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Allgemeine Weltlage.
Nah dem Sturze Napoleons I. erfand die Heilige Allianz das
Syitem des Europäifchen Gleichgewichtes. Diefes, nur zur Lebensfriftung
veralteter Stantengebilde und zur Wahrung Hochfonfervativer Intereſſen
erfundene Syitem, das Jahre lang gleich einem Alp auf Europa laftete,
wurde durch die Kevolutionen der Dreißiger- und Vierziger-Jahre zwar
erihüttert, aber erft durch die Kriege von 1859 und 1860 und die
Schöpfung des Königreichs Italien gründlich befeitigt. Napoleon II.,
den Zug der Zeit nicht verkennend, feste an die Stelle des Europätfchen
Gleichgewichts das Nationalitätenprinzip und wußte durch diefes Prinzip,
das er freilich je nach Bedürfniß bald mit Sprachgenoſſenſchaft, bald mit
natürlichen Grenzen identifizirte, Frankreich für einige Fahre einen über⸗
wiegenden Einfluß zu erringen.
Mit dem Krieg vom Jahr 1866 und der Schöpfung des Nord—
deutſchen Bundes hatte die Vorherrſchaft Frankreichs ein Ende, mit dem
Krieg von 1870 ſollte dieſe Vorherrſchaft wieder erlangt und Deutſchland
dafür gezüchtigt werden, weil es das von Frankreich proklamirte Nationali-
tätenprinzip auch für fih in Anfprucd genommen. Allein der muthwillig
heraufbeſchworene Krieg führte nicht nur zur tiefen Demüthigung Frank—
reis und zum Sturz feines Kaiferthrones, jondern gab Deutſchland auch
feine langerjehnte Einheit und damit eine Machtjtelung, welche gegenwärtig
unbedingt die erjte auf dem europätfchen Kontinent.
Zroß feiner unerhörten Niederlage, feiner materiellen Einbußen und
des Derluftes zweier Provinzen ift aber Frankreich phyſiſch und moralisch
nicht gebrochen. Dank jener wunderbaren Claftizität des Geiftes, die ihm
eigen, und Dank der reichen Hülfsquellen feines Landes hat das fran-
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zöfifche Volk in kurzer Zeit feine innern zerrütteten Zuftände auf eine,
unfere republifaniichen und proteftantifchen Augen allerdings wenig ἀπε
iprechende Weife geordnet, fein Finanzſyſtem geregelt, fein Heerweſen
nach den Erfahrungen des Τερίε Krieges von Grund aus umgeftaltet.
Das einzige Gefühl, das ganz Frankreich beherricht, iſt das der Revanche
und daß ſich diefes Gefühl wenigftens in der Armee mehr und mehr zum
feiten Willen geftaltet, beweist ihre unausgeſetzte Thätigkeit. Der Offizier,
der unter dem Kaiſer flanirte, arbeitet jegt, und es mag eine noch wenig
befannte Thatſache fein, daR die franzöſiſche Deilttärliteratur feit dem
festen Kriege eben fo Vieles und vielleicht eben jo Gutes, als je die
deutjche, zu Tage gefürdert.
Es unterliegt feinem Zweifel: das letzte Wort, wo Europa feinen
Schwerpunkt oder wie e8 ein natürliches, auf gejunde nationale Staaten-
bildungen und freiheitliche Entwicklung der Völker gegründetes Gleichgewicht
finden foll, dieſes letzte Wort iſt noch nicht gefprocdhen. Ein neuer ſchwerer
Kampf bereitet ὦ vor; ob im zwei, in fünf, in zehn Jahren, wer Tann
das willen?
Neben der Eiferfucht und dem Ningen der verfchiedenen Nationali-
täten gegen einander fehen wir noch zwei große, über die Grenzen der
Staaten und Völker weit hinausreichende Gegenſätze: die internationalen
Gegenſätze auf fozialem und die internationalen Gegenſätze auf kirchlich—
veligtöfem Gebiet. Zwar: die erftern find vorläufig in den Hintergrund
getreten; die rothe Internationale, über welche feit dem Fall der Parijer
Kommune in den meiften einander fonft feindlichen Staaten das überein
ftimmende vaeh victis ergangen, iſt in fich gefpalten und desorganifirt.
Aber die fozialen Gegenſätze ſelbſt bejtehen fort; in den großen Städten
Europas gähnt noch immer die furchtbare Kluft zwifchen Reich und Arm.
Ueberfluß, Herzlofigkeit und lukulliſches Wohlleben, Aktien» und Börjen-
ſchwindel auf der einen, jaurer Kampf ums tägliche Brod, Neid, ver-
mehrte Bedürfniffe und Begierden auf der anderen Seite: das find Feine
Grundlagen für fefte, dauernde Friedenszuftände, das find Zündftoffe, die
nur günftiger Gelegenheit, ſchwerer politifcher Krifen bedürfen, um die ver—
zehrende Flamme zu erzeugen.
In viel direfterer Beziehung, als die fozialen, ftehen die kirchlich—
veligiöfen Gegenfäge zur gegenwärtigen Politik. Obgleich auch dieſe
Gegenfäße über die Gränzen der Staaten und Völker weit hinausreichen,
—————
ſo haben ſie doch in jüngſter Zeit eine nationale Färbung dadurch an—
genommen, daß die beiden feindlichen Großmächte, Deutſchland und
Frankreich, recht eigentlich zu Vertretern der beiden kirchlichen Haupt—
ſtrömungen geworden ſind. Schon unter der Herrſchaft Napoleons III.
ſpielten geheime Fäden zwiſchen Rom und Paris, und ſehr wahrſcheinlich
war der Umſtand, daß die Proklamirung der päpſtlichen Unfehlbarkeit fait
gleichzeitig mit der Kriegserklärung an die proteſtantiſche Großmacht Preußen
erfolgte, kein ungefähres Zuſammentreffen.
Der Ausgang des Krieges machte auf das Gemüth des tapfern
und hochherzigen, aber durch Selbjtüberfchägung geblendeten franzöfifchen
Bolfes einen erjchütternden Eindrud. Leichtlebig und gutmüthig in gemöhn-
lichen Zeiten, fällt der Sranzofe doch in Zeiten politifcher Krifen Hin
und wieder in einen Parorismus, der einen gewifjen dämonifchen Zug
in feinem Weſen unverkennbar hervortreten läßt. Praktiker, Realiſt nad)
Anlage und Geſchmack und nicht gewohnt, viel über religiöfe Gegenftände
nachzudenken, findet er, wenn plöglich ein Weltereigniß, das den gewöhn—
lichen Gang der Dinge durhbricht, ein großes Nationalunglüf an ihn
herantritt, feinen feiten Halt in feiner Bernunft; er wird entweder Fana—
tifer des Unglaubens, Jakobiner und Kommunard, oder er wird Fanatifer
des Aberglaubens und jucht die Kroft zu feiner Erhebung in myſtiſcher
Eftafe. Groß in feinen Tugenden, in feiner Aufopferungsfähigfeit, feinem
Patriotismus, feinem Heldenmuth, ift der Franzoſe — wenigſtens der
ungebildete — in folchen Zeiten ebenfo groß in feinen Fehlern und Ver—
irrungen. An die Stelle feiner fonjtigen liebenswürdigen Eigenschaften
tritt als ein eigentliches nationales Merkmal ein finfterer, Shmwärmerifcher,
blutdürftiger Geift, der den Franzoſen als Menſchen zwar erniedrigt, als
Staatsbürger und Krieger aber befähigt, nah Außen eine große Kraft
zu entwideln. Die Albigenferfriege und Kreuzzüge, die in Frankreich
ihren Anfang genommen, die Jungfrau von Orleans, die Bartholomäus:
naht, die Hugenottenfriege, die Dragonaden Ludwigs XIV., der rothe
Shreden der Jakobiner und Kommunards, der weiße Schreden ber
Reſtauration und der Verſailler, dieß find Erſcheinungen in der fran-
zöſiſchen Gejchichte, die man bei der Beurtheilung der gegenwärtigen
Weltlage wohl im Auge behalten muß; denn fie zeigen einerfeits, weſſen
das franzöfifhe Volk in gemifjen Zeiten fähig iſt und anderfeits, de}
nicht nur dem geläuterten religiöjen Bewußtſein, nicht nur dem fittlichen
—
RE fach FOR HR
Willen, fondern auch dem Fanatismus eine gewiffe, nicht zu unterfchäßende
Kraft inne wohnt.
Nicht das ganze, aber doch ein großer Theil des franzöfifchen
Bolfes befindet fich gegenwärtig im diejem religiöfen Paroxismus, der von
der Geiftlichfeit mit allen Mitteln genährt und gefördert wird. Vom
tiefiten Nationalhaß gegen Deutfchland, vom brennendſten Durjt nad
Rache erfült, Haben die Sranzofen, foweit fie nicht Proteftanten oder
Republikaner find, fich ganz in die Arme des Ultramontanismug geworfen
und mit diefem unverjühnlichen Feinde des Proteftantismug ein Schuß
und Trußbündniß gefchloffen. ‘So, wie der ultramontaue Tranzofe vom
unfehlbaren Papite, von der Mutter Gottes und den Heiligen die Wieder-
vergeltung an Deutjchland, jo erhofft umgekehrt Rom von dem Nationals
haß und den Chaſſepots Frankreichs die Zertrümmerung der proteftantijchen
und liberal=fatholifchen Neiche, die Aufrichtung einer jefuitifch - Elerifalen
Weltherrſchaft. Und wahrlih! Die Hoffnungen Roms find nicht ohne jede
Ausfiht auf Erfüllung. Oeſterreich ebenfalls unter jeſuitiſchem Einfluß,
in Deutihland und Italien eine weitverzweigte ultramontane Agitation,
im Hintergrumde das lauernde Rußland — find das nicht für das deutjche
Reich und Italien gefahrdrohende Wolken?
Mehr noh, als die unausgefegte Thätigkeit in der franzöſiſchen
Armee, find die Walfahrten nad) Yourdes, das Anwachſen der Gejell-
ſchaft des „Heiligen Herzens“ Vorboten des kommenden Sturmes. Die
einzige Möglichkeit, Europa vor den Gräueln eined neuen Krieges zu
bewahren, bejtünde darin, daß in Frankreich noch in zmwölfter Stunde ein
Umſchwung zu Gunſten der Republif eintreten würde. Aber dazu ift
wenig Ausfiht vorhanden; Fanatismus und Geld werden Chambord
ihon zum Throne verhelfen. Dann können wir ficher fein, daß der θὲς
vorjtehende Nationalfrieg mit Deutfchland trog und zur Schande des
19. Zahrhunderts eine religtöfe Färbung erhalten, mehr oder minder den
Charakter eines Religionsfrieges annehmen wird.
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11.
Die Stellung der Schweiz und die gegenwärtigen
Revifionsbeftrebungen.
Angefichts diefer allgemeinen Weltlage jollten wir Schweizer Eines
nicht vergeffen: daß unfer freies Alpenland unter den Mächtigen Europas
gar viele Feinde hat. Wir follten nicht vergejfen, daß Hüben und drüben,
in Deutſchland und Stalien fo gut, wie in Frankreich, die Hoffnung
genährt wird, das Nationalitätenprinzip werde fi) auch an uns feindlich
bewähren, die Anziehungsfraft der nationalen Centren werde unfer kleines,
aus drei verfchiedenen Nationalitäten zufammengefettes Volt früher oder
ſpäter auseinanderreißen!
Diefe Hoffnung fol, foweit e8 in der Macht unſeres Volkes
liegt, zu Schanden werden! Wohl ift das Nationalitätenprinzip, jofern
es dad Zufammengehörende vereinigen, das nicht Zujammengehörende
trennen will, gefchichtlih durdaus berehtigt. Aber mit dem Wort
„Nationalität“ darf Fein Mißbrauch getrieben werden. Es gibt eine
Nationalität, die Höher und Ehrfurcht gebietender dafteht, als diejenige,
die fih nur auf die Race, nur auf die Sprachgenofjenfchaft gründet,
Es iſt dieß die Nationalität, welche auf der Liebe zur gleichen Heimat,
auf der gemeinfamen Gejchichte eines Volfes, auf dem gemeinfamen Volks⸗
harafter, auf dem Bewußtſein der geiftigen und politifchen Zuſammen—
gehörigfeit beruht. Eine folhe Nationalität find wir Schweizer, was
bedarf es des Beweiſes? Iſt doch der Stempel der gemeinſamen Beſtim—
mung dem Schweizervolk unverkennbar auf die Stirne gedrückt, iſt doch
das Bild des gemeinſamen Vaterlandes dem Schweizervolk unauslöſchlich
in's Herz gegraben!
Das Nationalitätenprinzip haben wir nicht zu fürchten, wohl aber
die Mißdeutung dieſes Prinzips. Wollen wir Schweizer dieſer Miß—
deutung vorbeugen, wollen wir im kommenden Sturm die Freiheit und
Selbſtſtändigkeit unſerer Nationalität erhalten, ſo muß das nationale
Gefühl, das uns erfüllt, vorher noch äußere Form und Geſtaltung ge—
winnen, zur natioffalen That werden. Vorher muß [{ die fenmweizerifche
Nation aus ihrer äußern Zerfplitterung, aus dem ganzen Nachlaß des
alten , ohnmächtigen Staatenbundes herausringen, vorher [1 enger und
fejter im ſich zufammenfhliegen. Vorher noch muß fie in ihrer eigen-
artigen jtaatlihen und fozialen, in ihrer militärifchen und rechtlichen
Entwidlung den Anforderungen der Gegenwart gerecht werden. Nur dann
kann die jchweizerifche Nation auf die Achtung Europas zählen, wenn fie
gerüftet dafteht, wenn fie den andern Völkern — Dank dem Vorzug re—
publifanischer Inſtitutionen — in allen Rulturbeftrebungen ein leuchtendes
Vorbild bleibt und wenn fie durd die That Zeugniß ablegt von ihrer
Lebensfähigkeit, ihrer Gejundheit, ihrer eigenartigen Beftimmung.
Das nationale Gefühl und der überwältigende Eindrud der großen
Ereigniffe von 1870 und 1871 waren e8, welche den Reviſionsentwurf
vom 5. März 1872 ins Leben riefen. Diefer Entwurf mußte der un—
natürlichen Allianz der Ultramontanen und Kantonejen erliegen. Allein
die Ideen marfchiren von felbjt. Eine wahre Idee kann zwar momentan
durch die Gewalt äußerer Umftände an ihrer Verwirklichung verhindert
werden, früher oder fpäter wird fie fich gleichwohl Bahn bredden. Daß
mit der Verwerfung des lebten Entwurfes die Reviſionsidee felbjt nicht
zu Grabe getragen war, daß fie fi) umgekehrt im Geift uud im Herzen
des Dolfes immer mehr Eingang verfhafft, das zeigte ſchon der Ausfall
der Nationalvathswahlen, der Umfhwung in Graubünden und Neuen-
burg, die Wiederaufnahme der Reviſion durch die eidgenöffiichen Käthe.
Mehr πο zeigte [Ὁ dieß in der Gründung und dem raſchen Anwachfen
des ſchweizeriſchen Wolfsvereins und in dem, von ihm veranitalteten
ſchweizeriſchen Volkstag in Solothurn. |
Schon ftehen wir wieder an der Schwelle der Reviſion; ſchon Liegen
vor ung die Entwürfe des Bundesrates, der nationalräthlichen und jtände-
räthlichen Kommiffion. Vom Centralfomite des ſchweizeriſchen Volksvereins
ſind ſämmtliche Sektionen aufgefordert worden, dieſe Entwürfe zu prüfen
und ſich ernſtlich zu fragen, ob und inwieweit fie dem in Solothurn aus—
geiprochenen Volkswillen entiprechen; ob und inwieweit der ſchweizeriſche
Volksverein, während es noch Zeit ift und bevor noch die Bundes—
(
——
verſammlung ihr letztes Wort geſprochen, auf eine gründlichere und all—
ſeitigere Reform unſerer Bundeszuſtände hinwirken müſſe.
Die am Solothurner Volkstag einſtimmig angenommenen Reſolu—
tionen find der gemeinſame Ausdruck deſſen, was die Herzen der Reviſions—
freunde bewegt. Es ijt wahr, aud das Bolf fann fi) irren, und id
möchte mich am allerwenigjten zu denjenigen zählen, die das Volk für
unfehldar erfären. Aber wenn je, jo gilt in Zeiten innerer oder äußerer
Krijen, in Zeiten, wo eine große Idee, ein patriotifches Gefühl die Maffe
bewegt, in Zeiten, wo nicht Klügeln und Abwägen, wo nur eine fühne,
nationale That Helfen kann, — wenn je, gilt in ſolchen Zeiten das
Sprihwort: „Vollesſtimme ift Gottesftimme” ! |
Die Zeiten find ſehr ernft. Wohl Hat die Schweiz, mitten in den
Stürmen, die feit Jahrzehnten unfer Land umtoden, mitten im Ringen
der Völfer nad nationaler Einheit und Selbititändigfeit, mitten in den
Kämpfen der verfchiedenen Nationalitäten gegen einander, bis ἰδὲ ihre
Selbitjtändigfeit, die Unantaftbarfeit ihres Gebietes bewahrt. Während
um uns ber Staaten entjtunden und Staaten vergingen, während alte,
hochberühmte Reiche von ihrer Höhe herabjanfen und neue jugendfriiche
Schöpfungen kraftvoll emporjtiegen, blieb die Schweiz bis jest unberührt
von diefen Stürmen, ein neutraler Boden, eine Aſylſtätte für alle politiſch
- Berfolgten.
Ader dürfen wir hoffen, daß dies immer fo bleiben wird? Sprechen
im Gegentheil nicht viele politiſche und militäriihe Gründe dafür, daß
gerade unjer Yand oder Belgien für den nächſten großen Nationalfrieg
als Kriegsjchauplag auserfehen ift? Als vor zwei Jahren die rothen
Hofen in unzählbarer Menge über den Jura hereindrangen und al’
unſere Thäler jih mit Flüchtlingen anfüllten, — durchzudte da nicht die
Gemüther unſeres Volkes eine Ahnung, daß aud für uns die Idylle
aufgehört und dad Drama begonnen? Fiel e8 uns da nicht wie Schuppen
von den Augen, wie ficher wir uns bisher geträumt, wie nahe wir oft
dem Derderben gewejen, wie wunderbar wir bewahrt worden? Fühlten
wir da nicht auf einmal, wie enge verwoben unjer Geſchick mit dem
ganzen Ummwandelungs- und Entwidelungsprozeß Europa's, wie leicht
bon einem Tag auf den andern das gewohnte Bild des Friedens fich in
ein Bild des Krieges und der Zerftörung verwandeln kann? Klangen
uns die fremdländiichen Yaute, die wir hörten, Hang uns das dumpfe
Bee, Er
Rollen der Kanonen und Mitrailleufen auf dem Pflafter unjerer Straßen
nicht wie eine Mahnung, eine ernjte und vielleicht letzte Mahnung, unfer
Haus zu beftellen, während es nod Zeit ijt?
Darum, Revifionsfreunde, laßt uns Hoch emporhalten das Panner
mit dem weißen Kreuze im rothen Felde und uns enger und feiter um
dafjelbe- fchaaren. Wohl wird diejes Zeichen feinen Eindrud machen auf
diejenigen, die ihr Vaterland nicht in der Schweiz, fondern in Rom haben.
Aber es gibt Andere, die εἰπῇ, als ihr Did ποῦ nicht umflort war,
mit der gleichen Liebe, mit der gleichen Begeifterung zu diefem Zeichen
emporjchauten. Bieten wir diefen, mit und entzweiten Brüdern die
Hand, ſuchen wir uns, ohne auf unfere großen Zielpunfte zu verzichten,
mit diejen Rantonefen zu verftändigen. Manches läßt ſich vielleicht auf
eine, für das Kantonalgefühl weniger verlegende Weife erreichen; Manches,
das im lestjährigen Programme apodiktifch aufgeſtellt war, kann falultativ
gelaffen werden. Sagen wir diefen Kantonefen, daß auch wir feine An—
hänger einer bureaufratifch zugefpisten Centrafifation find, daß auch wir
fein individuelles Leben unnöthig zerftören wollen. Prüfen wir noch εἰπε
mal unbefangen all’ ihre Bedenken, und ſuchen wir da, wo ein foldhes
Bedenken irgendwie begründet erjcheint, demjelben gerecht zur werden.
Allein die Nachgiebigkeit hat ihre feiten Grenzen. Da, wo das
Leben ſelbſt und feine Bedürfniffe aus den Fantonalen Schranken hinaus—
drängen, da, wo dur diefe Schranken die nationale Kraft und Würde
der Schweiz beeinträchtigt wird, da wollen wir feine Konzefjionen machen,
da wollen wir die fantonalen Schranken getrojten Muthes niederreißen.
An unferen großen, in Solothurn aufgeftellten Zielpunkten wollen
wir unentwegt fejthalten, und da, wo der Ernſt der Zeit eine gründliche,
alffeitige Reform für unfer Vaterland nothwendig macht, jede Nachgiebig-
feit als Schwäche fennzeichnen. |
-
III.
Militär.
(Solothurner Bolfstag.) Mljeitige Hebung und nationale Gejtaltung unferer
Wehrfraft.
Dieß ift eine Forderung, von der die Revifionspartei nicht abgehen ὦ
fann und nicht abgehen wird. Niemand weiß, wie bald unferem Vater—
land die Prüfungsitunde fchlagen wird; aber das wiljen wir: die Zeiten
jind fo ernſt, der Uebelftände find fo viele, daß mit Kleinen Verbefferungen
und halben Maßregeln nichts gethan iſt. Wir verlangen deßhalb eine
jofortige, ganze und gründliche Umgeftaltung unſeres Wehrmejens.
Wenn wir von den Vorzügen abjehen, welche das Milizſyſtem über-
haupt vor den ftehenden Heeren voraus hat, jo müjjen wir uns befennen:
unfere Armeeorgantjation ijt die fchlechtefte in ganz Europa. Wir find
ein kleines Volk und trotzdem haben wir es noch zu feiner nationalen
Armee bringen fünnen.
Wohl ift in Verfaſſung und Gefegen viel von der fehmeizerifchen
Armee die Rede; in Wirklichkeit aber haben wir nur taftijche Einheiten,
daneben die 25 größern oder Heinern Armeeen der Kantone, und aus
diefen 25 Armesen oder Armeechen wird jemweilen im Fall der Roth das
jonft nur auf dem Papier ftehende Bundesheer zuſammengeſchweißt!
Wohl haben wir im Prinzip die allgemeine Wehrpflicht und wir
bringen dieſfes Prinzip auch regelmäßig zur Anwendung, wenn mir
irgend einen armen Teufel von Seftirer, der aus religiöfen Sfrupeln den
Milttärdienft verweigert, mit barbarifchen Strafen belegen müſſen; δας
neben Hat diefes Prinzip, Danf dem Sfalafyitem, Dank der gewifjenhaften
Kontrole der Kantone, nicht verhindern fünnen, daß in unferm Vaterland
Zaufende und abermald Taufende von mwehrfähigen Schweizerbürgern vom
aktiven Militärdienst befreit find, [εἰ es nun, weil über fie gar feine
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Kontrolle geführt worden, oder weil fie aus unftatthaften, nichtigen Grün-
den, dur die Gunſt irgend eines kantonalen Machthabers difpenfirt
worden find.
Wohl haben wir eidgenöffische Vorfchriften über die Inſtruktion der
Infanterie, aber fie verhindern nicht, daß nad) 25 verfchiedenen Inſtruktions—
plänen gearbeitet wird und daß die von den Kantonen ertheilte Inſtruk—
tion eine jehr ungleichartige ift. Während fie in einigen Kantonen —
und als Berner darf ἰῷ Bern mit Stolz zu diefen Kantonen rechnen —
wenig zu wünſchen übrig läßt, fteht dagegen in andern Kantonen die
Ausbildung der Offiziere fowohl, als der Mannfchaft, unter aller Kritik.
Wohl haben wir eidgenöffiiche Vorſchriften über die feldmäßige Aus-
rüftung der Zruppenförper und die Verwaltung des Srieg&materials ;
allein es ijt nicht lange her, daß in der Bundesverfammlung konſtatirt
wurde, daß von allen 25 Kantonen nur 2 diefen VBorfchriften nachgefommen ;
und die Öarantie der Fantonalen Verwaltung ift fo groß, daß es bei dem
plöglichen Aufgebot im Jahr 1870 Kantone gegeben Hat, welche während
der erjten Wochen des Krieges, aljo gerade während der Eritifchen Zeit,
ihren Bataillonen wegen Munitionsmangel nur 10, fage zehn Patronen
verabfolgen fonnten !
Welcher Schweizer, der vom Militär Etwas verjteht, und es
mit dem Baterland ehrlich meint, will diefen Augiasſtall nicht ausräumen
helfen ? | 4
Allerdings werden von den Föderaliften gegen die projeftirte Milttär-
reform ſehr gewichtige Bedenken erhoben, Bedenken, die nicht fo kurzhin
abgefertigt werden können, fondern gründlich geprüft werden müffen. Die
Föderaliften jagen: Durch eine alffeitige Centralifation unferes Milttär-
wejens, durch die Abtreiung des Kriegsmaterials, der Milttärgebäude, der
Aushebung, der Inſtruktion, der Verwaltung an den Bund, verlieren die
Kantone jede militärifihe Bedeutung und damit auch einen wefentlichen
Theil ihrer Souveränetät. Wohl ift ihnen ſcheinbar noch das Recht gelaffen,
über die Wehrfraft ihres Gebiets zu verfügen, aber um dieß zu können,
müſſen fie vorher vom Bund das nöthige Kriegsmaterial, Waffen und
Munitien, entlefnen; ja fie müffen, da fie feine militärifchen Organe
mehr haben werden, jchlieflich die Bundesorgane um Vermittlung angehen.
Umgelehrt wird die ſchon jest bemerfbare Militärbureaukratie verzehnfacht;
ein Heer von fäbelrafjelnden Bundesbeamten verbreitet ſich über die ganze
— 8 —
Schweiz, unſere Republik wird durch die militäriſche Allmacht unſerer
Centralgewalt gefährdet.
Ich ſage: Dieſe Bedenken ſind nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Wohl mag es einzelne Bureaukraten und Säbelraßler geben, denen eine
ſolche bureaukratiſch zugeſpitzte, in's Extrem geführte Militärzentraliſation
ſehr erwünſcht wäre. Unſer Ideal aber iſt ſie gewiß nicht.
Was verlangte der Volkstag in Solothurn? Eine nationale Or—
ganijation unferer Wehrkraft. Iſt dieß etwa gleich bedeutend mit Centralt-
jation ? Durchaus nicht, denn wie in gewiſſen Beziehungen allerdings
eine größere Eentralifation zur Nothwendigfeit wird, fo erfordert gerade
ein. gejundes, natienales Heerweien in anderer Beziehung eine größere
Decentralifation. Allerdings Feine Decentralifation nah Kantonen.
Wir wollen eine nationale Organifation, im Gegenſatze zur fantonalen.
Borerfi muß das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, das gegemmärtig
nur auf dem Papier fteht, einmal zur Wahrheit werden. Sowie von
Bundeswegen jedem Schweizer die gleichen Rechte eingeräumt, ſowie alle
Vorrechte de8 Ortes und der Geburt abgefchaftt worden find, fo follen
iedem Schweizer auch die gleichen Pflichten gegenüber dem Vaterland auf-
erlegt werden. Dekhalb muß nicht aur das Skalaſyſtem befeitigt, fondern
es muß durch den Bund aud die Aushebung der Rekruten geregelt und
beforgt, die Dienftpflicht der verſchiedenen Altersflaffen feſtgeſetzt, über
alle wehrfähigen Schweizer, alfo auch über Diejenigen, welche nicht mehr
im Bundesheer dienen, eine Kontrole geführt werden. Beſondere Fantonale
Truppenkörper follen nicht mehr zugelajjen fein.
Zu einer nationalen Organifation gehört ferner, daß der Bund,
jowie er von Jedem das Gleiche fordert, Jedem auch das Gleiche gibt:
Waffen, Kleider und Ausrüftung. Die Unterftügungspflicht des Bundes
gegenüber der Wehrmännern, die im eidg. Dienft verunglücen, darf nicht
nur auf dem Bapier ftehen, fordern es muß im Anſchluß an die Winfel-
riedjtiftung Ion im Frieden für Aeuffnung eines Hinreichenden Fonds 669
jorgt und der Bund dadurch) in die Möglichkeit gefeßt werden, feine
Unterftügungspfliht auch zu erfüllen. Am Beſten würde dazu verwendet
ein Theil des jährlichen Ertrages der Milttärpflichterjagiteuern.
Zu einem nationalen Heer gehört ferner mit abjoluter Nothwendig-
teit Einheit und Gleichartigfeit der Eintheilung, der Verwaltung und der
Hnfteuftion. Bei der Eintheilung der Armee [01{ die Größe und Anzahl
Ψ
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ihrer Glieder ausſchließlich nach militärifchen Gründen beftimmt werden.
Militäriſch find aber die natürlichen Glieder der Armee die Armeedivifionen
und die Divifionsbezirke, nicht die in ihrer Größe und Konfiguration
jo verjchiedenartigen Kantone. Nun wird Jedermann zugeben müfjen, daf
unfere Armeedivifionen fo lange nur auf dem Papier beftehen, als die
ganze Friedensthätigkeit der Armee durch) da8 Medium der Fantonalen
Militärdireftionen, der kantonalen Ynftruftoren, der Tantonalen Kom—
mifjariate, der fantonalen Zeughausverwaltungen ftattfinden muß. Soll
unjer Heermwejen gefunden, joll unfere Armee in Wahrheit eine nationale,
Telstüchtige Armee werden, fo muß jenes Medium ſämmtlicher kantonaler
Inſtanzen aus dem Organismus der Armee gründlih und vollftändig
hinausgedrängt werden. Dagegen fällt es uns allerdings nit ein, an
die Stelle der kantonalen Beamtungen ein Heer von ftändigen Bundes-
beamten zu jeßen.
Was wir nicht wollen, im Eimverjtärdniß mit den Föderaliften nicht
wollen, iſt eine Militärbureaufratie. Um diejelbe zu vermeiden, um in
Wahrheit zu einer gefunden, nationalen Heeresorganifation zu gelangen,
muß an die Spige der Organifation Ein großes Prinzip geftellt werden,
das wegen jeiner politifchen, wie militäriihen Tragweite ſchlechterdings
die Aufnahme in die Bundesverfaffung verlangt. Es iſt dieß das Prinzip
der Selbftverwaltung der einzelnen Truppenförper.
Wir wünſchen eine ganz Heine Anzahl von ftändigen VBerwaltungs-
beamten und Angeftellten, in der Hauptjache aber ald Berwaltungsorgane
die Organe de8 Bundesheeres jelbit, die Kommandanten, Offiziere, Kom-
mifjäre 2c. der verſchiedenen Einheiten!
Jede Armeedivifion forgt auch im Frieden für alle ihre Bedürfniſſe
jelbft, ihr Kommandant überwacht nicht nur die jährliche Aushebung der
Rekruten, die Ynftruftion und Ausrüftung, jondern απ) die ganze Ber:
waltung des Kriegsmateriale.
Ebenſo wird das Kriegsmaterial der Brigade im Bezirk derjelben
unter Auffiht des Brigadefommandanten verwaltet. Bei der DS
(Regiment) deßgleichen.
In der taktifhen Einheit der Infanterie, im Bataillon, — für
die Verwaltung folgende Grundſätze:
Das Kriegsmaterial, ſo weit möglich, wird ἊΣ einzelnen Manne
verabfolgt. So vor Allem aus die Waffe. Das übrige Kriegsmaterial,
das zur feldinäßigen Ausrüftung des Bataillons gehört (Munition, Kapüte,
Deden , Borrathskleider, Kocgeräthichaften, Fourgons, Caiſſons 2c.),
wird im Stammbezirt des Bataillon felbft magazinirt und unter der
Rontrole und DBerantwortlichkeit des Bataillonsfommandanten und der δας.
mit beauftragten Offiziere durch eine geeignete Perfönlichkeit im betreffen-
den Bezirk verwaltet.
Wenn man in der fünftigen Armeeorganiſation die Dreitheilung (Aus-
zug, Neferve und Landwehr) adoptirt, fo wird jeder Bataillonsbezirk 3,
wenn man die Zweitheilung adoptirt, 2 Bataillone umfaſſen. Gewiß be-
findet fi nun [αὐ in jedem Bataillonsbezirf, namentlid) in den Amts—
fiten, ein geeignetes, feſtes und trodenes Gebäude, in welchem das Kriegs-
material für die 2, refp. 3 Bataillone ſicher untergebracht werden kann.
Falle da und dort ein Anbau für Unterbringung der Fuhrwerke nöthig
fein follte, jo wäre dies feine große Sache.
Ebenſo wird ὦ in jedem Bataillonsbezirk irgend eine geeignete
Perjönlichkeit, etwa ein alter Militär, finden laſſen, um gegen ein mäßiges
Honorar das Kriegsmaterial der 2 oder 3 Bataillone zu verwalten. Von
Zeit zu Zeit müßten jelbjtverftändlich einzelne Offiziere mit der Inſpeltion
beauftragt, von Zeit zu Zeit einzelne Soldaten des Bezirkes aufgeboten
werden, um beim Reinigen der Gegenftände, Ausklopfen der Deden ꝛc.
mitzuhelfen; furz, das Ganze wäre eine höchſt einfache, wenig Eoftjpielige
Sache und die praftiiche Ausführung des Grundjages der Selbitverwal-
tung bei gutem Willen mit jehr geringen Schwierigfeiten verbunden.
Bei diefer großen Decentralifation, bei dieſer bis auf die einzelne
taktiſche Einheit, da8 Bataillon (oder wenigftens bis auf da8 Regiment),
berabgehenden Selbjtverwaltung der Armee würden die berechtigten Befürd-
tungen der Föderaliften von jelbjt dahinfallen. Diefe [ὦ felbft verwalten-
den Truppenkörper wären gegen die Militärhureaufratie eine viel größere
Garantie, ald es je die Kantone gewefen jind und jein werden. Ein
ſäbelraſſelndes Bundesbeamtenthum würde zur Unmöglichkeit, centraliftifche
Algewalt wäre da nicht mehr zu befürchten, wo die Waffe in den Händen
des Mannes, die Munition im Stammbezirk der taktiſchen Einheit ſich
befände. Aber auch die Kantone hätten bei diefem Prinzip der Selbit-
verwaltung ihren VBortheil. Während fie allerdings als ungehörige Glieder
mit Recht vollitändig aus dem Organismus der Armee hinausgedrängt
werden, ijt es ganz gut zuläjfig, daß fie, als politifche Gewalten, zu der
——
Armee und auch zu ihren einzelnen Gliedern, ja bis zur taktiſchen Ein—
heit herab in einem gewiſſen Verhältniß ſtehen, das ihnen zur Aufrecht—
haltung der Ruhe und Ordnung im Innern gemeinfam mit dem Bunde
die Kontrole und die Verfügung über die Wehrfraft ihres Gebietes er-
mögliht. Wenn das Prinzip der Selbitverwaltung der einzelnen Truppen-
förper fonfequent durchgeführt wird, fo braucht ein Kanton zu einem
Truppenaufgebote feiner Vermittlung des Bundesrathhaufes, er braucht
aber auch feine befondere fantonalen Milttärorgane. Er wendet fi einfach
an den Kommandanten des betreffenden Truppenförpers (Bataillons, Regi-
ments 20.) und ertheilt ihm den Befehl, durch fein Bureau die Truppe
aufbieten zu laffen. Ein fantonales Milttärbureau, Kommiffariat, Zeug-
haus tft da ganz überflüffig, die Truppe ift ja bereit® im Befik von
Allem, was fie nöthig Hat, um in's Feld zu rüden.
Dieſe Decentralifation, diefe Selbftverwaltung der einzelnen Truppen⸗
förper hat aber nicht nur große politiiche, fondern noch größere militäriſche
Borzüge. Site ift nicht nur eine Garantie gegen die — vor den Föde—
raliften mit Recht befämpfte — bureaufratiiche Allmacht der Centralgewalt,
gegen ein Ueberwuchern des Beamtenthums, jondern fie ift auch ein Mit-
tel, die Kontrole über die Verwaltung des Kriegsmaterials unendlich zu
vereinfachen und die rajchere Miobilifirung des Bundesheeres zu ermög-
lichen. Beim gegenwärtigen Syitem Heat gerade die übergroße Eentrali-
fatton der Verwaltung in verfchiedenen Kantonen, wie 2. B. Bern, und
die dadurch erfchwerte Kontrole und Mobilifirung wiederholt zu großen
Uebelftänden geführt.
Da ich gerade vom Kriegsmaterial und von der Nothwendigkeit
einer Decentralifotion der Verwaltung rede, fo muß ich hier nothwendig
auf eine Spezialität eintreten, die wegen ihrer ungeheuren Wichtigkeit
nicht nur in den Gefegen, fondern fon in der Verfaſſung berührt jein
jollte. Es betrifft dies die Errichtung mehrerer Patronenfadrtfen in
den verſchiedenen Landesgegenden der Schweiz.
Bekanntlich befigt die Eidgenoffenfhaft nur eine einzige Patronen»
fabrif, diejenige in Thun; die Fabrik bei König fabrizirt nur Hülfen,
it mithin nur ein Appendix von jener.
Nun hat ein angejehener Staatsmann, der Leider gegenwärtig in.
den Reigen unferer Gegner fteht, bereits vor drei Fahren dieſen Uebel⸗
ſtand hervorgehoben. Hr. Nationalrath Ruchonnet hat in der Sitzung
de8 Nationalrathes im Dezember 1870 in einer ausgezeichneten Rede
darauf Hingewiefen, daß die Errihtung mehrerer Patronenfabrifen in
verjchiedenen Landesgegenden für die Schweiz nicht nur fehr wünſchens⸗
werth, fondern unter Umftänden geradezu eine Lebensfrage ſei. Aud)
die HH. Roguin und Aepli haben im Ständerath die gleiche Anſicht jehr
warm verfochten.
Warum der Chef des ſchweizeriſchen Militärdepartements, dem unfer
Heerweſen jonft jo viel zu verdanken hat, gerade in dieſer hochwichtigen
Trage den berechtigten Wünſchen der Waadtländer Deputirten entgegen»
getreten, ift uns noch Heute umerflärlih. Jedenfalls Hat der Umjtand,
daß die Bundesverfammlung damals die Motion der HH. Ruchonnet und
Sonforten der Hauptſache nad) verworfen, nicht dazu gedient, das Miß-
trauen unferer Föderaliften in das eidgenöffiiche Wehrwejen und in die
eidgenöffische Kriegsverwaltung zu bejeitigen.
Warum ift die Erftellung mehrerer Patronenfabrifen für die Schweiz
eine abjolute Nothwendigfeit ?
Erſtens, weil eine einzige Fabrik im Kriegsfalle nicht im Stande
ijt, rajch genug die nöthige Anzahl Munition zu erjtellen. Unſere Babrif
in Thun kann täglid nur 100,000, vielleiht im Nothfalle 150,000 Pa—
tronen fabriziren. Für den Laien eine ungeheure Zahl, für den denfenden
Militär ſehr wenig!
Sollte und das Verhängniß treffen, in einen Krieg zwiſchen Frank—
reih und Deutjchland, vieleicht auch Oeſterreich und Italien hineingezogen
zu werden, jo wird es dann jelbftverjtändfich nicht mehr von uns abhängen,
einſeitig mit diejer oder jener Macht Frieden zu ſchließen, auch im Falle
einer Niederlage nicht. Sol unfer Land nicht den Kriegsſchauplatz für
beide ftreitenden Parteien abgeben, jo müjjen wir, einmal angegriffen,
gegenüber unferem Angreifer auch ausharren bis zu Ende, fonjt δὲ ung
die andere Partei auf dem Naden. Davon ift aber dann feine Rede,
daß die Sache mit einem oder mit zwei Treffen abgethan ift, fondern der
Krieg kann aud für uns ein oder zwei oder noch mehr Jahre andauern.
Wie verhält fih nun zu einer ſolchen Eventualität die Leijtungs-
fähigkeit unferer einzigen Patronenfabrife? Haben mir einen Gegner, der
energifch vorgeht, jo müfjen wir doc) gewiß die Möglichkeit annehmen,
daß wir nicht nur einen gemüthlichen Poftenfrieg zu führen, Heine Vor—
poftengefechte zu Liefern haben. Nein, mir müfjen uns auf Schlachten,
2
—
wirkliche Schlachten gefaßt machen. In dieſem Falle iſt es aber ſehr leicht
möglich, daß unſer —- überdieß viel zu kleiner — Patronenvorrath ſchon
in 10 Tagen auf der Neige iſt. Man ſoll, um das Gegentheil zu be—
weiſen, nicht mit dem Kriege von 1866 und dem verhältnißmäßig ſehr
geringen Munitionsverbrauch der Preußen exemplifiziren. Damals, als
Hinterlader gegen Vorderlader ſtund, machte ſich die Entſcheidung ſehr
raſch; überdieß werden unſere Miliztruppen ſich nie eine preußiſche Feuer—
disziplin aneignen. Im letzten Kriege, ſo namentlich in der zweiten Hälfte
deſſelben, und bei der Belagerung von Paris war der Munitionsverbrauch
zeitweiſe ein ganz enormer.
Unſer Repetirgewehr iſt eine ausgezeichnete Waffe, aber nur, wenn
man fie gehörig fpeist; denn im Kriegsfalle wird fie unſere Munition
mit raſender Schnelligkeit aufzehren. Alfo muß für Erfag, reichlichen
Erjag der Patronen gejorgt fein. Wie fteht e8 mit diefem Erjaß, wenn
nah 10 Zagen, nach einer oder zwei Schlachten unfere Armee oder größere
Theile der Armee ihre Munition verfchoffen haben? Das Quantum Pa—
tronen, das unfere Fabrik täglich fabrizirt, genügt nur zur Speifung eines
einzigen Bataillons; mithin das Quantum, das in 10 Tagen erjtelit
werden kann, höchftens zur Speifung einer Divifion. Deßhalb müſſen
wir in den Stand gefeßt werden, im Kriegsfalle nit nur 100,000
bi8 150,000, jondern mindeftene 700,000 bi8 1,000,000 Patronen
täglich zu fabriziren.
Ein zweiter, ebenjo gewichtiger Grund für die Nothwendigkeit
mehrerer Patronenfabrifen befteht in der Möglichkeit, daß unferer einzigen
Patronenfabrik ja irgend ein Unfall zuftoßen könnte. Iſt es nidt ein
unfeimlicher Gedanke, daß im Kriegsfalle das Wohl und Wehe der
gefammten Wehrfraft unferes Landes von einem einzigen Gebäude und
zwei Mafchinen abhängt? Wie leicht kann ein Gebäude durch eine
Feuersbrunſt oder Erplofion zerftört, wie leicht durch Nachläffigleit oder
Böswilligfeit oder durch ein Naturereigniß irgend etwas an einer Mafchine
verdorben werden, daß diefelbe für längere Zeit nicht mehr in Betrieb
gefegt werden Tann? ft nicht vor ſechs Jahren die Patronenhülfen-
fabrif in König ein Raub der Flammen geworden ?
Es ift noch ein anderer Fall denkbar. Eine franzöfifhe Armer
bricht in unfer Land ein, wir haben das Unglück, eine Schlacht zu
verlieren. Wir werden zurücgedrängt, zur Aarelinie, über die Aarelinie
rg
hinaus bis zur Emmenlinie. Dort fegen wir uns feft, unfere zerftreuten
Streiikräfte fammeln fich wieder, die gefammte Armee ift bereit zu einem
kräftigen Vorſtoß. Allein es beginnt an Munition zu fehlen, viele Caiffons
find leer, auch die Patrontaſchen find Leichter geworden. Lägen nun eine
oder zwei Patronenfabrifen Hinter unferem Rüden, in Luzern oder Zürich,
jo wäre dem Mebeljtande von einem Tag auf den anderen abgeholfen.
Allein unfere einzige PBatronenfabrif in Thun ift natürlich durch ein
Detafchement des bis zur Warelinie vorgedrungenen feindlichen Heeres
beſetzt, unſere einzige Lebensader vollftändig unterbunden. Was wollt
Ihr nun thun, Ihr Herren Oberften, die Zhr im Frieden die Nothmendig-
feit mehrerer PBatronenfabrifen nicht einjehen wollte? Unfere Armee mit
ungenügender Munition gegen den Feind führen? Werden die Soldaten
Euch folgen, oder werden fie nicht vielmehr nach Verrath fchreien Ὁ
Alles kann fih in der Weltgeſchichte wiederholen. Aus dem
Yahre 1798 Haben wir ein Volfslied, das die Thaten der Berner
gegenüber den Franzoſen befingt und bei dem jede Strophe mit dem
Refrain ſchließt: |
Aber fie gaben uns feine Munition,
Darum liefen wir davon !
Gegen die Erftellung mehrerer Patronenfabrifen wird vielleicht der
Kojtenpunft geltend gemacht werden. Aber es Handelt fi) ja nur um
Erjtellung der nöthigen Gebäulichkeiten und um Anfchaffung der Mafchinen,
damit die Fabriken im Kriegsfalle fofort in Thätigkeit gefeßt werden
können. Es fällt mir nidt ein, vorzujhlagen, daß in Friedenszeiten
mehr als eine Fabrik in Thätigkeit geſetzt werden ſolle.
Ferner wird hervorgehoben werden: Wenn ſchon die Fabriken erftellt
find, fo fehlt ja, um fie in Betrieb fegen zu können, das nöthige
Perfonal. Schafft doch das nöthige Perfonal Her! Es gibt in unjerem
Vaterlande Taufende, die wegen irgend eines Kleinen förperlichen Gebrechens
zum gewöhnlichen Meilitärdienfte untauglich find, aber ganz gut zur
Patronenfabrifation verwendet werden fünnten. Laßt diefe Leute durch
die jtändigen Arbeiter einige Wochen in der Patronenfabrifation: inftruiren,
organifirt jie, bildet aus ihnen eigene Kompagnieen, die ihre Dienit-
pflicht als Arbeiter in den Munitionsfabrifen erfüllen und die. ihr dann
im Kriegsfalle ſämmtlich aufbietet, um unter Aufficht des ftändigen Per—
jonal® in ſämmtlichen Fabriken verwendet zu werden!
——
Endlich, und dies iſt der wichtigſte Einwand, wird geltend gemacht
werden, daß Patronenfabriken doch gewiß nicht in die Bundesverfaſſung
hineingehören; das ſei Sache der Geſetzgebung und Adminiſtration. So!
Als ob nicht hundert unwichtigere Dinge in der Bundesverfaſſung ſtünden,
als ob nicht die Erſtellung von mehreren Patronenfabriken in verſchiedenen
Landesgegenden für die Schweiz geradezu einſt zur Exiſtenzfrage werden
könnte!
Seht, dort bauen einige Kinder ein Kartenhaus! Seht, wie ſie
eine Karte auf die andere aufthürmen, wie das Gebäude immer größer,
immer ftattlicher wird! Aber ah! Jetzt fümmt ein böfer Bube, bläst
ein wenig, und der ganze ftattliche Bau fällt zufammen.
‚Ein foldes Kartenhaus ift das fchweizerifche Wehrmwefen, fo lange
wir nicht in verfchtedenen Gegenden Batronenfabrifen befigen.
Hiemit verlaffe ich die Verwaltung, um mir πο einige Bemerkungen
hinfichtlic der Inſtruktion zu erlauben. Auch Hier, auch von der Ueber—
nahme der Fnfanterteinftruftion dur) den Bund fürchten unfere Födera-
Iiften ein Ueberwuchern des Bundesbeamtenthums. Mit gleihem Unrecht!
Auch an die Spite der Inſtruktion muß Ein großes Prinzip geftellt
werden: dasjenige der Selbjtinftruftton der Armee.
Gegenwärtig haben wir in der Schweiz 25 Fantonale Oberinftruf-
toren der Infanterie; am die Stelle derfelben würde für jede Armee-
dioifion je ein Oberinftruftor, alfo, je nad) der Zahl der Divifionen, 8
bis 10 Dberinftruftoren treten. Diefe Oberinftruftoren müßten aller-
dings ſtändige Milttärbeamte fein, das Gefeg würde beitimmen, ob ihre
Mahl durd) den Bundesrath oder durch die Bundesverfammlung ftattfinden
jolle. Jedem Oberinftruftor foliten nur etwa 3 bis 4 Ständige Unterinftruf-
toren beigegeben werden. Das ftändige Inſtruktionsperſonal wäre in die
Divifion, deren Unterricht ihm obläge, ebenfalls einzutheilen.
Durch die Heine Zahl des ftändigen Inſtruktionsperſonals würde
ermöglicht: 1) eine fehr gute Auswahl; 2) eine anftändige Beſoldung.
Unter Anleitung diefer wenigen ftändigen Inſtruktoren würde der ganze
militärifche Unterricht der einzelnen Truppenkörper, wie der Refruten,
dureh die nicht. ftändigen Offiziere und Unteroffiziere der Divifion
ertheilt, Schon jegt werden vielerort8 — fo namentlich im Kanton Bern —
die Offiziere und Unteroffiziere zur Ertheilung des Militärunterrichts ver-
wendet. Bei der geringen Zahl des ftändigen Perfonal® müßte dies
ῶ
— 21 —
natürlich noch in viel ausgedehnterem Maße geſchehen. Mehr Dienſtzeit,
als jetzt, hätte dies für den einzelnen Offizier und Unteroffizier nicht zur
Folge, wohl aber er. größere Anforderungen an jeine militäriſchen Kennt-
niffe, au feinen militärischen Takt. Die Oberaufficht über den militärifchen.
Unterricht ftünde in jedem Divifionsbezirk dem Kommandanten der Dipi-
fion zu.
Durch diefe Selbitinftruftion der Armee würde das von den Föbera-
liſten jo jtarf betonte Ueberwuchern des Beamtenthums zur Unmöglichkeit;
im Gegentheil würde die Zahl des ftändigen Perſonals bedeutend reduzirt.
Der militärifche Vortheil wäre aber nod) größer. Erft dadurch, daß der
Offizier und Unteroffizier richt nur befehlen, fondern auch inftruiren und
feine Befehle erläutern und begründen lernt, wird er feiner Sache gewiß
und gewinnt dadurch gegenüber feiner Mannſchaft diejenige Autorität,
welche die Grundlage des militärifchen Gehorſams bildet.
Allgemein ift man darüber einig, daß die durchſchnittliche Aus-
bildung unferer Armee, insbeſondere unferer Cadres, im Vergleich zu der-
jenigen anderer Armeen ungenügend ift. Um diefem Uebelftande fo weit
möglich abzuhelfen, wird gewöhnlich vorgefchlagen:- die KRefruteninftruftion
bedeutend zu verlängern, auf zwei, ja auf drei Monate; häufiger Wieder-
holungsfurjfe zu veranftalten, Cadres- (Offiziers- und Unteroffiziers:)
Schulen einzuführen. Ih bin grundſätzlich Gegner diefer Art von
Neuerungen. Vielleicht läßt ſich der Rekrutendienſt etwas verlängern, die
Wiederholungskurfe auch, aber jedenfalls nur im einem fehr befcheidenen
Maße; fonft verlaffen wir allmälig den Boden des Milizfyftens, wir
bürden unjerem Lande zu große und überdieß unnöthige finanzielle Laften
auf, oder find genöthigt, durch Verminderung der Dienftjahre unfere
Armee zu verkleinern. Wohl weiß ih), daß das deal eines Kleinen,
wohlausgerüfteten und wohlgeſchulten Bundesheere8 in gar vielen Köpfen
ſpukt; für mid tft diefes Kleine Bundesheer fein deal, fondern einfach
ein Mißfennen unferer republifanifchen Zuftände, eine Schwächung unferer
Wehrfraft, ein zwar langſamer und allmäliger, aber ficherer Uebergang
zum ftehenden SHeere.
Ein viel wirffameres und republifanifchen Zuftänden entfprechenderes
Mittel, unjerem Milizheer eine tüchtige militärifche Ausbildung zu geben,
befteht darin, daß die Bundesverfaffung das Prinzip aufftelt: Unfer
Milizheer fei auf die Volksſchule zu bafiren und der Militär-
| ren
unterricht der Refruten habe an einen vorbereitenden Unterricht in der
Volksſchule ſich anzufchliegen. Ein Milizheer, das diefen Namen verdienen
ſoll, muß den militärifchen Unterricht nicht erft mit den jungen Männern,
fondern jhon mit den Knaben beginnen. Nur dann iſt das Milizheer
dem ftehenden Heer ebenbürtig, nur dann findet e8 einen Erjag für defjen
jahrelange Dienjtdauer, wenn die militäriſche Ausbildung einen weſent—
lichen Beftandtheil der ganzen Knabenerziehung ausmacht.
Das Kadettenweſen ift bet und zwar erſt in den Anfängen,
allein der Chef de8 fchweizerifchen Militärdepartements® hat das große
Berdienft, durch Einführung einer einheitlichen, für das eidgenöſſiſche
Raliber berechneten Waffe und durch mannigfache Anregungen dem Kadetten=
wejen eine neue, vielverjprechende Bahn eröffnet zu haben.
Die Zeit muß und wird fommen, wo nicht nur in einzelnen Stadt=
und Sefundarfchulen, fondern in jeder Volksſchule der militärijche Unter-
richt als obligatorisches Fach betrieben wird. Allein, um nicht mißverjtanden
zu werden, will ich für das SKadettenwejen der Schweiz in kurzen Zügen
das Bild einer Organijation entwerfen, wie mir dafjelbe als Ideal
vorſchwebt.
Die Kommandanten eines jeden Bataillonsbezirks überwachen den
Radettenunterriht. Für denfelben find drei Altersftufen vorgefehen: In
der erjten Altersjtufe bis zum 13. Jahre nur Turn- und Schwimm-
unterricht, jowie Drdnungsübungen ohne Gewehr. Den Bolksjchullehrern,
welche ebenfalls dienjtpflichtig und in die Armee eingetheilt find, Liegt hier
die Inſtruktion ob. Zweite Altersjtufe vom 13. Jahr bis zum Austritt
aus der Schule. In jedem Bataillonsbezirke werden die 2— 3 ältejten
Fahrgänge der in diefem Bezirke enthaltenen Volksſchulen, zu Kadetten-
Kompagnieen vereinigt, durch Offiziere injtruirt. Gewehrkenntniß, Zirail-
leurſchule, Sicherheitsdienft. Am Sammelplag der Kompagnie (etwa im
Schulhaus) ein Depot von Waffen und Munition. Die dritte Alters-
jtufe (vom Austritt aus der Schule bis zum Eintritt in das Bundesheer)
wird ebenfalls in Kompagnieen vereinigt. Der militärifche Unterricht knüpft
hier an denjenigen der zweiten Altersjtufe an und wird ebenfalls durd) die
Dffiziere des betreffenden Bataillonsbezirks und unter Aufficht der Bataillons-
Kommandanten ertheilt. |
Dieß wäre das Gerippe der Orgänifation. Gegen diefelbe wird
man zwei Einwände haben; Erſtens, man bürde den Offizieren des
—
Bundesheeres dadurch, daß man ſie zur Ertheilung des militäriſchen
Jugendunterrichts anhalte, eine zu große Laſt auf. In Wirklichkeit iſt
dieſelbe viel geringer, als die, welche ihnen durch Einführung von be—
ſondern Offiziersſchulen auferlegt wird. Jährlich höchſtens 10 bis
12 Uebungstage. Ueberdieß iſt der Kadettenunterricht für den Offizier
zehnmal inſtruktiver, als ſo eine Offiziersſchule, wo dem theoretiſchen
Unterricht die praktiſche Anwendung mit den Truppen nicht jeden Tag
auf dem Fuße nachfolgt. Würden Hin und wieder ebenfall® die Unter—
offiziere und SKorporale des betreffenden Bezirks zum Kadettenunterricht
herangezogen, fo wäre dieß auch für fie ein größerer Nuten, als eine
Unteroffiziers- und Korporalsſchule, in welcher fie einfach den Dienſt der
Soldaten thun müſſen.
Zweitens wird der Einwand erhoben werden: Das Kadettenwefen
jet ganz ſchön und gut für die größern Ortjchaften, allein in der Volks—
ihule, auf dem Lande, wo die Knaben ftundenmweit auseinanderwohnen,
jet das Kadettenweſen praftiich nicht durdführbar. Ich kann da aus
eigener Erfahrung reden, daß es proftifch durchführbar iſt, indem id
während drei Jahren die Schuljugend aus 7 Landſchulgemeinden zu einer
Kompagnie von 50—70 Kadetten vereinigte und mit Hülfe einer Anzahl
Dffiziere inſtruirte. Trotzdem Alles auf Freiwilligkeit beruhte und Die
entferntern Kadetten an den Webungstagen eine Stunde weit herkommen
mußten, hatte die Sache dody einen guten Fortgang, ja es nahmen im
zweiten nnd dritten Fahre auch Solche daran Theil, die im Yahre vor—
her die Uebungen bejucht Hatten und feither aus der Schule ausgetreten
waren. Am Sammelplag der Kompagnie wurde ein Appartement des
Schulhauſes zur Aufbewahrung der Waffen und Weunition eingerichtet
und mußte dieſes fo die Stelle eines kleinen Zeughaufes verfehen.
Auf die Art und Weife, wie der Kadettenunterricht zu ertheilen
wäre, will ich hier nicht eintreten. Genug Einzelheiten! Will man unfer
Milizheer wirklich auf eine höhere Stufe der Ausbildung Heben und ihm
gleichwohl den Charakter eines Milizheeres belafjen, jo muß man Unten,
in der Volksſchule anfangen und dort den Grundſtein legen. Xiegt der
einmal feft, jo wird die Aufrichtung des ganzen Gebäudes feine große
Mühe erfordern.
Nicht bei den Herren Oberjten — bei den Schulbuben liegt die
Zufunft unferer Armee! s
———
Der Solothurner Volkstag hat nicht nur eine nationale Geſtaltung,
jondern überhaupt alljeitige Hebung unferer Wehrfraft verlangt.
Selbjtverjtändlich hat diejes Verlangen nit den Sinn, daß Alles,
was unferer Armee von Nuten fein fünnte, in die Bundesverfaffung
Aufnahme finden müſſe. Die Bundesverfaffung darf nicht eine voll
ftändige Militärorganifation enthalten, fie darf nur allgemeine Grundfäge,
Zielpunfte und Direktiven aufftellen.
Bon der größten Wichtigkeit für die Hebung unferer Wehrkraft ift
eine ungejäumte und gründliche Landesbefeſtigung. Wohl hat fhon nad)
den Beſtimmungen de8 Art. 21 der gegenwärtigen Bundesverfaffang der
Bund das Recht, im Intereſſe der Eidgenoffenfchaft oder eines größeren
Theiles derfelben öffentliche Werfe zu errichten. Allein bei der Dring-
lichfeit der Frage dürfte e8 nichts fchaden, wenn eine beftimmte, auf die
Landeöbefeftigung Hinweifende Direktive in diefen Artifel Eingang fände.
iR Eine rationelle Landesbefeftigung kann uns zwei Vortheile ge-
währen :
Eritens , daß fie von Vornenherein den Feind abhält, und anzu⸗
greifen, oder |
zweitens, daß wir im Falle eines feindlichen Angriffs mit verdoppelter
Wehrkraft diefem Feind entgegentreten können.
Beim Wiederausbrud) eines Krieges zwifchen Frankreich und Deutſch—
land wird das Erftere jehr wahrſcheinlich verfuchen, den Krieg in das
Land feines Feindes zu tragen. Nun ftehen ihm aber in der Front Metz
und Straßburg drohend gegenüber, fo daß [ὦ die franzöfifche Armee
wohl hüten wird, den Stier bei diefen beiden Hörnern zu paden. Liegt
für die Sranzofen, fo lange unfer Land mit feinen fchönen breiten Heer-
ftraßen offen , unbefeftigt da fteht, die Verfuhung nicht fehr nahe, hier
einen raschen Durchbruch zu wagen? Umgekehrt, werden fie ſich nicht
zweimal bedenken, mit uns anzubinden, wenn die hauptſächlichſten Straßen,
Brücenübergänge und Engpäffe durch ftehende Werke gefperrt find ?
Aber ſollten fie es gleichwohl wagen , welchen immenſen Bortheil
würde uns dann eine rationelle Zandesbefejtigung gewähren ? Ohne dier
felbe ift es gar nicht denkbar, daß unfere Armee gegenüber einem raſch
und ficher operirenden Gegener vor dem Zufammenftoß ſich vollftändig
befammeln , den Aufmarſch vollenden könnte. Und gefegt auch), es ge-
länge ihr dieß, wie fehr würde der Mangel an allen Feſtungswerken die
ον ΚΝ, ὁ δ ε
nachherige Zerjplitierung unferer und δίς Konzentration der feindlichen.
Kräfte befördern !
Ueber die fchweizerifche Zandesbefeitigung, die von denfenden Mili—
tärs jo dringend verlangt wird, herrichen noch vielerorts die irrigiten
Borftellungen. Sei man ſich doch klar, daß man ja feine große Central-
feitung nad) dem Mufter von Met und Mantua will! Nicht nur würde
eine jolche die finanziellen Kräfte unſeres Landes überjteigen, fie entſpräche
auch gar nicht einer geſunden, auf thätige Dffenfive gerichteten Krieg-
führung.
Was unfern Verhältniffen am Beften entfpricht, ift nach meinem
Dafürhalten gar feine eigentliche Feſtung, wohl aber ein Syitem von
Heinen Feſtungswerken und Forts (Sperrforts).
Solde Sperrforts find mit 2—3 Gefhügen fehr ſchweren Kalibers
versehen und für eine Landwehrbefagung von 2 — 400 Manıt ein-
gerichtet.
Supponiren wir einen Angriff von Seiten Franfreihe. Kann da
nicht durd) wohlangebrachte Sperrfort8 im Jura einerfeits, in den Walliferz,
Simmenthaler- und Freiburger Bergen anderſeits, jowohl die rechte, αἱ
die Linke Flanke unferer Aufitelung vollftändig gefichert werden ? Sit
dort die Konfiguration des Landes nicht derart, daß man mit Heinen
Werfen und geringem Koftenaufwand große Thäler, ja ganze Xandes-
gegenden fürmlich ſperren kann? wohlverjtanden nicht fo hermetiſch, daß
nicht einzelne Streifforpe und Armeepartifelhen gleichwohl Hindurd)
fönnen ; aber fperren für jeden größern Truppenkörper, für die Artillerie,
den Train, 20.
Und fommen dazu in. der Ebene noch kleine Werke, welche die
hauptſächlichſten Flußübergänge, die wichtigften Straßen und Eijenbahn-
Inotenpunfte decken, wird durch ein folches Beſeſtigungsſyſtem, das ὦ
vielleicht mit einem Aufwand von nur 10 Millionen erftellen ließe, ohne eine
einzige eigentliche Feftung die Stellung der Schweiz gegen Weften nicht
gerade um das Doppelte verjtärft ?
Diie Kriegsgeſchichte Iehrt, daß ein Gebirgsland feiner Bevöfferring
nur dann Schuß gewährt, wenn nicht nur der Menſch, ſondern aud) das
Terrain für die Kriegsführung gehörig vorbereitet worden ift. Iſt dies
nicht gejchehen, fo wird ſich der fremde Eindringling die Konfiguration
des Bodens ganz in gleicher Weif:, wie der Einheimifche dienjtbar machen
il. sa ὩΣ
fünnen. Ich erinnere nur an die Kämpfe der franzöfifchen Armee unter
Zecourbe, an die Erftürmung der Grimſel ꝛc.
Die alten: Eidgenoffen, welche dem Feind doc ſtets in offenem
Feld entgenzutreten wagten, waren gleichwohl weit davon entfernt die
Bedeutung der Landesbefeftigung zu unterfchägen. War doc faft jede
Stadt eine Kleine Feſtung, waren doch faſt in jedem Thale Thalfperren,
jog. Leben, angebracht, wurden ja doch alle größern Schlachten der Eid-
genoffen um damalige Feſtungen herum gefchlagen (Sempach, Raupen,
Grandfon, Murten, Dornach) oder auc bei Thallegen (Morgarten, Nä-
feld, Stooß). In allen diefen Schlachten diente die Feſtung oder die Thalletze
dazu, den Feind in feinem Vordringen aufzuhalten, und umgefehrt den
Aufmarſch der fehweizerifchen Armee und die Konzentration ihrer Kräfte
zu ermöglichen.
Wie viel nothwendiger erfcheint Heutzutage noch ein rationelles
Syſtem der Landesbefejtigung ?
Hiermit Ichließe ich meine Srörterungen und stelle nur πο die
Trage: Entſpricht einer der beit Anlaß der Bundesrevifion aufgeftellten
Entwürfe allen Anforderungen unferes Wehrmejeng Ὁ
Den Entwurf der nationalräthlihen Kommiffion übergehe ich, weil
derjelbe in einigen Punkten {θαι [ἃ ὦ Hinter die gegenwärtige Bundes-
verfaſſung und die Schon bejtehenden Kompetenzen des Bundes zurücgeht.
Der bundesräthliche Entwurf ift eine Abſchwächung des letztjährigen.
Der legtjährige Entwurf, welcher allen Anforderungen weitaus am
meiften entfpricht,. hat immerhin zwei bedeutende Mängel: Einerſeits,
weil er ſich für die Vollziehung der Militärgejege noch immer an die
Kantone bindet und überdies neben dem Bundesheere noch immer bejondere
fantonale Truppenförper vorſieht; amdererfeits, weil er zu viel der Geſetz—
gebung überläßt und uns feine ficheren Garantien gibt gegen eine über-
triebene, militärifch wie politifch verwerfliche Centralifation.
. ‚Würde nicht dem Verlangen des Solothurner Volfstage® nach all-
feitiger Hebung und nationaler Geftaltung unferer Wehrfraft und gleich
zeitig auch den berechtigten Wünfchen und Befürchtungen der Föderaliſten
Rechnung getragen, wenn man den Milttärartifeln etwa folgende Faſ— :
jung gäbe? | —59 —
Art. 18. Jeder Schweizer iſt wehrpflichtig. Wehrmänner, welche
infolge des eidgenöffifchen Militärdienſtes ihr Leben verlieren oder dauernden
u en
Schaden an ihrer Gefundheit erleiden, haben für fi) oder ihre Familien,
im Talle des Bedürfniffes, Anfprud) auf Unterftügung de8 Bundes.
Derjelbe jorgt durch Beſtimmung eines Theiles der Milttärpflichterfag-
jteuern für Aeuffnung eines Hinreichenden Fonds.
Art. 19. Das Bundesheer bejteht aus der gefammten, nad) der
eidgenöffiichen Geſetzgebung dienftpflihtigen Mannfchaft. In Zeiten der
Gefahr verfügt der Bund auch über die nicht in das. Bundesheer ein-
getheilte Mannſchaft und alle übrigen Streitmittel, über deren Beſtand
Kontrole geführt wird. Die Kantone verfügen, infoweit fie nicht durch
verfaffungsmäßige oder gejegliche Anordnungen befchränft find, -direft und
ohne Vermittlung der Bundesbehörden über die Wehrfraft ihres Gebietes,
insbejondere auch über die aus ihrem Gebiete refrutirten taktiſchen Ein—
heiten de8 Bundesheeres ſammt deren Rriegsmaterial.
Art. 205. Der Bund erläßt die Geſetze über das Heerwefen. Der
Bund ertheilt den gefammten Militärunterriht. Die Koften des Unter—
richtes, der Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüftung trägt der Bund.
Das Kriegsmaterial der Kantone in demjenigen Beitande, welder nad)
den bisherigen Geſetzen vorgefchrieben ift, geht auf den Bund über.
Immerhin bleibt das Berfügungsreht der Kantone, nah Maßgabe von
Art. 19, Lemma 3, vorbehalten. Der Bund ift berechtigt, die Waffen-
pläße und die zu militärischen Zwecken dienenden Gebäude, melde in den
Kantonen vorhanden find, nebſt der zugehörigen Einrihtung, zur Be—
nußung oder als Eigenthum zu übernehmen. Die näheren Bedingungen
der Uebernahme werden durch die Bundesgefeßgebung geregelt.
Art. 20° Die Ausführung der Militärgefege gejchteht, unter Auf-
jicht de8 Bundes und der Kantone, durch die Organe des Bundesheeres.
Hinfihtlid) der Organifation und Verwaltung follen folgende Grundſätze
zur Anwendung fommen: 1) Das Bundesher jol nah dem Terri—
torialitätsprinzip eingetheilt fein. 2) Soweit nicht militärifhe Gründe
‚entgegenjtehen, jollen die taftiihen Einheiten aus der Mannjchaft dejjelben
Kantons gebildet werden. 3) Jeder Truppenförper von der Größe einer
taftiichen Einheit der Anfanterie verwaltet auch in Friedenszeiten fein
‚ganzes, zur feldmäßigen Ausrüftung gehörendes Kriegsmaterial, insbejondere
die Munition, jelbjt. Das Kriegsmaterial, ſoweit es nit an die Mannjchaft
abgegeben werden fann, ift im Stammbezirfe des betreffenden Truppenförpers
zu magaziniren. 4) Die Infanteriewaffe bleibt in den Händen des Mannes.
BR
5) Es follen in verfchiedenen Landesgegenden der Schweiz eine Anzahl für
den Rriegsfall leiftungsfähiger Munitionsfabrifen erjtellt werden.
Hinfihtlih der Inſtruktion follen folgende Grundfäge zur Ans
wendung fommen. 1) Der Bund verwendet zur Ertheilung des mili-
tärifchen Unterrichtes das Cadre des Bundesheeres. 2) Der militärische
Unterricht des Bundesheeres fol an einen vorbereitenden, in der Volks—
ſchule zu ertheilenden Unterricht anjchließen.
Die Mitwirkung der Kantone an der Ausführung der Militär-
gefege wird durch die Bundesgefeßgebung geregelt.
Art. 21. Dem Bunde fteht da8 Recht zu, im Intereſſe der Eid-
genofjenfchaft oder eines großen Theils derjelben, insbefandere zur
Bornahme einer allfeitigen Randesbefeftigung, auf Koften
der Eidgenoſſenſchaft öffentliche Werke zu errichten u. ſ. w.
| IV.
Recht.
(Solotdhurner Bolfstag.) Anbahnung eines einheitlichen Rechtes,
In diefer Forderung liegt eine Konzeſſion an die Föberaliften
injoweit, als zwar an der Idee der Recht3einheit feitgehalten, dagegen
dieje Rechtseinheit nicht ſofort in's Werk gejebt, jondern eben nur an—
gebahnt werden joll. Die Möglichkeit, zu einem einheitlichen Rechte zu
gelangen, joll durch die neue Bundesverfaffung dem Schweizervolke ge=
geben tWerden; dagegen joll die Gentralifation manches Rechtögebieteg,
die im lettjährigen Programme appodiktiih verlangt war, fafultativ
gelafjen werden.
Die Anträge des Bundesrathes jcheinen mir in diejer Beziehung
dem Berlangen des Solothurner Volkstages nah „Anbahnung eines
einheitlichen Rechtes" vollftändig zu entſprechen.
Wie zu Gunften der Schwurgerichte denjenigen Kantonen, welche
diejes Inſtitut bereits befigen, in jämmtlichen Revifionsentwürfen eine
Konzeffion gemacht worden ift, jo ſcheint es mir, könnte aud zu Gunften
eines andern Inſtitutes eine Konzejfion an gewiſſe Kantone in Die
Bundesperfaffung aufgenommen werden. Dieſes Inſtitut find die bereits
erworbenen unablösbaren Grundpfandredhte, die Gültbriefe, für deren
Fortdauer ein großer Theil der landwirthſchaftlichen Bevölferung bejorgt
ift. Könnte man nicht dem, vom Bundesrathe borgejchlagenen Art. 55
etwa noch folgenden Zuſatz geben: „Bereit3 erworbene unablösbare
Grundpfandrechte dürfen durch die Bundesgejegebung nicht ablösbar
erklärt werden.”
RE VER
Im Uebrigen gibt der Rechtsartifel inſoweit zu feinen Bemerkungen
Anlaß, als die Wünjchbarkeit eines einheitlichen Rechtes im Grunde ge-
nommen bon allen Richtungen, auch von den Föderalijten, zugegeben
wird. Die Differenzen drehen fi nicht um da3 einheitliche Recht jelbit,
ſondern lediglihd um die Frage, mie und durch melde Organe diejes
einheitliche Recht geſchaffen werden joll, ob auf dem Wege von jogenannten
Berfaffungsgefegen, unter oder ohne Mitwirkung der Kantone, mit oder
ohne Referendum? Auf diefe Fragen merde ich bei der jogenannten
„Erweiterung der Volksrechte“ zurüdfommen.
— —— ———— — —
Υ.
Soziales.
(Solothurner Volkstag.) Bolfswirthichaftliche Neformen. — Ermeiterung der
individuellen Rechte. — Ein Schweizerbürgerrect.
Soviel πο zu wünſchen wäre, hier wollen wir den Reviſions—
wagen nicht überladen! Was uns von den Räthen geboten wird, ift
entichieden gut; das Auffichtsrecht des Bundes über die Waflerbau- und
Forſtpolizei im Hochgebirge; die einheitlichen Beitimmungen zum Schuße
der Arbeiter gegen Gejundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb
und über die Kinderarbeit in den Yabriken; die Regelung des Banfnoten-
wejens; die unbejchränfte Befugniß zur Feſtſetzung von Maß und Ge-
wicht; das Verbot der Spielbanten — dies Alles find volkswirthſchaft—
lie Reformen von großer Tragweite. Und mas die Erweiterung der
individuellen Rechte anbelangt, jo find die Freizügigkeit der wiſſenſchaft—
lihen Berufsarten und der Eheartifel wahre Perlen der Revifion. Aber
Eins fehlt uns, daS und weder im Niederlafjungsartifel des letztjährigen
Entmwurfes, ποῦ im MNiederlaffungsartifel der diesjährigen Entwürfe
geboten wird: das Schweizerbürgerredt.
Mas faht diefer Begriff in ſich?
1) daß das ganze Schweizerland einfach wie eine große Ge—
meinde angejehen wird, im welcher ſich jeder Schweizer
abjolut frei bewegen und fich überall niederlafjen fann, wo
68 ihm beliebt;
2) daß jeder Schweizer an dem Orte, wo er ich niedergelafjen
hat, aljo an dem Orte, der den Mittelpunkt jeiner Lebens-
thätigfeit bildet, auch im Vollgenuſſe aller. feiner bürgerliche ἢ
und politiichen Rechte fteht.
DB
cn
Der letztern Anforderung ift dur Art. 42 jo ziemlich Rechnung
getragen ; nicht fo der freien Niederlaffung durch Art. 44. Wohl find
in diefem Artikel im Bergleich zu den bisherigen Züftänden große Fort=
Ichritte enthalten ; aber jo lange die Kantone noch berechtigt find, Kris
minalijirte oder Verarmte auszumeifen oder ihnen die Niederlaffung zu
verweigern, kann von einem Schweizerbürgerreht im Sinne des Solo—
thurner Bolkstages nicht die Rede jein.
Warum einem Kriminalifirten, dem e3 mit feiner Befferuug Exnft
it, nicht die Möglichkeit verſchaffen, fi) durch eine Veränderung feines
Wohnſitzes feiner bisherigen Umgebung, der Verführung und der Ber-
ahtung, zu entziehen und an einem neuen Ort ein neuer Menſch
zu werden ?
MWarım dem DBerarmten zur ganzen Laſt τὰς Daſeins auch
noch die Laſt aufbürden, wie ein Peſtkranker von einem Ort zum andern
geichoben zu werden? ἢ
Ich verkenne die Schwierigkeit durchaus nit, von Bundeswegen
in die Armenverhältnifje der Kantone einzugreifen. Streiten fi) doch
gegenwärtig in den Kantonen drei verichiedene Syſteme um den Vor—
rang: das der ödrtliden, daS der heimathlichen und das der abjolut
freiwilligen Armenpflege.
Der Bund mag es da anfangen, wie er mill: Sobald er an die
armenrechtlichen Verhältniffe der Kantone Hand anlegt, wird er bejtehende
Anschauungen und Borurtheile verlegen, der Oppofition gegen den Nie⸗
derlaſſungsartikel rufen.
Wäre ἐδ da nicht am einfachſten, man würde Die ἘΝ der
Armengenöffigfeit von derjenigen der Niederlaffung vollſtändig trennen,
gerade jo wie man die Frage der Burger- und Korperationsgüter eben-
fall3 davon getrennt Hat? Nur dann gelangen wir zu einem mahren
Schweizerbürgerrecht, wenn mir ‚einerjeit3 daS Necht der Niederlaffung
unter den Schub des Bundes ftellen, und wenn wir amderjeitS die
Regelung der Armenverhältniffe ebenjo ausjchlieglih den Kantonen
überlafjen.
Bon Bundeswegen ſei das Niederlaffungsrecht jedes Schweizers ein
unbejchränftes. Nehme man doc Amerika zum Borbid! Wenn ich
mic) auf dem weiten Gebiet der Union niederlaffen kann, mo ich will,
ohne daß ich jemanden wegen meiner Vergangenheit oder meiner Ver⸗
EN
mögensumſtände Rechenſchaft ablegen muß, jo jollte dieß doch in der
Heinen Schweiz auch möglich fein.
Allein umgekehrt laſſe man den Kantonen die Freiheit, die Ange—
hörigen aus andern Kantonen in Bezug auf die Armenunterftügung
gutfindenden Falls unter ein Ausnahmsgeſetz zu ſtellen, fie nach Belieben
gar nicht oder in einem geringern Maße zu unterftügen, als die eigenen
Kantonsangehörigen. Kommt jo ein Schweizerbürger aus einem andern
Kanton in eine Gemeinde und verarmt da, jo fünnen folgende Even—
tualitäten eintreten: Entweder er läßt ſich durch jeine Armuth verleiten,
zu betteln, zu vagiren, die Leute zu beläftigen ; dann fällt er unter das
Armenpolizeigejeg des betreffenden Kantons und wird beftraft; oder er
bettelt nicht, er vagirt nicht, er beläftiget nicht, aber er und feine Fa—
milie Hungert ; dann kann ihn der betreffende Kanton, die betreffende
Gemeinde, wenn fie das Herz dazu hat, einfach feinem Schickſal über-
lafjen. Jeder Kanton joll beredtigt fein, einen Shweizerbürger
aus einem andern Kanton verhungern zu lajjen; aber er
joll nit bere&tigt jein ihn fortzumeijen.
| Glaubt man nicht jo weit gehen zu fünnen, jo adoptire man doch
den bezüglichen Antrag der nationalräthlien Kommiſſion, welcher wenigitens
einen Uebergang zum Schweizerbürgerrecht enthält.
Dem Berlangen nad einem Schweizerbürrecht fchiene mir etwa
folgende Faſſung der Art. 42 und 44 zu entipreden :
Art. 42 fiatt Yemma 4:
Der Niedergelafjene genießt an ſeinem Wohnſitz alle Rechte der
Kantonsbürger und mit Ddiefen auch alle Rechte der Gemeindsbürger,
mit Ausnahme :
1) des Mitantheil3 an Burger- und Korporationsgütern,
2) der Berehtigung zu öffentlicher Unterftügung im Falle der
Berarmung. |
Urt. 44. Feder Schweizer hat das Recht, ſich innerhalb des
jchmweizeriihen Gebietes an jedem Drte niederzulaffen, wenn er einen
Heimathichein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisſchrift beſitzt.
Die Regelung der armenretlihen Berhältniffe der Niedergelaffenen
it ausihlieglih Sache der Kantone.
(Lemma 2, 3, 4 fällt weg, 5 und 6 bleibt).
vi.
Schule und Kirche.
(Spolothurner Volkstag.) Eine obligatorijche, unentgeldliche und konfeſſioneller
Führung entzogene Volksſchule (nad) franzöfiicher Ueberſetzung é6cole laique ). —
Eivilehe und von bürgerlichen Beamten geführte Civilſtandsregiſter. — Freiheit für
jedes Glaubensbefenntnig. — Wahrung der Rechte des Bundes gegen jede Kirchen-
organijation und jede Firchliche Anftalt, die nicht auf nationaler und republifaniicher
Grundlage beruht. — Aufhebung der Nuntiatur und der nicht national und republi-
kaniſch organijirten Bisſsthümer.
Wie das politiſche, ſo iſt auch das kirchlich-religiöſe Leben durch—
weht von einem demokratiſchen Zuge. Allein, während wir Schweizer
auf politiſchem Gebiete die unbedingte Gleichheit vor dem Gejebe, das
allgemeine Stimmrecht, daS freie Vereins- und Verſammlungsrecht ſchon
befigen, {πὸ wir auf firhlichem Gebiete erſt an der Schwelle der Neu—
zeit angelangt und haben erſt angefangen, uns don den Banden fonfelfio=
neller Bevormundung loszuringen.
Diefer demofratifche Zug Hat jeine tiefe Berechtigung. Während
viele ἅπας Gemüther davon die Zerfegung, den Zerfall des Firchlichen
Lebens befürchten, hege ich umgekehrt die fejte Ueberzeugung, daß [ὦ
heutzutage nur in vollftändig demofratifirten Einrichtungen ein gejundes,
firchliches Leben entwideln Tann. In der Freiheit wird Π ein großer
Theil unſeres Volkes, den das unrepublifaniiche Bevormundungsſyſtem
Bisher der Kirche entfremdete, mit Liebe wieder den firhlichen Beftrebungen
zumenden.
Der demofratiiche Zug auf kirchlichem Gebiete, die Oppofition gegen
jede konfeſſionelle Bevormundung, macht fi in verſchiedenen Richtungen
geltend. |
-
—— u Wer τᾷ IE Δ Ὰ v
Vorerſt will ſich der Einzelne für feine Berfon durch Leine konfeſſio—
nellen Hafen oder Häklein den Vollgenuß feiner bürgerlichen Rechte irgend—
wie berfümmern laſſen. Er will feine Ehe abjchliegen, feine Kinder in
die. Standesregifter eintragen lafjen können, ohne irgendwelche konfeſſio—
nelle Gebräuche mitmachen, ohne irgend jemanden darüber Rechenschaft
ablegen zu müfjen, ob. er Ddiejer oder jener oder auch gar feiner Kon—
fejfion angehöre. Solange wir noch kirchliche, ſtatt bürgerliche Trauung,
jolange wir ποῷ Taufregifter, ftatt Geburtsregifter Haben, ift der Bürger
bon den Fonfejlionellen Hafen und ὁ εἴπ nicht befreit.
Ferner will fih der Bürger durch feine Konfeffion in der Aus—
übung feiner elterlichen Rechte beſchränken laſſen. Er will nicht gezwungen
jein, jeine Kinder einen beftimmten Religionsunterricht befuchen und ihnen
eine Erziehung angedeihen zu lafjen, die vielleicht mit feiner eigenen, fitt=
(ich religiöfen Ueberzeugung im Widerſpruch jteht. Jeder Zwang in Diefer
Beziehung ift gewiß nur vom Uebel. Mag die Oppofition des Bürgers
‚gegen einen bejtimmten KReligionsunterricht nun von einem geläuterten
religiöſen Bemwuptjein oder aber nur von Gleichgültigfeit oder Feindſchaft
gegen Alles Religiöje herrühren: Im einen, wie im andern Falle kann
Zwang nur dazu dienen, die Kluft zwiſchen ihm oder feinen Kindern
und der Kirche zu erweitern.
Wie im Bezug auf das religiöfe oder * nicht religiöſe Einzel—
leben, jo macht ſich der demokratiſche Zug der Zeit geltend auch in
Bezug auf das kirchliche Genoſſenſchaftsleben. Gleichheit der Rechte
für alle Konfeſſionen, ſofern ſie gewiſſe, aus dem Weſen des republi—
kaniſchen Staates nothwendig ſich ergebende Bedingungen erfüllen. So
wenig als in das religiöje Einzelleben, ebenſowenig foll der Staat in
das Kirchliche Genoſſenſchaftsleben — mo dafjelbe wirklich nur religiöfe
Zwecke verfolgt — mit roher Hand eingreifen.
Wie das Borrecht bejtimmter Konfejfionen und Dogmen, fo ver-
urtheilt der demofratiiche Zug unferer Zeit au) das Vorrecht eines be-
fimmten Standes — des geiftlihen. Die Kirche ift die Gemeinfchaft
der Gläubigen. Wo der Geiftlihe mehr fein will, als ein Diener diefer
Kirhe, mehr als ein beitellter Lehrer und Ausleger, mehr als ein be—
geijterter Verkünder göttlicher Wahrheiten; wo der Geiftliche, Kraft der
Würde jeines Amtes, fi) vor Gott und dem Menfchen über die anderen
Kicchenglieder erhaben und bevorrechtet fühlt, wo er, kraft der Würde
Be I Re
jeines Amtes, eine ftändige Vermittlerrolfe zwiſchen Gott und den
MWeltlihen beanjprudt, wo er endlich, Fraft der Würde feines Amtes,
die Gemifjen beherriht und knechtet, — da. foll dem Geiftlichen
heutzutage ‚fein Waizen mehr blühen! Unfere demofratifhe Zeit mag -
Propheten gar wohl vertragen; ja, in Wahrheit jollte jeder Geiftliche
ein Prophet jein; aber was fie nicht mehr verträgt, find geiftlihe —
proteftantijche oder katholiſche — Hochwürden.
Wie jehr mißkennt ein großer Theil unjerer Geijtlichfeit noch immer
die Zeichen der Zeit, und mie jehr ΠῚ dadurch — gerade unter den
Liberalen — die Abneigung und das Miptrauen gegen den ganzen
Stand vermehrt und verſchärft worden! Wie's in den Wald Ichallt,
jo jchallt’3 wieder Heraus. Weil die Geiftlichfeit in kirchlich-religiöſen
Dingen noch immer ein Vorrecht vor den Weltlihen beanſprucht, jo find
vielerort3 die Weltlihen dazu gefommen, nicht nur, wie recht und billig,
dieſe Anſprüche zurüdzumeiien, jondern auch umgekehrt, den Weltlichen ein
Vorrecht vor den Geiftlichen zu verſchaffen; jo beim Ausſchluſſe der Geift-
lichen aus vielen gejeßgebenden Behörden, aus der Volksſchule ꝛc. Da=
mit hat man nun offenbar über das Ziel Hinausgejhoffen. Sp wenig
man dem geiftlihen Stand bejondere Rechte einräumen, jo wenig man
Π don ihm bevormunden lafjen jol, ebenjowenig joll man aus ihm
einen Pariasſtand machen, ebenjomwenig joll man ihm die, jedem Schmeizer-
bürger zuftehenden bürgerlichen und politifchen Rechte vorenthalten.
Mo die Gegenjäbe noch immer am ſchroffſten auf einanderftogen,
it die Volksſchule. Während diejelbe noch vielerorts einen ftreng kon—
fejfionellen Charakter Hat und ganz unter dem Einfluffe der Geiftlichkeit
fteht, geht umgekehrt eine ſcharf ausgejprochene Richtung dahin, den
Religionsunterricht aus der Volksſchule zu verbannen und die Geiftlichen
aus derſelben auszufchliegen — offenbar nur eine Rückwirkung gegen
jenes Bevormundungsiyiten.
Der Solothurner Volkstag verlangte weder das eine, ποῷ das
andere. Dei der vorausgegangenen Berathung der Rejolutionen wurde
von dem Ausdrude „konfeſſionsloſe“ Volksſchule, weil unklar. und zwei—
deutig, Umgang genommen, dagegen der Ausdrud adoptirt: fonfefjioneller
Führung enthobene Volksſchule“. Wenn man bei der Ueberſetzung in’s
Sranzöfiiche den — allerdings auch zmweideutigen — Ausdrud „Ecole
laique* zuließ, jo geſchah dies nur mit dem ausdrüdlichen Vorbehalte,
aa N τ ἢ ΜΡ... » Ὺ
BESERT, ', pen
daß der Ausprud | „Ecole laique* in diefem, und nur in diefem Sinne
verſtanden jein jolle.
Eine gejeglihe Beſtimmung, daß nur ein „fkonfeſſionsloſer“ Reli—
gionsunterricht ertheilt werden dürfe, ift praftifch nicht durchführbar, meil
jih die Grenzlinie gejeglich nicht beftimmen läßt, wo beim Religions—
unterrichte das Konfeffionelle anfängt und wo es aufhört. Etwas konſe—
quenter wäre allerdings die Verbannung des Religionsunterrichts überhaupt.
Allein auch hier muß man fragen, wo fängt der Religionsunterricht an,
wo hört er auf? Iſt nicht auch in der Naturlehre, im Geſchichtsunter—
richte, in der Geographie eine fittlich=religiöfe Einwirkung möglich?
Und wenn ἐδ auch gelingen jollte, die Religion vollftändig aus
der Volksſchule zu verbannen, was gewänne man dabei? Iſt denn die
Religion in Wahrheit eine jo gefährlihe Sache?
Verſteht man unter Religion nicht blos ein künſtlich aufgerichtetes
Dogmengebäude, nicht blos ein Fürwahrhalten diejer oder jener gejchichtlichen
Thatſachen, nicht blos ein Syſtem äußerer Objervanz, jondern eine höhere
Triebfeder zur Bekämpfung der Selbjtjucht, zur Unterordnung unter eine
jittliche Weltordnung, die Richtung aller Geiftesfräfte des Menſchen auf
ein großes, ideales Lebensziel Hin — ijt dann ein Religionsunterridt,
der in den Herzen der Jugend ſolche Gefinnung pflanzen, der: jolche
Bereinigung aller Geiftesfräfte bewirken fann, in Wahrheit nicht die
Blüthe, das deal einer gefunden Bolfserziehung? Und wenn vieler-
orts der Religionsunterricht nicht ift, wie er jein jollte, wenn taujend
Schlingpflanzen und Unfräuter das Ewige, Unvergängliche überwuchern,
it nicht trogdem jede Religion, jo ungeläutert fie jein mag, thatjächlich
für das Volk no immer der Brennpunkt feines geiftlich-fittlichen Lebens,
wird nicht das Volk immer fein Schönftes und Beites, Alles, wodurch
es über die Regungen der Selbitjucht, über den Staub des Erdenlebens
erhoben wird, zu jeiner Religion, zu feinem Gottesdienjte in die engſte
Beziehung bringen?
Iſt es da nicht eine Heilige Pflicht, auch in der Volksſchule an
dieje oberſte ideale Triebfeder des Volkes anzufnüpfen und dafür zu
jorgen, daß nah und nad die erjtidenden Schlingpflanzen und Un—
fräuter entfernt , die religiöfen DBorftellungen und Begriffe geläutert
und dadur die Kraft des fittlihen Willens gehoben werden kann?
3
Viktor Hugo’3 Ausſpruch, „den Unterricht für die Schule, die Er—
ziehung für die Yamilie”, iſt eben nichts als ein Bonmot und entſpricht
ganz der Franzöfiihen Oberflächlichkeit. So menig man die einzelnen
Seelenfräfte des Menjchen, Vernunft, Berftand, Gemüth, Willen, mwill-
fürlich auseinanderreigen kann, ebenjowenig {Π es möglich, Unterricht und
Erziehung, Verſtandes⸗, Gemüths- und Willensbildung durch eine hinefische
Mauer zu trennen.
Ich mißkenne die materialiftiiche, dem Idealeu feindliche Strömung
unferer Zeit durchaus nicht; allein ich Hoffe, eS ſei dieſe Strömung nur
ein Auswuchs der Zeit, eine, im Leben der Völker, wenigſtens im Leben
unſeres Volkes vorübergehende Erſcheinung. So menig modern Dies
Eingen mag, wahr it es doch: wichtiger als alle Reformen auf. poli=
tiſchem und fozialem, auf militäriſchem und rechtlichem Gebiete, wichtiger
als alles Das, iſt für unfer Volk die Hebung der fittlihen Kraft, die
Zäuterung der religiöfen Begriffe und Borftellungen, die Feſtigung des
religiöfen Bewußtſeins. Lehrt uns nicht Die Gejchihte, dag nur δα 8
Volk Frei bleibt, welches ſich vor den zerjegenden Einflüffen des Mtateria-
lismus bewahrt, welches feinen fittlih=religiöjen Kompaß nicht verliert?
Sp mwiderwärtig jeder Glaubensfanatismus, ebenjo widerwärtig ijt ver
Fanatismus des Unglaubens. Der eine, wie der andere, entjpringt aus
einem jchmalen Gehirn oder aus einem engen Herzen, der eine, wie der
andere joll der Volksſchule fern bleiben.
Ich frage noch einmal, wenn e3 auch gelingen jollte, die Religion
vollftändig aus der Volksichule zu verbannen, was gewönne man dabei ?
Glaubt man etwa, man würde damit den Religionsunterricht überhaupt
unterdrüden fünnen? Nein, aber jtatt den Religionsunterricht zu heben,
ftatt ihn unter öffentlicher Kontrolle in der Volksschule ertheilen zu laſſen,
würde man ihn umgekehrt den ertremen religiöfen Richtungen außer der
Bolsihule in die Hände jpielen, der öffentlichen Kontrolle entziehen,
mehr und mehr zu einer Pflanzſchule konfeſſioneller Selbitgerechtigfeit
und gegenfeitiger DVerfegerung herabmwürdigen. Nehmt der Volksſchule
alien Religionsunterriht und ihr verwandelt eine fruchtbare Wieje in
ein dürres Haideland, ihr entzieht der Volksſchule ihren Schwerp unft,
ihr entzieht ihr das lebendige Interefje des Volkes; gegen euren Willen
wird ſich die Schule früher oder ſpäter vom Staate trennen und sh,
vom Staate emanzipirten Kiche nachfolgen.
J
Alſo den Religionsunterricht nicht aus der Volksſchule hinaus!
Dafür aber Freiheit im Religionsunterricht, vollſtändige, allſeitige Freiheit!
In erſter Linie, wie es die nationalräthliche Kommiſſion in Art. 48
verlangt, Freiheit für den Einzelnen. Während ſonſt grundſätzlich der
Unterricht in der Volksſchule ein obligatoriſcher iſt, ſoll es umgekehrt
beim eigentlichen Religionsunterricht, der ſo tief in das innerſte Heilig—
thum der Familie eingreift, von Bundeswegen jedem Bürger unbedingt
freiſtehen, ſeine Kinder dieſen Religionsunterricht beſuchen oder auch
nicht beſuchen zu laſſen. „Wo der Geiſt des Herrn iſt, da iſt die Freiheit“,
alſo kein Zwang, ſondern vollſtändige, allſeitige Freiheit. Iſt der Re—
ligionsunterricht in der Volksſchule ſo, wie er ſein ſollte, ſo wird er
ſeine Anziehungskraft ſchon geltend machen.
Aber Freiheit nicht nur für den Einzelnen, Freiheit auch für die
Schule gegenüber der Konfeſſion. Um dieſe Freiheit zu ermöglichen, muß
nothwendig ein Prinzip, das ſich gegenwärtig im kirchlichen Leben der
Kantone Bahn brechen will, in der, von der Eidgenoſſenſchaft überwachten
Volksſchule zur Anwendung kommen. Dieſes Prinzip iſt das Gemeinde—
prinzip. Jede Volksſchule beruht auf einer Volksſchulgemeinde. Dieſe
Schulgemeinde ſoll von Bundeswegen berechtigt ſein, in der Volksſchule
den, ihrer Ueberzeugung zuſagenden Religionsunterricht ertheilen zu laſſen.
Keine Konfeſſion ſoll da durch Vermittlung der Kantonalbehörden hinein—
regieren, bindende Vorſchriften aufſtellen, Dogmen- und Glaubenszwang
ausüben können. Die Volksſchule ſei, wie es der Volkstag in Solothurn
verlangte, konfeſſioneller Führung, konfeſſioneller Bebormundung enthoben,
eine Ecole laique in dieſem und nur in dieſem Sinne.
Der Bund und die Kantone dagegen übernehmen die Pflicht,
. darüber zu machen:
1) daß die den Eltern Hinfichtlich des Religionsunterrichtes ge-
währte Freiheit in feiner Weile beeinträchtigt werde;
2) daß der Religionsunterricht in der Volksſchule die Sittlich—
feit, die öffentlide Ordnung und den fonfeffionellen Frieden
nicht. verlebe.
Alto eine öffentliche Kontrolle hierüber joll fattfinden im Uebrigen
aber ſoll weder der Staat, noch eine Konfeſſion in den Religionsunter—
richt eingreifen dürfen.
Wie im Bezug auf den Religionsunterricht, jo ſtoßen in der Volks—
ſchule αὐ in Bezug auf die Stellung der Geiftlihen die Gegenjäge ſchroff
auf einander. In einigen Kantonen ift den Geiftlichen πο von Amtes-
wegen eine bevorzugte Stellung in der Schule eingeräumt; das demo-
kratiſche Prinzip verlangt, daß dieje VBorrechte aufgehoben, daß jede geilt-
πῶς Herrjhaft oder Benormundung gründlich bejeitigt werde. Allein
auch hier wollen wir nit in das andere Ertrem verfallen; die Geijt-
lichen ſollen als ſolche im Volksſchulweſen gerade die gleichen Rechte haben,
tie jeder andere Schweizerbürger, nicht mehr, nicht minder. Ihr Aus—
Ihluß aus der Volksſchule wäre eine um jo größere Ungerechtigkeit, als
die Volksſchule namentlich der proteſtantiſchen Geiftlichfeit viel, ſehr viel
zu verdanken hat. Sind doch in vielen Gemeinden die Geiftlichen, jeien
fie num dieſer, jeien jie jener dogmatischen Richtung, recht eigentlich die
Stütze der Volksſchule, die Förderer ailer freilinnigen und humanen
Beftrebungen. Daneben will ih nicht leugnen, daß es nicht auch Geift-
lie entgegengejegter Art gibt. Allein bevor wir Jurijten die Entfernung
der Geiftlihen aus der Volksſchule verlangen, follten wir uns doch vor—
her ehrlich Fragen und uns dieſe Frage ebenjo ehrlich beantworten, was
denn wir Juriften bis jegt in der Volksſchule geleiftet haben?
Wenn gegen die ultramontanen Geiftlihen und insbejondere gegen
die Ordensgeiftlichen geltend gemacht wird, daß ohne die Beſchränkung
ihres Einflufjes die Volksſchule jchlechterdings nicht gedeihen könne, 70
gebe ich dies unbedenklich zu. Wenn ihnen aber diejer ſchädliche Einfluß
Toll entzogen und unter Umftänden jede Bethätigung in der Volksſchule
Toll unterjagt werden fünnen, jo muß der Grund zu einer ſolchen —
nur jheinbar ausnahmsweilen — Behandlung in etwas ganz Anderen
liegen, als in ihrer Eigenjchaft als Geiftlihe. Maßgebend find Hier höhere
nationale Gefihtspunfte, auf die ich Tpäter zu reden komme.
Im Mebrigen ift da, wo es fih um Gewährung bürgerlicher Rechte,
oder um die Auferlegung bürgerlicher Pflichten Handelt, der einzig
rihtige Standpunkt der, daß man weder Klerifer noch Laien, jondern
nur gleichberechtigte und gleich verpflichtete Schweizerbürger Fennt.
Ich refümire dahin: der demofratifche Zug der Zeit verlangt nicht
Ausſchluß des Religionsunterrihtes, nicht Ausſchluß der Geiftlihen aus
der Volksſchule. Das Einzige, was er verlangt {Π Bejeitigung
des Staatskirchenthums, foweit dasjelbe Die Bevorrechtung
A
Diefer oder jener Glaubensrichtung, diefes oder jenes Standes, joweit e3
die fonfejfionnelle Bevormundung der Schule, joweit e3 daS Hineingreifen
des Staates in. das Glaubensleben des Einzelnen und der kirchlichen
Genoſſenſchaften in ſich faßt.
| . Die Trennung de3 Staates don der Kirche, gleichbedeutend mit
der bollftändigen Indifferenz des Staates gegenüber den fittlich-religiöjen
Beftrebungen, iſt durchaus nicht eine nothwendige Konjequenz dieſer
Befeitigung des Staatskirchenthums. Gerade im demokratischen Staat,
wo da3 gleiche Volk den Staat, das gleiche Volk bis auf verſchwindend
Heine Minderheiten die Kirche oder die Gejammtheit der Kirchen bildet,
wo Staat und Kirche eigentlich nichts Anderes find, als verjchiedene
Zebensäußerungen eines und desjelben Volkes, gerade im demofratiichen
Staat halte ich diefe vollftändige Ixennung von Staat und Kirche für
ein unnatürliches Verhältnig. Wie im einzelnen gejunden Menſchen Die
verichiedenen Geiftesträfte ſich Harmonijc ergänzen und vertragen, jo
Indien auch im demokratiſchen Bolfsleben die verſchiedenen Lebens-
äußerungen diejes Volkes in Harmonie und lebendiger Wechjelbeziehung
zu einander ftehen. Wie die Kirche zum Staat, jo joll der Staat zur
Kirche, oder zur Gefammtheit feiner Kirchen in ein freundliches, wohl—
wollendes Verhältniß treten, und Soll fi) diefe Kirchen- und Religions—
freundlichfeit des Staates vor Allem aus darin bewähren, daß er die
fittlichereligiöfen Beftrebungen der Kirche mit feinen materiellen Hülfs-
mitteln unterftügt, und daß er e3 dadurch nicht nur den reichen, ſondern
auch den armen LZandesgegenden und Gemeinden ermöglicht, Religions—
lehrer zu Halten, öffentliche Gebäude für den Gottesdienſt zu benußen. -
Allerdings’ wäre nun eine Konjequenz des demokratischen Prinzips,
eine Konfequenz der Beſeitigung des StaatzkirchenthHums die, daß von
Bundeswegen fejtgefeßt würde: die Kantone haben, jofern fie die kirch—
lihereligiöfen Beftrebungen aus Staatsmitteln unterftügen mollen, dieſe
Unterftügungen gleihmäßig allen Religionsgenoſſenſchaften, allen kon—
feffionellen Richtungen zu verabfolgen.
Eine fernere Konfequenz wäre ferner die, von Bundesmwegen das
Gemeindeprinzip, wie wir e3 für den Neligionsunterriht in den Schul-
gemeinden borjchlagen, auch für die territorialen Kirchgemeinden zur
Anwendung zu bringen, und von Bundeswegen feitzujegen, daß nicht
nur die privaten kirchlichen Genoſſenſchaften, jondern auch jede ſtaatlich
N μι:
anerkannte, territoriale Kirchgemeinde als ſolche, ihre Kirchlich - religiöfen
Berhältnifie innerhalb der Schranken der Sittlichfeit und öffentlichen
Drdnung frei und unabhängig von jeder Konfelfion ordnen dürfe.
Sollen wir anläßlich der Bundestevifion diefe Konjequenzen ziehen ?
Ich glaube nein. Die gleidmäßige ftaatlide Unterftügung aller. reli—
giöſen Richtungen, inbegriffen die Sekten und die Juden, märe eine
Forderung an die Kantone, für welche einjtweilen dem Volke das Ver—
ſtändniß vollftändig abgeht. Und was die zweite Forderung, die Durch—
führung des OGemeindeprinzipes in den fantonalen Volkskirchen, die
Selbititändigfeit der territorialen Kirchgemeinden anbelangt, fo thut man
beſſer, dieſes Gebiet vorläufig ‚den Kantonen zu belafjen. Einzelne Kan-
tone find bereit3 vorgegangen ; im Kanton Bern legt der, von Regierungs-
rath Teujcher ausgearbeitete und vom Großen Rath in zweiter Berathung
angenommene Rirchengejegentwurf den Schwerpunkt des Firchlich-religiöfen
Lebens ganz in die territoriale Kirchgemeinde, indem derjelben nicht nur
ettva das Wahlrecht der Geiftlihen , ſondern aud) das Betorecht gegen
Beichlüffe der Kantonsſynode ertheilt wird.
Bon Bundeswegen fann zur Bekämpfung des Staatsfirchenthums
nur verlangt werden: Vollſtändige Glaubeng- und Gemifjensfreiheit für
den Einzelnen — und Wahrung der bürgerlichen und befonders der
Elterlihen Nechte desjelben. — Freie Ausübung gottesdienftliher Hand—
fungen nicht nur für die anerfannten riftlicden Konfeſſionen, ſondern über-
haupt für jede kirchliche Genoſſenſchaft. — Freiheit für die Volksſchule,
reſp. die Schulgemeinde in der Ertheilung des Religionsunterrichtes.
MWenn nun der Bund, ſoweit e8 in jeinen Mitteln fteht, das
veraltete Staatskirchenthum befämpfen hilft, wenn er dem demokratischen
Zuge der Zeit nachgebend, das kirchliche Leben fi möglichſt frei ge=
falten und entfalten läßt, jo ift er umgekehrt berechtigt, an die einzelnen
kirchlichen Genofjenihaften gewiſſe kategoriſche Forderungen zu ftellen.
Er darf von ihnen‘ verlangen :
1) daß fie wirfli nur fittlich- religiöie —* verfolgen;
2) daß ſie ſich und ihre ganze äußere Organiſation zu den
idealen Grundlagen, auf denen das NR, St: αἰδε
‚gebäude beruht, in Einklang jeßen. }
Wenn eine kirchliche Genofjenfhaft unter dem Dedmantel der Reli-
gion nach Augen gerichtete, ehrgeizige und jelbftfüchtige Pläne verfolgt, wenn
ἀράν I “ὦ Ὁ.
——
der Beſtand eines über alle Länder verzweigten, mit großen materiellen
Hülfsmitteln verſehenen Kirchenverbandes dazu benutzt wird, den Staat,
die Schule, die Familie, die ganze bürgerliche Geſellſchaft zu unterjochen,
dann iſt das freie Gewährenlaſſen einer ſolchen Kirche für den Staat
geradezu ein Selbſtmord. Namentlich gilt dies für den republikaniſchen
Staat, weil eine ſolche Kirche, ihrem Zweck entſprechend, ſtets unrepu—
blikaniſch, abſolutiſtiſch organiſirt iſt, und dadurch zu den Grundlagen
des Staates in ſchroffen Gegenſatz tritt. Eine ſolche Kirche mit aller
Macht zu bekämpfen, das ift wahrhaftig feine Beſchränkung der Religions—
freiheit, das ift für den Staat einfach ein Aft der Nothwehr, der Noth-
mehr nicht nur für ſich, jondern auch für die Schule, die Yamilie, Die
ganze bürgerliche Geſellſchaft.
| Damit verlaffen wir das Staatsfir ch ent h um um uns dem
Kirchenſtaat zuzuwenden.
In der katholiſchen Kirche ſuchten ſich ſeit der Reformation un—
verkennbar zwei ganz entgegengeſetzte Richtungen Geltung zu verſchaffen:
Eine ächt chriſtliche Richtung, welche ſich die Ausſöhnung mit dem Pro—
teſtantismus, ein friedliches Zuſammenleben beider Konfeſſionen, und die
ultramontane Richtung, welche ſich den Vernichtungskampf gegen die
Häretiker zum Ziele ſetzte. Beide Richtungen nannten ſich katholiſch,
beide hatten das gemein, daß fie, im Gegenſatz zu den Nationalkirchen
der Broteftanten, ftreng am fosmopolitiihen Bau, an der internationalen
Einheit der Kirche fefthielten. Aber während die chriſtliche Richtung
diefe Einheit in einem ganz idealen Lichte betrachtete und durch dieſelbe
das Reich Gottes auf Erden zu begründen hoffte, betrachtete umgekehrt
die ultramontane Richtung die Einheit der Kirche als ein jehr reales
Mittel zur Begründung der päpftlichen Weltherrſchaft. Jener Richtung
mar die Religion Selbſtzweck, dieſer Richtung mar nicht nur die Einheit
der Kirche, jondern die Religion jelbft ein Mittel zur Erreichung eines
äußern Zwedes, der mit der Religion gar nichts mehr gemein hatte.
Nach der Verſchiedenheit des Zweckes, der durch die internationale
Einheit der Kirche erreicht werden follte, wurde dieje*Einheit von den
beiden Richtungen in der Eatholifchen Kirche auch ganz verſchieden aufge
faßt. Während die chriftliche Richtung die Einheit der Kirche ſuchte im
Feſthalten an den hergebrachten und angemwohnten, allen Katholiken ge=
meinfamen Formen und Gebräucen, in der Gemeinjamfeit des Gottes=
—
dienſtes und frommer Liebeswerke, während die chriſtliche Richtung den
römiſchen Biſchof nicht als einen unbeſchränkten Herrn über die Gewiſſen,
ſondern nur als den äußern Vertreter der Kircheneinheit betrachtete,
ſuchte die ultramontane Richtung, entſprechend dem Zwecke, den ſie ver—
folgte, die Einheit der Kirche vor Allem aus in der Uniformität, in der
ſtrammen Disziplinirung, in der Knechtung derſelben durch Rom, in der
ſchroffen Ausmerzung freierer Einflüſſe, in unaufhörlichen Intriguen und
Hetzereien gegenüber jeder kirchlichen und politiſchen Richtung, die
der angeſtrebten päpſtlichen Weltherrſchaft hindernd in den Weg trat.
Die ultramontane Richtung, thatkräftiger , agreſſiver und in ihrer
Urt auch konſequent, hatte für fi) die traditionnellen Herrjchergelüfte
und Anſprüche der Päbſte und die daraus hervorgegangene, auf die Ver—
wirklichung der päbſtlichen Weltherrjchaft berechnete, ftreng hierarchiſche
Drganijation der katholiſchen Kirche. 5 Mehr und mehr ſuchte deßhalb
die ultramontane Richtung gerade Dieje äußere Organijation mit der
katholiſchen Religion zu identifiziren oder doch zu einem mwejentlichen Be-
Itandtheile diejer Religion zu erheben. Damit war das geeignetjte
Mittel gefunden, jede volksthümliche, den päbſtlichen Herrſchergelüſten
wideriprechende Reform der fatholiiden Kirche und jede Annäherung an
die proteftantiichen Kirchen unmöglich zu machen. Die hriftliche, weniger
thatkräftige Richtuug in der Fatholifchen Kirche fügte fi, nach ſchwachen,
erfolglofen Reformverſuchen, in das jcheinbar Unabänderliche; fie be-
quemte fich, die hierarchiſche Kirhenorganifation tale quale anzunehmen,
ohne ihr jedoch grundjäglich den Charakter der Heiligkeit beizulegen. Dieſe
Halbheit hat jeither böje Früchte. getragen.
Die eigentlihen Vertreter der ultranıontanen Rihtung waren —
liche Orden, vor Allen aus der Jeſuitenorden. Nach dem Tridentiner
Konzil, wo unter der Leitung dieſes Ordens ein großer Feldzugsplan
gegen den Proteſtantismus geſchmiedet und dadurch der Anſtoß zu end—
loſen Kriegen und Verfolgungen gegeben wurde, befam die ultramontane
Richtung in der Tatholifchen Kirche und in den Fatholifchen Staaten
immer mehr die Dberhand und bald ausschlieglihen Einfluß a den
Gang der äußern Ereigniſſe.
Hinrichtungen Philipp's und Alba's, die Bartholomäusnacht, * Beltliner-
mord, die Dragonaden Ludwigs XIV., und endlich die Bürgerfriege in
BE Zu ν un ΨΥ ΠΡ > 2 ΨΨΡΝΣ Ὑ Zu
unjerm Baterland find ewige Denkfteine und Blutzeugen der ultramon-
tanen Gefinnung. Wohl mögen auch die Proteftanten nicht immer frei
geweſen fein von aller Schuld; wohl mag aud hier Unduldjamfeit und
blinde Befehrungswuth das euer gejchürt Haben; aber jo viel ift ficher,
ohne das Streben der Ultramontanen, das Rad der Gejchichte gemwaltfam
wieder zurüdzurollen, ohne ihr Streben nad päbftliher Weltherrichaft
hätte die Gejchichte alle jene Gräuel nicht aufzumeijen. ᾿
Die päpftlihe Weltherrihaft zu begründen, die proteftantifchen
Staaten zu zerftören, den proteftantifihen Geift zu erftiden, das ift da-
mals der ultramontanen Richtung allerdings nicht gelungen. Aber
gelungen iſt es ihr, manchem DBolfe unheilbare Wunden zu jchlagen.
Während im Anfange des 16. Jahrhunderts in ganz Europa ein reges,
allfeitiges Streben fih Fund gab, während auf jedem Gebiet des geiftigen
Lebens taujend jchwellende Knospen und Keime einen herrlichen Geiſtes—
frühling ahnen ließen: Schien es nad jenen Religionskriegen, als ſei
ein tödtlicher Froſt über alle Länder gegangen; die Blüthen, die [ἢ
eben entfalten wollten, waren gefnidt, der fruchtbare Garten in eine
Wüſte verwandelt, Europa in feiner Kulturentwicklung auf Zahrhunderte
surüdgemorfen. Ὁ |
Dies Alles hatte Europa den Ultramontanen und nur den Ultra—
montanen zu verdanfen !
In der allgemeinen Abjpannung, welche auf die furchtbaren Re—
ligionsfriege des 16. und 17. Jahrhunderts folgte, verloren die religiöfen
und kirchlichen Gegenfäge nad) und nad) ihre Kraft und Schärfe. Man
begann, da3 ungeheure Elend zu überjhauen, das Priefterehrgeiz und Ὁ
fünjtlih genährter Yanatismus über die Völker gebracht: die bürgerliche
Geſellſchaft, das Familienleben zerrüttet, die Sitten vermwildert, Der
Wohlitand ganzer Länder dahin! Mehr und mehr brach ſich die Ueber—
zeugung Bahn, daß Priefterehrgeiz und Yanatismus mit Kriftlicher Ge—
finnung nichts gemein habe, mehr und mehr regte fich das Gemiffen der
Bölfer zur leiſen Selbſtanklage: daß Diejenigen, welche mit der Ber-
folgung und Befämpfung Andersdenkender Gott zu dienen gehofft, da=
mit nur eine ſchwere Blutfhuld auf fi) geladen. Auch in den fatho-
liſchen Ländern erwachte das chriſtliche Bewußtſein, das mährend der
Kriegögräuel durch den Ultramontanismus niedergehalten worden, wieder
mit erneuerter Stärke, in allen Wohlmeinenden regte ſich die Sehnjudt
BERN an
nad Vertragung, nah aufrihtiger DVerjöbnung mit den Broteftanten.
Dies war aber auch die Zeit, mo fich gegen die mwejentlichite Urſache
der erlebten Gräuel, gegen den hauptſächlichſten Träger der ultramontanen
Idee, gegen den Jeſuitenorden jener unvertilgbare Abſcheu in den Herzen
der Völker feſtſetzte.
Mit der Aufklärung des vorigen Jahrhunderts begann ein neuer
Sturm gegen den Ultramontanismus. Wie Voltaire, Rouſſeau und
unzählige Andere in der Wiſſenſchaft, jo kämpften Friedrich IL, Kaiſer
Joſeph und Bombal in der Politik für religiöje Toleranz, für Glaubens—
und Gemifjenzfreiheit. Die Ideen der Zeit wirkten jo gewaltig, daß
nicht nur die katholiſchen Höfe und Regierungen, ſondern ſelbſt die ka—
tholiſche Kirche, ja die Spiben derjelben, davon beeinflußt wurden. Es
it ein ewig denfwürdiges Ereigniß, daß Papſt Clemens XIV. der tra—
ditionellen PBolitif der Nachfolger Petri entſagte und das thätigjte Werk-
zeug zur Erlangung der päpjtlihen Weltherrſchaft — den Jeſuiten—
orden — aufhob, durch welchen Aufhebungsbeichluß fi) Clemens XIV.
bekanntlich jein Todesurtheil jelbft ausſprach.
Nachdem die franzöfiihe Revolution Europa durchbraust, nachdem
die von ihr proflamirten Menjchenrechte nah und nad im. Bölferleben
ih Eingang verſchafft und praftiiche Anwendung gefunden ſchien der
Ultramontanismus das Wejentlichjte feiner Kraft eingebüßt zu haben.
Umd als erit die großen Verkehrsmittel, Dampfidiffe, Eijenbahnen,
Zelegraphen entjtunden, als jämmtliche Völker, proteſtantiſche und Tatho-
liihe, zu einander in die mannigfaltigiten Handels und Berfehröbeziehungen
traten, da jchien der, nur auf der jehroffiten kirchlichen Abgeſchloſſenheit
beruhende Ultramontanismus al3 τῶ Πᾧ = politiiche Macht von Tag zu
Tag mehr ein vollftändig überwundener Standpunkt zu merben.
Wie jehr hat man fich getäujcht! Die ulttamontane Partei, eine
Weile desorganijirt und ohne Fühlung mit den neuen Zeitjtrömungen,
begann unter der Leitung des Sejuitenordens ſich nad und nad zu
reorganifiren. Unverrüdt ihr Ziel — die Begründung der päpſtlichen
Weltherrſchaft — im Auge behaltend, fieng fie damit an, ὦ da, wo
48 ihr vortheilhaft jhien, der neuen Zeit, der neuen Ordnung der Dinge
ſcheinbar zu affommodiren. Ebenſo 20, als bieg- und jchmiegjam,
wurden die Ultramontanen in den Ländern, wo fie in Minderheit waren
und wo es ihnen vor Allem aus darauf ankam, ein offenes Feld für
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ihre Wühlereien zu erhalten, die eifrigſten Verfechter der religiöſen To—
leranz, der kirchlichen Friheit ; während ſie umgekehrt da, wo ihre Macht
noch nicht gebrochen war, mit der ganzen Intoleranz früherer Jahr—
hunderte jede andere Richtung niederhielten.
Nun kam es darauf an, vorerſt innerhalb der katholiſchen Kirche,
ſpeziell innerhalb des Klerus ſelbſt, die Oberhand wieder zu gewinnen.
Wie ſchon erwähnt, war auch die katholiſche Geiſtlichkeit von den Ideen
der Zeit nicht ganz unberührt geblieben, vielerorts bemerkte man bei ihr
einen freiſinnigen, toleranten, ächt chriſtlichen Geiſt; Zierden der Kirche,
wie Weſſenberg und Lacordah, liegen eine dauernde Ausſöhnung zwiſchen
Katholifen und Proteſtanten, ja eine einjtige Wiederbereinigung auf
Grundlage eines geläuterten Chrijtentgums Hoffen. Dem Allem mußte
nun eim Ende gemacht, der Einfluß jener Männer gebrochen, beim fa=
tholiihen Prieſter die riftliche Gejinnung durch joldatiihe Disziplin und
Subordination verdrängt werden. Dank der hierarchiſchen Kirchenorgani—
jation, und Dank den vielen Jeſuitenſeminarien ift es denn auch den
Ulttamontanen und zwar Hauptjählih im Laufe dieſes Jahrhunderts
gelungen, den von jenen Männern im fatholiihen Klerus ausgejtreuten
Samen des Chriſtenthms großentheils wieder zu zerjtören, und den
fatholiihen Klerus nad) und nad) wieder an Disziplin und Subordination
zu gewöhnen. Cine wie wohlthuende, aber wie jeltene Erſcheinung ift
noch gegenwärtig ein alter katholiſcher Geiftlicher aus der Schule Weſſen—
bergs! Unter den jüngern Slerifern wird man vergebens nad joldhen
ausjchauen.
Herher fam 68 nun darauf an, die Kluft zwiſchen Katholiken und
Proteftanten,, die jih im Laufe der Zeit an vielen Orten beinahe aus—
gefüllt, wieder zu erweitern. Hetzereien und Wühlereien begannen ‚ bis
es gelungen war, das friedliche Einvernehmen, das zwiſchen den beiden
Konfejlionen herrjchte, zu -zerftören, den alten fonfejjionellen Hader wieder
wadhzurufen und dadurch ‚die fatholiiche Bevölkerung immer mehr der
Führung ihrer geiftlihen Offiziere zu unterwerfen.
Aber Ein großer Schritt mußte noch gethan werden, um die
katholiſche Kirche vollends zu unterjochen. Die hierarchiſche Kirchen—
organiſation, der die Ultramontanen aus leſcht begreiflichen Gründen von
jeher den Charakter der Heiligkeit zu geben geſucht, mußte auf die Spitze
getrieben, ein kirchliches Dogma aufgeſtellt werden, welches jede Annäherung
sr De
an den Proteftantismus radikal ausſchloß, welches die Halben und
Zögernden nöthigte, Farbe zu befennen, eitweder aus der katho—
liſchen Kirche auszutreten oder ſich blind und millenlos zu unterwerfen.
Die Unfehlbarkeit des Römiſchen Bapftes mußte zum Glaubensſatz er—
hoben werden. |
Es war ein veriwegenes Beginnen, aber bis jeßt mit Erfolg ge=
frönt. Wie wenig fannten die flugen Staatsmänner, welche mit mit-
leidigem Lächeln auf das Konzil in Nom herabichauten, und die
Aufftellung des neuen — ſcheinbar lächerlichen — Dogmas als die
legten Zudungen einer längft überwundenen Partei erklärten, die Macht
und wunderbare, über alle Länder verzweigte Organifation der Jeſuiten!
Diefe mußten gar wohl, was fie thaten, als fie durch den Mund des
Konzils jene ungeheuerliche. Zumutdung an die fatholiiche Chriftenheit
ftellten! Hatten fie doch dur jahrelange Thätigkeit den Boden zur
Aufnahme des neuen Dogmas vorbereitet, wußten fie ja do, daß bei
der bon ihnen eingeführten Disziplin und Subordination nur ein ver—
ſchwindend Heiner Bruchtheil des katholiſchen Klerus eine ernfthafte
Oppofition wagen würde. Enchklika und Shllabus waren dem neuen
Dogma als Fühler vorausgegangen, ohne die Gewiljen der Fatholiichen
Geiſtlichen bedeutend aufzurühren; mit Recht durften alfo die Jeſuiten
annehmen, daß auch hier das Gemiffen ſtumm bleiben merde.
Und es iſt denn auch jo gefommen. Als im Jahr 1870 das
Unfehlbarkeitsdogma aufgeftellt wurde , erhob fi zwar ein Schrei der
Entrüftung durch die ganze Chriftenheit. Aber ‚heute, nad) drei Jahren,
hat das neue Dogma bei faſt ſämmtlichen katholiſchen Geiftlihen und
infolge defjen auch in der ungeheuren Mehrheit ihrer Gemeinden Ein-
gang gefunden, und fängt das, von feinen geiftlihen Führern verblendete
Volk ſchon jetzt an, jede Regung des chriſtlichen Gewiſſens, jeden Wider-
fand gegen das neue Dogma als eine Keberei, als einen Abfall von
der Kirche zu betrachten !
Wie wenig fennen die Aufgeklärten, welche über das Unfehlbarfeits-
dogma, wie über andere abergläubifche Vorftellungen die Achjel zuden,
die Bedeutung und Tragweite diefes Dogma’3! Hier handelt es fi
nicht um eine abergläubifche Vorftellung, fondern um ein jejuitiiches
Lojungswort, um das Lofungswort einer mwohlorganifirten kirchlich-poli—
tiſchen Partei, um ein Loſungswort, das gleichbedeutend ift mit. blinder
ES θεν τ
Unterwerfung unter Rom, Kampf gegen Alles, was fi dem Streben
nad päpftlicher Weltherrichaft mwiderjegt. Mit dem Unfehlbarfeitsdpogma
ift alles Kulturfeindliche, alles Geſetzwidrige, alles Staatsgefährliche, das
früher nur von einer Fraktion innerhalb der Kirche ift angeftrebt worden,
offen und unverhüllt zum Zielpunfte für alle Katholifen erhoben; an die
Stelle einer kirchlichen Genoſſenſchaft, in welcher fi) bis dahin das chrift-
lich-⸗religiöſe und das ultramontan = hierarchifche Element die Waage ge-
Halten, ift unter dem Dedmantel der Religion eine internationale
Verſchwörung getreten.
Wenn die Ultramontanen gegenüber den Ultfatholifen und Pro—
teitanten behaupten, die Lehre von der päpftlichen Unfehlbarfeit ſei der
fatholiihen Kirche auch früher nicht fremd gemejen, jo liegt in Diejer
Behauptung eine Dojis, aber auch nur eine Dofis Wahrheit. Wahr iſt
es, daß e3 in der fatholiichen Kirche von jeher zwei Strömungen ge=
geben Hat, eine hriftliche und eine ultramontane, und daß das Unfehl-
barfeitsdogma in feinem Keime allerdings ſchon in den früheren, auf
Weltherrſchaft gerichteten Beitrebungen der Ultramontanen und in der
von ihnen eingeführten hierarchiſchen Kirchenorganifation enthalten mar.
Wahr ift es aber auch, daß das chriſtliche Element in der katholiſchen
Kirche von jeher die ultramontanen Beftrebungen verwarf, wie es denn
auch Heute die Krönung des ultramontanen Gebäudes vermirft. Alt
ift wohl der Jeſuitismus, neu ift aber die Verwandlung
der fatholijhen Kirche in eine Jejuitenfirde.
Damit ift num aber die rechtliche Stellung des modernen Staates
nit zu den Katholiken, nicht zur katholiſchen Religion, wohl aber zur
fatholiichen Kirche in ihrer gegenwärtigen äußern Organijation, in ihren
gegenwärtigen äußeren Zielpunkten von Grund aus verändert worden.
Bor Allen aus gilt dies für den republifaniichen Staat. Wenn
das deutjche Kaiferreih mit der römiſchen Hierarchie den Kampf auf-
genommen, jo iſt dies — zum Theil wenigftens — doch nur deshalb
geſchehen, weil fich Hier zwei Autoritäten, die faijerliche und die päpft-
(ide, um den Vorrang ftritten. Es iſt noch nicht jo lange her, daß
man in Preußen aud die Ultramontanen, als ihre Anmaßung noch nicht
jo unverblümt hervortrat, zu den Stützen des Thrones zählte und ihre
Hülfe zur Bekämpfung der Demokratie jehr gern entgegen nahm. Seht
hat ſich dies freilich geändert. Während auf der einen Seite die mider-
4
——
ſpenſtigen Prieſter gemaßregelt werden, ſchwelgt man auf der andern
Seite in der ſüßen Hoffnung, „der Stein ſei ſchon im Rollen, der die
Füße des deutſchen Koloſſen zertrümmern werde.“ Aber wird Dies
immer jo bleiben? Wenn das deutſche Reich den Sturm fiegreich be—
fteht, werden die ebenſo gejchmeidigen, al3 in ihrem Ziele folgerichtigen
Ultramontanen nit mit der deutſchen Regierung ein Abkommen zu
treffen Juden, werben fie fih nicht, beiferer Zeiten harrend, der neuen
Ordnung der Dinge jheinbar fügen? Und der deutjche Kaiſer, mird
ihm eine ſolche Unterwerfung unter feine Autorität nicht genügen ὁ
Menn ihn die Kirche gibt, was des Kaiſers ift, wird er ſich auch noch
darum kümmern, ob fie dem Volke gibt, was des Volkes ijt?
Ganz anders im republifaniihen Staate. Hier handelt es fich
nicht um einen Kampf zwiſchen zwei Autoritäten, jondern um einen
Kampf zwiſchen Autorität und Freiheit. Ein republifaniiher Staat
und ein hierarchiſches Kirchenregiment find ſchlechterdings unverjöhnliche
Gegenſätze. Das republifaniihe Prinzip des Staates muß auch die
Kirche durchdringen oder es wird umgekehrt vom Abjolutismus, der in
der Kirche herrſcht, Früher oder jpäter au) aus dem Staate verdrängt
erden.
Die Anerkennung der katholiſchen Konfeſſion und das Jeſuiten—
verbot in der Bundesverfalfung von 1848 zeigen deutlich, daß man fi)
ihon damals bewußt war, die Fatholiihe Kirche enthalte in fich ein be—
techtigtes religiöjfes und zugleich ein unberechtigtes, mit unjeren republi=
fanischen Zuftänden unverträglices Moment. Leider gab man ji ſchon
damals dem Irrthume Hin, mit den Jeluiten auch den Jeſuitismus jelbit
aus der Fatholifchen Kirche verbannt zu haben.
St es nicht ein wahrer Hohn, daß die Jeſuiten, mährend das
Jeſuitenverbot bei uns noch fortbefteht, faktiſch von Rom aus die Tatho-
liſche Kirche in der Schweiz beherrjchen, daß fie diejer Kirche dur Krö—
nung des hierarhifchen Gebäudes den Stempel des Jeſuitismus auf-
gedrüct haben? Entweder man ſchaffe das Jeſuitenverbot ab, oder man
gehe nicht nur den Jeſuiten, ſondern auch dem Jejuitismus in der katho—
lichen Kirche zu Leibe.
Aber wie, das ift die große Frage?
Dergefjen wir nicht, daß wir, wenn wir den Jeſuitismus in Der
katholiſchen Kirche befämpfen wollen, nicht in das andere Extrem, in
ER Bee
das Staatzfirhenthum früherer Jahrhunderte verfallen dürfen. Es Tann
nicht in der Aufgabe des modernen Staates liegen, in daS innere
Glaubensleben der katholiſchen Kirche einzugreifen. So ftaatsgefährlich
das jejuitiiche Dogma der Unfehlbarfeit ift, als bloßem Dogma fann
ihm der Staat als folder mwenig anhaben, er kann ihm höchſtens zur
Aufrechtbaltung des fonfejfionellen Friedens den Eingang in die Volks—
ſchule vermehren. Allein der Staat als jolder darf die Einzelnen,
welche an die Unfehlbarfeit des Papſtes glauben, in ihren Rechten nicht
beichränfen, noch weniger darf er Bekehrungsverſuche mit ihnen anjtellen.
Mögen die Infallibiliften jchlieglih jogar dazu fommen, den Papſt an—
zubeten, auch daS geht den Staat nichts an. Nicht nur der Glaube,
auch der Aberglaube und der Unglaube hat jeine unantaftbaren Rechte.
Vergeſſen wir niht: Das innere Glaubensleben in der fatholiichen
Kirche kann nit vom Staate, nit von Dben herab, jondern nur
von Unien herauf, vom fatholiihen Volke jelbit geläutert und ge=
hoben merden. Und dieſer Läuterungsprozeß hat denn auch ſchon be=
gonnen. Klein ift zwar der Anfang, aber groß ift die Zukunft der
altfatholiichen Gemeinden, wenn fie ftetS den gleichen freifinnigen und
Hriftlichen Geift, der fie bis jebt auszeichnet, Π zu bewahren willen,
wenn fie fi) immer Elarer bewußt werden, daß fie nit nur das Un—
tehlbarfeitspogma, nicht nur dieſes äußere Pannier des Jeſuitismus,
jondern den Jeſuitismus ſelbſt in allen jeinen Konjequenzen befämpfen
und dem Chriſtenthum in der katholiſchen Kirche wieder zum Siege ver—
helfen müfjen. Ueberall in der katholiſchen Kirche beginnt das chriſtliche
Element fih zu regen, aber nur noch ſchüchtern, denn zu gewaltig laftet
der äußere Drud der Hierarchie, der Drud der internationalen jefuitifchen
Verſchwörung auf allen Katholiken.
Diefen Drud zu entfernen, wäre eine Hauptaufgabe des republi-
kaniſchen Staates, hätte er nicht noch eine größere Aufgabe zu erfüllen.
Dieje Aufgabe befteht darin: Nicht nur den Drud der Hierardie,
jondern die Hierarchie jelbft aus dem Staatögebiete zu
entfernen.
Ich habe bereits darauf hingewieſen, daß ein republifaniiher Staat
und ein abjolutiftiiches Kirchenregiment unverjöhnliche Gegenſätze find.
Es iſt eine auffallende Erſcheinung, daß gerade jebt, mo auf allen Ge-
bieten des kirchlich-religiöſen Lebens ein tiefer, demokratiſcher Zug ſich
SE A CE
geltend macht, auf der andern Seite die Hierarchie durch das Unfehl-
barfeitzdogma auf die Spite getrieben wird. Das muß nicht biegen,
das muß breden. Wenn der republifaniiche Staat mehr, als jeder
andere Saat vom Jeſuitismus gefährdet wird, jo. hat er dafür auch
wirkſamere Mittel, den Jeſuitismus zu befämpfen. Diejes Mittel befteht
in der Republifanijirung der katholiſchen Kirche, oder viel-
mehr in. der Republifanijirung aller Sirden.
So Sehr fi der moderne Staat davor hüten muß, in das immere
Glaubensleben einer Kirche fig einzumijchen, jo jehr iſt es feine Pflicht,
auf die Äußere Organiſation und. die ganze, nad Außen gerichtete Thätig=
feit der Kirchen ein jharfes, mwachjames Auge zu haben. Religion und
äußere Kirchenorganijation gehen einander nichts an. Die Heiligfeit der
römischen Hierarchie. ift nichts, als eine mohlberechnete jejuitiiche Er-
findung, die am allerwenigjten im republikaniſchen Staate berüdfichtigt
werden 7011.
In Art. 6, litt. Ὁ der gegenwärtigen. Bundesperfafjung ift den
Kantonen freigeftellt, ji ihre Berfafjung jelbft zu geben, jofern dieſe
Berfaflung die Ausübung der politiichen Rechte nach republifaniichen —
demofratiihen oder repräjentativen — Formen geftattet. Analog dieſem
Artikel jollte Π der Bund auch gegenüber den einzefnen Kirchen ver-
halten. Jedes Statut einer kirchlichen Genoſſenſchaft, jede Kirchen—
verfafjung, follte dem Bunde zur Genehmigung unterbreitet werden
müſſen. Zwar, jo wenig der Bund den Kantonen, jo wenig jollte der
Bund den Kirchen ihre Berfaffungen pofitiv machen; aber jo, wie der
Bund die KHantonsperfaffungen, ebenſo jolte der Bund die Kirchen—
verfaflungen nur injomeit genehmigen, als fie mit dem Wejen des
republifaniihen Staates im Einklange find. Alſo don Seiten des
Bundes ein rein negatives Verhalten, indem: der Bund jede Kirchen—
verfaflung nicht genehmigt, wenigſtens nicht unbedingt genehmigt, die
nicht national, nit republifanisch ift. Jede Kirchenverfaſſung wäre
aber ohne Weiteres zu genehnigen, jofern fie. ‚diefen Anforderungen
Genüge [εἰ οἰ,
Was iſt das Merkmal einer nationalen und republikaniſchen Kirchen—
verfaffung? 1) wenn fie die Kirche und ihre Organe zu Feiner fremden
Macht in ein direktes und äußeres Abhängigkeitsverhältniß jebt; 2) wenn
fie innerhalb der Kirche die Ausübung der Eirchlichen Rechte. nach republi—
——
kaniſchen — demokratiſchen oder repräſentativen — Formen ſichert;
3) wenn ſie durch die Mehrheit der Kirchenglieder jeder Zeit abgeändert
werden kann. |
"Gegenüber jeder Kirchenverfaſſung, die dieſe Anforderungen nicht
erfüllt, joll der Bund das Recht haben, entweder die Genehmigung direkt
zu verweigern, oder aber durch ſchützende Gejegesbeitimmungen den Wir-
fungsfreis der Kirchenorgane auf eine angemefjene Weiſe zu befchränfen.
Den Anfang mache man damit, eine tabula rasa zu ſchaffen und
das fernere Hineingreifen einer fremden, unrepublifaniihen Macht in
unjer Volksleben zu verhindern. In erjter Linie verfüge man die Yuf-
hebumg der beftehenden Bisthümer und die Aufhebung von Allem,
was bisher Hierarhiihes darum und daran hing. Zwei Biſchöfe find fort,
fafje man die anderen nadhfolgen. Der Bund joll, entiprechend dem
negativen Verhalten des Staates, den Katholifen fein Nationalbisthum
aufnöthigen. Aber er joll die Errihtung neuer Bisthümer oder ander-
meitiger Kirchenvertretungen nur dann genehmigen, wenn diejelben auf
nationaler und republifaniiher Grundlage beruhen.
Dann muß das Verbot gegen die Leiter der internationalen Ver—
ſchwörung, die Jeſuiten, dahin verjchärft werden, daß ihren Gliedern
geradezu das Betreten des Schweizerbodens unterjagt wird. Das Jefuiten-
verbot muß auch auf andere geiftliche Orden ausgedehnt und wenigſtens
die Wirkſamkeit derſelben beſchränkt werden können.
Auch die Klöſter find nicht zu jchonen. In früheren Zeiten un—
Ihuldige Zufluctsftätten für weltmüde, zu beſchaulichem Leben geneigte
Menſchen, find fie gegenwärtig großentheils nichtS Anderes mehr, αἵ
Uhunefter der Reaktion, als finftere Kaſernen, in welchen das ftehende
geiftlihe Heer des unfehlbaren Pabſtes im Hinterhalte Liegt, um fi von.
Zeit zu Zeit auf ein gegebene Zeichen über das ganze Land zu er-
gießen und für die ultramontanen Zwede Propaganda zu machen. Das
Beſte wäre, fie aufzuheben oder doch ihre Aufhebung anzubahnen. Will
man nicht joweit gehen, jo made man ihre Aufhebuug fakultativ und
beſchränke ihren ſchädlichen Einfluß.
Alſo zuerſt tabula rasa gemacht! Auf diefe und nur auf diefe
Weile wird es möglih jein, die römiſche Hierarchie in unferer
Republik vollftändig zu brechen, das Erdreich zu lockern und den Boden
für neue Schöpfungen empfänglich zu machen. Jetzt ift die Pyramide
ker Tanner
unjerer katholiſchen Kirche auf ihre Spitze — den unfehl-
baren Bapftin Rom — geftellt; ftelle man fie wieder aufihre
Baſis — das brave katholiſche Bolfinder Schweiz und auf
das religiöſe Gewiſſen dieſes Volkes — und es weit πα ὦ
und nach von ſelbſt geſündere kirchliche Zuſtände eintreten.
Bon Seiten der Ultramontanen werden gegen die Nationalifirung
und Republifanifirung der katholiſchen Kirche verſchiedene Einwände er-
hoben werden. Speziell gegen die Nationalifirung wird man geltend
maden: Es liege ja im Weſen der katholiſchen Kirche, daß fie als
allgemeine chriſtliche Kirche nicht national fein könne, jondern an ihrer,
über die Grenzen der Nationen und Staaten hinausreihenden inter-
nationalen Beftimmung feithalten müſſe. Die Ultramontanen vergefjen
dabei Eines: daß zwijchen international und antinational ein großer
Unterjhied it. An der internationalen, fosmopolitiiden Beitimmung
der katholiſchen Kirche will ἰῷ nicht rütteln, aber dieſe internationale
Beitimmung befteht nicht darin, daß fi) die Kiche zum Stante und
zu den Staatögejegen in Widerſpruch jeßt, nit darin, daß fie eine
äußere, dem einzelnen Staate überlegene Machtitellung erringt und in
ihrem Streben nad) Weltherrichaft dieſen Staat knechtet. Die inter-
nationale fosmopolitiihe Beitimmung ift auf ivealem Gebiete zu juchen,
in der Begründung des Reiches Gottes auf Erden, in der allgemeinen
Berbreitung Hriftliher Gefinnung. Eine internationale herrſchende Kirche
ift der Gegenſatz, eine internationale dienende Kirche die Verwirklihung
des Chriſtenthums. |
In dieſem legtern Sinne ἔαππ die katholische Kirche zugleich natio—
nal und zugleich. international, fosmopolitifch ſein. National, indem fie
fi), wie jede andere Kirche, in ihrer äußern Organiſation dem betreffen-
den Staate anjchmiegt, mit feinen Grundlagen in Einklang jet; inter-
national, fosmopolitii, indem fie an der, den nationalen Aufgaben nicht
wipderjprechenden, aber über. die nationalen Aufgaben hinausteichenden
Idee des Chriſtenthums fefthält. Man kann ein guter Familienvater
jein und gleichwohl ein guter Gemeindebürger ; ein guter Gemeindebürger
und gleihwohl ein guter Staatsbürger; ein. guter Staatsbürger und
gleichwohl ein guter. Weltbürger. Freilich nah ultramontanen Begriffen
nicht, denn da. kann man nicht zugleich Gott dienen. und dem Vaterlande;
ein ulttamontaner Chrift und ein. Patriot find. zwei unvereinbare Dinge.
Gegen die Republifanifirung der katholiſchen Kirche wird geltend
gemacht werden: die fatholifche Kirche beruhe ja auf der Autorität, nicht
auf der Freiheit. So? Nachdem es den Ultramontanen nad) Jahr—
hunderte lang fortgefegtem Geiftesdrude gelungen, in der katholiſchen
Kirche die Autonomie des Gewiſſens, die Autorität der fittlihen Mächte
dureh die Autorität eines Dalai Yama zu. verdrängen, will man auch
dem modernen republifaniihen Staate die Zumuthung maden, dieſe
letztere Autorität zu reſpektiren? Allerdings ift die Dalai-tama-Autorität
weder mit der kirchlichen, noch mit der politiihen Freiheit eines Volkes
vereinbar; aber gerade deßhalb muß fie bejeitigt und an die Stelle dieſer
Autorität das Prinzip der Freiheit gejeßt werden! Nur in der frei
organifirten katholiſchen Kirche wird das religiöje Gemifjen des katho—
liſchen Volkes wieder erwachen, werden die fittlihen Mächte wieder zur
Geltung fommen, werden Staat und Kirche wieder in ein freundliches,
wohlmwollendes Verhältnig zu einander treten.
Wird unjere Heine Republif im Kampfe mit der römischen Hierarchie
obfiegen? Furchtbar find die Waffen der legtern, furchtbar ift die über
alle Yänder verzmweigte Organijation der Jeſuiten, unermeßlich ihre geiftigen
und materiellen Hülfsquellen. Vergeſſen wir nicht, wie viele StaatSmänner
ſchon ihre beiten Kräfte an diejen Feind gewagt und wie ſchließlich gegen—
über deſſen Macht nnd eiferner Konjequenz ihre Kräfte erlahmt find.
Mit bloßen Anläufen ift eben nichts getan. Wollen wir obfiegen,
jo müfjen wir das Uebel bei der Wurzel anpaden. Auch die meit-
gehenditen Beichlüffe und Berfügungen find fruchtlos, jofern mir die
Macht der römiſchen Hierarchie nicht durch Aufftellung feſter, verfaſſungs—
und gejeßmäßiger Normen zu brechen juchen. Die Berjonen, die Be-
hörden mechjeln, aber die Verfaffungen, die Geſetze bleiben.
Die Gejege dürfen aber, ſoweit fie fih auf das innere Glaubens—
leben, auf den Gottesdienft, auf den Religionsunterricht beziehen, nicht im
Geifte des veralteten Staatskirchenthums, jondern fie müſſen im Geifte
der Freiheit gejchrieben fein.
Umgekehrt, ſoweit fich dieſe Gejege auf die äußere Organijation
und Machtftellung der kirchlichen Genofjenjchaften beziehen, müſſen fie
mit radifaler Ausichließlichfeit Alles ausmerzen, mas nicht national, was
nit republikaniſch, mas ftaatsgefährlih if. Es ift das Kennzeichen
eines gefunden Staates, daß er ein jchädliches Geſchwür zu rechter
ie
Zeit und ohne Schonung ausſchneiden darf. Es ift das Kennzeichen
eines ungejunden Staates, da er den Kaijerfchnitt vermeidet, die
Entſcheidung vertagt, das Geſchwür forteitern läßt.
Entjprechen die Entwürfe des Bundesrathes und der beiden Kom—
miſſionen den geftellten Anforderungen? - Am meiften offenbar der Ent-
wurf der nationalräthlihen Kommilfion. Allein auch diefer Entwurf
leidet an Unvollftändigfeit und Inkonſequenz; man fieht es den einzelnen
Artikeln an, daß fi) da verſchiedene Standpunkte gefreuzt haben, daß
man über daS Berhältnig von Staat und Kirche, don Gemeinde und
Individuum πο lange nicht einig ift. |
Im Schlupartifel der nationalräthlichen Kommiſſion vermißt man
Beſtimmungen über den Religionsunterricht; die ſtänderäthliche Kom—
miſſion will mit dem Staate aushelfen und vergißt dabei, daß der
Staat eben ſehr oft nichts iſt, als der Büttel einer Konfeſſion. Warum
nicht das einzig Vernünftige und Freiheitliche, das Gemeindeprinzip, mit
dem begrenzten Auffichtsrechte des Staates ὁ
Im Kicchenartifel vermißt man das Hauptprinzip, durch das allein
die römische Hierarchie gebrochen werden fann: Im republifaniichen Staate.
nur republifanifche, von feiner fremden Macht abhängige Kirchen. Ferner
ijt mit den bejtehenden Bisthümern nicht tabula rasa gemacht, und der
Art. 496, jo wohlgemeint er fein mag, enthält fogar eine Rüdfehr zum
alten Staatskirchen- und Baftorentdum.
Im Anschluß an den Entwurf der nationalräthliden Kommilfion
nehme ich mir die Freiheit, nachfolgende Modifikationen und Ergänzungen
borzujchlagen : |
Art. 25. Der Bund ift befugt, eine Univerfität, eine polytechniſche
Schule, ein Technikum und andere höhere Unterritsanftalten zu errichten
oder ſolche Anftalten zu unterftüßen.
Die Kantone jorgen für: obligatorifhen und unentgeldlichen Primar-
unterricht.
Der Bund ift beugt, über das Minimum der Anforderung an
die Primarſchule Vorſchriften zu erlaſſen.
Den Geiſtlichen als ſolchen ſtehen — der Volksſchule keine
beſondern Rechte zu.
Geiſtlichen, welche zu einer fremden Macht in einem direkten und
äußern Abhängigkeitsverhältniſſe ſtehen, insbeſondere den Ordensgeiſtlichen,
—— air.
fann ſowohl dur den Bund, als durch die Kantone ἰδ —
in der Volksſchule unterſagt werden.
Der Religionsunterricht in der Volksſchule darf nur in einer, dem
Willen der Schulgemeinde entſprechenden Weiſe ertheilt werden. Der
Bund und die Kantone haben darüber zu wachen: 1) daß die in Art.
48, Lemma 3 vorgeſehenen Rechte der Eltern und Vormünder in feiner
Weiſe beeinträchtigt werden; 2) daß der Religionsunterricht in der Volks—
ſchule weder die. öffentlihe Ordnung und Sittlichfeit, noch den konfeſſio—
nellen Frieden verlebe.
Art. 48. (Wie die nationalräthlihe Kommiffion, mit Ausnahme
des legten Lemmas:) Niemand ift gehalten, bejondere Kirchenfteuern zu
bezahlen u. ſ. mw.
Art. 49. Die freie Ausübung gottesdienftliher Handlungen ift
innerhalb der Schranfen der Sittlichfeit und der öffentlichen Ordnung
gewährleiſtet.
Den Kantonen, ſowie dem Bund bleibt vorbehalten, ‚für Hand-
habung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Konfeffionen,
jowie gegen Eingriffe Firchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und
des Staates die geeigneten Maßnahmen zu. treffen.
Jede kirchliche Genofjenihaft ift verpflichtet, für ihre Verfaſſung
die Genehmigung des Bundes nachzujuchen.
Diefe Genehmigung ift ohne Weiters zu ertheilen, injofern:
a. die Kirchenverfaffung nichts den Vorſchriften der Bundes—
berfafjung Zumiderlaufendes enthält;
b. fie die Kirche und ihre Organe zu feiner fremden Macht
in ein direktes und äußeres Abhängigfeitsverhältniß jebt;
c. fie die Ausübung der kirchlichen Rechte nach republifaniichen —
repräjentativen oder demofratiihen — Yormen fichert: |
d. [16 von den Kirchgenoffen angenommen morden ift und τὸς
pidirt werden kann, wenn die abjolute Mehrheit derjelben
es verlangt.
Gegenüber einer Kirchenverfafjung, welche diefe Anforderungeu nicht
erfüllt, jteht es im Ermeſſen des Bundes, entweder die Gemährleiftung
zu verweigern und die Kirchliche Genoſſenſchaft aufzulöjen, oder aber durch
ſchützende Gejegesbeitimmungen den Wirfungsfreis der — auf
eine angemeſſene Weiſe zu beſchränken.
Das gleiche Recht fteht dem Bund απ) gegenüber bejondern kirch—
lichen Anftalten, wie 2. B. den Möftern, zu.
Unjtände aus dem Brivatrehte, welche über die Bildung oder
Trennung von kirchlichen Genofjenjchaften entjtehen, fünmen auf dem
Wege der Beichwerdeführung der Entiheidung der J— Bundes⸗
behörden unterſtellt werden.
Die beſtehenden Bisthümer auf ſchweizeriſchem Gebiet. τον
gehoben; die Errichtung neuer Bisthümer unterliegt der Genehmigung
des Bundes.
Die Eidgenoſſenſchaft anerfennt feinen ftändigen Vertreter einer
auswärtigen geiftlichen Gemalt.
Art. 490. Die geiftliche Gerichtsbarkeit iſt abgejchaft.
Art. 49. (geftrihen).
Art. 49d. Der Orden der Jeſuiten und die ihm affiliirten Ge-
jelliehaften dürfen in feinem Theil der Schweiz Aufnahme finden und
und es ift ihren Gliedern das Betreten des Schweizerbodens unterjagt.
Diefes Berbot kann dur) Bundesbejhlug auch auf andere geift-
hide Orden ausgedehnt werden.
(Art. 49e, ἢ, g, wie die nationalräthlihe Kammiſſion.)
” hi vi.
Erweiterung der Volksrechte.
Wenn wir uns diejes, an ſich ungenauen Ausdrudes hier bedienen,
jo gejchieht e8 nur, weil derjelbe nun einmal gebräuchlich; in Wirklich-
feit Tann es fi bei der Einführung des Referendums, Betos ꝛc. nur
um eine direktere Betheiligung des Volkes an der Geſetzgebung oder Ver—
maltung, nicht aber um eine Erweiterung feiner Rechte Handeln. Iſt
ja das Volk ſchon im Repräſentativſtaat ausſchließlicher Souverain.
(8 mag auffallen, daß die vom Volkstag in Solothurn beichloffenen
Rejolutionen mit feinem Wort dieſer ſog. Ermeiterung der Volksrechte
erwähnen. Der Grund davon lag einfah in dem Beftreben, am Bolfg-
tag nur ſolche Rejolutionen aufzujtellen, welche als Ausdruck der,
allen entſchieden Freiſinnigen gemeinjamen Ueberzeugung gelten konnten.
Nun ſind aber im ſchweizeriſchen Volksverein ſehr viele Freunde, aber
gewiß auch Gegner des Referendums, und herrſcht unter den wärmſten
und aufrichtigſten Patrioten noch jetzt große Verſchiedenheit der Anſichten
darüber, οὐ und in wieweit nnd in welcher Form eine direktere Be—
theiligung des Volkes an der Gejeßgebung und Verwaltung ftattfinden ſolle.
Immerhin fann man die Thatjache, daß fich das Referendum nun
einmal ſchon in den meiften Kantonen eingebürgert hat, bei der Revifion
der Bundesverfafjung jchlechterdings nicht unberüdfichtigt Tafjen. Gerade
die Rafchheit und Vieljeitigkeit feines Erfolges ſcheint mir dafür zu Iprechen,
daß das neue Inſtitut denn doch‘ ein berehtigtes Moment enthält und
daß es nur darauf ankömmt, dieſes berechtigte Moment herauszufinden
und von den anhängenden Schlafen zu reinigen.
Unbeftreitbar {ΠῚ das Referendum εἶπε Konfequenz der demokratiſchen
Entwidlung der 30er und 40er Jahre. Vom Grundgeſetz ift nur ein
Schritt zu: den übrigen Gefegen, und wenn’ das Volk feine Souveraine—
SGB
tätsrechte auch in Bezug auf die letztern direft ausüben will, jo ijt dieß
nur eine naturgemäße Yolge feines gejteigerten Selbſtbewußtſeins, jeiner
vieljeitigeren Bildung, jeiner vermehrten Erfahrungen auf politiichem,
rechtlichem und jocialem Gebiet. Die Hauptjache dabei bleibt aber, daß
das Volk in weiſer Selbſtbeſchränkung jeine Bethätigung nur auf foldhe
Gebiete ausdehnt, wo e3 dem einzelnen Bürger möglih und bon Nuben
it, Π die nöthige Einficht zu verschaffen. Diek find vor Allem aus
die allgemeinen Yandesgejege, welche die vielfachen Beziehungen der Bürger
unter fi), und ihre Beziehungen zur Staatsgewalt, zur Gemeinde, zur
Kirche 2c. normiren. Alfo das ganze Givil- und Strafrecht, der Civil—
und Strafprozeß, das Bollziehungspverfahren und Wechjelrecht, die Geſetze
über. die Steuern und Jonjtige öffentlihe Yajten, die. Jagd- und
Fiſchereigeſetze, das Kirchengeſetz, das Gemeindegejes, Schulgejeß u. 7. w.
Alle diefe Gejege beziehen jih auf Eegenftände, mit denen jeder Bürger
Ihon von Haus aus mehr oder weniger vertraut ift, weil er mit ihnen
in öftere Berührung kommt; und wenn ihm Anfangs auch die nöthige
Einfiht in die ganze Oekonomie eines wohldurchdachten Gejeges abgeht,
jo hat er doch in den meijten Fällen genügende Lebenserfahrung, daß
er durch Belehrung aufgeklärt werden Tann, und auch ein genügendes,
perjönlihes Intereſſe, daß er dieſe Belehrung ſucht. In der That fieht
man. nicht ein, warum der gleiche Bürger, der über die oft fomplizirten
Beſtimmungen einer Berfaflung urtheilen Tann, nit im Stande jein
joll, fi über die ihm viel näher liegenden Beftimmungen eines Gemeinde-
gejeßes, eines ehelichen Güterrechtes 2c. eine vernünftige Meinung zu bilden.
Eine direkte Bethätigung des Volkes am Erlaß ſolcher allgemeinen
Landesgejege kann nur mwohlthätig wirken. Einerſeits gejtaltet ſich dieſe
Bethätigung zu einem wirklichen Bolfsbildungsmittel, der Bürger
wird ſich viel mehr, al3 dieß beim ftrengen Repräſentativſyſtem der Fall
wor, jeiner Stellung und Aufgaben in der bürgerlichen Gejellihaft bewußt,
und das Prinzip „daß Gejeßesunfenntniß vor feinem Gericht als Ent-
ſchuldigung geltend ‘gemacht werden kann“, erhält etwelche Berechtigung.
Underjeits ift diefe Bethätigung ein wirkffamer Damm gegen über-
flüffige Geſetzmacherei, gegen ſchlecht redigirte, unverftändliche,
oder auch gegen allzu fomplizirte, unvolfsthümliche Geſetze. Jedes Geſetz,
welches die Beziehungen der Bürger unter ſich, oder. ihre Beziehungen
zur Staatsgewalt, zur Gemeinde, zur Kirche, zur Schuleizc. normirt,
δον
darf fih, wenn es wirkſam fein fol, nicht allzuweit von der normalen
Bildungsftufe des Volfes entfernen oder muß menigftens, der Form und
dem „Inhalte nah, dieſe Bildungsftufe in ernfte Berückſichtigung ziehen.
Ich bin aljo prinzipiell für die direkte Bethätigung des Volkes
an der Gejesgebung, aber nur unter einer Vorausfegung : daß fich diefe
Bethätigung auf die oben angeführten Landesgeſetze beichränfe.
In den meilten Kantonen hat man nun offenbar weit über das
Ziel Hinausgejhoflen, indem man auch die Verwaltungs- und Spezial-
gejege und die Beichlüjfe, ja jogar das Büdget dem Bolfe zur Abſtim—
mung unterbreitet.
Was kümmert fih die Maffe des Volkes 3. B. um den Inhalt
einer Medizinalordnung, eines Emolumententarif3 oder eines Geſetzes,
welches die Organiſation der Finanzverwaltung bejchlägt, und was für
eine Möglichkeit oder was für ein Intereſſe Hat der Bauernknecht, der
Taglöhner,, der Hauſirer, fih über die Zmedmäßigfeit oder Unzweck—
mäßigfeit ſolcher Gejege aufklären zu laſſen? Werden ihm dieje Geſetze
troßdem zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt, jo nimmt er fie ent-
weder gedanfenlos an, oder wenn er gerade mißtrauiſch oder übellaunig
ift, jo verwirft er fie eben jo gedanfenlos. Die ganze Geſetzgebung ift
der Willfür und dem Zufall anheimgegeben.
Noch verwerflicher ift es, dem Volke die Beichlüffe der oberſten
Landesbehörde vorzulegen. Wohl giebt es Beſchlüſſe, welche von immenjer
Tragweite find; aber nit die Tragweite einer Sache joll maßgebend
jein, ob dieſe Sache vor das Volk gehört, ſondern lediglich die Möglich-
feit, daß das Volf etwa von der Sache veriteht.
Man joll mir nicht dorhalten, ich predige den „bejchränften Unter-
thanenverftand“. Mag das Volk politiſch noch jo reif fein, die Wichtig-
feit und Tragweite vieler Beſchlüſſe, vieler Spezial- und Verwaltungsgeſetze
wird es deßhalb nicht begreifen, weil es nicht ſelbſt am Staatsruder
fist, meil ihm der nöthige Einblid in den ganzen Staatsorganismus,
in die Bedürfniffe des Staatshaushaltes abgeht. Könnte man das ganze
Volk in die Rathsſääle hineinnehmen, dann fünnte man es über die
fompfizirteften Spezial- und Verwaltungsgefege, über die Wichtigkeit und
Tragweite jämmtliher Beihlüffe aufklären. Bei allgemeinen Landes—
gejegen können die Volfsvereine die Aufgabe das Volk nach und nad)
aufzuklären übernehmen ; bei Spezial- und Verwaltungsgejegen, oder bei
——
Beſchlüſſen, die doch ſtets innerhalb eines beſchränkten Zeitraumes gefaßt
werden müſſen iſt dies auch den beſtorganiſirten Vereinen unmöglich.
Wenn es ſchon in den Kantonen wünſchenswerth iſt, daß ſich die
direkte Bethätigung des Volkes auf die allgemeinen Landesgeſetze be—
ſchränke, ſo iſt dies bei den komplizirten Verhältniſſen des ſchweizeriſchen
Bundesſtaates noch in viel höherem Maße der Fall. In dem Vorſchlag,
alle Bundesgejege und die Bundesbejhlüffe nicht dringlicher Natur dem
fafultativen Referendum zu unterwerfen, erblide ἰῷ eine Schwächung der
Bundesautorität, ein bedenkliches Agitationsmittel, und deßhalb eine große
Gefahr für unſer Yand. |
Dieje Gefahr wird um jo größer dadurch, daß nicht nur 50,000
Schmeizerbürger, jondern auch 5 oder 8 Kantone die Volksabſtimmung
verlangen und damit den Bundesbehörden jeder Zeit den Fuß vor—
halten können.
sch miederhole es: Ich bin ein Freund des Referendums, aber
nur, wenn man dafjelbe auffakt und behandelt als einen Damm gegen
den Erlaß unvolfsthümlicher Landesgejege und als ein Volks- umd ein
Rechtsbildungsmittel. Ich bin aber ein entſchiedener Gegner
des Peferendums, wenn man dasſelbe zu emem Inſtitut des
Miptrauens in die Landesbehörde herabwürdigt. Zu einem Inſtitut
de3 Mißtrauens würdigt man es aber herab, wenn man jämmtliche
Bundesgejege und auch die Bundesbeſchlüſſe der Bollsabftimmung
unterbreitet.
Unfere Republik verlangt eine feite, ftarfe Regierung, die im Voll—
gefühl ihrer Verantwortlichkeit handelt, zumal in diejer ernſten, unheil-
ſchwangern Zeit. Wohl heißt es in Art. 85 der verjchiedenen Entwürfe,
daß Beſchlüſſe dringlicher Natur der Bollsabftimmung enthoben jeien.
Uber ift nicht jeder zeitgemäße Beſchluß dringlich, oder wo läßt fich
die Grenze zwischen dringlichen und nicht dringlichen Beichlüffen ziehen ?
Ich Halte aljo dafür, es jollte im ſchweizeriſchen Bundesjtaat nur
für eine ganz beftimmte Auswahl von Gejegen die Volksabſtimmung
vorgejehen werden. Dieſe Gejege find diejenigen, welche ſich auf Gegen-
fände des (formellen oder materiellen) Rechtes, und zwar des bürger-
lichen und des Strafrechtes beziehen.
Ulein wenn die direkte Bethätigung des Volkes in diefer Weije
auf ein vernünftiges Maß zurüdgeführt worden ift, jo bin ἰῷ dann
-
‚umgekehrt dafür, diefe Bethätigung des Volkes jo jehr als möglich zu
erleichtern. Im Bundesftaat iſt die rationellfte Zorm für Ausübung
der Bolfsrechte offenbar das fafultative Referendum, in Berbindung mit
der Initiative. Allein wenn man die Bethätigung des DBolfes an der
Gejesgebung zu Wahrheit will werden lafjen, oder wenn man nicht bei
jedem Anlaß einer gemaltigen Agitation rufen will, jo ſoll die Volks—
abftimmung nit nur von 50,000, jondern von 20,000 Bürgern ver-
langt werden können.
Hinſichtlich der Initiative jchiene mir ein Verfahren jehr zweckmäßig,
das ſ. 3. in der franzöfiichen Nationalverfammlung und im Konvent
Eingang gefunden. Dieje Behörden luden jehr oft die Vertreter größerer
Korporationen ein, ihren Berhandlungen mit berathender Stimme θεῖς
zumohnen. Sollte es nun nicht zuläjlig jein, daß 20,000 Schweizer—
bürger, welche an die Räthe ein Initiativbegehren zu jtellen haben, ſich
für Diejen jpeziellen Zweck durch einen Ausgeſchoſſenen mit bloß be—
rathender Stimme jollten vertreten lafjen fünnen ὁ 20,000 Schmweizer-
bürger, die zufällig im gleichen Bezirk wohnen, wählen einen National-
rath ; allein jollten 20,000 andere Schweizerbürger , die nicht durch Die
Zufälligfeit des MWohnfiges, jondern dur ein gemeinjames Intereſſe
verbunden find und dieſes Intereſſe durch ein Initiativbegehren mani-
feftiren,, nicht ebenjo ſehr ins Gewicht fallen, nicht ebenjo jehr eine
Vertretung fordern fünnen? Würde dadurdh nicht ein äußerſt Ieben-
diger Wechjelverfehr zwiſchen dem Volk und den eidgenöffiihen Räthen
ermöglicht ? |
Die Volksinitiative der 20,000 Schweizerbürger jollte jchlechthin
jeden Gegenjtand, jedes Bundesgejeg und jeden Bundesbeichluß betreffen
fönnen. Allein nur wenn fi) das Jnitiativbegehren auf ein Bundes—
gejeg über Gegenftände des bürgerlichen oder Strafrechtes bezieht, jollte
eine Weitersziehung an das Volk ftattfinden. Bei andermweitigen Bundes—
gejegen und bei Beſchlüſſen jeien die Räthe oberfte Inſtanz.
Aber wenn die Bundesperfammlung unvolksthümliche Spezial- und
Verwaltungsgeſetze erläßt, unvolksthümliche Beſchlüſſe faßt und den Un—
willen des Volkes gegen ſich erregt, was dann? Gebe man doch
50,000 Schmweizerbürgern daS Recht, die Abberufung der beiden Räthe
zu verlangen! Aber es it ja ein revolutionäres Inſtitut, diejes Ab—
berufungsrecht? Wenigſtens nad der Anficht gewiſſer Doftrinärs. Ich
ET
ER us
—— '
jehe nicht ein, was Revolutionäres darin liegen joll, wenn das Volk ſein
Souverainetätsrecht ausübt und einfach die Amtsdauer der Räthe um
einige Monate oder Jahre abkürzt. Iſt das etwas Revolutionäres, ſo
iſt es jede Geſammterneuerung des Nationalrathes ebenfalls.
Die Abberufung, nicht das Referendum über Bundesbeſchlüſſe, iſt
das wahre Korrektiv für eine Mißregierung.
Seht, dort fährt ein Schiff durch ein Meer voll Klippen und
Untiefen! Die Schiffsmannſchaft iſt in großer Beſorgniß, denn der
Steuermann iſt des Meeres unkundig und verſteht das Steuer nicht zu
handhaben. Was iſt da zu rathen? Soll die ganze Schiffsmannſchaft,
wie toll, ſelbſt auf das Steuerruder losſtürzen, oder ſoll ſie einfach einem
andern, beſſern Steuermann das Ruder übergeben? Wer für das Erſte
iſt, wird zum Referendum über wer für das Zweite
iſt, für das Abberufungsrecht ſtimmen.
Wenn die Volksabſtimmung auf Civil- und Strafgeſetze beſchränkt ᾿
wird, tritt nun die fernere Frage an uns heran: Sollen wir neben dem
Volksvotum auch ein Standespotum zulaffen ?
Daß bei der maßloſen Ausdehnung, welche dem ste und
der „Initiative in den bisherigen Entwürfen gegeben wird, bon einem
Standespotum nicht die Rede jein kann, liegt auf der Hand. Denn
daS märe ‚ein Zurüdgehen meit hinter 1848. Etwas anders geitaltet
ih nun allerdings die Frage, wenn man Referendum und Initiative
auf ein vernünftiges Maß zurüdführt. Allein auch da halte ich das
Standespotum für überflüffig, weil ſchon bei der bloßen Bolfsabitimmung
die einzelnen Lofalinterefjen nur zu oft in den Vordergrund treten umd
das allgemeine Landesintereffe in den Hintergrund drängen merden.
Meberdieß verftoßt e$ gegen das Prinzip der Demofration, das
Schtweizerbol durch die Stände majorifiren zu laſſen.
Sch halte deßhalb dafür, daß bei der Abftimmung über die Civil—
und Strafgefete des Bundes ein Standespotum nur unter folgenden
zwei Vorausfegungen zugelaffen werden darf:
) wenn die Föderaliften in jämmtlihen andern Materien, fo
namentlih im Militär, aufrihtig die Hand zur Verftändigung bieten,
und das Standespotum mithin nur als eine 5 Konzeſſſon der
Reviſionspartei anzuſehen iſt. *
UN
2) wenn dem Standespotum: nur. der Charakter eines: Sufpenfiv-
vetos beigelegt und im: Folge: deſſen eine dauernde Majprifirung ‚des
Volkes durch die Stände verhütet wird. Ein vom Schweizervolk ange—
nommenes, bon den Ständen Herworfenes Geſetz ſollte πα einer be—
ftimmten Frift dem Schweizervolf neuerdings: vorgelegt werden: können
und bei diejer zweiten —— der ikea der. Stände —
mehr bedürfen.
Warum die beiden Kommiſſionen vom Imnuvrecht der ——
nicht Umgang genommen, nachdem dieſes Initiativrecht bon föderaliſtiſcher
Seite ſelbſt als etwas Unlogiſches — worden, iſt mir nicht
erklärlich.
Art. 856. Für Bundesgeſetze und Bundesbeſchlüſſe iſt die Zu—
ſtimmung beider Räthe erforderlich.
Jedes Bundesgeſetz über Gegenſtände des bürgerlichen oder, Straf-
rechtes ſoll dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden,
wenn es bon 20,000 ſtimmberechtigten Schweizerbürgern verlangt: wird.
(Eventuell : Jedes Bundesgejet über Gegenſtände des bürgerlichen
oder Strafrechtes joll dem Bolfe und den Ständen zur Annnahme, oder
Verwerfung borgelegt werden, wenn e3 bon 20,000 jtimmberechtigten
Schmweizerbürgern verlangt wird.
Iſt ein ſolches Bundesgejeg von der Mehrheit des Schweizervolfes
angenommen, von der Mehrheit der. Stände jedoch verworfen worden,
jo hat das Ständenotum nur die Wirkung eines Sujpenfivvetos. Das
betreffende Gejeg muß nah Ablauf von ὃ Monaten und vor Ablauf -
eines „Jahres dem Schweizervolfe nochmals unverändert zur Annahme
oder Verwerfung vorgelegt werden und bedarf bei diefer zweiten Ab-
ſtimmung nicht mehr der Zuftimmung der Stände).
Art. 89. Wenn 20,000 ftinnmberedhtigte, Bürger die Abänderung
oder Aufhebung eines beftehenden Bundesgejeßes oder über eine beftimmte
Materie die Erlafjung eines neuen Bundesgejeßes oder Bundesbejchluffes
anbegehren , joll diefes Begehren in beiden Räthen zur Behandlung
fommen und zwar unter Beobachtung folgender Grundfäße :
1) die Antragfteller Haben das Recht, fi) durch einen bejondern
Abgeordneten, der jedoch nur mitberathende Stimme hat, bei den ein-
ſchlägigen Verhandlungen in beiden Räthen vertreten zu Iaffen.
5
—
Bezieht ſich das Begehren auf ein Geſetz über Gegenſtände des
bürgerlichen oder Strafrechtes, ſo haben die beiden Räthe, wenn ſie dem
Begehren zuſtimmen, den einſchlägigen neuen Geſetzesvorſchlag zu verein—
baren und dem Volke (eventuell: dem Volke und den Ständen) zur An—
nahme oder Verwerfung vorzulegen.
Stimmen nicht beide Räthe dem Begehren zu, ſo iſt daſſelbe der
Abſtimmung des Volkes zu unterſtellen und wenn die Mehrheit der
ſtimmenden Bürger dafür ſich ausſpricht, ſo haben die Räthe einen ent—
ſprechenden Geſetzesvorſchlag aufzuſtellen und dem Volke (eventuell: dem
Volke und den Ständen) zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen.
3) Bezieht ſich das Begehren auf ein anderweitiges Geſetz, oder
auf einen Beſchluß, ſo findet keine Weitersziehung an das Volk ſtatt.
Art. 89 b. Wenn 50,000 Schweizerbürger vor Ablauf der
Amtsdauer des Nationalrathes eine außerordentliche Geſammterneuerung
der eidgenöſſiſchen Räthe verlangen, ſo ſoll dieſes Begehren dem Volke
zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden und im Falle der An—
nahme eine ſofortige Geſammterneuerung beider Räthe ſtattfinden.
Art. 90. Die Bundesgeſetzgebung wird bezüglich der Formen und
Friſten der Volksbegehren und der Volksabſtimmung das Erforderliche
feſtſetzen.
VII. ΄
Zweikammerſyſtem.
Die Vorzüge des Zweikammerſyſtems beſtehen darin, daß durch
daſſelbe eine allſeitigere Landesvertretung ermöglicht, überſtürzte Beſchlüſſe
verhütet und alle Vorlagen einer gründlichern Prüfung unterzogen werden.
Die Nachtheile beſtehen darin, daß in Zeiten innerer oder äußerer Kriſen
durch daſſelbe jede radikale, durchgreifende That erſchwert und leicht eine
unheilvolle Schaukelpolitik hervorgerufen wird.
Wir Schweizer haben bis jetzt nur die Vorzüge des ΕΒ λυ
ſyſtems fennen gelernt, aus dem einfachen Grunde, weil wir feit 1848
feine großen Kriſen durchzumachen hatten. Vielleicht ift die Zeit nicht
mehr fern, wo wir auch jeine Nachtheile werden fennen lernen.
Das jchmweizeriihe Zweikammerſyſtem hat feine ganz bejonderen
Skattenjeiten. Wenn der Ständerath und der Nationalrath fi) über
eine Frage nicht einigen können oder nicht einigen wollen, jo kann abjolut
nichts gejhehen, denn es gibt eben Feine höhere Inſtanz. Die Frage
‚bleibt ungelöft, jo dringlih auch ihre Löſung märe. |
| Um diefem, in die Augen jpringenden Uebelſtand abzuhelfen, ift
borgeihlagen worden: das Volk jelbft, als höhere Inſtanz, über die
Differenzpunfte der beiden Räthe entjheiden zu laſſen. Allein, ſoviel
Beitechendes dieſer Borjchlag auf den erften Blick hat, bei reiflicherm
Nachdenken muß er doc verworfen werden. Erſtens befindet fich das
Volk da, wo blos Beichlüffe, nicht Landesgeſetze in Frage ftehen, an und
für fih nicht in der Möglichkeit, das Richtige vom Unrichtigen zu unter-
ſcheiden. Zweitens märe ein ſolches Verfahren ein arger Einbrud in
das Zweikammerſyſtem, weil ja faktiſch mit diefer MWeiteröziehung an
das Volk der zweite Rath ganz überflüffig würde.
—
Die höhere Inſtanz muß gefunden werden in den Räthen ſelbſt,
in der vereinigten Bundesverſammlung. Allerdings nicht
in dem Sinne, daß derſelben in gewöhnlichen Zeiten jede Frage, über
welche ſich die getrennten Räthe nicht einigen können, vorzulegen wäre.
Sonſt thäte man ja beſſer, gar nicht getrennt zu verhandeln, ſondern
bon vornherein zuſammenzutreten. Allein, für die Zeiten der Gefahr,
denen wir nach meiner feiten Ueberzeugung entgegengehen, jollte eine
ſolche Weitersziehung dringlicher Fragen an die vereinigte Bundes-
verſammlung ſchlechterdings zuläflig jein.
Dadurch würde ein großer Uebelſtand umferes ſchweizeriſchen Zwei—
kammerſyſtems bejeitigt und unjer Land möglicherweife vor dem Unheile
bewahrt, das in Zeiten innerer oder aa er: aus jedem er
ſyſteme entipringt.
Mit dem Vorſchlage des legtjährigen und der diesjährigen Ent-
würfe, auch die ſtimmberechtigten Schweizerbürger geiftlichen Standes als
wahlfähig in den Nationalrat zu erklären, wird eine große Unbillig-
feit wieder gut gemacht. So wenig als geiftliche, tollen wir weltliche Vor—
rechte; jo gut als die Weltlichen, follen auch die Geiſtlichen aller Rechte
der Schweizerbürger theilhaftig fein.
Nichtsdeſtoweniger hat der Widermillen ‚vieler liberaler Katholiken,
ihre ultramontanen Geiftlichen zu den eidgenöſſiſchen Räthen zuzulafjen,
feine tiefe Berechtigung. Aber wenn man der Sache auf den Grund
geht, jo ſieht man, daß diejer Widerwillen nicht gegen die Geiftlichen
als ſolche, jondern gegen die Diener einer fremden, antiſchweizeriſchen
Macht gerichtet ift. Es ift etwas Unnatürliches, daß derjenige, der fein
Vaterland in Rom hat und der als Ultramontaner, als Vorkämpfer für
die päpjtliche Meltherrichaft, von vornherein der Selbſtſtändigkeit unferer
Nationalität und unferen republikaniſchen Einrichtungen feind ſein muß,
über die Geſchicke unſeres Volkes mitberathen und mitbeſchließen ſoll.
Alſo Ausſchluß der Organe der infallibiliſtiſchen Kirche!’ Aber
geſtützt auf melden Rechtstitel? Etwa wegen ihrer Eigenſchaft als
Geiſtliche? Sollen alſo die liberal-katholiſchen und proteftantifchen Geiſt⸗
lichen, die doch meiſtens gute Schweizer und gute‘ Republikaner ſind,
auch darunter leiden, daß ſie zufälliger — mit —— die ——
als Geiftlide gemein Haben? Ὁ
EN a
Der Ausſchluß des ultramontanen Klerus muß verlangt werden
von einem höhern nationalen Geſichtspunkte aus.’ Kein
Schweizerbürger ſoll wählbar jein in. den Nationaltath, der zu einer
fremden — weltlichen oder geiftlihben — Macht in eimem
direkten und äußern Abhängigkleitsperhältniffe fteht.
WVon dieſem Geſichtspunkte aus ſind alſo ausgeſchloſſen nicht nur
die Organe Roms, ſondern auch die weltlichen Vertreter fremder Mächte
(wie z. B. die Vertreter fremder, mächtiger Aktiengeſellſchaften oder die
Konſulen fremder Staaten). Es iſt gar wohl: denkbar, daß feiner Zeit
auch ‚Die, rothe Internationale, wieder, zu, einer jtaatsgefährlichen ar
wird, jo. daß auch der Aal ihrer Organe — —
Der —— hat ſeine Bedeutung nicht nur als
Kammer, ſondern ganz beſonders noch als Vertretung der Stände, wie
ſie num einmal in der Schweiz, hiſtoriſch geworden find. led
Diefe Ständenertretung iſt durchaus feine nothwendige Folge des
Zweikammerſyſtems. Wohl iſt der Senat der amerikaniſchen Union zu—
gleich zweite Kammer und: zugleich, Vertreter der einzelnen: Staaten.
Aber man verxgeſſe nicht, daß in jedem, einzelnen, Staate der Union
ebenfallS zwei Kammern beſtehen, die fich lediglich, dadurch von einander
unterjcheiden, ‚daß. die Mitglieder des Senates aus größeren Wahlkreiſen
und für, eine längere Amtsdauer gewählt find, und. ein: höheres Alter
haben müſſen, als die Mitglieder. des NRepräfentantenhaufes. si
Obgleich alſo die Schweiz, aller. Vorzüge des Zweikammerſyſtems
auch ohne fürmliche Ständevertretung theilhaſtig ſein könnte, jo fällt‘ es
mir gleihmwohl nicht ein, an der Bedeutung des Ständerathes als
Ständevertretung irgendwie rütteln zu wollen. Die Aufhebung der
Ständevertretung in den eidgenöſſiſchen Räthen wäre allerdings: ‚ein
Uebergang zum; Einheitsftaate,: den feiner von sung will. /
Das Einzige, was ich vorjchlagen möchte, beftünde darin, dag
ſchreiende Mißverhältniß in der Vertretung: der einzelnen Kantone ein
wenig auszugleichen. Unſer Volk begreift jehr viel; aber nie wird 68
‚begreifen, warum ‚der ‚Kanton Uri im Ständerathe: foviel Vertreter haben
joll, wie. die Kantone, Zirih, Bern, Waadt, und warum ein Urner ſo
ſchwer iu's Gewicht: fallen. ſoll, wie 40. Berner; noch weniger wird es
begreifen, warum die bevölkerten Halbkantone Baſelſtadt und Appen-
— 70 —
zell A.-Rh., mit ihrer Summe von Intelligenz, Bildung und Reichthum,
im Ständerath nur einen, Uri dagegen zwei Vertreter haben fol.
Ich glaube, im meitaus größten Theile der Schweiz märe eine
etwelche Ausgleihung dieſes Mißverhältniffes jehr populär. Wenn man
3. D. feitjegen würde, daß jeder Kanton mit einer Bevölkerung von
weniger als 20,000 Seelen nur einen, jeder Kanton mit einer: Be-
völferung von 20,000—50,000 Seelen zwei, jeder Kanton mit "einer
Bevölkerung von 50,000—150,000 Seelen drei, und endlich jeder Kan—
ton mit einer Bevölferung von 150,000 und mehr Seelen vier Ab-
geordnete in den. Ständerath zu wählen habe, und daß die Halbfantone
wie Kantone zu betrachten jeien, mit der Einjchränfung, daß fein Halb-
fanton mehr als zwei Abgeordnete wählen könne, jo erhielte man, ftatt
eines Ständerathes von 44, einen ſolchen von 65 Mitgliedern.
ie Kantone wären folgendermaßen vertreten: Züri, Bern,
St. Gallen, Yargau, Waadt mit vier, Graubünden, Teſſin, Wallis, Luzern,
Freiburg, Solothurn, Thurgau, Neuenburg und Genf mit drei, Schwyz,
Glarus, Bajelftadt, Bajelland, Zug, Schaffhaufen, Appenzell A.-Rh.
mit zwei, Uri, Obmwalden, Nidwalden, Appenzell J.«Rh. mit einem
Abgeordneten. Oder man könnte, ftatt vier, nur drei Kategorien machen
und ſämmtlichen Kantonen und Halbfantonen mit einer Bevölkerung
bis 21. 50,000 Seelen zwei Abgeordnete laſſen. In dieſem Falle er-
hielte der Ständerath eine Stärke von 69 Mitgliedern. Würde durch
eine ſolche Ausgleichung des beftehenden Mißverhältniffes die Kraft und
das Anſehen unferer zweiten Kammer nicht verdoppelt und dadurch
indireft auch * ἜΗΝ der Kantone wieder gehoben ?
Art: 71. Wahlfähig als Mitglied des Nationalrathes i —
ſtimmberechtigte Schweizerbürger, der zu feiner fremden — geiſtlichen
oder weltlichen — Macht in einem direkten und re Abhängigfeit3-
verhaltniſſe ſteht.
Art. 76. Der Ständerat) beiteht aus den ——— der
Kantone.
Kantone mit einer Bebollerung⸗ don weniger als 20, 000 Seelen
wählen einen Abgeordneten, Kantone mit einer Bevölkerung bon
20,000 — 50,000 Seelen zivei Abgeordnete, Kantone mit einer Be-
völferung von 50,000— 150,000 Seelen drei Abgeordnete und Kantone
————
mit einer Bevölkerung von 150,000 und mehr Seelen vier Abgeordnete
in den Ständerath.
Die Halbkantone find mie Kantone zu halten, mit der Ein-
Ihränfung , daß Fein Halbfanton mehr als 2 Abgeordnete wählen darf.
Art. 87 (Zufag). In Zeiten der Gefahr ἐπι εἶδος die vereinigte
Bundesperfammlung überdieß jede Frage, über welche fi) der National-
rath und der Ständerath nicht einigen fünnen und welche von ihr auf
den Antrag eines der beiden Käthe für dringlich erflärt worden ift.
In Gruppen oder Globo?
In den gefeßgebenden Behörden ift jede gruppen= oder artifelmeije
Abftimmung nur eine eventuelle und wird ſchließlich immer πο über
daS, aus der gruppen- oder artifelweifen Berathung und Abftimmung
hervorgegangene Refultat in globo abgeftimmt.
Wäre die nicht zu kompliziert, müßte demgemäß auch jede gruppen-
weile Bolfsabftimmung den Charakter einer eventuellen Abſtimmung haben.
Sonſt läuft man Gefahr, den Bolfswillen zu fälſchen.
Alſo Schon aus diefem Grund ift die gruppentveije Abſtimmung
verwerflich. Sie kann auch ſchlechterdings nur vom Opportunitätsſtand—
punkt aus verfochten werden. Man hofft, durch dieſelbe wenigſtens Etwas,
wengſtens den Kirchenartikel, unter Dach bringen zu können.
Aber ihr Klugen, ihr täuſcht euch gewaltig! Ihr vergeßt, daß
die gleichzeitige Vorlage mehrerer Materien die Maſſe des Volkes ſtets
verwirrt, ſtets unjhlüffig und mißtrauiſch macht. Ihr vergekt, daß ihr
dur die Zerlegung des Revifionsmwerfes in verjchiedene Gruppen der
Revifionsbewegung ihren hauptſächlichſten Impuls entzieht! Ihr ver-
gebt, daß ihr einen mächtigen Strom in kleine Bächlein zerlegt und
diefen Strom jeiner unmiderftehlichen Kraft vollftändig beraubt.
MWagt ihr es nicht, euch für die Globo-Abftimmung zu entjcheiden,
jo gebt ung menigftens Eins: die ſucceſſive Abftimmung
über die einzelnen Materien. Zuerft Militär und Finanzen,
oder Schule und Kirche, und dann. fucceffive die anderen Gruppen.
Aber dem Bolfe immer nur Eine Borlage, Ein Ja oder Ein Nein!
Gebt ihr uns diefe fucceffive Abftimmung, jo ift e$ immer πο
möglich, daß die Revifionspartei beifammen bleibt und am Kampftag als
geſchloſſene Phalanx aufmarſchirt. Gebt ihr uns aber die gleichzeitige
Abftimmung über die verjchiedenen Gruppen, jo übernehmet auch die
ganze Berantiwortlichkeit, wenn durch dieſen Keil die Reviſionspartei ſollte
auseinander geſprengt werden.
Doch, wie ihr uns die Sache vorlegt, iſt am Ende nicht ſo
wichtig, als was ihr uns vorlegt. Iſt der Inhalt des Reviſionswerkes
gut, entſchieden gut, ſo hoffe ich, es werde auch bei der gruppenweiſen
Abſtimmung jeder Reviſionsfreund dazu ſtimmen.
Allein das Schiff der Reviſion, das noch dieſen Sommer mit ge—
ſchwellten Segeln luſtig und geraden Wegs ſeinem Ziele zuſteuerte, iſt
ſeither durch das Laviren der beiden Kommiſſionen in bedenkliches Fahr—
waſſer gerathen. Nur wenn ſich die Räthe ſelbſt mit aller Macht aus
dieſem Fahrwaſſer wieder herausarbeiten, kann der ſonſt unvermeidliche
Schiffbruch vermieden werden.
Zum Militärartikel der nationalräthlichen und zum Rechtsartikel
der ſtänderäthlichen Kommiſſion wird die Linke der Reviſionspartei nie
ihre Zuſtimmung geben. Unſer Minimum ſind hier die Anträge des
Bundesrathes. Bevor wir in unſere neue Wohnung einziehen, wollen wir
wiſſen, ob dieſelbe wohnlicher iſt, als die alte. Unſere liebe, aber ſehr
ſchadhafte Bundesverfaſſung von 1848 wollen wir nur gegen etwas
Beſſeres, nicht gegen Flickwerk vertauſchen.
Darum — caveant Consules! Gebt uns Brod, nicht Steine!
wolle RR
re
HRSaSEE