette:  s.  FURTWÄNQLER  in  den  Bonner  Jahrbb.  Bd.  103 
S.  1  ff.  Tfl.  I,  auf  welche  Publikation  mich  Amelunq  aufmerksam  macht.  Auch  auf 
einer  späten  Münze  von  Tyrus,  ibid.  S.  5  Fig.  1,  erscheint  dieser  Gott  stehend,  mit 
demselben  Abzeichen,  auch  hier  in  der  R.  Ist  dies  wirklich  ein  Buch,  so  wäre  darin 
ägyptischer  Einfluß  zu  erkennen.  Für  das  Buchwesen  aber  käme  solche  Darstellung 
nicht  in  Betracht.  Denn  eine  Figur,  die,  wie  dieser  Hermes,  Attribute  in  beiden 
Händen  trägt,  ist  kein  Leser,  und  Götter,  die  in  dieser  Weise  mit  Emblemen  be- 
schwert sind,  beweisen  für  das  wirkliche  Leben  nichts.  Wer  wirklich  mit  dem  Buch 
umging,  hatte  dazu  natürlich  die  Hände  leer.  Sonach  wäre  mit  diesem  Hermes-Thot 
der  S.  98  besprochene  Toxaris  beim  Lucian  passend  zu  vergleichen.  Doch  ist  dies 
alles  zweifelhaft.  Denn  Hermes  trägt  ja  sonst  regelmäßig  in  der  R.  den  Geldbeutel; 
der  soll  in  diesem  vereinzelten  Fall  durch  das  Buch  verdrängt  sein.  Wir  wissen 
nun  aber,  daß  auch  ßißXia  als  Geldbeutel  dienten  (S.  127);  also  kann,  ja,  muß  es 
auch  hier  als  solcher  aufgefaßt  werden.  Mir  fällt  auf,  daß  an  der  Regensburger 
Bronze  der  Rollenkörper  nach  hinten  sich  verringert  und  dort  jedenfalls  keine 
Rollung  und  Rundung  zeigt;  s.  die  Rückenansicht  der  Statuette,  die  Furtwänfler 
gibt.    Aber  auch  an  der  Vorderseite  ist  die  buchmäßige  Rollung  nicht  deutlich. 

S.  69  f.:  Pluto  und  Kora  führen  eigenhändig  schreibend  eine  Totenliste  bei 


Zusätze. 


337 


Babrios  fab.  75;  das  ist  sichtlich  jung.  Zum  Buch  der  Parzen  aber  ist  auch  noch 
an  das  sie  volvere  Parcas  bei  Vergil  Aen.  I  22  zu  erinnern;  wohl  mit  Recht  wurde 
dies  von  einigen  Erklärern  im  Altertum  auf  die  schreibende  Parze  bezogen: 
s.  Servius  ed.  Thilo  I  S.  20.  Vor  allem  aber  hätte  ich  Horaz  Od.  IV  13,  15  anführen 
sollen,  eine  Stelle,  die  erst  in  diesem  Zusammenhang  ihre  Erklärung  findet:  tem- 
pora  quae  semel  notis  condita  fastis  inclusit  volucris  dies.  Die  fasti  sind  hier 
das  Tagebuch  oder  Journal  des  Lebens  des  Einzelmenschen.  Und  diese  fasti 
heißen  „die  bekannten",  noti.  Wer  aber  führt  sie?  Man  rät  unsicher  hin  und  her. 
Aber  Martial  gibt  darauf  a.  a.  0.  die  Antwort:  es  ist  die  Parze,  von  der  omnis  hora 
(sc.  vitae  humanae)  scribitiir.  Natürlich  mußte  solcher  chronologisch  nach  Tagen 
und  Stunden  angelegter  Lebenslauf  in  der  Vorstellung  der  Gläubigen  Fastenform 
annehmen.  Und  dabei  ist  das  noti  wertvoll:  jedem  war  damals  diese  Vorstellung 
bekannt.  So  dachte  auch  Martial,  als  er  jene  Worte  schrieb.  —  Endlich  seien  auch 
noch  die  Cirisverse  119  u.  125  angeführt;  sie  besagen,  daß  die  Parzen  das  Schicksal 
des  Nisus  festgelegt  haben  (ftrmarunt  v.  125)  und  daß  dementsprechend  auch  die 
Orakelsprüche  lauten  (v.  119).  Das  ergibt  anscheinend  sogar  orakelverkündende 
Parzen.  Dies  ist  aber,  und  ebenso  Horaz  carm.  saecul.  25,  dahin  zu  verstehen,  daß, 
während  Juppiter  selbst  den  Schicksalsausspruch,  das  fatum,  gibt,  die  Parzen 
dies  Schicksal  nur  buchen  (s.  Mart.  Capella  I  64);  die  Orakelstätten  aber  erhalten 
vom  Inhalt  dieses  Parzenbuchs  Kunde,  und  die  schriftlich  erteilten  Orakel  sind 
diesem  Buch  gewissermaßen  entnommen. 

S.  71:  Die  Vorstellung  von  einer  Schuldbuchführung  Gottes,  die  wir  als 
spezifisch  jüdisch-christlich  betrachten,  findet  sich,  wie  ich  erst  nachträglich  wahr- 
nehme, auch  bei  den  Griechen;  s.  HALM,  fabulae  Aesopicae  Nr.  152:  Zeus  befiehlt 
Hermes,  die  Sünden  der  Menschen  auf  Ostraka  zu  schreiben,  und  in  einer  Kißuu-röc 
aufzubewahren,  um  jeden  zur  Rechenschaft  zu  ziehen.  Die  Ostraka  werden  in  der 
Capsa  jedoch  durcheinander  geschüttet,  und  so  kommt  dem  Zeus  das  eine  Schrift- 
stück später,  das  andere  früher  in  die  Hand,  woraus  sich  erklärt,  daß  den  Misse- 
täter die  Strafe  oft  erst  so  spät  ereilt.  Hier  also  auch  ein  schreibender  Hermes! 
Die  Erfindung  ist  sichtlich  jung,  vielleicht  alexandrinisch ;  zu  Ägypten  würden  auch 
die  Ostraka  gut  passen. 

S.  72  f.:  Kaiser  Maximinus  tritt  mit  dem  ßißXiov  auf  die  Rednerbühne;  dies  gilt 
aber  als  Zeichen  dafür,  daß  er  kein  Redner  war:  Herodian  VII  8,  3. 

S.  78:  Über  das  Vorkommen  der  Buchrolle  auf  den  Malereien  der  Katakomben 
handelt  WlLPERT,  Text  S.  494,  sehr  flüchtig.  Tatsache  bleibt,  daß  Christus  nur 
isoliert  oder  nur  in  Repräsentationsgruppen  (mit  den  Aposteln  oder  anderen  Heiligen) 
das  Buch  hält;  s.  die  oben  S.  184  aus  Wilpert  zitierten  Tafeln,  sowie  Tfl.  49;  75. 
Auf  Tfl.  21  u.  22  ist,  wie  mir  BAUER  überzeugend  darlegte,  keine  Madonna  zu  er- 
kennen, sondern  eine  profane  Familiengruppe;  die  männliche  Figur,  die  neben  der 
Frau  steht  und  eine  Rolle  in  der  L.  zu  halten  scheint,  bedarf  also  keiner  Benennung. 
Daß  übrigens  hier  eine  Buchrolle  wirklich  vorliegt,  ist  mir  trotz  Wilpert  S.  187 
sehr  zweifelhaft;  die  emporgehobene  Haltung  der  Hand  taugt  dazu  nicht. 

S.  79:  Den  Satz,  daß  Maria  nie  die  Rolle  hat,  vertritt  auch  Wilpert,  Röm. 
Quartalschrift  XX  (1906)  S.  1  ff.  Die  Rolle  in  Maria's  Hand  bei  Rohaut  DE  Fleury, 
l'Evangile  Tfl.  21  ist  ganz  unzuverlässig  und  so,  wie  sie  da  gezeichnet  ist,  unmög- 
lich; vgl.  Garrucci  Tfl.  213,  wo  sie  fehlt.  Über  Maria  ist  jetzt  auch  v.  Sybel,  Christ- 
liche Antike  I  S.  252  f.  zu  vergleichen.  Erst  im  hohen  Mittelalter  finde  ich  die 
Madonna  mit  dem  Rollenbuch,  oben  S.  327. 

S.  82:  Wer  dafür,  daß  die  Überreichung  von  Büchern  mit  der  Rechten  ge- 
schah, noch  ein  literarisches  Zeugnis  wünscht,  findet  es  bei  Sulpicius  Severus 
p.  142,  18  ed.  Halm. 

S.  85:  Derselbe  Sulpicius  Severus  p.  175,  25  ist  dafür  Zeuge,  daß  der  lecturus 
das  Buch  in  der  Rechten  hält. 

S.  127:  Über  die  Statue  von  Anzio  vgl.  auch  FURTWÄNQLER,  Münchner  Sitz.-Ber. 
1906  S.  388  Anm.  1  (Amelung). 

Birt   Die  Buchrolle  in  der  Kunst.  22 


338 


Zusätze. 


S.  135:  Zu  inter  manus  vgl.  uerä  xe'Pac  £X£lv  (T,'lv  ^TficToXnv)  Josephus, 
Vita  224. 

S.  135:  Über  „die  Entstehung  des  ionischen  Kapitells"  ist  neuerdings  auch  von 
M.  VON  GROOTE,  Straßburg  1905,  gehandelt.  Um  nicht  mißverstanden  zu  werden, 
wiederhole  ich  (vgl.  S.  310),  daß  ich  nur  dies  vermute,  daß  seit  dem  Aufkommen 
des  Rollenbuchwesens  die  Verzierung  des  Kapitells  dem  biblion  angeähnelt  und 
akkommodiert  worden  ist. 

S.  153:  Auch  im  Museum  in  Kairo  befindet  sich  auf  einem  Sarkophag  the 
figure  of  a  Student  grasping  in  each  hand  a  roll  of  Ms.;  s.  A.  Butler,  The  Arabic 
conquest  of  Egypt  (1902)  S.  100  Anm. 

S.  168:  BAUER  bemerkt  mir  sehr  einleuchtend,  daß  der  lesende  Jüngling  auf 
dem  Sarkophag  von  Perugia  ein  Opisthograph  liest;  in  der  Tat  stehn  die  Rollungen 
vor,  und  die  Innenseite  des  offnen  Buchs  zwischen  denselben  ist  vom  Lesenden  ab- 
gekehrt und  dem  Betrachter  des  Reliefs  zugekehrt.    Eine  ganz  singulare  Darstellung. 

S.  169:  Lipsanothek  von  Brescia:  Zur  Architektur  des  Bildes  gibt  STRZYGOWSKI 
Kleinasien  (1903)  S.  213,  eine  Hypothese. 

S.  169:  Zur  sog.  Samaritana  bemerkt  mir  noch  BAUER:  „Die  merkwürdige 
Stellung  dieses  ,Christus'  in  der  Komposition  wird  von  Wilpert  in  Malereien  der 
Sakramentskapelle  S.  10  nicht  hinreichend  erklärt.  Der  Maler  hätte  Christus  hier 
ebensogut  neben  dem  Brunnen  anbringen  können  und  müssen,  wie  auf  dem  Bild 
in  Petri  et  Marcellini  (Wilpert,  Cyklus  Tfl.  1)  und  in  Praetextati  (Wilpert  Tfl.  19)  - 
wenn  diese  überhaupt  die  Szene  Joh.  4  wiedergeben  sollen.  Wilpert  Tfl.  54  ist  nur 
in  einer  zweifelhaften  Zeichnung  erhalten.  Nach  S.  426  seines  großen  Werks  scheint 
W.  übrigens  seine  Behauptung,  daß  die  Figur  am  Brunnen  eine  Frau  sein  müsse, 
nicht  mehr  so  energisch  zu  vertreten." 

S.  202  f.:  Eine  Muse  schreibend,  und  zwar  auf  einem  großen  (!)  Diptychon  (?), 
das  auf  ihren  Knien  liegt:  Sogliano,  Pitture  Camp.  Nr.  402. 

S.  206:  Für  das  Schreiben  auf  Blättern  wäre  noch  ein  Beispiel  nachzutragen; 
Goldglas,  abgebildet  bei  E.  Gradmann,  Gesch.  der  christlichen  Kunst  (1902)  S.  128; 
Büstenbild  eines  Mannes;  der  Mann  hat  ein  kurzes  gebogenes  Blatt,  das  Schrift- 
zeichen trägt,  auf  der  1.  Hand;  die  R.  setzt,  nach  Art  unsrer  Abb.  142,  den  Calamus 
auf.    Ich  weiß  indeß  nicht,  woher  dies  Bild  stammt. 

S.  211:  Betreffs  der  ersten  Niederschrift  des  Homer  hat  P.  CAUER,  Grundfragen 
der  Homerkritik  (1895)  S.  92,  am  richtigsten  geurteilt.  Im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  konnte 
man  immerhin  schon  von  alten  Homerexemplaren  reden,  wie  Timon  von  Phlius 
es  tat,  wenn  er  nach  dpxcuo.  äv-riypcKpa  des  Dichters  statt  der  gegenwärtigen  ötujp- 
Guuueva  verlangte  (Diog.  La.  9,  113). 

S.  214  Anm.  1:  So  spricht  auch  Amm.  Marcellinus  von  compaginare  pontem 
30,  10,  2  (statt  dessen  ponte  compacto  derselbe  17,  1,  2). 

S.  215  Anm.  2:  Über  einen  in  Alexandria  gefundenen  Granitblock  mit  der  Auf- 
schrift AIOCKOTPIAHC  f~  (oder  I)  TOMOI  vgl.  jetzt  GARDTHAUSEN  in  der  Berl.  philol. 
WS.  1907  S.  352. 

S.  216:  Wenn  Alexander  der  Große  seine  Narthex-Ilias  immer  unter  dem  Kopf- 
kissen liegen  hatte  (Plut.  Alex.  8),  so  bestand  auch  diese  Ilias  schwerlich  aus 
24  kleinen  Röllchen,  sondern  sie  war,  nach  der  Vorstellung  des  Berichterstatters,  ein 
einheitliches  Buch.  Der  Narthex  selbst  lag  doch  jedenfalls  nicht  mit  unter  dem  Kissen. 

S.  220:  Ein  mit  einem  Bündel  Calami  verbundenes  Tintenfaß  -  ganz  ähnlich 
unsrer  Abb.  145  -  findet  man  auch  auf  einem  Goldglas  bei  H.  Vopel,  Die  alt- 
christl.  Goldgläser  (1899)  S.  44  Abb.  1. 

S.  226:  Bei  SCHREIBER,  Mus.  Ludovisi  Nr.  154,  212  u.  266,  wo  es  sich  überall 
um  dextrarum  iunctio  handelt,  heißt  es  jedesmal,  daß  der  „Mann"  ein  „Schriftbündel" 
halte.    Auch  in  diesen  Fällen  wird  an  eine  „gespaltene  Rolle"  zu  denken  sein. 

S.  234:  Wenn  Sidonius  Apollinaris  epist.  8,  16  sagt:  iam  venitur  ad  margines 
umbilicorum,  so  ist  das  eine  Martialreminiszenz,  mutmaßlich  ohne  alle  Anschauung. 
Jedenfalls  gab  Sidonius  seine  acht  ersten  Bücher  Briefe  auf  Membrane  heraus 
(s.  a.  a.  O.  und  7,  18,  12),  und  jene  margines  sind  dieselben,  die  er  auch  9,  1,  4  er- 


Zusätze. 


339 


wähnt.  Die  acht  Bücher  gingen  im  Codex;  das  neunte  wurde  nachträglich  hin- 
zugefügt. 

S.  230  u.  240:  Zu  der  Beobachtung,  daß  die  römischen  Dichter  auf  die  äußere 
Ausstattung  der  Gedichtbücher  den  größten  Wert  legen,  in  der  gleichzeitigen 
griechischen  Literatur  dagegen  sich  entsprechende  Äußerungen  nicht  vorfinden, 
stimmt  der  Befund  der  herculanensischen  Rollen  sehr  schön,  insofern  die  griechi- 
schen Exemplare,  die  dort  zutage  gekommen,  viel  geringer  sind  als  der  Rest  des 
lateinischen  Epos  de  bello  Aegyptiaco,  das  sich  durch  Schönheit  der  Schrift  und 
Größe  der  Seiten  als  Luxusexemplar  ausweist:  s.  Comparetti,  Relazione  sui  papiri 
Ercol.  (1880)  S.  23. 

S.  246,  5:  Vgl.  Josephus,  Vita  363. 

S.  249:  Daß  auf  der  attischen  Grabstele  Nr.  817  eine  Frau  mit  Büchervorrat 
erscheint,  kann  allerdings  wundernehmen.  „Sollte  das  nicht  eher  ein  Wäschekasten 
sein,  die  Rolle  irgendwelcher  gerollter  Stoff?"  (Amelunq).  Ich  muß  die  Frage 
offen  lassen.  Doch  begegnete  uns  eine  Frau  mit  Rolle  aus  etwa  der  gleichen  Zeit 
oben  S.  102. 

S.  247:  Für  das  Neumagener  Relief  kommt  ein  anregender  Aufsatz  A.  Brink- 
manns hinzu,  der  mir  durch  LÖSCHKE's  Aufmerksamkeit  noch  zugänglich  wird: 
Bonner  Jahrbb.  1906,  Heft  114/115  S.  461  ff.  Brinkmann  erkennt  in  unsrer  Abb.  159 
einen  Tuchladen,  und  wir  hätten  es  hier  also  mit  Buchrollen  gar  nicht  zu  tun. 
Dieser  Vorschlag  mutet  anfangs  wie  befreiend  an,  in  Anbetracht  der  sonderbaren 
Größenverhältnisse,  die  das  Bild  zeigt;  denn  die  Buchrollen  sind  viel  zu  groß. 
Trotzdem  muß  ich  seine  Richtigkeit  bezweifeln,  und  Hettner  (im  „Führer")  und  die 
Früheren  hatten  doch  wohl  Recht.  Brinkmann  hat  im  Vordergrund  das  Manuale 
mit  Buch  nicht  erkannt  (oben  S.  177);  daß  dies  Manuale  in  keinen  Tuchladen  ge- 
hört, versteht  sich  fast  von  selbst,  und  die  Darstellungen  von  Läden,  die  wir  besitzen, 
machen  dies  zweifellos.  Das  Manuale  weist  auf  Bibliothek  oder  Archiv.  Die  ge- 
waltige Größe  der  Buchrollen  kehrt  auch  sonst  an  der  Mosel  wieder;  s.  unsre 
Abb.  77;  auch  da  sind  sie  (man  denke  sich  nur  das  Abgestoßene  hinzu)  so  groß, 
daß  der  Oberkörper  der  Knaben  darin  stecken  könnte.  Nicht  dies  also  stört  mich 
eigentlich,  sondern  daß  das  Buch  auf  dem  Manuale  so  viel  kleiner  ist.  Vielleicht 
enthält  letzteres  nur  ein  Bücherverzeichnis,  und  der  Diener  ist  im  Begriff  an  der 
Hand  desselben  die  eigentlichen  Bücher  auf  die  Gestelle  zu  legen?  Dann  wäre  die 
Einrichtung  und  Anordnung  einer  Bücherkammer  dargestellt.  -  Im  übrigen  stimmt 
auf  dem  Relief  alles  wesentliche  zur  Natur  der  Buchrolle;  vor  allem  auch  die 
schichtweise  Anordnung  (oben  S.  247;  dazu  der  Sarkophag  von  Cagliari  S.  261). 
Die  Regale  selbst  haben  just  Augenhöhe;  so  lasen  sich  auf  den  Zetteln  die  Buch- 
titel am  bequemsten.  Das  Fach  rechts  scheint  aber  tiefer  als  das  linke  hinab- 
zureichen; oder  es  gab  hier  noch  ein  zweites  unteres  Fach.  Jedenfalls  sieht  man 
tief  unten,  hart  neben  dem  Manuale  links,  noch  den  Kopf  einer  isolierten  Rolle  zur 
Hälfte  gezeichnet.  Also  ist  es  möglich,  daß  wir  auch  unterhalb  des  linken  Fachs  noch 
ein  weiteres  tiefer  liegendes  vorauszusetzen  haben.  Dies  war  mit  Rollen  nicht  bis 
oben  hin  vollgepackt,  wie  es  ja  auch  die  oberen  Fächer  nicht  sind,  und  daher  sieht 
man  links  unten  keine  Rollen  mehr  angedeutet.  Solche  untersten  Regale  waren 
unbequem  zu  benutzen,  und  man  steckte  die  schlechten  Bücher  hinein,  die  man  nicht 
las  (S.  245;  dorthin  weggesteckt,  latitantes,  denkt  sich  vielleicht  auch  Ovid  seine 
Ars;  s.  trist.  I  1,  111).  Auch  der  Jüngling  des  Neumagener  Reliefs  macht  sich  mit 
den  oberen  Fächern  zu  tun.  -  Man  beachte  weiter  die  Endblätter  oder  Protokolle 
an  den  geschlossen  daliegenden  Rollen;  sie  sind  mit  peinlicher  Sorgfalt  überall 
stark  abgehoben  und  als  solche  deutlich  gemacht.  Dies  paßt  zum  Buch,  dessen 
Endblätter  verdickt  wurden  (s.  S.  235  f.),  also  etwas  steif  stehen  mußten,  vor- 
trefflich, nicht  dagegen  zum  Wollstoff,  der  sich  aufs  engste  anschmiegt.  Alle  Rollen 
sind  ferner  so  zusammengerollt,  daß  sie  für  einen  Leser  wirklich  benutzbar  waren. 
Denn  der  Sittybos  zeigt  an,  was  am  Buch  oben  ist.  Nahm  man  nun  solche  Rolle 
in  die  r.  Hand,  so  daß  der  Sittybos  nach  oben  kam,  so  öffnete  sich  das  Protokoll 
just  in  der  Art,  daß  die  1.  Hand  die  Innenseite  der  Rolle  für  den  Benutzer  richtig 

22* 


340 


Zusätze. 


freilegen  und  zu  sich  nach  links  ziehen  konnte.  Alle  Rollen  unsres  Bildes  sind  auf 
diese  Weise  gewickelt.  Läge  auch  nur  eins  von  den  Protokollen  in  der  Richtung 
nach  rechts  (für  den  Betrachter),  so  widerspräche  das  der  Natur  des  Rollenbuchs. 
Ist  diese  Anordnung  Zufall?  Auf  den  Bildern,  auf  denen  man  wirklich  Tuchrollen 
oder  Tuchballen  abgebildet  findet,  fehlen  endlich  die  Sittyboi  überall.  Dies  Fehlen 
aber  ist  nicht  zufällig;  sondern  auf  den  Abbildungen  2  u.  3  bei  Brinkmann  liegen 
die  Tuchballen  so  angeordnet,  daß  man  deutlich  sieht:  eine  Auszeichnung  des 
Einzelstücks  durch  angehängte  Zettel  fand  da  überhaupt  nicht  statt.  Denn  der  Zettel 
würde  sich  am  Kopf  der  Ballen  befinden,  und  die  Ballen  müßten  dementsprechend 
im  Laden  sämtlich  mit  dem  Kopf  nach  vorne  liegen,  was  nicht  der  Fall  ist.  Beim 
Buch  dagegen,  das  in  Haufen  liegt,  war  der  Sittybus  ganz  unerläßlich.  Also  weisen 
auf  dem  Neumagener  Relief  auch  die  an  den  Rollen  vorhandenen  Zettel  auf  eine 
Bibliothek.  Ihre  Form  ist  allerdings  nicht  die  gewohnte;  doch  besitzen  wir  aus 
so  später  Zeit  keine  weiteren  Darstellungen  von  Sittyboi,  die  wir  vergleichen 
könnten. 

S.  264:  Justin  sagt  in  seiner  Praefatio  vom  Pompeius  Trogus:  historias  latino 
sermone  composuit  .  .  .  prorsus  rem  magni  et  animi  et  corporis  adgressus.  Hier 
beanstandete  RÜHL  sonderbarerweise  das  Wort  corporis;  es  ist  aber  das  corpus 
librorum,  die  Masse  der  44  Buchrollen,  zu  verstehen. 

S.  278:  Die  6  m  hohe  Basis  der  Nike  in  Olympia  hatte  allerdings  dreiseitige 
Form;  das  ist  die  Form  der  KÜpßeic  (S.  276).  Als  Träger  von  Inschriften  und  Denk- 
mälern werden  KÜpßetc  und  erfreu  von  Eusebius  hist.  eccl.  I  3  verbunden. 

S.  290:  Kondakoff,  in  dem  citierten  Werk,  hatte  vollkommen  recht,  das  zeit- 
lich Bedingte  und  eigentlich  Byzantinische  an  den  Miniaturen  des  Pariser  Psalter 
und  aller  verwandten  Werke  des  9.  bis  12.  Jahrh.  zu  betonen;  gleichwohl  steht, 
auch  nach  ihm,  in  vielen  Fällen  die  Benutzung  antiker  Vorlagen  fest  (s.  z.  B.  l'art 
byz.  II  S.  45;  46  f.;  64;  68;  74;  76;  87).  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  Künstler, 
die  für  ihre  Zeitgenossen  arbeiteten,  um  600  oder  800  Jahre  ältere  Vorlagen 
meistens  nicht  einfach  getreu  kopiert  haben,  sondern  nach  Belieben  und  Behagen 
aus  der  eignen  Anschauungswelt  Züge  hineintrugen,  sowie  sie  meistens  auch  die 
Farben,  die  sie  auflegten,  und  den  Goldgrund  nach  eignem  Geschmack  wählten. 
Dazu  boten  im  Pariser  Psalter  die  Bilder  1-5  weniger  Gelegenheit,  wohl  aber  Bild 
6-8,  während  Bild  9  den  antiken  Charakter  wieder  mehr  durchzuführen  scheint. 
Uns  aber  gehen  hier  nur  die  antiken  Vorlagen  an,  und  die  Aufgabe  ist  eben, 
so  weit  es  möglich,  die  ursprüngliche  Anordnung  der  Miniaturen  in  jenen  Vorlagen 
zu  erschließen.  Kondakoff  selbst  sagte  I  S.  28  mit  Recht,  man  müsse  die  Minia- 
turen nicht  nur  als  Illustrationen  zum  Text  würdigen;  il  faut  au  contraire  les  con- 
siderer  comme  une  branche  tres  importante  et  tout  a  fait  independante,  qui  n'a 
ete  associee  ä  la  litterature  que  parce  que  telles  etaient  les  convenances  de  l'epoque. 

S.  292  Anm.  2:  Vor  allem  hätte  ich  Beissel,  Vatic.  Miniaturen  Tfl.  7  (Evange- 
lienhs.  des  10.— 11.  Jahrh.)  zitieren  sollen.  Hier  ist  das  Kopieren  aus  der  Rolle  in 
den  Codex  so  evident,  wie  man  es  irgend  verlangen  kann;  in  der  Luft  über  dem 
sitzenden  Johannes  erscheint  auch  hier  der  Adler  mit  der  offnen  Buchrolle,  darauf 
der  Anfang  des  Evangeliums  in  prineipio  erat  verbum  .  .  .  factum  est  nichil  aus- 
geschrieben steht;  der  Apostel  selbst  aber  hält  den  offnen  Codex,  und  genau  die- 
selben Worte  sind  auf  den  Codexseiten  wiederholt.  Demgemäß  sind  also  alle  ver- 
wandten Bilder  dahin  auszulegen,  daß  die  Rolle,  die  das  symbolische  Tier  führt, 
die  himmlische  Textvorlage  bedeutet,  der  Codex  in  des  Evangelisten  Hand  die 
danach  angefertigte  irdische  Kopie.  Vgl.  auch  S.  328.  Freilich  kommt  auch  das 
Umgekehrte  vor,  daß  das  Symbol  einen  Codex  trägt  und  der  Evangelist  in  der 
Rolle  schreibt. 

S.  292  Anm.  3:  Die  Ambrosianische  Ilias  erklärt  U.  v.  Wilamowitz  in  der 
Deutschen  Literaturztg.  1906  Nr.  46  (17.  November),  anknüpfend  an  Ceriani's  neue 
Veröffentlichung,  für  das  älteste  Denkmal  antiker  Buchillustration.  Hierbei  scheinen 
die  oben  S.  286  und  284  erwähnten,  allerdings  geringfügigen  Papyrusminiaturen  nicht 
berücksichtigt.    Oder  sollen  wir  diese  sämtlich  für  später  halten?   Der  Verf.  läßt 


Zusätze. 


341 


die  Möglichkeit  offen,  daß  die  Iliasbilder  doch  erst  „unter  der  Constantinischen 
Dynastie"  hergestellt  sind.  Ich  würde  lieber  sagen,  daß  sie  frühestens  damals 
hergestellt  sind.  In  der  Erfindung  werden  von  W.  Bezüge  zu  den  tabulae  Iliacae, 
zur  Trajanssäule  und  Josuarolle  bemerkt,  zugleich  aber  hervorgehoben,  daß  die 
meisten  Bilder  dieser  Ilias  geschlossene  Kompositionen  sind.  Dies  haben  sie 
mit  den  Miniaturen  zu  Vergil,  zum  Psalter  u.  a.  gemein;  aber  das  hindert  die  Annahme 
nicht,  daß  solche  geschlossene  Kompositionen  ursprünglich  in  einem  Rollenbuch 
aufgereiht  beisammen  standen.  Ich  habe  dies  S.  288  Anm.  und  S.  293  nur  kurz 
angedeutet  und  möchte  hier  auf  diesen  Punkt  noch  einmal  zurückkommen.  So 
zusammenhangslos  die  Oden  in  einem  Gedichtbuch  des  Horaz  oder  die  Fabeln 
in  einem  Buch  des  Phaedrus  beisammenstehen,  ganz  ebenso  zusammenhangslos 
konnten  natürlich  auch  oft  die  Bilder  in  den  Bilderbüchern  sein.  Man  denke 
auch  wieder  an  die  „Gemälde"  des  Philostrat,  von  denen  etwa  dreißig  in  dieser 
Weise  ein  Buch  füllen.  Solche  Bilderrollen  befolgten  dann  eben  das  Prinzip 
des  erwähnten  pompejanischen  Theaterfrieses  (S.  294)  oder  bestenfalls  das  des 
Bilderfrieses  mit  den  Gerichtsszenen  im  Thermenmuseum  (S.  313).  Besonders 
instruktiv  ist  dafür  auch  der  Fries  mit  der  Darstellung  des  Tierkreises  an  der  kleinen 
Metropolis  in  Athen  (S.  314)  und  die  S.  305  erwähnte  Stickerei  von  Bayeux,  deren 
Tiergruppen  einfach  durch  Striche  oder  Bäume  abgetrennt  werden.  Das  lose  Neben- 
einander von  Einzelbildern,  das  in  diesen  Dekorationsstreifen  zugelassen  wurde,  war 
erst  recht  im  gerollten  Buche  möglich,  wo  Beischriften  den  Übergang  von  Bild  zu 
Bild  noch  mehr  erleichtern  konnten;  und  schon  die  altägyptische  Papyrusrolle  zeigt 
daher  dasselbe  Verfahren,  indem  sie  die  Bilder  einfach  durch  Striche  oder  Säulen- 
schäfte voneinander  abtrennt.  Ebenso  unvermittelt  standen  ohne  Frage  die  Porträt- 
gruppen in  Varro's  Imagines.  Vor  allem  scheint  mir  hier  noch  der  Mosaikfries  in 
S.  Maria  Maggiore  lehrreich;  ich  kann  leider  nur  die  Abbildungen  bei  GARRUCCl 
benutzen.  Hier  ist  aber  klar,  daß  im  Hauptschiff  Einzelbilder  abgetrennt  als  Fries 
nebeneinander  stehen  (GARRUCCl  Tfl.  215  ff.);  am  Triumphbogen  geht  diese  Bilder- 
erzählung dagegen  in  einen  Streifenfries  über,  der  das  Prinzip  der  Trajanssäule  und 
Josuarolle  inne  hält  (GARRUCCl  211).  Zwischen  beiden  Prinzipien  konnte  man  nach 
Bedürfnis  wechseln,  beide  aber  ließen  eine  Kontinuität  der  Erzählung  zu.  -  In  der 
Ambrosianischen  Ilias  waren  gewiß  die  Bilder  die  Hauptsache,  der  Text  war  nur 
Zugabe.  Diese  Bilder  haben  das  friesartig  gestreckte  Format,  von  dem  ich  S.  290 
u.  292  u.  313  Anm.  3  gesprochen,  und  auch  das  Blattformat  des  Codex  selbst  ist  nun 
mehr  breit  als  hoch.  Daß  somit  die  Bilder  etwa  für  diese  Handschrift  selbst  er- 
funden worden  sind,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Denn  dann  hätte  ihre  Form  sich  eher 
der  Handschrift  anbequemt,  während  augenscheinlich  das  Umgekehrte  der  Fall  ist: 
das  gestreckte  Format  der  Handschrift  ist  gewählt  um  der  Bilder  willen.  Also  er- 
klärte sich  das  Format  der  Bilder  selbst  aus  einem  andern  Zweck.  Also  existierten 
sie  schon  früher.  Wenn  sie  aber  schon  früher  existierten,  so  bleibt  ihr  ursprüng- 
licher Zusammenhang  mit  dem  homerischen  Buchtext  unerwiesen. 

S.  297:  Die  Bilderhebdomaden  Varro's  müssen  durch  die  alte  Vorstellung  von 
der  Siebenzahl  der  griechischen  Weisen  angeregt  worden  sein.  Daher  findet  man 
auch  auf  dem  Philosophenmosaik  (oben  Abb.  59)  just  die  Siebenzahl.  Die  zweimal 
sieben  Ärzte  im  Dioskurides,  die  jeder  ihren  Spruch  hersagen  zu  wollen  scheinen, 
erinnern  lebhaft  an  des  Ausonius  Ludus  Septem  sapientium.  Amelung  bringt  mir  in 
Erinnerung,  daß  HELB1G  (Führer2  II  S.  86)  vermutete,  auch  das  Arrangement  sei 
bei  Varro  ähnlich  dem  des  Philosophenmosaiks  gewesen.  Alsdann  würde  unser 
Respekt  vor  Varro's  Riesenwerk  in's  Große  wachsen.  Wie  waren  dann  aber  die 
Epigramme  oder  sonstigen  erklärenden  Beischriften  zu  den  Einzelfiguren  angebracht? 

S.  299:  Eine  gute  Vorstellung  von  einem  antiken  Aratbilderbuch  dürfte  Beda, 
De  signis  coeli  geben  (Maass,  Commentar.  in  Aratum  S.  582  f.):  42  Bilder  mit 
kurzen  Beischriften;  und  auf  dem  Pallium  Heinrich's  II  wird  dann  solches  Bilderbuch 
in  eine  Gewandstickerei  verwandelt  (ebenda  S.  602). 

S.  304:  Mit  den  „Gemälden"  der  Philostrate  standen  augenscheinlich  die 
Gkovec  des  Nikostratos  gleich,  die  Suidas  erwähnt. 


342 


Zusätze. 


S.  314:  Eine  gesonderte  Bilderreihe  der  Zeichen  des  Tierkreises,  einen  Streifen 
nach  Art  des  erwähnten  Frieses  an  der  kl.  Metropoliskirche  hat  auch  Manilius  vor 
sich  gehabt,  wenn  er  im  1.  Buch  den  Tierkreis  abgetrennt  von  den  übrigen  Stern- 
bildern beschreibt. 

S.  324:  Die  Tür  von  S.  Sabina  auch  bei  J.  Wiegand,  Hauptportal  an  der  Kirche 
der  h.  Sabina  (1900);  s.  Tfl.  XVIII  (BAUER). 

S.  326:  Es  wäre  denkbar,  daß  die  Codices  anfangs,  d.h.  im  3.-4.  Jahrh.  bisweilen 
nur  Kapseln  waren,  in  die  die  Pergamentblattlagen  ungeheftet  hineingelegt  wurden. 
Denn  Teüxoc  heißt  „Gefäß".  Über  das  Nähen  der  Membrane  s.  oben  S.  21  Anm. 
Einen  Beleg  in  verkleinertem  Maßstab  für  das,  was  ich  meine,  gibt  (falls  sie  echt) 
die  Bleikapsel  von  annähernd  quadratischer  Form,  die  die  Gestalt  eines  Codex 
nachahmt  und  ungefähr  der  genannten  Übergangszeit  angehört,  im  Mus.  Kircheriano, 
HELBIO,  Führer  Nr.  1451.  Sieben  Bleitafeln  mit  Schrift  sind  in  ihr  gefunden;  um 
diese  Tafeln  hinein-  und  herauszuschieben,  ist  die  eine  Schmalseite  der  Kapsel  zum 
Auf-  und  Zuklappen  eingerichtet.  In  demselben  Sinne  würde  sich  aber  auch  das 
auffällige  ev  reuxeci  bei  Eusebius  hist.  eccl.  4,  37  erklären:  ev  itoXut€\üjc  v)o<r|uevoic 
xeüxeci  Tpicca  Kai  xerpacca  öiaTremiJavTUJv  r)|uüjv.  Wollte  Euseb  sagen,  daß  er  Codices 
übersandte,  die  aus  gehefteten  Ternionen  und  Ouaternionen  bestanden,  warum 
machte  er  dann  nicht  reuxr)  zum  Objekt  (Teüxr)  ex  xpiccüüv  xai  TexpaccOuv  cuYxdueva 
bicerreuiijdvTUJv  r)Liuuv)? 


Inhaltsverzeichnisse. 


I.  Verzeichnis  der  besprochenen  Bildwerke  (in  Auswahl). 

A.  Ägyptisches:  Reliefs,  Statuen,  Mumiendeckel:  S.  9-20.    Einige  andere  Bild- 
werke: S.  109.  112.  158.  273.  305.  310.  334  f. 

B.  Etruskisches. 

Spiegel:  S.  237.  276.  Grabmalereien  von  Corneto:  310,  1.  Sarkophag  zu  Cor- 
neto:  156.  Sark.  in  Palermo:  81.  Sark.  in  Florenz,  arch.  Mus.,  Saal  von 
Clusium:  84  f.  Saal  von  Tarquinii:  150.   Bemalter  Sarkophag  aus  Tarquinii:  312,  2. 

C.  Griechisch-Römisches. 

a)  Kleine  Bronzen:  in  Athen:  S.  53.  in  Berlin:  53.  in  Florenz:  96.  in  Lyon  53  f. 
in  Marseille:  98.  in  Neapel:  53  ff.  86.  in  Paris  (Bibl.):  87.335.  in  Rom 
(Mus.  Kirch.):  52.  87,  1.  in  Regensburg:  336.  Bronzeaufsatz  in  Wien:  322. 
Silberne  Statuette  (Paris):  160. 

b)  Statuen  und  Reliefs. 

1.  Darstellung  von  Dichtern    und  Literaten  [hier  sind  auch  Minia- 
turen u.  a.  mit  eingeschaltet]: 

Aeschines:  251.  Aesop  sitzend:  188.  [Arat  auf  Mosaik:  134;  auf  Minia- 
tur: 91].  sog.  Aristoteles,  Pal.  Spada:  91,  1.  Anderer  Aristoteles:  100. 
[Augustinus  (?)  auf  Fresko:  91].  Demosthenes:  58.  91.  100.  251.  Hera- 
klit:  51.  sog.  Hesiod:  98.  260.  Homerstatuen:  52.  90.  159;  ders.  auf 
Reliefs:  82.  84.  87.  128.  149.  Korinna:  160  f.  163.  sog.  Lysias:  104.  121. 
Moschion:  87.  Orbilius:  252.  Pindar:  155.  158.  Plato:  196.  221.  Posi- 
dipp:  187.  [Pythagoras  (?),  Miniatur:  191].  [Rabanus  Maurus,  Miniatur;  85]. 
[Sappho  auf  Vasen:  90.  147].  Simonides  (?):  87  f.  Sophokles  (?):  87. 
336.  Stesichoros  51.  187  [auf  Vase:  143].  Telesilla:  222.  [Vergil,  Minia- 
tur u.  Mosaik:  104.  149.  177.  186]. 

2.  Andere  bekanntere  Monumente: 

Aphrodite  v.  Capua:  137.  Aphrodite  Kallipygos:  137.  Ära  Pacis:  72.  96. 
217.  314.  Basis  Casali:  303.  Bilderchroniken  (Tabulae  Iliacae):  149.  282. 
283.  292.  293.  303.  Bogenspannender  Eros:  137.  Constantinsbogen:  73 
(Abb.  42).  100.  153.  193.  207.  321.  Gigantenfries  von  Pergamum:  311. 
Marcussäule:  73.  104.  153.  269.  271.  272.  280.  306  f.  312.  Musenbasis 
von  Halicarnass:  84.  325.  Musenbasis  aus  Mantinea:  47.  148.  Musen- 
relief Chigi:  202.  Neptunbasilika  (Rom):  100.  Nereidenmonument:  312. 
Nike  in  Olympia:  340.  Tabula  Archelai  (Homerapotheose):  82.  87.  98. 
112.  119.222.  Telephosfries:  309.  Trajanssäule:  72.  104.  225.  269  ff.  275. 
279  f.  281.  306.  308.  312. 

3.  Weitere,  nach  dem  Standort  bezeichnete  Monumente: 
Anzio:  Frauenstatue:  126  f.  337. 


Inhaltsverzeichnisse. 


Athen:  Proskenion  des  Theaters:  125.  Relief  an  der  kl.  Metropolis:  314.  341. 

Grabstelen:  49.  Stele  Nr.  317:  249.  338.  Grabstein  Nr.  1233:  112.  Nr.  1465: 

257.    Sarkophag  Nr.  1497  u.  1498:  192.  227.  257. 
Berlin,  Mus.:  Julius  Caesar  57.    Grabrelief  Nr.  768:  255.    Nr.  771:  225. 

Nr.  804:  83.  111.    Sarkophag  Nr.  844.  65.  81.  111.  130.  174  f.  203.  259. 
Cagliari:  Sarkophag  107.  154.  177.  261.  339. 

Constantinopel:  Sarkophage:  194;  delphische  Schlangensäule:  272.  276. 
Cumae:  Grabrelief:  70.  150.  228. 
Dijon:  Säulenfragment:  281. 
Dresden:  Relief:  66. 

England:  Ince  Bl.  Hall  Nr.  298:  66.  101,  1. 
Genua:  Fassade  S.  Matteo:  105. 
Grottaferrata:  Grabstele:  156  f.  217.  249. 

Florenz;  Uff.:  M.  Aurel  56.    „Matidia"  108.    Phädrasarkophag  190.  Pal. 

Pitti:  Asklepios  61.  62. 
Mainz:  Juppitersäulen :  278. 
Metz:  Relief:  66. 

München:  „Zenon"  56.  256.    Sarkophag:  177. 

Neapel,  Mus.  naz.:  Homer:   256.    „Lucilla"  55.    „Britannicus"  56.  253. 

Trajan:  57.    Drusus:  57.    Sulla:  256.    „Sibilla"  58.    Muse  Nr.  6394:  221. 

Togastatuen:  58.  61  ff.  Relief  Nr.  6621:  253.  Relief  ohne  Nummer:  259. 
Neumagener  Relief:  177.  239.  247.  339. 

Paris,  Louvre:  Candelaber:  277,  4.    Grabstein  der  Cl.  Italia:  129.  Relief 

Nr.  1089:  73.    Sarkophag  Nr.  319:  172.    Sark.  Nr.  378:  84.  130. 
Piraeus,  Statue  eines  Knaben:  258  f. 
Pisa,  Sarkophag:  206. 
Portici:  Togastatuen  61  f. 
Puzzuoli,  Mavortiusstatue:  56.  256. 
St.  Remy  de  Provence,  Julierdenkmal:  150  f. 

Rom,  Vatican:  Klio  186.  Kalliope  201.  Belvedere,  Cortile,  Relief  Nr.  68: 
63.  189.  Mus.  Chiar.  Nr.  547a:  95.  Nr.  248:  105.  Nr.  121:  252.  Nr.  381: 
99.  112.  Nr.  350:  159.  Gal.  Antinoo  Nr.  55:  145.  Meleagerzimmer  Nr.  13: 
186.  Braccio  nuovo,  Karyatide:  126.  Sala  d.  er.  Greca,  Relief:  128. 
Giard.  gr.  Pigna  Nr.  166:  204.    Relief,  ebenda:  73. 

Rom,  Capitol.  Mus.  „Zenon":  55.  „Marcellus"  89.  Halle,  Nr.  11:  218 
u.  219.  Galerie,  Relief  über  Nr.  3:  192.  Galerie  Nr.  44:  88.  Nr.  56:  98. 
Nr.  58:  89. 

Rom,  Conservatoren  pal.  Silen:  126.  Kaiserrelief:  73.  Octogon  Nr.  6: 
189  f.  228. 

Rom,  Villa  Albani,  Spitzsäule:  224. 

Rom,  Lateran:  Drusus:  58.  Statue  Nr.  257:  146.  Nr.  804  u.  812:  253. 
Nr.  846:  256.  Schauspielerrelief :  177  f.  Haterierdenkmal:  192.  203.  Relief 
Nr.  16:  105.  153.  232.  260.    Sarkophag  Nr.  469:  97.  184. 

Rom,  Thermenmuseum:  Togastatue:  260.  Stuckplafond:  278,  2  u.  3. 
279. 

Rom,  Magaz.  arch.  auf  dem  Caelius:  221. 
Rom,  Mus.  Kirch.,  Marmorbüste:  99. 
Rom,  Pankraziergrab:  179.  185. 

Rom,  Matz-Duhn  Nr.  1263:  260.    Nr.  1318:  88.    Nr.  2556:  97.    Nr.  3117: 

65.  92.112.154.    Nr.  3121 :  204  f.    Nr.  3127a;  262.    Nr.  3809 :  219  f. 
Siena,  Statuetten:  88.  90. 
Smyrna,  Grabrelief:  49.  62. 

Trier  Mus.,  Relief:  140.    Grabrelief  im  Dom:  173. 
Turin:  Grabstein:  207. 
Verona,  griech.  Grabstein:  225. 
Wien,  Schauspielerreliefs:  63. 


I.  Verzeichnis  der  besprochenen  Bildwerke  (in  Auswahl).  345 


c)  Vasen:  Vase  des  Brygos:  46.  Vase  des  Duris:  138  f.  Vase  des  Euphronios: 
148.  237.  249.  Vasen  in  Athen,  Nr.  1241:  142.  Nr.  1260:  147.  Vase  aus 
Naukratis:  143.  Gerhard,  Auserles.  Vasenb.  IV  287,  1 :  45.  Gerhard,  Trink- 
schalen II  17  u.  18:  119.    Panofka,  Bilder  ant.  Lebens  4  Nr.  5:  144. 

d)  Terrakotten:  aus  Tanagra  (Winter  II  74,  4):  102.  cyprische  (in  London):  158. 
in  Berlin:  139.  in  Athen:  99,1.  172.  177.  in  Marseille:  201,  2.  252.  Collect, 
van  Branteghem:  139.    Terrak.  v.  Myrina  (Muse):  84.  III. 

e)  Münzen:  s.  S.  51  f.  90.  159.  187.  213. 

f)  Gemmen:  Euripidesgemme:  48.  Urania:  97.  La  liseuse:  134.  Weitere:  166  f. 
200.  206. 

g)  Lampen:  Athenische:  50  f.    in  Neapel:  161. 

h)  Wandgemälde: 

Heibig  Nr.  858:  115  ff.   Nr.  859:  188.  237.  251.  318.   Nr.  861:  116,  2.   Nr.  1099: 

145.    Nr.  1157  u.  1158:  131.    Nr.  1379:  224  f.    Nr.  1420:  115.    Nr.  1453:  114. 

Nr.  1454:   114.     Nr.   1462:    143.     Nr.  1463:    114.    117.      Nr.  1491:   270,  4. 

Nr.  1492:  139  f.    Nr.  1494:  206.     Nr.  1719  ff.:  226  f.  230  f.    Nr.  1725:  235. 

251.    Nr.  1726:  231.  235.    Nr.  1741:  225.    Nr.  1962:  118. 
Sogliano  Nr.  249:  177.    Nr.  402:  338.    Nr.  403:  166. 

Neapel,  mus.  naz.  Nr.  8838:  166.  Nr.  9058:  115.  118.  Nr.  9072:  166.  Nr.  9183: 
151.  Nr.  9641:  121.  ibid.,  Loc.  d.  Prom.,  verschiedene  Bilder:  s.  S.  115. 
121.  131.  166.  188.  238.  275.  325. 

Boscoreale:  127. 

Pompeji:  Vettierhaus:  104.  166.  224.  251.  263.  Casa  Lucr.  166.  Casa  Sirico: 
166.  Via  Scuole:  118.  Pero:  293.  Theaterfries:  294.  Landschaften  mit 
Säulen:  278.  279. 

Aschaffenburg,  Pompejanum:  114,  1. 

Rom,  Thermenmuseum:  s.  S.  119.  141.  288  Anm.  312.  313.  Conservatoren- 
palast:  313,  1.  Magaz.  archeol.:  166.  Columbar.  der  Villa  Pamfili:  140.  227. 
Odysseelandschaften  292.  309.  314. 

i)  Mosaiken:  Philosophenmosaik  in  Neapel:  102  f.  121.  243.  250.  341.  in  Villa 
Albani  104,  2.  Trierer  Mos.  des  Monnus:  134.  246,  3.  254.  297.  Vergilmosaik 
von  Sousse:  149.  186. 

k)  Diptycha:  319.  von  Monza:  88.  222.  des  Asturius  88.  des  Probianus:  120 f. 
208.  317. 

D.  Christliches: 

1.  Sarkophagreliefs:  des  Junius  Bassus:  78.  100.  190.  322.  Sarkophage  in  Kata- 
komben: 76  f.  106.  154.  194.  207.  232.  258.  327,1.  im  Mus.  Kirch.:  106.  im 
Lateran:  Nr.  40:  94.  Nr.  55:  96.  173.  Nr.  77:  254.  Nr.  116:  106.  Nr.  138:  240. 
Nr.  152:  112.  193.  Nr.  164:  83  f.  Nr.  172:  104.  154.  Nr.  173:  96.  Nr.  174:  185. 
279.  Nr.  177:  107.  Relief  unter  Nr.  170:  240.  Sark.  in  Ravenna:  106.  324. 
in  Ancona:  Gorgoniussarkophag  66.  208.  321.  in  Perugia:  195.  338  u.  a.  in 
Tarragona:  99.  in  Arles:  93.  113.  Sark.  bei  le  Blant:  Tfl.  4:  320.  Tfl.  10:  154. 
181.  Tfl.  22:  123.  Tfl.  34:  98.  253.  Tfl.  49:  240.  bei  demselben,  Et.  sur  les 
sarc.  ant.  d' Arles:  Tfl.  3:  174. 

2.  Graffito:  im  Lateran:  153. 

3.  Grabrelief:  Neapel  mus.  naz.:  326. 

4.  Goldgläser:  s.  S.  76.  95.  107.  174.  180.  222.  263.  323.  338  (bis). 

5.  Katakombenfresken:  s.  S.  77.  91.  98.  181.  184.  207  f.  240.  241.  326.  337.  338. 
Domitilla:  88.  106.  254.    Callist:  169  f.  254.    Priscilla:  152.  320. 

6.  Mosaiken:  Sophienkirche  120.  in  Daphni  327.  Rom:  S.  Costanza:  120.  323. 
S.  Cosma  e  Damiano:  230.  241.  243.  S.  Maria  Maggiore:  184.  288  Anm.  312. 
319  f.  324.  341.  S.  Agnese:  241.  S.  Prassede  319,  5.  S.  Paolo  f.  1.  m.  324. 
S.  Lorenzo  f.  1.  m.  326.  S.  Clemente  329.  Ravenna:  S.  Vitale:  83.  120.  241. 
254.  320.  Baptist,  orthod.  241.  321.  Baptist.  Arriano:  326.  Galla  Placidia: 
261  f.    S.  Apollinare  nuovo:  319.  320.  326. 


346 


Inhaltsverzeichnisse. 


7.  Fresken:  in  S.  Maria  Antiqua:  319.  la  casa  Celimontana:  324.  Avignon, 
päpstlicher  Palast:  325.    Simeonkloster  in  Oberägypten:  241. 

8.  Sonstiges:  Lipsanothek  in  Brescia:  169.  Berliner  Elfenbeinbecher:  77.  129. 
193.  Tür  des  hl.  Ambrosius  in  Mailand  73.  290.  Tür  von  S.  Sabina  in  Rom: 
324.  342.  Bernwardsäule  in  Hildesheim:  272,  1.  291.  Kathedrale  in  Nimes  289  f. 
Florenz:  Baptisterium  und  Bigallo:  94.  Mosesbrunnen  des  Claus  Sluter,  bei 
Dijon:  325. 

E.  Miniaturen: 

Aesop:  288  Anm.  313  f.  Arat  in  Madrid:  240.  Arat,  Himmelssphäre:  299. 
Gromatici:  191  (bis).  Ambrosianische  Ilias:  292,3.  340  f.  Terenz:  41,2.  52,  1.  109. 
208.  264.  288  Anm.  293  ff.  328.  Wiener  Dioskurides:  95.  121  f.  175.  297.  300  f. 
341.  Neapler  Dioskurides  (in  Wien):  300.  Germanicus  299.  Nikander:  284, 4. 
Philocalus:  286.  Physiologus:  279  u.  279,  3.  288  Anm.  292,  3.  321.  Vergil,  cod. 
Rom.:  104.  177.  292,  3.  Vergil,  cod.  F:  287.  292.  295  f.  Christliche  Weltchronik: 
284.  286.  Wiener  Genesis:  225,1.  278,4.  287.  289.  308.  Cod.  Rossanensis: 
79.  90.  201,  2.  208.  222.  290.  308.  Rabulahandschrift:  321.  322.  327.  Josuarolle: 
287,  1.  288.  291  f.  308.  Alcuinbibel  in  Bamberg:  289.  Octateuch  von  Watopädi: 
291  f.  Octateuche  des  Vatican  292.  Pariser  Psalter:  287.  290.  340.  Andere 
Psalterillustrationen:  278,4.  279.  308.  321.  324.  Evangeliar  in  Aachen  328. 
Adahandschrift:  328.  Bernwardbibel:  328.  Menelogion  zu  Esphigmenu:  279. 
Prudentius  286,  1.  288  Anm.  293,  3.  296.  313.  328.  329,  1. 

F.  Bilder  auf  Teppichen,  Gewändern  u.  ä.: 

S.  40.  109.  305.  308,  3.  341. 

G.  Einige  Künstlernamen: 

Alma  Tadema:  169.  Apollodoros  von  Damaskus:  272.  Archelaos:  S.  216 
(s.  übrigens  Tabula  Archelai).  Böcklin:  41,  1.  Epler:  41,  1.  Kalates:  294. 
Michel  Angelo  41.  331  f.  Nicola  Pisano:  330.  Parrhasios:  219.  301.  Perugino: 
94.  Polyeuktos:  100.  Praxiteles:  47.  Rafael:  333.  Silanion:  160,  3.  Sluter: 
325.    Steinle:  333,2.    Utamaro:  199. 


II.  Zu  Schriftstellern  und  Schriftwerken. 


Aeneas  Tacticus:  275,  1. 
Aeschines  (epist.  4):  158. 
Aeschylus  (Hiket.):  111.  210.  243. 
Aesop:  304  f.  313  f.  337. 
Alexis  bei  Ath.  p.  184:  237. 
Alkman:  212.  240. 
Ammianus  Marcell.:  338. 
Anakreon:  22  Anm. 
Anaxagoras:  29. 
Anthol.  Pal.  (4,  88):  23,  4. 


Aristarch:  31.  216. 
Aristeasbrief :  22  Anm. 
Aristides:  20,  3. 

Aristophanes  (Frösche  943):  214. 
Artemidoros:  267. 
Ausonius  Septem  sap. :  341. 


Babrios:  337. 

Beda  de  signis  coeli:  341. 
Bucolische  Dichter:  267  f. 


Antisthenes:  19.  215.  216.  265,  1. 
Apollinaris  Sidon.  246,  6.  338. 
Apolloniusroman.:  222,  3.  248. 
Apollonius  Citiensis:  284. 
Apuleius  (Flor.):  117,  1. 


(9,  239):  22  Anm. 
(12,  50):  116  f. 


Caninius:  270. 

G.  Cassius,  Jurist:  20,  3. 

Catull:  32.  233.  242,  4. 

Censorinus  (De  die  nat):  218,  1. 

Charisius:  23,  4. 

Chironis  praecepta:  148.  237. 

Cicero:  32.  52.  238.  299. 

Ciris:  337. 


(Met.):  146. 
Arat:  299. 


II.  Zu  Schriftstellern  und  Schriftwerken. 


347 


Codex  Gregorianus  etc.:  26. 
Copa:  242. 

Cornificius  ad  Herennium  265,  5. 
Curtius  Rufus:  266. 

Dictys:  83. 

Dio  Cassius:  267. 

Dio  Chrysost.:  9,  4. 

Diodor:  266. 

Diogenes  Laertius:  234. 

Dioskurides:  300. 

Elephantis:  285. 
Eudoxospapyrus:  284.  286. 
Eusebius :  285. 

(hist.  eccl.  4,  37):  342. 
Evangelien:  265.  267. 

Florus:  308. 

Galen:  21,  1.  197,  3.  198,  1.  215.  302,  1. 
Gellius:  23,  4. 

Glossare:  Corp.  gl.  lat. :  21,  2.  176.  256. 
303.  304. 

Henoch:  71.  175. 

Herodot:  215. 

Heron:  228.  284. 

Hesiod  auf  Blei:  211. 

St.  Hieronymus  et  Moyses  de  Graecia: 

22  Anm.  307. 
Homer:  211.  216.  338. 

„       Batrachomyomachie:  32  f.  222. 
Homerpapyri:  30.  31.  32.  216,  5. 
Horaz  (Od.  I  7,  7):  236,  3. 

„     (Od.  IV  13,  15):  337. 

„     (carm.  saec.  25):  337. 

„  (Sat.  1,  4,  21):  297. 
(epist.  I  13,  13):  12. 
(epist.  I  13,  2):  243.  258. 

„     (epist.  I  20,  13):  255. 

Isyllos:  212. 

Jeremias:  (36,  23):  182. 

Johannesapokalypse:  69.  71.  85  f.  90.  111. 

175.  213,  2.  243. 
Josephus:  246,  5.  266. 

„        (contra  Ap.  I  73):  210,  1. 
Justinus  praef.:  339. 
Juvenal  (9,  145):  308. 

Kallimachos:  218.  270. 
Koptischer  Papyrus:  277. 
Krateuas,  Pflanzenbücher:  299  f. 

Laevius:  286. 

Livius:  266  f.    Liviusexzerpte:  31  f. 


Lucan:  32. 

Lucanus  =  Lucas:  320. 
Lucian:  98.  233. 
Lygdamus:  236.  242. 
Lykurg,  Redner:  276,  3. 

Manilius:  342. 
Marcellus  empiricus:  35. 
Marinos:  288,  2. 

Martial:  7,  1.  21.  23.  26.  29  f.  31  ff.  69. 

116  f.  127.  176.  234.  287,  1. 
Martianus  Capella:  234  f.  298. 
Memnon:  267. 
Menander:  32. 

Mimus:  52.    „Hypothesis"  51. 
j  Mithrasliturgie  146. 

j  Monumentum  Ancyranum :  270.  276,  3.  306. 

Neratius  membranae:  21  Anm. 
'  Nikander:  284.  285. 
i  Nikostratos:  341. 

Nonius:  42,  1. 

Notitia  dignitatum:  130.  258.  258,3.  317. 

Orphische  Bücher:  146. 
Ovid  (Metam.):  31.  32. 

„    (trist.  1,  1,  8):  236. 

„    (trist.  1,  7,  33):  23,  4.  236. 

Pamphilos  -irepi  ßoxavwv:  285. 
Pastor  Hermae  71.  197,  3. 
Patrikios:  335. 
Patrokles  Thurius:  22  Anm. 
Paulus  ad  Timoth.:  21  Anm. 
Paulusapokalypse:  255,  1. 
Paulus  Silent.,  descr.  S.  Sophiae:  40. 
323,  3. 

Philostrat's  Gemälde:  304.  341. 

Phokylides:  212. 

Pigres:  155. 

Pindar:  212. 

Plato,  Doppeltitel:  238. 

(Apol.  p.  26):  29. 
Plautus  (Cas.  11):  305,  1. 
Plinius  der  ältere:  91.  171. 

„      (nat.  hist.  13,  74):  6,  4  u.  6,  5. 
Plinius  der  jüngere:    171.   182.    198,  3. 

218,2. 

Plutarch  274  f.  (Lyander  26):  211,3. 
Properz  32.  83.  242.  248,  4. 
Prudentius:  285.  313. 

Ravennatische  Papyri:  317,  2. 
Revenue  laws  of  Ptolem.  II:  216. 
Romanpapyrus  in  Paris:  286. 


348 


Inhaltsverzeichnisse. 


Saevius  Nicanor:  265,  5. 
Sallust:  31. 

Salomo's  Parabeln:  285. 

Satyrspiel:  46;  vgl.  276.  335. 

Script,  hist.  Augustae  (XXX  tyr.  4):  236,3. 

(Tacitus  10):  24  Anm. 
Seneca  (epist.  108):  23,  4.    de  tranqu. 

an.  9):  284. 
Sibyllinen:  225.  248,  5. 
Simias:  286. 
Sophron:  238,  5. 

Statius:  22,  1.  29,  5.  160,  2.  269.  315. 
Stesichoros:  212. 
Sueton  (p.  47  ed.  Reiff.):  39. 
Sulpicius  Severus:  337. 
Symmachus,  Bibeltext:  21  Anm. 

Terentius  Scaurus:  218,  1. 
Terenz:  295. 


Themistius:  307. 

Theognis:  237  f. 

Theokrit:  267.  286. 

6ecuo(  der  Demeter:  146. 

Thukydides:  215. 

Tibull:  32  (s.  auch  Lygdamus). 

Trajan's  Dacica:  270. 

Ulpian:  21  Anm. 

Varro:  266.     Imagines:  122.  296  f.  341. 

Satiren:  128. 
Velleius:  34. 

Vergil  Culex  u.  Aeneis:  32  f.  Georgica: 

296,  2.    (Aen.  I  22):  337. 
Vitruv  (IV  1):  267  f. 

Zenobios:  23,  4. 


III.  Sachregister. 


Accentschreibung:  298. 

Ägypten:  Schriftwesen:  4  ff.  28.  111.  112. 

157  f.   199.  210.  214.  215.  217.  239  f. 

241.  273.    Bilderrollen:  283.  305.  310. 

334  f.  Wandschmuck:  273.  Obelisken: 

273.     Märchen:  211,  3.     Kupfer-  und 

Silberdrachme:  28,  1. 
Ärzte:  83.  167.  262. 
album:  270,  4. 

Alexandria  und  alexandrinisches  Buch- 
wesen: 214.  238.  250.  307  f.  335.  338. 
Alphabet  als  Text:  39.  161;  vgl.  146. 
dvayiTvuüCKeiv  -rrpöc  kavröv:  156. 
dvaYvaicTripiov:  176. 
anagnostes:  125.  171. 
ävaXoYetov:  176. 
dva-rrXoüv:  135,  2. 
dvoiyeiv  tö  ßiß\. :  86,  2. 
äTTo9f|Kai  (ßißX(uuv):  244. 
Archiv:  243,  1.  245.  339. 
armarium:  266;  s.  Bücherschrank. 
a  studüs:  171. 

Athen:  212.  214.  Hadriansbibliothek:  245. 
Atticus  (Pomponius):  197.  214.  296  f. 

äEovec:  275  f. 

Band:  s.  Riemen. 

Bänder,  flatternd,  auf  Reliefs:  183. 

Bemalung:  79.  240. 


biblos,  biblion:  19  f.  21.  86,  2.  als  Geld- 
beutel: 127.  336.  ß(ß\oc  £ujvtwv  und 
Zuufjc:  71.  ßißAoc  cumuiYnc:  19.  215. 
216.  312.  öXov  ßißA.:  218.  golden  oder 
vergoldet:  202  u.  222. 

ßißAiocpuXc/Kec :  245. 

Bibliotheken:  36.  244  ff.  335.  339. 

Bilderbuch:  229.  270  ff.  282  ff.  340.  341. 

Bilderchroniken:  307. 

Bildercyklen  mit  Textanmerkungen:  293. 
296  f.  313. 

Blätter,  Einzelblätter:  6.  220  f. ;  vgl.  152  f. 
164. 

Bleitafeln  in  Kapsel:  342. 

Briefe:  197.  198.  nie  auf  Membrane: 
34,  3.  Verschluß  des  Briefs:  242,  2.  243. 

Buch:  Attribut  des  Monarchen:  68  f.  72  ff. 
77.  79.  108.  335.  337.  Attribut  des 
Richters:  121.  191;  oder  sonstiger  Be- 
amter: 318.  im  Dienst  des  Händlers 
u.  Kaufmanns:  66.  111.  167.  192;  des 
Schiffsbaumeisters:  76;  des  Architekten: 
218  f.  beim  Gottesdienst:  144  ff.  (158?) 
(vgl.  Isispriester),  bei  der  Opferhand- 
lung: 67  f.  146.  im  Hochzeitsritus:  67. 
Buch  des  Lebens:  71.  in  der  Hand 
des  Verstorbenen:  74  ff.  77.  108  f.  der 
Tote  kümmert  sich  um  seine  Verherr- 
lichung durch  Bücher:  83.    Buch,  um 


III.  Sachregister. 


349 


Hörner  gewickelt:  273.  um  einen 
Stock:  275.  bei  Kriegslisten  verwen- 
det: 273,  2.  275,  1.  auf  dem  Tuch  oder 
Gewand  getragen:  322.  326. 

Buchhandel:  8.  26.  212.  302. 

Buchläden:  246,  6.  248. 

Buchwesen,  Anfänge  desselben:  210  f. 

Bücherbeutel:  15;  vgl.  Abb.  16. 

Bücherbord:  179.  255. 

Bücherschrank  (armarium):  245.  246. 
261  ff.  266.  294. 

Büstenbilder,  gemalt:  287,  1. 

calamus:  5.  14.  20.  198.  205.  206  f.  219  f. 
338. 

Candelaber:  277.  278. 

capsa  (scrinium):  eckig:  14  f.  49  Abb.  29. 
238.  249  f.  263.  Entwicklung  des  Ge- 
brauchs: 248  ff.  264.  265.  runde  Form: 
250  ff.  Höhe:  251.  252.  253.  drei- 
eckig: 253.  260.  mit  Füßen:  250.  253  f. 
dazu  S.  123.  205,  2.  Verschiedene 
Zwecke  des  Kastens:  38.  248,  4.  Capsa 
mit  Büchern  geweiht:  225.  dargestellt 
an  Statuen:  56.  60  f.  195.  251  ff.  u.  sonst, 
auf  Reliefs:  67.  75.  77.  123.  205.  218. 
225.  326.  auf  Wandgemälden:  88.  104. 
162  (Fig.  95).  225.  251.  auf  Miniatur: 
328.  178  Fig.  112;  s.  übrigens  „Rollen- 
bündel". 

capsarius:  253. 

carmina  figurata:  286. 

Charta:  21.  25.  kostbar:  7  f.  26  f.  30.  33. 
335.  Ältere  Bücher  haben  bessere 
Charta:  31,  1.  Mangel  an  Charta:  33  ff. 
cartadecades  266.  chartae  ecclesiasti- 
cae:  316,  1.   Vgl.  Papyrusrolle. 

xap-riov  21,  1.  27. 

Christus  mit  Rolle:  69.  77.  78  f.  108.  120  f. 

167.  170.  184  f.  190.  319.  337. 
cista,  kictii:  248.  249. 
Codex:  20.  21.  36.  37.  109,  3.  262.  263. 

266,  3.    292.   301.  326.  328.  342.  in 

der   christl.   Literatur:   26.  35.  cod. 

chartacei  36;  cod.  corticei  23,  1. 
compaginare:  6.  338. 
cornua:  235  f.;  vgl.  Endblätter  339. 
corpus:  264.  267.  268.  340. 

diazoma:  311. 

de,  Präpos.,  statt  des  Genitivs,  bei  Uber: 
297,  1. 

Dekaden,  Pentaden  von  Büchern:  266  f. 
U\t  i  auf  Charta:  155.  210. 
Denar:  30;  arabischer:  28. 


describere,  discribere:  285. 
dextera:  82. 

dimidium  librum  legi:  136. 

Diplome  als  Rolle:  67  f.   184.  208.  316. 

318.  323;  s.  Ravennatische  Pap. 
Doppelrollen:  326  f. 

Doppelte  Ausfertigung  auf  zwei  Beschreib- 
stoffen: 110  f. 

e'Kbocic:  213.  288,  2. 
Elias  Himmelfahrt:  82. 
€v€<Xi-|f.ia:  22  Anm. 
ivicuoc:  335. 

Enkomia,  beim  Totenmahl:  146. 
Ephesus,  Bibliothek:  244. 
eiriYpauua  „Buchtitel":  237. 
Erde,  zylinderförmig:  213,  3. 
Eschatokoll:  128-134;  vgl.  cornua. 
Etruskisches  Schrift-  u.  Buchwesen:  80  f. 

92.  110.  150.  156. 
evolvere:  135. 

explicare  aciem  u.  librum:  235. 

Fannius,  Charta  Fanniana:  297,  3. 

Farben  zum  Schreiben:  5.  20. 

fasces,  fasciculi:  255  f.  258. 

Fell:  Preisangabe:  28.  Gazellenfell:  29, 1. 

Fledermausflügel  als  Beschreibstoff :  286, 5. 

foruli:  245,  12. 

frons  libri:  236.  238  f. 

Futteral  mit  Griff,  f.  Buchrolle:  46.  241. 

Gallische  Amazonen:  151,  4. 
Gewicht,  als  Büste:  108. 
Globus  beim  Unterricht:  299. 
glutinator,    KoAXnxfic:   6.     Kleben  des 

Buchs:  218,  1.  221,  1.  233.  334. 
Goldschrift  u.  Goldmalerei  (xpucoYpaqnct) : 

22  Anm.  302. 
Gottes  Hand:  83. 

Götter  mit  Büchern:  ägyptisch:  8  f.  nicht 
griechisch:  69  f.  Asklepios:  61.  69. 
260.  335.  Chronos:  82.  Pluto:  336. 
Eros  (?)  167,  1.  Pothos:  175.  Hermes- 
Thot:  69.  336.  Hermes:  337.  Iris:  46. 
70.  Musen:  46  ff.  84  f.  88.  91.  95.  97. 
105.  112.  119.  129.  130.  142.  143.  148  f. 
175.  202.  206.  209,  1.  252.  338.  Namen 
der  Musen:  48,  1.  Kalliope:  116.  Klio 
u.  Melpomene:  149.  Klio:  188.  Par- 
zen: 69  ff.  84  f.  150  f.  192.  202.  203.  337. 
Furien:  80.  Nike  schreibend:  151,  4. 
200.  312  (mit  Buch?  53,  2). 

Hahn,  Attribut  des  Mercur  u.  des  Petrus: 
279. 


350 


Inhaltsverzeichnisse. 


Herculanensische  Rollen:  229.  233.  246. 

247.  256.  259.  339. 
Holztafeln:  5;  s.  \euKU)ua. 

implere  volumen:  199,  1. 

Inschriften:  der  Inhalt  von  Büchern  als 
Inschrift:  270.  das  Gravieren  von  In- 
schriften dargestellt:  199  f. 

intercidere  librum:  7,  1. 

inter  manus  habere  librum  (=  lesen):  135. 
338. 

Isispriester:  127.  144  ff. 

icTopia,  icTope'iv:  307. 

Japanisches  Buch:  199. 

Jonischer  Fries  (Zophoros):  309.  310  f. 

Jonisches  Kapitell:  135.  213.  310.  338. 

Jüdisches  Buchwesen:  21  Anm.  29.  71. 
210,  1.  228,  2.  239.  263.  265,  1.  Ein- 
fluß desselben  auf  das  der  christlichen 
Kirche:  102.  228.  234.  241  f.  263.  322- 
322,  3.  326,  1. 

Karyatiden:  96.  126. 

Kißwxöc,  Kißujnov:  247.  248.  337. 

Kinn:    das   Buch  am   Kinn:    104.  114  f. 

116  f.  118.  122,  3.  (das  Buch  am  Mund: 

117). 

Kleben  der  Charta  (glutinum):  6,  5;  s.  glu- 
tinator. 

Kopierbücher  der  Maler:  302  f. 
Kupßeic:  276.  340. 

Landkarten:  219.  288,  2.  308. 
lector:  171. 

Lederrollen:  5.  20.  24.    genäht:  21  Anm. 

28  (vgl.  Pergamentrollen). 
Lesediener:  144  (?).  171  ff. 
Lesen:  42.   138.  169.  170.    beim  Lesen 

darf  das  Kleid  nicht  berührt  werden: 

165-167. 

Lesende:  anfangs  selten,  in  späterer  Zeit 
immer  häufiger:  50.  62  f.  74. 

XeuKuuua:  5.  211.  s.  album. 

Uber,  libellus  (s.  Papyrusrolle):  22.  23. 
Uber  principis:  68. 

librarius:  198. 

Literarische   Unterhaltungen:   63  f.   92  f. 

105.  128.  147  ff. 
loculamenta,  loculi:  245,  9. 
logos  „Buch":  43.  69.  215. 
lorum  (lüde)  als  Beschreibstoff:  274. 
Aüav  To  ßißXtot:  86,  2. 

Malen  auf  Pergament:  302. 
Malerin:  199. 

malleati  (libri):  s.  Papyrusrolle.  . 


mamillare:  161. 

manuale  lectorium:  175  ff. ;  vgl.  Pult. 
Maria  ohne  Buch:  79.  106.  120.  337. 
Masken:  257  f.     Maskenschränke:  264. 
294. 

Medaillonporträts:  65.  90.  105  ff.  108.  115. 

165.  168. 
Meilensteine:  277. 

Melische  Poesie:   211  f.;    mel.  Dichter: 
205. 

membranae:  20.  21  Anm.  25.  219.  287,  1. 

301  f.  btcpOepa:  212,  2;  vgl.  Pergament. 
Meta:  224. 

Metopen:  309;  vgl.  311. 
monobiblos:  32,  2.  217. 
Moses  mit  Buch:  77  f.  328. 
Musa  als  Buchbezeichnung:  267. 
Musiknoten  in  Büchern:  285,  2.  298. 

Nabu,  Schreiberengel:  71. 
vapOrjE:  248.  338. 
nidus:  245. 

Nuß:  Homer  in  der  Nuß:  248,  5. 

Opisthograph  (ömceev):  86.  338. 
Orakel,  schriftlich:  221,  1.  337. 
Ostraka:  5.  32.  335.  337. 
öeöviov:  127.  308,  3. 

Paenula,  Buchhülle:  19.  239  f.  242.  258. 

334  f. 
Pantomimen:  303. 

Papyrusrolle:  4.  17.  24.45.  102.  110.  117. 
124.  128.  135.  183  f.  189.214.  281.  335. 
das  Schilf:  5.  Fabrikation:  6.  27.  227. 
334.  textura:  307.  Kcn-epyov  xhptüjv: 
28,  1.  Papyrusausfuhr:  36.  libri  mal- 
leati u.  conglutinati:  7,  1.  die  Rolle 
als  Hieroglyphe:  9.  die  Rolle  unbe- 
schrieben: 6.  28.  205.  Länge  der  Rol- 
len: 19.  Umfänge:  215  f.  295.  317,2. 
„Großes  Buch":  19.  Kleinstes  Format: 
131.  217.  Großrollensystem:  157.  159. 
215  f.  271.  295.  Älteste  Belege  für  die 
Papyrusrolle:  159.  210  f.  (s.  auchSappho 
u.  Stesichoros).  Rolle  mit  dem  Himmel 
verglichen  etc.:  23.  213.  Zugespitzt: 
220.  Gespalten:  227.  338.  Kunst  des 
Abrollens:  140.  153.  156.  Rollen  in 
S-Form:  226.  333,  1.  Eingehen  des 
Gebrauchs  der  Papyrusrolle:  33  ff.  317. 
s.  übrigens  „Buch";  Charta;  ßtßXiov; 
Uber  u.  „Lesen". 

TrnjfAUTO :  245,  9. 

Pentateuchos:  22  Anm.  267. 

Penthesilea:  151,  4. 


III.  Sachregister. 


351 


Pergamentrollen  des  MA.:  228.  234.  318. 

Peutingersche  Tafel  u.  Josuarolle:  288. 

Exsultetrolle:  21  Anm.   Rollen  mit  dem 

Stammbaum  Christi:  288.;  vgl.  jüdisches 

Buchwesen. 
Pergamum:  244. 
Tr£piKOTTT6iv :  7,  1. 
Persische  Kanzleien:  243,  1. 
Personenverzeichnis  im  Drama:  294,  1. 
ireTCtXa:  286,  5. 

Petrus:  76.  78.  95.  106.  254.    das  Buch- 
ende auffangend:  185  f.  322  f. 
philyra:  21,  1.  335. 
Phönix:  279.  286,  5. 
pinax:  28.  288,  2. 
plictus:  182,  1. 
pluteus:  246,  6.  255. 
Porträts:  298.  302  f. 
irpayiaaTeia :  265. 
Privatabschrift:  26.  198. 
Prophetenspiel:  325.  331,  1. 
Prosaliteratur;  ihre  Anfänge:  211. 
TtpöcuJTra:  294,  1. 
Prospektmalerei:  314. 
Protokoll:  130.  134. 
TTT6puY£c  u.  TTTepuTtünara:  286,  5. 
pugillares:  21. 
Pult:  172.  177  ff.  208. 

Ranzen:  248. 
Ratte:  305.  336. 
Reinschrift  197  f. 

Reisen;  Lesen  auf  der  Reise:  32.  33.  104. 
132. 

revolvere:  135.  233. 

Riemen  oder  Bänder,  als  Rollenverschluß: 
9.  11  (Nr.  14).  102.  122.  241  ff.  ein- 
faches Band  (Ring):  Abb.  9;  S.  12.  102. 
106. 

Rollenbündel:  255  ff.;    außerdem   S.  15. 

75.  76.  77.  105.  113.  154.  219.  264.  266. 

hängend:  204.  auf  Capsa:  259  ff.;  dazu 

S.  49,  2.  57.  167. 
Rollenstab  s.  umbüicus. 
Rom:  Augustusbibliothek:  244.  Trajans- 

bibliothek:  246.  270.     Cäsarsäule  auf 

dem  Forum:  280. 
Roman  in  Bildern:  313. 
rotuli  s.  Pergamentrollen. 
Rundbarett  (jüdisch?):  173,  2. 

Sänger  mit  Buch:  119  (?).  141  ff.  159. 
Säule,  Spitzsäule:  224.    Säulen  des  Atlas 

u.  Herakles:  275.    Votivsäulen:  277  ff. 

umwickelte  Säulen:  280  f. 
Salzsäule  u.  Wolkensäule:  278,  4. 


scapus:  164.  199.  316,  1. 

Schauspieler:  63.  91.  199.  225. 

Schlachtenbilder  des  Maximin:  306. 

Schlangendarstellungen:  274.  276. 

Schreiben:  197  ff.  328.  338.  nach  Buch- 
staben, nicht  nach  Silben:  197,  3.  nach 
Diktat:  14.  197.  auf  der  geschlossenen 
Rolle:  12 f.  202.  Anordnung  der  Schrit: 
227  f.  316,  1.  318. 

Schreiber,  Oberschreiber:  8  f.  17  f. 

Schreibtafel:  9.  219.  mit  Henkel:  45. 
140.  225  s.  Wachstafel. 

Schriftehe  (ydiuoc  eVfpaqpoc):  68. 

Schulbücher,  Schulwesen:  25.  31  ff.  37. 
63.  246,  6. 

scrinium  s.  capsa. 

Seestück,  Gemälde  auf  Papyrus:  301. 
Seitenzählung:  295,  2. 
selides:  21,  2.  202.  214. 
Siegeln:  9.  16,  1.  86,2.  238.  241.  243  f. 
258.  325. 

sinistra,  zu  sinus:  41.  43.  119.  335. 
Sirenen:  279. 

Sittybos:  17.  107.  119.  164.  188f.  237 ff. 

340. 
CKeuoc:  265. 

Skytale:  273  ff.  276.  280. 
Sonnenuhren:  277. 
Souffleur:  131.  140.  141. 
Spiegel:  221. 
Stab,  abgekürzter:  336. 
Stele:  276,  3. 

stilus:  20.  115.  198.  205.  219  f. 
Styliten:  279. 

sub  ala  tragen:  12.  16.  258. 
Symmetrie  beeinflußt  die  Anordnung:  80. 
93  ff.  107. 

cüv&ecuoc  =  fasciculus:  258,  3. 
cüvt(x£ic  (cuvxccYfia) :  22  Anm.  264  f. 

Teppichmalerei:  308,  3. 
Testament:  243. 

xeüxoc  „Rolle"  oder  „Kasten":  21.  266. 

335.  342. 
Theaterbilder:  294. 
e^KY]:  265.    Onidov:  249. 
Tholos  von  Epidauros:  213.  310. 
Tiersymbole  der  Evangelisten:  292,2.  327 f. 

340. 
Tinte:  28. 

Tintenfaß  (atramentarium) :  23.  219f.  338. 
Tisch:  2.  14.  41. 
Titel  s.  Sittybos. 

tomos:  19.  21.  30.  215.  338.    tumus:  35. 
Tonkrüge,  darin  Bücher:  15.  334. 
Totenbuch:  19.  283. 


352  Inhaltsverzeichnisse.  III-.  Sachregister. 


Toxaris:  98. 
Tragödie:  212.  238. 
traditio  legis:  323,  3. 
Tuchläden:  339  f. 

Überreichen  des  Buchs:  82  ff.  99.  Ulf. 

337.    des  Schlüssels:  78.  323,  3. 
umbilicus:  21,  2.  186.  228  ff.  338. 
Unterrichtsstunden:  114.  138  ff.  173.  303. 

329,  1. 

Verszählung  im  Buch:  295,  2. 
Vervielfältigung  durch  Abschrift:  197  f. 

(s.  Buchhandel),    von  Bilderbüchern: 

297  f.  302.  308  f. 


Vomieren  des  Buchs:  298,  1. 
volumen:  22. 

Wachstafel  (Diptychon):  20.  24.  109.  115. 
129.  200  f.  266,3.  321.  322.  (Polypty- 
chon):  55.  viele  in  einer  Capsa:  254,  1. 
Vgl.  Schreibtafel. 

Wasseropfer:  9,  3. 

Weihung  von  Schriftwerken  in  Heilig- 
tümern: 211.  222  ff.  275. 
Wollne  Binden:  125  f.  178. 

ZHCeC:  221. 
zothecula:  246. 


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